Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 3 [Reprint 2020 ed.] 9783112380949, 9783112380932

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Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 3 [Reprint 2020 ed.]
 9783112380949, 9783112380932

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Hermann Schulze-Delitzsch's

Schriften und Reden Lerausgegeben im Auftrage des

Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen

Erwerbs- und Wirtschaftsgenoffenschaften, e. V. von

F. Thorwart-Frankfurt a. M. unter Mitwirkung, von

Dr. HanS Crüger-Charlottenburg,

Professor Dr. G. Küntzel-Frankfurt a. M>, Dr. E. Lennhoff-Franksurt a. M., Dr. F. Schneider-Potsdam, Professor Dr. PH. Stein-Frankfurt a. M.

III. Band.

Berlin 1910. I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. L.

.Bork»"**. Der Band, welchen wir hier vorlegen, umfaßt:Schulzes rednerische und schriftstellerische Betätigung iw den Kämpfen.um die deutsche Einigung vor 1866. Der erste Abschnitt über die Revolutionszeit von 1848 ist bearbeitet von dem Mitherausgeber Herrn Dr. Fritz Schneider in Potsdam, der Rest sowie der folgende Band von bett Unterzeichneten. Aus der gewaltigen Zahl von Schulzes Reden kommen hier nur diejenigen — und zwar auf Grund der stenographischen Berichte der Parlamente und der betreffenden Versammlungen — zum Abdruck, die von allgemeinem geschicht­ lichen Interesse sind oder ein gutes Bild seiner geistigen Persönlichkeit

liefern. Eine Kritik seiner Anschauungen, insbesondere eine Berichtigung offenbarer Irrtümer haben wir nicht beabsichtigt, sondern wir haben uns darauf beschränkt, den Text Schulzes für die Leser zu erläutern.

Den Grundstock unseres Materials bildete der von dem Allgemeinen Verbände aufbewahrte und vielfach ergänzte literarische Nachlaß Schulzes. Unsere eigenen Nachforschungen nach Briefen waren nur zum Teil von Erfolg begleitet. Teils wird — zumal unter den Berliner Partei­ genossen — nur ein spärlicher schriftlicher Verkehr stattgefunden haben,

teils wird Wohl auch mancher Brief aus Furcht vor politischer Verfolgung vernichtet worden sein. Immerhin ist es uns gelungen, noch eine größere Anzahl von Briefen Schulzes ausfindig zu machen. Wir erhielten: Die

Korrespondenz mit Bennigsen, Fries und Streit von Herrn Professor Oncken in Heidelberg, dem wir auch sonst für manche Auskunft dankbar

verpflichtet sind; von Frau Geheimrat Freytag die Briefe Schulzes an ihren Gatten; von Herrn Direktor A. Emminghaus in Gotha die Briefe

an Lammers; von Herrn Justizrat Metz III. in Darmstadt die Korrespondenz seines Vaters August Metz mit Schulze; von Herrn Privatdozmten Dr. Hans Bluntschli-Bavier in Zürich einen Brief Schulzes an seinen Großvater I. C. Bluntschli. Dagegen waren in dem

Nachlasse F. Dunckers, v. Holtzendorffs, Johann Jacobys, Miquels, Eduard Laskers, Eugen Richters, Heinrich Rickerts, Gottlieb Plancks,

Vorwort.

IV

Heinrich v. Sybels, Virchows und Waldecks keine Briefe von Schulze aufzufinden.

Die Nachlässe Max Dunckers

waren uns leider nicht zugänglich.

und Theodor Mommsens

Es war deshalb weder aus dem

ersten zu ermitteln, worauf R. Hahm (Leben Max Dunckers, S. 307)

seine Behauptung stützt,

daß die Fortschrittspartei, insbesondere auch

Schulze, in der Konfliktszeit den Kronprinzen auf ihre Seite zu ziehen versucht hätten, noch war aus dem zweiten festzustellen, ob zwischen

Mommsen und Schulze ein schriftlicher Gedankenaustausch stattgefunden hat.

Allen denjenigen, welche durch Briefspenden oder Auskünfte unsere

Publikation bereichert haben, sprechen wir auch an dieser Stelle unsern

verbindlichsten Dank aus. Der folgende Band wird das Wirken Schulzes im Kampfe um die

Heeresreorganisation, im Reichstage des Norddeutschen Bundes und seine

Bemühungen um die freiheitliche Ausgestaltung der Verfassung des neuen Reiches, sowie seine Stellung zu einigen kleineren Fragen der inneren

Politik Preußens darstellen.

Nachdem die deutsche Einigung von Anderen

und auf anderen, seiner Weltanschauung zuwiderlaufenden Wegen herauf­ geführt worden war, hat sich Schulze in seinen letzten Lebensjahren von der allgemeinen Politik zurückgezogen und sich im wesentlichen nur noch der Pflege seiner Genossenschaften im Parlament und in der Presfe ge­ widmet.

Frankfurt a. M., im August 1910.

F. Thorwart. Prof. Dr. G. Küntzel. Dr. E. Lennhosf.

Inhaltsangabe. Seite

Reden in der Revolutionszeit.................................................. i In der Preußischen Nationalversammlung 1848....................................................... 1

Brief an seine Wähler in Delitzsch 1. Juni 1848 ................................ 2 Die Anerkennung der Märzrevolution. Reden vom 8. Juni 1848 7 Brief an seine Wähler in Delitzsch. 22. Juni 1848 ..................... 10 Beschleunigung der Vorlage organischer Gesetze. Rede vom 7. Juli 1848 ......................................................................................... 14 Die Wahl eines unverantwortlichen Reichsverwesers durch die Deutsche Nationalversammlung. Reden vom 11. Juli 1848 . 16 Brief an seine Wähler in Delitzsch. 11./12. Juli 1848 .... 21 Die Einführung der Schutzmannschaften. Reden vom 1. und 9. August 1848 ................................................................................... 24 Die Schweidnitzer Vorfälle und der Antrag Stein. Rede vom 7. September 1848 .............................................................................. 32 Die Dänische Frage. Rede vom 3. Oktober 1848 .......................... 37 Die Aufhebung des Jagdrechts auf fremdem Grund und Boden (Anträge). 5.—10. Oktober 1848 .............................................. 41 Die Verkündungsformel zur Verfassungsurkunde für den preußischen Staat. Rede vom 12. Oktober 1848......................................... 42 Der Konflikt zwischen der Bürgerwehr und Arbeitern in Berlin. Rede vom 18. Oktober 1848 ............................................................... 43 Der Schutz der Volksfreiheit der Deutschen in Österreich. Reden vom 31. Oktober 1848................................................................... 45 DaS Ministerium Graf Brandenburg. Rede vom 10. November 1848 50 Stimmungsbilder aus der Preußischen Nationalversammlung. November bis Dezember 1848 ......................................................... 55 Reden tot Preußischen Abgeordnetenhanse 1849

................................................

66

Die Adreßdebatte. Rede vom 19. März 1849 ....... DaS Vereinsgesetz. Rede vom 16. April 1849 ................................ Die deutsche Frage. Rede vom 21. April 1849 .......................... Die Auflösung der Zweiten Preußischen Kammer. Rede vom 1. Mai 1849 .............................................................

66 69 76

Der SteuernerweigernngSproreß.

1850

..................................................................

83 90

VI

Inhaltsangabe.

Bor dem Wiedereintritt in das politische Leben............................. in Schiller als Dichter deS Volkes. Rede vom 10. November 1854 . Brief an A. Lammers in Hannover. 4. Dezember 1858 ... Brief an Reil in Köfen. 1858/59 .................................................... Brief an A. LammerT in Hannover. 19. Februar 1859 ... Wehre Dich Deutschland! 1859 .........................................................

111 115 116 117 118

Die nationale Bewegung nnd der Deutsche Nationalverein. . . . m Der Kampf um dir -eutscheMiü-uua................................................................. 136 Die Gründung deS Nationalvereins 1859 .......................................... 136 Brief an GustavFreytag. 8. Oktober 1859 ..................................... 142 Brief an Gustav Freytag. 18. Oktober 1859 .............................. 145 Brief an Rudolf von Bennigsen. 1. November1859 . . . .147 Brief an Rudolf von Bennigsen. 13. November1859 . ... 150 Erstes Flugblatt des deutschen Nationalvereins. Dezember 1859 . 152 An das Württembergische Volk. März 1860 ................................ 159 Das Recht deS deutschen DoÜeS zur Erringung der politischen Einheit. Rede Dom 3. September 1860 ..................................... 170 Die Schaffung einer deutschen Zentralgewalt. Rede vom 4. September 1860 .............................................................................. 176 Die Fortschritte in der nationalen Bewegung. Rede vom 24. August 1361 .............................................................................. 182 Forderung eines deutschen Parlaments. Rede vom 28. Sep­ tember 1862 ................................................................................... 184 Brief an Professor I. C. Bluntschli in Heidelberg. 3. August 1862 . 185 Brief von Rudolf von Bennigsen. 20. August 1862 ..................... 196 Brief an Streit in Koburg. 23. Oktober 1862 ................................ 197 Brief von Rudolf von Bennigsen. 7. November 1862 .... 198 Brief an denselben. 18. Juni 1863 .................................................... 198 Die österreichischen Reformvorfchläge. Rede vom 21. August 1863. 200 Zur deutschen Frage. Reden vom 16. Oktober 1863 ..................... 210 Briefe an Rudolf von Bennigsen. 27. November 1863 und Herbst 1864 ......................................................................................... 218 Zur deutschen Frage. Rede-vom 31. Oktober 1864 ..................... 221 Brief an Rudolf von Bennigsen. 9.. Januar 1865 ..................... 237 Brief om -denselben. 3. August 1865 ............................................... 239 Brief an Fries in Weimar. 8. September 1865 .......................... 240 Brief an denselben. 28. September ^1865 .......................................... 242 Brief von August Metz in Darmstadt. 12. Oktober 1865 ... 243 Brief an August Metz in Darmstadt. Mitte Oktober 1865 . . . 245

Brief von demselben. 17. Oktober 1865 .......................................... 250 Die Lage Preußens und Deutschlaüds. Reden vom 11. und 23. April 1866 ............................................................................. 254 Brief an Theodor Müllensiefen. 17. Mai 1866 ................................ 281 Gegen den Preußisch-Österreichischen Krieg. Rede vom 20. Mai

1866 ...........................................................

282

JahMkmgaLr-

VJJ Sette

An die liberalen Wähler in Preußen! 9. Juni 1866. .... 295 Brief an Rechtsanwalt Oesterlen in Stuttgart. 18. Juni 1866 . 298 Brief an Theodor Müllensiefen. 20. Juni 1866 .......................... 299 Brief an Rudolf von Bennigsen. Juli 1866 ............................... 301 Brief an Theodor Müllensiefen. 19. Juli 1866 ..................................802 Brief an Prof. FranceSco Vigano in Mailand. Juli 1866 . . 302 Brief an Rudolf von Bennigsen. 18. Februar 1867 ..................... 304 Schulzes Austritt aus dem Nationalverein. 16'. April 1867 . . 305 Für die Selbständigkeit Deutschlands. 12. Jutt 1867 ..................... 306 Die Deutschen Abgeordnetentage von 1862 und 1863 ..................... 309 I. Der erste Abgeordnetentag in Weimar. 2B./29. September 1862 .............................................................................. 312 II. Der zweite Abgeordnetentag in Frankfurt a. M. 21./22. August 1863 . . . i.............................................................. 316 Die kurhesfische Frage. Reden von1861/62

................................................... 324

Die schleswig-holsteinische Frage........................................................................... 339

Schleswig-Holstein und die Flotte. Reden vom 24. August 1861 339 Aufruf an die deutschen Genossenschaften zu Deittägen für die deutsche Flotte Oktober 1861 ................................................... 363 Für Schleswig-Holstein! Aufruf an die deutschen Genossenschaften. Ende 1863 .............................................................................................. 366 Die Rechte des Herzogs von Augustenburg. Rede vom 2. De­ zember 1863 .................................................................................. 367 Die Einsetzung deS SechSunddreißiger Ausschusses. Rede vom 21. Dezember 1863 .............................................................................. 380 Die Ablehnung des preußischen Gesetzentwurfs, betr. den außer­ ordentlichen Geldbedarf der Militär- und Marineverwaltung. Reden vom 22. Januar 1864 ......................................................... 386 Die Erhaltung deS SelbstbestimmungsrechtS der Herzogtümer. Rede vom 1. November 1864 ......................................................... 406 Für den militärischen und maritimen Anschluß der Herzogtümer an Preußen. Rede vom 29. Oktober 1865 .......................................... 413

Äußere Handelspolitik............................................................. 42s Der Handelsvertrag zwischen dem deutschen Zollverein und Frank­ reich. Rede vom 24. Juli 1862 .............................................. 425 Der preußisch-französische Handelsvertrag und die ZollvereinSstaaten. Rede vom 5. September 1862 .............................. 431 Die Handelsbeziehungen zu Österreich. Rede vom 8. September 1862 .................................................................................................. 436 Der preußische Schiffahrtvertrag mit Belgien. Rede vom 18. April 1863 .................................................................................................. 447 Zur ZollvereinSkrists. Rede vom 14. September 1863 ..................... 458 Der Handelsvertrag mit Österreich vom 11. April 1865. Rede vom 23.Mai1865 .......................................................................... 460

yni

Inhaltsangabe. Sette

Die üalienische Frage Die Anerkennung des Königreichs Italien durch Preußen. Rede vom 22. Juli 1862 .......................................................................... 466

Die Poleasrage................................................................... 474 Preußens Stellung zu den polnischen Selbständigkeitsbestrebungen. Rede vom 22. September 1862 ............................................... 474 Die preußisch-russische Konvention vom 8. Februar 1863. Rede vom 27. Februar 1863 481 Sachregister.................................................................................................. 505

I. Reden in der Revolutionszeit. a) In der Preußischen Nationalversammlung 1848. Schulze war durch das allgemeine Vertrauen der Wähler des Kreises Delitzsch-Bitterfeld in die preußische Nationalversammlung ent­ sandt worden, die am 22. Mai (8^8 in Berlin zusammentrat, um die von König Friedrich Wilhelm IV. versprochene konstitutionelle Verfassung mit der Krone zu „vereinbaren". Bei der zunächst noch wenig geklärten und nur langsam sich vollziehenden Parteigruppierung der Mitglieder trat er dem Linken Zentrum bei, dem sich u. a. Rodbertus^, Phillipps'^),

Bucher^) und von Berg^) anschlossen, mit der Absicht, den Vereinbarungs­ charakter der Versammlung zu wahren und eine wirklich freie Ver­ fassung in Übereinstimmung mit der Krone zustande zu bringen. Der Linken, die sich als vollständig konstituierende Versammlung betrachtete, gehörten u. a. Waldeck^), Jacobys und d'Lster^), der Rechten u. a. *) I. K. Rodbertus-Jagetzow, 1805 bis 1875, Gutsbesitzer auf Jagetzow in Pommern; als Schriftsteller Verteidiger des Staatssozialismus. 2) Adolf Phillipps, 1813 bis 1877, Oberbürgermeister in Elbing, gemaß­ regelt 1853. 3) Lothar Bucher, 1817 bis 1892, Gerichtsassessor in Stolp. Lebte von 1850 bis 1862 als Flüchtling in London und wurde 1864 von Bismarck in das Auswärtige Amt berufen. 4) PH. von Berg, 1815 bis 1866, katholischer Geistlicher in Jülich. 6) Franz B. Waldeck, 1802 bis 1870, Obertribunalsrat in Berlin, Führer der äußersten Linken in der Nationalversammlung. 6) Johann Jacoby, 1805 bis 1877, Arzt in Königsberg, Verfasser der „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen", worin er im Februar 1841 eine Konstitution für Preußen forderte. 7) d'Ester, Arzt in Köln. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

III.

1

Schulze-Delitzsch.

2 Grabow *),

£}arfort*2)

und

Sybotv3),4 5 dem Rechten

Zentrum u. a.

von Unruhs) an.

von den Reden, welche Schulze in der Nationalversammlung gehalten hat, haben die weniger wichtigen hier keine Aufnahme gefunden, ins­ besondere die nicht seltenen Ausführungen zur Geschäftsordnung, über die bei der ganz geringen eigenen Erfahrung in Preußen noch keine feste Tradition bestand. Über seine Tätigkeit in der Nationalversammlung berichtete Schulze

— wie es scheint in regelmäßiger Folge — in Briefen an seine Freunde in Delitzsch, von ihnen haben sich drei Briefe vom Juni, 22. Juni und | (. Juli erhalten; sie geben ein gutes Bild von dem Fortgang der Ereignisse und sind deshalb hier ausgenommen. Briefe, die er un­ mittelbar vor der Auflösung der Nationalversammlung sandte, sind auf S. 55 u. f. dieses Bandes zum Abdruck gebracht.

1. Brief an feine Wähler in Delitzsch. (Allgemeine Schilderung der Anfänge der Nationalversammlung.)

Berlin, 1. Juni 1848. Erst jetzt beginnen sich die Deputierten der Nationalversammlung einigermaßen zu gruppieren, wiewohl ich die bisher kenntlich gewordene Parteistellung für keine stichhaltige und entschiedene für die Dauer der Beratungen halte, da die Prinzipien nur oberflächlich berührt, viele aber bei sich überhaupt darüber höchst unklar sind. Erst die Debatte über die gestern beschlossene Adresse^), wobei sich die Schwäche der äußersten ’) Wilhelm Grabow, 1802 bis 1874, Oberbürgermeister in Prenzlau, Präsident der Nationalversammlung bis zum Oktober 1849 und später Präsident des Abgeordnetenhauses während der Konfliktzeit. 2) Friedrich Harkort, 1793 bis 1880, Industrieller in Wetter in Westfalen („Der alte Harkort"). 3) Karl L. Sydow, 1800 bis 1882, Prediger in Berlin, bekannt durch seinen Streit mit dem Konsistorium um das Dogma im Jahre 1872, hielt am 22. März 1848 die Grabrede bei Beerdigung der Märzgefallenen. 4) Hans Victor von Unruh, 1806 bis 1884, Regierungs- und Baurat, wurde nach Grabows Rücktritt Präsident der Nationalversammlung. 5) Nachdem am 30. Mai auf Antrag von Nees von Esenbeck-Breslau (Linke) eine Kommission zur Ausarbeitung einer vom volkstümlichen Standpunkt aus­ gehenden Verfassung, unabhängig von dem von der Regierung vorgelegten Ent­ würfe, gebildet worden war, wurde tags darauf auf Antrag von Duncker-Berlin (Rechtes Zentrum) der Erlaß einer Adresse an den König beschlossen.

Reden in der Revolutionszeit.

3

Linken und deren gefährliche Taktik recht klar zeigte, wird hier mehr Licht bringen.

Während nämlich diese Herren, welche kaum ein Zehntel der Ver­ sammlung für sich haben, von Anfang an bei den vielen ermüdenden

Verhandlungen über Formfragen stets beflissen waren, Prinzipienfragen

der wichtigsten Art in beiläufigen Bemerkungen bei den Haaren herbei­

zuziehen und einzumischen, wobei sie wiederholt die entschiedensten Nieder­ lagen erlitten, änderten sie ans einmal ihre Taktik und stellten den bei

der Adresse zu erwartenden Prinzipienkampf als gefährlich dar, weil sie sich ihrer jetzigen Schwäche bewußt geworden sind und das Ministeriums, welches die Adreßangelegenheit zur Kabinettsfrage gemacht hat, um jeden Preis stürzen wollen.

Hat nun die taktlose und voreilige Haltung dieser

Partei sie schon jetzt in den äußersten Mißkredit gebracht, so möchte dies an sich wohl nichts schaden. Das Üble dabei aber ist, daß sie eine

Menge Unentschiedener zur Rechten hinübertreibt, und dazu sehe ich im

Geiste voraus: sobald diese Partei eingesehen hat, daß sie in der Ver­ sammlung nichts ausrichtet, sucht sie ihre Stützpunkte außerhalb derselben,

in den Massen, den Klubs, und wird jedenfalls den Versuch machen, die

Versammlung einzuschüchtern.

Ihre Losung ist: Eine Volkskammer ohne

alle Beratungsstadien, ohne Veto und Auflösungsrecht des Königs!

Sie

selbst weiß recht gut, daß dies die Monarchie von Haus aus in eine unhaltbare Position bringt, und will in der Tat weiter nichts, als die

Republik um jeden Preis, sobald als möglich.

Geht ihr Vorschlag nicht

durch, so erwartet man mit Bestimmtheit, daß sie der äußersten Rechten beitritt, um den Regierungsentwurf mit der Pairskammer durchzusetzen

mib so durch eine unausbleibliche baldige Revolution ebenfalls zu ihrem Ziele, der Republik, zu gelangen.

Ihre Führer sind: Graf Reichenbach"),

Elsner, Nees von Esenbeck"), Stein4* )2 3 — sämtlich aus Schlesien — Jung und Berends von Berlin. Unsere Partei, die Gemäßigte Linke, das Linke Zentrum, hat sich

absichtlich noch nicht förmlich konstituiert und eine gewisse Zurückhaltung

beobachtet, die ihr bereits gute Früchte trägt.

Es ist höchst gefährlich,

in solcher Kammer irgendwie als Redner aufzutreten, ehe man sich nicht

x) Das sogenannte Märzministerium, in welchem die hervorragenden rheinischen liberalen Führer im ersten Vereinigten Landtage, Camphausen und Hansemann, die wichtigsten Persönlichkeiten waren. 2) Abgeordneter für Neustadt (Schlesien). 3) Chr. G. Nees von Esenbeck (1776—1858) Naturforscher in Breslau. 4) Oberlehrer in Breslau.

4

Schulze-Delitzsch.

die vielen Formen, die zu beobachten sind, ganz fest angeeignet hat. Viele haben das zu ihrem Schaden erfahren und sich in dem vorläufigen

Plänkeln so abgenutzt, daß man sie kaum mehr beachtet. So mein Namens­

vetter, Justizkommissar Schultz von Wanzleben, der sich in der Dienstags­ sitzung so überaus lächerlich machte, wie die Kammerberichte nachweisen *). Wir haben absichtlich unsere Schüsse, gespart, um so mehr, als die Ver­ sammlung gegen jeden, der sie durch Deklamationen in rascher Beseitigung

der Formfragen aufhalten wollte, voreingenommen war. Ein enger Verein von 15 Mitgliedern, unter denen man mir und

2) keine unwesentliche Stelle eingeräumt hat, wird wahrscheinlich den Kern dieser Partei bilden. Wir halten täglich von 8 bis 12 Uhrabends unsere Sitzungen und sind eben bei Aufstellung eines Programms3)

über die wesentlichsten Grundsätze, wozu man uns von allen Seiten auf­ fordert. 80 bis 100 Deputierte erwarten nur dessen Veröffentlichung, um sich uns anzuschließen, und das wäre dann schon ein guter Anfang. T) In der Sitzung vom 29. Mai hatte der Abgeordnete Schultz-Wanzleben ausgeführt, daß die „Versammlung" mehrmals zu Unrecht als „Kammer" bezeichnet worden sei, schloß aber unter Gelächter mit dem Anträge, daß sich die „Kammer" nicht die Hände binden solle. 2) Der Name ist im Originalbriefe sehr undeutlich geschrieben. 3) Dieses Programm wurde am 3. Juni vereinbart und als Erklärung der „Linken"*) veröffentlicht. Es lautet: 1. Wir erkennen an, daß wir den Ereignissen des 18. und 19. März den Ursprung eines neuen öffentlichen Rechtszustandes in Preußen zu verdanken haben. 2. Wir erkennen an, daß das infolge dieser Ereignisse erlassene, durch die tatsächliche Zustimmung des gesamten preußischen Volks zur höchsten Gesetzlichkeit erhobene Wahlgesetz vom 8. April d. I. der Rechtsboden der gegenwärtigen Preußischen Nationalversammlung ist. 3. Wir behaupten, daß wir auf Grund dieses Gesetzes mit der Krone gleichberechtigte Vertragende zur Vereinbarung der neuen Staatsverfassung sind, und folgern daraus: a) daß die Krone nicht das Recht der Auflösung unserer Versammlung, wohl aber diese das Recht des Beisammenbleibens bis zur er­ folgten Vereinbarung hat; b) daß es der Versammlung freisteht, auch ihrerseits der Krone einen Verfassungsentwurf vorzulegen. 4. Wir schöpfen den Begriff der Staatsverfassung aus den Bedürfnissen der Gesellschaft und erkennen es daher als den Zweck unserer Vereinbarung, nicht bloß die höchsten Staatsgewalten zu organisieren sondern die staatliche Gesellschaft zu konstituieren. Wir ziehen daher außer den Gegenständen, welche der uns vorgelegte Entwurf enthält oder vorbehält, noch in unsere Aufgabe: Bestimmungen über die Freiheit des Eigentums, eine volkstümliche Gerichtsverfassung, die Gemeindeverfassung in ihren engeren und weiteren Verbänden, die Steuer-

*) Aus F. Salomon, Die deutschen Parteiprogramme. Leipzig/Berlin 1907. Bd. 1, S. 24f.

Reden in der Revolutionszeit.

5

Jedenfalls bringe ich die Arbeit Pfingsten mit.

In den acht Abteilungen — je von 50 Mitgliedern — in welche die Versammlung unter be­

sonderen Präsidenten sich geteilt hat, um die Gesetzentwürfe, Anträge usw. vorläufig zu beraten und den Plenarsitzungen vorzuarbeiten, haben wir

bereits tüchtig Boden gewonnen nnd unsere Tätigkeit entwickelt.

In der

Zweiten Abteilung habe ich unsere Gesellschaft allein zu vertreten und mir in

den beiden Sitzungen, die bis jetzt stattgefunden, bereits entschiedenen Anhang erworben, auch bei Beratung des definitiven Geschäftsreglements mehrere wesentliche Motionen durchgesetzt.

Unser Abteilungsdirigent ist

v. Kirchmann?) Die Rechtes ist jetzt am stärksten besetzt, doch befinden sich sehr

viele freisinnige Leute unter ihr, die wir in den Hauptfragen wohl kaum

gegen uns haben. Der vorläufige Präsident, Milde aus Breslau — parlamentarisch gewandt, aber zum Präsidio einer solchen Versammlung nicht tüchtig und unparteiisch genug — und der Vizepräsident Esser vom Verfassung, das Wahlgesetz, Bestimmungen über Domänen und Regalien, über das Verhältnis der Kirche zum Staat, über den öffentlichen Unterricht, eine Wehrverfassung, ein Gesetz über die Verantwortlichkeit sämtlicher Verwaltungs­ beamten, und zwar nicht auf Grund der uns gleichfalls übertragenen reichs­ ständischen Befugnisse sondern auf Grund des Teils unseres Auftrages, der auf Vereinbarung einer Verfassung lautet. 5. Die zu vereinbarende Verfassung hat von dem Grundsatz auszugehen, daß König und Volk zusammen die Souveränität ausüben, jeder mit demjenigen Anteil, der durch die Verfassung festgestellt wird. 6. Die höchste gesetzgebende Gewalt soll zwischen König und Volk so geteilt werden, daß ersterem ein aufschiebendes Veto zusteht. 7. Das Volk übt seinen Teil der gesetzgebenden Gewalt überall durch Ver­ treter aus. 8. Dieselben gehen nur durch Wahlen aus dem Volke hervor. 9. Jeder unbescholtene 24jährige Preuße hat das aktive Wahlrecht; ob das passive Wahlrecht durch ein höheres Alter zu beschränken, ferner ob direkte oder indirekte Wahlen, bleibt offene Frage. 10. Ob die Volksvertretung, wie sie Organ der höchsten gesetzgebenden Gewalt ist, in einer oder zwei Kammern beraten oder beschließen soll, bleibt offene Frage, vorausgesetzt, daß die Mitgliedschaft der Ersten Kammer auf keinem Vorrecht oder Privilegium beruht. I. H. v. Kirchmann (1802—1884), 1848 Erster Staatsanwalt in Berlin; politisch strafversetzt als Vizepräsident an das Oberlandesgericht in Ratibor, verlor er hierdurch das Mandat zur Preußischen Nationalversammlung, erhielt es aber für Tilsit zurück. Er war Referent über den Steuerverweigerungsbeschluß. (Vgl. S. 54 f.) 2) Nach ihr sollte sich die Nationalversammümg auf Erledigung des Regierungsentwurfs der Verfassung beschränken.

Schulze-Delitzsch.

6 Rhein gehören zu ihr.

Der zweite Vizepräsident Waldeck gehört zur

Linken.

So stünde denn vorläufig alles gut, wenn die Anarchie hier nicht immer weiter um sich griffe. Die Angriffe von Arbeitern auf das Hotel des Ministers v. Patow'), die Unordnungen am Zeughause2*), von denen

die Zeitungen berichten, und aus denen man Gründe zu Interpellationen in der Versammlung entnahm, sind bedauerliche Zeichen von der Schwäche der Behörden. Nichts wird uns der Reaktion eher in die Hände führen, als die Anarchie, welche den Gegnern der Freiheit die verderblichsten Waffen gegen uns in die Hände gibt und die scheußlichste aller

Tyranneien ist. Das ist die schöne Herrschaft des alten Regiments, welches mir wie ein Verschwender vorkommt, der sich selbst überlebt, um alle seine Mittel zu verprassen und den Seinigen die Insolvenz zurück­ zulassen.

Zu Pfingsten — ich denke, die beiden Feiertage bestimmt in Delitzsch zuzubringen — würde ich gern in einer etwa anzuberaumenden Ver­ sammlung des Volksvereins meinen Kommittenten Rede und Antwort

geben und überlasse dem Vorstande die nähere Festsetzung. Auch sonst halte ich mich zu schriftlichen Berichten über den wesentlichen Fortgang der Verhandlungen verpflichtet, wobei ich aber natürlich auf die fteno-

graphischen Mitteilungen Bezug nehmen und mich darauf beschränken muß, meine Freunde in den Stand zu setzen: zwischen den Zeilen zu lesen!

Zum Schluß noch ein Attest unseres Fleißes, welches ich mir selbst ausstellen muß, in Darlegung unserer Stundeneinteilung. Früh 7—9 Uhr Zusammenkunft zur Besprechung der materiellen Interessen, über welche wir organische Gesetze in der Konstitution mindestens nach Grundzügen angedeutet wissen wollen; von 9 bis ’^ll Uhr Abteilungssitzung; von

11 bis 3 Uhr, auch 4 Uhr Plenarsitzung; von 8 bis 12 Uhr abends Versammlung unseres engeren Kreises, bei welcher wir um keinen Preis fehlen. So werden wir es freilich kaum auf die Länge forttreiben können, und werden die Frühversammlungen von 7 bis 9 Uhr nach einiger Zeit wegfallen.

Nachdem der Magistrat von Vertin am 27. Mai eine Anzahl bei städtischen Arbeiten beschäftigter Arbeiter wegen Widersetzlichkeit entlassen hatte, versprach er anfangs deren Wiederbeschäftigung, verwies sie aber nachher an die Regierung. Nach einer ergebnislosen Vorstellung der Arbeiter bei dem Handels­ minister v. Patow drang eine Anzahl derselben gewaltsam in dessen Wohnung, aus welcher sie nur mit Mühe entfernt werden konnten. 2) Nicht der eigentliche Zeughaussturm, welcher erst am 14. Juni stattfand.

Reden in der Revolutionszeit.

7

Daß übrigens der Verfassungsentwurf der Regierung die allgemeinste

Mißbilligung gefunden, setze ich als etwas sich von selbst Verstehendes

voraus.

2. Die Anerkennung der Märzrevolution. In der Sitzung der Nationalversammlung vom 8. Juni kam ein Antrag des Abgeordneten Berends-Berlin (tinke) zur Beratung:

„Die ^ohe Versammlung wolle in Anerkennung der Revolution zu Protokoll erklären, daß die Kämpfer des IS. und fH. März

sich wohl um das Vaterland verdient gemacht haben." stellte Schulze das Amendement, hinter den Worten:

Ljierzu

„f8. und \9- 21101:5" einzuschalten: „sowie das Volk von Berlin durch seine Lsaltung nach dem

Kampfe" Zur Unterstützung des Antrags Berends und zur Verteidigung

seines Amendements nahm nach sehr ausgedehnten Debatten Schulze das Wort:

13. Sitzung vom 8. Juni 1848. I.

Wenn

als

Motiv

für

den

Antrag des

Abgeordneten Berends

namentlich mit angeführt wurde, daß eine Versöhnung zwischen den Provinzen mit dadurch angestrebt werden solle, so kann ich diese Motive von meinem Standpunkt auf keinen Fall zugeben, weil ich nicht an­ erkenne, daß zwischen den Provinzen und der Hauptstadt in bezug auf

die Revolution irgendein Zwiespalt stattfindet. Ich wüßte nicht, daß irgend eine Tatsache eine größere Zustimmung, eine lautere Akklamation im Lande hätte finden können, als ebendiese Berliner Revolution. (Bravo!) Ferner scheint mir aber der Antrag, gerade da er doch vorerst eine

Anerkennung der Revolution beabsichtigt, insofern unvollständig zu sein, als er nur die Kämpfer des 18. und 19. März erwähnt und ich be­ streiten muß, daß diese Kämpfer allein die Revolution gemacht haben. Ich würde einen Schritt weitergehen;

nicht bloß diese Kämpfer, nein,

auch ein anderes Moment hat der Bewegung erst ihren Sieg im ganzen Lande verschafft. Und dies war die Haltung des Volkes nach dem Kampfe. Ich würde daher mein Aniendement dahin stellen, daß ich nach

Schulze-Delitzsch.

8

den Worten im Anträge „daß die Kämpfer des 18. und 19. März" ein­

geschaltet wissen wollte „so wie das Volk von Berlin durch seine Haltung

nach dem Kampfe sich wohl um das Vaterland verdient gemacht haben". Wir wissen alle, daß als die erste Kunde vom Kampfe im Lande erscholl,

wie allgemein die Bewunderung war, die jenen heldenmütigen Kämpfern gezollt wurde. Allein als wir die näheren Einzelheiten erfuhren, da wurde die Bewunderung zur Begeisterung erhoben, als wir hörten von der Mäßigung und Besonnenheit des Volkes, als ihm kein Gegner mehr

gegenüberstand; als söhnung des Volkes als wir hörten von dem unvergeßlichen

wir hörten von dem tiefen Ernste, von der Ver­ in dem Augenblick, wo seine Wunden frisch bluteten,

seiner Haltung gegenüber der Dynastie; endlich von Kultus der Tötens! Da erst war die Sache im

ganzen Lande entschieden.

Da erst erscholl die unbedingteste Zustimmung,

denn wie man sich auch bemühte, diese Kämpfe zu verkleinern, als ob keine höhere Idee zugrunde lag, als ob dieselben durch irgendwelche

äußerliche Veranlassungen und Zufälligkeiten hervorgerufen seien, mußte dies in sein Nichts zerfallen vor der Gewalt jener Tatsachen; wir er­ kannten jene Verkleinerungen und Verdächtigungen in ihrem wahren Lichte; wir sahen, daß das Volk sich wohlbewußt war, in diesen Augen­

blicken der Geschichte selbst unmittelbar Auge in Auge zu sehen! Und darin gerade finde ich eine ungeheure Gewährleistung für das ganze Land und für die Nationalversammlung selbst, die es durch seine An­

erkennung ehren muß.

Sie alle wissen in diesen Tagen der Aufregung,

mit welchen Besorgnissen manche im Lande nach Berlin blicken, man glaubt die großen Errungenschaften gefährdet, man glaubt sogar die

Sicherheit der Nationalversammlung von einem gewissen Standpunkt

bedroht und beeinträchtigt. Wir können diese Besorgnis nicht teilen, wenn wir auf die Haltung, welche das Volk in Berlin beobachtet, blicken.

Wir sehen, es hat die Würde, den ganzen Umfang dieser Tat gefühlt, und von diesem Augenblick an haftet auf diesem Volk eine unauslöschliche Weihe, es kann sich ein solches Volk wohl einmal verirren, aber verlieren kann es sich nie. Dies veranlaßt mich, mein Amendement zu stellen, da die Revolution an sich als vollendete Tatsache der Anerkennung kaum

bedürfen würde.

(Bravo!)

3« der Debatte begründete und erläuterte Schulze seinen Antrag

nochmals: *) Der feierliche Beerdigungszug vom 22. März 1848 für die gefallenen Barrikadenkämpfer.

II. Ich bin mit meinem Amendement vom Abg. Elsner^) mißverstanden worden, als habe ich beabsichtigt, die Anerkennung, die der Antrag des

Abg. Berends beabsichtigt, auch auf die Provinzen auszudehnen. Erlauben Sie, daß ich das Amendement vorlese. Der Antrag lautet:

Die Hohe Versammlung wolle in Anerkennung der Revolution zu

Protokoll erklären, daß die Kämpfer vom 18. und 19. März sich wohl um das Vaterland verdient gemacht haben. Ich trug darauf an, nach den Worten „des 18. und 19. März" einzuschalten „sowie das Volk durch seine Haltung". Ich wollte das also nicht aufs ganze Land ausgedehnt, sondern als Huldigung des Landes dargebracht den Kämpfern und der Haltung des Volkes nach dem Kampfe. Ferner hat mich Graf Reichenbach falsch aufgefaßt. Ich will keineswegs die Kämpfer vom März denen, die nachher die Ordnung

erhielten, gegenüberstellen; sie sind mir nichts Getrenntes. Hand der Kämpfer war es, diese Ordnung aufrechtzuerhalten.

In der Ich will

die Kämpfer nicht bloß wegen ihres Heldenmutes im Kampfe sondern

wegen ihrer edlen und besonnenen Haltung nach dem Kampfe und Siege geehrt wissen. Denn, meine Herren, zu allen Zeiten hat man den Sieg über sich selbst für schwerer gehalten als den durch Gewalt erkämpften, und ich

glaube, wenn wir anerkennen müssen, daß die Kämpfer des 18. März zuerst die Bahn gebrochen, zuerst die Bresche durchbrochen haben, welche um die alte Zwingherrschaft aufgeschlagen war, daß sie dann dem Sieg erst durch ihre Besonnenheit die Krone aufgesetzt haben, und daß sie ohne dieses gar nicht Helden zu nennen gewesen wären. (Bravo!) Nach langer Debatte wurde bei der Abstimmung der Antrag des Abg. Zimmermann (Grimmen):

„Die Versammlung geht, in Erwägung, daß die hohe Bedeutung der großen Nlärzereignisse, denen wir in Verbindung mit der

Königlichen Zustimmung den gegenwärtigen staatsrechtlichen Zu­ stand verdanken, auch das Verdienst der Kämpfer um dieselbe

unbestritten ist und überdies die Versammlung ihre Aufgabe nicht darin erkennt, Urteile abzugeben sondern die Verfassung mit der Krone zu vereinbaren, zur Tagesordnung über." *) Abgeordneter für Hirschberg, Mitglied der Linken; er hatte dem Arnendement das Bedenken entgegengesetzt, daß es nicht Aufgabe der Nationalversammlung sei, das „Volk" anzuerkennen.

Schulze-Delitzsch.

10

mit 196 gegen 1?? Stimmen angenommen.

in der Minderheit.

Schulze befand sich dabei

Damit war der Antrag Berends und der Ab­

änderungsantrag Schulzes dazu erledigt.

3. Brief an feine Wähler in Delitzsch. (Kritik der Nationalversammlung.)

Berlin, den 22. Junius 1848. Ein Monat nach unserm Zusammentreten vorüber und noch nichts geschehen, vielmehr unser Wirken durch die Abstimmung über den Entwurf eines neuen Verfassungsgesetzes durch eine Kommission auf Wochen ver­ tagt! Nach meiner Ansicht das Unseligste, was geschehen konnte. Im

Anfänge unserer Sitzungen hätte es noch sein mögen, aber jetzt, wo wir uns endlich in den Abteilungen bereits an die Arbeit gemacht hatten, wo das Land endlich eine Frucht unserer Beratungen sehen will, wo unsere

Zustände im Innern, wie nach außen, so dringend eine feste Ordnung

verlangen: ein heil- und sinnloser Sieg über die Regierung, den nur der Oppositionskitzel einer gewissen Partei und ein vielleicht nur halb­

bewußtes Streben nach Volksgunst oder auch ein doktrinäres Festhalten an Prinzipien ohne praktische Folge herbeiführen konnte! Daß wir das Recht hatten, einen neuen Entwurf zu machen, daß der Regierungsentwurf schlecht war, darüber habe ich mich in Delitzsch und Eilenburg zur Genüge ausgesprochen. In Eilenburg entschied man

sich im engeren Kreise zu meiner Freude, für Zugrundelegung des Regierungsentwurfs bei der Beratung in den Abteilungen, und wäre dies, nach meiner festen Überzeugung, auch das einzig Ersprießliche ge­ wesen. Nicht eine Spezialkommission, nein, die ganze Kammer in ihren Zentralabteilungen mußte sich an das Werk der Verfassung machen, und es versteht sich von selbst, daß ebenso aus dem Regierungsentwurfe, der

ja doch, wie jeder andere, auch der Kommissionsentwurf, nichts weiter als ein bloßes Schema für uns ist, etwas ganz anderes und Neues unter unseren Händen geworden wäre. Daß wir uns von dieser Spezial­ kommission in der Hauptaufgabe unseres Hierseins nicht bevormunden lassen werden, kann man sich denken. Ist also die Kommission mit ihrem Entwürfe nach einigen Wochen fertig, so geht er immer wieder zuerst,

nebst dem Regierungsentwurfe, durch die Abteilungen, ehe er vor das Plenum kommt, und wir haben nichts gewonnen, wohl aber Zeit — und

das kann unter gegenwärtigen Umständen heißen: Alles — verloren!

Jetzt wären wir längst mitten in der Sache, statt dasz wir nun nicht einmal Stoff genug für die Abteilungsberatungen haben. Ich trage daher in nächster Sitzung — Montag — darauf an, daß das Ministerium die versprochenen Vorlagen organischer Gesetze, die es angekündigt hat, uns schleunigst zugehen lasse, um sie in den Abteilungen sofort vorzunehmen. Bei der Auflösung des Ministern ’) bezweifle ich aber selbst einen Erfolg.

Das zweite Unglück für die Kammer ist die Auflösung des Ministern vor der Adreßdebatte: vielleicht auch fürs Land, für die National Versammlung gewiß! Auf diese Adreßdebatte hatte die Versammlung bi-^ her sich selbst und das Land vielfach vertröstet, wochenlange, weitschichtige Vorbereitungen getroffen. Ta sollten endlich die Prinzipien, mit welchen die Versammlung an ihre Aufgabe ging, klar hervortreten, da wollten sich die Parteien messen, da mußte sich die Majorität auf dieser oder jener Seite bestimmt herausstellen. Tie Minister wußten, woran sie lvareu, ob sie den Platz 511 räumen hatten oder die Negierung forrsühren konnten- nach Befinden konnte sich ein neues Ministerium aiiv der Majorität der Kammer bilden. Jetzt weicht das Ministerium vor dieser Debatte, die es doch selbst erst, als Bedingung seines Bleibens,

provoziert hatte' Von näher Eingeweihten wird versichert, daß Eamphausen in Forderung entschiedener Konzessionen beim Könige gegen eine Hof­ kamarilla nicht habe durchdringen können, doch ist es schwer, der Sache völlig aus den Grund zu kommen; besondere Bewandtnis hat sie gewiß. Daß Hansemann'') mit Bildung eines neuen Ministern beauftragt ist, daß

die Abgeordneten Milde und Rodbertus sowie der Präsident Auerswald in Königsberg als Kandidaten bezeichnet werden, ist bekannt. Durch Rodbertus weiß ich, daß Auerswald'^) den 24. Juni erwartet l) Am 20. Juul qab Camphausen seine Entlassung als Ministerpräsident, da er seine Aufgabe, den Ztaat ahne Bruch in die konstitntianelle Ara hinüberzuleiten, für erfiillt ansah, andererseits bei dem Versuche, sein Ministerium aus der Nntionalversammluug zu ergänzen, bei deren überwiegendeni Nadikalismn^ scheiterte. 2) David Hansemann (1790—1864), Großkaufmann in Aachen, Vorkämpfer des preußischen Liberalismus zuerst in Denkschriften von 1830 und 1833, dann im Rheinischen ProvinziaUandtag von 1845 und im 1. preußischen Vereinigten Landtage 1847. Unter den Ministerpresidenten Caniphausen und v. Auerswald leitete er das Finanzministeriuni, dann vom September 1848 die preußische Bank und Leehandlung. 1851 trat er in das Privatleben zurück und gründete in Berlin die Diskontogesellschaft. 3) R. von Auerswald, 1795 bis 1866. Rach seinem Rücktritt vom Ministerium, in dem er nach Camphausen den Vorsitz und das Äußere übernommen hatte,

1850 L berpräsident der Rheinprovinz, 1858 Mitglied des Ministeriums Hohenzollern.

12

Schulze-Delitzsch.

wird, wo sich denn das Nähere ergeben muß. Bis Montag, den 26. Juni, mußten daher die Plenarsitznngen vertagt werden, am Ende noch länger, da wir, solange uns kein neu konstruiertes Ministerium entgegensteht, nicht füglich agieren können. Eine Frage, die uns in unseren Parteiversammlungen jetzt be­ schäftigt, ist: ob mir nicht trotz des Falles des Biinisterii dennoch die Adresse — die ja formell Antwort auf die Thronrede des Königs ist — ausgehen lassen sollen. Ich bin dafiir und halte die Adresse anch jetzt noch nicht für ganz zwecklos. Hat auch die Kritik der Verwaltung des zurückgetretenen Ministerii ihren nächsten Zweck verloren, so ist ein all­ gemeines Eingehen darauf, ein Anssprecheu der Forderungen der Landcsvertretcr in bezug auf die zu gründende Verfassnng, auf die Verwaltung, ganz besonders auf die auswärtige Politik (luo die meiste« faulen Flecke sind), doch auch für das neue Miuisterium vou höchster Wichtigkeit, indem es die eigenen Grundsätze daran messen, sie entweder danach modifiziere«, oder auch sofort zurücktreten kann: das letztere ist gewiß eine«! kurzen Hinschleppen ohne Lebensfähigkeit vvrzuziehen. Am meisten tut aber der Regierung ein Anstoß zu größerer Energie in der äußeren Politik not, lvie ihn die Nationalversammlung vorzugsweise in der Adresse zu geben imstande ist. Daß diese in vieler Hinsicht etwas kräftiger werden möchte, als sie der bereits veröffentlichte Kommissionscntwurf gibt, wäre freilich zu wünschen und vielleicht von der Debatte auch zu hoffen. Weiter dürste für unsere Wühler von Interesse sein, daß zwischen liilserer Fraktion und dein andern Teile der genmßigten Linke« der Versuch einer Einigung gemacht ist, der bisher darum noch nicht gelang,

weil die letztere Partei auf zwei Kammern und indirekten Wahlen un­ bedingt besteht und die offne Frage darüber nicht dulden will. Ihr Programm ist im höchsten Grade seicht, vorzüglich da sie über das eigentliche Vertretungsprinzip gar nichts sagen. Ihre erste Kammer soll aus unbeschränkten Volkswahlen — nach dem Gesetz vom 8. April *) — von denselben Wählern wie die zweite, bloß mit Bindung der Wähl­ barkeit an ein höheres Alter, hervorgehen. Nun ergibt aber schon ein oberflächliches Nachdenken, daß der eigentliche Schwerpunkt im aktiven Wahlrecht liegt; von den Wählern hängt es ab, wes Geistes die Kammer

ist, welche Elemente darin repräsentiert sind, besonders wenn man die r) Auf Grund der Beratungen des zweiten Vereinigten Landtages war am 8. April 1848 das Gesetz betr. die Wahlen zur Nationalversammlurig erlassen worden.

Wählbarkeit vom Zensus und Ständeweseu befreit.

Setzen also dieselben

Wähler beide Kammern ohne Zensus usw. zusamnien, so werden dieselben Elemente in beiden herrschen, und man erhält nichts anderes, als zwei

Beratungsstadien,

die man bequemer in einer Kammer

haben könnte.

Das Zweikammersystem hat aber für mich nur Sinn, wenn ich gewisse Garantien dadurch gewinnen kann, die mir in einer bloßen Volkskammer

fehlen; dafür nämlich: daß nicht irgendeine Klasse der sozialen Interessen durch das bloße numerische Übergewicht anderer von der Vertretung ganz ausgeschlossen werde.

Kanu ich die Vertretung der sozialen Interessen

mit der Vertretung der Kopfzahl — beide sind gleich notwendig und

berechtigt — nicht in einer Kammer vereinigen, etwa durch Scheidung

der Wahlbezirke, so bin auch ich für das Zweikammersvstem, und in der Tat ist uns sämtlich die Losung der ersteren Aufgabe bisher noch nicht auf genügende Weise gelungen.

DaS Beispiel der Norwegischen Kon­

stitution Z hilft uns in dieser Beziehung nicht aus der Klemme; hier ist durch Trennung der städtischen und ländlichen Wahlbezirke durch einen

Zensus genug für Wahrung der sozialen Interessen für ein Land ge­

schehen, wo diese letzteren höchst einfach, die Industrie in der Kindheit liegt, die Arbeiterfrage noch gar nicht angeregt ist.

Bei uns möchte dies

kaum ausreichen, und halte ich, tvie die Sachen einmal stehen, die Durch­

bringung eines Zensus für geradezu unmöglich. hiernach für ein Zweikammersystem,

so

Entscheide ich mich aber

mnß jede Kammer

aus ver­

schiedenen Wahlen hervorgehen, verschiedene Elemente enthalten, namentlich

auf solche Weise die Garautie erreicht werden: daß die beiden Haupt­

faktoren alles Bestehenden, die Prinzipien deS Beharrens und der Be­ wegung, in ihnen ihren Ausdruck finden, deren keines ohne das andere

die Möglichkeit wahrhaft organischer Lebensgestaltung zuläßt.

Ich würde

ganz einfach die Zweite Kammer als Volkskammer aus direkten Wahlen,

übrigens nach dem Wahlgesetze vom 8. April d. I. hervorgehen lassen. Die Erste Kammer müßte durch indirekte Wahlen ztvar ebenfalls aus dem

Volke hervorgehen, aber nicht mittels besonderer Wahlmänner, vielmehr

durch die Kreis- und Gemeindevertretung, natürlich auf Grund der zu erwartenden neuen Gemeindeordnung, nach welcher die Gemeindevertreter

eben

rein

aus

Werden hier

Urwahlen, wie die jetzigen Wahlmänner,

die Vertreter

der

hervorgehen.

städtischen und ländlichen Gemeinden

geschieden, so sichert dies die sozialen Interessen wenigstens in ihren beiden

Hauptrichtungen — Ackerbau und Industrie —; vielleicht ließe sich aber y Das Grundgesetz für das Königreich Norwegen vom 4. November 1814.

14

3chulze-Telitzsch.

noch hierbei den verschiedenen Berufsgenossenschasten — eigentliche Stäube hören künftig auf — wie z. B. den Kaufleuten, Lehrern, Geistlichen,

Handwerkern, ländlichen Gutsbesitzern usw. eine Anzahl von Vertretern geradezu sichern.

Ich halte dies für meine Person für zweckmäßig, finde

aber bei meinen Kollegen, der mancherlei Schwierigkeiten halber, so wenig Gehör, daß ich sroh sein will, wenn nur der erste Teil meines Vorschlags:

Wahl der Ersten Kammer durch die Gemeindevertreter mit Scheidung

Üädtischer und ländlicher Wahlbezirke durchgeht.

Diese Erste Kammer

bietet wenigstens Garantie für das notwendige konservative Element, für

gewisse

eine

praktische

Erfahrung

und Tüchtigkeit,

in

der Gemeinde­

verwaltung als Vorschule des Staats gewonnen, und für Wahrung der Selbstregierung und

Selbständigkeit

der Gemeinden

usw.

gegen

Zen­

tralisation und allzu rasche, überstürzende Beweglichkeit, zu welchen beiden

Momenten sich die Zweite Kammer, ihrer Zusammensetzung nach, unaus­ bleiblich Hinneigen wird. So viel für heute!

Über die Ministerkrisis bald mehr.

4. Beschleunigung der Vorlage organischer Gesetze. Am 7. Juli brachte Schulze den Antrag ein: „Die Lsohe Versammlung wolle das Königliche Staatsministerium ungesäumt auffordern, diejenigen Vorlagen organischer Gesetze,

welche es als bereits vollendet oder der Vollendung nabe zu­ nächst in Aussicht gestellt, sofort der Versammlulig behufs der Vorberatung in den Abteilungen vor Beendigung des Verfassungs­ entwurfs durch die Kommission mitzuteilen." Nach Bejahung der Dringlichkeit des Antrags sammlung führte Schulze aus:

durch die Ver­

46. Sitzung vom 7. Juli 1848. Seit geraumer Zeit *), wo ich den Antrag gestellt habe, ist aller­ dings

von

den Herren Ministern

uns das Versprechen geworden,

mit

mehreren dieser organischen Gesetze und Vorlagen in die Versammlung zu gehen.

Wir haben

die Zusage erhalten,

auch sogar außer dem bestimmten Versprechen

über Gesetze über Volkswehr.. .*2)

Dennoch halte

tz Der Antrag hatte schon auf der Tagesordnung vom 1. Juli gestanden. 2) Der Satz ist im stenographischen Bericht verstümmelt.

ich meinen Antrag nicht für ganz überflüssig, für dringend aber gerade, weil man sich dieser Gesetze noch nicht erfreut, ein Vorschreiten mit dem Berfassnngswerk selbst diese hemmt. Wir haben unsere Aufgabe bei der Verfassung dahin aufgefaßt, daß wir direkt in die Konstitution selbst die betreffenden Punkte der organischen Gesetze mit hiueinziehen wollen, welche auf Begründung der staatlichen Verhältnisse überhaupt hinausgeheu. Hier ist nun mit einem einzigen Gesetzmittels Vorlage der Anfang gemacht, die anderen sind in nächste Aussicht gestellt. Audere Gesetze, wovon noch nicht die Rede ist und die uns auch wesentlich am Herzen liegen müssen, namentlich die neue Gemeiudeordunug in ihrem engeren und weiteren Verbände, fehlen noch ganz. Ich fürchte, daß, wenn eine solche Vorlage nicht erfolgt, die Verfassungskommission in Verlegenheit gerate, wenn man an die Itelle komme, wo die Grnndzüge der neuen Gemeindeordnung aufzunehmen sind. In betreff der Dringlich­ keit mache ich darauf aufmerksam, daß, da der größere Teil des Materials für unsere Kommission-) erledigt ist, die beste '>eit ist, die Vorberatungen in den Abteilungen vorzunehmen. Und endlich ist es sich die Versam.nlung selbst und dem Volke schuldig, dahin zu seheu, daß wir endlich einmal etwas wahrhaft reelles schaffen und nichts ist hierzu mehr geeignet als diese organischen Gesetze, welche so tief in das Leben des Volkes ein­ greifen und eigentlich die praktischen Konseguenzen der Verfassung selbst sind, aus denen das Volk beurteilen mag, mit welchem Geiste wir an die Verfassung gehen. Ich glaube, wenn wir frisch unsere Tätigkeit zeigen, so wird man uns gern diejenige Zeit gönnen, die für die Ver­ fassung selbst nötig ist, wenn Tüchtiges und Dauerversprechendes über­ haupt erreicht werden soll. In dieser Hinsicht empfehle ich meinen Antrag zur schleuuigen Beschlußnahme. Nachdem der Ministerpräsident zugesagt hatte, daß das Ministerium mit der äußersten Anstrengung bemüht sein werde, den gerechten Wünschen der Versammlung entgegenzukommen, wurde der Antrag ohne Debatte angenommen.

Gemeint ist der in dieser Sitzung vorgelegte Gesetzentwurf über die Er­ richtung der Vürgerwehr. 2) Tie Kommission zur Entwerfung der Verfassung?

Schulze-Delitzsch.

16

5. Die Wahl eines unverantwortlichen Neichsverwesers durch die Deutsche Nationalversammlung *)♦ Jn der 25. Sitzung vom Juli (8^8 hatte der Ministerpräsideut von Auerswald der Nationalversammlung Kenntnis gegeben von der Wahl des Erzherzogs Johann von Österreich zum Neichsverweser seitens der Deutschen Natioilalversammlung in Frankfurt a. 231. und dazu folgende

Erklärung des 231inisteriums verlesen: „Jn gleichem 231aße wie die Nationalversammlung ist Seiner

231ajestät Negierung von der Notwendigkeit durchdrungen, unver­ züglich eine provisorische Zentralexekutivgewalt für Deutschland zu schaffen. Sie teilt die Ansicht, daß ein Reichsverweser der geeignetste Träger einer solchen Zentralgewalt sei, und gibt für dieses zum k)eile Deutschlands so bedeutungsvolle Amt Seiner Kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Johann von Österreich, in

dessen edler und volkstümlicher Persönlichkeit die sichere Gewähr für das allgemeine vertrauen der deutschen Regierungen und das des deutschen Volkes liegt, um so lieber ihre Stimme, als dies vertrauen des Volkes sich durch die von der National­ versammlung in Frankfurt mit großer Stimmenmehrheit auf den Erzherzog gerichtete Wahl auf das unzweideutigste kundgegeben hat. Die Regierung gibt sich der Hoffnung hin, daß der Erz­ herzog diesem Wunsche durch die Annahme des Neichsverweseramts entsprechen werde. Jn dieser Voraussetzung wird nichts dagegen erinnert, daß Jhm als Neichsverweser diejenigen Attributionen beigelegt werden, welche in dem Beschlusse der Deutschen National­

versammlung vom 28. Juni |8^8 näher bezeichnet sind. Die Regierung setzt dabei voraus, daß die gedachte Versammlung, indem sie für die Beschlüsse des Reichsverwesers über Krieg und Frieden ihr Einverständnis verlangt, denselben nicht für alle

Fälle an ihre vorgängige Genehmigung habe binden wollen, indem dadurch solche Beschlüsse auf eine Weise erschwert und gehemmt werden würden, welche für die Sicherheit, die Selbständigkeit und das Wohl des deutschen Vaterlandes unter den schwierigen Verhältnissen der Gegenwart, von den verderb­ lichsten Folgen sein könnte, wenn übrigens die Deutsche Nationalx) Vgl. hierzu 11. Juli, Seite 21.

den

dritten

Brief

Schulzes

an

seine

Wähler

vom

Versammlung

ihre

Beschlüsse

über

die

Konstituierung

einer

provisorischen Zentralgewalt ohne Mitwirkung der deutschen Regierungen gefaßt hat, so verkennt die Negierung Seiner Majestät nicht, wie die veranlaffung dieses Verfahrens in der

außerordentlichen, von mannigfachen Gefahren bedrohten tage Deutschlands und in der nunmehr bestätigten Überzeugung zu suchen ist, daß alle deutschen Negierungen Seiner Kaiserlichen

Hoheit dem Erzherzog Johann ihre Stimme für das Reichsverweseramt geben würden. Die Regierung zweifelt deshalb nicht, daß aus dem Verhalten der Deutschen Nationalversammlung in diesem außerordentlichen Lalle für die Zukunft Konsequenzen

nicht werden gezogen werden." Jn der darauffolgenden Debatte stellte der Abgeordnete ZacobyKönigsberg (Mitglied der tinken) folgenden Antrag:

„Die preußische Konstituirende Versammlung kann den von der Deutschen Nationalversammlung gefaßten Beschluß nicht billigen, durch welchen ein unverantwortlicher, an die Beschlüsse der Nationalversammlung nicht gebundener Reichsverweser ernannt wird; die preußische Konstituierende Versammlung erklärt sich aber zugleich dahin, daß die Deutsche Nationalversammlung voll­ kommen befugt war, jenen Beschluß zu fassen, ohne vorher die

Zustimmung der einzelnen deutschen Regierungen einzuholen, daß es daher der preußischen Negierung nicht zustand, Vorbehalte irgendeiner Art zu machen." hierzu brachte der Abgeordnete Arntz-Kleve ein Amendement ein: „Die preußische Nationalversammlung findet keine Veranlassung, eine Mißbilligung des Beschlusses der Deutschen National­

versammlung vom 28. 3um d. 3-, betreffend die Wahl der Neichsverwesers auszusprechen, noch die Grenzen der Rechte dieser Versammlung bestimmen zu wollen; sie erklärt sich aber zugleich dahin, daß die preußische Regierung auf ihre unbedingte Zu­ stimmung und Mitwirkung rechnen kann bei dlleii Maßregeln, welche dieselbe in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der

Deutschen

Nationalversammlung

oder

der

deutschen

Zentral-

exekutivgewalt ergreifen wird, um dadurch die Bande der Einheit des gemeinsamen Vaterlands zu befestigen und die Wiedergeburt und Gründung eines neuen, einigen, großen und freien Deutschlands zu bewerkstelligen." ^chulze-Teli^sch, Schriften und Mieden. III.

2

Schulze-Delitzsch.

18

In der sehr ausgedehnten Debatte nahm Schulze als vierzehnter Redner das Wort; ihm folgten noch (8 Redner teils für, teils gegen den Antrag Jacoby:

27. Sitzung vom 11. Juli 1848. I. Ich enthalte mich über den ersten Teil des Jacobhschen Antrags, die Kritik des

Frankfurter Beschlusses betreffend, jedes Wortes, da dieser

Punkt mir schon hinreichend von jeder Seite beleuchtet und erörtert er­ scheint.

Was den zweiten Punkt des Antrages anlangt, so muß ich auch

gegen diesen sprechen aus dem Grunde, der auch schon hervorgehoben worden

ist, weil ich die Kompetenz der Versammlung zu solcher Bestimmung der Be­

fugnis der Deutschen Nationalversammlung nicht für geeignet halte.

Was

die Sache selbst anbelangt, so mochte ich mir erlauben, einen Standpunkt noch mehr hervorzuheben, als bisher geschehen, nämlich

den nationalen.

Man hat sich bis jetzt mir darauf beschränkt, sie von der rechtlichen nnd politischen Seite zu beleuchten.

In dieser Beziehung war es die erste

leitende Idee, das Losungswort, als die große Völkerbewegung über uns kam,

was

aus allen Teilen

deutscher Einheit.

des Vaterlandes

erscholl,

der Ruf

nach

Erst wenn die Bewegung in diesen ihren Ausgangs­

punkt zurückgekehrt sein wird, ist sie vollendet, erst in der Erreichung dieses Zieles hat sie sich selbst vollzogen.

Dabei hat nun niemand daran

gedacht, die preußische Sache von der deutschen zu trennen, beide ein­ ander entgegenzusetzen; vielmehr haben wir alle, das ist auch heute viel­ fach ausgesprochen worden, gemeint, es gäbe kein starkes, großes Deutsch­

land

ohne

ein

starkes,

großes

Preußen,

und

in

der

Tat

unter

gegenwärtigen Umständen beide trennen wollen, hieße die Sehnen ihrer

Kraft bei beiden durchschneiden.

Zur Erreichung dieses Zieles aber gehört

unbedingt Hingebung, gehört rückhaltloses Aufgehen in der deutschen Sache. Meine Herren, ob dies, wenn wir jeder einzelnen deutschen Regierung

gestatten wollen, sich die Zustimmung zu dem Beschlusse der Gesamt­

vertretung Deutschlands vorzubehalten, ob und wann dies alsdann zn erreichen wäre, das ist gewiß vielen von uns bedenklich, wohl auch denen

bedenklich, die den Regierungen das Recht an sich nicht bestreiten.

Gewiß

ist auch in Ihnen bei dieser Unzahl einzelner Regierungen die Idee des

weiland Heiligen Römischen Reiches ausgetancht mit allen seinen Zerwürf­ nissen und kleinen Verwahrungen, wenn es galt, etwas Großes, Tat­ kräftiges ins Leben zu rufen.

Furcht näher ins Auge.

Sehen wir einmal dem Grunde unserer

Was fürchten wir denn eigentlich von der

unbedingten Hingebung an die deutsche Sache?

Etwa, man könnte die

Republik proklamieren oder Preußen in seiner gegenwärtigen Gestalt auf­

lösen *)?

Hiergegen muß ich erwidern, es gibt ein geschichtliches Ent­

wicklungsgesetz, welches mit so unbedingter Notwendigkeit herrscht, wie nur je ein physisches.

Wären dem Preußentum, wären der konstitutionellen

Monarchie die Wurzeln abgestorben, mit unserer Verwahrung würden wir sie nicht zu stützen imstande sein.

Unsere Kraft wäre zu klein dazu.

Umgekehrt aber, wenn noch in beiden, in der konstitutionellen Monarchie

und in dem Prenßentume, frische Lebenskeime sind, so ist auch die Frank­ furter Versammlung viel zu schwach, um sic zu stürzen.

Wie groß auch

die Gewalt ist, welche diese Versammlung in diesem Augenblicke, gestützt auf die öffentliche Meinung, ausübt, wie sehr sie auch jede Grenze eines Mandats übersteigt, so liegt doch gerade darin, daß sie alles und nichts

vermag: alles mit und nichts wider die öffentliche Mkeinung.-)

Daß die

Frankfurter Versammlung diese ihre Stellung richtig auffaßt, hat sie durch

ihre bisherigen Beschlüsse bewiesen. Ehe sie die exekutive Gewalt schuf, hatte

sie für ihre Beschlüsse im gesamten Deutschland eben in der öffentlichen Meinung eine exekutive Gewalt gefunden, der ich mich wahrlich nicht widersetzen möchte.

In der Tat, solche äußerste Möglichkeiten und solche

Fälle vorauszusetzen, heißt schlechtes Vertrauen zu seiner Sache haben.

Ich meinerseits fürchte sie nicht.

Ich glaube, Preußen hat eine gute

Stellung, ein gutes historisches Recht in Deutschland, und ich denke, sie

werden uns wohl bestehen lassen, weil sie müssen, weil sie uns gar nötig brauchen.

Man hat von vielen Seiten die Hegemonie für Preußen in

Anspruch genommen; nun möge man denn aber auch Preußen, welches

bisher die erste Stelle in den Kämpfen und Opfern aller Art für die deutsche Sache eingenommen, möge man es diese erste Stelle auch ein­ nehmen lassen in jener Resignation und in der unbedingten Unterwerfung

unter jene Beschlüsse und in der vollen Hingebung an Deutschlands Zukunft.

Wer die erste Stellung einnehmen will, der sei auch so groß, sie zu verdienen, und der wahrhaft Starke fürchtet nicht, in der Hingebung an andere sich selbst zu verlieren, er ist in jedem Augenblick seiner Kraft T) Schulze spielt auf den Plan vornehmlich Heinrich von Gagerns an, Preußens Staatspersönlichkeit nicht noch durch ein eigenes preußisches Zentral­ parlament so stark werden zu lassen, daß es zum Aufgehen in Deutschland und zur Unterordnung unter ein deutsches Parlament nicht mehr tauge. Der Gedanke war, daß Preußen sich vielmehr mit seinen provinziellen Landtagen begnügen solle. Vgl. Meinecke: Weltbürgertum und Nationalstaat; besonders S. 357 f. und 364 r. 2) Im stenographischen Bericht ist der Satz verstümmelt.

Schulze-Delitzsch.

20 sicher.

In diesem Sinne teile ich, wie ich ganz offen ausgesprochen, die

in dem zweiten Teil des Jacobyschen Antrags ausgesprochene Ansicht, daß

eine unbedingte Unterordnung unter die Beschlüsse der Frankfurter Ver­

sammlung notwendig sei, und daß keiner einzelnen deutschen Regierung

ein Widerspruch dagegen zustehe.

Allein, wie gesagt, ich muß den Antrag

in der Fassung, wie er vorliegt, verwerfen, weil das Urteil unserer Ver­

sammlung darüber jedenfalls ihre Kompetenz übersteigt.

nun darauf, Ihnen

das Amendement

von Arntz

zu

Hier komme ich empfehlen.

Es

handelt sich hier nicht um einen Beschluß sondern nur um eine Erklärung: nur auf eine Erklärung ist der Antrag des Abgeordneten Jacoby gerichtet. Wenn diejenigen, die auf die unbedingte Verwerfung

dieses Antrages

angetragen haben, bei der Motivierung ihres Antrages sich gewissermaßen dagegen verwahren,

es liege ihnen die Sache Deutschlands

nicht am

Herzen, so ist es doch notwendig, daß nicht allein die einzelnen Sprecher sondern auch die ganze Versammlung, auch alle diejenigen, welche hier

nicht gesprochen haben, sich gegen eine solche mögliche Deutung ihres

Beschlusses verwahren, und dazu führt uns das Amendement von Arntz.

Dieses Amendement ist auch für diejenigen, die nicht der Ansicht sind, das;

unsere Regierung bei der Erklärung des Ministerpräsidenten im Unrecht gewesen sei, nicht verfänglich; es drückt mit einem Wort die Sympathie

für Deutschland aus, und darauf eben kommt es an.

Es sichert unserer

Regierung die Mitwirkung dieser Versammlung zu, wenn sie im Interesse der deutschen Sache etwas in Gemeinschaft mit der Frankfurter National­

versammlung unternehmen will; deshalb glaube ich, daß dies Amendement dazu dienen wird, vielen Mißdeutungen unserer Abstiinmungen in Ver­ werfung des Jacobyschen Antrages und vielen Gefahren für die Sache

Preußens und Deutschlands vorzubeugen. Bei der Abstimmung über den Antrag Jacoby entstand die Frage,

ob er nicht zwei Anträge enthalte, über die also auch in zwei Ab­ stimmungen zu beschließen sei.

Schulze nahm hierzu nochmals das lvort: II.

Ich halte es nicht für zulässig, darüber abzustimmen, ob ein Antrag in mehrere Fragen geteilt werden soll oder nicht; ich glaube, dies ist ein

Recht der Minorität, das liegt notwendig in der Sache selbst. wir die Sache näher an.

Sehen

Wenn mehrere Fragen in dem Anträge ent­

halten sind und Sie wollen dem nicht präjudizieren, der in der Abstimmung

nur den einen Teil der Frage bejahen, den anderen aber verneinen will,

so werden Sie es unmöglich machen, daß diese ihre Stimme abgeben.

Es

Reden in der Revolutionszeit.

21

werden im Gegenteil diejenigen, welche den ganzen Antrag annehmen wollen, nicht präjudiziert, da sie alle Teile einzeln annehmen können.

Wenn es nun irgendwie ein Recht der Minorität gibt, so ist es dies, und es liegt in dem Sinne und Geist unserer Geschäftsordnung, den Beschluß der Majorität für unzulässig zu halten.

Bei der Abstimmung wurde sowohl die Teilung des Antrags Jacoby als dieser selbst mit 262 gegen 53 Stimmen bei H8 Stimmenthaltungen, worunter auch Schulze war, abgelehnt; das Amendement Arntz war

vorher zurückgezogen worden. Ferner wurde ein von den Abg. BloemDüsseldorf gestelltes Amendement abgelehnt, das sich unter Anerkennung der Befugnis der Deutschen Nationalversammlung zu jenem Beschlusse einer Aritik desselben enthalten wollte. Damit wurde der Gegenstand verlassen.

6. Brief an seine Wähler in Delitzsch. (Insbesondere die deutsche Frage.)

Berlin, den 11. Juli 1848. Rodbertus, der Minister unserer Partei, ist aus dem Ministerium

geschieden *), und man hat offiziell seine Abweichung in der deutschen Frage von der Ansicht der übrigen Minister als Grund angegeben, die bekanntlich die Wahl des Erzherzogs Johann znm interimistischen Neichsverweser durch die Frankfurter Versammlung nur mit Verwahrungen gegen das Prinzip

solcher einseitigen Verfügungen ohne Zuziehung der deutschen Regierungen für die Zukunft anerkannt haben. Allerdings hat diese Frage Rodbertus Austritt formell veranlaßt, der jedoch schon früher, wegen Mangels an einem bestimmten, fest ausgeprägten System, mit seinen Kollegen unzu­ frieden war. Er war gegen jeden Vorbehalt, da solcher die üble Stimmung der Süddeutschen gegen Preußen, welche kaum durch die

Resignation der preußischen Deputierten in Frankfurt bei der fraglichen Wahl in etwas gemildert war, von neuem wieder Hervorrufen würde. Obschon er die Souveränität der Frankfurter Versammlung nicht in der Weise anerkennt, daß er sie bei desinitiver Ordnung der deutschen An­ gelegenheiten von der Zustimmung der deutschen Einzelstaaten (nicht Seit 20. Juni Kultusminister im Ministerium Auerswald-Hansemann; trat am 4. Juli 1848 aus dem Ministerium wieder aus.

bloß Regierungen) ganz entbunden hält, vielmehr den Bundestagsbeschluß, auf welchen das Frankfurter Wahlgesetz basiert ist, im Prinzipe gewahrt

wissen will, geht dabei jedoch im allgemeinen von dem Grundsätze aus: die

deutsche Einheit

höchste Rücksicht

als

obenanzustellen,

der

von den einzelnen Staaten, namentlich Preußen, selbst dann jedes

mögliche Opfer gebracht werden müsse,

wenn anch in geivissein

Sinne ein Recht zur Weigerung vorhanden sein möchte. Ich für meine Person gestehe selbst nach dem sraglichen Bunde>ö-

tagübeschlnsse,

welcher

der Frankfurter Versammlung die Aufgabe

der

Vereinbarung mit den deutschen Regierungen stellt, keiner einzelnen Re­ gierung das Veto zu, sondern kann höchstens nur der Gesamtvertretnng

des deutschen Volkes die Gesaintheit der Regiernngen in ihrem Organ, dem Bundestage, entgegenstellcn, wo natürlich die Majorität entscheiden

müßte.

Die Frankfnrter Versammlung im

Ich gehe aber noch weiter.

Vorparlament als deni Organe der Revvlution wurzelnd, übt die volle

Souveränität faktisch, und mir eine Gegenrevolution wird sie ihr nehmen.

Zum Heile Deutschlands, im Interesse seiner Einheit, bin ich daher für

unbedingte Unterordnung,

da vor solchen ^iücksichten,

in einem solchen

Drange der Zeit die Tatfrage der Rechtsfrage präjudiziert. Sitzung,

des

eine

Die heutige

wo alle Gründe für und gegen in dieser Sache bei Diskussion

bereits bekannten Iacobyschen Antrags zum Vorschein kamen,

der

interessantesten,

von

durchaus

würdiger Haltung,

Nationalversammlung hat die Genugtnung erhalten,

daß,

und

war die

wenn es sich

um Dinge handelt, welche der Mühe wert sind, sie sich ihrer Verhand­

lungen nicht zu schämen braucht.

Das war der allgemeine Eindruck,

das Urteil aller Parteien. Überhaupt haben wir das Schlimmste hinter uns.

mündlichen Dringens

und

Einflusses

Antrags in der Sitzung vom

aus

Infolge unseres

die Minister

und

meines

7. Juli *) sind uns bereits eine Anzahl

der wichtigsten Gesetze vorgelegt, und wir gehen mit Lust an die Sache.

Bald wird das Land ernste Früchte der Arbeit sehen und uns die zum

Verfassungswerke nötige Z.it gern

lassen.

Ich verweise deshalb auf

meine Motive, muß aber bei den stenographischen Berichten bemerken: daß dieselben greulich verstümmelt und durch Weglassung halber Sätze völlig unverständlich geworden sind, allerdings insofern durch meine Schuld, als

ich die kurze Auseinandersetzung

nicht

der Mühe einer Durchsicht

im Stenographischen Bureau für wert hielt und die Korrektur verfäumte.

J) Vgl. oben S. 14.

Bei Bildung der Fachkommissionen, die vor acht Tagen erfolgte, war meine Abteilung so zuvorkommend,

mich dafür nicht nur unbedingt zu

designieren, sondern mir sogar die Wahl zu lassen, in welche ich treten

wolle.

Alif meinem Wunsch wurde ich einstimmig in die Kommission

für Handel, Gewerbe und Arbeit gewählt, in welcher ich als Schriftführer

fungiere.

Ich habe somit die Handwerker- und Arbeiterangelegenheiten

unmittelbar in die Hände bekommen, für die ich nach Kräften zu wirken

denke.

Die Wünsche unserer Landleute werden in nächster Zeit so gut

wie völlig erledigt: ihnen zu helfen war leicht, nnd sie dürfen in nächster

entgegensehn.

Ungleich schwieriger

sind die Verhältnisse der Städte int allgemeinen

und der Handwerker

Zeit den

durchgreifendsten Gesetzen

und Arbeiter insbesondere, weil hier nicht nur die ganzen sozialen Ge­ brechen der Zeit einschlagen, freiheit, großenteils Leute,

und

der Welt mit

Nntt versllchen wir,

sondern auch alle Anhänger der Gewerbe

welche die Sache praktisch gar uicht kennen

hohlen Theorien

helfen

wollen,

was sich mit redlichem Willen

dagegen

kämpfen.

hier wirken

läßt.

Ein Gesetzesvorschlag wegen eines Interimistikums') bis zum Erlaß der

neuen Gewerbeordnung wird in den nächsten Sitzungen von mir vor­

gelegt lind hoffentlich mit Priorität den Abteilungen überwiesen werden, wie er aus der Anlage zu ersehen ist. doch wird es harten Kampf kosten.

Vielleicht bringen wir ihn durch,

An die Grundzüge zur neuen Ge­

werbeordnung machen wir uns sodann in der Kommission jedenfalls, ich habe einen Teil der Mitglieder bereits dafür gewonnen und werde weiter

darüber schreiben, lvenn die Sache im Gang ist.

Das darf ich mir und

dem größten Teile der Deputierten wohl mit gutem Gewissen bezeugen, daß wir es an Tätigkeit und Eifer wenigstens nicht fehlen lassen und von früh bis abends unermüdet ans Werk gehen.

einmal in Delitzsch nach meiner Expedition sähe,

So gern ich daher so hat's bisher doch

immer nicht gehen wollen.

den 12. Juli.

In der hentigen Sitzung ist die deutsche Frage erledigt und der Jacobysche Antrag verworfen, wie sich bei seiner Fassung im ganzen

isicht anders erwarten ließ.

Die Majorität weigerte die Teilung der

verschiedenen Fragen, welche in dem Anträge liegen, bei der Abstimnlung,

was

eine

offenbare Verletzung

des Rechts

der Minorität

war.

Aus

x) Beantragt von Schulze am 11. Juli 1848, bei seiner Verhandlung am 11. Oktober aber zurückgezogen,

in naher Aussicht stehe.

da eine umfassende gesetzliche Regelung bereits

24

Schulze-Delitzsch.

diesem Grunde habe ich und 48 Mitglieder der Linken die Abstimmung

verweigert, da wir erklärt hatten, wir könnten nicht den ganzen Antrag

ablehnen oder annehmen, sondern müßten bei den einzelnen Punkten verschieden stimmen, namentlich: des Tadels des Frankfurter Beschlusses qua Versammlung uns durchaus enthalten, wohl aber die volle Be­

fugnis dieser Versammlung anerkennen, ohne welche es um die Einheit Deutschlands schlecht stünde. Inwiefern ich durch diese unbedingte An­ erkennung die Sache Preußens durchaus nicht gefährdet halte, ist in meiner Rede ausgeführt, und ich lege ein Exemplar des Stenogramms bei, das ich diesmal als Duplikat erhielt.

7. Die Einführung der Schutzmannschasten. Line nicht veröffentlichte Rabinettsordre vom 23. Juni (848 an den Polizeipräsidenten von Berlin hatte ansgeführt, daß die Tages­ ereignisse die bisherige Berliner Lxekutivpolizei in ihrem wirken gelähmt und diese sich als unzureichend erwiesen hätte ihren Zweck zu er­ füllen; es sei deshalb an deren Stelle eine neue zeitgemäßere, zur Überwachung der Sicherheit und Ordnung bestimmte Schutzbehörde ein­ zurichten, welche imstande sei, stets und überall auf den Straßen und Plätzen Berlins zur Aufrechterhaltung des Gesetzes verfügbar zu sein. Am 22. Juli wurde die neue Einrichtung dem Publikum bekannt ge­ macht, am 24. Suli erschienen die Schutzmänner zuerst m den Straßen Berlins; nach dem Reglement vom 28. August war die Schutzmannschaft ein Organ der Regierung und diente zunächst lediglich als StraßenPolizei. Schulze brachte nach dem ersten Auftreten der Schutzmannschaften in der Nationalversammlung eine Interpellation ein: Auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmungen geschieht die Ein­

führung der Schutzmannschaft und inwieweit ist dieselbe bereits ausgeführt? 2. welche Befugnisse sind dieser Schutzmannschaft beigelegt? 3. Ob ihre Besoldung aus Staatsmitteln allein oder unter Beihilfe der Kommunen aufgebracht wird? 4. Ob durch die Einführung dieser Schutzmannschaft eine Aufhebung oder Oerminderung des bisherigen Polizeipersonals angebahnt

wird? und nahm zu deren Begründung das Wort:

I. 34. Sitzung von» 1. August.

Aus den verschiedensten Gegenden sind Anfragen und Beschwerden an die hier anwesenden Abgeordneten gelangt betreffend die Einrichtung Es wird dies nun zum größten Teil erledigt

der Schutzmannschaften.

sein, denn wir haben inzwischen die Nachricht erhalten, daß von feiten der

Ministerien

den

in

mannschaften Abstand

Provinzen

genommen

unsere eigenen Beobachtungen, hier in Berlin noch bestehen.

von der Einführung der Schutz­

sein

soll.

Indessen

überzeugen

uns

daß diese Schutzmannschaften mindestens

Wir selbst haben Gelegenheit gehabt, von

ihrein Auftreten und von der Stimmung, die sich ihnen gegenüber im Publikum geltend gemacht hat, Erfahrung zu nehmen, und es kann nicht

verkannt werden, daß diese Stimmung derart ist, daß es allerdings sehr wünschenswert ist,

über diese ganze

einigermaßen noch in ein gewisses

Dunkel gehüllte Angelegenheit bestimmte und klare Darlegungen in unserer

Versammlung zu erhalten.

Noch spricht für die Dringlichkeit,

für die

Beeilung dieser Angelegenheit vieles, das die geehrten Antragsteller vor

mir und selbst der Herr Minister geltend gemacht haben.

Die ganze

Frage schlägt nämlich in mehrere Materien, welche uns zunächst zur Be­ ratung vorliegen werden, wesentlich ein.

hat in dem Nachtrag zu dem Etat,

geteilt worden ist,

Auch der Herr Finanzminister

der uns für das Jahr 1848 mit­

über welchen wir auch schon in den Abteilungen mit

der Beratung begonnen haben, eine Position, wo als Zuschuß für Schutz­ mannschaften und Bürgerwehren eine Million in Anspruch genommen wird. Auch dies macht die Dringlichkeit klar, nnd ich halte sie für gerechtfertigt.

Was

die Einleitung

der Interpellation

im

übrigen anlangt,

so

glaube ich zwar, daß man sich ein eigentliches Urteil über die Zweck­ mäßigkeit der Einrichtung an sich eben jetzt, bis die Beantwortung der

Interpellation erfolgt ist, noch nicht erlauben darf, nur so viel wollte

ich aber schon jetzt im voraus hervorheben, daß diese Maßregel, abgesehen

von ihrer Zweckmäßigkeit an sich, unter den gegenwärtigen Umständen wenigstens höchst bedenklich ist,

und daß sie der öffentlichen Meinung,

den herrschenden Zeitverhältnissen und den Forderungen, die man an

die Umbildung des Staates von allen Seiten zu machen sich berechtigt glaubt, geradezu hohnsprechend entgegentritt.

Meine Herren! Kaum, daß

die Aufregung, wie sie mit einem so plötzlichen Bruche mit einer un­

erträglichen Vergangenheit notwendig Hand in Hand gehen mußte — kaum, daß sich diese Aufregung zu legen beginnt, daß die Behörden

wieder erstarken, geschieht dieser unselige Schritt, der von allen Seiten.

Tchulzc-Delitzsch.

26

in der Provinz und in der Hauptstadt, die höchste Mißbilligung gefunden hat,

der nur dazu geeignet ist, das Mißtrauen,

welches mit Mühe be­

seitigt war, wieder von neuem zu erwecken, und der, wie er dem Wohl­ meinendsten ernste Besorgnisse einer Reaktion einflvßt, so dem Übel­

wollenden einen tatsächlichen Halt und Stützpunkt für Verdächtigungen und Aufreizungen aller Art darbietet. Denn, so fragen wir uns mit Recht, ist dies der Anfang, der Übergang vom Polizeistaat in würdigere

freie Verhältnisse?

Nimmt deshalb der Bürger die Wehr zur Hand?

War diese Maßregel in dem Augenblick geboten, wo man Nülitär in ge­ nügender Masse herbeigerufen hatte und die Vürgerwehr ansing, sich an ihren Dienst zu gewöhnen?

Nknßte man da eine Verstärkung und Ver­

doppelung der bisherigen Polizeimannschaft ins Leben rufen?

Lag dazu

in den besonderen Verhältnissen hier eine Aufforderung vor, jetzt gerade,

wo nach und nach die 9kuhe und Ordnung wieder herrschend wurde, und

das Vertrauen auf die öffentliche Gewalt sich von neuem belebt? dies,

so fragte man sich mit Recht,

etwa die Schmetterlinge,

Sind

die den

neuen Volksfrühling, den wir alle sehnlichst erwarten, verkünden?

Dann muß ich Jhneu offen

gestehen,

daß die alten Wintervögel,

die

Gendarmen, nicht so lästig waren, nie ihre Gegenwart dem Publikum aus so widerwärtige Weise aufdrängten, als diese neue Schar der ins Leben getretenen Polizeiwächter.

mache«,

Ich wollte daher nur noch daraus aufmerksam

daß außer der Sache au sich doch auch die jetzigen Umstände

der Finanzlage zu berücksichtigen sind,

und daß es sich um die Frage

handeln wird, ob wir eine Bewilligung deshalb zu machen haben.

groß diese fei,

werden wir wohl erfahren,

Wie

wenn die Interpellation be­

antwortet wird, da die jetzige Position im Etat uns hierüber keinen

klaren Anhalt gibt.

Das wäre mein Standpunkt bei der Interpellation

im allgemeinen. Ich habe bei den einzelnen Fragen nur noch

zusetzen.

Man

sehr wenig hinzu­

könnte bei meiner ersten Frage, die ich gestellt habe,

allerdings sagen, daß eine gesetzliche Bestimmung nicht nötig sei, weil es sich um eine Maßregel der exekutiven Gewalt handelt.

Frage an sich für jetzt noch dahingestellt sein lassen,

merken,

daß es höchst zweckmäßig gewesen wäre,

Ich will die

ich muß aber be­

wenn man wenigstens

die Befugnisse dieser Schutzmannschaft mehr zur Kenntnis des Publikums gebracht hätte.

Es ist doch keine Kleinigkeit damit I

in den Fall, Verhaftungen vorzunehmen.

Die Leute komme»

Nun haben wir Bestimmungen,

welche die Befugnisse der Gendarmen regeln.

Allein es tritt uns ein

neues Institut entgegen, das auf ein anderes Prinzip gegründet ist, und

hier kommt auch wirklich der Staatsbürger bei einem Konflikt mit dieser neuen Macht in den Fall, ihre Befugnisse in Frage zn setzen. Er konnte sich widersetzen und so zu sehr üblen Maßregeln Veranlassung

gegen sich geben. Den Punkt wegen der Besoldung aus Staatsmitteln, ob sie nur aus Staatsmitteln oder zum Teil Kommunalmitteln aufzubringen sei, habe ich schon im allgemeinen berührt. Endlich wird es auch interessant sein, ob wir eine Erleichterung hinsichtlich des alten Polizeipersonals

durch Einführung dieser Schutzmannschaft zu hoffen haben. Ich brauche zu den einzelnen Fragen nichts weiter hinzuzufügen und wollte nur noch das eine hervvrheben, daß es im ganzen in der Tat betrübend ist, wenn wir in das neue Staatsleben auf eine solche Art eingeführt werden. Es handelt sich darum, daß die alte polizeiliche Bevormundung abgeschafft werden soll, daß der Bürger selbst die Mittel in die Hand nimmt, die öffentliche Drdnung aufrecht zu erhalten,') wo die Kraft der Behörden nicht ausreicht, und in den ersten Augenblicken, wo wir uns daran gewöhnten, tritt uns diese neue Schaarwache entgegen!

Nachdem der Minister des Hnncrn Aühlwetter die Interpellation beantwortet, und der Zinanzminister ksansemann sich zur finanziellen Seite geäußert hatte, nahm Schülze-Delitzsch nochmals das Wort:

II. Wir haben von dem Pvlizeiminister gehört, daß die Einrichtung

an sich von vielen Seiten Beistimmung findet und als vortrefflich empfohlen worden ist. Die Auffassung mag gewiß auf verschiedenen Standpunkten und Erfahrungen, welche einzelne gemacht, verschieden sein. Mir sei es vergönnt, den Eindruck, den die Sache auf mich und meine

Freunde gemacht hat, zu schildern. Mir kommt es vor, seitdem diese Mannschaft die Straßen von Berlin auf und ab patroulliert, als wenn die Luft in Berlin dumpfer geworden sei, als ob die Bevölkerung von Berlin sich gedrückter als früher fühle, in dem Gefühl, als ob alles unter polizeiliche Aufsicht gestellt sei!

(Unterbrechung.)

Das wäre der subjektive Eindruck, den sie auf uns gemacht hat.

Und ich glaube, daß dieser Eindruck eigentümlicherweise dadurch unterstützt wird, daß gerade, seitdem das Experiment begonnen, die Unruhen sich wieder zu regen angefangen haben; ich sehe eben in dem Ganzen eine T) D. h. durch die Organisation der Bürgerwehr.

28

Schulze-Delitzsch.

Veranlassung

zur Unruhe,

nicht

aber

eine Kraft,

sie zu

verhindern.

(Bravo von der Linken.) Ich bitte daher die Versammlung, über meinen Antrag einen Beschluß

zu fassen.

Die Versammlung lehnte die Erörterung der Frage mit (76 gegen (76 Stimmen ab; indessen brachten am 9. August (8H8 die Abgg. Rodbertus, von Berg und Schulze den Antrag ein: „Die hohe Versammlung wolle folgendem Anträge: das Staatsministerium um sofortige nachträgliche Vorlage eines Gesetzes über die Schutzmannschaften zu ersuchen, stattgeben."

Nachdem sich in der Diskussion u. a. die Niinister des Innern Aühlwetter und Finanzminister bfansemann gegen den Antrag aus­ gesprochen hatten, nahm Schulze das Schlußwort:

37. Sitzung Dom 9. August. III. Meine Herren, wir haben erwartet, daß die Diskussion sich ganz

geradezu und ohne Umschweife nach dem Anträge richten würde, nicht eigentlich auf die Zweckmäßigkeit der Maßregel an und für sich, sondern darauf, ob ein Gesetz dazu erforderlich sei oder nicht.

Das scheint mir

aber von den Gegnern selbst als ein schwacher Punkt betrachtet zu sein, denn sie hat den kleinsten Teil der Debatte von denen, welche dagegen

gesprochen haben, eingenoinmen.

Ich bin somit genötigt, indem ich für

den Antrag spreche, auf eine ganze Menge der eigentümlichsten Gesichts­

punkte einzugehen, die man für gut befunden hat, dagegen vorzubringen. Zuerst war es die Hochachtung des Herrn Ministers des Innern

vor unserer Versammlung, weshalb er diesen Antrag und die Debatte

darüber uns erspart wünschte.

Ich glaube nun, daß das zwar recht schon

ist, wenn der Herr Minister des Innern diese Gesinnung für die Ver­

sammlung hegt, aber ich glaube, uns kommt es mehr auf die Gesinnung

des Landes an als auf die Meinung, die das hohe Staatsministeriuni von uns hat, da nur das Volk unser Machtgeber ist, und ich möchte

behaupten, daß dies ein wesentliches Moment ist zu der Achtung, welche das Land und unsere Mandanten uns zollen werden, wenn wir der­ gleichen nicht zurückweisen, sondern recht ernstlich darauf bestehen, daß

solche so tief in die persönliche Freiheit eingreifenden Maßregeln vor

unser Forum gezogen werden.

Weiter hat der Abgeordnete Forstmanns hervorgehoben, daß wir hierher berufen seien, um eine Konstitution festzustellen und um dem Volke Brot zu verschaffen.

Das will ich nicht bestreiten.

Ich mache aber auf

die eigentümliche Weise, wie der Abgeordnete Forstmann dies letztere, dem Volke Brot zu verschaffen, ins Werk stellen will, aufmerksam.

dies als ein Motiv für den Konstabler hingestellt!

Er hat

Ich habe immer ge­

glaubt, daß wir nimmermehr dem Volke Brot verschaffen werden, wenn

wir die Zahl der überflüssigen Beamten vermehren, sondern nur, wenn wir diese Zahl vermindern.

Die vielen Petitionen, welche über diesen Gegen­

stand eingegangen sind, sprechen es aus, daß diese Ansicht durch alle

Schichten des Volkes verbreitet ist.

Der Abgeordnete Forstmann hat dabei,

so wenig ich es wünsche, daß persönliche Bemerkungen von dieser Tribüne

fallen, den blumenreichen Stil an meiner Interpellation erwähnt. Ich finde,

daß er mir auf eine sehr glückliche Weise nachgekommen ist.

(Heiterkeit).

Auch er hat mit Allegorien, mit dem vielleicht sehr gelungenen Bilde des Arztes hier gesprochen, und ich wünschte, er hätte das Feld der

Allegorien nicht verlassen.

Denn sowie er auf das Feld der Tatsachen,

auf die eine Million gekommen ist, welche der Vereinigte Landtag für die Konstabler bewilligt haben sollte, ist er weit weniger glücklich gewesen, wie

Sie alle gehört haben.

Ich komme weiter auf das, was der Minister des

Innern im Interesse der Freiheit als Schutz für diese in Anspruch ge­

nommen hat.

Es ist wahr, keine Freiheit ohne Ordnung, ohne die rechte,

gesetzliche Ordnung, aber die Ordnung, die mit der Freiheit allein ver­

träglich ist, die nicht mit ihr im Widerspruch, sondern mit ihr ein und dasselbe ist: Das ist die Ordnung von innen heraus, das Gefühl der

Gesetzlichkeit, welches nicht durch äußerliche Zwangsmittel erzeugt wird,

sondern an der sich jeder einzelne Bürger von selbst beteiligt, welche jeder einzelne kräftig fördert.

Ich hoffe, daß auch unser Volk diese Freiheit und

diese Ordnung erlangen wird, wenn sie auch noch jetzt manches zu wünschen übrig lassen, sonst wäre es der Freiheit nicht wert.

Ich hoffe dies nicht

nur, sondern ich glaube es, und weil ich es glaube, wünsche ich von ganzem Herzen, daß wir von solcher bloß äußerlichen, bloß durch Polizeidiener

herbeigeführten Ordnung verschont bleiben mögen.

Man hat auf andere

Staaten Bezug genommen, namentlich auf England, und ist dahin ge­

kommen, darauf zu verweisen, daß dort die stärkste Freiheit sei, wo das größte Ansehen der Polizeigewalt bestehe.

Wenn Sie dies annehmen

wollen, so bitte ich Sie, nur nach Osten zu sehen, dort haben wir dann Abgeordneter für Duisburg.

Schulze-Delitzsch.

30

das Ideal aller unserer Freiheiten verwirklicht.

Weiter wurde auf Eng­

land Bezug genommen als Maßstab für das bestehende Institut.

Der

Herr Minister des Innern und andere Redner sind in verschiedenen Be­

ziehungen auf das dortige Institut der Konstabler

eingegangen.

Ich

brauche deshalb nicht darauf zurückznkommen, dabei scheint mir jedoch ein

Punkt ganz außer acht gelassen zu sein.

Abgesehen davon, was auch

schon früher hervorgehoben ist, daß die Zahl von 6000 Konstablern für London in keinem Verhältnis steht zu der Zahl von 1600 für Berlin,

mache ich darauf aufmerksam, daß wir hier außerdem Bürgerwehr und

stehendes Militär haben, die zwar nicht berufen sind, die Polizcigewalt zu üben, die aber alsdann, wenn die Polizeimannschaft nicht mehr im­

stande ist, die Ordnung und das Gesetz ausrecht zu erhalten, wohl die

Bestimmung und die Befugnis hat, cinznschreiten.

Eine solche Bürger­

wehr besteht in London nirgends, und was das stehende Heer, das im

alleräußersten Falle ebenfalls einschreitcn kann, wie wir dies in den März­ tagen gesehen haben, anbelangt, so hat England nichts aufzuweisen, was

unserem stehenden Heer in Zahl und Organisation entspräche. Weiter komme ich auf den Punkt des Staatskredits, den namentlich

der Herr Finanzminister berührt hat.

Ich hebe aus seiner Rede ebenfalls

einen Satz heraus, den wir gewiß alle anerkennen werden:

„Der ge­

sunkene Kredit könne nicht anders wieder hergestellt werden, als durch die

Begründung fester, geordneter Verhältnisse."

Das ist gewiß wahr; aber

eben dadurch kommen wir bei dieser Frage dahin, das; wir gegen den Maß­

stab des Kredits nach der Zahl der Polizeimannschaft ernstlich protestieren müssen.

Solche Vertrauensniänner möchten schwerlich dem gesunkenen

Kredit aufhelfen, und ich möchte bezweifeln, ob irgend jemand, wenn wir auch die sämtlichen Herren persönlich als Unterpfand hingeben, geneigt sein wird, auch nur eine Kleinigkeit darauf vorzuschießen. Herren!

Nein, meine

Eine Regierung, die sich bloß auf solche äußeren Stützen gründen

muß, wäre in der Tat zu bedauern, sie würde des inneren Halts voll­

ständig ermangeln, den sie nur hat, wenn sie im Volkswillen wurzelt, und es kann wohl nur unsere Aufgabe sein, an welche von vielen Seiten

her appelliert ist, daß wir alsdann die Regierung nach allen Kräften

unterstützen, wenn sie diesen allein richtigen Weg zu ihrer eigenen Stärke und zum Wohl des Landes wandelt.

(Bravo.)

Aber ebenso ist es unsere Pflicht, ihr auf das entschiedenste entgegen«

zutretcn, wenn sie irgendwie von diesem Wege abweicht.

Sie alle wissen,

daß es schwer ist, zu regieren, ja doppelt schwer in diesem Augenblicke der Aufregung nnd des Mißtrauens.

Die Regierung bedarf unserer Hilfe,

das sehe ich, das sehen wir alle ein. Aber die Mächte, welche es der Regierung schwer machen zu regieren, lassen sich diese durch die Polizei­ gewalt Hinwegräumen? Ich glaube nicht. Ich dächte, der Sturz des alten Systems könnte uns belehren. Auch dieses kam mit diesen Mächten in Konflikt, es stützte sich auf solche Mittel, wie man sie uns gegenwärtig ausdrängen will, und es ist gefallen, obschon es im Besitz einer viel größeren und wohlorganisierten Macht war, obschon es noch den ganzen Nimbus unangreifbarer Autorität für sich hatte. Über die Maßregel selbst kommt es uns übrigens gegenwärtig noch nicht in den Sinn, uns zu ent­ scheiden. Niemandem mag es benommen sein, sich dafür zu erklären, wenn uns erst die beantragte Gesetzvorlage gemacht ist, und man wird sehen, in welcher Weise die Befugnisse dieser Beamten geregelt sind. Man hat allerdings sich sehr kurz über diese Sache in der Debatte hinweggehoben. Man hat, so wie die Gründe zu schwach waren, zu Persönlichkeiten seine Zuflucht genommen, welche im Interesse der Sprecher wie der Versammlung nicht auf die Tribüne kommen sollten, und die andererseits die ganze Reihe persönlicher Erwiderungen mit ihrem unangenehmen Gefolge herbeigeführt haben. Man hat dies Zugeständnis von feiten der Minister gemacht, daß eine Instruktion bekannt zu machen vielleicht wünschenswert wäre. Meine Herren, sehen Sie sich dies Zugeständnis näher an, das im Grunde nichts anderes als die Konzession enthält: daß ein Gesetz nötig ist. Wir be­ neiden den Herrn Minister des Innern nicht und wollen nicht in seine Befugnisse eingreifen, wenn es gilt, Polizeidiener anzustellen: wenn es sich aber darum handelt, ein ganz neues Institut hervorzurufen, dessen Beamten man so bedeutende Gewalt über die persönliche Freiheit erteilt, so müssen die Vertreter des Landes das Recht haben, zu verlangen, daß diese Befugnisse durch Gesetze reguliert werden. Diese Leute bewegen sich in einem Kreise, der in sich selbst keine Schranken hat, und gerade darum ist es nötig, ihre Befugnisse in ein Gesetz zu fassen. Ich ersuche Sie deshalb, sowohl im eigenen Interesse als im Interesse derer, die Sie sandten, lassen Sie sich nicht bei solchen Maß­ regeln das Ihnen gebührende Vollwort vorwegnehmen, lassen Sie sich nicht Ihre Zustimmung entziehen, vergeben Sie sich nicht Ihre Rechte. (An­ haltende Unruhe.) Ich beschwöre Sie im Interesse des Landes! Und somit spreche ich meinen Wunsch aus, daß die hohe Versammlung diesen Gesetzesvorschlag annehmen möge. (Bravo. Zischen. Ruf zum Abstimmen. Schluß.) Jn namentlicher Abstimmung wurde der Antrag mit 203 gegen {52 Stimmen abgelehnt.

8. Die Schweidniher Vorfälle und der Antrag Stein. Jn Schweidnitz war ein blutiger Konflift zwischen dem Militär und der Bürgerwehr ausgebrochen, in welchem [ J Bürgerwehrmänner er­ schossen und 20 verwundet worden waren. Zur Untersuchung des Vor­ falls entsandte die Nationalversammlung am 9. August eine Rommission aus ihrer Mitte nach Schweidnitz und nahm gleichzeitig, wenn auch unter dem Widerspruch der Vertreter der Ministerien, den Antrag des Abg. Stein-Breslau, Mitglied der Linken, an: „Der Herr Kriegsminister möge in einem Lrlaß an die Armee sich dahin aussprechen, daß die Offiziere allen reaktionären Be­ strebungen fern bleiben, und nicht nur Konflikte jeder Art mit dem Zivil vermeiden sondern auch durch Annäherung an die Bürger und Vereinigung mit denselben zeigen, daß sie mit Auf­ richtigkeit und Hingebung an der Verwirklichung eines konstitu­ tionellen Nechtszustandes mitarbeiten wollen." Da der Kriegsminister mit der Ausführung des Beschlusses zögerte, beantragte der Abg. Stein in der Sitzung vom September, den ge­ forderten Erlaß „ohne weiteres zur Beruhigung des Landes und Erhaltung des vertrauens sowie zur Vermeidung eines Bruches mit der Ver­ sammlung ergehen zu lassen", wozu am ?. September der Abg. von Unruh in einem Amendement noch schärfer aussprach, daß das Ministerium das vertrauen des Landes nicht besitze, wenn et> noch ferner Anstand nehme, dem Beschlusse vom 9. August zu entsprechen.

Die Vertreter der Ministerien bekämpften den Antrag, in dem sie einen Übergriff der Nationalversammlung in das Gebiet der Verwaltung erblickten, wie auch die sonstigen Gegner des Antrags hauptsächlich Kompetenzbedenken gegen denselben hervorhoben. Unter den 22 Rednern zu dem Antrag befand sich als zwölfter Schulze, der auch Mitglied der Schweidnitzer Untersuchungskommission gewesen war. Lr führt aus: 52. Sitzung vom 7. September.

als

Meine Herren! Der mir von der Versammlung gewordene Auftrag Mitglied der Schweidnitzer Kommission, insbesondere derjenigen

Deputation, die sich an Ort und Stelle zu verfügen hatte, um den Spuren jener blutigen Vorgänge nachzuforschen, gibt mir eine besondere

Stellung zur gegenwärtigen Frage, die mich bewog, mich um das Wort

Sie können leicht selbst ermessen,

zu melden.

daß mir der Stoff nicht

fehlen würde, wollte ich mich auf das Materielle des Beschlusses, dessen Ausführung es sich gegenwärtig handelt, einlassen.

um

Ich könnte

Ihnen wohl Material liefern, das Sie in den Stand setzte, zu urteilen, inwiefern die Reaktion im Militär ftattfinde oder nicht.

Allein ich ent­

halte mich dessen und werde dem Urteile der Kommission nicht vorgreifen,

indem ich mit einem der vorigen Redner Ihnen zurufe: nicht das ist der eigentliche Punkt.

Denn, meine Herren!

Alles dies verrückt die Frage;

die eigentliche Frage ist rein formell und ist keine andere, als,

ob die

hohe Versammlung gewillt ist, ihre eigenen Beschlüsse aufrecht zu erhalten,

ob sie die Regierung für verbunden hält, ihnen Folge zu geben. ist die Lebensfrage unserer eigenen ganzen Wirksamkeit, sich eine Kabinettsfrage in

die Wagschale

wird

die

verkennen,

Nackt

und

wir

ernsten

schroff

können

nicht

Wir

müssen

Frage

hat

uns

unter

man

nun uns

Frage

diese

legt, und

die

sich

an

die

Lösung

von

der

Regierung

siel,

ebenso

ebenso

schroff

fest

uns

verknüpfen.

in unsere Mitte geworfen:

uns

auch

von

keiner

hiermit

vielmehr

ruhig

von uns,

dabei

die

aber

Folgen

Es

der gegenüber

sie

und

wagen, .da

dieselbe

ausgegangen

fest

aufnehmen

ist.

hinstellen

wie

fest

ins

und

Auge fassen, den Blick vorwärts, meine Herren, denn der Rückweg ist

uns abgeschnitten. Nehmen wir zuerst die Beziehung der Regierung zu der Versammlung

auf, wie sie sich uns darbietet.

die Maxime

der

Das Ministerium hat mehr als einmal

konstitutionellen

Negierung,

den

Einklang

Majorität der Versammlung für sich in Anspruch genommen.

mit

der

Woher,

fragen wir, mit einemmal nun eine solche Negation, woher so plötzlich

ein völliges Umlenken? gegnet man uns,

Eine administrative Maßregel liege hier vor, ent­

die Regierung müsse deshalb die Ausführung solcher

Beschlüsse von der Hand weisen, weil auf diese Weise eine Negierung überhaupt nicht möglich sei.

Ich kann über diesen Punkt kurz hinweg­

gehen, er ist schon genügend beleuchtet worden.

Läge denn wirklich einem

solch allgemeinen Erlaß, der sich über den Geist der Militärbeamten ausläßt,

ein Eingriff in den eigentlichen Mechanisnills der Verwaltung

und nicht ein höherer Standpunkt zugrunde, den die Nationalversammlung dabei aufgefaßt hat und hat man denn ganz vergessen, in welcher Stellung

sich das Ministerium gerade unserer Versammlung gegenüber befindet? Noch sind keine geordneten Gewalten in unserem Staate, noch steht kein

gesetzgebender Körper der Exekutivgewalt gegenüber; es gibt nur das Volk Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

IU.

3

Schulze-Delitzsch.

34

und die Krone, beide im Begriff, sich über die Bedingungen eines neuen staatlichen

Lebens

zu

vereinbaren,

Maximen ins Leben treten sollen.

die konstitutiouellen

erst

wodurch

Gegenwärtig befindet sich die Lage

der Sache so: die Revolution, welche uns die neuen Zustände angebahnt

hat,

hat einen Wafienstillstand geschlossen,

um den wahren Frieden zu

Auch dieser Zwischenzustand vor der definitiven Feststellung

vermitteln.

macht eine Regierung nötig.

Dies ist aber keineswegs eine bloß von

der Krone ausgehende Regierung, sondern eine von der Krone und dem

gemeinschaftlich

Volke

ausgehende.

Sie hängt

von

beiden

Gewalten

gleichmäßig ab, sie darf sich mit keiner in Differenz verwickeln, ohne so­ Das Gegenteil heißt die Revolution

fort vom Schauplatze abzutrcten. proklamieren,

die Fortsetzung des Kampfes,

welcher durch den Waffen­

stillstand vorläufig beendet ist, und alle die furchtbaren Mächte wieder

entfesseln, welche nur auf eine solche Losung lauern, um auf unser Vater land aufs neue loszubrechen.

keit,

Ich will und brauche nicht auf die Billig­

die Gerechtigkeit des Wunsches,

Beschluß erhoben hat,

zuheben,

den die Nationalversammlung zum

Ich will und brauche nicht hervor-

einzugehen.

daß die Erlasse nichts weiter bezwecken als die friedliche Aus­

gleichung des Vereinbarnngswerkes der Verfassung zu sichern.

Auch dies

ist schon herausgehobeu und führt uns nur auf das Materielle.

das drängt sich auch dem Unbefangenen bereits auf, als wäre eine solche Maßregel,

Aber

daß der Vorwand,

welche die Nationalversammlung nur

ergreift,

um sich die Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe möglich zu

machen,

eine rein administrative Maßregel sei,

der Tat nichtig ist,

daß dieser Vorwand in

und daß es sich keineswegs um einen Eingriff in

die Administration handelt. Freilich, ein solcher Übergriff, wie ihn das Ministerium rügt, fordert keine geringere Sühne, als daß wir uns selbst vernichten! Täuschen Sie sich nicht über die Frage, die uns vorliegt, meine Herren, es ist so.

In

dem Augenblick,

wo wir unsere eigenen Beschlüsse aufgeben,

uns

wir geben die allein mögliche Grundbedingung jeder

selbst

auf;

geben wir

künftigen Wirksamkeit auf und sind von demselben Augenblick an in den

Augen

des Landes

Kabinett tritt ab

moralisch

oder

tot!

So

liegt

die Wahl:

die Nationalversammlung.

entweder das

Ich verkenne nicht

die Gefahr des ersten, aber halten Sie das zweite für einen besseren ge­

linderen Ausweg?

Doch ich muß dabei noch auf eins Hinweisen: es ist

mehr als eine Kabinettsfrage, was uns vorliegt, die Frage vorgebracht ist, zeigt dies.

die ganze Form, wie

Die Regierung hatte unendlich viel

Wege, die Fassung dieser Beschlüsse zu verhindern, sie konnte sich in die

Debatte mischen, konnte schon damals/) wenn sie die Beschlüsse für so gefährlich hielt, herausheben, daß sie die Annahme dieser Beschlüsse zu einer Kabinettsfrage mache; dies wäre die parlamentarische Form und die einzig rechte Stellung gewesen, die das Ministerium gegen uns ein« zunehmeu hatte. Statt dessen hat man uns ruhig die Beschlüsse fassen lassen lind nun nichts mehr zn ändern steht, nun sie hinter uns liegen als vollendete Tatsache, verweigert man ihre Ausführung. Sie sehen, das Kabinett scheint eine höhere Stellung zur Frage einnehmen zu wollen als seine eigene Existenz; erkennen wir das an! Es scheint viel­ mehr bereitwillig, seine Existenz daranzuwagen, um sich und allen seinen Nachfolgern, um der Regierung überhaupt in Zukunft die Obmacht über die Nationalversammlung zu verschaffen. Nun, nimmt die Regierung eine solche Stellung zur Frage ein, so rufe ich ihnen zu: erheben auch Sie sich zur ganzen Höhe Ihrer Sendung, meine Herren! Und das können Sie nur, wenn Sie das Prinzip ungescheut und klar aussprechen, um das es sich hier handelt, und dies können Sie wiederum nur, wenn Sie den Antrag Stein ohne Zusatz annehmen und jedes Amendement verwerfen, da jedes Amendement eine Abschwächung, eine Verkümmerung des Prinzips herbeiführt. Nicht das ist das Rechte, das; Sie einen Ver­ mittelungsweg einschlageu, daß Sie einiges aufgeben, um das übrige zu retten; nein, kein Titelchen dürfen Sie aufgeben oder Sie geben alles auf. Nicht einmal Erwägungen dürfen Sie einfließen lassen, um vielleicht nachträglich noch die Ausführung zu erwirken; nein, Sie müssen um jeden Preis die Beschlüsse aufrecht erhalten, lediglich weil sie Ihre Be­ schlüsse sind, nicht weil sie dieses oder jenes enthalten oder nicht ent­ halten; nur auf diese Weise retten Sie die Würde der Versammlung vor sich selbst und dem ganzen Lande, und ich glaube, in bezug auf das von Unruhsche Amendement, daß eben keine andere Erwägung zu­ lässig ist als diese eine. Ich komme nun auf den zweiten Punkt, zum Verhältnis der Ver­ sammlung in sich, welches sich an die Frage insofern knüpft, als schon früher in dieser Sache versucht worden ist, die beschlußfassende Majorität mit der Minorität in Konflikt zu bringen, indem man die letztere von außen her vielleicht durch die Autorität der Regierung oder durch die Gefahren und Bedenken des Schrittes überhaupt zu stärken suchte. Wäre dies wirklich Absicht von irgendeiner Seite her, was ich nicht zu behaupten mir erlaube, so kenne ich kein gefährlicheres Spiel! Der *) Am 9. August, bei Einbringung des Antrags.

Schulze-Delitzsch.

36

konstitutionelle Staat, den wir gründen, ist weiter nichts als die organi­ sierte Majorität.

Dieses Prinzip muß alle seine Institutionen durch­

von der niedrigsten an bis zur höchsten,

dringen,

die exekutive Gewalt.

Eine Regierung,

die gesetzgebende wie

die es verletzt,

entweder direkt

oder indirekt durch Fälschung der Majorität, proklamiert in demselben Augenblick die Revolution.

Will man nun gar einen Zwiespalt in unsere als eine konstituierende Versammlung bringen, deren Aufgabe es eben ist, das neue Staatsleben

zu begründen, so setzt man von Haus aus die Anarchie ein, man macht sich die Erringung, die Feststellung geordneter Zustände für immer un­

möglich, und diese Wirren sind am Ende nicht anders zu lösen möglich

als durch einen Staatsstreich, er komme von welcher Seite er wolle.

Zuletzt habe ich noch unser Verhältnis zum Lande und mit ihm die

Kompetenzfrage zu berühren.

solchen Beschlüssen,

Wir seien,

so wird herausgehoben,

zu

deren Ausführung wir hier verlangen, nicht befugt:

es stehe davon nichts im Wahlgesetz.

Nun aber steht doch im Wahlgesetz,

daß wir die Verfassung mit der Krone vereinbaren sollen;

indem man

sich aber allein begnügt hat, uns das Ziel unseres Strebens zu stecken,

dabei aber keineswegs in Hinsicht der Wahl der Mittel irgendwelche Be­

schränkungen zugefügt hat, hat man uns hierin freie Hand gelassen und

vollkommen ermächtigt, alle solche Verfügungen zu treffen, welche, wie die in Rede stehende, nichts anderes bezwecken, als die Erreichung dieser Haupt­ aufgabe zu sichern und sie möglich zu machen. Überhaupt, meine Herren, werden wir denn immer nach diesem geschriebenen Mandat, nach dieser

äußeren Legitimation zu fragen Haven?

Drange der Zeit,

Wird dies immer ausreichen im

in dem Sturm bei der Größe der Fragen, wie sie

jetzt uns vorliegen? Was würden Sie wohl, um ein Bild zu brauchen, zu einem Schiffer sagen,

Papieren,

der,

wenn der Sturm ausbricht,

nach seiner Instruktion sehen würde,

nach seinen

um zu wissen,

was er

tun sollte, welche Maßregeln er zur Sicherung des ihm vertrauten Fahr­ zeuges treffen solle? Diese sagen ihm wohl,

wohin er zu steuern,

nicht, wie er sich beim Sturm zu benehmen hat.

meine Herren,

aber

Wir sind auch Schiffer,

die das gefährdete Fahrzeug des Staates in den sicheren

Hafen friedlicher Zustände steuern sollen; wenn wir aber in den Stürmen, die uns drohen,

nur nach unserem geschriebenen Mandat sehen wollten,

so würde das Land und unsere Kommittenten uns für schlechte Piloten halten.

Wie gesagt,

wir langen mit dieser äußeren Legitimation nicht

aus, zu deren Erörterung wir einen Ausschuß bestellt haben; in solchen Augenblicken steht als höhere Prüferin die Geschichte hinter uns.

Diese,

meine Herren,

prüft

eine

andere Legitimation,

den inneren Beruf zu

unserer Sendung, und wehe uns, wenn sie uns bei einer so großen Frage

klein findet.

meine Herren,

Ja,

das da anfängt,

wir haben noch ein anderes Mandat,

wo das geschriebene uns verläßt,

was uns allen, von

welcher Partei wir auch sein mögen, tief im Herzen steht,

wiewohl wir

es mitunter verschieden lesen. Es ist da^ Wohl unseres Paterlandes, und in diesem Interesse glaube ich nach der besten wahrsten Überzeugung

nochmals für die Annahme des Steinschen Antrages ohne alle Amendements stimmen zu müssen.

Bei der Abstimmung wurde unter Ablehnung aller Amendements der Antrag 5tein mit 2\9 gegen Stimmen angenommen, worauf das Ministerium Auerswald.^ansemann seinen Abschied nahm. 3n dem ihm folgenden Rabinett übernahm General von pfüel das Präsidium und das Rriegsministerium; in einem am 25. September an sämtliche kommandierende Generale gerichteten Erlasse führte er u. a. aus: „oo Exemplaren bei dem eüunVcrsmpPare Buchdruckereibesiher Meyner in Delitzsch hat abdrucken lassen und

Fol. 17 a acta.

verbreiten, auch in Nr. v des Nachrichtsblattes für den Delitzschen und Bitterfelder Kreis einrücken lassen. Ich klage deshalb den Assessor Schulze an: daß derselbe den s. g. Steuerverweigernngsbeschluß vom \5. No­ vember in der Nr. des Nachrichtsblattes für den Delitzfchen-Bitterfelder Kreis vom 18. November unterzeichnet, und das (Blatt 22, 25 der Akten befindliche) litho­ graphierte Exemplar desselben dem Dr. Fiebiger mit dem Auftrage, die möglichste Verbreitung desselben zu bewirken, übergeben hat, infolgedessen die Veröffentlichung im DelitzschBitterfelder Kreise in der Tat stattgefunden, daß der p. Schulze beides in der Absicht und zu dem Zwecke, dem Steuer­ verweigerungsbeschluß Folge zu verschaffen und dadurch die Krone zur Entlassung des Ministeriums Brandenburg, resp. Zurücknahme der Botschaft vom 8. November 18^8 zu zwingen, getan, und hierdurch der nach §§ HO, 16? Teil H Titel 20 des Allgemeinen Landrechts strafbaren versuchten Erregung von Aufruhr sich schuldig gemacht habe.

P. P. Der Oberstaatsanwalt: Sethe.

Berlin, den 25. November (8^9. Schulze-Dclihsch, Schriften und Reden.

III.

7

98

Schulze-Delitzsch.

leitung zu Ljandlungen zu demselben Zweck zu verstehen und ein solches

liege in der Veröffentlichung der Aufforderung zur Steuerverweigerung.

Dagegen wurde die Teilnahme selbst an den Sitzungen und Beschlüssen der Nationalversammlung nicht unter Anklage gestellt, da den Abgeordneten hierfür gesetzlich Unverantwortlichkeit zugesichert war.

vom bis 22. Februar (850 dauerten die schwurgerichtlichen Verhandlungen; Schulze nahm zu seiner Verteidigung selbst das Wort und wies in ausführlicher Rede die Anklageschrift des Staatsanwalts in allen Einzelheiten zurück. Sämtliche Angeklagte wurden mit Ausnahme von tothar Bucher freigesprochen:

20. Verteidigungsrede im Steuerverweigernngsprozeß.

Ich freue mich, daß die Voraussetzung des Herrn Staatsanwalts, wonach er eines weitläufigen Belastungsbeweises gegen die Angeklagten überhoben zu sein glaubte, bei mir zutrifft. Ich habe die Tatsachen, woraus sich die Anklage gründet, rinnmwunden eingeränint. Aber eben deshalb muß ich auch die von ihm eben gehörte Andeutung, als führe der von mir angetretene Entlastungsbeweis nur eine unnütze Verlängerung der ohnehin so weitläufigen Verhandlungen herbei, von mir zurückweisen. Nur durch das Zusammeufassen dieser 42 ganz verschiedenen Sachen ist dieser Prozeß, sehr gegen unseren Willen und unser Interesse, zu solcher Ausdehnung angewachsen, und die Staatsanwaltschaft, die dies gewollt, wird am wenigsten einen Grund daraus herleiten können, den Angeklagten die Beibringung dessen abzuschneiden, Ivas zu ihrem Schutze dient. Über die große Erheblichkeit des von mir angetretenen Zengenbeweises werden aber Sie, meine Herren Geschworenen, keinen Augenblick in Zweifel sein, da er Ihnen die unmittelbarste Einsicht in die Absichten, die mich bei den inkriminierten Handlungen geleitet, gewährt, da er Ihnen dargetan hat, daß ich nicht Aufruhr habe erregen wollen, vielmehr ihn gehindert habe. Aber noch eine andere Rücksicht leitete mich bei Vorführung der Zeugen. Ter hohe Gerichtshof hat den von uns erhobenen Einwand der Inkompetenz verworfen,^) worauf ich schon durch die Einleitung der Sache gefaßt sein mußte. Ich bin dadurch dem Spruche meiner Mit*) Wiederabgedruckt aus „Vor fünfundzwanzig Jahren", Verteidigungsrede im Steueroerweigerungsprozeß von Schulze-Delitzsch. Berlin, Franz Duncker 1875. 2) Die Urteilsbegründung führt aus, daß die Aufforderung zu.r Steuer­ verweigerung von Berlin und seitens der Angeklagten zu gemeinschaftlichem Zweck ausging, mithin eine in Berlin begangene Kommunität der unter Anklage gestellten Handlung vorliege. (Nach den Akten im Geheimen Staatsarchiw, Berlin.)

bürget entzogen, unter denen ich jahrelang gelebt, die am besten über meine Haltung, die Intentionen, welche ich früher und während jener Krise befolgt habe, unterrichtet sein mußten. So blieb mir nichts übrig, als Ihnen in einer Anzahl von Zeugen das Urteil, welches meine Heimat über mich fällt, vorzuführen. Ist Ihnen dies nicht genug, so haben Sie in meiner mit großer Majorität erfolgten Wiederwahl zum Abgeordneten der aufgelösten II. Kammer das Urteil des ganzen Kreises. Ja, meine Herren Geschworenen, der Spruch, den man von Ihnen verlangt, ist bereits gefällt, gefällt von dem, dem er einzig zustand, vom Bolle. Wenn in konstitutionellen Staaten der Fall vorkvmmt, daß die Volksvertretung nach Ansicht der Regierung zu weit geht, und die Negierung zur Auf­ lösung schreitet, so appelliert sie dadurch selbst an das Volk, welches in den vorzunehmenden Neuwahlen das Endurteil spricht. Ein anderes, ein Kriminalverfahren in solchem Falle gegen seine Abgeordneten kennt der konstitutionelle Staat nicht, und die Zuständigkeit dieses Volksgerichts wird sich gegen alle Sprüche der Gerichtshöfe behaupten. Darum ver­ fahren Sie mit uns in Gottes Namen. Wir haben nicht bloß für unsere Kreise, wir haben für das ganze Land gestanden; auch für Sie, meine Herren haben wir mitgearbeitet und gekämpft, warum sollten Sie uns nicht richten? Nicht wegen unserer Teilnahme an den Beschlüssen der aufgelösten Nationalversammlung sind mir angeschuldigt — so sagt die Anklage aus­ drücklich —, nur wegen der Wirksamkeit für Verbreitung und Ausführung des Steuerverweigerungsbefchlufses. Aber sie gibt die genaueste Auf­ zählung aller Akte und Beschlüsse, welche während des Konfliktes der beiden Staatsgewalten in der Nationalversammlung vorgekommen sind, weil, wie sie sich ausdrückt, die vorgetragenen Tatsachen einen Beleg für unsere feindselige Gesinnung gegen die Regierung geben. Ja, meine Herren, unsere Gesinnung, unsere politische Parteistellung ist es, auf die es in diesem Prozesse abgesehen ist, die man benutzt, um die Mängel des Tatbestandes bei dem eigentlichen Verbrechen zu be­ decken, welches man der Form halber vorschützen muß. So müssen wir denn in unserer Verteidigung an dem Teile unserer politischen Wirksamkeit anknüpfen, welcher zur Anklage Veranlassung ge­ geben hat. Ich werde Sie nicht mit einer Wiederholung bekannter Tat­ sachen, nicht mit einer Rechtfertigung unserer Maßnahmen ermüden, da Sie kein direktes Urteil darüber zu fällen haben, da dieselben überhaupt außer dem Bereich des bürgerlichen Richters liegen. Nur darauf kommt 7*

Schulze-Delitzsch.

100 es

an, Ihnen unseren Standpunkt in jener Krise klarzumack^en.

mir

Mögen Ihre politischen Ansichten den unsern auch geradezu entgegMstehen, so ist doch eine offene Darlegung der Grundsätze und Über­

zeugungen, welche uns leiteten, der einzige Weg, die in der Anklage ent­ haltene Verdächtigung zurückzuweisen.

Von unsern Richtern dürfen wir

eine unbefangene Würdigung, ein Aufgeben jeder Parteistellung erwarten. Der Konflikt selbst, sein Beginn und Verlauf sind bekannt.

Die

im Gesetz vom 8. April 1848 uns gestellte Aufgabe der Vereinbarung einer Staatsverfassung mit der Krone enthielt ihn schon im Keime, in­

dem beim Mangel einer Einigung zwischen den vertragenden Parteien in dem oder jenem Punkte, die Souverünitätsfrage, die Frage, wem die

oberste Entscheidung alsdann znstehe, früher oder später auftauchen mußte.

Nicht erst bei Ausbruch der Differenzen, nein, sogleich nach dem Zusammen­ treten der Nationalversammlung suchten deren Mitglieder ihre Stellung

gegen Krone und Volk, den Umfang ihrer Pflichten und Rechte klar zu fassen,

und hier ivar eo das erwähnte Gesetz vom 8. April 1848,

welchem wir süßten.

ans

In dem bereits im Juni 1848 durch die Presse

veröffentlichten Programme des linkenZentrums der Nationalversammlung/)

dem ich angehörte, war aus dem Vereinbarungsprinzipe jenes Gesetzes durchaus

begriffsmäßig die Gleichberechtigung der paziszierenden Teile

abgeleitet, weil eine Vereinbarung, d. h. eine freie Einigung des Willens nur

unter

selbständigen

voneinander

ganz Unabhängigen

denkbar

ist,

nicht da, wo dem einen eine Verfügung über den anderen zusteht, welche

dessen Entschließung alteriert.

Als praktische Konsequenz wurde daraus

weiter gefolgert:

daß der Krone daher auch das Recht, die Versammlling einseitig

zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen nicht zustehe,

weil in solchen Maßregeln eine in die Willensbestimmung des anderen

Teiles eingreifende, die freie Einigung also ausschließende,

sogar dessen

Existenz bedrohende Verfügung gefunden wurde. Mit dieser Auffassung,

die sich auf den klaren Wortsinn des uns

berufenden Gesetzes stützte, stand die vom Ministerium Brandenburg ver­ tretene Königliche Botschaft vom 8. November 1848 im direkten Wider­

sprüche.

Ich will den Streit, ob Umstände vorhanden waren, die ihren

Erlaß nötig oder doch rötlich machten, hier nicht erneuern. Aber da der Herr Staatsanwalt so großen Nachdruck auf die hiesige Straßenanarchie gelegt,

welche einen Teil unserer Versammlung,

0 Vgl. das Programm vom 3. Juni 1848 oben S. 4.

wohl

die rechte Seite, eingeschüchtert habe, da er sich besonders auf die be­ kannten Vorfälle bei der Abendsitzung des 31. Oktober 1848 stützt:

so

lassen Sie uns einmal an diesem Beispiele sehen, was es mit dieser Ein­

schüchterung für eine Bewandtnis hat.

Allerdings fand an diesem Abende

ein ungesetzlicher Angriff auf unsere Versammlung statt, ich gestehe dies zu und kann es nur bedauern: es war der einzige derartige Fall.

Eine

Petition des hier oersammelten demokratischen Kongresses, von dem sich

die Mitglieder unserer Linken lossagten,

drang darauf,

dem be­

das;

drängten Wien von hier aus unverzüglich ein Heer zu Hilfe gesendet werde, und dies Verlangen wurde von bedeutenden Massen, die in das

von der Bürgerwehr besetzte Sitzungslokal einzudringen suchten, unterstützt. das in dem Schicksale

Wohl war die Aufregung des Volkes erklärlich,

Wiens das Schicksal des bereits von den Truppen zernierten Berlins

erblickte. Einige Deputierte stellten einen bezüglichen Antrag: die National­ versammlung aber, die von dessen Unaussührbarkeit überzeugt war, ob­ schon sie alle Sympathien für die bedrängte Stadt teilte, verwarf diesen

Antrag mit großer Majorität, während Volkshaufen die Bürgerwehr in die Eingänge des Hauses zurückdrängten.

versammlnng, jenen Auflauf

Hat sich also die National-

haben sich insbesondere die Mitglieder der Rechten durch

einschüchtern

lassen?

9Zein,

meine Herren,

sie wußten,

daß ein Volksvertreter vor allem so viel Mut besitzen müsse,

um der

brutalen Gewalt, sie komme von oben oder von unten, die feste Mannes­ stirn

Durch

entgegenzusetzen.

die Straßenanarchie sind

sie

nicht ein­

geschüchtert worden, aber freilich der Einschüchterung von einer anderen Seite her sind sie erlegen, der Einschüchterung durch die Waffengewalt der Regierung.

Es

ist

aus

unseren Verhandlungen bekannt, daß die

ganze rechte Seite des Hauses mit uns die Ernennung des Ministeriums

Brandenburg für eine verderbliche Maßregel hielt, daß sie die Adresse, die Deputation an des Königs Majestät teilte, daß auch sie die Erlassung der Ordre vom 8. November als eine ungesetzliche Maßregel beklagte. Aber hinter dem Ministerium standen nicht bloß unbewaffnete Volks­

haufen sondern ein wohlorganisiertes Heer, und die auf unseren Sitzungs­

saal gerichteten Kanonen sprachen eindringlicher, tumultuierenden Menge.

und

verließen,

nach

als das Geschrei einer

Dieser Einschüchterung widerstanden sie nicht

unserer

Ansicht

wider

Pflicht

und

Gewissen,

ihre Plätze.

Weiter habe ich mich gegen den völlig absolutistischen Standpunkt

der Staatsanwaltschaft dabei zu verwahren.

Die Anklage spricht von

den

Abgeordneten.

der Königlichen Botschaft ungehorsamen

Als der

102

Schulze-Delitzsch.

Verteidiger des Herrn Krackrüggex) sich auf die Thronrede des Königs bei Eröffnung der Nationalversammlung bezog, äußerte der Herr Staats­ anwalt: Das sei nur eine Höflichkeit gewesen, wie sie eine obere gegen die untergebene Behörde wohl beobachte: vollzöge die letztere das höfliche Ersuchen nicht, so würde man ihr schon den Gehorsam befehlen. Welche Auffassung der konstitutionellen Verhältnisse! Muß ich Sie an v. Unrnhs

Worte von jenem denkwürdigen Tage erinnern: „daß königliche Bot­ schaften in konstitutionellen Staaten nichts anderes sind als Akte des ver­ antwortlichen Ministerii, und daß die Volksvertretung das Recht und die Pflicht hat, die Legalität derselben zu prüfen"? Zum Gehorsam d. h. zur unbedingten Unterwerfung ohne Prüfung und ohne Wahl ist nur der Soldat unter der Fahne und sind gewisse Beamte verpflichtet und auch diese noch unter Modifikationen; die Volksvertretung befolgt keine Kommandos und empfängt keine Befehle von der Regierung, noch ist sie deren Unterbehörde, da sie ihr als gleichberechtigt in der Gesetzgebung zur Seite steht. Nie ist von uns, das beachten Sie wohl, meine Herren, das konstitutionelle Prinzip so weit vergessen worden. Nie haben wir des Königs Majestät in diese Kämpfe gemischt, da wir es überhaupt mit der Krone und deren Träger in jenem Konflikte gar nicht zu tun hatten sondern

lediglich mit dem verantwortlichen Ministerium und dessen Vertagungs­ und Verlegungsordre. Nur gegen dieses gingen unsere Beschlüsse, die Sie gehört haben, und es ist mehrfach und ausdrücklich in den verlesenen Aktenstücken ausgesprochen: daß wir die Maßregeln des Ministeriums darum bekünlpsien, weil daraus unabsehbare Gefahren für das Land und für die Krone erwachsen müßten. Die es anders darstellen, tun der Krone selbst den schlechtesten Dienst, die eben nur dann gefährdet wird, wenn man sie von ihrer Stellung über den Parteien herabzieht und mit

den Kämpfenden vermengt. In so schwieriger Lage suchten

wir die Stellung,

die uns

das

Gesetz anwies, zu behaupten. Nicht um ein Nachgeben in gleichgültigen Punkten handelte es sich, wie manche es darzustellen suchen. Nein, um

die Vollbefugnis, die Gleichberechtigung der Volksvertretung neben der Krone beim Zustandebringen des Verfassungswerkes. Einmal hinter diese Linie zurückgedrängt, einmal die Position aufgegeben, sei es auch in der scheinbar unwesentlichsten Beziehung, und sie war verloren für immer:

T) Kaufmann Goswin Krackrügge zu Erfurt war derselben Straftat wie Schulze angeklagt.

Gesetz wurde fortan der eine überwiegende Wille, an die Stelle der Ver­ Dies das Gefühl, das uns alle beseelte;

einbarung trat die Oktroyierung. die Erfahrung hat es bestätigt.

Schritt für Schritt von ihrer Bedeutung

zurückgedrängt, wurde die spätere Versammlung zu nicht viel anderem

benutzt, als den Willen der Regierung, etwa in Nebendingen modisiziert, zu

Mögen

sanktionieren.

der Kammer

Stellung

nun

jetzt vielleicht wir im

erblicken:

viele hierin die richtige

frischen Andenken

der Ver­

heißungen des März, gestützt auf die Gesetze des April 1848, konnten in jenen Tagen dies unmöglich. Von uns forderten nach unserer heiligsten Überzeugung Ehre und Pflicht, festzustehen auf dem, was wir für unser,

sür des Volkes gutes Recht erkannten.

Der militärischen Macht der Re­

gierung hatten wir nur unsere parlamentarische Energie entgegenzusetzen.

Freilich ein Kampf mit sehr ungleichen Waffen, den wir jedoch, gestärkt von

der

lauten

Beistimmung

des

Volkes,

Deputationen

und Adressen

meinten wir,

werde der Volksstimme,

kundgab,

die

sich

aufnahmen.

in

unzähligen

Die Negierung, so

die sie in der bekannten Prokla­

mation vom 11. November') zur Entscheidung des Konflikts selbst auf­

gerufen

hatte,

jener Tage,

nachgeben.

das Bemühen,

finden

Sie

den Ausdruck der Begeisterung

die große Volkserhebung von jedem Exzeß,

jeder Störung der Ordnung freizuhalteu, in dein von der Staatsanwalt­ schaft anerkannten Briefe von mir sowie in dem offenen Sendschreiben

an meine Wähler vom 11. November 1848*2), das, obschon zunächst für meinen Kreis verfaßt,

von vielen meiner Kollegen angenommen und in

deren Heimat versendet worden ist. Volksstimme verhallte ungehört.

Allein unsere Hoffnung trog,

die

Weiter und weiter schritt die Gewalt

vor und drängte uns endlich zum letzten parlamentarischen Mittel, dem Ihnen bekannten Steuerverweigerungsbeschlnsse, worin wir dem Ministerium

solange

Brandenburg,

es

auf seinen

ungesetzlichen

Gewaltmaßregeln

gegen die Nationalversammlung beharre, die Erhebung von Steuern und

Verwendung

von Staatsgeldern

absprachen.

Konsequenz der früheren Beschlüsse.

Es

war nichts

als

die

Wegen unserer Befugnis dazu ver­

weise ich auf den verlesenen Kommissionsbericht.

Das Eindringen der

Bajonette mag für manche ein Beweis gewesen sein, daß der äußerste Moment, für welchen dies äußerste Mittel der Notwehr aufgespart werden müsse, eingetreten sei; daß es uns die ruhige Überlegung genommen, da­ gegen

muß ich

wie v. Berg

mich und die übrigen Angeklagten,

von

*) Verhängung des Belagerungszustandes über Berlin. 2) Ein solches Sendschreiben hat sich nicht auffinden lassen; vielleicht liegt ein Druckfehler statt 18. November (s. oben S. 95) vor.

Schulze-Delitzsch.

104

denen ich dazu ausdrücklich ermächtigt worden bin, verwahren. Gewiß ist es der angefochtendste unserer Schritte, wie es bei einer so außer­

ordentlichen Maßregel, hervorgerufen durch eine so außerordentliche Lage, nicht wundernehmen kann; angefochten von den entgegengesetztesten Seiten. Während wir den einen zu weit damit gingen, taten wir den anderen dadurch nicht genug.

Während diese den passiven Widerstand

als eine Halbheit gegen die organisierte physische Gewalt der Negierung verhöhnten, erblickten jene darin die Provokation zur Anarchie. Die Staatsanwaltschaft hat auf die furchtbaren folgen besonderes

Gewicht gelegt, den möglichen Bürgerkrieg, den der Beschluß hätte herbei­ führen können. Ich erwidere darauf, daß weder der Beschluß, noch seine Ausführung diese Folgen haben konnten, wenn sich die letztere innerhalb der Grenzen des passiven Widerstandes hielt, wie sie sollte und mußte, wenn sie überhaupt eine Ausführung sein wollte. Für das Hinzutreten ganz neuer tatsächlicher Momente, welche darin gar nicht enthalten waren, könnte man uns auf keinen Fall verantwortlich machen. Übrigens lag

nicht in ihm sondern in dem ganzen Konflikte die Gefahr. Gerade am Anfänge war sie am größten, und was die Gefahr eines Kampfes in Berlin betrifft, so war diese, als der Beschluß gefaßt wurde, größten­ teils vorüber. Aber wer trug denn die Schuld davon, wer war es denn, der, die parlamentarischen Debatten abbrechend, den Boden des Gesetzes verlassend, mit militärischer Gewalt auftrat? Wer war denn der Angreifer? Wenn nun dem Einmarsch der Truppen in Berlin wirklich Widerstand von der Bürgerwehr entgegengesetzt swordenj wäre, hätten wir

dies veranlaßt? Gesetzt, meine Herren, einer von Ihnen, mitten im Frieden seines Hauses, wird von einem andern angegriffen, der ihm den Degen auf die Brust setzt, irgend etwas wider Recht und Gesetz von ihm zu erpressen, der Angegriffene wehrt sich, und der Kampf hat ein blutiges Ende. Wird man denn nun sagen können: Ja, hättest du dich nicht gewehrt, hättest du getan, was der andere forderte, so wäre das nicht gekommen; dein Widerstand hat das veranlaßt, und du mußt die Folgen verantworten? Keine andere Bewandtnis hat es mit der Deduktion der Staatsanwaltschaft.

Widerrechtlich angegriffen, haben wir uns der Gewalt

nicht gefügt, aber wir schieben die Folgen, die dies hätte haben können, zurück auf die Angreifer und verwahren uns feierlich in dieser ernsten Stunde vor dem Ansinnen einer solchen Verantwortlichkeit. Das Volk, entweder, weil es die Maßregel nicht verstand oder nicht wollte, ging auf diese letzte Berufung an seine Instanz nicht ein, und

somit

war

die

Sache

für

die

Regierung

entschieden.

Eine Menge

Schwankender gingen in das Lager des Siegers über und wir wurden

von manchem verdamnit, die noch eben uns Zustimmungsadressen über-

inacht, uns den Dank des Vaterlandes votiert, uns zum Feststehen und Ausharren ermahnt hatten. Sie erwarten nicht, meine Herren, an uns dasselbe klägliche Schau­

spiel zu erleben.

Mögen wir geirrt, einen Mißgriff getan haben — eine

unbefangene Zeit

mag darüber entscheiden — aber verleugnen werden

wir nichts, wie mir auch, trotzdem daß der Erfolg gegen uns gewesen,

nichts bereuen;

denn wahrlich die neuesten Erfahrungen sind nicht der

Art, ltns eines Irrtums in unserem Gewissen zu zeihen.

Sie mit voller Offenheit, wir

Wir treten vor

wie wir sie Ihnen als unseren Richtern, wie

sie uns selbst und unserer politischen Stellung,

wie wir sie dem

Volke schuldig sind, für dessen Sache, da uns die Tribünen der Kammer

verschlossen sind, auch von der Bank der Angeklagten zu zeugen, wir für

unsere ehrenvolle Aufgabe achten.

So hören Sie es denn, meine Herren:

Ja, wir sind dem von der Regierung befolgten Systeme feindselig, weil wir

es für verderblich halten,

weil es das Land über kurz oder lang

wiederum an denselben Abgrund führen muß, zu dem es durch die Un­

fehlbarkeit und Schroffheit des vormärzlichen Regiments gedrängt wurde,

von welchem das jetzige sich wenig anders als in der Form unterscheidet. Wähne man doch ja nicht, der augenblickliche Erfolg sei schon der Sieg.

So große Bewegungen im geistigen Lebensgebiet der Völker, diese Kämpfe und Zuckungen,

welche

die Gesellschaft

bis

in ihre Tiefen erschüttern,

lassen sich nicht durch ein Gewaltgebot ersticken.

muß der Kampf zurückgeführt werden,

rohen Gewalt in die Hände gespielt hat.

Auf das geistige Feld

von dem man ihn hinweg,

bewußtsein des Volkes kann die Ausgleichung vor sich gehen,

nachhaltige Versöhnung in ihrem Gefolge hat.

nur, indem man ihr gerecht wird,

Verfolgungen. wesen:

der

Nur im Sittlichen, im Rechts­

welche die

Man endet eine Revolution

am wenigsten aber durch politische

Vielmehr sind diese stets das untrüglichste Zeichen ge­

daß der Kampf noch nicht beendet ist,

Blicken Sie auf die englische Revolution.

daß er noch fortdauert.

Wie wüteten hier die Parteien

gegeneinander über ein halbes Jahrhundert;

welche Anklagen und Pro­

zesse gegen die eine oder die andere, je nachdem der Sieg wechselte, unter Karl I., Cromwell und den beiden anderen Stuarts!

Aber keine noch so

blutige Unterdrückung vermochte den Funken zu löschen, neuen Flammen emporloderte.

der zu immer

Erst Wilhelm von Dränten war es Vor­

behalten, dem Lande den Frieden zu bringen, die Revolution zu schließen,

dnrch Konzessionen gegen den allgemeinen Volkswillen,

durch wahrhafte

Schulze-Delitzsch.

106

Feststellung der Rechte und Freiheiten der Nation, die dadurch zur ersten

der Welt wurde, und von politischen Verfolgungen war nicht weiter die Wohl hörten wir jüngst in versöhnlichem Sinne von der Be­

Rede.

rechtigung der demokratischen Partei reden, doch klingt es fast wie Hohn, wenn man zu derselben Zeit einen solchen Prozeß verhandelt. Ich komme zu dem speziellen Teil der Anklage, wo ich unter Vor­

aussetzung der näheren Ausführung der einzelnen Momente durch meinen

Herrn Verteidiger dieselben nur übersichtlich zusammenzufassen versuchen werde, nm das mir dienlich Scheinende beizubringen.

Ich soll mich des Versuchs eines nach § 40 und 167 ALR. II. 20 strafbaren Aufruhrs schuldig gemacht haben durch Verbreitung des Steuer-

verweigerungSbeschlusses und der Proklamation vom 18. Noveniber 1848, in welcher man eine Aufforderung zu dessen Ausführung findet.

Ich

habe die Verbreitung beider Schriftstücke eingeräumt, zugleich aber nach­ gewiesen, wie fern die Absicht, Aufruhr zu erregen, von mir lag, indem gerade durch meine Bemühungen Aufruhr und Störungen der öffentlichen

Ruhe in meinem Wahlkreise mehrfach vermieden sind. Zuerst soll

schon

unseren Wahlkreisen

gebracht,

die Verbreitung des Beschlusses

strafbar sein.

zwar existiert

kein Gesetz,

Zwar haben welches

ihn

durch

uns in

alle Zeitungen

die Veröffentlichung

von

Kammerbeschlüffen verböte, vielmehr erhalten sogar die Deputierten in den hiesigen Kammern zu diesem Zwecke mehrere Exemplare des steno­

graphischen Berichts. schlusses zu bewegen,

Die Absicht,

das Volk zur Befolgung des Be­

liegt aber an sich in der bloßen Verbreitung noch

nicht.

Der Grund, weshalb sie gerade gegen uns vermutet luerben soll,

ist

der Anklage nicht ausdrücklich angegeben.

in

Nun

kann sich die

Folgerung denkbarer Weise nnr darauf stützen: daß wir den Beschluß gefaßt,

und daß wir ihn gerade nach unseren Wahlkreisen gesendet,

wir als Deputierte besonderen Einfluß haben mußten.

anwalt hat dies

wo

Der Herr Staats­

ausdrücklich bestätigt, als der Fall der Liebenwalder

Steuerverweigerer erwähnt wurde, bei denen man die Absicht aus der

Verbreitung nicht folgere.

Wie lassen sich nun beide Momente,

allein auf unsere Absicht schließen lassen, Deputierte trennen?

welche

von unserer Eigenschaft als

Und doch tut dies die Anklage ausdrücklich,

um

uns des Schutzes des Gesetzes vom 23. Juni 1848 zu berauben, welches uns die Unverantwortlichkeit für alle in unserer Eigenschaft als Abgeord­

nete ausgesprochenen Worte und Meinungen, wie für unsere Abstimmungen zusichert.

Sie sagen sich selbst,

meine Herren,

wie unzulässig dies ist.

Um in der Verbreitung die inkriminierte Absicht zu finden,

sagt man

Ihnen seitens der Staatsanwaltschaft: die Absicht muß vermutet werden, denn die Versender sind Abgeordnete, die den Beschluß gefaßt haben:

und weiter, wenn es sich darum handelt, uns den Schutz des Gesetzes vom 23. Juni 1848 zu entziehen, heißt es: Als sie den Beschluß ver­ breiteten, waren sie keine Abgeordnete, sondern Privatleute! Nein, meine

Herren, so läßt sich alles aus deu Gesetzen machen, solchen Widersprüchen können Sie unmöglich Folge geben! Sodann ist eine wirkliche, ausdrückliche?lufforderung zur Ausführung des Steuerverweigerungsbeschlusses nicht in der Proklamation vom 18. November enthalten, deren inkriminierter Schluß: „An dem Volke ist es, unsere Beschlüsse auszuführen", nur ein Anheimgeben, eine Appellation an das Volk enthält, dessen Sache es nunmehr sei, sich zu entscheiden. Daß es natürlich unser Wunsch lvar, daß das Volk auf den Beschluß

cinginge, den wir im guten Recht gefaßt hatten, brauche ich nicht zu iviederholen. Aber sieht man auch von diesen wichtigen Ncomenten der Verteidigtmg völlig ab, nimmt man auch mit der Anklage an: daß eine Aufforderung zur Steuerverweigerung unsererseits erfolgt sei, wobei der Schutz des Gesetzes vom 23. Juni 1848 uns nicht zustatten konimen könne, so wird dies nur dazu führen, die tllichtigkeit der Anklage in desto helleres Licht zu setzen. Das Gesetz bestimmt § 167: „Wer eine blasse des Volkes oder die Atitglieder einer Stadt- oder Dorfgemeinde ganz oder zum Teil zusammen­ bringt, um sich der Allsführung obrigkeitlicher Verfügungen mit ver­ einigter Gewalt zu widersetzen oder etwas von der Obrigkeit zu erzwingen, der macht sich eines Aufruhrs schuldig." Schon die künstliche Ausführung in der Anklage, die Spaltung des bezüglichen Paragraphen, wodurch man über die Notwendigkeit des gewalttätigen Auftretens hinwegzukommen sucht; die den Wortsiun verleugnende Erklärung, wonach das Zusammen­

bringen einer Menge kein räumliches, nur das Verleiten mehrerer an verschiedenen Orten zu einem Zwecke sein soll, müssen in jedem Unbe­ fangenen Bedenken erregen. Um dem Verteidiger in der eigentlich juristischen Deduktion nicht vorzugreifen, werde ich meinerseits der künst­ lichen Schlußfolge der Staatsanwaltschaft nur wenig einfache Sätze ent­

gegenstellen. Soll die Aufforderung zu einer Handlung ein Verbrechen enthalten, so muß notwendig die Handlung selbst, zu der ich auffordere, strafbar sein. Die Aufforderung zu einer erlaubten in den Gesetzen nicht ver-

Schulze-Delitzsch.

108

botenen Handlung kann unmöglich bestraft werden. Die Nichtzahlung von Steuern, zu der wir aufgefordert haben sollen, gehört aber nicht zu den in unserem Strafgesetz verpönten Handlungen, und zieht keine andere

als privatrechtliche Nachteile nach sich.

Wie soll die Aufforderung dazu

ein Verbrechen sein? Ferner: Wenn in der fraglichen Aufforderung der Versuch der Erregung von Aufruhr liegt, so sind diejenigen, welche der ?lufforderung Folge gegeben, Teilnehmer am Aufruhr; dies wird niemand in Abrede stellen können. Wollten Sie wirklich, meine Herren, solche

Steuerrestanten unter das Aufruhrgesetz stellen? Wollten Sie es etwa, wenn nicht bloß einzelne sondern ganze Gemeinden und Klassen des Volkes sich dabei beteiligt hätten? Aber dieser letztere Umstand ändert in dem Charakter, den gesetzlichen Folgen der Handlung nichts. Wie den einzelnen, so trifft auch ganze Gemeinden und Volksklaffen die Exekution bei Nichtentrichtung von Steuern. Erst wenn ein Wider­ stand gegen die Hebungsbeamten vorkommt, scheiden sich beide Fälle: was bei den einzelnen Widersetzlichkeit gegen Abgeordnete der Obrigkeit ist, wird bei einer Gesamtheit, welche mit vereinter Gewalt handelte, zum Aufruhr. Nicht also eine Aufforderung zur Verweigerung der Steuern inner­ halb der Grenzen des passiven Widerstandes, vielmehr nur eine Auf­ forderung: sich der Steuererhebung mit vereinter Gewalt zu widersetzen, kann als Erregung von Aufruhr angesehen werden. Daß eine solche statt­ gefunden, wird in der Anklage gar nicht einmal behauptet. Die Begründung, welche die Staatsanwaltschaft im Widersprüche

hiermit versucht:

daß in unserem Falle, wo man beabsichtigt, die Krone durch die fragliche Maßregel zur Entlassung der Minister oder zur Zurück­

nahme der Botschaft zu zwingen, auch ohne vereinte physische Gewalt ein Aufruhrversuch vorhanden ge­ wesen, hält hiergegen nicht Stich. Daß überhaupt konstitutioneller Weise von einem Zwange gegen die Krone hier nicht die Rede sein kann, ist

schon berührt; jedes Auftreten einer Kammer gegen die Regierung in einer Kabinettsfrage wäre dann ein Zwang gegen die Krone. Ich hätte daher dem Herrn Staatsanwalt gern seine Ausführung: „wir hätten die Krone in Geldmangel versetzen wollen", erlassen. Zudem ist der König keine Obrigkeit im Sinne des Gesetzes, kein Beamter, wie etwa

der Präsident einer Republik, sondern weit mehr: eine Staatsgewalt.

Ein

gegen seine unverletzliche Person gerichteter Zwang wäre daher Hoch­ verrat, kein Aufruhr. Aber substituiert man auch in der Anklage für

die Krone das verantwortliche Ministerium, so hebt die Aussührung der Staatsanwaltschaft auch so noch alles konstitutionelle Leben auf. Da könnte am Ende, wie gesagt, jede Budgetverweigerung, jeder Kammerbeschluß in einer Kabinettsfrage die Beranlassnng zu einer Aufruhruntersuchung werden. Nehmen Sie an, das Ministerium lose in solchem Falle, wie es gemeiniglich geschieht, die Kammern auf, die alten

Deputierten agitieren für ihre Wiedererwählung beim Volke, und Sie haben den ganzen Tatbestand des Aufruhrs in der Anklage. Denn dnrch Aufforderung des Volkes zu ihrer Wiedererwählung — freilich an sich etwas so wenig Strafbares, als die ilkichtzahlung von Steuern — wollen ja die früheren Abgeordneten den Fiücktritt des Ministern oder die Zurücknahme einer Negierungsmaßregel erzwingen. Nein, meine Herren, zum Aufruhr gehört vor allem die vereinte physische Gewalt mehrerer, eine Zusammenrottung; so spricht schon das Wort das Rechtsbewußtsein eines jeden an, so ist das Verbrechen in den Gesetzgebungen aller zivilisierten Staaten charakterisiert und auch von unseren Gerichtshöfen bisher stets ausgclegt worden. Ja, was noch mehr ist, die Königlich Preußische Negierung hat selbst dies Erfordernis als das unerläßliche Merkmal eines Aufruhrs in den Motiven zum Ent­ würfe des neuen Strafrechts ansdrücklich anerkannt. llnd dennoch diese Anklage, fragen Sie, meine Herren? — Gerade in dieser Schwäche sehen Sie den besten Beleg für das Tendentiöse, den politischen Charakter des ganzen Prozesses. Von jeher hat man es bei solchen Sachen, too es vorerst nur darauf autain, eine gerichtliche Ver­ folgung einzuleiten, mit dem Gesetze nicht so streng genommen und aus das Hinzutreten der Parteileidenschaften gerechnet. Freilich eine ge­ fährliche Lehre, die man den Gegnern gibt, von dieser Ausbeutung des Sieges, wenn einmal au diese die Reihe kommen sollte. Wie der Spruch auch falle, wir sehen ihm ruhig entgegen. Ihr Schuldig nimmt uns die Freiheit, unsere Ämter und Subsistenz, ja man wird uns dafür, daß wir als Männer für unsere Überzeugung einstanden,

unsere bürgerliche Ehre absprechen, während man die Verleugnung dieser Überzeugung mit Orden schmückt. Tut dies ein Schwurgericht, wo sollen sich dann noch Abgeordnete finden, die das Recht des Volkes vertreten, so möchte man fragen. Eins aber, den unerschütterlichen Glauben an unsere gute Sache, können Sie uns nicht nehmen, der uns, ihren Bekennern, den freudigen Mut im Leiden gibt. Was Sie auch tun, Sie

tragen zu ihrer Verherrlichung bei, Sie mögen binden oder lösen, Sie mögen uns freisprechen oder uns verdammen. Das ist das Hohe, das

Schulze-Delitzsch.

110

Unantastbare einer geschichtlichen Idee, daß ihr selbst ihre Gegner dienen, wenn sie es am wenigsten wollen.

Diejenigen,

meine Herren,

diesen und andere ähnliche Prozesse einleiten ließen, unserer Sache nur gedient.

welche

haben in der Tat

Denn das werden Sie sich nicht verhehlen,

nicht die Häupter von uns Angeklagten allein trifft Ihr Verdikt,

die ganze große Partei, für die wir hier einstehen müssen. freuen sich,

mit uns trauern Tausende unserer Mitbürger,

nein

Mit uns je nachdem

unser Los fällt. Und noch mehr: der Spruch, den Sie über uns fällen, trifft zugleich Sie selbst. gemein,

Das haben die Geschworenen mit den Vertretern des Volkes

daß beide der öffentlichen Meinung,

dem sittlichen Gefühl im

Volke, die einen in der Gesetzgebung, die andern im Nechtspreche» Geltung verschaffen sollen, und daher nur ihrem Gewissen verantwortlich sind.

Die

politische

Wirksamkeit

unparteiische Gericht

der

Volksvertretung

der Geschichte.

Indem

gehört

also

vor

man Sie dennoch

das

berief,

diesen Spruch zu füllen, hat man Sie selbst mit vor diese höchste Instanz gestellt, denn Ihr Spruch wird zum politischen Akt,

der einst in der

Reihe dieser Kämpfe feine Würdigung finden und namentlich bei Be­

urteilung des sittlichen Standpunktes der einzelnen Parteien einen Anhalt gewähren wird.

Wohl denn, meine Herren, damit schließe ich: Richten Sie uns, wie Sie selbst gerichtet sein wollen!

II. Vor dem Wiedereintritt in das politische Leben. 21. Schiller als Dichter des Volkes. Festrede, gehalten von Schulze im Schillerverein zu Leipzig, 10. Nvvember 1-8,54. «Aus dem „Gedenkbuch an Friedrich Schiller", herausgegeben vom Schillerverein zu Leipzig. Kommission bei Th. Thomas, Leipzig 18,55.) Eine Schar von Gläubigen, welche am geweihten Tage nach heil'ger

Stätte wallfahrten — das ist der Eindruck dieser festlicheu Nersnmmlung, das ihre Stimnniug.

Nicht bloß, um den Dichter durch Ihre Feier zu

ehren, einer Pflicht gegen den großen Toten zn genügen, haben Sie sicl>

hier eingefunden.

Ihr eigenstes Herzensbedürfnis ist es, was Sie treibt.

Eine Erbauung, eine innere Erquickung überkommt Sie bei seinem An­

denken, daß Sie kaum wissen, ist es seine Künstlergröße, ist es sein Wert als Mensch, der Ihnen den Gefeierten so teuer wacht.

aller Orten in dem gemeinsamen Vaterlande.

nah und fern, einigt dieser Tag im Geist:

Und wie hier, so

Tausende seiner Verehrer, Schillers Gedächtnis ist ein

Nationalheiligtum des deutschen Volkes. Des Volkes, sage ich, des ganzen, ungeteilten Volkes.

Keineswegs

dem Kreise der eigentlichen Kunstkenner, den exklusiven Zirkeln der so­ genannten Gebildeten, gehört er vorzugsweise an. wie in der Kunst war er vornehm.

So wenig im Leben

Der Adel eines hohen Geistes, eines

edlen Gemütes ließ ihn leicht dieser Flittern entbehren.

Darum hat er

seine unsterblichen Lieder nicht für die feine Gesellschaft, nicht für poetische Feinschmecker gesungen. In jeder Menschenbrust, die nur für das Große,

Gute und Schöne eine Stätte bewahrt, überall, wo der reine Hauch un­

verdorbener Natur weht, klingen sie wieder, und es bedarf zu ihrem Ver­ ständnisse nicht erst künstlicher Deutung oder besonderer Schule.

Ist

doch, was uns davon bleibt, mehr als ein bloß ästhetischer Genuß, eine sittliche Erhebung.

Schulze-Delitzsch.

112

Von dem allem geben die hier Versammelten lebendiges Zeugnis. Das sind nicht die blos; genießenden Klassen, die auf den Höhen des Lebens den leichten Schaum nippen und die alleinige Richterwürde in

Sachen des Geschmacks sich anmaßen, weil sie die Feinheiten eines Werks

bis auf ein Haar herauszurechnen verstehen.

Zum größten Teil Männer

des tätigen Lebens, irgendeinem praktischen Berufe angehörig, Kaufleute,

Gelehrte, Handwerker und Künstler, haben Sie sich von ihrem Tagewerke losgemacht, im Kreise gleichgesinnter Freunde das Fest zu begehen, bei die

dem

vor

Frauen

allem

nicht fehlen durften.

Wie Sie sonst die

Augenblicke stehlen mußten, die dem Dichter gehörten, wollen Sie einmal ihm und seinem Gedächtnisse volle, freie Stunden widmen.

ich auch nicht mit einer eigentlich

Daher möchte

kritischen Würdigung der Art und

Weise seines poetischen Schaffens in diesem Augenblicke vor Sie treten,

ein Ding, worüber ohnehin schon so viel geschrieben und gesprochen ist. Nur das eine will ich in der Kürze anzudenten versuchen, von dem ich

weiß, daß es in Ihnen allen lebt, das nämlich, was unser Dichter dem deutschen Volke ist.

Sollten Sie aber auch hier nur längst Bekanntes

hören, so werden Sie es dem Fremdlinge zugut halten, der zum ersten

Male in Ihren Kreis tritt, nicht mit der Anmaßung, Sie zu belehren,

vielmehr von dem Drange beseelt, sich als Gleichgesinnten

bei Ihnen

einzuführen.

Schon seinem Entwicklungsgänge nach ist Schiller dem deutschen Volke besonders lieb und vertraut.

Aus dem Kern des Volkes selbst

entsprossen, erhielt er gleich von Haus aus die sittliche Tüchtigkeit, die

geistige Gesundheit desselben, aber auch

die ganze beschränkte Lebens­

stellung des damaligen Bkittelstandes als Mitgift. pflanze in

Das ist keine Zier­

den Gärten der Reichen, in ihren Treibhäusern

kunstvoll

gehegt, und von der sorglichen Hand des Gärtners vor jedem rauhen Luftzug behütet.

Mitten aus dem Walde strebt der hohe kräftige Stamm

empor, das niedrig wuchernde Gebüsch zu seinen Füßen überwachsend. Kein Fürstenhof Pflegte seine Jugend, nicht im Schoße des Überflusses wuchs er heran. nicht gespart.

Die Mühen und Sorgen des

Daseins wurden ihm

Früh mußte sein Genius sich dem Zwange aufgedrungner

Regeln fügen und konnte sich am Ende nur gewaltsam davon losreißen.

Druck und Hemmung jeder Art, Flucht und Verbannung in deren Folge

bezeichnen die Jünglingsjahre des Dichters, der, als die Nation bereits auf ihn zu blicken begann, oft nicht wußte, wohin er sein Haupt legen

sollte.

Volke.

Da knüpfen sich denn tausend Beziehungen zwischen ihm und dem „Dem ist es auch schwer genug gemacht worden, wie uns" —

so sagen die, welche im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen —,

„der weiß es, was es heißt, der hat sich zu dem, was er ist, auch erst mühsam emporarbeiten müssen.

Dafür blickt er aber nun auch nicht

vornehm auf uns herab, darum verschmäht er es nicht, wenn wir nach

einem Leiter ausschauen, uns die Hand zu reichen: trägt sie doch, gleich der unsrigen, Spuren der Arbeit."

Und das Vertrauen, welches der Mensch ihnen einflößt, rechtfertigt der Dichter.

Wohl bedürfen sie seiner leitenden Hand, wollen sie sich in

dem Wirrsal des Lebens nicht verirren.

zugemessen, wo sie sich selber gehören.

Karg sind ihnen die Stunden

Die Forderungen des materiellen

Bedürfnisses drängen gebieterisch; da bleibt kaum Zeit, kaum Kraft übrig

für

edlere Gefühle, für höheres Streben,

außerhalb Im

für eine freiere Bewegung

der enggezogenen Schranken des einmal erwählten Berufs.

betäubenden Drange der Geschäfte verhallt die leise Stimme im

Innern und verstummt am Ende ganz.

Immer verknöcherter wird das

Herz, immer mehr niedergczogen der Blick auf das Irdische.

So laufen

sie Gefahr, über Beschaffung der äußern Mittel zum Dasein das echte Dasein mit seinen höheren Zwecken selbst zu verlieren.

Wie schwer wird

es dem Abgemühten, dem Vielgeplagten, sich zu ermannen I Wie mancher ginge dahin, ohne je die Kraft zum Aufschwünge in sich zu finden, wäre

der Dichter nicht mit seinem himmlischen, mächtigen Geleit!

Wenn die

Schatten wachsen um unsern Pfad, wenn die Niedrigkeit uns ganz in

ihre bleiernen Fesseln zu schmieden droht, da naht er mit seinem lichten

Reich und bietet uns die befriedete Stätte, wohin der Jammer der All­ täglichkeit nicht reicht, wo der Mensch den Staub von den Fittichen seiner

Seele streift und sich aufschwingt in seine ewige Heimat. Dies und alles, wonach sein Herz verlangt, baut dem Volke kein anderer in so vollem Maße, wie Schiller.

Wie ein Priester das heilige

Feuer auf dem Altar, so nährt er den göttlichen Funken in aller Herzen, daran sich Liebe und Begeisterung ewig neu entzünden.

Die Pforten

einer bessern Welt schließt er vor uns auf, in der wir alle Unbilden,

die Mühe und Sorge der Gegenwart vergessen.

Da dringt das Gemeine

nicht hin, und edlere Gestalten wandeln vor unseren Blicken, frei von

irdischen Makeln, vom Schmutze der Wirklichkeit nicht berührt. Und wie erhaben sie auch über dem Beschauer in reiner Ätherhöhe schweben, so befreundet sind sie ihm doch, so innig verwandt sprechen sie ihn an.

Den

verklärten Abglanz des eignen Innern meint er in ihnen zu erblicken; als enthülle sich der verschleierte Gott in seinem Busen, und er schaue

das eingeborene Urbild alles Schönen, das Ideal. — Ja, das Ideal ist Schulzc-Dclitzsch, Schriften und Reden. III.

g

114

Schulze-Delitzsch.

das Reich, wo unser Dichter unbestritten herrscht. am Idealen mehr,

als sich die

Und das Volk hängt

feinen Leute träumen lassen,

die im

Materialismus des Genusses längst den Glauben daran verloren haben.

Es ist seine Liebe, seine Religion;

und

um so tiefere, schmerzlichere

Sehnsucht empfindet es danach, je mehr das Leben ihm es im eignen

Busen trübt und verkümmert.

Das deutsche Volk vor allen.

In der

Idealität liegt seine größte Stärke wie seine größte Schwäche.

Kein

anderes hat um die idealen Güter der Menschheit so viel gekämpft, so Seine ganze Geschichte ist ein sortgesetztes Märtyrertum

schwer gelitten.

für die Idee:

an

ihr ist

es verblutet,

in ihr erwartet es seine Auf­

erstehung!

Solchem

Volke gehört ein solcher Dichter,

konnte er erstehen.

nur aus seiner Mitte

Darum ist er auch mit den besten Gefühlen, den

weihevollsten Augenblicken jedes einzelnen, ebenso wie mit den wärmsten Pulsschlägen nationalen Lebens unauflöslich verwachsen.

Mögen wir in

schwülen Stunden nach Erquickung ausschauen, er bietet sie uns rein

und voll aus ewig unerschöpfter Quelle.

Mögen wir in Tagen großer

Verhängnisse fragend um uns blicken, der Schwung seines Genius trägt uns zu der Höhe empor, wo die Geschicke der Menschheit im großen und ganzen an uns vorüberziehen.

„Die Weltgeschichte ist das Weltgericht,"

dies der ewige Wahrspruch seiner Muse, der, Trost und Mahnung zu­ gleich, uns gerechten Maßes versichert, so für das Leben der Völker mit seinen gewaltigen Zuckungen und Taten wie für den einzelnen in seinem stillen Dulden und Mühen.

Doch, wo anfangen, wo enden, bei einem so großen, unerschöpflichen Stoffe, wie unser Dichter ihn bietet? — — Unfruchtbares Mühen! Um die Wirkung, den Gehalt seiner Lieder darzutnn, lassen wir diese selbst sprechen.

Recht.



In Wahrheit geschieht erst damit dem Tage sein volles

Stünde

auch

ein

Besserer als ich hier vor Ihnen,

Dichters eignem Wort soll jede andere Lippe verstummen.

vor des

So singt er

selber von der Macht des Gesanges, und daß es die Macht seines Ge­

sanges ist, die er uns offenbart, hat die Nation längst entschieden: Es rafft von jeder eitlen Bürde, Wenn des Gesanges Ruf erschallt, Der Mensch sich auf zur Geisterwürde Und tritt in heilige Gewalt; Den hohen Göttern ist er eigen, Ihm darf nichts Irdisches sich nah'n, Und jede andre Macht muß schweigen Und kein Verhängnis fällt ihn an;

Von dem Wiedereintritt in das politische Leben.

115

Es schwinden jedes Kummers Falten, Solang des Liedes Zauber walten. Und wie nach hoffnungslosem Sehnen, Nach langer Trennung bitterm Schmerz Ein Kind mit heißen Reuetränen Sich stürzt an seiner Mutter Herz, So führt zu seiner Jugend Hütten Zu seiner Unschuld reinem Glück Vom fernen Ausland fremder Sitten Den Flüchtling der Gesang zurück, In der Natur getreuen Armen Von kalten Regeln zu erwärmen.

Möge dieses Dichterwort als Nachhall der heutigen Feier noch leise in uns fortklingen, wenn längst die lauten Wogen des Lebens uns wieder

nmrauschen!

22. Brief an A. Lammers in Hannover.') Delitzsch, 4. Dezember 1858.

Unsre Ablehnung bei den letzten Kammerwahlen hat, wie wir lesen, nicht die Beistimmung dortiger Freunde, und doch war sie durch die Umstände geboten. Eigentlich bezog sie sich nur aus unsre Kandidatur in Berlin, wo man unser Auftreten in den dortigen Wahlversammlungen verlangte, was nach allen Seiten hin nicht geraten war und die liberale Fraktion des Ministeriums nur in Verlegenheit gesetzt hätte, den Prinzen")

aber gleich zu Anfang stutzig machte, der sich vor der Umsturzpartei — die es bei uns in der Tat gar nicht gibt — weidlich fürchtet. Zudem

hatte unsre Partei in Berlin und Breslau unter den Wahlmännern die Minderzahl, weil noch immer kaum die Hälfte der Urwähler — in unsern Wahlbezirken noch nicht '/4 — sich beteiligt hatte, und man hätte

in den aufzustellenden Programmen Loyalitätsbeteuerungen und Devotionen bringen müssen, zu denen ich mich unmöglich verstehen konnte, wollte

man anders den vertrauensseligen Konstitutionellen genug tun, die in den größeren Städten den Ausschlag geben. In unsern Wahlbezirken

*) Redakteur der hannoverschen „Zeitung für Norddeutschland". Vgl. „August Lammers, Lebensbild eines deutschen Publizisten" von A. Emminghaus, Dresden 1908. 2) Prinzregent Wilhelm von Preußen.

Schulze-Delitzsch.

116

dagegen, wo die ländlichen Wahlmänner "/z Stimmen haben, waren die Urwahlen diesmal noch fast ganz unter dem alten Drucke vorgenommen

und so ungünstig, daß ich meine Kandidatur, für die sich */$ aller Wahl­ männer erklärt hatte, diesmal aufgeben mußte, um gegen die beiden alten kreuzritterlichen Deputierten wenigstens einen mäßig liberalen, bewährten Beamten durchzusetzen, den Präsident der Ablösungsbehörde, v. Neibnitz in Merseburg. Das nächste Mal wird es schon besser gehen, der Gewinn für diesmal ist, daß die Demokratie, die ganze große Volkspartei int Lande, doch wieder entschieden sich zu beteiligen angefangen hat, und daß die Kreuzritter geschlagen sind. Glauben Sie nur nicht, daß wir uns

geziert haben. Wurden die Urwahlen vom neuen Ministerium geraumer hinausgerückt, so hätten wir Zeit gehabt, zu wirken und zu organisieren. So aber ließen sich in so kurzer Frist nach der langen Enthaltung die

alten Fäden nicht gleich wieder anknüpfen, und das öffentliche Stimm­ geben tat das Seine, die vielen abhängigen Wahlmünner gründlich einzutreiben und selbst auf viele Urwähler höchst ungünstig einzuwirken, da

die Gegenpartei kein Mittel scheute und namentlich ihr amtliches Ansehen zur Beeinflussung der Wühler mißbrauchte. Das nächste Mal möchten wohl wieder einige von uns in die Kammer dringen, doch wer weiß, was innerhalb der nächsten drei Jahre geschieht.

23. Brief an Neil in Kösen. Delitzsch (ohne Datum: Ende 1858/Anfang 1859).

Mein Vorgehen im Berliner I. Wahlbezirk (es sind dort vier Wahl­ bezirke), dem sogenannten Geheimratsviertel, hatte für den Erfolg freilich von Haus aus keine Chancen für sich, gibt indessen als bleibendes und bedeutendes Resultat: daß die entschiedene Fraktion der Konstitutionellen, Mommsen *) an der Spitze, zum ersten Male seit 48, wieder mit uns ging —

und unter den Augen des Hofs für mich (vielleicht die aller­ verhaßteste Person in Preußen in diesen Kreisen) zu stimmen wagte. *) Der Historiker Theodor Mommsen, geb. 1817 in Garding (Schleswig), gest. 1903 in Berlin.

Bei der Vorwahl hatte ich die meisten Stimmen; aber da ist schrecklich gewühlt und gedroht worden — man möge mich doch in der Provinz wählen, nur nicht in Berlin, das würde auf den Prinzen den schlechtesten Eindruck machen usw., so hatte Schwerins die Parole aus­ gegeben durch Oberbürgermeister Krausnick, der jeden Wahlmann beim Eintritt in den Saal auf die Seite nahm. — Kurz, wir sind ein Stück

weitergekommen, und diese Ereignung, von der nationalen Bewegung ausgehend, ist für unsere inneren Zustände äußerst wichtig, besonders wenn wir, wie es scheint, einem Stück Reaktion entgegengehen!

24. Brief an August Lammers in Hannover. Delitzsch, 19. Februar 1859.

Eine Probe für Ihr Blatt „Zur Situation in Preußen" folgt hierbei, die Sie vielleicht in zwei Raten geben können. Sie waren ein­ mal so freundlich, mich als Mitarbeiter gelten zu lassen, da muß ich denn meine Stelle wahren. Ich habe scharf, aber wahr geschildert. Der von mir bezeichnete Diplomat ist Bismarck-Schönhausen, dem es beinahe gelang, das Ministerium durch Hindrängen des Prinzen^) zu Frankreich — Sie wissen, er kann die österreichischen Beleidigungen von 1850 und die Rastatters Angelegenheit nicht vergessen und glaubt Preußens Militär­ ehre angetastet — zu stürzen, was diesmal nur der Fürst von Hohenzollern verhinderte. ^) Die Thronrede hatte man bereits in diesem Sinne redigiert, und es hielt schwer, ihre Änderung durchzusetzen. Die Sache ist fast noch gar nicht in die Öffentlichkeit gedrungen, aber meine Quelle

ist sicher und geht bis in sehr hohe Regionen.

9 Graf Schwerin, Minister des Innern im Ministerium der neuen Ära. 2) Prinzregent Wilhelm von Preußen. 3) Im Mai 1857 waren zur Besatzung der Vundesfestung Rastatt durch Bundesbeschluß gegen den Widerspruch Preußens 5000 Österreicher berufen

worden. 4) Ein Artikel mit der obigen Überschrift ist in der Zeitung für Nord­ deutschland in den auf den 19. Februar folgenden Wochen nicht vorhanden. Dagegen berichtet ein anonymer Artikel vom 4. März über die vor kurzem er­ schienene Broschüre „Preußen und die italienische Frage" und erwähnt das Gerücht, „daß ein bedeutender preußischer Staatsmann ihr Verfasser sei."

118

Schulze-Delitzsch.

25. Wehre dich, Deutschland!^ (Juli 1859.)

1.

„Die Gartenlaube und Politik"! so rufen unsre Leser, doch sie mögen ruhig sein. Nicht dem Hader der Parteien, den Verschlingungen der Diplomatie öffnen wir unsre Spalten. Aber wenn die Flammen schon am Dache züngeln, da erschallt anch aus der stillen Bürgerwohnung die Weckerstimme; und von der Stätte, die sonst allein der Unterhaltung und Belehrung, dem sriedlicheil Interesse der Zivilisation gewidmet war,

ertönt der 9ius zum Kampf, sobald diese Interessen selbst aus das Aller­ höchste gefährdet sind. Nicht die politische Gestaltung des Vaterlands

— nein, seine bedrohte nationale Existenz ist es, um die wir das Wort nehmen. Die heiligsten Güter unsres Volks, deutsches Wesen und deutsche Ehre, unsre Macht wie unser Besitz in Frage gestellt, eine Laufbahn ruhiger Entwicklung in unabsehbare Kriegswirren verschlagen! Was kundige Augen längst sich entspinnen sahen, tritt endlich an den Tag. Der Bonapartismus hat in Italien den ersten entschiedenen Schritt getan, gerade auf sein Ziel los, und wir wissen, wem es gilt: der Neffe") reklamiert des Onkels Erbe. Der eingesperrte Adler von Boulogne") ist zum kaiserlichen Aar Frankreichs geworden, der den alten Eroberungs­ flug wieder beginnt. Zuerst Italien, die Wiege des Cäsarismns, dann die Rheingrcnze und sofort in einer Folge blutige Kriege. Und die Formel für dies alles: „Das Kaiserreich ist der Friede." Das Kaiserreich der Friede! Dies Wort kennzeichnet den ganzen

Mann, der, indem er es aussprach, schon den Plan des jetzigen Feldzugs in seinem Haupte erwog. Das Kaiserreich, von dessen Beginn der Wiederausbruch des Kriegs in Europa überhaupt datiert, das sich einzig durch den Krieg zu fristen vermag, dem der Friede geradezu verhängnis­ voll ist! Denn wird der gefesselte französische Volksgeist nicht nach außen

abgeleitet, mit Beute und Ruhm abgefunden, würde er sich unfehlbar durch Revolutionen gegen den despotischen Druck im Innern Luft schaffen. tz Dieser Aufsatz, nach dem Waffenstillstand zwischen Österreich und Frank­ reich von Villafranca — 11. Juli 1859 — geschrieben, sollte in der „Garten­ laube" veröffentlicht werden und war von ihr auch zum Abdruck angenommen worden. Warum dieses nachher unterblieben ist, war nicht festzustellen. a) Napoleons I. 3) Napoleon III. hatte einen Versuch, sich 1840 in Boulogne zum Herrscher aufzuwerfen, mit Einkerkerung büßen müssen.

Die Soldaten, welche das Regiment allein stützen, wollen Beschäftigung

und Avancement. L’arm6e s’ennnie! lauteten die Berichte der Marschälle, und der Kaiser verstand sie.

O, es ist

ein lange gehegter,

angelegter Plan, der endlich zur Ausführung kommt!

ein

tief

Nur zu sehr war

man von vielen Seiten bisher geneigt, Napoleon III. gegen den blendenden Heroennimbus seines Vorgängers

zu unterschützen.

Er gehört zu den

gefährlichsten Gegnern, die cs gibt, zu der Klasse der kalten Fanatiker! Fanatiker

in seinem Ziel, indem er der

Chimäre des Napoleonischen

Sterns nachjagt und sich von höherer Macht zur Vollziehung großer Weltgeschicke berufen wähnt, zeigt er die kälteste Überlegung, den ruhigsten Bedacht, wenn es gilt, den Weg zu seinem chimärischen Ziele zu wühlen.

Keiner weiß wie er die Schwächen und Leidenschaften der Menschen, be­

sonders des eignen Volks,

zu berechnen und in sein Spiel zu ziehen,

keiner ist so unbedenklich in der Wahl der Mittel.

Wenn die Titanen­

gestalt des Oheims nur zu geneigt war, im ungeduldigen Begehren die

Gewebe

kunstvollen

der

Staatskunst

mit dem

Schwerte zu zerhauen,

scheut der Neffe keinen Umweg, verschmäht keine Maske,

und während

man ihn am weitesten von der Spur entfernt meinte, hat er sie doch

niemals verloren.

In demselben Augenblicke, wo er der Republik den

Eid leistete, wußte er bereits, daß es ihm unmöglich sei, ihn zu halten: wer bindet das Schicksal durch menschliche Schwüre? Und so begann das

Spiel, Zug für Zug, und ganz Europa beglückwünschte den Retter der

Gesellschaft.

Wie meisterhaft gelang ihm die Sprengung der Heiligen

Allianz — die erste Bedingung zum Gelingen seiner Pläne —, die Ver­

feindung der Hauptmächte derselben untereinander. Rußlands zuerst übermütig versagte Freundschaft, sein Bruch mit Österreich durch den Krimkrieg') mit einem Schlage gewonnen! Daß darüber die Türkei, um

deren Integrität gegen Rußland zu wahren man den Krieg angeblich unternommen hatte, an Rußland vollständig preisgegeben werden mußte,

verursachte ihm nicht

wiederum

das

die Sache so

mindeste

Bedenken.

trefflich eingefädelt.

Und

nun

in

Italien

Wieder das unglückliche

Land der angegriffene Teil, dem man auf sein Ersuchen zu Hilfe kommt;

und ebenem für eine mißhandelte Nationalität, für freisinnige Institu­ tionen einzutreten! Dabei gilt es zunächst, Deutschland mit Preußen bei gutem zu erhalten, um dasselbe später, wie jetzt Österreich, vereinzelt

niederwerfen zu können; das gleiche Stück, wie 1805 und 1806.

Weiter

geht es dann gegen England, und am Ende sicher auch gegen Rußland,

*) 1854—1856.

denen Trafalgar und Waterloo, der Brand von Moskau und die Beresina

unvergessen sind.

Welch ein Feld für Nationalitätenrettung: Irländer

und Polen, Koffern und Tschetschenzen, Kirgisen und Kalmücken! Wahrlich, das deutsche Volk ist am wenigsten unter allen geneigt, das große Prinzip

der neuen Geschichte, die Berechtigung der Nationen zu selbsieigner Lebens­ gestaltung anzutasten, da es selbst in heißem Ringen danach begriffen

ist.

Aber eben deshalb sind wir empört, wenn dasselbe zum geraden

Gegenteil gemißbraucht, unter den Händen eines Despoten zur schnödesten Karikatur wird.

Schon sehen wir im Geist, wie beim Onkel, die ge­

retteten Nationalitäten in französischer Zwangsjacke die Schlachten des

Retters schlagen, um die allgemeine Beglückung, zu welcher sich unbegreif­ licherweise die törichten Völker nur mit den Haaren herbeiziehen lassen, immer weiter durch den Weltteil zu tragen.

Die beglückte Welt zu seinen

Füßen, das ist der Preis, um welchen allein Frankreich seinem Tyrannen verzeiht.

Täusche sich niemand; wie unzufrieden auch die Stimmung der

verschiedenen Volksschichten in Frankreich in der letzten Zeit gewesen sein

mag, welche furchtbare Willkür und Lasten man auch zu tragen hatte: in dem Augenblick, wo der Krieg begann, war das alles vergessen und

die französische Suprematie in Europa die einzige Losung.

Noch nie

hat das Volk dem Kaiser so zugejauchzt, solche Begeisterung gezeigt, wie auf seiner Reise zur Armee, und der allgemeine Zudrang zu der Kriegs­

anleihe übersteigt weit das Bedürfnis. Wie wir sagten, auch Rußland steht auf der Liste.

Rußland, jetzt

noch der intime Alliierte, mit dem man sich gegenseitig in

die Hände

arbeitet, solange man einander bedarf. Rußland und Frankreich — gut,

daß das Bündnis

beider, dessen unverkennbare Zeichen schon seit dem

Pariser Frieden') hervortraten, nicht länger abgeleugnet werden kann,

damit endlich auch dem Blindesten die Augen aufgehen.

Freilich soll es

kein eigentliches Bündnis sein, bloß ein unschuldiges „Engagement", durch­

aus nicht gegen das europäische Interesse.

Nun, sich durch solche viel­

deutige Worte beschwichtigen zu lassen, wenn solche Taten damit Hand in Hand gehen, wäre Blödsinn oder Verrat! Freie Hand in der Türkei für Rußland, das eben dabei ist, den kranken Mann selig hinüberzuschaffen,

und dafür, als Gegendienst, voller Spielraum für Frankreich zur Wieder­ erlangung seiner „natürlichen Grenzen" in Italien und Deutschland, zu­ nächst zur Niederwerfung Österreichs: zu letzterem Zwecke die Drohung

russischer Invasion in Deutschland, wenn wir nicht ganz gemütlich zu-

*) Er beendete 1856 den Krimkrieg.

sehen und stillhalten. So liebevoll halten uns unsre beiden Nachbarn von Osten und Westen umfangen, daß, machen wir uns nicht bald aus ihrer Umarmung los, am Ende jedem ein Stück von uns in den Armen kleben bleibt. Die Uneigennützigkeit ihrer Politik ist traditionell. Peter der Große und Napoleon I., das Testament des einen1) und das Ver­ mächtnis des andern, sie mögen der Welt noch viel zu schaffen machen, wenn man nicht die unbernfenen Vollstrecker bald dazu zwingt, selbst ihr Testament zn machen und den europäischen Frieden nicht länger zu stören. Und das vermag Deutschland, wenn es einig ist und entschieden, wenn es fest auftritt und bald, mit Preußen an der Spitze, ohne eins nach dem andern seiner Glieder einzeln abtöten zu lassen. Leicht ist der Kampf nicht, das sagen wir uns selbst, aber er ist möglich, noch mehr, er ist notwendig, und wird uns doch nicht erlassen; und wenn es ein rechter Volkskrieg wird, ist der Erfolg mehr als wahrscheinlich. So wollen wir denn frisch und ganz, weil wir können: noch mehr, weil wir müssen! Dies Bewußtsein tut ganzen Volke zu beleben, ist jetzt die Pflicht jedes Patrioten, vor allem der vaterländischen Presse, der auch wir in diesen Zeilen genügen. Nur aus der vollen Erkenntnis der Gefahr er­ wächst die Kraft znm Widerstände. Sich aufraffen, bereit sein, das er­ fordert die Lage, den Dingen mutig in das Gesicht sehen, nicht sich mit allerlei Friedensphautasieu und Vertrauensseligkeit einschläfern und die Mahnung unbestreitbarer Tatsachen spurlos an sich vorübergehen zu lassen. Das fühlt auch das deutsche Volk recht wohl, davon zeugt die unbeschreibliche Aufregung int ganzen Vaterlande. Allgemein ist die Entrüstung über die französischen Anmaßungen, die russischen Drohungen. Nur in Beziehung aus die Richtung, welche man zunächst einzuhalten hat, insbesondere in betreff des italienischen Krieges schwanken die Meinungen. Hier ist es namentlich die Stellung zn Österreich, die in den Vordergrund tritt, da jede Kooperation mit Österreich, eine Identifizierung der deutschen mit der österreichischen Sache bei der großen liberalen Partei in unserm Volke auf den tiefbegründetsten Widerwillen stößt und in Norddeutschland besonders verhaßt ist, indem die Sympathien einiger Negierungen der dortigen Mittelstaaten nicht die mindeste Stütze in deren Bevölkerung finden. Demnach tut es besonders not, gerade diese Frage scharf in das Auge zu fassen, indem von ihrer *) Hier ist wohl das sogenannte „Politische Testament" Peters des Großen gemeint, das sich aber als Fälschung herausgestellt hat. Vgl. H. Breßlau in der Historischen Zeitschrift Bd. 41 S. 385 f.

Schulze-Delitzsch.

122

Beantwortung

das

zunächst

gebotene Vorgehen, die entscheidende und

einheitliche Aktion abhängt, zu der alles so dringend auffordert.

Nicht

in Sympathien und Antipathien, sondern in Gemeinsamkeit der Interessen

wurzelt eine gesunde Politik, und es erfordert die nüchternste Erwägung, ob und inwieweit eine solche zwischen Deutschland und Österreich in der gegenwärtigen Krisis vorhanden sei. Fassen wir die Stimmen gegen Österreich kurz zusammen.

„Wie

können wir mit Österreich gehen" — heißt es — „und für das unselige

System eintreten, welches von dieser Macht von jeher mit hartnäckiger

Verblendung nach außen wie nach innen befolgt loorden ist, obschon es 1848 so jämmerlich zusammenbrach? Österreich ganz allein hat diese

Wirren verschuldet und die Italiener zu dieser allgemeinen Auflehnung getrieben, indem

es

alle

den

gerechten

Volkswünschen

entsprechenden

Reformen auf der ganzen Halbinsel unmöglich machte und die von Europa

gebrandmarkte Viißregierung der einheimischen Fürsten verewigte. die französische Kriegsmacht als die allgemeine

Empörung

Weniger

der eignen

Untertanen ist cs, was die unglückliche Position seiner Heere in dem

jetzigen Kampfe nach

sich zieht, und wer weiß, wie bald ähnliche Er­

hebungen in andern Kronländern stattfinden, von gleichem Gebaren der

Negierenden hervorgerusen. Folge gröblich verschuldeter

Einen solchen totalen Zusammensturz, die

innerer Zerrüttung, aufhalten zu

wollen^

wäre ebenso vergeblich, wie verderblich, verderblich für uns selbst.

Denn

gelänge es wirklich, den unheilvollen österreichischen Einfluß in Italien in alter Weise zu befestigen, so würde derselbe alsbald sich gegen uns in Deutschland selbst kehren, wo es ja immer und immer wieder Österreich

war, welches sich der so heiß ersehnten Ausbildung der deutschen Gesamt­ verfassung wie den Fortschritten in den Einzelstaaten mit seiner ganzen Wucht entgegenstellte. — Nein, lassen wir es die Kümpfe in seinen außer­

deutschen Ländern ohne uns ausfechten, wie es ja stets, ohne nach uns

im mindesten zu fragen, seine dortigen Einrichtungen getroffen, die Saaten gesät hat, die nun zur blutigen Ernte emporsprießen.

Vielleicht, daß

die harte Lehre, welche ihm aus seiner Isolierung in jenen Kämpfen er­

wachsen mag, daß der wahrscheinliche Verlust seiner italienischen Länder ihm zum Heile gereicht, daß es sich dann seines Berufs, des einzigen Wegs besser bewußt wird, auf welchem in unsrer Zeit allein die Sym­

pathien der Völker erworben werden, auf dem allein eine starke Regierung gegründet, auf das Wohlbesinden und die Liebe der Bürger sich er­

heben kann." Wer

könnte hiergegen etwas einwenden,

wer sich wundern,

wie

gründlich es Österreich im Laufe dieses Jahrhunderts dahin gebracht hat,

alle Sympathien seiner deutschen Stammgenossen zu verscherzen,

deren

Nationalgefühl es so tief, wie kaum je irgend ein äußerer Feind ver­ wundete.

Seit dem Siege der Metternichschen Politik 1815, der das

deutsche Volk

um

die

feierlich verheißenen Früchte seiner unsäglichen

Opfer und Anstrengungen brachte, welche die Schmach der Fremdherrschaft

von uns abwälzten, immer Österreich an der Spitze, wo es galt, der Aufklärung,

dem Fortschritt, der berechtigten Teilnahme des Volks an

den Staatsangelegenheiten

Und neuerlich wieder.

die kaum eröffneten Bahnen zu verschließen.

Kaum von der furchtbaren Katastrophe von 1849

erstanden, ist sein erstes Lebenszeichen die Reaktivierung des Bundestags *),

das Einschreiten mit Heeresgewalt in Hessen-) und Holsteins.

Gerade,

als könne man nicht genug eilen, der öffentlichen Meinung Deutschlands

in das Gesicht zu schlagen, um alle daran zu erinnern, daß man auch wieder auf dem Platze sei!

Und nun zu alledem das Konkordat si, der

velhänguisvollste Schritt unter allen, wodurch es sich von jedem geistigen Lebenszusammenhange mit dem übrigen Deutschland loslöste, alle wahr­

haft

lebensfähigen Strömungen in seinem Schoße, die Bildung seiner

Jugend, den hoffnungsvollen Aufschwung der letzten Jahre, der Bundes-

geuossenschaft seiner Verderber, einer herrschsüchtigen Priesterkaste opfert, welche seit jeher das unverantwortliche Zurückbleiben des von der Natur so reich gesegneten Landes in Entwicklung seiner geistigen und materiellen Interessen verschuldete.

Was nicht geschehen darf, wofür wir uns zu hüten haben, ist hier­

nach leicht zu ermessen.

Nicht für das österreichische ganz verrottete und

verderbliche Negierungssystem,

nicht für seinen

alten erdrückenden Ein­

fluß, nicht für Erhaltung seines italienischen Besitzstandes können wir eintreten, wollen

wir uns schlagen; aber ebensowenig gegen die Unab­

hängigkeitsbestrebungen der Italiener.

Ein solches Handeln, wie es allen

lvahren Deutschen schon von selbst widerstrebt, wäre nicht in unserem, sondern gegen unser eigenstes Interesse.

Ein starkes unabhängiges Italien

2) Der österreichische Gegenzug gegen die preußische Unionspolitik vom 2. September 1850. 2) Auf Anrufen des Kurfürsten von Hessen und seines Ministers Hassenpflug, die bei der Verhängung des Kriegszustands am 7. September 1850 in ihrem Lande allgemeinen Widerstand fanden. 3) Gestützt auf Zusagen Rußlands, Frankreichs und Österreichs begann

Dänemark den Krieg gegen Schleswig-Holstein am 3. April 1849 von neuem. 4) Österreichs Konkordat mit der römischen Kirche von 1855.

124

Schulze-Delitzsch.

ist eine Bürgschaft mehr für den europäischen Frieden, für gedeihliche Zustände in Deutschland selbst. Damit wäre die Entscheidung bald ge^ troffen, eine Einigkeit leicht unter uns erzielt, lüge die Frage einfach so.

Aber das ist nicht der Fall, und wer nicht absichtlich die Augen zudrückt, kann sich das nicht verhehlen. Durch Frankreichs Eintritt ist die ganze Rechnung verschoben. Niit Frankreich, nicht mit Italien, haben wir es

zu tun. Welche Bahn der Kaiser Napoleon mit der Intervention in Italien betritt, haben wir schon gezeigt, und wir sind es, auf die es in zweiter Linie gemünzt ist. Kein Gedanke an Einlenken und Umkehr, an Lokalisierung des Kriegs, und wie die schönen Redensarten alle heißen. Ob er auch wollte, er tarnt es nicht, er muß vortvärts, jeder Halt ist für ihn Verderben. Das kaiserliche Frankreich von ehedem mit seinen so­ genannten natürlichen Grenzen oder die Revolution — so liegen für ihn die Würfel. Das Hauptziel ist der Rhein, die Knechtung Deutschlands die Frucht der angeblichen Befreiung Italiens. Der völligen Nieder­ werfung Österreichs folgt der dlugriff auf Preußen, und wie im Anfänge des Jahrhunderts denkt man die französischen Legionen auf ihren Er­ oberungszügen durch italienische Regimenter zu verstärken. Ohne Italien als Werbebezirk vermag Frankreich auf die Dauer die zur Unterwerfung

der Nachbarvölker erforderlichen Heere allein nicht zu rekrutieren. — Kein Gedanke daher, wir wiederholen es, daß die französische Intervention,

läßt man die Dinge unsererseits ruhig so weitergehen, je Italien zustatten kommen, im entferntesten seine selbständige staatliche Gestaltung fördern könnte. Im Fall des Sieges wechselt das unglückliche Land nur das Joch, vertauscht die österreichische mit der französischeii Herrschaft. Und daß es damit nichts gewinnt, daß vielmehr alsdann auch der letzte Hort italienischer Freiheit und Unabhängigkeit, Piemont, französischer Vasallen­ staat wird, wer möchte sich darüber täuschen? — Wie in aller Welt könnte es dem Gewalthaber in Frankreich einfallen, ein unabhängiges Volk mit liberalen Institutionen, die er kaum mit blutigem Wagnis und Treubruch im eignen Lande erstickt hat, an seinen Grenzen herstellen zu

helfen, ja nur zu dulden! Wäre das nicht eine greuliche Verhöhnung,

ein wahres Pasquill auf die eignen geknechteten Untertanen, ein perma­ nenter Aufruf zur Revolution? — Despoten mit der merkwürdigen Schwärmerei, überall neben sich bedrängten Völkern uneigennützigst zu Hilfe zu kommen, und unentgeltlich ihre Nachbarn mit der Freiheit zu beschenken, — dergleichen Exemplare figurieren doch höchstens in Kinder­ märchen. Also, das behalte man ein für allemal im Auge: Was Öster­ reich in Italien an Macht und Länderbesitz verliert und aufgeben muß,.

Denn sonst be­

das darf mindestens Frankreich nicht zugute kommen.

kommen wir nicht einen unabhängigen italienischen Staat oder Staaten­ bund und in ihm einen natürlichen Alliierten sondern den alten Erb­

feind Deutschlands an unsere Südgrenze, der uns das Adriatische Meer bestreitet, die wichtige Handelsstraße nach Ägypten und Indien. Ja, wäre es damit noch abgemacht! Aber die völlige Niederwerfung Österreichs hat auch für die Ostgrenzen seines ausgebreiteten Ländergebiets die ge­

fährlichsten Folgen, und der unbedingte Sieg Frankreichs ist zugleich der

Sieg

Bereits

Rußlands.

stachelt das letztere in den

Rumänen

und

Slawen der österreichischen und türkischen Donauländer seine Vorkämpfer

nn, dem Panslawismus eine Gasse zu brechen, und über höchst bedenkliche

Unterhandlungen mit Kossuth') znm Behuf einer Erhebung in Ungarn scheint kaum ein Zweifel obznwallen.

Auch ein Nationalitätenkultus,

nur ehrlicher als der französische, indem das Russentum den Nationali­

täten, mit denen es in Berührung kommt, seine Liebhaberei einfach da­ durch bezeugt, russifiziert.

daß

es sie in

sich aufgehen läßt, d. h. ohne weiteres

Daß aber hier fast noch mehr als in Italien

nicht bloß

österreichische sondern sehr greifbare deutsche Interessen auf das empfind­

lichste berührt werden, wird wohl niemand bestreiten.

Deutschland,

seine Industrie,

Wie es auf ganz

seinen Handel, seine ganze

Weltstellung

zurückwirken müßte, wenn in der Donau ihm eine seiner Hauptverkehrs­

adern unterbunden, es durch russische Nachbarschaft und Grenzsperre von jenem reichen schönen Ländergebiet ausgeschlossen wird, mit dem es be­

reits in soviel fruchtbaren Beziehungen steht, mag sich jeder selbst sagen. Abgeschnitten von den großen Völkerwegen, von Orient und Okzident,

hier von Frankreich, dort von Rußland, schrumpfen wir dann zu einem

recht eigentlichen Reiche der Mitte zusammen, eine Art Apanagen- und Entschädigungsgebiet für allerlei Vorkommnisse zwischen unseren Nachbarn,

und der politischen Ohnmacht nach außen gesellt sich der Ruin des Wohl­

standes im Innern bei, wie wir dies bei allen verkommenen Völkern mit

Muße studieren können. Daher alles eingesetzt, wo alles zu verlieren ist!

Machen wir über­

haupt noch auf eine Stimme im Rate der Nationen Anspruch — und das heißt zugleich in unsern eigenen Angelegenheiten —, so müssen wir

sie jetzt erheben

mit dem Entschlusse, ihr, da nötig, mit den Waffen

Nachdruck zu verschaffen.

Es sind unsere eigensten Interessen, um die

es sich handelt, und wer da müßig zuschaut, der hat schon halb verloren, y Führer der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung im Jahre 1848.

Schulze-Delitzsch.

126

wenn er schließlich doch zum Handeln gezwungen wird.

Mit dem bloßen

Rüsten, in welchem sich die Tatkraft einiger Negierungen erschöpft zu

haben scheint, ist es nicht getan, und die bewaffnete Neutralität, für die

man hier und da schwärmt, in unseren Augen das unglücklichste Aus­ kunftsmittel.

Mit allen Lasten

verbindet sie nicht dessen

des Krieges

Wohltat, die Entscheidung, und zieht nur die drückende Schwüle vor dem

Wetter, das Lähmende,

was

jede solche Krise

für

die Gemüter der

Menschen hat, in die Länge, so daß nichl selten ein Volk schon halb ausgesogen und demoralisiert ist, wenn endlich der Zeitpunkt erscheint,

wo es seine volle Kraft entfalten soll.

Wenn wir mobilisieren, so müssen

wir etwas Bestimmtes wollen und den Mut haben, unsere Forderungen

auszusprechen

und uns auch dafür zu schlagen, sonst bleiben wir besser

davon und ersparen dem Laude die Kosten, wie die Blamage.

Freilich

stehen wir hier bei der Präzisierung der deutschen Forderungen an dem schwierigsten Punkte, und es war gewiß viel

leichter, uns in dem zu

einigen, was wir nicht wollen, als in dem, was wir wollen.

Aber eben

wegen der verhängnisvollen Unklarheit und Zersplitterung der Meinungen und Ansichten in dieser allerwichtigsten Frage,

dem

deutschen

sondern

Publikum

leider

auch

welche nicht bloß unter

unter

den

deutschen

Regierungen herrscht, werden es unsere Leser uns Dank wissen, wenn wir wenigstens einige Fingerzeige zu geben versuchen, bei welchem Ende

die Sache zunächst wohl zu fassen sein dürfe, natürlich immer mit dem

Vorbehalte, der sich bei einer so durchaus flüssigen, auf dem Kriegstheater bereits in Aktion befindlichen Angelegenheit von selbst versteht: daß ge­ wisse Modifikationen im

einzelnen stets von den weiteren Chancen des

Feldzugs abhängig bleiben werden. Zunächst also, außer der selbstverständliche» Wahrung des deutschen Bundesgebietes, wie wir schon andeuteten, keine Garantie für Österreichs Länderbesitz in Italien.

Mag dasselbe in dem so unglücklich begonnenen

Feldzuge davon so viel oder so wenig festhalten, als es vermag, unsere

einzige Forderung kann hier nur sein: Garantie von Frankreich, daß die Österreich entrissenen italienischen Gebiete einem unabhängigen, lebens­

fähigen italienischen Staate zugute kommen, keine französischen Provinzen oder Vasallenstaaten werden!

Sodann:

Unbedingte Abweisung jeder russischen Einmischung oder

gar Intervention in die deutschen wie in die österreichischen Angelegen­ heiten, besonders einer Okkupation der Donauländer von russischer Seite,

indem ein jedes Vorgehen solcher Art von ganz Deutschland als Kriegs­

fall aufgefaßt werden muß.

Daß freilich dem allem die rechte Einigung in Deutschland selbst

zwischen den verschiedenen Volksstämmen und Negierungen vorangehen muß, als die einzige Bedingung, unter welcher wir überhaupt solche Forderungen, mit Aussicht auf Erfolg, aufstellen können, darüber ist die öffentliche Meinung in unserm Vaterlande ebensowenig, wie darüber im Zweifel: daß die unentbehrliche, einheitliche Führung der gesamten deutschen Nationalkraft in den gegenwärtigen Verwicklungen naturgemäß keinem andern Staate als Preußen anvertraut werden kann, welches

bisher beinahe allein durch Entfaltung seiner imposanten Wehrkraft den Beruf dazu vor dem ganzen Volke dokumentiert hat. Unter dieser Voraus­ setzung, aber auch nur unter derselben, sind wir imstande, den französischen und russischen Gewalthaufen, auch wenn sie uns vereint bedrohen, Wider­ stand zu leisten und den Franzosen namentlich das Gelüste nach den „natürlichen Grenzen" zu verleiden, die so elastisch sind, daß sie sich mit jedem glücklichen Grifs immer weiter in unser Land hinein erstrecken. Die einzige haltbare Grenze französischer Ländergier und Ehrsucht ist keine andere, als die geschlossene Schar deutscher Männer, die einig, Brnst an Brust für ihres Volkes Ehre und Besitz zueinander stehen. Eine solche lebendige Maner in den Herzen und Fäusten unseres Volkes vermochte den Feind 1813 unter dem größten Feldherrn des Jahrhunderts in seine Grenzen zurückzuwerfen. Möge der Genius Deutschlands uns diesmal vor den langen, traurigen Erfahrungen behüten, deren es in jener Zeit bedurfte, sie aufzurichten!

II. Geschickt zu benutzen weiß Napoleon jene feile Presse, aus der man ein Institut in Frankreich wie in Rußland zu schaffen verstanden hat, welche allem, was Ehre, Wahrhaftigkeit und Gewissen heißt, frech in das

Gesicht höhnt; das Volk muß erst gehetzt, fanatisiert, an die Idee des Krieges gewöhnt werden, ehe sich die angeblich durchaus friedliebende

Negierung, halb gegen ihren Willen, dazu von der öffentlichen Meinung fortreißen läßt! Dazu das Heer, dessen in Italien halb verkümmerte Lorbeeren ohnehin gebieterisch ein anderes Feld zum Ersatz verlangen —

und die Sache ist gemacht. Und das wird ein anderer Krieg, der Krieg gegen Preußen und England, die nun zunächst an der Reihe sind, als die bisherigen, ein Krieg auf Tod und Leben. Da wird man nicht innehalten mitten auf

der Bahn, nicht mit der Besiegung, der Demütigung des Feindes, nicht damit zufrieden sein, ihm die Überlegenheit zu zeigen und ihn dann durch

Schulze-Delitzsch.

128

Großmut zum Freunde zu machen.

kämpfen und

So mögen Despoten miteinander

miteinander vertragen, sich

sich

auf dem Erdteil streitig zu machen.

den Rang, das Prestige

Aber freien Völkern gegenüber gilt

es nur die Ausrottung, die völlige Unterwerfung oder den eigenen Unter­ gang.

England, der unermüdliche, unbesiegte Feind des Onkels,

Preußen,

mit)

an welches sich die deutsche Erhebung knüpfte, die ihn haupt­

sächlich stürzte, müssen vernichtet werden, oder der Selbstherrscher in Zwischen dem Prinzip dieser Staaten sowie dem

Paris ist nicht sicher.

Geist ihrer Völker und dem Bonapartismus gibt es

des Vergleichs,

schon ihre Existenz

ist

keine Möglichkeit

für den letzteren eine Gefahr.

Wie Napoleon kein mächtiges, unabhängiges Italien an seinen Grenzen dulden konnte und wie er durch seinen angeblichen italienischen Befreiungs­ krieg und den berühmten Frieden das unglückliche Land in einen Zustand

noch weit unseligerer Verwirrung herabgedrückt, den letzten Hort italienischer

Freiheit, Piemont, zu

hat: so

kann

einem französischen Vasallenstaat herabgewürdigt

er auch in dem noch weit gefährlicheren Preußen keinen

Staat mit liberalen Institutionen, keine durch Gesetz und Recht in der Achtung und Liebe des Volkes wurzelnde Negierung an seinen Grenzen dulden.

wäre ein permanenter Aufruf zur Revolution für

Denn das

die eigenen, arg geknechteten Untertanen, wenn sie in Berührung mit dem

Nachbarlande die dasigen Zustände mit denen bei sich verglichen!

Nur

im Sieg, nur in der Unterwerfnng der Nachbarn besteht die Möglichkeit

der Existenz des Despotismus in seinen Füßen,

das

ist

der

der eine ewige Kriegs­

Frankreich,

Dies geknechtete Europa zu

erklärung gegen den ganzen Kontinent ist.

einzige Preis,

um

den Frankreich

seinem

Werden die Kräfte der Franzosen nicht nach außen

Tyrannen verzeiht.

gelenkt, nicht durch Ruhm und Beute für die verlorene Freiheit entschädigt, machen

sie

sich

notwendigerweise

durch

verheerende Explosionen im

Innern Luft, und der Krieg ist das Sicherheitsventil für den klugen

Despoten, der sein Volk

gründlich

kennt.

Außer dessen unbegrenzter

Eitelkeit, Beute- und Ehrsucht kommt ihm bei seinem Kalkül dabei auch

noch die alte geschichtliche Erfahrung zustatten, daß geknechtete Völker, welche nicht mehr die moralische Kraft besitzen, die Knechtschaft abzuschückeln,

von jeher am eifrigsten waren, auch

anderen die entehrende Fessel auf­

zudrängen, durch Ausrottung besserer Zustände gleichsam der eigenen

Scham zu entfliehen. Und wie dem Bonapartismus in Frankreich, so ist auch den übrigen Großmächten, Rußland wie Österreich, das neue Preußen mit dem entschiedenen

Einlenken

in

ein

ehrliches

konstitutionelles

Staats-

leben') in gleichem Maße verhaßt und gefährlich.

Dem ersteren, das um

seine Vergrößerungsgelüste an der Ostsee, wie um seiner ganzen Machtstellung willen der Schwächung, der Niederhaltung Deutschlands, in erster Linie

Preußens bedarf, kann das neue System, durch welches Preußen nicht nur

Anhänglichkeit

die

der

eigenen

Staatsangehörigen,

sondern

die

Sympathien von ganz Deutschland an sich fesselt und sicher der moralischen

Hegemonie bald auch die politische zugesellt — wie sich in der gegen­ wärtigen Krise bereits erwies — unmöglich zusagen. Für Österreich

aber, wie es nun einmal ist, liegt in der Hinderung Preußens an der

Durchführung des angebahnten Systems geradezu eine Lebensfrage. bloß seine

bedroht.

deutsche Suprematie,

nein,

Nicht

seine ganze Existenz ist dadurch

Mit der österreichischen Politik ist ein selbständiges, zu eigenen

staatlichen Zwecken geeinigtes Deutschland, was sich nicht zu habsburgischen Hauszwecken verwenden läßt, so wenig verträglich, wie mit der russischen,

llnd doch ist dies noch das geringste. Denn geht dies in Preußen weiter so fort, so bleibt Österreich nichts übrig, der in gefährlicher Weise wachsenden Mißstimmung seiner Völker wie dem noch riesiger fortschreitenden

Ruin seiner Finanzen gegenüber, als sich selbst anfzugeben, sich in den entsetzlichen Abgrund —

der Reformen zu

stürzen und endlich einmal

mit Einlösnng des so oft verpfändeten Wortes an seine Völker, die unter unsäglichen Ängsten und mit noch unsäglicherer Geduld von Jahr zu

Jahr dessen geharrt haben, Ernst zu machen.

Dieses entsetzliche staats­

erschütternde Unglück abzuwehren, sehen wir die regierenden Kreise in unbeschreiblicher Aufregung.

Das ganze Pfaffentum, die Jesuiten voran,

alle Schranzen und Schergen des Absolutismus und der krassesten Obskuranz, aus ihren sicheren Pfründen und Sinekuren aufgeschreckt,

prophezeien in

deren Gefährdung den sicheren Weltuntergang, wenn dem Frevel nicht

Einhalt geschieht, und dank hundertjähriger Verdummung gelingt es ihnen, nicht wenige der teuren Schäflein in den tollen Veitstanz mit fortzureißen

und zum heiligen Kreuzzug für die eignen Fesseln zu begeistern.

Und

so dürfen sie hoffen, mit einigen dürftigen Brocken und Knöchlein, die

man dieser oder jener Provinz an unwesentlichen das System nicht im entferntesten berührenden materiellen Erleichterungen zuwirft, sich loszu-

kausen und den Lärm zu stillen, bis

alles wieder glücklich im alten

Geleise angelangt ist und der Staat oder vielmehr die Domäne Habsburg, durch den in bester Form ausgenutzten Bankerott seine Finanzen not­ dürftig in Ordnung gebracht hat.

i) Seil dem Regierungsantritt des Prinzregenten Wilhelm im Oktober 1858. III. 9

Schulze-Dclitzsch, Schriften und Sieben.

Schulze-Delitzsch.

130

Und wie den eigenen Provinzen, ist auch bereits der Köder den

Regierungen der deutschen Mittelstaaten zugeworfen, dessen es übrigens

Nur der erste Schreck über die unheimlichen Zeichen

kaum noch bedurfte.

des Sturmes, der von Westen

heranbrauste, war es, der sie sich um

Preußen scharen ließ, weil ihnen das

den

sie

Gewissen gegen den Erben des

entscheidender Stunde im Stiche

gelassen

Mannes

schlug,

hatten?)

Aber sobald die gebieterisch auftretende Forderung, der Einheit

in

des Gesamtvaterlandes auch nur ein Titelchen ihrer Schattensouveränität zu

opfern,*2) an sie herantrat, war es mit dem Kriegsfeuer und dem

Geschrei vom deutschen Wesen und Interessen vorbei!

Und als nun gar

von Frankreich die Luft anders zu wehen begann und es in ihnen auf­ dämmerte,

wohl

daß

in

neuer Ergebenheit

noch etwas mehr zu hoffen sei,

wendigkeit der

für alte Unbill Verzeihung und

da

atmeten

sie,

von der Not­

preußischen Führung wie von schwerem Alpdruck erlöst,

zum ersten Male wieder frei auf, und es ist eine Lust, wie ihre Ge­ sandten den kaiserlichen Ambassadeur in Frankfurt in vollen Nheinbunds-

gelüsten umwedeln! Was hätten sie denn von einem einigen Deutschland zu erwarten mit Preußen an der Spitze?

Soll man einmal einen Oberherrn über

sich anerkennen, dann doch lieber einen, der etwas dafür in den Kauf

gibt.

Und das kann, das wird der französische Kaiser eher als jeder

andere, der ja gar nicht anders kann, als Preußen verkleinern wenn

nicht vernichten, und der von demjenigen, was in die „natürlichen Grenzen" Frankreichs fällt, noch manches schöne Stück Land behält, um sich gute

Freunde damit zu machen.

Deutschland und das deutsche Volk,

seine

Integrität, seine nationalen Interessen — wunderliche Bedenken!

So­

lange dem Volke seine Fürsten und deren Dynastien bleiben, solange sind

die wahren und allein legitimen Interessen der Nation gewahrt und alle weitergehenden Forderungen und Wünsche doch durchaus verwersliche, de­ struktive Phantastereien, bereit höchst unbequemes Jmmerwiederauftauchen

endlich einmal gründlich beseitigt werden muß.

Gewiß, die neue Karte

der französisch-deutschen Vasallenstaaten ist schon fertig, Sachsen, Bayern,

Württemberg, Baden und Darmstadt (das erstere besonders, gegen welches y Gemeint ist Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und das Verhalten der deutschen Fürsten zu dessen Unionspolitik 1849 und 1850. 2) Preußen hatte im Frühjahr 1859 gleichzeitig mit der eigenen Rüstung von sechs Armeekorps die Mobilmachung eines Armeekorps von 60000 Mann seitens der deutschen Mittelstaaten unter seinem unbeschränkten Kommando verlangt, worauf aber die Mittelstaaten nicht eingehen wollten.

Vor dem Wiedereintritt in das politische Sebert. Napoleon die

131

alte Schuld wegen der um des Onkels willen erlittenen

Verluste *) auszugleichen hat,) sind schon über die Kontingente zur großen

Armee einig, die sie etwas pünktlicher als ihre weiland Bundeskontingente

zu stellen haben werden, und um deren einheitliches Oberkommando sie sich kein weiteres Kopfzerbrechen zu machen brauchen — (merkwürdig,

daß man die desfallsigen Rheinbunds-Erfahrungen so wenig bei der Bundes­ kriegsverfassung benutzen mochte!).

Von der Zerrissenheit, von der Schmach des Vaterlandes haben

sie sich gemästet, sind sie geworden, was sie sind, und der Bonapartismus kann ihnen noch mehr Bissen von seiner wohlbesetzten Tafel zuwerfen, nach denen sie schon gierig im Geiste schnappen.

Nur die

gewiegten Staatsmänner Hannovers und Kurhessens, ein

von Borries und der große Unbekannte, der Staat und — Leihhaus in

Kassel flottmachen soll,2) kratzen sich noch einigermaßen am Kopfe, wenn etwa das alte Westfalen^) nicht ganz geheuerlichen Andenkens, in Er­ mangelung

geeigneten Abfalls

in Italien,

znr französischen Sekundo-

genitur wieder eingerichtet werden müßte, weshalb sie auch früher mit am

lautesten mit dem Säbel gerasselt haben.

Doch hofft man auch hier durch

die nötige Zuvorkommenheit und diplomatische Feinheit — von den Um­ sturzmännern schändlicher Verrat und Kriecherei genannt — sich noch

leidlich loszukaufen und scheut selbst ein bedeutendes Opfer ebensowenig wie Österreich, um nur dem entwürdigenden und ganz unerträglichen Druck des sogenannten einigen Deutschlands unter preußischer Oberleitung

zu entgehen. So bliebe nur noch England als Preußens Bundesgenosse übrig, das gleichmäßig bedroht für dieselbe Sache, dieselben Interessen einzustehen hat.

Aber trotzdem, daß beide sonach aufeinander dringend angewiesen

sind, darf Preußen keinen Augenblick auf dessen Beistand zählen.

Sicher

würden die Sympathien des englischen Volkes für den Fall des Angriffs

mit Preußen sein — aber dennoch bleibt England so lange neutral, bis

es

selbst angegriffen

wird.

England ist gar nicht in der Verfassung,

einen Krieg mit Frankreich wagen zu können, besonders wenn Rußland

im Hintergrund steht.

Die Zerrüttung seiner Militärverwaltung, die

Unfähigkeit seiner Generale durch den Nepotismus der adligen Familien,

*) 1815 erhielt Preußen einen Teil des Königreichs Sachsen. ’) Das Leihhaus in Kassel, ein unter Staatsaufsicht stehendes Bankinstitut, welches auch Noten ausgegeben hatte, mußte 1858 seine Zahlungen einstellen. ’) Die napoleonische Gründung des „Königreichs Westfalen" vom 18. August 1807 unter Jerome.

welche hergebrachterweise in der Regierung wechseln, ist zu sehr an den Tag getreten, und die scheußliche Politik in Indien*) hat in der Erhaltung dieser wichtigsten seiner Kolonien dem Staate eine ewig forteiternde Wnnde aufgetan, welche das Mark des Landes verzehrt. Es ist daher gar nicht daran zu denken, daß England ein Landheer gegen Frankreich auf stellen könnte, und daß seine Flotte, welche an so vielen Küsten den englischen Handel zu decken, so viele Besitzungen zu verteidigen hat, der französischen nur so weit gewachsen sein sollte, um eine Landung aus Großbritannien zu hindern, bezweifeln viele Engländer selbst. Die Spuren des eingetretenen Berfalls dieses Landes treten so unzweideutig hervor, daß es keinesfalls ferner als Weltmacht, kaum noch als europäische Groß­ macht gelten kann, wenigstens wo es sich um Entscheidungen nach außen, um Superiorität und Beeinflussung anderer Staaten handelt. Neutralität um jeden Preis schallt daher von dort als stehende Losung, bei den bevor­ stehenden Kämpfen in Europa gerade ebenso, wie bei der Menge Ver­ wicklungen in Amerika, wo man dein Sternenbanner gegenüber längst jedes selbständige Auftreten aufgegeben hat. Was also — so fragen wir — was bleibt Preußen, der kleinsten unter den Großmächten, wenn es fast alle Kabinette, die großen wie die kleinen, gegen sich und kein einziges für sich hat? — Wir antworten: wenn es sich nur treu bleibt, genug, um den Kamps zu bestehen. Wenn es sich selbst treu bleibt, die Prinzipien nicht verläßt, die es groß gemacht haben, sich zur Höhe, zum Bewußtsein seiner deutschen Sendung erhebt: wenn es in der Ausbildung freisinniger, den Bedürfnissen wie dem Bil'oungsstande des Volkes gemäßer Jiistitutioneu in einer gerechten, von der Selbstbeteiligung des Volkes getragenen Verwaltung die neuerlich eingeschlagene Bahn immer weiter und entschiedener verfolgt: so ist es das eigene Volk, das sich in altbewährter Treue und Wehrhaftigkeit schart, Thron und Vaterland zu verteidigen. Und wie fraglich der Erfolg der preußischen Heere sein mag, wenn es einen Angriffs- und Eroberungs­ krieg gälte — den eigenen Herd, heimische Art und Sitte, Gesetz und Verfassung gegen die Knechtung der Fremdherrschaft zu verteidigen —, zu einem solchen echten Volkskrieg sind sie auch gegen eine europäische Koalition stark genug. Da haben wohl schon viel schwächere Staaten, die sich in militärischer Organisation nicht im entferntesten mit Preußen messen konnten, schlimmere Kämpfe gegen die ausgezeichnetsten Feldherren, *) Der große Aufstand Indiens 1857 und 1858 führte die Aufhebung der Ostindischen Kompagnie und die Übernahme der dortigen Regierung durch die Königin Viktoria am 1. November 1858 herbei.

die besten Heere ihrer Zeit ausgekämpft — man nehme die Niederlande! —; in Preußen, wo jeder Mann Soldat ist, wo ein so durchgeführtes Volks­ wehrsystem herrscht wie nirgends auf dem Kontinente, hat mau vor einer

solchen Notwendigkeit, vor einem Kampfe um die eigne Existenz noch nie znrückgeschreckt.

Und dann, wenn Preußen unbekümmert und offen vor aller Welt

neben dem Ausbau

seiner inneren gesetzlichen Freiheiten das Ziel der

deutschen Einigung weiter verfolgt, welches es beim Beginn der jetzigen Krisis auf seine Fahnen schrieb, erhält es

noch

einen andern Macht-

znwachs, den wir nicht hoch genug veranschlagen können.

Es ist die Zu­

stimmung, die Sympathie des ganzen deutschen Volkes, in dem der Drang

nach endlicher einheitlicher Gestaltung

als der ersten Bedingung einer

würdigen nationalen Stellung gegenüber dem Ausland bei den jetzigen

Verwicklungen, die ihm den Mangel davon so schmerzlich fühlbar machten, stärker als je erwacht ist. wahr

Nimmt Preußen den Kampf auf, ganz und

auch in dieser Richtung, erhebt sich, was alle Einsichtigen längst

erkannt haben, zum allgemeinen Bewußtsein auch in den deutschen Bruderstämmen: daß es die Macht und Integrität Deutschlands ist, deutsche

Art und Bildung, für die Preußen einsteht, daß in Preußens Existenz als seinem mächtigsten Hort das ganze Deutschland gefährdet ist, weil

Preußen seinem Wesen wie seiner geschichtlichen Bestimmung nach nichts anderes ist und sein kann als deutsch: daun hat Preußen gewonnen! Wie bei seiner Schilderhebung 1813 werden dann Streiter aus allen deutschen

Gauen sich unter seinen Fahnen scharen, und es ist sehr fraglich, ob das deutsche Volk alsdann zum zweitenmal gewillt sein wird, seinen Fürsten

die hochdynastischen Rheinbundsgelüste zu verzeihen.

Und noch eins: Nicht bloß im deutschen, auch im italienischen Volke, das wie das unsere im heißen Ringen nach nationaler Gestaltung be­

griffen ist, hat Preußen natürliche Bundesgenossen gegen die Koalition der Kabinette zu suchen.

Schon beginnt der Nimbus des französischen

Befreiers zu schwinden.

Der Friedens)

so

fein

er im

französischen

Interesse eingefädelt sein mag, hat doch dazu gedient, allen einsichtigen Patrioten zu zeigen, was man von Frankreich zu erwarten hat, und wie

verkehrt es war, den dortigen Usurpator nur einen Augenblick für be­ rufen zu halten, dem Lande die Freiheit und Selbständigkeit zu bringen.

Und da kommen wir wieder auf das zurück, was wir oben andeuteten. Das preußische wie das Interesse des gesamten Deutschlands fordert ge-

Der Präliminarfrieden von Villafranca vom 11. Juli 1859.

134

Schulze-Delitzsch.

biererisch, daß mindestens in Norditalien sich ein mächtiger, lebensfähiger italienischer Staat erhebe, der eine selbständige nationale Politik zu ver­ folgen imstande und weder von Frankreich noch von Österreich abhängig

ist. Ein solcher Staat wäre unser natürlicher Bundesgenosse sowohl gegen französische wie österreichische Eroberungsgelüste, und bereits ist in Piemont der Kern dazu gegeben, dessen Negierung, will sie mit der

italienischen Einheitsidee nicht ihre Hauptstütze, die Volkssympathien auf­ geben, den Frieden von Villafranca schwerlich ohne Hintergedanken ab­ schließen, schwerlich gewillt sein kann, die heutige französische Oberherr­ lichkeit auf die Dauer so hinzunehmen. Es ist merkwürdig, wie ähnlich die Lage, wie fast ganz gleich die Mission Preußens und Piemonts, des einen für Deutschland, des andern für Italien, sind: Und daß mit Nieder­ werfung des einen die Hoffnungen des andern auf Erreichung seines Zieles wesentlich gefährdet werden, ist leicht einzusehen. Zeige mein daher die Sympathien sür die Sache Italiens unverhohlen und offen; durch Österreichs Auftreten im Friedensschluß und nachher^) ist man in dieser Beziehung von der letzten scheinbaren Rücksicht entbunden, welche in der Stammverwandtschaft mit dem Unterdrücker uns bisher etwa davon ab­ halten mochte. Gibt die Negierung, was die liberale Presse längst bei uns ausgesprochen, dem tiefen Widerwillen des preußischen Volks, für Österreich gegen Piemont einzuschreiten, nunmehr auch ihrerseits die Sanktion, so werden sich sicher Anknüpfungspunkte finden lassen, die für beide Teile bei dem weitern Vorschreiten der durch den faulen Frieden plan­ mäßig geschürten Verwicklung höchst wertvoll und fruchtbringend sein müssen. So steht es sür den unbefangenen Blick in Sachen Österreichs wider Preußen, und Preußens mit Deutschland. Die Lage ist gefahrvoll und schwierig, aber nicht hoffnungslos. Auf die Hingebung des preußischen und deutschen Volks für die Unabhängigkeit und Integrität des Vater­

landes ist mit voller Sicherheit zu zählen, sobald die preußische Regierung mit Entschiedenheit und völlig rückhaltlos den Weg einschlägt, der einzig

zum Ziele führt. Das Schlimme ist nur, daß die Männer, welche gegen­ wärtig in Preußen am Ruder sind, in der Mehrzahl wohl für die Bahnen friedlicher Entwicklung taugen, nicht aber das Staatsschiff in den Stürmen, welche auf dasselbe heranziehen, mit fester Hand zu steuern vermögen und jeden mutigen Entschluß an höchster Stelle eher lähmen, als zu frischer Tat gestalten helfen. Preußen in der alten Passivität von 1850, in der unseligen Abwartepolitik zu erhalten, das ist jetzt die gemeinsame

') Österreich beklagte sich, daß es von Preußen im Stich gelassen worden sei.

Vor dem Wiedereintritt in das politische Leben.

135

Losung aller seiner Feinde, der man schon viel zu viel nachgegeben hat. Ermannt es sich nicht noch in dieser elften Stunde, so werden Jahre voll Schmach und Erniedrigung über das ganze Volk Heraufziehen, ehe endlich einmal wieder die Stunde der Befreiung schlagen kann! Darum handeln, weil Preußen cs kann und vorzüglich, weil es muß: noch eine kurze Spanne Zeit und die Frist zum Handeln ist vorbei. Dann gilt es stillhalten, und wohl ihm, wenn man ihm dann noch vergönnt, seine Ketten zu küssen, und nicht eines Tages ein Napoleonisches Bulletin er­ scheint, von Wien kontrasigniert: daß Preußen aufgehvrt habe, zu existieren!1 > Das aber wäre zugleich finis Germaniae! T) Anspielung auf das berühmte Dekret, durch das Napoleon I. am 7. De­ zember 1805 die Bourbonen in dem Königreich Sizilien (Neapel) absetzte.

III. Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein?)

a) Der Kampf um die deutsche Einigung. 26. Die Gründung des Nationalvereins. Gelegentlich des ersten Vereinstags der deutschen Vorschußvereine

— bis |6. Juni (859 — hatte Schulze mit mehreren Freunden, darunter den tandtagsabgeordneten Fries aus Weimar und gering aus Lisenach die politische tage Deutschlands erörtert. Im Verein mit ihnen berief er eine größere Zahl Gleichgesinnter auf den (7. Juli (859 3U einer Versammlung nach Gisenach. Dreißig Freunde aus Sachsen, Thüringen und Franken folgten der Aufforderung, u. a. Streit aus Roburg, Dölitzsch aus Altenburg, Joseph aus teipzig, Schaffrath aus Dresden, Titus aus Bamberg und Schüler aus Jena; Schulze war der einzige Preuße. Das Ergebnis ihrer Beratungen waren: T ±.

Resolutionen, angenommen von der Versammlung deutscher Demokraten in Eisenach am \7. Juli J859.

wir erblicken in der gegenwärtigen politischen Weltlage große Gefahren für die Unabhängigkeit unseres deutschen Vaterlandes, welche durch den zwischen Öster­ reich und Frankreich abgeschlossenen Frieden eher vermehrt als vermindert worden sind. 2.

Diese Gefahren haben ihren letzten Grund in der fehlerhaften Gesamtverfaffung Deutschlands und sie können nur durch eine schleunige Änderung dieser Verfassung beseitigt werden.

9 Vgl. H. Oncken, Rudolf von Bennigsen. S. 313 f.

Stuttgart/Leipzig 1910.

Bd. I,

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

137

5.

Zu diesem Zwecke ist es notwendig, daß der deutsche Bundestag durch eine feste, starke und bleibende Zentralregierung Deutschlands erseht und daß eine deutsche Nationalversammlung einberufen werde. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen können die wirksamsten Schritte zur Erreichung dieses Zieles nur von Preußen ausgehen; es ist daher dahin zu wirken, daß Preußen die Initiative dazu übernehme.

Zu diesem Zwecke und zu kräftigerer Wahrung der deutschen Interessen nach außen sind einstweilen und bis zur definitiven Konstituierung der deutschen Zentral­ regierung die Leitung der deutschen Militärkräfte und die diplomatische Vertretung Deutschlands nach außen auf Preußen zu übertragen. 6.

Es ist Pflicht jedes deutschen Mannes, die preußische Regierung, insoweit sie ihre Bestrebungen darauf richtet, nach Kräften zu unterstützen, und wird gewiß dem deutschen Volke kein Opfer zu schwer sein, um es nicht der Unabhängigkeit, der Einheit und dem Glücke des deutschen Vaterlandes freudig zu bringen.

Ls folgen die Unterschriften von 50 Teilnehmern.

Unabhängig von der Eisenacher Besprechung hatten fast gleichzeitig — am Juli 859 — eine größere Anzahl von hannoverschen tand» tagsabgeordneten und im öffentlichen teben stehenden Nlännern sich mit der tage des deutschen Vaterlands beschäftigt und zu einer längeren Kundgebung geeinigt: II. Erklärung.

Der Krieg zwischen Österreich und Frankreich ist beendet.

Damit ist aber

eine Sicherung des öffentlichen Rechtszustandes in Europa nicht herbeigeführt. Die Konflikte in Italien, welche den Krieg zunächst zum Ausbruch brachten, find nicht gelöst, allem Anschein nach sogar vergrößert. Das bedrohende militärische Über­ gewicht Frankreichs ist durch den Krieg noch erhöht. Überall in Europa finden

wir gärende Zustände, welche neue Verwicklungen und Kriege, auch Angriffskriege gegen Deutschland in nächster Zukunft schon als möglich erscheinen lassen. Um solchen Gefahren sicher entgegentreten zu können, ist für Deutschland ein kräftiger Aufschwung des nationalen Geistes und eine rasche Entwicklung seiner politischen Kräfte dringend erforderlich. Einem solchen Aufschwünge sind aber die jetzigen Formen der Bundesverfassung offenbar hinderlich. Diese Verfassung hatte sich schon vor dem Jahre (848 und noch mehr während der Bewegungen des Jahres (848 als ganz unhaltbar erwiesen. Nach (848 als Notbehelf einseitig von den Regierungen wieder in das Leben gerufen, hat sie noch deutlicher gezeigt, daß durch sie die Interessen der Nation nicht befriedigt und feste Rechtszustände in den einzelnen deutschen Staaten nicht begründet werden können. Der soeben beendigte

138

Schulze-Delitzsch.

Krieg hat uns leider überzeugen müssen, daß auch die Bundeskriegsverfassung für ein rasches und einmütiges handeln gegen äußere Gefahren keine Gewähr darbietet. Das verlangen nach einer mehr einheitlichen Verfassung Deutschlands unter Beteiligung von Vertretern des deutschen Volks an der Leitung seiner Geschicke mußte daher immer größer werden. Nur eine größere Konzentrierung der mili­ tärischen und politischen Gewalt, verbunden mit einem deutschen Parlament, wird eine Befriedigung des politischen Geistes in Deutschland, eine reiche Entwicklung seiner inneren Kräfte, und eine kräftige Vertretung und Verteidigung seiner Interessen gegen äußere Mächte herbeiführen können. Solange das deutsche Volk an einer Reform seiner Verfassung noch nicht verzweifelt und nicht allein von einer revolutionären Erhebung Rettung vor inneren und äußeren Gefahren sucht, ist der natürlichste lveg, daß eine der beiden großen deutschen Regierungen die Reform unserer Bundesverfassung ins Leben zu führen unternimmt. (Österreich ist dazu außerstande. Seine Interessen sind keine rein deutschen, können es auch niemals werden. Daneben wird die neuerdings selbst von der Regierung als notwendige anerkannte Reform feiner inneren Zustände (i)fterreichs volle Aufmerksamkeit auf lange Jahre in Anspruch nehmen. Alle Kräfte wird es anspannen müssen, um seine zerrütteten Finanzen zu ordnen, die privatrechts- und kirchlichen Zustände zu bessern, dadurch und mit veränderten Landesverfassungen den Ausbrüchen der Utizufriedenheit zu begegnen, die fast in allen Teilen feines Reichs, namentlich in Italien, Ungarn, und manchen slawischen Provinzen an­ gehäuft ist. £}ier liegen für Österreich Aufgaben so umfangreich und schwierig, daß eine Ableitung und Zersplitterung seiner Kräfte für die ferner stehenden deutschen Zwecke die zunächst gebotene Lösung der inneren Wirren als nahezu unmöglich erscheinen läßt. Unsere Hoffnung richten wir daher auf Preußens Regierung, welche durch den im vorigen Jahre aus freiem Antriebe eingeführten Systemwechsel ihrem Volke und ganz Deutschland gezeigt hat, daß sie als ihre Aufgabe erkannt hat, ihre Interessen und die ihres Landes in Übereinstimmung zu bringen, und für einen solchen Zweck Opfer an ihrer Machtvollkommenheit sowie die Betretung neuer und schwieriger Bahnen nicht scheut. Die Ziele der preußischen Politik fallen mit denen Deutschlands im wesentlichen zusammen. Wir dürfen hoffen, daß die preußische Regierung immer mehr in der Erkenntnis wachsen wird, daß eine Trennung Preußens von Deutschland und die Verfolgung angeblich rein preußischer Großmachtszwecke nur zu Preußens Ruin führen kann. Und das deutsche Volk hat in den letzten Wochen in den meisten Teilen unseres Vaterlandes mit Ein­ mütigkeit zu erkennen gegeben, daß für die Zeiten der Gefahr und des Krieges die Vertretung unsrer Interessen und die Leitung unsrer militärischen Kräfte vertrauensvoll in Preußens Hände gelegt werden solle, sobald nur klare Ziele, eine feste Leitung, und ein entschiedenes Handeln von Preußen zu erwarten ist. Die letzten Monate haben von neuem bewiesen, daß es gegenüber den mit einheitlicher Gewalt ausgerüsteten Militärstaaten, welche uns im Westen und Osten umgeben, nicht geraten ist bis auf die Stunde der Gefahr zu warten, um erst bei ansbrechendem Kampfe zu versuchen, ob gemeinsame Beschlüsse der deutschen Re­ gierungen über ein rasches und energisches Handeln zu erreichen sind, wir be-

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

139

dürfen einer Bundesverfassung, welche schon im voraus die Gewähr eines schleunigen und einmütigeri handelns bietet. Lin großer Teil von Deutschland — und wir mit ihm — hegt daher die Erwartung, daß Preußen in der Zeit der Ruhe und Vorbereitung, welche uns jetzt vielleicht nur für kurze Zeit gewährt ist, die Initiative für eine möglichst rasche Einführung einer einheitlichen und freien Bundesverfassung ergreift. Ls wird damit allerdings einer großen und schwierigen Aufgabe sich unterziehen. Ls wird dabei aber nicht vergessen, daß es mit Deutschlands Kräftigung auch sich selbst schützt. Auch die Hoffnung wird es festhalten, daß einer loyalen und kräf­ tigen Politik es endlich gelingen wird, das widerstreben und die Schwierigkeiten, welche der Ausführung entgegentreten, zu überwinden. Die deutschen Bundesregierungen werden freilich dem Ganzen Mpfer bringen müssen, wenn eine mehr konzentrierte Verfassung in Deutschland eingeführt werden soll. Schwerlich werden sie aber angesichts der bevorstehenden europäischen Krisen sich lange der Überzeugung verschließen, daß für die Interessen des Vaterlandes nicht allein sondern auch für ihre eigenen eine einheitlichere Gewalt in Deutsch­ land eine Notwendigkeit ist. Umgeben von autokratisch regierten, stark zentrali­ sierten Militärstaaten können in Mitteleuropa nur straffer organisierte Völker und Staaten ihre Unabhängigkeit und Existenz auf die Dauer retten. Und besser ist es doch, einen Teil seiner Regierungsbefugnisse auf eine deutsche Bundesgewalt zu übertragen, als sie ganz an Frankreich oder Rußland zu verlieren. Groß sind die Gefahren für Europa und Deutschland. Nur rasche Lntschlüffe können k^ilfe bringen. Möge daher Preußen nicht länger zögern, möge es offen an den patriotischen Sinn der Regierungen und den nationalen Geist des Volkes sich wenden, und schon in nächster Zeit Schritte tun, welche die Einberufung eines deutschen Parlaments und die mehr einheitliche Organisation der militärischen und politischen Kräfte Deutschlands herbeiführen, ehe neue Kämpfe in Europa ausbrechen und ein unvorbereitetes und zersplittertes Deutschland mit schweren Gefahren bedrohen. Der patriotische Sinn des deutschen Volks wird die preußische Regierung auf diesem Wege unterstützen, politische Meinungen und Parteizwecke werden sich dem praktischen Bedürfnisse des Augenblicks und dem Wohle des Ganzen unter­ ordnen. Auch die Regierungen, hoffen wir, werden sich der auf eine friedliche Reform gerichteten nationalen Bewegung nicht entziehen, welche das deutsche Volk zu den größten Opfern bereit sindet, um endlich eine Gesamtverfassung des Vater­ landes zu erreichen, die nach innen das Recht und die freie Entwicklung der einzelnen und nach außen die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Nation sichert. Hannover, 19- Juli |859.

Ls folgen 35 Namen, darunter Nudolf von Bennigsen aus Bennigsen, Noemer aus Hildesheim, Veber aus Stade, August tammers aus Han­

nover, I. Nliquel aus Göttingen, W. Albrecht aus Hannover. Teilnehmer beider Versammlungen vereinigten sich nunmehr am August |859 in Eisenach, um sich als gemeinschaftlichen Ausschuß

einer aus den verschiedenen Fraktionen der liberalen Parteien zu bildenden Deutschen Nationalpartei zu konstituieren und alle „hierzu geneigten und

140

Lchulze-Delitzsch.

geeigneten Patrioten Nord- und Süddeutschlands" zu einer erneuten Zuammenkunft auf Mitte September nach Frankfurt a. M. einzuladen.

III. Erklärung.

Die augenblicklichen gefährlichen Zustände Europas und Deutschlands und das Bedürfnis, politische Parteiforderungen der großen gemeinsamen Aufgabe der deutschen Einigung unterzuordnen, haben eine Reihe Männer, welche teils der demokratischen, teils der konstitutionellen Partei angehören, aus verschiedenen deutschen Ländern zusammengeführt, um sich über die Herbeiführung einer einheit­ lichen deutschen Verfassung und die zur Erreichung eines solchen Zieles erforder­ liche gemeinschaftliche Tätigkeit zu verständigen. Dieselben haben in Anschluß an die Eisenacher Erklärung vom ^7. und die hannoversche Erklärung vom t9. Juli d. J. über folgende Punkte sich vereinigt:

Wir erblicken in der gegenwärtigen politischen Weltlage große Gefahren für die Unabhängigkeit unseres deutschen Vaterlandes, welche durch den zwischen Öster­ reich und Frankreich abgeschlossenen Frieden eher vermehrt als vermindert worden sind.

Diese Gefahren haben ihren letzten Grund in der fehlerhaften Gesamt­ verfassung Deutschlands, und sie können nur durch eine schleunige Änderung dieser Verfassung beseitigt werden.

Zu diesem Zwecke ist es notwendig, daß der Deutsche Bundestag durch eine feste, starke und bleibende Zentralregierung Deutschlands erseht und daß eine deutsche Nationalversammlung tinterufen werde.

Unter den gegenwärtigen Verhältnissen können die wirksamsten Schritte zur Erreichung dieses Zieles nur von Preußen ausgehen; es ist daher dahin zu wirken, daß Preußen die Initiative dazu übernehme. 5.

Sollte Deutschland in der nächsten Zeit von außen wieder unmittelbar bedroht werden, so ist bis zur definitiven Konstituierung der deutschen Zentralregierung die Leitung der deutschen Militärkräfte und die diplomatische Vertretung Deutsch­ lands nach außen auf Preußen zu übertragen. 6.

Ls ist Pflicht jedes deutschen Mannes, die preußische Regierung, insoweit ihre Bestrebungen davon ausgehen, daß die Aufgaben des preußischen Staates mit den Bedürfnissen und Aufgaben Deutschlands im wesentlichen zusammenfallen, und soweit sie ihre Tätigkeit auf die Einführung einer starken und freien Gesamt­ verfassung Deutschlands richtet, nach Kräften zu unterstützen.

Tie nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

141

von allen deutschen vaterlandsfreunden, mögen sie der demokratischen oder der konstitutionellen Partei angehören, erwarten wir, daß sie die nationale Unab­ hängigkeit und Einheit höher stellen, als die Forderungen der Partei, und für die Erreichung einer kräftigen Verfassung Deutschlands in Eintracht und Ausdauer zusammenwirken. Eisenach, den U. August (859.

R. v. Bennigsen, Gutsbesitzer aus Han­ nover. Dr. Julius Frese aus Berlin. G. L. Schüler aus Jena. August Lammers aus Hannover. L. Jacobs aus Gotha. Feodor Streit aus Koburg, Mitglied des Roburger Landtags. Dr. I7. Gustav plitt aus Lübeck. £7. v. von Unruh aus Berlin. Dr. Habicht aus Dessau. Th. lvinter aus Leipzig. H. Hering aus Eisenach. Dr. B. Jäger aus Hirschberg a. d. Saale. Franz Duncker aus Berlin. W. Albrecht aus Hannover. (£. Breusing aus Osnabrück.

Dr. L. Brockhaus aus Leipzig. Adv. Siegel aus Dresden. Hugo Fries aus Weimar. E. Lucius aus Braunschweig. Andr. Reuß, Redakteur in Nürnberg. Dr. Fr. Zabel, Redakteur der NationalZeitung in Berlin. I. Katzenstein, Advokat in Eisenach. L. Lretzschmar, Gutsbesitzer zu Todelheirn. Dr. Taschner aus Eisenach. Aug. Ludwig von Rochau aus Heidelberg. Fr. Henneberg aus Gotha. H. Schulze aus Delitzsch. A. Metz aus Darmstadt. Dr. Müller aus Frankfurt. I. Hoffmann aus Eisfeld. Dr. Kreuznacher, Advokat in Eisenach.

Die von etwa 150 Personen besuchte Frankfurter Versammlung be­ schloß am 10. September 1859 die Begründung eines „Vereins der deutschen National-Partei" unter Annahme weniger Satzungen. IV. Statuten. Die Versammlung, aus etwa 150 Mitgliedern bestehend, hat folgendes Statut genehmigt:

§ l.

Zweck des Vereins.

Da die in Eisenach und Hannover angebahnte Bildung einer nationalen Partei in Deutschland zum Zwecke der Einigung und freiheitlichen Entwicklung des großen gemeinsamen Vaterlandes zur Tatsache geworden ist, so begründen die Unterzeichneten einen verein, welcher seinen Sitz in Frankfurt a. M. hat, und es sich zur Aufgabe setzt: für die patriotischen Zwecke dieser Partei mit allen ihm zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln zu wirken, insbesondere die geistige Arbeit zu übernehmen, Ziele und Mittel der über unser ganzes Vaterland verbreiteten Bewegung immer klarer im Volksbewußtsein hervortreten zu lassen.

Schulze-Delitzsch.

142

§ 2.

Mitgliedschaft. Oer Beitritt zu diesem Vereine wird durch Unterzeichnung des gegenwärtigen Statuts erklärt. Oie Mitglieder übernehmen die Verpflichtung, einen fortlaufenden Beitrag in die Vereinskasse zu zahlen und für die Vereinszwecke nach Kräften zu wirken. § 5.

Leitung der Vereinsangelegenheiten.

Oie Leitung seiner 2lngelegenheiten bis zur nächsten Versammlung überträgt der Verein einem aus seiner Mitte gewählten Ausschüsse von zwölf Personen, welcher die verschiedenen Funktionen unter seine Mitglieder selbst verteilt und erinächtigt wird, sich aus den Vereinsmitgliedern nach Bedürfnis zu verstärken und neue Versammlungen zu berufen. Diesem Ausschüsse steht die Befugnis zu, über die in die Vereinskasse fließenden Gelder für die Vereinszwecke zu verfügen, sowie den Sih des Vereins geeigneten* falls nach einem anderen Orte zu verlegen.

27. Brief an Gustav Freytag.') Delitzsch, 8. Oktober 1859.

Tie Sache wegen Domizilierung des Vereins ist noch nicht enl-

schieden, und es ist merkwürdig, daß ich gerade vorgestern nach Franlstn t und gestern nach Berlin an Unruh geschrieben habe mit dem Vorschläge: nach vorgängiger behutsamer Erkundigung bei den Weimarischen Behörden und Zurateziehen des Weimarischen Vereinsgesetzes nach Eisenach zu gehen.

Natürlich bezieht sich dies nicht aus Ihre Mitteilungen, solldern hat seinen Grund darin: daß die meisten nach Koburg wollen, der Herzog aber aus

vielen Gründen dies ungern sieht (wohl mit wegen Streits, dem wir dann die

Geschäftsführung übergeben müßten^) und Gotha vorschlägt,

an dessen Präzedenzien in der deutschen Sache^) sich besonders die Süd9 Am 21. August hatte Freytag noch an Herzog Ernst von Koburg-Gotha geschrieben: „Ich habe gestern von Schulze-Delitzsch und von Weimar aus die geheimen Beschlüsse der Eisenacher Versammlung und die Aufforderung zum Beitritt erhalten. Ich werde noch nicht beitreten, denn das Komitee bietet in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung noch nicht die Garantie, daß sie nicht mit meinem Namen Verkehrtes machen." 2) Rechtsanwalt F. Streit, 1848 einer der Führer der thüringischen Demo­ kraten, der sich, wie es scheint, durch seine publizistische Tätigkeit die Abneigung des Herzogs Ernst zugezogen hatte. 3) Die erbkaiserliche Partei der Frankfurter Nationalversammlung hatte nach Ablehnung der Kaiserkrone durch König Friedrich Wilhelm im Juni 1849

deutschen stoßen. Da steht denn nun die Angelegenheit so: daß ich auf eine persönliche Konferenz des Ausschusses dringe, wo nicht nur diese Frage, sondern auch die Art unserer ganzen Wirksamkeit und weiteren Vorgehens definitiv festgestellt wird. Freilich muß ich dann Bundes­

genossen haben, um nicht überstimmt zu werden, und nun käme es darauf an, wie weit Sie mir gestatten, von den höchst wichtigen Notizen Ihres

Briefes *) Gebrauch zu machen. Ganz sicher auf Mitwirkung bin ich Unruhs, Bennigsens, E. Mayers-) in Leipzig und doch wohl auch Veits^) in Berlin. Wenn Sie mit letzterem frühere Verbindungen haben, so

wäre es sehr gut, Sie schrieben unverzüglich an ihn, vielleicht auch an G. Mayer, damit uns nicht eine schriftliche Abstimmung der Ausschuß­ mitglieder bindet und zuvorkommt. Unruh und Bennigsen sind sichere Ehrenmänner, dennoch erfahren sie von mir feine Silbe ohne Ihre aus­ drückliche Gestattung. Die Angelegenheit ist eine so zarte bei Ihrer Stellung zum Herzog, daß ich Ihr Vertrauen ganz zu ehren weiß und tsic sich auf meine unbedingte Diskretion verlassen dürfen. Doch kann ich Ihnen nicht verhehlen, daß schon einige entferntere Winke in der an­ gedeuteten Richtung sehr wirksam sein würden. Der Herzog hat nämlich bei unserer Zusammenkunft auf uns alle ausgesprochenermaßen den Ein­ druck gemacht, daß die erklärte preußische Hegemonie nicht recht nach seinem Geschmacke sei und er selber am liebsten an der Spitze stünde. Er hob die Tatlosigkeit und Unentschlossenheit des preußischen Kabinetts sehr schroff hervor und fand sich erst zuletzt etwas in die Sache, als er sah, daß wir davon eben nicht abzubringen seien. Überhaupt ist er mit uns, namentlich mit mir, sicher nicht recht zufrieden gewesen, da wir ihm

doch etwas zu selbständig entgegentraten. Er wollte eine geheime Ver­ bindung, aber wir blieben dabei, daß dies untunlich fei,4* )2 und 3 da komme sich in einer Versammlung in Gotha für Unterstützung der preußischen Unions­ politik ausgesprochen und sowohl durch Preisgabe des alten Standpunktes, wonach Preußen die Reichsverfassung der Paulskirche einfach anzunehmen habe, als durch ihr Bekenntnis zur kleindeutschen Organisation unter Preußen die Abneigung der Süddeutschen hervorgerufen. *) Der Brief hat sich nicht erhalten. 2) Verlagsbuchhändler in Leipzig, gleich den sonst genannten ^Personen Vorstandsmitglied des Nationalvereins. 3) Verlagsbuchhändler in Berlin, 1848 Mitglied der sog. Kasino-Partei im Frankfurter Parlament. 4) Vgl. zum Vorstehenden: Erinnerungen aus dem Leben von Hans Viktor v. Unruh, herausgegeben von Poschinger. S. 210f. Ferner die Erinnerungen Ernst II. 2, 534f.

Schulze-Delitzsch.

144

ich auf Ihren Einwurf, um die von uns ausgewählte Form der Ver­

bindung zu rechtfertigen, die in keiner Weise gegen das Vereinsgesetz dieser Hinsicht nun einmal

verstößt, sondern wie die Gesetzgebung in

liegt, die einzig mögliche war. Daß eine feste Bindung der Mitglieder mit Kassenbeiträgen irgendwie

ermöglicht werden mußte und man durchaus nicht beim Unterschreiben loser Proklamationen stehen bleiben konnte, wenn sich eine praktische,

dauernde Wirksamkeit entwickeln sollte, darin sind wir wohl einig, indem Dennoch war ein Geheimbnnd

Sie ja mehr die gewählte Form angreifen.

in keiner Hinsicht angemessen und die offene Vereinsform gar nicht zu

unigehen.

Zunächst hätten die feindlichen Regierungen bei einer so großen

Verbindung, namentlich bei den Geldsammlungen, bald Wind von der

Sache bekommen, und dann lag wirklich eine ?lrt Konspiration, etwas

entschieden Ungesetzliches vor, was den Verfolgungen einen begründeten Anhalt bot, und die uns etwa begünstigenden Regierungen in die übelste Lage brachte.

Und sodann liegt gewiß in dem offenen Vorgehen ein

äußerst bedeutendes Moment für uns.

Einmal das Gefühl der Berech­

tigung, des Vertranens auf unsere Sache.

Die Zumutung konnte endlich

dem Volke nicht länger erspart werden, daß es soviel moralische Kraft zeige, sich, trotz aller Mißliebigkeit, seines gesetzlichen Rechts innerhalb der gesetzlichen Schranken zu bedienen.

Denn natürlich muß unser Auf­

treten ein durchaus gesetzliches sein und ist es bisher auch gewesen. Das

ganze Mißverständnis, welches sich selbst von wohlwollender Seite an die Frankfurter Begegnisse knüpft, ist nur durch Unkenntnis des eigent­

lichen

Sachverhalts

und

des

Frankfurter

Dieses letztere verbietet nämlich keineswegs

Vereinsgesetzes

entstanden.

politische Vereine

sondern

macht ihre Existenz nur von der Konzession der Behörde abhängig, im Gegensatz zu dem preußischen und sächsischen, welche bloß die Einreichung

der Statuten und Mitgliederverzeichnisse, aber keine Konzession erfordert. Ich habe diesen Stand der Gesetzgebung in Frankfurt als Berichterstatter über das Vereinsgesetz ausdrücklich dargelegt, und ist deshalb vom Aus­ schuß am Tage nach der Versammlung unverzüglich Statut und Mit­

gliederverzeichnis nebst dem Gesuche um Genehmigung bei der Behörde eingereicht, also die Legalität unseres Vorgehens gewissenhaft gewahrt worden.

Wir sind daher nicht wegen Illegalität unseres Vorhabens in

Frankfurt exiliert — dann hätte man uns ja bestrafen müssen — son­

dern man hat dem Verein die auf legalem Wege nachgesuchte gesetzlich

notwendige Konzession verweigert, wobei also beide Teile, Verein und Behörde, ganz und gar innerhalb ihrer formalen Rechtsbefugnisse sich

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

bewegten.

145

Nun, der Verein ist eine Probe nach oben wie nach unten.

Unser Volk muß sich an solche Agitationen in vollster Offenheit und

Gesetzlichkeit gewöhnen,

namentlich auch Mittel zusammenbringen, ohne

welche die nachhaltige Verfolgung solcher Ziele unmöglich ist.

Keine

Revolution, aber eine Kasse! — Aus dem gelegten Keime wird entweder etwas Bedeutendes, oder gar nichts: ein Mittelding gibt's für mich nicht,

und ich wünschte nur in der Lage

zu sein, der Bewegung meine volle

Zeit und Kraft zu widmen. — Lassen Sie recht bald zwei Worte von

sich hören!

28. Brief an Gustav Freytag. Delitzsch, 18. Oktober 1859. Gestern

nacht

von Eisenach zurückgekehrt,

lieben Brief vom 13. d. M.,

der

beantworte ich Ihren

erst nach meiner Abreise eingelanfen;

doch erfuhr ich schou in Leipzig von Mayer, daß ich Sie in Gotha nicht sehen könne.

Dagegen fand ich Veit dort und war mit ihm bei Mathy?)

Die Domizilierung des Deutschen Nationalvereins hat die Wendung

genommen,

daß

man ziemlich einstimmig Koburg dafür

wählte.

Das

Gefühl, daß man jede Llbhängigkeit und Verwicklung in Beziehung auf

den Herzog vermeiden müsse, war allgemein, und der allgemeine Wunsch sprach für Weimar oder Eisenach.

Allein leider hatten wir hier wieder

das Vereinsgesetz gegen uns, welches unsere Zulassung und Existenz voll­ ständig in das

Belieben der Administrativbehörde legte.

Nun waren

aber alle darüber einig:

a) daß wir eine zweite Schließung^) resp. Ausweisung durchaus nicht riskieren dürften;

b) daß wir so rasch als möglich in ein Definitivuin und zur Wirk­ samkeit übergehen müßten.

Deshalb ging man auf meinen Vorschlag, bei der weimarischen Regierung vorerst ans vertraulichem Wege Erkundigung über ihre Stellung zum

’) Karl Mathy, 1847 Mitgründer der Deutschen Zeitung, die für die nationale Einheit auf konstitutioneller Grundlage kämpfte, 1848 llnterstaatssekretär im Reichsfinanzministerium der Paulskirche, 1849 während weniger Tage badischer Finanzminister, 1859 Direktor der Leipziger Kreditanstalt, 1862 vom Großherzog Friedrich in den badischen Staatsdienst als Finanz- und Handels­ minister zurückberufen. 2) Nach der Weigerung des Frankfurter Senats, bctr. der Domizilierung des Vereins in Frankfurt a. M. Tchulze-Dclitzsch, Schriften und Reden.

III.

146

Schulze-Delitzsch.

So blieben nur Gotha oder Koburg (nach

Verein einzuziehen, nicht ein.

Preußen wollte man für jetzt entschieden nicht), und die Wahl des letzteren

Ortes ging durch, nicht bloß wegen der entschiedenen Abneigung der Süddeutschen gegen Gotha, sondern besonders auch deshalb, weil man in Koburg weniger wie in Gotha in Berührung mit dem Herzoge zu

kommen

meinte,

dessen

Beeinflussung

man

entschieden abweist.

Die

v. Seebachsche') Antwort^) auf die Rechbergsche Note^) hat den Enthusiasmus

für den Herzog und die Erwartungen seines Eintritts für die deutsche

Sache mehr abgekühlt, als man nach dem Inhalt des allerdings kläglichen

Schriftstücks glauben sollte.

Viele sehen darin eine Desavouierung der

Gothaer Adresse und ein vollständiges Aufgeben der früheren Position, worin man dem Herrn doch wohl unrecht tut.

Mit der Wahl Koburgs wurde die Kooptation Streits in den Alls­

schuß unvermeidlich sowie seine Ernennung zum Geschäftsführer, da er das einzige Vereinsmitglied am Orte ist.

Das war mir das Bedenklichste,

da ich Streits Gesinnung in keiner Weise mißtraue, wohl Befähigung und Energie zu diesem schwierigen Posten.

aber seiner Auf meinen

Vorschlag, den ich unseren Thüringer Freunden gegenüber sehr entschieden durchfechten mußte, wurde daher die in Frankfurt angenommene Geschäfts­

ordnung abgeändert, und ein engeres geschäftsleitendes Komitee aus

a) v. Bennigsen, Vorsitzendem, b) Fries, Beisitzer,

c) Streit, Geschäftsführer, gebildet,

welches mindestens allmonatlich in Koburg zusammentritt, er­

forderlichenfalls noch

Verfügung stellte.

öfter, da v. Bennigsen uns seine Zeit ganz zur

Streit als Träger des Ganzen, das ging ja gar nicht,

wir brauchen einen Namen und eine anerkannte Kapazität, wie v. Bennigsen, von dessen großem Takt und klarer Anschauung ich in Frankfurt besonders

den Süddeutschen gegenüber die genügendsten Beweise erlebt habe.

Da

nun alle 2—3 Monate auch noch der ganze Ausschuß zusammentritt, auch außer der Zeit schriftlich stimmt, so wird es hoffentlich gehen,

da

Streit für sich nichts Entscheidendes vornehmen kann und nur Korre­ spondenz und Kastenwesen in Ordnung zu halten hat.

Wir haben alle

Schriftstücke zum Druck, Instruktionen usw. fertig entworfen, und die Sache tritt nun entschiedener vor das Publikum.

Geht es mit Streit

*) Koburgischer Staatsminister. 2) Vom 14. September 1859. ’) Die österreichische Regierung hatte sich in sehr starken Ausdrücken über die Sympathien des Herzogs Ernst für den Nationalverein beschwert.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

147

nicht, so habe ich für den Notfall Bennigsen versprochen, selbst für einige Zeit nach Koburg zu gehen und alles für das Erste mit zu organisieren

und in Gang zu bringen. Wir haben genug Mittel, um die erforderlichen Kräfte zu honorieren, denn ohne das wäre z. B. ich nicht imstande, für die Dauer meine Zeit zur Verfügung zu stellen. So hat unter anderen ein Industrieller in Hannovers gleich zum voraus uns 1500 Taler zur Verfügung gestellt, und sind Offerten aller Art eingegangen. — Über die ganze Wirksamkeit des Vereins mündlich in Leipzig das Nähere. In bezug auf mich so viel, daß ich jeden Wunsch einer vorüber­ gehenden Beschäftigung in Gotha (davon könnte höchstens die Rede sein) aufgegeben habe, wiewohl von einem Eintritt in das öffentliche Leben bei uns vorderhand ja auch nicht die Rede sein kann. Meine Absichten mündlich!

29. Brief an Rudolf von Bennigsen. Delitzsch, den 1. November 1859.

Da ich der Post nicht traue, erhältst Du diese Sendung durch Albrecht") über Leipzig. Zunächst teile ich Dir den Brief unsers Dichters G. Freytag, der dem Verein wie immer seine tätigste Teilnahme bezeugt, im Auszuge mit: „Es ist in dem Anträge der Mittelstaaten3*)2 der Verein un­ zweideutig als gemeinschädlich bezeichnet worden, und es ist zu­ verlässige Nachricht eingegangen, daß demnächst beim Bund be­ stimmter Antrag deshalb gestellt werden soll: Sachsen-Koburg-

Gotha zur Ausweisung des Vereins zu zwingen. Nach dem Bundesbeschluß vom 13. Juli 54, der im Herzogtum nicht publi­ ziert ist, weil er überhaupt nicht für die Staatsbürger sondern für die Regierungen Normen aufstellte, ist die Zulässigkeit des Vereins zweifelhaft.

Natürlich wird Koburg, hoffentlich von der

*) Der Fabrikant Georg Egestorff in Hannover hatte Bennigsen im ge­ heimen diese Summe zur Verfügung gestellt, da er, in seinen Betrieben von der Hannoverschen Regierung abhängig, bei einem öffentlichen Beitritt zum Verein seinen Ruin befürchten müsse. Vergl. Oncken 1, 469. 2) Gemeint ist, wie es scheint, Advokat A. aus Hannover, Mitglied des Nationalvereins. 3) In den Akten des Bundestags, die in der Frankfurter Stadtbibliothek oufbewahrt werden, ist dieser Antrag nicht enthalten.

Schulze-Delitzsch.

148

preußischen Minorität beim Bundestage unterstützt, die Anwend­

barkeit des Gesetzes

auf den Verein bestreiten und

gezogenen polizeilichen

Erkundigungen

nach ein­

besten Bericht erstatten.

Aber ebenso sicher ist, daß die Majorität sich dabei nicht beruhigen

sondern die Sache weiter treiben wird. die Verhandlungen etwa

das Finale

kommen,

Es wird möglich sein,

x/z Jahr hinzuziehen, dann aber wird

der Bund wird Koburg bei

Strafe

der

Exekution aufgeben, den Verein aufzulvsen. Dem Vernehmen nach ist Herr von Seebach entschlossen, es bis zu diesem Äußersten

kommen zu lassen, und seine Festigkeit wird auch den Herzog fest­ halten.

Dann aber wird doch eintreten, was ich in der Stille

gefürchtet habe, der Verein wird darauf verzichten müssen, eine formal anerkannte Existenz fortzusetzen, oder sich nach Preußen

zurückzieheu müssen."

Ich überlasse Dir,

von diesen Notizen im Vorstande und Aus­

schuß beliebigen Gebrauch zu machen, sie sind aus bester Quelle, welche

jedoch nicht genannt zu werden wünscht.

Für jetzt können sie uns meines

Erachtens nur antreiben, so rasch als möglich mit der Organisation der

Vereinstätigkeit vorzugehen, damit, wenn jener Zeitpunkt eintritt, lvir bereits

etwas geschaffen

haben und die Sache im Gange ist.

Verlauf der Dinge dann wirklich so,

Ist der

wie sie Freytag andeutet, so ist

dies nicht einmal ungünstig für unsere Sache; besonders kann, wenn uns

Preußen wirklich ein ultimum refugium anbietet, dies die Verständigung mit dem Süden in manchen Punkten erleichtern. Übrigens haben wir ja alle Ähnliches und Schlimmeres erwartet,

und der stillere Verband

unter den Vereinsgenossen, den der Brief als letztes Mittel in Aussicht nimmt, bleibt uns um so sicherer, je weiter wir in der Vereinssache ge­

diehen sind.

Das einzige mögen wir wiederholt aus jenen Nachrichten

entnehmen: wie außerordentlich not uns die strengste Legalität tut, und

hier habe ich, wie ich sicher glaube, im Sinne des Ausschusses einem für uns bedenklichen Vorgehen in Gotha mit der sogenannten „Deutschen Gesellschaft" dort, welche unsere Vereinsgenossen, der wackere Henneberg*)

und andere, gegründet haben und worin sie eben die Frage der deutschen Einigung ventilieren, vorzubeugen gesucht, und den Herren dringend deren

Auflösung ans Herz gelegt.

Man wird darin jedenfalls einen Zweig­

verein von dem „Deutschen Nationalverein" finden, und wenn so etwas

*) Dr. F. Henneberg, Rechtsanwalt in Gotha, 1848 Mitglied des Gothaischen Landtages.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

149

auch gerade in den gothaischen Gesetzen nicht verboten ist, doch gegen uns

benutzen, weil infolge der Bundesbeschlüsse alles Kooperieren politischer Vereine verboten

ist.

Wenn

also der „Deutsche Nationalverein" mit

einem Vereine irgendwo, in Amerika, der Schweiz, in Verbindung wäre, wo diese Kooperation erlaubt ist, so würde man doch in Preußen, Sachsen usw. die Teilnahme an dem „Deutschen Nationalverein" verbieten können,

weil derselbe schon durch eine solche Verbindung an sich, gleichviel in welchem Lande, gegen das hierorts gelteiide Vereinsgesetz verstößt. Henne­

berg schreibt mir, daß er alles tun will, daß die Auflösung vor sich geht

und in der Presse bekanntgemacht wird, ebenso wie dies mit der Kon­ stituierung

der Gesellschaft der

ssall

gewesen

ist.

Unsere

Mitglieder

dürfen wirklich durchaus nicht an irgendeinem zweiten Vereine oder Ge­ sellschaft, der denselben Gegenstand verfolgt, teilnehmen, sonst bringen sie

uns in eine mißliche Stellung, und die Gegner erhalten Angriffspunkte,

die sie, mit oder ohne Grund, gegen uns benutzen.

Teilst Du diese An­

sichten, so wäre es wohl zweckmäßig, Streit davon in Kenntnis zu setzeu, damit wir uns im Bescheid auf desfallsige Anfragen gleichbleiben.

ist übrigens Streit sehr eifrig,

ich von hier beurteilen kann,

Soviel und die

Sache wird gehen....

Nun aber zu einem Hauptgegenstand meines Schreibens. nämlich

Es herrscht

im Publikum überall noch eine große Unklarheit über Mittel

und Zwecke

unseres Vereins;

die Leute wissen so wenig,

wie sie sich

dessen Wirksamkeit denken sollen, und überall tritt einem die Frage ent­

gegen, wie wir denn eigentlich zu operieren gedächten.

In unserm Auf­

rufe konnten wir uns auf Erläuterungen darüber nicht einlassen und mußten dieselben der Presse überlassen, die übrigens bisher noch nichts

getan hat und vielleicht nicht einmal ganz in unserm Sinne die Sache löste, geben wir ihr nicht das Erforderliche an die Hand.

Gewiß ist

das eine Frage für die nächste Ausschußsitzung, wo wir ja ohnehin unsere regelmäßige Einwirkung auf die Presse förmlich — doch wohl in einem besonderen Preßkomitee — organisieren müssen.

Allein, da es sich jetzt

eben um die Zeichnung der Statuten handelt, so ist dazu nun nicht wohl Zeit, wollen wir nicht auf eine Menge von Mitgliedern verzichten, denen

später schwer beizukommen ist, wenn der erste Anlauf vorüber ist.

Diese

Rücksicht überwindet bei mir noch ein anderes Bedenken: daß es nämlich nicht rötlich ist, unsern Kriegsplan gewissermaßen vor Freund und Feind

weit

offen darzulegen.

So

gehen,

bei einer

und

muß

in

die Details dars man natürlich nicht

derartigen Eröffnung die größte Vorsicht

beobachtet werden, das versteht sich von selbst.

Aber wie wir uns die

Schulze-Delitzsch.

150

Vereinswirksamkeit denken, dies in allgemeinen Zügen so darstellen, daß

es jeder Vernünftige versteht, das halte ich, wie gesagt, unerläßlich.

Ich

habe sofort Hand ans Werk gelegt und lasse vier kleine Aufsätze hierbei folgen, die in der „Trierschen Zeitung" veröffentlicht werden sollen/) indem gerade in dortiger Gegend recht viel zu tun bleibt.

Sie handeln über:

1. Die Gegner der nationalen Bewegung und das deutsche Volk; 2. Was

durch den Verein schon jetzt gewonnen ist; 3. Die Bedeutung und Macht einer gesetzlichen Agitation; 4. Die praktischen Mittel und Selbsttätigkeit Sieh sie Dir doch einmal an; habt Ihr nichts Besseres,

des Volkes dabei. so

habe ich mir ihre Benutzung für den Ausschuß Vorbehalten.

können

sie für

Wir

die Mitglieder besonders drucken lassen und versenden

oder sie sonst — es fragt sich ob im Namen des Ausschusses — in der

Tagespresse veröffentlichen.

Sind es diese nicht (die sich übrigens um­

arbeiten und durch Behandlung noch einiger Praktischer Themata, z. B. über die durch den Verein erreichte Einigung, über die Stellring Öster­

reichs zur Frage usw. ersetzen lassen), so muß jedenfalls etwas anderes

geschaffen werden, deshalb Prüfe und kritisiere scharf, die Sache ist wichtig. Alles erwogen, halte ich es für durchaus geboten,

daß sobald als

möglich eine vollständige Ausschußsitzung anberaumt wird, wo über die

Preßfrage und die Kooptationen definitiv zu entscheiden ist. kann aber dieselbe

des Gegenstandes

In Koburg

halber nicht stattfinden, vielmehr

scheint mir Berlin zu diesem Zwecke unbedingt geboten, da wir dazu des Beirats Sachverständiger, wie Journalisten, Buchhändler, nicht entbehren

können.

Ich würde dafür sein, die Sitzung etwa Mitte November an­

zuberaumen. Freilich kommen die Kammern in Berlin erst Ende November

dort zusammen, allein nach meiner Ansicht drängen unsere Angelegen­

heiten so, daß wir nicht solange warten können.

Sind einmal diese

Punkte erledigt, so werden für die Folge Plenarsitzungen des Ausschusses

weit seltener zu berufen fein.

30. Brief an Rudolf von Bennigsen. Delitzsch, den 13. November 1859.

Ein Brief von Streit, der heute

morgen

bei mir

eingeht,

auf

welchen die Antwort also leider Euch in Koburg nicht mehr zusammen­

findet, veranlaßt mich zu schleuniger Mitteilung an Dich, da ich so viel >) Die Aufsätze sind nicht mehr aufzufinden.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

151

daraus entnehme, daß Streit wenigstens die nächste Ausschußsitzung in Süddeutschland wünscht, womöglich in Stuttgart.

Ich halte aber dies

für eine falsche und geradezu verhängnisvolle Maßregel.

Hier meine

Gründe: Wie dringend es ist, die Preßwirksamkeit zu organisieren und über­

haupt nur erst eine Tätigkeit zu entwickeln, darüber habe ich mich aus­ gesprochen und verliere kein Wort.

Diese Organisation können wir aber

nur in Berlin bewerkstelligen, nicht in Stuttgart.

Ferner ist es dringend

geboten, gerade die Hitze unserer Freunde in Berlin zu mäßigen, was wir nur durch persönliche Einwirkung vermögen.

Denn Artikel, wie einer

neulich in der „Volkszeitung" über unsern Erlaß an die Schwaben/) machen natürlich in Süddeutschland böses Blut und müssen künftig ver­

mieden werden.

Endlich aber kommt cs sehr darauf an, eine Mißstimmung, die sich in bedenklicher Weise unter unsern Freunden in Preußen und Sachsen

erhebt: „daß wir den Süddeutschen doch zu viel nachgäben", nicht weiter aufkommen zu lassen.

Denn verlieren wir an Terrain bei uns, so ge­

fährden wir die Sache in der Hauptlebensbedingung, da wir uns wohl kaum verhehlen können, daß der deutsche Norden der Kern der Bewegung ist, der wahrscheinlich am meisten dafür wird einstehen müssen.

Wirklich,

wir dürfen hier auch nicht zurückgehen, und immer und immer nur Süd­

deutschland im Auge haben.

Eine Sitzung in Berlin ist bei der Lage

der Dinge dringend geboten und tvird auf den ganzen Norden und auf unsere Hauptpreßorgane höchst günstig wirken, ohne daß man im Süden etwas dagegen haben kann, da es nach mehrfachen! Tagen in jenen Ge­

genden das erstemal ist, daß wir bei uns zusammenkommen; wobei auch

noch in Anschlag kommt, daß die Berührnng unserer süddeutschen Mit­ glieder mit den Berliner Notabilitäten gewiß zur Annäherung beiträgt.

Wir Preußen sind bisher stets gern und bereitwilligst vor den Wünschen unserer Brüder in Süd und West zurückgetreten, weil das Interesse der Sache es forderte.

Diesmal spricht aber das Interesse der Sache für

ein Tagen bei uns, und geradezu ausschließen soll man doch auch unser engeres Vaterland nicht wollen, um so weniger, als es vielleicht bald

die einzige Zufluchtsstätte des Vereins sein wird.

*) Eine Anzahl württembergischer Patrioten hatte in einem ausführlichen Schreiben ihren Beitritt zum Nationalverein abgelehnt, da dessen Ziele zu dem Ausschluß Österreichs aus Deutschland führen müßten. Der Ausschuß hatte in seiner Antwort vom 17. Oktober widersprochen, daß dieser Ausschluß be­ absichtigt sei.

Schulze-Delitzsch.

152

So das Räsonnement unserer hiesigen Freunde.

Wie ich darüber

denke, und daß ich zu allem möglichen bereit bin, was uns zur Einigung Aber freilich, bloß deshalb nicht nach Berlin wollen,

führt, weißt Du.

weil es in Preußen liegt, wenn wir in Berlin für unsere gegenwärtige

Aufgabe die beste Forderung finden, dagegen bin ich auch.

Zudem schließt

nach meiner Ansicht die jetzige Zusammenkunft des Ausschusses in Berlin

durchaus nicht eine demnächstige in Stuttgart oder sonstwo in jenen

Gegenden aus.

Ja, ich meine im vollen Ernste, die letztere wird viel

wirksamer sein, wenn wir ihr erst in Berlin Vorarbeiten! Es kommt gewiß recht sehr darauf an, daß wir den Schwaben mit etwas Fertigem, vollständig im Gange Befindlichen entgegentreten, um

sie zu uns herüberzuziehen.

Deshalb muß die Preßfrage schon geregelt,

Mit ihrer

die Kooptationen schon erfolgt sein, ehe wir hinausgehen.

Zuziehung erst noch organisieren, ihnen unsere Sache als unfertig zeigen, wäre in meinen Augen ganz verfehlt.

Auch werden

sich

sicher

eine

größere Anzahl von Ausschußmitgliedern mit hinausbegeben, wenn wir

unsere Reihen durch die Kooptationen erst verstärkt haben.

Jetzt würden

von den Norddeutschen die meisten fehlen, z. B. mir selber die lange

Reise unmöglich sein.

Erwäge dies alles mit Fries und Streit ja genau,

ehe Ihr die Ausschußsitzung ausschreibt.

Es siud wichtige Momente.

Ich hätte sie gern persönlich in Koburg geltend gemacht, allein die Ar­ beiten um meine Subsistenz fesseln mich, da ich im Sommer und Herbst soviel versäumt habe, gebieterisch an die Heimat.

Ich kann bis Weih­

nachten absolut nicht fort, und zwei bis drei Tage in Berlin und Gotha eventuell ist das einzige, was sich allenfalls ermöglichen läßt.

31. Erstes Flugblatt des Deutschen Nationalvereins.') Dezember 1859. (Verfaßt von Lchulze und genehmigt in der Ausschußsitzung des Vereins am 12. Dezember 1859.)

Als den festen Niederschlag jener alles überflutenden Bewegung, mit welcher das deutsche Volk im Sommer dieses Jahres auf die französischen

Anmaßungen,

die

Gefährdung

seiner Grenzen

Deutsche Nationalverein seine geflügelten Boten

gemeinsamen Vaterlandes,

antwortete, sendet der

an

alle Stämme des

welche ohne Unterschied zu umfassen

J) Druck der Engelhard-Reyherschen Hofbuchdruckerei in Gotha.

er be-

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

153

stimmt ist. Der Aufregung jener Tage folgt ein ruhiges besonnenes Zusammenfassen der Begeisterung für die höchsten nationalen Ideen, die Sorge für die praktischen Mittel und Wege zu deren Verwirklichung. Es gilt nicht mehr bloß, Proklamationen zu unterzeichnen, Gesinnungen auszusprechen, sondern sich den vereinten Bemühungen Gleichgesinnter einzureihen, sich zu dauernden Mühen und Opfern zn verpflichten. So gewinnt die Bewegung den eigentlichen Kern und Halt erst in der festen Bindung eines Vereins, der, mit dem Schild der Gesetzlichkeit an der Stirn, sich offen zur Verfolgung eines erlaubten, ja eines heilig ge­ botenen Zieles mit erlaubten Mitteln bekennt. Gestützt auf die Zu­

stimmung namhafter Baterlandsfreunde aus allen Teilen Deutschlands, fühlt sich daher der Verein gedrungen, indem gegenwärtig die Mittel zu öffentlicher Wirksamkeit vollständig beschafft sind, beim Beginn seiner Tätigkeit sich über Art und Geist derselben seinen Mitgliedern wie dem ganzen Volke gegenüber zunächst im allgemeinen auszusprechen, während die einzelnen wichtigen Fragen hierbei einer besonderen eingehenden Erörterung Vorbehalten bleiben. Zuerst ist zu gedenken, welch reiche Frucht schon die Bestrebungen bei Gründung des Vereins getragen haben, noch ehe derselbe einmal recht in das Leben trat. In wenigen Monaten wurde erreicht, woran im Laufe des verflossenen Jahrzehnts nicht gedacht werden konnte: die Ver­ einigung der liberalen Parteien, das Zusammengehen von Konstitutionellen und Demokraten aus den verschiedensten deutschen Einzelstaaten durch

Konstituierung einer Nationalpartei. Im langjährigen Parteihader ver­ bissen, mit Verdächtigungen und Anfeindungen jeder Art sich verfolgend,

hatten sie durch ihre Zwietracht allein der Reaktion jenen Sieg möglich gemacht, der unser Vaterland solange in schmählicher Erniedrigung fest­ hielt. So furchtbar nahe hat sich allen in der letzten Vergangenheit wieder einmal die Schutzlosigkeit unserer Grenzen nach außen, der Mangel aller Garantien unseres öffentlichen Rechtszustandes im Innern auf­

gedrängt, daß vor dem mächtig aufflammenden Nationalgefühl vorerst alle andern Rücksichten zurücktreten mußten. Erst das Joch der Fremd­ herrschaft von Deutschland abwehren, den Übermut des Landesfeindes dämpfen, erst die Unabhängigkeit unseres Vaterlandes, die Beteiligung

des Volkes in den Fragen seiner nationalen Existenz feststellen, ehe an den Ausbau der inneren Zustände im einzelnen gedacht werden kann: eine deutsche Zentralgewalt also vor allem mit einer Volksvertretung an der Seite — dies der allgemeine Notruf, die gebieterische Forderung der Volksstimme. Und dagegen konnte keine politische Partei eine engherzige

Schulze-Delitzsch.

154

Sonderstellung behaupten, ohne sich selbst zu richten, ohne die Anerkennung

ihrer Berechtigung im Staatsleben vor dem Nichterstuhl der öffentlichen Meinung für immer zu verlieren.

bot

Durchdrungen von dieser Notwendigkeit

zuerst eine Anzahl bekannter Mitglieder der bis dahin getrennten

liberalen Parteien sich die Hände, und ihrem Aufruf in den Eisenacher, hannöverschen, nassauischen/) Württembergischen Erklärungen') entsprach

die allgemeinste Beteiligung bis an die äußersten Grenzen des Gesamt-

Vaterlandes.

Und

war

es

von

Haus

aus

nur

auch

die Idee der

Nationaleinheit, welche jene Männer zusammenführte, so hat diese erste

entgegenkommende Berührung doch eine viel weitergehende Verständigung angebahnt.

Man ist sich persönlich

nähergetreten und es konnte nicht

fehlen, daß bei Erörterung der großen vaterländischen Fragen auch andere

wichtige Interessen unserer staatlichen Entwicklung hereingezogen wurden. Da

hat man

denn vieles

von

den

gegenseitigen Ansichten

und Be­

strebungen ganz anders gefunden, als man sich gedacht, viel weniger des

Streitigen, viel mehr des Gemeinsamen. Dank der Reaktion der letzten Jahre, auf beiden Seiten befinden sich Männer, welche für ihre Über­

zeugungstreue büßen mußten und ihre Charakterfestigkeit in Kämpfen und

Opfern aller Art zu bewähren Gelegenheit hatten, die sich die allgemeine Achtung

erworben

Demokraten,

dieselbe

Und

haben.

tvie

zwischen

erfreuliche Näherung

Konstitutionellen

zwischen

dem

Norden

und

und

Süden unseres Vaterlandes. Die gleiche warme Begeisterung für eine und dieselbe Idee, für die

Ehre und Selbständigkeit der deutschen Nation, in der sich alle begegnen; die gleiche Bereitwilligkeit, von der kleinlichen pactikularistischen Eifersucht

abzusehen; die Schonung der gegenseitigen Eigentümlichkeiten, die vollste Anerkennung der gegenseitigen Vorzüge, in deren Verschmelzung erst das echte

deutsche

Wesen in

seiner

Universalität zur Erscheinung

kommt.

Alles dies die erfreuliche Folge des persönlichen Verkehrs, welcher mehr als jeder andere Gedankenaustausch geeignet war, die zum nicht geringen

Teil mit im Gemütsleben

wurzelnden Gegensätze

unter den deutschen

Stämmen auszugleichen.

x) Die Nassauer Erklärung vvm 21. Juni 1859 verlangte die Unterstützung Österreichs durch das übrige Deutschland in dem Italienisch-Französischen Kriege und die diplomatische und militärische Führung des nicht österreichischen Deutsch­ lands vor und in dem Kriege für Preußen. 2) Die Württembergische Erklärung von Ende Juni 1859 forderte gleich­ falls die Unterstützung Österreichs, die Berufung eines deutschen Parlaments und, wenn auch verhüllt, die deutsche Einigung unter dauernder Führung Preußens.

Auf diese hochwichtige Errungenschaft gestützt, handelt es sich nun

darum, das, was uns die Ereignisse gebracht haben, zu benutzen und die Bewegung weiter ihrem eigentlichen Ziele zuzuleiten.

Der einzig mögliche

Weg dazu, wie dies schon das Vereinsstatut ausspricht, ist der der ge­

setzlichen Agitation.

sich davon, kommen uns nicht

Freilich wird man

ernste äußere Verwicklungen zu Hilfe (welche das Zusammenraffen der ganzen Nationalkraft gebieterisch erfordern), keine augenblicklichen Erfolge

versprechen

dürfen,

vielmehr

gehört

die

ausdauernde Hingebung

derartige

Versuch im

öffentlichen Leben

von

Jedenfalls ist es der erste

Jahren dazu, um zu Resultaten zu gelangen.

unseres Volkes,

weshalb

ein

näheres Eingehen darauf geboten ist. Die unerläßlichste Vorbedingung,

ohne welche

von

einer

solchen

Agitation gar nicht die Rede sein kann, ist, daß die unselige Scheu unseres

Spießbürgertums, die politische Feigheit des deutschen Philisters, die noch

immer

so

vielen

wackeren Männern

furchtsame Aufblicken nach

anklebt,

überwunden

werde,

das

oben bei jedem entschiedenen Schritt, ob bei

den Machthabern damit nicht etwa angestoßen werde. Noch klebt den Leuten viel zu viel von dieser Demoralisation der

langen Willkürherrschaft

an.

Das Gesetz,

das

wissen

sie

kann ihnen nichts anhaben, man kann sie nicht bestrafen.

recht wohl, Aber da ist

ein anderes Institut, der wahre Schlußstein des Polizeistaates, die Mißliebigkeit, welches gleich

der Feme diejenigen bedroht, die man mit dem

Gleich einem Vann heftet es

Schwert des Gesetzes nicht erreichen kann. sich an die Fersen des Unverschämten,

der Recht haben will, wo er es

nicht soll, und sich auf seine gesetzliche Befugnis stützt, anstatt auf jeden

leisen Wink von oben pflichtschuldigst zurückzutreteu.

Im Umgänge von

seinesgleichen gemieden, in Plackereien jeder Art verwickelt, in Nahrung

und Erwerb geschädigt

durch Kundschafts-

und Konzessionsentziehung,

Entsetzung vom Amte und dergleichen, trifft ihn oft ein härteres Los, als

den

gemeinen Verbrecher.

So

hat sich

die Willkür,

die

ungesetzliche

Handhabung der Gewalt in der Mißliebigkeit die Waffe geschaffen, welche

ihr das mit Recht von der öffentlichen Meinung so gebrandmarkte Ver­ dächtigengesetz in Frankreichs ersetzt und ihre Opfer empfindlich genug

zu treffen weiß.

Erlebten wir doch neuerlich, daß einer ganzen mißliebigen

*) Nach dem Gesetz vom 17. September 1793 war jeder Franzose verdächtig, welcher nicht die pünktliche Erfüllung seiner Bürgerpflichten nachzuweisen im­ stande war und kein certificat de civisme für seine Gesinnungstüchtigkeit erlangen konnte; er konnte selbst dann in Haft behalten werden, wenn dem Verdächtigen das zur Last gelegte Vergehen nicht nachweisbar war.

Schulze-Delitzsch.

156

Stadt in Aussicht gestellt wurde, von der Küste gewissermaßen in das Binnenland versetzt zu werden, die Vorteile einer Lage an der See zu

verlieren!')

Und was das

Merkwürdige bei

der Sache ist: sie alle,

die man mit diesem geistigen Alpdruck niederhält, sind wesentlich Mit­

vollstrecker

der Acht

davor fürchten,

gegeneinander.

Freilich nur so lange, als sie sich

als sie sich vor jedem aus ihren eigenen Reihen,

der

davon bedroht ist, ängstlich zurückziehen und so vereinzelt jeder Maßregelei Denn das hat jene Ausgeburt nächtiger

stillhalten.

Reaktionsgelüste

mit einem Gespenste gemein, daß sie sich in Nichts auflöst vor Männern,

die ihr fest in das Gesicht trotzen und einer zn dem andern steht, den Schaden,

der etwa dem

einen

geschieht,

wettzumachen.

Gegen

viele

wirkungslos, und hat einmal der Mut der Gesetzlichkeit in einem ganzen Volke Wurzel gefaßt, so wird es völlig

ist das System geradezu

unmöglich.

Dazu soll und kann der Verein nun recht wesentlich helfen.

Ist die Beteiligung nur halb so groß, wie bei dem Eisenacher Programm, wer vermag alsdann alle die Leute noch ans eine wirksame Weise zu

maßregeln, die ja leicht eine entzogene Kundschaft unter sich ersetzen, für zugefügte Verluste, verlorene Stellen entschädigen können, ohne daß ihnen

die Opfer sehr fühlbar werden.

Hat sich dies alles nicht seit einer Reihe

von Jahren so vielen braven Schleswig-Holsteinern und Kurhessen gegen­

über bewährt?

Allerdings macht die Durchführung einer solchen gesetzlichen Agitation, welche sich

durch Willkür und Plackerei jeder Art weder schrecken noch

aus dem eigenen festbegrenzten Rechtskreise herauslocken läßt, hohe An­ forderungen

an die Intelligenz und Tüchtigkeit eines Volkes, und es

gehört in vieler Hinsicht mehr dazu, als zu einer gewaltsamen Erhebung,

die, im leidenschaftlichen Drange des Augenblicks auflodernd, nicht selten

ebenso

rasch

der Abspannung Platz macht und in den wenigsten Fällen

dauernden Gewinn hinterläßt.

Indessen weicht das deutsche Volk keinem

anderen an humaner Bildung und sittlichem Ernst, und man darf sich wohl mit Grund der Hoffnung hingeben, daß die verhängnisvolle Zeit,

die wir durchlebt haben, die im deutschen Wesen liegenden gesunden Keime

zu politischer Reife so weit entwickelt hat, daß der Aufruf, den der Verein

an dasselbe richtet, um so weniger seinen Eindruck verfehlen wird, als er

auf den durch und durch gesetzlichen Sinn unseres Volkes berechnet ist. J) Der König von Hannover hatte im September 1859 der Stadt Emden angedroht, ihren Hafen versanden zu lassen, wenn die Einwohner noch länger an den Bestrebungen um die Einheit der Nation und um eine einheitliche Zentral­ gewalt teilnehmen würden.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

157

Und gelingt es so, den Drang, der in allen deutschen Herzen lebt, zu solchem gemeinsamen Wirken, zugleich besonnen und fest, zusammen zu

fassen, dann kann der Bewegung auf die Länge der Preis nicht vor­ enthalten lverden.

Denn es liegt eine unwiderstehliche Macht in der

einmütigen sich ihres Rechts bewußten Haltung eines ganzen Volkes, das dem ungesetzlichen Übergriff nicht mit gleichem Übergriff begegnet,

soildern

ihn viel

sicherer

dauerhafter dadurch in seine Schranken

und

zurückweist, daß es selbst die eigenen Schranken auf das genaueste wahrt. So eng diese Schranken hier und da gezogen sein mögen, sie lassen in

Deutschland noch überall Spielraum genug; wir sehen es in denjenigen

Staaten, wo die Reaktion auf den Höhepunkt gediehen ist und doch mit

allen Schreckmitteln die Bürger nicht von der Betätigung ihrer deutschen Gesinnungen abzuhalten vermag.

Hütte sich nur

jeder

zu

jeder Zeit

innerhalb dieser Schranken frei bewegt, es stünde besser um uns alle. Darum ist es hohe Zeit, endlich den Weg zu beschreiten, der einzig im­

stande ist, uns zur Selbstachtung, zum Gefühl nationaler Würde zu er­ heben,

welche

die

wiederum

Achtung

des

Auslandes,

als

wesentliche

Garantie staatlicher Selbständigkeit, ja selbst die Achtung der eigenen

Wie wichtig besonders das letzte Moment

Regierungen im Gefolge hat.

ist, wie nur in gegenseitiger Achtung der Negierenden und der Regierten

das wahre Heil eines Landes gedeihen kann, das steht ebenso zweifellos fest,

der Umstand:

als

daß

manche

unter

unsern Negierungen

ihren

Völkern bisher diese Achtung nicht in demjenigen Grade bezeigt haben,

wie

es

zur Respektierung

der

beiderseitigen Rechte

wünschenswert ist.

Leider hat es dazu, gestehen wir es nur, nicht an allem Anlaß gefehlt.

Eben das

stete Zurückweichen des Volkes hinter die Linie seines guten

Rechts, die ängstliche Scheu vor jedem Zusammenstoß auch auf zumeist gesetzlichem Boden, die widrige Liebedienerei, die sich dienstbereitest jedem Belieben der Machthaber nur zu häufig entgegendräugt: das alles war

wohl geeignet, in manchen Fällen eine sehr geringe Meinung von den Beherrschten bei den Herrschern zu erwecken und die Ansprüche der ersteren

auf Beteiligung an den öffentlichen Angelegenheiten zum Spott werden zu lassen.

Demselben Zuge begegnen wir schon bei den großen Tyrannen

des Altertums, bei denen durch die Niedrigkeit und Gemeinheit ihrer

Schranzen und Gewaltknechte, durch feigen Jndifferentismus der nur um

ihre materiellen Interessen sorgenden Großbürger, durch das Zujauchzen des blinden Pöbels endlich bei den gebotenen öffentlichen Schauspielen und Festen der Herrscherstolz sich bis zur gründlichen Verachtung des ganzen Menschengeschlechts steigerte. Und gegen diese gefährliche Über-

Schulze-Delitzsch.

158

Hebung, diesen ungesunden Auswuchs am Staatskörper, gibt es nur eine

Abhilfe: daß sich das Volk zu der Haltung emporrafft, die wir bezeichneten,

den Verächtern seines Rechts und seiner Sitte seine volle Würde ent­

gegenstellt und so sich die versagte Achtung erringt.

Hat diese Gesinnung

erst die ganze politische Lebenslust einer Nation

durchdrungen, dann

vermögen die Machthaber selbst nicht, sich ihr zu entziehen, dann finden sie je länger je weniger Diener,

welche ihr

entgegenzutreten die Stirn

haben. Ja, am Ende gelangen sie dann, zu ihrem eigenen wie zum Heile ihrer Völker, selber dahin, die Stärke ihrer Regierung in die Überein­ stimmung mit der öffentlichen Meinung, nicht länger in deren Bekämpfung

zu setzen.

Daß und welche Mittel bei einer solchen Volkshaltung im allgemeinen zur Förderung der Vereinszwecke benutzt werden können, ergibt sich von selbst.

Schon unter den Gründern des Vereins befindet sich eine große

Zahl von Ständemitgliedern fast aus allen deutschen Staaten. aber künftig die bisher getrennten

entschließt sich ein jeder zur offnen

liberalen Parteien

Gehen

zusammen, und

und männlichen Ausübung seines

gesetzlichen Wahlrechts gegenüber der nur durch die bisherige Enthaltung

und Zersplitterung der einzelnen mächtigen Reaktion, so kann es nicht

fehlen,

daß in

den

meisten Fällen

freisinnige Kandidaten

durchgesetzt

werden und wir sonach in nicht ferner Zeit einer Volksvertretung ent­

gegensehen, welche

die

nationalen Bestrebungen

in

den

gesetzgebenden

Körpern der Einzelstaaten zur Anerkennung zu bringen vermag.

Ebenso

wichtig wie die Tribüne der Kammern für die Fortpflanzung der nationalen Ideen ist sodann

eine regelmäßige Einwirkung durch die Tagespresse,

welche die einschlagenden Fragen erörtert und der Entwicklung der Lage

Schritt für Schritt

folgt.

geschäftlichen Organisation

Natürlich bedarf es hierzu wie zur ganzen materieller Mittel,

besonders eines Fonds,

um für die Tätigkeit des Vereins die erforderlichen Kräfte zu gewinne», weshalb die Bildung einer Vereinskasse durch Mitgliederbeiträge vor allen

Dingen notwendig wird.

Viel können wir dabei von den Engländern

lernen, als dem Volke, das die meiste politische Erfahrung besitzt, das alle solche Dinge nie anders als mit Zeichnung von Beiträgen beginnt,

und man darf wohl auch bei uns erwarten, daß niemand, der irgend die Mittel dazu besitzt, anstehen wird, sein Scherflein beizutragen, wo

es sich um so große Zwecke, um die Ehre und Freiheit, den geistigen

und materiellen Besitz der Nation handelt: Güter, an deren Erhaltung

sein eigenes Wohlergehen nur zu sehr beteiligt ist.

Daß übrigens das

Geldopfer, welches gefordert wird, kein großes, irgend fühlbares zu sein

Tie nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

159

braucht, indem bei der bedeutenden Zahl der Vereinsmitglieder schon ein sehr mäßiger Beitrag genügt, die Vereinswirksamkeit zu sichern, versteht sich von selbst.

Wie der Verein zu wirken gedenkt, wie er sich zur nationalen Be­ wegung verhält, ist somit gesagt.

ihre Frucht.

Er hat sie nicht hervorgerufen, er ist

Er muß die Eigenschaften, welche dazu gehören, um die

von ihm eröffneten Bahnen

innezuhalten, im

Volke voraussetzen, und

er wendet sich an den guten Geist des deutschen Volks, weil er an ihn wie an die Zukunft unseres Vaterlandes glaubt.

Dieser Geist wird den

Verein mit seiner Weihe tragen und erfüllen, ja er wird ihn überleben, wenn die Ungunst der Zeiten die Form zerbricht, die im Drange dieser Tage geschaffen ivurde.

Und führt dies alles nur dazu, Ziel und Mittel

der nationalen Bewegung immer klarer hervortreten zu lassen

und alle

darauf hinzuweisen, daß ohne Fürsorge für die unerläßlichen materiellen Bedingungen nie etwas auf diesem Felde geleistet werden kann, so ist

die ausgcwendete Mühe nicht verloren. zu klären.

Zudem dient es dazu, die Lage

Die Stellung, welche die einzelnen deutschen Regierungen

dem Vereine gegenüber einnehmen, wird dem Volke darüber Aufschluß geben, was es von ihnen für seine nationale Zukunft zu erwarten tjatr und so über die nächsten Maßnahmen

entscheiden, welche je nach den

Umständen etwa zu treffen sein möchten. diesem Sinne gehe die Losung des Vereins frisch und

In

Zaudern durch das Vaterland.

Durch

die Kabinette allein

ohne

Schaue jeder mit offenen Augen um sich.

wird

das nationale Ringen des deutschen

Volks niemals zum Ziele gelangen, darüber liegen zahlreiche und schwere Erfahrungen von Jahrhunderten vor.

Darum zähle das deutsche Volk

zunächst auf sich selbst und beteilige sich lebendig bei der Lösung seiner

Geschicke,

denn nur die

ureigenste Arbeit einer Nation vermag dieselbe

ihrer geschichtlichen Bestimmung entgegenzuführen.

32. An das Württembergische Volk! — März 1860. —

Schon bei Begründung des Nationalvereins in Frankfurt a. Main

hatte ein Teil der anwesenden Württemberger durch Polder-Stuttgart

ihre Bedenken gegen das Eisenacher Programm wegen der darin zum

Ausdruck kommenden Lsegemonie Preußens geäußert;

ehe diese nicht

160

Schulze-Delitzsch.

behoben seien, könnten seine Freunde dem Verein nicht beitreten. Aus­ führlich wurde diese Anschauung in einem an den Ausschuß des National­ vereins von sechzehn württembergischen Politikern, meist Abgeordneten

der Zweiten Rammer gerichteten Schreiben vom 27. September |859 begründet. Sie wendeten sich gegen den Ausschluß Österreichs aus

Deutschland und bezeichneten eine Neihe von Forderungen zum inneren Ausbau des gemeinsamen Vaterlandes, deren Verwirklichung sie aber nicht von einem geschloffenen Verein als vielmehr von jeweils in den verschiedenen Teilen Deutschlands zusammentretenden Vereinigungen pa­ triotisch gesinnter Alänner erhofften. „vie es zum Widerstande notlveudig ist,

den

gewaltigen Anstoß gibt,

mit die nationale Bewegung

ihrem Ziele zuzuführeu.

So steht es denn fest: das deutsche Volk hat sich durch feine Taten nnd seine Leiden einen Wechsel auf die Geschichte gezogen, für dessen Ein lösung der Genius der Menschheit selbst bürgt.

Mehr als

je bedarf

Ungeheure Errungenschaften in Wissen­

unsere Zeit des deutschen Geistes.

schaft und Kunst bezeichnen die letzte Epoche: namentlich lernt die Mensch­

heit immer mehr, sich die Ikatnrkrafte dienstbar zu mache« und die iminer

gesteigerte Leichtigkeit in der Produktion der zum äußeren Dasein er­ forderlichen AUttcl führt dahin, uns mehr nnd mehr von der gemeinen Notdurft des Lebens zn befreien.

Danlit nun diese großen Errnngeit-

schaften wirklich dem heutigen Geschlecht zum Frommen gedeihen, damit die erhöhte Leichtigkeit der Existenz nicht zu leerer Genußsucht ausschlagc,

nicht im Materialismus erstarre; daß vielmehr die in den wirtschaftlichen

Aufgaben

erübrigte Kraft sich höheren Zielen zuwende, bedarf es eines

stetigen dlnstoßes, eines höheren Schwunges.

Wer anders ist nun im­

stande, in dieser großen Bewegung die Spitze zir nehmen, als Deutjchland? Wer kann sich von den anderen ilkationen nach dieser Richtung hin mit

der deutschen messen?

Sie, die durch eiu Märtyrertum ohnegleichen ge­

wissermaßen zur Priesterin der Idealität geweiht, sich nur darum eine Zeitlang politisch verloren zu haben scheint, um sich im reinsten Menschentum wiederzufinden'?

Diese

Unentbehrlichkeit des deutschen Geistes für die

europäische Gesamtentwicklung ist es, worin die Garantie für den endlichen

Sieg unserer Bestrebungen

liegt, sie ist es, die im schwersten Kampfe

unseren Mut aufrecht erhält.

Und was wollen wir, meine Freunde?

Spiegelt sich nicht schon dieser künftige Sieg in unserer trüben Gegen­ wart,

nicht etwa

bloß in den schaukelnden Wolkenbildern einer Fata

Morgana sondern in sehr realen Zeichen der Zeit? Haben wir nicht schon ein Gebiet, ans dem wir mehr und mehr Boden gewonnen habeil

unseren Nachbarn gegenüber?

Die deutsche Wissenschaft nnd Kunst sind

es, und die stolzesten Völker senden ihre Söhne zu uns, um bei uns zu

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

175

Auch fehlt es dieser jungen deutschen Großmacht nicht an Heeren

lernen.

und Flotten, nicht an Sendboten aller Art, die in fremden Ländern be­

müht sind, sie zur Anerkennung zu

bringen.

Freilich keine Dreidecker

und Kanonen, nicht Kutte und Ordensband — die deutschen Auswanderer sind es, die jetzt in der Fremde ganz anders aufzutreten beginnen und

nicht

mehr

wie

früher notig haben,

ihr nationales

Selbstgefühl ab-

Wo deutscher

zuschwvren, um sich in der neuen Heimat einzubürgern.

sich

Fleiß

da

ansiedelt,

bringt er in seiner Heimatsitte, im deutschen

Denken und im deutschen Lied den

fremden Volkern wichtige Kultur­

elemente zu, die mehr und mehr zur Geltung gelangen.

Ich erinnere

Sie, wie dies jüngst in einer wahrhaft internationalen Kundgebung, einer Weltdemonstration, wie sie einzig in ihrer Art dasteht, seinen Ausdruck gefunden hat.

Ich meine das Schillerfcst,^ wo nicht nur die Deutschen

in allen Ländern, nein, wo alle zivilisierten Volker sich zur Feier unseres

öiationalheros verbanden.

Und indem sie sich vor ihm beugten, vor ihm

als dem echten Repräsentanten des deutschen Geistes, beugten sie sich vor

dem deutschen Geiste selbst, dessen Wesen und innersten Drang er in so ergreifender Weise zum Ausdruck zu bringen verstanden hat, wie nicht Was in der inneren geistigen Welt sich so vollständig

leicht eilt anderer.

vorbereitet hat, wird auch nach außen sich greifbar gestalten.

Der deutsche

kerngesunde Geist, solcher Impulse fähig, in so mächtigem Ringen be­ griffen, dieser so kerngesunde Geist wird es auch verstehen, sich den ge­

sunden staatlichen Leib zu schassen, in ihm die Exekutive seiner Gedanken.

So wahr die Menschheit unverrückt und unaufhaltsam die Bahn steter Vervollkommnung ihren ewigen Zielen zuwandelt, so wahr werden auch wir zum Ziele gelange«.

Der Sieg der nationalen Bewegung in Deutsch­

land ist zugleich der Sieg der Humanität — und diese das Endziel aller

Geschichte.

Auf diesem Fels, meine deutschen Brüder, ankert unser Recht

und unsere Hoffnung.

uns

aber

wird

es

Das Gelingen ist nur eine Frage der Zeit.

sein, uns

dafür

einzusetzen,

wenn

es

auch

An

noch

trauriger Jahre einer langen Wüstenwanderung bedarf, ehe wir das ge­

lobte Land sehen.

Durch unsere Haltung ant morgenden Tage lassen Sie

uns beweisen, daß zur humanen Reise auch die politische sich zu gesellen

beginnt, und gelingt uns dies, so wird man nicht lange mehr unserer

Nation gebührt.

die Stelle vorenthalten,

die

ihr

(Lebhafter anhaltender Beifall.)

J) Von 1859 siehe oben S. 111 ff.

unter den Völkern Europas

Schulze-Delitzsch.

176

34. Die Schaffung einer deutschen Zentralgewalt. Rede auf der Generalversammlung des Nationalvereins am 4. September 1860. Der zweiten tzauptsitzung des Nationalvereins am

September J860

in Roburg lag der folgende Ausschußantrag zur deutschen Verfassungs­

frage vor:

I. Das deutsche Volk wird seinen Anspruch auf bundesstaatliche Linheit, welcher durch das Gesamtorgan des Bundes und alle einzelnen deutschen Negierungen anerkannt ist und in der Neichs-

verfassung von

seinen Ausdruck gefunden hat, nimmermehr

aufgeben. hiernach erkennt es der Nationalvevein für seinen Beruf, auf die Schaffung einer einheitlichen Zentralgewalt und eines deutschen Parlaments mit allen gesetzlichen. Nkitteln hinzuwirken. Zu den Befugnissen der Zentralgewalt gehört vor allem die militärische Obergewalt und die ausschließliche Vertretung gegen­

über dem Ausland. Der Nationalverein erwartet, daß jeder deutsche Volksstamm willig die Opfer bringen werde, die zur Erreichung der Größe und Einheit Deutschlands nötig sind. Das preußische Volk vor allem muß dartun, daß es trotz seiner glänzenden Geschichte und trotz der Großmachtstellung des preußischen Staats sich als Teil des deutschen Volkes fühle, und daß es gleich jedem anderen Staate Deutschlands der deutschen Zentralgewalt und Volks­ vertretung sich unterordne. wenn die preußische Negierung die Interessen Deutschlands nach jeder Richtung tatkräftig wahrnimmt und die unerläßlichen Schritte zur Herstellung der deutschen 211 ad]t und Einheit tut, wird gewiß das deutsche Volk vertrauensvoll die Zentral-

gewalt dem Oberhaupt des größten reindeutschen Staates über­

tragen sehen. Der Nationalverein gibt keinen Teil des deutschen Bundes­ gebietes auf. Er erkennt die deutschen Provinzen Ästerreick]s als natürliche Bestandteile des Vaterlands und wird mit Freude

den Augenblick begrüßen, welcher den Anschluß dieser Provinzen

an das geeinigte Deutschland möglich macht. Lin zweiter Ausschußantrag erklärte eine Agitation für die sofortige

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

177

Anerkennung der Neichsverfassung für weder notwendig noch praktisch und empfahl, alle weitergehenden wünsche zurückzustellen. Unter diesen sind namentlich Anträge hervorzuheben, welche dem Bundestage die rechtliche Existenz absprachen (Schöler aus Jena), welche von der preußischen Regierung verlangten, daß sie mit den übrigen deutschen Regierungen und einem einzuberufenden deutschen Parlament die etwa nötigen Schritte zur Revision der Reichsverfassung von ergreife i Welcker aus Heidelberg), welche nicht speziell der preußischen sondern allgemein derjenigen deutschen Negierung, welche die Interessen Deutsch­ lands nach jeder Richtung tatkräftig wahrnehme und die unerläßlichen Schritte zur Herstellung der deutschen Rlacht und Einheit zu tun im­ stande sei, und wirklich tue, die Zentralgewalt übertragen wissen wollte, l Braunfels aus Frankfurt a. ZH.) Nach einer Flut von Reden für und gegen die Ausschußanträge nahm Schulze das Wort: Ich lehne mich bei dem, was ich zu sagen habe, an die Ausschuß­

anträge 1 und 2 an, wobei zugleich

der bei den einzelnen Sätzen ein­

greifenden Spezialanträge zu gedenken sein wird.

Das Erste ist der Punkt wegen der Hegemonie Preußens im Aus-

schnßantrag 1, den das Amendement der Frankfurter Vereinsmitglieder *) beseitigt wissen will, wogegen ich mich

Bekanntlich hatten

muß.

auf das entschiedenste erklären

sich die Herren Antragsteller in Frankfurt

überhaupt gegen ein Programm erklärt und bei dem Statut verbleiben

wollen.

Davon ist ihr Amendement die Konsequenz, insofern es durch

Hinweggehen über die Hegemoniefrage dem Programm jeden konkreten Halt entzieht, also im Grunde ein Programm ist.

Programm aufstellt, welches kein

Aber gerade wegen dieses Mangels ist der National­

verein von vielen Seiten der Halbheit, der absichtlichen Verhüllung seiner Tendenzen angeklagt, und gerade diese Unbestimmtheit will man durch die bezüglichen Anträge

beseitigen.

Die Frage kann daher wohl sein:

ob überhaupt ein Programm, oder keins? — Allein, wenn man sich einmal dafür entscheidet, so ist eine Erklärung über die Konstituierung der Zentralgewalt nicht zu umgehen.

hierbei einzunehmen

Und um eine bestimmte Stellung

und sich für oder wider die preußische Hegemonie

zu entscheiden, wird man sich zuvor die Alternative um die es sich handelt.

klarmachen

müssen,

Entweder eine beliebig zu erdenkende, mit einer

*) Braunfels und Genossen. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

III.

12

Schulze-Delitzsch.

178

gleichfalls erst neu zu schaffenden Macht zu bekleidende, in der Luft schwebende Zentralgewalt,

die

kaum

anders als

nach Zertrümmerung

sämtlicher Einzelstaateu denkbar ist; oder ein Anlehnen an die realen, geschichtlich gegebenen Machtverhältnisse der Gegenwart, d. h. die Über­

tragung der Zentralgewalt au einen schon bestehenden, dazu geeigneten staatlichen Organismus,

mit einem Worte die Hegemonie eines Einzel-

staates.

Wie viel die erstere Idee der Bewegung von 1848 zu schaffen

gemacht

hat, wissen

wir alle, und ich erblicke einen grossen Fortschritt

darin, daß dieselbe bei der heutigen Debatte gar nicht hervvrgctreten ist.

von allen Seiten darin einig, das; es

Ist man sonach, wie mir scheint,

vor

allem

eine Frage der Macht ist, mit der wir es zu tun haben, so

ist damit cigeutlich die ganze Sache für Preußen entschieden.

Preußen

unbestreitbar

der

einzig

rein

deutsche

Staat,

Ist doch

tvelcher

einer

wirklichen selbständigen Machteutfaltung nach innen und außen fähig,

der Durchführung der nationalen Forderungen den deutschen Einzelstaaten, wie dem Auslande gegenüber getvachsen ist. schon

eilt Vorredner bemerkte,')

Hiervon abweichcn, und, wie

gewissermaßen

eine Konkurrenz unter

sämtlichen deutschen Negierungen um die Hegemonie eröffnen, heißt mit sich

selbst in Widerspruch treten, von der Machtfrage ab und auf deu

anderen bereits verworfenen Standpunkt zurückgehen.

Deshalb ist der

Ausspruch für Preußen nicht zu vermeiden, indem man sonst den bös­ willigsten Deutungen nach der anderen Seite hin Naum gibt,

an denen

es ohnehin nicht fehlen wird. Dies vorausgesetzt, kann ich das Bedenken nicht teilen, als ob in

dem Abschnitr 3 des Ausschußautrags 1, worin dem preußischen Volke die Opfer vorgehalten werden, welche es der deutschen Einigung zu bringen

hat, eine Verletzung für dasselbe enthalten wäre.

Im Gegenteil erscheint

mir die Betonung dieser Opfer nach zwei Seiten hin durchaus am Orte.

Einmal mag es dem preußischen Volke selbst ganz heilsam sein, wenn man ihm zu Gemüte führt, wie ungeheuer ernst die Forderungen sind,

welche mit der Hegemonie an dasselbe herantreten, damit es sich reiflich

prüfe und sammle, wenn die Stunde schlügt, dafür eiuzustehen.

Sodann

aber mögen auch unsere deutschen Brüder außerhalb Preußens, besonders die Süddeutschen, daran abnehmen, daß es sich wahrlich nicht bloß um

ein Recht für Preußen sondern noch weit mehr um große und schwere Pflichten handelt.

Nicht nur, daß Preußen eine gesicherte, in gedeihlicher

Entwicklung begriffene staatliche Existenz, eine Großmachtstellung einsetzen

2) Dr. Braunfels aus Frankfurt a. M.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein. soll,

einer erst werdenden,

179

zukünftigen also immerhin noch fraglichen

Gestaltung halber, muß es auch als leitende Macht die größten Opfer

an Blut und Geld bringen, um die Sache durchzukämpfen, Opfer, wie sie die Kräfte jedes anderen deutschen Staates übersteigen. Ebensowenig kann das nur bedingte Nussprechen der preußischen

Hegemonie im Abschnitt 4 des ersten Ausschußantrags die Anhänger derselben irgendwie zurückstoßen. Wenn die preußische Regierung über­ haupt an die Spitze Deutschlallds treten will, so muß sie eben das tmt, wovon die Übertragung der Hegemonie dort abhängig gemacht ist, da ist

keine Wahl. Die Bedingung reduziert sich daher darauf, daß die preußische Regierung die Führung erhalten solle, wenn sie sie will. Deshalb mag das „Wenn" hierbei manchem überflüssig erscheinen, anstößig wohl niemandem. Ich komme nun zum zweiten Ansschußantrag nebst den hierher ge­ hörigen Spezialanträgen wegen der Erhebung der Reichsverfassung von

1849 zum Vereinsprogramm und der Agitation für dieselbe, indem ich den bereits laut gewordenen Bedenken nur noch eins hinzufüge. Außer der noch immer für einen solchen Schritt zu geringer: Mitgliederzahlü unseres Vereins wäre es namentlich auch die allerungünstigste Zeit, gegen­ wärtig damit hervorzutreten. Es gibt in der politischen Stimmung Ebbe und Flut, und nach der Aufregung und Anspannung des vorigen Tommers'-') befinden wir uns gerade jetzt in einer solchen politischen Ebbe, in einer Periode politischer Abspannung. Eine Agitation in diesem Augenblicke hätte schon deshalb keine Anssicht auf Erfolg und wäre verfehlt. Dies wäre aber in einer den Kern unseres Vereinslebens berührenden so hoch­ wichtigen Frage geradezu gefährlich: gefährlich für den Gegenstand der

Agitation, deffen Bedeutung wir dadurch für alle Zukunft kompromittierten, und gefährlich für den Verein selbst, der seine Kraft und Mittel an einer solchen verfehlten Agitation erschöpfte.

Im eigenen Interesse derer, die in der Reichsverfassung das Banner der Einigung Deutschlands er­ blicken, ist daher nach meiner Ansicht zurzeit gewiß davon abzusehen. — Wie natürlich, ja wie erfreulich daher auch der Drang unter uns ist, die Ungeduld, mit der man von allen Seiten zum Ziele strebt, so soll

man doch

eins

nicht dabei vergessen:

daß wir uns im Vereinsstatut

verpflichtet haben, die geistige Arbeit zu übernehmen, Ziel und Mittel der nationalen Bewegung immer klarer im Volksbewußtsein herauszu-

9 Nach dem Berichte Streits damals weit über 5000. 2) Des Kriegs zwischen Österreich und Frankreich-Sardinien.

180 Hilden.

Schulze-Delitzsch. Eine Arbeit, eine ernste Arbeit gilt es, ehe wir dahin kommen,

wo viele schon jetzt sein möchten; wir müssen noch viel säen, ehe wir ernten, daher fordere man nicht gleich zu viel von dem bis heute ge­ wonnenen Standpunkte unseres Vereins. Daß wir vorwärtsgekommen

sind, ist gewiß. Vergleichen wir nur die Frankfurter Versammlung vor einem Jahre und die heutige, da war an ein Programm überhaupt noch nicht zu denken, so ginge» die Meinungen und Stimmungen auseinander,

und heute können wir schon ernstlich auf Fragen eingehen, deren Er­ örterung damals unseren Verein im Keime gesprengt Hütte. Wie hat sich dies alles schon bis heute geklärt, wie hat man schon gelernt, politische Sympathien und dlntipathien der politischen Notwendigkeit unterzuvrdnen! Dies mögen die bedenken, denen heute uicht genug geschieht. Sind nur nur alle rüstig beim Werk, so mag, wenn wir in Monaten oder in einem Jahre wieder zusammentreffen, wohl inanches möglich sein, »voran heute

noch nicht zu denken ist. Daß freilich der von uns beschrittene Weg der gesetzlichen Agitation uns nur langsam dem Ziele zuführen kann, da tvir von dem guten Willen der deutschen Regierungen ein Entgegenkommen bei einem fried­ lichen Gange der Dinge niemals zu erwarten haben, mußte sich jeder von uns von Haus aus sagen. Hierin kann nur durch die schweren politischen Verwicklungen, welche sich immer drohender am europäischen Horizonte gestalten, eine der nationalen Bewegung günstige Diversion eintreten. Wenn der Andrang des äußeren Feindes das Zusanimenraffen der ganzen Nationalkraft gebieterisch fordert, wenn die Regierungen ihrer eigenen Erhaltung wegen sich dem Volle in die Arme werfen müssen, dann mögen vielleicht im rascheren Anlaufe die Garantien unserer nationalen Zukunft gewonnen werden. Wer denkt nicht in unserer jetzigen politischen Lage an die Erhebung von 1813, die uns so wert­ volle Gleichnisse für das bietet, was wir zunächst zu fürchten und zu hoffen haben? Daß diese großartige Erhebung des deutschen Volkes, trotz aller schönen Versprechungen, so wenig Frucht getragen, davon liegt die Schuld einzig an der damaligen niedrigen Entwicklungsstufe des nationalen Bewußtseins in unserem Volk, an der großen Unklarheit über

das, was man wollte und wie man es wollte. Aber das ist besser geworden seitdem. Schwere Erfahrungen haben dem Deutschen das Verständnis geschärft über das Mangelhafte unserer öffentlichen Zustände, und über die Punkte, von wo aus die Sache angegriffen werden muß, und es wird unsere Sache sein, eine solche Gelegenheit nicht wieder ungenutzt vorbeigehen zu lassen, sondern durch ihr rechtes Eingreifen den

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

181

Beweis zu führen, daß wir für die Zustände, die wir erstreben, wirklich

reif sind.

Denken Sie an die allgemeine Aufregung bei der berüchtigten

Erklärung eines deutschen Ministers, des Herrn von Borries, in der

hannoverschen Kammer/) und Sie werden den Beleg für meine Behauptung finden. Hat nicht die Nation mit einer Einstimmigkeit und Entschiedenheit, an welche früher nicht zu denken war, die Wahl bezeichnet, welche den deutschen Fürsten in einem solchen Falle überhaupt bleibt? Entweder der Zukunft der 9lation diejenigen unvermeidlichen Opfer an ihrer Souveränität bringen, welche die einheitliche Führung im 51ampfe als erste Bedingung erfolgreicher Abwehr fordert, oder das Vasallentum Frankreichs, und welche Folgen man an das letztere, an vie Rheinbunds­

gelüste knüpfte, brauche ich nicht zu sagen. Zum Schluß zwei Verwahrungen.

Zuerst gegen die Behauptung:

daß wir der Einheit zuliebe die Freiheit zu beeinträchtigen Gefahr liefen, wenn wir einem mächtigen Staate wie Preußen die diplomatische und militärische Führung dauernd übertrügen. Ich halte dies für durchaus falsch. Sobald Deutschland einig ist, ist es frei. Die Zersplitterung war die Klippe, an welcher unsere selbständige Machtstellung nach außen, — unsere äußere Freiheit — wie die Garantie unserer öffentlichen Nechtszustände im Innern — unsere innere Freiheit — scheiterten, so daß was hier und da in einzelnen Staaten gewonnen tourbe, regelmäßig in anderen wieder verloren ging. Nur die Einheit ist für Deutschland die Gewähr der Freiheit. Weiter, meine Herren, eine Verwahrung gegen den mir gemachten Vorwurf, als habe ich in meinen gestrigen Worten über die historische Bedeutung der deutschen Nationalität') mit zu rosigen Farben gemalt

und dadurch den Eifer zur Erstrebung besserer staatlicher Zustände eher

beschwichtigt als befördert. Ich muß dem widersprechen. Bei meine« vielen sehr praktischen Organisationen auf sozialem Felde, wo es ebenfalls wie bei unseren Vereinsbestrebnngen, darauf abgesehen ist, die Initiative

im Volk für seine Interessen zu erwecken, habe ich stets die Erfahrung *) Am 1. Mai 1860 hatte Münster von Borries geäußert, daß die deutschen Fürsten bei einer drohenden Mediatisierung, auf welche der Nationalverein hin­ arbeite, sich untereinander oder mit auswärtigen Mächten verbinden müßten, die sehr zufrieden sein würden, die Hand in Deutschlands Angelegenheiten zu bekommen. Als Antwort auf die über diese Erklärung in ganz Deutschland ausbrechende Entrüstung erhob der König von Hannover Herrn von Borries in den Grafenstand. 2) Vgl. oben S. 170 ff.

Schulze-Delitzsch.

182

gemacht, daß man mit Belebung, nicht mit Ertötung des Selbstgefühls beginnen muß, au dessen Übermaß wir in Deutschland wahrhaftig nicht

leiden.

(Beifall.)

Dem deutschen Bolke seine hohe geschichtliche Mission

lebendig vor die Seele führen, heißt gerade das Gefühl für das Un­ würdige und Kleinliche seiner staatlichen Zustände, die bannt in schreiendem Widerspruch stehen, schärfen und es zu erhöhter Tätigkeit in dieser Richtung anspornen. Ja, selbst dem Auslande gegenüber, das auf unsere Verhandlungen blickt, ist ein solcher Appell an die nationale Ehre höchlich am Platze. Bcag man überall wissen, daß die deutsche öcation ihre

Bedeutung fühlt und die Stelle fordert, die ihr zukommt. Daß dies Bewußtsein in uns allen herrscht, davon galt es in unserer Akitte ein Zeugnis abzulegen. (Beifall.) Nach Schluß der Diskussion wurde Absatz I der Ausschußanträge mit einer kleinen Änderung angenommen, alle wideren Anträge teils zurückgezogen, teils abgelehnt.

35. Die Fortschritte in der nationalen Bewegung. Nede auf der Generalversammlung des Nationalvereins vorn 24. August 1861.

Auf der Tagesordnung der zweiten Generalversammlung des National­ vereins am 2^. August 1861 in Heidelberg stand als erster Gegenstand die Bundeskriegsverfassung und die wehrfrage. Im Namen des Ausschußes empfahl Georgii-Gßlingen als Abhilfe gegen die Schäden der Bundeskriegsverfassung, die militärische Führung in eine Hand zu legen; in der wehrfrage befürwortete er die allgemeine Volksbewaffnung und in ihrer Konsequenz vermehrte pflege des Turnens

und die Begründmlg von wehrvereinen. In der darauf folgenden Diskussion

sprach

sich Alax Wirth-

Frankfurt a. 2JL gegen die Bildung von Wehrvereinen aber für Turnund Schühenvereine aus. Born-tondon regte unter Hinweis auf die englischen Volunteerkorps die Bildung solcher Freiwilligenkorps für Deutschland an. Im taufe der Debatte wurde dann noch von ver­ schiedenen Rednern die Bildung von Wehrvereinen als unzweckmäßig abgelehnt, so daß sich v. Unruh-Berlin veranlaßt sah, zu dem Ausschuß­ antrage

ein Amendement einzubringen, — an Stelle der Worte „in

T) „Der Deutsche Nationalverein wird in jeder ihm möglichen und gesetzlich zulässigen Weise die Bildung von Wehrvereinen in Deutschland fördern."

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

183

Deutschland" zu setzen: „in denjenigen Staaten Deutschlands, in welchen die allgemeine Wehrpflicht noch nicht durchgeführt ist."

Danach ergriff

das Wort Schulze: Meine Herren! Ich kann mich in der Sache, die hier direkt in Ver­ handlung steht, nur an das von meinem Freunde von Unruh gestellte

Amendement anschließcn.

Ich kenne natürlich speziell die Verhältnisse in

Preußen genauer als in den übrigen deutschen Staaten; ich habe der allgemeinen Wehrpflicht selbst genügt, ich stand in dem aktiven Heer wie

in den Reihen der Landwehr und ich glaube bestimmt, daß die Hinder­

nisse, welche bei uns der Bildung von Wehrvereinen entgegenstehen, überall vorhanden sein werden, wo dieselbe gesetzliche Verpflichtung zur Wehr­ pflicht für alle wie in Preußen besteht.

Der eigentliche Grund, warum

ich das Wort ergreife, ist eine Verwahrung der nationalen Bewegung wie überhaupt des deutschen Volks gegen die Äußerung unseres geehrten

Landsmannes, des Herrn Born aus Loudon, über die ganze Richtung, die in Deutschland die vorherrschende sei, daß wir nur gewohnt seien, in

allen Dingen die Impulse von oben zu erwarten. Er hatte gewiß recht mit dieser Äußerung, wenn er frühere Jahre im Auge hatte. Wenn damals ein solcher Hang in unserem Volke leider vorherrschend war, so war es eben die Demoralisation der langen Pvlizeiwirtschaft (Lebhaftes Bravo),

der wir die Schuld beizumessen haben, wenn dies wirklich auf uns wie ein

Alp gelastet hat.

Allein der geehrte Herr ist seit mehreren Jahren in der

Fremde; er hat seine Wohnstätte im Vaterland verlassen, er konnte also

nicht Kenntnis nehmen von dein bedeutenden Umschwung, der gerade in dieser Beziehung seit den letzten Jahren in Deutschland stattgefunden hat

und der ja allein die Entstehung des Nationalvereins inöglich machte. Bezeugen wir unsern Brüdern außerhalb Deutschlands, deren Sympathien

uns so wertvoll und wichtig sind, daß die Dinge nicht mehr so stehen, wie damals, als sie von uns gingen.

Schon unser Vorsitzender hat auf

die großen Zeichen der Zeit hingewiesen in seiner gestrigen Rede, wie sie

sich überall kundgeben in den Vereinen und den freien Genossenschaften,

die sich in allen Gebieten des öffentlichen Lebens manifestieren.

Blicken

Sie auf alle Vereine, die bei uns tagen, auf die Volkswirte, den Handels­ stand, die Juristen, die Handwerker, die sich über gemeinsame Interessen

verständigen, Anstalten treffen, sie zu verfolgen, ihre Forderungen an die Staatsgewalt formulieren — sie alle sind die besten Beweise, und geben

es laut und öffentlich kund: daß unser Volk vom langen politischen Schlummer zu neuem Leben erwacht!

Gerade die Eigenschaft, die ihm

die

zur Durchsetzung

bis jetzt

fehlte,

Eigenschaft,

welche ihm

seiner

Schulze-Delitzsch.

184

nationalen Ziele die unentbehrlichste ist, die Initiative fängt an, überall

durchzubrechen, wie die frische Saat im Frühling. Der Nationalverein aber ist nichts anderes als die höchste Stufe, der Schlußstein aller dieser Bestrebungen, dazu bestimmt, ihnen in

der Garantie der politischen

Existenz der deutschen Nation erst den Nahmen und den rechten Halt zu geben, so daß wir in der Volksbeteiligung an den öffentlichen Angelegen­ heiten und im sonstigen Vereinsleben gewiß nicht mehr des Jndifferentismus, des trägen Zuwartens beschuldigt werden können.

von den folgenden Rednern sprachen die meisten für das Amendement v. Unruh, das dann auch in der Abstimmung fast einstimmig angenommen

wurde.

36. Forderung eines deutschen Parlaments. Rede auf dem Deutschen Abgeordnetentage vom 28. September 1862. Auf Veranlassung des Staatsrechtslehrers Bluntschli^eidelberg war am 8. 3unt (862 von Abgeordneten aus verschiedenen Staaten in Frankfurt a. 217. die Veranstaltung einer größeren Versammlung von ehemaligen und gegenwärtigen Abgeordneten aller liberalen Fraktionen sämtlicher deutscher Bundesländer einschließlich Deutsch-Österreichs, „welche die Einigung und freiheitliche Entwicklung Deutschlands erstreben", be­ schlossen worden, „um über wichtige Fragen von gemeinsamem Interesse, welche in Ermangelung eines deutschen Parlaments zur Beratung an die Kammern der Einzelstaaten gelangen, eine Verständigung und ein möglichst gleichartiges Verfahren in den deutschen Kammern zu fördern". Die beiden österreichischen Politiker Professor Brinz in Prag und Advokat

Dr. Rechbaur in Wien, an welche Bluntschli sich behufs Beteiligung der Deutsch-Österreicher an der Versammlung wandte, beschwerten sich zwar

in einem Briefe vom 27. Juli, daß sie nicht zu der ersten Besprechung hinzugezogen worden seien, erklärten sich aber zur Teilnahme an einer Besprechung bereit, wenn sich diese innerhalb eines kleinen Kreises von höchstens fünfzig Personen mit möglichst gleichmäßiger Vertretung der groß- und kleindeutschen Richtung bewegen werde. Bluntschli hoffte,

auf dem Ende August in Wien stattfindenden Deutschen Iuristentag eine

Verständigung herbeizuführen; auf einen nach dieser Richtung hin ge­ machten Vorschlag an Schulze antwortete letzterer:

185

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

Brief an Professor I. C. Bluntschli in Heidelberg. Berlin, 3. August 1862. Auf Euer Hochwohlgeboren geehrte Zuschrift vom 29. v. Mts. beeile ich mich, nach

Besprechung

stattgehabter

mit

den

hiesigen Ausschuß­

mitgliedern folgendes gehorsamst zu erwidern. Die durch die Presse bekannt gewordene Entgegnung der Österreicher-

macht allerdings die größte Vorsicht unsererseits in der Sache notwendig.

Zunächst stimmen wir Ihnen darin bei, daß, soweit es sich um eine Vorbesprechung ohne weitere maßgebende Folgen handelt, diese füglich in

Wien bei Gelegenheit des Juristcntages stattfinden kann.

daß von

den preußischen Ausschußmitgliedern

Der Umstand,

und Abgeordneten

kein

einziger diesmal dorthin gehen kann, würde dem Versuche einer vor­

läufigen Verständigung nicht entgegenstehen, vorausgesetzt, daß man nichts an der bereits durch den Ausschuß festgesetzten Basis der Hauptversamm­ lung ändert, noch weniger der freien Beteiligung der Parteien und deren

Beschlüssen irgendwie vorgreift.

Namentlich brauche ich über die Prä­

tension einer gleichen Bemessung der Zahl zwischen sogenannten Großnnd Kleindeutschen kein Wort zu verlieren, da ans dieser großdeutschen Firma die Forderung des Eintritts von Gesamtösterreich nur zu kennbar

hervorblickt

und

überdem

ein

Hauptzweck der

Versammlung

würbe, der nämlich, die Stärke der Parteien zu konstatieren.

verfehlt Wir alle

teilen Ihre Ansicht, daß auf solchem Wege nur eine itio in partes heraus­

kommt, ja, daß selbst von der künftigen Hauptversamnckung nicht viel mehr zu erwarten ist, insofern die Österreicher auch auf unsere Be­

dingungen

daran teilnehmen.

Indessen

dient dann doch die endliche

Klarlegung der Stellung, welche die österreichischen Liberalen zum deutschen Einigungswerke einnehmen, unseren Bestrebungen ganz entschieden.

Weiter auf das einzelne eingehend, halten auch wir eine Ausschuß­ sitzung vor der Verhandlung mit den Österreichern für unerläßlich und

haben gegen Zeit und Ort derselben nach Ihren Vorschlägen um so weniger etwas einzuwenden, als höchstens, auch wenn beides anders gelegt würde,

Herr v. Unruh daran würde teilnehmen können, indem uns übrigen, als

Abgeordneten, eine Reise in diesem Monate, wenigstens von der Mitte

desselben ab, der wichtigen Entscheidungen im Abgeordnetenhause halber,

unmöglich ist.

Zwar erklärte sich der in Frankfurt eingesetzte Ausschuß in einer Sitzung vom 19. August in Augsburg mit der Einleitung von Ver­ handlungen mit den österreichischen Politikern einverstanden; sie blieben

186

Schulze-Delitzsch.

aber ohne Erfolg. Trotzdem fand am 28. und 2A. September 1862 der ausschließlich aus Deutschland beschickte erste deutsche Abgeordnetentag unter Teilnahme von mehr als 200 Personen in Weimar statt. Hier standen im Mittelpunkt der Verhandlungen die bei dem Bundes­ tage von Österreich und den Mittelstaaten eingebrachten Anträge

auf Berufung einer Delegation von Abgeordneten aus den einzelnen

deutschen Ständekammern zur Beratung von noch auszuarbeitenden, für ganz Deutschland geltenden Gesetzentwürfen über ein Bundesgericht, eine Zivilprozeßordnung und ein Mbligationenrecht. Hierzu wurde in Weimar von Bennigsen und anderen Abgeordneten, unter ihnen auch von Schulze, der Antrag eingebracht: J. Die bundesstaatliche Einheit Deutschlands, wie sie un­ beschadet der Selbständigkeit der einzelnen deutschen Staaten in inneren tandesangelegenheiten in der deutschen Reichsverfassung

vom 28. März J8^9 ihren rechtlichen Ausdruck gefunden hat, ist eine politische Notwendigkeit für die Selbsterhaltung und das Ansehen Deutschlands nach außen sowie für die Begründung und Festhaltung der Freiheit und eines gesicherten Rechtszustandes nach innen. Sie kann nur herbeigeführt werden durch Linberufung eines Parlaments. Die Herstellung eines solchen für ganz Deutschland ist ein Recht des deutschen Volkes. Dessen Errichtung mit allen gesetzlichen Mitteln zu betreiben ist die Pflicht

eines jeden Deutschen, sowie aller deutschen Regierungen und Landtage. 2. Das deutsche Parlament muß aus freien Volks­

wahlen hervorgehen. Die projektierte Delegiertenversamnrlmlg aus den Rammern der einzelnen deutschen Länder ist nicht einmal als eine Abschlagszahlung anzusehen, sondern von den Rammern zurückzuweisen. 5. Das vorgeschlagene Bundesgericht erscheint nach Einrichtung und Zuständigkeit als eine der Freiheit höchst ge­

fährliche und durchaus verwerfliche Institution.

Die nationale

Einigung hat das gesamte Deutschland zu umfassen, es darf nicht nur kein deutscher Bruderstamm ausgeschlossen werden, sondern es ist ebensosehr das Recht wie die Pflicht aller einzelnen Staaten, dem Gesamtverband sich anzuschließen. Dies gilt namentlich auch in Beziehung auf das Verhältnis zu Deutsch-Österreich. Sollten aber der Herstellung einer Deutsch-Österreich umfassenden bundes­

staatlichen Einigung für den Anfang unübersteigliche Hindernisse

9 Vgl. hierzu Schulzes spätere zusammenfassende Darstellung unter S. 309 ff.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

187

im Wege stehen, so darf dies für die übrigen deutschen Staaten kein 2lbhaltungsgrund sein, mit der Ausführung des nationalen Werkes an ihrem Teil zu beginnen. Dagegen ist der Eintritt

der bisher nicht im deutschen Bund befindlich gewesenen Länder Österreichs unvereinbar mit dem nationalen Bedürfnis des deutschen Volkes. 5. Die Frage über die deutsche Exekutivgewalt ist unter Blitwirkung und Zustimmung des deutschen Parlaments zu regeln. Der Antrag wurde von Metz-Darmstadt begründet, dagegen von Probst-Stuttgart bekämpft, weil damit die Deutsch-Ästerreicher aus der deutschen

Einigung

ausgeschlossen

würden.

hierauf

nahm

Schulze

das Wort:

Meine Herren! Ich werde nach den Auseinandersetzungen der geehrten Vorredner nur zwei Dinge noch herausnehmen und solche etwas lmher be­ leuchten. Ich werde nichts äußern in betreff der von uns formulierten Wünsche in den neu kombinierten Anträgen über die Notwendigkeit der Zentral-

gewalt mit Parlament als das einzige, welches die berechtigten Forderungen des deutschen Volkes auf nationale Existenz befriedigen kann. Ich will nur dasjenige herausgreifen, was namentlich der letzte Redner') mit Recht so sehr betonte, weil es in der Tat den Kern der Situation bildet: Großdeutsch oder Kleindeutsch, mit anderen Worten, die Stellung Öster­ reichs zu unseren Einheitsbestrebungen. Was unter der Firma: „Großdeutsch" sich so häufig versteckt, hat der Abgeordnete Probst bereits treffend gekennzeichnet. Eine eigentlich kleindeutsche Partei, die es wirklich einmal gab, die Deutschland zerreißen wollte mit dem Projekte von der Mainlinie, deni Unionsprojekt,2) existiert im deutschen Volke, mindestens in diesem Augenblicke, nicht mehr, und wir können uns jetzt diesen Namen gefallen lassen, die wir die Sätze

festhalten, welche wiederholt in dem Programm des Nationalvereins aus­ gesprochen sind und jetzt auch in dem Anträge vorliegen, der hier auf­ gestellt worden ist. Wir wollen ganz Deutschland, aber wir wollen keine Zugabe von undeutschen Brüdern und Ländern. Also wir sind eigentlich die deutsche Partei, und jene, die das andere will, die sich die großdeutsche A) Probst, Stuttgart. 2) Im Mai 1849 hatte König Friedrich Wilhelm IV. dem Wiener Kabinett den Vorschlag unterbreitet, daß die deutschen Einzelstaaten einen unter Preußens Führung stehenden Bundesstaat bilden und dieser sich mit Österreich zu einem völkerrechtlichen Bund zusammenschließen sollte. Österreich lehnte den Vorschlag ab. Übrigens dachte Preußen nicht daran, den engeren Bundesstaat am Main enden zu lassen.

nennt, ist die undentsche; dies, glaube ich, sind wir entschieden berechtigt, in Anspruch zu nehmen. Wir haben namentlich den Bundesstaat betont, und der geehrte Vorredner, Herr Probst, hat daran eine Ausstellung geknüpft, die wir doch einmal ein wenig ins Gesicht fassen wollen. Er meinte: Wenn wir den Österreichern zumuteten, sie sollten in einen Bundesstaat ein treten, mit dem man, selbst ohne ihre Beteiligung, in dem übrigen Deutschland den Anfang zu machen gedenke, so boten wir ihnen da etwas Unfertiges, etwas was noch in der Luft schwebe, was noch gar nicht existiere, und das gehe nicht; so auftreten konnten wir nur dann, wenn wir schon etwas realisiert hätten von unseren Forderungen. — Meine Herren! Das scheint mir ein Zirkelschluß zu sein. Ich meine gerade, wenn man etwas Unfertiges in einen fertigen Zustand hinüberführen will, bann muß man sich doch klar machen, was man will, dann muß man ganz bestimmte konkrete Tendenzen und Ziele verfolgen, sonst wird man aus der Un­ fertigkeit in das Fertige nie hineinkommen. l,Bravo!) Wenn wir also den Weg verfolgen, den der geehrte Herr Abgeordnete Vorschlag, so ge­ raten wir auf denselben Standpunkt, den er den Großdeutschen zum Vorwurf machte, das heißt: wir werden mit der Verwirklichung unserer Bestrebungen niemals beginnen! (Stimmen: „Sehr richtig!") Warum es eine Unmöglichkeit ist, den Gesamtstaat Österreich in das deutsche Einigungswerk hereinzunehmen, was ja auch niemand will von der ganzen Versammlung, das ist schon erörtert worden. Lassen Sie mich dem zwei Punkte hinzufügen. Erstlich weichen wir, sobald wir fremde Länder und Stämme auf­ nehmen, von dem nationalen Prinzipe ab, was ja den Kern und den Zielpunkt der Bestrebungen bildet, die nicht nur Deutschland sondern ganz Europa bewegen! Was wollen die Volker mit ihren Bestrebungen auf diesem Gebiete? Sie wollen in der nationalen Gestaltung ihrer politischen Staatsform einen solchen Zustand austreben, der es ihnen möglich macht, ihre ureigensten Lebensbedingungen, wie sie ihnen Natur und Geschichte vorzeichnen, zum vollen Ausdruck zu bringen, indem davon losgelöst werde alles Fremdartige, alles was den Schwerpunkt des staat­ lichen Daseins außerhalb des Volkslebens verlegt. Vielmehr soll derselbe mit ihm zusammenfallen, keine fremden Interessen sollen sich dazwischen drängen, damit alles, was in einem Volke liegt, zur Entwicklung komme, und es so in die Sage komme, seiner geschichtlichen Bestimmung voll­ kommen zu genügen. Damit kommen wir in Widerspruch, wenn wir fremde Nationalitäten

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

189

in den Staat der Zukunft, den wir in Deutschland gründen wollen, her­ überzögen! Denn, meine Herren, wie wollten wir diese Völker zu uns bekommen? Anders als durch Zwang gewiß nicht! Und wie es jetzt steht

in den einzelnen österreichischen Ländern, meine Herren, das werden wir wohl alle mit Bedauern wahrgenommen haben.

Befreundet sind sich die

verschiedenen Nationalitäten, die in Österreich leben, wahrhaftig nicht! Ihre nationalen Bestrebungen gehen sehr auseinander, und diese Völker durch ein zwingendes Band mit uns verbinden ,511 wollen, das hieße den Keim der Auflösung und Zersetzung in unseren eignen Staatskörper mit hineinnehmen. (Bravo.) Denn wie hat bis jetzt die Politik des Hauses Habsburg die Dinge zusammengehalten? Tas wissen wir alle, das ,,divide et imperau ist nirgends so geschickt gehandhabt worden als hier. Man hat so lange eine Nationalität gebraucht, um den Freiheitsdrang der anderen zu ersticken, bis endlich im erwachenden politischen Bewußtsein die einzelnen ^Nationali­ täten hinter diese Regierungstaktik gekommen sind und in neuerer Zeit immer schwieriger werden, sich zu diesem Zwecke ferner gebrauchen zu lassen. So bildet sich, leider müssen wir das aussprechen, eine Einigkeit der verschiedenen Nationalitäten, die aber zu allem eher als zu den Be­ strebungen der Negierung zur Herstellung eines Einheitsstaates die Hand bietet. Wir bedauern das, meine Herren! Nicht bloß aus Sympathie für Deutsch-Österreich, denn das ist schließlich doch nicht der entscheidende politische Standpunkt, wir bedauern das, weil wir ein national-deutsches Interesse haben, daß die Deutsch-Osterreicher der Kern bleiben in dem großen „Ostreiche", und weil dieses große „Ostreich" mit deutschem Kern recht wesentlich die Bestimmung hat, wichtige deutsche Interessen zu ver­ treten. Es kann uns nicht gleichgültig sein, vom Standpunkte der realen

und Jnteressenpolitik aus, was aus den Dingen im Osten wird, wer an der Donau, an der Adria herrscht, an diesen großen Verkehrsadern nach dem Osten, wenn eine Katastrophe über Österreich Hereinbrüche. Nun, meine Herren, das wäre die eine Frage, warum wir die nicht­ deutschen Länder Österreichs, gleichviel ob der Einheitsstaat zur Durch­

führung kommt oder ob die bisherige Personalunion bleibt, nicht in das

deutsche Einigungswerk hineinnehmen können. Schwieriger und anders gestaltet sich dagegen die Frage wegen Hereinnahme der Deutsch-Öster­

reicher.

Diese haben ein Recht darauf, das ist unbestreitbar; aber, daß

große Schwierigkeiten vorhanden sind in diesem Augenblicke und wohl noch auf längere Zeit, an die Verwirklichung dieses Rechts und an ihren Eintritt in den deutschen Bundesstaat zu denken, das hat der Herr Vor-

Schulze-Delitzsch.

190 redner selbst anerkannt.

Sollen wir nun selbst gehemmt sein, solange,

bis jene Schwierigkeiten gehoben sind, an unser Einigkeitswerk zu geheu? Meiue Herren! Da werden wir doch einen kleinen Blick auf das Sach­

verhältnis werfen müssen, und es wird sich sofort herausstellen, daß das­ selbe ziemlich verwickelt ist.

Die Schwierigkeit liegt sowohl in der öster­

reichischen Regierung, als — obgleich darüber die Meinungen geteilt sein mögen — mindestens in dem Willen eines Teils der liberalen Deutsch-

Osterreicher.

und

Daß die österreichische Regierung ihr wesentliches Kern-

Stammland mit ihrem Willen

der

fremden

Souveränität eines

Bundesstaates niemals freiwillig unterwerfen wird, wodurch sie die diplo­

matische und uiilitärische Leitung dieser Landesteile verlöre, ja, das scheiiit mir selbstverständlich

zu

sein,

darüber verliere ich kein Wort.

Lllleiii

auch viele Doit den Deutsch-Österreichern, selbst von den liberalen — wir

haben Gelegenheit gehabt, hie und da ihre Dceinung zu

vernehmeu —

finden es geratener, lieber in einem großen Österreich die Ration zu seiu und den Stein eines großen

zu bilden, als sich mit imS zu vereinen.

diesen

Gründen,

um

die

Stelluitg

der

herrschende

bedentenden Gesamtstaates

Ich glaube, daß besonders ans

Deiltsch-Osterreicher, um

ihre

Wünsche zu erfahren, es so sehr zu bedaueru ist, die Männer von dort nicht selbst in unserer Mitte zu haben; sie würden uns darüber am besten Auskunft geben können.

In keinem Falle aber kann man uns zumuten,

auf Lösung solcher Konflikte zu warten.

Vielmehr können wir unter

diesen Umständen nichts Besseres tun, als unser Einigungswerk zunächst

allein in die Hand zu uehmen.

Unsere österreichischen Brüder sind uns

willkommei! und werden von uns mit Freuden ausgenommen, aber, meine

Herren, vertagen können wir deshalb den Beginn unserer Arbeit nicht, denn die Zeit ist ernst, die Lage Europas ist im höchsten Grade gefährdet; und wenn, wie schon vor wenigen Jahren, der Landesfeind wiederum an die Pforten des Vaterlandes klopft und unsere traurigen Zustände sind

nicht besser und anders geworden, dann ist die Selbständigkeit unseres engeren und weiteren Vaterlandes im höchsten Grade gefährdet.

Alles

dies mahnt uns, daß wir rasch an das nationale Einigungswerk gehen.

Es wurde vorhin erwähnt — und hier komme ich

auf die ver­

schiedene Stellung Österreichs und Preußens zu Deutschland, die der HerrVorredner ins Auge faßte — die Österreicher hätten in Wien, nach dem

Berichte

des geehrten Vorsitzenden, der

Kommission

erklärt:

man

sei

seitens Österreichs entschlossen zu bieten, was irgend von Preußen geboten

werden könnte, und man würde ganz entschieden bescheidener in seinen Forderungen sein.

Meine Herren!

Die Sache ist zu ernst, um jenes

Tie nationale Bewegung und der Deutsche Jiatioualvcrein. Bild vom Mindestfordernden weiter zu verfolgen. in der großen nationalen Angelegenheit

191

Ich meine, es kommt

bei uns nicht darauf an, wer

das mindeste fordert, um die Frage zu entscheiden,

wen

der

künftige

deutsche Bundesstaat an seine Spitze stellen wird; es wird wohl darauf ankommen, wer das meiste leistet, meine Herren! Und dann, wenn Sie

die beiden Länder — die Frage ist einmal hereingeworfcn — ins Auge fassen, so ist Prellßen in der Lage, das höchste zu bieten, was der einzelne wie eine Gesamtheit überhaupt bieten kann, sich selbst, ganz und rück­ haltslos; etwas, was Österreich beim besten Willen nicht zu bieten im­

stande ist.

Preußen bietet eine geeinigte große deutsche Bevölkerung als

den Träger seines Staates;

in der Lage, dies zu

bieten — und

das

scheint mir daS höchste Gebot — ist Österreich nun einmal nach seinen

Verhältnissen nicht, darüber kann kein Streit sein. dem geehrten Gegenredner zugeben,

Das muß ich freilich

daß die jetzige preußische Regierung

uns unser Vorgehen in dem deutschen Einiguugswerk wahrhaftig nicht

leicht macht.')

Ich mache Sie doch aber auf etwas recht Weseutliches

dabei aufmerksam: Sehen Sie doch einmal den ganzen Zng der Geschichte unserer Zeit an, liegt denn nicht gerade darin, daß das deutsche Einigungs­

werk uns nicht bequem von den dentschen Regierungen sozusagen auf dem Präsentierbrett entgegengetragen Ivird, liegt denn nicht darin, daß es uns

sauer gemacht wird, daß man die Sache so sehr erschwert, eine andere

große Garantie? Nun, meine Herren! Wie für uns Preußen selbst der Umstand, daß wir unsere verfassungsmäßigen Rechte erst erkämpfen müssen,

unserm

ganzen Verfassungsleben erst den rechten Wert, die dauernde Grundlage gibt,

so liegt es wahrscheinlich in den Geschicken des deutschen Volkes

und dieser Zeit einbegriffen, daß das Volk sich die Einigung selbst er­

kämpfen und verdanken soll. (Bravo!) Das ist überhaupt der historische

Zug des 19. Jahrhunderts, der wesentlich abweichend ist von dem des 18. Jahrhunderts, daß nicht einzelne große hochbegabte Monarchen ihren

Völkern weit voraus in politischer Umsicht hintreten,

um die Bahnen

der Zukunft vorzuzeigen, und die Volker mühsam nach sich ziehen.

Nein,

meine Herren! in unserm Jahrhundert liegen die Sachen anders; die Völker stehen an der Spitze der humanen

und politischen Entwicklung

und die Fürsten werden von ihnen nachgezogen.

(Bravo!)

Ich meine,

das wollen wir uns immer zurückrufen: wir arbeiten nicht für irgend-

*) Vgl. den damaligen Militnrkonflikt zwischen der preußischen Krone und der zivciten preußischen Kammer.

Schulze-Delitzsch.

192

eine Dynastie in Deutschland, weder für die Hohenzollern, noch für die

Habsburger, wenn wir die deutsche Einigung herstellen wollen, sondern wir arbeiten für uns, für das deutsche Volk. (Bravo!)

Aber weil das so ist, meine Herren, deswegen müssen wir auch die

Arbeit übernehmen.

In dem ganzen Streite um politische Selbständig­

keit habe ich noch nie in der Geschichte gelesen, daß die schönen Dinge den Leuten

so über Nacht, so im Schlafe gekommen wären.

Es hat

überall harte Arbeit und schwere Kämpfe abgesetzt, und vielleicht segnen

unsere Enkel dereinst den Umstand, der uns jetzt, einzelne wenigstens, verdrossen macht: Daß wir uns die Dinge mühsam abringen mußten, daß sie uns nicht von oben herab geschenkt worden sind. (Bravo!)

Wir haben ein Stück Weges

und ein großes Stück, ein größeres

als mancher meint, zu unserer nationalen Einigung schon hinter uns;

das Volk hat schon ein Stück fertig gemacht, mit dem überall begonnen werden muß, wenn die Entwicklung eine gesunde sein soll.

aus den Tiefen des Volksgeistes heraus

Wir haben

unsere humane Wiedergeburt

im vorigen Jahrhundert vollendet und wir werden aus der Tiefe desselben

Volksgeistes heraus unsere politische Wiedergeburt in diesem Jahrhundert vollenden.

(Bravo!)

Wie wir übrigens selbst stehen, meine Herren, daß wir Preußen un­ befangen sind in bezug auf die Hegemoniefrage, das, glaube ich, wissen

Sie alle, denn wir haben uns sehr bestimmt darüber ausgesprochen in

unserem Abgeordnetenhaus.

Betrachten Sie unsere Adreßdebatte, was

haben wir da gesagt?')---------------------Wir haben dem

abgetretenen Ministerium/) was mit dem jetzigen

so ziemlich identisch ist (Heiterkeit), gesagt: es solle die Hand lassen von der deutschen Frage.

Die deutsche Frage wäre uns zu heilig und zu hoch,

wir wollen nicht, daß es sie in die Hand nehme. (Bravo!)

Und dabei

habe ich mich ausdrücklich darauf berufen, das gesamte deutsche Volk habe

diesem Ministerium das Mißtrauensvotum schon gegeben in der einfachen Einstellung der Flottensammlungen?)

Also an die jeweilige Regierung

Preußens oder irgendeines Staates müssen Sie die Frage nicht knüpfen, T) Vom 2. bis 6. Juni 1862. 2) Hohenlohe-Bernstorff, dessen Nachfolge Bismarck am 23. September 1862 übernahm. 3) Der Ausschuß des Nationalvereins hatte am 4. März 1862 die schon seit Ende 1861 erfolgte Einstellung der Ablieferung der von ihm veranstalteten Sammlungen für eine deutsche Flotte an das preußische Kriegsministerium genehmigt.

wenn von der Spitze des Bundesstaates die Rede ist. Sehen Sie, die Krisis bei uns ist schlver, und wir werden wahrhastig genug zu tun haben, ehe wir ein wirkliches Berfassungsleben und deu wirklichen Rechts­ staat bei uns ausgebildet haben. Aber, meine Herren, anders wie in Österreich liegt die Sache doch. Vergleichen Sie die Dinge bei uns meinethalben mit den Vorgängen in Hessen: so ist doch die Existenz des Staates nicht daran geknüpft. Unter dem Wechsel der jeweiligen Negierungen bleibt das Volk allemal als Träger des Staates übrig. In einer solch' glück­ lichen Lage ist Österreich nicht. Tie Personalunion ist das, was seine ver­ schiedenen Länder bis jetzt zusammenhält; dem Staatswesen gebricht die Unter­ lage eines einigen Volkes. Und, meine Herren, das ist eben das große Grund­ übel dort, daß sich das ganze einigellde Moment, das, lvas alles zusammen­ hält, nur in der Dynastie befindet, daß also ein solches Band durch eine augenblickliche Mißregierung viel leichter erschüttert werden kann. Dort ist die staatliche Existenz, in ihrem jetzigen Länderumfange wenigstens, gefährdet, denn sie ist ganz allein geknüpft an die Regierung und an das Herrscherhaus, die einzelueu Volker aber streben auseinander. Solche Dinge bestehen in den anderen deutschen Ländern nicht, lveder in Preußen noch in Bayern, weder in Württemberg noch in Sachsen usw., hier ist ein ganz bestimmter Volksstamm da, das ist der Träger der staatlichen Idee, und die Regierung mag nach den Bedürfnissen der Zeit wechseln, ohne daß der Staat gefährdet würde. Glauben Sie mir, meine Herren' eine allzu lauge Zukunft hat das jetzige Ministeriums in Preußen mutmaßlich nicht (Heiterkeit und Beifall), und Fürst und Volk werden den rechten Weg finden, den die Gemein­ samkeit ihrer Interessen und das gemeine Wohl ihnen vorschreiben. Wenn aber das Ministerium geneigt ist, wirklich ebenso wie das Ministerium des Herrn von Schmerlings in Österreich, sich zu bewerben um die Sym­ pathie der deutschen Nation, wenn die beiden Großstaaten sich darin eine freundschaftliche Konkurrenz machen: Nun, meine Herren! Wir nehmen an, was wir bekommen können, und die Herren möchten auf diesem Wege, zu dem sie vielleicht uicht der rechte Ernst sondern gewisse politische Nebenzwecke treiben, leicht Geister hervorrufen, die zu bannen vielleicht nicht in ihrer Macht steht. (Bravo!) Man spricht immer von spezifischem y Ministerium Bismarck. 2) Anton von Schmerling in Wien, 1805—1893, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, Minister des Innern und später des Äußern im Frank­ furter Neichsministerium, 1860 österreichischer Staatsminister; er war die Haupttriebfeder für die Verleihung der Verfassung in Österreich am 26. Februar 1861. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

III.

1$

Schulze-Delitzsch.

194

Meine Herren!

Preußentum.

Bevölkerungen

Man kann mit demselben Recht bei den von Partikularismus

deutschen Staaten

aller

sprechen, Das spe­

aber es ist gut, wenn man sich die Sache einmal klarmacht.

zifische Preußentum besteht darin, daß manche Preußen meinen und sich

einbilden,

sie seien allein Manns genug, um die europäische Stellung

Preußens dnrchzuführen.

Dabei lassen sie sich auch herab, von Deutsch­

land mitzusprechen, aber sie glauben und sprechen es immer ans, daß sie

auch diese Sache allein ausmachen könnten und wollten, daß sie allein

den ganzen Knoten mit dem preußischen Schwert zu zerhauen vermöchten.

Das sind die spezifischen Preußen!

soviel Selbstgefühl

und dazu

Dazu gehören wir nicht.

Wir haben

gibt uns die Geschichte unseres engeren

Baterlandes Veranlassung, um zu sagen: Sie brauchen uns, Sic können

nichts

ausrichten

mit Ihrer deutschen Einigung

ohne uns!

Aber wir

brauchen Sie auch und wir sind nichts, wir sind unfertig, solange wir

nicht

Zusammengehen.

mit Deutschland

Das ist nicht bloß ein leerer

?lusspruch, das hat die Geschichte Preußens bewiesen.

So oft Preußen eine undeutsche Politik trieb,

Bleine Herren!

kam es bald und immer

an den Rand des Abgrundes, und seine Regeneration, sein Emporrasfen war

wieder

nur

die Rückkehr wahrhaft deutscher Politik.

Frieden an und sehen Sie, wie weit Preußen damit kam? Jena,

von

an

geschwächte,

die

ganzen

dienen.

unglaublichen

jener

zu

verlorene Schlacht den

Dieser

(Stimmen:

Nehmen Sie z. B. die unglücklichen Zeiten vom Baseler

Sehr wahr!)

ganzen Staat umwarf.

dezimierte Staat,

dieser

nationalen

Katastrophe,

Forderungen und

großen Erhebung

er

Volkes

eine

zum

einzige

meine Herren!

Und,

es,

vermochte

Sympüthien sich

des deutschen

Zur Schlacht

wo

als

er

anlehnte, der

Mittelpunkte

zu

Sobald er im deutschen Sinne sich erhob, fand er nicht nur

wie Antäus auf der mütterlichen Erde seine verlorene Kraft wieder, nein, seine Kraft verzehnfachte sich. (Bravo!) Wir haben alle Ursache, bescheiden

zu sein; mein Gott, die Zeiten sind so ernst und die Fragen so groß,

daß hier nicht nur jede einzelne Persönlichkeit verschwindet, nein,

daß

auch die kleinen Rankünen und Eifersüchteleien der einzelnen deutschen

Stämme

nicht

in Betracht kommen können.

mehr

Sehen Sie, alles,

was in Preußen und seiner Geschichte gut und tüchtig ist, das ist deutsch! Sehen Sie die große Mission, die es im Osten erfüllt, diese Germanisierung der slawischen Provinzen, welches Element hat dies bewirkt?

preußischen Waffen?

Nein,

die deutsche

Kultur!

Das

kann

Etwa die man

in

Preußen nicht trennen, das hat es mit Deutschland gemein, das hat cs von Deutschland,

denn

die deutschen Ansiedler von Westen her haben

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein. allmählich jene Kultur nach dem Osten getragen.

der

österreichische Kulturtragen nach

das

195

Ich glaube, der Redner,

dem südlichen Osten tadelte,

wird im nördlichen Osten diese deutsche Mission uns nicht auzweifeln.

Es war aber eine deutsche Kultur, die wir in diese Länder gebracht haben^

und die Preußen haben nichts weiter getan, als eine deutsche Mission

vollzogen.

Und warum konnten sie das? Weil bei ihnen alles durch und

durch deutsch war und ist, weil sie Deutsche sind, ein lebendiges starkes 65(ieb des großen Ganzen, sonst wären sie dazu nicht inistande gewesen.

Doch

ich will schließen.

Ich glaube, meine Herren,

Sic werden

nicht befremdet sein, wenn ich von meinem engeren Vaterlande zu Ihnen

redete.

Wir Preußen

haben

uns

aller besonderen Anträge enthalten,

es war uns weit wichtiger, Sie zu hören und dazu beizutragen, in mög­ lichster Übereinstimmung das große Einigungswerk zu fördern. Allein

ich meine doch, Sie haben es erwartet, daß einer aus unserer Bütte über die Eventualitäten, über die Vorgänge bei uns Ihnen einige Eröffnungen mache, und der Herr Vorsitzende scheint mir deshalb auch seine Indemnität

für die längst verstrichenen zehn Minuten gegeben zu haben. (Heiterkeit.)

Bieine Herren, wenn wir die Dinge so auffassen, wenn wir in den Verhältnissen der beiden Großstaaten und der anderen Staaten gegebene

Realitäten, geschichtliche Notlvendigkeiten erkennen, mit denen wir eben auf dem politischen Felde als einzig möglichem Faktor rechnen müssen: so tvcrden wir lvohl den besten Weg gehen, der uns als ein Leitfaden

durch die Wirren, die vielleicht bald über unser Vaterland Hereinbrechen, zum Ziele führen kann.

Und wir haben eine Garantie für das endliche

Gelingen, wenn tvir uns das Leben unseres Volkes in den letzten Jahren vergegenwärtigen,

wie sie nicht schöner und nicht hoffnungsvoller sein

Der Geist

der Geschichte ist mächtig geworden in Deutschland,

kann.

das politische Bewußtsein ist hcrangereift in kürzester Zeit, wie dies kaum

Ich sage dies nicht in dem Sinne,

je bei anderen Völkern der Fall war.

als ob wir die Hände in den Schoß legen und warten dürften, bis uns

die Frucht reif vom Baume fällt; nein, der Geist der Geschichte wird erst dann mächtig in einem Volke,

wenn derselbe in politische Aktion

tritt, die Initiative ergreifen lernt in Gestaltung seines staatlichen Daseins. Und

der

beste Beweis,

daß

wir

des

Volkes betraute

Männer

sind,

Männer, die alle durch ihr früheres oder gegenwärtiges Mandat im Ver­

trauensverhältnis zu dem Volke standen und noch stehen, wäre vor allen Dingen der, daß die deutsche Hauptuntugend, die uns soviel geschadet

in schweren Jahrhunderten, in uns selbst wenigstens allmählich zu er­ sticken anfange.

In uns selbst müssen wir diesen Läuterungsprozeß voll-

Schulze-Delitzsch.

196 ziehen,

alle unglückliche Sonderungssucht abtun.

Nur wenn wir das

vermocht haben, dann können wir es auch von unseren Landsleuten ver­

langen; nur wenn der übertriebene Individualismus der einzelne» auf­ hört, dann geht cs anch mit dem leidigen Partikularismus der einzelnen Bolksstämme bei uns zu Silbe.

Wir also, wir müssen darin vorangehen.

Darum, meine Herren, lassen Sie uns diesen Beweis geben.

Ich hätte

manches zu sagen gegen die dlntrüge, aber ich stimme doch dafür, weil

ich weiß, wir müssen uns einmal in diesen Dingen fügen lernen, sonst

sind

unsere

ganzen Forderungen

Ding und Luftgebilde.

die

an

nationale Zukunft ein eitel

Wer nicht selbst soviel Resignation besitzt, um

den Schritt, den man als notwendig erkennt, voraus zu tun, der kann

nicht zu den Führern seines Bölkes in diesem großen Werke gehören. Stimmen Sie für die Anträge!

^Lebhafter Beifall.)

Am Schluffe der noch weiter fortdauernden Debatte wurde der von Bennigsen und Genossen gestellte Eintrag mit allen gegen vier Stimmen

angenommen. Jn der Verhandlung am folgenden Tage über die Beseitigung der

Krisis im Zollverein sprach Schulze nur kurz ein paar empfehlende Worte für den Antrag der Kommission, der die Gründung eines Bundesstaates auch in handelspolitischer Beziehung für ein dringendes Be­ dürfnis erklärte, aber die Erhaltung des Zollvereins bis dahin unbedingt verlangte.

37. Brief von Rudolf von Bennigsen an Schulze. Bennigsen, 20. August 1862. Daß Ihr im Abgeordnetenhause gegenüber den Anträgen am Bundes­

tages etwas tut, scheint mir allerdings sehr geraten.

Im wesentlichen

mit Dir übereinstimmend, halte ich bei einer Resolution in diesem Augen­ blick für erforderlich, daß folgende Punkte vom Preußischen Abgeordneten­

hause besonders hervorgehoben werden:

1. Das Bedürfnis einer Reform der Bundesverfassung überhaupt und einer einheitlichen Zentralgewalt nebst Parlament insbesondere T) Am 14. Juli halte der Bundestag gegen den Widerspruch von Preußen die Einsetzung einer Kommission zur Ausarbeitung einer allgemeinen Zivilprozeß­ ordnung für die deutschen Bundesstaaten beschlossen und am 14. August Vor­ schläge über die Art der Zusammensetzung dieser Kommission erörtert, welche aus Delegierten der einzelnen deutschen Ständekammern bestehen sollte.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverein.

197

— und zwar nicht vorzugsweise für Privatrecht und Prozeß, sondern — für Krieg, Auswärtiges, Marine, Zoll und Handels­ verkehr. 2. Die Anerkennung dieses Bedürfnisses durch Österreich und die größtenteils reaktionären Würzburger Gouvernements?) 3. Die Spiegelfechterei und Hohlheit der von ihnen bis jetzt ge­

machten Vorschläge. 4. Die Beleidigung, welche in solchen Vorschlägen nicht allein für die deutsche Nation, sondern ganz speziell für die preußische Re­ gierung enthalten ist. 5. Die Notwendigkeit für Preußen und seine Regierung, mit positiven Vorschlägen den übrigen Negierungen gegenüberzutreten, welche die Nation wahrhaft befriedigen und Preußens Stellung und Be­ deutung entsprechen. 6. Die Unmöglichkeit einer solchen großen Neformpolitik für das jetzige preußische Biinisterium, welches im Kampfe mit dem eigenen Volke und mit den Ideen, welche die deutsche Nation bewegen, zu einer deutschen Politik unfähig ist, die Nadelstiche und Fuß­ tritte der Neider und Gegner herausfordert und damit enden muß, Preußen und Deutschland zu zerrütten.

38. Brief an Streit in Koburg. Berlin, 23. Oktober 1862. Die Proklamierung der Neichsvcrfassung durch den Nationalverein war eine absolute Notwendigkeit, und ich trat selbst mit dem Vorschläge im engeren Kreise in Weimar gegen Metz und v. Bennigsen auf. Meine

Kollegen von der nationalen Partei im Preußischen Llbgeordnetenhause sind ohne Ausnahme damit einverstanden. Wir wären bei dem Fort­ gange der Reformbestrebungen bei dem Vorgänge der Regierungen geradezu in das Hintertreffen gekommen, hätten wir länger gezögert, den Schritt zu tun.

*) Von Ende 1859 bis Anfang 1862 waren die mittelstaatlichen Minister wiederholt aber ergebnislos in Würzburg zusammengetreten, um über Reformen der Bundesverfassung zu beraten, deren Spitze in Wahrheit gegen Preußen ge­ richtet war.

Schulze-Delitzsch.

198

39. Brief von Rudolf von Bennigsen an Schulze. Bennigsen, 7. November 1862. Einliegend

erhältst Du zu

Deiner Notiz einen Brief des Herrn

Eichlers) welcher sich jetzt so breit macht und dem Ihr so wenig trauet. Ich habe in meiner ablehnenden Antwort u. a. hervorgehoben, daß es

mir

im eigenen Interesse der Arbeiter zu liegen scheine,

Zusammenkünfte erforderliche Geld selbst aufzubringen.

das für ihre

Zugleich habe

ich dem Herrn Eichler erklärt, daß nach den mir von verschiedenen Seiten

gewordenen Mitteilungen

über sein

Benehmen während der Arbeiter­

expedition *2)3 ich 4 wenig Lust hätte, mich für ihn znm zweitennial zu ver­

wenden. Über die Verallgemeinerung des Nationalfonds erhielt ich dieser Tage auch von einem andern Ausschußmitgliede einen Brief.

Jedenfalls ist

dazu die Zustimmung des Komitees der Fortschrittspartei zu erwirken,

bevor wir im Ausschuß öffentlich etwas tun können?) auch

deshalb

gern

in Eisenach

Ich hätte Dich

gesprochen und ferner auch aus dem

Grunde, um mit Dir näher die für Prenßen zweckmäßigen Schritte zu beraten, um die öffentliche Meinung für die Reichsverfassung zu be­

arbeiten und Kundgebungen in diesem Sinne zu bewirken.

Bei den Ver­

sammlungen, welchen Du beiwohnen willst, nehmt Ihr dieses wohl ohne­

dies in die Hand.

Es wäre aber eine allgemeine Zustimmung der nam­

haftesten Leute in Preußen nach den Konferenzen der Großdeutscheu um so erlvünschter.

40. Brief an Rudolf von Bennigsen. Potsdam, 18. Juni 1863. Dein Brief trifft mich soeben, Freitag mittag.

Morgen hat der

Zentralausschuß^) Sitzung — dem wir allerdings vor dem Auseinander­

gehen der Abgeordneten sein Mandat haben bestätigen lassen — und ich T) Über den Berliner Maschinenarbeiter Eichler und seine politische Rolle siehe: Ed. Bernstein, Lassalles Reden und Schriften I, S. 109 f.; II, S. 396 ff. 2) Zur Weltausstellung in London, wohin der Rationalverein auf seine Kosten eine Anzahl deutscher Arbeiter entsandt hatte. 3) Am 9. November lehnte die Vorstandssitzung der Deutschen Fortschritts­ partei den Antrag des Grafen Reventlow ab, den zur Unterstützung von regierungs­ seitig gemaßregelten Parteigenossen angesammelten preußischen Nationalfonds zu einem deutschen zu erheben. 4) Der Deutschen Fortschrittspartei.

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationaloerein.

199

muß dazu nach Berlin, da wichtige Organisationsfragen verhandelt werden, kann also nicht nach Harzbnrg, wohl aber nächsten Sonntag oder später, wenn ich es 5—6 Tage vorher weiß, weil ich dabei in Magdeburg eine

Versammlung abhalten will.

Daß die Sachen in Preußen langsamer gehen wie in den kleinen Ländern, ist wohl sehr natürlich.

Da Ihr von den Schwierigkeiten einer

Organisation in dem weiten Lande der konzentrierten Regierungsmacht

gegenüber keine richtige Vorstellung habt und haben könnt,

ich mich gar nicht, daß Ihr ungeduldig werdet.

so lvundere

Indes dürft Ihr an Geist

und Willen unseres Volkes nicht zweifeln, und es wäre besser, Rochau^)

schleuderte etwas weniger hypothetische Donnerkeile.

Doch

schaden sie

am Ende nicht, einen Puff in die Seite kann der preußische und ander­

weite deutsche Michel gut vertragen. Noch kommt die natürliche wenn auch nur augenblickliche Abspannung hinzu. Die liberale Partei steht unausgesetzt seit Herbst 1861 im Feuer und eine Menge einflußreicher Mitglieder will nun einmal — nach Über­

gehen des vorigen Sommers — in den schönen Monaten sich erholen. Da es die Gegner von den Ministerien an auch tun, ist das gerade nicht

so gefährlich, und es wird eben 6—8 Wochen politische Gurkenzeit geben,

wenn nicht etwas dazwischen kommt, worauf die Herren

nicht rechnen!

Jndefsen legen wir wahrlich die Hände nicht in den Schoß und Ihr

werdet von uns hören.

Aber mit dem bloßen Strampeln in dem dunkeln

Gefühle, es müsse irgend etwas getan werden, während man selbst nicht weiß, was, ist nichts getan.

Wir werden der Regierung Schritt für

Schritt mit allen Mitteln, die wir haben, cntgegentreten, und wir wissen, daß wir siegen und daß unsere Gegner plan- und ziellos sich hinfristen! Darum kein Hasten, keine Übereilung in diesem Augenblicke, die uns die

Früchte der bisherigen Kümpfe kosten könnten! — Deine Idee mit dem Fakultätsgutachten*2) bringe ich morgen vor; sie kann gut sein, obschon

es wiederum in den Verhältnissen liegt, daß man in Preußen nicht so viel darauf gibt, wie in den Ländern des gemeinen Rechts, weil man sich von den Sprüchen derselben in Privatstreitigkeiten viel früher los­

gelöst hat.

Dagegen fassen wir die Arbeitersache in ihren Konsequenzen

fester an, da die Regierung gerade hier gegen unsern Einfluß aufzutreten

denkt. — An Aufbringung der Kosten zu dem angeratenen und andern *) L. von Rochau in Heidelberg, 1810—1873. Redakteur der Wochenschrift des Nationalvereins. 2) Vermutlich über den von liberaler Seite behaupteten Verfassungsbruch Bismarcks.

Schulze-Delitzsch.

200

Schritten wird es bei uns nicht fehlen.

Wenn die Leute nur erst aus

den Bädern zurück sind! Das erste ist Organisation der Preßwirksamkeit, da wir nach meiner

Ansicht geradezu die fehlenden Leitartikel unserer Hauptjonrnale durch wöchentlich ausgegebene Flugblätter ergänzen müssen, was bereits an­ genommen ist, indem nur noch das Wie debattiert wird.

Vielleicht wäre

ein ganz offener „Verein

zur Erhaltung der Preßfreiheit"^» das beste

Agitationsmittel,

Vertrieb

der

den

der Sachen übernähme.

gleich für morgen die Statuten skizzieren und

sehen, was sich

Ich will

machen

läßt. — Die meiste Not machen uns die in Berlin von uns zngezogenen

Mitglieder der übrigen liberalen Parteien, die wir wahrscheinlich wieder werden abschütteln mässen, sollen sie uns nicht bei entschiedenen Maß­ regeln lähmen. Nun, wenn es nur drei bis vier Tage vor der Zusammenkunft in Harzburg sind, daß Dn

irgend kann.

mir Nachricht

gibst, so komme ich, wenn ich

Freilich muß ich jede Woche wieder in Berlin Vortrag

halten, da die Genossenschaftsbewegung mehr und mehr in Fluß kommt,

das kann nichts helfen! Also guten Mut!

Auf baldiges Wiedersehen!

41. Die österreichischen Neformvorschläge. Rede auf dem Deutschen Abgeordnetentage vom 21. August 1863.

Anl 5. Juli \8)roße Kiirfürst hat auch iiichr daran gedacht, als er die Tchwedeii aus dem Üaiide warf, m\ eine deutsche Mission: nur seine Macht, seine Herrschaft wollte er erweitert!, und doch haben sich daraus Dinge ent­ wickelt, die im höchsten Maße iin deutschen Interesse geweseii sind. Und so ist es weiter gegangen unter seinen ^Nachfolgern; sie dachten meist nur an sich, und in der (^ermanisierutig der ursprünglich slawischen Pro­ vinzen im Osten Haden sie deutsches Wesen gefördert. Auch unser jetziger Premierminister v. Bismarck hat gewiß am allerwenigsten bei seinen Operationen an Deutschland gedacht, aber wir wollen doch seheii, wie die Dinge kommen; die Sache ist ja noch nicht aus in Schleswig-Holstein. Vorläufig sind die Däiien herausgeworfen. Was man weiter fertig brauen wird infolge der letzten Vertrüge —, wir wollen sehen, was sich daraus entwickeln wird. Ich meine, die letzten Konsequenzen schlagen nicht gegen sonderii für Deiitschland aus. Daß wir in Preußen in diesem Augenblicke nicht in der Lage sind, so wenig wie Sie alle in Deutsch­ land, mit unsereii nationalen Überzeugungen ein faktisches Gewicht in die schwebende Gestaltung hineinzuwerfen, ist zu beklagen. Indes hat die Verschleppung doch die Folge, die Leute werden sich klarer, und die Parteien scharen sich fester und fester. Ich meine, das ist auch ein 27*

Gewinn für die künftige Lösung, und ich bleibe dabei: solange das preußische Volk nicht absteht von seinem Kampfe, und das wird es nicht, solange es nicht an sich selbst verzweifelt, wird es auch seiner deutschen Stellung und seinem Berufe nienials untreu werden. Ich komme nun auf die Programmänderuug, abgesehen von der preußischen Spitze?) Im Anträge von Bürgers ist hingestellt, daß man ein Parlament erstreben soll, welches die Macht hat, Deutschland eine seinen Bedürf­ nissen entsprechende Verfassung zu geben, ein Parlament also, welches, um seine Pflicht zu tun, souverän sein muß. Nach dem Feinschen Anträge,'st der jetzt zurückgezogen unb durch den Bürgerschen Alltrag erweitert ist, soll kein deutscher Bundesstaat zur Stelle der Zentralgewalt ilberhaupt gelangen. Ta haben Sie das, was Ihnen Herr Löwe sagte: das sind Tinge, die können überhaupt nur ins wirkliche Leben treten nach einem großen gewaltigen Aufraffen der Nation, eiitlveder nach schweren äußeren Geschicken oder nach einer groß­ artigen Erhebung im Innern. Ich glaube, daß viele von uns hier in dem Saale sind, die deiikeii — wer kommt nicht aus deii Gedanken, wenn mehr ulid inehr die Negieruiigen selbst jeder bescheidenen Forderung des Volkes eiitgegentreten mid deii Bestand ihrer Dynastien als unvereinbar mit deii nationalen Bedürfiiissen hiiistellen — , daß die Tiiige zuletzt auf dieseii Weg zutreibeii. Aber, daß dabei beim hoch noch ebenso viele: Wenn's zutreffen müssen, als Sie von Herrn Bürgers in bezug auf unser Vereinsprogramm getabelt sinb, bürste klar sein. Meine Herren, ich hatte schon in Gisenach bie Ehre, Ihnen zu sagen unb bleibe babei:st Programme machen keine Revolutionen, sonbern jebe Revolution bringt ihr eigene^ Prograinm init sich, wie bie Gewitter nach einem volkstümlichen Spruch ihren eigenen Winb. Ich meine baher, mit biesen Eventualitäten haben wir uns hier nicht zu befassen; wir befinben uns, wenn solche Ereignisse eintreten, burch bas jetzige Programm burchaus nicht gebunben, burchaus nicht in Verlegenheit. Unser Programm, bas für ganz anbere Zustänbe berechnet ist, fällt bann von selbst. Ich glaube, baran brauchen wir gar nicht zu benken. Das aber Hallen Sie fest: bie Programmänberung nach biefer Richtung ist die Auflösung des Nationalvereins als eines Vereins, der die deutsche Einigung aus dem Wege der Reform zu erstreben sich vorst Redner erhielt die Erlaubnis, weiter zu sprechen, obwohl die festgesetzte Redezeit von 15 Minuten abgelaufen war. st Fein-Diessenhofen. Vgl. S. 215. st Siehe oben S. 231.

gesetzt hat, und der, wenn jeder von uns recht für diese Aufgabe wirkt, wahrhaftig auch für jene Eventualitäten seine Bedeutung hat. Denn ich meine, wir nützen mehr mit unserer Tätigkeit nach dem Programm und arbeiten der weiteren Entwicklung, auf welchem Wege sie auch komme, mehr vor durch eine solche Agitation, ja wir werden das Bolk bei weitem fähiger machen, die Chancen solcher Ereignisse zir benutzen, als wenn wir es an die Vorstellung gewöhnen, daß doch alles incht hilft und daß wir unsere Häilde in den Schoß legen können, bis endlich der Bruch eintritt, den der Gang der Dinge in Aussicht stellt. Ich stelle daher anheim, daß wir uns wohl klar machen, was wir tun, wenn wir von unserem Programm abgehen werden - wir lösen de:i Nationaloerein auf, er besteht im Augenckllick nicht mehr, es ist dann eben ein anderer Verein, welcher sich miet) anderen Zielen und dann auch nach anderen Akitteln umsehen muß, wenn er nxcs)t ganz unpraktisch operieren will. Gehen wir auf die schleswig-holsteinische Sache über. Hier handelt es sich recht eigentlich um das nationale Prinzip, um die Beschränkung des Selbstbestininiungsrechres der einzelnen deutschen Länder im Gegen­ satz zu deut partikularistischen Prinzip der unbedingten Souveränität der Einzelstaateti. An und für sich wäre die Sache schwerlich je streitig, sobald die deutsche Zentralgewalt überhaupt existierte. Wir befinden uns eben in einer üblen Lage, und es handelt sich um ein Interimistikum bis zttr Konstituierung Deutschlands. Darinnen liegt die ganze Schwierigkeit dieser Frage: lvas haben wir bei diesem Interimistikum zu bedenken? Wenn große Existenzfragen in einer solcheti Sache im Spiele sind, wenn es sich tun dringende Forderungen des allgemeinen Wohls handelt, denen sogleich genügt werdeti muß, will man sie überhaupt nicht ver­ fehlen, danti werden kleinere Rücksichten zurückstehen müssen. Und so ist es hier. Die Frage der Entwicklung einer preußisch-deutschen Btarine, des Schutzes der deutschen Nordgrenzen, des Bestandes der Herzogtümer selbst fordern gewisse Opfer des Telbstbestimmungsrechtes, und nur Preußen ist imstande, für jene großen Interessen eintreten zu können. Diess Dinge sind so bedeutend, jede Verzögerung erscheint bei der Lage des Vaterlandes so verhängnisvoll, daß Sein oder Nichtsein unter Umständen daran geknüpft ist und nicht damit gewartet werden kann, bis die deutsche Zentralstelle fertig ist. Mit den Hafen-, Kanal- und Schiffsbauten können wir nicht anfangen, wenn die Not an uns herantritt; da müssen wir jetzt anfangen, das läßt sich nicht aufschieben, und Preußen allein hat die Macht und ist in der Lage, hier eintreten zu können. Zudem

liegen die Verhältnisse auch noch anders, als wenn wir völlig freie Hand und bloß unsere Ansichten auszusprechen hätten, wer wohl am zweck­ mäßigsten einträte, an wen sich Schleswig-Holstein am füglichsten anjehnen könnte. Die deutschen Großmächte, die Preußen und Öster­ reicher, sind drinnen in Schleswig-Holstein, sind im faktischen Besitz; aber nun frage ich Sie, sehen Sie sich die Sache von dem Stand­ punkte aller Interessen an, denen Sie huldigen! Mari verlangt einer­ seits die Konstituierung der Herzogtümer nach dem jetzigen Bundes­ recht! Ja, mein Gott, ist das ein eigentümlicher Weg nach dem nationalen Ziele! Die Proklamation des souveränen Partikularismus in einer Situation, wo der neue Bundesstaat lveder selbst seinen eigenen und den nationalen Existenzforderungen genügen noch vom Bunde erwarten kann, daß er für ihn eintritt! Zu was soll das führen? Ist vom Deutschen Bunde wirklich etwas zu erwarten für Schleswig-Holstein? Kann der Deutsche Bund eine Flotte gründen, um die es sich handelt? Kann der Deutsche Bund die Nordgrellzen decken, wenn uns vielleicht große Künipfe in llüchster Zeit bevorstehen?! Das ist wieder nicht möglich. Ich sage Ihnen, meine Herren, nichts stärkt das Biinisterium Bismarck in Preußen mehr, als wenn wir eben nicht die Lage begreifen und uns uliausführbare, der ruhigen Erwägung widerstreitende Ziele setzen, wenn wir gar dem Ministerium in Preußen einen Schein geben — und man wird ihn benutzen —, daß es bei weitem mehr als wir den großen Interessen für die Existenz und Sicherheit des preußischen, nein, des deutschen Vater­ landes Rechnung trüge. Gerade dadurch bekommt es eine große Stärke im Kampfe gegen die Fortschrittspartei, wenn wir sollen Rücksichten nicht gerecht werden, diese notwendigen Forderungen nicht beachten. Denn in dem Augenblick, wo wir auf diesem Wege die Stellung des Ministeriums verstärken, schwächell wir die unsere, verlieren lvir unsere Hintermänner, die preußischen Wähler, die uns tragen müssen im Kampfe. Und ferner glauben Sie auch, die Lage der Schleswig-Holsteiner selbst wird dadurch nicht gebessert. Wenn man so diese Sache in partikularistischer Weise behandelt, so tut man ihnen und ihrer nächsten Ge­ staltung den entschiedensten Schaden; sie stehen unendlich günstiger im Kampfe, der ihnen nicht gespart bleiben wird — und der Nationalverein mag das Seine dazu tun —, wenn sie die vernünftigen Konzessionen im allgemeinen Interesse freiwillig machen, deren der Ausschußantrag gedenkt, als wenn sie alles ihrem Gutdünken Vorbehalten. Denn im ersten Falle erscheinen die Akte gegen sie vom nationalen Standpunkte aus als eine

Die nationale Bewegung und der Deutsche Nationalverem.

423

Vergewaltigung; im anderen Falle dagegen, wenn man auch das wirk­ lich Notwendige ihrerseits verweigert, stehen die Dinge viel ungünstiger für die Schleswig-Holsteiuer, und inehr und mehr wird die 9Jieimmg in

Preußen und vielen Teilen Deutschlands sich gegen sie als vollendete Partikularisten wenden und dies auf die Verhandlungen des Preußischen Landtages notwendig zurückwirlen. Wir müssen daher im allseitigen Interesse und kraft des nationalem: Prinzips darauf besteheii, daß gewisse

Schranken im Telbstbestimmungsrecht der einzelnen Staaten im gesamten nationale:: Jitteresse gezogen und von uns anerkannt werden. Endlich bin ich gezwungen noch einiges zu sagen in Beziehung auf das Preußische Abgeordnetenhaus, weil gerade von einem Preußen£):er einiges gerügt ist. 9lun, n:eil:e Herren! :ch glaube nicht, daß dasjenige, was das Abgeordnetenhaus getan hat, daß das irgendwie von Ihnen

unterschätzt werden sollte, die Position war schwierig genug. Nach dem so segensreichen jlrieg, nachdeni die Sühne des Landes mit Freuden m den Krieg zogen für die Sache, die für eine deutsche überhaupt a::gesehen iverden muß, da kam die uiiglückliche diplomatische Verwirrung. Es war eine überaus üble Lage, in der die Volksvertretung sich befand vielen natürlichen Forderungeii gegenüber, die infolge des Krieges an sie hecan­ traten, doch wir sind diirchgedrungen. Wir haben den Sympathien unserer Wähler gegenüber, die in mancher Hinsicht sich durch unsere Beschlüsse verletzt fühlen koiinten, fest gestanden ::nd alles verweigert, zu allen Forderuiigeii des Ministerunis nein gesagt,^) unb die Stimmung des Landes, sie ist uns Gott sei Tank gefolgt; wir haben recht mit unserm Votum behalten, und ich wundere mich nur, daß gerade von Köln aus, der Stadt, die eine so großartige Anerkennung des Abgeordnetenhauses

durch das Abgeordnetenfest^) gegeben hat, ein Tadel u: dieser Beziehung ausgesprochen worden ist. Ich meine, das Land hat sich mit unserer Politik und mit uns einverstanden erklärt. In meiner heimischen Provinz Sachsen begriff man dies vollkommen, als ich in verschiedenen Versamm­ lungen der dortigen Nationalvereinsmitglieder dort tagte. Ich verhehle es nicht, es ist sehr zu bedauern, daß gerade in diesem Augenblick

ein Regiment in Preußen am Ruder ist, welches die Sympathien der Man hätte ein ganz anderes Entgegen-

Herzogtümer von sich abstößt.

y Bürgers-Köln. 2) Die geforderten Geldmittel waren sowohl im Januar 1864 als im Juni 1865 von der preußischen Kaminer dem Ministerium verweigert worden, was Bismarck damals als „impotente Negation der Volksvertretung" bezeichnete. 3) Siehe oben S. 239 Anm. 2.

Schulze-Delitzsch.

424

kommen von feiten Schleswig-Holsteins Wohl erwarten dürfen, und alles hätte sich anders gestaltet. Aber wenn wir uns auch nicht begeistern können in Preußen für die Einsetzung eines neuen kleinen Staates in Deutschland, so können und dürfen wir unserm Ministerium doch nicht

die Mittel zur Vergewaltigung der Herzogtümer in die Hand geben. Abgesehen von der Verletzung des nationalen Prinzips, hieße dies dem Ministerium die Waffen gegen unser eigenes Verfassungsrecht in die Handgeben und zur Stärkung seiner Position gegen uns in den inneren Kämpfen beitragen. Und dies haben alle begriffen und dieser Satz hat

die allgemeinste Zustimmilng bei meinen preußischen Landsleuten gefunden. Ich könnte noch manches anführen in dieser Angelegenheit, aber ich muß die Zeit schonen. Ich habe schon oft die Ehre gehabt, mit Ihnen zu tagen im Süden rind Norden, wo uns allen das Herz aufging. Aber es handelt sich hier nicht um einen Appell an Ihr Gefühl, vielmehr cm Ihren Verstand in so kritischer Lage. Wir haben unserem Volke zu be­ weisen, daß wir mit kaltem Blute, mit der höchsten Besonnenheit die Situation erwägen, daß wir nicht etwa nur mit dem Herzen sondern auch mit dem Kopfe unsere Entscheidung treffen. Ich bitte Sie daher, halten Sie den Nationalverein aufrecht in seinem bisherigen Programm; er hat noch viel zu tun, seine Mission ist noch lange nicht beendigt und das andere Programm ist in diesem Augenblick nicht an der Zeit. Halten wir daher das alte fest, arbeiten wir noch ein gutes Stück miteinander in der früheren Weise, und wir werden, die Dinge mögen kommen wie sie wollen, für das Wohl des Vaterlandes das Beste getan haben. (Leb­ hafter Beifall.)

Bei der Abstimmung wurde der Antrag Bürgers abgelehnt, der

des Ausschusses mit großer Majorität angenommen.

IV. Äußere Handelspolitik. 75. Der Handelsvertrag zwischen dem deutschen Zollverein und Frankreich. Nede in der 26. Ätzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 24. Juli 1862.

Der im Januar (860 zwischen England und Frankreich auf freihändlerischer Grundlage vereinbarte Handelsvertrag mußte Preußen nahelegen, sich durch Abschluß eines gleichen Vertrags mit Frankreich die Rechte der meistbegünstigten Nation zu sichern, um seinen Waren­ absatz dorthin nicht zu gefährden. Dieser Wunsch wurde durch die Hoffnung gesteigert, dabei zu einer Reform des gänzlich veralteten Vereinszolltarifs zu gelangen. Da auch die französische Regierung auf eine handelspolitische Verständigung mit dem Zollverein Wert legte, so eröffnete man im Januar (86( die Verhandlungen und brachte sie nach manchen Unterbrechungen im Rlärz \ 862 zum Abschluß. jhre Tendenz war anfänglich von den übrigen Staaten des Zoll­ vereins gebilligt worden. Als aber der Entwurf des Vertrages bekannt wurde, wollte man, namentlich in den schutzzöllnerisch gesinnten süd­ deutschen Staaten, darin nur noch einen Beweis für das Streben Preußens nach der Hegemonie in Deutschland sehen, jhr widerstreben gegen den Abschluß des Vertrags wurde durch Österreich unterstützt, das den Nachweis zu führen suchte, daß durch ihn der deutsch-österreichische Vertrag von (853 verletzt werde, und am (0. Juli (862 eine förmliche Zoll­ einigung mit dem Zollverein beantragtes. Preußen lehnte den Vorschlag ab und erklärte, den Vertrag mit Frankreich auf jeden Fall und selbst ohne Zustimmung der übrigen Vereinsregierungen abzuschließen; dies wäre aber mit der Sprengung des Zollvereins gleichbedeutend gewesen. Am 2^. Juli (862 begannen im preußischen Abgeordnetenhause die Beratungen über den Vertrag; von den Gegnern bekämpfte Reichensperger-Beckum (kathol. Fraktion) die Annahme, weil dadurch Preußen in politischen Gegensatz zu Österreich trete, während beide 3) Am 19. Februar 1853 war die Entscheidung über den von Österreich er­ strebten Eintritt in den Zollverein auf sechs Jahre zurückgestellt, dagegen ein Handelsvertrag zwischen beiden abgeschlossen worden.

Schulze-Delitzsch.

426

Großmächte doch aufeinander angewiesen seien; der Vertrag müsse aber zu einer gewaltsamen Entscheidung und noch dazu unter französischer Einmischung führen. Nach ihm kam Schulze zum Wort: Wenn die Reihe der Redner gegen den Vertrag

Meine Herren!

geschlossen zu sein scheint, und es vielleicht unnötig erscheinen könnte, noch für denselben hier zu sprechen bei der Stimmung der Mehrheit des

Hauses, so hält mich doch außer einigen praktischen Gesichtspunkten, die ich noch geltend machen möchte, die Erwägung davon ab, auf das Wort

zu verzichten, daß eben die kleine Minorität,

die unbedingt

gegen den

Vertrag ist, eine so große Anzahl Rednerun Verhältnis zu ihrer ge­ ringen Zahl auf die Tribüue entsendet hat, was nach außen hin die Sache eben in dieser Beziehung in einem ganz anderen Lichte erscheinen lassen könnte.

Ich

bin

für

die

llnbedingte

Annahme des Vertrages ohne Be­

dingungen und ohne Resolutionen und ich bin gerade dafür, wenn ich mich auf den Standpunkt der geehrten Herren stelle, die sich sür gewisse Vorbehalte und deren Empfehlung an die Regierung entschieden haben, welche

Interesse

das

gewisser

Branchen

unserer

Industrie

bezwecken.

Dieselben können hier nur beiläufig und durchaus nicht in ihrer rechten Bedeutung und Geltung entwickelet werden. Wir

möglich

können

auf

die

bei

der

Debatte

Eisenbahnpolitik

und

über auf

den

alle

Handelsvertrag

die

großen

un­

Fragen

fo gründlich eingehen, als wir es tun müssen, wenn wir sie eben nur gelegentlich und nicht besonders vor die Erwägung dieses Hauses ziehen.

Ferner, meine Herren, bin ich dafür auch im Interesse der von allen

diesen Herren so sehr gewünschten Erhaltung des Zollvereins.

Ich glaube,

meine Herren, der Bruch im Zollverein wird nicht besser und nicht ent­

schiedener vermieden als wenn Preußen in der Führung des Zollvereins

in dieser Sache so entschieden als möglich auftritt und jenen Regierungen, die anscheinend an eine Lösung des Verhältnisses denken, gleich von vorn­ herein zeigt, was sie zu erwarten haben.

daß Preußen

sich

durchaus

nicht

Wenn man dort einmal weiß,

darauf

einlassen

wird,

von

dieser

Handelspolitik, wie sie dem Vertrage zugrunde liegt, abzugehen, und wenn die Regierung das ganz entschieden tut, dann wird man sich fügen;

Unbedingt gegen den Vertrag hatten gesprochen: Plaßmann (Arnsberg) und Reichensperger (Beckum), unter gewissen Vorbehalten: v. Mallinckrodt (Paderborn), Harkort (Hagen), Frh. v. Gablenz (Breslau- und v. Vincke (Stargard).

wenn aber die Volksvertretung selbst durch Annahme solcher Erwägungen

und Resolutionen Bedenken zeigt, wenn es also scheint, als wenn die

Regierung in dieser Sache nicht die unbedingte Unterstützung der Volks-

vertretlnrg für sich hätte, dann wird man seitens der anderen Regierilngen und seitens der anderen Volksvertretungen bei weitem eher geneigt sein,

Umstände zu machen und selbständig hervorzutreten als so, wenn wir eine ganz feste, klare und entschiedene Position von Hause aus einnehmen.

Also die Herren, denen es wesentlich darauf ankommt, den Zollverein zu erhalten, sie werden am besten das Resultat erreichen, lvenn sie sich jetzt entschieden aus Seite der Regierung stellen.

Ich habe der erwähnten Resolution, gegen welche ich mich erklärt habe, nicht etwa selbst eme andere hinzuzufügen, aber ich werde mir er^

lauben, mit zwei Worten einen Gesichtspunkt der Regierung gegeliüber bei dieser (Gelegenheit geltend zil machen, ohiie irgendwie die Annahme

des Vertrages daran zu knüpfen.

Meine Herren, wenn man die Handels­

freiheit anbahnt, wie wir dies mit so vieler Zustimmung in bezug auf

den Vertrag anerkennen, dann

111116 man

mit einer anderen Freiheit

eigentlich und auf normalem Wege vorhergehend mit der Freiheit der

Arbeit, der Gewerbefreiheit.

Die sämtlichen vorgeschlagenen Resolutionen')

stehen auf dem Standpunkte, das; sie durch Erleichterung im Steuerwesen, durch die Erleichterung in bezug auf die Transportmittel ihrer Produkte die Konkurrenzfähigkeit mit dem Auslande sich sichern Wollern die erste

Bedingung dieser Konkurrenz

aber besteht in der Freiheit der Arbeit,

und ehe man die letztere nicht vollständig entfesselt hat, solange ist es

immer bedenklich, auf den

großen Weltmarkt zu treten

imb mit dem

Auslande zu korikurrieren, welches zum größeren Teile rnindesteris die Freiheit in dieser Beziehung genießt.

Ich glaube mich also wohl im

Sinne der Mehrheit des Hauses auszusprechen, wenn ich sage, daß die Regierung sehr erwägen möge (ohne daß ich, wie gesagt, ein Bedenken

gegen den Vertrag hieran knüpfe), daß es doch nun wohl jetzt dringend an

der Zeit sein

möchte, hinsichtlich der Forderungen der preußischen

Volksvertretung in früheren Sitzungen zur Wiederherstellung der vollen

Gewerbefreiheit in Preußen die ernstesten Anstalten ihrerseits zu treffen. Zudem ist ja die Beschränkung des Handwerks durch eine sogenannte

Gewerbeordnung als politisches Agitationsmittel für eine gewisse Richtung der Regierung vollständig verfehlt und verloren, wie die letzten Wahlen *) Es waren eine Anzahl Petitionen eingegangen, die die Genehmigung von gewissen Bedingungen abhängig machen wollten, namentlich von der Be­ seitigung von Mängeln des Verkehrswesens.

Schulze-Delitzsch.

428 zeigten.

Also dieser Grund, dem wir die Gesetzgebung von 1849 ver­

danken, fällt ohnehin vollständig weg?)

(Bravo!)

Einige der Herren Abgeordneten sind auf die politische Seite der Frage eingegangen.

Ich bin weit entfernt, dem verehrten A^itgliede für

Beckum, der die ganze europäische Politik in die Diskussion hereingezogen hat, folgen zu wollen und das Haus mit einer so langen Auseinander­

setzung zu

ermüden.

Ich habe

nur wenige Worte darüber 511 sagen.

Ich glaube, das; der Vertrag, wie eine jede große handelspolitische Maß­ regel, notwendig auch eine rein politische Seite hat — wer möchte das

verkennen, das leugnen?

gerade.

Darüber, meine Herren, freuen wir

Ich habe gesehen

uns ja

bei dem Vertrage, dessen Bearbeitung sich

durch zwei Ministerien hindurchzieht und den das jetzige nur zum Ab­ schluß gebracht hat — ich habe gesehen und mich gefreut,

Regierung,

während

sie

in

daß bei der

mancher Hinsicht den Forderungen

eines

großen Teiles dieses Hauses nicht entspricht, gewisse allpreußische Tra­ ditionen in ihrer Unverwüstlichkeit sich doch geltend inaehen und nicht auf die Tauer abzuweisen sind, luorin wir den Beweis finden, daß eben der Geist, in welchem sie wurzeln, niemals ganz verleugnet werden kann.

Diesen!

alten preußischen Geist, aus dem

der ganze Vertrag hervor­

gegangen ist, huldigen wir nun durch seine unbedingte Annahme und haben dabei von unserer sonstigen Stellung zu dem jetzigen Ministerium

und unserer Opposition in vielen Dingen vollständig abzusehen.

Nur

so werden wir unserem Standpunkte, den wir bei der Adreßdebatte ent­

wickelt haben, gerecht, indem wir alles das Wohl des Landes Fördernde auch

unbedingt und ohne

kommen mag, annehmen.

jeden Rückhalt,

von welcher Seite es auch

(Bravo!)

Das geehrte Mitglied für Beckum hat bei dieser Gelegenheit eine

Menge Seiten der Sache hervorgekehrt, die meist darauf hinausliefen, daß man durch diesen Vertrag gegen Österreich auftrete. Warum er­ örtert er denn nicht, für wen man dabei wirkt? — Das „gegen"

steht

doch nur in zweiter Linie, in erster Linie steht das „für", das Wohl des

eigenen

Landes,

die

große

politische

Stellung

Preußens,

Deutschlands, für die der Vertrag in die Schranken tritt.

das

Wohl

Preußen sucht

die in der letzten Zeit so wesentlich gefährdete Hegemonie, die es in Die Verordnungen vom 9. Februar 1849 führten auf vielfachen Wunsch aus den Kreisen der Handwerker und Kleingewerbetreibenden eine Beschränkung der Gewerbesreiheit in dem Sinne wieder ein, daß die Erlaubnis zum selbständigen Gewerbebetrieb an die Aufnahme in eine Innung oder an die Ablegung einer Prüfung vor einer staatlichen Kommission geknüpft war.

Deutschland in bezug auf die materiellen Interessen im Zollverein obert hatte, vollständig wiederherzustellen.

Ich

er­

denke, wenn man sich

auf den rein preußischen Standpunkt, auf den Standpunkt des preußischen Patrioten stellt, so hat man alle Ursache, die Regierung in diesem Streben

zu unterstützen und dem Lande Glück zu wünschen, daß dieser Weg be­ treten ist, welche Position man auch sonst der Regierung und dem Lande gegenüber in anderen

Fragen

einnimmt.

Es ist in dieser Beziehung

früher ein Wort in diesem Hause gefallen:

daß man bei der großen

Frage der politischen Einigung Deutschlands die materiellen Interessen nicht einmischen sollte.

Satze

auf das

Ich habe damals nicht Gelegenheit gehabt, diesein

entschiedenste zu widersprechen,

und tue es

jetzt.

Ich

kenne nichts Verkehrteres, als wenn man bei großen idealen Fragen die Konriivenz der materiellen Interessen abweisen will.

Nicht alle Menschen

sind der idealen Seite des Daseins zugekehrt, und wenn man in

der

günstigen Lage ist, für die Lösung solcher großen Fragen die niateriellen

Interessen mit in das Feld führen zu sönnen, dann ist man ailch sicher,

daß nmii die Masse der Nation imb mithin den der Staatsbürgerschaft in das Feld führt.

ganzen

Schwerpunkt

Ich nleine, mau

kann

der

Einheitssache Deiltschlaiids liicht besser bienen, als wenn man bei jeder Gelegeiiheit gelteiid macht, daß eben

die materielleni Interessen dieselbe

ebenso dringlich gebieten, als die Eiitwicklung der politischen Vchcht, die Entwickluiig

der versassungsniäßigen

Freiheit des Landes.

Ich betone

daher auch hier: durch bicfen Handelsvertrag hat die königliche Staats-

regierung einen Schritt auf der ihr mit Notwendigkeit vorgezeichneten Bahn eingeschlagen, indem sie als Führerin der materiellen Interessen Deutschlands

aufgetreten

ist

und

dadurch

den

Beruf

Preußelis

zur

Hegemonie nicfjt bloß jedem denkenden sondern auch jedeni rechnenden Deutschen gegenüber klar dargelegt hat.

(Sehr richtig!)

Meine Herren! In der weiteren Tiskussioii kam das verehrte Mit­ glied für BeckiiNi auch auf die napoleonischen Ideen und warnte uns,

durch diese Allianee mit Frankreich,

als welche er den Haiidelsvertrag

bezeichnete, sie zu fördern und dadurch abgeleitet zu werden von dem naturgemäßen Bündnis, das unsere Interessen gebieten, mit Österreich uni),

wie

er

diese

Tripleallianz

ergänzte,

mit

England.

Ich glaube

meinerseits aber, nichts fördert die Verwirklichung der napoleonischen Ideen mehr als eine Alliance unserer Regierung mit Österreich. Was will denn Österreich von uns in dieser Beziehung?

Wir haben das im

Jahre 1859 gesehen; es will einen Feldzug der Heiligen Alliance gegen

Frankreich, und daß Napoleon durch nichts mehr gestärkt werden kann

Schulze-Delitzsch.

430

in seinem eigenen Lande, als wenn wirklich ein solcher unseliger Kampf

von uns mit unternommen würde, nicht im Bunde sondern in der Ge­ folgschaft Österreichs, werden Sie mir zugeben. Ich glaube, wir brechen die napoleonischen Ideen wohl am besten und setzen denselben die festeste

Mauer entgegen, wenn wir uns vor jedem Eintreten in die österreichische

Eine wirklich deutsche nationale Politik in Handelssachen

Politik hüten.

nicht nur sondern auch sonst in jeder Beziehung, die wird wahrlich eine festere Mauer gegen das Überfluten dieser Ideen über unsere Grenzen

bilden, als je die Aufstellung imposanter Heere es könnte. Zuletzt,

und das

ist das Originellste in den Ausführungen des

Herrn Abgeordneten für Beckum gewesen, hat er gemeint, in den großen Zeitfragen in betreff Deutschlands und Frankreichs — ich habe mir die

Worte nur notiert, den stenographischen Bericht habe ich bis jetzt noch nicht lesen können — sollten wir uns hüten, durch diesen Handelsvertrag

„den Knoten zu zerhauen".

Allin, meine Herren, wie man durch Handels­

verträge einen politischen Knoten zerhaut, das soll uns das geehrte Alltglied

trotz

seiner

außerordentlichen

Gewandtheit

in

Paradoxen

noch

glaublich machen und nachweisen! Indem wir durch einen solchen Bertrag den Weg der friedlichen Entwicklung betreten, wie es einem großen Kiiltur-

und Jndustrievolke gleich dein deutschen geziemt, — wie dies ein Zerhauen des Kiioteiis, eine gewaltsame Lösung der schwebendeii Frage sein soll mit) wie es nicht vielmehr der Weg ist, den

Knoten selbst abzu­

wickeln, das glaube ich, dürfte uns allen außer ihm selbst ein Geheimnis geblieben sein, selbst seinen Parteigenossen. Wir genügen, denke ich,

Interessen Westen

am besten, wenn

anbahnen.

Nachbarn und

Diese

unserem nationalen Berufe und unseren

wir jene friedliche Annäherung mit dem

Annäherung

uns, zum Gedeihen

wird

beiden Bölkern,

kommen, und sie wird,

unseren

wenn

die

napoleonischen Ideen den mächtigen Herrscher jenes Polkes wirklich be­ wegen sollten, den alten Kampf mit uns zu

erneuern, in den Reihen

des eigenen Polkes manche Sympathien für uns und in den Industriellen

des

eigenen Landes manche stillen Bundesgenossen

gegen

eine etwaige

Kriegs- und Eroberungspolitik erwecken.

Ich stimme für den Vertrag ohne jedes Bedenken und ohne Be­

dingung.

(Bravo!)

Der Vertrag wurde mit 26^ gegen \2 Stimmen angenommen.

Äußere Handelspolitik.

431

76. Der Preußisch-französische Handelsvertrag und die Zollvereinsstaaten. Rede in der 44. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 5. September 1862. Aus Anlaß eines Gesetzentwurfs betr. die Eingangs- und Aus­ gangsabgaben hatte die Kommission des Abgeordnetenhauses die Re­ solution vorgelegt, daß, nachdem der von der preußischen Regierung mit Frankreich abgeschlossene Handelsvertrag von einigen Zollvereins­

regierungen abgelehnt worden sei, dies als deren Absicht aufzufassen sei, den Zollverein mit Preußen nicht fortzusetzen. Die Kommission forderte daher die Regierung auf, Maßnahmen zur Reform des Zoll­ vereinstarifes zu treffen.

Zn der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 5. Sep­ tember (862 kam die Resolution zur Beratung; ihr widersprachen die Mitglieder der katholischen Fraktion von Mallinckrodt i Minden-Paderborn) und Reichensperger (Beckum), welche darin ein Hindernis für die Oerständigung über eine Zollvereinigung mit Österreich sahen und zugleich die

Sprengung des Zollvereins befürchteten, während sie es als die Pflicht Preußens bezeichneten, für dessen Erhaltung einzutreten. Dagegen be­ tonte Ministerialdirektor Delbrück, daß die Gesetzesvorlage nur die Frage der Eingangs- und Ausgangsabgaben auf diejenigen Maren regeln wolle, welche nicht unter den französischen Handelsvertrag fallen würden. Gleichfalls gegen die Redner der katholischen Fraktion wandte sich Schulze: Meine Herren, ich glaube, das; wir uns eben, wie ja aus der Aus­

einandersetzung des Herrn Regierungskoinmissar') sich ergeben hat, eigent­ lich doch mehr oder weniger nur in der Fortsetzung der Debatte über den Handelsvertrag selbst befinden, und ich meine, das; der Standpunkt, den wir zil dem Handelsverträge eingenommen auch derjenige sein muß, den wir hier

bei

haben, ganz notwendig

dieser weiteren Konsequenz

des Handelsvertrages, die uns auch damals schon angedeutet wurde, zu Unsere Partei — da die Sache einmal angeregt ist —

behaupten haben.

hat eine sachliche Stellung von Haus aus behauptet, und ich glaube, sie

hat volle Ursache, Debatte.

Ich

diese auch heute ebenso zu behaupten wie in jener

kann

aus

dem

Umstande,

daß

gegen

ein

jeweiliges

Ministerium ein Mißtrauen obwaltet, doch nur die Pflicht herleiten für diejenigen Volksvertreter,

’) Delbrück.

welche von diesem Mißtrauen getragen sind

Schulze-Delitzsch.

432 daß

sie die Vorlagen einer solchen Regierung,

welcher sie nicht mit

vollem Vertrauen entgegenkommen, um so schärfer und genauer prüfen?) Ich leite aber in bezug auf diese Vorlage noch eine andere Pflicht ab,

die mich um so mehr bestimmt, gerade für die Resolution und nicht bloß für die Annahme des Gesetzentwurfes zu stimmen.

Ich meine, wir haben

nicht nur, da wir uns ja, und ich glaube mit ungeheurer Mehrheit, hier

im Haus für die Zweckmäßigkeit der Maßregel entschieden haben, unsere Aufgabe dahin zu fassen, die Regierung durch unsere volle Beistimmung zu dieser Maßregel zu

stärken, ihre Operation in den Verhandlungen

mit denjenigen Mächten, um deren Zustimmung es sich noch handelt, zu

unterstützen — nein, nur sind uns und dem Volke auch noch eine andere

Rücksicht schuldig- wir müssen durch die Erklärung dessen, was lvir von der Negierung erwarten, die Negierung zugleich an diese Politik binden. Meine Herren, es hat schon mehrfache Anläufe gegeben — ich will nicht

von dem jetzigen 9Ninisteriilm sprechen —, aber in den fünfziger Jahren hat es diesen oder jenen Anlauf gegeben, um Interessen, die die große

Mehrheit des

Volkes

für die

seiingen

erachtete

und

worin

sie

dem

Ministerium zur Leite stand, zu vertreten,'^) aber aus diesen großen An­ läufen und zwar bei der entschiedenen Unterstützung der liberalen Partei

ist nicht allemal etwas geworden; man hat nicht selten auf dem halben

Wege innegehalten, und wer weiß, meine Herren, welche politischen Kon­ junkturen hier dazwischentreten

können, wer weiß, ob nicht die jetzige

Regierung unter Umständen geneigt sein möchte, auf die Umstände — ich komme noch darauf, sie sind ja auch von einigen der Herren Redner schon genau und ausführlich dargelegt worden —, die hier hineinspielen könnten, etwas mehr Rücksicht 511

nehmen, als wir wünschen, und von

der von uns gebilligten Politik abzugehen.

Ich meine, diese Resolution gibt uns die beste Gelegenheit dazu, der Regierung gegenüber zu koustatieren nicht nur, daß wir sie unterstützen

wollen, nicht nur, daß wir den Weg, den sie eingeschlagen hat, billigen sondern, daß wir auch erwarteu, daß sie ihn mit der notwendigen Ent­ schiedenheit weiter beschreite.

Ich will nun noch das anknüpfen, was eigentlich schon bei Gelegen-

*) Abg. Dr. v. Rönne-Solingen (Altliberal) hatte ausgeführt, daß er und seine Freunde sich in dieser Angelegenheit weder von Vertrauen noch von Miß­ trauen zur Regierung leiten lassen würden. 2) Z. B. der Volkswirtschaftliche Kongreß, im Mai 1857 von Böhmert an­ geregt und endgültig im September 1858 in Gotha gegründet. Vgl. Bd. I., S. 191 ff.

heit der Debatte über den Handelsvertrag selbst so vielfach hervorgehoben ist, nämlich die Fortexistenz des Zollvereins, die gewiß mit großem Rechte als ein außerordentlich wichtiges Moment, auf das wir Rücksicht zu nehmen hätten, auch heute wieder betont wurde. Ja, meine Herren, wir haben dazumalschon zu bedenken gegeben und auseinandergesetzt: je entschiedener Preußen auftritt bei der Ver­ tretung seiner Meinung in betreff der Tariffrage usw., desto mehr Aus­ sicht ist vorhanden, daß die jetzt widerstrebenden Regierungen sich dem fügen. Wenn wir Ursache haben, die Fortdauer des Zollvereins zu wünschen, so werden Sie das wahrhaftig in noch höherem Grade wünschen müssen. Preußen mit den jetzt zu ihm haltenden verbündeten Klein­ staaten kann einen Zollverein für sich bilden; jene Staaten möchten doch in dieser Hinsicht sich in einer weit ungünstigeren Position finden als wir; und ich meine, daß bei allen Interessen für die Fortdauer des Zollvereins lvir das uns und der Negierung zur Pflicht machen müßten, in einzelnen Punkten vielleicht den anderen nachzugeben, um ihre Zu­ stimmung zu erreichen. Aber ich glailbe, daß eines dabei festgehalten werden muß: die ganzen Prinzipien, auf denen die wirtschaftliche Ent­ wicklung unseres Volkes beruht, können wir nicht um den Preis der weiteren Zolleinigung opfern; sie haben ihren Anfang der praktischen Realisierung in einer Zeit genommen, sie haben großen Erfolg gehabt, als die Süddeutschen noch nicht zum Zollverein gehörten/^ und wir können uns nun und nimmermehr zur wirtschastlichen Stagnation verdammen, um so weniger, wenn mit der wirtschaftlichen Stagnation noch Rück­ schritte in unserer politischen Stellung verbunden sind. Und hier, meine Herren, möchte ich unmittelbar einige Worte über die politische Seite der Vorlage demgegenüber mir erlauben, was die Herren Abgeordneten aus dem Zentrum in dieser Hinsicht uns gegenüber gestellt haben. Ja, meine Herren, das wird niemand verkennen, dem werden wir beistimmen müssen, daß die ganze Sache eine große politische Seite hat. Die Handelspolitik ist ja immer schon Politik an sich, wenn man sie auch wirklich abtrennen will von den direkten politischen Fragen, die hier überall hineingreifen. Aber, meine Herren, es handelt sich auch noch um die direktesten politischen Beziehungen, um Preußens Stellung in Deutschland, um die wirtschaftliche Hegemonie und die Hegemonie der materiellen Interessen. Damit ist noch etwas anderes verbunden: das 1) Siehe oben S. 426. 2) Preußen schloß schon 1819 einen Zollvertrag mit Schwarzburg-Sondershausen, 1829 mit Anhalt-Dessau. Schulze-Delitzsch, Schriften und Neben. III. 28

Schulze-Delitzsch.

434 führt zur Politik selbst.

Lassen wir uns auf diesem Boden die Hegemonie

nehmen und entziehen,

dann haben wir unsere politische Stellung in

Deutschland unbedingt dadurch an der Wurzel schon beschädigt.

Nun komme ich auf das, was diese Herren wollen und anstreben. Sie

drängen

dahin

nachzugeben,

Handelsvertrages erlangt,

man

ehe

Zollverein abhängig gemacht werden soll,

an

sie

das Fortbestehen

Herren, was heißt das?

die

Durchführung

ehe man die Tarifreformen,

des Zollvereins

angenommen hat, selbst

knüpft.

des

von denen der ehe man

Nun,

meine

Geben wir nach in dieser Beziehung, so wissen

wir erstens nicht, ob von den norddeutschen Bundesgenossen, deren In­ teressen mit den unsrigen in belvußter Weise parallel laufen, nicht einige

abfallen von dem Zollverein: mau kann möglicherweise in Süddeutsch­

land Bundesgenossen gewinnen und in ^corddentschland verlieren.

Ich

will davon absebeil, daß es sich mit den süddeutschen Berhültnissen ganz anders verhält, als die Herrei^ Redner geltend gemacht haben, ich will

davon absehen, daß gewiß Änssicht ist,

daß,

n>enn

bei näherer Benti-

liernng der Frage der ganze (ii'iifi der Sprengung des Zollvereins cm jene Negierungen

wegen

herantritt,

man vielleicht geneigter ist, beiznstimmen

der materiellen Interessen

und

folgen, die in den Handelskammeri^

ginnen;

ben

verschiedenen Stimmen

und der Presse sich zn

zu

regen be­

wenn wir aber, wie die Herren es wollen, nachgeben, was folgt

dann daraus?

Haben wir einmal die Position verloren, so toerbcii wir

weiter gedrängt, wir können uns nicht des französischen Markts begeben ohne den Absatz auf anderen Märkten

zu suchen, und die Absicht der

Herren ist die, sie wollen in die österreichische Zolleinignitg hinein.

Der

österreichische Markt soll uns für den französischen entschädigen; das geht aus der ganzen Teditktioit klar hervor.

Wie wir gedrängt worden sind bei vielen Gelegenheiten zum innigen Zusammengehen mit Österreich in vielen großen politischen Fragen, so

soll uns auch werden.

reich?)

hier auf dem wirtschaftlichen Felde der Boden geebnet

Wir sind gewarnt worden vor einer Zolleinigung mit Frank­

Ich finde darin eine Bestätigung meiner Deduktion,

daß man

aus einer solchen Einigung schon ein politisches Bündnis mit Frankreich herandämmern sieht. Man sagt uns, daß wir vielmehr mit Österreich zusammengehen müßten und daß sich aus diesem Zusammengehen mit

2) Abg. von Mallinckrodt hatte gemeint, von dem Wunsche der Regierung, bis zu einem Bündnis Preußens mit Frankreich gegen Deutschland sei nur noch ein kleiner Schritt, „das aber, glaube ich, wollen Sie nicht und ich würde mich dessen schämen."

Österreich erst ein Bündnis mit Frankreich entwickeln könne. Man stellt uns ein Bündnis mit Frankreich als etwas dar, dessen wir uns als Preußen zu schämen hätten. Meine Herren, das verstehe ich nicht. Es handelt sich doch zunächst darum, zu welchem Zweck ein solches Bündnis geschlossen wird. In den fünfziger Jahren wurde doch auch von allen liberalen Parteien in der orientalischen Frage ein Zusammengehen mit den Westmächten verlangt/) und ich glaube, kein Mensch wird damals gesagt haben, daß wir etwas forderten, dessen wir uns als einer un­ deutschen Stellung zu schämen hätten. Freilich, ein Bündnis mit Frank­ reich, um innere Fragen Preußens zur Erledigung zu bringen — ja, wenn die Herren das im Sinne haben, dann möchte sich gewiß für ihre Ansicht viel sagen lassen- aber wie die Sache wirklich liegt, so läßt sich in so allgemeiner Weise die Frage wegen eines Bündnisses mit Frank­ reich nicht abmachen. Erlauben Sic mir, meine Herren, mich mit einigen kurzen Worten darüber auszllsprechen, wie meiner?lnsicht nach Österreich in einem solchen Bündnis mit Frankreich stehen würde. Ich meine, Österreich ist gerade derjenige Staat, der lediglich, aiis Nationalegoismus kanii man nicht sagen sondern aus dynastischem Egoismus, ohne jede Rücksicht auf Deutschland zu nehmen, zu allen Zeiten zu irgendwelchen Bündnissen mit anderen Staaten die Hand geboten hat. Das zeigt die ganze deutsche Geschichte, und das zeigeii jene unseligen Friedeiistraktate'^ beim Aufhören des Deutschen Reiches. Österreich hat sich nie ein Gewissen daraus gemacht, die Interessen Deutschlands zu opfern, lediglich um seine Hausinteressen zu wahren «Bravo!), und es wird iiiemand bestreiten können, daß die Energie, die es darin entwickelt hat, eine außerordentliche war, und ich kann wohl sagen, daß ich unserer Diplomatie eine solche Energie wünschte, natürlich mit dem Vorbehalte, daß sie sie zu besseren Zweckeii verwendete. Preußen, was Bündnisse und Konzessionen an Frankreich betrifft, hat auch seine schwachen Stellen in der Geschichte — wir kennen den Baseler Frieden —, aber so oft Preußen undeutsche Politik getriebeii hat, ist immer, das liegt m der ursprünglichen deutschen B^ission Preußens, die Strafe auf dem Fuße gefolgt?) Jenen unseligen Konzessionen an Frankreich ist die große Katastrophe in unserem Staate gefolgt. Wir können nicht eher ein Heil für uns erwarten, bevor nicht Preußen derrtsche Politik treibt. Preußen ist nur groß und mächtig, wenn es seinem deiltschen Berufe gemäß deutsche *) Im Krimkrieg 1854—1856. 2) Gemeint ist der Friede von Campo Formio 1797, bezw. von Lunsville 1801. 3) Siehe oben S. 194.

Schulze-Delitzsch.

436 Politik treibt.

Österreich ist zu seiner Macht herangewachsen, indem es

undeutsche Politik trieb; die Bedingungen seiner Großmachtstellung sind

also wesentlich anoere

als diejenigen Preußens,

und deswegen haben

wir auch nicht zu fürchten, daß diese Anknüpfung friedlicher Beziehungen zu Frankreich je dahin führen könne, daß Preußen sich vergessen möchte,

mit

Frankreich

ein

Bündnis

gegen

die

Interessen

Deutschlands

zu

schließen. Ja,

worden

meine Herren, ist

von

dem

freilich,

da

die deutsche Frage

Herrn Abgeordneten

von

hineingezogen

Mallinckrodt,

dessen

Deduktion über die Vorlage als Konsequenz seiner ganzen deutschen An­

sichten sich herausstellt, da haben die Herren ganz gewiß von dieser Seite des Hauses (nach dem Zentrum weisend), die diese Ansichten teilen, eine

viel günstigere Stellung als wir; ihnen schwebt ein ganz bestimmtes viel leichter zu definierendes Ziel vor,

als

die große Frage

Einigung, die uns bewegt, die liberale Partei.

der deutschen

Ihre Frage ist ganz

einfach zu lösen und daher gehen mit einer anerkennenswerten Konsequenz

alle Fäden immer zu dem Mittelpunkte des Netzes hin. Die deutsche Einigung ist leicht, wenn wir nur erst eine Zolleinigung mit Österreich haben; wenn Preußen wirtschaftlich zur Stagnation gelangt ist, wenn es politisch mediatisiert sein wird, dann ist die Einigung

ganz leicht:

eine Einigung unter Österreich

der Reichs­

verfassung das Konkordat?)

und,

meine Herren,

statt

sLebhaftes Bravo!)

Bei der Abstimmung wurden der Gesetzentwurf und die Resolution mit großer Mehrheit angenommen.

77. Die Handelsbeziehungen zu Österreich. Rede auf dem Volkswirtschaftlichen Kongreß zu Weimar am 8. September 1862.

Auf dem fünften Rongreß deutscher Volkswirte, der vom 8. bis

September (862 in Weimar tagte,*2) waren bezüglich des preußischfranzösischen Ljandelsvertrags seitens des Ausschusses folgende Anträge vorgelegt worden:

Der Kongreß erklärt: (. daß der Handelsvertrag zwischen Frankreich und dem Zollverein

einen ersten und wesentlichen Schritt zur Durchführung der TarifT) Anspielung auf das österreichische Konkordat von 1855. 2) Siehe Bd. I S. 119f.

reform im Zollverein bildet, welche für eine gesunde wirtschaft­ liche Entwicklung des deutschen Volks notwendig ist; 2. daß er durch Gleichstellung der französischen Zollsätze für die zoll­ vereinsländischen Produkte mit denen für die Produkte Englands

und Belgiens die Ausschließung unseres Gewerbefleißes von dem französischen Markte verhindert und dem deutschen Export ein neues wertvolles Gebiet eröffnet; 5. daß es demnach die wirtschaftlichen Interessen des deutschen Volkes auf das schwerste verletzt, wenn der von politischen Ten­ denzen und monopolistischen Interessen getragene widerstand einzelner Zollvereinsregierungen die Durchführung des Vertrages noch länger hinzögert.

während die norddeutschen Besucher des Kongresses für die Aus­ schußanträge eintraten, fanden diese bei den anwesenden süddeutschen (Ejofrat Dr. von Kerftorf, Großindustrieller aus Augsburg) und Msterreichern (Freiherr von Tzörnig, Präsident der statistischen Zentralkom­ mission in Wien) lebhaften Widerspruch, weil dadurch eine zollpolitische Einigung mit Österreich unmöglich gemacht würde. An der Debatte nahm

auch Schulze teil. Meine Herren!

Über die

eigentliche volkswirtschaftliche Seite der

Frage, die uns beschäftigt, möchte ich nicht noch einmal Ihre Aufmerk­

samkeit bei der so weit vorgerückten Zeit in Anspruch nehmen, aber eine

Seite der Frage, die hereingreift und für viele der geehrten Anwesenden vielleicht bestimmend

für ihre

Stellung zum Handelsverträge ist,

die

handelspolitische, die erlauben Sie mir in ein paar ganz kurzen Sätzen

auf die Punkte zurückzuführen, von denen man nach meiner Ansicht da­ bei ausgehen müßte.

Borher aber möchte ich mich noch an die ge­

ehrten Hauptvertreter der Ansichten gegen den Vertrag wenden.

Zuerst will ich Sie auf etwas aufmerksam machen, was die Stellung

der am meisten beteiligten deutschen Regierungen in dieser Sache recht charakteristisch kennzeichnet.

Die österreichische Regierung läßt einen ihrer

bedeutendsten Männer *) teilnehmen an unseren Debatten, einen Mann, der wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen von Hause aus auf die

lebhaftesten Sympathien unter uns rechnen durfte, weil er gerade in der

Statistik als einem der Haupthebel der Volkswirtschaft eine solche Meister­ schaft besitzt

und unserer

deutschen Statistik

unter den übrigen Nationen verschafft hat.

T) Frh. v. Czörnig (Wien).

einen

ehrenvollen Platz

Meine Herren!

Wie verhält

Schulze-Delitzsch.

438 sich

Ding

das

mit

in

der

Debatte

Opposition.

hier

Niemand

Preußen?

Regierungskreisen hier.

vertritt Preußen

aus

den

Diejenigen, welche den preußischen Standpunkt

wahrnehmen,

sind

Mitglieder

der

preußischen

Das ist auch charakteristisch für die Stellung der Parteien,

die sich hier bekämpfen, und ich bitte das nie zu vergessen. Volksbeteiligung, das, was aus

Die wahre

dem Volke selbst, aus den lebendigen

Interessen des Volkes hervorgeht, ist auf unsrer Seite, und ich meine, daß dies die dynastische Politik doch am Ende besiegen wird.

So hoch

ich die wissenschaftliche Autorität achte, die der verehrte Btann vor uns

repräsentiert,

so

ist

diese

mir

wahre

großer

wirklicher

Vertretung

Interessen doch lieber, sollte sie auch wissenschaftlich schwächer repräsen­ tiert sein. Tann v. Kerstorf^)

muß

ich

mich

zuwenden.

noch dem andern geehrten Redner, Herrn

Er

hat

protestiert

gegen

den Vorwurf des

speziellen Nkonopolismus, den ich ihm hinsichtlich seiner wirtschaftlichen

Tendenzen auch nicht machen will.

Aber einen andern Bkonopolismus,

das wird er mir nicht übelnehmen, will ich ihm Nachweisen.

Er sagt

und stellt sich uns vor als Vertreter der deutschen Arbeit; ist das nicht ein wenig Monopolismus?

Sind wir nicht

auch Vertreter deutscher

Arbeit, wenn wir auch nicht gerade Präsidenten oder Angehörige solcher Vereine sind, wie sie der geehrte Herr kultiviert?

Können wir nicht

auch vollkommen in Anspruch nehmen, Vertreter der Arbeit zu sein schon als Volkswirte, indem wir dieselben auf die Naturgesetze des Menschen­

verkehrs zurückführen und ihr so den allein gesunden und Boden

gewinnen,

das Erste

und Notwendigste,

was

gedeihlichen

geschehen

muß?

Und dann meine ich weiter in der speziellen Frage, mit der wir es hier zu tun haben, da werden diejenigen gewiß von der deutschen Arbeit nicht

zurückgewiesen werden, die den Arbeitern die Bedingungen einer lohnenden

Arbeit zu sichern suchen,

wie wir dies tun.

Daß der Arbeiter seine

Rohstoffe und Konsumartikel billiger bezieht und daß seinen Produkten ein weiterer Markt eröffnet wird, das scheint mir

aller Arbeiter und also

das Hauptinteresse

auch der deutschen zu sein.

Ich will daher

Herrn v. Kerstorf die Berechtigung zu der fraglichen Vertretung nicht bestreiten — die hat er so gut wie wir — sondern nur eine ganz be­

sondere Stellung vor und über dieser Versammlung. Weiter sagt derselbe, daß wir Preußen noch Schüler im ParlamenT) Kerstorf fürchtete, daß der Vertrag mit Frankreich die wirtschaftliche Autonomie Deutschlands schädigen werde, sofern ihm nicht eine Einigung mit Österreich vorausgehe.

tarismus gegen die süddeutschen Ztaaten, namentlich gegen Bayern und

Ja, meine Herren!

Württembergs) seien.

Wir sind jünger im parla­

mentarischen Leben, nicht nur die Preußen, auch

unsere Jreunde aus

mehreren mitteldeutschen Staaten hier, die auch noch nicht eine so lange

parlamentarische Erfahrung haben wie jene Länder.

Unsere parlamen­

tarischen Vorgänger in Württemberg und Bayern und ganz besonders

in Baden haben uns durch das, was sie in ihren Kammern verhandelten, schon in unseren Jünglingsjahren erwärmt und begeistert und sich gewiß

Die

um ganz Deutschland hochverdient gemacht.

Zeit

ist sehr ernst,

meine Herren, und die Jragen, mit denen wir uns jetzt zu beschäftigen haben, sind so groß, daß der einzelne, daß jede persönliche Eitelkeit davor zurücktreteit

muß.

Aber,

Herren,

meine

glaube

eins

ich

dürfe»

wir

Preußen, wir, die Vertreter des preußischen Volks troy unserer jüngeren Erfahrung

doch auch für uns

in Alispruch

nehnren.

Nämlich, wenn

wir in die Schranken treteii für die Jragen, die uns jetzt beschäftigen, so ist mit nlis zugleich der Pulsschlag des deutsch-natioiialeii Lebens, was

wir entschieden liicht als ein Verdienst von illis in Alispruch zu nehmen haben sondern als notwendige Jolge der geschichtlich gegebenen Verhält­ nisse.

Veit iilis und für uns iverden in ganz Deutschand die lebhaftesten

Sympathieli laut.

Vian weiß, daß die Geschicke der kleinen und mittleren

deutschen Staateii bei illis elitschiedeii werden, und der ganze Konstitutioiialismils der kleinen Staateii liützt ihnen nichts, wenn jetzt in Preußen der Absolutismus siegt.

Ich

niiiß

lioch

(Bravo!»

an

ein

drittes

Monopol

anknüpfen,

was

Herr

1). Kerstors in Anspruch nahm, dem ich am welligsten beistimmen kann.

Er hat vorzugsweise sich den deutschen Patriotismus vilidiziert, Herren,

in

liberum veto

der Erhaltung des

Staaten in der Zollfrage.

meine

der einzelnen deutschen

Nun, dies ist wahrlich iiidjt das Schiboleth,

welches die deutsche Nation rettet, das ist gerade der Punkt, der sie ruiniert (Bravo!), und gerade die Bestrebungen sind gerechtfertigt, das liberum veto der einzelnen deutschen Dynastien im Interesse der Nation

zu Grabe zu bringen.

«Bravo!)

Nun möchte ich noch eilte weitere Bemerkung vorbringen, die hier­ mit sehr nahe zusammenhängt.

Man tadelt, daß wir an den Handels­

vertrag mit Frankreich anknüpfen.

Eine Einigung über den Tarif würde

sich ohnedies, wenn Preußen nicht einen solchen moralischen Zwang aus­

zuüben suche, viel leichter im Wege der Verhandlung herbeiführen lassen. y Bayrische Verfassung vom 26. Mai 1818, Württembergische vom 25. Sep­ tember 1819, Badische vom 22. August 1818.

440

Schulze-Delitzsch.

Aber so sei der Beitritt eine Art Bedrohung der politischen Selbständigkeit der übrigen Zollvereinsstaaten, die müsse man ablehnen.

Nun, meine

Herren, das klingt recht charmant, aber sowie wir uns auf den Weg der Verhandlung über den Tarif begeben und nicht den ersteren ein­ halten, so ist die Tariffrage auf 12 oder 15 Jahre wieder vollkommen vertagt! Wie es damit geht, das wissen wir: haben die Regierungen es erst dahin gebracht, und Preußen geht darauf ein, daß wir verhandeln^ tritt nicht ein fait accompli hinzu, was dazu hilft und dazu zwingt, die Frage zu entscheiden, so wird sie nie gelöst. Jeder Schutzzöllner möchte

heutzutage als Freihändler erscheinen; nur hat er immer noch dieses oder jenes Bedenken, daß das System schon gegenwärtig eingeführt werden könne. Läßt man sich mit einer solchen motivierten Tagesordnung, mit einer Verschiebung für jetzt abfinden, so ist man verloren. Denn das

ist so recht eine Vertagung ad Calcndas Graecas. Wenn man uns endlich sagt, wie Herr Baschs aus Wien so lebhaft betont, in Österreich werde nach weiter nichts gefragt, als ob deutsch oder nichtdeutsch; nur die Einiguug oder Treuullug vou den deutschen Briiderul kommen dort in Anschlag bei der gegenwärtigen handelspolitischen Frage: so freue ich mich darüber allerdings recht sehr und glaube es auch. Aber von einer Trennung, von Herbeiführung eines anderen Zustandes als wie er bis­ her in Österreich existierte, ist ja gar nicht die Rede! Sie sollen nicht eine Verbindung aufgeben, die Sie bis jetzt etwa gehabt hätten — viel­ mehr haben wir alle Ursache, die andere Seite im Auge zu behalten. Wir wollen eine Einigung, wir wollen sie von ganz Deutschland: wir wollen aber nicht Deutsches und Undeutsches zusammenwerfen lassen, wir

wollen deutsche Jrlleressen nicht an die der anderen m dem Gesamtstaat Österreich begriffenen Nationalitäten ketten lassen. Man hätte uns mit dieser Umkehrung der Frage also nicht kommen sollen: man mußte uns

wohl zutrauen, daß wir die Pointe merken und mit einer kleinen Ge­

burtshilfe der Sache die richtige Wendung geben würden. (Bravo!) Meine Herren! erlauben Sie mir noch einige vielleicht sehr triviale Sätze aufzustellen, um klar zu machen, was zu einer Zolleinigung ver­ schiedener Staaten gehört. Unser Herr Präsident-) hat mit großer

Wahrheit bereits geltend gemacht, daß die Politik von unseren Verhand­ lungen niemals ganz auszuschließen ist. Auch ich kann das Hereinstreifen

der Politik nicht verhüten, wenn ich mich auch wohl in acht nehme, nicht 0 Redakteur Dr. Basch aus Wien. a) Obergerichtsprokurator Dr. Braun-Wiesbaden, Präsident der Zweiten. Nassauischen Kammer.

tendenziös politische Dinge hereinzubringen. Wenn man aber Handels­ politik treibt, so treibt man nun einmal Politik. Ich meine, solange ein Staat die Zollschranken aufrechterhält, so fallen dieselben notwendig mit der Grenze des politischen Staatsgebietes zusammen, und die Berkehrs­ beziehungen lassen sich niemals von den politischen trennen. Ein Zoll­ staat getrennt vom politischen Staat ist ein Unding; beide sind ein und derselbe Organismus, der vor allem seine Selbständigkeit zu wahren hat, um den in ihm vorwiegenden Interessen gerecht zu werden. Der Staat bezieht die Zollrevenuen und verwendet sie für allgemeine Staatszwecke, er hat die Entscheidung und Exekutive in der Handelspolitik, die, losgelöst von ihm, geradezu in der Luft schwebte. Solange also Zollschranken existieren, ist die Ordnung dieser Verhältnisse unter verschiedenen Staaten durch Handelsverträge die Reget, wobei eben jeder Kontrahent seine volle Selbständigkeit wahrt, die ZvUeinigung dagegen, das Zusammentreten mehrerer Staaten zu einer einheitlichen Zollgruppe wie im Zollverein ist die Alienahme, die nur selten vorkommen kann. Was gehört nun dazu, um die Vereinigung zu einem Zollkörper bei verschiedenen Staaten zu ermöglichen, von denen jeder eine besondere politische Existenz bean­ sprucht? Sicher mllß als unumgängliche Voraussetzung dabei ausgesprochen werden: „daß nur solche Lällder sich dazu eignen, zwischen denen ein politischer und wirtschaftlicher Antagonisntus liichr wohl möglich ist, lvo vielmehr die politischen imb die wirtschaftlichen Interessen dauernd in­ einander laufen." In politischer Hinsicht wird es also erforderlich sein, daß die in die Zolleinigung tretenden Staaten nicht entgegengesetzte, wohl gar ein­ ander feindliche politische Ziele verfolgen oder doch in die Lage kommen können, dies zu tun. Schon die Möglichkeit, in politische Verwicklungen miteinander zu geraten, wird solche Staaten notwendig abhalten, ihre freie handelspolitische Bewegung voneinander abhängig zu machen. Also schon die Verschiedenheit der politischen Beziehungen gegen andere Staaten macht die Zolleinigung unmöglich. Ein Staat, welcher mit einem anderen in die Zolleinigung tritt und dann mit fremden Staaten, die außerhalb des Verbandes stehen, Kriege führen will, welche seinen Zollverbündeten nichts angehen, bewirkt dadurch, daß der Feind natürlich die Gesamtgrenze des geeinigten Zollgebiets bedroht und so mit dem ganzen Zollkörper ohne Unterscheidung alle friedlichen Verkehrsbeziehungen abbricht, daß sein Zollverbündeter wider Willen in die Mitleidenschaft gezogen und in seinen Interessen schwer verletzt wird. Es sind also in dieser Beziehung politische Bürgschaften nötig, die bei den einzelnen

Staaten eines Zollvereins dergleichen Eventualitäten durchaus aus­ schließen. Weiter vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus wird sich die Sache dahin formulieren, daß lvir da ein gewisses Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung, ein möglichst gleiches Maß in Produktion und Konsumtion, gleiche Zustände in Volksbildung und Lebenshaltung fordern. Selbst in bezug aus das Staatsvermögen, die öffentlichen Finanzen, den öffentlichen Kredit muß in einem gewissen Maße wenigstens annähernd eine Parität bestehen, wie sie eine solche Gemeinschaft in Geldsachen bedingt. Nun schauen Sie die Frage an in bezllg auf Preußen und Öster­ reich. Beide sind Großmächte und schon als solche können sie nun iiub nimmermehr eine Zolleinigung eingehen, weil sie notwendig verschiedene politische Interessen haben und haben müssen. Ein Großstaat kann seine handelspolitische Selbständigkeit niemals in dem Grade aufgeben, daß er mit einem anderen Großstaate von entschieden divergierender politischer und wirtschaftlicher Richtung eine solche Verschmelzung eingehe. Ein solches Verhältnis ist ganz unmöglich, man wird es nie erleben und es hat nie existiert. Wenden lvir dagegen diese Grundsätze auf Preußen und die deutscheil Mittel- und Kleinstaaten an, die zum größten Teile ja schon in solcher Zolleinigung untereinander stehen, so haben wir hier eben jene äußerst seltene Ausnahme, vielleicht die einzige ihrer Art. Mir schwebt wenigstens kein anderes Beispiel einer derartigen Zoll­ vereinigung in der ganzen Welt vor. Und diese halidelspolitische Anomalie erklärt sich einzig aus einer politischen Anomalie. Nur der eine der verbundenen Staaten, nur Preußen ist ein Großstaat, die anderen sind nicht in der Lage, eine lvirktich selbständige Politik einzuschlagen, sondern stets auf Bündnisse, auf das Anlehnen an einen Mächtigeren angewiesen, wenn es wirkliche politische Aktionen gilt. Und zwischen Preußen und den Zollvereinsstaaten herrscht eine so vollkommene Identität der wirt­ schaftlichen und politischen Interessen, daß ein feindliches Zusammentreffen, daß nur ein Auseinandergehen kaum denkbar ist. Alle diese Staaten — und das ist ja die Hauptsache — gehören einer Nationalität an, es ist ein Volk in allen! Es sind Staaten, die widernatürlich gegen Natur und Geschichte auseinandergerissen sind; es sind die getrennten Glieder eines und desselben Staatskörpers, des einigen und zusammengehörigen Deutsch­ lands! Ja, meine Herren, unter solchen Verhältnissen ist es freilich möglich, daß eine solche ausnahmsweise Einigung stattfindet. Selbst der einzige Großstaat unter ihnen, Preußen, meine Herren, kann da nach­ geben in einzelnen Punkten; er kann hier und dort seinen Verbündeten

Konzessionen machen, ohne Gefahr zu laufen, seine Selbständigkeit, die

seiner

Bedingungen

politischen

Existenz,

gefährdet

zu

sehen,

weil

er

Forderungen von solcher Tragweite insofern von den übrigen nicht zu

fürchten hat, als von einer eigentlichen Rivalität nicht die Rede ist.

Die

gegeneinander

noch

sämtlichen Vereinsstaaten können

unmöglich weder

einer ohne den anderen in politische oder wirtschaftliche Konflikte treten,

ohne am eigenen Ruin zu arbeiten, unb Preußens Wege und Kämpfe sind notwendig deutsche, will es nicht seine geschichtliche Basis verlieren und der eigenen Vernichtung verfallen. Nun werden Sie mir vielleicht einwenden, es seien ja doch, meiner

Ausführung entgegen, Zerwürfnisse da im Zollverein, wir sähen ja die

Gefährdung und Zersprengung des Vereins vor Augen, mau habe sogar politische Zerwürfnisse hineingeworfen.

Ja, das körlnen ivir uns nicht

verhehlen, das ist wirklich der Fall, meine Herren! Aber wo liegen denn die Keime dieser Wirren? Ist etwa ein Monient eiiigetreten, von welchem

ein

der

Auseinaudergehen

lvirkliches

Interesseii des Zollververeins datierte?

gemeinsamen

Strebungen

mit ihren kleinlicheii Eifersüchteleien, von denen dies alles ausgeht.

sind

das

und

C nein! Tie Dynastien silid es

Sie

tmmeiibe Moment innerer wittschaftlichen Entwicklung, wie

von ihnen bic Hinbernisse ausgehen unserer gesaniten iiationalpolitischen Entwicklung.

Wenn Sie die Bevölkerungeii der beteiligten Staatem reden

lassen, tun das wahre Interesse der einzelnen Stanime zum Ausdruck zu

bringen, da werden Tie nie aus eiue Sprengung des Zollvereins kommen.

Nur die Dynastien suchen äußerlich zu trennen, was 9tatur unb Ge­ schichte innerlich zusammengefügt

haben,

und wahrlich sehr gegen das

Interesse ihrer Völker, ja gegen ihr eignes wohlverstaiidenes Interesse. Nehmen wir die dritte Ehanee einer Zolleinigilng an zwischen den deutschen

Mittel-

allerdings

nicht

und Kleinstaaten

der

Antagonismils

unb Österreich, so steht derselbeii

zweier Großmächte

entgegen unb

Österreich würde als Kern des Ganzen, an welchen sich die anderen an­ lehneu, nicht wohl in die Lage kommen, daß seine Verbündeten Dinge

von ihm verlangten, die es nicht gewähren könnte, ohne sich selbst aisizugeben. Aber, meine Herren, das ist die Hauptfrage: sind die politischen und wirtschaftlichen Interessen zwischen Österreich und den Vereinsländern in derjenigen Übereinstimmung, wie sie eine solche Verbindung unum­

gänglich erfordert?

Ich will hier nicht auf das einzelne näher eingehen,

aber eins will ich in bezug auf die politischen Verhältnisse anführen: Österreich

ist

Krise begriffen.

gegenwärtig

in einer

ganz außerordentlichen staatlichen

Sie wissen, daß die Regierung den Einheitsstaat er-

Schulze-Delitzsch.

444 strebt,

während

bisher nur eine Anzahl Kronländer, verschieden nach

Nationalität und Verfassung mit wahrhaftig einander nicht freundlich gesinnten Bevölkerungen, ganz allein durch das Band der Personalunion unter einem gemeinsamen Herrscherhause verbunden waren. Ja, meine Herren, daß ein solcher Staat wie Österreich seine ganz besondere

Politik, und zwar einzig und allein bestimmt durch die Interessen der Dynastie

als

des

einzig Gemeinsamen den Staatsverband einzig zu­

sammenhaltenden Mittelpunktes

innehält und innehalten muß, die un­

möglich mit denen anderer Staaten zusammenfallen kann, versteht sich von selbst. Das ist kein Vorwurf für Österreich, das ist eine Not­

wendigkeit, in der sich jeder Staat in der Lage Österreichs befindet.

Also

Kriege, politische Verwicklungen aller Art, die nichts weniger als all­

gemeine deutsche Interessen verfolgen, stehen da in Aussicht, mit) durch sie

werden die Staatsgebiete der Zollverbündeten, wenn dieselben auch

nicht direkt in diese Wirren hineingezogen lverden, doch in ihrem Verkehrs­

leben auf das schwerste geschädigt. staat durchgeführt werden wird,

V?eine Herren, ob nun der Einheits­

ob es

bei

der Personalunion bleibt,

darüber abzusprechen, wäre sehr anmaßend; glaube, die Österreicher wissen es selbst nicht.

das wissen wir nicht, ich Die 'Aufgabe ist eine sehr

schwierige und sehr verwickelte- und wenn wir Preußen unsererseits uns

nicht verhehlen, welche ernste Mühen

und Kämpfe auch noch bei uns

dazu gehören, um ein echtes Verfassungsleben, den wirklichen Rechtsstaat

herauszuarbeiten, so liegt die Sache doch noch ganz anders.

Nicht die

Existenz des Staates steht bei uns in Frage, da ein einiges Volk der Träger desselben ist, während die deutsche Bevölkerung in Österreich nur ein Viertel beträgt.

Unt) wenn niemand der österreichischen Negierung

bestreiten wird, daß sie die Aufgabe mit großer Energie erfaßt hat, so

ist bei den Protesten des größten Teils seiner Völker das Gelingen in diesem Augenblicke mehr als je in Frage gestellt.

Ich

glaube, meine

Herren, das können wir wohl aussprechen, ohne irgendwie eines parti­

kulären Standpunktes beschuldigt zu werden. Im übrigen, da unbestreit­ bar der Schwerpunkt Österreichs unter allen Umständen außerhalb Deutschlands liegt, ist es auch für uns gleichgültig, ob der Einheitsstaat

zustande kommt oder nicht, da es in dem einen wie in dem anderen Falle eine deutsche Politik zu verfolgen außerstande ist und es also stets

an der Identität der Interessen fehlen wird, die wir fordern müssen. Ebenso große Bedenken stehen der Zolleinigung mit Österreich in wirtschaftlicher Hinsicht entgegen und in finanzieller.

Es wäre ungerecht,

der österreichischen Industrie absolut die Ebenbürtigkeit mit der deutschen

im allgemeinen abzusprechen. Österreich hat bedeutende Jndustriedistrikte^ die in ihren Leistungen keinem anderen Lande nachstehen; aber sie sind im höchsten Grade vereinzelt. Es waltet im ganzen eine Ungleichheit ob, die ganz enorm ist, so daß wir den verschiedenen Völkern, die Österreich

ausmachen, unmöglich eine gleichmäßige Produktions- und Konsumfähigkeit in dem Grade zugestehen können, wie die Zolleinigung sie notwendig fordert.

Das wird man bei nur einiger Kenntnis der österreichischen

Zustände sich kaum verhehlen können. Dazu treten nun noch die Lage der Staatsfinanzen und die Balutenverhältnisse, welche die angestrengtesten Bemühungen der österreichischen Regierung noch immer nicht in dem Maße zu ordnen vermocht haben, wie dies der Fall sein müßte, ehe ein anderer Staat in so nahe Kassengemeinschaft mit einer solchen, außer von anderen, auch noch von einer Finanz- und Kreditkrisis bedrohten Macht zu treten geneigt sein könnte. Kurz, nach alledem, meine Herren, gtanbc ich bei der anerkannten Begabung der österreichischen Staats­ männer und Diplomaten keinen Augenblick daran, daß sie eine Zolleinigung wirklich im Ernste wollen. Tie Herren wissen so gut, wie einer von uns, daß dieselbe unmöglich ist und daß kein böser Wille obwaltet, sondern daß die innere, treibende Gelvalt der Verhältnisse sie nicht zu­ läßt. Die desfallsige Forderuilg hat daher gewiß mehr die Absicht, den Handelsvertrag mit Frankreich und die fernere preußische Führung im Zollverein zil vereiteln, als daß man daran dächte, das Geforderte selbst zu erreichen. Und wenn man dabei auf den Vertrag vom Februar 18531) verweist, so mahne ich Sie an die Eingangsworte desselben, ich habe sie

hier notiert. Da ist den österreichischen Forderungen von Haus aus jeder Boden entzogen. Darin ist nämlich ausdrücklich ausgesprochen die Absicht einer allgemeinen deutschen Zolleinigung. Ja, meine Herren, eine deutsche Einigung, die ist gewiß auch die Losung aller deutschen Volkswirte. Aber was darüber ist über das deutsche, das Zusammen­

werfen mit undeutschen noch dazu widerstrebenden Elementen, wie sie Österreich überwiegend enthält, und wie sie nur der Zwang, nicht die

Gemeinsamkeit der Interessen diktieren könnte, das müssen wir, wenn ein Funke von Nationalgefühl in uns lebt, uns in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht vom Halse halten. Daher ein Handelsvertrag mit Österreich, aber keine Zolleinigung. Mögen sich die beiden großen Zoll­ gebiete, das deutsche und das österreichische, immermehr die Hände bieten,

wie sie ja schon gegenwärtig sich die Rechte der meistbegünstigten Staaten i) Siehe oben S. 425.

einräumen, mögen am Ende die Zollschranken zwischen ihnen ganz fallen — aber gemeinsame Zollschranken errichten, das bleibt ein für allemal unmöglich. So schließe ich denn. Wir können, Preußen sowenig wie die übrigen deutschen Staaten, unsere Politik, unsere Volks- und Staatswirtschaft mit denen Österreichs identifizieren, d. h. von Österreich abhängig machen. Wir können Österreich sowenig seinen Länderbestand wie seinen Staats­ kredit und seine Valuta garantieren. Wir können den Legitimitütsfeldzügen seiner Regierung nicht den politischen, ihren Schutzzolltendenzen nicht den wirtschaftlichen Fortschritt opfern, ohne Ulis selbst zu ruinieren. In der Personalunion, dem einzigen staatlichen Band seiner weiten Ländergebiete, ist die Notwendigkeit einer dynastischen Politik gebieterisch vorgezeichnet. Das was wir in Deutschland brauchen, ist aber keine dynastische sondern eine deutsch-nationale Politik, die eine ebensolche Handelspolitik in sich begreift. Und wenn der große Kaiserstaat Völker umfaßt, die in ihrem ^cationalitätsdrange entschieden auseinander streben, so dürfen wir nicht den Einigungsdrang, der alle deutschen Stämme be­ seelt, durch ein Ketten an solche Gegei^strebungen seinem tiefsten Grunde nach in Konflikt bringen, auch wenn es sich zunächst nur um die materielle Seite der Frage handelt. Deshalb stimmen Sie für den Ausschußantrag! (Lebhaftes Bravo.) Ich akzeptiere den Allsdruck des Herrn v. Kerstorf/) als er von preußischen Deutschen sprach. Er hat, vielleicht ohne es zu wollen, die rechte Losung gegeben. Wir verlangen weder von ihm noch von den Angehörigen anderer deutscher Länder, daß sie Preußen werden sollen; wir selbst sind und fühlen uns vielmehr als preußische Deutsche, geradeso wie Sie sich als badische, Württembergische, sächsische Deutsche usw. fühlen und geltend machen. Und dabei, denke ich, bleiben wir, und ich weiß, daß Sie, meine Herren, diese Worte von mir, als einem preußischen Deutschen, der ich von ganzem Herzen bin, keinem bloßen Preußen, ver­ stehen, wie sie gemeint sind. Der Ausschußantrag wurde mit großer Majorität angenommen. y Auf Zwischenerklärung von Kerstorfs: „Ich will nicht bloß preußischer Deutscher werden."

78. Der preußische Schiffahrtvertrag mit Belgien. Rede in der 34. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 18. April 1863.

Die preußische Regierung hatte am 28. März (863 mit Belgien einen Schiffahrtsvertrag abgeschlossen und ein Protokoll vereinbart, das beiden Staaten die Rechte der meistbegünstigten Nationen in allen Zoll­ fragen bis zum Abschluß eines Handelsvertrags zugestand. Der am (8. April (863 dem Abgeordnetenhause von Michaelis-Stettin vor­

gelegte Rommissionsbericht empfahl die Annahme beider Vereinbarungen; von Mallinckrodt-Minden (katholische Fraktion) machte indessen das Be­ denken geltend, daß der Handelsvertrag mit Österreich von (853 die Aufnahme der gesamten österreichischen Monarchie in den deutschen Zoll­ verein in das Auge gefaßt habe. Gegen ihn wandte sich Schulze:

I. Meine Herren!

Ich will dem,

was der Herr Referent schon in

seinem gedruckten Berichte und sonst gesagt hat über das Willkommen,

welches wir diesem Vertrage entgegenrufen und welches sich

wie beim

französischen Handelsverträge ohne Zweifel fast auf sämtliche Mitglieder des Hauses erstrecken wird, nichts hinzufügen.

Ich habe mir nur vor­

genommen, einen Punkt, der bei der früheren Debatte ebenso wie bei der gegenwärtigen uns wieder entgegengetreten ist, Ihnen näher zu beleuchten. Es ist eben die Verpflichtung, die unsere Regierung im Vertrage von 1853 in bezug auf Österreich nach der Ausführung der Herren von

dieser Seite des Hauses (zum Zentrum gewandt) übernommen haben soll, eine Verpflichtung, mit der sie, wie man deduziert, in Kollisfion kommt, indem sie mit Frankreich sowohl als mit Belgien oder sonst durch Ab­

schluß von Handelsverträgen vorgeht.

Ich

denke doch,

die Sache ist

wert, daß wir einmal diese angeblich beabsichtigte Zolleinigung und alle

nötigen handelspolitischen Voraussetzungen derselben in diesem Augen­ blick näher ins Auge fassen.

Ich möchte den geehrten Herrn Vorredner

von der andern Seite des Hauses zunächst auf einige Punkte im Ver­ trage selbst aufmerksam machen.

Der Vertrag beabsichtigt ausgesprochener­

maßen, zwischen zwei Gebieten, zwischen dem österreichischen Gesamtstaat

und zwischen Preußen und seinen Verbündeten, Verkehrserleichterungen anzubahnen.

Man hat ferner sowohl nach preußischer als auch nach

österreichischer Seite hin anderen Staaten, die mit jenen beiden auch später noch in engern Verband treten wollen, den Zutritt Vorbehalten, ’) Abg. von Mallinckrodt.

448

Schulze-Delitzsch.

die Geltung der betreffenden Stipulationen also nicht auf Deutschland beschränkt; das wird dem Herrn Vorredner in seiner Deduktion wohl nicht bestritten werden können. Nun wird aber nach dem Eingänge des Vertrags die „künftig anzubahnende völlige Zollvereinigung" ausdrück­ lich nur als eine deutsche bezeichnet, und diesen Charakter würde sie durch den Eintritt der großen nichtdeutschen Staatengruppen Österreichs, obenein mit dessen italienischen Verbündeten verlieren. Doch wie dem auch sei, so viel steht fest, daß in dieser Beziehung keinerlei Verpflichtungen von den kontrahierenden Teilen übernommen sind. Das geht aus dem Eingänge wie aus dem Schlüsse des Vertrages hervor. Die Absicht, welche die kontrahierenden Teile aussprechen, noch außer den wirklich in das Leben gerufenen gegenseitigen Verkehrserleichterungen etwas Künftiges wie die fragliche Zollvereinigung anzubahnen, verpflichtet sie nicht. Denn die Anbahnung, der Versuch einer künftigen Vereinbarung ist eben noch nichts Fertiges, auch nicht die Vereinbarung selbst, und die Paziszenten können, der eine wie der andere, von diesem Versuche, dessen Gelingen ja in das Belieben eines jeden gestellt ist, in jedem Augen­ blicke abstehen, sobald sie finden, daß die Maßregel ihren Interessen widerspricht. Nach Art. 25 sollen daher im Jahre 1860 Kommissarien zusammen­ treten, um über die Zolleiniguiig erst noch zu verhandeln; daß dieselbe wirklich zustaiide kommen müsse, ist nirgends bestimmt. Das Ganze ist also höchstens ein Projekt, das bei dem Abschluß über die gegen­ seitigen Verkehrserleichteruiigen mit zur Sprache gekommen ist und zu dessen Verwirklichung außer der Vereinbarung zwischen den Regierungen auch noch die .Zustimmung der Landesvertretung gehörte. Daß über­ haupt, wenn je auf diesem Wege eine Zolleinigung zu erlangen sein würde, indem man alle nichtdeutschen Länder, die zu Österreich gehören, sogar die früheren italienischen Verbündeten Österreichs, darunter begriffe, diese Einigung jedenfalls den Charakter einer deutschen verlieren müßte, das brauche ich nicht noch einmal zu sagen. Jetzt aber komme ich auf den Punkt, um den es mir hauptsächlich zu tun ist, auf die Frage: was gehört zu einer völligen Zollernigung zwischen verschiedenen Staaten?^ Ist eine Zolleinigung, namentlich zwischen Österreich und Preußen, abgesehen davon, ob sie die beiden Regierungen wirklich beabsichtigt haben oder nicht und in welcher Weise sie sich dieselbe gedacht haben — 0 Siehe oben S. 440 ff.

überhaupt möglich? — Mit dieser Frage nwchte ich das Haus einen Augenblick beschäftigen. Nun, meine Herren, wir stehen da auf dem Gebiete der Handelspolitik; die Handelspolitik ist aber eben Politik, sie wird von der Politik überhaupt gar nicht getrennt werden können, sie ist ein integrierender Bestandteil der­ selben. Es gibt Staaten, und zwar sehr bedeutende Staaten, deren ganze Politik wesentlich durch die Handelspolitik bestimmt wird; ich erinnere Sie nur an England; da sind die Handelsuiteressen das bestimmende Element für die ganze Politik und Sie können beides gar nicht von­ einander trennen. Es handelt sich daher bei einer Zolleinigung, bei dem Berschlnelzen zweier oder mehrerer Staaten mit ihren Gebieten zu einem einheitlichen Zollkörper um eine politische Einigung: darüber kommen Sie nicht fort. Zwei Großmächte lnerden aber, wenn sie sich überhaupt als existenzfähig betrachten, sich die Selbständigkeit ihrer Politik Vor­ behalten müssen; ich wüßte md)t, wie sie sonst noch Großmächte d. h. eben selbständige politisch aktionsfähige Körper für sich sein sollten. Nehmen Sie nur Österreich und Preußen. Beide sind Großmächte, sie können uiiuiöglich ihre Politik jeinals identifizieren, d. h. ihre politische Sonderexistenz, die eigne Willensbestimmung gemäß ihrer staatlichen Sonderinteressen, zugunsten irgeiideiiier Majorisierung aufgeben. Sie können freiindschaftliche Absichten gegelieinander haben, sie können zeit­ weise oder dauernd genieinsame Interessen verfolgen, die sie ziir Bundes­ genossenschaft hindrängeii; das ist möglich, selbst wünschenswert, das bestreite ich nicht. Aber die Selbständigkeit ihrer Politik in einem eiiizigen Punkte aufgeben, ihre Gebiete zu einem einheitlichen Zollkörper ver­ schmelzen und dadurch auch in ihrer politischen Aktioii sich in vielen Stücken voneinander abhängig machen, das ist und bleibt eine Unmöglich­ keit sowohl für Preußen wie für Österreich. Deshalb fällt die Beschuldi­ gung in sich selbst zusammen, daß es von feiten Preußens höchst unrecht wäre, ein so wünschenswertes und die deutsche Einigkeit förderndes Projekt zu hindern, daß Preußen sich einer großen Verantwortlichkeit schuldig mache, indem es durch sein einseitiges Vorgehen mit diesen Handels­ verträgen jenen Abschluß mit Österreich erschwere. Das ist zunächst eine Verschiebung der ganzen Frage. Ja, meine Herren, wenn es sich darum handelt, ob wir die Zollschranken zwischen uns und Österreich ganz auf­ heben wollten oder mindestens lveitere Erleichterungen gegenseitig ein­ treten lassen: wer von unserer Seite — namentlich von dem Teile der Mitglieder, die auf dem Prinzip der Handelsfreiheit stehen — wird etwas dagegen einwenden? Zwei Großstaaten können die Handels- und Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

III.

9q

Schulze-Delitzsch.

450

Zollschranken untereinander einreißen, sie völlig aufheben, aber sie können nun und nimmermehr gemeinsame Zollschranken nach dritten Gebieten

Das letztere aber mutet man uns in der Zolleinigung zu, nicht das erstere. Das ist der Stand der Frage^

hin errichten! mit Österreich

meine Herren, und jede andere Formulierung ist eine Verschiebung der­ selben.

Daß man durch eine solche Zollgebietseinigung aber sofort in

politische

eine

Gemeinschaft

dem

Auslande

gegenüber

tritt,

ist

klar.

Denken Sie sich den Fall, daß einer der geeinigten Staaten infolge seiner

besonderen politischen Stellung in Krieg mit einem dritten Staat gerät,,

so ist

das

ganze Zollgebiet einschließlich derjenigen darin

begriffenen

Länder, welche mit jenen Kriegsfall gar nichts zu tun, kein Interesse dabei haben, im Augenblick gefährdet.

Die Verkehrshemmungen, die der Krieg bedingt, treffen den ganzen

Zollkörper, treffen die am Kriege nicht beteiligten Staaten so gut wie

den kriegführenden Teil selbst, ziehen alle zunächst in die Mitleidenschaft in bezug auf die materiellen Nachteile und können ihnen leicht sogar

die Teilnahme am Kampfe, sehr gegen ihren Willen und ihr Interesse, aufdringen

sie in die schlimmsten Händel verwickeln.

und

Sie sehen

daraus, daß die Handelspolitik von der Politik überhaupt sich

nicht

scheiden läßt und daß für Großstaaten, die die Interessen ihrer Länder und Einwohner ernstlich wahrnehmen wollen, das Aufgeben der Selb­ ständigkeit darin unmöglich ist.

Wenn

man

also in dem

fraglichen

Vertrage wirklich an die Anbahnung einer solchen Chimäre gedacht hat,

so ist die Königliche Staatsregierung hoffentlich dahin gekommen, daß sie die Unmöglichkeit

Hände leihen.

einsieht,

und wir mindestens könnten nie dazu die

Wir können Sympathien habeil (die ich keinem der ver­

ehrten Herren bestreiten will), wie wir nur wollen, wir können dahin dringen, daß die Negierung den Verkehr erleichtere mit Österreich, ja die

Zollschranken aufhebe, aber wir können uns nicht gemeinsam mit Öster­ reich handelspolitisch

gegen

das Ausland

abschließen,

denn

mit dem

Augenblick, wo wir das tun, verlieren wir die selbständige Entscheidung,

in dieser wichtigen Sphäre sehr gegen die Interessen unserer Staats-eingesessenen

und

laufen

auch

sonst

Gefahr,

unsere

ganze

politische

Stellung in einer Weise beeinflußt zu sehen, die der Entwicklung und Bedeutung unseres Staates nur nachteilig sein kann. Und meine Herren, wenn ich sonach bestreite, daß zwischen Öster­

reich und Preußen ein derartiger Plan jemals realisiert werden könne,

so lassen Sie uns von der andern Seite einmal sehen, was zu solcher Zolleinigung, wenn sie möglich sein soll, gehört.

Großstaaten also können.

nicht mit Großstaaten in ein solches Verhältnis treten, sondern ein Groß­ staat kann dies nur mit anderen kleineren Staaten tun, welche durch ihre Verhältnisse gehindert sind, selbständige Politik, also auch selbständige

Handelspolitik zu treiben, vielmehr ihrer unzureichenden Macht- und Ge­ bietsverhältnisse wegen in beiden Beziehungen zu einem solchen Anschluß hingedrängt werden.

Indessen setzt dies auch alsdann mehr als die bloß

augenblickliche Identität der politischen, finanziellen und volkswirtschaft­

lichen Interessen zwischen solchen Staaten voraus. Es schließt in sich cm, daß ein Antagonismus dieser Interessen zwischen den betreffenden Ländern auf die Zukunft nicht wohl gedacht werden kann. Gewiß wird ein solches Verhältnis nur sehr selten vorkommen und kann eigentlich gar nicht als normal angesehen werden, da ein Staatswesen ohne die Möglichkeit der Sonderexistenz, ohne politische Selbständigkeit ein Unding ist, seine Bestimmung nicht erfüllet. Die Zolleinigung, um welche es sich bei uns handelt, der Zollverein, den wir haben, ist daher genau

genommen, eine handelspolitische Anomalie. Ich bekenne Ihnen, meine Herren, ich kenne in der ganzen Welt nur einen Zollverein — es ist möglich, ich irre mich; ich bitte, belehren Sie mich vom Gegenteil — ich kenne nur einen solchen Verein, der eine Anzahl mit der Prätension, souverän zu sein, auftretender Staaten in einen einheitlichen Zollkörper

zusanlmenfaßt, das ist der deutsche unter Preußens Führung zustande gekommene. Woraus ist nun diese handelspolitische Anomalie allein zu erklären? Aus der politischen Anomalie. Es sind die zerrissenen Glieder eines und desselben Volkskörpers, eines und desselben Landes, die in sich die entschiedene und fortwährende Tendenz der Zusammengehörigkeit

haben, die nach einem einheitlichen Mittelpunkt gravitieren, unter denen eine solche Differenz, ein solcher Antagonismus der wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Interessen nicht gedacht werden kann, in die man nur eine Spaltung hineinbringen kann, künstlich von den Kabinetten aus (Bravo! Links), die aus irgendeinem dynastischen Gelüst, aus kleinlicher Eifersüchtelei sich mit den Interessen ihrer Völker mutwillig in Gegen­

satz bringen. Das ist die ganze Erklärung einerseits der Möglichkeit des deutschen Zollvereins, in welchem sich eine Anzahl kleinerer deutschen Staaten dem einzigen reindeutschen Großstaate anschließt, welcher andere als deutsche, mit dem ihrigen identische Interessen gar nicht verfolgen

kann, will er sich nicht selbst vernichten; andererseits ist es die Erklärung der künstlich in diesen Verein hineingetragenen Zwietracht. Es ist die einzige Ausnahme der Art, diese deutsche Zolleinigung, weil eben nur Deutschland, leider Gottes! die einzige politische Ausnahme der Art ist, 29*

452

Schulze-Delitzsch.

daß ein großes Volk auseinandergerissen ist in kleine staatliche Fetzen wider Natur und Geschichte, und wo wir uns noch glücklich preisen müssen, ein solches Surrogat zu besitzen, um im materiellen Verkehr wenigstens einigermaßen die Stellung zu behaupten, die unserem Vaterlande gebührn Was nun weiter, meine Herren, was haben wir allen diesen Um­ trieben gegenüber, wie wir sie bei dem französischen und bei dem jetzigen Handelsverträge auftreten sehen, zu tun, da sie auf nichts anderes als die Sprengung des Zollvereins, bewußt oder unbewußt, hinauslausen? Denn das ist das Hineinziehen Österreichs bei völliger Unvereinbarkeit der gegenseitigen Interessen. Und haben wir schon aus diesem Grunde uns entschieden dagegen zu verwahren und an den Verträgen festzilhalten, so lassen Sie mich noch ein anderes Moment anführen: daß wir durch eine solche Einigung mit dem Gefamtstaate Österreich unsere nationalen Hoffnungen im Keime zerstörten. Wenn wir das behaupten, so tun wir es nicht von einem engherzigen preußischen Standpunkt aus, nein, alle unsere Verbündeten im Zollverein müssen eS mit uns tun, vom deutschen Standpunkt aus. Meine Herren, das, was uns in Deutschland nottut, in der Politik überhaupt so gut wie in der Handelspolitik, das ist, daß das nationale (Hement endlich an die Stelle des bisher zum Unheil unseres Vaterlandes allein bestinimenden dynastischeii Elements tritt: darin, denke ich, ist die große liberale Partei in ganz Deutschland einig. Nun, meine Herren, stellen Sie sich einmal in den prätendierten Verband mit Österreich, geben Sie Österreich Einfluß auf diese Dinge, so muß ilnd wird dieser Einfluß ein vorwiegender sein bei den Machtverhältnissen dieses Staates. Nun, gehen Sie einmal zurück auf Den Kern, auf den Schwerpunkt des österreichischen Staatskörpers: worin liegt die Einheit, der Verband zwischen den vielen, reichen, schönen Ländern, die ihn bilden? Lediglich und allein in der Dynastie! Nur in der Dynastie ist der Einigungspunkt für diese ganz verschiedentlichen Völker und Länder gegeben; es sind eben Besitzungen des Hauses Habs­ burg; sowie die Dynastie fällt, fällt der Zusammenhang des österreichischen Staatswesens. Es steht kein einiges Volk hinter demselben sondern eine Menge auseinanderstrebender Nationalitäten, die nur die Gewalt, die nur der Zwang zusammenhält. Wollen wir diesen Keim des Zerfalls hineinbringen in unsere Zoll-, in unsere künftige politische Einigung, als deren Vorspiel wir die erstere betrachten? Wollen wir den Aufgang knüpfen an den Niedergang? Ist dies das Ziel, was wir erstreben vom deutschen nationalen Standpunkt aus? Nein, meine Herren, das können

wir nicht! Wir würden die dynastische Politik, zu der Österreich not­ wendig und durch die Natur der Verhältnisse hingedrängt isr, und mit ihm dasjenige Moment, was die unseligen Zustände in unserem deutschen Paterlande verschuldet hat, verewigen. Daß diese dynastische Politik namentlich mit den wirtschaftlicheli Interessen der Nation überaus übel umspringt und mit deren Gedeihen nicht verträglich ist, ich dächte wirk­ lich, da müßte man blind sein imb die Augen mutwillig verschließen gegen die neuerlichen Borgänge im Zollverein, wenn man das nicht einsehen wollte. Lassen Sie uns also auch das konstatieren, meine Herren, daß ein Ginlenken in dies Projekt, ein Hinstellen dieses Projektes als eines echt deutschen im Gegenteil ein Aufgeben unserer nationalen Hoffnungen, ein Brechen mit der künftigen Wiedergeburt unserer Nation auf allen Gebieten sein wiirde. Zuni Schluß endlich möchte ich nur davon noch Akt nehmen, daß alles uns darauf hindrängt, daß die materiellen Interessen und Fragen, die wir hier so gefährdet sehen, nicht anders zuni Abschluß, nie zur gedeihlichen Lösung kommen werden, als mit dem Abschluß der nationalen Einigung, der politischen Wiedergeburt des deutschen Bolls. Ich halte daher eine Erklärung von dieser Stelle aus wohl am Orte- daß alle die, welche in der Förderung der materiellen Interessen die Hauptaufgabe sehen und alle übrigen Strebungen nur zu oft als ideale Träumereien auffasfen, angesichts der neuerlichen Erfahrungen auf diesem Gebiete sich vereinigeii sollen mit denen, die aus höheren Impulsen und idealeren Motiven das Wiedererstehen, die Wiedereinigung des deutschen Volks als Bedingung seiner nationalen Existenz erstreben. Sie werden zur Bundesgenossenschaft nüt uns gedrängt ' denn die materiellen Interessen werden so lange geschädigt, entbehren so lange jeder Garantie gesunder Entwicklung und dauernder Zustände, als nicht die politische Macht der Nation dahintersteht und den Gelüsten willkürlicher Eingriffe nach unten wie nach oben, nach innen wie nach außen gleichmäßig ent­ gegentritt. (Bravo' Bravo!) Schulzes Ausführungen fanden bei den Abg. plaßmanwArnsberg und Reichensperger-Beckum ^Mitgliedern der katholischen Fraktion) Wider­ spruch, welche eine enge politische und handelspolitische Verbindung Preußens mit der österreichischen Gesamtmonarchie forderten, wenngleich Reichens­ perger für die belgischen Verträge stimmte. Schulze antwortete ihnen darauf nochmals:

454

Schulze-Delitzsch.

II. Ja, meine Herren, entschuldigen Sie, wenn ich noch einmal das

Wort

ergreife.

Ich

gehe

wirklich

mit innerem

Widerstreben

daran,

einiges, was ich gesagt habe, noch einmal wiederholen zu müssen, was in

der Tat nicht zn meinen Gewohnheiten gehört.

des Herrn Abgeordneten Plaßmann

für das,

Aber das Verständnis

was ich wirklich gesagt

habe, scheint der Art zu sein, daß man die Dinge zweimal sagen muß.

Sie werden gegen diese Rücksicht hoffentlich nichts

einzuwenden haben.

(Heiterkeit.) Er hat genau in den meisten Punkten das Gegenteil von dem ver­ standen, was ich gesagt habe.

seines deutschen Nationalgefühls

Er hat namentlich von der Verletzung

gesprochen — ich begreife aber nicht,

von welchem Standpunkte aus dies verletzt sein soll, wenn es wirklich

ein solches ist.

Er hat von den Schranken, die gegen Österreich gezogen

werden sollen, gesprochen.

Wer will denn das? Ich und meiiw politischen Freunde doch nicht! Wir wünschen ja die möglichsten Verkehrs-Erleichterungen mit Österreich, die Verschmelzung und das Einswerden mit ihm.

Die Errichtung gemein­

samer Zollschranken gegen Dritte will uns nicht gefallen.

Dagegen habe

ich protestiert, dagegen habe ich gesprochen, nicht aber gegen die möglichsten

Erleichterungen des Verkehrs, die meinethalben bis zur Aufhebung der Grenze stattfinden kann.

Und

meine ganz allgemein

gehaltene Aus­

führung ist ja ebensogut im österreichischen wie im preußischen Interesse, da Österreich als Großmacht ja ebensowenig seine Selbständigkeit zu

unsern Gunsten aufgeben kann und soll, wie wir zu seinen, da ich für

jeden der beiden Staaten die Selbständigkeit als Forderung stelle. Nun sagt er gar: ich hätte den Zollvertrag mit Österreich, den ich ja geradezu befürworte — ich will bloß die künftige Einigung nicht — eine Chimäre

genannt.

Ich hoffe, daß der stenographische Bericht ihn belehren wird,

daß er vollkommen einen Kampf mit Windmühlen geführt hat. keit.)

(Heiter­

Es ist eine sehr wohlfeile Art der Diskussion, wenn man seinem

Gegner irgendeine Absurdität unterschiebt und dann ein Kreuzfeuer los­ läßt gegen Dinge, woran er in seinem Leben nicht gedacht hat.

(Heiterkeit.)

Ich muß ihn dagegen, da er mein Nationalgefühl bezweifelt, auf ein

paar Nebenpunkte aufmerksam machen, die in solchen Dingen doch sehr in Betracht kommen.

Ich glaube, man kann auf einem noch so nationalen

Standpunkte stehen, so wird man immer berücksichtigen müssen, daß jede

Nation doch stets ihre materiellen Interessen dabei zu bedenken

hat.

Eine Nation muß, wenn sie mit einer anderen eine Einigung wie die

fragliche eingehen will, sich prüfen, ob die finanziellen, die politischen

und die volkswirtschaftlichen Interessen diese Einheit zulassen. Nun, meine Herren, denken Sie sich die Zolleinigung mit Österreich;

berücksichtigen Sie von diesem dreifachen Standpunkte aus, wie wir dabei fahren würden. Wollen Sie sich finanziell mit Österreich identifizieren? Sobald wir in ein

gemeinschaftliches Kassenverhältnis treten, wie dies

hinsichtlich der unter den Mitgliedern des Zollvereins zu teilenden Zoll­

revenuen

unstreitig

sofort

der Fall ist,

tritt

ein

solches Kompagnie­

verhältnis ein, Sie mögen es ansehen, wie Sie wollen. Das; aber diese Kompagnieschaft mit einem Staate wie Österreich, der in solchen finan­ ziellen Verhältnissen sich befindet, und bei den politischen Aufgaben, die er sich gestellt hat, keine Aussicht hat, sich sobald herauszuwickeln sondern noch in viel tiefere finanzielle Verlegenheiten hineinzukommen — daß man, sage ich, sich mit ihm nicht in eine solche finanzielle Gemeinschaft begeben

kann, das scheint mir im diesseitigen Staatsinteresse dringend geboten.

Erst müssen die Valuten-Verhältnisse geordnet, das stetige Defizit in den

Finanzen

geregelt

sein,

ehe

wir

darauf eingehen können.

Auf solche

Dinge können wir uns im Interesse unserer Staatsfinanzen nicht ein­ lassen, da dieselben durch unsere eigene Regierung ohnehin genug in An­ spruch genommen sind und wir schon selbst genug zu tun haben, das

Gleichgewicht bei uns zu behaupten. Und wie steht es auf dem politischen Felde? Da hat nun wieder der geehrte Herr Abgeordnete Reichensperger etwas ganz Verkehrtes herausgehört. Ich redete nicht von einem Kriege, der zwischen den kontrahierenden Staaten, zwischen Österreich und Preußen,

ausbrechen könne, der ja natürlich die Zerreißung aller Verträge, also

auch der Zolleinigung von selbst zur Folge haben würde.

Das ist wieder

eine äußerst wohlfeile Deduktton, die ihm sämtliche Abgeordnete sicher gern erlassen hätten.

Wohl aber sprach ich von einem Kriege, den der

eine der im Verbände stehenden Staaten mit einem dritten außerhalb

des Verbandes führt, der also die Aufhebung der Zolleinigung nicht zur Folge hat, z. B. wenn Österreich mit Italien Krieg führt. Die Dunkel­

heit, die er in meinen Worten bemerkt haben will, die Supposition, die er mir unterzuschieben sucht, scheinen also nur in seiner subjektiven Auf­ fassung zu liegen, und da er mir das Zeugnis ausgestellt hat, ich hätte vernehmlich gesprochen, so kann es eben nicht an einem Gehörfehler bei

ihm

liegen, sondern

mimischen Bewegung. deuten.

an seiner

Auffassung

anderswo —

(Mit einer

Große Heiterkeit) ich weiß es nicht anders anzu-

Schulze-Delitzsch.

456

Endlich aber, meine Herren, wie wird es mit der geforderten Identität

der volkswirtschaftlichen Interessen? reich für uns hier für Folgen?

Was hat die Zolleinheit mit Öster­

Die erste Forderung hierbei ist eine

gewisse Gleichmäßigkeit, ein mindestens annähernd allgemeines Niveau hinsichtlich

der

Lebenshaltung,

der

Konsumfähigkeit

der

gegenseitigen

Staatsangehörigen, indem davon der Verbrauch der zollpflichtigen Artikel,

also das Maß der Zolleinnahmen abhängt. Nun nehmen Sie die Errungenschaften, die wir durch eine Zoll­ einigung mit Österreich an konsumtionsfähigen Angehörigen des Zoll­

gebiets in bezug auf zollpflichtige Gegenstände bekommen würden, nehmen Sie die Millionen von Naizen, Kroaten, Illyrier, Grenzer usw., und Sie

müssen mir zugestehen, daß nur in bezug auf die deutschen Provinzen

und Venedig

die

vorausgesetzte Gleichheit

obwaltet.

Sie

wissen

nun

zwar, daß bei den Vorschlägen in betreff der Verteiluirg der Zollreveuuen

zum Teil Rücksicht darauf genommen ist. Österreich hat nicht nach der vollen Kopfzahl seiner Bevölkerung bei der Teilung eintreten lvollen, das ist unmöglich gewesen; sondern es hat ein Teilungsverhältnis —

der Herr Referent wird Ihnen die Zahlen

darüber vorlegen, ich habe sie in diesem Augenblick nicht genau im Ge­ dächtnis — vorgeschlagen, wo es immer noch sehr gute Geschäfte gemacht

haben würde und wir ganz außerordentlich schlechte, weil dasselbe dem Sachstande

keineswegs

angemessen

war.

Also

auch

diese

vollständige

Verschiedenheit der wirtschaftlichen Konsumtionsfähigkeit hindert uns, in die Gemeinschaft einzutreten; Österreich würde den Löwenanteil haben

und wir würden sehr schlecht wegkommen.

Und man mag sich auf einen

Standpunkt stellen, auf welchen man will, zunächst hat eine große Nation

ihre Finanzen und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu ordnen, denn nur diese bilden die Grundlage, sind die Basis einer vernünftigen, politischen

und humanen Entwicklung. Noch habe ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Reichensperger einiges

im besonderen zu erwidern. Staatsmänner, die

Er sprach von der Einsicht der österreichischen

doch wahrhaftig nicht gering anzuschlagen sei,

meinte, diese wollten d:e Einheit, und wenn wir behaupteten,

und

daß die

Einheit so

unmöglich sei, so müßten wir doch zugeben, daß diese auch

etwas

den Dingen verstünden.

von

Ich

habe wahrhaftig

einen sehr

großen Respekt vor der Einsicht der österreichischen Staatsmänner und ich wünsche unsern Staatsmännern mitunter dieselbe Einsicht. In der Wahrnehmung spezieller Interessen kann man sich die Österreicher wahr­

haftig zum Muster nehmen.

Aber, meine Herren, das ist eben dec Punkt.

Glauben Sie denn, die österreichischen Staatsmänner würden auch nur

einen Augenblick einen Vertrag eingehen, der ihnen die handelspolitische

und politische Selbständigkeit nähme? dann würden die österreichischen Staatsmänner sehr schlecht ihre Aufgabe verstehen. Die ganzen Motive des Vorgehens Österreichs sind klar vor jedermanns Augen, der sehen will.

Man will den Zollverein sprengen. Es ist ein Köder — und weiter nichts — diese Zolleinigung mit Österreich, die man, wie das

ganze 70-Millionen-Reich^) nur haben kann um den Preis der Unter­ ordnung unter die österreichische Politik. Daß die österreichische Staats­ kunst namentlich nach dieser Richtung hin, was man so die politischen Zinten nennt, sich von jeher außerordentlich ausgezeichnet hat, das werden Sie ebensowenig bestreiten, als daß Österreich lerder in der Lage ist, wo es durchaus dieser Finten bedarf. Also die Einsicht der österreichischen Staatsmänner schlage ich sehr hoch an, ihre Motive, hier so zu verfahren, scheinen mir aber ebenso klar dazuliegen. Was ferner die übergroße Entrüstung des Herrn Redners betrifft, daß wir mit Leuten fremder Zunge, mit den Westmächten Verträge schlössen, das möchte ich ihm zurückgeben. In Österreich sind bei weitem viel mehr Leute fremder Zunge als deutscher Zunge, und wir kriegen es gerade mit solchen Leuten fremder Zunge mehr zu tun, als mit Deutschen, wenn wir Gesamt-Österreich in unsern Verband nehmen und Gesamt-Österreich als einen deutschen Staat betrachten. In dieser Be­ ziehung hat der Abgeordnete Plaßmann eine vollständig neue Entdeckung gemacht, indem er die kühne Behauptung ausstellte, daß Gesamt-Österreich zum Deutschen Reiche gehört hätte!!

Woher er das genommen hat, das

weiß ich nicht, und am Ende weiß er es selber nicht. Es existieren hier unter uns mehrere anerkannte Autoritäten im Geschichtsfache, die gewiß über diese Entdeckung auf dem Gebiet der historischen Forschungen ebenso

erstaunt sein werden, wie ich selbst.

Endlich führt man noch an: Die wahren Interessen der Mittel- und Kleinstaaten ständen

den Verträgen mit den Westmächten entgegen. Ja, meine Herren, wenn Sie die Staaten mit den Kabinetten identifizieren, dann trifft dies zu.

Indessen bin ich dem bereits entgegen-

T) Der Gedanke eines Deutschland und Gesamt-Österreich umfassenden Reiches von 70 Millionen Seelen war zuerst in der Paulskirche von den österreichischen Abgeordneten Graf De^m und Moring, später noch einmal, am 9. März 1849, vom Fürsten Schwarzenberg in einer Note an das Frankfurter Parlament an­ geregt worden.

Schulze-Delitzsch.

458

getreten, denn so liegen die Dinge nicht.

Wir identifizieren nicht die

Regierungen in Deutschland mit den Volksstämmen, denen sie gebieten;

wir wissen von uns her, daß das seine Bedenken hat und haben bei vielen

Gelegenheiten sehr dagegen protestiert, daß wir mit der Regierung identi­

fiziert werden möchten: und wenn wir mit Deutschen auf irgendeinem anderen Gebiete in volkswirtschaftlichen und sonstigen Fragen zusammen

gekommen sind, so haben wir uns sehr darauf gestützt, daß in Deutsch­

land das Verständnis immer mehr und mehr überhand nimmt, daß das preußische Volk in den großen

nicht zu identifizieren ist.

nationalen Fragen

mit der Regierung

So stehen die Kabinette — das habe ich noch

besonders charakterisiert, daß ihre reinen Kabinettsinteressen den wahren

Interessen der Nation gegenüberstehen — auch hier ihren Völkern ent­

gegen und die große Mehrheit, namentlich

die wahren Interessen aller

derer, die vorzugsweise durch die Handelsverträge berührt werden, stehen auf feiten der Verträge, auf feiten der Erhaltung des Zollvereins aber nicht auf feiten derer, die ihn aus Rücksichten, die ich nicht noch einmal

kennzeichnen will, zerreißen und erschüttern möchten.

Also, meine Herren,

die Deduktionen der geehrten Herren und die verschiedenartigen Dunkel­

heiten, in denen sie sich gefallen, erfordern, daß wir mit einer rechten Einstimmigkeit ihnen die Antwort darauf

zukommen lassen.

(Bravo!

Links.)

Bei der Abstimmung wurden das Protokoll und der Schiffahrt­ vertrag fast einstimmig angenommen.

79. Zur Zollvereinskrisis. Rede auf dem Volkswirtschaftlichen Kongreß zu Dresden am 14. September 1863.

am

Auf dem sechsten Rongreß deutscher Volkswirte in Dresden stand September (863 der preußisch-franzöfische Handelsvertrag wieder

zur Debatte, da mit dessen Abschluß der Bestand des Zollvereins infolge des Widerspruches der mittel- und süddeutschen Staaten in Frage gestellt war. Namentlich nahmen diese den Artikel 3( (die Meistbegünstigungs­ klausel) zum Gegenstand ihres Widerstands, indem sie in einem mit Öster­

reich abzuschließenden Vertrag für dieses günstigere Bedingungen in Aus­ sicht nahmen als für Frankreich. Zn der Diskussion führte u. a. SchröderMannheim aus, daß die Mittelstaaten von der Politik des Ministeriums

Bismarck ihre Mediatisierung befürchteten; und Faucher-Berlin war der

Meinung, daß auch unter Beibehaltung des Vertrags mit Frankreich auf eine Zollvereinigung mit Österreich hingewirkt werden solle. Ihnen antwortete Schulze: Ich setze voraus, daß der Herr Vorredners allgemeine Verkehrs­ freiheit gemeint hat, nicht Zollvereinigung mit Österreich, denn eine solche

wollen wir nicht. einandergesetzt?)

Die Gründe hierfür habe ich schon in Weimar aus­ Zur Sache

mit dem Herrn Bericht­

selbst bin ich

erstatterb) darüber ganz einverstanden, daß nach dem Abschluß eines solchen Handelsvertrages einem einzelnen Staate besondere Vorteile zuwenden wollen, nichts anderes heißt, als das ganze Prinzip des Vertrags in sich

zerfallen

machen.

Leider ist die Frage eine politische und ich glaube

nicht, daß unser Votum an der politischen Lage des Vaterlandes etwas ändern wird.

Die gegebene Frage ist die: ob die nationalen oder die

den Schwerpunkt behaupten werden.

dynastischen Interessen

Von der

Entscheidung dieser Frage hängt unsere nationale Entwicklung und die Zukunft des Zollvereines

des Herrn Schröder

ab.

Dabe: muß ich jedoch auch der Ansicht

entgegentreten,

wenn

er glaubt,

der

Sturz

des

Ministeriums Bismarck werde die Furcht vor der Mediatisierung schwinden

machen.

Solange

Ich glaube, die Sache verhält sich genau umgekehrt.

Herr von Bismarck am Ruder ist, wird kein deutscher Staat etwas für seine Autonomie zu fürchten haben.

Erft wenn einmal Herr von Bis­

marck gestürzt ist, dann tverden sich die süddeutschen Regierungen zu hüten haben vor dem Bundesstaat mit der einheitlichen Spitze.

Und da­

hin wird es kommen, es wird sich Kraft gegen Kraft messen und der Volkswille wird schließlich den Ausschlag geben.

Wenn es sich übrigens

so verhält, wie uns gesagt wird, daß der Artikel 31 für die süddeutschen Regierungen nur den Vorwand abgeben soll, um aus dem Zollverein

herauszukommen,

dann,

glaube

ich,

würden

wir

ihnen

den

besten

Rückhalt geben, indem wir uns dadurch bewegen lassen würden, auf die Integrität des Artikel 31 zu verzichten.

Und ebenso verhält es sich den

Schutzzöllnern gegenüber, die doch auch eine gewisse Macht haben, nicht Im Gegen­

bloß in Süddeutschland sondern auch in Westdeutschland. teil,

sie müssen

wissen,

daß wir

am Artikel 31 festhalten,

diesen Artikel der ganze Vertrag in sich zusammenfällt.

weil ohne

Und wenn sie

das ganz genau wissen, daß wir nicht nachgeben werden, dann treiben ’) Julius Faucher-Berlin. 2) Siehe oben S. 440 ff. ’) Otto Michaelis-Berlin

460

Schulze-Delitzsch.

wir sie aus ihren Schlupfwinkeln heraus aufs offene Feld und nötigen sie, ihre Pläne zu enthüllen.

Damit ist das Beste getan für die Er­

haltung des Zollvereins, dessen Bestand eine so wesentliche Bedingung für unsere materielle Wohlfahrt, dessen Zerfall in jeder Beziehung ein unberechenbares Unglück für unsere Nation wäre. (Beifall.) Bei der Abstimmung wurden die Anträge

des Ausschusses

an­

genommen. Sie verlangten die Erhaltung des Zollvereins und außer­ dem vor Ablauf der bestehenden Verträge den Beginn einer Tarifreform mittels Durchführung des im Vorjahre mit Frankreich abgeschlossenen Handelsvertrages. Angenommen wurde ferner ein Antrag SonnemannFrankfurt a. 2TL auf Anbahnung weiterer Tarifermäßigungen.

80. Der Handelsvertrag mit Österreich vom 11. April 1865. Rede in der 55. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 23. Mai 1865.

Bei der Beratung des preußischen Abgeordnetenhauses am 23. Mai |865 über den von der Regierung vorgelegten Zoll- und HandelsvertragsEntwurf zwischen dem deutschen Zollverein und Österreich sowie über

den Gesetzentwurf betr. den Vereinszolltarif vom \ (. April |865 bekämpfte Abg. töwe-Bochum (Fortschrittspartei) die Vorlage hauptsächlich wegen des Paragraphen 251), der zu einer Vermischung der preußischen Handels­ politik mit der Politik im allgemeinen führen werde. Dagegen sprach Abg. Becker-Dortmund (Fortschrittspartei) zugunsten der Vorlage, da bei einer Ablehnung die deutsche Industrie für ihren Export nach Österreich höhere Zölle als jetzt vorgesehen, werde zahlen müssen. Beide Redner wiesen auf die Gefahr des Schleichhandels hin, zu welchem die öfter« 2) Im Art. 25 ward festgesetzt, daß der Vertrag am 1. Juli 1865 in Kraft treten und bis zum 31. Dezember 1877 dauern solle. Dann hieß es weiter: „Beide Teile behalten sich vor, über weitergehende Verkehrserleichterungen und über möglichste Annäherung der beiderseitigen Zolltarife und demnächst über die Frage der allgemeinen deutschen Zolleinigung in Verhandlung zu treten. Sobald der eine von ihnen den für die Verhandlung geeigneten Zeitpunkt für gekommen erachtet, wird er dem anderen seine Vorschläge machen und werden Kommissarien der vertragenden Teile zum Behuf der Verhandlung zusammentreten. Es wird beiderseits anerkannt, daß die Autonomie eines jeden der vertragenden Teile in der Gestaltung seiner Zoll- und Handelsgesetzgebung hierdurch nicht hat beschränkt werden sollen."

reichischen Tarifsätze aufforfcerten 1 )z indem sie hervorhoben, daß dieser die Entsittlichung des Volkes nach sich ziehe und ein Ljemmnis für das Auf­ blühen der Gewerbe und des Ackerbaus in den Bevölkerungsschichten bilde, die sich ihnen ergeben. Nach ihnen kam Schulze zum Wort: Ich gehöre auch zu denjenigen Mitgliedern des

Meine Herren!

Hauses, die eine jede Zollerleichterung nach außen hm, jedes Anbahnen eines freihändlerischen Systems mit Freuden begrüßen, nicht etwa eben

aus bloßer volkswirtschaftlicher Anhänglichkeit an das Prinzip sondern

weil ich glaube, daß unser Zollverein mit seiner Industrie vollkommen reis dafür ist, zum Freihandel mehr und mehr überzugehen, und daß unsere Hauptaufgabe in Wahrung der materiellen Interessen, denen wir

dienen müssen, darin besteht, daß wir mehr und mehr Märkte zum Absah für

unsere Industrie gewinnen, indem wir ganz entschieden

Stande einer Exportinvustrie uns befinden.

auf dem

Ganz besonders gern würde

ich dieser Tendenz in einer Anbahnirng von Verkehrserleichterungeii mit

Österreich einen Ausdruck gegeberi sehen, wie der Vertrag das auch in mancher Beziehung tut.

Ich verkenne in bezug auf den Bertrag nicht,

daß die neuen Tarifsätze gewiß manche Erleichterungen darbieten und daß

sie nach einigen Seiten hin unserer Industrie Vorteile versprechen gegen den bisherigen Zustand, wiewohl ich auch mcindjen Bedenken in bezug auf deii Tarif mich liicht verschließen sann; sie sind ja in dem Bericht ausgefilhrt, und die Redner vorher haben sich damit beschäftigt.

Das, was

ich gegen den Vertrag habe, beruht wesentlich auf politischen Motiveii,

uiid ich will deni, was vor mir ausgesprochen ist, iioch einiges hinzufügen. Im Bericht ist die Ansicht erwähnt — und sie ist für viele, wie

ich and) sonst weiß und wie dies bei früheren Debatten hervorgetreteii ist, eine sehr maßgebende — daß man die Politik von den Bestimmungen

unserer Handelsverhältnisse seriihalten müsse, daß die Politik unberechtigt

sich in die Handelspolitik einmische. ich schon Gelegenheit

gehabt,

früher

Dieser Ausführung vor allem habe

sowohl

hier

im Hause

wie

auch

anderswo entgegenzutreten, und ick) fühle mich, weil von hier aus meine

ganze Deduktion geht, and)

unwahr und

heute dazu veranlaßt.

unrichtig, die Handelspolitik von

trennen zu wollen.

Es ist vollständig

der Politik

überhaupt

Die Handelspolitik ohne Politik ist gar nicht denkbar,

und je mehr ein Staat aus dem bloßen Ackerbaustaat in den Industrie­

staat einlenkt, ein um so mächtigerer Teil seiner Politik überhaupt wird y Das dem Bertrage als Anlage beigefügte Zollkartell sah die gegenseitige Unterstützung in der Verhütung und Verfolgung des Schleichhandels vor.

462

seine Handelspolitik.

Schulze-Delitzsch.

Ich brauche Sie ja nur auf England hinzuweisen,

wie bestimmend in der englischen Politik in ihren Hauptzügen die Handels­ politik ist, und wir werden auch mehr und mehr dahin kommen, in diese Bahn einlenken zu müssen. Da greife ich nur den Artikel 25 heraus; der verspricht oder stellt in Aussicht etwas absolut Unmögliches, die An­ bahnung einer deutschen Zolleinigung mit Österreich d. h. mit dessen

gesamtem Länderbesitz. Zum Begriffe, zu dem Wesen eines Staates, der ein Großstaat sein will, wie Preußen und Österreich, gehört eine selb­ ständige Politik. Wie zwei solche Staaten niemals eine politische Ein­ heit unter sich anbahnen können, ohne ihre politische Selbständigkeit auf­ zugeben, so kann auch von Anbahnung einer Zolleinigung zwischen ihnen

nie die Rede sein, wenn sie nicht ihre ganze Politik verschmelzen wollen. Es ist eben unmöglich, die Handelspolitik zum Gegenstand der Einigung zu machen und alles andere, was die internationalen Verhältnisse, was die sonstige Politik in bezug zu ihren Grenznachbarn betrifft, wie Krieg und Frieden, davon auszuschließen. Denn die letzteren greifen ja auf die Handelspolitik aufs wesentlichste ein; wie wollen Sie dieselben nun da­ von trennen? Denken Sie sich doch einmal eine Zollcinigung zwischen Preußen, Österreich und meinethalben den übrigen deutschen Staaten, so daß alle diese Länder zusammen einen Zollkörper bildeten. Wenn nun Österreich einen Krieg führt, der uns nichts angeht, in Italien oder

Ungarn etwa, so werden ja unsere Zollgrenzen dadurch mitberührt, da treten ja eine Menge Bestimmungen von Kriegsfontrebande, von Ein­ und Ausfuhrverboten auch für uns mit ein, ohne daß wir das mindeste dazu tun oder daran zu ändern vermöchten, und unsere ganze Handels­

politik ist insofern alteriert durch die große Politik des Staates, in welche uns kein Einspruch zusteht. Deshalb ist eine solche Einigung ein vollkommenes Unding. Wir können nimmermehr, wenn wir unsere selb­ ständige Politik und das Wesen unseres Staates nicht aufgeben wollen, eine Zolleinigung mit Österreich anbahnen. Meine Herren! Wir können wohl die Zollschranken niederreißen zwischen uns und Österreich — ich würde mit Freuden dazu die Hand bieten — aber wir können mit Öster­ reich keine gemeinsame Zollschranke errichten! Das ist prinzipienmäßig unmöglich, wenn Preußen sich nicht selbst oder seine eigene Politik in die Hände Österreichs, oder umgekehrt, Österreich die seinige in die Hände

Preußens legen will.

Es gibt in der ganzen Welt nur einen Zollverein,

den deutschen — warum? Weil sich hier eine Menge kleiner Staaten, die gar keine selbständige Politik treiben können, die eigentlich nur

Stücke eines und desselben Staates sind, sich an einen Großstaat an-

lehnen.

Bringen Sie mir ein Beispiel in der ganzen Welt, wie der

Zollverein ist, es ist eine solche Anomalie nur bei den politischen Ver­ hältnissen Deutschlands möglich.

Nur hier kann ein Zollverein existieren,

weil jene kleinen Staaten ohne die Möglichkeit einer selbständigen Politik

auch keine eigene Handelspolitik treiben können und sich deshalb an den

deutschen Großstaat Preußen anlehnen, weil ihre Interessen so mit denen Preußens zusammengehen, daß es nicht denkbar ist, daß sie so wenig in Handelsbeziehungen wie

der

großen Politik

divergieren.

Deshalb

ist

das, was im Artikel 25 des Vertrages als Ziel weiterer Einigung hin-

gestellt, ich will nicht gerade sagen versprochen ist — die Autonomie ist

ja in diesem Vertrage besser gewahrt, als in dem von 1853 — etwas Unmögliches, und schon aus diesem einen Grunde bin ich dagegen und

halte es

wirklich nicht eines solchen Staatsvertrages würdig, daß man

etwas Unmögliches dabei als fernere Konsequenz in Aussicht stellt. Aber, meine Herren,

anderen

das Ding ist

(Hört!)

auch politisch von einer ganz

Seite, die hier nicht hervorgehoben ist, sehr bedenklich.

Sie

kennen io gut wie ich die unendliche Widerwilligkeit, die namentlich bei einigen süddeutschen Staaten, die zum Zollvereine gehören, herrscht, daß sie durch ihre materiellen Interessen, durch ihre ganze Lage gewissermaßen

gezwungen sind,

daß sie irnmer,

sich Preußen anzuschließen und

man

mag dies auffassen, wie man will, eine Superiorität, eine Hegemonie

Preußens

dadurch

anerkennen.

Denn

wer

hat in

die Führung

den

materiellen Interessen, in der Handelspolitik, der hat auch sonst in der weiteren Politik ein Hauptwort mitzusprechen.

Sie wissen

also,

wie

manche Staaten wahrlich nicht im Interesse ihrer Bewohner und ihrer

Industrie, sondern rein aus dynastischen Eifersüchteleien gegen Preußen danach trachten, sich von Preußen ganz loszumachen und verein mit Österreich an der Spitze zu bilden.

einen Zoll­

Wenn ich nun die bessere Fassung jenes die Autonomie Preußens

wahrenden Artikels einerseits

zugegeben

habe,

so

bedenken

Sie,

daß

andererseits eine Abänderung der früheren Fassung am gegenwärtigen Vertrage vorliegt, die wohl zu beachten ist. Den Vertrag von 1853 schloß Preußen mit Österreich. Den Vertrag schließt Preußen nicht

allein sondern zugleich Bayern und Sachsen mit Österreich.

Nun steht

im Eingänge: „daß diese Mächte für sich und als Vertreter des Zoll­ vereins kontrahieren".

Ich weiß nicht, wie dies gemeint ist, ob sie ein­

mal als selbständige, isolierte Staaten kontrahieren und

nebenbei als

Vertreter des Zollvereins oder ob sie nur Vertreter des Zollvereins sind,

das wäre vielleicht einer Erklärung des Herrn Ministers bedürftig.

Schulze-Delitzsch.

464

Aber nach der Wortfassung, an die wir uns zu halten haben, stehen

sie in beiderlei Eigenschaften da und dadurch ist die Handhabe zur künftigen Einmischung also nicht bloß Österreich gegeben. In Österreichs Händen wäre eine solche Handhabe, eine solche Forderung der künftigen Zolleinigung

gegenwärtig

mir

viel

weniger

bedenklich.

Aber,

meine

Herren, jetzt stehen die anderen mitkontrahierenden Regierungen und der Zollverein als Mitkontrahent vor uns.

Da kann man sehr leicht ohne

vorher Preußen zu fragen und selbst ohne den Zollverein solche Dinge

als Handhabe benutzen, um wider Willen und wider das Interesse der eigenen Bewohner im Einverständnis mit Österreich dessen Absichten durchzusetzen.

Die Lage ist dann in der Tat eine veränderte durch die

Veränderung der Kontrahenten.

Deshalb betrachte ich es hier gar nicht

für unbedenklich, daß wir den Passus, wenn auch die Autonomie Preußens gewahrt ist, hineinnehmen, denn, was folgt daraus?

Selbständigkeit gewahrt, es mag vor der

Preußen hat seine

Emigung zurücktreten,

ober­

es wird isoliert.

Ich komme nun auf den dritten Punkt, auf das Kartell.

Hier er­

kenne ich vollkommen an, was die Herren Löwe und Becker gesagt haben.

Ich glaube kaum, daß jemand in diesem Hailse geneigt sein wird, irgend­

wie den Schmuggel befördern zu wollen, und wir werden an unseren Grenzen, der Vertrag mag zustande kommen oder nicht, notwendiger­ weise die ernstesten Vorkehrungen gegen den Schmuggelhandel zu treffen haben.

Indessen,

zu

dem,

was

mein

Freund

Becker

angeführt

hat,

möchte ich doch etwas hinzufügen; er bezog sich wesentlich darauf, daß der Schmuggel gerade ein Hemmnis des Aufblühens der Gewerbe und

des Ackerbaues sei, indeni man eine Anzahl der Bevölkerung davon ab­ zöge, sich diesen Beschäftigungen zu widmen.

Ich meine aber, das wahre

Hemmnis des Aufblühens der Gewerbe und des Ackerbaues, die Grund­

ursache alles Schmuggels, wird man wohl wo anders und zwar in den­ jenigen Regierungsmaßregeln zu suchen haben, aus denen der Schmuggel hervorgeht, in jenem traurigen Prohibitivsystem, an dessen Stelle nur allmählich in Österreich ein Schutzzollsystem getreten ist. Da meine ich

nun — und das ist ein recht materieller Gesichtspunkt — daß, wenn wir den Vertrag ablehnen sollten, wir vielleicht gerade bewirken und mit

Rücksicht auf das Kartell, welches damit abgelehnt wird, bewirken, daß Österreich sich eher geneigt zeigt, uns bessere Konzessionen bei künftig abzuschließenden Verträgen zu machen.

Weshalb wir ein vorwiegendes

Interesse haben sollten, die Durchführung des österreichischen Schutzzoll­ systems, welches uns immer noch sehr hart trifft, unsererseits zu unter-

stützen in den Kartellverträgen, davon kann ich mich ganz entschieden nicht überzeugen. Auch aus diesem Grunde bin ich daher gegen den Vertrag, weil ich glaube, wir kommen weit eher zu unserem Ziele, zu einem besseren Vertrage, der unsern Interessen und den wahren Interessen Österreichs selbst weit mehr entspricht, wenn wir den Vertrag jetzt ab­ lehnen. Nehmen wir an, so rücken wir wieder die Erledigung der Sache auf lange Zeit hinaus, in der viel, sehr viel geschehen kann. Das sind die Gründe, weshalb ich gegen den Vertrag bin; ich weiß nidjt, wie sich die Majorität im Hause stellen wird, aber das meine ich, auch für den Fall der Annahme des Vertrages, wenn man den Er­ leichterungen und Vorteilen, die unserer Industrie geboten werden, Rechnung trägt — ein Gesichtspunkt, den ich ja durchaus anerkenne, so wenig ich ihn unbedingt teile — ich meine, daß es nur in der Ordnung und geboten war, daß tue* Bedenken und mit ihm eine Art politischer Verwahrung wenigsten* seitens der preilßischen Volksvertretung hier im Hailse eingelegt würde, damit, wenn man uns später auf dem Felde der Interpretationen komntt, auf lvelchem man seitens der Vertreter Österreichs mit) der Südstaaten recht viel lernen kann, daß wenigstens an dieser Stelle hier für da* Aufblühen der Gewerbe und des Handels die für die politische Selbständigkeit unsere* Vaterlandes notwendige Verwahrung eingelegt ist. Iii diesein Sinne habe ich mich bewogen gefühlt, den berührten Gesicht*punkt nochmals herauszuheben. Aber ich meine, wir wahren die Interessen unseres Vaterlandes jedenfalls am besten, wenn wir den Vertrag ablehnen. (Bravo! links.) Bei der Abstimmung Majorität angenommen.

wurden

Schulze-Dclitzsch, Schriften und Reden.

III.

die beiden Vorlagen mit großer

30

V. Die italienische Frage. 81. Die Anerkennung des Königreichs Italien durch Preußen. Rede in der 24. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 22. Juli 1862.

Nachdem im Frühjahr der letzte Herrscher des Königreichs Beider Sizilien vertrieben und der Kirchenstaat mit Ausnahme des sog. Patrimonium Petri mit Sardinien vereinigt worden war, hatte Viktor Emanuel auf Beschluß des Parlaments des geeinigten Königreichs denTitel „König von Italien durch Gottes Gnade und durch das Volk" an­ genommen. Sein Gesandter hatte für den 2\. Juli (862 eine Audienz bei König Wilhelm von Preußen nachgesucht, um dessen Anerkennung des neuen Königreichs zu erlangen. Einige Tage vorher, am (5. Juli (862, interpellierte der Abg. Neichensperger-Geldern (katholische Fraktion) im Abgeordnetenhause die Staatsregierung, in welchem Sinne sie sich aus­ sprechen werde, da die Anerkennung „in Anbetracht der Mittel, durch welche das Königreich jtalien zustande gekommen ist, und der Pläne, zu denen die dortigen Machthaber sich offen bekennen, geeignet ist, bei einem namhaften Teil unseres Volkes die ernsteste Besorgnis zu erwecken." Zur Rechtfertigung der Anfrage, welche am 22. Juli zur Beratung kam,

führte Reichensperger aus, daß sich die Regierung auf das Nationalitäts­ prinzip jedenfalls nicht berufen könne, das sie selbst in Preußen verwerfe und niederhalte. Außer diesem sei indessen nur dann ein Rechtsgrund für die

Anerkennung vorhanden, wenn der anzuerkennende Staat den Nachweis der hinlänglichen Begründung und Sicherheit für den internationalen Rechts­ verkehr erbracht und feine völkerrechtlich friedliche Gesinnung bewiesen habe, tetzteres sei aber bei der offensichtlichen Haltung Jtaliens gegen­ über dem Papste und Österreich zu verneinen, während jedoch auf

dessen Seite bezüglich der Behauptung Venetiens die gesamten Jnteressen

Deutschlands ständen, habe gerade eben Garibaldi erklärt, es handele

Die italienische Frage.

467

sich jetzt nur noch darum, „das deutsche L^undegezücht aus Italien hin­

auszuwerfen".

Nachdem der Minister des Auswärtigen Graf Bernstorff

die Tatsache der am 2\. Juli ausgesprochenen Anerkennung mitgeteilt hatte,

nahmen zu deren Verurteilung die Abg. Reichensperger-Beckum und von Mallinckrodt-Minden, beide gleichfalls der katholischen Fraktion angehörend,

das Züort, wobei letzterer behauptete, daß von den Führern der italienischen Einheitsbewegung kein einziges der zehn Gebote unverletzt geblieben sei. In der Debatte wandte sich noch der Abg. von Vincke-Stargard gegen eine Äußerung Virchows, daß die Anerkennung Italiens auch für

Deutschland und Preußen die Freiheit bedeute, indem er auf den großen Unterschied zwischen den italienischen und den preußisch-deutschen Ver­ hältnissen hinwies: Preußen dürfe seine benachbarten Staaten nicht mit Waffengewalt annektieren. „Unsere Ziele können lediglich moralische Er­ oberungen sein". Darauf antwortete Schulze: Daß es der Zlveck dieser Diskussion

ist, Ansichten dieses Hauses

festzilstellen nach außen hin, das haben die Redner vor

mir schon an­

erkannt und das versteht sich ja wohl von selbst, da der direkte Gegen­

stand durch die Erklärung des Herrn Ministers der auswärtigen An­ gelegenheiten bereits erledigt ist.

Ich fühle mich nun besonders gedrungen,

bei der vorgerückten Zeit in möglichster Kürze die Fraktion dieses Hauses, der ich angehöre,

vor einer Beschuldigung zu wahreu,

die vorher von

dem Herrn Abgeordneten für Ttargard gegen sie in ihrer Allgemeinheit ausgesprochen worden ist.

Man kam,

so

naheliegend ist ja die Sache,

von der Frage der italienischen Einheit auf die deutsche Frage, und wir

wurden

nun

einer

Annexionspolitik,

einer

gewaltsamen

Lösung

der

deutschen Frage gegen den Willen der übrigen Deutschen, wenn ich den verehrten Redner richtig verstanden habe, beschuldigt.

Er verlangte da­

gegen, als das einzige Mittel der Herstellung unserer deutschen Einheit, die moralische Eroberung.

Nun, meine Herren, ich glaube den Unter-

lassungeil und Handlungen unserer Regierung in

den letzten

Jahren

gegenüber behaupten zu dürfen, daß dieselbe gerade nicht geeignet gewesen,

moralische Eroberungen für uns in Deutschland zu machen.

Wie es

jedermann bekannt ist, hat gerade nur das preußische Volk in seiner Haltung, besonders in seiner letzten Wahlbewegung, mit der die Seite des Hauses, der ich angehöre, im engen Zusammenhänge steht, den Weg

betreten, moralische Eroberungen in Deutschland zu machen;

und wir

sind mit unseren Ansichten über die deutsche Frage im Hause selbst und

30*

468

Schulze-Delitzsch.

sonst ganz offen aufgetreten, so daß uns dies wohl hätte vor solchen Be­ schuldigungen schützen sollen. Auch stehen wir hierin nicht allein, sondern mit uns stehen hervorragende Männer aus allen Ländern Deutschlands und sind einig mit uns über den Weg, welchen wir beschritten haben, so daß man uns ein spezifisches Preußentum wohl am wenigsten von allen Mitgliedern dieses Hauses vorwerfen kann. Ich gehe nun auf die Sympathie über, die notwendig eben aus dem Grunde, den ich andeute, die italienische Sache bei uns haben müsse. Gleiche Leistungen, wenigstens sehr ähnliche Leistungen und Leiden haben beide Völker miteinander gemein. Die Italiener waren es, von welchen die große Kulturentwicklung des Bcittelalters ausging; sie waren es, die zuerst die Quellen altklassischer Bildung erschlossen und so stehen sie uns sehr nahe. Denn unser Volk ist es wiederum gewesen, eine kurze Zeit darauf, welches die große Geisterbewegung, von welcher die neue Zeit datiert, nach anderer Richtung weiter fortgepflanzt hat und was die Leiden anlangt, nun, so wissen Sie es ja, meine Herren, die politischen Leiden sind ziemlich gleiche gewesen. Italien und Deutschland bildeten eine Zeit lang in der Politik die allgemeinen Abfindungsländer, auf welche man nach großen Kriegen, welche meist dynastischen Ursachen angehörten, etwa verkürzte Dynastien anwies, und sie wie aus einem zur allgemeinen Disposition stehenden Länderkomplex entschädigte. Die Herren werden wohl wissen, wie man noch bei dem Rastatter Kongreßverfuhr und über deutschen Boden verfügte. Man hat auch seitens der Herren da drüben die Erhebung Italiens in Beziehung zur deutschen Erhebung in unseren Freiheitskriegen gebracht, auf welche wir mit so gerechtem Stolz zurückzubücken pflegen. Freilich stellt sich die Vergleichung in mancher Beziehung wohl anders. Wir hatten feindliche Übermacht aus dem Lande hinauszuschlagen, jene haben, wie der Herr Abgeordnete für Stargard sehr richtig bemerkte, fremde Dynastien im Lande gehabt, mit denen sie im Interesse der nationalen Entwicklung gebrochen. Aber wie ähnlich dieses sein mag, in einem unterscheiden sich beide große Erhebungen. Die Italiener haben zu eiuer Zeit diese Kämpfe begonnen, wo das politische Bewußtsein im gebildeten Mittelstände der Nation mindestens so weit verbreitet war, daß man aus jenen Kämpfen eine unmittelbare Frucht auch für die innere Gestaltung des Staatswesens zu retten wußte. Meine Herren, als 1813 der Feind aus den Grenzen des Landes Der Rastatter Kongreß (1. Dezember 1797 bis 23. April 1799) beendigte den ersten Koalitionskrieg gegen die französische Republik. Er genehmigte die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich.

Tie italienische Frage.

469

geschlagen wurde, ist zwar eine große Errungenschaft, die Befreiung von der Fremdberrschaft des Auslandes, gewonnen worden, aber die Garantie

für die Entwicklung der inneren politischen Zustände haben wir damals trotz vieler der Geschichte angehörigen Versprechungen nicht gewonnen. Ich

glaube, manche von uns blicken daher in dieser Beziehung mit einem gewissen 9teii) nach Italien hin. Aber wenn man weiter die italienische Bewegung beschuldigt, sie habe unsittliche Mittel gebraucht — und es hieß ja, es seien nicht weniger als sämtliche zehn Gebote dabei verletzt worden, —

ja, meine Herren, dann ist es auch ein eigenes Ding mit der Politik. Sie sehen das ja an jenem großen Fürsten, loelcher zuerst die Macht des

preußischen Staates gründete, dem Großen Kurfürsten: Sie werden finden, daß er von deni rein privatrechtlicher^ Standpunkte bei den vielen geschlossenen Verträgen und Bündnissen nicht inuuer ausging, daß er Winter von dem höheren Standpunkte ausging, daß er das Wohl des Ganzen und die Existenz des Staates dabei hauptsächlich im Auge hatte. Die ??cißhandlltngen und beiden der Italiener aber sind wahrhaftig nicht ausgegangen von der Bewegungc^partei, sondern jene furchtbaren Btißhandlullgen haben die ganze Beweguiuz erst zum Durchbruch gebracht, und inemand hat mehr mit tiefem!i Bedauern, wenn er sich, wie ich selbst, in längerer Zeit in Italien aufgehalten hat, jenen tiefgreifenden natio­ nalen Unwillen der Italiener gegen die Deutschen, der in dem angeführten Schimpfwort leider einen Ausdruck erhalten, vernommen, wie ich. Wir wissen ja, was damit gemeint ist. Die ehrlichen österreichischen Soldaten, sie wurden zu Schergen erniedrigt und wahrlich, ich habe, wenn ich gegen

jenen Vorwurf gegen die Tedeschi sprach, die Verteidigung nicht so geführt, daß ich gesagt hätte, die Tedeschi, die sie meinten, seien Öster­ reicher: nein, meine Herren, ich habe gewußt, daß alle gebildeten und bewußten Männer in Österreich ebenso tief bedauert haben, daß man

ihre Soldaten zu Henkern und Schergen Italiens erniedrigt, ebenso wie jeder von uns. Ich habe unseren wackeren österreichischen Stammes­ brüdern niemals eine solche Ungerechtigkeit in Verteidigung meines nationalen Standpunktes zugefügt. zBravo!) Weiter führte man zum Beweise der früheren trefflichen Zustände in Italien das außerordentliche Gedeihen und die gute Aufnahme der Prozessionen von feiten der geehrten Herren hier an.

(Zur katholischen

Fraktion.) Es ist nun aber doch wohl, wenn man über Zustände eines Landes spricht, nicht von etwas anderem als von politischer! und volkswirtschaft­ lichen Zuständen die Rede.

Schulze-Delitzsch.

470

Da ist es nun gewiß etwas ganz Eigentümliches hinsichtlich der Pro­

zessionen; gewiß hat eine Prozession als ein religiöser Akt ihre Berechti­

gung; aber, meine Herren, ein allzugroßes Gedeihen der Prozessionen und eine Herleitung der Ursachen des Volkswohlstandes und der Volksbildung eine Berechnung des Volkswohlstandes nach der Größe und der

daraus,

Menge der Prozessionen, das scheint mir doch sehr mißlich.

Die sittliche

und wirtschaftliche Basis, auf der die Zustände begründet werden müssen im Volke, das ist die freie Arbeit, die manchmal mit der zu großen Über­

handnahme der Prozessionen in Konflikt gerät.

Wenn wir Arbeiterkongresse

in Italien entstehen sehen, so wird uns das einen besseren Schluß auf die innere

Begründung

Prozessionen.

der Zustände

als der Hinblick auf die

gestatten

^Bravo!)

Wer, frage ich, hat die jetzt allerdings traurigen Zustände in einem Teile von Italien verschuldet? Sie sind traurig in Mittelitalien und traurig in Süditalien, das ist wahr. Ja, meine Herren, aber sind sie es denn erst jetzt geworden infolge der Bewegung? Wer dort gewesen ist, weiß e^, daß es vorher

schon so war und vielleicht mehr als jetzt, wenn Sie das, was der Krieg und

das jetzige unglückliche Bandenwesen über das ticnit) herbeigeführt haben, Ja, alle politische und soziale Entwicklung muß von einem

abrechnen.

Kern ausgehen, von Bildung.

dem Kern der Humanität,

der

menschlichen

frei

Meine Herren, man kann nicht so ohne weiteres brauchbare

machen aus Leuten,

Staatsbürger

in

denen

die ganze

wicklung seit Jahrhunderten verkümmert worden ist. niemand in

humane Ent­

Ich glaube,

diesem Hause die Bewegungspartei der Schuld an

daß

dieser

jahrhundertelangen Humanitätsverkümmerung des italienischen Volkes in

Süd- und in dem Mittelitalieil des Kirchenstaates zeihen wird. Gegen die Tatsache der Anerkennung und der Konsolidierung des

Reiches kann man hier nichts anderes anführen, als die Beunruhigung des

unglücklichen Landes

Meine Herren!

durch

die Banden

seines

früheren Fürsten.

Ich habe allen Respekt vor beni Könige, der in einem

solchen Konflikte feindlicher Gewalten, welche von innen oder von außen gegen ihn Heraufziehen, sich tapfer wehrt und den Krieg führt bis auf

den letzten Mann. Der König von Neapel hat gekämpft; er hat sich zuletzt eingeschlossen in Gaeta, bis ihn, ich glaube es wohl, die Über­ macht zwang,

auch

dieses Bollwerk zu

räumen.

Haltung unsere Achtung nicht versagen können. das ein Krieg, den er jetzt führt?

Nein.

Wir werden dieser

Aber ich frage Sie, ist

Wer einen redlichen Kampf

geführt hat, mag darin eine gewisse Gewährschaft finden,

daß er bei

günstigeren Umständen wohl wieder zur Herrschaft kommen könnte; aber.

meine Herren, wer zwecklos im eigenen Lande wütet, wie es hier geschieht, und es mit Banditen überzieht, wer nicht mehr den Feind mit Bataillonen angreift sondern dnrch einzelne Räuberscharen die Hütten seiner früheren Untertanen plündern läßt, hat mit diesem Akte jede Wiederkehr auf immer verwirkt, und in der Tat konnte das gräßliche Mißregiment, was in den neapolitanischen Bourbonen verkörpert erschien, keinen besseren Beweis führen dem Lande gegenüber: daß mit seiner Rückkehr auch die alten Zerwürfnisse und die alte Schmach über das Land zurückkommen würde, und daß in diesem Bandenwesen die Wohltaten der verlorenen Regierung im Bilde dem Laude vor Augen geführt würden. Die katholische Kirche endlich soll des weltlichen Regimentes des Papstes bedürfen, wie einer der Herren Vorredner gesagt hat. Sie mag der weltlichen Unabhängigkeit des Papstes bedürfen, aber eines weltlichen Regiments deshalb doch gewiß noch nicht. Und wie wollen Sie dieses Regiment überhaupt begrenzen? Muß es nun gerade das Regiment über die oder die Provinz sein? Das hat eigentlich noch keiner von Ihnen zu begründen gesucht. Und es ist denn doch ein eigenes Ding, meine Herren; können denn lvirklich Millionen von Bewohnern eines gesegneten Landstrichs zum Besten der katholischen Kirche verdammt sein, für ewig eine solche Mißregierung zu ertragen? Wird dadurch nicht die Stellung der Kirche selbst im innersten affigiert und identifiziert mit einer solchen Mißregierung? Ich begreife nicht, wie man so etwas als etwas notwendiges für die katholische Kirche anzuführen vermag. Sie mag die Unabhängigkeit für ihr Oberhaupt suchen und erstreben, aber daß nun notwendig die mit einer geistlichen Regierung, wie dies mit beredten Worten von dieser Stelle ausgeführt worden ist, daß die mit ihr stets verbundene Mißregierung jahrhundertelang auf dem ganzen Lande lasten müsse, welche die Entwicklung, das menschliche und bürger­ liche Gedeihen von dessen Bewohnern hemmt, — wie man dies dedu­ zieren und mit der Kirche in Verbindung bringen will, ist mir wahrhaftig unbegreiflich. Ich habe schon in bezug auf Österreich, welches man in die Frage .zu ziehen sucht, einiges bemerkt. Ich meine, man braucht wahrlich kein Gegner Österreichs zu sein, um eine solche Stellung wie wir in dieser Sache einzunehmen. Freilich ist mit der Anerkennung und fortschreitenden Konsolidation Italiens der Besitz Österreichs in Venetien gefährdet. Aber ;d) stimme vollkommen demjenigen bei, daß gewiß den Österreichern selbst, und nicht etwa vom finanziellen Standpunkt aus, zu gratulieren wäre, wenn sie sich dieses Besitzes entledigten.

472

Schulze-Delitzsch.

Österreich, meine Herren, ringt wie wir nach freiheitlicher Ent­ wicklung seiner inneren Zustände und seiner Verfassung und hat deshalb sicher unsere Sympathie. Aber solange ein Land wie Österreich eine

ganze große Provinz nur durch den Belagerungszustand regieren kann, solange es genötigt ist, ein Schergentum gegen das Land und gegen seine Bewohner zu etablieren, weil es sonst sich zu behaupten nicht imstande ist, solange frißt der Wurm an der eigenen inneren freien Entwicklung

seiner Zustände. Ein solches Land, welches genötigt ist, zur Behauptung einer Provinz solche Mittel, die aller freien Entwicklung Hohn sprechen, anzuwenden, wird selbst nie frei werden. Ich glaube, es liegt im In­ teresse Österreichs und in unserer Sympathie für dasselbe, wenn wir wünschen, daß es, um seine große Aufgabe zu erfüllen je eher, je lieber den Ablösungsprozeß jenes Teiles von Italien, der ihm doch nicht erspart werden wird, unternimmt und zum Abschluß bringt. Leider hat Öster­

reich noch einen Bundesgenossen notwendig, um sich in Venetien zu behaupten; nicht bloß das Schergentum, auch den Uttramontanismus muß es in das Feld führen, um sich zu halten. Und Sie wissen, daß unter der Umschlingung dieser Hyder die Zustände in Österreich tief hinein bös geworden sind, Sie wissen, wie alle freien und liberalen Österreicher es anerkennen, es wünschen, davon erlöst zu werden. Es wird dies aber nur geschehen, wenn es Italien aufgibt. Endlich, meine Herren, das konnte ja gar nicht fehlen, mußte auch

das Nationalitätsprinzip als das Prinzip der italienischen Bewegung einen Angriff von dieser Seite erfahren. Nun, ich meine doch, da ist mit einem Hinblick darauf zu dienen — und wir werden uns dieses Hinblicks, weil ja hierin der ganze Reflex der Frage auf uilsere eigenen deutschen Zustände liegt, kaum entbrechen können. Ja, meine Herren, das Nationalitätsprinzip, wenn man es in eine einfache Formel fassen

will, was bedeutet und was will es? Es verlangt die Entwicklung der Völker aus ihren ureigensten innersten Lebensbedingungen heraus, es wich

daß sich nach diesen Lebensbedingungen gestalten soll ihr ganzes öffent­ liches Leben, ihre soziale, ihre bürgerliche Verfassung. Wollen Sie den Satz populär fassen, so wird er sich in kurzen

Worten dahin darstellen, daß es die Lehre dieses Prinzips ist, der man wahrlich doch im 19. Jahrhundert nicht wohl mehr ins Gesicht schlagen

kann: „daß die Völker ihrer selbst wegen da sind, und nicht, um von irgendwoher zu andern außer ihnen liegenden Zwecken ausgebeutet zu werden". (Bravo! links.) Was die Stellung dieses Prinzips zu den Regierungen anlangt, so

ist es ganz entschieden konservativ. Meine Herren, es will nur, daß die Re­

gierung nicht außerhalb sondern daß sie innerhalb des Volkes und an der

Spitze der volkstümlichen Entwicklung stehe, und meine Herren, wer wäre so weit zurück, um zu verkennen, daß dies die einzige Bedingung ist, unter der in unsern Tagen vor der immer wachsenden Macht der Idee die Regierungen sich überhaupt behaupten können? Sie sollen nationale Regierungen sein. Und daß gerade in Deutschland durch Verkennung des Nationalitätsprinzips die deutsche Nationalmonarchie uns abhanden

gekommen ist, und daß wir diese Monarchie erst vermittelst der nationalen Strömung uns wieder zu erobern haben, weiß jeder, der nur einen flüchtigen Blick in die Geschichte getan hat. Der Unterschied der National­

bewegung bei uns und in Italien, auf den schon der Abgeordnete für

Stargard sehr richtig hingedeutet hat, liegt aber ziemlich auf der Hand. Ja, meine Herren, die Italiener hatten fremde Dynastien zu beseitigen und sie strebten infolgedessen auf den Einheitsstaat; bei uns ist das anders.

Unsere einzelnen Volksstämme erblicken in den heimischen Re­

gierungen gerade einen Teil ihrer Stammessonderheit, und sie wollen sie gewahrt wissen, weil sie eben meinen, in diesen werde ihre Stammes­ sonderheit gefährdet.

Bedeutende geschichtliche Erinnerungen verknüpfen

zum Teil die einzelnen deutschen Stämme mit ihren Fürstenhäusern. An diese soll gar nicht gerührt werden, und das vollkommen ausgesprochene

Ziel der deutschen Nationalbewegung ist daher nicht der Einheitsstaat, es ist der Bundesstaat, und es heißt die Bewegung verleumden und verkennen, wenn man ihr einen an sich regierungsfeindlichen Zug zu­

schreibt.

Ich weise ihn entschieden ab und schließe, indem ich an das

anknüpfe, was der Abgeordnete für Geldern bei Einleitung der Inter­ pellation sagte. Er meinte, man erkläre ja von unserer Seite die Zeit

für souverän. O nein! Das tun wir nicht. Die Zeit, meine Herren, ist uns nur die Exekutive jener souveränen Macht. Das souveräne Prinzip selbst aber, meine Herren, das ist das ewige Entwicklungsgesetz der Menschheit in der Geschichte, dem niemand widersteht, ist der Fort­ schritt, dem wir nach schwachen Kräften zu dienen suchen. (Lebhaftes Bravo!

links.)

Nach einigen persönlichen Bemerkungen wurde die Diskussion ge­ schlossen.

VI. Die Polen-Frage. 82. Preußens Stellung zu den polnischen Selbständigkeits­ bestrebungen. Rede in der 52. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 22. September 1862.

Eine Anzahl Petitionen von Bewohnern des Großherzogtums Posen, namentlich vom Rittergutsbesitzer von Niegolewski, hatten von der preußischen Regierung Schutz im Gebrauch der polnischen Sprache der­ langt ; bei ihrer Besprechung im Abgeordnetenhause wurde von polnischer Seite das Germanisierungssystem der Regierung angegriffen und auf das historische Recht der Bewohner der Provinz Posen hingewiesen. Da­ gegen führte der Abg. von Bonin-Genthin aus, daß der Germanisierungsprozeß schon in uralter Zeit und in friedlicher Weise begonnen habe. Ihm schloß sich Schulze mit folgenden Worten an.

Die Petitionen, die hier für eine Generaldiskussion zusammen­ geworfen sind, betreffen mehrere, an sich sehr verschiedene Anträge und Gegenstände. Ich habe es nur mit dem einen zu tun, habe mich aber nicht zur Spezialdiskussion gemeldet, weil der eine Punkt in der Petition des Herrn v. Niegolewski Lit. D unseres Berichtes eigentlich der Kardinal­ punkt für alle Petitionen ist, und weil die Redner vor mir speziell aus diese Frage, aus die nationale Berechtigung der Polen in unserer Provinz im Großherzogtum Posen eingegangen sind und alle ihre Anträge vor­ zugsweise daraus abgeleitet haben. Ich beschränke mich auf diesen Punkt wesentlich, wie er in den beiden ersten Anträgen der Niegolewskischen Petition formuliert ist, denn ich möchte nicht irgendwie begründeten Forderungen unserer polnischen Mitbürger entgegentreten, wie denn doch vielleicht einzelne Punkte der übrigen Petitionen nicht ganz ungerecht­ fertigt erscheinen, was ja auch die Kommission zum Teil anerkannt hat. Ich möchte dem nicht entgegentreten, indem ich selbst auf dem Standpunkt stehe und mit mir, wie ich glaube, die Mehrzahl dieses Hauses, der von

einem der Herren Redner hier nicht betont wurde: daß vor allem nur die höchste und unparteiischste Gerechtigkeit den Frieden, den wir alle wünschen, erhalten oder wieder herstellen kann.

Wir haben aber doppelt

Ursache, in diesem Hohen Hause, wo wir die Majorität bilden, diese Ge­ rechtigkeit bei derartigen Entscheidungen zu wahren.

Die politische Forderung, wie sie nicht bloß jetzt, wie sie auch in

der vorigen Session in einer Petition desselben Herrn an uns herantrat, ist

die

territoriale Zusammengehörigkeit

oder

Einheit

der

getrennten

früher zu dem alten Polenreich gehörigen Landesteile, und damit allein habe ich es zu tun.

Es wird in dieser Forderung eine besondere politische Existenz für

diese Landesteile,

die bekanntlich unter drei Kronen stehen, gefordert.

Lassen Sie mich wenige Worte über die staatsrechtliche Seite der Frage

hier Vorbringen, die eigentlich ungeheuer einfach ist.

Die beiden Verträge

zwischen Preußen und Rußland, und zwischen Preußen und Österreich,

die Wiener Schlußakte, sind ja exzerpiert in dem Berichte, alles liegt

Ihnen vor?) Meine Herren, wie man aus diesem heraus das deduzieren will,

was die polnischen Abgeordneten daraus deduzieren, das gehört für mich zu

den absolutesten Unbegreiflichkeiten.

Zn den Verträgen von 1815

sind Verkehrserleichterungen versprochen den früher zusammengehörig ge­

wesenen Teilen Polens, aber mit welchem Vorbehalt! Mit dem Vorbehalt von Ein- und Ausgangszöllen und zwar mit dem hohen Zollsatz von zehn Prozent vom Wert, den die preußische Regierung überhaupt damals

dem Auslande gegenüber in ihren Grenzzöllen nicht überschreiten wollte?) Denn eben das war ja der Satz, der sür ihre Beziehungen im inter­ nationalen Verkehr, wie wir alle wissen, in jener Zeit als Norm galt,

der in unserem ersten desfallsigen Grenzzollsystem, aus dem sich der Zollverein entwickelte, maßgebend, der vielleicht eine Marke sein sollte, wo der Schutzzoll von dem bloßen Finanzzoll sich unterschied. Wenn man hier Grenz- und Zollinien ausdrücklich statuiert zwischen

jene polnischen Landesteile, wie daraus die Gewährschaft einer territorialen und politischen Einheit folgen soll, das ist allerdings etwas Unbegreif­

liches.

(Zustimmung.)

*) Gemeint sind die Verträge zwischen Österreich und Rußland und zwischen Preußen und Rußland vom 3. Mai 1815 über die polnischen Angelegenheiten. Die amtliche Ausgabe der Wiener Schlußakte enthält als Anlagen den Text der beiden Verträge. *) Art. 28 des preußisch-russischen Vertrages.

Schulze-Delitzsch.

476

Gerade dadurch ist so bestimmt wie irgendwo ausgesprochen,

daß

diese Teile keine Einheit bilden sollen, auch nicht im Verkehr, auch nicht in wirtschaftlicher Beziehung, denn sonst könnten unmöglich Zollinien zwischen ihnen stattfinden.

Ferner kennen Sie auch den bekannten Satz von der existence

politique, die in der Wiener Schlußakte unseren polnischen Mitbürgern

in jenen Landesteilen zugestanden ist, d. h. mit dem Zusatz: sie sollen sich erfreuen derjenigen politischen Existenz, welche ihnen die betreffenden Re­ gierungen zuzugestehen für gut halten werden?)

Wenn Sie nun die

Stelle mit der vereinigen, worin die Krone Preußen die volle Souveränität, die sie früher ausgeübt hat über die wiedererworbenen Landesteile Polens

(sogar Proprietät nach den damaligen Anschauungen) sich vorbehält?) so werden Sie zugestehen müssen, daß das staatsrechtliche Stehen auf diesen

Verträgen wohl in keiner Weise den desfallsigen polnischen Ansprüchen anch nur die allerentfernteste rechtliche Stütze gelvährt. Aber, meine Herren, das würde mich gar nicht bestimmen, in dieser

Frage das Wort zu nehnien, da sie mir doch gar zu einfach zu liegen scheint.

Ich möchte hier einen anderen Punkt, der sich wesentlich in die

Erörterung gemischt hat, hervorheben, und das ist hauptsächlich der Grund, weshalb ich hier das Wort genommen habe.

Es ist die nationale Seite

der Frage, die man uns, und vielleicht von einem gewissen Standpunkt aus mit Recht, so sehr betont und in den Vordergrund drängt. Meine Herren!

Wir wissen, es leben hier in diesem Landesteile

Deutsche und Polen nebeneinander, sie leben unter gleicher politischer Berechtigung, sie erfreuen sich ganz genau in derselben Weise der Wohl­ taten der Gesetze, und dennoch herrscht eine politische Gegenströmung, ja

sogar ein feindlicher Gegensatz zwischen ihnen, der nur aus der Ver­ schiedenheit der Nationalität herzuleiten ist, indem die Polen fort und

fort mit der Prätention an die Deutschen herantreten, daß sie, weil jene Landesteile einmal zu dem alten polnischen Reiche gehört haben, hier das Recht, ihre politische Existenz in den Vordergrund zu drängen, in An­

spruch nehmen müssen, daß die Deutschen alle neben ihnen gewissermaßen

T) Art. 3 Abs. 2. Les Poionais obtiendront des institutions, qui assurent la Conservation de leur nationale d’aprfcs les formes d’existence politique, que chacun des gouvernements, auxquels ils appartiennent, jugera convenable de leur accorder. 2) Art. 1 des preußisch-russischen Vertrages: La partie du duch£ de Varsovie que 8. M. le roi de Prusse possddera en toute souverainetä et propriötö pour lui et ses successeurs sous le titre de Grand-Duch^ de Posen sera comprise dans la ligne suivante. (Hier folgt die Grenzbeschreibung.)

als Fremde, als Eindringlinge zu betrachten sind, die sich polnischer Sitte

und den polnischen nationalen Forderungen, im Hintergründe wohl auch einer einheitlich-polnischen Herrschaft zu fügen hätten.

Wir wissen ja,

was sich in diesen Augenblicken — der Herr Vorredner hat es auch an­

gedeutet — in anderen Teilen

des

ehemaligen

Polenreiches

namentlich in den unter russischer Herrschaft stehenden.

zuträgt,

Die nationale

Agitation ist lebhafter wie jemals, und die Losung ist: Polen in den Grenzen von 1772?)

Das kann sich niemand verhehlen, der nur irgend­

wie den Dingen folgt.

Deshalb meine ich — und hierin weicht meine

Ansicht von der mehrerer anderer geehrter Herren aus dieser Seite des

Hauses ab ■—, die Frage ist keine bloß preußische, sondern sie kann unter

Umständen zu einer europäischen werden und Dimensionen annehmen, die

es uns unmöglich machen, sie mit einem Paragraphen der preußischen

Wir werden auch unsererseits, meine Herren,

Verfassung zu beseitigen.

den Polen gegenüber das Nationalitätsprinzip zu betonen, das nationale

Recht für uns in Anspruch zu nehmen und die deutsche Nationalität in

den Kampf zu führen haben, wenn nur überhaupt der ganzen Frage gerecht werden wollen.

Nicht bloß um einen preußischen Besitz handelt

es sich sondern um einen deutschen Besitz, um ein Stück echten deutschen Lebens, dessen Entsreindnng oder Erhaltung ein Verlust oder Gewinn

für Preußen und für ganz Deutschland sein wird.

Gewiß wird ein

Volk, wie das deutsche, selbst in schwerern Ringen um seine nationale Existenz nicht geneigt sein, wie einer der geehrten Vorredner dies voraus­

setzte, einer sremden Nation ihr Bedürfnis nach nationaler Wiedergeburt

und ihr Recht irgendwie verküiumern zu wollen: wir werden namentlich

dem Mut und der zähen Ausdauer der Polen in dieser Beziehung durch­ aus unsere Anerkennung nicht versagen können;

daraus folgt

noch

nicht,

aber, meine Herren,

daß wir im Zusammenstoß unserer eigenen

Nationalität mit einer fremden uns unserer Sympathien wegen befugt halten können, an der eigenen Nationalität zum Verräter zu werden.

(Bravo! links.) Es folgt dies um so weniger, weil die Prätensionen, welche die Polen

aus dem Nationalitätsprinzip herleiten, vollkommen unberechtigt, und wir

von dem höheren historischen und nationalen Gesichtspunkt aus allein die sind, die wirklich das geschichtliche Recht für sich in Anspruch nehmen

können.

(Ganz richtig! rechts.»

Es ist die verkehrteste ?lnwendnng des Nationalitätsprinzips, die wir

*) d. h. vor der ersten polnischen Teilung.

478

Schulze-Delitzsch.

von den Rednern der polnischen Fraktion gehört haben, wenn die Polen die Provinz Posen als einen Teil ihres alten Reichs in Anspruch nehmen;

sie schlagen damit dem Nationalitätsprinzip, wie es allein aufgefaßt werden Ein einfacher geschichtlicher Rückblick — der

kann, gerade ins Gesicht.

Herr Abgeordnete für Genthin hat bereits einiges vorweggenommen — zeigt dies.

Datiert sich denn das Vordringen der deutschen Elemente in

die polnischen Landesteile nur von der Teilung Polens her? Ist dies denn nur durch das Schwert entschieden worden?

aus der Zeit der Gewaltherrschaft?

Existiert die Frage denn erst

Sind denn die Polen vertrieben und

deutsche Ansiedler an ihre Stelle gesetzt worden? langer

Zeit

begann

die

deutsche

Einwanderung

Schon vor unendlich im

großen

und

im

einzelnen: im großen, als der Deutsche Ritterorden, die Deutsche Hansa

und die deutschen Handelsstädte ihre Niederlassungen an der Ostsee und

Weichsel gründeten, als deutsches Recht, deutsche Bürgerfreiheit, deutscher

Unternehmungsgeist und deutsche Industrie festen Fuß faßten; damals

entwickelten sich lange, friedliche Beziehungen unter den einzelnen Städten und legten den Grund zur Germanisierung, welche zu einer sehr be­ deutenden Konsistenz gedieh, noch während der Herrschaft der Polen selbst.

Diese Germanisierung dauerte Jahrhunderte, wie bereits der Herr Vor­ redner dies gekennzeichnet hat, und sie ist immer weiter und weiter in

das Land gedrungen, sie hat immer weiter und weiter feste Positionen errungen und behauptet, ganz besonders allerdings, seitdem mit Beginn

der preußischen Herrschaft, die von ihr zuerst gewährte größere Sicherheit und der größere Rechtsschutz für die Eindringlinge, — wenn man sie so nennen will, im Sinne der Herren (zu den Polen gewendet) — für die

Ansiedler und Einwanderer als natürliche Bundesgenossen mitwirkten. Fragen wir aber nach dem vielen Guten, was die Polen selbst ge­

nießen und was sie in sich selbst sogar als Eigenschaft entwickelt haben,

so werden wir dem deutschen Wesen und der deutschen Berührung doch wohl auch einen Einfluß daran bei billiger Auffassung zugestehen müssen. Ein großer

Teil ihrer Bildung ist deutsch,

und

unsere

Agrar­

gesetzgebung hat namentlich in den niederen Schichten der polnischen Be­ völkerung, in dem polnischen Bauernstande, dem nach den bekannten aber

nie zur Ausführung gekommenen Verheißungen der letzten Konstitution Polens/) auch die Leibeigenschaft genommen wurde, wirklich erst freiere soziale Zustände geschaffen.

(Sehr wahr!)

Art. 4 der Konstitution vom 22. Juli 1807 für das Herzogtum Warschau: „L’esclavage est abolie. Tons les citoyens sont ägaux devant la loi.

Alle von uns, die dort gewirkt haben, — ich selbst habe nahe an

zwei Jahre als Richter dort mit allen Schichten der Bevölkerung zu tun gehabt, — werden das aus Erfahrung wissen. Man hat von Germanisierung gesprochen seitens der ersten Redner dieser Fraktion (auf die polnische Fraktion deutend), die durch die Re­

gierung betrieben würde, und die die Regierung verbieten müsse.

Ja,

meine Herren, wer soll denn diese wirkliche Germanisierung verbieten, und wer soll sie befehlen? Sie dringt ein wie die Luft, sie ist ein Stück der geistigen Lebenslust eines Volkes, sie macht sich und bildet sich nicht

von politischen Verhältnissen aus, sie kann nicht reguliert werden durch politische Dekrete, sondern sie fängt unmerklich auf dem sozialen Gebiete an, und wie alles, was einmal einen gesunden organischen Ausdruck in

der Politik finden soll, sich von diesem Boden aus erst naturwüchsig herausarbeiten muß, so ist es auch mit der Germanisierung gewesen; unsere Regierung konnte sie nicht machen, wenn sie anch gewollt hätte,

denn eine solche einzelne Maßregel des Ankaufs bewirkt weder eine Ent­ nationalisierung noch das Gegenteil;

die Regierung kann sie aber auch

nicht verbieten, wenn deutsche Ansiedler sie betreiben, indem sie deutsches Kapital, deutschen Fleiß, deutsche Intelligenz mit hinzubringen.

Wohl

aber hätten sich die Polen an diesem freien Wettkampfe mit den Deutschen

beteiligen können, und beide hätten sich nebeneinander bewähren können.

Wie sollte die Regierung eingreifen, wie sollte sie das Vordringen der Deutschen verhindern? Daß sie es nicht verhindern will und auch niemals gewollt hat, das ist eine Sache für sich, die sich von selbst versteht.

Man hat uns als Beispiel Dänemark und Schleswig angeführt. Ja, meine Herren, das ist ja gerade das Gegenteil von dem Verhältnis

Posens zu Polen, da ist eine vorwiegend deutsche Bevölkerung, die durch politische Gewaltmaßregeln entnationalisiert werden soll. einer derartigen Gewalt bei Ihnen die Rede?

Wo ist von

Wer vertreibt Sie, wer

nimmt Ihnen Ihre polnischen Kirchen und Schulen? Sie haben ja alle diese Institutionen, und wenn hier und da einmal eine kleine Plackerei

vorkommt, so können Sie Ihr Recht an gehöriger Stelle suchen, und wäre die letzte Stelle auch dieses Haus selbst, es würde Ihnen im Suchen

Ihres Rechtes niemals entgegen sein.

(Bravo!)

Kraft des nationalen Prinzips also haben die Polen wahrlich keinen

Anspruch an diese Provinz; die Nationalität klebt nicht an der Scholle,

die Vertreter derselben sind die lebendigen Menschen, die zu jeder Zeit und an jedem Orte wirkenden Mächte der Interessen.

das als Recht aufstellt, daß

Wenn man aber

ein Volk jedes Stück Land, das einmal

Schulze-Delitzsch.

480

seine Vorfahren beherrscht haben, für sich in Anspruch nehmen könnte, so

ist

das

wahrlich

nicht Nationalitätsprinzip, sondern es heißt das

Gegenteil, es heißt, das Territorialsystem proklamieren mit seinem Recht

an Land und Leute und allem Zubehör des Bodens; und ich hoffe, daß

Sie selbst, so gut wie wir, nicht bloß im Interesse der nationalen sondern

auch der freiheitlichen Entwicklung, die die Regierung als Grundlage für

jede Nationalität bietet, dagegen protestieren werden.

(Bravo! links.)

Ich möchte auch wissen, wo die Macht Herkommen sollte, dergleichen Ansprüche

zu realisieren,

welche Normalzeit

und

wir

bei

den steten

Völkerfluktuationen unseres Kontinents als maßgebend anerkennen sollen. Es würde eine neue Völkerwanderung entstehen, und ein Stück der alten Barbarei müßte wieder über uns Hereinbrechen, wenn wir die Dinge so

treiben wollten.

Davon kann niemals die Rede sein.

Das heißt nicht

dem Geiste der Geschichte eine ebene Bahn eröffnen durch kühne Forde­

rungen, sondern das heißt den Geist der Geschichte verleugnen.

Müssen

denn wir Deutsche nicht dasselbe gegen uns gelten lassen, was wir für uns Ihnen gegenüber in Llnspruch nehmen?

Was sollte denn wohl ge­

schehen? Würden wir nicht fürchten, uns lächerlich zu machen, wenn wir Lothringen, Flandern, Brabant und den Elsaß für uns reklamierten und

alle sonstigen Stücke des Deutschen Reiches kraft des deutschen Prinzips.

Warum können wir das nicht? Ja die Leute sind unglücklicherweise dort Franzosen geworden, und bloß deshalb, weil jene Provinzen einmal zum

Deutschen Reiche gehört haben,

können wir diese Provinzen hier nicht

wieder reklamieren. Wie wir daher den Bestrebungen Ihrer Nationalität innerhalb der gehörigen Schranken vollkommen unsere Sympathie widmen

können, sobald Sie die nationale Existenz unserer Landsleute nicht an­ tasten, so müssen wir, wenn Sie das tun, Ihnen um jeden Preis und

unter jeder Bedingung entschieden entgegentreten. verehrten Vorredner zu.

Die Einsichtigen

diesen Konflikt nur beklagen.

auf

Ich gebe das dem

beiden

Seiten

können

Er ist gegen das Interesse beider Völker,

meine Herren, und ruhige Erwägung müßte zu der Erkenntnis führen,

daß ein geeinigtes Deutschland und ein wiedererstandenes Polen wohl

natürliche Bundesgenossen sein würden, wenn man nicht so tief in die Bedingungen unserer Existenz eingreifende Prätensionen an uns stellen

wollte.

Wirtschaftliches und politisches Interesse rufen uns zur Gemein­

samkeit namentlich dem großen nordöstlichen Nachbar gegenüber; indessen,

wie

die Dinge sind,

wie Sie uns zum Kampfe herausfordern,

meine

Herren, so muß er von uns ausgenommen werden, und dann dürfen Sie überzeugt sein, wir wissen, um was es sich handelt, wir wissen, daß wir

diese

Provinzen

nicht

entbehren

Lebensfrage für uns ist.

können,

daß

ihre Behauptung

eine

Ihre Entfremdung wäre eine schwere Einbuße

Seien Sie überzeugt, daß wir

für unser ganzes deutsches Vaterland.

keinen Ort, keine Stadt, wo deutsche Interessen, deutscher Unternehmungs­

geist, deutsches Kapital, zum Heile des Ganzen, der Polen sowohl wie der Deutschen, festen Fuß gefaßt haben, aufgeben werden. Seit

Jahrhunderten

Landesteilen.

vollzieht

sich

die

(Bravo!)

Germanisierung

Der Kern unseres preußischen Staats

in

jenen

aber besteht aus

Gebieten, die den Slawen abgewonnen sind, und wunderbar ist es, daß

gerade während des Zersetzungsprozesses und Verfalls alter Reicye hier

die Keime zu diesem großartigen, zukunftsvollen preußischen Staatsleben sich entwickelten, und wunderbar ist es, unter wie ungünstigen Verhält­ nissen dies geschah! Während fortgesetzter und schwerer nationaler Ein­

bußen Deutschlands im Westen gewannen unsere Vorfahren hier im Osten die einzige große

nationale Er­

rungenschaft in Zeiten des Verfalls der deutschen Macht.

(Sehr richtig!")

der deutschen

Kultur neuen

Boden.'

Diesen Boden wieder aufgeben, das hieße an der geschichtlichen Zu­

kunft unseres Volkes zweifeln.

Ja, meine Herren, es hieße in der Tat

die Arbeit von Jahrhunderten aufgeben, wenn wir nur eitlen Fuß breit in der von uns schwer erkämpften und sauer erworbenen Position zurück-

weichen wollten.

Nicht bloß um eine Provinz würde Preußen dadurch

ärmer, nein, vielmehr ein wertvolles Glied Detltschlands lvürde dadurch abgerissen, und es begönne von neuem eine Verstümmelung unseres so

schwer beschädigten und geschändeten nationalen Körpers. ernst.

Die Sache ist

Ich wenigstens, meine Herren, tiehme den Kampf, der uns von

dieser Seite droht, für keinen leichten.

Aber wir nehmen ihn an, wenn

er uns geboten wird, weil wir ihn annehmen müssen.

(Lebhaftes Bravo!)

Auf diese Rede erwiderten zwar noch einige Redner der polnischen Fraktion, indessen antwortete ihnen Schulze nicht mehr. Bei der Ab­ stimmung ging man über die Petition des Dr. v. Niegolewski zur Tagesordnung über.

83. Die preußisch-russische Konvention vom 8. Februar 1863. Rede in der 18. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses am 27. Februar 1863.

3m Januar (863 hatte sich die Bevölkerung polens von neuem gegen die russische Lserrschaft erhoben und der Aufstand gewann rasch Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

III.

31

482

Schulze-Delitzsch.

ungeahnte Ausdehnung. Um sich die Sympathie der russischen Regierung für die Stellungnahme Preußens zur deutschen Reformbewegung zu er­ halten und zur Verhinderung einer russisch-französischen Allianz lietz Bismarck dem Petersburger £}ofe den Abschluß einer geheimen

Vereinbarung anbieten, wonach den Truppen beider Staaten die Erlaubnis gegeben wurde, sich durch Nachrichtendienst zu unterstützen und bei Verfolgung der Aufständigen die gegenseitigen Grenzen zu überschreitend) Jn der Tat schloß der preußische General von Alvensleben am 8. Lebruar J863 eine solche Konvention ab; ihr In­ halt wurde aber noch vor der Ratifikation durch die beiden Souveräne durch Indiskretion, wenn auch nur teilweise, bekannt. Das hierdurch hervorgerufene Aufsehen veranlaßte die Abg. v. ^overbeck (OsterodeNeidenburg) und v. Carlowitz (Görlitz), beide Mitglieder der Fort­ schrittspartei, im preußischen Abgeordnetenhause die Erklärung ein­ zubringen : „Das Interesse Preußens erfordert, daß die Königl. Staatsregierung gegenüber dem im Königreich Polen ausgebrochenen Aufstande weder der russischen Regierung noch den Aufständigen irgendeine Unterstützung oder Begünstigung zuwende, demgemäß, also auch keinem der kämpfenden Teile gestatte, das preußische Gebiet ohne vorhergängige Entwaffnung zu betreten."

hierzu wurden Abänderungsanträge eingebracht von v. VinckeStargard, welcher von der Negierung nur die Verhinderung einer Invasion russischer Truppen verlangte, und von v. Bonin-Genthin, welcher forderte, daß die Regierung sich gegenüber dem Aufstande lediglich auf den Schutz der preußischen tandesgrenze beschränke, darüber hinaus aber sich jeder Einmischung enthalte und Bewaffneten das Betreten preußischen Gebietes nicht gestatte. Die Verhandlungen begannen am 26. Februar; in der Bekämpfung der Anträge griff Bismarck namentlich den Abg. von Unruh an, dessen Name unauslöschlich mit der Steuerverweigerung von |848 verknüpft

sei und der mit seinen politischen Freunden jetzt ganz offen den Polen seine Sympathie kundgegeben habe. Er verlangte Absetzung der Inter­ pellation, aus welcher Verwickelungen mit dem Auslande entstehen könnten, indem er dabei auf die Gewohnheiten im englischen Parlament

verwies, wenn man immer nach englischer Freiheit rufe, so könne er nur erwidern: „Geben Sie uns ein Englisches Unterhaus und dann. !) Vgl. Bismarcks Gedanken und Erinnerungen I, S. 306.

fordern Sie englische Institutionen!" In gleicher Weise wandte sich der Abg. von Vincke gegen die Behauptung der Antragsteller, daß die Konvention aus der Solidarität konservativer Interessen entstanden sei, indem er zugleich vor der Solidarität der demokratischen Interessen und den Kundgebungen zugunsten der Wiederherstellung eines unabhängigen polens warnte als dem Gefährlichsten, was Preußen an seiner 0ftgrenze geschehen könne, würde der Antrag zu einem Winisterwechsel führen, so wünsche er, daß die teitung der Regierungsgeschäfte in die Ljände von wännern aus der Majorität des Abgeordnetenhauses gelegt werde: er könne allerdings nur mit Sorge daran denken, wie diese Ljerren die auswärtige Politik wahrnehmen würden; aber der versuch müsse gemacht und das tand, wenn auch mit Schaden, klug werden. Inzwischen war noch ein Abänderungsantrag von v. Bockum-Dolffs (Ejamm-Soeft) eingegangen, der von der Regierung verlangte, daß sie keinen der kämpfenden Teile unterstütze oder begünstige und Bewaffneten das Betreten preußischen Gebietes verwehre. Am 27. Februar nahm auch Schulze das Wort: Meine Herren!

Ich möchte meine Ausführung in der großen und

ernsten Frage, die uns beschäftigt, wo es Pflicht und Bedürfnis jedes

Redners ist, seine Sätze im Zusammenhänge zu entwickeln, zunächst von dem sondern, was ein Vorredner bezeichnet hat als das „Schaumspritzen

der Tribüne"/) und beginne mit einer Verwahrung dagegen für mich

und meine politischen Freunde.

Wir haben von

feiten des jetzt ab­

wesenden Herrn Ministerpräsidenten gestern eine Menge Dinge

unter­

einander werfen hören: Englisches Unterhaus und Deputierte von 1848 mit ihrem Vorsitzenden, dem Herrn v. Unruh, unserem Kollegen, und

dann wieder allerlei anderes bunt zusammengewürfelt.

Heute ist zwar

dem Herrn Ministerpräsidenten zum Teil darauf geantwortet worden,

aber der geehrte Herr Redner, der dies so schlagfertig, wie wir an ihm gewohnt sind, getan hat'^), hat auch eben wieder selbst allerlei Schaum spritzen

lassen, welcher,

mit

dem

des

Herrn

sammen ein ganz eigentümliches Gemisch abgab.

Ministerpräsidenten

zu­

Ich will dem Hinein-

T) Abg. v. Vincke hatte geäußert, daß in der französischen gesetzgebenden Kammer die Besprechung der auswärtigen Politik ein bloßes Schaumspritzen gegenüber dem eisernen Willen des Kaisers sei, an welchem sich das Gewoge der Parteien breche. Anders in Preußen wo sich die Volksvertretung Schranken auferlegen müsse, um nicht durch Herbeiführung auswärtiger Verwickelungen die Machtstellung des Staates zu gefährden. 2) Abg. v. Vincke.

Schulze-Delitzsch.

484

ziehen des Englischen Unterhauses und den Wünschen des Herrn Minister­

präsidenten nach einem solchen, indem er von dessen Existenz bei uns

die Gewährung englischer Institutionen abhängig machte, nur einen kleinen historischen Rückblick hinzufügen, auf den die Herren Vorredner noch nicht gekommen sind, und meine doch, man könnte bei uns im allgemeinen so viel Kenntnis der englischen Geschichte voraussetzen, daß man uns mit

solchen Hinweisungen nicht hätte kommen dürfen.

Wie das Land, das wir beneiden in mancher Hinsicht, wie England zu seinen Institutionen gekommen ist,

und welche ernsten Kämpfe eben

das englische Unterhaus deshalb mit der Negierung hat führen müssen, das, glaube ich, ist jedem von uns vollkommen gegenwärtig.

Und des­

halb, meine Herren, kenne ich kein unglücklicheres Zitat, als das des Herrn Ministerpräsidenten, indem er uns darauf hinwies.

Denn das

greift so tief in andere bei uns noch bestrittene und unerledigte Lehren

von Ministerverantwortlichkeit und andere Dinge hinein, daß ich glaube, er hätte besser getan, von diesem Vergleich zu schweigen.

«Sehr richtig!

Bravo!)

Dabei bin ich der Meinung, daß, wenn wir hier feststehen im An­ fänge unserer konstitutionellen Entwicklung, daß dies der einzige Weg ist,

auf welchem unser Vaterland im Ausbau seiner Verfassung befreit bleiben werde von den verhängnisvollen Bahnen, in welche dort die Dinge ver­

liefen, von den Bahnen der Gewalt und blutigen inneren Kämpfe.

unserem Feststehen

hängt es ab,

ob die Dinge bei uns, meine Herren,

auf gesetzlichem Wege und in friedlicher Agitation sich ordnen.

wir hier uns beirren

Von

Sowie

lassen in unserer Position und nicht ganz ent­

schieden das Recht des Landes wahren, dann und nur daun könnte es möglich sein — und wenn es nicht geschieht, es ist wahrhaftig nicht der Herr Ministerpräsident

und die jetzige Königliche Staatsregierung,

die

uns davor bewahren — dann könnte es möglich sein, daß ein ähnlicher Werdeprozeß wie in England die Rechte und Freiheiten des Landes bei

uns feststellte.

Wir wünschen das nicht, und wir tun, was an uns ist,

unser Vaterland vor so schweren Erschütterungen zu bewahren.

(Bravo!)

Nun, meine Herren, wie die jetzige Versammlung feststehen muß und festgestanden hat, so auch die alte Nationalversammlung von 1848, der das Land von den Grundlagen seiner Verfassung mehr verdankt, als viele zugeben.

Da wir einmal in der Person unseres würdigen damaligen

Präsidenten, des Abgeordneten von Unruh,

angegriffen sind, wir alten

Mitglieder der damaligen Landesvertretung,

so gestatten Sie mir ein

Wort der Abwehr.

Ich denke durchaus nicht auf eine Rechtfertigung

hier emzugehen; ich denke, das wird Sache einer späteren ruhigeren Zeit Doch, meine ich, muß ich einiges hervorheben gerade hier von unserer

sein.

damals so schwierigen Vie! angefochtenen Stellung, mit unserem weit­ greifenden Mandat einer konstituierenden Versammlung, welche die Grund­ lagen des neuen Staatslebens erst schaffen sollte, eine widerwillige und

widerstrebende Exekutive des alten Systems an der Seite.

wissen

den Vorteil einer Verfassung zu würdigen,

Gerade wir

denn wir haben es

kennen gelernt in jenen Zeiten, was es heißt, die faktischen Gewalten gegen sich und nichts hinter sich zu haben als die Sympathie des Volkes. Wir haben es erlebt, in welche schlimme Position wir gedrängt wurden

und

welchen persönlichen Gefahren wir ausgesetzt

gewesen sind.

uns, meine Herren, dürfen Sie gerade deshalb erwarten,

Von

daß wir am

wenigsten geneigt sind, von dem gesegneten Boden der Verfassung, den

wir

jetzt

als Ausgangspunkt

dürfen, abzuweichen.

unserer politischen Bestrebungen

ansehen

Nicht wir, eine ganz andere Partei ist es, die von

dem entgegengesetzten Standpunkt dabei ausgeht und die in der Unter­

grabung der Verfassung in allen wesentlichen Punkten uns von diesem Boden verschlagen möchte.

Man hat ferner von feiten des Herrn Abgeorötieten für Stargard einen Protest eingelegt gegen die Solidarität der konservativen Interessen

imb in demselben Momente aus das allbereite Schreckbild der Solidarität

der demokratischen Interessen hingewiesen.

Der geehrte Abgeordnete hat

dabei außer acht gelassen, daß die Partei, die sich stützt auf die Solidarirät der

konservativen Interessen, der er nicht anzugehören

versichert, dies

nur kann, wenn sie sich gegenüber das Gespenst der Demokratie als Schreckensapparat aufstellt.

Aber dieses Mittel ist von der Reaktion so

abgenutzt und wirkt so wenig, daß ich dem geehrten Abgeordneten in hohem Grade verarge, sich desselben zu bedienen.

Da stimme ich dem Herrn Ministerpräsidenten bei; das Land kennt uns, das Land sieht an unseren Taten,

für welches Prinzip und für

welche Interessen in der inneren und äußeren Politik die Partei, die

zum Teil der Demokratie angehört, ebenso wie die anderen Parteien ein­ stehen in diesem Hause.

Das Land hat gar nicht nötig, uns in dieser

Debatte erst noch kennen zu lernen; es kennt uns, meine Herren,

es

kennt das Ministerium; sein Urteil ist längst festgestellt (Bravo! Heiter­

keit !), das haben wir gar nicht zu scheuen, und, meine Herren, ich denke, die gegenwärtige Verhandlung wird wahrhaftig nicht dazu beitragen, das

Urteil zu ändern.

Sie wird es nur in jeder Hinsicht befestigen und

bestärken. Mit solchen halb denunziatorischen Hinweisungen auf „Solidarität

486

Schulze-Delitzsch.

der demokratischen Interessen" wird man daher höchstens sich selbst ver­

dächtigen und wahrlich kein politisches Kapital machen.

(Sehr richtig!)

Es ist auch ein spöttischer Seitenblick seitens des geehrten Herrn

auf die

Abgeordneten

Regierungsfähigkeit

meiner politischen

Freunde

Ich meine, meine Herren, diese Partei, die hier vertreten ist

geworfen.

(auf die Linke deutend), wird noch außerordentlich viel Zeit haben, sich zur Regierungsfähigkeit vorzubereiten, und sie wird Ihren (auf die Rechte deutend) und des geehrten Herrn Redners schätzbaren Rat dabei in keiner

Weise gering achten.

Ich muß aber doch gestehen, daß mein bisheriges

Urteil von der entschiedenen staatsmännischen Befähigung des geehrten Redners selbst einen kleinen Stoß erlitten hat durch seine Äußerung:

„daß er die Erwartung gehegt habe zu dem jetzigen Ministerium, daß es

der Ausgleichung der Konflikte einschlagen

den Weg der Versöhnung,

werde."

Meine Herren, wenn ein Ministerium, geleitet von einem nam­

haften Staatsmann, dem Herrn von der Heydt, dem man doch wahrlich keine zu große Skrupulosität, kein zu starres Festhalten an streng kon­ stitutionellen Prinzipien Schuld geben kann (Große Heiterkeit), keine vor­ herrschende Neigung, im Märtyrertum für politische Überzeugungen seine

Stellung zu opfern, — wenn ein solches Ministerium vor den an das­ selbe gestellten Forderungen zurücktrat, um dem jetzigen Platz zu machend)

wie dann ein Politiker noch die Hoffnung hegen kann, daß nun von dem

neuen Ministerium eingelenkt und die Versöhnung des Konflikts zwischen

den Staatsgewalten angebahnt werden würde, — nun, meine Herren, das gehört

für mich mehr

in

den Bereich

Naivität, als in den der Staatsmännischkeit!

der

äußersten politischen

(Große Heiterkeit. Bravo!)

Ich komme zur Sache und fasse kurz zusammen, was eigentlich von

der tatsächlichen Basis unserer Anträge bis jetzt unzweifelhaft festgestellt ist.

Wir wissen zunächst,

es existiert eine Konvention mit Rußland.

Wir wissen auch einiges vorn Inhalte. Herr

Minister

des Innern

und

der

Es ist unter Umständen, wie der Herr Ministerpräsident

erklärt

haben, — in jedem Falle „mit Allerhöchster Bewilligung" gestattet, daß die

russischen Truppen

das

preußische Gebiet

russische Gebiet betreten können.

und

die Preußen

das

Nun ist schon von einem der Herren

Vorredner bemerkt worden, daß es ein eigentümliches Ding sei, und es ist darüber Auskunft gewünscht, wie das gemacht werden, wie man so

plötzlich die Bewilligung bei der Schleunigkeit militärischer Operationen bey Nach der Übernahme des Ministerpräsidiums durch Bismarck — September 1862 — war Finanzminister von der Heydt aus dem Ministerium ausgeschieden.

schaffen sollte? Der Herr Fragesteller setzte dabei voraus, das Ministerium behielte sich selbst die Bewilligung vor. Ja, meine Herren, dann würde aber die ganze Sache zu einer Lächerlichkeit, zu einem Humbug. Wenn erst beim Ministerium angefragt werden soll, wenn z. B. russische Truppen

im Verfolgen eines Jnsurgentenhaufens an unsere Grenzen kommen und diese dann gar noch die Rückantwort abwarten müßten — das wäre doch eine wunderbare Stipulation! Aber mit dem Ministerium, meine ich, haben wir es hier gar nicht zu tun. Möge doch die Königliche Staats­ regierung sagen, wer die Bewilligung zu erteilen hat; etwa die Militär­ befehlshaber oder die lokale Obrigkeit, Kommissäre irgend welcher Art?

Diese Auskunft ist doch für eine Sache, die so bedeutungsvoll für das ganze Land ist, nicht so ganz gleichgültig. Man will doch die kennen, in deren Hände eine so große Verantwortlichkeit gelegt ist, Teile unseres Landes kriegerischen Operationen auswärtiger Truppen auszusetzen. Dies, meine ich, muß doch das Haus der Abgeordneten und das ganze Land im höchsten Grade interessieren. Das zweite, was auch festgestellt worden, ist die entschiedene Be­ günstigung der russischen Truppen, ja sogar das Einrücken preußischer

Truppen auf Requisition — wie es heißt — der russischen Behörden in das Königreich Polen. Der Herr Minister des Innern hat uns zwar Nachrichten, die er hat einholen lassen, entgegengestellt; sie sind aber von Nachrichten, die mindestens dieselbe Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, durchkreuzt. Ich habe auch einen Brief von Thorn bekommen, welcher die ganze Darstellung, wie sie der Herr Abgeordnete v. Hennigs) gegeben hat, Wort für Wort bestätigt, da heißt es denn dem Ministerium gegen­ über: Nachricht für Nachricht, Depesche für Depesche. Endlich, meine Herren, liegen die unglücklichen Auslieferungen vor, in bezug auf welche die Antwort des Herrn Ministers des Innern gestern von einem der verehrten Redner als ein Hohn bezeichnet worden ist, und die in der Tat eine ganz sonderbare Vorstellung von Recht und Pflicht enthält; ich glaube, meine Herren, darin stimmen Sie und stimmt wohl das ganze Haus mir bei. Es ist das sehr sinnreich, meine Herren:

Preußen hat die Verpflichtung, auszuliefern, und Rußland das Recht, die Auslieferung zu verlangen; daraus macht der Herr Minister des Innern: Preußen habe das Recht, auszuweisen, und Rußland die Ver­ pflichtung, die Ausgewiesenen zu übernehmen in seine gastfreien Arme. Nun, meine Herren, wie die Ausgewiesenen übernommen sein mögen, 1) Abg. v. Vincke. 2) Abg. v. Hennig-Strasburg (Westpreußen), Fortschrittspartei.

Schulze-Delitzsch.

488

und welche Umstände man in Rußland sich wegen ihrer Unterbringung gemacht haben wird, das überlasse ich Ihnen sich auszudenken — ich bin

davon nicht weiter unterrichtet.

Mir liegt wieder ein Brief vor, —

ich bin mit außerordentlich viel Korrespondenzen in dieser Frage und zwar sämtlich von Deutschen

in der Provinz Posen

ohne alle Ver­

anlassung von meiner Seite versehen; mir liegt der Brief eines Augen­ dieser Auslieferung

zeugen

aus Thorn

die

äußerst klägliche darstellt, welche

vor,

der

die Sache

als

eine

allgemeine Entrüstung und das

allgemeine Mitleid des ganzen Publikums wachgerufen habe.

Welche Folgen, so frage ich, sind nun zunächst für unsere eigenen Landesteile aus diesen ganzen Maßregeln, auf die ich nicht spezieller ein­

gehen doch

will, entstanden? Haben dieselben wirklich das vom Ministerium

wahrscheinlich

beabsichtigte

Sicherheitsgefühl

in

unseren

Grenz­

provinzen herbeigeführt? Nein, meine Herren, das konnten sie nicht: ihr Übermaß, die Hast, mit der sie getroffen wurden, mußte notwendig schon das Gegenteil davon hervorrufen,

Für

und

so steht es dann auch wirklich.

jeden, der in der Provinz bekannt ist und der authentische Nach­

richten

von

dort erhalten hat,

jene Maßregeln

haben

Und, meine Herren,

nur

steht die Sache ganz entschieden

Aufregung

und

Unwillen

das konnte auch gar nicht anders

fest:

hervorgerufen. sein.

Gleich

bei den ersten Schritten rief man die Bewohner der Provinz auf, ihren gesetzlichen Sinn zu betätigen, nichte zu tun, was der gesetzlichen Ordnung

widerspräche,

und begleitete diesen Aufruf mit ungesetzlichen Maßregeln,

mit Inhibierung des Vereins- und Versammlungsrechtes und mit all den Dingen, die schon bei Gelegenheit der früheren Interpellationen zur

Sprache gekommen sind, Belagerungszustandes zu legen schien.

wobei man die Verhängung eines teilweisen

gewissermaßen in die Hände von Lokalbehörden

Ich habe hier einen speziellen Brief von einem Mit-

gliede des Vereins zur Wahrung der deutschen Interessen, — also überall

sind meine Briefe von Leuten, die durchaus nicht in dem Verdacht stehen und deren Interesse es auch nicht ist, irgendwie den polnischen Sympathien Vorschub zu tun — einen Brief, worin man sich aufs bitterste beklagt

und die Konvention mit so starken Worten angreift, daß ich sie hier in parlamentarischer Weise nicht wiedergeben kann.

Ich will aber auf einen ganz speziellen Punkt eingehen, der von

der größten Wichtigkeit ist.

Meine Herren, es ist die unglückliche Nach­

wirkung dieser Maßregeln auf den Kredit, auf den Handel und den Verkehr der beteiligten Grenzprovinzen, nicht bloß der Provinz Posen,

sondern

der sämtlichen Grenzprovinzen.

Daß gerade in jenen Grenz-

Provinzen, wo eine sehr bedeutende und eine sehr günstige und segens­ reiche Entwicklung in der Agrikultur und in den technischen Gewerben

stattfindet, der Kredit ein durchaus wichtiges Ding ist, daß er dort nicht

so bequem gehandhabt werden kann und nicht so leicht zur Hand ist, wie in den mehr bewohnten Provinzen, in der Mitte und im Westen des Staates, das weiß jeder, der einmal damit zu tun gehabt hat.

Aber

mehr und mehr haben sich Kapital und Unternehmungsgeist dorthin gewendet, und mehr und mehr hat sich die Überzeugung befestigt, daß gerade für landwirtschaftliche nnd verwandte industrielle Gewerbe kaum

irgendwo eine günstigere Stätte gefunden kleinen Eindruck die nicht etwa von

einen

könne.

werden

Hatte nun

jetzt sondern schon in das

vorige Jahr zurückzudatiereude Bewegung in dem Nachbarlande bewirkt,

so war man von den dadurch angesachten Befürchtungen doch sehr bald wieder zurückgekommen. Der Güterverkehr nahm wieder zu, der Ankauf von Gütern seitens

deutscher Kaufliebhaber hatte sich wieder gehoben, da erscheint die unglückliche Proklamation des Oberprüfidenteu und gleich darauf das erste Gerücht von der Konvention, und in dieser Beziehung gestatten Sie mir wohl ein Paar Worte aus einem Briefe eines sehr angesehenen Geschäfts­

mannes in Posen, den die meisten von Ihnen, welche dort bekannt sind,

Dieser schreibt folgendes, und zwar unter deni Ein­

persönlich kennen.

druck jener Maßregeln: „Kaum war das Vertrauen wieder etwas befestigt, — so heißt es unter anderem —

es

fingen

bereits

wieder die

fremden Kapitalien

an,

unserer

Provinz zuzufließen, und der Verkehr in Gütern hatte sich wieder etwas gehoben.

Alles das ist jetzt durch deu Erlaß des Ober­

präsidenten und die weiteren Schritte vernichtet.

Die deutschen

Gutskäufer, welche in der letzten Zeit zahlreich hierhergekommen, sind verschwunden und Hypotheken nur schwer zu plazieren" usw.

Dies ist wieder ein Brief eines bei dem Verkehr und bei der fried­ lichen

Ordnung

in

der Provinz Posen

sowie bei

der

Hebung

der

deutschen Interessen tief beteiligten Geschäftsmannes. Weiter, meine Herren, aber! Wir haben, wenn wir unsere Interessen,

die Interessen unserer Landsleute wahren, nicht nur zu denken an deren

Entwicklung in der Provinz Posen, wir haben dabei auch zu denken an unsere Landsleute im Königreiche Polen selbst.

Eine Masse deutscher

Kapitalien sucht auch dort Anlagen, eine große Menge von Geschäfts­

leuten aus unserem Lande ist dort drüben tätig, und es besteht eine

Schulze-Delitzsch.

490

ganze Reihe von geschäftlichen Engagements und Verträgen über Gegen­

stände friedlichen Verkehrs.

Was meinen Sie nun, was das Vorgehen der

Staatsregiernng in bezug auf diese Geschäfte, ja selbst in bezug auf die

Sicherheit der Personen und das Eigentum dieser Männer bewirken muß? Die heftigsten Antipathien der Polen werden gegen sie an den Tag

gerufen, und es gehen in dieser Beziehung Klagen

über Klagen von

ihnen ein und Fragen, was man denn eigentlich denke, ob man sie denn

ganz und gar vergessen habe? Endlich,

meine

Herren,

sich

hat

schon

auch

die Häfen und

namentlich unsere Ostseeprovinzen,

herausgestellt,

daß

die Hauptsitze

der

preußischen Reederei, sehr beteiligt sind bei diesen Maßregeln.

Man hat

bei Schiffsassekuranzen schon die Prämien verstärkt wegen der Aussichten auf Kriegsläufte, die sich an diese Maßregel knüpfen; ja man hat schon

bei Verladungen fremde namentlich

englische Schiffe als sicherer vor­

gezogen einem Engagement mit heimischen Schiffsreedern. Folgen,

von

denen

mehrere

fachkundige

und

Das sind die

beteiligte Männer,

von

denen einige dieser Versammlung selbst angehören, Ihnen Zeugnis abgeben können.

Und so meine Herren, ist es geschehen, da die Regierung durch

ihr Vorgehen alle Interessen verletzt hat, daß sie auch niemanden in den

beteiligten Provinzen für sich hat, weder Polen noch Deutsche, weder das Inland noch das Ausland:

alle stehen gleichmäßig in dieser Frage

gegen dieselbe. Was, so fragen wir, drängt uns denn eigentlich unter solchen Um­ ständen

zu

diesem

ganzen Vorgehen?

Haben

Pflichten dieserhalb in bezug auf Rußland?

wir

denn Rechte

und

Der geehrte Herr Vor­

redner hat den Kartellvertrag von 1857,sowie anderes dergleichen hier angeführt und geäußert, daß wir bestimmt eingegangene Staatsverträge zu

respektieren

sprechen hören. nicht.

hätten.

Dagegen

habe ich

niemanden

hier im Hause

Auch der Kommissionsantrag trifft diesen Punkt gar

Er will Unparteilichkeit, Nichteinmischung und Nichtbegünstigung

der kämpfenden Teile, aber er spricht nicht aus, daß irgendeine wirklich

bestehende rechtliche Pflicht gegen Rußland nicht erfüllt werden solle.

Wie man das hineinlegen kaun in den ganzen Antrag, weiß ich nicht.

Das steht nicht darin.

gestern ausgeführt wurde,

Ich meine aber, meine Herren, wie schon

daß die Verträge wegen Auslieferung von

Deserteuren und Verbrechern gar nicht auf den vorliegenden Fall passen, und daß, wenn irgendwo von Verletzung von Verträgen die Rede ist, *) Kartellkonvention zwischen Preußen und Rußland vom 4. September 1857 Bett, die Übernahme ausgewiesener Flüchtlinge.

dieselbe von feiten der russischen Regierung stattgesunden hat, wie von

mehreren

bereits

Rednern

vollkommen begründet

wurde.

Durch

die

Russen sind die Verpflichtungen verletzt, die Rußland nicht nur auf dem Wiener Kongreß sondern auch in den Spezialverträgen mit Preußen und Österreich 1815 eingegangen ist. Davon ist also gar keine Rede,

daß wir verlangten, die preußische Negierung solle gegen Rußland Ver­ träge verletzen; im Gegenteil würde es ihr geziemen, auf die Aufrecht­ haltung der betreffenden Staatsverträge von feiten der russischen Re­ gierung zu dringen.

Haben wir hiernach keine Pflicht zu erfüllen, die uns zwingt, eine

Parteistellung im Kampfe einzunehmen, nun, meine Herren, dann haben wir doch mindestens freie Hand und können unsere Interessen wahren, wie sie uns gebieterisch für unser Vaterland vorgezeichnet sind in diesen

ganzen Verhältnissen. Ich will von dem allgemeinen Interesse, welches wir gegen die Ver­

stärkung der russischeil Macht haben, und von den üblen Diensten, die uns von Rußland von jeher erwiesen sind, von seiner steten Feindselig­

keit nicht reden, weil dies von den Herren Vorrednern schon hinlänglich

charakterisiert ist.

Aber ein paar Punkte sehr spezieller Natur, die aufs

entschiedenste gegen jede Unterstützung des russischen Verfahrens in Polen

sprechen, die will ich noch vorbringen. Der Herr Ministerpräsident hat gestern gesagt: „unser Handel und Verkehr sei aufs entschiedenste beteiligt, daß der polnische Aufstand so

rasch als möglich niedergeschlagen werde."

(Sehr richtig!)

Das hat auch das geehrte Mitglied für Stargard wiederholt, und

es klingt ja recht scheinbar.

Gewiß befinden Handel und Verkehr sich

nicht wohl bei solchen Zuständen, und gewiß ist niemandem, der mit den ersteren zu tun hat, damit gedient, derartige Unruhen zu verlängern.

Aber gibt es denn keine Erfahrungen,

wie es mit diesen Dingen zu­

gegangen ist, seit 1830, seit der ersten Unterdrückung des polnischen Aus­

standes ? ’)

Wir machen ja gerade, ioenn wir Rußland in seinem wider­

rechtlichen und empörenden Verfahren in Polen unterstützen, den Aufruhr

in seinem Lande permanent!

Von keinem Machtgebot, keiner gewalt­

samen Unterdrückung läßt sich Friede und Ruhe erwarten, solange nicht

Menschlichkeit und Gesetz gegen die Polen innegehalten werden.

Das

'beweisen die immer wiederholten Ausbrüche nach blutiger Niederwerfung. *) Der polnische Aufstand von 1830/31 endigte mit der Aufhebung der von .Kaiser Alexander I. im Jahre 1815 verliehenen Verfassung und mit der Ein­ fügung Polens als russische Provinz in den russischen Staat.

Schulze-Delitzsch.

492

Jede Unterstützung Rußlands unsererseits verfehlt

Wir

werden

einen geordneten

daher ihren Zwecke

dauernden Verkehr für unsere Grenz­

provinzen nie bekommen, wenn das russische System nicht geändert wird, und eine Unterstützung dieses Systems schlägt gegen uns selbst aus, weil wir dadurch den Aufruhr befördern, der unseren Handel und Verkehr aufs entschiedenste schädigt.

Zweitens, meine Herren, in dem Vertrage vom 3. Mai 1815x) Art. 28 ist ausdrücklich der möglichst freie Grenzverkehr der russischen

und preußischen Anteile von Polen bestimmt, und als Maximalzollsatz 10° 0 ad valorem festgesetzt.

Namentlich ist auch in dem Artikel aus­

gesprochen, daß die humanste und die kulanteste Behandlung bei der

Zollabfertigung an der Grenze stattfinden solle.

Nun, was das Ding

zu bedeuten habe, das weiß jeder, der irgend einmal mit den russischen Grenzzollbeamten zu tun gehabt hat.

Meine Herren, ich habe als Richter

damit zu tun gehabt, weil ich zwei Jahre dort fungierte, und ich erlebte es, daß die verdrießlichsten Dinge vorkamen, Lieferungsverträge und der­

gleichen, auf welche die Zollabfertigung influierte. Da liegt nun eine flagrante Verletzung jener Vertragsbestimmungen vor. Anstatt daß die Russen jene Zollbestimmungen in den Verträgen auch nur entfernt inne gehalten hätten, hat man beinahe ein Sperrsystem an der Grenze ein­

geführt und unseren Handel im hohen Grade geschädigt.

Was tun wir

also, wenn wir Rußland in seiner jetzigen Stellung gegen Polen helfen?

Wir verewigen einen Nechtsbruch, wir kämpfen für einen Rechtsbruch, der uns selbst am schwersten trifft; wir kämpfen geradezu gegen uns

selbst (sehr wahr! links) und gegen die Interessen des Handels und der Industrie des eigenen Landes!

Das wären ganz kurz einige Gesichtspunkte, wenn wir uns und Rußland allein betrachten. Sodann haben wir aber die Stellung zu den europäischen Mächten

mit in Betracht zu ziehen. Gestatten Sie mir nur wenige Worte darüber, denn es ist ja schon

im reichsten Maße geschehen.

Daß hier völkerrechtliche Verträge vor­

liegen, bei denen auch die übrigen europäischen Großmächte interessiert sind, weil sie Mitkontrahenten waren, darüber bedarf es keiner weit­

läufigen Ausführungen, da bereits der Herr Abgeordnete Twesten auf das genügendste und gründlichste auf diese Frage eingegangen ist.

Was

man nun auch von den Intentionen der Westmächte etwa denken magr

*) Vgl. S. 475 Anm. 1.

namentlich von ihrem Interesse für die polnische Nationalität, für die

Wiedererhebung Polens, ob man ihre Kundgebungen auch — wie ich es selbst tue — für mehr demonstrativer Natur hält; wenn man sich auch kaum dem Glauben zuneigt, daß es ihnen so außerordentlich darum zu

tun wäre, Polen wieder zu erheben, daß sie selbst die Last eines Krieges deshalb auf sich nehmen würden — was man auch von alledem denken mag, so liegt es doch sehr nahe, daß die Westmächte die polnische Frage

sehr leicht als bequemen Vorwand nehmen könnten, um für ihre eigenen speziellen Interessen einzutreten.

Ich denke, wir haben in den letzten

Jahren Erfahrungen gemacht, daß die orientalische Frage keine Chimäre ist, daß sie sehr tief und in reeller Weise in die ganzen europäischen

Verhältnisse eingegriffen hat.

Da ist aber die Position in Polen behufs

der immer näher rückenden und immer mehr andrängenden Lösung eine

gar zu wichtige, als daß sie nicht große Anziehungskraft ausüben sollte.

Außerdem ist mit Recht geltend gemacht worden, daß der Herrscher von Frankreich steter Ableitungsmittcl gewisser Art bedarf, um den Freiheits­

drang seiner Station mit Glorie und Prestige zu stillen, daß er also persönliche

und

dynastische Gründe

hat,

um

solche Begünstigung

der

polnischen Nationalität hiermit zur Schau zu tragen und gelegentlich auch wohl auszubeuten.

Wir kommen also bei dieser Lage der Dinge

in Verivickelungen, die einen

europäischen Krieg denn doch wahrhaftig

als keine Unmöglichkeit erscheinen lassen.

Vkachen wir uns einmal mit

wenigen Worten das klar, wie die Dinge in diesem Falle gegen uns

liegen.

Wir führen den Krieg, wenn wir wirklich durch diese Kooperation

mit Rußland darin verwickelt werden, gegen unsere eigenen Interessen. Das habe ich bereits im vorigen dargetan.

Aber es ist nicht genug,

das materielle Interesse hier in Erwägung zu ziehen; man muß sich klar

machen,

daß ein

europäischer

Krieg

auf der

Seite

Rußlands

nichts

anderes als ein Feldzug für die Nestaurationspolitik ist; wir kämpfen

alsdann für die Wiederherstellung des Absolutismus, wir kämpfen gegen die geschichtliche Grundlage der Entwicklung des eigenen Staats (Bravo!

links), für das alte System, und das wäre ein Kampf, meine Herren,

wo der Sieg beinahe schlimmer wäre als die Niederlage.

(Sehr gut!

links.)

Ich muß sagen, ich kenne keine gräßlichere Stellung eines Volkes, als wenn bei einem großen Kampfe, wo seine Söhne und Brüder auf

das Schlachtfeld geführt werden, sich ein so unseliger Zwiespalt in der ganzen Nation zeigt. Und da schwebt mir der Kampf Österreichs im

Jahre 1859 vor, wo die Wiener Börse jede Niederlage der eigenen Heere

Schulze-Delitzsch.

494

mit einer Hausse begrüßte.

Man darf sich nicht verhehlen, daß bei solchen

Kämpfen, die gegen den Geist der Zeit und die geschichtlichen Lebens­

bedingungen der Völker geführt werden, in vielen Fällen das Einlenken in neue, bessere Bahnen meist von Niederlagen datiert. Nehmen Sie Österreich im Jahre 1859 — ich führte es eben an —,

nehmen Sie

die Krimniederlage Rußlands

in

den fünfziger Jahren!

Die Reformen in Rußland/) die der Regent, der jetzt an der Spitze dieses Staates steht, angebahnt hat, datieren auch von jener Niederlage

her.

Nehmen Sie uns!

Von der

Niederlage

von Jena

datiert der

neue Aufschwung des preußischen Staats. Aber, meine Herren, mehr als eine solche Niederlage kann ein Volk

nicht gut vertragen, und an der Niederlage von 1806, denke ich, haben wir genug und wollen nicht noch einmal durch furchtbare Erfahrungen,

durch furchtbare Opfer auf die gute, auf die segensreiche Bahn und des

wirklichen Fortschritts der Einigkeit zwischen Fürst und Volk gedrängt werden.

(Bravo!)

Weiter, meine Herren, würde in diesem Kampfe wider uns sein die Sympathie aller gebildeten Völker.

verdienen.

Die entsetzliche Rekrutierung, diese

sind hier schon gekennzeichnet worden, wie sie es

Menschen-Razzias^)

Das; solche Dinge zuletzt den Notschrei des gedrängten Volkes,

den Verzweiflungskampf hervorrufen müssen, und daß demselben die all­ entgegenkommt, das ist keine Macht der Erde zu

gemeine Sympathie hindern imstande.

Auch die Maßregeln Rußlands bei der gegenwärtigen Kriegsführung selbst (ich fuße freilich nur auf Zeitungsnachrichten), werden als so un­

menschlich

geschildert,

daß

sie

einen

russischen Offizier,

einen Baron

v. Korff, bestimmt haben sollen, sich das Leben zu nehmen, weil sein humanes Gefühl in Konflikt kam mit seiner militärischen Pflicht.

Ich

habe es als Zeitungsnachricht bezeichnet, ich kann die Bürgschaft dafür

nicht übernehmen; aber ein Licht würde dies, wenn es wahr wäre, — und es ist von keiner Seite widersprochen — auf die russische Kampf­ weise im eigenen Lande werfen, welches dieselbe in den Augen der ganzen Welt brandmarken müßte.

äußersten

Strenge

Man hört andererseits, die Russen seien zur

gezwungen,

die

Empörung

im Lande,

die immer

*) Alexander II. hob 1861 die Leibeigenschaft in Rußland auf. 2) Unter Mißachtung eines kaiserlichen Ukas von 1859 hatte die russische Regierung am 6. Oktober 1862 die willkürliche Aushebung der Dienstpflichtigen in den polnischen Städten, nicht aber auf dem platten Lande verfügt, worauf eine allgemeine Flucht der städtischen Jugend in die polnischen Wälder erfolgte.

wieder auftaucht, könne nur durch solche Maßregeln erstickt werden. Ich will auf all die Kriminationen und Rekriminationen hier nicht weiter eingehen; es ist mißlich, wenn man nicht auf das genaueste unterrichtet

ist, abzuwägen, wie weit auf dieser und auf jener Seite eine Schuld stattfindet. Ich halte den einzigen Satz fest, meine Herren, und ich glaube, Sie stimmen mir darin bei: Wir leben in Zeiten, in denen sehr vieles unmöglich geworden ist, was noch im vorigen Jahrhundert möglich war in der Politik und in sozialer Hinsicht. So ist z. B. eine Kriegs­ führung wie die Ludwigs XIV. an der deutschen Westgrenze, die von dem Herrn Abgeordneten für Stargard gebrandmarkt worden ist, unter ge­ sitteten Völkern nicht mehr möglich, ebensowenig der berüchtigte hessische Menschenhandel, jene schandbare Günstlings- und Mätressenwirtschaft zu Ende des 17. Jahrhunderts, wie sie die deutschen und anderen Höfe be­ fleckte. Wir sind ein Stück weiter gekommen, meine Herren, soviel auch noch zu erstreben bleibt. Nun, und zu den Unmöglichkeiten unserer Zeit rechne ich noch eine, meine Herren: wenn es so weit gekommen ist in einem Lande, daß die Negierung sich nur noch durch den Stock oder durch die Knute oder durch den Säbel behaupten kann, daß das ganze Land permanent in Kriegszustand gehalten werden muß, nur damit die Negierung rhre Herrschaft behaupte: dann, meine Herren, ist eine solche Negierung gerichtet, dann ist sie für die Dauer unmöglich in unseren Tagen. Dergleichen streitet gegen die ganze Anschauungsweise der modernen Zeit. Der Stab ist über sie gebrochen, und kein gesitteter Mensch wird ihr das Recht vindizieren, das Land zur Wüste zu machen. Die Richtig­ keit dieses Satzes hat sich in Italien gezeigt. Das österreichische Stock­

regiment, — wie man sagt, auch aufgedrungen durch Verschwörungen und Revolutionen — die grauenhafte Wirtschaft der dortigen Bourbonen und Lothringer ist auch unmöglich geworden und hat ihr Gericht gefunden, und ich meine, die Zeit ist nicht gar so fern, daß solche Regimente völlig von unserem Kontinent verschwinden, daß sie für immer untergehen, wie sie unterzugehen verdienen. (Bravo!) Der Herr Ministerpräsident hat gestern von der Solidarität der europäischen Revolution hier gesprochen. Nun, wenn er unter derselben jenen Umschwung in den Anschauungen der Zeit, jenes immer stärkere Erwachen des öffentlichen Gewissens meint, dann hat er recht. (Bravo!) Diese Solidarität existiert. Immer bewußter verkettet die Völker gegen­ wärtig die Solidarität von Bildung und Gesittung, und keine Negierung in der Welt, wie stark sie auch sei, kann der Sympathien, die aus dieser

Solidarität entspringen, entbehren.

Sie wird immer die Rechnung ohne

Schulze-Delitzsch.

496

den Wirt machen, wenn es darauf ankommt, sich in großen Krisen be­ haupten zu sollen, die niemals ausbleiben. Der dritte Punkt endlich, dessen ich noch gedenken muß, gleich den

Rednern vor mir, ist die Lage unseres Vaterlandes selbst, in welcher es

den Kampf aufzunehmen hätte, mitten in einem schweren Konflikt zwischen Regierung und Volk.

Ich will die Hemmnisse jeder energischen Macht­

entfaltung nach außen, die darin liegen, nicht weiter verfolgen.

Es ist

der traurigen Analogie aus dem Anfänge der fünfziger Jahre schon ge­ dacht worden;

nur zu dieser erlaube ich mir noch einige Worte hinzu­

zufügen. Die Tatsachen sind nun einmal historisch offenkundig geworden; ein

Rekurrieren darauf wird also nicht gegen die uns empfohlene staats­

männisch-patriotische Vorsicht verstoßen.

Als unsere Regierung damals

jenen berüchtigten Rückzug von Dlmütz antrat,') stand sie viel günstiger als jetzt.

Das damalige Ministerium hatte eine große Partei im Lande

hinter sich; es waren viel bessere Ziele, für die es eintreten wollte: ge­ denken Sie nur der deutschen, der hessischen, der schleswig-holsteinischen Fragen.

Ich sage nicht, daß Wir durchaus jenen Standpunkt teilten:

aber man muß doch zugcstehen, daß die Dinge damals andere waren, als für die wir jetzt eintreten müßten, daß sie unserm Interesse näher

lagen; und dennoch, meine Herren, ist man zu dem Rückzug gekommen. Nun meint man vielleicht seitens der Regierung, man müsse nur in der Sache etwas kühn vorgehen; ein fait accompli im Sinne des Herrn

Ministerpräsidenten würde die Westmächte bald dahin bringen, daß sie von ihrer Einsprache, wenn die Dinge einmal geschehen wären, zurück­ treten.

Es ist wahr, mit solchen faits aceomplis hätte man zu ver­

schiedenen Zeiten verschiedene Dinge, große Interessen und Ziele wahrhaft preußisch-deutscher Politik erreichen können und das ganze Volk dabei hinter sich gehabt.

Aber, meine Herren, wenn das Ministerium wesentlich basiert ist

darauf, daß es die Verletzung unserer Verfassung im eigenen Lande zum fait accompli macht, dann kann es nach außen hin nun und nimmer­

mehr mit dergleichen vollendeten Tatsachen debütieren; das Eine schließt

das Andere aus.

(Sehr wahr!)

*) Preußen gab in Olmütz am 29. November 1850 Kurhessen und SchleswigHolstein gemäß den österreichischen Wünschen preis; allerdings setzte es dagegen die Loslösung der Beratung der deutschen Reformfrage vom Bundestage und ihre Überweisung an die demnächst nach Dresden zu berufenden „freien Kon­

ferenzen" durch.

Freilich könnte man sich einen sehr unnötigen Rückzug ersparen,

wenn man auf den Rat der Volksvertretung einginge, dem Gehör zu als den Drohungen des Auslands.

geben doch weniger demütigend ist

Aber ich gestehe, ich gebe mich dieser Hoffnung nicht hin nach dem, was wir hier gehört haben. Nun, meine Herren, komme ich aber zu einem weiteren größeren Gesichtspunkt, der in dieser Frage seine entschiedene Berechtigung hat,

und Sie werden mir gestatten müssen, diesem einige Minuten zu widmen. Der Herr Ministerpräsident hat schon bei Gelegenheit der Interpellation

des Herrn Abgeordneten Kantak (Bromberg)

darauf hingeführt, und

heute ist die Sache sehr eingehend von dem geehrten Mitgliede für Stargard ausgenommen worden.

Es handelt sich hier, wie denn keine europäische

Frage mehr ohne dieses Prinzip diskutiert werden kann, um die Nationalität, um die Position, die wir den polnischen Bestrebungen gegenüber hier als Preußen, als Deutsche einzunehmen haben.

Der Herr Abgeordnete für

Stargard ist so gütig gewesen, auf eine Rede von mir Bezug zu nehmen^),

die er, wie es mir schien, dem Kommissionsantrag entgegen stellen wollte,

wodurch er mich also, insofern ich für diesen stimme, in Widerspruch mit mir selbst zu verwickeln gedachte. daraus mitgeteilt hat.

Ich bedaure, daß er nur einige Stellen

Ich mute ihm zwar nicht zu, die ganze Rede zu

lesen, aber einige Stellen, die gerade für die gegenwärtige Frage bezeich­

nend sind, wurden nicht vorgelesen. Herrn Ministerpräsidenten ist der:

helfen;

Sein Gesichtspunkt „Wir

wir müssen um jeden Preis

müssen

wie der des

unbedingt Rußland

den Auf stand im russischen Polen

mit niederwerfen, weil sich in letzter Perspektive die Wiedergeburt Polens

daran knüpfen könnte.

Ein selbständiges Polen ist aber eine Macht, die

mit unseren Interessen notwendig in Konflikt treten muß, indem es eine stete Begehrlichkeit

nach

Landesteilen zeigen würde.

den

an

uns

gekommenen

früher polnischen

Daher müssen wir seiner künftig möglichen

Konstituierung schon im Keime entgegenwirken."

Nun, meine Herren, ich gestehe nun, daß ich vollkommen auf einem anderen Standpunkt stehe, und dennoch nicht im mindesten mit dem von mir

früher eingenommenen, in jener Rede entwickelten in Widerspruch gerate. Ich bin dem Herrn Abgeordneten für Stargard zu außerordentlichem Danke verbunden, weil sich mir hier die Gelegenheit bietet, jene Stellung *) Am 16. Februar 1863. Sie behandelte den aus Anlaß des Polnischen Aufstandes von den obersten Behörden der Provinz Posen veröffentlichten Erlaß, der vor der Beteiligung warnte. 2) Rede vom 22. September 1862. Vgl. S. 474 f. Schulze-Delitzsch, Schriften und Neben. III. 32

498

Schulze-Delitzsch.

sowohl für mich wie für meine sämtlichen politischen Freunde in einem

Punkte zu wahren, um dessen willen man uns gern verdächtigen möchte, daß wir nämlich, um unseren polnischen Sympathien gerecht zu werden,

unsere Pflicht als Deutsche, als preußische Abgeordnete verabsäumten und nicht fest und treu auf unserem nationalen Standpunkte, wie er nun

einmal gegeben ist, beharrten.

Ich würde mir ohne seine Jnterzession die Freiheit genommen haben, darauf so speziell, als ich dies nunmehr tun kann, einzugehen.

Nach dem

von ihm Verlesenen brauche ich kaum ein Wort zu verlieren, daß ich als erste unverrückbare Pflicht unseres Staates die Verteidigung der früheren polnischen Landesteile, die jetzt zum Königreich Preußen gehören, anerkenne.

Jede Erhebung der Polen, welche antastet diese unsere Landesgrenze,

verletzt die deutsche Nationalität und tritt in Konflikt mit wohlberechtigten preußischen und deutschen Interessen, und dem müssen wir entgegentreten mit Gut und Blut, unter jeder Bedingung.

Dabei bleibe ich und diese ganze Seite dieses Hauses! (Zur Linken.) Sie nennt sich die Deutsche Fortschrittspartei, und ich wüßte nicht, wie

einer von uns Anspruch haben sollte auf diesen Namen, welcher diesen

Standpunkt nicht teilt.

(Bravo!)

Nun, meine Herren,

aber zur andern Seite.

Ich habe bei jener

Gelegenheit ferner gesagt — hoffentlich ist es mir gestattet, diese wenigen Worte hier zu verlesen.

(Zustimmung.)

„Gewiß wird ein Volk, wie das deutsche, selbst in schwerem Ringen um seine nationale Existenz, nicht geneigt sein usw. einer

fremden Nation ihr Bedürfnis nach nationaler Wiedergeburt und ihr Recht

dazu irgendwie verkümmern zu wollen.

namentlich

dem Mut und

dieser Beziehung

können.

durchaus

Wir werden

der zähen Ausdauer der Polen in

unsere Anerkennung

nicht

versagen

Aber, meine Herren, daraus folgt noch nicht, daß wir

im Zusammenstoß unserer eigenen Nationalität mit der fremden uns unserer Sympathien wegen befugt halten können, an der

eigenen Nationalität zum Verräter zu werden usw." Weiter habe ich den Polen damals zugerufen: „Wie wir den Bestrebungen Ihrer Nationalität innerhalb der gehörigen Schranken" (über die ich mich vorher ausgesprochen

hatte)

„vollkommen unsere Sympathien widmen können, sobald

dieselben die nationale Existenz unserer Landsleute nicht antasten,

so müssen wir, wenn Sie das tun, Ihnen um jeden Preis und unter jeder Bedingung entgegentreten.

Die Einsichtigen auf beiden

Seiten können diesen Konflikt nur beklagen; er ist gegen das

Interesse beider Völker usw." Nun, meine Herren, ich wüßte nicht, wie ich mit diesen Ansichten im mindesten in Widerspruch käme und wie unsere Partei mit ihren

bekannten Grundsätzen in Widerspruch käme,

wenn

sie jetzt

für

den

Kommissionsantrag stimmte.

Im Gegenteil ist darin bereits der engherzigen Weisung das Urteil gesprochen: daß wir der Menschenpflicht und Gerechtigkeit entgegentreten

und für die russische Regierung Partei ergreifen sollen, weil uns künftig

etwa von den erstehenden Polen irgendwie Gefahren erwachsen können! Nein, meine Herren,

gegen

eine solche engherzige

kleinliche

und

Auffassung verwahre ich uns, verwahre ich namentlich das Prinzip der

eigenen

nationalen

Erhebung.

Gerade so

deduzieren

gewisse

andere

Mächte, denen die Einheit Deutschlands auch als eine Bedrohung ihrer Machtstellung scheint, gegen uns.

Wir würden mit uns selbst in Wider­

spruch kommen und unseren Gegnern Vorschub leisten, wenn wir von unserer Stellung aus uns darauf eiuließen. Jene preußischen Provinzen,

weil sie dem Germanisierungsprozeß entschieden verfallen sind, und weil

wir die deutschen Interessen darin zu schützen haben, halten wir ein für Aber wenn wir uns denn einmal auf die Zukunstspolitik

allemal fest.

einlassen wollen, deren Perspektive die Gegner uns eröffnet haben, so behaupte ich, es sprechen sehr reale Interessen,

welche

durchaus

keine

hohle Sympathie sind, recht wesentlich dafür, daß wir weit eher für ein

solches künftig zu konstituierendes Polen als dagegen Partei zu nehmen

haben.

Ich muß gegen die sogenannte schwächliche Humanität, deren der

Abgeordnete v. Vmcke gedachte, protestieren und den Begriss etwas näher desinieren.

Als eine solche erkenne ich nur die an, welche den nationalen

Standpunkt,

den

berechtigten

Egoismus,

jedes Volk

dessen

zu seiner

Existenz bedarf, verleugnet, denn die Nationalität selbst ist ja die einzige geschichtliche Form der Humanität; es gibt ja keine anderen Träger der Humanität, als die Nationen.

Aber die rechte Humanität — Gott sei

Dank! das wollen wir Deutsche nicht versäumen, bei jeder Gelegenheit

geltend

zu

machen



kann

mit

dem

Geltendmachen

Nationalität nie und nimmer in Konflikt kommen!

weise dasjenige Volk strebungen,

des europäischen Kontinents,

dessen politischer Wiedergeburt

der

deutschen

Wir sind vorzugs­ dessen ganzen Be­

ein so tiefes Humanitäts­

interesse zugrunde liegt, als bei keinem anderen.

(Bravo! links.)

Es ist vorzugsweise dem deutschen Geiste eigen, daß er in seinen politischen und sozialen Forderungen, in dem echt menschlichen Inhalt,

32*

Schulze-Delitzsch.

500 mit dem er seinem

bestrebt

ist

in

Widerspruch

Forderungen der Humanität!

Meine Herren!

die Staatsform zu erfüllen

eigensten Wesen nach

niemals

gebracht

werden

kann

mit

den

(Bravo!)

Ich glaube nicht an eine Konstituierung Polens vor

einer Konstituierung Deutschlands.

Ich glaube nicht daran, denn die

fremden Mächte, auf die man sich dabei stützt seitens der Polen, haben kein Interesse, kein wahres, wirkliches, reales Interesse, wie wir, und ich

meine, die Polen haben in dieser Beziehung bereits genügende Erfahrungen gemacht.

Zu was hat man sie gebraucht?

Wozu braucht der Herrscher

im Westen überhaupt den Nationalitätskultus?

Wir sehen es in Italien,

wie treu er ergeben ist, wo er allein die nationale Konstituierung hindert.

Schon sein großer Vorgänger hat die nationalen Synipathien der Polen zu nichts anderem gebraucht, als ihre Sohne auf die Schlachtfelder seines

Ehrgeizes zu führen. (Sehr wahr!) Das ist natürlich, und ebenso natürlich ist cs, daß von einem kon­ stituierenden Deutschland die Polen ähnliches nun und nimnicrmehr zu fürchten haben. den Frieden

Wir sind kein Volk, das aus leerem Ehrgeiz fortwährend

gefährdet und auf Eroberungen

durch Blut

und Eisen

ausgeht.

Unsere Eroberungen sind die der Kultur. willig unsere Nachbarn

heraus,

wenn man

Wir fordern nicht mut­

in Frieden

uns

läßt in

unseren Grenzen, wir kämpfen nicht für leere Phantome.

Deutschland,

das

wiedererstandene Deutschland

ist

bestimmt,

Schild der Gerechtigkeit für den ganzen Kontinent zu erheben,

Völker,

die

daraus

ihre

eigenen

berechtigten

den

und die

nationalen Bestrebungen

stützen, sind nie dem ausgesetzt, als wenn sie mit dem französischen Ehr­

geiz Bündnisse schließen!

(Lebhaftes Bravo! links.)

Und ich meine wirklich,

reale Interessen liegen vor,

gerade ein

solches Bündnis in Zukunft mit Polen zu fördern. Wenn erst Deutschland und Polen konstituiert sind, meine Herren, dann ist es mit der Kabinettspolitik vorbei, welche die Völker trennt und gegeneinander hetzt, dann wird eine nationale Politik die Völker einigen,

daß sie nicht gegeneinander sondern neben- und miteinander im fried­

lichen Wetteifer ihre Kräfte versuchen.

Ein friedlicher Grenzverkehr,

intellektuellen Güter,

ein Austausch

eine Gemeinschaft der

der

geistigen

materiellen und

und

materiellen

Errungenschaften wird stattfinden und wird die alten Erinnerungen des Hasses unter den Nationalitäten vertilgen, indem sie sie ihre wahren

Interessen erkennen lehren.

(Bravo!)

Aber, meine Herren, selbst wenn dem nicht so wäre, wenn der Über­

gang dahin nur durch Kämpfe zu bewerkstelligen wäre, so meine ich, ist

es unserer dennoch nicht würdig, uns durch einen solchen möglichen sriedlichen Anprall der Polen von dem, was die Gerechtigkeit fordert, abhalten zu lassen.

Ich denke, dem sind wir Preußen allein schon gewachsen, wenn er

meine,

daß ebenem ganz Deutschland in

diesem Kampfe uns zur Seite steht.

Und aus solchen kleinlichen Rück­

uns geboten wird,

und

ich

sichten möchte ich nicht, daß wir unsere eigenen nationalen Bestrebungen

irgendwie im Keime befleckten, Druck

untröstlicher

jetzt, wo dieser Keim mitten unter dem

Gegenwart

im

freudigsten

Gedeihen

emporschießt.

(Lebhaftes Bravo.)

Hiernach, meine Herren, nach dem wenigen von mir Gesagten, er­

gibt sich die Stellung, die wir zu dem Kommissionsantrage und den ver­ schiedenen

Amendements

Amendement

einzunehmen

haben,

von

des Herrn Abgeordneten v. Bonin,

selbst.

Ja,

dem

tote er uns dasselbe

entwickelt hat, würde ich recht wohl beitreten können, wenn ein Ministeriunr v. Bonin auf der Ministerbank uns gegenüber säße!

(Große Heiterkeit.)

Dann hätte ich kein Bedenken dagegen, da sein Inhalt im Grunde

der Sachlage

entspricht.

Aber,

meine Herren,

dem

jetzigen

Staats­

ministerium gegenüber müssen Sie mir erlauben, daß ich nicht so denke.

Ich meine, hier haben wir uns zu wahren und müssen sehr auf unserer

Hut feilt, daß nicht Dinge, die an sich ihre entschiedene Berechtigung

haben, gemißdeutet und gegen unseren Sinn ausgebeutet werden.

Meine

Herren, wir alle wollen den Schutz der Grenze.

Wer will das nicht!

Wir alle glauben, daß die Regierung ver­

pflichtet, nicht nur berechtigt ist, sowie solche Dinge sich ereignen, wie

der polnische Aufstand, die nötige Besetzung an der Grenze, die nötige

Obacht im Lande stattfinden zu lassen, um sowohl die Gefährdung der Grenzbewohner als die Verschleppung des Aufstandes in unsere Provinz

zu verhüten.

Aber, meine Herren, wenn Sie sagen: „die Regierung soll

sich lediglich auf die zum Schutze der preußischen Landesgrenze erforder­ lichen Maßregeln beschränken und jede darüber hinausgehende Einmischung vermeiden", so meine ich, wir haben von dem Jnterpretationstalent des Herrn Ministerpräsidenten solche Proben erhalten in bezug auf die Ver­

fassungsurkunde, daß ich keine Minute Zweifel hege, diese Bestimmung wird zu der Erwiderung Anlaß geben: ja, alles, was wir getan haben, auch die Kooperation mit Rußland, ist eben zum Schutze der Grenzen geschehen, wie ihr das selbst verlangt!

(Heiterkeit links.)

502

Schulze-Delitzsch. Ich halte es nicht für notwendig, die Königliche Regierung jetzt auf­

zufordern, überhaupt die Grenze zu schützen.

Das ist ja bereits geschehen,

und die meisten von uns meinen, es sei eher zu viel als zu wenig in dieser Beziehung geschehen.

Das ist ja aber der Grund der Differenz,

die Basis des ganzen Antrags. Ich möchte also diesen Punkt, der keinen praktischen Wert in diesem

Augenblick hat, da alles, was in dieser Beziehung notwendig, geschehen

ist, weglassen, er bietet nur zu jenen Interpretationen der kühnsten und

bedenklichsten Art eine Handhabe, die ich bereits bezeichnet habe.

Das Amendement des Herrn Abgeordneten v. Vincke habe ich durch­ aus nicht nötig näher zu kritisieren, da er uns seinen ganzen Stand­

punkt in ausreichendster Weise klar gemacht hat.

Ich glaube, daß die

meisten im Hause diesen Standpunkt nicht teilen. daß

unsere Negierung

die russische Regierung

diesem Kampfe begünstigt.

Er ist offen dafür,

unterstützt

und

sie in

Sie soll nur nicht so weit gehen, daß die

russischen Truppen das preußische Gebiet zum Zwecke der Verfolgung der polnischen Jnsnrgenten betreten dürfen.

Sonst will er die llnterstützung,

der

erwähnten

einzigen Ausnahme, die er in seinem Amendement feststellt.

Wer also

die Kooperation,

oder wie man es

nennen will,

mit

überhaupt die Intervention, Kooperation nicht will, kann selbstverständlich für das Amendement nicht stimmen.

Ich gehe nun zu dem Amendement des Herrn Abgeordneten v. Bockum-

Dolffs über.

Das Amendement unterscheidet sich nicht in einem einzigen

wesentlichen Punkte von dem Kommissionsantrag.

Es ist nun eine bessere Fassung

(Sehr richtig! rechts.)

und gerade, meine Herren,

um

einem Einwande, der aus Ihren Reihen kam (zur Fraktion Vincke ge­ wendet), vorzubeugen, nämlich: man solle nicht die russische Regierung als befreundete Macht und die Aufständischen nebeneinander stellen, das

ist hier vermieden.

Um dieser staatsrechtlichen Rücksicht, gegen die ich

durchaus nichts einzuwenden habe, entgegenzukommen, hat der Abgeordnete v. Bockum-Dolffs, indem er den Sinn und die Tragweite des Kommissions­

antrages wohlbewußt beibehielt, die Fassung verbessert.

Meine Herren,

ich erachte dies jenen Bedenken gegenüber, auf die ich selbst, offenherzig

gestanden, nicht gekommen wäre, für zweckmäßig, und ich erkläre meiner­ seits und glaube damit nicht im Widerspruch mit meiner Einschreibung

für den Kommissionsantrag zu stehen, für diesen Antrag zu stimmen, da

er sich in jeder Hinsicht als verbesserter Kommissionsantrag empfiehlt, wie ich, obgleich ich Mitglied der Kommission gewesen bin, nicht eine

Minute Anstand nehme, zu bekennen.

Erlauben Sie mir nur noch ein ganz kurzes Schlußwort, es scheint mir durch die Situation dringend geboten. Mitten in dem Kampf um unsere

verfassungsmäßigen Grundrechte trifft uns diese große, diese europäische Da mag man von mancher Seite wohl meinen — es hat schein­

Frage.

bar etwas für sich —: Ihr seid in dem Ringen, in dem Kampf um das

Nächste

gewissermaßen um eure politische Existenz begriffen, um das, Wie kommt ihr dazu, anstatt euch darauf zu

was euch zumeist not tut.

beschränken, eure Kräfte darin zu konzentrieren, Fragen der auswärtigen Politik von so weit greifender Bedeutung gegenwärtig in eure Wirksam­

keit hineinzuziehen? Ich glaube, meine Herren, einerseits sind die wichtigsten Landes­ interessen bei dieser großen Frage

daß die Volksvertretung

unmöglich

denn

doch

in einer Weise beteiligt,

dazu schweigen

kann.

Die ganze

Geltung und Stellung Preußens Europa gegenüber, Ruhe und Friede, die Bedingungen unserer materiellen Entwickelung, stehen hier in einem

Grade auf dem Spiele, daß mir unsere Stimme unter allen Umständen dabei erheben müssen.

Daß wir dies in keinem Augenblick, wie ungünstig,

wie gefährdet unsere Stellung nach innen auch sein mag, vergessen, das

wird dem Lande und uns zugute kommen.

Der Notstand, in dem wir

und die Landesverfassung uns in gewissem Sinne gegenwärtig besinden, soll nicht dazu führen, daß er unseren politischen Gesichtskreis irgendwie

beengt.

Wir haben dem Lande zu beweisen, daß, während man uns den

sicheren Boden zu unseren Füßen entziehen mochte, wir eine klare Anf-

fassung im Hinblick ans die europäischen Verhältnisse behaupten, die hier eingreifen, und die Fragen, wie es der preußischen Volksvertretung ge­ ziemt, im großen Sinne behandeln. kunft

unseres

Vaterlandes

Wir verlieren dabei die ganze Zu­

keinen Augenblick aus dem Auge.

Denn,

meine Herren, obgleich man uns die Gegenwart bestreitet — wir wissen, diese Zukunft gehört uns!

(Bravo!)

In dem sicheren Gefühl, daß dem so ist, haben wir auch in dieser Frage nochmals

uns der Zustimmung Europas zu versichern, die uns

schon früher, bei dem Kampfe um unser verfassungsmäßiges Recht, in

einem noch nicht dagewesenen Maße zuteil wurde. Es wird uns den Kampf um die engereu Interessen unseres Vater­

landes erleichtern, wenn wir in der öffentlichen Meinung der gesitteten Welt einen Alliierten uns erhalten, den man respektieren wird seitens

unserer Regierung, früher oder später.

Daher wiederhole ich nochmals:

das Volk kennt uns, das Volk kennt die Herren auf der Ministerbank

uns gegenüber, unseren Standpunkt in dieser und jeder anderen Frage.

Schulze-Delitzsch.

504

Ob unser Wort diese oder jene unmittelbare Wirkung haben wird oder nicht an entscheidender Stelle: wir haben das Unsrige getan.

Und wenn

unser Vaterland vor einem großen europäischen Konflikt bewahrt wird — einen Teil davon hat es uns zu danken,

ob man dies auch von

feiten der Herren Minister niemals zugestehen wird.

(Bravo!)

(Klatschen

auf den Tribünen.)

Die Debatte wurde erst am folgenden Tage geschlossen und das Amendement v. Bockum-Dolffs mit 256 gegen 57 Stimmen angenommen.')

0 In Ansprachen an die deutschen Genossenschaften in der Provinz Posen hat sich Schulze später noch in den Jahren 1872 und 1874 über das Nationalitäts­ prinzip ausgelassen. Vgl. Bd. I S. 575 und 578.

Register. Die Zahlen bedeuten die Seiten.

Sch. D. == Schulze-Delitzsch,

A. Mgeordnetensest, Das in Köln 239, 423. Abgeordnetentage 184 ff. Der A.-T. von 1863 S. 200 ff. Der 3. A.-T. vom 20. Mai 1866 S. 282 ff. Entstehung und Wirksamkeit der A.--T. 309 ff.

Absolutismus bankerotte Firma 42 f. Albrecht, W., Advokat auS Hannover und Mitglied des Nationalvereins 139, 141, 147. Ammermüller Dr. S , Fabrikant in Stutt­ gart 160f. ArbeiterbtldnngSverein in Leipzig 239. Arnim Graf, 1849 Abg. für Prenzlau 83. Arntz, Abg. für Kleve in der Berliner Nationalversammlung. Sein Antrag betr. die Wahl des Reichsverwesers durch die Paulskirche 17, 64 f.

v. Auerswald, R., Lberpräsident in Königs­ berg 11. Ministerpräsident 16. Seine Demission 37.

B. Bankerotte Firma — Absolutismus 42 f.

Basch, Redakteur in Wien 440.

Bebel August 240. Becker Dr. H., Redakteur in Dortmund 205, 207, 218, 242, 246, 300, 460. Belcredi Gras Rickard, österreichischer Akinisterpräsident 243.

Benedek Feldzeugmeister, Führer der öster­ reichischen Nordarmee im Kriege von 1866 S. 292.

v. Bennigsen, Rudolf. 136,139,141,143, 146, 147, 150, 161, 196 ff., 218, 237, 239, 241, 245, 250, 261, 300s. 304f. Berends, Abg. für Berlin in der Berliner Nationalversammlung von 1848, Buch­ druckereibesitzer (Linke) 3. Sein Antrag auf Anerkennung der Märzrevolution 7.

a. = Anmerkung.

i v. Berg Philipp, Kaplan, Abg. für Jülich (linkes Zentrum in der Berliner National­ versammlung von 1848) S. 28, 103. Bernhardi Dr. med. in Eilenburg, Schulzes Stellvertreter in der Berliner Nationalversammlung 59, 65. v. Bernstorff, preußischer Minister des Auswärtigen 192, 333, 467. v. Bethusy Huc, Graf, Abg. für Kreuz­ burg im Preußischen Abgeordnetenhaus 334. Biedermann, Professor in Leipzig und Mitglied des Nationalvereitts 234. v. Bismarck Otto. 117, 192 f. 218, 238, 247 ff., 281, 299ff., 317, 368, 373f., 387 f., 390ff., 397, 401 ff., 419, 423, 458 f., 482 ff. v. Blanckenburg Moritz, Vertreter für Naugard im Preußischen Abgeordneten­ haus 388, 399 ff., 402. Bluntschli I. C., Professor des Staatsund Völkerrechts in Heidelberg 184 f., 312f. v. Bocknm DolffS, Vertreter von HammSoest und Vizepräsident des Preußischen Abgeordnetenhauses 483, 502, 504. v. Bodelschwingh, preußischer Minister des Innern bei Ausbruch der Märzunruhen, Abg. für Soest in der Zweiten preußischen Kammer von 1849 S. 67.

Böhmert Viktor 432. v. Bonin, Vertreter von Genthin im Preußischen Abgeordnetenhaus 474,482, 501. Born aus London, Mitglied des National­ vereins 182 f. v. Borries, 1859 hannoverscher Minister 131, 181. Bornemann F. W. L., preußischer Justiz­ minister im Ministerium Camphausen 60. Brandenburg Graf, Ministerpräsident 50, 57, 81, 395.

Schulze-Delitzsch.

506

Duncker, Franz, Abg. f. Berlin in der

Braun

Karl aus Wiesbaden, Mitglied der Zweiten nassauischen Kammer 246, 305, 440. Braunfels Dr. Ludwig aus Frankfurt am Main. Mitglied des Naüonalvereins 177 f.

Berliner Nationalversammlung. Sein Antrag zum Schutz der bedrohten Volks­ freiheit inWienvom31.Okt. 1848 S.48f. Mitglied des Nationalvereins 141, 245, 254, 298, 301, 305 f.

Brinz Professor Dr. jur. in Prag. Öster­

E.

reichischer Politiker 184.

Bucher Lothar.

Eckardt, Prof, aus Karlsruhe 220,252, 300. Egestorfs, Georg, Fabrikant in Hannover

Bürgers H. aus Köln,

Eichler, Maschinenarbeiter in Berlin 198. Einheit nach außen Voraussetzung für

Abg. für Stolp in der Berliner Nationalversammlung (linkes Zentrum) 64f.

147.

Mitglied des Nationalvereins 254, 328, 408, 410, 414, 420, 423 f. Bürgerwehr. Der Konflikt der Berliner B. mit Arbeitern am 16. Oktober 1848 S. 43 ff. 57 ff. 61.

die Freiheit im Innern 39 f. E. und Freiheit 181, 184. Eisenach. Erklärungen in E. vom 17. 7. und 14. 8. 1859 S. 136f., 140 f , 160., 164f.

C.

Elkemann, Abg. in der Berliner National­

Camphausen, Ludolf.

versammlung 43, 45.

Mitglied des Märzministeriums von 1848 S. 3, 11.

Elsner, Abg. für Hirschberg in der Berliner

Carey, Henry 417. v. Carlowitz, Abg. für Görlitz im Preu­

^Nationalversammlung vonl ^48 (Linke) 9.

Erbkaiserpartei 142 f. Ernst II., Herzog von Sachsen-Koburg

ßischen Abgeordnetenhaus 386, 389, 482.

Cetto

Karl, Mitglied der Fortschritts­ partei, 1866 Mitbegründer der National­ liberalen Partei 252.