Hayren-Dichtung und Minnesang: Ein struktureller und motivgeschichtlicher Vergleich 9783737003391, 9783847103394, 9783847003397

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Hayren-Dichtung und Minnesang: Ein struktureller und motivgeschichtlicher Vergleich
 9783737003391, 9783847103394, 9783847003397

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Hasmik Melkonyan

Hayren-Dichtung und Minnesang Ein struktureller und motivgeschichtlicher Vergleich

Mit 8 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0339-4 ISBN 978-3-8470-0339-7 (E-Book) © 2014, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: David mit Saiteninstrument. Quelle: Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, Handschrift Nr. 5000: Awetaran (Evangeliar), o. O. 13. Jh., 336 Blatt, Masse: 20 x 15 cm, Schrift: Bolorgir (Rundschrift), Blatt 127a. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Meiner Familie in Liebe und Dankbarkeit

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 15

I. Einführung: Hayren-Dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffserklärung: Zu den Begriffen հայրէն (hayre¯n / hayren), հայրէն ասել (hayre¯n asel / hayren singen, vortragen), հայրենի կարգաւ (hayreni kargaw / hayren-Reihe) . . . . . . . . . . . . . . 2. Form der hayrenner: Versbau, Reimform und Strophenreihen . . 3. Überlieferung der hayrenner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Textvarianten der hayrenner . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Überlieferung der hayren-Reihen . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die hayren-Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Überlieferung der Melodien zur hayren-Dichtung . . . . . . . . . . 4.1 Die mittelalterliche armenische Notenschrift: xaz (Mrz.: xazer) 4.2 Tałaranner: Überlieferung der hayren-Melodien . . . . . . . . 4.3 Vortrag der hayrenner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ursprung der hayren-Dichtung: Die Frage nach Autoren . . . . . . 6. Editionen der hayren-Dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

II. Vergleiche der einzelnen Gattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Werbelied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Werbelieder des mittelalterlichen Armeniens . . . . . . . . 1.2 Werbelieder in der mhd. Liebeslyrik . . . . . . . . . . . . . 1.3 Motivparallelen und Differenzen im Vergleich armenischer und deutscher Werbelieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Minneklage im Minnesang und in der hayren-Dichtung . . . .

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57 57 57 68

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70 74

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19 25 29 29 31 34 36 38 38 43 47 49 52 54

8

Inhalt

3. ›Minnelied‹ des Minnesangs und ›Sirerg‹ der hayren-Dichtung . 3.1 Die Bedeutungsebenen des Begriffs ›se¯r‹ (Liebe) im armenischen Mittelalter: Liebe zu Gott und Liebe zur Frau . 3.2 Zur Bedeutung ›minne‹ im Minnesang . . . . . . . . . . . . . 3.3 Motive und Auffassungen über die Liebe . . . . . . . . . . . 4. Frauenpreislied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Zur Bedeutung des Körpers im Mittelalter . . . . . . . . . . . 4.2 Frauenpreislieder in der hayren-Dichtung . . . . . . . . . . . 4.3 Frauenpreislieder in der mhd. Minnelyrik . . . . . . . . . . . 4.4 Motivparallelen und -differenzen zwischen armenischen und deutschen Frauenpreisliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. ›Frauenlied‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 ›Frauenlieder‹ in der hayren-Dichtung . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Gattung ›Frauenlied‹ im Minnesang . . . . . . . . . . . . 5.3 Motivparallelen und Differenzen zwischen armenischen und deutschen ›Frauenliedern‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Tagelied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Zum Gattungsbegriff ›Tagelied‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Motive des Tagwerdens, des Lichts und der Finsternis in der armenischen geistlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Tagelieder in der Liebeslyrik des mittelalterlichen Armeniens 6.4 Tagelieder in der mhd. Liebeslyrik . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Motivparallelen und Differenzen in armenischen und deutschen Tageliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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78 81 83 89 89 93 103

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108 122 122 130

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161 169

III. Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gesellschaftlichen Strukturen im mittelalterlichen Armenien und in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Armenien: Die Darstellung der hierarchischen Struktur der Gesellschaft und die Verknüpfung mit der politischen Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die hierarchische Struktur der Gesellschaft in Deutschland . . 1.3 Liebe, Ehe und Ehebruch im mittelalterlichen Armenien und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Stellung der Frau im armenischen und deutschen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anstöße aus der antiken Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 177

177 182 183 190 197

9

Inhalt

3. Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Armenisch-Apostolische Kirche im historischen Kontext 3.2 Die Anstöße der christlich-religiösen Literatur auf die armenische und deutsche Minneauffassung . . . . . . . . . . 4. Mögliche literarische Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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202 202

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206 214

IV. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Texte und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hayrenner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Armenische Liebeslieder des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . .

225 225 225

Verzeichnis der Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hilfsmittel: Lexika, Literaturgeschichten und Wörterbücher 3. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Textausgaben in armenischer und russischer Sprache . . . 6. Hilfsmittel: Lexika, Handbücher, Literaturgeschichten und Wörterbücher in armenischer Sprache . . . . . . . . . . . . 7. Forschungliteratur in armenischer und russischer Sprache .

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267 267 270 271 286 286

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

295

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2011 vom Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Für die Publikation wurde diese Untersuchung geringfügig überarbeitet und um eine zweisprachige Anthologie der herangezogenen mittelalterlichen armenischen Liebeslieder, hayrenner ergänzt. Zu herzlichem Dank bin ich vor allem meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Volker Mertens, verpflichtet. Er förderte meine Entscheidung für einen strukturellen und motivgeschichtlichen Vergleich zwischen der hayren-Dichtung und dem Minnesang und unterstützte mich mit Engagement, fachlichem und menschlichem Rat. In allen Phasen des Entstehungsprozesses betreute er diese Arbeit immer wieder ermutigend und geduldig und gab mir stete Unterstützung und Orientierung. Ich möchte mich ebenfalls bei Frau Prof. Dr. Franziska Wenzel für die Übernahme des Zweitgutachtens, sowie bei Herrn Prof. Dr. Christoph Koch, Herrn PD Dr. Ralf Schlechtweg-Jahn und Herrn Dr. Bastian Schlüter für ihr Mitwirken in der Prüfungskommission bedanken. Mein herzlicher Dank gilt auch dem Handschriftenarchiv Matenadaran für die Publikationserlaubnis der Abbildungen. Weiterhin möchte ich mich bei Frau Dr. Monika Costard für die Hilfe beim Korrekturlesen sowie für produktive Gespräche und Anregungen herzlich bedanken. Schließlich gilt mein Dank allen meinen Freunden, die mich während der gesamten Zeit ermutigten und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Am allermeisten möchte ich aber meiner Familie, meiner Tochter Gohar, meinem Sohn Narek und vor allem meinem Mann Ara danken, mit deren Hilfe die Verwirklichung dieses Buches überhaupt zustande gekommen ist. Ihnen widme ich dieses Buch. Berlin, im Mai 2014

Hasmik Melkonyan

Einleitung

Die Menschheit beschäftigt sich seit uralten Zeiten mit dem Phänomen der »Geschlechterliebe«. Werben und Preisen sind feste Bestandteile der Liebesdichtung und umfassen Vergleiche und Superlative der inneren und äußeren Eigenschaften der geliebten Person. Die Liebeslyrik der Weltliteratur liefert zahlreiche anschauliche Beispiele der Beschreibung der Schönheit der Frau. Sowohl in der altägyptischen, altorientalischen als auch in der antiken und mittelalterlichen europäischen und orientalischen Liebesdichtung preist das lyrische Ich die besungene Frau, bezeichnet sie als Beste und Schönste, um auf diese Weise zu begründen, warum das lyrische Ich ausgerechnet die Liebe dieser Frau gewinnen will. Die Frau wird über andere Frauen gestellt: Die Eine, Geliebte, ohne ihres Gleichen, schöner als alle Welt.1

Es werden ihre körperlichen Merkmale (Augen, Haut, Lippen, Hals, Brust, Haar, Arme, Finger, Hüften und Schenkel) wie auch ihre inneren Werte gepriesen: Die tugendleuchtende, strahlenhäutige Mit Augen, die klar blicken, Mit Lippen, die süß sprechen. Sie hat kein Wort zu viel.2

Während dieses Preisen der Frau zeitlos ist und in jeder Epoche und bei jedem Volk in ähnlicher Weise erfolgt, sind die Definitionen der Liebe und ihre Reflexion stark von gesellschaftlichen Lebensformen, sozial-geistigen und realhistorischen Voraussetzungen geprägt und getragen. Abhängig von der Zeit und Kultur wird die körperliche oder die seelische Liebe in den Vordergrund gerückt. In der Kultur des Alten Orients zum Beispiel fällt auf, dass »von früh an die Verfeinerung und Kultivierung des sexuellen Triebes durch Erotik im Sinne einer Liebeskunst einen wichtigen, positiven und selbstverständlichen Platz […] ein1 Zitiert nach »Altägyptische Liebeslieder« (1950), übersetzt von Schott, S. 39. 2 Ebd.

14

Einleitung

nehmen. Zarte Gefühle werden aber in dieser frühen Zeit zusammen mit der Sexualität nicht beschrieben.«3 Dagegen spielt die Erfüllung von sexuellen Bedürfnissen in der hohen Minne des Mittelalters keine Rolle, sie werden aufgehoben oder sogar ausgeschlossen.4 Das lyrische Ich erhebt die Frau zu seiner Herrin, sich selbst erklärt es zu ihrem dienstman, der bereit ist, ausschließlich und bis zum Ende seines Lebens ihr zu dienen. Der realhistorische Herrendienst wurde im Minnesang zum fiktionalen Frauendienst, der nach dem Muster der Vasallität in einem konstruierten Paarmodell dargestellt wurde.5 Dieses fiktive Rollenspiel ist grundsätzlich für das mittelalterliche soziale Denken bestimmend, genauso wie die ausschließlich körperliche Liebe in der altorientalischen Liebesdichtung durch das soziale Denken des Alten Orients bestimmt war, wo die emotional enge Beziehung zwischen Mann und Frau weder notwendig noch erwünscht war.6 Armenien brachte als mittelalterliches christliches Land mit dem Westen vergleichbaren soziokulturellen und gesellschaftlichen Strukturen eine eigene Liebeslyrik hervor, die sich mit dem Verhältnis zwischen Mann und Frau im Kontext des mittelalterlichen Armeniens beschäftigte. In der armenischen mittelalterlichen Liebeslyrik spielen zwar die Minnereflexionen und Gefühlsberichte des lyrischen Ichs eine beträchtliche Rolle, es fehlt aber die in der mittelhochdeutschen Lyrik enthaltene Minnekonzeption des Frauendienstes, was sich durch real-historische und soziale Ursachen erklären lässt: Die Träger der hayren-Dichtung waren nicht die Feudalherren selbst, sondern die Berufssänger, die die Liebeskonzeption aus eigener Perspektive zu beleuchten versuchten. Damit weisen die beiden Dichtungen zwar Gemeinsamkeiten von Motiven und Grundlagen auf, es lassen sich aber gleichzeitig auch beachtliche Unterschiede und Sonderentwicklungen in der Minnereflexion, im Bild des lyrischen Ichs und der besungenen Frau beobachten. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist daher, diese beiden Erscheinungsformen der Liebeslyrik auf ihre grundlegenden Strukturen zu untersuchen. Zu diesem Zweck werden die einzelnen Gattungen der hayren-Dichtung und des Minnesangs verglichen. Dabei wird unsere Aufmerksamkeit auf Motiv-, Terminologie- und thematische Parallelen beider Dichtungen konzentriert. Es wird versucht herauszufinden, ob diese Gemeinsamkeiten zu einer allgemein menschlichen Fähigkeit, der anthropologischen Grunderfahrung der Liebe gehören oder ob sie sich durch historische Zusammenhänge und durch ähnliche gesellschaftliche Strukturen erklären lassen. Es werden hayren-Dichtung und Minnesang in einem möglichen literarischen Gesamtbild betrachtet, d. h. geprägt von den mittelalterlichen so3 4 5 6

Musche (1999), S. 153. Haferland (2000), S. 217. Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 172. Vgl. dazu: Musche (1999), S. 160.

Aufbau der Arbeit

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zialen und gesellschaftlichen Situationen, aber auch angeregt durch die antike Dichtung, die Heilige Schrift und die christlich-religiöse Literatur.7 Ein Vergleich der hayren-Dichtung mit der deutschen mittelalterlichen Liebeslyrik, dem Minnesang, wurde bisher noch nicht unternommen. Damit habe ich einen Arbeitsbereich ausgesucht, der in der Forschung ein Desiderat ist.8

Aufbau der Arbeit Die Untersuchung besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird ein allgemeiner Überblick über die hayren-Dichtung und über den aktuellen armenischen Forschungsstand vermittelt. Im deutschsprachigen Raum ist die hayren-Dichtung so gut wie unbekannt. Außer zwei kleinen Auswahleditionen der hayrenner in deutscher Sprache, die nicht direkt aus dem Armenischen, sondern aus dem Französischen9 und Russischen10 übersetzt und unter dem Namen Nahapet K’owcˇ’ak veröffentlicht wurden, existieren keine weiteren Übersetzungen und Untersuchungen der hayrenner in der deutschen Sprache. Das Ziel des ersten Teiles ist daher, einen allgemeinen Überblick über die hayrenner, deren Überlieferungs-, Entstehungs- und Herkunftstheorien zu geben sowie die in der armenischen Forschung existierenden Begriffserklärungen, Theorien über die Form der hayrenner und deren Editionsgeschichte zu vermitteln. Über die armenische Liebeslyrik gibt es eine nicht sehr umfangreiche Literatur. Es gibt leider nur wenige Arbeiten, die die Entstehung der hayrenner durch sprachliche, stilistische und metrische Analysen rekonstruieren oder sich mit den Überlieferungs- und Editionsfragen beschäftigen.11 Zudem bleiben die Ergebnisse dieser Arbeiten meistens hypothetisch. Genauso unsicher ist die Rekonstruktion der Melodien der hayrenner, die bis heute relativ wenig untersucht worden sind. Es fehlen Kommentare der einzelnen Lieder, sowie Gattungs-, Epochen- und Autorenausgaben. Die Editionsgeschichte der hayren-Dichtung begann mit dem Jahre 1882 und noch dazu mit einem Fehler: Der Mönch Aristakes Archimandrit Tevkanc’ veröffentlichte eine hayren-Reihe unter dem Namen Nahapet K’owcˇ’ak.12 In7 Zweifellos sind die beiden Dichtungen auch von der eigenen heimischen Kunst angeregt. 8 Der einzige Versuch, sich der mittelalterlichen armenischen und deutschen Dichtung komparatistisch zu nähern war der Workshop »Mittelalterliche Dichtung in Armenien und Deutschland«, der im November 2004 in der Leucorea / Wittenberg und im April 2007 in Tsaghkadsor / Armenien stattfand. 9 Hg. von Bethge (1924). 10 Hg. von Mkrtschjan (1987). 11 Abełyan (1967); Mnac’akanyan (1995). 12 Tevkanc’ (1882).

16

Einleitung

folgedessen wurden die hayrenner zum großen Teil als Nahapet K’owcˇ’aks Schöpfungen gesehen und interpretiert.13 Das ist kein Ausdruck der wissenschaftlichen Forschungswillkür in Armenien, sondern ist vielmehr historisch zu erklären: In der Mittelalter-Rezeption Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler darauf gerichtet, große Namen aus der mittelalterlichen weltlichen Lyrik zu bergen, daher wollte man auch diese schönen Lieder als Schöpfungen einer genialen Person sehen.14 Arsˇak ˇ ’opanyans veröffentlichte im Jahre 1902 eine hayren-Ausgabe ebenfalls unter C K’owcˇ’aks Namen.15 In seiner hayren-Neuausgabe16 verzichtete er auf die Namensangabe und schrieb über die Erstausgabe seiner hayren-Edition: »[…] für mich war es sehr wichtig, diese Ausgabe vor allem unter dem Namen eines großen Berufssängers zu veröffentlichen, dessen Einfluss auch auf christliche und weltliche Lieder spürbar ist.«17 In der sowjetarmenischen Literaturwissenschaft wurde die hayren-Dichtung außer in wenigen Arbeiten18 als K’owcˇ’aks Schöpfung angesehen und meistens den christlich-religiösen Liedern gegenübergestellt.19 Außerdem war es für die armenischen Literaturwissenschaftler nicht immer möglich, Untersuchungen der hayren-Handschriften außerhalb Armeniens durchzuführen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und nach der Unabhängigkeit der Republik Armenien sind die Möglichkeiten für die Untersuchung der hayren-Handschriften besser geworden. Dafür spricht die umfangreiche hayren-Edition Mnac’akanyans aus dem Jahre 1995, die hayrenReihen enthält, die vorher noch unbekannt waren und in seiner Ausgabe erstmals veröffentlicht worden sind. Wie wir sehen, bleiben viele Fragen zur hayren-Dichtung offen, und die existierenden Theorien sind meistens umstritten. Das Ziel des ersten Teiles dieser Arbeit ist daher nicht die intensive Diskussion der umstrittenen Theorien (Entstehungs-, Autoren- und Überlieferungstheorien) der hayren-Dichtung, die für sich genug Material für weitere Arbeiten besonders im Bereich der armenischen Mittelalterforschung bieten, sondern, wie ich oben schon erwähnt habe,

ˇ ’opanyan (1902); Łowkasyan (1957); Mkryan (1976). 13 C 14 Für das armenische Volk war es in dieser Zeit besonders wichtig, große Namen aus der Vergangenheit zu bergen, um trotz der grauenhaften Verfolgungen, Vernichtungen und zahlreichen Opfer durch die eigene Geschichte, Literatur und Kultur an die Zukunft glauben zu können. Ende des 19. Jhs. kam es im Osmanischen Reich zu den ersten systematischen Armenierverfolgungen, geleitet von Sultan Hamid II., die im Jahre 1915 von ›Jungtürken‹ zum staatlich organisierten Völkermord entwickelt wurden. ˇ ’opanyan (1902). 15 C ˇ ’opanyan (1940). 16 C ˇ ’opanyan (1940), S. 37. 17 C 18 Vor allem: Abełyan (1931); (1967); Mnac’akanyan (1958). 19 Unter anderem die folgenden Arbeiten: Łowkasyan (1957); Mkryan (1938).

Aufbau der Arbeit

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die Vermittlung eines allgemeinen Überblicks über die hayren-Dichtung und über den aktuellen Forschungsstand in Armenien.20 Der zweite Teil konzentriert sich auf Motiv-, Terminologie- und thematische Parallelen der einzelnen Gattungen (Werbe-, Minnelied, Minneklage, Frauenpreis, Frauenlied und Tagelied), um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Minnereflexion, im Bild des lyrischen Ichs und der besungenen Frau der hayrenDichtung und des Minnesangs zu bearbeiten. Der dritte Teil widmet sich der Suche nach Vorbildern und Einflüssen. Es wird ein einführender Überblick über die gesellschaftlichen Strukturen der beiden Länder, über die Stellung der Frau in der Gesellschaft, über die Liebe, Ehe und den Ehebruch gegeben, um die funktionalen Zusammenhänge zwischen der Literatur und der jeweiligen Gesellschaft sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Ausbildung der Minneauffassung in den beiden Kulturen zu diskutieren. Sowohl die deutsche als auch die armenische Minnelyrik erhielten Anstöße aus der antiken und der christlich-religiösen Literatur; zudem sind ein Gedankenaustausch und literarische Kontakte, die durch die Kreuzzüge in Kleinarmenien (Kilikien) ermöglicht wurden, denkbar. Zu diesem letzten Aspekt sollen aber einige Hinweise genügen, denn dies ist ein eigenes Thema, das einer ausführlichen Erläuterung bedarf. Vor allem sind die Quellensuche und eine neue Bewertung der Quellenlage bezüglich solcher Kontakte notwendig. Die armenischen Personen-, Ortsbezeichnungen und Fachbegriffe werden nach ISO-Standard transkribiert. Die Pluralbildung der armenischen Fachbegriffe folgt armenischen Grammatikregeln, wie zum Beispiel. hayren (Pl. hayrenner). Die hayrenner werden grundsätzlich aus der hayren-Edition Mnac’akanyans (1995) übernommen. Die wenigen hayrenner, die in der oben genannten Edition fehlten, stammen aus der hayren-Sammlung T’amrazyans (2000). Im Anhang dieser Untersuchung werden die zitierten Texte mit deren deutschen Übersetzungen abgedruckt. Die deutschen Übersetzungen der hayrenner und der mittelalterlichen armenischen geistlichen Lieder, soweit kein Übersetzername angegeben ist, stammen von der Autorin der vorliegenden Untersuchung.

20 Es werden aber einige Aspekte unter neuer Perspektive behandelt, vor allem die Frage nach der weiblichen Autorschaft der hayrenner (vgl. dazu Kapitel 5 des zweiten Teils: Frauenlieder) und die Interpretation der hayrenner als Rollenlyrik (und nicht als Erlebnisdichtung, wie bisher angenommen, vgl. dazu: Kapitel 7 des ersten Teils).

I.

Einführung: Hayren-Dichtung

1.

Begriffserklärung: Zu den Begriffen հայրէն (hayre¯n / hayren), հայրէն ասել (hayre¯n asel / hayren singen, vortragen), հայրենի կարգաւ (hayreni kargaw / hayren-Reihe)

In der armenischen Mediävistik werden die Begriffe »հայրէն« (hayre¯n / hayren), »հայրէն ասել« (hayre¯n asel /hayren singen, vortragen) und »հայրենի կարգաւ« (hayreni kargaw / hayren-Reihe, hayren-Ordnung) unterschiedlich gedeutet. Als poetischer Gattungsbegriff findet sich das Wort »հայրէն« (hayre¯n / hayren) auch in Verbindung mit »տաղ« (tał / Lied, Gedicht) in den mittelalterlichen Handschriften als Liedüberschrift: »Տաղ հայերէն վասն ուրախութեան«21 (Tał-hayere¯n vasn owraxowt’ean / Tał-hayeren über die Freude), »Հայրէն սիրոյ«22 (Hayre¯n siroy / Hayren über die Liebe) »Հայրենի կարգաւ«23 (Hayreni kargaw / Hayren-Reihe), »Հայրենիք սիրոյ եւ ուրախութեան«24 (Hayrenik’ siroy ew owraxowt’ean / Hayrenner über die Liebe und Freude), »Տաղ հայրենիկ ի վերայ սիրոյ ասացեալ«25 (Tał hayrenik i veray siroy asac’eal / Tał-hayrenner über die Liebe), »Հայրենիկ ասացեալ է Թուրկուրանցու ի վերայ սիրոյ«26 (Hayrenik asaceal e T’owrkowranc’ow i veray siroy / Hayrenner von T’owrkowranci über die Liebe). Der Terminus hayren findet sich erstmals im 13. Jh. bei Frik. Er ist weiter in folgenden hayrenner belegt: Ա/Ա, 143 – 150; Ա/Բ, 167 – 174; Ա/Բ, 191 – 198; Ա/ԺԵ, 33 – 40; Ա/ԽԲ, 103 – 110; Ա/ԽԹ, 17 – 24; Ա/ԽԹ, 25 – 34; Ա/Ծ, 19 – 26; Ա/ԾԱ, 17 – 24; Ա/ԾԱ, 245 –

21 22 23 24 25 26

Abełyan (1967), S. 23. Mnac’akanyan (1995), S. 144. Ebd., S. 43. Ebd., S. 258. Ebd., S. 295. Ebd., S. 301.

20

Einführung: Hayren-Dichtung

252; Ա/ԾԸ, 156 – 158; Ա/ԾԹ, 33 – 40; Ա/Կ, 177 – 188; Ա/Կ, 295 – 304; Ա/ԿԳ, 291 – 298; Ա/ԿԵ, 134 – 145; Ա/ԿԸ, 133 – 138; Ա/ՀԵ, 25 – 30; Ա/ՀԶ, 25 – 32; Ա/ ՁԲ 9 – 20; Ա/ՁԲ 53 – 64; Ա/ՁԲ, 141 – 148; Ա/ՁԲ 1167 – 1176; Ա/ՁԳ 438 – 449; Ա/ՁԳ 485 – 496; Ա/ՁԳ 1096 – 1105.27 Die Liedüberschriften: »Տաղ հայրեն վասն ուրախութեան« (Tał-hayren vasn owraxowt’ean / Tał-hayren über die Freude) und »Տաղ հայրենիկ ի վերայ սիրոյ ասացեալ« (Tał hayrenik i veray siroy asac’eal / Tał-hayrenner über die Liebe) zeigen, dass hayren eine Untergattung von tał ist. Das Wort tał (vgl. auch tałergowt’iwn) bezeichnete im mittelalterlichen Armenien ein Gedicht, das singend vorgetragen wurde. Im Wörterbuch »Nor bar˙agirk’ haykazean lezvowi« stehen folgende Bedeutungen für tał: metrisches Wort, Gesang, gesungenes Gedicht.28 Die Bezeichnung tałergowt’iwn29 findet sich erstmals im 12. Jh. bei Nerses Lambronac’i (1153 – 1198).30 In einem Lied, in dem Lambronac’i die geistliche und wissenschaftliche Tätigkeit des Katholikos Nerses Sˇnorhali (1100 – 1173) darstellt, schreibt er: Շարականաց կարգ աճեցնէր, Տաղերգութիւնս ի ճահ առնէր, Քաղցր ձայնիւք անջըրպետէր, Որ երաժիշտ սուրբ հոգւոյն էր:31 Hymnenreihen hat er geschaffen, / in schönen Versen (tałergowt’iwn) geschrieben, / passende Melodien hat er erfunden, / vom heiligen Geist war er erfüllt.

Mit dem Begriff tałergowt’iwn bezeichnet Lambronac’i das gereimte Wort, das gesungen vorgetragen wurde.32 Erg (Sang) benennt den Aufführungscharakter. In der Neuzeit wird tał archaisierend oder aber als Terminus technicus in der Wissenschaftssprache verwendet. Unter dem Begriff tałergowt’iwn versteht man in der heutigen Wissenschaftssprache vor allem die Gesamtheit der mittelalterlichen armenischen Gedichte, die in handschriftlichen Überlieferungen als tał bezeichnet werden.33 Der Terminus hayren wurde schon von zeitgenössischen Autoren als Untergattung der tałergowt’iwn (Lyrik) gebraucht: 27 Diese Reihe enthält neben unterschiedlichen Liedern auch die verschiedenen Varianten derselben Lieder. 28 Nor bar˙agirk’ haykazean lezowi (Neues Wörterbuch der armenischen Sprache) (1836), Bd. 2 (1837), S. 839. 29 tał (Gedicht)+ erg (Lied)+ owt’iwn (substantivierende Endung). 30 Nor bar˙agirk’ haykazean lezowi (Neues Wörterbuch der armenischen Sprache) (1836), Bd. 2 (1837), S. 840. 31 Nerses Sˇnorhali (1865), S. 477. 32 Nersisyan (1984), S. 179. 33 Ebd.

Begriffserklärung

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So viele hayrenner hast du gesungen, dass mein Herz in ein Haus aus Stein verwandelt wurde. Meine Klage hat den Himmel erreicht, vom Himmel ist sie heruntergeschneit. (Ա / Գ, 69 – 76, hier: 69 – 72)34

Unter hayren versteht man zuerst und grundsätzlich Liebeslyrik mit der für die menschlichen Beziehungen typischen Problematik: Werbung, Liebe, Leid, Klage und Abschied. Im Mittelpunkt der hayren-Dichtung steht die Diskussion über die Liebe. Subjekt der Liebeserfahrung ist sehr oft ein männliches Ich, das eine Frau begehrt. Im hayren Ա/ԽԲ, 103 – 110 wird vom Sänger erläutert, welche inhaltliche Voraussetzung ein hayren erfüllen soll: Es soll wohltuend für die Menschen sein. Dieser positive Sinn prägt die hayren-Dichtung: Ich weiß, du kennst viele hayrenner, sing mir ein Lied, ein hayren. Erzähle von unseren Tagen, von den Menschen, die noch leben. Gib deinen Worten einen Sinn, sei freundlich zu den Menschen. Du weißt, ich bin hier ein Wanderer, der ein trauriges Herz besitzt. (Ա/ԽԲ, 103 – 110)

Die ersten zwei Zeilen: »Ich weiß, du kennst viele hayrenner, / sing mir ein Lied, ein hayren« benennen den Aufführungscharakter des hayren. Die Aufführung wurde vermutlich von einer einzelnen Person geleistet, die zugleich Sänger, Dichter und Komponist war. Worin besteht das gattungsspezifische Merkmal des hayren? Wie erscheint das literarische Phänomen hayren als ein konstitutiver Teil des mittelalterlichen tałergowtiwn und der mittelalterlichen Kultur überhaupt? Die Bedeutung des Terminus hayren wurde in der armenischen Mediävistik ˇ ’opanyan und Abełyan gründet unterschiedlich definiert. Nach Kostanyanc’, C sich das Wort հայրէն (hayre¯n) auf das Wort հայերէն (hayere¯n / armenisch). Kostanyanc’ erklärte den Begriff »Հայրէն ասել« (Hayre¯n asel) mit »auf Armenisch singen, auf Armenisch vortragen«.35 Für Abełyan war dieser Erklärungsversuch aber fragwürdig, denn seiner Meinung nach hat es »keinen Sinn, dass in armenisch geschriebenen Liederbüchern einzelne Lieder die Titel »Տաղ հայերէն« (Tał hayere¯n / armenisches Lied) oder »Հայերէն«(Hayere¯n / armenisch) tragen. Zweitens, wenn die Wortbildungen »Հայերէն ասել« (Hayere¯n asel / armenisch singen) und »Հայերէն բան« (Hayere¯n ban / armenisches Gedicht) es erlauben, nach sprachlichen Kriterien das Wort »hayren« als »arme34 Die hayrenner sind, soweit nicht anders angegeben, nach der hayren-Sammlung von Mnac’akanyan (1995) zitiert. 35 Abełyan (1967), S. 24.

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Einführung: Hayren-Dichtung

nische Sprache« zu verstehen, so erlauben die Wortbildungen »Հայրէն մի կամիմ ասել« (Hayre¯n mi kamim asel / Ein hayren möchte ich singen), »Գիտեմ, որ շատ հայրէն գիտես, մեկիկ մի ասա« (Gitem, vor ˇsat hayre¯n gites, mekik mi asa / Ich weiß, du kennst viele hayrenner, sing mir ein Lied) das nicht.«36 ˇ ’opanyan sieht die Gattungscharakteristik des hayren im armenischen Stil C ˇ ’opanyan, bedeutet »mit und in der Melodie. »Հայրէն ասել« (Hayre¯n asel), so C armenischer Melodie und im armenischen Stil singen«, sozusagen »sur le mode armenien«, wie bei den Griechen »mode dorien«, »mode lydien« usw.37 Abełyan sieht dagegen das Merkmal des hayren nicht nur in der armenischen Melodie, sondern auch im Versbau des hayren, weil »im armenischen Mittelalter, in dem die Lieder zum Vortragen geschaffen wurden, die Melodien und der Versbau der Lieder eng miteinander verbunden waren, und wichtiger als die Melodie waren der Vers und dessen Metrik. […] Bei mittelalterlichen armenischen Sängern war diese Metrik besonders beliebt, deswegen wurden sie in den Handschriften als hayreni, oder noch richtiger hayereni bezeichnet.«38 Es wurde auch versucht, »hayren« auf ein Etymon mit der Bedeutung »հայրենիք« (hayrenik’ / Vaterland),39 »հայ« (hay / Armenier)40 und »հայր« (hayr / Vater)41 zurückzuführen. Diese Thesen fanden jedoch in der armenischen Mediävistik keine Verbreitung. 1996 fasste Harowt’yownyan den wissenschaftlichen Stand bezüglich des Terminus ›hayren‹ wie folgt zusammen: ˇ ’opanyan gründet sich der Terminus »hayren« »Sowohl nach Abełyan als auch nach C auf das Wort »հայերէն« (hayere¯n / armenisch). Sie haben gezeigt, dass diese Lieder ˇ ’opanyan eine typisch armenische Eigenschaft besitzen, da sie so benannt wurden. C fand, dass die hayrenner typisch armenische Melodien besessen haben sollten. Abełyan ˇ ’opanyan zu widersprechen, dass die hayrenner ergänzte dabei, ohne der These von C wegen der typisch armenischen Gedichtstruktur und der typischen Metrik als »hayren« bezeichnet wurden.«42

Dieses Zitat formuliert den gegenwärtigen Stand der Literaturwissenschaft in Bezug auf die Interpretation des Terminus »hayren«. Es sollte nur ergänzt werden, dass hayrenner im 13.–14. Jahrhundert höchstwahrscheinlich auch an fremden adligen Höfen und bei fremden Herrschern43 gesungen wurden und es 36 37 38 39 40 41 42 43

Ebd. ˇ ’opanyan (1902), S. 20. C Abełyan (1967), S. 27. Łowkasyan (1957), S. 14 – 15. Sevak (1957), Grakan t’ert’ (Literarische Zeitung), S. 4. Mnac’akanyan (1995), S. 33. Harowt’yownyan (1996), S. 165. Großarmenien war im 11. Jh. an die Seldschuken und im 13. Jh. an die Mongolen gefallen und verlor seine Unabhängigkeit. Der Adel suchte in Kilikien eine neue Heimat und gründete da

Begriffserklärung

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scheint mir wahrscheinlicher, dass diese Lieder einen Namen brauchten, der eine armenische Eigenschaft bezeichnete. Der Terminus hayren mit dem Etymon հայերէն (armenisch) erfüllte diese Kriterien. In der Wortbildung »Հայրէն ասել« (Hayre¯n asel) bedeutet »ասել« (asel) ›singen‹, ›vortragen‹.44 So weist »Հայրէն ասել« auf eine Vortragskunst hin, in der der Sänger sowohl Dichter als auch Komponist ist. Hiermit unterscheidet sich die hayren-Dichtung von der heutigen Liebeslyrik: Die hayrenner waren nicht für die stille Lektüre gedacht, sondern für die öffentliche Aufführung, in welcher die Texte gesungen und in der Regel auch musikalisch begleitet wurden. Meistens sind jedoch nur die Texte überliefert. Die dazugehörigen Melodien sind nur in seltenen Fällen in der mittelalterlichen Notenschrift xazer belegt. Wie bei der Bedeutung des Begriffs »hayren« sind sich die armenischen Mediävisten auch bei der Bedeutung des Begriffs »Հայրենի կարգաւ« (Hayreni kargaw / hayren-Reihe) nicht einig. Für Abełyan war das Wort »կարգ« (karg / Reihe, Strophe) ein Synonym des Wortes »Zeile« und bedeutete gleichzeitig »Verszeile«, »Versstrophe«. Es hat dieselbe Bedeutung, so Abełyan, wie lateinisch »versus« und griechisch »stichos«, »stoichos«, die jeweils eine bestimmte Ordnung, Zeile, Reihe bezeichnen. »Հայրենի կարգ« (Hayreni karg) bedeutet also »armenischer Vers«, »armenisches Gedicht«.45 Mnac’akanyan widersprach dieser These, indem er zeigte, dass »Հայրենի կարգաւ« (Hayreni kargaw /hayren-Reihe) nicht den Vers und dessen Zeilen betrifft, sondern die Reihen, die aus inhaltlich relativ selbstständigen hayrenner bestehen: »Der Terminus »Հայրենի կարգաւ« (Hayreni kargaw / hayren-Reihe) weist nicht auf den Versbau des hayren hin, sondern auf die konventionelle (herkömmliche) Ordnung der hayren-Reihen. Das Wort »կարգաւ« (kargaw) ist auch in anderen Liedreihen als Gesamttitel belegt. So findet man die Hallelujas des Mitternachtsgebets in der Handschrift Nr. 2845 unter dem Titel »Ալէլուք՝ գիշեային կարգաւ« (Ale¯lowk’ gisˇerayin kargaw / Hallelujas des Mitternachtsgebets in der Reihenfolge). In derselben Handschrift wurden entsprechend andere Liederreihen nach gottesdienstlicher Ordnung dargestellt: »Երգ առաւօտու՝ կարգաւ« (Erg ar˙awo¯tow kargaw / Lieder des Morgenlobes in der Reihenfolge), »Ժամամուտ կարգաւ« (Zˇamamowt kargaw / Tagesintroitus in der Reihenfolge) und »Սրբասացութիւնք՝ կարգաւ« (Srbasac’owt’iwnk’ kargaw / Horologien in der Reihenfolge). Es soll angemerkt werden, dass alle diese Lieder nicht mit demselben Versbau, sondern mit unterschiedlichen Versfüßen und

zuerst ein armenisches Fürstentum (1080 – 1198), dann ein Königreich (1198 – 1375). Während die Kultur und Literatur in Kilikien aufblühte, litt das Volk in Großarmenien unter seldschukischen bzw. mongolischem Joch. 44 Nor bar˙agirk’ haykazean lezowi (Neues Wörterbuch der armenischen Sprache) (1836), Bd. 1, S. 313. 45 Abełyan (1967), S. 28.

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Einführung: Hayren-Dichtung

Metrik geschrieben wurden. Deswegen betrifft »կարգաւ« (kargaw) nicht den Versbau, sondern die Reihenfolge der Strophen nach bestimmter Ordnung.«46

Im Wörterbuch »Nor bar˙agirk’ haykazean lezowi« (Neues Wörterbuch der armenischen Sprache) stehen folgende Bedeutungen für »կարգ« (karg): ordo, series, ordinatio, dispositio.47 Die Hymnen und Kirchenlieder wurden meistens unter dem Titel »Կարգաւորութիւն հասարակաց աղօթից« (Kargaworowt’iwn hasarakac’ ało¯t’ic’ / Horologion) überliefert. Das bedeutet, die Hymnen wurden nach der Gottesdienstordnung, nach einer bestimmten Reihenfolge vorgetragen.48 Mnac’akanyan führt in seiner Untersuchung weitere Beispiele der geistlichen Literatur an, in denen der Begriff »կարգաւ« (kargaw) auf die Bedeutung »Ordnung«, »Regel« und »Reihenfolge«49 zurückgeführt wird.50 So war es auch bei der weltlichen Liebeslyrik der hayrenner: Die Strophen wurden so hintereinander gesungen, wie der Anlass, aber auch der Geschmack des Publikums es verlangte. Dafür sprechen die Liedüberschriften der hayrenReihen, wie zum Beispiel ›Հայրէն է աստից կարգաւ, հոգոյ եւ սիրոյ՚ (Hayre¯n e¯ astic’ kargaw, hogoy ew siroy / hayrenner, geordnet nach geistlichen und Liebesthemen). Hier bezeichnet das Wort »կարգ« (karg) eine nach Thematik geordnete Reihe bzw. Gruppe.51 Zusammenfassend kann man sagen, dass die These von Mnac’akanyan sehr plausibel ist und der Begriff »Հայրենի կարգաւ« (Hayereni kargaw) oder »Հայրենի կարգ« (Hayereni karg) im armenischen Mittelalter nicht für die Bezeichnung des Versbaus, sondern als Bezeichnung der Liedreihen verwendet worden war, wobei die Lieder nach einer bestimmten Ordnung Reihen bildeten. Die achtzeilige hayren-Strophe blieb in der mittelalterlichen armenischen Lyrik inhaltlich ein selbstständiges Element. Sie konnte so mit anderen eines verwandten Themas und des gleichen Baus immer wieder anders kombiniert werden und unterschiedliche hayren-Reihen bilden. Die Zahl der einzelnen Strophen in hayren-Reihen konnte stark variieren. In den Handschriften und schriftlichen Dokumentationen sind die hayrenner meistens in Liedreihen angeordnet. Eine ausführliche Untersuchung über die hayren-Reihen hat Abełyan veröffentlicht, in der er die Gründe und Voraussetzungen für die Entstehung der 46 Mnac’akanyan (1995), S. 31. 47 »Nor bar˙agirk’ haykazean lezowi« (Neues Wörterbuch der armenischen Sprache) (1836), Bd.1, S. 1065. 48 Mnac’akanyan (1995), S. 31. 49 Diese Bedeutungen für »կարգաւ« (kargaw) stehen im Wörterbuch »Hayeren armatakan bar˙aran« (Armenisches etymologisches Stammwörterbuch) (1971), Bd. 2 (1973), S. 547 – 548. 50 Vor allem die Reihenfolge der biblischen Geschichten wurde wegen der inhaltlichen Verbindung und Entwicklung als »կարգաւ« (kargaw) bezeichnet. Mit der Bedeutung »Ordnung«, »Regel« wird das Wort »կարգաւ« (kargaw) schon bei Narekac’i im 10. Jh. benutzt. Vgl. dazu: Mnac’akanyan (1995), S. 8 – 30. 51 Ebd.

Form der hayrenner: Versbau, Reimform und Strophenreihen

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ˇ ’opanyan und Mnac’akanyan haben die hayrenhayren-Reihen untersucht.52 C Reihen nach handschriftlicher Überlieferung veröffentlicht. Abełyan kannte insgesamt 22 hayren-Reihen (1967),53 im ersten Buch der hayren-Ausgabe von Mnac’akanyan (1995) gibt es 40 hayren-Reihen, die der Autor aus 18 Handschriften gesammelt hat.54 Diese Liedreihen sind einander nicht ähnlich. Sie enthalten meistens unterschiedliche Lieder, manchmal aber auch dieselben Lieder, aber mit verschiedenen Varianten und Reihenfolgen.55

2.

Form der hayrenner: Versbau, Reimform und Strophenreihen

Abełyan war der erste Literaturwissenschaftler, der auf den besonderen Versbau der hayrenner aufmerksam machte.56 Im Jahre 1931 schrieb er in seinem Buch »Hin gowsanakan zˇogovrdakan enger«: »Dieses Lied [hayren H.M.] besteht aus zwei- und dreisilbigen Versfüßen, die in der Strophe einander regelmäßig folgen. Die Zeilen besitzen wegen unterschiedlicher Versfüße einen unterschiedlichen rhythmischen Charakter, der den Rhythmus und das Ende der jeweiligen Zeile betont: Das heißt, die erste Zeile beginnt und endet mit zweisilbigen und die zweite Zeile mit dreisilbigen Versfüßen. Die Strophe mit den 2 – 3 – 2 // 3 – 2 – 3 Versfüßen bekommt den folgenden Rhythmus: 5 – 5 – 5. Die Eintönigkeit des Verses wird nach der siebenten Silbe durch eine Pause unterbrochen, wobei das zweite fünfsilbige Glied unvollendet bleibt und sich mit dem ersten Versfuß der zweiten Zeile ergänzt.«57

Wie aus dem Zitat ersichtlich wird, bestehen hayrenner aus sieben- und achtsilbigen Jamben- bzw. Anapäst-Versfüßen in jeweils zweizeiligen Strophen, wobei die erste Zeile mit zweisilbigen und die zweite Zeile alternierend mit dreisilbigen Versfüßen beginnt und endet. Die Strophe hat das folgende Schema: _ _′ _ _ _′ _ _′ _ _ _′ _ _′ _ _ _′

Selten fehlt eine Silbe im ersten Versfuß. Das ist meistens dann der Fall, wenn im ersten Versfuß eine Interjektion oder ein Vokativ stehen, die zum längeren Aussprechen oder Singen geeignet sind:58

52 53 54 55 56 57 58

Abełyan (1967), S. 120 – 128. Abełyan (1967), S. 123. Mnac’akanyan (1995), S. 966. Mehr dazu: Abełyan (1967), S. 123. Abełyan (1967), S. 38 – 53, 1. Aufl. (1931). Abełyan (1967), S. 52. Mehr dazu: Abełyan (1967), S. 42.

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Einführung: Hayren-Dichtung

Ա՛յ / իմ փոքրիկ / ձագեր, // Ձայն անուշ / է քանց/ ամենուն. (Թամ., 553)59 Oh, / meine kleinen / Vögel, // eine bessere Stimme / als eure / hat keiner.

Zwar sind sich die Literaturwissenschaftler bei der Metrik der hayrenner einig, aber die Frage nach der Zeilenbrechung bleibt umstritten. Manche Redaktionen ordnen hayrenner als fünfzehnsilbige Vierzeiler an,60 mit der Zäsur nach der siebten Silbe, wie sie das folgende Schema zeigt: _ _′ _ _ _′ _ _′ // _ _ _′ _ _′ _ _ _′

Dies wird damit begründet, dass Sieben- und Achtsilber keine selbstständige Zeile bilden, sondern Halbzeilen sind und nur zusammen eine volle Zeile bilden. Der Schluss einer Zeile wird durch den Reim nach fünfzehn Silben signalisiert.61 Die meisten Redaktionen ordnen hayrenner aber als 7/8-Zeiler an, mit der Zeilenbrechung nach der Zäsur.62 Welche Anordnung passt zur rhythmischen Metrik des hayren? Die Untersuchungen von Abełyan und Mnac’akanyan haben gezeigt, dass zwar die hayrenner verschiedene Reimstellungen besitzen, die Besonderheiten dieser Reimformen aber eng mit den sieben- und achtsilbigen Zeilen verbunden sind:63 Ա՜յ սարեր, ա՜յ ձորեր, Գիտացէք, եար եմ կորուսել. Ա՜յ քարեր, ա՜յ թփեր, Աճապ ի ձեզ չԷ՞ եկել. Ա՜յ քարե կարմընջնի. Ի ձեզ չէ՞ անցել. Զիս ի քուն թողեր Ելեր գնացեր. (Թամ., 538)64 O Berge, o Täler, / mein Geliebter (meine Geliebte) ist weg. / O Steine, o Büsche, / habt ihr ihn (sie) nicht gesehen? / O du Steinbrücke, / ist er (sie) nicht zu dir gekommen? / Mich schlafen lassend, / ist er (sie) gegangen.

In diesem Lied sind nicht nur die zweiten, vierten, sechsten und achten Zeilen, sondern auch entsprechend die ersten, dritten, fünften und siebten Zeilen gereimt. Im Falle der fünfzehnsilbigen Langzeile bleibt die Reimbildung der Strophe zwar äußerlich gleich, die Hälfte der Reimkunst geht aber verloren. Bei 59 60 61 62

Zitiert nach der hayren-Sammlung von T’amrazyan (2001), S. 553. ˇ opanyan (1940). C Xacˇ’atryan (2000), S. 903. Abełyan (1967), Kostanyanc’ (1892), Mkrtcˇ’yan (1986), Mnac’akanyan (1995), T’amrazyan (2001). 63 Abełyan (1967), S. 38 – 53, A. Mnac’akanyan (1995), S. 13 – 17. 64 Zitiert nach T’amrazyan (2001), S. 538.

Form der hayrenner: Versbau, Reimform und Strophenreihen

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manchen hayrenner sind die ersten, dritten, fünften und siebten Zeilen reimlos und nur die zweiten, vierten, sechsten und achten Zeilen gereimt. Grigor Narekac’i (10. Jh.) schrieb über die Strophenbildung der Lieder mit der hayren-Metrik, dass »die Strophen mit demselben Reim enden«,65 das heißt, dass die siebenund achtsilbigen Zeilen zusammen eine Strophe bilden: Զդէմս ի յերկիր եդեալ Պաղատիմ մօրըդ Յիսուսի. Բարեխօսեա՛, մաղթեա՛ Քաւութիւն ինձ մեղաւորի:66 Vor mir ist das Land, / ich werde die Gottesmutter anflehen. / Ich sühne, vergib / du meine Sünden.

Hier werden zwei Zeilen, die eine Strophe bilden, mit der nächsten zweizeiligen Strophe durch den Reim »ի« verbunden. Diese Reimstellung dominiert eine große Zahl der hayrenner,67 wie in diesem Beispiel: Ասես, թէ կաթով շաղւած՝ Զայտ ճերմակ ծոցիկդ, որ ունիս. Ասես թ’ արեգակն ես դու՝ Լոյս կու տաս յամէն ալամիս. Շէքրին քէնն դու ունիս, Պուլպուլին ձայնով կու խօսիս. Մուշկի փէրւարին կու տաս, Քան զմուշկն անուշ հոտ ունիս: (Ա/ԾԸ, 28 – 35) Die weißen Brüste, die du hast, / sind aus Milch gemacht. / Du strahlst wie die Sonne / und schenkst uns dein Licht. / Du schmeckst wie Zucker / und hast die Stimme der Nachtigall. / Du bist wie ein duftendes Öl, / du riechst besser als das Duftöl.

Eine beträchtliche Zahl der hayrenner wird nach dem Reimschema des Ghasels gebildet, indem bei der ersten, aus zwei Zeilen bestehenden Strophe der Paarreim (aa) verwendet wird, danach die dritte, fünfte und siebente Zeile reimlos sind und die vierte, sechste und achte Zeile wiederum gereimt werden (aa 0a 0a 0a), wie in diesem Beispiel:68 Ելայ, ես ի քեզ եկի, Զիս քէնէ կարօտ գիտէի. Գալըս քեզ դըժար թըվաց, Ես ի յիմ միտքս անտիճեցի. Մի՛ լար, մի՛ տրտում կենար, Մի՛ հաշվիլ զօրըս քեզ տարի. 65 66 67 68

Narekac’i (1840), S. 61. Ebd. Vgl. dazu: Mnac’akanyan (1995), S. 16. Mehr dazu: Abełyan (1967), S. 28 – 38, Mnac’akanyan (1995), S. 16 – 17.

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Einführung: Hayren-Dichtung

Ան ոտքն, որ ի հոս իբեր, Նա կարէ, որ այլվայ տանի: (Ա/ԽԹ, 39 – 46) Ich bin zu dir gekommen, / ich dachte, du hättest Sehensucht. / Mein Kommen aber hat dich gestört, / das habe ich gleich verstanden. / Weine nicht, sei nicht so traurig, / denke nicht, dass ein Tag ein Jahr ist. / Die Füße, die mich hierher trugen, / die können mich auch zurück tragen.

Für die achtzeilige Anordnung spricht auch die Bemerkung von Gowyowmcˇyan über die im 19. und 20. Jh. aufgezeichneten und volkstümlich als antowniner bezeichneten Volkslieder, die metrische, thematische und stilistische Gemeinsamkeiten mit den hayrenner besitzen: »Als ich antowniner aufzeichnete, merkte ich, dass die Frauen aus Akn während des Vortrages nach jeder Zeile (sieben oder acht Silben) eine Pause machten.«69

Dass die Metrik und das Versmaß des hayren eine gattungsspezifische Voraussetzung für das hayren sind, finden wir in diesem Lied: Als Besten kann ich denjenigen nennen, der ein hayren wählt und vorträgt. Das hayren singt er in richtiger Metrik, damit kein Nachteil entsteht. (Ա/Բ 167 – 174, hier: 167 – 170)

Das Versmaß des hayren ist sehr alt. Dieses Versmaß besitzt das aus heidnischer Zeit stammende und in der Volksdichtung weiterlebende Gołtanlied, das Movses Xorenac’i im 5. Jh. dokumentierte:70 Հատուած գնացեալ Վարդգէս մանուկն / ի Տուհաց գաւառէն, ԶՔասաղ գետով / եկեալ, նստաւ զՇրէշ բլրով […]71 Vardges, der aus der Provinz / Tuhac stammte, ist über den Fluss K’asax und / über den Hügel Sˇresˇ gekommen.

Da mit dieser Metrik heidnische Lieder geschaffen worden waren, wurde sie bis zum 10. Jh. in der schriftlichen Literatur der geistlichen Dichter nicht benutzt. Erst im 10. Jh. führte Grigor Narekac’i die volkstümlichen Versmaße wegen ihrer rhythmischen Metrik in die schriftliche Literatur ein. Danach wurden das Versmaß und die Liedform des hayren von anderen Dichtern, wie Hovhannes Sarkavag, Grigor Pahlavowni, Nerses Sˇnorhali und Grigor Tła übernommen. Die Versformen des hayren wurden bei Hovhannes Erznkac’i, Frik, Vardan Barjraberdji, Xacˇ’atowr Kecˇ’ar˙ec’i und namenlosen hayrenner des 13.–14. Jhs. weiterentwickelt.72 69 70 71 72

Kesˇcˇ’yan und Parsamyan (1952), S. 414. Mehr dazu: Mnac’akanyan (1995), S. 10. Xorenac’i (1981) S. 240. Vgl. dazu: Mnac’akanyan (1995), S. 10.

Überlieferung der hayrenner

29

Zwar ist das Versmaß des hayren eine gattungsspezifische Eigenheit, aber nicht jedes in hayren-Metrik geschriebene Lied ist ein hayren. In der hayrenMetrik wurden vorchristliche und christlich-geistliche Lieder geschrieben, darunter auch einzelne Teile des dichterischen Hauptwerkes von Grigor Narekac’i (10. Jh.) »Մատեան ողբերգութեան« (Matean ołbergowt’ean / Buch der Klagelieder). In hayren-Metrik wurden auch die mittelalterlichen kafaner (Einz.: kafa), die in die Übersetzungen eingefügte Verse sind, geschrieben. Besonders bekannt sind die kafaner von Xacˇ’atowr Kecˇ’arec’i (13. Jh.). Gattungsbedingt ist die hayren-Dichtung nicht nur formal, sondern auch inhaltlich von historischen Formen der gesellschaftlichen Interaktion des mittelalterlichen Armeniens geprägt: Es handelt sich um einen speziellen Typ der Liebeslyrik, der unter anderen Vorstellungen und historischen Voraussetzungen entwickelt wurde. Die Thematik, die Deutungsmöglichkeiten der Begriffe von Liebe, Ehre und Heimatlosigkeit, ist im Kontext des armenischen Mittelalters zu verstehen.

3.

Überlieferung der hayrenner

3.1

Quellen

Zwischen der Entstehung der hayren-Dichtung im 13. Jahrhundert und der Aufzeichnung der Texte in den wichtigsten Handschriften des 16. Jahrhunderts liegen etwa dreihundert Jahre. Aufgrund dieses zeitlichen Abstands stellt sowohl die Rekonstruktion der Chronologie der Texte als auch die Identifikation der Autoren ein Problem dar. Dazu kommt, dass die hayrenner meistens anonym überliefert sind. Es gibt leider nur wenige Arbeiten, die die Entstehung der hayrenner durch sprachliche, stilistische und metrische Analysen zu rekonstruieren versuchen73 und die Ergebnisse dieser Arbeiten bleiben meist hypothetisch. Aus den verschiedenen Handschriften hayrenner gesammelt und veröffentlicht haben Aristakes Tevkanc’ (1882), Karapet Kostanyanc’ (1892) und ˇ ’opanyan (1902, 1940). Eine der wichtigsten Untersuchungen über die Arsˇak’ C Entstehung der hayren-Dichtung stammt von Abełan (1967). Durch sprachliche und stilistische Analysen zeigte er, dass die hayrenner nicht im 16. Jh. von Nahapet Kowcˇ’ak, sondern im 13. Jh. von unterschiedlichen gowsanner geschaffen worden waren.74 Die Zahl der handschriftlichen Zeugnisse, die hayrenner überliefern, ist zwar groß, über die Hälfte ist allerdings nur fragmentarisch erhalten. Asatowr Mnac’akanyan erwähnt in der Einleitung zu seiner Ausgabe von 1995 etwa 157 73 Abełyan (1967), Mnac’akanyan (1995),Vorwort, S. 8 – 40. 74 Abełyan (1967), S. 16.

30

Einführung: Hayren-Dichtung

Handschriften, die hayrenner enthalten. Dabei ist die Verteilung dieser Handschriften zusammengefasst folgende: Die ältesten hayren-Texte stammen aus Handschriften des 13. Jhs. Diese frühesten Handschriften enthalten allerdings nur einzelne Gedichte oder kurze Gedichtfolgen der hayren-Dichtung von namentlich bekannten Autoren. Die handschriftliche Überlieferung einer großen Anzahl von hayrenner setzt im 16. Jh. ein. In seiner umfangreichen Edition sammelt Mnac’akanyan nicht nur hayrenner, die sowohl metrisch als auch inhaltlich zur hayren-Dichtung gehören, sondern auch anderen mittelalterlichen Gattungen zugehörige Lieder, die in hayren-Metrik geschriebenen sind (z. B. das Heldenlied). Entsprechend teilt Mnac’akanyan seine Edition in fünf Bücher ein. Die Edition von Mnac’akanyan wird unten ausführlich diskutiert. Hier soll nur erwähnt werden, dass im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung die hayrenner aus dem ersten und zweiten Buch stehen, d. h. die hayrenner, die inhaltlich wie auch formal zur Gattung »hayren« gehören. Dabei handelt es sich überwiegend um Liebeslieder. Die hayrenner aus dem ersten Buch sind in 41 handschriftlichen Zeugnissen überliefert, die aber im Wesentlichen andere Textsorten enthalten und zwischen dem 15. und 18. Jh. entstanden sind. 1. Matenadaran (Handschriftensammlung) in Jerewan – 18 Handschriften75 2. Mchitaristen-Congregation76 in Venedig (San Lazzaro) – 10 Handschriften77 3. Mchitaristen-Congregation in Wien – 2 Handschriften (Nr. 343 und 671) 4. Pariser Staatsbibliothek – 1 Handschrift (Nr. 185) 5. Oxforder Universitätsbibliothek – 1 Handschrift (Nr. 149 Arm. F. 7) 6. Andere, auch aus Privatbesitz – 9 Handschriften78. Die hayrenner aus dem zweiten Buch sind in 84 handschriftlichen Zeugnissen überliefert, die zwischen dem 13. und 18. Jh. entstanden sind: 1. Matenadaran (Handschriftensammlung) in Jerewan – 55 Handschriften79 2. Mchitaristen-Congregation in Venedig (San Lazzaro) – 9 Handschriften80 75 Handschriften Nr. 854, 1990, 2394, 3386, 3751, 4296, 5628, 6099, 7695, 7707, 7709, 7712, 7715, 8968, 9721, 9597, 10208 und 10333. 76 Congregatio monachorum Antonianorum Benedictinorum Armeniorum, begründet von Mxit’ar Sebastac’i (1676 – 1749). 77 Handschriften Nr. 160, 470, 534, 556, 647, 807, 1330, 1339, 1371 und 1823. 78 Aleppo Nr. 28, Palat’i Sowrb Hresˇtakapet ekełec’i 30, David Beks Liederbuch, K’ilisser Liederbuch, Partizaker Liederbuch, Manaser Lazaryans Liederbuch und K’rowt’yan Handschriften: 1678, 17. Jh. und 1682 – 1694. 79 Handschriften Nr. 1, 181, 516, 541, 695, 697, 702, 725, 1558, 1636, 1661, 1864, 1989, 2079, 2148, 2151, 2394, 2497, 2611, 2676, 2783, 2961, 3021, 3218, 3498, 3531, 4285, 5128, 5495, 5624, 7035, 7039, 7057, 7703, 7707, 7709, 7714, 7715, 7717, 7726, 7773, 7953, 8064, 8482, 8575, 8652, 8968, 7091, 9271, 9428, 9845, 10050, 10208, 10333 und 10883. 80 Handschriften Nr. 74, 160, 324, 325, 730, 1330, 1339, 1371 und 1823.

Überlieferung der hayrenner

31

3. 4.

Mchitaristen-Congregation in Wien – 2 Handschriften (Nr. 343 und 671) Bibliothek des Klosters Hl. Jakobus in Jerusalem – 2 Handschriften (Nr. 1070 und 2323) 5. Nationalbibliothek in Łalat’ia – 3 Handschriften (Nr. 32, 102 und 133) 6. Berliner Staatsbibliothek – 1 Handschrift (Nr. 805) 7. Oxforder Universitätsbibliothek – 1 Handschrift (Arm. F. 16) 8. Britisches Museum – 1 Handschrift (Nr. 2622) 9. S. Peterburger Bibliothek – 1 Handschrift (Nr. 13) 10. Andere, auch aus Privatbesitz – 9 Handschriften.81 Wir besitzen zwar zahlreiche Handschriften der hayrenner, diese sind jedoch erst lange nach Entstehung des Liedes niedergeschrieben worden und bieten daher zum größten Teil einen schlechten Ausgangstext. Meistens kommen die hayrenner in mehreren Textvarianten vor, was ein Hinweis darauf ist, dass sie zwischen Dichter und Sammler höchstwahrscheinlich mündlich überliefert worden sind. Es gibt auch Lieder, die mit der Zeit nur wenige Änderungen erfuhren, was andererseits bedeuten könnte, dass neben der mündlichen auch die schriftliche Überlieferung vorgekommen ist.

3.2

Die Textvarianten der hayrenner

Wie oben schon angedeutet, erscheinen die hayrenner größtenteils in mehreren Textvarianten. Abełyan schrieb in seiner hayren-Untersuchung: »Der Großteil der hayrenner hat eigene Textvarianten. Es ist aber kaum möglich, dass die Unterschiede von Abschreibern verursacht worden sind. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Schreiber den einen oder anderen Fehler gemacht haben könnten, aber nicht in einer solchen Masse. Die Schreiber schrieben eine Handschrift normalerweise möglichst korrekt ab. In unseren Handschriften, besonders in zahlreichen Movses Xorenac’i82–Handschriften, sind keine sprachlichen Änderungen zu finden […] Das bedeutet, die sprachlichen Änderungen wurden nicht von den Schreibern, sondern von den Sängern selbst verursacht.«83

Hier muss man zwischen den vom Autor und den von den Nachsängern während der mündlichen Überlieferung verursachten Varianten eines Liedes unterscheiden. Der hayren-Vortrag war ein mündlicher und der Sänger war während 81 Aleppo Nr. 28 und 121, Antonyan miabanowtýown Nr. 583, David Beks Liederbuch und K’rowt’yan Handschrift (1682 – 1694). 82 Der Geschichtsschreiber Movses Xorenac’i, der mit seinem Werk »Hayoc’ patmowt’iwn« (Geschichte Armeniens) bekannt geworden ist, stammt aus dem 5. Jh. 83 Abełyan (1967), S. 75.

32

Einführung: Hayren-Dichtung

des Vortrags schöpferisch frei, die Stimmung des Liedes dem Publikum und dem Anlass anzupassen, sein Lied zu variieren, Strophen wegzulassen oder andere hinzuzudichten. Er konnte die hayrenner in einer Reihenfolge singen, die den Liedern eine ganz andere Sinnrichtung verlieh. Die Textvarianten könnten auch von Nachsängern verursacht worden sein, indem einzelne Lieder berühmter Dichter von diesen aufgegriffen und nachgesungen worden sind. Das bedeutet nun, dass die Texte kein feststehendes und unverändertes Produkt waren. Bei den Textvarianten handelt es sich meistens um folgende Unterschiede: 1. Lexikalische Varianten: Es wurden einzelne Wörter geändert. Im hayren Ա/ ՁԲ, 1167 – 1176 wurde »եար« (ear / Geliebte) durch das Wort »կիւզէլ« (kiwze¯l / Schöne) ersetzt: Իմ բարձրագընա լուսին, Շատ բարև տանիս իմ եարին. (Ա/Կ, 295 – 30, hier: 295 – 296) Mein hoch oben strahlender Mond, / bring meiner schönen Geliebten viele Grüße. Իմ բարձրագընաց լուսին, Շատ բարև տուր իմ կիւզէլին. (Ա/ՁԲ, 1167 – 1176, hier: 1167 – 1168) Mein hoch oben strahlender Mond, / bring meiner Schönen viele Grüße.

2. Morphologische Varianten: Das Kompositium »արեգակն« (»արեգ« areg / Sonne + »ակն« akn / Stein, Edelstein) wurde durch die einfache Form արեւ (arew / Sonne) ersetzt: Երթամ զարեգակն սիրեմ, Որ ծագէ լոյսն առաւօտուն։ (Ա/ՁԲ 1127 – 1134, hier: 1133 – 1134) Ich werde die Sonne (զարեգակն / zaregakn) lieben, / die früh morgens aufgeht. Արեւ, ըզքեզ կու սիրեմ. Օր ծագես հետ լուսանալուն. (Ա/Հ 99 – 106, hier: 105 – 106) Sonne (Արեւ / Arew), ich liebe dich, / du gehst morgens früh auf.

3. Syntaktische Varianten: Die Wörter oder kleine Teilsätze wurden umgestellt: Լուսի՛ն, չեմ սիրեր զքեզ, Դու սորվեր ես խոռ կենալուն. (Ա/ՁԲ 1127 – 1134, hier: 1131 – 1132) Mond, ich liebe dich nicht, / du bist es gewohnt, untreu zu sein. Լուսի՛ն, ես քեզ չեմ սիրեր, Դու սորվեր ես խոռ կենալուն. (Ա/Հ, 99 – 106, hier: 103 – 104) Mond, dich liebe ich nicht, / du bist es gewohnt, untreu zu sein.

Überlieferung der hayrenner

33

4. Textvarianten, die eine unterschiedliche Sinnrichtung besitzen und inhaltlich voneinander abweichen: Այս առաւօտուս լուսուն՝ Գայր ջրէն ձայնիկն զըղզըղուն. Այն իմ պէօֆայ եարին՝ Ձայնն անուշ էր, քան զամենուն. (Թամ., 572a) In dieser Morgendämmerung / höre ich das Wasser rauschen. / Keine hat eine so schöne Stimme / wie meine untreue Geliebte Ան առաւօտուն լուսուն Ձայնըն գայ գարնան ձագերուն. Ա՛յ իմ փոքրիկ ձագեր, Ձայն անուշ է քանց ամենուն. (Թամ., 553) In dieser Morgendämmerung / höre ich das Zwitschern der Frühlingsvögel. / Meine kleinen Vögel, / eine bessere Stimme als eure hat keiner.

Die Textveränderungen könnten aber auch beim Abschreiben oder beim Nachsingen in der späteren Zeit aufgrund der Sprachenentwicklung aufgetreten sein, wenn ein Wort nicht mehr so verständlich war oder seine alte Bedeutung verloren hatte. Das Wort սիրուն bedeutete im Altarmenischen »lieb«, »angenehm«.84 Später bekam das Wort die Bedeutung »schön« und die alte Bedeutung war nicht mehr verständlich. Deswegen wurde das Wort սիրուն in einer Textvariante հավնել (gefallen) vertauscht:85 Չգիտեմ, թէ ո՞րն է սիրուն. (Ա/ՁԲ, 1127 – 1134, hier: 1128) Ich weiß nicht, welche mir besser gefällt. (սիրուն / sirown) Չեմ գիտեր, թէ հաւնիմ որուն. (Ա/Հ 99 – 106, hier: 100) Ich weiß nicht, welche mir besser gefällt. (հաւնիմ / hawnim)

Es gibt Textvarianten, die durch grammatische Änderungen verursacht worden sind. Im hayren Ա/Բ, 149 – 166 wurde die Präposition aufgrund der Sprachentwicklung nicht mehr gebraucht: Զիմ եարն ի գնալ տեսայ. (Ա/Ժ, 45 – 54, hier: 45) Իմ եարն ի գնալ տեսայ. (Ա/Բ, 149 – 166, hier: 149) Ich sah meine Geliebte (meinen Geliebten) gehen. (In der ersten Textvariante ist meine Geliebte (mein Geliebter) mit (Զիմ եարն / Zim earn) und in der zweiten Textvariante ohne Präposition (Իմ եարն / Im earn) überliefert.

84 Nor bar˙agirk’ haykazean lezowi (Neues Wörterbuch der armenischen Sprache) (1836), Bd. 2, S. 716. 85 Vgl. dazu: Abełyan (1967), S. 76.

34

Einführung: Hayren-Dichtung

Textvarianten wurden auch durch den Dialekt verursacht, weil das Lied unabhängig vom Sänger in der Gesellschaft weiterlebte und an verschiedenen Orten gesungen wurde. Zwei Textvarianten mit »քան« (k’an / wie) und »զինչ« (zincˇ’ / wie): Թուխ աչք ու կամար ունքերդ, Քան զծովն կու զարնե ալի. (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090, hier: 1087 – 1088) Deine schwarzen Augen und Brauen / gleichen dem wogenden Meer. Թուխ աչքդ ու կամար ուներտ, Զինչ ըզծով կու զարնէ ալի. (Ա/Կ, 239 – 246, hier: 243 – 244) Deine schwarzen Augen und Brauen / gleichen dem wogenden Meer.

Es gibt aber auch Textvarianten, die beim Abschreiben durch Schreibfehler verursacht worden sind, z. B. »թուշ« (t’owsˇ / Wange) statt »թուխ« (towx / schwarz): Թուշ աչք ու թուշ ունք ունիս (Կոստ. Գ պր.)86

statt Թուխ աչք ու թուխ ունք ունիս Schwarze Augen und Brauen hast du. (Ա/Ա, 103 – 110, hier: 103)

Die unterschiedlichen Textvarianten könnten zu unterschiedlichen Zeiten vorgetragen und aufgezeichnet worden sein. Jede dieser Aufzeichnungen könnte daher die Vorlage für eine uns bekannte Handschrift gewesen sein.87

3.3

Die Überlieferung der hayren-Reihen

Die hayren-Lieder sind in großer Zahl selbstständige 7/8-Zeiler, die in der Lage sind, Liedreihen zu bilden. In der Auswahl einzelner Lieder spiegeln die hayrenReihen gewisse Interessen und Vorlieben des Sammlers oder des Schreibers wider. Es ist schwer abzuschätzen, wie viel die erhaltenen Handschriften vom ursprünglichen Liedbestand bewahren. Ein Vergleich zwischen verschieden hayren-Reihen zeigt, dass jede hayren-Reihe auch Texte enthält, die in anderen fehlen. Immer noch werden auch bisher unbekannte Texte gefunden. Erst 1995 wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion die größte hayren-Edition von Asatowr Mnac’akanyan veröffentlicht,88 die bis dahin unbekannte Lieder aus unbe86 Zitiert nach Kostanyanc’ (1896). 87 Mehr dazu: Abełyan (1967), S. 73 – 94. 88 Mnac’akanyan (1995).

Überlieferung der hayrenner

35

kannten Handschriften enthält. Wenn im Jahre 1957 Abełyan nur 9 Liedreihen aus 8 Handschriften kannte, so sind in Mnac’akanyans Edition (1995) 40 hayrenReihen aus 18 Handschriften bekannt.89 Viele Lieder bzw. Liedreihen sind mehrfach in verschiedenen Handschriften überliefert und lassen sich miteinander vergleichen, wie die folgenden hayren-Reihen: Hayren-Reihe Ա/Բ In den Handschriften: Hs. Nr. 160 (Mchitaristen-Congregation/Venedig) und Hs. Nr. 7707 (Matenadaran/Jerewan). Hayren-Reihe Ա/ԺԶ – In den Handschriften: Hs. Nr. 556 (Mchitaristen-Congregation/Venedig), Hs. Nr. 9597 (Mchitaristen-Congregation/Venedig) und Hs. Nr. 10208 (Mchitaristen-Congregation/Venedig). Hayren-Reihe Ա/ժԷ – In den Handschriften: Hs. Nr. 343 (Mchitaristen-Congregation/Wien), Hs. Nr. 9597 (Mchitaristen-Congregation/Wien) und Hs. Nr. 10208 (Mchitaristen-Congregation/Wien). Aus der Verteilung der hayrenner weiß man, wie populär einzelne Lieder waren. Die Lieder, die nicht so oft vorgetragen wurden, sind nur in wenigen Handschriften zu finden. Die Lieder sind in Handschriften in einer gewissen Reihenfolge geordnet. Die hayrenner sind in manchen Handschriften nach ihrer Thematik unterteilt: »Տաղ հայերէն վասն ուրախութեան«90 (Tał hayere¯n vasn owraxowt’ean / tał-hayren über die Freude), »Հայրէն սիրոյ«91 (Hayre¯n siroy / hayren über die Liebe) »Հայրենի կարգաւ«92 (Hayreni kargaw / hayren-Reihe), »Հայրենիք սիրոյ և ուրախութեան«93 (Hayrenik’ siroy ew owraxowt’ean / hayrenner über die Freude und Liebe), »Տաղ հայրենիկ ի վերայ սիրոյ ասացեալ«94 (Tał hayrenik i veray siroy asac’eal / tał-hayren über die Liebe). Zwischen einzelnen Handschriften kann man stilistische Ähnlichkeiten nachweisen.95 Die Handschriften 10208 und 9597 enthalten viele gemeinsame hayren-Reihen: Ա/Գ (9597, 10208) Ա/Դ (9597, 10208), Ա/Ե (9597, 10208), Ա/Ժ (9597, 10208), Ա/ԺԱ (9597, 10208), Ա/ԺԲ (9597, 10208), Ա/ԺԳ (9597, 10208), Ա/ ԺԴ(9597, 10208), Ա/ԺԵ (9597, 10208), Ա/ԺԶ (9597, 10208), Ա/ԺԷ (9597, 10208), Ա/ԺԸ (9597, 10208), Ա/ԺԹ (9597, 10208), Ա/Ի (9597, 10208), Ա/ԻԱ (9597, 10208). Ob sich die stilistischen Ähnlichkeiten durch gewisse Verwandtschaften

89 90 91 92 93 94 95

Mnac’akanyan (1995), S. 966. Abełyan (1967), S. 23. Mnac’akanyan (1995), S. 144. Ebd., S. 43. Ebd., S. 258. Ebd., S. 295. Z.B. hayren-Reihen Ա/Բ, Ա/ԺԶ, Ա/ԺԷ, Ա/ԻԸ, Ա/ԼԲ, Ա/ԽԴ, Ա/ԿԶ und Ա/ՀԷ.

36

Einführung: Hayren-Dichtung

und gemeinsame Vorlagen erklären lassen, ist schwer zu sagen, da die Handschriften sprachlich und stilistisch noch nicht untersucht worden sind.96 Die meisten hayrenner sind anonym überliefert. Das lässt sich durch verschiedene Faktoren erklären: Da der Großteil der im 13. Jh. geschaffenen hayrenner erst im 16. Jh. aufgezeichnet wurde, hatten die Schreiber das Lied nicht vom Dichter selbst, sondern von anderen Sängern gehört. Es gibt keine Einzelsammlungen der hayrenner; sie sind hauptsächlich in Handschriften zusammen mit anderen Textsorten überliefert, was auch ein Grund für die Anonymität der meisten Lieder sein könnte. In manchen Handschriften sind einige anonyme Lieder mit Namen versehen. Die mit den Zeilen »Բազան ի յանտառ մորին« (Bazan i yantar˙ morin / Der Falke in dem tiefen Wald) und »Բանիկ մը ղալաթ արի« (Banik meˇ łalat’ ari / Ich irrte mich und liebte) beginnenden hayrenner finden sich in Mnac’akanyans hayren-Edition entsprechend in folgenden hayren-Reihen: Ա/ՁԲ, 277 – 284; Բ/Ե, 61 – 68; Բ/ԺԳ, 25 – 32 und Ա/ԽԴ, 65 – 72; Բ/ Դ, 385 – 390; Բ/ԺԳ 77 – 84. Sie sind sowohl mit den Namen Hovhannes Erznkac’i97 und Frik98 als auch anonym99 überliefert. Der mit der Zeile »Ես ան հաւերուն էի« (Es an hawerown e¯i / Ich war einer von jenen Vögeln) beginnende hayren ist in den Reihen Ա/ԽԴ, 57 – 64; Ա/ՁԲ, 605 – 612; Ա/ՁԳ, 814 – 821 und Բ/ԺԳ, 37 – 44 mit dem Namen Frik100 sowie anonym101 zu finden. Es wurden leider keine sprachlichen und stilistischen Untersuchungen vorgenommen, um herauszufinden, ob sie diesen Autoren nur zugeschrieben worden sind oder wirklich von ihnen stammen.

3.4

Die hayren-Handschriften

Die hayren-Handschriften besitzen im Unterschied zur Chroniküberlieferung und zur christlich-religiösen Lyrik eine bescheidenere Ausstattung: Sie sind nicht so kunstvoll ausgeschmückt wie Codices, die die Evangelien und andere geistliche Texte enthalten, sondern bestehen überwiegend aus Papier mit wenigen Miniaturen. Die Texte sind meistens fortlaufend ohne Spaltengliederung in Kursivschrift (armenische Benennung: »Նոտրգիր« / Notrgir) und Rundschrift (armenische Benennung: »Բոլորգիր« / Bolorgir) verfasst. Die Strophenanfänge

96 Solche Untersuchungen, besonders die gefundenen gemeinsamen Fehler, könnten bestätigen, dass die Sammler gemeinsame Vorlagen benutzt haben. 97 Mnac’akanyan (1995), S. 410 und S. 403. 98 Ebd., S. 442 und S. 444. 99 Ebd., S. 320 und S. 146. 100 Ebd., S. 442. 101 Ebd., S. 146, S. 329 und S. 369.

Überlieferung der hayrenner

37

sind durch farbige (meist rote) Initialen gekennzeichnet. Manche besitzen am Blattrand stehende Vignetten. (Abbildung 1).

Abb. 1: Տաղ գեղեցիկ ազնիւ (Tał gełec’ik azniw / Ein schönes liebenswürdiges tał) Quelle: Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, Handschrift Nr. 7717: Tałaran (Liederbuch), Adranowpolis 1695, 256 Blatt, Masse: 14 X 9,8 cm., Schrift: Notrgir (Kursivschrift), Blatt 210b – 212a.

38

Einführung: Hayren-Dichtung

Die Handschriften sind oft in schlechtem Zustand, weil sie genauso wie das Volk das tragische Schicksal Armeniens durchlitten. (Abbildung 2) Die armenischen Mediävisten des 19. Jhs. berichteten über hayren-Handschriften, die heute als verloren gelten.102 Viele Handschriften wurden während der Deportationen und der zahlreichen Massaker am armenischen Volk im Osmanischen Reich vernichtet. In manchen Handschriften fehlen sowohl Angaben zu Zeitpunkt und Ort ihrer Entstehung als auch Vermerke über ihre Auftraggeber und Schreiber. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und nach der Unabhängigkeit der Republik Armenien sind die Möglichkeiten für die Untersuchung der hayren-Handschriften außerhalb Armeniens besser geworden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere hayren-Reihen oder sogar ältere Vorlagen der bekannten Handschriften gefunden werden. Die umfangreiche Edition Mnac’akanyans zeigt, wie viele hayren-Reihen in dem Jahre 1995 noch unbekannt waren und in seiner Ausgabe erstmals veröffentlicht worden sind. Der weitere Vorteil der Edition besteht darin, dass sie nicht nur hayren-Handschriften innerhalb, sondern auch außerhalb Armeniens enthält.

4.

Überlieferung der Melodien zur hayren-Dichtung

4.1

Die mittelalterliche armenische Notenschrift: xaz (Mrz.: xazer)

Die Zeichen der mittelalterlichen armenischen Notenschrift werden xazer (Einzahl: xaz) genannt.103 Es sind etwa 2000 Handschriften überliefert, die Aufzeichnungen von Melodien enthalten.104 Die erste Erwähnung, die sich möglicherweise auf eine Notation bezieht, liefert der Geschichtsschreiber Łazar P’arp’ec’i (5. Jh.), der in seiner »Geschichte Armeniens« beschreibt, dass Sahak Part’ev (348 – 439) die Verwendung von »Singbuchstaben« (ergołakan tar˙icn)105 vollkommen beherrschte.106 Leider gibt es keine weiteren Belege für diese frühe Notation des 5. Jahrhunderts.

102 Unter anderen auch die mit der Zeile »Այս ծովական գիշերս ի բուն« (In dieser Nacht gleich dem Meer) beginnende hayren-Reihe, die Aristakes Archimandrit Tevkanc’ in der Ausgabe »Hayerg« veröffentlicht hat. Die Handschrift gilt heute als verloren. 103 Bei der Darstellung der mittelalterlichen armenischen Notenschrift stütze ich mich im Wesentlichen auf die Arbeiten von Komitas, At’ayan und T’ahmizyan 104 Haykakan hamar˙ot hanragitaran (Armenische Kurzenzyklopädie) (1990), Bd. 2 (1995), S. 466. 105 Łazar P’arp’ec’i (1982), S. 36. 106 Vgl. dazu: At’ayan (1959), S. 70, (1968), S. 72.

Überlieferung der Melodien zur hayren-Dichtung

39

Abb. 2: Ելեալ կարկաջէր կաքաւն (Eleal karkaǰe¯r kak’awn / Da zwitscherte das Rebhuhn) Quelle: Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, Handschrift Nr. 5306: Tałaran (Liederbuch), o. O. 17. Jh., 99 Blatt, Masse: 11,5 X 8,7 cm., Schrift: Notrgir (Kursivschrift), Blatt 35a.

Die Systematisierung der xazer und ihre Einführung in die armenische Sakralmusik ist mit dem Namen von Step’anos Syownec’i107 (660/670 – 735) verbunden. Er war ein bekannter Theoretiker und Schöpfer vieler Gesänge. Für die Weiterentwicklung und Verbreitung der xazagrowt’yown leisteten Grigor Gr˙zik (7.–8. Jh.), Anania Narekac’i (950 – 1003), Nerses Sˇnorhali (1100 – 1173), Grigor

107 Armenischer Theologe, Grammatiker, Übersetzer, Dichter und Musiker.

40

Einführung: Hayren-Dichtung

Xowl (13. Jh.), Geworg Skewr˙ac’i (1246/47 – 1301), Grigor Xlat’ec’i (1349 – 1425) und Thoma Mecop’ec’i (1378 – 1446) besonders wichtige Arbeit. Die armenische mittelalterliche Notation erreichte im 10.–13. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Die Melodieaufzeichnungen der Handschriften dieser Zeit wurden von Experten durchgeführt, die mit der xazer-Notation sehr gut vertraut waren. Hiervon zeugen nicht nur die Kolophone der Handschriften, sondern dies wurde auch durch den Vergleich zwischen der Text- und Melodieaufzeichnung bestätigt. Die Untersuchungen zeigten, dass Texte und Melodien von verschiedenen Personen notiert worden sind. Der Schreiber hielt den Text fest und ließ den Platz für die Musikaufzeichnung frei, welche später von einem xazer-Spezialisten ergänzt wurde. Ab dem 15. Jh. wurden die xazer zwar weiter benutzt, aber nicht von xazer-Experten selbst, sondern von Schreibern, die nur wenig Kenntnis von der xazer-Notation hatten. Ab dem 16. Jh. ist ein Verfall der xazerSchrift zu beobachten.108 Wenn im 12. Jh. jeder Geistliche der Anforderung des Katholikos Nerses Sˇnorhali (1100 – 1173) entsprechend die Kunst der xazagrowt’yown vollkommen beherrschen musste,109 so finden sich im 16. Jh. nur noch wenige xazer-Kenner. In den Handschriften ab dem 16. Jh. sind folgende Notizen der Schreiber zu finden: »Das ist der Ton, sing, wie viel du kannst«110 oder »Wenn du ein Diakon (Chorsänger) bist, sing diesen Ton.«111 In dieser Zeit tauchen auch jaynak’ał ˇsaraknoc’ner (Hymnarien) auf, in denen die Texte der ˇsarakanner (Hymnen) verkürzt und damit auch die Melodieaufzeichnungen fehlerhaft sind. Ab dem 16. Jh. pflegten nur noch vereinzelte Kenner die xazer-Notation und im Laufe der Zeit geriet sie in Vergessenheit. Die xazagrowt’yown gliedert sich in zwei selbstständige Systeme: das prosodische und das musikalische System.112 Das prosodische System besteht aus zehn Grundzeichen (Abbildung 3), von denen nur fünf rein musikalische Bedeutungen haben: erkar, sowł, ˇsesˇt, volorak, but’.113 Die musikalischen xazer bestehen aus 25 Grundzeichen (Abbildung 4). Die übrigen Symbole sind nach At’ayan »entweder entstellte Varianten der Stammneumen (Andersschreibung) oder Kombinationen derselben als Resultat der Lautschrift.«114 (Abbildung 5). Wichtigste Nebenzeichen sind über den xazer stehende einzelne oder doppelte

108 109 110 111 112 113

Vgl. dazu: At’ayan (1959), S. 104 – 107. Ebd., S. 105. Ebd. Ebd. At’ayan (1968), S. 66. Die übrigen prosodischen xazer beziehen sich auf Besonderheiten der phonetischen Aussprache. Vgl. dazu: At’ayan (1968), S. 67. 114 At’ayan (1968), S. 76.

Überlieferung der Melodien zur hayren-Dichtung

41

Punkte, die auf die zwölf Konsonanten des armenischen Alphabets verteilt sind.115

Abb. 3: Die Grundzeichen des armenischen prosodischen Systems nach At’ayan Quelle: At’ayan (1968): Armenische Chasen. S. 68. In: Beiträge zur Musikwissenschaft, hg. vom Verband deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler, Sonderheft 1917 – 1967, Sowjetische Musikwissenschaft. Studien-Besprechungen-Berichte, Berlin 1968.

Abb. 4: Die Grundzeichen des armenischen xazer-Systems der ˇsarakanner nach At’ayan Quelle: At’ayan (1968): Armenische Chasen. S. 76. In: Beiträge zur Musikwissenschaft, hg. vom Verband deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler, Sonderheft 1917 – 1967, Sowjetische Musikwissenschaft. Studien-Besprechungen-Berichte, Berlin 1968.

Die musikalischen xazer bestehen aus drei Aufzeichnungssystemen, die zwar eng miteinander verbunden sind, aber eigenständige Systeme darstellen. Man unterscheidet:

115 Ebd.

42

Einführung: Hayren-Dichtung

Abb. 5: Die Kombinationen der Grundzeichen der xazagrowt’yown nach T’ahmizyan Quelle: Sowjetarmenische Enzyklopädie, hg. von Kostandin Xowdaverdyan s. o., Bd. 4 (1978), S. 702.

a) Ursprüngliche xazer (das älteste Beispiel aus dem 9. Jh.): Sie sind den frühbyzantinischen Neumen ähnlich. Die Zeichenzahl ist in diesem System relativ begrenzt. b) Sˇarakan-xazer (das älteste Beispiel aus dem 10. Jh.): Seit dem 10. Jh. wurden die xazer in ein geschlossenes System gebracht, das für die Sakralmusik Armeniens bis zum 12. Jh. in Gebrauch blieb. Die ˇsarakanner (Hymnen) und andere ihnen melodisch ähnliche Gattungen wurden in diesem System festgehalten. c) Manrusum116-xazer (das älteste Beispiel aus dem 12. Jh.): Sie waren mit den kompositorischen Besonderheiten der Lieder des manrusum, der tałer und mełediner verbunden. Die Fixierung der Melodik der von den modalen Prinzipien der ˇsarakanner abgelösten tałer und mełediner erforderte eine Erweiterung des Zeichensystems. In diesem Aufzeichnungssystem blieben 116 Die Lehre von der Melodik und der armenischen mittelalterlichen Notenschrift: xazer.

Überlieferung der Melodien zur hayren-Dichtung

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die alten xazer zwar erhalten, aber die Anwendungsbereiche der einzelnen Zeichen und ihre Gruppierungen sowie das System der Hilfszeichen wurden erweitert.117 In den Klosterschulen beschäftigten sich die Schüler nicht nur mit Fragen der Interpretation und der Liedschöpfung, sondern auch speziell mit musikalischtheoretischen Problemen und mit der Notation. In diesen Schulen wurde mithilfe der manrusum-Handschriften, die Liederhandschriften in xazer enthielten und die Funktion praktischer Lehrwerke erfüllten, unterrichtet.118 Mit der armenischen Neumenschrift haben sich sowohl armenische119 als auch ausländische120 Gelehrte eingehend beschäftigt. Eine besonders große Rolle spielten dabei die Untersuchungen Komitas, der heute allgemein als Begründer der modernen klassischen Musik Armeniens gilt. Er entschlüsselte einen wesentlichen Teil der prosodischen xazer-Notation.121 Dank Komitas sind mehrere Lieder geistlichen und weltlichen Inhalts aufgezeichnet worden. Seine Studie, eine umfangreiche Untersuchung über die armenische Musik zu leisten, wurde leider nicht abgeschlossen. Der staatlich organisierte Völkermord an Armeniern im Osmanischen Reich verhinderte die Vollendung seiner Arbeit.122 Einzig einige kleinere Aufsätze konnte er der armenischen und ausländischen Öffentlichkeit anbieten, die jedoch nur einen geringen Teil seiner Untersuchung ausmachten.

4.2

Tałaranner: Überlieferung der hayren-Melodien

Nach der allgemeinen Betrachtung des mittelalterlichen armenischen Notationssystems und des Forschungsstands in diesem Bereich kann die Problematik der Melodien der hayren-Dichtung erfasst werden. 117 Vgl. dazu: Armenische Enzyklopädie (1978), Bd. 4, S. 701, At’ayan (1959), S. 39 – 69; (1968), S. 74. 118 At’ayan (1968), S. 73. 119 Vor allem: Tntesyan (1864), (1874); Tasˇcˇ’yan (1874), (1893); Komitas 10 Bde. (1969 – 2000); At’ayan (1959), (1968), (1999); T’ahmizyan (1969), (1971), (1977), (1989). 120 Vor allem: Schröder (1711); Petermann (1851); Fleischer (1904); Wagner (1912); Wellesz (1920), (1929); Reese (1940); Ertlbauer (1985). 121 Über die Entschlüsselung der prosodischen xazer berichtet Komitas im Artikel »Die armenische Kirchenmusik« (1899). 122 Am 24. April 1915 wurde Komitas in Konstantinopel mit weiteren armenischen Intellektuellen verhaftet und deportiert. Fast alle Deportierten wurden dort ermordet. Zwar durfte Komitas zurückkehren, doch konnte er sich nach der Deportationszeit nicht mehr gänzlich erholen. Im Jahr 1919 wurde Komitas nach Paris gebracht, wo er zunächst in der Privatklinik von Ville-Evrard, dann in der psychiatrischen Klinik von Ville-Juif bis zu seinem Tod im Jahr 1935 lebte.

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Einführung: Hayren-Dichtung

Die weltliche Musik wurde im Mittelalter hauptsächlich mündlich überliefert. Schriftlich festgehalten wurden in erster Linie die christlichen Gesänge, wozu die xazer erfunden worden waren. Die Musiknotationen ermöglichten die Erhaltung und Verbreitung der kirchlichen Gesänge in möglichst einheitlicher Form, gleichzeitig stellten sie eine Gedächtnisstütze dar. Ab dem 13. Jh. finden sich allerdings auch weltliche Lieder mit Neumenaufzeichnungen. Für die Weiterentwicklung der weltlichen Lyrik und Musik war die Pflege eines neuen musikalischen Genres, der tałer, im 10. Jh. von großer Bedeutung.123 Am Anfang besaßen die tałer zwar einen geistlichen Inhalt und gehörten zur Sakralmusik, waren jedoch nicht kanonisiert. Tałer brachten die Ideen und Gefühle der neuen Epoche zum Ausdruck, besaßen eine freie, rhythmisch äußerst differenzierte Melodik.124 In dieser Zeit tauchen die tałaranner125 auf, die neben geistlichen auch weltliche Lieder mit Neumenaufzeichnungen enthalten.126 Auch die wenigen hayrenner mit xazer-Notation sind in tałaranner überliefert worden, die jedoch sehr wenig untersucht worden sind. Die bis jetzt veröffentlichten hayrenAusgaben edieren nur die Texte.127 Ich habe zwölf hayren-Handschriften (Nr. 1978, 1989, 2394, 5306, 7707, 7709, 7717, 9229, 9271, 9597, 9600, 10208) des Jerewaner Handschriftenarchivs Matenadaran untersucht um herauszufinden, wie oft die Texte in oben genannten Handschriften Melodieaufzeichnungen enthalten. Das Ergebnis ist sehr bescheiden: Die hayren-Texte sind überwiegend ohne Melodien überliefert. Von den zwölf Handschriften enthalten nur drei hayren-Reihen gelegentlich (Hs. Nr. 1989, 7717 und 9229) unvollständige xazer. Nur ein Lied (Hs. 1989, Blatt 137a – 138a)128 besitzt das musikalische Zeichensystem der manrusum-xazer, mit denen tałer und mełediner aufgezeichnet worden sind (Abbildung 6). Die Tatsache, dass die hayrenner meistens ohne Melodieaufzeichnungen überliefert sind, kann dadurch erklärt werden, dass die Handschriften meistens aus dem 16.–17. Jh. stammen, in dem die alten armenischen Notationszeichen nicht mehr so häufig verwendet worden sind. Ein anderer Grund könnte die Populärität der Melodien gewesen sein, so dass die Sammler es nicht für nötig hielten, die Melodien aufzuzeichnen. Die Melodien der hayrenner waren einstimmig und wurden solistisch vorgetragen. Die einzelnen hayren-Lieder wurden so hintereinander gesungen, dass sie Strophenreihen bildeten. Die Melodien wurden auch k’asˇharen (քաշհարեն) genannt, was bedeutet, dass die Zeilen miteinander in langatmigen Melodien 123 124 125 126 127

At’ayan (1968), S. 73. Ebd. Liederhandschriften. At’ayan (1968), S. 74. Nur zwei hayrenner wurden mit Melodieaufzeichnungen veröffentlicht. At’ayan (1959), S. 96. 128 Für das edierte Lied siehe Mnac’akanyan (1995), S. 941.

Überlieferung der Melodien zur hayren-Dichtung

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ˇ ’eˇkayr mard hołacin / Es gibt keinen irdischen Menschen), Abb. 6: Չըկայր մարդ հողածին (C Spruchlied in der hayren-Metrik. Quelle: Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, Handschrift Nr. 1989: Tałaran (Liederbuch), Nor ˇJowła 1647, Schreiber: Margar Dpir, 342 Blatt, Masse: 13,5 X 9,7 cm., Schrift: Notrgir (Kursivschrift), Blatt 138a.

verbunden wurden, die sich in dieser Weise von Tanzmelodien unterschieden. Charakteristisch für die hayrenner waren einfache und leichte Struktur und Tiefe der Gefühle. Die gesungenen Lieder wurden höchstwahrscheinlich in regelmäßigen Abständen durch ausdrucksvollen Sprechgesang unterbrochen.129 Der Sänger war bei seinem Vortrag schöpferisch frei. Da die hayren-Lieder immer dieselbe Metrik und denselben Strophenbau besaßen, wurden sie höchstwahrscheinlich in einer Tonreihe vorgetragen, die in Abhängigkeit von Inhalt und Motiven variiert wurde. Die Melodien könnten wie die Texte von anderen Sän129 Sowjetarmenische Enzyklopädie, Bd. 6 (1980), S. 206 – 207.

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Einführung: Hayren-Dichtung

gern im Gedächtnis bewahrt worden sein. Es könnte weitere Texte zu diesen Melodien gegeben haben. Im armenischen Mittelalter war das Verfahren der Kontrafaktur verbreitet. Meistens ging es um populäre weltliche Melodien, die mit religiösen Texten versehen wurden: Ein gutes Beispiel dafür ist das geistliche Lied »Ահա ցնծա ծովն ու ծփա« (Aha c’nca covn ow cp’a / Das Meer wogt und jubelt), das eine Neutextierung der bekannten Melodie des Volksliedes »Գացեք, տեսեք որնա կերել զէծ« (Gac’ek’, tesek’ worna kerel ze¯c / Geht und schaut, wer die Ziege gegessen hat) ist.130 T’ahmizyan unterscheidet zwei Gruppen gemeinsam mit Melodien aufgezeichneter Lieder: Lieder, die bestimmte Melodien besessen haben, die die Sänger auswendig gekannt haben, und Lieder, deren Melodien aus der ersten Gruppe übernommen und variiert worden sind.131 In der schriftlichen Überlieferung besitzen die Lieder der zweiten Gruppe meistens am Rand Hinweise, mit welchen Melodien sie gesungen werden sollten.132 Die Übernahme der Melodien erfolgte mit vielfältigen rhythmischen Freiheiten. Sie wurden höchstwahrscheinlich genauso verändert, moduliert und variiert wie die Texte. Das führte dazu, dass zum selben Text mehrere Melodien überliefert sind oder dass im Gegenteil dieselbe Melodie mit mehreren Textvarianten überliefert ist. Bei manchen Liedern ist die Unabhängigkeit der Melodiestruktur von der Textstruktur zu beobachten. Łanalanyan beschreibt das folgendermaßen: »Es gibt Melodien, die keinen inneren Zusammenhang mit der Textstruktur haben, mit der sie überliefert sind. Man kann diese Töne (Melodien) für andere Texte nehmen oder umgekehrt, diese Texte mit anderen Melodien vortragen.«133

Es gibt leider keine Untersuchungen, die versucht haben, die hayren-Melodien zu rekonstruieren. In den letzten Jahrzehnten, besonders nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Republik Armenien, wurden CDs von hayrenner aufgenommen.134 Sie enthalten aber keine überlieferten originalen hayren-Melodien aus dem Mittelalter. In dieser Hinsicht könnten die am Ende des 19. Jhs. aufgezeichneten antowniner, die dieselbe Metrik wie die hayrenner aufweisen, einen ungefähren Eindruck von den Melodien der hayren-Dichtung vermitteln.

130 Mehr dazu: Hovsep’yan (1899), S. 44, At’ayan (1959), S. 94. 131 T’ahmizyan (1969), S. 36. 132 Z.B. »Գուհար վարդ [ի ձայն]« (Gowhar vard [I jayn] / Ist der Ton von der »Edlen Rose«): Hs. Nr. 4117 (Handschriftenkatalog, Matenadaran), Blatt 159b; »Երգ զարմանալուն ձայն է« (Erg zarmanalown jayn e¯ / Ist der Ton vom »Erstaunlichen Lied«): Hs. Nr. 3503 (Handschriftenkatalog, Matenadaran), Blatt 122a. Mehr dazu: T’ahmizyan (1969), S. 36 – 37. 133 Łanalanyan (1986), S. 268. 134 Vor allem: Lilit’ Danielyan; Arsen Hambarjumyan.

Überlieferung der Melodien zur hayren-Dichtung

4.3

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Vortrag der hayrenner

Die hayren-Dichtung wurde gesungen vorgetragen. Das ist auch in den Texten selbst belegt: Ich weiß, du kennst viele hayrenner, sing mir ein Lied, ein hayren. (Ա/ԽԲ, 103 – 110, hier: 103 – 104)

Die Melodien der hayren-Dichtung wurden im Gegensatz zu religiösen Liedern vernachlässigt, was darauf hinweisen könnte, dass die religiöse Dichtung für eine größere Gemeinschaftsrezeption gedacht gewesen ist. Als Grund dafür ist aber auch die Tatsache zu betrachten, dass die Handschriftenproduktion hauptsächlich an den Klöstern von Geistlichen durchgeführt wurde, deren Interesse in erster Linie bei der religiösen Lyrik lag. Es ist unklar, wie die hayren-Lieder vorgetragen wurden. Weder die Texte selbst noch die Chronisten geben ausreichend Auskunft darüber. Die Lieder wurden höchstwahrscheinlich von Instrumenten begleitet. Dafür sprechen die Miniaturen, auf denen die gowsanner mit Saiteninstrumenten dargestellt sind (Abbildung 7). Diese Bilder sind vor allem für die Vorstellung der mittelalterlichen Musikinstrumente wichtig: Über manche Musikinstrumente wissen wir nur etwas aus diesen Miniaturen, da sie in unserer Zeit verschwunden sind.135 Sichere Texthinweise für die Instrumentalbegleitung der hayren-Dichtung liefert das armenische Nationalepos »Sasownc’i Davit’« (Davit’ von Sasown)136 aus dem 13. Jh. Das Epos besteht aus vier Gesängen. Es schildert die Entstehung und den Untergang des Fürstengeschlechts von Sasown über vier Generationen. Sasownc’i Davit’, der die dritte Generation des Heldengeschlechts von Sasown und gleichzeitig die Hauptfigur des Heldenepos darstellt, erfährt etwas über die Schönheit und Klugheit seiner zukünftigen Frau Xandowt’, der Tochter des Königs Vacˇ’o-Marǰo durch gowsanner. Die Königstochter Xandowt’ schickt die gowsanner nach Sasun, damit sie bei Davit’ ihre Schönheit und Klugheit preisen. Dafür verspricht die Königstochter, die gowsanner zu belohnen: Խանդութ ասաց.– Գուսաններ, Դուք էկեք, գնացեք Սասուն. Քանի օր գնացիք, էկաք, Օրական ձեզի մեկական արծաթ փող տամ։137 Xandowt’ sagte: »Gowsanner, Wenn ihr nach Sasown reist, 135 Z. B. tarapowlay, ein Saiteninstrument, worüber wir nur aus der Miniatur aus der Handschrift Nr. 9599 des Handschriftenkatalogs Matenadaran wissen: Ałavitgeschichte von Alexander aus Makedonien, 17. Jh. 136 Das Nationalepos ist auch unter dem Titel »Sasna cr˙er« (Die Recken von Sasun) bekannt. 137 Zitiert nach Sasownc’i Davit’ (1981), S. 251.

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Einführung: Hayren-Dichtung

Abb. 7: Gowsan mit Saiteninstrument Quelle: Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, Handschrift Nr. 6325: Awetaran (Evangeliar), o. O. 16. Jh., 293 Blatt, Masse: 25 X 17 cm., Schrift: Bolorgir (Rundschrift), Blatt 8b.

ich werde euch für jeden da verbrachten Tag eine Silbermünze geben.«

In Sasun begegnen die gowsanner den erstaunten jungen Leuten: Sie wissen nicht, was ein gowsan ist und welches Musikinstrument er spielt. Der Onkel Davit’s, Toros, erklärt dann: Էդ գուսա՛ն է, սա՛զ է. Ձեն կ’էլնի մոտեն, անո՜ւշ-անո՜ւշ: Դուք իսկի բան չեք տեսե, Արե՛ք, տանեմ մեր սենեկ, Էդոնք սազ զարկեն, խաղ ասեն, Մենք էլ ականջ անենք…138 Das ist ein gowsan, das ist sein saz.139 Es klingt so wunderschön. Habt ihr noch nie einen gowsan gesehen? Kommt hier, wir gehen hinein, sie spielen saz und singen und wir hören zu. 138 Ebd., S. 252. 139 Saz ist ein orientalisches birnenförmiges Saiteninstrument mit Metallsaiten. Es wird aus dem Holz des Walnuss- oder Maulbeerbaums gebaut und hat vier bis acht Saiten. Das saz wurde zum ersten Mal im Epos »Sasownc’i Davit’« erwähnt. Vgl. dazu: Erazˇsˇtakan bar˙aran (Musikwörterbuch), (2000), S. 233.

Ursprung der hayren-Dichtung: Die Frage nach Autoren

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Das ist aber nicht das einzige Musikinstrument des gowsan, das im Epos erwähnt wird. Als ein weiteres Instrument gilt das tambur:140 Էնոր էտևեն էն թուխմորուս գուսան Առավ ձեռ իր տամբուրեն, լարեց, Խանդութ խանում գովեց ասաց.141 Danach nahm ein schwarzbärtiger gowsan sein tambur, stimmte es und fing an, die Herrin Xandowt’ zu preisen.

Die Auftritte der gowsanner wurden nicht ausführlich beschrieben. Wenn in wenigen Ausnahmen auch die Vortragsszene beschrieben wird,142 so fehlen meistens die genauen Angaben zu Art und Inhalt des Gesanges.

5.

Ursprung der hayren-Dichtung: Die Frage nach Autoren

Bei der Suche nach dem Ursprung der hayrenner wurde entweder ihre Herkunft aus volkstümlicher Quelle erörtert oder die Lieder wurden als Schöpfungen einer einzelnen Person gedeutet. Die Untersuchungen zeigen aber, dass die hayrenner weder Schöpfungen eines Sängers noch Volkslieder sind. Die hayrenner besitzen zwar bestimmte Gemeinsamkeiten mit Volksliedern, sind aber Schöpfungen einzelner Personen. Mit den ersten Editionen trat zunehmend die Frage nach den Autoren der hayren-Dichtung und deren Ursprung auf. Nachdem die hayrenner 1882 von Tevkanc’ dem Volkssänger (arm. asˇowł) Nahapet K’owcˇ’ak (16. Jh.) zugeschrieben worden waren, entzündete sich eine lang anhaltende Diskussion über die Autorschaft der hayrenner. Die Annahme Tevkanc’s stützte sich auf den folgenden Aufruf im Kolophon der Handschrift, aus der er die hayren-Reihe »In dieser Nacht, die dem Meer gleicht« veröffentlichte: »Gepriesen sei die Dreifaltigkeit. Gedenkt K’owcˇ’ak und seiner Gemahlin T’angxat’un. Gedenkt auch K’owcˇ’aks und ebenso seines Großvaters, Meister Nahapet, mit dem Beinamen K’owcˇ’ak. Gedenkt auch, dass er das Evangelium am Portal der Kirche des heiligen Theodoros aus der Hand des Herrn Melik’set’ empfing. Gedenkt des letzten Empfängers dieses Evangeliums, K’owcˇ’ak, der es wohl verdient hatte im Jahre 1637 und dem ich, Erzpriester Step’anos von ˇJuła im Dorf Xar˙akonis begegnete …«143

Danach erklärt Tevkanc’: 140 141 142 143

Ein mittelalterliches Saiteninstrument (arabisch tambur), bestehend aus sechs Saiten. Zitiert nach Sasownc’i Davit’ (1981), S. 254. Vgl. dazu: Grigoryan (1971), S. 38. Tevkanc’ (1882), S. 12.

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Einführung: Hayren-Dichtung

»Xar˙akonis ist ein von Armeniern bewohntes Dorf in der Provinz Vaspurakan, am östlichen Ufer des Sees Arǰak (türk. Ercˇ’ek), wo sich sowohl das Grab asˇowł K’owcˇ’aks als auch das Grab seines Großvaters, Meister Nahapets, befinden und die zu einem Wallfahrtsort für die Dorfbewohner geworden sind. Die mit der Zeile »In dieser Nacht, die dem Meer gleicht« beginnende Gedichtfolge gehört dem Meister Nahapet K’owcˇ’ak und wurde in Sebastia, im Jahre 1583, abgeschrieben«.144

Die Handschrift, von der Tevkanc’ abschrieb, ging verloren und außer seinem Buch gibt es keine andere Informationsquelle darüber. Nach der von Tevkanc’ herausgegebenen Sammlung erschienen weitere Ausgaben, in denen später aus anderen Handschriften aufgefundene hayrenner ebenfalls Nahapet K’owcˇ’ak zugeschrieben wurden. Im Jahre 1900 wurde dem Theologiestudenten T’adevosyan von Abełyan aufgetragen, für eine Seminararbeit einen Kommentar über die hayrenner und die Ausgabe Tevkanc’s zu schreiben. Hierbei zeigte der Verfasser zum ersten Mal, dass die hayrenner nicht Nahapet K’owcˇ’aks Schöpfungen sein können.145 Trotzdem wurde dessen Name schlechthin mit der hayren-Dichtung verbunden. In der Mittelalter-Rezeption Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, deren Aufmerksamkeit darauf gerichtet war, große Namen aus der mittelalterlichen weltlichen Lyrik zu bergen, wollte man diese schönen Lieder als Schöpˇ ’opanyans Ausgabe, fungen einer genialen Person sehen. 1902 erschien in Paris C der ebenfalls hayrenner unter dem Namen K’owcˇ’aks veröffentlichte. In seiner Neuausgabe von 1940 aber verzichtet er darauf, ihn als Autor der hayrenner zu nennen. Im Vorwort schreibt er über die Erstausgabe seiner hayren-Edition: »Ich brauchte solchen Namen auch deswegen, weil ich die französische Übersetzung von armenischen mittelalterlichen Sängern vorbereitete, und für mich war es sehr wichtig, diese Ausgabe vor allem unter dem Namen eines großen Berufssängers zu veröffentlichen, dessen Einfluss auch auf christliche und weltliche Lieder spürbar ist.«146

Schon 1931147 widersprach der namhafte Armenist Abełean grundsätzlich dieser Theorie und erkannte die weit vor dem 16. Jh. liegende Herkunft der hayrenner: In seiner hayren-Untersuchung wurden die Berufssänger, gowsanner, als Schöpfer der hayrenner bezeichnet. Durch sprachliche, stilistische und textkritische Untersuchungen zeigte er, dass die hayrenner ins 13. Jahrhundert datiert werden müssen und nicht aus Xar˙akonis stammen, wo K’owcˇ’ak im 16. Jh. geboren und gestorben ist. Man könnte meinen, nach der oben erwähnten Untersuchung sei die Frage nach der möglichen Autorschaft von K’owcˇ’ak bezüglich der hayren-Dichtung endgültig geklärt. Es wurden jedoch weiterhin Auswahl144 145 146 147

Ebd. Tade¯osean (1903), S. 5 – 16. ˇ ’opanyan (1940), S. 37. C Abełyan (1967), 1. Aufl. (1931).

Ursprung der hayren-Dichtung: Die Frage nach Autoren

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ausgaben148 der hayren-Dichtung unter seinem Namen veröffentlicht und in andere Sprachen übersetzt. Nahapet K’owcˇ’ak wurde zum Sammelautor aller anonymen hayrenner. Und nicht nur das: Es wurden sogar hayrenner unter K’owcˇ’aks Namen veröffentlicht, die in der handschriftlichen Überlieferung Verfassernamen tragen (z. B. Hovhannes Erznkac’i, Frik). Manche Anthologien149 der mittelalterlichen armenischen Dichtung ordnen die hayrenner zwar in das 13. Jh. ein, aber immer noch unter dem Namen K’owcˇ’ak. Nach dessen Grabstein ist er jedoch im Jahr 1592 gestorben. Es ist deswegen ausgeschlossen, dass er im 13. Jh. gelebt und gedichtet hat. Die Auffassung, K’owcˇ’ak sei der Verfasser der hayrenner, wird auch heute noch gelegentlich vertreten. Dagegen spricht aber vor allem das Folgende: 1. Kein einziges hayren aus über 150 bekannten Handschriften wird unter dem Namen K’owcˇ’ak überliefert. 2. In der schriftlichen Überlieferung finden sich hayrenner unter den Namen von Hovhannes Erznkac’i, Frik, Gagik, Anton, Mkrticˇ’ Nałasˇ, Yohannes K’erovbenc’ und Grigoris Ałt’amarc’i. 3. Mit K’owcˇ’aks Namen sind nur zwei armenische Lieder verbunden, die weder sprachliche, stilistische noch inhaltlich-motivische Gemeinsamkeiten mit hayrenner besitzen. 4. Die hayrenner sind in Mittelarmenisch verfasst, das im 13.–14. Jh. gesprochen wurde. 5. Zwar sind die hayrenner in großer Zahl durch die Handschriften des 16. Jahrhunderts überliefert, doch es finden sich hayrenner auch in Handschriften des 13.–14. Jhs.150 6. Die Behauptung des Mönches Aristakes Archimandrit Tevkanc’, die hayrenReihe »In dieser Nacht, die dem Meer gleicht« stamme von K’owcˇ’ak, stützt sich auf ein Kolophon der verloren gegangenen Handschrift, in der aber diese hayren-Reihe nicht dem Großvater K’owcˇ’ak zugeschrieben wird, wie Tevkanc’ behauptet, sondern seinem Enkel K’owcˇ’ak. Die Autoren der hayrenner stammten aus verschiedenen Schichten. Neben weltlichen Vertretern der Fürsten waren auch Kleriker und Berufssänger unbekannter sozialer Herkunft sowie nichtadlige Städter Autoren. Die Lieder der bekannten gowsanner wurden auch von Nachsängern vorgetragen. Urkundlich bezeugt ist Frik. Über sein Leben ist nichts bekannt, außer dass er im 13. Jh. gelebt hat. Umstritten ist, ob er in Kilikien oder im nordöstlichen Armenien lebte. Aus 148 Łowkasyan (1957); Mkrtcˇ’yan (1988); T’amrazyan (2001). 149 Mkrtcˇ’yan / Madoyan (1986), Bd. 2 (1987), S. 123 – 153. 150 Handschriften Nr. 725; 2783; 2961; 3503 und 9229 der Handschriftensammlung Matenadaran.

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Einführung: Hayren-Dichtung

seiner Spruchdichtung erfahren wir, dass er ein wohlhabender Weltlicher gewesen sein muss, der im Mongolenkrieg alles verloren hatte. Hayrenner, darunter auch geistliche, sind unter den Namen Nerses Sˇnorhali, Yovhanne¯s Plowz Erznkac’i, Yovhanne¯s Corcorec’i, Vardan Barcraberc’i, Xacˇ’atowr Kecˇ’ar˙ec’i, Simeon Lehac’i, Msk’in Erec’, Powniat’ Sebastac’i, Yakob Toxat’ec’i, Xacˇ’atowr Erec’ und Melik’set’ Gricˇ’ überliefert. Die Träger der hayren-Dichtung waren hauptsächlich die Berufssänger, die ihren Lebensunterhalt mit ihrem Beruf als Sänger verdienten oder aber zu einem Feudalherrn gehörten und sich bei ihm am Hof aufhielten.

6.

Editionen der hayren-Dichtung

Die Editionsgeschichte der hayren-Dichtung beginnt mit dem Jahre 1882. Die älteste Ausgabe stammt vom Mönch Aristakes Archimandrit Tevkanc’. Er veröffentlichte die hayren-Reihe »In dieser Nacht, die dem Meer gleicht« in seiner Gesamtausgabe »Hayerg, megedik’, tałk’ ev ergk’« (Armenisches Lied, Melodien, Gedichte und Gesänge)151 unter dem Namen Nahapet K’owcˇ’ak. Nach dieser ersten Edition veröffentlichte Konstanjanc im Jahre 1892 weitere hayrenner als ˇ ’opanyan herausgegebene Volkslieder.152 1902 erschien in Paris die von Arsˇak C 153 Ausgabe unter dem Titel Nahapet K’owcˇaki divaneˇ. Sie enthält später aufgefundene hayrenner aus Handschriften, die der Herausgeber in den Bibliotheken der Mchitaristen-Congregation in Venedig (San Lazzaro) sowie in der Pariser ˇ ’opanyan eine erStaatsbibliothek entdeckt hat. 1940 veröffentlichte Arsˇak’ C weiterte und mit Anmerkungen reich versehene Neuausgabe unter dem Titel »Hayrennerow bowrastaneˇ« (Der Garten der hayrenner).154 Eine besonders wichtige Rolle in der hayren-Forschung spielen die Ausgaben von Manowk Abełyan (1930)155 und Asatowr Mnac’akanyan (1995),156 die aus verschiedenen Handschriften hayrenner gesammelt und veröffentlicht haben. Einen bedeutsamen Unterschied zwischen Abełyans Edition und den Editionen von ˇ ’opanyan und Mnac’akanyan bilden die Liedreihen. Während Abełyan einzelne C Strophen als selbstständigen Teil unabhängig von der Strophenreihe veröffentˇ ’opanyan und Mnac’akanyan nicht die einzelnen Strolichte, veröffentlichten C phen, sondern die Strophenreihen der einzelnen Handschriften, weil die Strophe, auch wenn sie einen selbstständigen Teil darstellt, immer im Zusammenhang mit 151 152 153 154 155 156

Tevkanc’ (1882). Konstanyanc’, Prak A: (1892), S. 68 – 75, Tiflis; Prak G: (1896), S. 44 – 54, Tiflis. ˇ ’opanyan (1902). C ˇ ’opanyan (1940). C Abełyan (1931). Mnac’akanyan (1995).

Editionen der hayren-Dichtung

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einer bestimmten Reihenfolge anderer Strophen auftritt.157 Für diese Ausgaben ist der Ausgangspunkt die mittelalterliche Vortragsebene, ihr Ziel ist die Dokumentation einer historisch bezeugten Liedeinheit. Wenn dieselbe hayrenReihe in zwei oder mehr Handschriften überliefert ist, so liegt in Mnac’akanyans Ausgabe die hayren-Reihe einer Handschrift zugrunde, zu der alle Schreib-, Wort- und Fassungsvarianten anderer Handschriften in den Fußnoten herangezogen worden sind. In seiner Edition aber sammelt Mnac’akanyan nicht nur hayrenner, die sowohl metrisch als auch inhaltlich zur hayren-Dichtung gehören, sondern auch anderen mittelalterlichen Gattungen zugehörige Lieder, die in hayren-Metrik geschriebenen sind (z. B. Spruchdichtung mit Minnethematik, Heldenlied). Mnac’akanyan unterscheidet hayrenner dreier verschiedener Register: 1. Volkslied-hayrenner: Dazu gehören die in der mündlichen Überlieferung weiterlebenden und im 19. Jh. aufgezeichneten antowniner. 2. Die von gowsannern geschaffenen hayrenner: Die Lieder dieser Register gehören inhaltlich und formal zur hayren-Gattung. 3. Individuelle hayrenner: Diese Lieder gehören größtenteils anderen mittelalterlichen Gattungen an (Spruchdichtung mit Minnethematik, Heldenlied, geistliches tał), die nur in der hayren-Metrik geschrieben sind. Entsprechend teilt Mnac’akanyan seine Edition in fünf Bücher ein. Im ersten Buch fasst er die von gowsannern geschaffenen hayrenner zusammen. Sie sind weltlichen Inhalts, stellen meistens Liebes- und pandowxt-Lieder158 dar. Geistliche hayrenner und Spruchlieder treten in diesem Band nur vereinzelt auf. Im zweiten Buch sind die hayrenner der namentlich bekannten Autoren versammelt. Diese Lieder entsprechen in Form und Metrik den hayrennern des ersten Buches, sind also unabhängige Achtzeiler, unterscheiden sich aber durch den Inhalt von ihnen: Es handelt sich weitestgehend um Spruchlieder und hayrenner mit geistlichen Themen. Manche Liebeslieder,159 die im ersten Buch bei den anonym überlieferten Liedern zu finden sind, werden hier mit Namen versehen. Im dritten und vierten Buch finden sich ausschließlich antowniner. Im fünften Buch sammelt Mnac’akanyan Lieder anderer Textsorten, die in der hayrenMetrik verfasst worden sind. Der Inhalt bzw. der Umfang dieser Lieder unterscheidet sich grundsätzlich von der Gattung der hayren-Lieder.

157 Ebd., S. 36. 158 Im Mittelpunkt des pandowxt-Liedes steht die Klage des als pandowxt, des von Land zu Land ziehenden Armeniers, der seine Entwurzelung und Heimatlosigkeit beweint. 159 Vgl. dazu: hayrenner Ա/ՁԲ, 277 – 284; Բ/Ե, 61 – 68; Բ/ԺԳ, 25 – 33; Ա/Լ 65 – 72; Ա/ԽԴ, 65 – 72; Բ/Դ, 385 – 390; Բ/ԺԳ 77 – 84; Ա/ՁԲ, 605 – 612; Ա/ՁԳ, 814 – 821 und Բ/ԺԳ, 37 – 44.

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Einführung: Hayren-Dichtung

Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen die hayrenner aus dem ersten und zweiten Buch, d. h. die hayrenner, die inhaltlich wie auch formal zur Gattung »hayren« gehören, meistens selbstständige Achtzeiler160 sind und hayren-Reihen bilden. Dabei handelt es sich überwiegend um Liebeslieder. Die Lieder aus den anderen Büchern der Mnac’akanyan-Edition werden nur eingeschänkt in diese Untersuchung mit einbezogen, weil sie nicht immer zur Gattung der hayrenner gehören. Die Mnac’akanyan-Ausgabe von 1995 bleibt die umfangreichste und einzig komplette, vollständig aufbereitete hayren-Edition. Sie stellt alle Text- und Zuschreibungsvarianten originalgetreu dar. Die wenigen Korrekturen werden durch grundlegende Fehleranalysen erhellt. Mnac’akanyan hat die bis dahin unbekannten Handschriften untersucht und neue hayren-Reihen veröffentlicht. ˇ ’opanyan, Abełyan und Mnac’akanyan bleiben leider verDie Arbeiten von C einzelt. Es gibt keine weiteren Untersuchungen, die sich mit der Textüberlieferung der hayrenner beschäftigen, besonders in Hinsicht auf Art, Umfang und Korrektheit der Einträge, chronologische und regionale Einordnung und das Verhältnis zu anderen Handschriften. Es gibt keine Versuche, die hayrenner nach Gattung oder Epoche zu edieren. Die einzige sprachliche Untersuchung verschiedener hayren-Reihen stammt von Abełyan und aus dem Jahre 1967, als die Mehrzahl der hayren-Reihen noch unbekannt gewesen ist.

7.

Zusammenfassung

Ich fasse kurz den aktuellen Stand der hayren-Forschung zusammen: Die Editionsgeschichte der hayren-Dichtung begann mit dem Jahre 1882. Der Mönch Aristakes Archimandrit Tevkanc’ veröffentlicht die hayren-Reihe »In dieser Nacht, die dem Meer gleicht« unter dem Namen Nahapet K’owcˇ’ak.161 Nach dieser ersten Edition wurden auch später aufgefundene hayrenner unter seinem Namen veröffentlicht, bis Manowk Abełean 1930 dieser Theorie widersprach. Er erkannte die weit vor dem 16. Jh. liegende Herkunft der hayrenner: In seiner Untersuchung über die hayren-Dichtung162 bezeichnete er die Berufssänger, gowsanner, als Schöpfer der hayrenner. Aufgrund des großen zeitlichen Abstands zwischen der Entstehung der hayren-Dichtung und der Aufzeichnung der Texte in den wichtigsten Handschriften stellt die Identifikation der Autoren ein Problem dar. Nur wenige Arbeiten versuchen die Entstehung der hayrenner durch sprachliche, stilistische und 160 Wenige hayrenner bestehen aus vier, sechs, zwölf, sechzehn oder achtzehn Zeilen. 161 Teckanc’ (1882). 162 Abełyan (1931).

Zusammenfassung

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metrische Analysen zu rekonstruieren.163 Auch die Rekonstruktion der hayrenMelodien bleibt unsicher. Die wenigen Lieder, die mit Melodieaufzeichnungen überliefert sind, sind im Gegensatz zu den kirchlichen Gesängen von bescheidenerer Qualität. Aus diesem Grund wurden die Melodieaufzeichnungen der wenigen hayren-Lieder in der armenischen Musikforschung meistens vernachlässigt. Die Aufmerksamkeit der Musikwissenschaftler, die sich mit dem mittelalterlichen armenischen Notationssystem beschäftigten, richtete sich eher auf ˇsarakanner (Hymnen) und die geistlichen tałer, die reiches Material für die Forschung der xazagrowt’yown boten. Wir wissen bis heute sehr wenig über die Vortragssituation der hayren-Lieder. Weder die Texte selbst noch die Chronisten geben ausreichend Auskunft darüber. Höchstwahrscheinlich wurden die hayrenner bei Festen, Hochzeiten und im Bekanntenkreis aufgeführt. Der Gesang war einstimmig und wurde solistisch vorgetragen. Die Lieder wurden mit verschiedenen Saiteninstrumenten (meistens: saz und kamancˇ’a.) begleitet. Zwar wurde die hayren-Dichtung gesungen vorgetragen, in der schriftlichen Überlieferung sind die Texte jedoch meistens ohne Melodien überliefert. Nur in wenigen Arbeiten164 wurde die hayren-Dichtung in einem Gesamtzusammenhang mit der religiösen Literatur gesehen.165 In der sowjetarmenischen Literaturwissenschaft wurde immer wieder versucht, die hayrenner als eine Art Protest gegen die Kirche darzustellen. Dabei wurde übersehen, dass die hayrenDichtung zwar einen weltlichen Charakter besitzt, aber auch Themen und Motive aus dem geistlichen Bereich behandelt.166 Die hayren-Dichtung formulierte zwar eine neue Welterfahrung, die über die zwischenmenschliche Beziehung referierte, die aber neben und nicht gegen die geistliche Dichtung trat. Diese beiden Bereiche beeinflussten sich gegenseitig. Bei der Erforschung der hayren-Dichtung war vielfach die These leitend, dass die hayrenner eine subjektive Erfahrung ausdrücken. Die hayrenner werden heute noch als »Erlebnisdichtung« interpretiert. Es wurde davon ausgegangen, dass die hayrenner die Werbung der einzelnen Sänger um eine bestimmte Frau zum Ausdruck bringen. Dabei wurde aber übersehen, dass die Berufssänger nach dem Geschmack und Wunsch des Publikums167 dichteten, musizierten und ihre Lieder vor diesem Publikum vortrugen. Die hayren-Dichtung stellte damit eine Art geselliger Unterhaltung dar, wobei nicht die subjektiv-persönliche Liebe, sondern die Liebe allgemein, deren Rolle in der Gesellschaft besungen wurde, sowie deren Wirkung auf den Sänger und auf die Gesellschaft. 163 164 165 166 167

Abełyan (1967); Mnac’akanyan (1995). Mnac’akanyan (1958); Abełyan (1967); Xacˇ’atryan (1969); Safaryan (1990). Unter anderem die folgenden Arbeiten: Mkryan (1982), (1988); Łowkasyan (1957). Vgl. dazu: Kapitel 3.2 des dritten Teiles. Zum Publikum der gowsanner siehe Kapitel 1.1.2 des zweiten Teiles.

II.

Vergleiche der einzelnen Gattungen

1.

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1.1

Werbelieder des mittelalterlichen Armeniens

Als Liebeslieder thematisieren die hayrenner die weite Welt der persönlichen Gefühle: Liebe und Hass, Freude und Trauer, Hoffnung und Verzweiflung. Hayrenner beschäftigen sich in erster Linie mit dem Verhältnis zwischen Mann und Frau im Kontext des mittelalterlichen Armeniens. So ist die Liebesbeziehung in den hayrenner von mittelalterlichen sozialen und geistigen Voraussetzungen geprägt und ihre Darstellung variiert im Laufe der Zeit. Bis zum 12. Jh. herrschen im armenischen Mittelalter die christlich-religiöse Literatur und die Geschichtsschreibung vor, deren Verfasser fast ausschließlich Geistliche sind. Mit Grigor Narekac’i (950 – 1003) und Nerses Sˇnorhali (1100 – 11073) beginnt zwar die Renaissance in der armenischen Literatur, in der der Mensch und seine Innerlichkeit neu entdeckt und bewertet werden, die Beschäftigung mit der eigenen inneren Welt und Reflexionen der Gefühlszustände bleiben aber ausschließlich auf den religiösen Bereich beschränkt. Mit den hayrenner fängt die Behandlung der Beziehungen zwischen Mann und Frau an. Weltliche Liebeslyrik ist vor dieser Zeit nicht tradiert, trotzdem darf man annehmen, dass die Liebeslieder in der mündlichen Überlieferung lebten.168 In den hayrenner äußert das lyrische Ich erstmals seine Gefühle gegenüber der geliebten Person ohne Bezug auf Gott und ohne mystische Allegorien. Die Welt und das Weltliche gewinnen große Bedeutung. Das Diesseits, das Individuum und seine Innerlichkeit finden gegenüber dem Jenseits und dem Seelenheil große Bedeutung. Es werden nicht nur die Beziehungen zu Gott thematisiert, sondern auch die Beziehungen zwischen einzelnen Menschen und zur Gesellschaft. Da die hayren-Dichtung weitgehend Liebeslyrik darstellt, steht im Zentrum der Ge-

168 Vgl. dazu: Abełyan (1967), S. 177.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

danken und des Schaffens des lyrischen Subjekts die geliebte Person. Der Sänger bringt seine Gefühle frei zum Ausdruck: Wo warst du, wo kommst du her? Du, schöner als jede Blume. Du tratest in meine Seele und lässt mich nie in Ruhe. Du irrtest in meinem Herzen und fandest den Ausweg nicht mehr. Du schlugst in meinen Kopf ein und bist mit den Tränen hinaus geflossen. (Ա/ԽԱ, 25 – 32)

Das ist eine direkte Gefühlsaussage vom Ich zum Du. Die vertrauliche Anrede »Du«, die für die hayrenner typisch ist, entspricht der Leidenschaftlichkeit des Liedes. Es gibt keine künstliche Distanz zwischen dem Liebenden und der besungenen Frau.169 Das lyrische Ich berichtet, was die Frau mit ihm anrichtet: Bevor die Frau in seinen Körper tritt, tritt sie in seine Seele. Die Liebe verwundet damit sowohl den Leib als auch die Seele. Das ist ein wichtiger Aspekt, weil die Liebe nicht nur den sterblichen Teil, den Leib, sondern auch den unsterblichen Teil des Menschen, die Seele, betritt. Im Gegensatz zum Körper ist die Seele für das ewige Leben bestimmt und behält eine übergeordnete Funktion gegenüber dem Leib bei. In diesem hayren wird die geistige Substanz des Menschen, die von Gott ausgeht und zu Gott eingeht, von der geschlechtsgebundenen Liebe genauso betroffen wie der sterbliche Leib. Die hayrenner Ա/ԽԵ, 17 – 24, Ա/ԻԵ, 5 – 12, Դ/ ԺԷ, 37 – 40, Ա/ԿԱ, 9 – 16, die das Thema der leib-seelischen Einheit des Menschen behandeln, geben der Seele gegenüber dem Leib eine übergeordnete und führende Funktion. Im hayren Բ/Դ, 33 – 40 antwortet der Weise auf die Frage, warum Gott die Seele geschaffen hatte und sie in einen irdischen Leib fließen ließ, folgendermaßen: »Ich glaube, er hat das gemacht, / weil die Seele den Körper immer hoch erhebt. / Und vielleicht, weil die Seele, / wie edles Gold, den Körper schmückt« (Բ/Դ, 33 – 36). Die Seele wird zwar als Schmuck des Körpers betrachtet, die ihn immer hoch erhebt, doch bleibt die Liebe nicht auf den körperlichen Bereich eingeschränkt, sondern betrifft auch »den Schmuck« des Körpers. Dadurch wird die Liebe als höchster Wert anerkannt. Die Anrede zur geliebten Frau als »meine Seele« oder als »Seele meiner Seele« ist in sirerg170hayrenner verbreitet.171

169 Zwar ist die Geschlechtsidentität des sprechenden Ich grammatisch unbestimmbar, aber der Vergleich der Schönheit mit der Blume lässt vermuten, dass es sich um ein männliches Lied handelt. 170 Liebeslied. 171 Vgl. dazu: die hayrenner Ա/ՁԲ, 1241 – 1248, Ա/ԽԷ, 93 – 100, Թամ. 620 (weitere Textvarianten: Ա/Իէ, 5 – 12, Ա/ԽԵ, 17 – 24, , Ա/ԿԱ, 9 – 16, Դ/ԺԷ, 37 – 40).

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Nachdem die Geliebte in die Seele eintritt, betritt sie das Herz und bleibt dort, weil sie den Ausweg nicht mehr findet. Das Motiv »das Herz als Wohnraum der Geliebten« findet sich in hayrenner sehr oft. Im hayren Ա/ԿԴ, 41 – 48 ist das Herz das Heim der Liebe: »Deine Liebe hat in meinem Herzen / ein Heim gebaut und bleibt da wohnen« (Ա/ԿԴ, 41 – 42). Warum ist das Herz der passende Raum für die Liebe und für die geliebte Person? Woher kommt diese Vorstellung? In der antiken Philosophie war das Herz ein untergeordnetes Organ.172 Platon gibt ihm keine direkte Funktion, Aristoteles nimmt das Herz als physiologischen Sitz für die Empfindungen von Lust, Schmerz und Begierde und als Konzentrationszentrum der Sinne an.173 Mit dem Christentum bekam das Herz aber eine andere Bedeutung:174 »In der Genesis gilt das Herz als geistiges Zentrum des Menschen (Gen. 17,17), das für die Erfahrung der Majestät Gottes geöffnet ist, die Unterscheidungsfähigkeit für Gut und Böse zwar besitzt, seit dem Sündenfall aber dennoch zum Bösen tendiert (Gen. 6,5; 8,21). Die prophetischen Bücher versprechen ein neues Herz, das geeignet ist, durch die Erkenntnis Gottes und das Verstehen seiner Gesetze die Gottferne des Menschen aufzuheben (Jer. 24,7; vgl. Jer. 31,33; Hes. 36,26). Durch Christus findet der Heilige Geist Zugang in die Herzen der Menschen, er stärkt ihre Widerstandskraft gegen das Böse (Gal. 4,6 vgl. Röm. 8,15) und ermöglicht den Aufstieg zu Gott: Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen (Matth. 5,8; vgl. Matth. 13,15; Röm. 5,5 und Eph. 3,17)«175

Das Herz ist damit nicht nur ein Teil des Leibes, ein Organ, sondern auch ein Symbol. »Es bezeichnet das Innere, das geheimnisvoll Verborgene im Menschen, seine Weisheit, sein Denken, sein heimliches Wünschen, die lebendige Mitte, in der das menschliche Ich zu sich selbst kommt.«176 Das Herz ist »[…] dem irdischen Sein zugewandt, während die sȇle […] auf das unsterbliche, jenseitige Sein bezogen ist.«177 Das Herz empfängt durch die Augen die leiblich-sinnlichen Eindrücke der Außenwelt: »Der sinnliche »Eindruck«, den das herze durch die Augen empfangen hat, kehrt als »Ausdruck« in diesen zurück. Die Augen sind der Spiegel des Herzens.«178 Als solches bietet das Herz den idealen Raum für die »keinen Ausweg« mehr findende Geliebte. Eine andere Alternative für die Ausweglosigkeit im Herzen ist in der Weltliteratur das Motiv »des verlorenen Her-

172 Wenzel (1974), S. 157. 173 Ebd. 174 Vgl dazu: Die Schriften des Narekac’i (950 – 1003) und Sˇnorhali (1100 – 1173) für das armenische Mittelalter; Augustinus (354 – 430) und Thomas von Aquin (1225 – 1274) für das lateinische Europa. 175 Wenzel (1974), S. 157. 176 Wisniewski (1963), S. 358. 177 Ehrismann (1995), S. 88. 178 Ebd., S. 90.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

zensschlüssels«.179 Das Herz hat aber noch eine andere Funktion: Es gibt Rat und belehrt. Dieses Motiv stammt ebenfalls aus der christlich-religiösen Literatur, in der das Herz als eigentlicher Ausgangspunkt der Predigt die Fähigkeit zu belehren besitzt.180 Im reinen Herzen sammeln sich die geistigen Kräfte, die das Wort Gottes im Körper des Menschen verbreiten: Nerses Sˇnorhali Յիշեսցուք ի գիշերի զանուն քո, Տէր, Բխեսցեն սիրտք մեր զբան բարի, Եւ լեզուք մեր պատմեսցեն Զգործս երկնաւոր թագաւորիդ:181 In der Nacht denken wir an deinen Namen, Herr! Unsere Herzen quellen das Gute heraus, unsere Zungen erzählen über das Werk des Himmelskönigs.

In der letzten Zeile des hayren Ա/ԽԱ, 25 – 32 fließt die Geliebte mit den Tränen hinaus. Der Kopf bleibt leer und zerschlagen. Ähnliche Passagen finden sich in den hayrenner Ա/ԺԱ, 41 – 48 und Ա/ԻԷ 21 – 28: Die Liebe nimmt dem Liebenden den Verstand: »O weh, so vernünftig war ich, / aber ich habe meinen Verstand verloren« (hayren Ա/ԺԱ, 41 – 42), verursacht Sinnverwirrung und falsches Verhalten: »Ich kam zu dir, aber als ich dich sah, / konnte ich nicht sagen, was ich sagen wollte. / Meine Beine versagten mir den Dienst, / ich stand verzweifelt da« (hayren Ա/ԻԷ, 21 – 24). Letztendlich fließt die besungene Frau, die die Liebe verkörpert, mit den Tränen hinaus. Nur die Tränen beruhigen den Spannungszustand. Einen wegen der Liebe weinenden Mann trifft man in der mittelalterlichen armenischen Literatur vor den hayrenner nicht an. In der geistlichen Literatur weint der Mann als Sünder, der Gott um die Vergebung seiner Sünden bittet.182

1.1.1 Singen und Werben in der hayren-Dichtung Die hayren-Dichtung war in erster Linie Unterhaltungslyrik. Sie war für die öffentliche Aufführung bestimmt, in der die Texte singend einem zuhörenden Publikum vorgetragen wurden. Es handelte sich höchstwahrscheinlich um ein Zusammenspiel mit dem Publikum, wobei das Publikum durch seine antizipierten und tatsähnlichen Reaktionen den Sänger beeinflusste und damit eine 179 Vgl. dazu: MF 3,1 Du bist mîn, ich bin dîn. 180 Vgl. dazu: Wenzel (1974), S. 162. 181 Text nach: Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Nerses Sˇnorhali, S. 256. 182 Vgl dazu: Narekac’i: »Das Buch der Klagelieder« (1985), S. 250.

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aktive Rolle beim Vortrag übernahm. In manchen Liedern finden sich Hinweise darauf, dass der Vortrag mit der aktiven Mitwirkung des Publikums stattfand: Ich sage dir: Sing ein hayren, wenn nicht, hör zu, ich werde singen. Lass deinen Mund edel singen und deine Ohren halt immer offen. (Ա/ՁԲ, 141 – 148)

Mit der Zeile »wenn nicht, hör zu, ich werde singen« bereitet der Sänger das Publikum auf den Vortrag vor und setzt die lehrende Stimmung des Liedes ein: Ein hayren soll in edlem Stil gesungen werden und für den Vortrag sollen die Ohren immer offen bleiben. Das Singen gibt dem Sänger folgende Möglichkeiten: Durch das Singen bringt der Sänger seine Freude und Klage zum Ausdruck: So viele hayrenner hast du gesungen, dass mein Herz in ein Haus aus Stein verwandelt wurde. Meine Klage hat den Himmel erreicht, vom Himmel ist sie heruntergeschneit. Wer hat im Sommer so viel Schnee gesehen? Es schneit so reichlich auf den Menschen. Mein Herr, lasse die Liebe des Herzens im Feuer brennen. (Ա/Գ, 69 – 76)

Das Singen ist ein Mittel, durch das das lyrische Ich die Frau preist und um sie wirbt: Ein hayren will ich singen, so Wertvolles gibt es in der Welt nicht. Ich will über die Brüste meiner Geliebten singen. O weh, wie glücklich ist derjenige, der die Nacht mit ihr verbracht hat, sie geküsst und in seinem Schoß gehalten hat. (Ա/ԺԵ, 33 – 40)

Durch das Singen belehrt der Sänger: Er fordert zur Treue auf, empfiehlt die Verschwiegenheit der Liebesbeziehung (»Liebe mich, aber halte es geheim, / verbreite deine Liebe nicht öffentlich!« hayren Թամ., 569) und greift die Problematik der Liebe als überwältigende Macht auf: Ich sang so viele hayrenner und belehrte die Tapferen damit. Danach baute ich mit Edelsteinen eine Säule bis zum Himmel. Dann saß ich auf der Säule und richtete meine Klage an Gott: »Schau unten, mein Herr und sieh, ganz Tragisches passiert hier.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Wegen der Liebe vergeht ein zehnjähriges Kind wie eine Kerze. Seine Knochen sind zum Docht verwandelt und die Haut verbrennt wie Wachs.« (Ա/Կ, 177 – 188)

Letztendlich ist das Singen für das lyrische Ich und das Publikum eine Form, mit den Sorgen umzugehen: Singen lindert den Liebesschmerz. Es handelt sich um einen Gesang »für das Herz, das Liebe trägt«: Er hat ein hayren gesungen: »Ich werde für das Herz, das Liebe trägt, so lange hayren singen, bis seine Liebesqualen mit dem Wind verfliegen.« (Ա/ԿԸ, 133 – 138, hier: 135 – 138)

1.1.2 Die Gesellschaft und die Liebe Aus der Überlieferung wissen wir, dass die hayrenner in der Anfangsphase an den Höfen der Adligen vorgetragen wurden. Die Geschichtsschreiber bezeugen gowsanner, die an königlichen Höfen und an den Höfen der Adligen als Berufssänger tätig waren.183 In seiner Untersuchung »Die Geschichte der altarmenischen Literatur« (1959) schreibt M. Abełyan: »Die hayrenner wurden ursprünglich für Adlige und für den reichen Bürgerstand erdacht und wurden diesem vorgetragen, deswegen spiegeln sich ihre Lebensweisen in den Liedern wieder. In unseren hayrenner ist tatsächlich die reiche Lebensweise dieser beiden Volksschichten dargestellt: seidene Kleidung, die ›mit goldenem Faden‹ bestickt ist, Blusen aus teurer Wolle, Perlenketten und goldene Ohrringe, mit goldenen Fäden bestickte Decken usw. In einigen hayrenner öffnet sich vor uns die uneinnehmbare Festung des mittelalterlichen Adels in den mit Wald bedeckten Bergen.«184

Im Gegensatz zum Minnesang, wo viele Adlige, darunter auch der Sohn Barbarossas, Heinrich VI, als Minnesänger bezeugt sind, wurde die hayren-Dichtung hauptsächlich von Berufssängern getragen, die entweder Fahrende waren oder sich bei einem Feudalherrn am Hof aufhielten. Während der Minnesang hauptsächlich zur höfischen Lyrik wurde und das ritterliche Selbstbewusstsein darstellte, wurde im mittelalterlichen Armenien die hayren-Dichtung aus der Perspektive der gowsanner, der ›Berufssänger‹ reflektiert und getragen. Im Gesprächs-hayren Ա/Բ, 117 – 124 besingt der Werbende die hoch über ihm stehende Dame, ohne dass die Eltern und die Verwandten der Frau ihn zurechtweisen:

183 Historische Zeugnisse über die Tätigkeit der gowsanner und varc’akner sind bei Movses Xorenac’i, P’avstos Bowzand, Hovhannes Mandakowni, Simon Bischof Ałjnyac’ und bei Barseł Masˇkuac’i zu finden. 184 Abełyan (1959), S. 562.

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»Meine Schöne, ich will dir etwas vortragen, aber deines Vaters wegen traue ich mich nicht, das zu machen. Ich will es nicht machen, weil ihr reich seid und wir nicht.« »Sag, mein Held, habe keine Scheu! Das Leben hat viele Reiche ins Elend gebracht und die Tochter eines Reichen hat die Nacht mit dem Armen verbracht.« (Ա/Բ, 117 – 124)

Hier ist die Frau zwar nicht verheiratet, das lyrische Ich traut sich aber trotzdem nicht, über seine Gefühle zu reden, weil es im sozialen Status niedriger als die Frau steht. Der Sänger lässt die reiche Frau aus der eigenen Wunschperspektive sprechen: Mit der Bezeichnung des Mannes als »Held« werden von der Frau die Tugenden des Mannes anerkannt, ohne dass er aus einer reichen und adligen Familie stammt. Die Frau geht noch einen Schritt weiter: Sie stellt fest, dass Reichtum und Ruf nicht ewig sind und die Tochter eines Reichen die Nacht mit dem Armen verbringt. Zwar wurden die Lieder vor der Gesellschaft vorgetragen, in den Liedern wird aber die Gesellschaft den Liebenden gegenübergestellt. Das Liebesverhältnis ist ständig wegen der missgünstigen, feindlichen Gesellschaft in Gefahr: Meine Geliebte, ich habe doch nichts Schlechtes über dich gesagt. Warum bist du mir denn böse? Ein Verleumder hat sich zwischen uns gestellt. Er versucht dein Herz gegen mich aufzuhetzen. Ein Verleumder ist ähnlich jener Schlange, die Adam getäuscht und betrogen hat. Sie hat Adam am hellen Tag nackt aus dem Paradies vertrieben. (Ա/ՁԲ, 897 – 904)

Die feindliche und neidische Mitwelt wird in der Gestalt des Verleumders verkörpert. Der Verleumder wird mit der Schlange verglichen, die Adam aus dem Paradies vertrieben hat (Genesis, 3). Die Verleumder sind schuld, dass die Frau die Liebe des Liebenden nicht erwidert. Sie wollen die Liebenden aus dem Gefühlsparadies, aus der Liebe vertreiben. Und doch wird dieses Lied vor dem feindlichen Publikum vorgetragen. Wegen der Gegner der Liebesbeziehung soll die Liebe geheim bleiben. Jedoch wird dieses Geheimnis öffentlich ausgesprochen: »Liebe mich, aber halte es geheim, verbreite deine Liebe nicht öffentlich!« (Թամ., 569)

Die Gesellschaft wird in das Liebesverhältnis hineingeführt. Die Liebenden stehen der feindlichen Gesellschaft gegenüber. Mit dieser Gegenüberstellung wird die Position der Gesellschaft in der realen Welt dargestellt: Die Gesellschaft

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

akzeptiert keine vorehelichen und außerehelichen Beziehungen. Die Liebesbeziehung soll geheim bleiben, wenn die Frau in der hayren-Dichtung verheiratet ist.185 Die Liebesbeziehung soll aber auch geheim bleiben, wenn die Frau nicht verheiratet ist. Die Verheimlichung der Liebe setzt Gegner dieser Liebesbeziehung voraus. Als solche können nicht nur die eifersüchtigen Ehemänner, sondern auch die Eltern der Frau, die Nachbarn bzw. andere Mitglieder der Gesellschaft auftreten. Die hayren-Dichtung greift weitere Aspekte der sozialen Gesellschaft des mittelalterlichen Armeniens auf: die Freiheit des Mannes, die mit dem Vogel, meistens dem Falken, verglichen wird. Die Freiheit des Vogels äußert sich in der Freiheit des Fluges und der Wahl: Ich habe nichts Schlimmeres gesehen, als dass ein junger Mann stirbt. Während seine Frau einen anderen aussucht, liegt er unter der Erde. Ich werde Gott anflehen, dass die Frau des Mannes stirbt. Wie ein edler Falke fliegt dann der Mann zu einem anderen Schwarm. (Ա/ԺԹ, 17 – 24)

Der Falke steht hier als Symbol für die Freiheit in der Liebe und für die Freiheit bei der Wahl der Liebespartnerin. »Շահին բազայ« ist der zur Jagd abgerichtete, edle Falke. Ein Vergleich zwischen Mann und Falke ist eines der beliebtesten Motive der Weltliteratur.186 Der Mann besitzt die Freiheit, eine andere Partnerin zu suchen. Zwar erlaubte das Ehe- und Familienrecht der Frau, nach dem Tod ihres Mannes ein zweites Mal zu heiraten,187 außerdem gab es der Frau weitere Rechte in der Familie: Bei Unfruchtbarkeit mussten sich nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer untersuchen lassen, erst nach der Abwartefrist von sieben Jahren, auch wenn das Problem bei der Frau lag, durfte das Ehepaar sich scheiden lassen.188 Die Frau hatte ein Recht auf eine Scheidung, wenn der Ehemann seinen Pflichten nicht nachkam. Nach der Scheidung hatte die Frau das Recht auf eine zweite Ehe.189 Die Scheidung war nach sattsam erfolgter Rüge und Mahnung erlaubt, wenn Gatte und Gattin mit dämonischem Leiden einander

185 Vgl. dazu: hayrenner Ա/ԻԳ, 25 – 36, Ա/ԽԶ, 17 – 24, Ա/ԾԱ, 311 – 322, Ա/ԾԸ, 36 – 43, Ա/ ԿԳ,15 – 22. 186 Der Falke galt in Altägypten als Königssymbol. In slawischen Volksliedern ist der Falke ein Symbol für den Helden und den tapferen Geliebten. Vgl. dazu: Knaurs Lexikon der Symbole (1989), S. 132. Vgl. auch: Falke im Minnesang. 187 Bei der Todesbestätigung des Gatten, wenn er in der Ferne ist, soll die Gattin sich dennoch an keinen anderen Mann verehelichen vor dem Ablauf einer siebenjährigen Frist. Vgl. dazu: Sempadscher Kodex (1905), Bd. 2, Dat. I 13, S. 112. 188 Ebd., Dat. I 10, S. 108. 189 Ebd., Dat. I 5, S. 99.

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hassten.190 Dennoch wird im oben aufgeführten hayren die allgemeine Haltung der Gesellschaft gegenüber der zweiten Ehe der Frau deutlich. 1.1.3 Frauendienst. Gottesdienst. Herrendienst Zwar fehlen Zeugnisse über die konkreten Aufführungsorte und Aufführungsformen der gowsanner, dennoch sind sich die armenischen Mediävisten einig, dass die Aufführungen vor weltlichem Publikum stattfanden.191 Während für den Minnesang als Publikum gegen Ende des 12. Jhs. die Gesellschaft an den Höfen vorstellbar ist,192 wurden die hayrenner nicht nur an adligen Höfen, sondern auch in den Städten vorgetragen.193 Das hat real-historische Ursachen: Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeit gingen die hayrenner von den adligen Höfen zur städtischen Bürgerschicht über. Die Liebeslieder der hayrenner spiegeln damit nicht nur die soziale Kontrolle der Aristokratie des armenischen Mittelalters. Im Gegensatz zu hayrenner war die höfische Literatur bis zum 12. Jh., darunter auch der höfische Roman »Parsic paterazm«, von der Ideologie des treu im Dienst stehenden Mannes geprägt.194 Der König war der Herr, die Fürsten und Ministerialen waren seine Dienstmänner. Die beste Tugend war die Treue des Dienstmannes. Die Könige erzogen mit dieser Ideologie die Gesellschaft. Die Ministerialen waren selbst daran interessiert, weil in ihren Diensten andere mit niedrigerer Abstammung standen. Die christliche Kirche unterstützte die Herren dabei. Die kirchlichen Fürsten hielten mit der weltlichen Aristokratie zusammen. Die Kirche predigte, »ergeben und treu im Dienst des Herrn zu stehen.«195 Die Treue der Dienenden wurde vom Herrn belohnt: Եւ իբրև առ ժամանակ մի խաղաղացաւ երկիրս Հայոց, ապա ետ հրաման թագաւորն Հայոց Խոսրով, տալ պարգևս արանցն քաջացն՝ որ վաստակեցին նմա, և փոխանակեցին զանձինս իւրեանց փոխանակ աշխարհին Հայոց մեծաց յամենայն ’ի մարտ ճակատուցն պատերազմաց։196 Der Frieden herrschte für einige Zeit im Land Armenien, dann befahl der armenische König Xosrov die tapferen Helden zu belohnen, die die Belohnung verdienten und in Kriegen und Schlachten für das Wohl Großarmeniens kämpften.

Der König Pap belohnt den Heerführer Musˇeł für seine Treue und tapfere Tat im Krieg: 190 191 192 193

Ebd., Dat. I 8, S. 105. Vgl.dazu: Abełyan (1967); Grigoryan (1971); Mnac’akanyan (1995). Grubmüller (1986), S. 388. Ein Vorgang, der im deutschen Mittelalter nur in wenigen Fällen zu beobachten ist. Vgl. dazu: Cramer (1977). 194 Siehe Abełyan: »Parsic’ paterazm«, das Kapitel »Herr und Dienstmann«, Bd. 1 (1966), S. 238. 195 Ebd. 196 P’awstosi Biwzandac’woy patmowt’iwn Hayoc’ (1987), S. 30.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Յայնմ ժամանակի բազում պարգևս և պատիւս և բազում գեւղեան զօրավարին Մուշեղի Պապն շնորհէր։197 Und dann hat König Pap den Heerführer Musˇeł mit viel Ehre und Geschenken belohnt.

Während im höfischen Roman diese Ideologie eine große Rolle spielt, steht sie im armenischen Nationalepos »Sasownc’i Davit’« (David von Sasun)198 und in hayrenner nicht mehr im Vordergrund. So wie das Nationalepos entwickelt sich die hayren-Dichtung zwar unabhängig von der christlich-religiösen Literatur und besitzt einen weltlichen Charakter, dennoch ist der Einfluss des christlichen Denkens von großer Bedeutung. Im Nationalepos »Sasownc’i Davit’« (David von Sasun) ist Gott mit seinem Willen und seiner Hilfe immer anwesend. Es geschieht nichts ohne Gottes Willen und Segen. Einer der Hauptfiguren des Epos, Sanasar, antwortet den Gesandten vom König folgendermaßen: »König? Welcher König? Wir kennen nur einen, Gott, den Herrn.«199 Im Gesprächslied Ա/Հ, 63 – 70 wird die Liebe zur Frau dem Gottesdienst analog modelliert: »Dein Schoß ist wie eine weiße Kathedrale, deine Brüste sind wie leuchtende Kandelaber. Ich möchte gerne Glöckner werden und in deiner Kathedrale Kirchendienst machen.« (Ա/Հ, 63 – 70, hier: 63 – 66)

Der Körper der Frau wird mit einer Kathedrale verglichen. Die Liebe zur Frau wird auf dieselbe Ebene gestellt wie der Kirchendienst. Damit wird der sexuellen Liebe eine differenzierte Heiligkeit zugeschrieben. Ein weiterer Einfluss des christlichen Denkens auf die hayrenner zeigt sich in der Verehrung der Frau. Die Frau besitzt nicht nur äußere Schönheit, sondern auch innere. Wenn im Minnesang die inneren Werte der Frau mit den adligen Wertvorstellungen übereinstimmend beschrieben werden, sind in hayrenner die inneren Werte der Frau meistens durch christliche Anschauungsformen dargestellt, d. h., die Frau, die äußere Schönheit besitzt, ist auch innerlich vollkommen, weil sich in der äußeren Schönheit die innere spiegelt. Die Frau, deren äußere und innere Schönheit von Gott kommt, besitzt auch göttliche Kräfte: Sie ist Zauberin, Übermenschliche und Übermächtige. Die hayren-Dichtung wurde damit nicht nur nach historisch-gesellschaftlichen, sondern auch gemäß christlich-religiösen Vorstellungen über die Liebe, Treue und die Tugenden modelliert. Das christliche Tugendsystem spielte in Armenien eine große Rolle, denn die Kirche war in Armenien ein wichtiger 197 Ebd., S. 306. 198 Den Kern des Nationalepos bilden die historischen Ereignisse im 9.–12. Jh. 199 Ասաց.— Թագավոր, ի՞նչ թագավոր, / Ապա մենք թագավոր տեր աստված գիտենք. Vgl. dazu: Abełyan (1966), S. 429.

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Mittelpunkt und ein Garant der Einheit.200 Das Tugendsystem der Feudalherren, wie etwa das »Dienst und Lohn«-Motiv im »Parsic patrazm«, stand mit dem Verlust des Königtums nicht mehr im Vordergrund. Die männlichen Werbelieder handeln zwar vom Ruhm der Frau und die Liebe zur Frau tritt oft als Dienstangebot auf, das ist aber keine gattungsbestimmende Voraussetzung und das Dienen ist nicht mit der Erwartung des Lohnes verbunden: Ich will dir tausendfach dienen, was hast du mit mir gemacht? Ich kenne die Liebe schon lange, warum erscheint sie so schwierig diesmal? (Ա/ԻԷ, 21 – 28, hier: 25 – 28) In dieser ganzen Welt werde ich allein dir dienen. Ich werde so gerne in deinem Dienst sein, ich liebe dich und kenne keinen Ausweg. (Ա/ԺԷ 1 – 4)

Der Mann will ausschließlich und allein seiner Geliebten dienen, im Mittelpunkt steht aber das Gefühl selbst und nicht der Dienst. Mit der Liebe zur Frau dient er »als ein Sklave und armer Lehnsmann« der Liebe: Ich liebe von ganzem Herzen und bin im Dienst der Liebe wie ein Sklave und armer Lehnsmann. (Ա/ԻԵ, 21 – 28, hier: 27 – 28)

Das weitgehende Fehlen des Frauendienstes in der hayren-Dichtung lässt sich dabei aus folgenden Gründen erklären: 1) Die Träger der hayren-Dichtung waren nicht die Feudalherren selbst, sondern die Berufssänger, die die Liebeskonzeption aus eigener Perspektive zu beleuchten versuchten, und 2) mit dem Verlust des Königtums sind die hayrenner in die Städte übergegangen und stellen damit nicht nur die Wertvorstellungen, Wünsche und Ängste der Führungsschichten, sondern auch des Bürgertums des armenischen Mittelalters dar. Die Entstehung und Entwicklung der hayren-Dichtung wurden damit durch verschiedene Faktoren begründet, wie etwa die Entwicklung der feudalen Herrschafts- und Wirtschaftsformen, die entstehende Verstädterung, die Bildung des Bürgertums durch die Bürger, die aufgrund ihrer Funktionen, Bildung, Kenntnisse und auch eines gewissen finanziellen Vermögens zu wichtigen Positionen gekommen waren,201 der Einfluss der Antike und der Gedankenaustausch mit den benach200 Mehr dazu: das Kapitel 1.2 des dritten Teiles: Die armenisch-apostolische Kirche im historischen Kontext. 201 So z. B. Tigran Honenc’ aus Ani, der keine adlige Abstammung hatte und Steuereinnehmer bei der adligen Familie Zak’aryan war. Er baute im Jahr 1215 die bekannteste Kathedrale in Ani. Genauso auch Avetenc’ Sahmadin, dessen finanzielles Vermögen so groß war, dass er in der Lage war, im Jahr 1263 bei der Familie Zak’aryan die Stadt Ani und danach Jerewan zu kaufen. Vgl. dazu: Hay zˇołovrdi patmowt’yown (1976), Bd. 3, S. 586 – 587.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

barten Ländern. Diese sozialen und mentalen Veränderungen lieferten andere Wertvorstellungen. Es entstand das Bedürfnis, die weltliche Liebe mit einer gesellschaftsfähigen, weltlichen Sprache zu besingen. Die hayren-Dichtung war ein kleiner Teil der neuen weltlichen Dichtung, die nicht mehr nur christlich-religiösen Inhalt besaß und die Beziehungen zu Gott thematisierte, sondern auch die Beziehungen zwischen einzelnen Menschen sowie der Gesellschaft.

1.2

Werbelieder in der mhd. Liebeslyrik202

Seit etwa 1170/80 tritt im Minnesang ein neues Verhältnis der Geschlechter auf, die Hohe Minne.203 Der Begriff ›Hohe Minne‹ erscheint in der mhd. Lyrik selten. Friedrich von Hausen, der erste Vertreter dieser neuen Richtung, beklagt nicht nur die räumliche Distanz des Liebenden von der verehrten Frau, sondern auch die Feindseligkeit der Frau diu was mir ie gevȇ (MF, 52,17; 3).204 Die Frau ist ständig abwesend vom lyrischen Ich, auch wenn es der Frau nahe ist: mir was dȃ heime wȇ / und hie wol drȋstunt mȇ (MF 52,17; 9 – 10). Heinrich von Veldeke erklärt die weiteren Regeln der Hohen Minne: 1) die Fähigkeit eines Mannes zur Selbstkontrolle (MF 56,19): »er [der Mann H.M.] darf sich weder von seinen sexuellen Impulsen hinreißen lassen noch seine Liebeswünsche unvermittelt zum Ausdruck bringen«205, das bedeutet, »erotische Wünsche [müssen H.M.] diszipliniert und triebhaftes Verlangen unterworfen werden.«206 2) Der Mann kann keinen Anspruch auf die Liebe der Frau erheben, bevor er sie nicht verdient hat sô vil het ich niht getȃn, / daz si ein wȇninc ûz strȃten / dur mich ze unrehte wollte stȃn (MF 57, 7 – 9). Walther von der Vogelweide stellt die Begriffe nideriu minne und hôhiu minne gegenüber (L 47, 5). Nach Walther »[heizet] nideriu minne diu sô swachet, daz der lȋb nȃch kranker liebe ringet.« (L 47, 5 – 6). Dagegen »hôhiu minne heizet diu daz machet, daz der muot nȃch werder liebe ûf swinget.«(L 47, 8 – 9). Das bedeutet, dass die Erfüllung von sexuellen Bedürfnissen nur die nideriu minne charakterisiert und für die hôhiu minne keine Rolle spielt.207 Der Inhalt der Hohen Minne ist damit die Minnereflexion eines männlichen lyrischen Ichs, das um die Frau wirbt und äußere und besonders innere Widerstände bei der Aufnahme einer Liebesbeziehung beklagt.208 Die Frau 202 Vgl. dazu: Schweikle (1995); Kasten (2005), Kommentar, S. 553 – 1071; Haferland (2000); Grubmüller (1986); Mertens (1986); Kuhn (1969). 203 Schweikle (1995), S.170. 204 Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 171; Kasten (2005), Kommentar, S. 657. 205 Kasten (2005), Kommentar, S. 614. 206 Haferland (2000), S. 283. 207 Vgl. dazu: Haferland (2000), S. 217. 208 Mehr dazu: Schweikle (1995), S. 170 – 175.

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wird als gleichgültig, hochmütig, feindselig und abweisend bezeichnet. Das Minneverhältnis ist zu einem Analogon der feudalen Gesellschaftsverhältnisse geworden: Die Frau wird zur ›Herrin‹ erhöht und der Mann als ›Diener‹ stilisiert, der der Frau als ›dienstman‹ dienen soll.209 Mit der Adaptation des Modells der höfischen Liebe, die aus dem romanischen Bereich stammt,210 bekommen die Minnelieder der Hohen Minne einen ausgesprochenen Werbecharakter. So wird die Hohe Minne zum Werbelied. Das lyrische Ich hört nicht auf, die Frau zu preisen und zu umwerben. Mit der Werbung um die Frau erwartet es, von der Frau belohnt zu werden. Wie der realhistorische Herrendienst im Minnesang zum fiktionalen Frauendienst geworden ist, wurde die zum mittelalterlichen Herrendienst gehörende Lohnerwartung auch im Frauendienst aufgenommen. Das lyrische Ich, das so treu seiner Herrin dient, erwartet von ihr, für seine Treue belohnt zu werden. Sein Dienst bleibt aber ergebnislos. Es bekommt den erhofften Lohn nicht. Das gibt einerseits Anlass für die Minneklage, andererseits aber hört das lyrische Ich trotz aller Demütigungen nicht auf, die Frau zu preisen.211 Die neuere Minnesangforschung ist sich einig, dass Minnesang keine Erlebnisdichtung, sondern Rollendichtung ist. Das bedeutet, man kann aus den Liedern der Minnesänger nichts über persönliche Erlebnisse und Gefühle erfahren, sondern etwas über die Erlebnisse und Gefühle der Rolle, die sie in ihren Liedern poetisieren. Andererseits aber kann die Rollendichtung zweifellos Erlebnisse zum Ausdruck bringen, »wie auch jedermann in einer bestimmten sozialen Rolle Erlebnisse haben und mitteilen kann.«212 Der Begriff ›Rolle‹ wurde in der Forschung unterschiedlich interpretiert.213 Diese allgemeine Darstellung der mittelhochdeutschen Werbelieder darf genügen, um Motivparallelen und Differenzen im Vergleich armenischer und deutscher Werbelieder herauszuarbeiten.

209 Schweikle (1995), S. 172. 210 Frz.: amour courtois. Dieser Begriff wurde 1883 durch Gaston Paris in die wissenschaftliche Diskussion gebracht. Er bezeichnet damit die von den Troubadours entwickelte spezifische Liebesauffassung, fin’amor, die nach seiner Auffassung auch dem Lancelot Chretiens de Troyes und dem Liebestraktat De amore des Andreas Capellanus zugrunde liegt. Vgl. dazu: Sachwörterbuch der Mediävistik (1992), S. 32. 211 Schweikle (1995), S. 123. 212 Haferland (2000), S. 27. 213 Vgl dazu: Grubmüller (1986); Mertens (1986); Kuhn (1969) und Haferland (2000).

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

1.3

Motivparallelen und Differenzen im Vergleich armenischer und deutscher Werbelieder

Wie oben deutlich wurde, unterscheiden sich die armenischen und deutschen Werbelieder in folgenden wichtigen Punkten voneinander: 1. Im Gegensatz zum Minnesang, dessen Träger die Adligen waren, wurde die hayren-Dichtung hauptsächlich von Berufssängern gedichtet, komponiert und vorgetragen. Während der Minnesang sich zur höfischen Lyrik weiterentwickelte und das ritterliche Selbstbewusstsein zum Ausdruck brachte, wurde im mittelalterlichen Armenien die hayren-Dichtung aus der Perspektive der gowsanner, ›Berufssänger‹, reflektiert und getragen. 2. Die armenischen Werbelieder handeln zwar vom Ruhm der Frau, der Sänger erklärt sich selbst aber nicht zu ihrem dienstman. Im Minnesang dagegen wird der realhistorische Herrendienst zum fiktionalen Frauendienst.214 3. In den hayrenner gibt es keine Rollendistanz zwischen dem Werbenden und der besungenen Frau. Die Frau ist immer ein unmittelbares Du. Der Werbende redet nicht von ihr, wie im Minnesang, sondern zu ihr. Er redet vor der Gesellschaft zu ihr und tut so, als bemerke er die Anwesenheit des Publikums nicht und als sei er allein mit der Frau. Er erwartet keine Antwort von ihr. Das sind Monologe, in denen das lyrische Ich über seine Gemütszustände berichtet oder die Frau preist. Dadurch wird die Frau in den Werbeliedern zwar nicht aktiv, aber man fühlt ihre Anwesenheit während des Vortrags. In den deutschen Werbeliedern dagegen ist die Frau passiver, abstrakter und nur noch das Ziel einer Fernliebe.215 4. Während im Minnesang und in der Troubadourlyrik der Liebesgenuss zumeist ausgeschlossen ist,216 besteht in armenischen Werbeliedern ein Spannungszustand, weil der Liebesgenuss noch nicht erfüllt ist. Zwar bleibt die Liebeserfüllung in den meisten Werbeliedern untersagt und die Liebe einseitig wie im Minnesang, aber die Erfüllung der Liebe ist für das lyrische Ich nicht von Anfang an zur Unerfülltheit verurteilt. Wenige Lieder handeln sogar von in der Vergangenheit erlebter und in der Gegenwart verlorener Liebe (z. B. wegen räumlicher Ferne). Der deutsche Minnesänger weiß, dass die Liebeserfüllung ausgeschlossen ist, und wirbt trotzdem. Das Einzige, was er will, ist die Erhörung und der Lohn für seinen Dienst. Während der Minnesänger hoffnungslos wirbt, ist der armenische gowsan nicht bereit, seine Hoffnung aufzugeben. Wenn die Hoffnung nicht mehr da ist, ist es sinnlos, weiter zu werben: Mein Herz hat mir geraten: / »Trenne dich von ihr! Es ist sinnlos, / mit 214 Schweikle (1995), S. 172. 215 Ebd., S. 183. 216 Haferland (2000), S. 217.

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einer Liebe zu spielen, / die erzwungen wird.« (Ա/ԽԴ, 325 – 332, hier: 329 – 332). Der Inhalt der Werbelieder ist in den beiden Dichtungen gleich: Das männliche lyrische Ich wirbt um die besungene Frau. Der Werbende wurde von der Liebe verwundet, als er die Frau das erste Mal sah, d. h., an seiner hoffnungslosen Situation sind seine Augen schuld: Ich gab meinen Augen Rat wie die Eltern ihrem Sohn: »Kommt, lasst uns reden, wir brauchen das nicht mehr tun.« Meine Augen erwiderten: »Wir dachten: Klug bist du. Gibt’s in dieser Welt andere Augen, die die Schöne nicht sehen wollen?« (Ա/ԾԶ, 10 – 17) Nu enbeiz ich doch des trankes nie, dȃ von Tristan in kumber kam. Noch herzeclȋcher minne ich sie Danne er Ysalden, daz ist mȋn wȃn. Daz habent diu ougen mȋn getȃn. (Bernger von Horheim MF 112,1) Nun habe ich doch nie den Trank genossen, / durch den Tristan in Not kam. / Doch liebe ich sie herzlicher / als er Isolde, so glaube ich. / Das haben meine Augen mir angetan.217

Die Augen werden nur noch als ein Organ dargestellt, mit dem der Liebende die geliebte Frau anschaut: O weh, meine heimtückischen Augen schauen nur noch nach dir. (Ա/Կ, 523 – 530, hier: 527 – 528)

Im Gegensatz zu den eigenen Augen sind die Augen der besungenen Frau Schadenstifter: Sie töten, verzaubern, halten gefangen und machen zu Liebessklaven: Deine Augen sind schuldig am Blute vieler Menschen. (Ա/ՁԲ, 1217 – 1224, hier: 1219 – 1220) Ich bin leider sȇre wunt ȃne wȃfen. daz habent mir ir schœniu ougen getȃn, daz ich niemer mȇ geheilen kan, ez enwelle der ich bin undertȃn. (Ulrich von Gutenburg MF 78,8)

217 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Ach, ich bin ohne Waffen schmerzlich verwundet. / Das haben mir ihre schönen Augen angetan, / so dass ich niemals wieder gesunden kann, außer durch sie, der ich gehöre.218

Die Augen der Frau können entflammen und in Brand setzen: Diese Augen, die du hast, das Linke entflammt, das Rechte setzt in Brand. (Թամ., 570) Mich enzündet ir vil liehter ougen schȋn, same daz viur den durren zunder tuot. (Heinrich von Morungen MF 126,24) Der strahlende Glanz ihrer Augen entflammt mich / wie das Feuer den dürren Zunder.219

Der Liebende ist verwundet, krank. Er ist der Liebe machtlos ausgeliefert. Die Frau fängt mit ihrer Eroberung an: Herz, Sinn und Seele des Werbenden sind unter ihrer Herrschaft. Sie sucht sein Herz heim: Deine Liebe ist in meinem Herzen wie ein goldener Nagel. Deine Liebe betrat mein Herz und hat sich dort eingenistet. (Ա/Բ, 99 – 104, hier: 99 – 102) West ich, ob ez verswîget möhte sîn, ich lieze iuch sehen mîne schoene vrouwen, der enzwei braeche mir daz herze mîn, der möhte sî schône drinne schouwen. Si kam her dur diu ganzen ougen mȋn sunder tür gegangen. (Heinrich von Morungen MF 127,1) Wüsste ich, dass es verschwiegen bliebe, / ich ließe euch meine schöne Dame sehen. / Wer mir das Herz entzweibräche, / der könnte sie darin erblicken, wunderschön. / Sie kam, ohne mir die Augen zu versehren / und ohne Tür hinein.220

In den Werbeliedern eines männlichen lyrischen Ichs handelt es sich wie im Minnesang auch in hayrenner um Werbung um die besungene Frau, die etwa folgendermaßen formuliert ist: 1. Ergeben: Das lyrische Ich bekundet ewige Treue, versichert die Unendlichkeit und Ausschließlichkeit seiner Liebe: Es ist unmöglich, diese Liebe von mir zu trennen, du darfst das nie vergessen. (Ա/ԾԱ, 195 – 202, hier: 201 – 202) Ez stȇt mir niht sô. Ich enmac ez niht lȃzen, daz ich daz herze von ir iemer bekȇre. (Rudolf von Fenis MF 81,6) 218 Übersetzt von Kuhn. 219 Übersetzt von Tervooren. 220 Übersetzt von Kuhn.

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Es steht um mich nicht so. Ich kann nicht zulassen, / dass ich das Herz von ihr jemals abwende.221

2. Bittend: Das lyrische Ich schildert seinen hoffnungslosen Zustand und bittet um Erhörung: Die Liebe zu dir macht mich zum hungrigen Kind, das nach der Mutter ruft. Sie aber starb und ließ das Kind als Waise zurück. Ich brenne in deiner Liebe, gib mir Wasser zum Trinken. Sprich mit mir, lass mich hoffen, ich kann das nicht mehr ertragen. (Ա/ԽԴ, 207 – 214) Bin ich dir unmære, des enweiz ich niht: ich minne dich. Einez ist mir swære: Dû sihest bȋ mir hin und über mich. Daz solt dû vermȋden, ine mac niht erlȋden selhe liebe ȃn grôzen schaden. Hilf mir tragen, ich bin ze vil geladen! (Walther von der Vogelweide L 50,19) Bin ich Dir gleichgültig, / das weiß ich nicht: ich liebe Dich. / Eines ist mir schmerzlich: / Du siehst zu mir hin und über mich hinweg. / Das sollst Du nicht tun, / ich kann nicht ertragen / ein solches Liebesgefühl ohne großen Schaden. / Hilf mir tragen, ich bin zu sehr beladen!222

3. Hinweisend: Das lyrische Ich weist auf die Folgen der Missachtung durch die Frau hin, die bis zu seinen Tod reichen: Ich bitte dich, finde ein Mittel, halte mich fest in deinem Schoß, sonst werde ich sterben. Du bleibst dann an meinem Blut schuldig. (Ա/ԽԱ, 41 – 48, hier: 45 – 48)

2 Ist aber ieman hinne, der sîne sinne her behalten habe? der gê nach der schônen,

3 Wan sol schrîben kleine reht ûf dem steine, der mîn grap bevât, wie liep sî mir waere

221 Übersetzt von Schweikle. 222 Übersetzt von G. Schweikle.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

diu mit ir krônen und ich ir unmaere; gie von hinnen abe; swer danne über mich gât, Daz si mir ze trôste kome, Daz der lese dise nôt ê daz ich verscheide und ir gewinne künde, diu liebe und diu leide der vil grôzen sünde diu wellen mich beide die sî an ir vründe vürdern hin ze grabe. her begangen hât. (Heinrich von Morungen MF 129,25; 129,36) Gibt es hier aber einen, / der seinen Verstand / noch behalten hat? / Der folge der Schönen, / die mit ihrem Strahlenkranz / von hier verschwunden ist. / Oh, dass sie mir doch Hoffnung gebe, / ehe ich sterbe. / Die Freude und das Leid, sie beide werden mich ins Grab bringen. Man soll mit zierlicher Schrift / auf den Stein schreiben, / der mein Grab bedeckt, / wie lieb sie mir / und wie gleichgültig ich ihr war. / Wer dann über mich geht, / der möge lesen von dieser Not / und Kunde bekommen / von dem großen Unrecht, / das sie ihrem Freund / bis zuletzt angetan hat.223

4. Argumentierend: Das lyrische Ich argumentiert mithilfe des potenziellen Alterns der Frau für seine Werbung: Schwarz sind deine Augen und Augenbrauen, rot sind deine Wangen, deine Stirn ist weit. Weiß schimmernd bist du, mit schönen Brüsten. Wenn du stirbst und diese Welt verlässt, wird dein weißer Körper verdorren, die Würmer werden deine Brüste fressen. Warum hälst du mich von dir fern? (Թամ., 572b) Sol ich in ir dienste werden alt die wîle junget si niht vil. (Walther von der Vogelweide L 73,17) Sollte ich in ihrem Dienst alt werden, / derweil wird sie nicht viel jünger.224

2.

Minneklage im Minnesang und in der hayren-Dichtung

Sowohl in der hayren-Dichtung als auch im Minnesang geht es nicht um die dauerhaft glückliche Liebe, sondern um die nicht erfüllte Liebe. Die Frau ist meistens gleichgültig. Sie erwidert die Liebe des lyrischen Ichs nicht und bietet damit ein wichtiges Motiv für Klagelieder. In manchen Männerliedern wird die Frau aber nicht als gleichgültig, sondern als Liebende dargestellt. Das glückliche Zusammensein der Liebenden ist trotzdem nicht möglich wegen äußerer Hindernisse (Liebesfeinde, gesellschaftliche Normen, Trennung aus historisch-ge223 Übersetzt von Kuhn. 224 Übersetzt von Schweikle.

Minneklage im Minnesang und in der hayren-Dichtung

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sellschaftlichen Gründen wie in den pandowxt-Liedern) oder wegen innerer Widerstände. Das fehlende Zusammensein ruft den Spannungszustand hervor und gibt Anlass für die Klagelieder. Der Inhalt des Klageliedes ist die Klage über die Gleichgültigkeit der Umworbenen, über die äußeren Hindernisse und inneren Widerstände der Werbenden.225 Die Liebe selbst spendet zwar Freude, aber nicht dem Liebenden. Er ist allein, ohne Freude. Er preist die Liebe und die geliebte Frau als Freudenspender, er klagt aber, weil er nur Nachteile von der Liebe hat. Das lyrische Subjekt des Klageliedes ist ein von der Liebe isolierter Liebender. Es ist allein, sowohl in der Liebe als auch in der Trauer. Es hat keine Freude. Als Liebender muss das lyrische Ich von der Freude Distanz nehmen. Das ist eine sehr wichtige Voraussetzung des Klageliedes. Der von der Liebe isolierte Liebende wirbt um die Frau, preist sie, bittet sie um die Erhörung. Die Werbung ist aber ergebnislos, die Liebeserfüllung ist gescheitert: 1. wegen innerer Hemmnisse des lyrischen Ichs: a) Der Werbende ist schüchtern. Er redet falsch oder redet gar nicht vor der Geliebten: Ich kam zu dir, aber als ich dich sah, konnte ich nicht sagen, was ich sagen wollte. Meine Beine versagten mir den Dienst, ich stand verzweifelt da. (Ա/ԻԷ, 21 – 28, hier: 21 – 24) Ich weiz bȋ mir wol, daz ein zage unsanfte ein sinnic wȋp bestȃt. ich sach si, wæne ich, alle tage, daz mich des iemer wunder hȃt, daz ich niht redde, swaz ich wollte. als ich sȋn beginnen underwȋlent sollte, sô gesweic ich daz ich niht ensprach, wan ich wol wisse, daz nieman liep von ir geschach. (Reinmar MF 153, 23) Ich weiß von mir selbst, dass ein Schüchterner / nur schwer eine kluge Frau erwerben kann. / Ich sah sie, glaube ich, alle Tage, / so dass es mich immer gewundert hat, / dass ich nicht sagen konnte, was ich wollte. / Wenn ich zuweilen damit begann, / so verschlug es mir die Sprache und ich schwieg, / denn ich wusste wohl, dass sie niemandem ihre Liebe geschenkt hatte.226

b) Er verliert den Verstand. Von der Geliebten entfernt ist er krank und seelenlos. Sogar das Altwerden macht ihn nicht klug. 225 Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 121. 226 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Die Seele meiner Seele, meine Geliebte! Als ich von dir weg war, hat meine Seele meinen Körper verlassen, der Tod hat mich empfangen. (Թամ., 620) Ich alte ie tage ze tage / und bin doch hiure nihtes wȋser danne vert. (Reinmar MF, 157,1) Ich werde immer älter von Tag zu Tag / und bin doch in diesem Jahr nicht klüger als im letzten.227

c) Er hat ein mangelhaftes Selbstvertrauen: Meine Geliebte, ich habe doch nichts Schlechtes über dich gesagt. Warum bist du mir denn böse? (Ա/ՁԲ, 897 – 904, hier: 897 – 898) Wȃfenȃ, waz habe ich getȃn sô ze unȇren, daz mir diu guote ir gruozes niht engunde? Sus kan si mir wol daz herze verkȇren. (Friedrich von Hausen MF 53,7) Hilfe, was habe ich so Unrechtes getan, / dass mir die Gute ihren Gruß versagt hat? / So kann sie mir wohl das Herz brechen.228

2. wegen äußerer Hindernisse: a) Die als »neidische Leute«, »Verleumder«, »Lügner« (in hayrenner), »huote«, »merkære« (im Minnesang) personifizierte Mitwelt ist schuld, dass die Liebenden nicht zusammen sind. Krank bin ich, weil ich fern von dir bin, ich verwünsche den neidischen Menschen. Wenn zwei einander lieben, warum wollen sie uns dann drohen? (Ա/ԺԸ, 13 – 16) Ich fürhte niht ir aller drô, sȋt si will, daz ich sȋ frô. wan diu guote ist fröiden rȋch, des will ich iemer fröwen mich. (Der Burggraf von Rietenburg MF 18,13) Ich fürchte nicht das Drohen aller anderen, / da sie will, dass ich froh bin. / Denn die Gute schenkt reiche Freude, / darüber will ich mich immer freuen.229

b) Das glückliche Zusammensein der Liebenden scheitert durch die räumliche Ferne (durch die politischen, wie etwa Krieg, Kreuzzüge und in den hayrenner auch durch die wirtschaftlichen Gründe, wie in pandowxt-Liedern).

227 Übersetzt von Kuhn. 228 Übersetzt von Kuhn. 229 Übersetzt von Kuhn.

Minneklage im Minnesang und in der hayren-Dichtung

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Das bezeichnende Kennwort ist im Minnesang fremden230 und in den hayrenner pandowxt, łarip (Auswanderer). Wer einen Fremden tadelt, muss selbst ohne Heimat bleiben. Wenn er in ein fremdes Land geht, begreift er, was es bedeutet, fremd zu sein. Selbst wenn das Gold auf ihn regnet, getrennt von seiner Geliebten ist ihm das Gold nicht einmal Asche wert. (Բ/Դ, 349 – 356) Wir toben umbe guot: nu lânt mich tûsent lande hân, ê ich sie danne wisse, sô müeste ich sie lân, und enwírt mir dar nâch niht wan siben vüeze lanc. ûf bezzer lôn stêt aller mîn gedanc. (Heinrich von Rugge MF 102,22) Wir jagen nach Hab und Gut: / Nun lasst mich tausend Länder besitzen, / ehe ich sie wirklich kenne, müsste ich sie wieder verlassen, / und ich bekomme danach nicht mehr als ein Stück von sieben Fuß. / Auf besseren Lohn ist mein Denken gerichtet.231

3. wegen des Verhaltens der Umworbenen, denn sie ist a) gleichgültig, launenhaft und unnahbar. Ich bin zu dir gekommen, ich dachte, du hättest Sehnsucht. Mein Kommen aber hat dich gestört, das habe ich gleich verstanden. (Ա/ԽԹ, 39 – 46, hier: 39 – 42) Si ist mir liep, und dunket mich, wie ich ir volleclȋch gar unmære sȋ. (Reinmar MF 159,10) Sie ist mir lieb, und scheint es mir auch, / dass ich ihr ganz und gar gleichgültig bin.232

b) gnadenlos, mitleidlos und grausam. Als ich verwirrt und verzweifelt die kleinen Straßen hinunterlief, sah ich meine Geliebte, sie leuchtete mehr, als tausende Monde zusammen. Sie ist wie ein grausames Messer in meinem Herzen.

230 Schweikle (1995), S. 122. 231 Übersetzt von Kuhn. 232 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

O weh, sie hat keine Gnade und kein Mitleid mit mir. (Ա/ԾԱ, 355 – 362) Des wirt ouch niemer leides mir unz an mȋn ende buoz, sȋt si mich hazzet, die ich von herzen minne. (Reinmar 166, 30) Deshalb gibt es für mein Leid auch bis zum Ende keine Hilfe, / da sie, die ich von Herzen liebe, mich hasst.233

3.

›Minnelied‹ des Minnesangs und ›Sirerg‹234 der hayren-Dichtung

3.1

Die Bedeutungsebenen des Begriffs ›se¯r‹ (Liebe) im armenischen Mittelalter: Liebe zu Gott und Liebe zur Frau

Der Begriff ›սեր‹ ser (Alt- und Mittelarmenisch: ›սէր‹ se¯r Liebe) ist nicht nur von historisch-gesellschaftlichen Formen, sondern auch von der religiösen Weltdeutung geprägt. So bezeichnet ser, ebenso wie das geschlechtsgebundene starke Gefühl die Bindung zwischen Familienangehörigen, z. B. mayrakan ser, mütterliche Liebe, die gefühlsstarke Beziehung zur Heimat, z. B. hayrenik’i ser, Vaterlandsliebe, die erotische Beziehung zwischen Liebenden, z. B. ser vayelenk’, Liebe genießen und das Liebesverhältnis zwischen Gott und den Gläubigen, christliche Tugend z. B. i ser Astowco oder Astcow sirown, für Liebe zu Gott.235 Diese verschiedenen Bedeutungsebenen von ser sind bei Konstandin Erznkac’i (13.–14. Jh.) sehr deutlich zu sehen. Mit dem Begriff ›սէր‹ se¯r bezeichnet er die weltliche Liebe wie auch das spirituelle Liebesverhältnis zwischen Gott und den Gläubigen und führt die zwei Bedeutungsebenen von se¯r zusammen: Der Kern dieses Lebens ist die Liebe. Mit der Liebe wurde die Welt geschaffen, durch Liebe war Christus bei den Menschen. Mit der Liebe wachsen Blumen und Bäume. Mit der Liebe singen die Vögel: Konstandin Erznkac’i Թէ՝ Սէր է ծառն, ու սէր՝ ծաղիկն, ու սէր՝ հաւուն ձայնն ի ծառին, Սէր է վարդն, ու սէր՝ պլպուլն՝ սիրով նստել ի վրայ վարդին. Սիրով են գոյն ու գոյն 233 Übersetzt von Kuhn. 234 Armenische Bezeichnung für das Minnelied. Se¯r (Genitiv: siro) bedeutet Liebe, erg bedeutet Lied. 235 Zˇamanakakic’ hayoc’ lezvi bar˙aran (Wörterbuch der neuarmenischen Sprache), Bd. 4 (1980), S. 293.

›Minnelied‹ des Minnesangs und ›Sirerg‹ der hayren-Dichtung

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ու գեղեցիկ այն ծաղկնին, Վասն սիրոյ փոքրիկ հաւերն ի ծաղկնուն վերայ նստին։236 Liebe ist ein Baum und Liebe ist eine Blume, Liebe ist das Vogelzwitschern. Liebe ist eine Rose, Liebe ist eine Nachtigall, die mit der Liebe auf der Rose sitzt. Mit der Liebe sind die Farben und die Blumen gefüllt. Die kleinen Vögel sitzen wegen Liebe auf den Blumen.

Ohne Liebe kann die Natur nicht existieren. Liebe ist der Sinn dieses Lebens, deswegen wird ohne Liebe die Rose vom Wind mitgerissen: Թէ չկար սէր յիմ սրտիս, ու ես ունի անհոգութիւնն, Նայ ես է՞ր ի կախ լինի զօրն ու գիշերն ի մէջ փշին։ Ես սիրով կամ կենդանի, իմ տերևնիս սիրով սփռին, Ու թէ սէրն յիսնէ զատի՝ նայ զիս տանի հողմ ու քամին։237 Wenn in meinem Herzen keine Liebe wäre und ich sorglos wäre, könnte ich so schön blühen in meinen Blättern? Mit der Liebe oder lebendig breite ich meine Blätter aus. Wenn ich die Liebe verliere, werde ich vom Wind mitgerissen.

Liebe ist Arznei und Heilmittel. Die Rose, die mit Liebe gewachsen ist, ist ein Medikament gegen Schmerzen im Herzen. Wenn das Herz gesund und voll mit Liebe ist, dann wird auch der ganze Körper geheilt und mit der Liebe gefüllt: Քաղեն զիս և տանին, շաքրով խառնեն այն հաքըմնին Ու զուգեն կուլպաշաքար, ես դեղ լինիմ սրտացաւին:238

236 Text nach: Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Konstandin Erznkac’i, S. 442. 237 Ebd., S. 443. 238 Ebd., S. 444.

80

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Wenn man mich pflückt und mitnimmt, mit Zucker vermischt, als Rosensirup bin ich gut gegen Herzensschmerzen.

Die Rose ist Jesus und Jesus ist die Liebe. Für Konstandin Erznkac’i ist das aber nur eine Seite der Liebe. Liebe ist auch die schöne Gestalt, die ersehnte Frau, die krank macht, aber auch das Gegenmittel für diese Krankheit besitzt: Քո սիրուդ հիւանդ եմ ես, Հէքիմ և ճարակ դու ես, Դու դեղ իմ սրտիս առնես, Թէ զտեսդ աչերուս օժտես: Մարմինս անհոգի զանց քեզ, Հոգիս անդադար հետ քեզ, Իսկի չի խղճա՞ս դու ինձ, Չի գիտե՞ս, որ ծառայ եմ քեզ:239 »Ich bin krank wegen der Liebe zu Dir, Du bist meine Ärztin, meine Arznei. Ich würde geheilt, wenn meine Augen dich noch mal sehen würden. Ohne dich ist mein Körper ohne Seele, meine Seele ist ständig bei dir. Hast du kein Mitleid mit mir? Siehst du nicht, ich bin dein Dienstmann.«

Das Motiv der Liebe als höchstem Wert findet sich in den hayrenner sehr oft. Es besteht eine Analogie zwischen Frauendienst und Gottesdienst, da die Frau im hayren hoch über den normalen Menschen steht, wie eine Sonne strahlt und übermenschliche Kräfte besitzt. Die Liebe zur Frau und der Dienst an Gott stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern nebeneinander. Im hayren Բ/Դ 121 – 128, der unter dem Namen Hovhannes Erznkac’i überliefert ist, heißt es: »David, der Prophet und der König, / hat die Liebe zu seiner Geliebten besungen« (Բ/Դ 121 – 128, hier: 121 – 122). Hovhannes Erznkac’i wollte mit diesen Zeilen dafür argumentieren, dass die weltliche Liebe nicht in Konkurrenz zur Liebe zu Gott gesehen werden darf. Die Liebe oder die Geliebte zu besingen, ist keine Sünde und sogar die biblischen Helden haben es getan. Trotz des Arguments, dass die Liebe keine Sünde ist, nimmt das lyrische Ich die Position des Büßers ein, der versucht, sich für seine Liebe vor Gott zu entschuldigen. Gleichzeitig versucht das lyrische Ich aber auch seine Machtlosigkeit gegenüber der Liebe zu zeigen, weil die Frau das Wunderwerk Gottes ist. Gott hat die Frau so vollkommen geschaffen 239 Text nach: Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Konstandin Erznkac’i, S. 452.

›Minnelied‹ des Minnesangs und ›Sirerg‹ der hayren-Dichtung

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und das lyrische Ich liebt nur das Werk der Hände Gottes: »Mein Herr, du hast / diese Schönheit / geschaffen. Es ist doch keine Sünde / dein Werk zu lieben.« (Թամ., 594). Diese Verteidigungsposition des Sängers wird besser verständlich, wenn man die Werke der zeitgenössischen Kirchenväter vor Augen hat, in denen die hayrenner reichlich kritisiert und als ›vom Bösen kommende Kunst‹240 bezeichnet wurden.241 Die hayren-Dichtung brachte eine ganz neue Weltanschauung mit sich. Sie handelte von zwischenmenschlichen Beziehungen, von der Liebe und der Erotik. Dieses Neue bedurfte daher auch der Verteidigung.

3.2

Zur Bedeutung ›minne‹ im Minnesang242

›Minne‹ wurde zum tragenden Begriff und das zentrale Thema für die Minnesänger. Sie versuchten das Geheimnis der ›minne‹ zu verstehen, die einerseits mit zerstörerischer Gewalt über die Menschen herrscht, andererseits aber die Quelle des Guten ist. Die Antwort auf die Frage Saget mir ieman, waz ist minne (Walther von der Vogelweide L 69,1) war nicht immer gleich: Die im Minnesang entwickelten Liebeskonzeptionen, wie ›hohe‹ und ›niedere‹ minne, Walthers ›herzeliebe‹ und Neidharts ›dörperliche minne‹ lieferten unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten für die ›minne‹: Sie ist übermächtig, raubt den menschlichen Verstand: Waz mac daz sȋn, daz diu werlt heizet minne, und ez mir tuot sȏ wȇ zaller stunde und ez mir nimt sȏ vil mȋner sinne? ine wânde niht, daz ez ieman erfunde. (Friedrich von Hausen MF 53,15) Was mag das sein, das alle Welt »Minne« nennt / und das mir allezeit so weh tut / und mir so viel von meinem Verstand raubt? / Ich glaubte nicht, dass jemand so etwas erfahren könnte.243

Sie bringt Leiden und Schmerzen mit, denn liep âne leit mac niht sȋn. ›Minne‹ kann sogar zum Synonym für ›Leid‹ und ›Schmerzen‹ werden: Mir sol ein sumer noch sȋn zȋt Ze herzen niemer nâhe gân, 240 Tear˙n Yovhannow Mandakownow cˇar˙k’ (1860), S. 131. 241 Vor allem in Werken von Yovhanne¯s Mandakowni, Step’anos Taronec’i Asołik, Xosrov Anjevac’i, Grigor Hr˙etor, Step’anos Orbelyan, Yovhanne¯s Gar˙nec’i, Simon Bischof Ałjnyac’ und bei Barseg Masˇkuac’i. 242 Bei der Darstellung des Bgriffs ›minne› stütze ich mich vor allem auf folgende Arbeiten: Kolb (1958); Wapnewski (1979); Müller (Hg.) (1993); Bumke (1986), Bd. 2; Mertens (1983), (1986); Haubrichs (1981); Sachwörterbuch der Mediävistik (1992); Willms (1990); Ehrismann (1995). 243 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

sȋt ich sȏ grȏzer leide pflige, daz minne riuwe heizen mac. (Reinmar MF 188, 31) Mir wird auch nicht der Sommer mit seiner Pracht / je das Herz erfreuen, / da mein Leid so groß ist, / dass Liebe Schmerz genannt werden kann.244

Andererseits ist die ›minne‹ jedoch das Glück zweier Herzen: Ob ich rehte râten künne Waz diu minne sȋ, sȏ sprechent denne jâ. Minne ist zweier herzen wünne, talent sie gelȋche, sȏ ist diu minne dâ. (Walther von der Vogelweide L 69,8) Wenn ich richtig rate, / was Liebe ist, so sagt denn ja. / Liebe ist das Glück zweier Herzen: / Ist es gleich verteilt, dann ist das Liebe.245

In der Forschung steht das Wort ›minne‹ »im Mittelpunkt unterschiedlicher Bemühungen, Leitbilder für die höfische, an dem Ausgleich von weltlichen und religiösen Wertvorstellungen interessierte Gesellschaft zu entwerfen.«246 Nachdem der Begriff ›höfische Liebe‹ (amour courtois) durch den Romanisten Gaston Paris im Jahr 1883 in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt wurde, hat eine große Forschungsdiskussion begonnen, die in der Einzelheiten immer noch umstritten bleiben.247 ›Höfische Liebe‹ bezeichnet eine von den Troubadours entwickelte spezielle Liebesauffassung, deren Kern die Vorstellung bildet, dass Liebe eine Quelle alles Guten sei und den Wert des Menschen steigert sowie seine Vervollkommnung und sein Glück bewirkt.248 Die höfische Liebe hatte in der höfischen Literatur, abhängig von gattungsspezifischen Besonderheiten, unterschiedliche Erscheinungsformen: Sie war in der Lyrik anders als in der Epik, in der ›Hohen Minne‹ anders als im Tagelied.249 Die Semantik des Wortes minne bezeichnete im Mittelalter nicht nur die höfische Liebe, sondern »sie reichte von schaler Freundlichkeit bis zur religiösen Ekstase.«250 In der auf die ›höfische Liebe‹ fokussierten Forschung war aber die Vorstellung verbreitet, minne »bezeichne ausschließlich die ›zarte Liebe‹, die vergebliche und schmerzliche Sehnsucht nach einer unerreichbaren, idealen vrouwe.«251 Der Begriff minne mit der Bedeutung ›memini‹ – sich erinnern –

244 245 246 247 248 249 250 251

Übersetzt von Kuhn. Übersetzt von Kuhn. Sachwörterbuch der Mediävistik (1992), S. 535. Bumke (1986), Bd. 2, S. 504. Sachwörterbuch der Mediävistik (1992), S. 32 und S. 535. Bumke, Bd. 2 (1986), S. 505. Ehrismann (1995), S. 136 – 138. Ebd., S. 136.

›Minnelied‹ des Minnesangs und ›Sirerg‹ der hayren-Dichtung

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wurde deswegen »zunächst [als H.M.] ein rein geistiger Vorgang ohne ausgesprochen erotischen Bezug«252 gedeutet. Willms zeigt dagegen: »Liebe und das, was wir uns heute als Sexualität zu bezeichnen gewöhnt haben, waren nicht eines und ein anderes, die zusammenkommen konnten, von denen eines das andere überborden konnte, sondern sie waren eins.«253

In der schriftlichen Überlieferung variieren die Begriffe minne und liebe (z. B. Walther, L 47/7).254 Die Minnesänger bezeichneten aber die Liebe zwischen Mann und Frau normalerweise als minne und der Begriff liebe wurde dafür erheblich seltener verwendet, wie Ehrismann mit der Gegenüberstellung der Begriffe minne und liebe deutlich macht.255 Der Begriff liebe enthält in sich die Semantik der Freude, wie es bei Morungen zu sehen ist: Liep haet ich gerne, leides enbaere ich wol (MF, 132,22).256

3.3

Motive und Auffassungen über die Liebe

Wie oben angedeutet, umfasst wie der Terminus minne im Minnesang auch das Zentralwort se¯r in der hayren-Dichtung nicht nur die starke Zuneigung, das starke Gefühl, die Bindung zwischen Familienangehörigen und die starke geschlechtsgebundene Gefühlsbeziehung, sondern bezeichnet auch die erotische Beziehung zwischen den Liebenden bis hin zur Liebe zu Gott. Die Begriffe minne und se¯r enthalten in sich also die Bedeutung der sinnlichen und der körperlichen Liebe. In den hayrenner werden sowohl der innerliche Zustand des Liebenden als auch die Bindungen innerhalb der Gesellschaft von der Liebe her erklärt und begründet. Im Unterschied zum Minnesang wird aber die Liebe in der hayrenDichtung nicht wegen sexuellen Genusses als niedrig und falsch (›niedere minne‹ oder ›fals’amor‹257) qualifiziert, sondern wegen fehlender Anerkennung der Liebe als höchstem Wert: 1) Der Liebende soll bereit sein, bis hin zur Selbstaufgabe der Liebe zu dienen und 2) die Liebe darf nicht erzwungen werden: Der Mann muss die Liebe zur Frau erst verdienen, bevor er einen Anspruch auf die Liebe erhebt. Als Liebeslyrik handeln der Minnesang als auch die hayren-Dichtung in erster Linie von Motiven und Auffassungen über die Liebe, von deren Wirkung auf den Menschen und auf die Gesellschaft. Die Liebe wird unterschiedlich dargestellt: 252 253 254 255 256 257

Lindner (1968), S. 32. Willms (1990), S. 165. Ehrismann (1995), S. 138. Ebd., S.140. Ebd., S.139. Mölk (1982), S. 33.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

vom positiv wirkenden Gefühl bis hin zur Dämonisierung der Liebe.258 Unten wird versucht, die Hauptmotivik der Liebe im Minnesang und in hayrenner herauszuarbeiten und zu vergleichen: 1. Liebe als Leid, Sorge und Kummer: Ich habe Schmerzen und Kummer, es gibt keinen, der mir hilft. Ich soll dem lieben Gott klagen: »Mein Herr, erlöse mich von diesen Leiden. Das ist keine Liebe, die Du mir geschenkt hast, das ist ein Feuer, in dem ich brenne.« (Ա/ԾԸ, 1 – 6) Ow, trûren unde klagen, wie sol mir dȋn mit fröiden iemer werden buoz? mir tuot vil wȇ, daz ich dich muoz tragen, du bist ze grôz, doch ich dich tragen muoz. (Reinmar MF 155,27) Ach, Trauern und Klagen, / wie werde ich je durch Freuden davon befreit? / Mich schmerzt es sehr, dass ich dies ertragen muss: / Es ist zu schwer, dennoch muss ich’s aushalten.259

2. Liebe als Krankheit: Ohne Verwundung bin ich krank geworden. Wenn ihr mich fragt, warum ich so krank bin, werde ich antworten: Schwarze Augen haben mir das angetan. Diese schwarzen Augen ließen mich in Sehnsucht sterben. Wem soll ich, wem soll ich klagen, ich bin nicht selbst zu dir gekommen, die Liebe hat mich hierher gebracht. (Ա/ԿԵ, 9 – 16) Vrowe, wilt du mich genern, sô sich mich ein vil lützel an. ich enmác mich langer niht erwern, den lîp muoz ich verlorn hân. Ich bin siech, mîn herze ist wunt. vrowe, daz hânt mir getân mîn ougen und dîn rôter munt. (Heinrich von Morungen: MF 137,10) Herrin, wenn du mich retten willst, / dann sieh mich doch ein wenig an. / Ich vermag nicht länger Widerstand zu leisten, / bald wird es um mein Leben geschehen sein. / Ich 258 Für die Liebesdarstellung im Minnesang und deren Wirkung auf die Gesellschaft siehe Schweikle (1995), S. 196 – 202. 259 Übersetzt von Kuhn.

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bin krank, mein Herz ist verwundet. Herrin, das haben mir meine Augen angetan und dein roter Mund.260

3. Liebe als Medizin für die selbst verschuldete Krankheit: Ich bin krank aus Liebe zu dir, nimm einen Apfel und komm zu mir. Komm, setz dich auf mein Kissen, gib mir deine Hand und fühle mein Herz. Du weißt, wo meine Schmerzen sind, ich brauche keinen fremden Arzt mehr. Wenn mein Herz schwach wird, gib mir eine Arznei, Wenn nicht, fülle es erneut mit deiner Liebe. (Թամ., 531) Diu guote wundet und heilet, dér ich vor in allen dienen sol. (Walther von der Vogelweide L 98,34) Die Edle verwundet und heilt, / der ich vor allen anderen dienen muss.261

4. Liebe als Sünde: Prophet David, meine Hoffnung, viele Sünden habe ich begangen, vergib. Ich habe eine Frau geliebt wie das Licht meiner Augen. (Ա/Բ, 183 – 190, hier: 183 – 186) Ob ichz getar von sünden sagen: ich sæhe si iemer gerner an dan himel oder himelwagen. (Walther von der Vogelweide L 53,25) Wenn ich es, bei Gefahr mich zu versündigen, zu sagen wage: / Ich würde sie allzeit lieber ansehen / als den Himmel oder Himmelwagen.262

Dieses aus christlicher Tradition entstandene Motiv wird auch zur Verteidigung des Liebenden benutzt: a) Es mag eine Sünde sein, die Frau zu lieben, aber ihre Vollkommenheit ist von Gott geschaffen, man liebt damit das Werk aus Gottes Händen: Was soll ich tun? Sobald ich die Schöne anschaue, entbrenne ich in Liebe. Wenn ich die ewigen Gesetze begriffen habe, umarme ich 260 Übersetzt von Tervooren. 261 Übersetzt von Schweikle. 262 Übersetzt von Schweikle.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

meine Schöne, zeige sie Gott und sage ihm: »Mein Herr, du hast diese Schönheit geschaffen. Es ist doch keine Sünde dein Werk zu lieben.« (Թամ., 594) ich bin ir holt; swenne ich vor gote getar, sô gedenke ich ir. daz geruoche ouch er vergeben mir: ob ich des sünde sule hȃn, zwiu geschuof er si sô rehte wol getȃn? (Friedrich von Hausen MF, 46,9) Ich bin ihr zugetan; wenn ich mich getraue – Gott gegenüber –, / dann bin ich in Gedanken bei ihr. / Er möge es mir vergeben, / auch wenn ich damit eine Sünde begehen sollte, / warum erschuf er sie so wunderschön?263

b) die Betroffenheit der biblischen Helden durch die Liebe. Der gleichzeitige Dienst an Gott und an der Frau: David, der Prophet und der König, hat die Liebe zu seiner Geliebten besungen. (Բ/Դ 121 – 128, hier: 121 – 122) Diu minne betwanc Salomône, der was der alrewîseste man, der ie getruoc küniges krône. wie mohte ich mich erwern dan, Si twunge ouch mich gewalteclîche, sît si sölhen man verwan, der sô wîse was und ouch sô rîche? den solt sol ich von ir ze lône hân. (Heinrich von Veldeke MF 66,16) Die Liebe bezwang Salomon, / der war der allerweiseste Mann, / der jemals eine Königskrone trug. / Wie hätte ich mich dagegen wehren können, / dass sie nicht auch mich durch ihre Macht bezwungen hat, / wenn sie einen solchen Mann überwinden konnte, / der so weise war und auch so mächtig? / Den Lohn habe ich von ihr zum Dank.264

5. Liebe von Kindheit an: Mit deiner Liebe hat meine Mutter mich gestillt, sie sitzt jetzt tief in meinen Knochen. Es ist unmöglich, diese Liebe von mir zu trennen, du darfst das nie vergessen. (Ա/ԾԱ, 195 – 202, hier: 199 – 202) Mîn staeter muot gelîchet niht dem winde. ich bin noch, als sî mich hât verlân,

263 Übersetzt von Kuhn. 264 Übersetzt von Kuhn.

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vil staete her von einem kleinen kinde, swie wê si mir nu lange hât getân, als swîgende iegenôte, und ein verholner wân. (Heinrich von Morungen MF 136,9) Mein Herz ist fest, nicht wie der Wind. / Ich bin noch so, wie sie mich verlassen hat, / immer getreu von früher Kindheit an, / wie lange sie mir auch weh getan hat / mit ihrem ständigen Schweigen und die heimliche Hoffnung mich schmerzt.265

6. Liebe über das Grab hinaus, die Zeitlosigkeit und Unendlichkeit der Liebe: Damit hast du mir mein Leben genommen. Meine Seele lässt du aber auch nicht in Ruhe. (Ա/ԽԱ, 9 – 16, hier: 15 – 16) Sturbe ich nȃch ir minne Und wurde ich danne lebende, sô wurbe ich aber Umbe daz wȋp. (Meinloh von Sevelingen MF 13,1) Stürbe ich aus Sehnsucht nach ihrer Liebe / und würde dann wieder lebendig, so würde ich / abermals um sie werben.266

7. Liebe als dämonische, überwältigende Macht: Ich will laut singen, dass meine Stimme jeden erreichen kann. Ihr, die Söhne Adams, hütet euch vor der Liebe. Die Liebe hat Beine und Hände, bewegt sich wie einer der Söhne Adams. Sie ist in meinen Kopf getreten und zieht mich an den Wangen. (Ա/ԿԵ, 41 – 48) Ich waene, si ist ein Vênus hêre, die ich dâ minne, wan si kan sô vil. sî benimt mir beide vröide und al die sinne. swenne sô si wil, Sô gêt sî dort her zuo einem vensterlîne unde siht mich an reht als der sunnen schîne. swanne ich sî danne gerne wolde schouwen, ach, sô gêt si dort zuo andern vrouwen (Heinrich von Morungen MF 138,33) Ich glaube, sie ist eine stolze Venus, die ich da liebe, / denn sie vermag so viel. / Sie raubt mir die Freude und allen Verstand. / Wenn es ihr gefällt, so erscheint sie dort an einem

265 Übersetzt von Kuhn. 266 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

kleinen Fenster / und blickt mich an wie die strahlende Sonne. / Doch wenn ich sie dann länger betrachten möchte, / ach, so geht sie fort zu anderen Frauen.267

8. Liebessklave: Ich liebe von ganzem Herzen und bin im Dienst der Liebe wie ein Sklave und armer Lehnsmann. (Ա/ԻԵ, 21 – 28, hier: 27 – 28) Das herze mîn sin und al der lîp die stênt in ir gebote. (Albrecht von Johansdorf MF 88,11) Mein Herz, mein Sinn und alles, was ich bin, / stehen unter ihrer Herrschaft.268

9. gefangen in der Liebe, der Liebe ausgeliefert sein: Ich war einer von jenen Vögeln, der kein Korn von der Erde nahm. Ich flog in den Himmel, um nicht ins Netz der Liebe zu geraten. Das Netz war aber im Meer und ich wusste darüber nichts. Während die anderen Vögel sich nur mit den Füßen verfingen, verfing ich mich mit Füßen und Händen. (Ա/ԽԴ, 57 – 64) Der si an siht, der muoz ir gevangen sȋn und in sorgen leben iemer mȇ. (Heinrich von Morungen MF 130,17) Wer sie ansieht, / der wird ihr Gefangener / und muss für immer in quälender Not leben.269

Der gowsan besingt zwar die sinnliche und die körperliche Liebe, mit der körperlichen Liebe ist aber nicht die grenzenlose Erfüllung von sexuellen Bedürfnissen gemeint, sondern eher die körperliche Anwesenheit der als unerreichbare Sonne dargestellten Frau. Der sexuelle Trieb bleibt »unerlaubt«: Meine Seele, wenn du mir erlaubtest, in deinen Schoss einzutreten! Ich hätte da einen Garten angelegt und wäre eingetreten. Ich hätte dir geschworen, nichts Unerlaubtes zu tun. Wie ungläubig sollte der Todesengel sein, um mich von dir lösen zu können. (Ա/ՁԲ, 1241 – 1248) 267 Übersetzt von Kuhn. 268 Übersetzt von Kuhn. 269 Übersetzt von Kuhn.

Frauenpreislied

4.

Frauenpreislied

4.1

Zur Bedeutung des Körpers im Mittelalter270

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Schon die Antike kennt den Dualismus von Leib und Seele und die Geringschätzung des Körpers im Vergleich zur Seele. Nach Platon ist der Leib der Kerker der Seele, in dem die Seele für die Dauer des irdischen Lebens eingesperrt ist. Das soll den Menschen aber dazu anregen, diesen Kerker schon in diesem Leben ideell zu überwinden.271 Auch für den armenischen Neuplatoniker Davit’ Anhałt’ (David der Unbesiegte, 5. Jh.) stellt sich der menschliche Körper als Gefängnis und als vorübergehender Aufenthaltsort der Seele dar. Die Seele und der Körper sind zwei Weggefährten während der kurzen Strecke des Lebens. Nur die Philosophie zeigt der Seele Möglichkeiten auf, durch das Leben zu gehen und sich mit Gott zu vereinigen.272 Im Christentum bildet der Körper das Äußere und die Seele das Innere des Menschen und beide beeinflussen sich gegenseitig.273 In der christlich-religiösen Literatur wurde der Körper einerseits als Gefängnis der Seele, Träger der Erbsünde, der irdischen Vergänglichkeit und alles Bösen dargestellt,274 andererseits aber wurde er als Ort der religiösen Erfahrung verstanden und bekam durch die Inkarnation des Gottessohnes eine wichtige Funktion: Er wurde zum Träger der göttlichen Kraft.275 Während es für Chrysostomos kaum möglich wäre, dass ein schöner Körper eine schöne Seele beherbergt,276 versteht Augustin die Schönheit des Leibes als Geschenk Gottes.277 Seit dem 12. Jh. setzte in Europa wie in Armenien eine neue Wertschätzung des Körpers ein: Nach Vahan Rabowni (13. Jh.) darf man bei Seele und Körper keine Abstammungspriorität suchen, da die beiden Entitäten der menschlichen Natur gleichzeitig geschaffen wurden.278 Die Seele ist »unstofflich und ewig, der Körper

270 Bei der Darstellung des Körpers im Mittelalter stütze ich mich vor allem auf folgende Arbeiten: Schmitt (1992); Bumke (2001), S. 13; Wenzel (1996), Funke (1988), Lumme (1996); Fitschen (2008). 271 Vgl. dazu Lumme (1996), S. 23. 272 Davit’ Anhałt’ (1980), Սահմանք իմաստասիրութեան (Sahmank’ imastasirowt’ean / Definitionen der Philosophie), S. 33 – 127. 273 Schmitt (1992), S. 64. 274 Ambrosius (339 – 397), Johannes Chrysostomos (344/49 – 407) und Cyrill von Alexandrien (375/80 – 444) warnten, besonders gestützt durch die paulinische Auffassung von dem der Sünde unterworfenen Leib (Röm. 7,23) vor der Sündhaftigkeit des Körpers. Vgl. dazu: Schmitt (1992), S. 64 – 69. 275 Schmitt (1992), S. 65. 276 Funke (1988), S. 57. 277 Wechsler (1966), S. 278. 278 Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Vahan Rabowni, S. 951 – 952.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

besteht aus vier Elementen und ist sterblich«.279 Dabei wird zwar die Priorität eher auf die Seele als Abbild Gottes gelegt, aber die Bedeutung des Körpers als Ort der Erfahrung wird nicht vernachlässigt.280 Hovhannes Erznkac’i (13. Jh.) erklärt den Leib-Seele-Dualismus folgendermaßen: Die Seele hat zwar als Sitz der Vernunft Priorität, aber der Erkenntnisprozess selbst findet im Körper statt, weil der Körper eine beeinflussende, wirkende Kraft hat.281 Ohne die Vernunft der Seele hat die menschliche Tätigkeit keinen Sinn, aber gleichzeitig ermöglicht nur der Körper den Erfahrungs- und Erkenntnisprozess.282 Nach Erznkac’i beeinflusst die immaterielle Entität die materielle, das bedeutet, die seelischen Zustände, etwa Gedanken oder Emotionen, lösen körperliche Prozesse aus wie z. B. Kreislauf- und Stoffwechselstörungen.283 In seinen philosophischen Arbeiten und Gedichten stellt Hovhannes Erznkac’i zwar die einander ausschließende, gegensätzliche Natur von Seele und Körper dar: Hovhannes Erznkac’i Զերկուսս ընկեր ո՞նց պահեմ, մէկս՝ հող, մէկս՝ հոգի է. Հոգիս թէ ի վեր քարշէ, հողս ծանր ի վայր կու հակէ, Վախեմ, թէ հողոյս լսեմ՝ նայ հոգոյս լոյսն պակասէ, Ու հետ հոգոյն ո՞վ թռչի, երբ նորա տունն հեռի է: (Տաղ հոգելի եւ շահաւէտ)284 Wie können die beiden Freunde werden, die eine ist Seele, die andere Erde, die Seele erhebt mich hoch, mein Körper ist aber Erde, bleibt unten. Ich befürchte, wenn ich meinem Körper folge, wird das Licht meiner Seele verblassen. Wer wird mit meiner Seele fliegen, wenn ihr Haus ganz weit oben ist? (Ein geistliches und nützliches tał)

Erznkac’i weist den Körper aber deswegen nicht ab, sondern versucht, eine Harmonie zwischen Seele und Körper zu finden. Er beschreibt den Körper als »Schloss mit Schätzen«285 und die Seele »als König in diesem Schloss«286, als »Schmuck des Körpers«287. Im Mittelpunkt des Denkens in Analogien,288 das im Mittelalter eine große Rolle spielte, stand der menschliche Körper als Mikrokosmos, als verkleinertes Abbild des makrokosmischen Universums.289 Die Mikrokosmos-Makrokosmos279 Ebd., S. 951. 280 Ebd. 281 Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Hovhannes Erznkac’i, S. 619 – 624. 282 Ebd., S. 621. 283 Ebd., S. 622. 284 Text nach: Ganjaran hay hin banastełcut’yan (2000), Hovhannes Erznkac’i, S. 356. 285 Ebd. 286 Ebd. 287 Ebd. 288 Bumke (2001), S. 13. 289 Schmitt (1992), S. 180 – 183.

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Analogie erlaubte es, alle Körperteile des menschlichen Wesens als Entsprechungen kosmologischer Gegebenheiten zu deuten.290 Honorius Augustodunensis (12. Jh.) verglich den Menschen, seine sieben Körperöffnungen und fünf Sinne, seine Füße, Knochen, Nägel und Haare mit den Elementen der Natur.291 Von dieser Vorstellung vom Menschen als Mikrokosmos und vom Weltall als Makrokosmos sind die Mythen zahlreicher Völker geprägt.292 Diese Vorstellung ist noch heute im Wortschatz verschiedener Völker präsent: wie z. B. Bergrücken, Flussarm, Meerbusen293 (im Deutschen), գետաբերան (getaberan, Flussmund), ծովածոց (covacoc’, Meerschoß), լեռանգլուխ (ler˙naglowx, Bergkopf) im Armenischen. Der Körper und die Körperglieder des Menschen wurden auch als ein Abbild des ›Leibes Christi‹, ein Abbild der Christusgemeinde, verstanden,294 denn »wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit Christus.« (Paulus, 1. Kor. 12,12) Die nächste Metapher des menschlichen Körpers ist »politischer Natur.«295 Nach Hugo von St. Viktor (1097 – 1141) sind die Körperglieder für den Menschen, was die verschiedenen gesellschaftlichen Stände für das Königreich oder die res publica bedeuten.296 Andersherum verstand man den Staat als einen Leib, dessen Funktionen analog zu den Tätigkeiten der einzelnen Organe im menschlichen Körper dargestellt wurden. Johannes von Salisbury (1115 – 1180) bezeichnet in seinem Policraticus das Königreich als einen Körper, »seinen Herrscher als dessen Kopf, den Senat als das Herz, die Richter und Vorsteher der Provinzen als die Augen, Ohren und die Zunge, die Steuereintreiber und Urkundenverwalter als den Bauch und die Eingeweide und die Bauern als die Füße, denn durch ihre Arbeit unterhalten sie den restlichen Körper«.297 Auch der armenische Philosoph Vahram Rabowni fasste das Königreich als einen menschlichen Körper auf, in dem die einzelnen Schichten der Bevölkerung der Funktionsweise der menschlichen Körperglieder analog gedacht wurden.298 In seiner 1269 gehaltenen Rede zur Krönung Levons (Leo) III. weist Rabowni darauf hin, dass der Wohlstand des Königreichs zwar in großem Maße vom 290 Bumke (2001), S. 13. 291 Schmitt (1992), S. 181. 292 Z. B. entspricht nach gewissen esoterischen Traditionen des Orients die Wirbelsäule der Weltachse. In Ägypten wurde Djed (Pfeiler), das Symbol für Dauer, als Wirbelsäule des Osiris gedeutet. Mehr dazu: Lurker (1991), S. 396. 293 Ebd. 294 Schmitt (1992), S. 181. 295 Ebd. 296 Ebd., S. 181 – 182. 297 Ebd., S. 182. 298 Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Vahram Rabowni, S. 952.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

König als dem Kopf des Leibes, von seiner Weisheit, Frömmigkeit und Gerechtigkeit abhängig sei, dass aber der gesunde Kopf noch nicht bedeute, dass auch der ganze Körper gesund sei: »Damit der Körper vollkommen und gesund ist, reicht ein gesunder Kopf nicht aus, sondern es müssen die anderen Körperglieder genauso gesund und passend sein. Schöne und gute Könige brauchen gute Fürsten und Adlige. Diese sind verpflichtet, mit Frömmigkeit und Tugend ausgestattet und gehorsam zu sein. Sie müssen durch Liebe mit dem König verbunden sein und einander wegen des Ruhms und des Erfolges nicht beneiden.«299

Der Körper repräsentierte im Mittelalter auch die innere Welt des Individuums, eine Vorstellung, die in der didaktischen Literatur »als Repräsentation der Seele«300 dargestellt wurde. Die Repräsentation der Seele wurde durch den Zeichencharakter des Körpers offenbart.301 Auf der Grundlage der antiken Affektenlehre erklärte die mittelalterliche Anthropologie den Zeichencharakter der Gebärden aus der Verbindung von actus animi und actus corporis, von homo interior und homo exterior.302 Nach Auffassung der mittelalterlichen Gelehrten war es möglich »an Bewegungen des Körpers (motus corporis) Bewegungen der Seele (motus animae) abzulesen, aus dem Gesicht (facies) einen Spiegel des Herzens (speculum cordis) zu machen und die Haltung des Körpers (gestus corporis) als Zeichen innerer Gesinnung (signum mentis) zu betrachten und auf diese Weise körperliche Gebärden zu Repräsentationsformen sozialer Beziehungen und geistiger Werte zu machen«,303 weil Leib und Seele eine Einheit bilden.304 Nach Hovhannes Erznkac’i reflektiert der Körper, besonders das Gesicht, das Innere des Menschen, weil der Körper und die Seele in einer festen Beziehung sind. Das heißt, man kann an den Körperzeichen den Seelenzustand des Menschen ablesen, vorausgesetzt, dass dies auch erkannt wird.305 Nach der allgemeinen Darstellung der Bedeutung des Körpers im Mittelalter soll versucht werden die Besonderheiten der Schönheitsbeschreibung in der hayren-Dichtung und im Minnesang herauszuarbeiten, um ein Bild der Frau in hayrenner und Minneliedern zu rekonstruieren und miteinander zu vergleichen.

299 300 301 302 303 304 305

Madoyan (1999), S. 103. Wenzel (1996), S. 77. Schreiner (1992), S. 11. Ebd.; Wenzel (1996), S. 84. Schreiner (1992), S. 11. Ebd. Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Hovhannes Erznkac’i, S. 621.

Frauenpreislied

4.2

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Frauenpreislieder in der hayren-Dichtung

Die Beschreibung der Frau als einer vollkommenen Schönheit ist in der hayrenDichtung sehr ausführlich und geht häufig ins Detail: Es werden ihre Augen, Augenbrauen, ihr Gesicht, Mund, ihre Zunge, ihre Lippen, Haare, Brüste, ihre Gestalt und allgemein ihr Körper beschrieben und mit Attributen geschmückt. Das Frauenlob bezieht sich vor allem auf die äußere Schönheit des Körpers, die aber die innere Schönheit voraussetzt: Die Frau, die äußerlich vollkommen ist, ist auch innerlich vollkommen, weil die äußere Vollkommenheit die innere spiegelt. Der gowsan lobt leidenschaftlich und intensiv die äußere Schönheit der Frau, aber nicht deswegen, weil er die äußere Schönheit über die innere stellt, sondern weil die körperliche Schönheit Symbol und Beweis einer schönen Seele ist. Im hayren Ա/ՀԳ, 36 – 39 wollen die neidischen Menschen sehen, wie die vom lyrischen Ich geliebte Frau aussieht und welche Tugenden sie hat: Die neidischen Menschen sagten zu mir: / »Zeige uns deine Geliebte. / Wir wollen sehen, welche Tugenden sie hat, wie sie aussieht, / dass sie deinen Sinn so verwirrt hat« (Ա/ՀԳ, 36 – 41, hier: 36 – 39). Das bedeutet, die Frau kann dem lyrischen Ich nicht allein wegen ihrer äußeren Schönheit, sondern auch wegen ihrer ethischen Vollkommenheit großen Schaden zufügen. Im hayren Դ/ԼԷ, 31 – 36 belehrt der Sänger: Erbitte den Kuss von der Schönen, / sie weiß den Helden zu schätzen (Դ/ԼԷ, 31 – 36, hier: 35 – 36). Schön bedeutet also nicht nur, der Liebe wert sein, sondern auch, Liebe schätzen zu können, ethisch ›reif‹ für die Liebe zu sein. Die Liebe wird durch die Schönheit der Frau ausgelöst, das bedeutet: Die Frau macht mit ihrer körperlichen Schönheit den Mann auf sich aufmerksam und bringt ihn dazu, auch ihre inneren Werte zu erkennen. Bei der Beschreibung der Schönheit der Frau in der hayren-Dichtung kann man drei Ausgangspunkte unterscheiden: 1. Die Schönheit der Frau wird mit kosmischen und Naturerscheinungen verglichen: Sonne, Mond, Sterne, Licht, Morgenröte, Blitz, Frühlingsregen. Schon die antike Literatur gebraucht für die Frau kosmische Bilder, um festzustellen, dass die Frau schöner ist als Sonne und Sterne, mehr strahlt als der Mond. Sappho vergleicht das Mädchen mit dem Mond, in dessen Licht Sterne verblassen: Doch sie glänzt unter lydischen Frauen jetzt, wie, wenn Helios sank, der Mond rosenfingrig und hell die vielen Sterne überstrahlt und sein leuchtendes Licht verströmt

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

auf das salzige Meer und auch weithin über das Feld, das blumenreiche.306

Die heidnischen Lieder des vorchristlichen Armeniens, die dank des Geschichtsschreibers Movses Xorenac’i im 5. Jh. gesammelt und uns überliefert wurden, kennen den Vergleich der Schönheit mit kosmischen Bildern. Xorenac’i führt unter anderen ein heidnisches Lied über die Geburt des Vahagn, des altarmenischen heidnischen Feuer- und Kriegsgottes, an, in dem er die Augen von Vahagn mit der Sonne vergleicht: Նա հուր հեր ունէր, […] Բոց ունէր մօրուս, Եւ աչկունքն էին արեգակունք:307 Er hatte feuriges Haar, sein Bart war aus Feuer, und seine Augen waren Sonnen.

In der christlich-religiösen Literatur wurden die Bilder der Sonne und der Sterne teilweise auch auf Maria angewendet. In der Apokalypse steht: »Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.«308 (Off. 12,1)

Maria wird auch mit der Morgenröte verglichen, die die Nacht und Finsternis besiegt. In der Morgendämmerung, bevor die Sonne aufging, wendete man sich im Morgengebet an das Morgenlicht, das in der Jungfrau verkörpert ist:309 Լուսացավ, լուսն ի բարին, Երկինքը ծով՝ ծիրանին. Սըփ կուս Մայրամ նստավ սըփ սեղանին, Աստվածաբան ուր բերանին: Ողջուն, Մարիամ, դուն կուս իս, Հոգվով, մարմնով դու լուս իս…310 Es dämmert, das Morgenlicht ist gut, die Morgenwolken erglühen. 306 Sappho 98 A.B, 6 – 11; zitiert nach: Frühgriechische Lyriker (1976), Bd. 3, S. 45, übersetzt von Franyo. 307 Xorenac’i (1981), S. 102. 308 Direkt vergleichbare Bilder lassen sich im hayren Ա/ԿԷ 61 – 68 beobachten: Ich sage immer wieder und wieder: »Näht / für meine Geliebte ein schönes Gewand: / der obere Teil soll aus der Sonne sein, / das Futter aber aus dem Mond. Die Baumwolle / soll aus der dunklen Wolke sein / und der feine Faden aus dem Meer. / Die goldenen Knöpfe sollt ihr /aus den Sternen nähen. 309 Abełyan (1975), S. 490 – 493. 310 Abełyan (1975), S. 40.

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Die heilige Maria sitzt am heiligen Altare, die göttlichen Worte auf den Lippen. Sei begrüßt, Maria, du bist Jungfrau, mit Leib und Seele bist du Licht.

Սուրբ կոյս անարատ (heilige makellose Jungfrau) oder Վարդակոյս (Rosenjungfrau) sind im armenischen Glauben Personifikationen der Morgenröte, die mit der Gottesmutter identisch sind. In Morgengebeten heißt sie auch լոյս (Licht) oder Սուրբ լոյս (heiliges Licht), das das Böse der Nacht vernichtet.311 Sie befreit die Menschen von den Fesseln der Nacht und bringt ihnen Leben und Freude: Die Personalisierung der Morgenröte in der Jungfrau ist sehr alt und kommt aus dem Sanskrit: Ushas, die Morgenröte, ist aus dem Haupte des »Dyu, dem mȗrdhâ′ diváh, dem Osten, der Stirn des Himmels, entsprungen«,312 so ist »Ushas, die Morgenröte, yuvatih, das junge Mädchen, arepasȃ tanvȃ, mit fleckenlosem Körper.«313 Diese Eigenschaften von Maria als Licht-Sonne-Morgenröte haben ihre Spuren auch im armenischen Nationalepos »Sasunc’i Davit’« hinterlassen. Sanasar, der das Heldengeschlecht von Sasun begründete, rettet in einer mythischen Stadt die Zaubertochter des Königs, die wie die Sonne leuchtet. Sie ist gefangen und sitzt in ihrem schwarzen Zimmer wie im Gefängnis. Die Fenster des Zimmers sind geschlossen. Nachdem Sanasar den Drachen besiegt und den goldenen Apfel genommen hat, öffnen sich die Fenster der Königstochter und sie strahlt wie eine Sonne in der Stadt.314 In armenischen Sagen und Märchen wird die Sonne als die vollkommene Schönheit angesehen. Ein schönes Mädchen wird immer mit der Sonne verglichen. Die Sonne ist aber nicht nur selbst vollkommen und schön, sondern kann das Mädchen jederzeit mit Schönheit ausstatten.315 Wie wir sehen, besitzen die altarmenischen Lieder, der Volksglaube und die christlich-religiöse Literatur, dabei vor allem die Marienlyrik, zahlreiche Motive, Bilder und Metaphern, in denen die Sonne, der Mond und die Sterne als Vergleiche für menschliche Schönheit und menschlichen Glanz auftraten und die ihren Einfluss auf die mittelalterliche armenische Liebeslyrik ausübten. Hier einige Beispiele:

311 312 313 314 315

Abełyan (1975), S. 491. Müller (1893), S. 594. Ebd. Mehr dazu: Abełyan (1975), S. 539. Die Sonne oder die Sonnenmutter verleiht dem Mädchen Schönheit. Nach altarmenischen Sagen sammelten nicht verheiratete Mädchen die Blätter des wilden Apfelbaumes, zerschnitten sie und mischten sie mit Henna. Sie ließen die Masse eine Nacht unter freiem Himmel liegen. Am nächsten Tag vor Sonnenaufgang färbten sie damit die Hände, hielten die Hände dann unter die Strahlen der aufgehenden Sonne und riefen: »Sonne, Sonne, nimm dir Henna, gib mir Glanz.« Vgl. Dazu: Abełyan (1975), S. 496.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Die Sonne ist dir ähnlich, sie schenkt uns reichlich ihr Licht. (Ա/ՁԲ, 1019 – 1026, hier: 1019 – 1020) Ich liebe dein schönes Antlitz, das strahlender als der Mond ist. (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090, hier: 1083 – 1084) Du kommst heraus aus deinem Haus wie die Sonne am frühen Morgen. Wie der Frühlingsblitz aus Wolken leuchtet das Licht deines Schoßes. (Ա/ԽԱ, 177 – 184, hier: 177 – 180)

Der Dichter bleibt aber nicht nur im Rahmen des Vergleiches, sondern er stellt fest, dass die Geliebte schöner und strahlender als die Sonne, der Mond, die Sterne ist. Damit wird die Geliebte nicht nur zur Schönsten und Besten im menschlichen Universum »Du, Schönste mit strahlendem Gesicht« (hayren Դ/ ԺԷ, 85 – 88, hier: 85), sondern auch in der pflanzlichen Welt »Du, schöner als jede Blume« (hayren Ա/ԽԱ, 25 – 32, hier: 26) und im ganzen Kosmos »Ich liebe dein schönes Antlitz, / das strahlender als der Mond ist« (hayren Ա/ՁԲ, 1083 – 1090, hier: 1083 – 1084). Und nicht nur das: Wegen ihrer Schöheit und ihres Strahlens konnte der Mond den Menschen nur wenig Licht geben »Du wirst dich auch in sie verlieben / und schwächer am Himmel leuchten« (hayren Ա/ԽԴ, 301 – 308, hier: 307 – 308). 2. Die Schönheit der Frau wird mit der pflanzlichen Welt verglichen: Garten, Bäume, Blumen, Büsche, Obst (meistens Apfel, Granatapfel). Die Frau, ihr Schoß, ihre Brüste werden mit dem Garten (auch als Garten Adams oder Paradies) und mit einzelnen Bäumen und Blumen verglichen. Mit der Metapher ›Garten‹ wird in diesem hayren die Fruchtbarkeit der Frau gekennzeichnet. Das lyrische Ich pflanzt einen Garten mit schönen und fruchtbaren Bäumen in der Hoffnung, die Früchte selbst zu pflücken. Aber als die Zeit kommt, die Früchte zu pflücken, wird ihm der Garten weggenommen. Der Garten symbolisiert die junge Frau, die bereit für die Ehe ist, aber statt des Geliebten einen anderen Mann heiraten muss: Einen Garten habe ich gepflanzt, in dem schöne Bäume sind. Ich habe sie gepflegt und gegossen, man nahm sie mir weg und so weine ich. (Ա/ՁԲ, 937 – 944, hier: 937 – 940)

Das Motiv ›Frau als Liebesgarten‹ findet sich sowohl in der altägyptischen Dichtung als auch im Hohenlied: Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut, / ein verschlossener Garten, / ein versiegelter Quell. Ein Lustgarten sprosst aus dir, / Granatbäume mit köstlichen

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Früchten, / Hennadolden, Nardenblüten, Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt, alle Weihrauchbäume, Myrrhe und Aloe, / allerbester Balsam. (HL 4,12 – 14)

Wie im oben aufgeführten hayren muss das lyrische Ich warten, bis die Zeit der Ernte kommt, die die Hochzeit symbolisiert, auch im Hohenlied bleibt der Garten solange verschlossen, bis ihn die Braut ihrem Geliebten zur Hochzeit öffnet. Wie im Hohenlied so ist auch in diesem hayren der Garten voll von köstlichen Früchten und Bäumen. Er ist ein Lustgarten, ein Liebesgarten, der dem Paradies gleicht, wo »allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten« (Genesis 2,9). Im Schoß seiner Geliebten zu sein, bedeutet für das lyrische Ich, sich im Garten Adams (= Paradies) zu vergnügen. Er will dort Äpfel pflücken. Der Apfel symbolisiert einerseits die verbotene Frucht der Erkenntnis von Gut und Böse. Andererseits aber ist der Apfel die Frucht der Liebe (Ich bin krank aus Liebe zu dir, / nimm einen Apfel und komm zu mir, Թամ., 531). Das letzte Motiv findet sich nicht nur in der hayren-Dichtung, sondern auch im armenischen Nationalepos »Sasunc’i Davit‹« und in der Volksdichtung. In einem Volkslied sagt der Apfelbaum: »Ich bin das Sinnbild der Liebe, das Wahrzeichen des Herzens, und weder Rose noch Lilie können sich mit mir vergleichen. Ich bin unvergleichlich.«316 Das Motiv des Pflückens weist auf Liebesvereinigung in der freien Natur hin317 und findet sich auch im Hohenlied (6,2). Wenn der Liebende den Apfel pflücken und zwischen den Brüsten einschlafen könnte, würde ihm sogar der Tod keine Angst mehr machen: Ich möchte so gerne Wein trinken, aus der Farbe deiner Haut. Du bist ein Garten Adams, ich möchte dort gerne Äpfel pflücken. Ich würde mich dann zwischen deine Brüste hinlegen und einschlafen. Dann kann der Todesengel meine Seele aufnehmen. (Ա/ԻԹ, 48 – 56)

Im folgenden Lied geht der Sänger noch einen Schritt weiter. Nicht nur der Tod macht ihm keine Angst, sondern der Todesengel ist nicht in der Lage, diese Liebe zu zerstören, weil die Liebe ewig ist und auch über das Grab hinaus existiert: Meine Seele, wenn du mir erlaubtest, in deinen Schoß einzutreten! Ich hätte da einen Garten angelegt und wäre eingetreten. Ich hätte dir geschworen, nichts Unerlaubtes zu tun. 316 Mkrtschjan (Hg.) (1988), Einleitung, S. 15. 317 Vgl. dazu: bluomen brechen in der mhd. Lyrik.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Wie ungläubig sollte der Todesengel sein, um mich von dir lösen zu können. (Ա/ՁԲ, 1241 – 1248)

Die Frau wird mit einzelnen Bäumen und Blumen, wie Rose, Lilie, Seerose, Veilchen, Mandelbaum, Granatapfelbaum, Zypresse, Königskraut und Schilfrohr verglichen. Der Vergleich der jungen Frau mit Bäumen und Blumen symbolisiert, wie Abełyan mit Recht bemerkt hat, die Fruchtbarkeit der Frau, die mit den Attributen »blühend« und »fruchtbar« geschmückt wird. Diese Vorstellung kommt aus königlichen Hochzeiten. Im Ritual der Königshochzeit, die als całkoc’ bekannt war, wurden der König und die Königin gelobt und mit Bäumen, Blumen und mit der Sonne verglichen.318 Hier einige hayren-Beispiele: Wo warst du, wo kommst du her? Du, schöner als jede Blume. (Ա/ԽԱ, 25 – 32, hier: 25 – 26) Du bist die Blüte des Mandelbaums, die zu einer Mandel verwandelt wurde. Dein Mund ist so klein und schön, deine Lippen sind so süß wie eine Dattel. (Ա/Ա, 135 – 138)

3. Eine kleine Gruppe bilden Vergleiche der Frau mit Vögeln: Rebhuhn, Taube, Pfau, Schwalbe und sehr selten Falken:319 Es ist eine Lüge, wenn man sagt, es gäbe kein zahmes Rebhuhn. Gestern sah ich eins und beneide den Mann, der es besitzt. Die Brauen sind wie gemalt, der Mund ist süßer als Zucker. Wenn es einen Toten in den Schoß nimmt, wird er gleich lebendig. (Ա/ԽԴ, 81 – 88)

Die Frau wird nicht nur mit der Natur verglichen, sondern sie bildet gleichzeitig einen Teil der Natur. Im Frühling wacht die Natur aus dem Winterschlaf auf. Die Bäume werden grün, die Blumen blühen. Nach einem Winter ohne Liebe ist der Frühling die Zeit der Liebe. Der treue Geliebte, der mit dem ganzen Herzen seine Schöne lobt, hofft mit dem Aufwachen der Natur auf die Erwiderung seiner Gefühle: Es ist die Zeit der Liebe. Die Bäume, Blumen, Tiere und Menschen streben nach Liebe und seine Geliebte, die ein kleiner Teil der Natur ist, darf keine Ausnahme bilden. Der Sänger macht absichtlich keinen Unterschied zwi318 Mehr dazu: Abełyan (1967), S. 136. Damit erklärt sich auch die Tatsache, dass der Bräutigam und die Braut in volkssprachlichen Hochzeitsliedern König und Königin genannt wurden. 319 Die Falken werden eher für die Beschreibung des männlichen Geschlechts verwendet.

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schen der Natur und der Frau. Die Geliebte trägt grün wie die Natur selbst. In diesem hayren wird die grün gekleidete Geliebte im grünen Garten mit grünen Bäumen und Blumen gelobt: O, schaut auf meine Geliebte, alles, was sie trägt, ist grün. Sie hat ein buntes Gewand an, die Schlingen der Knöpfe sind grün. Sie ging im Garten spazieren, das Ufer des Bächleins ist grün. Schaut auf die Bäume, sie blühen und die Blätter sind grün. (Ա/ՁԲ, 21 – 28)

Selten wird die Schönheit der Frau mit Edelsteinen verglichen: Du erscheinst wie ein Rubin, ein Smaragd oder Ambra. (Ա/ԾԹ, 155 – 162, hier: 155 – 156)

Durch die oben beschriebenen Metaphern und Vergleiche wird die Beschreibung des weiblichen Körpers verdichtet. Der Körper wird als eine Landschaft dargestellt, in der das Gesicht der Mond, der Körper der Garten oder der Baum ist. Wie sieht die Frau in den hayrenner aus? Die äußere Erscheinung der Frau wird ausführlich beschrieben. Dabei handelt es sich aber nicht um die subjektive Schönheit eines Individuums, sondern um die allgemeine Schönheit der Frau. Nach platonischer Anschauung dringt die Liebe durch die Augen ins Herz. Durch die Augen ins Herz gedrungene Liebe macht krank, verursacht die Verwirrung der Sinne. Die Augen und Augenbrauen üben zusammen eine gewaltige Wirkung auf den Mann aus. Der Mund wird zusammen mit den Lippen als erotisches Kennzeichen wahrgenommen. Die Wangen haben die Farben rot und weiß. Rot ist die Farbe »des Lebens, der Leidenschaft und der Liebe.«320 Weiß ist die Farbe »des Lichtes und der Reinheit.«321 Die Stirn ist breit. Zusammen mit dem Haar bilden die oben aufgeführten Merkmale das Gesicht, das am meisten gepriesen wird. Die Schönheitsbeschreibung in der hayren-Dichtung erfolgt vom Kopf aus abwärts: Zunächst werden Augen mit Augenbrauen, dann Haar, Mund, Lippen, Hals und Brüste beschrieben. Die Beschreibung bricht meist beim Oberkörper ab. Nicht nur der Mund, sondern auch die Brüste der Frau werden als erotischsexuelle Körperteile dargestellt und gepriesen. Nach Beschreibungen des lyrischen Ichs sieht die Frau (ihre Gestalt, Augen, Augenbrauen, Mund, Lippen, Gesicht, Hals, Haare, Schoß und Brüste) in Texten folgendermaßen aus:

320 Lurker (1991), S. 634. 321 Ebd. S. 824.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Gestalt Meine Schöne, du bist groß und schlank, / o, wie schön und vollkommen bist du322 (Ա/Գ, 1 – 8, hier: 1 – 2). Du, schöner als jede Blume323 (Ա/ԽԱ, 25 – 32, hier: 26). Dein Antlitz und deine Gestalt / sind aus Rosen gemacht324 (Ա/ԽԱ, 193 – 200, hier: 195 – 196). Du bist eine Perlenkette, / bis zu den Füßen Feuer und Licht325 (Ա/ԾԹ 41 – 48, hier: 41 – 42). Du bist meine liebliche Taube, / die tausende Federn besitzt326 (Ա/Բ, 83 – 88, hier: 83 – 84). Du meine Schönste mit strahlendem Gesicht327 (Դ/ԺԷ, 85 – 88, hier: 85). Keine ist so schön, wie du328 (Ա/ՁԲ, 85 – 94, hier: 85). Du bist ein junger Baum329 (Ա/ԿԳ, 239 – 246, hier: 239). Du bist mein Falke mit weißen Brüsten330 (Ա/ԺԱ, 33 – 40, hier: 33). Du bist wie ein roter Apfel331 (Ա/ԿԸ, 159 – 162, hier: 159). Du bist wie der Regen im Mai332 (Դ/Դ, 17 – 20, hier: 17). Du bist die Blüte des Mandelbaums333 (Ա/Ա 135 – 138, hier: 135). Du, meine wunderschöne Geliebte334 (Ա/Ի, 1 – 9, hier: 1). Du strahlst durch die Zweige, / wie die Blume des Granatapfelbaums335 (Ա/Գ 1 – 12, hier: 9 – 10). Du, wunderschöne Blume336 (Ա/ՁԲ,1151 – 1158, hier: 1151). Wie eine schlanke Zypresse / bist du so schön, meine Geliebte337 (Ա/ԾԱ, 331 – 338, hier: 333 – 334). Du bist die Blume des Granatapfel- und Mandelbaums, / du gleichst dem Königskraut und der Seerose, / o, wie vollkommen bist du338 (Ա/ԽԸ 119 – 126, hier: 120 – 122). Wie ein Rebstock, so jung und weiß / bist du, meine Geliebte. / Man formte dein schönes Antlitz / aus Rosenblüten339 (Ա/ԽԱ, 185 – 192, hier: 185 – 188).

322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338

Իմ աղուոր՝ բարակ ’ւ երկան, / Գեղեցիկ ու խիստ սիրուն ես. Քան զամէն ծաղիկ դու պայծառ. Այտ քո պատկերքդ և սուրաթտ / Ի վարդին կարմիր տերևէն. Ա՜յ իմ մարգարտէ շարոց, / Որ յոտից մատանց հուր ու բոց. Հա՜յ իմ աղաւնի պայծառ, / Որ թևիտ թէպրիկն է հազար. Ա՜յ իմ աղւոր լուսերես. Ա՜յ իմ աննման. Ա՜յ ի մեր մահալին մորճիկ. Ա՜յ իմ ճերմակածոց բազա. Ա՜յ իմ կարմրիկ խնձոր. Ա՜յ իմ մայիսի անձրև. Ա՜յ իմ նշենի ծաղիկ. Ա՜յ իմ խորոտիկ եարուկ. Նռնենոյ ծաղկի նման՝ / Ի ծառի ճիւղըն կու փայլես. Ա՜յ իմ նօնօֆար ծաղիկ. Քո մէջկտ է բարակ ’ւ երկան, / Եւ պօյիկտ է սալւի, րովան. Նուռ ու նուշ ծաղիկ ’ւ ըռահան, / Դու հազրիվարդի նըման, / Մարըն չէ բերել քեզ նըման. 339 Ասես թէ կտրած ես դու / Ի ճերմակ որթոյդ խաղողէն. / Վանց զքո մահպուպ սուրաթդ՝ / Ի վարդին սուլթան տէրևէն.

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Augen und Augenbrauen Schwarze Augen und Brauen hast du340 (Ա/Ա, 103 – 110, hier: 103). Deine Augen sind wie gemalt, / und erreichen das Land der Ägypter341 (Ա/Բ, 57 – 64, hier: 57 – 58). Deine Augen gleichen dem Meer, / deinen Augen will ich dienen342 (Ա/Դ 65 – 72, hier: 65 – 66). Geh weiter, schau nicht auf mich, / mit blutdurstigen Augen, die du hast. / Gestern habe ich deinen Blick gesehen, / liebeskrank bin ich geworden343 (Ա/ԾԱ, 107 – 114, hier: 107 – 110). Deine schwarzen Augen und Brauen, / gleichen dem wogenden Meer344 (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090, hier: 187 – 188). Deine Geliebte hat schwarze Augen, / schwarze Brauen und einen kleinen Mund345 (Թամ., 554). Deine Augen entstammen dem Meer, / die Brauen von dunklen Wolken346 (Ա/ԽԱ, 193 – 200, hier: 193 – 194). Mund und Lippen Dein Mund ist so klein und schön, / deine Lippen sind so süß wie eine Dattel347 (Ա/Ա, 135 – 138, hier: 137 – 138). Deine Lippen sind so voll und süß348 (Ա/Գ, 21 – 28, hier: 24). Lass mich deine Lippen küssen, / die süßer als Zucker schmecken349 (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090, hier: 1085 – 1086). Dein Mund ist wie eine kostbare Schale, / gefüllt mit dem Rosenwasser350 (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090, hier: 1085 – 1086). Sie hat einen Mund rosarot und süß, / schöner als das Veilchen351 (Թամ., 556). Gesicht, Hals und Haare Deine Locken sind so schwarz und wild352 (Ա/Ա, 103 – 110, hier: 104). Rot und weiß ist dein Gesicht, / wie lange willst du mich noch verbrennen?353 (Ա/Ա, 111 – 118, hier: 111 – 112). Dein Antlitz ist rot und breit, / aus Rosen bist du gemacht354 (Ա/Բ, 89 – 98, hier: 89 – 90). Ich liebe dein schönes Antlitz, / das strahlender als der Mond ist355 (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090, hier: 1083 – 1084). Du duftest wie eine Rose, / 340 341 342 343 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354 355

Թուղ աչք ու թուղ ունք ունիս. Աչերն է քաշեր ղալամ, / Ու իջեր ի Մըսր ի թալան. Աչերդ է ի ծով նման, / Ծով աչիտ ծառայ լինենամ. Գնա՛, մի՛ նայիր ի յիս, / Այդ խունի աչերդ որ ունիս. / Յերէկ նայեցար ի յիս, / Նա հիւանդ եղայ քո գերիս. Թուխ աչք ու կամար ունքերդ, / Քան զծովն կու զարնե ալի. Քո եարըն թուխ աչք ունի, / Թուխ ընքուի ու պըզտի բերան. Աչերտ է ծովէն առած, / Ու ուներտ ի թուխի ամպէն. Բերանդ է փոքրիկ ’ւ անուշ, / Պռկունքտ է ամրաւ անուշ. Քաղցր և անուշ պռկունք ունիս. Պագնեմ զայդ բարկուկ պռկունքդ, / Որ շէքԷրն՝ ի մօտն է լեղի. Բերնիկդ է ի շիշ նման, / Որ վարդին ջրովն է ի լի: Բերանն է բոլոր ’ւ աղուոր, / Տուփ նըման քան զմանուշակի. Թուղ մազերտ, կուլակտ ի հոգիս. Կարմիր ու ճերմակ երես, / Ամ քանի՞ դուն զիս պիտի երես. Երեստ է կարմիր ու լայն, / Ի վարդին տերևն ի նման. Սիրեմ զայդ սիրուն երեսդ / Որ լուսին ի մօտն է գերի.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

rot und weiß ist dein Antlitz356 (Ա/Գ, 1 – 8, hier: 3 – 4). Schwarz sind deine Augen und Augenbrauen, / rot sind deine Wangen, deine Stirn ist weit357 (Թամ., 572b). Schoß und Brüste Deine Brüste sind wie Psalmen358 (Ա/Ա, 9 – 14, hier: 10). Du bist ein Garten Adams, / ich möchte dort gerne Äpfel pflücken359 (Ա/ԻԹ, 48 – 56, hier: 50 – 51). Dein Schoß ist ein Rebengarten, / die Brüste die Trauben daran. / Du bist wie der frühe Morgen, / der so schön leuchten kann360 (Ա/ԾԱ, 237 – 244, hier: 241 – 244). Die Frauen mit weißen Brüsten / sollen blaue Gewänder anziehen361 (Ա/ԾԵ, 25 – 32, hier: 25 – 26). Die Sonne ist dir ähnlich, / sie schenkt uns reichlich ihr Licht. / Aus der Milch sind gemacht, / die weißen Brüste, die du hast362 (Ա/ՁԲ 1019 – 1026, hier: 1019 – 1022). Dein Schoß ist wie eine weiße Kathedrale, / deine Brüste sind wie leuchtende Kandelaber363 (Ա/Հ, 63 – 70, hier: 53 – 64). Wo du stehst, da braucht man / keine Kerze zu brennen. / Leuchtet das Licht deines Schoßes, / wird der Tote aufstehen364 (Ա/ԽԱ, 193 – 200, hier: 197 – 200). Wie der Frühlingsblitz aus Wolken / leuchtet das Licht deines Schoßes (Ա/ԽԱ, 177 – 184, hier: 179 – 180). O, wie weiß schimmernd / sind deine Brüste365 (Ա/ՁԲ, 1027 – 1034, hier: 1029 – 1030). Deine Brüste gleichen dem Meer, / das Meer soll das Fieber heilen366 (Ա/ԽԷ, 13 – 20, hier: 15 – 16). Bekleidung Trage seidene Kleidung, / die mit goldenem Faden bestickt ist367 (Ա/ԽԴ, 351 – 358, hier: 353 – 354). Wie aus den oben aufgeführten Zitaten zu ersehen ist, sieht das Schönheitsideal in der hayren-Dichtung folgendermaßen aus: Der Körper der Frau ist ohne Makel. Sie hat schöne Augen (sie sind entweder schwarz oder gleichen dem Meer) und Augenbrauen, einen kleinen roten Mund, ein strahlendes Gesicht, einen weißen Hals. Sie hat kleine Brüste und einen schlanken Körper. In hay356 357 358 359 360 361 362 363 364 365 366 367

Հոտ անուշ վարդի նման, / Ըսպիտակ ու կարմիր երես. Թուխ աչք ու ունքեր ունիս / Լայն ճակատ ու կարմիր երես. Քո ծծերտ է սաղմոսարան. Քո ծոցտ՝ Ադամա դըրախտ, / Մտնէի, խնծոր քաղէի. Քո ծիծտ է խաղող նըման, / Որ առեր կրծոցտ ի վերայ. / Քո ծոցտ առաւօտ նըման, / քանի յետ բանամ՝ նա լուսնայ։ Ով որ սպիտակ ծոց ունի, / Թող լռջուկ շապիկ հագնի. Արեգակն է քո ստեղծուած, / Լոյս կու տա ամէն ալամիս. / Ասեն թե կաթով է շաղուած, / այդ ճերմակ ծոցդ որ ունիս. Քո ծոցդ է ճերմակ տաճար, / Քո ծըծերդ է կանթեղ ի վառ. Ուր որ դու կանկնած լինիս՝ / Չէ պատեհ վառեն մոմեղէն. / Ծոցուտ լոյսն ի դուրս ծագէ, / Գէմ ելնէ մեռելն ի հողէն։ Այդ ճերմակդ, որ դուն ունիս, / Զշամամ ծըծերդ , որ՝ ի ներս. Քո ծոցտ է ի ծով նման, / Ծովն դեղ կասեն ի ջերման. Գընայ ապրշում հագիր, / Որ նախշած է ոսկի թելով.

Frauenpreislied

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renner fehlen Beschreibungen von Füßen und Beinen, selten begegnen Erwähnungen von Armen und Schultern: Ihr Arm lag sanft auf seiner Schulter, / sie klagte leise über jemanden (hayren Ա/ԽԴ, 325 – 332, hier: 327 – 328). Die Schönheitsbeschreibung von oben nach unten bzw. die Darstellung der erotisch-sexuellen Körperteile der Frau weisen auf die Hohelied-Tradition hin und sind teilweise metaphorisch ausgeschmückt. Wie im Hohenlied sind auch in hayrenner die Frauenbeschreibungen direkte Anredelieder, die selten anzutreffende Beschreibung des Mannes erfolgt jedoch meist in der dritten Person: Mein Geliebter hat schwarze Augen, / schwarze Brauen und einen roten Mund. / Er hat volle Lippen und / goldene Fäden im Schnurrbart (hayren Դ/Գ, 245 – 252, hier: 249 – 252). Die Schönheitsbeschreibung wird sowohl mit adjektivischen und substantivischen Attributen als auch in breit ausgeführten Vergleichen bis hin zu Metaphern in verkürzter Form durchgeführt. Die Frau besitzt keine individuellen Schönheitsmerkmale. Nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Werte der Frau werden gerühmt, da die Vollkommenheit die Gesamtheit des Inneren und des Äußeren des Menschen umfasst. Die Frau wird als ›der Liebe wert‹, ›rein‹ und ›lobenswert‹ bezeichnet: Du bist ohne Makel und ohnegleichen, / so lobenswert und unvergleichlich bist du (hayren Դ/Ե, 21 – 24, hier: 21 – 22). Die inneren Werte der Frau werden nur selten völlig ausgeklammert, es wird eher die Wirkung der weiblichen Schönheit auf das lyrische Ich dargestellt.

4.3

Frauenpreislieder in der mhd. Minnelyrik368

Reine Frauenpreislieder sind im Minnesang selten. Oft trifft man als Strophe in einer Minneklage auf sie oder sie sind mit Minnepreis, Minnelehre und Minnereflexion verbunden.369 Die Frau in den Klage- und Werbeliedern ist eine passive Minnedame, die nur durch die Reflexionen des lyrischen Ichs sichtbar wird und keine direkte und aktive Handlung verfolgt. Sie ist das Ziel einer Fernliebe.370 Als höfische Liebeskonzeption ist der Minnesang bemüht, »die Schönheit nicht als einzige Ursache der Liebe gelten zu lassen«:371

368 Bei der Darstellung der Schönheitsbeschreibung in der mhd. Minnelyrik wird insbesondere auf folgende Arbeiten Bezug genommen: Tervooren (1988), Ehrismann (1995); Krüger (1993); Fitschen (2008); Schweikle (1995). 369 Schweikle (1995), S. 126. 370 Ebd., S. 183. 371 Tervooren (1988), S. 172.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

»Von den ersten Belegen an begleitet darum das Tugendlob die descriptio pulchritudinis. […] Der meist kurze Hinweis auf Schönheit, gepaart mit dem Tugendlob, das auch intellektuelle Fähigkeiten umgreift, ist die Normalform mittelhochdeutscher lyrischer Schönheitsbeschreibung von Meinloh von Sevelingen bis Oswald von Wolkenstein, freilich mit stilistischen Variationen, auch mit einer wachsenden Zahl von Einzelzügen.«372

Zwar konzentriert sich die Frauenbeschreibung im Minnesang hauptsächlich auf die ethische und innerliche Vollkommenheit der Frau, sie beinhaltet jedoch trotzdem ausführliche Beschreibungen schöner Frauen. Als erste detaillierte und »sensualistisch angelegte Beschreibung der Frauenschönheit in der mhd. Lyrik«373 muss vor allem Walthers Si wundervol gemachet wȋp (MF 53,25) genannt werden.374 Wie in der hayren-Dichtung spielt auch in der mittelalterlichen Liebespsychologie das Auge eine große Rolle: Die Liebe dringt durch die Augen ins Herz. Wolf Gewehr zeigt in seinem Beitrag »Der Topos ›Augen des Herzens‹ – Versuch einer Deutung durch die scholastische Erkenntnistheorie«, dass kaum ein anderes psychologisches Problem die Minnesänger so rege beschäftigt hat wie die Entstehungsweise der Minne.375 Nach Andreas Capellanus kann nur derjenige minnen, der sehen kann, denn Blindheit und Minne schließen sich grundsätzlich gegenseitig aus.376 Die Augen werden mit den Adjektiven schoene (MF 78,9), süeze (MF 71,32), lieht (MF 125,1) und klȃr (MF 130,28) gerühmt.377 Es wird auch der Blick der Frau gegenüber dem lyrischen Ich ausgedrückt: ir lôslîchen blicke twingent mich, owê, daz tuot ir minne. (Tannhäuser Nr. 11) Ihre freundlichen Blicke / zwingen mich ganz in ihren Bann. O weh, das ist die Macht ihrer Liebe!378

Neben dem Auge gehört der Mund zu den häufig erwähnten Merkmalen, da der Mund »zwar das erotische Signal par excellence ist, dabei aber noch weniger verfänglich als andere erotische Körperteile.«379 Der Mund wird mit folgenden Attributen und Wendungen gerühmt: rôt (MF 49,19), rôsevarwer rôt (MF 130,30), vil fröiden rȋchez (MF 145,16), vil güetlȋcher (MF 142,4), wol redender (MF 159,37), kleinvelrôt oder kleinvelhitzerôt (KLD LII). Das Motiv des »rôten 372 Ebd. 373 Schweikle (2006), Kommentar, S. 591. 374 Zur Interpretation des Liedes MF 53,25 vor allem: Tervooren (1988); Ehrismann (1993); Krüger (1993); Schweikle (2006), Kommentar; Fitschen (2008). 375 Gewehr (1972), S. 638. 376 Ebd. 377 Schweikle (1995), S. 184. 378 Übersetzt von Kühnel. 379 Tervooren (1988), S. 174.

Frauenpreislied

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mundes« bildet die Kennmarke der Lyrik von Gottfried von Neifen.380 Der Mund, die Augen und die Wange bilden zusammen mit dem Haar das Gesicht der Frau, »das stets den Seelenzustand widerspiegelt und zugleich auf ethische wie physische Vollkommenheit verweist«381. Beim Tannhäuser wird dann die Schönheit der Frau in Bewegung gezeigt:382 Ich singe iu wol ze tanze und nim ir war, der schoenen mit dem kranze. ir rôsevarwen wange,1 ersæhe ich diu dar zuo, sô könde ich lachen. Sô sich diu guote schrecket vor, sô ist mir wol ze muote, und ir gürtelsenken machet, daz ich underwîlent liebe muoz gedenken. (Tannhäuser Nr. 11) Ich singe euch zum Tanze, / und dabei erblicke ich sie, die Schöne mit dem Kranz. / Könnte ich auch noch ihre rosenroten Wangen sehen, / ich hätte allen Grund, fröhlich zu sein. / Wenn das liebe Mädchen / beim Tanzen hochspringt und einen Satz nach vorn macht, so gefällt mir das, und wenn sich ihr Gürtel senkt, so bewirkt das, dass mir zuweilen das Blut in den Kopf schießt.383

Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie die Frau im Minnesang aussieht, und besonders, wie sie sich von der Frau in hayrenner unterscheidet, habe ich die Schönheitsbeschreibungen von Minneliedern untersucht, um das Bild der Frau zu skizzieren und mit dem Frauenbild der hayrenner zu vergleichen.384 Gestalt Wȋp vil schœne, nu var du sam mir (MF 9,21). Aller wȋbe wunne / diu gêt noch megetȋn (MF 10,9). Du bist der besten eine, des muoz man dir von schulden jehen (MF 11,5). Vil schœne unde biderbe, dar zuo edel unde guot, / sô weiz ich eine frowen, der zimet wol allez, daz si tuot (MF 15,1). Si ist edel und ist schœne, in rehter mȃze gemeit, / ich gesach nie eine frowen, diu ir lȋp schôner künde hȃn (MF 15,6), Ich engesach mit mȋnen ougen nie baz gebȃren ein wȋp. / des ist si guot ze lobenne, an ir ist anders wandels niht (MF 12,30). Si ist sælic zallen ȇren, der besten tugende pfligt ir lȋp (MF 13,5). Frouwe biderbe unde guot (MF 33,23). Ir tugende die sint valsches vrȋ, / des hœre ich ir die besten jehen (MF 34,34). Diu schœnste und diu beste frouwe / zwischen dem Roten und Souwe / gap mir 380 381 382 383 384

Schweikle (1995), S. 183. Krüger (1993), S. 147. Tervooren (1988), S. 184. Übersetzt von Kühnel. Das Ziel ist nicht, alle Textstellen über die Schönheit der Frau aus dem Minnesang zu zitieren, sondern nur, bestimmte Textstellen über die äußere und innere Schönheit der Frau auszuwählen, die eine allgemeine Vorstellung über das Frauenbild im Minnesang geben.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

blȋdeschaft hie bevorn (MF 56,10). Wol getȃne, / valsches ȃne, / lȃ mich wesen dȋn / und bist du mȋn (MF 58,43). Si ist edel unde fruot (MF 60,25). Swes got an güete und an getât / noch ie dekeiner vrowen gunde, / des gihe ich ime, daz er daz hât, an ir geworht, als er wol kunde (MF 44,22). Ich sihe wol, daz got wunder kan / von schoene würkìn ûz wîbe. / daz ist an ir wol schîn getân, / wan er vergaz niht an ir lîbe ( MF 49,37). Mit schœnen gebærden si mich zuo ir brȃhte (MF 80,14). Ich hȃn verdienet ir nȋt und ir haz, / sȋt daz mȋn frowe ist sô rȋch unde guot (MF 113,18). Wol si vil sælic wȋp (MF 95,6). Got hât mir armen ze leide getân, / daz er ein wîp ie geschuof als guote (MF 101,15). Ich muoz von reht den tac iemer minnen, / dô ich die werden von ȇrst erkande / in süezer zühte mit wȋplȋchen sinnen (MF 215,14). Alse der mân wol verre über lant / liuhtet des nahtes wol lieht unde breit, / sô daz sîn schîn al die welt umbevet, / Als ist mit güete umbevangen diu schône (MF 122,4). Des ist vil lûter vor valsche ir der lîp, smal wol ze mâze, vil fier unde vrô (MF 122,15). Dô man si lobte als reine unde wîse, / senfte unde lôs (MF 122,25). Ir tugent reine ist der sunnen gelîch, / diu trüebiu wolken tuot liehte gevar, / swenne in dem meien ir schîn ist sô klâr (MF 123,1). Si liuhtet sam der sunne tuot / gegen dem liehten morgen (MF 129,20). Minnechlȋch ist ir der lȋp (MF 130,33). Ir tugent reine ist der sunnen gelîch, / diu trüebiu wolken tuot liehte gevar, swenne in dem meien ir schîn ist sô klâr (MF 123,1). Augen, Mund, Zähne, Kinn, Wange und Haare Sô wol den dȋnen ougen! / diu kunnen, swen si wellen, vil tougenlȋche an sehen (MF 11,6). Dô ich ir ougen unde munt / sach wol stȇn und ir kinne / dô wart mir daz herze enbinne / von süezer tumpheit wunt (MF 56,21). Kuste er si ze einer stunt / an ir vil rôten munt (MF 19,18). Daz habent mir ir schœniu ougen getȃn (MF 78,9). Ir schœniu ougen daz wȃren die ruote, dȃ mite si mich von ȇrst betwanc (MF 78,22). Vil rôt ist ir der munt, / ir zene wîze ebene (MF 122,22). (Gênt) ir wol liehten ougen in daz herze mîn, / sô kumt mir diu nôt, daz ich muoz klagen (MF 125,1). Mich entzündet ir vil liehter ougen schȋn (MF 126,24). Swene ir liehten ougen alsô verkȇrent sich (MF 126,32). Und ir ougen klȃr / diu hȃnt mich berobet gar / und ir rôsevarwer rôter munt (MF 130,27). Seht an ir ougen und merkent ir kinne, seht an ir kele wȋz und prüevent ir munt (MF 141,1). Got hȃt ir wengel hôhen flȋz, / er streich sô tiure varwe dar, /sô reine rôt, sô reine wȋz, dȃ rœseloht, dȃ lilienvar (L 53,35). Wol stent diniu löckel, / din mündel rot, din öugel, als ich wolde. / Rosevar din wengel (Tannhäuser XI). Hals, Brüste, Arme, Hände, Finger, Beine und Füße Seht an ir kele wȋz (MF 141,1). Ir kel, ir hende, ietwder fuoz, / daz ist ze wunsche wol getȃn (L 54,17). Din kellin blanc, da vor stet wol din spengel, so hol, so smal so wurden nie kein füezel, wiz sint ir beinel, ir wol stenden hende, / ir vinger lanc als

Frauenpreislied

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einer küniginne, brüste gedrȃt, füezel smal, diehel lint, reitbrûn meinel, vinger lanc (Tannhäuser XI). Bekleidung Wol bekleit und darzuo wol gebunden (L 46,11). Nû merkent, wie den frouwen ir gebende stȃt (L 124,24). Ich wæne, dáz gebnde úngelȋche stȃt (L 111,21). Das weibliche Schönheitsideal im Minnesang zeigt ebenso wie in der hayrenDichtung keine subjektiv-einmalige Schönheit eines Individuums, sondern ist die generelle Schönheit einer Frau. Das ist die äußerliche Erscheinung der Frau. Wie schon angedeutet, werden die inneren Werte der Frau im Minnesang wesentlich häufiger gerühmt als ihre äußere Schönheit, da die Minnekanzone vor allem auf ethische Vollkommenheit zielt und ein Bild der Frau evoziert, das »immer Ausdruck des Sittlichen ist: die erhabene, oft deifizierte hohe Frau«.385 Es wird gepriesen ihre sælic zallen ȇren, (Meinloh MF 13,5), guot (Kürenberg MF 10,19) und die besten tugende (Meinloh MF 13,5). Als schönes Beispiel für die ethische Vollkommenheit in der Minnekanzone ist Reinmars Lied Sô wol dir, wîp (MF 165,28), in dem das abstrakte Bild der Frau als hoher Sinn der ganzen Welt gepriesen wird. »Die Frau ist hier nicht mehr Person, sondern Idee. Der Dichter kann sie beschreibend nicht mehr fassen, sondern vermag nur noch im Unsagbarkeitstopos ihre höchste Werthaftigkeit anzudeuten«:386 Sô wol dir, wîp, wie reine ein name! wie senfte du ze nennen und zerkennen bist. Ez wart nie niht sô rehte lobesame, dâ du ez an rehte güete kêrest, sô du bist. Dîn lop mit rede nieman wol vol enden kan. swes du mit triuwen pfligest, wol ime, der ist ein saelic man und mac vil gerne leben. du gîst al der werlte hôhen muot, maht ouch mir ein wênic fröide geben? (Reinmar MF 165,28) Heil dir, Frau – welch reines Wort! / Wie wohltuend du anzusprechen und zu erkennen bist! Es gab niemals etwas so zu Recht Lobenswertes, / wenn du dich mit wahrer Güte verbindest, wie es deine Natur ist. / Dein Lob kann niemand mit Worten voll erfassen. / Wessen du dich in Treue annimmst, wohl ihm, der ist ein glücklicher Mann / und kann sehr freudvoll leben. / Du gibst der ganzen Welt hohen Sinn – / kannst du auch mir ein wenig Freude geben?387

385 Tervooren (1988), S. 181. 386 Ebd., S. 181 – 182. 387 Übersetzt von Schweikle.

108

Vergleiche der einzelnen Gattungen

4.4

Motivparallelen und -differenzen zwischen armenischen und deutschen Frauenpreisliedern

Wie aus oben angeführten Beispielen deutlich wurde, entspricht die Frau in den Männerliedern des Minnesangs und der hayren-Dichtung einem absoluten Schönheitsideal: Sie ist vollkommen, äußerlich ebenso wie innerlich. Bevor ich die Schönheitsbeschreibungen der Minnelyrik und der hayren-Dichtung anhand der einzelnen Texte vergleiche, möchte ich zunächst zusammenfassen, wie die Frau in der Minnelyrik und in der hayren-Dichtung aussieht und welchen Frauentyp der gowsan und der Minnesänger unter dem Gesichtspunkt äußerlicher Schönheit im Sinn hatten: In der hayren-Dichtung: Die Frau ist die Schönste mit strahlendem Gesicht (Դ/ ԺԷ, 85 – 88). Sie ist groß, hübsch und schlank (Ա/Գ, 1 – 12). Sie hat schwarze Augen und Brauen (Ա/Ա, 103 – 110), schwarze Locken (Ա/Ա, 103 – 110). Ihr Mund ist klein und schön (Ա/Ա, 135 – 138), ihre Lippen sind voll und süß (Ա/Գ, 21 – 28). Ihr Antlitz ist rot und weiß (Ա/Ա, 111 – 118). Sie hat rote Wangen, eine weite Stirn und weiß schimmernde, schöne Brüste (Ա/ՁԲ, 1027 – 1034). Sie trägt seidene Kleidung, / die mit goldenem Faden bestickt ist, (Թամ., 572b). Im Minnesang: Die frouwe schoene (MF 10,3) hat rôten (MF 49,19), rôsevarwer rôten (MF 130,30), kleinvelroten (KLD LII) munt, schoene (MF 78,9), süeze (MF 71,32) und klâre (MF 130,28) ougen. Ir zene wȋze ebene (MF 122,23). Ir vál hȃr ûf gebunden hȃt (L 111,18). Ir kel, ir hende, ietwder fuoz, daz ist ze wunsche wol getȃn (L54,17). Ir varwe [wart] liljen wȋz und rôsen rôt (MF 136,5). Sie ist smal wol ze mâze, vil fier unde vrô. (MF 122,15). Sie hat brüste gedrȃt, zehen wol gestellt, füezel smal, beinel wȋz, diehel lint, reitbrûn meinel, vinger lanc (Tannhäuser XI). Die Frau ist wol bekleit und darzuo wol gebunden (L 46,11) mit gebende (L 111, 21) oder schapel (L 75,10). Das Frauenbild der hayren-Dichtung unterscheidet sich vom Frauenbild des Minnesangs vor allem in folgenden Punkten: 1. Während der Minnesang als höfische Liebeskonzeption auf ethische Vollkommenheit zielt,388 stellt das Frauenlob in der hayren-Dichtung vor allem die körperliche Schönheit dar, die aber die ethische Schönheit voraussetzt. Das bedeutet andererseits nicht, dass der Minnesang keine Beschreibungen schöner Frauen beinhaltet. Mit ihrer Schönheit macht die Frau auf sich aufmerksam und verführt das lyrische Ich zur Liebe. Ihre Schönheit strahlt im Herzen des lyrischen Ichs, sobald seine Augen die Frau anschauen: Ich hân sî 388 Tervooren (1988), S. 181.

Frauenpreislied

2.

3.

4.

5.

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vür alliu wîp / mir ze vrowen und ze liebe erkorn. / minneclîch ist ir der lîp / seht, durch daz sô hab ich des gesworn, / Daz mir in der welt (niht) / niemen (solde) lieber sîn. / swenne aber sî mîn ouge an siht, / seht, sô tagt ez in dem herzen mîn (MF 130,31). »ich setze ir minnechlichen lȋp / vil hôhe in mȋnnen werden sanc.« (MF 53,25). In der mittelalterlichen Liebeskonzeption umfasst die vollkommene Schönheit die Gesamtheit des Inneren und Äußeren, deshalb repräsentierte der lȋp die Identität des Schönen und Guten.389 Die Frau wird gepriesen vor allem für die Freude, die sie dem Liebenden bereitet: Entsprechend der antiken kalokagathia herrscht zwar in den beiden Dichtungen Übereinstimmung über die Zusammengehörigkeit der körperlichen und geistigen Vollkommenheit, jedoch stellt die »schoene-güete-Diskussion«390 im Minnesang heraus, dass »die Liebe, die aus der Betrachtung der Tugend erwächst, eine höhere Qualität besitzt.«391 In der hayren-Dichtung werden die Körperbewegungen als Bewegungen der Seele verstanden und interpretiert. Innere Werte der Frau werden durch die Beschreibungen der Schritte, der Körperhaltung der Frau, ihrer Stirn, ihres Blickes und ihrer Sprechweise dargestellt. In der hayren-Dichtung ist die weibliche Schönheitsbeschreibung mit breit ausgeführten Vergleichen und Metaphern aus der Natur, die eine wichtige Bildquelle für die weibliche Schönheitsbeschreibung darstellt, ausgeschmückt. Im Gegensatz zur hayren-Dichtung wird der Natur-Vergleich in der Minnelyrik zurückhaltend eingesetzt. Im Unterschied zum Minnesang sind die Frauenpreislieder in den hayrenner meistens direkte Anredelieder an die umworbene Frau, in denen sie mit dem Du angesprochen wird. In der hayren-Dichtung werden neben dem Mund häufig auch die Brüste392 als erotisch-sexuelle Körperteile wahrgenommen und gepriesen.

Wie in der Minnelyrik entspricht die Frau auch in der hayren-Dichtung einem standardisierten Schönheitsideal. Sie wird nie mit einem Namen bezeichnet,393 was einerseits dem Motiv »der Geheimhaltung der Liebe« entspringt, andererseits aber dem standardisierten Bild der Frau entspricht.394 389 Ehrismann (1995), S. 126 – 127. Vgl. dazu auch die Textauswahl von Krüger: Puella bella (1993). 390 Tervooren (1988), S. 176. 391 Ebd. 392 Die Darstellung der Brüste als erotisch-sexuelle Körperteile begegnet im Minnesang sehr selten (z. B. Tannhäuser XI). 393 Die einzigen Ausnahmen bilden Walthers ›Hildegunde‹ in L 74,19 und die weiblichen Namensnennungen bei Neidhart. Mehr dazu: Krüger (1993), S. 143, Fußnote 96. 394 Krüger (1993), S. 143.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Wie die Liebe wird auch die Frau im Frauenpreislied der beiden Dichtungen unterschiedlich dargestellt: von der Hypertrophierung395 bis hin zur Dämonisierung der Frau. Es werden die folgenden Eigenschaften der Frau gerühmt: 1. die Wirkung der Frau auf den Sänger und die Gesellschaft. Sie wird gepriesen vor allem für die Freude, die sie dem Liebenden bereitet: Wohl mir, ich bin nie so glücklich und freudvoll gewesen wie heute. Meine Geliebte ist gekommen, heute früh, in der Morgendämmerung. (Ա/Կ, 609 – 616, hier: 609 – 612) Dú gȋst al der werlte hôhen muot, máht ouch mir ein wȇnic fröide geben. (Reinmar MF 165,35) Du gibst der ganzen Welt hohen Sinn – / kannst du auch mir ein wenig Freude geben?396

2. die inneren Werte der Frau: Sowohl im Minnesang als auch in der hayrenDichtung besitzt die Frau nicht nur äußere Schönheit, sondern auch innere. Im Minnesang werden die inneren Werte der Frau wesentlich häufiger gerühmt als in der hayren-Dichtung: Du hast einen sinnlichen Mund, der kann so süß und sinnvoll reden. (Ա/ՁԲ 1019 – 1026, hier: 1025 – 1026) Got weiz wol, ich vergaz ir niet, sît ich von lande schiet. ich engetorste ir nie gesingen disiu liet, waer sî vil reine niet und alles wandels vrî. sî sol mir erlouben, daz ich von ir tugenden spreche. (Albrecht von Johansdorf MF 92,7) Gott weiß wohl, ich vergaß sie nicht, / seit ich aus dem Lande schied. / Ich wagte nie ihr diese Strophe zu singen, / wäre sie nicht so rein / und allen Tadels frei. / Sie soll mir erlauben, dass ich von ihren Tugenden spreche.397

3. die äußere Erscheinung der Frau: Im Unterschied zur inneren wird die äußere Schönheit der Frau in der hayren-Dichtung häufiger und ausführlicher als im Minnesang gepriesen: Meine Schöne, du bist groß und schlank, o, wie schön und vollkommen bist du.

395 Schweikle (1995), S. 185. 396 Übersetzt von Schweikle. 397 Übersetzt von Schweikle.

Frauenpreislied

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Du duftest wie eine Rose, rot und weiß ist dein Antlitz. Ich werde dich tausendmal preisen, kein irdisches Wesen gleicht dir. Wohl ihm, der dich geschaffen hat, wenn du auch so einzig bist. (Ա/Գ, 1 – 12) Des ist vil lûter vor valsche ir der lîp, smal wol ze mâze, vil fier unde vrô. Des muoz ich in ir genâden belîben, gebiutet si sô, mîn liebest vor allen wîben. (Morungen 122,10) Sie ist so rein und makellos, / schlank und wohlgestaltet, sehr stolz und froh. / Deshalb muss ich ihr ergeben bleiben, / wenn sie es so befiehlt, / sie, die mir die liebste ist von allen Frauen.398

Die Frau wird gepriesen, weil sie die Beste ist. Als solche muss sie die anderen übertreffen. Sowohl der Minnesänger als auch der hayren-Sänger versuchen mit allen Mitteln zu überzeugen, dass die von ihnen besungene Frau die Beste ist. Sie wird 1. als Beste und Schönste der Welt gepriesen, die die anderen Frauen übertrifft: Meine Geliebte, ich blicke nach allen Seiten, es gibt keine, die dir gleicht. (Ա/ՁԱ, 49 – 56, hier: 49 – 50) Vil schoene unde biderbe, dar zuo edel unde guot, sô weiz ich eine vrowen, der zimet wol allez, daz si getuot. ich rede ez umbe daz niht, daz mir got die saelde habe gegeben, daz ich ie mit ir geredete oder nâhe bî sî gelegen; Wan daz mîniu ougen sâhen die rehten wârheit. si ist edel und ist schoene, in rehter mâze gemeit. ich gesach nie eine vrowen, diu ir lîp schôner künde durch daz wil ich mich vlîzen, swaz sî gebiutet, daz daz allez sî getân. (Meinloh von Sevelingen MF 15,1)

Sehr schön und angesehen, dazu edel und gut, / so weiss ich eine Dame, der alles gut ansteht, was sie tut. / Ich sage es nicht deshalb, weil ich das Glück gehabt hätte, / je mit ihr zu sprechen oder gar bei ihr zu liegen; / mit den Augen allein erfuhr ich die ganze Wahrheit. / Sie ist edel und schön, in rechter Weise froh. / Ich sah nie eine edle Frau, die schöner gewesen wäre. / Deshalb will ich mich bemühen, / das alles erfüllt wird, was sie gebietet.399 398 Übersetzt von Kuhn. 399 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

2. als Beste und Schönste der Natur gepriesen: Die Frau wird mit Naturerscheinungen (z. B. Jahreszeiten und Frühlingsmonaten) verglichen. Selten begegnen in den hayrenner die Vergleiche mit solchen Naturerscheinungen wie Frühlingsblitz und Mairegen: Du bist wie der Regen im Mai, der auf die Erde herab regnet. Wenn du kommst, bleibe ich grün, wenn du nicht kommst, trockne ich aus. (Դ/Դ, 17 – 20) Mich vröit ir werdekeit baz danne der meie und alle sîn doene, die die vogel singent; daz sî iu geseit. (Morungen MF 141,12) Sie erfreut mich in ihrer erhabenen Schönheit mehr als der Mai und all seine Lieder, die die Vögel singen. Das sei euch gesagt.400

Im Vergleich zweier Freuden (Naturschönheit und weibliche Schönheit) wird der Preis der Frau zugesprochen: Seht sam mir, welt ir die wârheit schouwen, gên wir zuo des meien hôhgezîte! der ist mit aller sîner wunne komen. seht an in und seht an werde frouwen, weder spil daz ander überstrîte. daz wæger spil, ob ich daz hân genommen? und der mich danne wellen hieze, daz ich daz eine durch daz ander lieze, ahî, wie schiere ich danne kür: hêr Meie, ir müestent merze sîn, ê ich mîn frouwen dâ verlür. (Walther L 46,21) Seht wie ich, wollt ihr die Wahrheit schauen, / gehn wir zu des Maien Freudenfest! / Der ist mit all seinen Freuden gekommen. / Seht ihn an und seht edle Damen an, / welches Schauspiel das andere übertreffe. / Das bessere Schauspiel, – ob ich das wahrgenommen habe? / Und wer mich dann wählen hieße, / so dass ich das eine wegen des anderen fallenlassen würde: Herr Mai, ihr müsstet eher März werden, / ehe ich meine Herrin da aufgäbe.401

Die Natur wird zur Stimmung des lyrischen Ichs in Bezug gesetzt. Zwar bringen der Frühling und der Sommer Liebe und Liebeshoffnung, für das lyrische Ich ist aber diese Zeit genauso liebesfeindlich wie der Winter, weil es unter Liebesschmerzen leidet. Das bedeutet, die Verkehrung der Naturordnung hängt von

400 Übersetzt von Tervooren. 401 Übersetzt von Schweikle.

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der Geliebten ab. Die Natur, besonders die Jahreszeiten, werden durch den Seelenzustand des lyrischen Ichs wahrgenommen: Ich klage und höre eigene Klage, mein ganzes Herz ist voll vom Blut. Meine Klage hat den Himmel erreicht, vom Himmel ist sie heruntergeschneit. Wer hat im Sommer so viel Schnee gesehen? Es schneit reichlich auf den Liebenden. (Ա/Զ, 32 – 40, hier: 32 – 38)

3. als Beste und Schönste im ganzen Kosmos gepriesen: Der Vergleich der Geliebten mit kosmischen Bildern eröffnet einen großen Raum der Fantasie und intensiviert die Körperbeschreibung. Die Frau wird mit folgenden kosmischen Bildern verglichen:402 a) mit der Sonne Du kommst heraus aus deinem Haus wie die Sonne am frühen Morgen. Wie der Frühlingsblitz aus Wolken leuchtet das Licht deines Schoßes. (Ա/ԽԱ, 177 – 184, hier: 177 – 180) Ir tugent reine ist der sunnen gelîch, diu trüebiu wolken tuot liehte gevar, swenne in dem meien ir schîn ist sô klâr. des wirde ich staeter vröide vil rîch, daz überliuhtet ir lop alsô gar wîp unde vrowen die besten vür wâr, Die man benennet in tiuschem lande. verre unde nâr sô ist si ez, diu baz erkande. (Morungen MF 123,1) In ihrer Reinheit gleicht sie der Sonne, / die düstere Wolken leuchtend macht, / wenn im Mai ihr Licht so hell ist. / So werde ich überreich an Freude, die beständig ist, / denn ihr Lob überstrahlt ganz und gar / sicherlich die besten Frauen und edlen Damen, / die man in deutschen Landen nennen kann. / Fern oder nah, / ist sie doch die am meisten Gerühmte.403

b) mit dem Mond Mond, du erzählst ganz stolz: »Ich erleuchte die ganze Welt.«

402 In der mhd. Minnelyrik wird die Frau auch mit dem Himmel verglichen (Walther L 54,27). 403 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Hier ist ein irdischer Mond, der mit dem Glanz dich überstrahlt. Wenn du mir nicht glaubst, werde ich ihn dir zeigen. Du wirst dich auch in ihn verlieben und schwächer am Himmel leuchten. (Ա/ԽԴ, 301 – 308) alse der mân wol verre über lant liuhtet des nahtes wol lieht unde breit, sô daz sîn schîn al die welt umbevet, Als ist mit güete umbevangen diu schône. des man ir jêt, si ist aller wîbe ein krône. (Morungen MF 122,1) Wie der Mond, der weithin übers Land / des Nachts leuchtet ganz hell und voll, / dass sein Schein die ganze Welt umfängt, so ist die Schöne von Güte umleuchtet. Deshalb sagt man von ihr: / Sie ist die Krone aller Frauen.404

c) mit dem Morgenstern Du bist wie der Morgenstern, der jeden Morgen aufsteigt. Er trennt das Licht vom Dunkel und zieht ins Land der Griechen ein. (Ա/ԽԱ, 81 – 88, hier: 85 – 88) Wâ ist nu hin mîn liehter morgensterne? wê, waz hilfet mich, daz mîn sunne ist ûf gegân? si ist mir ze hôh und ouch ein teil ze verne gegen mittem tage unde wil dâ lange stân. Ich gelebte noch den lieben âbent gerne, daz si sich her nider mir ze trôste wolte lân, wand ich mich hân gar verkapfet ûf ir wân. (Morungen MF 134,36) Wo ist er hin, mein leuchtender Morgenstern? / Ach, was hilft es mir, dass meine Sonne aufgegangen ist? / Sie steht zu hoch für mich und auch zu weit entfernt, / gegen Mittag, wo sie am höchsten ist, und wird dort lange stehen. / Wie gerne würde ich noch den glücklichen Abend erleben, / an dem sie sich mir zum Trost niederneigte, / denn ich habe mich an sie wie ein Trugbild ganz verloren.405

Aber der Sänger bleibt nicht nur im Rahmen des Vergleichs, sondern stellt fest, dass die Geliebte schöner, heller und strahlender als die kosmischen Elemente ist: Du leuchtest wie Sterne im Himmel, aber viel heller und schöner. (Ա/ՁԱ, 49 – 56, hier: 51 – 52) 404 Übersetzt von Kuhn. 405 Übersetzt von Kuhn.

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Ich bedarf vil wol, daz ich genâde vinde, wan ich hab ein wîp ob der sunnen mir erkorn. (Morungen MF 134,25) Ich habe es bitter nötig, Gunst zu finden; / denn ich habe eine Frau, schöner als die Sonne, mir erwählt.406

4. Die Frau wird als unbeschreibliche Schönheit dargestellt. Der Werbende findet keine Worte, die die Schönheit der Frau angemessen beschreiben. Nicht nur das lyrische Ich ist hilflos bei der Beschreibung ihrer Schönheit: In der hayren-Dichtung sind sogar die besten Maler der Welt nicht in der Lage, diese Schönheit darzustellen. Man suchte ein so schönes Antlitz, das meiner Geliebten gleicht, in vielen Orten bis hin nach China. Umsonst, keine war so schön wie sie. Sechstausendfünfhundert Maler versuchten, sie zu malen. Keinem einzigen glückte es, das Antlitz meiner Geliebten zu malen. (Ա/ԾԹ, 163 – 170) Dȋn lop mit rede nieman wol vol enden kann. (Reinmar MF 165,32) Dein Lob kann niemand mit Worten voll erfassen.407

5. als makellose Schönheit dargestellt. Die besungene Frau hat keinen Makel: Du bist ohne Makel und ohnegleichen. (Դ/Ե, 21 – 24, hier: 21) Diz lop beginnet vil vrouwen versmân, daz ich die mîne vür alle andriu wîp hân zeiner krône gesetzet sô hô, unde ich der deheine ûz genomen hân. des ist vil lûter vor valsche ir der lîp, smal wol ze mâze, vil fier unde vrô. Des muoz ich in ir genâden belîben, gebiutet si sô, mîn liebest vor allen wîben. (Morungen MF 122,10) Viele edle Frauen ärgert dieses Lob, / durch das ich die meine über alle erhoben / und zur Krone der Frauen erklärt habe, / ohne eine einzige auszunehmen. / Sie ist so rein und makellos, / schlank und wohlgestaltet, sehr stolz und froh. / Deshalb muss ich ihr ergeben bleiben, / wenn sie es so befiehlt, / sie, die mir die liebste ist von allen Frauen.408 406 Übersetzt von Kuhn. 407 Übersetzt von Schweikle. 408 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

6. als vollkommene Schöpfung Gottes gepriesen: Der Künstler nahm einen Pinsel und malte das Antlitz meiner Geliebten. Beim Zeichnen der Augenbrauen fiel er hilflos in Ohnmacht. Wer ihr Antlitz auf dem Bild erblickte, war sprachlos von der Schönheit. Ich liebe das Wunderwerk Gottes, die Schwätzer sind deswegen neidisch. (Ա/ԾԹ, 17 – 24) Stên ich vor ir unde schouwe daz wunder, daz got mit schoene an ir lîp hât getân, sô ist des sô vil, daz ich sihe dâ besunder, daz ich vil gerne wolt iemer dâ stân. (Heinrich von Morungen MF 133,37) Stehe ich vor ihr und sehe das Wunder / an Schönheit, das Gott an ihr vollbracht hat, / so gibt es da so vieles anzuschauen, / dass ich am liebsten immer da stehen möchte.409

Sie ist nicht nur die vollkommene Schöpfung Gottes, sondern auch die Verkörperung des Guten und aller humanen Werte: Du bist ohne Makel und ohnegleichen, so lobenswert und unvergleichlich bist du. Keine Mutter ist in der Lage so einzigartige wie du, zu gebären, nicht mal die Sonne und der Mond. (Դ/Ե, 21 – 24) Sô wol dir, wîp, wie reine ein name! wie senfte du ze nennen und zerkennen bist. Ez wart nie niht sô rehte lobesame, dâ du ez an rehte güete kêrest, sô du bist. (Reinmar MF 165,28) Gepriesen seist du, Frau; es ist das Wort, das für Reinheit steht, / wie wohl es tut, dich so zu nennen und damit zu kennzeichnen! / Es gab nie etwas, was wirklich so zu loben gewesen wäre, / wie dich, wenn du jene wahre Güte zeigst, die du bist. / Was an dir zu loben ist, können Worte nicht beschreiben. / Wem du Liebe gewährst, wohl ihm, der ist ein glücklicher Mann.410

Beide Dichtungen liefern am häufigsten Beschreibungen des Kopfes, wobei vorrangig Mund und Augen genannt werden, die zusammen mit Wange, Haar und Hals (in hayrenner auch mit Lippe und Stirn) das Gesicht der Frau entwerfen, das einerseits den Seelenzustand der Frau widerspiegelt, andererseits die körperliche Schönheit repräsentiert.

409 Übersetzt von Kuhn. 410 Übersetzt von Kuhn.

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Die Augen der Frau sind sowohl Licht- und Freudenspender, die in das Herz des Liebenden strahlen, als auch Schadenstifter: Sie töten, verzaubern, halten gefangen und machen zu Liebessklaven: Deine Augen sind schuldig am Blute vieler Menschen. (Ա/ՁԲ, 1217 – 1224, hier: 1219 – 1220) Ohne Verwundung bin ich krank geworden. Wenn ihr mich fragt, warum ich so krank bin, werde ich antworten: Schwarze Augen haben mir das angetan. Diese schwarzen Augen ließen mich in Sehnsucht sterben. Wem soll ich, wem soll ich klagen, ich bin nicht selbst zu dir gekommen, die Liebe hat mich hierher gebracht. (Ա/ԿԵ, 9 – 16) Ich bin leider sȇre wunt ȃne wȃfen. daz habent mir ir schoeniu ougen getȃn, daz ich niemer mȇ geheilen kan, ez enwelle der ich bin undertȃn. (Ulrich von Gutenburg MF 78,8) Ach, ich bin ohne Waffen schmerzlich verwundet. / Das haben mir ihre schönen Augen angetan, / so dass ich niemals wieder gesunden kann.411

Der Mund wird als erotisches Signal dargestellt.412 Gleichzeitig findet sich das Motiv des »redenden Mundes« (auch minneclȋcher redender munt):413 Du hast einen sinnlichen Mund, der kann so süß und sinnvoll reden. (Ա/ՁԲ 1019 – 1026, hier: 1025 – 1026) Iuwer minneclȋcher redender munt Machet daz man küssen muoz. (Walther L 43, 37) Euer liebenswerter redender Mund / macht, dass man küssen muss.414

Die Wange / das Gesicht der Frau hat in den beiden Dichtungen die Farben rot und weiß, öfter mit passenden Blumen ›Rose‹ und ›Lilie‹ verbunden, als »ein Zeichen für die Heiligkeit der Sprache der Liebe«.415 In der theologischen Interpretation symbolisieren die beiden Blumen die Jungfräulichkeit, Keuschheit, seelische Reinheit, Unschuld und Schönheit der Himmelskönigin Maria.416 Die Farbe rot symbolisiert das Leben, die Leidenschaft und die Liebe, weiß symbolisiert das Licht und die Reinheit:417 411 412 413 414 415 416 417

Übersetzt von Kuhn. Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 183. Ebd., S. 184. Übersetzt von Schweikle. Ehrismann (1995), S. 121. Ebd. S. 122. Vgl. dazu: Wörterbuch der Symbolik, Lurker (1991), S. 634 und 824.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Du duftest wie eine Rose, rot und weiß ist dein Antlitz. (Ա/Գ, 1 – 12, hier: 3 – 4) Got hȃt ir wengel hôhen flȋz, er streich sô tiure varwe dar, sô reine rôt, so reine wȋz, dȃ rœseloht, dȃ lilienvar. (Walther L 53,35) Gott hat auf ihre Wänglein große Sorgfalt verwendet, / er strich so kostbare Farbe darauf, / so reines Rot, so reines Weiß, / da rosenrot, da lilienfarben.418

Wie in der Minnelyrik wird die Frau auch in der hayren-Dichtung nicht nur als licht- und freudenspendende Gestalt dargestellt, sondern auch dämonisiert: 1. Sie ist Zauberin, Mörderin, Übermenschliche und Übermächtige: Wie Weihrauch bin ich blass geworden, wie Safran ist meine Farbe, bleich und kränklich. Kommt es von meiner Liebe zu dir, oder bin ich der Todesstunde nahe? Man sagte mir, du kannst mich heilen. Mach mich bitte wieder lebendig. Sonst sterbe ich aus Liebe zu dir, man nennt dich Mörderin. (Ա/Խէ, 171 – 178) Vil süeziu senftiu toeterinne, war umbe welt ir toeten mir den lîp, und ich iuch sô herzeclîchen minne, zwâre vrouwe, vür elliu wîp? Waenent ir, ob ir mich toetet, daz ich iuch iemer mêr beschouwe? nein, iuwer minne hât mich des ernoetet, daz iuwer sêle ist mîner sêle vrouwe. sol mir hie niht guot geschehen von iuwerm werden lîbe, sô muoz mîn sêle iu des verjehen, dazs iuwerre sêle dienet dort als einem reinen wîbe. (Morungen MF 147,4) Süße, sanfte Mörderin, / warum wollt Ihr mich töten, / da ich Euch doch so von Herzen liebe, / wahrhaftig, Herrin, mehr als alle anderen Frauen? / Glaubt Ihr, dass ich, wenn Ihr mich tötet, Euch nicht mehr anschauen kann? / Nein, meine Liebe zu Euch hat mich dazu gebracht, / dass Eure Seele die Herrin meiner Seele geworden ist. Gewährt Ihr mir hier nicht Eure Gunst, / edle Herrin, / so gelobt Euch meine Seele, / dass sie Eurer Seele drüben dienen wird wie einer Heiligen.419

418 Übersetzt von. G. Schweikle. 419 Übersetzt von Kuhn.

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2. Sie ist gleichgültig, launenhaft und unnahbar: Ich bin zu dir gekommen, ich dachte, du hättest Sehnsucht. Mein Kommen aber hat dich gestört, das habe ich gleich verstanden. (Ա/ԽԹ, 39 – 46, hier: 39 – 42) Si ist mir liep, und dunket mich, wie ich ir volleclȋch gar unmære sȋ. (Reinmar MF 159,10) Sie ist mir lieb, und scheint es mir auch, / dass ich ihr ganz und gar gleichgültig bin.420

3. Sie ist gnadenlos, mitleidlos und grausam: Als ich verwirrt und verzweifelt die kleinen Straßen hinunterlief, sah ich meine Geliebte, sie leuchtete mehr, als tausende Monde zusammen. Sie ist wie ein grausames Messer in meinem Herzen. O weh, sie hat keine Gnade und kein Mitleid mit mir. (Ա/ԾԱ, 355 – 362) Von der spriche ich niht wan allez guot, wan daz ir muot weder mich ze unmilte ist gewesen. Vor aller nȏt dȏ wânde ich sȋn genesen, dȏ sich verlie mȋn herze ȗf genâde an sie, der ich dâ leider funden niene hân. (Friedrich von Hausen MF 46,29) Von ihr sage ich nur Gutes, / außer dass sie allzu / unbarmherzig gegen mich gewesen ist. / Von aller Pein glaubte ich erlöst zu sein, / als sich mein Herz / dem Vertrauen auf ihre Gnade überließ, / die ich – aber ach – dort nie gefunden habe.421

Die Beschreibungen der weiblichen Schönheit im Minnesang und in der hayrenDichtung haben meist folgende Abfolge:422 1. die ›natürliche‹ Abfolge der klassischen personarum descriptio a corpore, die von der Blickhöhe abwärts geht.423 Die hayren-Dichtung besitzt keine vollständige Gesamtkörperbeschreibung. Die descriptio wird meist mit dem 420 Übersetzt von Kuhn. 421 Übersetzt von Kuhn. 422 Hier wird insbesondere Bezug genommen auf folgende Arbeiten: Tervooren (1988); Krüger (1993). 423 Krüger (1993), S. 142.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Oberkörper beendet, oft mit der Benennung der Brüste. Wie im Minnesang findet sich auch in der hayren-Dichtung am häufigsten die Beschreibung des Kopfes, die entweder vom Haar bis zum Hals erfolgt oder nur auf wenige Teile beschränkt wird, meist Augen oder Mund: Ich liebe dein schönes Antlitz, das strahlender als der Mond ist. Lass mich deine Lippen küssen, die süßer als Zucker schmecken. Deine schwarzen Augen und Brauen gleichen dem wogenden Meer. Dein Mund ist wie eine kostbare Schale, gefüllt mit Rosenwasser. (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090) Schwarz sind deine Augen und Augenbrauen, rot sind deine Wangen, deine Stirn ist weit. Weiß schimmernd bist du, mit schönen Brüsten. (Թամ., 572b) wol stent diniu löckel, din mündel rot, din öugel, als ich wolde. Rosevar din wengel, din kellin blanc, da vor stet wol din spengel. (Der Tannhäuser Gen disen wihennahten, Si XI Siebert) Hübsch sind sie deine Löcklein, / dein rotes Mündlein, deine Äuglein, wie ich sie nicht anders wünschen könnte! Rosenrot deine Wänglein, / und weiß dein Hälslein, vor dem so hübsch dein Spänglein prangt!424

2. eine situationsgebundene Reizung:425 In der hayren-Dichtung erfolgt diese beim Pflücken von Früchten (meistens Äpfel), im Minnesang beim Tanz. Dabei geht der Blick in der hayren-Dichtung auf die Brüste und im Minnesang von den Füßen an aufwärts:426 Sie pflückte Äpfel und dabei waren ihre weißen Brüste zu sehen. Sie waren so weiß und lieblich, als ich hinsah, fiel ich in Ohnmacht. (Թամ., 556) Nu tanze eht hin, min süezel! so hol, so smal so wurden nie kein füezel.

424 Übersetzt von Kühnel. 425 Krüger (1993), S. 142. 426 Ebd.

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swem daz niht gefellet, daz wizzet, der enhat niht guoter sinne. Wiz sint ir beinel. lint diu dihel, reitbrun ist ir meinel, ir sitzel gedrollen. swes man an frouwen wünschen sol, des hat si gar di vollen. (Der Tannhäuser Gen disen wihennahten, Si XI Siebert) Jetzt tanz ein Stück weiter, meine süße Kleine! / Noch nie hat es so schön gewölbte, so schmale Füßlein gegeben! / Wer daran nicht Gefallen findet, / das lasst euch gesagt sein, der ist nicht ganz bei Sinnen. / Weiß sind ihre Beinlein, / zart ihre Schenklein, braun gelockt ihr Venushügel, / ihr Podex prall und rund: / was immer sich ein Mann bei Damen wünschen wird, sie besitzt es voll und ganz.427

In der Schönheitsbeschreibung der Minnelyrik und der hayren-Dichtung sind Einflüsse der griechisch-antiken und der religiös-gelehrten Literatur als auch des Hohenliedes sichtbar.428 Sowohl Minnesänger und gowsan als auch der antike Dichter besingen eher die Wirkung der Geliebten auf das lyrische Ich und die Gesellschaft als die Details, durch die die Liebe hervorgerufen wird.429 Das lyrische Ich wird tödlich durch die Geliebte verwundet. Es werden keine konkreten Situationen des Geschehens dargestellt, sondern nur kurze Feststellungen, z. B. »Daz habent mir ir schœniu ougen getȃn« (MF78, 9). Der Sänger preist die Frau nicht, um als Lohn die Erwiderung der Liebe einzufordern, sondern um zu begründen, warum er unter diesem Zustand leidet und tödlich krank wird, aber weiterhin unter ihrer Herrschaft stehen will. Die Antwort ist eindeutig: Die Frau ist innerlich und äußerlich vollkommen. Diese Tatsache begründet seinen Zustand und entschuldigt seine Leiden. Im Zentrum der armenischen und deutschen Minnelyrik als männerbezogener Lyrik steht ein Mann. Er erfindet fiktive Situationen und Personen, um die Liebe zu thematisieren. Er findet Begründungen und Argumentationen, um seine Betroffenheit und Machtlosigkeit der Liebe gegenüber darzustellen. Dabei spielt die Frau eine große Rolle: Sie verursacht die Liebe und dadurch wird ein weiter Raum männlicher Fantasie zur Definition der Liebe eröffnet. Die Frauenpreislieder gehören damit zu diesen Möglichkeiten, die Liebe zu definieren.

427 Übersetzt von Kühnel. 428 Mehr über die Einflüsse der griechisch-antiken Literatur und des Hohenliedes auf den Minnesang: Krüger (1993), S. 112 – 151. 429 Mehr dazu: Ebd.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

5.

›Frauenlied‹

5.1

›Frauenlieder‹ in der hayren-Dichtung

5.1.1 Zum Gattungsbegriff ›Frauenlied‹ In der Literatur des armenischen Mittelalters ist die Bezeichnung ›Frauenlied‹ nicht überliefert. In der gegenwärtigen armenischen Mediävistik wird unter dem Begriff ›Frauenlied‹ ein Lied verstanden, das von einer Frau verfasst worden ist. 1931 schrieb Manowk Abełyan in seinem Buch »Hin zˇołovrdakan gowsanakan enger«: »Die hayrenner enthalten auch Lieder, in denen die Frau zu Wort kommt. Diese Lieder sind von Frauen verfasst worden, oder aber die Sängerinnen haben die Männerlieder für sich umgearbeitet. Wenn auch der Autor eine Frau in einem Gesprächslied sprechen lässt, so verfasst er sehr selten reine Frauenmonologe. Die Liebeslieder sind überwiegend individuelle Schöpfungen. Deswegen verfassen Männer sehr selten solche Lieder, deren lyrisches Subjekt eine Frau ist. […] Der größte Teil der hayrenner sind natürlich von Männern verfasst worden, viele davon haben einen allgemeinen Charakter, damit könnten sie sowohl von Frauen, als auch von Männern verfasst worden sein. Es ist nicht leicht zu identifizieren, ob die Verfasser Männer oder Frauen waren. Es gibt auch nur von Frauen verfasste Lieder«430

Lieder, die von Frauen verfasst wurden, bezeichnet Abełyan als ›Frauenlieder‹.431 Von Frauen, so Abełyan, stammen die Lieder, deren lyrisches Subjekt eine Frau bzw. ein Mädchen ist.432 Wir können aber nicht ausschließen, dass das Vermitteln des Fühlens und Verhaltens von Frauen in der Dichtung aus der Perspektive von Männern möglich ist. Es wäre möglich, dass der Mann das zum Ausdruck bringt, was er im Gespräch mit der Frau erfahren hat oder wie sie sich ihm gegenüber verhalten hat. Der männliche Autor könnte ein Frauenbild aus seiner eigenen Wunschperspektive heraus entwickeln, was seinen Vorstellungen von der Frau entspricht. In der vorliegenden Untersuchung verwende ich deswegen den Begriff ›Frauenlied‹ für das Lied, dessen lyrisches Subjekt eine Frau ist, unabhängig von der weiblichen oder männlichen Autorschaft des Liedes.433 Nach dem Tod von Abełyan gab es nur einzelne Diskussionen über die mögliche weibliche Autorschaft der hayrenner. In seiner Untersuchung »Hayoc’ 430 431 432 433

Abełyan (1967), 1. Aufl. (1931), S. 177. Ebd. Ebd. In der armenischen Forschung gibt es keinen Begriff für den Liedtyp, in dem ›die Frau spricht‹ unabhängig von der Verfasserfrage. Ich verwende für diesen Liedtyp den Begriff ›Frauenlied‹ (կանացի երգեր / kanac’i erger), verstehe darunter jedoch nicht, dass diese Lieder von Frauen stammen. Der Begriff ›Frauenlied‹ beinhaltet in sich die Vorstellung, Frauen seien die Autorinnen dieser Lieder, er bleibt deswegen missverständlich.

›Frauenlied‹

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hin gowsanakan ergereˇ« weist Sˇawarsˇ Grigoryan darauf hin, dass die armenische Geschichtschreibung Zeugnisse über varjakner (Spielfrauen) liefert, die im mittelalterlichen Armenien an den Adelshöfen sowie bei Festen getanzt, gesungen und Musikinstrumente gespielt haben.434 Movses Xorenac’i (5. Jh.) schrieb in seinem Werk »Geschichte Armeniens« über eine varjak namens Nazenik, die bei einem Fest im Adelshof Syowni gesungen und dabei ein Musikinstrument gespielt haben soll.435 In den schriftlichen Quellen sind die Wörter gowsan und varjak in der Bedeutung von Sänger und Sängerin das erste Mal in der armenischen Übersetzung der Bibel (5. Jh.) anzutreffen. Der griechische Urtext »Höre ich denn noch die Stimme der Sänger und Sängerinnen« (Samuel 19,36) wurde ins Armenische folgendermaßen übersetzt: »Höre ich noch die Stimme von gowsanner und varjakner«.436 Später schrieben geistliche Oberhirten in ihren Arbeiten abwertend über die varjakner.437 In der Übersetzung des Werkes »Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus« des byzantinischen Geistlichen und Rhetorikers Johannes Chrysostomos benutzte der Übersetzer das erste Mal das Wort varjak in der Bedeutung »Hure«.438 In seinem Kommentar beschimpfte Chrysostomos die griechischen Schauspielerinnen als Huren, dies wurde ins Armenische mit dem Wort varjak übersetzt.439 Im Haykazyan Wörterbuch findet sich folgende Erläuterung für den Begriff varjak: Eine singende Frau, Musikantin und Tänzerin während einer Feier oder im Theater (cantatrix, psaltrix, saltatrix, mimus)440. Hübschmann übersetzt den Begriff mit ›Tänzerin‹ und ›Sängerin‹.441 An diesen Beispielen ist nur ersichtlich, dass varjakner Spielfrauen waren, die bei Aufführungen in Höfen mitgewirkt haben, sie liefern jedoch keine direkte Zeugnisse dafür, dass sie auch Autorinnen der vorgetragenen Lieder waren. Im Jahre 2007 erschien eine weitere Untersuchung über hayrenner von Vano Egiazaryan. Der Autor begründete seine These, dass die Frauen im mittelalterlichen Armenien hayrenner verfasst und vorgetragen haben, nicht nur mit der Existenz der oben angeführten historischen Zeugnisse über varjakner als Sängerinnen, sondern auch mit Miniaturen mit Darstellungen von eben diesen 434 Grigoryan (1971), S. 22. Grigoryan behauptet aber nicht, dass die varjakner hayrener gedichtet und vorgetragen haben. 435 Xorenac’i (1981), S. 236. 436 Թագաւորաց, ԺԹ (T’agaworac’, ZˇT’). 437 Unter anderen auch: Mandakowni (5. Jh.) und Anjevac’i (10. Jh.), Mehr dazu: Hac’owni (1936), S. 255 – 256. 438 Die Werke von Johannes Chrysostomos, darunter auch seine Kommentarreihen über Bücher des Alten und Neuen Testaments, Predigtreihen zu bestimmten Themen und zahlreiche Einzelpredigten wurden im 5. Jh. ins Armenische übersetzt. 439 Yovhannow Oskeberani Meknowt’wn t’łt’oyn Paw’łosi (1862), S. 554. 440 Nor bar˙agirk’ haykazyan lezowi, Bd. 2 (1837), S. 795 – 96. 441 Hübschmann (1962), S. 245.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

singenden, musizierenden und tanzenden Frauen.442 Ełiazaryan weist auf eine Miniatur aus der spätmittelalterlichen Handschrift »Ałavitgeschichte von Alexander aus Makedonien, XVII. Jh.« hin, die eine Frau mit einem Saiteninstrument darstellt (Abbildung 8).443 Die Bildunterschrift lautet: »Eine Frau, die tarapowlay444 spielt«.445 Als ein weiteres Argument zur Bekräftigung seiner These verweist er auf ein hayren (Ա/ՁԲ, 1167 – 1176), in dem berichtet wird, dass eine Frau ein hayren singt:446

Abb. 8: Կին մի, որ տարապուլայ կու զարնէ (Kin mi, or tarapowlay kow zarne¯ / Eine Frau, die tarapowlay spielt) Quelle: Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, Handschrift Nr. 9599, Ałavit patmowt’iwn Alek’sandr Makedonacvoy (Geschichte von Alexander aus Makedonien), o. O. 17. Jh., 204 Blatt, Masse: 21,5 X 14,9 cm., Schrift: Notrgir (Kursivschrift), Blatt 59a.

»Mein hoch oben strahlender Mond, bring meiner Schönen viele Grüße!« »Wie soll ich ihr Grüße bringen? Ich weiß doch nicht, wo sie wohnt.« »Geh die Straße hinüber, hinter hohen Mauern findest du einen Baum. 442 443 444 445 446

Ełiasaryan (2007), S. 215. Hd. Nr. 9599, Blatt 59a, Handschriftensammlung Matenadaran, Jerewan. Ein Saiteninstrument, das nur aus dieser Miniatur bekannt ist. Ełiasaryan (2007), S. 215. Ebd., S. 215.

›Frauenlied‹

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Sie sitzt im Schatten des Baumes und trinkt aus einem hellblauen Glas. Dort trinkt sie und singt ein hayren, wie herrlich die Liebe und der Wein sind.« (Ա/ՁԲ, 1167 – 1176)

Die letzten zwei Zeilen berichten, dass die Frau im Schatten des Baumes sitzt, aus einem hellblauen Glas trinkt und dabei ein hayren darüber singt, wie herrlich die Liebe und der Wein sind. Diese Zeilen dürfen aber nicht als Wirklichkeit interpretiert werden, denn diese Texte sind Literatur. Aber selbst wenn eine Frau im Schatten des Baumes sitzt und ein hayren singt, bedeutet das immer noch nicht, dass sie die Autorin dieses hayrens ist oder dass sie es auch in der Öffentlichkeit singen würde. Weder diese Strophe noch Hinweise auf varjakner und die mittelalterlichen armenischen Miniaturen erlauben den Schluss, dass die varjakner die Autorinnen der hayrenner gewesen seien. Ełiasaryan übersieht, dass die Zeugnisse der Chronisten über varjakner keine direkte Aussage darüber enthalten, dass sie Lieder auch selbst gedichtet haben. Er erwähnt auch nicht, dass nirgendwo bezeugt ist, ob die Lieder, die die Frauen vortrugen, hayrenner waren. Die Miniaturen von singenden und verschiedene Instrumente spielenden Frauen existieren, aber keine der Darstellungen steht im direkten Zusammenhang mit irgendeinem hayren. Wir haben daher keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den oben genannten Miniaturen um Darstellungen der Autorinnen der hayrenner handelt, die ihre Lieder in der Öffentlichkeit vortrugen. Die bis heute bekannten Handschriften liefern uns keine Frauennamen im Bereich der weltlichen Literatur des armenischen Mittelalters. Die Literaturfähigkeit der Frauen wird hauptsächlich im geistlichen Bereich dokumentiert. Sahakdowxt Syownec’i (8. Jh.) und Xosrovidowxt Gołt’nac’i (8. Jh.) sind die ersten namentlich bekannten Dichterinnen Armeniens, die Hymnen verfassten.447 Sahakdowxt Syownec’i war darüber hinaus Komponistin und Lehrerin. Step’anos Orbelyan (1250 – 1305) schrieb in seinem Werk »Die Geschichte der Provinz Syowni«: »Sie [Sahakdowxt Syownec’i] war sehr begabt in der Musikkunst. Hinter einem Vorhang sitzend unterrichte sie viele Menschen in der Musik.«448

Aus dem Gesagten wird deutlich, dass das öffentliche Auftreten einer Frau sogar im geistlichen Bereich nicht gewünscht war. Die gesellschaftlichen und historischen Voraussetzungen erlaubten den Frauen nicht – wie in den meisten christlichen Ländern des Mittelalters – mit Äußerungen über sich selbst oder 447 Es ist außerdem ein geistliches Gedicht über die Wallfahrt nach Jerusalem unter dem weiblichen Namen Gaohar in einer Handschrift von 1695 überliefert. Vgl. dazu: Sahakyan (1986), Bd. II, 1987, S. 765. 448 »Սա յոյժ հմուտ էր երաժշտական արհեստին, որ և ի ներքոյ վարագուրի նստեալ ուսուցանէր զբազումս։ «, ԼԱ, vgl. dazu: Step’anos Orbelyan (1910), S. 139.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

über ihr Wissen an die Öffentlichkeit zu treten. Freilich existierten im mittelalterlichen Armenien vor allem in Klöstern Frauengemeinschaften, in denen die Frauen die Möglichkeit hatten, sich besonders in der geistlichen Literatur und im Gesang literarisch auszudrücken.449 Auch in Frauenstuben wurde eine eigene Art von Geselligkeit arrangiert.450 Die literarische Produktion wurde hauptsächlich von männlichen Autoren dominiert. Dennoch waren Frauen Schreiberinnen, Mäzenatinnen, Auftraggeberinnen und Zuhörerinnen.451 In der hayren-Dichtung geht es um die Rollen, die der Sänger aus eigenen Wunschperspektiven entwirft, trotzdem wurden die hayrenner in der Forschung hauptsächlich als Erlebnisdichtung interpretiert. Man versuchte, aus den Liedern der gowsanner etwas über ihre Gefühle und Erlebnisse zu erfahren.452 Deswegen wurden Frauenmonologe als von Frauen gedichtete Lieder verstanden. Dagegen spricht aber unter anderem auch die Überlieferung: Im »Kiliser Liederbuch«453 ist eine hayren-Reihe unter der Liedüberschrift »Andere hayrenner, vorgetragen (gedichtet, gesungen) von Anton« überliefert. Der männliche Name Anton lässt den Sänger dieser hayren-Reihe erkennen. Das vierte Lied ist ein Frauenlied, das von einem männlichen Sänger gedichtet und vorgetragen wurde. Das heißt, dass ein Sänger imstande war, ohne weiteres Frauenlieder zu singen: Lass mich eine hellblaue Bluse anziehen, dann gehe ich wie eine Trauernde umher. Ich lasse den Knopf der Bluse offen, wenn er das sieht, wird er schwach werden. (Ա/ԿԴ, 25 – 28)

Die Sprecherin ist hier in der Rolle der Verführerin vorgeführt. Unter den verschiedenen Rollen der Frau gehört dieses Motiv zu dem traditionellen Bild der Frau, das ihr eine unwiderstehliche Anziehungskraft und einen magisch-dämonischen Charakter zuschreibt.454 Die Sprecherinnen verhalten sich in ›Frauenliedern‹ meistens »rollenkonform«,455 das heißt »sie erfüllen entweder das

449 In vielen Regionen Armeniens wurden Frauenklöster (կուսաց անապատներ) gegründet, wo die Frauen als Schreiberinnen, Dichterinnen und Sammlerinnen auftraten. 450 Vgl. zu diesem Aspekt Teil III, Kapitel 1.4. 451 Die Namenliste der Mäzenatinnen und Auftraggeberinnen beginnt im 5. Jh. mit Jowik Arc’owni und setzt sich fort mit Mariam (15. Jh.), Mamk’ani (13. Jh.), T’ankxat’own (14. Jh.), Melik’xat’un (15. Jh.), Agutxat’um und Sˇahdisˇen (1460) und im armenischen Feudalstaat Kilikien mit der Königin Zabel (13. Jh.) und den Fürstinnen Fimi (13. Jh.), um nur die Bekanntesten von ihnen zu nennen. 452 Vgl. dazu unter anderen die Arbeiten von Tamrasyan (2001), S. 44 – 67 und Ełiasaryan (2007), S. 214 – 227. 453 Mikroform Nr. 690 in der Handschriftensammlung Matenadaran in Jerewan. Veröffentlicht in der hayren-Sammlung von Mnac’akanyan (1995), S. 256. 454 Frenzel (1992), S. 774. 455 Boll (2007), S. 536.

›Frauenlied‹

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positive oder negative Bild, das im Mittelalter von den Frauen entworfen«456 und »durch das mittelalterliche Diskurssystem reguliert«457 wurde. Wie in männlichen Werbeliedern geht es auch in Frauenliedern um die Liebe und deren Wirkung auf das lyrische Ich. Die Sprecherin in Frauenliedern wird ähnlich wie das männliche lyrische Ich in Männerliedern als Liebende dargestellt. Aber wenn in männlichen Werbeliedern das Sänger-Ich durch die Liebe zur Frau die Möglichkeit hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen und für eigene Qualitäten zu werben, wird im Frauenlied offen über das angestrebte Ziel, d. h. über die Liebeserfüllung gesprochen. Ich lasse den Knopf der Bluse offen, / wenn er das sieht, wird er schwach werden. (hayren Ա/ԿԴ, 25 – 28, hier: 27 – 28). Schwach werden bedeutet hier wegen weiblicher Schönheit die Verstandeskräfte verlieren. Im Vergleich mit Frauenliedern wird offenkundig, dass das männliche lyrische Ich in Werbeliedern nicht unabhängig von der Frau die Rolle des Werbenden und treu Liebenden angenommen hat, sondern die Frau wirkte aktiv mit: Sie gewann die Liebe des Mannes, indem sie mit ihrer Schönheit auf sich aufmerksam machte.458 Während es in männlichen Werbeliedern nicht (oder nicht offen) um die Liebeserfüllung geht, beschert die Frau im Frauenlied dem verführten Mann sogar ein Höchstmaß an Liebeserfüllung: Komm zu mir, ich nehme dich auf in meinen Schoß. Mein Schoß wird für dich zum Tisch, mein Busen dient als Kissen. Ich lasse den Knopf meiner Bluse offen, damit deine Seele in meinen Schoß eintritt. (Ա/ԿԳ, 49 – 54)

5.1.2 Identifikation der Frau als lyrisches Subjekt Der erste Schritt, um eine Frauenstrophe zu erkennen, ist die Identifikation der Frau als lyrisches Subjekt. In der Forschung wurde die Frau als lyrisches Subjekt auf verschiedene Weise entschlüsselt: Die Identität wurde sowohl durch die sprachlichen und inhaltlichen Kriterien bestimmt als auch aus dem Überlieferungskontext hergeleitet.459 Ein weibliches lyrisches Ich macht sich erkennbar durch Selbstbezeichnungen: Ich bin eine schöne Frau, warum bleibst du denn weg? / Gott schuf mir schönes Antlitz, dir aber gab er Augen, / damit du mich bewunderst (Թամ., 559); durch Bezeichnungen des männlichen Partners: Mein Geliebter hat schwarze Augen, / schwarze Brauen und einen roten Mund. / Er hat volle Lippen und / goldene Fäden im Schnurrbart (Դ/Գ, 245 – 252, hier: 249 – 252) 456 Ebd. 457 Ebd. 458 Dazu gehört auch das Motiv der »spielenden Augen« (Աչքով անել / Acˇ’k’ov anel), das wie im Minnesang als auch in der hayren-Dichtung vorhanden ist. 459 Vgl. dazu: Rieger (1991), S. 29.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

oder durch direkte Anrede des Partners: »Sag, mein Held, habe keine Scheu« / das Leben hat viele Reiche ins Elend gebracht. (Ա/Բ, 117 – 124, hier: 121 – 122) Die geschlechtsspezifischen Kennzeichnungen sind aber nicht in allen Texten vorhanden. In manchen Liedern bleibt die Identifikation des lyrischen Subjekts unbestimmbar. Ein gutes Beispiel dafür ist das folgende Lied: Ich irrte mich, beging einen Fehler, den Falken meines Schoßes ließ ich wegfliegen; danach lief ich dem Vogel hinterher, einen Kuss bekam ich auf dem halben Weg. Von der Süße dieses Kusses verbrennt mein Herz im Feuer. Mein Herz verbrennt von der Liebe zu dir, man gibt mir Fruchtsaft zum trinken. Was soll ich mit dem Fruchtsaft machen? Deinetwegen brenne ich in Liebe. (Թամ., 592)

Hier ist nicht nur die Geschlechtsidentität des lyrischen Subjekts unbestimmbar, sondern es ist genauso unklar, ob der Falke einen Mann oder eine Frau symbolisiert.460 Es handelt sich in dieser Strophe um einen symbolischen Vergleich: Der Falke wird mit dem Geliebten / der Geliebten verglichen, den / die das lyrische Subjekt weggehen ließ. Während der Suche nach dem Falken bekommt das lyrische Ich einen Kuss, dessen Süße ihm / ihr das Herz verbrennt. Es ist unklar, von wem er / sie den Kuss bekam, vom Geliebten / der Geliebten, der / die mit dem Falken verglichen wurde oder von einer dritten Person. Von der Süße dieses Kusses brennt der / die Sprechende in Liebe. Das Geschlecht des sprechenden Ichs kann man hier nicht eindeutig entschlüsseln, denn einerseits sind die Motive »in Liebe brennen« oder »von der Liebe krank werden« für Männerlieder in hayrenner typisch (z. B.: Ich bin krank aus Liebe zu dir , Թամ., 531), andererseits aber ist der Falke in der mittelalterlichen armenischen Literatur wegen seiner Stärke, seiner Vollkommenheit als Jagdvogel und seines Strebens

460 Auch im berühmten Falkenlied des Kürenbergers handelt es sich um die Klage über den Verlust eines Falken. Hier ist es unklar, ob die Klage realistisch oder symbolisch zu verstehen ist, ob das sprechende Ich eine Frau oder ein Mann ist. In der germanistischen Mediävistik existieren verschiedene Ansichten dazu: Das lyrische Subjekt wurde mit einer von einem Mann verlassenen Frau wie auch mit einem von einer Frau verlassenen Mann identifiziert. Die beiden Strophen wurden nicht nur symbolisch, sondern teils auch realistisch interpretiert: Die Klage eines Falkners, dem ein Jagdvogel entflogen ist. Das Falkenlied wurde von Jansen als Brautlied interpretiert, in dem das sprechende Ich den Vater und der Falke die Tochter symbolisieren soll. Obwohl die Forschung überwiegend der Auffassung ist, dass der Falke den Mann und das sprechende Ich die Frau symbolisiert, ist das Geschlecht des sprechenden Ichs nicht endgültig entschlüsselt. Vgl. dazu: Kasten (2006) S. 212.

›Frauenlied‹

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nach Freiheit461 eher als Metapher für den Mann als für die Frau zu sehen, wie im folgenden deutlich wird: Ein Falke mit rotem Halsband jagte zur Mittagszeit. Ein Rebhuhn mit tausend Federn saß und sah den Falken an. Das Rebhuhn sagte zum Falken: »Jage mich nicht am Tag, ich bin keine Beute zur Mittagszeit, jag mich aber in der dunklen Nacht.« (Ա/ԽԷ, 125 – 132)

In diesem Lied handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen symbolischen Vergleich. Der Falke symbolisiert den Mann, das Rebhuhn die Frau und die Jagd die Liebesbeziehung. Das Rebhuhn fürchtet sich nicht vor dem Falken, fliegt nicht weg, sondern es weist den Falken an, unter welchen Bedingungen so eine Jagd stattfinden kann. Das signalisiert, dass die Frau prinzipiell zu einer Liebesbeziehung bereit ist (jag mich aber in der dunklen Nacht), aber nur mit der Einhaltung der ›Liebesregel‹: Die Liebesbeziehung muss geheim bleiben (Jage mich nicht am Tag), denn es geht nicht um eine rechtmäßige (ich bin keine Beute zur Mittagszeit), sondern um eine von der Gesellschaft nicht akzeptierte Liebesbeziehung. In hayrenner sind Lieder, in denen die Geschlechtszuweisung nicht eindeutig ist, häufiger als im Minnesang anzutreffen. Da es im Armenischen kein grammatikalisches Geschlecht gibt, ist es nur selten möglich, durch sprachliche Kriterien das Geschlecht des lyrischen Subjekts zu identifizieren. Wenn die weiteren sprachlichen Identifikationskriterien (Selbstbezeichnungen, Bezeichnungen der geliebten Person) fehlen, helfen in manchen Fällen inhaltliche Identifikationskriterien, d. h. Thematik und Motive, weiter:462 Mein Geliebter (meine Geliebte) und ich trafen einander und bekräftigten heilig, Gott sei Zeuge, unseren Schwur: Lepra soll den befallen, der seine Liebe verleugnet. Schönster Geliebter (schönste Geliebte), falls du meine Liebe leugnest, soll der Schöpfer dich verderben. 461 Falke als Sinnbild für Freiheit, besonders für die Freiheit in der Wahl des Partners findet sich auch im Dietmars Frauenlied MF 37,4. 462 Für den deutschen Minnesang bezweifelt Katharina Boll allerdings, dass eine Frauenstrophe vorliegt, wenn die Rede typisch ›weibliche‹ Aussagen enthält, da hier bereits im Vorfeld bestimmt wird, was eine Aussage zu einer spezifisch ›weiblichen‹ macht. Sie schlägt drei ›Filter‹ (historisches Umfeld, Kommunikationssituation und Überlieferung) vor, die die weibliche Stimme regulieren und ordnen: »Eine adäquate Beschreibung der Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang ist nur unter Berücksichtigung dieser drei ›Regulierungsinstanzen‹ möglich.« Vgl. dazu: K. Boll (2007), S. 502.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Da ich in Liebe dir verfallen bin, reden die Leute schlecht über mich. (Ա/ԽԲ, 19 – 26)

Hier gibt es keine sprachlichen Anhaltspunkte dafür, dass es um eine Frauenrede geht. Nach inhaltlichen Kriterien scheint es aber wahrscheinlicher, dass es sich in dieser Strophe um einen Frauenmonolog handelt, weil die Klage über den Verlust des guten Rufes wegen der Liebe, die Angst, den Geliebten wegen äußerer Hindernisse zu verlieren, und Äußerungen von Ansprüchen an den Mann, wie z. B. die Forderung, genauso treu zu sein wie sie selbst, Motive darstellen, die für ›Frauenlieder‹ typisch sind. Es können jedoch nicht alle Strophen mit Hilfe der sprachlichen und inhaltlichen Kriterien eindeutig als Mannes- oder Frauenrede bestimmt werden. Die Frage nach der Möglichkeit der Identifikation des lyrischen Ichs in den hayrenner, in denen das Geschlecht des lyrischen Ichs unbestimmbar ist, ist in der armenischen Forschung leider noch nicht diskutiert worden.

5.2

Die Gattung ›Frauenlied‹ im Minnesang463

Der Begriff ›Frauenlied‹ kennzeichnet in der gegenwärtigen deutschen Literaturwissenschaft ein- oder mehrstrophige Lieder, deren lyrisches Subjekt eine Frau ist.464 Zunächst wurden auch in der deutschen Forschung von Frauen verfasste Lieder als ›Frauenlieder‹ bezeichnet. Da man davon ausging, dass die Autoren der mittelhochdeutschen Lieder Männer waren, wurde dieser Terminus nicht verwendet.465 Wilhelm Scherer stellte allerdings diese Annahme infrage,466 sodass die Gattungsbezeichnung ›Frauenlied‹ in Sinne von Erlebnislyrik wieder in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt wurde. Später verwendete man diesen Terminus auch für das Lied, dessen lyrisches Subjekt eine Frau ist, unabhängig davon, ob das Lied von einem Mann oder von einer Frau stammt.467 Allein in der galego-portugiesischen Lyrik hat sich eine vom Verfasser unabhängige Bezeichnung für die Lieder herausgebildet, in denen das lyrische Ich eine

463 Vgl. dazu: Krohn (1983); Mertens (1983); Kasten (1987); (2000); (2006); Bennewitz (1994); (1996); (2000); Mölk (1989); Rieger (1991); Schweikle (1995); Greenfield (2000); Koller (2000) und Boll (2007). 464 Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 128. 465 Diese Auffassung vertrat z. B. Jakob Grimm. Vgl. dazu: Mölk (1989), S. 17. 466 Vgl. dazu: Scherer (1874). 467 Erst Jeanroy verwendete den Begriff ›Frauenlied‹ unabhängig von der Verfasserfrage, um einen bestimmten Liedtyp zu bezeichnen: Frauenlieder seien Lieder, die Frauen in den Mund gelegt werden. Vgl. dazu: Mölk (1989), S. 13 – 23.

›Frauenlied‹

131

Frau ist: Sie heißen cantiga d’amigo, ›Freundeslieder‹, weil die Frau darin von ihrem Freund spricht.468 In der germanistischen Mediävistik wurde die Frage diskutiert, ob die Verwendung des Begriffs ›Frauenlied‹ einer Revision bedarf. Ulrich Mölk schlug vor, unter ›Frauenlied‹ ein Liebeslied des volkstümlichen Registers zu verstehen, in dem die Perspektive der Frau als Monolog, Dialog oder Erzählerbericht realisiert ist.469 Ingrid Kasten brachte eine andere Kategorie, nämlich ›die weibliche Stimme‹ in die Forschungsdiskussion.470 In ihrer umfangreichen Untersuchung zur Frauenrede des 12. Jahrhunderts fand Katarina Boll das formale Kriterium ›die Frau spricht‹ gattungsübergreifend, da es auch auf die mhd. Gattungen ›Tagelied‹, ›Wechsel‹ und ›Dialoglied‹ zutrifft.471 ›Die Frau spricht‹ stellt daher kein konstituierendes, wohl aber ein notwendiges Kriterium für die Gattung ›Frauenlied‹ dar.472 Die gegenwärtige germanistische Mediävistik geht davon aus, dass die Frauenlieder des deutschen Mittelalters von Männern stammen, weil sie im deutschen Mittelalter Träger der literarischen Kultur waren und weil Belege für Autorinnenlieder fehlen. Bezüglich der anonym überlieferten Frauenstrophen und Frauenlieder im deutschsprachigen Raum wurde die Möglichkeit einer weiblichen Autorschaft diskutiert,473 aber konkrete Anhaltspunkte dafür, dass auch im deutschen Kulturbereich Frauen als Lyrikerinnen gewirkt haben, fehlen bislang. Auch im deutschsprachigen Raum wird die Literaturfähigkeit von Frauen fast ausschließlich im Kontext der geistlichen Literatur dokumentiert, wo eine Reihe von Frauennamen überliefert ist.474 Wie im armenischen sind auch im deutschen Mittelalter alle Kontexte der Literatur wie Mäzenatentum, die Auftragsvergabe sowie Rezeption und Reproduktion von weiblichem Engagement und Interesse geprägt.475 Die Fürstinnen hatten durch ihre Rolle als Mäzeninnen beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der Literatur.476 An der weltlichen literarischen Produktion aber hatten die Frauen in dieser Zeit nur einen sehr geringen aktiven Anteil. Das Fühlen, Denken und Verhalten von Frauen in der Dichtung wurde im 468 469 470 471 472 473 474

Vgl. dazu: Greenfield (2000), S. 173; Mölk (1989), S. 13. Vgl. dazu: Mölk (1989), S. 17 – 21. Vgl. dazu: Kasten (2000), S. 3 – 18. Boll (2007), S. 13. Ebd. Vgl. dazu: Lösel-Wieland-Engelmann (1983), S. 149 – 170; Classen (1999); (2002). Hrotsvith von Gandersheim, Herrad von Hohenburg (auch Herrad von Landsberg), Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau, Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn, Gertrud die Große (auch Gertrud von Helfta), Margarete Ebner, Christine Ebner und Adelheid Langmann. 475 Vgl. dazu: Bennewitz (1996), S. 69 – 94; (1996), S. 11 – 26. 476 Classen (2002), S. 3.

132

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Wesentlichen durch die Perspektive von Männern vermittelt.477 Die Frauenlieder waren für den öffentlichen Vortrag bestimmt und wurden vermutlich an den Höfen von Männern, entweder von den Autoren selbst oder von professionellen Sängern, vorgetragen.478 Die Möglichkeit der Aufführung durch »spilewîbe« ist nicht ausgeschlossen, ausführlich bezeugt ist ein solcher Vorgang aber nicht.479 Die Frau, die in Männerliedern unerreichbare ›Minnedame‹ ist, erscheint in den Frauenliedern erreichbar und verfügbar, um vermutlich das »in den Männerliedern weitgehend abstrakt formulierte Liebesprogramm zu konkretisieren und zu stützen.«480 In Frauenliedern sprechen die Sänger freier über Erotik und Sexualität, weil »das Frauenlied von der Tradition und der Situation her die Möglichkeit [bietet], im Rahmen des Minnesangs freier über Eros und Sexus zu sprechen als in der Minnekanzone.«481 Die unterschiedlichen Frauengestalten repräsentieren in Frauenliedern Verhaltensmodelle, in denen sich um Projektionen männlicher Wünsche handelt.482 In der deutschen Literatur sind neben anonym überlieferten Liedern auch Frauenlieder der Minnesänger bekannt.483 Nach dieser allgemeinen Darstellung der mittelhochdeutschen ›Frauenlieder‹ werde ich die unterschiedlichen Haltungen und Typen der Sprecherinnen in armenischen und deutschen ›Frauenliedern‹ darstellen und die Motivparallelen und Differenzen im Vergleich armenischer und deutscher ›Frauenlieder‹ herausarbeiten.

477 Vgl. dazu: Kasten (1987), S. 131 – 146. 478 Kasten (2006), S. 16. 479 Das von Albrecht Classen angeführte Beispiel der »spilewîbe« in der vorhöfischen Dichtung, das nach seiner Meinung Hinweis dafür ist, dass auch Frauen zur öffentlichen Unterhaltung beitrugen und im engen Kreis der adligen Literatur zu finden waren (im Spielmannsepos Sankt Oswald, im Parzival, in der Österreichischen Reimchronik des Ottokar aus der Gaal) lassen nicht den Schluss zu, dass die »spilewîbe« im deutschen Mittelalter in der Öffentlichkeit gedichtet hätten. Vgl. dazu: Ebd. 480 Kasten (2006), S. 23. 481 Mertens (1983), S. 168. 482 Schweikle (1995), S. 182. 483 Der von Kürenberg, Meinloh von Sevelingen, Dietmar von Aist verfassten Lieder dieser Gattung und nach der Frühphase des Minnesangs: Friedrich von Hausen, Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue, Reinmar und Walther von der Vogelweide. Danach werden reine Frauenmonologe selten: Einstrophige Frauenlieder erscheinen noch bei Botenlouben und Niune und ein zweistrophiges Lied bei Gottfried von Neifen. Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 128.

›Frauenlied‹

5.3

133

Motivparallelen und Differenzen zwischen armenischen und deutschen ›Frauenliedern‹

Die Frauenlieder des Mittelalters zeigen die Vielschichtigkeit der weiblichen Gefühle und Haltungen: Die Frau, die klagt, traurig ist, sich erinnert, enttäuscht ist, sehnsüchtig wirbt, aber auch selbstbewusst ist und Treue fordert. Das Grundmotiv in den deutschen wie in den armenischen Frauenliedern ist die Klage der Frau über die Trennung von dem geliebten Mann. Sie zeichnen im Armenischen wie auch im deutschen Mittelalter in erster Linie folgende Motive aus:484 1. Klage über die Trennung: Wenn du zurückkehrst, ich werde mich freuen. Du bist tausendmal willkommen, dein Weggehen ist aber traurig und schmerzhaft. (Դ/Գ, 219 – 226, hier: 224 – 226) Ez gât mir vonme herzen, daz ich geweine: ich und mîn geselle müezen uns scheiden. (Der von Kürenberg MF 9,13) Mein Weinen kommt mir aus dem Herzen: / Ich und mein Liebster, wir müssen uns trennen.485

2. Klage über das lange Ausbleiben des Geliebten, die Abschiedsklage in Kreuzliedern und in Pandowxtliedern: Du bist längst ausgewandert ins fremde Land, Es ist schon zwölf Jahre her. Ich vermisse dich so sehr, deine Gesichtszüge habe ich vergessen. (Դ/Գ, 219 – 226, hier: 219 – 222) »Owȇ«, sprach ein wȋp, »waz mir doch noch von liebe leides ist beschert! waz mir diu liebe leides tuot! fröidelȏser lȋp, wie wilt du nu gebâren, swenne er hinnan vert, dur den du wære ie wol gemuot? wie sol ich der werlte und mȋner klage geleben? dâ bedorfte ich guotes râtes zuo gegeben. Könde ich dar under beidenthalben mich bewarn,

484 Vgl. zu Motiven im deutschen Frauenlied: Bennewitz (1991), S. 28; (2000), S. 71. 485 Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

des wart mir nie sȏ nȏt. ez nâhet, er will hinnan varn.« (Albrecht von Johansdorf MF 94, 35) »O weh«, sagte eine Frau, / »wieviel Leid mir doch die Liebe zufügt! / Und wieviel Leid die Liebe mir doch antut! / Du Freudlose, / was willst du machen, wenn er von hier fährt, / er, durch den du immer glücklich warst? / Wie soll ich unter den Menschen und zugleich mit meinem Schmerz leben? / Dazu bräuchte ich guten Rat. / Könnte ich mir beides fernhalten, / nie hatte ich das so nötig. Es ist so weit, er will aufbrechen.«486

3. Klage über äußere Hindernisse, über die Liebesfeinde und die gesellschaftlichen Normen, die die Trennung verursachen: In dieser Welt, was gewinnt diejenige, die liebt? Verkauft nur einen billigen Saft, verliert aber tausend Denar. Sie kann nicht mehr den Eltern unter die Augen treten. Die Schande der Liebenden ist groß: Sie bleibt schamlos und verlogen mit ruiniertem Ruf und Namen. (Ա/ՁԳ, 988 – 995) Lit máchet sorge, vil líebe wunne. eines hübschen ritters gewan ich künde: daz mir den benomen hânt die merker und ir nît, des mohte mir mîn herze níe vrô werden sît. (Der von Kürenberg MF 7,19) Leid bringt Sorgen, große Liebe Freude. / Einen höfischen Ritter lernte ich kennen. / Dass sie ihn mir genommen haben, die Merker und ihr Hass, / darüber konnte mein Herz seitdem nicht mehr froh werden.487

4. Äußerungen von Sehnsucht nach dem Mann: Meine Liebe, mein Geliebter. Du mein Allerliebster, mein Liebchen, ich sehne mich nach deinem Gesicht und nach deiner Liebe. (Թամ., 599, 1 – 4) Ȃne swære Ein frouwe ich wære, ȃn daz eine, daz sich sent mȋn gemüete nȃch sȋner güete, der er mich wol hȃt gewent. (Reinmar MF 199,25)

486 Übersetzt von Kuhn. 487 Übersetzt von Kuhn.

›Frauenlied‹

135

Ich wäre eine edle Frau / ohne Leid, / außer dem einen, dass sich / mein Herz / nach seiner Güte sehnt, / an die er mich sehr gewöhnt hat.488

5. Lob der inneren, äußeren und erotischen Qualitäten des Mannes: Deine Liebe ist zart und deine Rede süß, dein Gespräch leuchtend wie der helle Mond, dein Wohlgeruch ist lieblich, wie die Blumenpracht im Hochfrühling. (Թամ., 599, 5 – 8) Ein alsȏ schȏne redender man, wie möhte ein wȋp dem iht versagen, der ouch sȏ tugentlȋche lebt, als er wol kann? (Reinmar MF 193,5) Ein Mann, der so schöne Worte machen kann, / wie könnte eine Frau sich dem versagen, / und der auch so vorbildlich lebt, wie er es vermag.489

6. Äußerungen von Ansprüchen an den Mann: Die Forderung, die Liebe nicht zu verleugnen, genauso treu zu sein wie sie selbst: Mein Geliebter (meine Geliebte) und ich trafen einander und bekräftigten heilig, Gott sei Zeuge, unseren Schwur: Lepra soll den befallen, der seine Liebe verleugnet. Schönster Geliebter (schönste Geliebte), falls du meine Liebe leugnest, soll der Schöpfer dich verderben. Da ich in Liebe dir verfallen bin, reden die Leute schlecht über mich. (Ա/ԽԲ, 19 – 26)490 mîn trût, du solt dich gelouben anderre wîbe. wan, helt, die solt du mîden. dô du mich êrst saehe, dô dûhte ich dich ze wâre sô rehte minneclîch getân. des man ich dich, lieber man. (Dietmar von Aist MF 37,18)

488 Übersetzt von Kuhn. 489 Übersetzt von Kuhn. 490 Das lyrische Ich ist zwar unbestimmt, aber es handelt sich höchstwahrscheinlich um einen Frauenmonolog, weil die Klage über den Verlust des guten Rufes wegen der Liebe, die Angst den Geliebten wegen äußerer Hindernisse zu verlieren, und die Forderung, genauso treu zu sein wie sie selbst Motive sind, die für ›Frauenlieder‹ typisch sind.

136

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Mein Geliebter, lass ab / von anderen Frauen. / Ja, du Edler, die sollst du nicht beachten. / Als du mich zum ersten Mal sahst, / da erschien ich dir doch / so liebenswert und schön. / Daran erinnere ich dich, liebster Mann.491

7. Forderung von Geheimhaltung der Liebesbeziehung und Respekt für die eigene Entscheidung: »Liebe mich, aber halte es geheim, verbreite deine Liebe nicht öffentlich!« (Թամ., 569) Dȇst ein nôt, daz mich ein man Vor al der werlte twinget, swes er wil. Sol ich des ich niht enkan, beginnen, daz ist mir ein swaerez spil. Ich hȃt ie vil staeten muot. Nu muoz ich leben als ein wȋp, diu minnet und daz angestȋchen tuot. (Reinmar MF 192,25) Es ist ein Unglück, dass mich ein Mann / vor aller Augen zwingt, wozu er will. / Soll ich mit etwas beginnen, / wovon ich nichts verstehe, das ist für mich ein schweres Spiel. / Ich war immer sehr sicher. / Nun muss ich mit meiner Liebe leben, und das mit Angst und Sorgen.492

8. Anspruch darauf, einen Geliebten zu haben: Die Schwätzer reden schlecht über mich, sie treiben mich in den Tod. Ich habe doch kein Verbrechen begangen: Ich liebe diesen Mann von ganzem Herzen. (Ա/ԽԷ, 41 – 48, hier: 41 – 44) Nu endarf mir nieman wȋzen, ob ich in iemer gerne sæhe; des will ich mich vlȋzen. (Der Burggraf von Rietenburg MF 18,1) Nun darf es mir niemand vorwerfen, / wenn ich ihn gerne immer sähe; / darum will ich mich bemühen.493

9. Beteuerung des lyrischen Ichs, gegen alle Hindernisse an der Liebe festzuhalten, Liebes- und Treuebekundungen, das Bekenntnis zum geliebten Mann: So kann ich tun, was ich will, eins steht fest: Ich habe recht.

491 Übersetzt von Kuhn. 492 Übersetzt von Kuhn. 493 Übersetzt von Kuhn.

›Frauenlied‹

137

Ich liebe diesen Mann, deswegen reden sie schlecht über mich. (Ա/ԽԷ, 41 – 48, hier: 45 – 48) Sô wê den merkaeren! die habent mîn übele gedâht, si habent mich âne schulde in eine grôze rede brâht. si waenent mir in leiden, sô sî sô rûnent under in. nu wizzen alle gelîche, daz ich sîn friundinne bin âne nâhe bî gelegen, des hân ich weiz got niht getân. staechen si ûz ir ougen! mir râtent mîne sinne an deheinen andern man. (Meinloh von Sevelingen MF13,14) Verwünscht seien die Merker! Die haben mir übel mitgespielt, / sie haben mich schuldlos in großes Gerede gebracht. / Sie glauben ihn mir zu verleiden, wenn sie so miteinander flüstern. / Nun mögen es alle wissen, dass ich seine Freundin bin – / ohne dass ich bei ihm lag, das habe ich – Gott weiß es – nicht getan. / Gucken sie sich auch die Augen aus, / ich kann an keinen anderen Mann denken.494

10. Frau in der Rolle der »Verführerin« des Mannes: Lass mich eine hellblaue Bluse anziehen, dann gehe ich wie eine Trauernde umher. Ich lasse den Knopf der Bluse offen, wenn er das sieht, wird er schwach werden. (Ա/ԿԴ, 25 – 28) Ich gelege mir in wol nâhe, den selben kindenschen man. sȏ wol mich sȋnes komens, wie wol er frowen dienen kann! (Meinloh von Sevelingen MF 14,30) Gewiß ganz nahe lege ich ihn zu mir, diesen jungen Mann. / Wie beglückt mich sein Kommen, wie gut er edlen Frauen dienen kann!495

11. Erreichbarkeit der Frau: Komm zu mir, ich nehme dich auf in meinen Schoß. Mein Schoß wird für dich zum Tisch, mein Busen dient als Kissen. Ich lasse den Knopf meiner Bluse offen, damit deine Seele in meinen Schoß eintritt. (Ա/ԿԳ, 49 – 54) ȇ ich danne von ihm scheide, sȏ mac ich sprechen »gȇn wir brechen bluomen ȗf der heide.« (Reinmar MF 196, 21)

494 Übersetzt von Kuhn. 495 Übersetzt von Kuhn.

138

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Bevor ich dann von ihm scheide, / werde ich sagen: »Gehen wir Blumen pflücken auf der Heide.«496

12. Frauenberichte über die erfüllte Liebe:497 O Nacht, sei lang, ohne Ende, sei ein Jahr, wenn du kannst. Mein Geliebter (meine Geliebte) kam zu mir, es schien mir, ich habe ihn (sie) tausend Jahre nicht gesehen. O du, Morgenlicht, zögere, störe nicht unsere Spiele. Wenn du kommst und dein Licht bringst, trennst du mich von meinem (meiner) Geliebten. (Ա/Կ, 65 – 72) Daz er bî mir læge, wessez iemen (nû enwelle got!), sô schamt ich mich. niemer niemen bevinde daz wan er und ich und ein kleinez vogellîn, tandaradei, daz mac wol getriuwe sîn. (Walther von der Vogelweide L 40,10) Dass er bei mir gelegen ist, / wenn das jemand wüsste – / da sei Gott vor! –, dann würde ich mich schämen. / Was er mit mir tat, / nie erfahre es jemand, / nur er und ich, / und ein kleines Vöglein, / tandaradei, / das wird wohl verschwiegen sein.498

Außer den oben genannten Motiven kommen im deutschen Frauenlied noch folgende Motive vor,499 die in den hayrenner fehlen oder nicht herausgehoben werden: 1. Sorge, der Mann werde sich einer anderen Frau, einer »Rivalin« zuwenden: Diu linde ist an dem ende nu jârlanc lieht unde blȏz. mich vȇhet mȋn geselle. nu engilte ich, des ich nie genȏz. sȏ vil ist unstaeter wȋbe, die benement ime den sin. (Anonym MF 4,1)

496 Übersetzt von Kuhn. 497 Zwar fehlen hier die sprachlichen Kriterien für die Identifizierung des lyrischen Subjekts, aber es handelt sich höchstwahrscheinlich um einen Frauenbericht über die erfüllte Liebe. Mehr dazu: Teil 2, Kapitel 6.3. 498 Übersetzt von Kuhn. 499 Vgl. dazu: Bennewitz (1991), S. 28; (2000), S. 71.

›Frauenlied‹

139

Die Linde ist an den Zweigen zu dieser Zeit nun licht und kahl. / Mein Freund ist unfreundlich zu mir. Nun erdulde ich unverschuldetes Leid. / Es gibt so viele leichtfertige Frauen, die ihm den Kopf verdrehen.500

2. Forderung, auf andere Frauen zu verzichten: mȋn trȗt, du solt dich gelouben anderre wȋbe. (Dietmar von Eist MF 13,23) Mein Liebster, du sollst / auf andere Frauen verzichten.501

3. Klage über die Untreue des Mannes: »Ob man mit lügen die sȇle nert, sȏ weiz ich den, der heilic ist, der mir dicke meine swert. Mich überwant sȋn karger list, Daz ich in zeime vriunde erkȏs. Dâ wânde ich staete vünde. mȋn selber sin mich dâ verlȏs, als ich der werlte künde: sȋn lȋp ist alse valschelȏs sam daz mer der ünde.« (Hartmann von Aue MF 212,37) Wenn Lügen den Menschen in den Himmel bringen, / dann weiß ich einen Heiligen: / so oft schwört er mir falsch. Ich erlag seinen listigen Ränken, / so dass ich ihn mir zum Geliebten erwählte. / Da glaubte ich, Beständigkeit gefunden zu haben. / Doch hat mich mein eigener Kopf betrogen, / wie ich der Welt kundtue: / An ihm gibt es so wenig Unehrlichkeit / wie Wellen im Meer.502

Selten erscheint die Frau in den ›Frauenliedern‹ der beiden Dichtungen in der Rolle der Selbstbewussten mit fordernder Haltung: Er muoz mir diu lant rȗmen, alder ich geniete mich sȋn. (Der von Kürenberg MF 8,4) Er muss verschwinden, / oder ich will meine Lust mit ihm haben.503 »Ich lasse dich nicht zu mir, doch lasse ich dich auch nicht fliehen. Ich halte dich in diesem Zustand, bis die Morgenwolken erglühen.« (Ա/ՁԲ, 1119 – 1126, hier: 1123 – 1126)

500 501 502 503

Übersetzt von Kasten. Übersetzt von Kuhn. Übersetzt von Reusner. Übersetzt von Kuhn.

140

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Im Frauenlied (Ա/ԽԴ, 159 – 166) berichtet die Sprecherin selbst über ihre Unerreichbarkeit, die die wichtigste Eigenschaft der Frau der männlichen Werbelieder ist: Ich bin so hart, wie ein Stein, den der Hammer nicht bezwingen kann. Ich bin so hoch, wie die schwarze Wolke, zu der keine Seele dringen kann. Wer meine Liebe erreichen will, Der soll ein tapferer Held sein, der die Armbrust aus Tannenholz mit einer Sehne aus Wolfshaut schwingt. (Ա/ԽԴ, 159 – 166)

Sie erhöht sich zur ›unerreichbaren Dame‹ (Ich bin so hoch, wie die schwarze Wolke, / zu der keine Seele dringen kann), aber sie schließt die Möglichkeit nicht aus, dass der Mann sie erreichen kann und verlangt von dem Mann keine Unterordnung unter ihren Willen, sondern fordert von ihm Tapferkeit und gezielte Handlung – die mit dem Schwung der Armbrust symbolisiert wird – um die Liebe zur Frau zu erreichen. Ein ähnlicher Vorgang findet sich bei Kürenberg (MF 8,9), in dem die Frau sich »gegen die geforderte Unterordnung des Mannes unter den Willen der Minnedame und gegen das an ihn gerichtete Postulat der sexuellen Zurückhaltung«504 wendet. Im deutschen Minnesang sind neben den Frauenmonologen Frauendialoge zu beobachten, die das Gespräch zwischen Mutter und Tochter (Neidhart-Lieder) und zwischen Freundinnen (Neidharts Gespielinnen-Lieder) demonstrieren. Die Mutter-Tochter-Dialoge thematisieren »die mütterliche Einstellung gegenüber der töchterlichen Liebesbeziehung.«505 In diesen Liedern »übernimmt die Mutter die Funktion der huote, der gesellschaftlichen Kontroll-Instanz gegenüber den Liebenden im Minnesang.«506 Sie bewahrt ihre Tochter vor dem nicht erwünschten Verführer: »Neinȃ, tohter, neine! ich hȃn dich alterseine gezogen an mȋnen brüsten: nu tuo ez durch den willen mȋn, lȃz dich der man niht lüsten.« (Neidhart C 225; c 55,4) »Nein, Tochter, und nochmals nein! / Ich habe dich ganz allein / an meinem Busen aufgezogen. Nun laß es um meinetwillen, sei nicht hinter den Männern her.«507

Obwohl direkte Mutter-Tochter-Gespräche in den hayrenner fehlen, lässt sich die gesellschaftliche Kontrollfunktion der Mutter gegenüber den Liebenden in 504 505 506 507

Kasten (2005), S. 589. Koller (2000), S. 106. Bennewitz (1996), S. 17. Übersetzt von Kasten.

›Frauenlied‹

141

Männerliedern und Dialogliedern beobachten. Die Mutter des Mädchens wird als Schlange bezeichnet, die die Tochter von der Liebesbeziehung zurückhält: Ich irrte mich und liebte die Tochter einer Schlange. Umsonst ging ich mit voll Vertrauen zu ihr nach Hause. Da biss die Schlangenmutter gleich zu und ich weinte vor Schmerzen. Die Tränen geschehen mir recht, wer liebt die Tochter einer Schlange? (Բ/ԺԳ, 77 – 84)

In diesem männlichen Klagelied ist die Mutter als Schlange dargestellt. Wie Adam und Eva der Versuchung nachgegeben und wegen der Schlange das Paradies verloren hatten (Genesis 3,1), so verliert das lyrische Ich wegen der Schlange-Mutter das Liebesparadies. Es stellt gleichzeitig auch die eigene Machtlosigkeit fest: Die Tränen geschehen mir recht, / wer liebt die Tochter einer Schlange? In zwei Liedern finden sich Gespräche zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter (hayren Դ/ԻԱ, 85 – 100) und zwischen Freundinnen (hayren Ա/ԽԷ, 93 – 100). Bei den Gesprächen zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter geht es um den Sohn der Schwiegermutter und den Ehemann der Schwiegertochter. Dieses Lied zeigt das Leid und die Klage der jungen Schwiegertochter über die Trennung vom geliebten Ehemann und nicht das Verhältnis der beiden Frauen zueinander: Die Winde des Hochgebirges stiegen herab, stießen die Haustür auf. Die neu vermählte junge Braut eilte zur Tür und öffnete sie. Ihr Mann war nicht an der Tür, traurig kehrte sie zurück. Die Schwiegermutter fragte die junge Braut: »Schwiegertochter, wo hast du Schmerzen?« »Mutter, aus Liebe zu deinem Sohn schmerzt es mich überall am Körper.« »Weine nicht, mein junges Bräutchen, ich werde einen Zauberspruch tun, um meinen Sohn heimkommen zu lassen.« »Wenn es dir gelingt, deinen Sohn heimholen zu können, sollst du des heiligen Scheines Gottes würdig sein. Wenn der Zauberspruch nicht gelingt, dann verfluche ich dich, damit du dich in einen Stein verwandelst.« (Դ/ԻԱ, 85 – 100)

142

Vergleiche der einzelnen Gattungen

In der Frauenstrophe Ա/ԽԷ, 93 – 100 ist die Rede der Frau eine an eine andere Frau gerichtete Frage, wobei die erste Frau, während sie die Frage stellt, über ihr eigenes Schicksal und den Schmerz der Trennung klagt: »Warum bist du so blass geworden und siehst so schlecht aus? Ist dein Sohn gestorben? Oder ist er in ein fremdes Land ausgewandert? Wenn ich weine, habe ich einen Grund dafür, weil ich weiß, was ich verloren habe. Mein Geliebter, meine Seele ist weggegangen, ohne Seele bin ich zurückgeblieben.« (Ա/ԽԷ, 93 – 100)

Wie in ›Frauenliedern‹ des Minnesangs vermittelt der Sänger auch in ›Frauenliedern‹ der hayren-Dichtung das Fühlen und Verhalten der Frau aus der Wunschperspektive des werbenden Mannes. Er entwickelt ein Frauenbild, dem er eigene Gefühle, Hoffnungen, Wünsche und Leidenschaften unterlegt. In ›Frauenliedern‹ geht es vor allem um die erfüllte Liebe. Das Liebespaar ist aber wegen der feindlichen Gesellschaft oder der räumlichen Ferne getrennt. Die Frau klagt über den Schmerz der Trennung. Sie stellt die beiden Gefühle gegenüber: Wenn das Weggehen des Mannes traurig und schmerzhaft ist, so bringt seine Rückkehr viel Freude mit. Die Frau lobt die äußeren und inneren Qualitäten des Mannes. Sie steht allein gegen die Liebesfeinde (lügenaere, merkære und huote im Minnesang, neidische Leute und Lügner in der hayren-Dichtung), die als Repräsentanten der gesellschaftlichen Moral figurieren. Die Sprecherin beteuert, trotz aller Hindernisse an der Liebe und an dem geliebten Mann festzuhalten. Sie verführt, spricht offen von Wünschen ihres Herzens. Sie ist erreichbar und sie berichtet selbst über die Liebeserfüllung. Einen großen Unterschied zwischen den Frauenliedern des frühen Minnesangs und der hayren-Dichtung bildet das Motiv der ›Untreue des Mannes‹. In den hayrenner fehlen die Frauenberichte über die Treulosigkeit des Mannes. Damit ist der Mann im armenischen Frauenlied derjenige, der treu ist und liebt. Die Frau der hayrenner wird nicht durch die Untreue des Mannes gekränkt. Sie fordert zwar vom Mann, an der Liebe festzuhalten, aber sie klagt nicht über seine Treulosigkeit. Die Frau im armenischen Frauenlied ist eine liebende, aber nicht betrogene Frau, im Unterschied zur frouwe der frühen deutschen Minnelyrik, die eine betrogene Liebende ist. Das Motiv der ›Untreue des Mannes‹ fehlt auch in Frauenliedern Reinmars, wo »der Mann, von dem die Frau spricht, mit dem lyrischen Ich der Männerlieder Reinmars identisch [ist]«508 Das Fehlen des Untreue-Motivs führt dazu, dass in armenischen Frauenliedern auch das Rivalinnen-Motiv fehlt. Während sich im Minnesang die Frau Sorgen macht, der Mann wende sich einer anderen Frau, 508 Kasten (1987), S. 134.

›Frauenlied‹

143

einer ›Rivalin‹, zu und sich durch die Eifersucht anderer Frauen bedroht fühlt, ist die Liebe der Frau in hayrenner durch die Konkurrenz der anderen Frauen nicht bedroht, sondern durch die Hindernisse der gesellschaftlichen Normen. Ein ähnliches Vorgehen lässt sich auch in den Frauenliedern Reinmars beobachten. Die Frau in Reinmars Frauenliedern schwankt zwischen Liebe und Ehre: Sie möchte zwar die Liebe des Mannes erwidern, tut es aber wegen Sitten und gesellschaftlichen Normen nicht.509 Sie überlegt die Liebe des Mannes abzuweisen, ›niht durch ungevüegen haz, wan durch mȋnes lȋbes ȇre‹ (Reinmar 186,27). In den hayrenner wird die Klage der Frau durch das Zusammentreffen von gesellschaftlicher Moral und persönlicher Neigung hervorgerufen. Die Befürchtung, dass die Liebe ihren guten Ruf und Namen ruiniert, bringt sie zu dem Gedanken, dass sie als Liebende nur Nachteile von der Liebe hat: Sie bleibt schamlos und verlogen / mit ruiniertem Ruf und Namen (Ա/ՁԳ, 988 – 995, hier: 994 – 995). Der innere Konflikt endet aber mit der Entscheidung für die Liebe, die sie als hohen Wert erkennt. Das ist aber keine freie Liebe, sondern sie soll den gesellschaftlichen Normen angepasst werden, das heißt: Die Liebe soll geheim bleiben. Der Mann erscheint in den Frauenliedern des Minnesangs und der hayrenDichtung meistens vollkommen und vorbildlich (Reinmar MF 193,1; hayren Դ/ Գ, 249 – 252); der Beste, dem keiner gleich ist (Reinmar MF 200,1; hayren Դ/Գ, 247 – 248) sowie vollkommen in der Redekunst (Reinmar MF 187,21; hayren Թամ., 599). In Frauenliedern der hayren-Dichtung nennt die Frau ihn ›lieber Mann‹, ›Geliebter‹, ›mein Held‹ und ›meine Seele‹. In Frauenliedern des Minnesangs ist der Mann mit Attributen ›hübsch‹ (Kürenberg MF 7,1), ›schœn‹ (Kürenberg MF 7,1), ›guot‹ (Reinmar MF 186,37), ›liep‹ (Reinmar MF 186,37), ›sælic‹ (Reinmar MF 168,25) gepriesen. Er ist der ›liebe friunt‹ (Kürenberg MF 7,1)› mȋn trȗt‹ (Dietmar MF 13,23), helt (Dietmar 37,25), friedel (Walther L 39,22) und ritter (Kürenberg MF 7,21).510

509 Ebd., S. 136 – 140. 510 Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 194.

144

Vergleiche der einzelnen Gattungen

6.

Tagelied

6.1

Zum Gattungsbegriff ›Tagelied‹

In der Liebeslyrik poetisieren die Tagelieder den Schmerz, den ein Liebespaar bei Tagesanbruch nach einer Liebesnacht empfindet.511 Der Inhalt des Tageliedes ist Trennung und Abschied der Liebenden bei Anbruch des Morgens nach einer heimlich verbrachten gemeinsamen Nacht. Der Tagesanbruch wird durch Morgendämmerung, Sonnenaufgang und Vogelgesang symbolisiert. In der Troubadourlyrik und im Minnesang tritt als Morgenverkünder der Wächter hinzu, der nicht nur durch ein Morgenlied oder durch einen Hornruf den Anbruch des Tages darstellt, sondern auch die Rolle des Hüters und Warners der Liebenden übernimmt.512 Die vergleichende Forschung hat Tagelieder aus verschiedenen Ländern zusammengestellt, wie z. B. die Textsammlung Arthur T. Hattos mit dem Titel »Eos. An Enquiry into the Theme of Lovers’ Meetings and Partings at Dawn in Poetry« (1965). Die ›Tageliedsituation‹ ist, wie seine Studien zeigen, in verschiedenen Kulturen und Literaturen existent: »Alba- oder tageliedartige Gedichte lassen sich anscheinend einzeln oder als Vertreter geprägter Gattungen schriftlich oder mündlich in der Weltliteratur mit zeitlichen und räumlichen Lücken seit dem 13. Jahrhundert vor Christi Geburt (in Ägypten) bis zur Gegenwart auffinden […].«513

Das Tageliedmotiv als erotisches Grundmotiv hat zur These geführt, dass es sich beim Tagelied um einen lyrischen Archetyp handelt (Prosepo Saiz, Jonathan Savillie, G.T. Wright),514 A. T. Hatto hat jedoch »die Monogenese aller Tagelieder der Welt entschieden abgelehnt«515 mit der Begründung, dass »verschiedene Typen wiederholt im Einklang mit der poetischen Tradition und gesellschaftlicher Funktion der Lieder ›spontan‹ entstehen«516 können. Grundsätzlich ist bei der Entstehung der Gattung ›Tagelied‹ mit einer Polygenese zu rechnen,517 wobei »bestimmte Verhaltensnormen und erotische Tabus Voraussetzungen für das Entstehen der Tageliedthematik [sind]«.518 Hatto zeigt, dass die einfache Ähnlichkeit im Grundthema nicht ausreicht, um historische Abhängigkeiten zu beweisen. Seine vergleichenden Studien folgen 511 512 513 514 515 516 517 518

Wolf (1992), S. 11. Vgl. dazu: Schweikle (1995), S.137. Hatto (1962), S. 490. Vgl. dazu: Beloiu-Wehn (1989), S. 8 – 9. Hatto (1962), S. 494. Ebd. Wolf (1992), S. 11. Ebd.

Tagelied

145

daher zwei Grundrichtungen. Sie dienen dem Zweck, »[…] jede geschichtliche Tageliedüberlieferung bis auf ihre früheste fassbare Äußerung zurückzuverfolgen, Brücken zwischen solchen Überlieferungen aber nur da anzunehmen, wo zwingende Gründe vorliegen, und es sonst dabei zu belassen, andererseits die Ab- und Unterarten sorgfältig zu sichten, um mögliche ›Ursprünge‹ (das Wort kann nur relativ sein) je nach Sinn und Funktion herauszuarbeiten.«519 Die Gattung ›Tagelied‹ hat im deutschsprachigen Raum immer wieder Analysen und Darstellungen herausgefordert. Seit mehr als hundert Jahren beschäftigt sich die Forschung mit dem Tagelied, und es sind zu diesem Thema zahlreiche Studien erschienen.520 Die erste Beschäftigung mit dem Tagelied als literarischer Gattung lässt sich, wie Hatto im Vorwort zu seiner Anthologie zeigt, bis ins 17. Jh. zurückverfolgen.521 Der Terminus tageliet / tagewîse als Gattungsbezeichnung findet sich bereits in der mhd. Literatur, z. B. bei Ulrich von Liechtenstein (Frauendienst, Str. 1633) und bei Reinmar dem Fiedler (KLD 45, III).522 In der mhd. Lyrik erscheint das Wort tageliet zum ersten Mal um 1200 bei Walther von der Vogelweide (L 89,35; 90,10). Die Wortvariante tagewȋse begegnet zum ersten Mal um 1200 bei Wolfram von Eschenbach (L 6,11). In einem mittelalterlichen Predigtentwurf zum Fest der unschuldigen Kinder vom Ende des 13. Jahrhunderts begegnet taglied als Übersetzung des lateinischen Begriffs canticum vigilancium.523 In der Literatur des armenischen Mittelalters ist die Bezeichnung ›Tagelied‹ nur im Kontext der geistlichen Lieder überliefert.524 Zwar findet sich bei manchen tageliedartigen hayrenner das gattungsbestimmende Kennwort »Լոյսն առաւօտուն« (Loysn ar˙awotown, Morgenlicht, Morgendämmerung) am Anfang »Այս առաւօտուս լուսուն« (Ays ar˙awotows lowsown, in dieser Morgendämmerung) oder am Ende der Strophe »Մինչ որ գա լոյսն առաւօտուն« (Mincˇ’ vor ga loysn ar˙awotown, bis die Morgendämmerung kommt), allerdings erscheint das Wort als poetischer Gattungsbegriff in der weltlichen Liebeslyrik des mittelalterlichen Armeniens nicht. Erstmals wurden die tageliedartigen hayrenner in Hattos Sammung »Eos« zusammengestellt, die aber nicht vollständig 519 Hatto (1962), S. 494. 520 Siehe vor allem Schläger (1895); Kochs (1928); Nicklas (1929); Wapnewski (1970); Knoop (1976); Wolf (1979), Müller (1971); Mertens (1983); (1988); Beloiu-Wehn (1989); Cormeau (1992) 521 Die Beschäftigung mit diesem Thema begann mit Addisons Spectator (1712); Scheffers Lapponia (1673); Kelchs Liefländischer Historia (1963); Philipp Ruhigs Betrachtung der Littauischen Sprache (1745); Lessings Brief zu dem Beitrag von Ruhig (1759) und Herders Alten Volksliedern (1774). Siehe Hatto (1965), S. 17. 522 Vgl. Schweikle (1995), S.137; Müller (1980), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, S. 345. 523 Vgl. Schweikle (1995), S. 137. 524 Երգ առաւօտու (Erg ar˙awotow) in ˇsarakanner.

146

Vergleiche der einzelnen Gattungen

sind. Das Kapitel »Tagelieder in der hayren-Dichtung« widmet sich daher dem Versuch, sowohl Tagelied-hayrenner nach der oben angegebenen Definition als auch tageliedartige hayrenner und Antitagelieder zusammenzustellen und mit mhd. Tageliedern zu vergleichen.

6.2

Motive des Tagwerdens, des Lichts und der Finsternis in der armenischen geistlichen Literatur

Die Anzahl der Tagelieder in der mittelalterlichen armenischen Literatur ist gering. Tagelieder spielen in der weltlichen armenischen Liebeslyrik eine bescheidene Rolle, die sich mit der Bedeutung der geistlichen Tagelieder, insbesondere mit geistlichen Morgen- und Weckhymnen, nicht vergleichen lässt. Daher gehe ich zunächst der Geschichte der Motive des Tagwerdens, des Lichtes und der Finsternis der armenischen geistlichen Literatur nach, um herauszuarbeiten, wie weit diese Motive dort verbreitet waren. Nachdem der Mönch Mesrop Masˇtoc’ (etwa 360 – 440) ein eigenes Alphabet entwickelt hatte, begann er, mit seinen Schülern die Heilige Schrift zu übersetzen. Die Bibel bildete den Mittelpunkt der geistlichen armenischen Literatur, die immer wieder die biblischen Themen aufgriff. Aus dem Alten Testament waren das Buch der Psalmen, das Buch der Sprichwörter, das Buch Kohelet und das Hohelied besonders beliebt. Im Jahr 977 verfasste Grigor Narekac’i (950 – 1003) seinen berühmten »Kommentar zum Hohenlied Salomos«, wozu er vom König von Vaspurakan, Gowrgen Arcrowni, den Auftrag erhalten hatte. Narekac’i wollte den Auftrag zuerst ablehnen aus der Angst, das Hohelied nicht der Heiligen Schrift angemessen deuten zu können, »weil es eine Sünde ist die Heilige Schrift mit fremden Deutungen zu verfälschen«525 Agat’angełos (4. Jh.) berichtet in seiner Arbeit »Armenische Geschichte« über das Leben des ersten Katholikos aller Armenier, Grigor Lowsavoricˇ’ (Erleuchter), und über seine Deutungen des Hohenliedes: »Und wer ist die Braut, wenn nicht die Kirche der Heiden, und wer ist der Bräutigam, wenn nicht Jesus Christus, der Gottessohn, der vom Himmel herabstieg und die volle Anbetung gewann. Und was sind die vollen Brüste, wenn nicht Gottes Testamente, die Unwissende mit geistlicher Milch der Wissenschaft stillen.«526 525 Łazinyan (2005), S. 564. 526 Եւ ո՞վ իցէ Հարսն, եթէ ոչ եկեղեցի հեթանոսաց. կամ՝ ո՞վ իցէ Փեսայն, եթէ ոչ Յիսուս Քրիստոս՝ Որդին Աստուծոյ, որ էջ յերկնից եւ նուաճեաց զամենայն յերկրպագութիւն Հօր։ Եւ զի՞նչ իցեն երկու առատ ստինքն, եթէ ոչ Կտակարանքն Աստուծոյ, որ արբուցանեն զամենայն տգէտս հոգեւոր կաթամբն գիտութեան։ Agat’angełos (1983), S. 242.

Tagelied

147

Innerhalb der geistlichen armenischen Dichtung wurde die allegorische Deutung des Hohenliedes von frühchristlichen und mittelalterlichen Dichtern immer wieder aufgegriffen. Um nur ein Beispiel zu nennen, zitiere ich aus einem geistlichen Lied von Narekac’i: Սեաւ եմ, գեղեցիկ Դուստր Եւայի Երուսաղէմ. Ահա նա՛, հարսն իմ ցանկալի՝ Սիրով կապեալ ընդ փեսային։527 Ich bin dunkel und schön, die Tochter von Eva Jerusalem. Da ist sie, meine erwünschte Braut, die mit dem Bräutigam in der Liebe verbunden ist.

In der christlich-religiösen Literatur bekamen Licht und Finsternis, Tag und Nacht neue Deutungsmöglichkeiten:528 Gott wurde als Quelle des Lichtes verstanden. Er hat das Licht geschaffen und von der Finsternis getrennt: Աստված յաւիտենական, բարերար եվ ամենակալ, Ստեղծիչ լուսոյ եւ յաւրինիչ գիշերոյ, Կեանք՝ ի մահու եւ լոյս՝ ի խաւարի, Յոյս ակնունողաց եւ երկայնմտութիւն տարակուսելոց:529 Unser ewiger, barmherziger und allmächtiger Gott, Schöpfer des Lichtes und Zerstörer der Finsternis, Leben im Tod und Licht in der Finsternis, Hoffnung der Hoffenden und Geduld der Zweifelnden.

Interessanterweise bedeutet das Wort լոյս (loys, Licht) im Armenischen, das in sich eine göttliche Eigenschaft enthält, auch Freude. Bei Hochzeit und Geburt gratuliert man mit den Worten »աչքդ լոյս« (acˇ’k’d lays, Licht sei in deinem Auge / dein Auge sei im Licht). Der Beglückwünschte antwortet: »լուսի կենաս« (lowsi kenas, Mögest du im Lichte bleiben).530 Auch Jesus Christus als Gottessohn wurde mit ähnlichen Begriffen wie »Licht« und »Sonne« gepriesen, die jeweils den Menschen aus seinem Sündenschlaf erweckt. Die Evangelien erzählen über die Verklärung Christi: »Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.« (Mt.17,2). In einer Hymne, in der die Verklärung Christi besungen wird, wird er als lehrendes Licht gepriesen:

527 Text nach: Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Grigor Narekac’i, S. 97. 528 Hier wird insbesondere Bezug genommen auf die folgende Arbeit: Wolf (1992), S. 19 – 25. 529 Narekac’i (1985), S. 637. 530 Vgl dazu: Abełyan (1975), S. 492.

148

Vergleiche der einzelnen Gattungen

»Լերան վերայ այլակերպուելով՝ ցույց տուեցիր Քո աստուածային զօրութիւնը, Քեզ փառաւորում ենք, ով իմանալի լոյս:«531 Mit deiner Verklärung auf dem Berg hast du deine göttliche Kraft gezeigt, wir verehren dich, o lehrendes Licht.

Während Gottes Wort das Licht schuf und Spender des Lichtes ist, verkörpert Christus das Licht des angebrochenen Tages und führt nach der nächtlichen Finsternis, das heißt, von den Sünden und der Unwissenheit, zum wahren Licht führt. Աղբիոր լուսոյ և ճառագայթ անշիջանելի լոյս, Որ լուանալ յանձն առեր ըոտս աշակերտացն, Մաքրեա՛ ի մէնջ զմէգ խաւարին խորհրդոյ Եւ լուսաւորեա ՛զմեզ:532 Quell des Lichtes und Strahl, unauslöschliches Licht, der du zu waschen auf dich nahmst die Füße der Schüler, reinige uns vom Dunst der Finsternis geheimen Rates und erleuchte uns.533

Jesus ist aber nicht nur das Licht, sondern auch der Vogel, der das Licht ankündigt und zum Aufstehen auffordert. Im folgenden Lied symbolisiert der Vogel Jesus, der den neuen Tag ankündigt und die Heiden als neues Volk zur Hochzeit einlädt: Հաւո՜ւն, հաւո՜ւն արթնացեալ՝ դիտելով զհեթանոսս, Ձայնէ՜ր, ձայնէ՜ր տատրակին՝ սիրասնունդ սիրելւոյն. -Դարձիր, դարձիր, Սոմնացիդ, ընդ վիմին հովանեաւ, Ե՛կ, հարսնուհիդ, ի լերանց ընծուց, ի դաշտաց այծեմանց:534 Der Vogel, der Vogel aufgewacht, erspäht die Heiden. Ruft er, ruft er die Lerche, die liebe Geliebte: »Komm zurück, komm zurück, du Frau aus Saba, begib dich unter den Schutz des Felsens. Komm, du Braut aus den Bergen, aus den Feldern von Gemsen und Steinböcken.535

531 Text nach: Manukyan (1969), S. 178. 532 Text nach: Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Sahak Part’ev, S. 34. 533 Übersetzt von Golz und Drost-Abgaryan. 534 Text nach: Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Grigor Narekac’i, S. 101. 535 Übersetzt von Golz und Drost-Abgaryan.

Tagelied

149

Die Liebesbeziehung ist hier zwischen Vögeln gedacht, die die Kirche / Christus und die Heiden symbolisieren. In den geistlichen Liedern und Hymnen ist neben den Schilderungen des Tagesanbruchs auch der Weckruf besonders wichtig, der nicht nur durch Christus als geistlichem Vogel, sondern auch durch geistliche Wächter stattfindet.536 Der mahnende Weckruf richtet sich in diesem geistlichen Lied an die schlafenden Menschen, die nicht verschlafen dürfen, weil das Sonnenlicht da ist. Զարթի՛ք, փառք իմ, զարթի՛ք. Եւ ես զարթեայց առաւօտուց. Ալէլուիա՜:537 Steht auf, mein Ruhm, steht auf. Ich bin auch aufgestanden am Morgen. Halleluja

Diese Beispiele zeigen, dass die geistliche Literatur des armenischen Mittelalters mit Motiven und Bildern der Tageliedsituationen angefüllt ist.

6.3

Tagelieder in der Liebeslyrik des mittelalterlichen Armeniens

Ich komme nun zu meinem eigentlichen Thema, dem armenischen weltlichen Tagelied. Obwohl in der geistlichen Literatur die Tageliedmotive verbreitet waren, liegen der Grundsituation des weltlichen Tageliedes – die Trennung und der Abschied eines Liebespaares bei Tagesanbruch nach einer heimlich verbrachten Nacht – je nach Strenge der Definition etwa 5 – 9 hayrenner zugrunde. Ich fange mit einem Lied an, das alle festen Strukturelemente eines Tageliedes in sich hat: der Tagesanbruch durch den Sonnenaufgang, die beiden Liebenden, der Abschied und die Trennung: Sobald der Himmel und die Erde kündeten, dass das erste Tageslicht kommt, löste sich meine Geliebte (mein Geliebter) von mir und machte sich bereit zu gehen. Ich breitete meine Arme lang und versuchte, sie (ihn) zurückzuhalten, aber sie (er) antwortete: »Ich kann nicht bleiben, ich muss gehen.« (Ա/ԽԷ, 187 – 194)

536 Vgl dazu: Wolf (1992), S. 24. 537 Text nach: Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Nerses Sˇnorhali S. 257.

150

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Nach der oben gegebenen Definition kann man dieses hayren als Tagelied bezeichnen. Das Geschlecht des lyrischen Subjekts lässt sich weder nach sprachlichen Kriterien, noch nach inhaltlichen Kriterien genau bestimmen. Es scheint mir jedoch wahrscheinlicher, dass es sich hier um ein weibliches lyrisches Subjekt handelt. Denn in den Tageliedern ist es normalerweise der Mann, der die Frau besucht (vergleiche auch: hayren ԱԽ/է 73 – 82). Außerdem ist es in der Regel der Mann, der angesichts des drohenden Tagesanbruchs zum Aufbruch drängt. Das zweite Tagelied wird in der armenischen Forschung ebenfalls sowohl als Frauenmonolog, andererseits aber auch als ein Männerlied interpretiert. O Nacht, sei lang, ohne Ende, sei ein Jahr, wenn du kannst. Mein Geliebter (meine Geliebte) kam zu mir, es schien mir, ich habe ihn tausend Jahr nicht gesehen. O du, Morgenlicht, zögere, störe nicht unsere Spiele. Wenn du kommst und dein Licht bringst, trennst du mich von meinem (meiner) Geliebten. (Ա/Կ, 65 – 72)

Zwar fehlen auch hier die sprachlichen Kriterien für die Identifizierung des lyrischen Subjekts, aber es ist höchstwahrscheinlich eine Frau, die die Nacht bittet, länger zu bleiben, und das Morgengrauen, nicht zu kommen. Im Gegensatz zu Klage- und Werbeliedern der hayren-Dichtung geht es hier um eine erfüllte Liebe. Der Sänger lässt die liebende und klagende Frau offen über ihre Liebe und Angst vor der Trennung sprechen, um die Gleichheit und Austauschbarkeit in der erfüllten Liebe zu betonen. Der Tagesanbruch wird in zwei hayrenner durch das Krähen des Hahnes verkündet. Wegen seines morgendlichen Schreis und roten Kammes ist der Hahn ein Morgen- und Lichtsymbol. Die Antike kannte ihn einerseits als Sonnentier, das mit seinem Krähen den Tagesanbruch ankündigt, andererseits als Zauberund Opfertier für die unterirdischen Mächte.538 Im armenischen Volksglauben genießt der Hahn als Morgenverkünder und als heiliges Opfertier eine gewisse Achtung. Während der Mensch schläft, sieht der Hahn die Schutzengel und alle bösen Geister. Ihm wird zugeschrieben, mit seinen Krallen böse Krankheitsgeister vertreiben zu können. »Als ein zweiter Verkünder des Tages gilt der Hahn […]. Zuerst kräht der himmlische Hahn, und die Engel fangen darauf im Paradies ihre Lobgesänge an. Dies hört der irdische Hahn, weckt die Menschen und preist selbst den Schöpfer. Er sieht auch jeden Morgen, wie sich die Himmelspforten öffnen […]. Daher lässt er öfter während des Sonnenaufgangs seine Stimme ertönen.«539 538 Knaurs Lexikon der Symbole (1989), S. 175. 539 Abełyan (1975), S. 490.

Tagelied

151

Allerdings wird in den folgenden zwei hayrenner das Motiv der »Verwünschung des Hahnes durch die Liebenden« ausgearbeitet, da er mit seinem »unzeitigen« Krähen die Morgendämmerung und damit das Ende der heimlich verbrachten gemeinsamen Nacht ankündigt. Meine Liebe ist verflucht. In dieser Nacht bin ich einer halber Mensch geworden. Der Hahn hat mir meine Seele, meinen Atem genommen. Man muss den Hahn töten, der unzeitig gekräht hat. Mein Herzenstraum war unerfüllt, da hat es gedämmert. (Ա/ԾԱ 75 – 82)

Mit Ankündigung der Morgendämmerung hat der Hahn »schuld« an der Trennung der Liebenden. Im folgenden hayren geht es aber nicht nur um die klassische Klage über die Trennung bei Tagesanbruch, sondern es geht, trotz beendeten Glückes wegen »unzeitigem« Krähen des »verfluchten« Hahnes, um eine intensive Darstellung des Sieges, den das Liebespaar zusammen erreichen kann: Wir haben uns umarmt, als der verfluchte Hahn gekräht hat. Messer und Spieß für diesen Hahn und Feuer, dass man ihn grillen kann. Wir nehmen ihn auf die Berge und in viele Stücke teilen wir ihn. In viele Stücke teilen wir ihn, meine Geliebte und ich essen ihn. (Գ/Դ, 12 – 22)

Der Hahn wird nicht nur getötet, sondern auch gegessen, und ist damit für immer verschwunden. Das gemeinsame Verspeisen des Hahnes durch das Liebespaar symbolisiert den sicheren Sieg der Liebe. Im »Lexikon der Symbole« steht: »Es hieß, dass […] der Genuß von Hoden des Hahnes erotisierend wirke und eine Frau zur Geburt von Knaben veranlasse.«540 Der Genuss des Hahnes durch das Liebespaar kann in diesem Lied als erotischer Akt gedeutet werden. Der Hahn wird aber nicht zu Hause gegessen, sondern das Liebespaar nimmt ihn mit auf die Berge, weit weg von der Gesellschaft und damit auch weit weg von den gesellschaftlichen Normen.541 In einem hayren erscheint als Morgenverkünder der Muezzin, der die fremde Herrschaft andeutet. Für den Liebenden gibt es nichts Schlimmeres, als den Schmerz der Trennung von der Geliebten, deswegen zittert er, wenn der Muezzin 540 Knaurs Lexikon der Symbole (1989), S. 175. 541 Für die Hinweise zur Interpretation dieses Liedes bedanke ich mich bei Herrn Prof. Mertens.

152

Vergleiche der einzelnen Gattungen

zur Moschee ruft. Für ihn spielt die religiöse Bedeutung dieses Rufes keine Rolle. Es geht nur darum, dass der Muezzin, wenn er zur Moschee ruft, gleichzeitig auch die Morgendämmerung ankündigt: In dieser Welt hat der Liebende die große Versuchung. Wenn der Muezzin zur Moschee ruft, zittert der Liebende. Mullah, hör auf zu rufen, wir wissen, dass es dämmert. Ich bitte Gott, dass er meine Leiden auf dich abwälzt. (Ա/ԽԲ, 69 – 76)

Wie A.T. Hatto bemerkt, erscheint in der von ihm herausgegebenen Sammlung der Muezzin als Wecker nur zweimal, im oben genannten hayren und in einem Tagelied aus dem Balkan.542 In sechs hayrenner ist »լոյսն առաւօտուն« (loysn ar˙awotown, Morgenlicht, Morgenröte) ein gattungsbestimmendes Kennwort, womit die Zeilen »Մինչ որ գա լոյսն առաւօտուն« (Mincˇ’ vor ga loysn ar˙awotown, bis das Morgenlicht kommt) am Ende der Strophe und »Այս առաւօտուս լուսուն« (Ays ar˙awotows lowsown, in dieser Morgendämmerung) am Anfang der Strophe gebildet werden. Die am Anfang des Liedes stehende Zeile bezeichnet den Zeitpunkt, an dem die Natur aufwacht [In dieser Morgendämmerung / höre ich das Zwitschern der Frühlingsvögel (Թամ., 553); In dieser Morgendämmerung / höre ich das Wasser rauschen (Թամ., 572a)]. Die am Ende des Liedes stehende Zeile »bis die Morgendämmerung kommt« bezeichnet die Grenze, bis zu der das heimliche Liebesspiel dauern darf: Komm zu mir, ich nehme dich auf meinen Schoß, / bis die Morgendämmerung kommt. (Թամ., 535) In den hayrenner mit dem Kennwort »լոյսն առավօտուն« (loysn ar˙awotown, in dieser Morgendämmerung) am Anfang der Strophe findet die Handlung zwar in der Morgendämmerung statt, in ihnen empfängt der Liebende das Tagwerden aber nicht mit der Geliebten, sondern allein. In diesem Fall wird der Tagesanbruch positiv empfunden, weil das Liebesspiel vom Wiedererwachen der Natur nicht mehr gestört wird. Im Gegenteil: Das lyrische Ich ersehnt den Morgen nach einer schlaflosen und einsamen Nacht. Er freut sich, wenn die Nacht endlich vorbei ist und der Morgen kommt. Das Erwachen der Natur ist mit der Liebe assoziiert, erinnert an die Geliebte. In diesem Fall sind es die Vögel, die den Morgen verkünden. Sie sind nicht mehr Feinde, sondern Zeugen der großen Liebe, über die sie singen:

542 Hatto (1962), S. 503.

Tagelied

153

In dieser Morgendämmerung höre ich das Zwitschern der Frühlingsvögel. Meine kleinen Vögel, eine bessere Stimme als eure hat keiner. Es gibt einen Vogel, den nennt man Nachtigall. Er singt immer über die Liebe, seine Stimme habe ich gehört, die Tränen laufen aus meinen Augen. (Թամ. 553)

Das Zwitschern der Frühlingsvögel mildert den Schmerz des Liebenden, weil die Vögel über die Liebe singen und ihn verstehen können. Das gleiche Motiv, »das Lindern des Schmerzes durch Vogelgesang« – wenn man am Morgen allein aufsteht – findet man bei Reinmar: Iemer an dem morgen Sô troest mich der vogel sanc. Mir enkome ir helfe an der zȋt, mir ist beidiu winter und der sumer alze lanc. (Reinmar der Alte MF 155,1) Möge mich in Zukunft am Morgen immer der Gesang der Vögel trösten. Kommt ihre Hilfe nicht rechtzeitig, so erscheint mir sowohl der Winter als auch der Sommer viel zu lang.543

Das Wiedererwachen der Natur wird im folgenden hayren durch Wasserrauschen symbolisiert, das nicht nur an die Stimme der Geliebten erinnert, sondern eine Gelegenheit für die Minneklage darstellt. Das lyrische Ich kann von ganzem Herzen lieben, hat es doch die Nacht allein verbracht, und die, die »nur schwach lieben können«, sind mit ihrer Geliebten im Bett: In dieser Morgendämmerung höre ich das Wasser rauschen. Keine hat eine so schöne Stimme wie meine untreue Geliebte. Jene, die nur schwach lieben können, sind mit Geliebten in ihren Betten. Sie küssen sich, und den nächsten Kuss sparen sie für die nächste Nacht. (Թամ. 572)

Das lyrische Ich ist überzeugt, dass niemand so vollkommen in der Liebe ist, wie es selbst, trotzdem muss es die Nacht allein verbringen und darunter leiden, weil seine untreue Geliebte nicht bei ihm ist. Reinmar beklagt auch, dass die Liebe ihre Gaben so verteilt hat, dass er nur den Schaden hat und keine Treue von seiner Geliebten erfährt:

543 Übersetzt von Backes.

154

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Diu liebe hȃt ir varnde guot geteilet sô, daz ich den schaden hȃn. des nam ich mȇr in mȋnen muot, danne ich ze rehte sollte hȃn getȃn. Und ist ienoch von mir vil unverlȃn, swie lützel ich der triuwen mich anderhalp entstȃn. sȋ was ie mit vröiden und lie mich in den sorgen sȋn. alsô vergie mich diu zȋt. ez taget mir leider selten nȃch dem willen mȋn. (Reinmar der Alte MF 155,38) Die Liebe hat ihre Gaben so verteilt, dass ich den Schaden habe. Ich nahm mir mehr davon zu Herzen, als ich eigentlich hätte tun sollen. Und immer noch gebe ich nicht auf, wie wenig an Treue ich auch von ihrer Seite wahrnehme. Sie war immer glücklich und ließ mich leiden. So ging die Zeit an mir vorüber. Leider bricht für mich nie ein Tag so an, wie ich es mir wünsche.544

Die ursprüngliche Situation des Tageliedes – der Abschied und die Trennung der Liebenden beim Tagesanbruch – ist in den oben aufgeführten zwei hayrenner nicht mehr enthalten. Von gewöhnlichen Tageliedern sind nur die Beschreibung des Erwachens der Natur am frühen Morgen und das zentrale Wort »լոյսն առաւօտուն« (loysn ar˙awotown, Morgenlicht, Morgenröte) geblieben. Damit erfüllen sie zwar das formale Kriterium, beschreiben aber inhaltlich nicht die übliche Tageliedsituation. Im Gegenteil: Der Sänger ist allein in der Nacht und er wünscht den Morgen herbei. Der Vogelgesang, der in den Tageliedern unerwünscht, störend ist, tröstet hier. In der deutschen Mediävistik wurden diese Lieder, die die Klage über die lange Nacht und den so spät kommenden Morgen beinhalten bzw. die Klage darüber, dass kein Anlass zum Singen eines Tageliedes besteht, als Antitagelieder bezeichnet.545 Analog zu dieser Definition kann man die oben geführten hayrenner als Antitagelieder bezeichnen. In einem weiteren Antitagelied wird die folgende Situation beschrieben: Nachdem der Sprecher seine Geliebte verlassen hat, weint er und vermisst sie. In der Nacht kann er nicht schlafen und ersehnt den anbrechenden Morgen, der seine Qualen beendet: Die Seele meiner Seele, meine Geliebte! Als ich von dir weg war, hat meine Seele meinen Körper verlassen, der Tod hat mich empfangen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend weinte ich und sehnte mich nach dir.

544 Übersetzt von Backes. 545 Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 139; Müller (1971), S. 456.

Tagelied

155

In der Nacht, bis es tagte, konnte ich nicht schlafen aus Liebe zu dir. (Թամ., 620)

Das ist die Macht der Liebe: Sie macht krank, sie macht schlaflos, die Seele kann mit dem Körper nicht mehr harmonisch existieren. Wie der Körper strebt auch die Seele nur nach der geliebten Person: Wenn der Mensch in der Liebe gefangen ist, hat der Schlaf da nichts zu suchen. Der Tag kommt ihm wie die Nacht vor, und die Nacht ist ohne Ende. (Թամ., 610)

Die hayrenner mit den Schlusszeilen »bis die Morgenröte kommt« stellen keine Handlungen dar, die in den Morgenstunden stattfinden. Es ist nicht die Klage über den Tagesanbruch, sondern es handelt sich, wie in der romanischen serena,546 um die Begegnung der Liebenden am Abend, aber auch um die Planung und das Vorhaben, die Nacht zusammen zu verbringen, einander zu lieben und zu küssen, bis die Morgendämmerung kommt. Mit dem Kennwort »լոյսն առավօտուն« (loysn ar˙awotown, Morgenlicht, Morgenröte) wird hier noch einmal der Zeitpunkt bezeichnet, bis zu dem das Liebesspiel dauern darf. In Gesprächsliedern Ա/ԽԸ, 15 – 24 und Թ-535 lädt die Frau den Mann für die Nacht zu sich ein, vorausgesetzt, dass das Liebesspiel in der Morgendämmerung zu Ende geht: »Geh und komm in der Nacht wieder, nachts ist es leicht und vertraut. Ich nehme dich auf in meinen Schoß, küsse dich, bis die Morgendämmerung kommt.« (Ա/ԽԸ, 15 – 24, hier: 20 – 24) Meine Geliebte aber antwortete: »Warte, bis der Abend kommt. Mein Vater geht in die Kirche, meine ungläubige Mutter ist nicht zu Hause. Dann nehme ich dich auf in meinen Schoß, bis die Morgendämmerung kommt. (Թամ., 535)

In einem hayren wird das Trennungsmotiv des Tageliedes mit dem pandowxtLied547 kombiniert. Es ist eine Klage höchstwahrscheinlich eines weiblichen lyrischen Ichs, dessen Geliebter sie im Schlaf verlassen hat und in ein fremdes Land gezogen ist: O Berge, o Täler, mein Geliebter (meine Geliebte) ist weg. 546 Vgl. dazu: Wolf (1968), S. 185 – 194. 547 Im Mittelpunkt des pandowxt-Liedes steht die Klage des ins fremde Land ziehenden Armeniers, der seine Entwurzelung und Heimatlosigkeit beweint.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

O Steine, o Büsche, habt ihr ihn (sie) nicht gesehen? O du Steinbrücke, ist er (sie) nicht zu dir gekommen? Mich schlafen lassend, ist er (sie) gegangen. (Թամ., 538)

In einem weiteren pandowxt-Lied wandert der schlaflose Liebende, der sich im fremden Land aufhält, sinnlos in der Nacht umher und klagt dem Mond seinen Schmerz: In der Nacht ging ich hinaus und bewunderte den Himmel. Der helle Mond strahlte und machte sich auf dem Weg nach Rom. Mond, mein Helfer, bleib eine Weile, hör meine Klage, bis das Morgenlicht kommt. Sag bitte meiner Geliebten, dass ihr Geliebter weint. Im fremden Land weint er so heftig, dass Blut aus seinen Augen fließt. Die Seele hat er verloren und wartet nur noch auf dich. Wenn du nicht kommen kannst, sag, dass deine Seele zu mir kommt. In der Nacht habe ich geträumt, schöne Geliebte. Wir beide… (Ա/ԼԱ, 1 – 18)

Leider ist das Lied nicht vollständig erhalten und überliefert. In der letzten Zeile ist aber zu sehen, wie das Lied von der Realität zum Traum übergeht. Wenn das physische Wiedersehen nicht möglich ist, ist es sehr wichtig, dass wenigstens die Seelen der Geliebten einander besuchen können. Dieser Besuch wird dann im Traum erlebt und so die große Sehnsucht gestillt. Die Tagelieder und Tageliedvariationen in hayrenner sind sowohl Frauenund Männermonologe als auch Gesprächslieder zwischen Mann und Frau. Es gibt kein erzählendes Ich, sondern das lyrische Ich spricht sich aus. Die Wächterfigur fehlt komplett. Es ist nicht möglich, etwas über den Familienstand sowohl der Frau als auch des Mannes zu erfahren.

Tagelied

6.4

157

Tagelieder in der mhd. Liebeslyrik

Im Vergleich mit der relativ geringen Präsenz der Tagelieder in der mittelalterlichen armenischen Liebeslyrik hatte die Gattung ›Tagelied‹ in der mhd. Lyrik einen großen Erfolg. Die Tagelieder sind in der mhd. Lyrik häufiger bezeugt: Es gibt ca. 50 Beispiele im 12. und 13. Jh.548 Die Gattung ›Tagelied‹ hat im deutschsprachigen Raum immer wieder Analysen und Darstellungen herausgefordert. Es sind zahlreiche Studien über dieses Thema, über die Ursprünge und Verknüpfungen, über die Zusammenhänge zwischen deutschen, romanischen, griechischen und lateinischen Tageliedern erschienen. Da die okzitanischen und nordfranzösischen Troubadoure bereits über eine Gattung Tagelied verfügten,549 die gewisse Ähnlichkeiten mit deutschen Tageliedern aufweist, wurde von Ulrich Knoop »die mittelhochdeutsche Lyrik als nehmender, die romanische als gebender Teil«550 angesehen, doch ist dies im Einzelnen unbeweisbar.551 Es existieren in der germanistischen Mediävistik weitere Entstehungstheorien, die als Ursprung auf die volkstümliche Tradition,552 auf Morgenhymnen553 sowie auf die römische Dichtung [Ovid]554 verweisen. Seit mehr als hundert Jahren beschäftigt sich die Forschung nicht nur mit der Edition des Tageliedes insgesamt, sondern auch mit der intertextuellen und literaturgeschichtlichen Interpretation.555 Grundsätzlich gilt für das Tagelied in seinen vorhöfischen Formen, dass es Reflex für bestimmte erotische Tabus war.556 »Das Tagelied stellt im Rahmen des Minnediskurses die Möglichkeit dar, sexuelles Beisammensein als – natürlich fingierte – Realität vorzuführen, die andere Hälfte des paradoxe amoureux. Denn als gedachtes Ziel gehört die sexuelle Vereinigung auch zur argumentierenden Minnekanzone.«557 Zu Beginn des Minnesangs waren Tagelieder sehr selten, in den ersten 40 Jahren lassen sich nur zwei nachweisen: Dietmar von Aist MF 39,18 und Mo548 Vgl. dazu: Schweikle (1995), S. 137 – 140. 549 Tagelieder finden sich in der romanischen Lyrik mit dem kennzeichnenden Wort alba (nfrz. aube, aubade). Im romanischen Raum sind die albas weniger bezeugt als im deutschen Raum (nach Jeanroy 11, nach Saville 19 provenzalisch, 5 altfranzösisch). Dort blühte die Pastourelle, die in Thematik und Darstellung viele Gemeinsamkeiten mit dem Tagelied aufweist. 550 Knoop (1976), S. 7. 551 Müller (1980), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, S. 346. 552 Bartsch (1864), Gruyter (1887), Schläger (1895). 553 Roethe (1890). 554 Müller (1971). 555 Vor allem: Schläger (1895); Kochs (1928); Nicklas (1929); Wapnewski (1970); Knoop (1976); Wolf (1979); Müller (1980); Mertens (1983); (1988); Beloiu-Wehn (1989); Cormeau (1992). 556 Wolf (1992), S. 11. 557 Mertens (1988), S. 53.

158

Vergleiche der einzelnen Gattungen

rungen MF 143,22. Bei beiden handelt es sich um wächterlose Tagelieder. Die Handlung bei Dietmar findet wahrscheinlich im Freien statt und der Weckruf erfolgt durch einen Vogel. Das Lied steht dabei in der volkstümlichen Tradition.558 Bei Morungen handelt es sich um einen Tagelied-Wechsel. Das Vorbild der romanischen alba zeigt sich vor allem in der Verwendung des Refrains, der für das mittelhochdeutsche Tagelied nicht typisch ist.559 Bei Wolfram von Eschenbach tritt als dritte Person der Wächter hinzu, der zu einem kennzeichnenden Element des Tageliedes wird. Mit der Einführung der Wächterfigur hat Wolfram »zugleich eine gewisse ihr anhaftende Problematik erfasst und sie dem zufolge in verschiedenen Varianten durchgespielt.«560 Der Wächter wird als personifiziertes Morgenzeichen, aber auch als Warner dargestellt, dessen Pflicht es ist, seine Herrin und ihren Liebhaber vor dem Tageslicht und den damit verbundenen Gefahren zu warnen. Im Lied »Sȋne klâwen durch die wolken sint gelagen« L 4,8 steht der Wächter »in einem festen Dienst-LohnVerhältnis zu seiner Herrin […] und [agiert] als Verbündeter des Liebespaares.«561 »Er muoz et hinnen balde und ân sȗmen sich. nu gip im urloup, süezez wȋp. lâze in minnen her nâch sȏ verholn dich, daz er behalte ȇre unde den lȋp. Er gap sich mȋner triuwen alsȏ, daz ich in braehte ouch wider dan. Ez ist nu tac. Naht waz ez, dȏ Mit drucken an [] brust dȋn kus mir in an gewan.« (Wolfram von Eschenbach L 4,28) »Er muss aber fort, sogleich und ohne zu zögern. Nun lass ihn gehen, schöne Frau. Lass ihn später [5] noch einmal dich so heimlich lieben, damit er Ansehen und Leben behält. Er verließ sich ganz auf meine Treue in der Erwartung, dass ich ihn auch wieder fortbringen würde. Es ist nun Tag. Nacht war es, als [10] unter Umarmungen dein Kuß ihn mir entführte.«562

Auch bei späteren Sängern umfasst die Rolle des Wächters nicht nur seine Aufgabe als Morgenverkünder, sondern er entwickelt sich zum Vertrauten und Freund der Liebenden. Er kündet den Tag, um die Liebenden zu schützen:

558 559 560 561 562

Wolf (1979), S. 27 – 29. Backes (1992), Kommentar, S. 241. Wapnewski (1970), S. 79. Backes (1992), Kommentar, S. 245. Übersetzt von Backes.

Tagelied

159

Wecke in, frouwe! est an der zȋt, niht langer bȋt. Ich bite ouch niht wan dur den willen sȋn. (Markgraf von Hohenburg 10C) Weck ihn, Herrin! Es ist Zeit, warte nicht länger. Ich bitte auch nur um seinetwillen.563

Einerseits bittet die Frau den Wächter, rechtzeitig den Morgenanbruch zu verkünden, sô daz der ritter vor der argen huote kume hin: ›Guot wahter wȋs, dû merke wol die stunt, sô die wolken verwent sich Und werdent grȋs: Die zȋt tuo mir kunt,‹ Sprach ein frouwe minneclich. (Der Marner C8) ›Lieber kluger Wächter, gib genau acht auf die Zeit, wenn die Wolken sich verfärben und grau werden, und melde es mir‹, sagte eine liebreizende Dame.564

Andererseits aber verwünscht sie den Wächter wegen seines Weckens, weil sein Singen zugleich das Ende der Liebesnacht bedeutet, was die Herrin nicht wahrnehmen will: Din lȋp der müeze unsaelic sȋn, wahtaere, und al daz singen dȋn! slȃf geselle! (Markgraf von Hohenburg 11C) Du sollst verflucht sein, Wächter, und all dein Singen. Schlaf, Liebster!565

Der Wächter versteht aber als treuer Schützer der Liebenden nicht nur den Zorn seiner Herrin, sondern verzeiht ihr auch: Dȋn zorn sȋ dir vil gar vertragen: der ritter sol niht hie betagen, wecke in, frouwe! (Markgraf von Hohenburg 12C) Dein Zorn sei dir ganz und gar verziehen, doch darf der Ritter hier nicht den Tag verbringen. Weck ihn, Herrin.

Wolfram, der die Wächterfigur in die mhd. Lyrik eingeführt hat, schafft auch den Gegentyp des Tageliedes, das eheliche Tagelied:566 Der helden minne ir klage du sunge ie gȇn dem tage, Daz sȗre nâch dem süezen.

563 564 565 566

Übersetzt von Backes. Übersetzt von Backes. Übersetzt von Backes. Wapnewski (1970), S. 89.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Swer minne und wȋplȋch grüezen alsȏ enpfienc, daz si sich muosen scheiden,– swaz dȗ dȏ riete in beiden, dȏ ȗf gienc Der morgensterne, wahtaere, swȋc, dâ von niht […] sinc. Swer pfliget oder ie gepflac, daz er bȋlieben wȋben lac, Den merkaeren unverborgen, der darf niht durch den morgen dannen streben. er mac des tages erbeiten. man darf in niht ȗz leiten ȗf sȋn leben. Ein offeniu süeze wirtes wȋp Kann sölhe minne geben. (Wolfram von Eschenbach L 5, 34; L 6,1) Der heimlichen Liebe sangst du immer bei Tagesanbruch, was sie klagen ließ, Bitteres folgte auf Süßes. Wenn jemand Liebe und Zärtlichkeit der Geliebten nur unter der Bedingung empfangen konnte, dass sie sich wieder trennen mussten, was immer du einem solchen Liebespaar geraten hast, als der Morgenstern aufging, schweig, Wächter, singe nicht länger davon. Wer es so hält oder je gehalten hat, dass er bei einer geliebten Frau lag, ohne sich vor den Aufpassern zu verstecken, der braucht sich nicht am frühen Morgen davonzustehlen. Er kann den Tag in Ruhe erwarten. Man braucht ihn nicht fortzubringen, um sein Leben zu retten. Solche Liebe kann eine rechtsmäßige zärtliche Ehefrau schenken.567

Hier wird nicht Abschied und letztes Zusammenkommen der Liebenden geschildert, wie es in Tageliedern der Fall ist, sondern ist eine ›Absage ans Tagelied‹.568 Dadurch thematisiert Wolfram die soziale Problematik der Wächterfigur:569 Die Rolle des Wächters hat keinen Sinn mehr, wenn die Liebe im Rahmen der Ehe gelebt wird und es damit keiner Heimlichkeiten mehr bedarf, deswegen »[…] schickt [er, H.M.] den Wächter fort. Den Wächter, dem das Tagelied soviel Macht gegeben, und seine Macht in Wolframs Tagelied so deutlich, ja fast drohend ausspricht.«570 In der Forschung ist das Lied sehr unterschiedlich interpretiert und beurteilt worden. Die ältere Mediävistik will es als autobiografisches Zeugnis verstanden wissen, die jüngere Forschung dagegen sieht es als Auseinandersetzung mit einem literarischen Modell, weil »das Tagelied zuerst ein li-

567 568 569 570

Übersetzt von Backes. Backes (1992), Kommentar, S. 249. Wapnewski (1970), S. 89. Ebd.

Tagelied

161

terarisches Modell zur Abhandlung des erotischen Themas ist, keine Spiegelung realen Verhaltens oder gar Aufforderung dazu«:571 »Es werden zwei unterschiedliche, aber vergleichbare Situationen angesprochen (nicht geschildert), die eine abgewiesen, die andere bejaht: abgewiesen die ›illegitime‹ Tageliedsituation, bejaht die legitime Eheliebe – Beurteilungskriterium ist die Gefährlichkeit, nicht das Liebesglück, daz süeze, nicht ethischer oder moralischer Wert, sondern das Risiko.«572

Nicht nur die Wächterfigur, sondern auch die Motive und Bilder des Morgengrauens und der Abschiedsszene erreichten bei Wolfram von Eschenbach, Otto von Botenlauben und beim Markgrafen von Hohenburg ihre idealtypischen Formen, die in der Folgezeit nur noch variiert wurden.573 Außer dem oben genannten ehelichen Tagelied Wolframs gehören auch Antitagelieder (Reinmar MF 154,32, Ulrich von Lichtenstein KLD II, Hawart KLD IV und Niune KLD IV) und Tageliedparodien (Walther L 88,9574 und Steinmar SMS 8) zu den Gegentypen des Tageliedes.575 Die Tagelieder in der mhd. Lyrik sind sowohl reine Gesprächslieder als auch Gesprächslieder mit Erzähler-Einschüben und Erläuterungen. In Tageliedern treten normalerweise drei Personen auf: die Frau, der Mann und der Wächter.576 Wie in armenischen, so ist es auch in deutschen Tageliedern nicht möglich, etwas über den Familienstand sowohl der Frau als auch des Mannes zu erfahren. Die Handlung findet in der Morgendämmerung, im Schlafgemach der Dame statt. Im Tagelied treten die Personen auf, die in Handlung und Dialog vorgeführt werden.577 Dem Tagelied fehlt das lyrische Ich, das sich ausspricht, analysiert und reflektiert. Alfred Jeanory hat für einen solchen lyrischen Gedichttyp den Ausdruck genre objectif geprägt.578

6.5

Motivparallelen und Differenzen in armenischen und deutschen Tageliedern

Die armenischen und deutschen Tagelieder unterscheiden sich in folgenden Punkten voneinander: 571 572 573 574 575 576

Mertens (1983), S. 240. Mertens (1988), S. 55. Müller (1980), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, S. 347. Über die Interpretation des Liedes siehe Asher (1971). Schweikle (1995), S. 139. Seltener tritt die vierte Person, die Dienerin hinzu (Burggraf von Lienz XV 1C). Vgl. dazu: Ebd. 577 Müller (1980), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 4, S. 345 – 350. 578 Janssen (1980), S. 40.

162

Vergleiche der einzelnen Gattungen

1. Während sich der Terminus tageliet / tagewîse als Gattungsbezeichnung in der mhd. Literatur findet, ist die entsprechende Bezeichnung »Tagelied« in der Literatur des armenischen Mittelalters im Kontext der profanen Lieder nicht überliefert. Im Gegensatz zum mhd. sind die Tagelieder in der mittelalterlichen armenischen Literatur wenig zahlreich und stellen keine formal ausgebildete Gattung dar. 2. Während die deutschen Tagelieder durch die Figur des Wächters der höfischen Kultur angepasst wurden, fehlt in armenischen Tageliedern die Figur des Wächters komplett. Die Weckfunktion nehmen der Vogel, der Hahn und der Muezzin ein. 3. Während in deutschen Tageliedern das lyrische Ich fehlt und die Tagelieder epische und dramatische Elemente enthalten, spricht sich in armenischen Tageliedern das lyrische Ich aus, das sich analysiert und reflektiert. Um Motivparallelen und Differenzen in der Gattung »Tagelied« der beiden Literaturtypen herauszuarbeiten, gehe ich im Einzelnen auf die folgenden Hauptmotive ein: 1. Tagesanbruch und Naturerwachen In beiden Literaturen stellen folgende Signale den Tagesanbruch dar: a) das Tageslicht, der Morgenstern, der Sonnenaufgang: Sobald der Himmel und die Erde kündeten, dass das erste Tageslicht kommt, löste sich meine Geliebte (mein Geliebter) von mir und machte sich bereit zu gehen. (Ա/ԽԷ, 187 – 194, hier: 187 – 190) Ich sich in grȃwen tagelȋch, als er will tagen: den tac, der im geselleschaft Erwenden will, dem werden man, den ich mit sorgen ȋn [ ] verliez. Ich bringe in hinnen, ob ich kann. (Wolfram von Eschenbach L 4,8 4G) Tag für Tag sehe ich ihn heraufdämmern, wenn er anbrechen will, den Tag, der dem edlen Mann, den ich voller Sorge hereingelassen habe, das Zusammensein mit der Geliebten nehmen wird. Ich bringe ihn fort, wenn ich kann.579

b) der Vogelgesang: 579 Übersetzt von Backes.

Tagelied

163

In dieser Morgendämmerung höre ich das Zwitschern der Frühlingsvögel. (Թամ., 553) Slȃfest du, vriedel ziere? wan wecket uns leider schiere; ein vogellȋn sô wol getȃn dȃz ist der linden an daz zwȋ gegȃn. (Dietmar von Aist MF 39,18 32C) Schläfst du noch, mein schöner Geliebter? Man weckt uns leider bald. Ein hübscher kleiner Vogel hat sich bereits auf den Zweig der Linde gesetzt.580

c) der Morgenverkünder: Der Tagesanbruch wird durch den Wächter in deutschen Tageliedern, durch den Muezzin und den Hahn in armenischen Tageliedern verkündigt. Nach den Beschreibungen des Tagesanbruchs wird die Abschiedsszene dargestellt. Der Tagesanbruch zwingt zur Trennung: Sobald der Himmel und die Erde kündeten, dass das erste Tageslicht kommt, löste sich meine Geliebte (mein Geliebter) von mir und machte sich bereit zu gehen. (Ա/ԽԷ, 187 – 194, hier: 187 – 190) Ez nȃhet deme tage. Swȃ sich zwei liebe scheiden, die haben herzeleide klage. (Günther von dem Forste 13 A 13C) Es geht auf den Tag zu. Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen, sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.581

2. Abschiedsszene und Ausschmückung des Abschieds Die Abschiedsszene wird durch folgende Motive ausgeschmückt:582 a) wecken des Mannes (in armenischen Tageliedern fehlt dieses Motiv): ›dichin lȃt der tac, daz klage ich sende wȋp. stant ûf, ritter!‹ (Otto von Botenlauben 20C) ›Der Tag läßt dich nicht bleiben, das beklage ich voller Sehnsucht. Steh auf, Ritter!‹583

b) weinen und umarmen: 580 581 582 583

Übersetzt von Backes. Übersetzt von Backes. Nach Schweikle (1995), S. 138. Übersetzt von Backes.

164

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Die Tränen laufen aus meinen Augen. (Թամ., 553) des muosen liehtiu ougen aver nazzen. (Wolfram von Eschenbach L 3,1) Deshalb mußten sich ihre strahlenden Augen wieder mit Tränen füllen.584

c) Versuche, den Abschied hinauszuschieben und damit das Liebesglück zu verlängern: Ich breitete meine Arme lang und versuchte, sie (ihn) zurückzuhalten. (Ա/ԽԷ, 187 – 194, hier: 191 – 192) ›Din lȋp der müeze unsaelic sȋn, wahtaere, und al daz singen dȋn! slȃf geselle!‹ (Markgraf von Hohenburg 11C) ›Du sollst verflucht sein, Wächter, und all dein Singen. Schlaf, Liebster!‹585

3. Die Abschiedsklage Den Kern der Abschiedsszene bildet die Abschiedsklage, die in Tageliedern vor allem folgende Motive aufweiset: a) Klage über den heraufkommenden Morgen: Wenn du kommst und dein Licht bringst, trennst du mich von meinem (meiner) Geliebten. (Ա/Կ, 65 – 72, hier: 71 – 72) Sȋ sprach: ›ôwȇ tac! Wilde und zam daz vrewet sich dȋn und siht dich gern, wan ich eine.‹ (Wolfram von Eschenbach L 3,1) Sie sagte: ›Ach, Tag! Alles, was lebt, sei es wild oder zahm, freut sich über dich und sehnt sich danach, dich zu sehen, nur ich nicht.‹586

b) Verwünschungen des Tages und Wunsch nach Verlängerung der Nacht: O du, Morgenlicht, zögere, störe nicht unsre Spiele. (Ա/Կ, 65 – 72, hier: 69 – 70) sȋt ich dur dȋne glanzen schȋne, leider tac, vermȋden sol mȋn liep. (Konrad von Würzburg 38C)

584 Übersetzt von Backes. 585 Übersetzt von Backes. 586 Übersetzt von Backes.

Tagelied

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Seitdem ich mit meinem Geliebten wegen deiner hellen Strahlen, verfluchter Tag, nicht länger zusammensein darf.587

Zwar findet man sowohl in armenischen als auch in deutschen Tageliedern Verwünschungen des Tages, sie werden aber nicht ganz so negativ geäußert wie in der romanischen Literatur. Der Tagesanbruch wird als kosmischer Kreislauf wahrgenommen. Man weiß: »Wilde und zam daz vrewet sich« (Wolfram von Eschenbach, L 3,1), wenn der Tag kommt. Nur die Liebenden freuen sich nicht darüber, denn das Morgenlicht beendet die Liebesspiele (Ա/Կ, 65 – 72). Stattdessen werden die Morgenverkünder verwünscht. Dies wird durch folgende Motive dargestellt: c) Wendungen gegen Morgenverkünder (in mhd. Tageliedern gegen den Wächter, in den armenischen Tageliedern gegen Muezzin und Hahn): Wir haben uns umarmt, als der verfluchte Hahn gekräht hat. (Գ/Դ, 12 – 22, hier: 12 – 13) ›Din lȋp der müeze unsaelic sȋn, wahtaere, und al daz singen dȋn! slȃf geselle!‹ (Markgraf von Hohenburg 11C Niune 33 A) ›Du sollst verflucht sein, Wächter, und all dein Singen. Schlaf, Liebster!‹588

d) Anforderungen, dass er schweigt, in den deutschen Liedern sogar Bestechungsversuche des Wächters: Wenn der Muezzin zur Moschee ruft, zittert der Liebende. Mullah, hör auf zu rufen, wir wissen, dass es dämmert. (Ա/ԽԲ, 69 – 76, hier: 71 – 74) ›Wahtaer, du singest, daz mir manige vreude nimt unde mȇret mȋn klage. maer du bringest, der mich leider niht gezimt, immer morgens gegen dem tage. Diu solt du mir verswȋgen gar. daz gebiut ich den triuwen dȋn. des lôn ich dir, als ich getar, sô belibet hie der geselle mȋn.‹ (Wolfram von Eschenbach L 4,18)

587 Übersetzt von Backes. 588 Übersetzt von Backes.

166

Vergleiche der einzelnen Gattungen

›Wächter, was du singst, nimmt mir mein ganzes Glück und vergrößert meinen Schmerz. Jeden Morgen bringst du mir bei Tagesanbruch eine Nachricht, die mir nicht gefällt und mich unglücklich macht. Die sollst du mir ganz und gar verschweigen. Das befehle ich dir, wenn du mir treu ergeben sein willst. Ich belohne dich dafür, so gut ich kann. Dann bleibt mein Geliebter hier.‹589

e) Hinweise auf die Gefährlichkeit der Situation: Das Tageslicht bringt die Gefahr mit sich, entdeckt zu werden, die Nacht ist die Beschützerin der Liebe: Geh und komm in der Nacht wieder, nachts ist es leicht und vertraut. Ich nehme dich auf in meinen Schoß, küsse dich, bis die Morgendämmerung kommt. (Ա/ԽԸ, 15 – 24, hier: 20 – 24) lȋp und ȇre ist unbehuot, ob man iht langer lȋt. (Otto von Botenlauben 19C) Leben und Ansehen sind gefährdet, wenn sie noch länger liegenbleiben.590 naht gȋt senfte, wȇ tuot tac. (Otto von Botenlauben 21C) Die Nacht schenkt Angenehmes, der Tag bringt Leid.591

f) Das geistige Zusammensein, wenn ein physisches Zusammensein nicht mehr möglich ist. Das geistige Zusammensein wird entweder in einem Traumlied dargestellt (Der Liebende ist allein und unglücklich in der Nacht und wird im Traum von der Geliebten besucht, die er umarmt und küsst) oder durch Zusicherungen für ein geistiges Zusammensein, wenn die Liebenden voneinander entfernt sind: Im fremden Land weint er so heftig, dass Blut aus seinen Augen fließt. Die Seele hat er verloren und wartet nur noch auf dich. Wenn du nicht kommen kannst, sag, dass deine Seele zu mir kommt. In der Nacht habe ich geträumt, schöne Geliebte. Wir beide… (Ա/ԼԱ, 1 – 18, hier: 11 – 18) bȋ mir hȃn ich daz herze dȋn, des mȋnen ich dir vil wol gan. (Burggraf von Lienz 4C)

589 Übersetzt von Backes. 590 Übersetzt von Backes. 591 Übersetzt von Backes.

Tagelied

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Dein Herz behalte ich bei mir und überlasse dir gern meines.592

g) Versuche, die Aufpasser zu täuschen: Meine Geliebte aber antwortete: »Warte, bis der Abend kommt. Mein Vater geht in die Kirche, meine ungläubige Mutter ist nicht zu Hause. Dann nehme ich dich auf in meinen Schoß, bis die Morgendämmerung kommt. (Թամ., 535) Nû rede in kurzen zȋten allez daz dû wil, daz wir unser huote triegen aber als ȇ. (Walther von der Vogelweide L 88,33) Nun sage mir schnell alles, was du dir wünschst, damit wir unsere Aufpasser wieder wie zuvor täuschen.593

Die deutschen Tagelieder enthalten noch folgende Motive, die in armenischen Liedern fehlen: 1. Bezeichnung des heimlich Liebenden als »Minnedieb« Nie der morgen minne diebe kunde büezen clagen. (Konrad von Würzburg C83) Noch nie konnte der Morgen dem, der sich die Liebe stehlen muß, die Trauer ersparen.594

2. Hoffnung auf Wiedersehen und Wiedersehen als Tröstung Niht gedenken solt du, vrowe, an scheidens riuwe ûf kunfte wȃn. (Wolfram von Eschenbach L 6,25) Herrin, du sollst nicht an den Schmerz der Trennung denken, denn du kannst doch auf seine Rückkehr hoffen.595 Nu kum schiere wider ûf rehten trôst! (Wolfram von Eschenbach L 8,33) Komm bald zurück, mich zu trösten.596 592 593 594 595 596

Übersetzt von Backes. Übersetzt von Backes. Übersetzt von Backes. Übersetzt von Backes. Übersetzt von Backes.

168

Vergleiche der einzelnen Gattungen

Die Frau ist in deutschen Tageliedern eine gesellschaftlich hochgestellte Dame, über deren Familienstand nichts direkt gesagt wird. Es existiert keine konkrete Bezeichnung für einen eifersüchtigen Ehemann. Die Frau kommt häufiger zu Wort als der Mann. Sie ist schön, hat eine Reihe von Vorzügen. Sie wacht immer als Erste auf, beklagt, dass es tagt und die schmerzhafte Trennung gekommen ist, sie weckt den Mann. Zwar weiß sie, dass das nicht erlaubte Zusammensein ein Risiko für die Ehre ist, was zum Verheimlichen vor der Gesellschaft zwingt, dennoch versucht sie den Abschied hinauszuschieben und damit das Liebesglück zu verlängern. Die nicht tolerante Gesellschaft wird durch merkaere und huote dargestellt. Die Frau wird von den Dichtern mit folgenden Attributen ausgezeichnet: süezez wȋp (Wolfram von Eschenbach, L 4,30), daz guote wȋp (Wolfram von Eschenbach, L 8,9), friundinne mȋn (Walther von der Vogelweide, L 88,21), daz reine wȋp (Frauenlob), vröulȋn zart (Frauenlob). Die gesellschaftliche Stellung der Frau ist in armenischen Tageliedern unbestimmt. Die Frau versteht, dass in der Morgendämmerung das Zusammensein mit dem Geliebten gefährlich ist und die Morgendämmerung die Trennung erzwingt. In den Liedern Ա/ԽԸ, 15 – 24 und Թամ., 535 bezeichnet die Frau die Morgendämmerung als Grenze, bis zu der das Liebesspiel dauern darf. Die Frau muss nicht unbedingt verheiratet sein, um die Liebesbeziehung verheimlichen zu wollen, sondern die gesellschaftlichen Normen für Unverheiratete zwingen sie ebenfalls dazu, die Liebesbeziehung zu verheimlichen. Im hayren Թամ., 535 verheimlicht die Frau die Liebesbeziehung vor den Eltern. Die Feinde der Liebe könnten sowohl der eifersüchtige Ehemann als auch die Gesellschaft allgemein sein, die die außereheliche Beziehung nicht toleriert. Wie in Frauenliedern ist auch in Tageliedern das wichtigste Gebot für die Frau die Geheimhaltung der Liebe. Die Frau ist schön und strahlt wie die Sonne, weigert sich nicht, ihre Liebe zu geben, vorausgesetzt, dass sie geheim bleibt. Sie wird vom Dichter als meine Geliebte, Seele meiner Seele, wunderschöne Geliebte genannt. Der Mann in deutschen Tageliedern ist ein Ritter. Er kommt seltener zu Wort als die Frau und der Wächter. Er ist rȋter (Walther von der Vogelweide L 90,3), herzeliep (Otto von Botenlauben 21 C), mȋn friunt (Walther von der Vogelweide L 90,3), lieber man (Otto von Botenlauben 21 C), ritter wert (Ulrich von Singenberg A 25).In den Tageliedern taucht kein lyrisches Ich auf, es gibt damit keine direkte Entsprechung zur Ich-Reflexion des Mannes in der Kanzone, wo der Ritter identisch mit dem Sänger-Ich ist.597 In den armenischen Tageliedern kommt der Mann häufiger zu Wort als die Frau. Das lyrische Ich ist identisch mit dem Sänger-Ich, das sich ausspricht. Er ist ein »Geliebter« (hayren Ա/Կ, 65 – 72), der, wie die Frau, beklagt, wenn es tagt. Die armenischen Tagelieder – besonders die in ihnen enthaltenen Beschreibungen 597 Cormeau (1992), S. 700.

Zusammenfassung

169

der Umgebung und der Morgenverkündung durch Vogel, Muezzin und Hahn – sind stärker an der äußeren Welt orientiert als die deutschen Tagelieder. Für die weltlichen Wächterlieder und Tageliedwechsel bieten die armenischen Lieder kein Beispiel.

7.

Zusammenfassung

Ich fasse die Ergebnisse der einzelnen Analysen zusammen: Wie der Minnesang ist auch die hayren-Dichtung vor allem Liebeslyrik. Als solche beschäftigen sich die beiden Dichtungen hauptsächlich mit der Liebe und deren Wirkung auf den Liebenden und auf die Gesellschaft. Das ist eine Liebe, die dem Mann die Möglichkeit gibt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das kann vor allem dann geschehen, wenn das Liebesobjekt unerreichbar und der Spannungszustand unaufgelöst bleibt. Aus diesem Grund handelt es sich sowohl in armenischen als auch in deutschen männlichen Werbeliedern um eine einseitige und unerfüllte Liebe, die krank macht. Zwar ist die Heilung die Erfüllung der Liebe, aber sie muss trotzdem unerfüllt bleiben: Dadurch können bestimmte Normen des Verhaltens, wie sich zu ergeben, treu, geduldig und tugendhaft gegenüber der Frau zu sein und mit Ehre Leid und Sorge zu ertragen, demonstriert werden. Wenn der Körper instinktiv nach der Erfüllung der Liebe für die Selbstheilung verlangt (Als ich sihe daz beste wȋp, / wie kȗme daz verbir, / daz ich niht unbevȃhe ir reinen lȋp / und twinge si ze mir. / ich stȃn dicke ze sprunge, als ich welle dar, / sȏ si mir sȏ suoze vor gestȇt.598 Hartwig von Raute, MF 117,26 – 31 oder Was soll ich tun? Sobald ich die Schöne anschaue, entbrenne ich in Liebe, Թամ., 594), schreibt die höfische Erziehung andere Regeln vor: Der Mann muss die Liebe zur Frau erst verdienen, bevor er einen Anspruch auf diese Liebe erheben kann. Der Liebende muss treu und tugendhaft sein, Geduld haben, wenn er auch Leid, Sorge und Kummer empfindet. Diese Eigenschaften des lyrischen Ichs treten am besten in Erscheinung, wenn die Liebe unerreichbar bleibt. Durch den unerfüllten Liebesgenuss ist der Liebende zwar weiterhin krank, aber er beherrscht die Liebeskunst. Er kann von der Freude der erlebten Liebe nicht berichten, stattdessen kann er als Liebender seine Tugenden und Treue präsentieren. Das ist das Verhaltensmuster in der Liebe, das die mittelalterliche feudale Gesellschaft liefert, doch mit einem Unterschied: Während der Liebesgenuss im hohen Sang zumeist ausgeschlossen ist und damit das lyrische Ich ›hoffnungslos‹ wirbt, ist der Liebesgenuss in armenischen Werbeliedern nicht ausgeschlossen, sondern 598 Wenn ich die beste Frau sehe, / wie schwer nur kann ich mich beherrschen, / ihren herrlichen Leib zu umarmen / und an mich zu drücken. / Ich stehe ganz auf dem Sprung, als wolle ich dorthin, / wenn sie so süß vor mir steht. Übersetzt von Kuhn.

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

noch nicht erfüllt. Dadurch ändert sich das Verhalten des lyrischen Ichs nicht, denn die Liebeserfüllung bleibt auch in der hayren-Dichtung meist untersagt, wie in den Werbeliedern der hohen Minne, aber die Werbung ist hier nicht ›hoffnungslos‹, wie im Minnesang. Das kann dadurch erklärt werden, dass die Liebe zur Frau im Minnesang als Dienstangebot auftritt und analog zum Tugendsystem der Feudalherren, wie etwa »Dienst und Lohn« gestaltet wird. Unter Lohnerwartung versteht der Minnesänger nicht die körperliche Hingabe der Frau, sondern die Anerkennung seines Dienstes, die durch einen freundlichen Gruß, einen netten Blick ausgedrückt werden kann. In der hayren-Dichtung hingegen spielt die Hoffnung eine zentrale Rolle: Wenn das lyrische Ich um die Frau wirbt, sie leidenschaftlich preist, will es auch hoffen, dass die Frau seine Wünsche erfüllt, vorausgesetzt, dass sie von seinen Tugenden und von seiner Treue überzeugt ist. Das hat auf die Liebesauffassung in der hayren-Dichtung Einfluss: Die Begriffe minne und se¯r enthalten in sich die Bedeutung der sinnlichen und der körperlichen Liebe.599 Diese Begriffe sind in der jeweiligen Dichtung von grundlegender Bedeutung: Nicht nur der innerliche Zustand des Liebenden wird von der Liebe her erklärt und begründet, sondern auch die Bindung zwischen dem Liebenden und der besungenen Frau, sowie zwischen dem Liebespaar und der Gesellschaft. Die Liebe wird aber in der hayren-Dichtung nicht wegen des sexuellen Genusses als niedrig und falsch betrachtet, wie im hohen Sang, sondern wegen fehlender Anerkennung der Liebe als höchstem Wert. Der Inhalt der Minnelieder ist in den beiden Kulturen gleich: Das männliche lyrische Ich wirbt um die besungene Frau. Es stellt sie über andere Frauen, preist sie als Beste und Schönste der Welt, der Natur und im ganzen Kosmos, um damit seine Liebe zur ihr zu begründen. Insgesamt ist das Frauenlob in den beiden Dichtungen die Zusammengehörigkeit der äußeren und inneren Werte.600 Der Minnesang konzentriert sich jedoch auf die ethische Vollkommenheit der Frau und stellt fest, dass die ethische Vollkommenheit eine höhere Qualität besitzt.601 Die hayren-Dichtung dagegen stellt vor allem die körperliche Schönheit dar, die aber die innerliche Schönheit voraussetzt. Die Frau lenkt mit ihrer Schönheit nicht nur die Aufmerksamkeit des lyrischen Ichs auf sich, sondern ihr Körper ist der Spiegel ihrer Seele. Das lyrische Ich versteht und interpretiert die Körperbewegungen der Frau als Bewegungen der Seele und stellt ihre innere Werte durch die Beschreibungen der Körperhaltung der Frau, ihres Blickes und ihrer Sprechweise dar. 599 Vgl. zum Begriff ›minne‹: Ehrismann (1995), S. 136 – 147; zum Begriff ›se¯r‹: Zˇamanakakic’ hayoc’ lezvi bar˙aran (Wörterbuch der neuarmenischen Sprache), Bd. 4 (1980), S. 293. 600 Nach Otfrid Ehrismann repräsentierte in der Minnelyrik der lȋp »die Identität des Schönen und Guten, für die wir heute keinen Begriff mehr besitzen«. Vgl. dazu: Ehrismann (1995), S. 127. 601 Tervooren (1988), S. 176.

Zusammenfassung

171

Trotz des leidenschaftlichen Preisens bleibt die Werbung des lyrischen Ichs meistens erfolglos: Die Frau erwidert die Liebe des liebenden Mannes nicht und gibt ihm damit einen Grund für die Minneklage. Das männliche lyrische Ich klagt über die Gleichgültigkeit der geliebten Frau, aber auch über die äußeren und inneren Hindernisse, die das glückliche Zusammensein mit der geliebten Frau nicht erlauben. Die Liebe selbst spendet zwar Freude, jedoch nicht dem Liebenden. Er ist allein, ohne Freude. Er preist die Liebe und die geliebte Frau als Freudenspender, er klagt aber, da er nur Nachteile von der Liebe hat. Dieser Hauptton ist in den Klageliedern der beiden Kulturen gleich, aber sowohl die hayren-Dichtung als auch der deutsche Minnesang (mit und seit Walther von der Vogelweide) kennen den poetischen Protest gegen die Einseitigkeit der Liebe und fordern eine beiderseitige Liebesbeziehung. Der Sänger verlangt die Gegenseitigkeit der Liebe, weil die einseitige Liebe schwerer als der Tod selbst (Ա/Կ, 579 – 586, hier: 586) fällt. Diese Forderung bedeutet, dass die Liebe nicht nur Leid, Kummer und Sorge, sondern auch Glück und Freude bereitet. Anders formuliert: Die Liebe macht zwar krank und traurig, ist aber auch Medizin für eine selbst verschuldete Krankheit. Sie kann Glück und Freude bringen, wenn sie auf zwei Herzen verteilt ist. Du trittst hinaus aus deinem Haus, deine Augen scheinen zu sagen: »Liebe mich«. Aber was soll denn meine Liebe alleine machen, wenn es keine Liebe deinerseits gibt. Wenn die Liebe beiderseitig ist, ist sie süßer als Zucker mit Mandel. Wenn die Liebe aber einseitig ist, fällt sie schwerer als der Tod selbst. (Ա/Կ, 579 – 586) Ich sanc hie vor den frouwen umb ir blȏzen gruoz, den nam ich wider mȋme lobe ze lȏne. swȃ ich des geltes nȗ vergebene warten muoz, dȃ lobe ein ander, den si grüezen schȏne. swȃ ich niht verdienen kann einen gruoznmit mȋme sange, dár kȇre ích vil hȇrscher man mȋnen nác alder in mȋn wange. ‘’ Daz sprichet‘ mir ist umbe dich Rehte als dir ist umbe mich. ’‘ Ích will mȋn lob kȇren An wȋb, die kunnen danken. Waz hȃn ich von den überhȇren. (Walther von der Vogelweide L 49,12) Ich sang einst vor den Damen allein um ihren Gruß, / den nahm ich für mein Lob als Lohn. / Wo ich nun auf ein Entgelt vergebens warten muss, / da lobe ein anderer, den sie huldvoll grüßen mögen. / Wo ich nicht verdienen kann / einen Gruß mit meinem

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Vergleiche der einzelnen Gattungen

Gesang, dorthin wende ich als stolzer Mann / meinen Nacken oder eine meiner Wangen. / Das heißt: »mir ist an dir / gerade so viel gelegen wie dir an mir. » / Ich will mein Lob richten / an Frauen, die zu danken verstehen. / Was habe ich von den allzu stolzen!602

Wie in den armenischen, geht es auch in den deutschen ›Frauenliedern‹ und Tageliedern um eine erfüllte Liebe. In Frauenliedern ist das Liebespaar wegen der feindlichen Gesellschaft oder der räumlichen Ferne getrennt. In Tageliedern muss sich das Liebespaar bei Anbruch des Morgens nach einer heimlich verbrachten gemeinsamen Nacht trennen, denn das Tageslicht bringt für das Liebespaar Gefahren mit sich. In beiden Gattungen erscheint die Frau als Liebende, die um den geliebten Mann wirbt, über den Schmerz der Trennung klagt, ihre Sehnsucht äußert und die innerlichen und äußerlichen Qualitäten des Mannes preist. Aber auch hier, trotz der Erreichbarkeit der Frau, ist das glückliche Zusammensein des Liebespaares wegen äußerer Hindernisse und vor allem wegen gesellschaftlicher Normen gescheitert. Die Frau wird in männlichen Werbeliedern der beiden Dichtungen nur noch vom lyrischen Ich aus gesehen, in ›Frauenliedern‹ und Tageliedern dagegen spricht die Frau, äußert ihre Wünsche und Ängste und gesteht ihre Liebe. Dieses Fühlen und Verhalten der Frau wird aber aus der Wunschperspektive des Sängers vermittelt und vom Sänger-Ich aus gesehen. Allerdings ist die hayren-Dichtung stärker an der äußeren Welt orientiert. Ein gutes Beispiel dafür sind die Motive der Morgenverkündung durch den Hahn und den Muezzin in armenischen Tageliedern und den unrealistischen Wächter in deutschen Tageliedern. Die Liebe in hayrenner ist beweglicher und menschlicher, denn die Frau wird auch in Bewegung gezeigt: Sie lächelt, geht an dem lyrischen Ich vorüber, spaziert auf der Straße und redet mit ihm. Die Frau wird im Minnesang meist in der 3. Person, in der hayren-Dichtung jedoch direkt in der 2. Person angesprochen. Der gowsan redet die Frau mit »du« an. Das macht die Distanz zwischen Sänger und Dame in hayrenner geringer als im Minnesang. Nicht nur der Inhalt der beiden Dichtungen, das Bild des lyrischen Ichs und der besungenen Frau sind ähnlich. Die beiden Dichtungen hatten auch ähnliche Funktion in der Gesellschaft. Sowohl der Minnesang als auch die hayren-Lyrik waren: 1. Gesellschafts- und Unterhaltungslyrik: Das lyrische Ich war in erster Linie Repräsentant der Gesellschaft, der die Lieder vorgetragen wurden. Beim Vortrag übernahm das Publikum eine aktive Rolle, indem es durch seine antizipierten oder tatsähnlichen Reaktionen den Sänger beeinflusste. 2. Vortragslyrik: Die Lieder wurden entweder von den Autoren selbst gesungen vorgetragen oder später von Nachsängern. Im Vortrag gehörten Text und Melodie zusammen. In der schriftlichen Überlieferung aber sind die Texte 602 Übersetzt von Schweikle.

Zusammenfassung

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meist ohne Melodien überliefert. Das bedeutet, dass in den Handschriften der Text und die Melodie nicht mehr so eng zusammengehörten wie im Vortrag. Trotzdem können wir von ungeschriebener, aber mitgedachter Musik, zumindest bei den frühen Handschriften, ausgehen.

III.

Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Der Vergleich der einzelnen Gattungen hat gezeigt, dass die beiden Dichtungen neben spezifischen Unterschieden auch zahlreiche Gemeinsamkeiten besitzen. So gilt der folgende zusammenfassende Abschnitt der Suche nach Vorbildern und Einflüssen. Wie oben schon erwähnt, werden die Entstehung und Entwicklung des Minnesangs und der hayren-Dichtung durch verschiedene Faktoren begründet, wie etwa durch die Entwicklung der feudalen Herrschafts- und Wirtschaftsformen, den Einfluss der Antike und den Gedankenaustausch mit den benachbarten Ländern. Für die hayren-Dichtung war auch die entstehende Verstädterung von besonderer Bedeutung. In Deutschland und in Armenien riefen diese sozialen und mentalen Veränderungen andere Wertvorstellungen hervor. Es entstand das Bedürfnis, die weltliche Liebe in einer gesellschaftsfähigen, weltlichen Sprache zu besingen, in Deutschland auf Mittelhochdeutsch und in Armenien auf Mittelarmenisch. Die weltliche Dichtung war in ihrer Anfangsphase weder in Armenien noch in Deutschland für den individuellen Leser bestimmt, sondern war für ein weltliches Publikum gedacht, das die gelehrte kirchliche Sprache nicht beherrschte, deswegen verfassten die Sänger ihre Lieder in der Volkssprache, um vom Publikum beim Vortragen verstanden zu werden. Seit dem 10. Jh. näherte sich im mittelalterlichen Armenien innerhalb der Dichtung die kirchliche Lyrik der weltlichen an. Grigor Narekac’i (950 – 1003) führte im 10. Jh. die Versmaße des hayren, die bis dahin wegen ihrer einheimischvolkstümlichen Tradition in der schriftlichen Literatur der geistlichen Dichter nicht benutzt wurden, in die schriftliche Literatur ein. Sein Hauptwerk, das »Buch der Klagelieder«, handelte zwar von einem Gespräch zwischen dem gläubigen lyrischen Ich mit Gott, das Werk machte aber das Motiv der Natur zum ersten Mal in der armenischen Literatur zum Thema der Dichtung und stellte das Gefühl der subjektiven Innerlichkeit der menschlichen Seele dar. Die innere Welt des Menschen wurde Gegenstand des Nachdenkens und Einfühlens. Narekac’i war auch der erste Hymnendichter, der die körperliche Schönheit der Jungfrau

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

besang.603 Ab dem 12. Jh. war die Literaturproduktion nicht mehr nur Sache der Geistlichen, sondern auch Laien begannen, dichterische Texte zu verfassen. Mit der Erziehung und Ausbildung in den Klöstern wurden die adligen Laien nicht nur für die geistliche Laufbahn vorbereitet, sie übten auch diplomatische und schriftstellerische Tätigkeiten aus und bekamen wichtige Positionen in den königlichen Rechts- und Verwaltungsgeschäften. So war der Sohn des Fürsten Osˇin von Lambron (Kilikien), Nerses Lambronac’i (1153 – 1198), Dichter, Schriftsteller und Übersetzer und als Geistlicher und Diplomat tätig. Er wurde als Abgeordneter nach Byzanz und nach Seleukia geschickt, wo er Kaiser Friedrich Barbarossa empfing.604 Neben seiner Muttersprache beherrschte er Griechisch, Syrisch und Latein. Bei seinen dreizehn Übersetzungsschriften handelte es sich um Werke geistlichen und weltlichen Inhalts.605 Fromme Klostergelehrte wandten sich der Liebeslyrik und den antiken literarischen Stoffen zu. So griff Xacˇ’atowr Kecˇ’ar˙ec’i, ein Geistlicher aus dem Kloster Kecˇ’ar˙, im 13. Jh. den im 5. Jh. ins Armenische übersetzten Alexanderroman606 erneut auf und ergänzte ihn mit in hayren-Metrik geschriebenen mittelalterlichen k’afaner, die in Übersetzungen und Romane eingeführte gereimte Verse darstellen. Auch im europäischen Mittelalter näherte sich die kirchliche Literatur der weltlichen an,607 wobei die Kreuzzüge eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielten. Die Kirche steuerte dazu bei, dass »aus Grundherren, kriegerischen Gefolgsleuten und Funktionären des Königs eine ritterliche Gesellschaft wurde.«608 Im 10. Jh. entwickelten sich die ersten literarischen Dokumente der Laienethik, die dem weltlichen Adel als Vorbild für eine fromme Lebensführung dienen sollten.609 Bei der Entstehung der höfisch-ritterlichen Literatur in Europa waren die Anstöße und Einflüsse, die aus dem kirchlichen Schrifttum, der Beschäftigung der Kirche mit der antiken Literatur,610 der volkstümlichen Tradition und aus dem Austausch mit den benachbarten Ländern (vor allem mit dem arabischen Spanien) stammten, sehr wichtig.611 Unter diesen Einflüssen entstand die weltliche Liebeslyrik, »die nicht in der künstlichen Welt literarischer Fort603 Vor allem in seinem Psalm Mełedi cnndean wurde die Jungfrau in ihrer ganzenen weiblichen Schönheit gepriesen. 604 Vgl. dazu: Inglisian (1963), S. 195. 605 Unter anderen: Das byzantinische Gesetzbuch; Die Regeln des hl. Benedikt; Das Rituale der römischen Kirche; Die päpstlichen Briefe an die Armenier. Vgl. dazu: Ebd. 606 Eine armenische Übersetzung einer (α)-Handschrift des Alexanderromans, stammt aus dem 5. Jh., unter dem Titel »Geschichte des großen Welteroberers Alexander von Makedonien«. 607 Vgl. dazu: Roman de la Rose ou Cuillaume de Dȏle des Jean Renart (13. Jh.) und Roman de la Violette des Gerbert de Montreuil (13. Jh.). 608 Sprandel (1982), S. 115. 609 Bumke (1986), Bd. 2, S. 400. 610 z. B. mit der antiken Alexanderroman. Eine lateinische Version, die dann als Vorlage für zahlreiche Nachdichtungen diente, stammt von Leo von Neapel aus dem 10. Jh. 611 Vgl. dazu vor allem: Sprandel (1982), Bumke (1986), Bd. 2, Schweikle (1995).

Gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

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dauer [beschränkt verblieb H.M.], sondern [sie H.M.] bekam die ganze Kraft körperlich gelebten Lebens. Sie hatte Funktionen in diesem Leben. Sie wollte gehört werden, wollte wirken, und das so tief wie möglich: Deswegen wählte man die Volkssprache.«612 Auf der Suche nach den Grundlagen der hayren-Dichtung findet man Ähnliches: die Einflüsse der eigenen volkstümlichen Tradition, der religiösen Erziehung, der antiken Dichtung und des Gedankenaustausches mit benachbarten Ländern. Bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen werden die folgenden vier Ausgangspunkte festgehalten: 1. Ähnliche gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland 2. Anstöße aus der griechisch-römischen antiken Literatur 3. Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied 4. Mögliche literarische Kontakte Es ist notwendig, erst einen einführenden Überblick über die gesellschaftlichen Strukturen der beiden Länder, über die Stellung der Frau in der Gesellschaft, über die Liebe, Ehe und den Ehebruch zu geben, um die funktionalen Zusammenhänge zwischen der Literatur und der jeweiligen Gesellschaft sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Ausbildung der Minneauffassung in den beiden Kulturen diskutieren zu können. Sowohl die deutsche als auch die armenische Minnelyrik erhielt Anstöße aus der antiken und der christlich-religiösen Literatur; zudem sind literarische Kontakte und ein Gedankenaustausch, der durch die Kreuzzüge in Kleinarmenien (Kilikien) ermöglicht wurde, denkbar.

1.

Die gesellschaftlichen Strukturen im mittelalterlichen Armenien und in Deutschland

1.1

Armenien: Die Darstellung der hierarchischen Struktur der Gesellschaft und die Verknüpfung mit der politischen Geschichte

Wegen seiner geografischen Lage war Armenien ein Zankapfel zwischen den westlichen und östlichen Großmächten. Das bereitete dem Land sowohl in politischer, als auch in wirtschaftlicher Hinsicht nur Nachteile. Im 7. Jh. wurde Armenien von Arabern erobert. In der arabischen Eroberungszeit aber wurde 612 Sprandel (1982), S.138.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

das Land von den armenischen Fürsten weiterregiert. Die Araber kümmerten sich hauptsächlich um die Steuern und überließen die inneren Angelegenheiten und sämtlichen Besitztürmer den einheimischen Herren.613 Im 9. Jh. brach im arabischen Kalifat ein Bürgerkrieg aus. Die armenischen Fürsten nutzten diese Angelegenheit, um sich vom Kalifat unabhängig zu machen. Der Kalif ernannte 862 Asˇot Bagratuni zum Großfürsten (իշխանաց իշխան / isˇxanac’ isˇxan) von Armenien. Kurz danach erbat der armenische Adel für Großfürst Asˇot I. Bagratuni die Königswürde, daraufhin krönte der arabische Kalif ihn zum König. Auch der byzantinische Kaiser Basileios I.614 sprach dem armenischen Fürsten die Anerkennung seiner königlichen Macht aus, allerdings nur aus politischen Gründen: Byzantiner und Araber befanden sich im Krieg, aus diesem Grund erhielt Armenien wieder eine bedeutende politische Rolle.615 Damit wurde in Armenien nach viereinhalb Jahrhunderten wieder ein Königreich begründet. Unter der Herrschaft der Bagraditendynastie entwickelten sich Kunst, Architektur und Literatur Armeniens. In der Architektur wurden alle Formen der klassischen armenischen Architektur aufgegriffen und variiert. In der Stadt Ani, die Asˇot III. zu seiner Hauptstadt erhob, wurden so viele Kirchen gebaut, dass sie bald den Beinamen »Stadt der tausend Kirchen« bekam. Die Friedenszeit dauerte aber nicht lange. Im Jahre 1045 endete die Bagratidendynastie, was starke Veränderungen im Land verursachte: Die von den Seldschuken verdrängte Bevölkerung, vor allem aber der Adel, suchte in Kilikien eine neue Heimat.616 Die Byzantiner waren besonders daran interessiert, viele armenische Adelsgeschlechter in die kilikischen Berge nordöstlich des Mittelmeeres zu verpflanzen. Die adligen Vasallen erhielten dort wichtige Posten. Die Byzantiner verloren aber bald den Krieg gegen die Seldschuken. Der kilikische Adel musste dann alleine den Seldschuken widerstehen. Nicht nur der Adel und die Bevölkerung suchten in Kilikien eine neue Heimat, sondern auch die politischen und kirchlichen Zentren wurden aus Großarmenien nach Kilikien verlegt. Bald entstanden eine Reihe kleiner Feudalstaaten, in denen die Adelsfamilie der Rubeniden die führende Rolle spielte. Während der Zeit der Kreuzzüge waren die europäischen Mächte besonders auf die armenische Hilfe angewiesen. Papst Clemens III. rief in Europa zu einem neuen Kreuzzug zur Befreiung der Heiligen Stadt auf und richtete an den armenischen Fürsten Levon (Leo) II. (bekannt auch als Levon Mecagorc, Levon Mecahałt’, Levon Bazmahałt’, Levon Barepasˇt) und an den Katholikos Grigor IV. ein Schreiben, in dem er um finanzielle und militärische 613 Ghazarian (1903), S. 59 – 60. 614 Basileios 1. Makedon war armenischer Abstammung. Er wird in der byzantinischen Geschichte als Verfasser von Gesetzbüchern und als Erneuerer des römischen Rechts gerühmt. 615 Vgl. dazu: Hay zˇołovrdi patmowt’yown (Geschichte des armensischen Volkes), Bd. 3 (1976), S. 13 – 24. 616 Inglisian (1963), S. 190 – 191.

Gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

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Unterstützung der Kreuzritter nachsuchte.617 Der deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa wollte mithilfe der kilikischen Fürsten seine Herrschaft im Osten festigen. Levon sah in diesem Vorhaben die Möglichkeit für die Erlangung der Königswürde für Kilikien. Die Rubenidendynastie unterstützte die Kreuzfahrer und festigte das politische Bündnis mit dem europäischen Hochadel durch zahlreiche Eheschließungen. Für die Unterstützung der Kreuzzüge versprach Friedrich I. dem Fürsten Levon (Leo) II. die Königskrone. Der Kaiser starb aber vor der Verwirklichung seines Versprechens, das dann sein Sohn, Heinrich VI., und Papst Cölestin III. erfüllten und Levon II. als König anerkannten. Heinrich VI. wollte an der Krönung von Levon II. persönlich teilnehmen, starb jedoch vorher im Jahr 1197. An der feierlichen Krönungszeremonie von Levon II. in der Kathedrale von Tarsus am 6. Januar 1198, die durch den Katholikos Grigor Apirat vollzogen wurde, nahm der Erzbischof von Mainz, Kardinal Konrad von Wittelsbach, teil.618 Die hierarchische Struktur der Gesellschaft entwickelte sich in Großarmenien und Kilikien, neben erheblichen Gemeinsamkeiten, unterschiedlich. Während Großarmenien seinen Status als Königreich und damit auch seine Unabhängigkeit verlor, entwickelte sich das kleinarmenische Königreich von Anfang an nach westeuropäischem Vorbild. Der intensive Gedankenaustausch mit dem lateinischen Europa und die Versuche, mit den Lateinern zu einer Verständigung zu kommen, waren der Anlass für Unzufriedenheit und Klagen vonseiten der Bevölkerung Großarmeniens.619 Während im Bereich der Literatur Großarmenien in dieser Zeit nur noch wenige herausragende Namen hervorbrachte, erreichte die Literatur in Kilikien ihren Höhepunkt. Hier waren die Literaten aus dem Laienstand häufiger vertreten als früher. Die hayrenner sind sowohl in Kilikien, wo der Gedankenaustausch mit den europäischen Ländern durch Kreuzzüge ermöglicht wurde, als auch in Großarmenien, wo die hayrenner mit dem Verlust des Königtums auf die Städte übergingen und in der Folge die Wertvorstellungen, Wünsche und Ängste des Bürgertums zum Ausdruck brachten, bezeugt. Großarmenien stand mit Kilikien in einem ständigen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch. Einige namentlich bekannte hayrenSänger620 waren sowohl im kilikischen als auch im großarmenischen Raum tätig. Eine der ältesten Handschriften aus dem 13. Jh., die hayrenner enthält, stammt

617 Bauer (1977), S. 129. 618 Vgl. dazu: Bauer (1977), S. 129 – 130; Brentjes (1976), S. 139 – 140, Haykakan sovetakan hanragitaran (Sowjetarmenische Enzyklopädie), Bd. 4 (1978), S. 589 – 590. 619 Vor allem auf dem religiösen Gebiet: Die Unionsbestrebungen mit Rom, die Begründungen der Ordensniederlassungen der Franziskaner und Dominikaner in Kilikien. 620 Vor allem: Erznkac’i, Frik.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

mit großer Wahrscheinlichkeit aus Kilikien621 (Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, HS. Nr. 9229). Im mittelalterlichen Armenien stand der König als oberster Gerichts- und Lehnsherr an der Spitze des Feudalsystems.622 Der Mxitarische Quellenkodex unterscheidet die oberen und niederen Feudalstände: den hohen Adel und den niederen Adel, die Ritter und die Gemeinen.623 Die Fürsten waren durch den König eingesetzt oder autochthon, dementsprechend war das Lehen entweder für die Dauer des Lebens des Vasallen zugesprochen oder erblich.624 Die Träger des erblichen Fürstentums hießen zˇar˙angavor isˇxan (ժառանգավոր իշխան / Erbfürsten). Die armenischen Fürstenfamilien besaßen eine größere Unabhängigkeit von der königlichen Zentralmacht.625 Zum Hochadel gehörte auch isˇxanac’ isˇxan (իշխանաց իշխան / Fürst der Fürsten), also der Großfürst. Ursprünglich war das unter der persischen und arabischen Herrschaft der Titel eines einzelnen Würdenträgers, der die Landesverwaltung führte. In der Bagraditenzeit aber bildete sich aus dieser ursprünglich behördlichen Institution ein neuer Adelstand heraus, der größere Adelsprivilegien gewann.626 In Kilikien wurden die altarmenischen Titel- und Rangbezeichnungen durch europäische ersetzt: Der führende Beamte des Hofes wurde Chanstler, der Regent Bayl (Bailiff) genannt. Die Verwalter der Domänen wurden Sinichal (Seneschall) genannt. Der Feldherr trug den Titel Konstabler (Conntable).627 Isˇxanac isˇxan (իշխանաց իշխան / Fürst der Fürsten) wurde in Kilikien paronayc’ paron (պարոնայց պարոն / Fürst der Fürsten) genannt, mit der Bedeutung paron (Barone) ersten Ranges.628 Der Titel paron hat sich im armenischen Sprachge621 Vgl. dazu: Mnac’akanyan (1995), S. 1001. 622 Für die Darstellung der hierarchischen Struktur der Gesellschaft in Großarmenien und Kilikien stütze ich mich vor allem auf die Arbeiten von Karst (1905), Bd. 2, S. 94 – 98; Hay zˇołovrdi patmowt’yown (Geschichte des armensischen Volkes), Bd. 3 (1976): Kilikien, S. 671 – 989; Bauer (1977), S. 120 – 139; Brentjes s. o. (1981), S. 37 – 41. 623 Karst (1905), Bd. 2, S. 94. 624 Eingesetzte und nicht eingesetzte Fürsten wurden aus dem ursprünglichen naxarerentum geleitet, in dem die naxararner (նախարարներ) entweder solche waren, die aus angesehenen Geschlechtern stammten und traditionell durch die Könige anerkannte Erb- und Besitzrechte hatten, oder solche, die von den Königen für ihre Verdienste mit Landgebieten ausgezeichnet worden waren. Die Könige konnten aber auch die Rechte der naxararner widerrufen und ihre Besitzungen dem Fiskus zuschlagen. In Kriegszeiten waren die Fürsten verpflichtet, mit ihren Truppen für den König als obersten Landes- und Kriegsherrn zu kämpfen. Vgl. dazu: Johannissian (1912), S. 22 – 23. 625 Die eigentliche Macht der Fürsten beruhte auf ihrem eigenen Territorium. In inneren Angelegenheiten und in der Verwaltung ihrer eigenen Gebiete waren sie ganz selbstständig. In der Geschichtsschreibung wurden sie sowohl als Diener des Königs als auch als Könige bezeichnet. Vgl. dazu: Johannissian (1912), S. 23. 626 Karst (1905), Bd. 2, S. 95. 627 Vgl. dazu: Brentjes s. o. (1981), S. 38. 628 Avag paron ( ավագ պարոն / Fürst der Fürsten) wurde damit direkte Fortsetzung der

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brauch bis heute als männliche Anrede erhalten. Die altarmenische Bezeichnung des Militäradels von Großarmenien azat (ազատ / Freier) wurde in Kleinarmenien zum Stande der Ritter nach abendländischem Muster umgestaltet.629 Der mittelalterliche Terminus jiavor (ձիավոր) wurde durch den altfranzösischen chevalier ersetzt. Den eigentlichen Rittern (ձիավոր / jiavor) wurde der Stand niederer Ritter, zinvor (զինվոր), untergeordnet, der die Weiterbildung des altarmenischen Wostanik (ոստանիկ) war.630 Bei dem Klerus war das Katholikat der höchste hierarchische Rang, der allen anderen übergeordnet war. Das Patriarchat oder Papsttum wurde nicht höher geschätzt als das Katholikat, weil entsprechend der armenisch-apostolischen Lehre Katholikat und Patriarchat identisch waren.631 Während in Kilikien mit den Rubeniden und Het’owmidendynastien das wirtschaftliche und kulturelle Leben seinen Höhepunkt erreichte, wurde die armenische Aristokratie in Großarmenien immer schwächer. Die Fürsten suchten für ihre Residenz Orte, die nicht nur groß, wichtig für den Handel, sondern auch sicher waren. Als solche galten die in der Bagraditenzeit entstandenen Städte Ani, Kars, Arcn, Erznka und Dvin. Seit dem 10. Jh. entstand bereits im armenischen Hochland die neue bürgerliche Schicht, die mit ihrem Reichtum und ihrer Lage sehr einflussreich war. Im Unterschied zur höfisch-ritterlichen Gesellschaft in Deutschland, an der nur die Landadligen teilnahmen, spielte in Großarmenien auch die mecatunk’ (մեծատունք), die mit dem Aufstieg der Städte und der Umschichtung innerhalb des Mittelalters entstand, eine aktive Rolle. Neben der mecatunk’ nahm auch die Armenisch Apostolische Kirche bei der Regierung des Landes, besonders in der Zeit, in der sich Armenien unter fremder Herrschaft befand, aktiv teil. Somit wurde in Kleinarmenien die höfisch-ritterliche Gesellschaft nach europäischem Vorbild gebildet, und in Großarmenien wurde die ArmenischApostolische Kirche nach der Auflösung des Königreichs zu einem wichtigen Faktor der Einheit.

ursprünglich rein behördlichen Institution des altarmenischen isˇxanac’ isˇxan (իշխանաց իշխան / Fürst der Fürsten). Vgl. dazu: Karst (1905), Bd. 2, S. 95. 629 Ebd. 630 Ebd. S. 96. 631 Ebd. S. 98.

182 1.2

Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Die hierarchische Struktur der Gesellschaft in Deutschland632

Das deutsche Königtum war eine Fortsetzung des fränkischen Königtums. Der König war der oberste Gerichts- und Lehnsherr, der über das Reichsgut verfügte. Die Regierungsgewalt des Königs war nicht unbeschränkt, sondern zu allen wichtigen Entscheidungen wurden die Großen des Reiches um ihren Rat gefragt. Der König mit seinem Hof war in der höfisch-ritterlichen Gesellschaft ein wichtiger Garant für die Einheit und Unabhängigkeit des Reiches.633 Sowohl im mittelalterlichen Armenien als auch in Deutschland bildete das Unteilbarkeitsprinzip des königlichen Erbes das Prinzip des Erbrechts: Das Erbe ging meistens an den ältesten oder auch an einen anderen Sohn, jedoch immer nur an ein einziges Kind.634 Zu den Territorialfürsten gehörten die Herzöge, die großen Bischöfe und die Hochmeister der Ritterorden sowie die nachgeborenen Söhne der Könige.635 Die Fürsten besaßen die erblich gewordenen Amtsherrschaften der Herzöge, Pfalzgrafen, Landgrafen und Grafen. Dazu gehörten auch die hohen Kirchenämter: die Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Pröpste der Reichsklöster und Reichsstifter.636 Ab Ende des 12. Jahrhunderts bildeten die Reichsfürsten einen eigenen Stand, aus dem sich im 13. Jh. noch einmal eine kleine Gruppe herauslöste: die sieben Kurfürsten.637 Durch die Heranziehung ausgewählter Höriger zu Verwaltungsaufgaben oder zum persönlichen Herrendienst entstand während des 11. Jahrhunderts unter den Hörigen der Grundherrschaften eine Oberschicht, deren Mitglieder als ministeriales, mhd. dien(e)stman, bezeichnet wurden.638 Die Ministerialen gehörten zu einer Herrschaft und waren persönlich unfrei. Es gab kein einheitliches Ministerialrecht, sondern es wechselte von Herrschaft zu Herrschaft. Die Bildung des Personenkreises der Ministerialen ist umstritten, aber es besteht allgemein Einigkeit über die Annahme, dass sie aus niedrigen Schichten aufgestiegen seien. Es gibt aber auch zahlreiche Zeugnisse dafür, dass die freien Adligen in die Ministerialität eintraten.639 Im 12. Jh. bildete sich auf 632 Bei der Darstellung der hierarchischen Struktur der Gesellschaft sowie der Stellung der Frau, der Liebe, der Ehe und des Ehebruches im mittelalterlichen Deutschland wurden die Arbeiten von Sprandel (1982), Bumke (1986), Wechssler (1966), Wenzel (1974), Grupp (1921), Ehrismann (1995), Köhler (1970), Stiller (1987), Hoffmann (1914), Schweikle (1995) berücksichtigt. 633 Sprandel (1982), S. 99. 634 Vgl. dazu: Über das königliche Erbe im armenischen Mittelalter: Hay zˇołovrdi patmowt’yown (Geschichte des armensischen Volkes), Bd. 3, S. 269; Über das Unteilbarkeitsprinzip des königlichen Erbes im deutschen Mittelalter: Sprandel (1982), S. 99. 635 Sprandel (1982), S.101. 636 Bumke (1986), Bd.1, S. 45. 637 Ebd., S. 46. 638 Ehrismann (1995), S. 43. 639 Bumke (1986), Bd. 1, S. 49.

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diese Weise der Dienstadel aus, dessen Rechte der Geburtstadel, wenn auch widerwillig, anzuerkennen begann.640 Die Geburtsunterschiede innerhalb der Adelsklasse wurden auch in der höfischen Literatur behandelt. Der Tugendadel wollte mit dem Geburtsadel verbunden sein. Das galt jedoch nicht umgekehrt. Das Rittertum bezeichnet in einem engeren Sinne den Adel unterhalb der Fürsten, das daraus abgeleitete Ideal gilt aber in einem weiteren Sinne für den gesamten Adel.641 Die Forscher sind sich einig, dass der im Minnesang propagierte Frauendienst nach dem Muster der Vasallität konstruiert ist. Das vasallitische Dienstverhältnis verlangte nach der Erfüllung bestimmter Aufträge für den Herrenhof, vor allem den Waffendienst.642 Der Vasallendienst »galt de iure als eine freiwillige Verpflichtung, wenn er dies de facto auch nicht immer war.«643 Mit dem Tod des Herrn und der Herrin erlosch das Vertragsverhältnis. Mit dem Nachfolger wurde das Vertragsverhältnis neu geregelt. Im Minnesang wurde das Minneverhältnis zu einem Analogon der feudalen Gesellschaftsverhältnisse. Der realhistorische Herrendienst wurde im Minnesang zum fiktionalen Frauendienst.644

1.3

Liebe, Ehe und Ehebruch im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

Die Kirche hatte sowohl in Armenien als auch in Deutschland die Aufgabe, die legitime Ehe zu stärken und zu schützen und eine außereheliche Liebe abzulehnen. Die außerehelichen Geschlechtsbeziehungen waren illegitim und wurden von der Gesellschaft nicht toleriert.645 Die unehelich geborenen Kinder wurden in den meisten Fällen diskriminiert. Die Ehen wurden zwar meist aus Standes- und Zweckgründen geschlossen, die Kirche gab aber von Anfang an Frauen die Möglichkeit, aus den von den Verwandten erzwungenen Ehen auszubrechen. Schon der Sahakische Kanon des 5. Jhs. verlangte, dass nur die Ehen, die in beiderseitigem Konsens geschlossen wurden, Gültigkeit erlangen konnten.646 Das wurde immer wieder in verschiedenen kirchlichen Synoden bestätigt: Mit dem 23. Kanon wurde in der zweiten Synode von Dvin im Jahre 554 die Ehe von Minderjährigen verboten647 sowie die Eheschließung von Volljährigen nur dann anerkannt, wenn die Brautleute vor der Eheschließung einander vorgestellt 640 641 642 643 644 645 646 647

Ehrismann (1995), S. 43. Sprandel (1982), S. 104. Ehrismann (1995), S. 42. Ebd. Schweikle (1995), S. 172. Sprandel (1982), S. 137. Hac’owni (1936), S. 31. Es wurde aber keine Altersgrenze genannt, ab der die Eheschließung erlaubt ist.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

worden waren und ihre gegenseitige Zuneigung bekundet hatten.648 Nerses Sˇnorhali (12. Jh.), der Katholikos aller Armenier, drohte, die Ehen, die gegen den Willen der Frau geschlossen wurden, nicht anzuerkennen.649 Im Sempadscher Kodex aus dem 13. Jh. steht: »Der Priester, der dieses unterfängt, dass er Minderjährigen die Ehe erteilt oder auch solche ehelich traut, die gegen ihren Willen und ohne gegenseitige Zuneigung unter dem Zwange ihrer Verwandten nachgegeben haben, verliert seinen Grad.« (§88; 315)650

Die lateinischen Quellen dokumentieren auch zustimmende Reaktionen der Geistlichen gegenüber den Frauen, die nicht aus Zwang heiraten wollten: Der Chronist und Bischof Gregor von Tours berichtete im 6. Jh. mit Zustimmung, wie die Frauen, die gegen ihren Willen geheiratet werden sollten, sich in ein Kloster zurückzogen.651 In Gratians »Decretum« (12. Jh.) steht, dass »keine Frau gegen ihren Willen mit irgendjemand verheiratet werden sollte«652 und dass die Eheverbindung nur in beiderseitigem Konsens eingegangen werden soll. Dieses Konsensprinzip bildete in Europa die Grundlage des kirchlichen Eherechtes.653 Das soll aber nicht bedeuten, dass die Ehen im Mittelalter aus Liebe geschlossen wurden, sondern Liebe spielte keine entscheidene Rolle: Die Ehen wurden meist aus Standes- und Zweckgründen geschlossen. Sehr oft wurden die Betroffenen als Kinder und Jugendliche verlobt, ohne gefragt und einander vorgestellt zu werden oder sie sahen sich bei ihrer Hochzeit zum ersten Mal. Die Ehen und Familien beruhten im Mittelalter also nicht auf Liebe, sondern auf Zeugung der legitimen Erben und Wachstum der Dynastien.654 Wichtig war dabei die Herstellung der verwandtschaftlichen Beziehungen zu anderen Familien, um die eigene Herrschaft abzusichern und zu erweitern sowie die vorliegenden politischen Bündnisse durch Verschwägerung zu festigen.655 Die Tochter des kilikischen Königs Levon (Leo) II (? – 1219) und seiner zweiten Frau Sibylle von Zypern656 (1198 – 1230), Zabel (Isabella, 1215 – 1252), musste aus politischen

648 Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Dvini ekełec’akan zˇołovner (Synoden von Dvin), S. 276. 649 Vgl. dazu: Sˇnorhali (1873), S. 162 – 169. 650 »Քահանայ՝որ զայս այնէ որ անհասակաց պսակ այնէ, եւ կամ (զայնոք որ ակամայ՝ առանց յիրար հաճելոյ հավնել են բռնադատութեամբ) ազգացն պսակե՝ նա զկարգն կորսնէ:« (ՁԸ; 1 – 3) Sempadscher Kodex (1905), Bd. 1, S. 130 – 131, ins Deutsch übersetzt von Karst. 651 Spradel (1982), S. 77. 652 Bumke (1986), Bd. 2, S. 546. 653 Ebd. 654 Spradel (1982), S. 136. 655 Mehr dazu: Bumke (1986), Bd. 2, S. 534 – 540. 656 Sie stammte aus französischen Lusignan-Dynastie auf Zypern und war die Tochter von König Amalrich I. von Zypern und Königin Isabella von Jerusalem.

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Gründen Philipp von Antiochia657 heiraten. Kurz danach, als ihr Gatte ermordet wurde, musste die Kronprinzessin gegen ihren Willen den Fürsten Het’owm von Lambron (1219 – 1271) heiraten und ihm auf den Thron verhelfen. Sie floh zu ihrer Mutter, aber die Kreuzritter lieferten sie dem Fürsten Het’owm aus. Zabel war 11 Jahre alt, als die Hochzeit am 14. Juni 1226 stattfand. Diese Ehe löste zwei politischen Aufgaben: Die jahrelange Feindschaft zwischen den beiden führenden armenischen Fürstenhäusern in Kilikien, R˙ubinyan (seit 1198 königliche Dynastie) und Het’owmyan, wurde beendet, weil das Ehepaar bei der Durchsetzung der dynastischen Interessen zusammenwirkte. Mit der Geburt des Prinzen Levon (Leo) III. (1236 – 1289) war der kleinarmenische Thron gerettet, weil der politische Zweck der Eheschließung erst mit der Zeugung von Kindern, besonders männlicher Nachfolger, erfüllt wurde. Wie in diesem Beispiel zu sehen ist, hatten die Ehen, die unter diesen Umständen geschlossen wurden, nichts mit Liebe zu tun. Und nicht nur die adligen Frauen, sondern auch Frauen niedriger Abstammung wurden nicht aus Liebe, sondern aus Familieninteresse und wirtschaftlichen Gründen verheiratet, deswegen liefert die armenische Chronik kein Beispiel vorehelicher Liebesgeschichten.658 Von der Geschichtsschreibung wissen wir, dass die Grundlage des kanonischen Eherechts, d. h. die Eheschließung von Volljährigen durch den beiderseitigen Konsens und nicht unter dem Zwange durch Verwandte, sehr oft unbeachtet blieb. Davit’ Alawkay Ordi Ganjakec’i (12. Jh.) beschrieb, wie verbreitet die Vernachlässigug des kanonischen Rechtes sei und warnt die Geistlichen, unter solchen Umständen keine Ehe einzusegnen.659 In der Synode von Jagavan (1270) wurden die Geistlichen, die solche Ehen segneten, »unter Verfluchung«660 gesetzt. Damit stellte sich die Kirche gegen die adlige Gesellschaft, die in den meisten Fällen über die Eheschließung ihrer Töchter selbst entschied. Sehr oft wurde auch das Verbot der Verwandtenehe mißachtet, weil innerhalb des Hochadels fast alle Familien miteinander mehr oder weniger verwandt waren. Außerdem wollten die Königs- und Fürstenfamilien ihren Reichtum und Ansehen innerhalb ihrer Dynastien bewahren. Die Kirche verbot die Verwandtenehe in Armenien sehr früh. Im 13. Kanon der Synode von Sˇahapivan (444)

657 Er war der Sohn von Bohemund IV. von Antiochia genannt der Einäugige von Tripolis. 658 Vgl. dazu: Hac’owni (1936), S. 32. 659 [Վասն] որ զփոքր զմանկունս պսակեն, ՂԲ ([Concerning those] who marry small children, 92), übersetzt von Dowsett, vgl. dazu: The Penitential of David of Ganjak (1961), S. 77. 660 »Ընդ անիծօք«, vgl. dazu: Hac’owni (1936), S. 31. Mehr über die Synode von Jagavan: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Synode von Jagavan, S. 647 – 648.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

wurde die Verwandtenehe bis zum vierten Grad,661 im 22. Kanon der zweiten Synode von Dvin (554) bis zum fünften Grad662 und im 16. Kanon der Synode von Partav (768) wieder bis zum vierten Grad663 verboten. Der Katholikos Nerses Sˇorhali (12. Jh.) verbot die Verwandtenehe bis zum achten Grad,664 was aber nicht länger zu halten war, weil eine große Zahl der feudalen Ehen von Ungültigkeit bedroht war. Schon im Gesetzbuch von Mxit’ar Gosˇ (12. Jh.) wurde eine Ehe bis zum vierten Grad wieder als Verwandtenehe festgelegt. Das Verbot der Verwandtenehe bis zum 7. Grad wurde in der lateinischen Kirche von Papst Alexander II. im Jahr 1059 ausgesprochen und in Gratians »Decretum« festgelegt. Im Jahre 1215 aber, auf dem Vierten Laterankonzil, wurde die kirchenrechtliche Entscheidung auf die Verwandtschaft bis zum 4. Grad reduziert,665 und zwar aus demselben Grund wie in Armenien: Zu vielen feudalen Ehen drohte die Ungültigkeit. Trotz des kanonischen Verbots fanden die Laien aber immer einen Geistlichen, der die Ehe besiegelte. Der Geschichtschreiber Movses Kałankatowac’i berichtet in seiner »Patmowt’iwn Ałowanic’ asˇxarhi« (Geschichte über das Land der Ałowanen666) über die Ehe zwischen Varaz, dem Fürsten der Ałowanen und Vardanowhi.667 Varaz war der Sohn von Vaxt’ang und der Enkel von Varazman und Vardanowhi war ebenso die Enkelin von Varazman. Der Katołikos der Ałowanen, Mik’ayel, verweigerte die Ehe einzusegnen mit folgender Begründung: »[…] erdreiste dich nicht sie zu heiraten, denn ihr seid Enkel.«668 Daraufhin ersuchte Varaz den Katołikos der Georgier, T’alile¯, der die Ehe dann auch anerkannte.669 In der Synode von Partav (768) klagten die Geistlichen darüber, dass die Adligen dauernd gegen das kanonische Recht verstießen und immer wieder Verwandtenehen schlossen.670 Kirakos Ganjakec’i (13. Jh.) sah die ständigen Kriege und Unglücke, die Armenien verwüstet hatten, als Strafe für die begangenen Sünden, »denn das heilige kanonische Eherecht blieb unbeachtet 661 Vgl. dazu: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Synode von Sˇahapivan, S. 816 – 817. 662 Vgl. dazu: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Zweite Synode von Dvin, S. 276 – 277. 663 Vgl. dazu: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Synode von Partav, S. 859 – 860. 664 Nerses Sˇnorhali verbot die Verwandtenehe bis das vierte Geschlecht auf jeder Seite erreicht ist. Vgl. dazu: Sˇnorhali (1873), S. 166; Karst (1905), Bd. 2, S. 151 – 152. 665 Bumke (1986), Bd. 2, S. 545. 666 Kaukasus-Albaner 667 »Վասն ոչ առնելոյ առ ազգայինս խնամութիւն Միքայելի՝ Աղուանից կաթողիկոսի արարեալ ժողով«, ԺԳ, vgl. dazu: Movses Kałankatowac’i (1983), S. 313. 668 »[…] մի՛ յանդգնիր առնել, զի թոռունք էք։«, Movses Kałankatowac’i (1983), S. 313. 669 Ebd. 670 Vgl. dazu: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Synode von Partav, S. 860.

Gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

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und man mischte wie die Heiden das eigene Blut mit Verwandtenblut […].«671 Vardan Hac’owni schreibt über das armenische Mittelalter: Bei der Verschwägerung war besonders die Gleichheit des Familienstandes wichtig. Die Adligen suchten Ehemänner / Ehefrauen aus gleichwertigen Familien aus. […] Das Ziel war das adlige Blut der Dynastien rein zu halten, sowie als Ehepartner denjenigen zu haben und die Verwaltung des eigenen Hauses und die Erziehung der Nachkommenschaft in solche Hände zu geben, die hoch standen und den erwarteten wirtschaftlichen und politischen Interessen entsprachen.672

Das wird auch von der Geschichtsschreibung bestätigt: Die Töchter der Königsund Fürstenfamilien waren die Ehefrauen der königlichen Dynastien Arsˇakowni, Bagratowni, Rubinyan usw. Diese Tendenz wurde sogar im kilikischen Gesetz von Smbat Sparapet (Konnetabel) festgehalten: »Die Töchter [des Königs] betreffend lautet das Gesetz dahin, dass dieselben in ein Fürstenhaus verheiratet werden, d.i. dasjenige eines Königs oder Prinzen oder Marquis und dergleichen.« (§1; Über die Könige und ihre Kinder)673

Da die Ehe vor allem der Fortsetzung der eigenen Dynastie diente, wurde der Ehebruch der Frau nach weltlichem Recht sowohl in Armenien als auch in Deutschland als Verbrechen gewertet, während die außerehelichen sexuellen Beziehungen des Mannes keine strafrechtliche Tat darstellten.674 Wegen des Ehebruchs des Mannes durfte die Frau den Mann nicht verlassen, »denn Christus hat nicht verordnet, dass das Weib den Mann entlassen darf. Dagegen darf aufgrund von Unzucht der Mann das Weib entlassen« (VI; Über Ehebruch).675 Einige Rechtsbücher kannten ein besonderes Tötungsrecht des betrogenen Ehemannes, wie z. B. der Kodex von Smbat Sparapet: »[…] Wenn einer seine Frau und deren Buhlen in seinem Hause beieinander findet und tötet, ist er straflos vor dem weltlichen Gerichtshofe, weil er hierin sein Zeugnis besitzt, dass jener dort mit ihr zusammen war« (XV; In Betreff der Frau, bei welcher ihr Buhle angetroffen und getötet wird).676 Die armenische Geschichtsschreibung liefert 671 »Զի կարգ ամուսնութեան սուրբ օրինացն բարձաւ, և հեթանոսօրէն արիւն ընդ արիւն խառնէին՝ զազգականսն առնելով. […]«, ԽԱ, vgl. dazu: Kirakos Ganjakec’i (1961), S. 293. 672 Hac’owni (1936), S. 32. 673 »Եւ զդստերքն իրաւունքն է՝ որ ի նահապետութեան տուն կարգեն, որ է թագաւոր կամ բրինձ կամ մարգիզ կամ այսպիսիքն:« (Վասն Թագաւորաց եւ որդոց նոցին; Ա; 23 – 27), Sempadscher Kodex (1905), Bd. 1, S. 15, ins Deutsch übersetzt von Karst. 674 Mehr über den Ehebruch im deutschen Mittelalter: Bumke (1986), Bd. 2, S. 551 – 553. 675 »Ապա թէ այլ ամէն իրաւք աղէկ ուննայ զկինն, նա վասն բոզրածութեանն չկարէ թողուլ կինն զայրն. զի չէ համել Քրիստոս, որ կինն զայրն կարէ արձակել: Ապա ի վերայ բանի պոռնկութեանն թողու այրն զկինն:« (Վասն բոզրածութեան; 3 – 11), Sempadscher Kodex (1905), Bd. 1, S. 113, ins Deutsch übersetzt von Karst. 676 »[…] թէ ոք ըկինն եւ զցուլն ի յիր տունն խէչ իրաց գտնու, ու սպաննէ՝ նա անդատապարտ է ի դարպսէ, վասն զի զիր վկայութիւնն ունի, որ հաւն կայր ի խէչն:«

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

nur wenige Beispiele von der Untreue der Frau, die aber streng bestraft wurde. So beschuldigte der Katholikos Hovhannes die erste Ehefrau von König Levon (Leo) II., Isabella von Antiochia, des Ehebruchs. Der König verurteilte sie zur Todesstrafe. Zwar wurde die Königin dank dem Neffen des Königs Konstantin nicht getötet, aber sie musste bis zum Ende ihres Lebens in der Festung Vahka gefangen bleiben und um Vergebung ihrer Sünde bitten.677 Der umgekehrte Fall aber wurde toleriert. So heiratete der Fürst Abas aus der Bagratuni-Dynastie mit 18 Jahren Nana aus der bekannten Zak’aryan-Fürstenfamilie. Nach zwei Jahren starb er und hinterließ einen Sohn aus einer unehelichen Beziehung. Trotz des Ehebruches ließ seine Gattin nach seinem Tod eine Brücke mit einem Kreuzstein zu Ehren des Ehemannes Abas bauen als »Erinnerung an ihn und als Tröstung für sich […]«.678 Auch hier drängte die Kirche darauf, Männer wie Frauen gleich zu behandeln und lehnte den Ehebruch auf beiden Seiten ab. Trotz des kanonischen Verbots wurde auch im Westen gegen dieses Gebot ständig verstoßen. So klagte Innozenz III. in einem Brief an den Bischof von Regensburg im 1209, dass viele Ritter ungestraft Ehebruch und Blutschande begehen wollten und nicht nach dem Bußgericht der Kirche fragten.679 Die Kluft zwischen dem kanonischen Eherecht und den realen Verhältnissen war sehr groß und die Kirche war nicht in der Lage, wirksam dagegen anzukämpfen. So sahen die realhistorischen Verhältnisse und die mittelalterlichen Vorstellungen über Liebe, Ehe und den Ehebruch aus. Die Liebe aber, die in der Minnelyrik und in der hayren-Dichtung thematisiert wurde, war im Wesentlichen eine außereheliche Liebe, die an eine Geliebte und nicht an die Ehefrau gerichtet war. Das ist für die Liebesdichtung nicht ungewöhnlich, weil sie die nicht gelöste Spannung zwischen den Liebenden braucht. Das dauernde eheliche Glück gehört normalerweise nicht zu den gewöhnlichen Motiven der Liebesdichtung.680 In der hayren- und Minnelyrik wurde aber auch die Ehefrau in die außereheliche Liebe einbezogen. Das ist das Neue, das die weltliche Liebeslyrik mit sich brachte. Während im deutschen Minnesang offene Bekenntnisse zum Ehebruch fehlen,681 finden sich in der hayren-Dichtung einige wenige Lieder, in denen die Ehefrau offen über ihren Ehebruch redet:682

677 678 679 680 681 682

(Վասն կնոջ՝ որ ցուլն ի խէչն գտվի ու սպանվի), Sempadscher Kodex (1905), Bd. 1, S. 120, ins Deutsch übersetzt von Karst. Hac’owni (1936), S. 48. » յիշատակ նմա եւ ի մխիթարութիւն ինձ […]«, ebd., S. 235. Bumke (1986), Bd. 2, S. 561. Vgl. dazu: Mohr (1972), S. 200. Vgl. dazu: Bumke (1986), Bd. 2, S. 555 – 556. Offene Bekenntnisse zum Ehebruch findet sich auch in folgenden hayrenner: Ա/ԽԶ, 17 – 24, Ա/ԾԱ, 17 – 24, Ա/ԾԱ, 311 – 322, Ա/ԾԸ, 36 – 43, Ա/ԿԳ, 15 – 22.

Gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

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In dieser Nacht ging ich hinaus, es waren dunkle Wolken und es nieselte so angenehm. Ich sah meine Geliebte liegend unter der grünen Decke. Da versuchte ich, mich zu ihr zu legen. Sie nahm ihren Hut. Ihre schwarzen Augen sagten zu mir: »Geh jetzt, eine schwarze Schlange habe ich in meinem Schoß, wenn sie dich sieht, wird sie es erneut versuchen.« Mit Kummer kehrte ich zurück, und preise ihr schönes Antlitz. (Ա/ԻԳ, 25 – 36)

In diesem Lied wurde nicht nur die Geliebte als verheiratete Frau gedacht, sondern der Ehemann wird als schwarze Schlange bezeichnet. Im Gegensatz zu gowsanner sind die Minnesänger sehr zurückhaltend mit dieser Thematik. Das könnte man damit erklären, dass die Träger des Minnesangs die adligen Dilettanten waren, die vorsichtiger als die Berufssänger, die Träger der hayrenDichtung, mit offenen Bekenntnissen zum Ehebruch waren. In einer Gesellschaft also, in der keine vorehelichen und außerehelichen Beziehungen akzeptiert wurden, besangen der Minnesänger und der gowsan eine Liebe, die vor-683 und außerehelich war. Deswegen wurde diese Liebe von der Kirche abgelehnt. Die Kirche bevorzugte Literatur, die im Dienst frommer Erbauung und Belehrung stand, und kämpfte gegen die gowsanner. Im 13. Jh. warnte Hovhannes Gar˙nec’i die Könige und Geistlichen, die nach kirchlichen Gesängen streben, »dürfen ihre Ohren nicht mit den Liedern der gowsanner füllen.«684 Die Kirche kämpfte sogar mit kanonischem Recht gegen die gowsanner und ihre Kunst. So verbot der Katholikos Nerses Sˇnorhali (12. Jh.) den Gesang der gowsanner während der Hochzeitsfeier: »Während der heiligen Heiratszeremonie müssen die Gesänge der gowsanner beendet werden, weil die göttlichen Lieder nicht mit den dämonischen Liedern der gowsanner vermischt werden dürfen.«685 Barseł Masˇkowvorc’i schreibt im 14. Jh.: »Die Kunst der gowsanner ist eine teuflische Verführung.«686 Trotz der heftigen Kritik vonseiten der Kirche nahmen vermutlich auch die Geistlichen an Festen teil, während derer die gowsanner ihre Lieder vortrugen. Im Rechtskodex wurden die Geistlichen er683 In einigen hayrenner ist die Liebe an ein nicht verheiratetes Mädchen adressiert, das von der eigenen Mutter bewacht wurde. 684 »[…] աստ զերգս գուսանաց մի՛ լուիցէ:« Vgl. dazu: Hac’owni (1936), S. 256. 685 »Եւ ի ժամ կատարելոյ զսուրբ պսակն՝երգք գուսանութեան լռեալ դադարեսցեն, մինչև ելցեն յեկեղեցւոյն, զի մի դիւական երգքն խառնեսցին ընդ աստուածային երգոցն:« Vgl. dazu: Sˇnorhali (1873), S. 167 – 168. 686 »Գայթակղութիւն է և ի գործս և յարուեստս… գուսանութիւն:« Grigoryan (1971), S. 183.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

mahnt: »Entferne dich nicht vom göttlichen Lied und werde nicht von den gowsannern verführt, Priester!«687 Der Geschichtsschreibung zufolge fanden die gowsanner ihr Publikum sowohl beim niedrigen Adel und Rittertum als auch beim Hochadel. Mat’eos Owr˙hayec’i schrieb über die königlichen Ritter: »[…] sie liebten barbut688 und die Lieder der gowsanner […].«689 Nerses Sˇnorhali bedauerte in seiner »Klage über Edessia«, dass die Adligen sich mit Liedern und Musik Freude bereiteten.690 Smbat Sparapet schrieb, dass die Adligen immer schwächer wurden und Wein und Lieder der gowsanner mochten.691 Auch die Troubadourdichtung und Minnelyrik wurden von der Kirche entschieden abgelehnt und mit allen Mitteln bekämpft.692 Die Geistlichen hielten »die höfische Liebe und das ganze höfische Gesellschaftsideal, das sich unter das Zeichen der Liebe stellte, Symptome eines gefährlichen moralischen Niedergangs und einer sittlichen Korruption der Adelsgesellschaft.«693 Der Franziskaner Matfre Ermengaud (13. Jh.) widmete einen Teil seiner Enzyklopädie einem Traktat, in dem er die »Gefährlichkeit der Liebe nach der Art der alten Troubadoure«694 darstellte und davor warnte, die Frauen »mit jener selben Liebe anzubeten, die man allein dem Schöpfer schuldet.«695

1.4

Die Stellung der Frau im armenischen und deutschen Mittelalter

Die Einschätzung der Frau im christlichen Mittelalter war stark von der kirchlichen Mentalität geprägt:696 Einerseits setzte sich die Kirche für die Gleichberechtigung der Frau mit der Begründung ein, dass die menschlichen Seelen vor Gott gleich sind und Frauen die gleichen Möglichkeiten für die ewige Seligkeit haben wie die Männer:697

687 »Մի գուսանամուտ լինել քահանայից, թողեալ զերգս Աստուծոյ«, vgl. dazu: Kanonagirk’ Hayoc’ (Armenisches Rechtskodex), Bd. 1 (1964), 489. 688 Musikalisches Instrument. 689 »[…] սիրեցին զբարբուտ և զերգս գուսանաց […]:« Vgl. dazu: Mat’eos Owr˙hayec’i (1991), S. 88. 690 Anthologie Ganjaran hay hin banastełcowt’yan (Schätze der altarmenischen Dichtung) (2000), Nerses Sˇnorhali S. 281. 691 »[…] սիրեցին զգինի և զգուսանս.«, vgl. dazu: Smbat Sparapet (1856), S. 37. 692 Vgl. dazu: Sprandel (1982), S. 74. 693 Bumke (1986), Bd. 2, S. 528. 694 Sprandel (1982), S. 74. 695 Ebd. S. 75. 696 Vgl. zur Stellung der Frau im armenischen Mittelalter: Hac’owni (1936), S. 142 – 155; im deutschen Mittelalter: Sprandel (1982), S. 74 – 76; Bumke (1986), Bd. 2, S. 454 – 503. 697 Vgl. dazu: Sprandel (1982), S. 75 – 76.

Gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

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Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr seid »einer« in Christus Jesus. (Galaterbrief 3,28).

Es wurde den Frauen deswegen erlaubt, sich mit geistlich-literarischen Tätigkeiten zu beschäftigen. Die Geschichtsschreibung überliefert uns die Frauennamen, die sowohl im mittelalterlichen Armenien als auch in Deutschland im Kontext der geistlichen Literatur dokumentiert sind. Besonders groß war der Respekt vor heiligen Frauen. So besitzt die christlich-religiöse Literatur seit der Christianisierung Armeniens (301) die Lebensbeschreibungen heiliger Frauen wie der Jungfrau Hripsime, der Äbtissin Gayane und der Tochter des heiligen Vardan Mamikonyan, Sˇusˇanik, die genauso wie die heiligen Männer verehrt wurden. Nach der Geschichtsschreibung waren armenische Adelsfrauen bei der Christianisierung des Landes aktiv. Die Königstochter Sandowxt, die vom Apostel Thaddeus bekehrt wurde, erlitt den Märtyrertod. Die Königsschwester Xosrovidowxt erkannte in einer göttlichen Eingebung, dass ihr Bruder, Trdat der III., von Grigor dem Erleuchter geheilt werden könnte. Die bekanntesten Dichterinnen wie Sahakdowxt Syownec’i und Xosrovidowxt Gołt’nac’i waren Vertreterinnen der christlich-religiösen Literatur. Unter den Lebensbeschreibungen heiliger Frauen im lateinischen Europa spielte besonders die Verehrung der heiligen Radegunde aus Poitiers (6. Jh.) eine große Rolle.698 Der Lebensraum der heiligen Frauen in Europa waren die Nonnenklöster. Im 12. Jh. wurde die Zahl dieser Frauen größer und »es entstand von jetzt an eine breite Literatur von und für religiöse Frauen.«699 Die bekanntesten Dichterinnen und Vertreterinnen der Nonnenklöster im deutschsprachigen Raum waren Hrotsvith von Gandersheim, Herrad von Hohenburg (auch Herrad von Landsberg), Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau, Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn, Gertrud die Große (auch Gertrud von Helfta), Margarete Ebner, Christine Ebner und Adelheid Langmann.700 Andererseits aber gab es die von der christlichen Ideologie geprägte Ungleichwertigkeit von Mann und Frau, die es den Frauen nicht erlaubte, an der weltlichen Literaturproduktion teilzunehmen.701 Die Unterordnung der Frau unter den Mann, die Paulus sanktionierte (1. Timotheus 2,11 und 12, Titus 2,3 – 4), wurde von den Kommentaren im christlichen Mittelalter anerkannt.702 Die Frauen wurden von öffentlichen, geistlichen und literarischen Laufbahnen 698 Der Bischof von Poitiers Venantius Fortunatus verfasste die erste Lebensgeschichte von ihr gegen Ende des 6. Jahrhunderts. Ein wenig später wurde von der Nonne Baudonivia, die von der Heiligen selbst erzogen worden war, eine weitere Vita verfasst. Vgl. dazu: Das große Buch der Heiligen (1980), die heilige Radegunde, S. 507 – 509. 699 Sprandel (1982), S. 76. 700 Vgl. dazu: Bennewitz (1996), S. 11. 701 Vgl. dazu: Sprandel (1982), S. 74. 702 Ebd, S. 74 – 75.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

ferngehalten. Im mittelarmenischen Rechtsbuch steht: »Es verordnet das Göttliche Gesetz (215), dass der Mann das Haupt der Frau sei, sodass es sich gebührt, dass die Frau so unter der Gewalt des Mannes stehe, wie die Füße und übrigen Glieder unter derjenigen des Kopfes« (§ 72; In Betreff der Ehegemeinschaft der Ehegatten).703 Tat’evac’i erklärte die Ungleichheit der Geschlechter folgendermaßen: »Weil der Mann vollkommen und die Frau nur ein Halbes ist.«704 In dieser allgemeinen negativen Beurteilung bildete Grigor Narekac’i (950 – 1003), der die Sittsamkeit der Gerechten mit der Bescheidenheit der Frauen vergleicht, mit seiner Einstellung eine Ausnahme.705 Die Ungleichheit der Geschlechter war in Europa noch ausgeprägter. Im Decretum Gratians stand: »Wegen ihres Standes der Dienstbarkeit soll die Frau dem Mann in allem unterworfen sein.«706 Der Franziskaner Nikolaus von Lyra (1270/75 – 1349) ging noch weiter. Er schrieb in der Mitte des 14. Jhs., dass in Frauen normalerweise wenig Verstand sei.707 Die Frauen wurden auch im öffentlichen Recht diskriminiert. Sie hatten sowohl in Armenien als auch in Deutschland grundsätzlich kein Recht auf Zeugnis vor Gericht.708 Die Frauen waren außerdem Symbol für die Verführung und die sündhafte Welt.709 So war der Sündenfall gelegentlich das Thema der mittelalterlichen Literatur, in der die Frauen allgemein wegen ihrer moralischen Schwäche, ihres Ungehorsams, ihrer Eitelkeit, ihrem Stolz, ihrer Gewinnsucht, Leidenschaft, Launenhaftigkeit, ihres Wankelmutes und ihrer Begehrlichkeit getadelt wurden. Der Frauentadel war aber, wie der Frauenpreis, für das ganze Geschlecht gemeint.710 Xacˇ’atowr Kecˇ’ar˙ec’i schrieb im 13. Jh.: Կանանց ազգ, լացէք զձեզ, Դուք էք զէն ի սատանայէ. Դստեր էք այն մօրն ձեր, Որ եհան զհայրն ի դրախտէ. Քանի՜ շատ չարիք գործէք, 703 »Հրամայէ աստուածային աւրէնքս՝ որ այրն գլուխ է կնոջն, եւ պատեհ է որ կինն հայնց կենայ ի յայրկանն ի համանքն զէտ ոտքն ու այլ զաւդուածքն ի գլխոյն։« (Յաղագս այրուկնաց ամուսնութեան; ՀԲ; 3 – 14), Sempadscher Kodex, Bd. 1 (1905), S. 107, übersetzt von Karst. 704 »Զի այրն կատարեալ է, իսկ կինն կէս:« Hac’owni (1936), S. 149. 705 Łazinyan (2005), S. 566. 706 Bumke (1986), Bd. 2, S. 456. 707 Sprandel (1982), S. 75. 708 Im Zeugnisfähigkeitsgesetz des mittelalterlichen armenischen Rechtsbuches machten die folgenden sieben Bedingungen zum Zeugnis fähig: »1. Volljährigkeit, 2. Voller Besitz der Verstandeskräfte, 3. Unbefleckte Herkunft, 4. Männliches Geschlecht, 5. Rechtsgläubigkeit, 6. Rechtschaffenheit und Unbescholtenheit, 7. Unverdächtigkeit.« Sempadscher Kodex, Bd. 2 (1905), S. 379. 709 Sprandel (1982), S. 75. 710 Vgl. dazu: Bumke (1986), Bd. 2, S. 458.

Gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

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Մահն գայ և զձեզ զնդանէ. Յետոյ պատասխան ուզեն, Երբ գեհենն զձեզ պաշարէ։711 Frauengeschlecht, weint um euch, ihr seid des Teufels Waffe. Ihr seid die Töchter von jener Mutter, die den Vater aus dem Paradies vertrieb. Wie oft sollt ihr Böses anstellen, der Tod soll euch gefangen halten. Man soll von euch eine Antwort verlangen, wenn ihr in Höllenfeuer leidet.

Die biblische sündhafte Verführung der Frau kennt auch die mittelhochdeutsche Literatur, besonders die Epik, in der die Frau öfter mit negativen Motiven verbunden ist, meistens ist von Eva und ihrer Rolle beim Sündenfall die Rede, mit der die moralische Schwäche der Frau begründet wurde:712 Ez machet trûric mir den lȋp, daz alsȏ mangiu heizet wȋp. ir stimme sint gelȋche hel: genuoge sint gein valsche snel, etslȋche valsches lære: sus teilent sich diu mære.713 (Wolfram von Eschenbach, Parzival Buch 3, 116, 5 – 9) Mich betrübt, dass man so viele / schlicht und einfach »Frauen« nennt. / Sie alle haben hohe Stimmen, / viele werden sehr schnell untreu, / wenige sind frei von Falschheit- / darin besteht der Unterschied.714

Das oben Gesagte zeigt deutlich, dass unter solchen Bedingungen die Frauen nicht die Möglichkeit hatten, am öffentlichen Leben sowie an der weltlichen Literaturproduktion teilzuhaben. Sie sollten sich auf häusliche Aufgaben konzentrieren, den Mann lieben und versorgen sowie die Kinder erziehen. Dennoch nahmen Frauen aufgrund ihrer Rolle als Mäzenatinnen, Auftraggeberinnen, Schreiberinnen und Zuhörerinnen beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der Literatur. Die frommen Fürstinnen in Armenien unterstützten Kirchen und Geistliche. So berichtete K’owpłidowxt, die Fürstin von Syowni, über den Erzbischof Sołomon von Syowni: »[…] Ich habe ihn zu meinem ›Seelensohn‹ gemacht, als Hoffnung und Retter meiner sündigen Seele.«715 Solche Frauen wurden in der 711 712 713 714 715

Mnac’akanyan (1995), S. 457. Bumke (1986), Bd. 2, S. 4. Zitiert nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival (1994), S. 198. Übersetzt von Dieter Kühn. »[…] ինձ հոգեաց զաւակ ստացայ. և յոյս և ապաւէն մեղուցեալ ոգւոյս իմոյ.«, Խ, vgl. dazu: Step’anos Orbelyan (1910), S. 219.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Geschichtsschreibung als մայրագիր (mayragir) bezeichnet und ihre Töchter als քոյրագիր (k’owyragir).716 Die Königinnen und Fürstinnen wurden in der armenischen Geschichtsschreibung unterschiedlich dargestellt, als Mitherrscherinnen und sogar Partnerinnen (զուգակից / zowgakic’) bis zu gehorsamen Ehefrauen, die ihren Ehemännern untergeordnet waren. In vielen Urkunden und offiziellen Dokumenten wurde die Gemahlin des Königs als Herrscherin bezeichnet. Sie wurde im armenischen Mittelalter թագուհի (t’agowhi / Königin), Հայոց թագուհի (Hayoc’ t’agowhi / Königin von Armenien) genannt. Die Namen der Königinnen wurden aber häufiger zusammen mit den Namen ihrer Ehemänner überliefert: »Ես Կատրանիդէ, Հայոց թագուհի […] ամուսին Գագկայ »717 (Es Katranide¯, Hayoc’ t’agowhi […] amowsin Gagkay / Ich Katarinde, die Königin von Armenien, […] die Gattin von Gagik). Es war auch üblich, die dynastische Abstammung der Königin zu erwähnen: »[…] Թագուհւոյ Մէլէքսթոյ՝ որ է յազգէ Արծրունի718 ([…] Tagowhwoy Me¯le¯k’st’oy՝ or e¯ yazge¯ Arcrowni / […] der Königin Melek’st’i, von der Dynastie Arcrowni). In der Geschichtsschreibung findet sich auch das Wort զուգակից (zowgakic’), das die Gleichheit der Eheleute beinhaltet: »Ես Սեդա […] զուգակից Վահրամայ«719 (Es Seda […] zowgakic’ Vahramay / Ich Seda […] die Ehepartnerin720 von Vahram) oder »Ես Շուշան տիկնաց տիկին՝ զուգակից Գրիգորոյ իշխանի«721 (Es Sˇusˇan tiknac’ tikin՝ zowgakic’ Grigoroy isˇxani / Ich Sˇusˇan, die Großfürstin, die Ehepartnerin des Großfürsten Grigor). Die Königinnen und Fürstinnen zeigen in ihren Inschriften aber auch ihre Gehorsamkeit und die Unterordnung ihren Ehemännern gegenüber: Die Fürstin Asp’a nannte ihren Ehemann »[…] քրիստոսապսակ գլխոյ իմոյ մեծափառ իշխանին Գրիգորի«722 ([…] k’ristosapsak glxoy imoy mecap’ar˙ isˇxanin Grigori / […] mein Haupt, mit dem ich in christlicher Ehe verbunden bin, der prächtige Fürst Grigor). Die Fürstin von Syowni, Sˇusˇan, nannte ihren Ehemann: »[…] երանելի տեառն իմոյ Աշոտի«723 (Eraneli tear˙n imoy Asˇoti / Mein glückseliger Herr Asˇot). Die Könige und Fürsten bezeichneten ihre Ehefrauen meistens als Gattin oder Gemahlin: »Կենակիցն իմոյ Սոփիայի«724 716 717 718 719 720

721 722 723 724

Hac’owni (1936), S. 129. Alisˇan (1881), S. 133. Hac’owni (1936), S. 121. Ebd., S. 37. Das Wort »զուգակից« beinhaltet die Gleichheit der Eheleute. Die deutsche Übersetzung Ehepartner/Ehepartnerin klingt zwar für das Mittelalter zu modern, mangels einer genauen Entsprechung im Deutschen habe ich aber dieses Wort gewählt um das Verhältnis der Ehepartner deutlich zu machen. Alisˇan (1881), S. 52. Hac’owni (1936), S. 37. Step’anos Orbelyan (1910), S. 237. Hac’owni (1936), S. 37.

Gesellschaftliche Strukturen im mittelalterlichen Armenien und Deutschland

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(Kenakic’n imoy Sop’iayi / Meiner Gemahlin, Sop’ia), »Կողակիցս Զապել թագուհի«725 (Kołakic’s Zapel t’agowhi / Meine Gattin, die Königin Sabel). Auch im deutschen Mittelalter wurden in Urkunden und Herrschaftsprotokollen die Kaiserinnen als Mitherrscherinnen erwähnt, am häufigsten von den salischen Kaisern: »Auf den Rat unserer teuersten Gattin, der erhabenen Mitkaiserin Theophano, Teilhaberin im Kaisertum wie im Königreich.«726 Die staufischen Kaiser verwendeten solche Formeln zuletzt nur noch selten, schließlich waren sie gänzlich verschwunden.727 Die Gemahlin des Herrschers hieß Regina Romanorum (Römische Königin) oder Imperatrix Romanorum (Römische Kaiserin), wenn ihr Ehemann die Kaiserkrone besaß.728 Bei der Regierungskontinuität spielten Frauen eine bestimmte Rolle: Verwitwete Königinnen konnten regieren, während ihre unmündigen Söhne aufwuchsen und Töchter konnten Throne erben, wenn ein männlicher Nachkomme fehlte.729 Der Sempadscher Kodex begründet die weibliche Thronfolge mit dem folgenden Hinweis: »Für den Notfall aber, dass überhaupt kein Sohn des Königs vorhanden ist, sondern nur eine Tochter, kann der Vater dieselbe zur Herrscherin krönen […].«(§1; Über die Könige und ihre Kinder)730

Die Töchter der adligen Familien in Armenien bekamen in ihren Vaterhäusern eine Ausbildung, die den christlichen und gesellschaftlichen Normen entsprach und ihr Verhalten in den zukünftigen Familien und in der Gesellschaft vorbereitete. Für die Ausbildung des Mädchens war ein Hauslehrer zuständig. Es lernte lesen und schreiben, aber nicht, um an dem öffentlichen und politischen Leben teilzunehmen, sondern um sich mit der Heiligen Schrift und mit den Psalmen zu beschäftigen.731 Die Geschichtsschreibung liefert Namen frommer Frauen, die Evangelien abschrieben oder aus der Heiligen Schrift vorlasen. So war Sˇowsˇanik nach der Geschichtsschreibung »lesefreudig, begabt und weise.«732 Kirakos Ganjakec’i berichtet im 13. Jh. über die fromme Fürstin von Xacˇ’en, Mamk’an, die »immer fastete, betete, lesefreudig war und Tag und Nacht das Gebot Gottes befolgte, wie es geschrieben war«733 Deren Tochter, Mama, war von Hovhannes 725 726 727 728 729 730

Ebd. Bumke (1986), Bd. 2, S. 484. Ebd. Ebd. Sprandel (1982), S. 99. »Բայց թէ ընդ անճարկութենէ լինի՝ որ բնաւ որդի չկենայ թագաւորին՝ այլ դուստր, նա կարէ հայրն թագել զինք […].« (Վասն Թագաւորաց եւ որդոց նոցին; Ա; 12 – 16) Sempadscher Kodex (1905), Bd. 1, S. 16, ins Deutsch übersetzt von Karst. 731 Bumke (1986), Bd. 2, S. 470 – 484. 732 »ընթերցասէր, հանճարեղ, իմաստուն«, Hac’owni (1936), S. 238. 733 »[…] ճգնէր հանապազ պահօք և աղօթիւք և ընթերցասիրութեամբ, և կայր ի

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Erznkac’i’s Predigt so begeistert, dass sie durch ihren Sohn Hovhannes Erznkac’i darum bat, die Predigt aufzuschreiben und ihr zu schenken. Dank ihr ist diese Predigt überhaupt bis in unsere Zeit überliefert.734 Der Chronist Step’anos Orbelyan berichtet über die Dichterin und Komponistin Sahakdowxt Syownec’i: »Sie war sehr begabt in der Musikkunst. Hinter einem Vorhang sitzend unterrichte sie viele Menschen in der Musik.«735 Auch im deutschen Raum sind die Namen von gut gebildeten Frauen überliefert, wie die Äbtissin von Hohenburg, Herrad von Landsberg (1125/1130 – 1196). Sie hatte ihren »Hortus Deliciarum« nicht nur mit vielen Bildern schmücken lassen, sondern einzelne lateinische Textpassagen selbst übersetzt.736 Für die Erziehung und Ausbildung des armenischen Mädchens waren besonders das gesellschaftliche Verhalten und die Tugendlehre wichtig. Das Mädchen sollte die gesellschaftlichen Normen gut kennen, ihnen unterworfen sein und ihren guten Ruf rein halten. Aristake¯s berichtet über die Fürstin Me¯le¯k’st’i von Sasown, die nicht nur äußerlich von vollkommener Schönheit war, sondern die ihre äußerliche Schönheit mit wertvollen Tugenden wie »[…] Frömmigkeit, Heiligkeit, Bescheidenheit, Gehorsamkeit, […] Barmherzigkeit gegenüber Waisenkindern und Witwen« verknüpfte737. Außer Lesen und Schreiben sollten die Frauen die Handarbeiten, wie nähen, spinnen, weben und sticken können. Der Katholikos Hovhannes erzählte über die Vielseitigkeit der Gewebe und Kissen, die die adligen Frauen gefertigt und der Kirche geschenkt hatten. Die Fürstin Katranide schenkte der Kathedrale von Ani schöne mit goldenem Faden gestickte Nadelarbeiten.738 Die Fürstin Arzow stickte mit ihren Töchtern einen Vorhang für die Kirche von Getik, »mit der Gestalt Jesu und anderer Heiliger, die die Bewunderung der Zuschauer erweckte.«739 Die unverheirateten Töchter (օրիորդք / oriordk’) der adligen Familien sowie die frisch verheirateten Frauen (մանկամարդ առնականայք / mankamard ar˙nakanayk’) waren auf Frauenstuben (ի սրահս դռնափակեալս / i srahs dr˙nap’akeals) beschränkt und nahmen an der Unterhaltung im Schloss nicht teil. Die Türen der Frauenstuben waren für die männlichen Gäste immer geschlossen. Die Geschichtsschreibung berichtet über zwei Arten von Vorhängen (սրահակք

734 735 736 737 738 739

պատուիրանս տեառն ի տուէ և ի գիշերի ըստ գրեցելումն։«, ԼԱ, vgl. dazu: Kirakos Ganjakec’i, S. 270. Hac’owni (1936), S. 239. »Սա յոյժ հմուտ էր երաժշտական արհեստին, որ և ի ներքոյ վարագուրի նստեալ ուսուցանէր զբազումս։ «, ԼԱ, vgl. dazu: Step’anos Orbelyan (1910), S. 139. Bumke (1986), Bd. 2, S. 475. »[…] զհոգևոր առաքինութիւն, զսրբութիւն, զհամեստութիւն, զխոնարհութիւն, […] որբոց և այրեաց խնամածու։« Hac’owni (1936), S. 159. Hac’owni (1936), S. 250. »[…] տնօրինականօք փրկչին և այլ սրբոց, որ հիացուցանէր զտեսողսն։«, ԺԴ, vgl. dazu: Kirakos Ganjakec’i, S. 215.

Anstöße aus der antiken Literatur

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և սրսկապանք / srahakk’ ew srskapank’) in Frauenstuben, die die jungen Frauen vor männlichen Blicken schützen sollten: Einer hing vor der Tür und hatte die Funktion, die Frauen vor fremden Blicken zu bewahren, falls die Tür aufging, der andere hing um das Bett der Frau.740 Die nicht verheirateten Frauen wurden zwar von der Unterhaltung im Schloss ferngehalten, aber in den Frauenstuben wurde eine eigene Art von Geselligkeit arrangiert, bei der die Frauen unter sich blieben und sich in eigener Weise die Zeit vertrieben.741 Im Gegensatz zu den nicht verheirateten Frauen nahmen die Ehefrauen der Adligen am gesellschaftlichen Leben teil. Sie traten als Gastgeberinnen neben ihren Ehemännern auf. Als der König Tiran den persischen Botschafter in seine Sommerresidenz zur Jagd und anschließend zum Festessen einlud, nahm er seine Ehefrau und den Prinzen Arsˇak mit, die an letzterem teilnahmen.742 Auch im gesellschaftlichen Leben, besonders bei der Unterhaltung der Festgesellschaft, hatte die Frau eine schmückende Funktion: Sie verteilte Freude, schenkte dem Mann das Gefühl des Glückes.743 Diese Eigenschaft der Frau wurde sowohl in der hayren-Dichtung als auch im Minnesang aufgegriffen und zum häufig benutzten Motiv gemacht.

2.

Anstöße aus der antiken Literatur

Die Laien hatten ihre eigene Literatur, die mündlich überliefert wurde und die Bereiche von Brauchtum, Sitte und Recht umfasste.744 Zwar war die gelehrte Bildung weder in Armenien noch in Deutschland bis zum 12. Jh. für Laien ein Gemeingut, aber die Geschichtsschreibung berichtet, wenn auch selten, über Herrscher und Fürsten, die gut ausgebildet waren: Grigor Magistros (990 – 1058) aus der Fürstenfamilie Pahlavowni, der Herr und Fürst der Bǰni (Ayrarat), erhielt eine hervorragende Ausbildung, beherrschte einige Fremdsprachen. Er war ein Politiker, Diplomat und übte wichtige Funktionen am königlichen Hof aus. Gleichzeitig war er literarisch, philosophisch und als Übersetzer tätig. Sowohl der kleinarmenische König Levon (Leo) III. (1236 – 1289) als auch sein Sohn Het’howm II.745 (1266 – 1307) besaßen eine gute Bildung, beherrschten die Ge740 Hac’owni (1936), S. 18. 741 Über das Aussehen der Frauenstuben und über das Verhalten der in den Frauenstuben arrangierten Gesellschaft im 11. Jh. gibt uns vor allem Aristakes Lastivertc’i wertvolle Informationen. 742 P’avstos Bowzand (1987), S. 82. 743 Bumke (1986), Bd. 2, S. 467. 744 Dazu gehörten, was historisch gut belegt ist, die Heldenepik, die Helden- und Spruchdichtung sowie die Tanzlieder. Vgl. dazu: Bumke(1986), Bd. 2, S. 610 – 611. 745 Het’owm II. trat 1293 als Bruder Johannes in das Franziskanerkloster von Mamistra ein und 1295 wieder in den Laienstand zurück.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

lehrtensprache Grabar sowie Fremdsprachen. Levon III. war ein weiser und frommer Herrscher, der Gedichte schrieb,746 Kunst, Literatur und die Wissenschaften förderte. Er gründete Schulen und Klöster. Seine Unterstützung genossen namhafte Dichter, Geschichtsschreiber und Philosophen wie Vardan Arevelc’i, Hovhannes Erznkac’i, Step’anos Orbelyan und der Neuplatoniker Vahram Rabowni. Der Sohn von Levon (Leo) III., Het’owm II., war der Verfasser von genealogischen Arbeiten.747 Auch das deutsche Mittelalter kennt lateinisch gebildete Herrscher, die literarisch aktiv waren, wie Heinrich VI. (1165 – 1197), der als Minnesänger bekannt ist. Sein Bruder, Philipp von Schwaben (1177 – 1208), war am Anfang zwar für die geistliche Laufbahn bestimmt, trat aber nach dem Tod Heinrichs VI. wieder in den Laienstand zurück.748 Er konnte Latein. Auch einige Minnesänger und hayren-Dichter erhielten eine gelehrte Bildung.749 Wie diese Beispiele zeigen, gab es nicht nur im Publikum, sondern unter den Autoren Gebildete, sodass in Höfen mit Mischungen und gegenseitigen Einflüssen von volkssprachiger und gelehrter Schriftlichkeit zu rechnen ist.750 Auch deswegen ist es wichtig, die antike Literatur und Philosophie als gemeinsames Erbe der beiden Literaturen und als Quelle von Anstößen zu betrachten. Für die mittelalterliche armenische und deutsche Minnekonzeption spielten die Grundannahmen der antiken Philosophie, besonders die platonische Erkenntnistheorie und Seelenlehre, eine wichtige Rolle.751 Es wird damit nicht behauptet, dass die armenische oder die deutsche mittelalterliche Minnekonzeption von der antiken Minnelehre direkt beeinflusst wurden. Es geht viel mehr um die Frage, inwieweit die antiken Erkenntnistheorien für die Entwicklung der mittelalterlichen Minneauffassung in beiden Ländern wichtig und welche Autoren und Werke der Antike im Mittelalter zugänglich waren. Die hellenistische Tradition prägte das Literaturleben Armeniens seit der vorchristlichen Zeit. Im 4. Jh. v. Chr. hatte Armenien durch den Alexanderfeldzug die hellenistische Kultur kennengelernt. Der griechische Einfluss wurde in 746 Unter seinem Namen ist ein geistliches Lied in der Chronik »Patmowt’yown nahangin Sisakan« von Step’anos Orbelyan (13. Jh.) überliefert. Vgl. dazu: Step’anos Orbelyan (1986), S. 345. 747 1) die Rubenidendynastie, 2) das Königtum von Jerusalem, 3) das Königtum von Zypern und 4) das Fürstentum von Antiochien. Mehr dazu: Inglissian (1963), S. 206. 748 Bumke (1986), Bd. 2, S. 603. 749 Latein konnten Walther von der Vogelweide und Der Marner. Gelehrte Bildung besaßen Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg. Selbst für Wolfram von Eschenbach vermutet man eine gelehrte Bildung. Auch die hayren-Dichter, Hovhannes K’erovbenc’, Hovasap’ Sebastac’i, Frik verfügten über eine gelehrte Bildung. 750 Bumke (1986), Bd. 2, S. 615. 751 Über die Einflüsse der platonische Erkenntnistheorie und Seelenlehre auf die mhd. Minnekonzeption: Fischer (1985), S. 44, Kolb (1958), S. 110 – 112.

Anstöße aus der antiken Literatur

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der Regierungszeit von Tigran dem Großen (95 – 55 v. Chr.), der die Griechen in seiner Hauptstadt Tigranakert ansiedelte, stärker. Die griechische Gelehrsamkeit und Bildung fungierte als Vorbild für die armenische königliche Artasˇidendynastie. Wie der Historiker Plutarch (45 – 125) in »οἱ βίοι παράλληλοι« (Parallele Lebensbeschreibungen) mitteilt, schrieb der Sohn von Tigran dem Großen (140 – 55 v. Chr.), Artavazd II. (? – 31 v. Chr.), Reden und Geschichtswerke und dichtete Tragödien in griechischer Sprache.752 Nach Plutarch waren einige seiner Werke sogar in seiner Zeit noch bekannt.753 Er ließ in Tigranakert und Artasˇat Theater bauen, in denen auch griechische Schauspieler auftraten. Historisch bezeugt ist die Aufführung der Tragödie »Βάκχαι« (Bakchen, Deutsch zumeist: Bacchantinnen) von Euripides.754 Es sind auch einige Teile der Tragödien »Ὀρέστης« (Orestes) und »Ἀνδρομέδα« (Andromeda) überliefert, was dafür spricht, dass die griechischen Tragödien in Armenien sehr beliebt waren.755 Die Erfindung des armenischen Alphabets und die darauf folgende Übersetzungsliteratur verstärkten die ausgeprägte Hellenophilie. Durch die Übersetzungen zwischen dem 5.–7. Jh. wurde in Armenien eine gräko- oder hellenophile Schule gegründet, die nicht nur die Werke der frühchristlichen Literatur, sondern auch die antike Philosophie, vor allem die Schriften Aristoteles und Platons und deren Kommentare sowie den Alexanderroman,756 übersetzte. Die Armenier waren also schon sehr früh mit den aristotelischen Schriften vertraut, die hauptsächlich durch Neuplatoniker verbreitet wurden. Bei den Übersetzungen und Kommentaren der Schriften Aristoteles spielte besonders der bedeutendste armenische Vertreter des Neuplatonismus, Davit’ Anhałt (der Unbesiegte, auch als David Armenios bekannt, 5.–6. Jh.), eine große Rolle. Er übersetzte »περὶ τῶν κατηγορίων« (Die Kategorien) und »Περὶ ἑρμηνείας« (Lehre vom Satz) von Aristoteles und kommentierte sie, ebenso auch die »εἰσαγωγή« (Die Isagoge) von Porphyrios. Mit den philosophischen Arbeiten von Davit’ Anhałt wurden in Armenien die ersten Schritte zur Ausarbeitung einer Erkenntnistheorie unternommen.757 Die armenischen Aristotelesschriften gehören zu den ältesten 752 Vgl. dazu: Marcus Crassus, Abschnitt: 33. Siehe Plutarch (1955), S. 290. 753 Ebd. 754 Plutarch erzählt, dass der armenische König Artavazd II. und der partische König Orodes am Hof von Artasˇat der Theateraufführung der Bakchen von Euripides zugeschaut hätten, als die Siegesnachricht und der Kopf des Crasus nach Artasˇat gebracht wurden. Vgl. dazu: Ebd. 755 Madoyan (1999), S. 11. 756 Die Übersetzung einer (α)-Handschrift des Alexanderromans stammt aus dem 5. Jh. unter dem Titel »Geschichte des großen Welteroberers Alexander von Makedonien«. Der Name des Übersetzers ist nicht überliefert. 757 Davit’ teilt die Erkenntnis in fünf Stufen: Empfindung, empirisches Wissen, Kunst, wissenschaftliches Wissen und Philosophie. Da die Philosophie sich mit ewigen und unbestreitbaren Wahrheiten beschäftigt, wird sie von Davit’ Anhałt’ als höchste Erkenntnisstufe und die Logik als ein Instrument der Philosophie dargestellt. Davit’ schuf außerdem eine

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Übersetzungen und übten auf die Entwicklung und Ausbreitung der Erkenntnistheorien im mittelalterlichen Armenien einen großen Einfluss aus.758 Bei der Ausbreitung des Platonismus in Armenien spielten sowohl die im 5.–7. Jh. von der gräkophilen Schule übersetzten Schriften von Platon und die Kommentare der Neuplatoniker der alexandrinischen Schule als auch die im 8. Jh. von Step’anos Syownec’i (660 – 735) ins Armenische übersetzten Werke von Nemesios von Emesa (5.–6. Jh.), Gregor von Nyssa (335/340 – 394) und Ps. Dionysius Areopagita (6. Jh.) eine große Rolle. Nach dem neuplatonischen Mystiker Ps. Dionysius Areopagita ist der menschliche Lebensweg ein Aufstieg zu Gott, der die Ursache und der Anfang aller Wesen und Dinge ist. Die Seele des nach Vollkommenheit strebenden Menschen sehnt sich nach Gott und kann nur durch eine mystische Vereinigung mit Gott befriedigt werden, in der der Mensch dann sein Glück findet.759 Für die Vereinigung mit Gott ist die Ähnlichkeit mit ihm entscheidend.760 Die Ähnlichkeit mit Gott und die Teilnahme an der göttlichen Einheit wird aber von der Liebe bewirkt, die als »eigentlich vereinigende und vergöttlichende Tugend«761 gilt. Dieser Grundgedanke herrscht im »Buch der Klagelieder« von Grigor Narekac’i und in seiner Lyrik vor. Auch in der weltlichen hayren-Dichtung wird die Liebe als wichtige Tugend und höchster Wert dargestellt. Der oben erwähnte Grigor Magistros übersetzte »Εὐθύφρων« (Euthyphron), »Φαίδων« (Phaidon), sowie Platons Spätwerk »Τίμαιο« (Timaios). In den bekannten Schulen des mittelalterlichen Armenien wie Hałpat (XI – XIII), Ani (XI – XIII), Glajor (XIII – XIV) und Tat’ev (XIV – XV) wurden neben christlich-theologischen Büchern die Werke der antiken Autoren auf Altarmenisch unterrichtet. Im Trivin lernte man Grammatik, Rhetorik und Dialektik. Die Fächer des Quadriviums bestanden aus Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musiktheorie. An vorrangiger Stelle stand die Pflege der Grammatik und der klassischen Gelehrtensprache Grabar (Altarmenisch).762 Esayi Nsˇec’i, der in Glajor unterrichtete, nannte die Grammatik »die Tür zu aller Weisheit und Dichtung«.763 Neben dem Altarmenischen gehörten auch Griechisch und Latein zu den Pflichtfächern. Die beiden Aristotelesschriften sowie die »εἰσαγωγή« (Die Isagoge) von Porphyrios und die Kommentare von Davit’ Anhałt wurden in den

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wissenschaftliche philosophische Terminologie, mit der er die Werke von Philon, Platon und Aristoteles kommentierte. Vgl dazu: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Davit’ Anhałt’, S. 267. Unter dem aristotelischen Einfluss entstanden die Werke von Anania Sˇirakac’i, Grigor Magistros, Hovhannes Sarkavag, Vahram Rabowni und Hovhan Vorotnac’i. Simonyan (2000), S. 287 – 296. Viller / Rahner (1990), S. 234. Ebd Mehr über die Universität Glajor: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Glajori hamalsaran (Universität Glajor), S. 214 – 216. Ebd., S. 215.

Anstöße aus der antiken Literatur

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Lehrplan aufgenommen. Es ist unklar, ob auch die römischen antiken Dichter, unter ihnen vor allem Ovid, zum Lehrplan gehörten, konkrete Anhaltspunkte dafür gibt es nicht. Im Unterschied zu Armenien wurde Ovid schon in der zweiten Hälfte des 11. Jhs. in den Lehrplan der Schulen im Westen aufgenommen. Ovid wurde zur Symbolfigur für das Wiederaufleben der antiken Erotik im europäischen Mittelalter.764 Die platonische Tradition wurde im Westen hauptsächlich durch das Schrifttum des Augustinus (354 – 430) vermittelt, der unter den christlichen Platonikern eine beherrschende Stellung einnahm.765 In der augustinischen Seelenlehre finden sich bereits viele Einzelzüge der Minnelehre. Der Begriff der minne und die Benenung seiner Komponenten sind von der augustinischen Seelen- und Erkenntnislehre geprägt.766 Herbert Kolb fand in manchen Formulierungen der Minnesänger (verdâht sȋn, mit gedanken, herze, will und al der muot)767 die Übertragungen lateinischer Begriffe aus der Lehre über die psychischen Akte wie considerare (altokz.: consirar), cogitare (altokz.: cuitar) und intendere (altokz.: entendre).768 Solche Begriffsverwendungen seitens der Minnesänger verstand Kolb als »das vollkommene Beispiel für eine geglückte Umsetzung philosophischer Gedanken in die Sprache der Dichtung.«769 In der deutschen Mediävistik wurde oft auf die Anstöße aus der platonischen Tradition770 und auf die Rezeption Ovids771 im 12. Jh. verwiesen und Motivparallelen wurden herausgearbeitet. Ovids Einfluss auf die Troubadours ist durch die Erwähnung seines Namens und durch Zitate aus seinen Werken nachzuweisen.772 Das oben Gesagte dokumentiert, dass die mittelalterliche Bildung kontinuierlich mit der Antike und dem Christentum durchmischt wurde. Die Absolventen der Klosterschulen schlugen nicht nur einen theologischen Lebensweg ein oder übernahmen politische Führungsaufgaben und Funktionen als Hofbeamte, sondern wurden auch Lehrer an den Höfen des Adels – in Armenien auch in wohlhabenden Bürgerhäusern – und gaben ihre Kenntnisse an die Schüler weiter. Neben Hoffesten, die Laien die Gelegenheit gaben, sich mit der volkstümlichen Überlieferung vertraut zu machen, bot das Schulwesen sowohl in

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Mehr dazu: Sprandel (1982), S. 137 – 138; Kolb (1958), S. 290 – 305. Fischer (1985), S. 44. Kolb (1958), S. 56. Fischer (1985), S. 44. Kolb (1958), S. 56. Ebd., S. 58. Unter anderen die Arbeiten von Wechssler (1966), S. 356 – 371; Kolb (1958), S. 290 – 305; Fischer (1985), S. 43 – 44. 771 Vor allem die Arbeiten von Schrötter (1908); Schwietering (1924). 772 Vgl. dazu: Schrötter (1908), S. 39 – 45.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Armenien als auch in Deutschland Laien die Möglichkeit, die antike und geistliche Überlieferung kennenzulernen. Für die mittelalterliche Minnekonzeption spielten die folgenden Grundannahmen der antiken Philosophie eine gewisse Rolle:773 1. In den christlich-psychologischen Abhandlungen, die auf die christlich überformte platonische Tradition zurückgreifen, finden sich dieselben Grundannahmen wie in der mittelalterlichen armenischen und deutschen Minnelyrik: Die Liebe wird durch das Anschauen der Schönheit geweckt, sie dringt durch die Augen ins Herz (bei Platon in die Seele) und beherrscht von da an die Betroffenen mit einer gewaltsamen Macht. 2. Platon unterscheidet die wahrhafte Liebe, die die Quelle alles Guten ist, von einer falschen Liebe.774 Auch der Minnesänger trennt die hohe Minne von der niederen. Ein gutes Beispiel dafür ist Walthers mâze-Lied (L 46,2). Mit der niederen Minne wird im Minnesang die rein sexuelle Liebe gemeint. In der hayren-Dichtung wird hingegen die Liebe als niedrig und falsch qualifiziert, wenn die Anerkennung der Liebe als höchstem Wert fehlt. Die Liebe gibt dem Liebenden die Kraft, das Schöne zu erkennen und zu preisen. Auch bei Platon verleiht die Liebe dem Menschen »Kraft und Stärke, sowohl das Beste in den Blick zu nehmen als auch den Versuch seiner Realisation.«775 3. In der hayren- und Minnelyrik erkennt der Sänger in der Geliebten das meisterliche Können Gottes und verehrt es. Deswegen ist die Liebe nicht sündhaft, sondern lobenswert. Bei Platon wird im Geliebten ein Abbild des göttlichen Urbildes erkannt und verehrt.776

3.

Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied

3.1

Die Armenisch-Apostolische Kirche im historischen Kontext

Die Bedeutung der Armenischen Apostolischen Kirche war im mittelalterlichen Armenien außerordentlich groß: Zwar kam das Christentum als »übernationale Erlösungslehre«777 nach Armenien, unter den besonderen Bedingungen des Landes entstand aber sehr früh eine Nationalkirche.778 Bevor hier die Einflüsse der religiösen Erziehung auf die mittelalterliche Liebesdichtung dargestellt 773 774 775 776 777 778

Mehr dazu: Wechssler (1966), S. 360 – 371. Vgl. dazu: Gardeya (2005), S. 8 – 9. Ebd., S. 8. Weckssler (1966), S. 363. Hofmann (1993), S. 127. Ebd.

Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied

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werden, ist es wichtig, einen Überblick über die Rolle und Funktion der Armenischen Apostolischen Kirche im mittelalterlichen Armenien zu erhalten, um dann die möglichen Anstöße aus der geistlichen Literatur auf die Liebeslyrik zu diskutieren. Nach der Überlieferung brachten die beiden Apostel Thaddäus und Bartholomäus im ersten Jahrhundert das Christentum nach Armenien und erlitten dort das Martyrium. Im Jahre 301 machte der Arsˇakidenkönig Trdat III. das Christentum zur Staatsreligion.779 Nachdem Mesrop Masˇtoc’ (etwa 360 – 440) mit der Hilfe des Königs Vr˙amsˇapuh (387 – 414) und des Katholikos Sahak Part’ev (348 – 439) im Jahr 405 das armenische Alphabet schuf, setzte die vollständige Verbreitung des Christentums im ganzen Land ein. Die Erfindung des Alphabets und die Übersetzung der Bibel dienten dazu, den Einfluss der Kirche auf das Volk zu verstärken. Bis dahin erfolgten die Gottesdienste und Bibelvorlesungen auf Syrisch bzw. Griechisch, die dann ins Armenische übertragen wurden. Für die Gläubigen war aber dieser Vorgang kompliziert und nicht immer leicht zu verstehen. Nach der Überlieferung sind die 36 Buchstaben des armenischen Alphabets dem heiligen Mesrop Masˇtoc’ göttlich offenbart worden. Danach schuf er mit seinen Schülern eine klassische, christlich-religiöse Literatur, die auch in späteren Jahrhunderten ihren Glanz nicht verlor. Deshalb wurde diese Zeit mit Recht als »das Goldene Zeitalter« bezeichnet. In dieser Zeit wurden die Heilige Schrift und die kirchlich-religiöse Literatur sowie philosophische, geisteswissenschaftliche und geschichtliche Werke verfasst oder aus dem Griechischen ins Armenische übersetzt.780

779 Historischen Schriften zufolge ließ der König Trdat Grigor Lowsavoricˇ’ (Erleuchter), das spätere Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche, im Jahre 287 ins Gefängnis Xor Virap (tiefe Grube) werfen, wo Grigor 14 Jahre blieb. In dieser Zeit kam eine Gruppe von 37 Nonnen unter der Führung der Äbtissin Gayane nach Armenien, die vor der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian flüchteten. Der König begehrte eine Jungfrau aus dieser Gruppe namens Hr˙ip’sime, die aber den König zurückwies. Er ließ deswegen Hr˙ip’sime und ihre Gefährtinnen ermorden. Nach der überlieferten Legende wurde der König danach von dem Wahn befallen, ein Eber zu sein. Seine Schwester Xosrovidowxt, die bereits zum Christentum bekehrt war, bat den König, den gefangenen Grigor zu begnadigen und ihn um die Heilung zu bitten. Grigor heilte den König und bekehrte ihn zum Christentum. Im Jahre 302 wurde Grigor von Leontius von Cäsarea zum Bischof und zum Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche geweiht. Vgl. dazu: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Grigor Lusavoricˇ’ (Erleuchter), S. 222 – 227. 780 Das Alte und Neue Testament wurden zuerst aus syrischen Fassungen übersetzt, denn nach der Teilung Armeniens zwischen dem römischen und persischen Reich versuchte die persische Regierung im Ostteil Armeniens die griechischen Einflüsse zurückzudrängen und ließ deshalb das Syrische als einzige Kirchenfremdsprache zu. Bald aber wurden zahlreiche Werke aus dem Griechischen übersetzt, die teilweise nicht mehr in der Originalsprache existieren. Mehr über die übersetzten Werke des 5. Jhs.: Inglisian (1963), S. 158.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Die Armenisch-Apostolische Kirche ist eine der ältesten autochthonen Kirchen und gehört zur Familie der orientalischen orthodoxen Kirchen. Als im Oktober des Jahres 451 das Konzil von Chalcedon zusammengerufen wurde, in dem es in einem lang geführten Streit um das Verhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu Chrisi ging, konnte Armenien nicht teilnehmen, da es einen wichtigen religiös-politischen Krieg gegen die Perser führte. Das Konzil von Chalcedon definierte Christus als wahren Gott und wahren Menschen zugleich, »[…] derselbe vollkommen in der Gottheit, derselbe auch vollkommen in der Menschheit, wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch […]«781 Diese beiden Naturen seien in Christus »[…]unvermischt, unverwandelt, ungeteilt, ungetrennt erkennbar […]«.782 Es ist umstritten, wann die Beschlüsse des Konzils in Armenien bekannt wurden, die Armenier vertraten aber in Synoden von Dwin (506, 554 und 607) wiederholt den Monophysitismus.783 Nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion stand Armenien ständig im Glaubenskampf: Im 5. Jh. forderten die Perser die armenischen Fürsten auf, den christlichen Glauben abzulegen und den Mazdaismus in Armenien zu verbreiten. Doch der Adel, der Klerus und das Volk leisteten einen großen Widerstand und wehrten sich bei Avarayr gegen die Überzahl des Feindes. In »diesem ersten Glaubenskampf der Geschichte«784 erreichten die Armenier die Freiheit zur Ausübung des christlichen Glaubens.785 Das war »das erste große, opfervolle Bekenntnis zum Christentum und damit auch zur eigenen Nationalität […]«.786 Die Kirche und die weltliche Macht unterstützten sich im mittelalterlichen Armenien gegenseitig. Die Kirche sorgte dafür, dass Armenien einheitlich blieb. Alle Bischöfe und Erzbischöfe waren dem Katholikos aller Armenier untergeordnet. Der Katholikos erkannte jedoch die Macht des Königs an. Die Kirche erhielt den Schutz des Königs und trug ihrerseits dazu bei, dass sich um den König eine treue Gesellschaft bildete. Besonders in der Zeit, in der sich Armenien unter fremder Herrschaft befand, wurde die Bedeutung der Kirche außerordentlich groß, denn die Kirche war ein wichtiger Mittelpunkt und ein Garant der Einheit. Die schwache weltliche Macht und der endgültige Verlust des Königtums in Großarmenien ab dem 11. Jh. begünstigten, dass die Armenisch-Apostolische Kirche einen großen Anteil an der Regierung des Landes hatte. Der Katholikos 781 782 783 784 785

Grillmeier (1990), S. 754. Vgl. dazu: Ebd., S. 755. Vgl. dazu: Inglisian (1953), S. 33; Sarkissian (1965), S. 150; Halfter (1996), S. 51. Bauer (1977), S. 87. Vardan Mamikonyan, der Führer des Glaubenskampfes bei Avarayr wurde mit seinen Kriegsbrüdern durch seinen Einsatz für den christlichen Glauben zu einem Nationalheld. Die armenische Kirche sprach ihm heilig. Jedes Jahr wird das heilige Vardanac’-Fest in der Kirche gefeiert. 786 Bauer (1977), S. 88.

Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied

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war nicht nur auf dem Gebiet der kirchlichen Angelegenheiten selbstständig, sondern hatte einen bedeutenden politischen Einfluss. Erst im 12. Jh. bezeugt in Europa »der erste Kreuzzug und die Eroberung Jerusalems, als eine Tat der französischen Ritterschaft, dass dieser Adel gelernt hatte, für die katholische Weltanschauung zu kämpfen und zu sterben«.787 In Armenien hingegen musste der Adel schon sehr früh für die christliche Religion kämpfen und sterben. Und umgekehrt kämpfte die armenische Kirche für die nationale Einheit und Unabhängigkeit des Landes und unterstützte die königlichen und fürstlichen Dynastien in der Innen- und Außenpolitik. Diese Tatsache hatte Einfluss auf die Personenbeschreibungen der höfischen Geschichtsschreibung, in der das Kirchliche mit dem Höfisch-Ritterlichen so vermischt ist, dass es nicht immer leicht ist, das eine von dem anderen zu trennen. Bei kirchlichen Fürsten sind solche zu finden, die mit den Tugenden eines weltlichen Herrschers ausgezeichnet sind. So bekommt der Katholikos Nerses der Große bei den Chronisten P’avtos Bowzand und Movses Xorenac’i Charakterzüge, die die Tugenden eines weltlichen Herrschers ausmachen.788 Die weltlichen Herrscher hingegen entsprachen dem kirchlichen Herrschaftsideal. So die Beschreibung des Königs Asˇot III. (? – 977) aus der Bagraditendynastie, der den Beinamen der Barmherzige (Ողորմած / Ołormac) hatte. Er »war friedliebend und regierte das Reich der Armenier gut; an Demut und Mitleid übertraf er alle, denn die mit Grind Behafteten und die Lahmen und Blinden sammelte er um sich und machte sie zu Tischgenossen bei seinen Mahlzeiten. Einige von ihnen titulierte er Fürsten oder Fürsten der Fürsten und Kuropalaten und trieb Scherze mit ihnen. […] Und mit reicher Freigebigkeit teilte er denen aus, die sich in Not befanden, sodass sich bei seinem Tode in seinem Schatzhause kein Geld mehr vorfand.«789 In der Geschichtsschreibung, die im großen Teil auf königliche und fürstliche Dynastien bezogen ist, umfasst die vollkommene Schönheit die Gesamtheit des Inneren und Äußeren. Zu den inneren Werten gehören aber nicht nur die höfisch-sittlichen, sondern auch die christlichen Tugenden. Die Schönheit der adligen Frauen strahlt weiterhin, ihre höfische Vorbildlichkeit ist aber mit moralischen Dimensionen, die aus der kirchlichen Geschichtsschreibung entnommen und weiterentwickelt wurden, verbunden. Die adligen Frauen des armenischen Mittelalters erscheinen sowohl in ihrer höfischen als auch in ihrer christlichen Vorbildlichkeit und Tugendhaftigkeit: Die Fürstin Melek’st’i von Sasun war nicht nur äußerlich vollkommen und schön, sondern sie konnte ihre äußerliche Schönheit mit christlichen Tugenden, wie »Frömmigkeit, Heiligkeit, Beschei787 Wechsler (1966), S. 12. 788 Mehr dazu: Johannissian (1912), S. 269; Haykakan sovetakan hanragitaran (Sowjetarmenische Enzyklopädie), Bd. 1 (1974), S. 488. 789 Ins Deutsch übersetzt von Johannissian. Vgl dazu: Johannissian (1912), S. 269.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

denheit, Gehorsamkeit, […] Barmherzigkeit gegenüber Waisenkindern und Witwen«790 verbinden. Ihre Tochter Kata war »schön von Gestalt […]«791 und war durch ihre »[…] Heiligkeit, Großzügigkeit, Unterstützung der Kirchen und Geistlichen«792 bekannt. Die Tochter von Grigor Magistros vom Fürstenhaus Pahlavowni, Mariam, bekam eine gute höfische Erziehung und war »[…] barmherzig, großzügig, standhaft an ihrem Glauben, vernünftig und klug.«793 Wie diese Beispiele zeigen, bestand das Gesamtbild der höfischen Dame aus der Verbindung von äußerer Schönheit und inneren Werten, die ihre höfische Vorbildlichkeit und die christliche Tugendhaftigkeit ausmachen.

3.2

Die Anstöße der christlich-religiösen Literatur auf die armenische und deutsche Minneauffassung

Diese Tendenz der Personenbeschreibung ist auch in der hayren-Dichtung zu beobachten: In der Liebeskonzeption der hayrenner umfasst die vollkommene Schönheit die Gesamtheit des Inneren und Äußeren. Das Frauenlob stellt die körperliche Schönheit dar, aber diese setzt die innere Schönheit voraus. Die inneren Werte der Frau bestehen in christlichen Tugenden. Innere und äußere Vollkommenheit gehören untrennbar zusammen. Der Gegenstand der Minnelyrik und hayren-Dichtung ist die weltliche Liebe zur Frau. Für den mittelalterlichen Sänger, der eine christliche Erziehung erhielt, war es wichtig, die weltliche Frauenliebe in Harmonie mit der Liebe zu Gott zu bringen. In folgenden Motiven und Auffassungen zeigt der Sänger die Rechtfertigung der weltlichen Liebe des lyrischen Ichs aus der Sicht christlichen Denkens: 1. Die Frau ist das Wunderwerk Gottes: Gott hat die Frau so wunderschön gemacht, ihr Wohlgestalt und Vollkommenheit verliehen: Ich liebe das Wunderwerk Gottes, die Schwätzer sind deswegen neidisch. (Ա/ԾԹ, 17 – 24, hier: 23 – 24) Ich siche wohl, daz got wunder kann, von schœne würken ȗz wȋbe. daz ist an ir wol schȋn getȃn, wan er vergaz niht an ir lȋbe. (Friedrich von Hausen MF 49,37) 790 »զհոգևոր առաքինութիւն, զսրբութիւն, զհամեստութիւն, զխոնարհութիւն, […] որբոց և այրեաց խնամածու«, Vgl. dazu: Hac’owni (1936), S. 159. 791 »զգեղեցիկ բարձևութիւն […]«, ebd. 792 »[…] զսրբութիւնն, զողորմածութիւնն, զեկեղեցեաց և զքահանայից հոգաբարձութիւն«, ebd. 793 »[…] գթած, ողորմած, հաստատուն ի հաւատս, զգօն և զգաստ«, ebd.

Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied

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Ich sehe wohl, dass Gott bei einer Frau / Wunder an Schönheit wirken kann. / Das ist an ihr sichtbar geworden, denn er vergaß nichts an ihrer Gestalt.794

2. Als Wunderwerk Gottes ist die Frau die Repräsentation des Guten und Schönen und sie muss deswegen verehrt werden: Du bist ohne Makel und ohnegleichen, so lobenswert und unvergleichlich bist du. (Դ/Ե, 21 – 24, hier: 21 – 22) Stên ich vor ir unde schouwe daz wunder, daz got mit schoene an ir lîp hât getân, sô ist des sô vil, daz ich sihe dâ besunder, daz ich vil gerne wolt iemer dâ stân. (Heinrich von Morungen MF 133,37) Stehe ich vor ihr und sehe das Wunder / an Schönheit, das Gott an ihr vollbracht hat, / so gibt es da so vieles anzuschauen, / dass ich am liebsten immer da stehen möchte.795

3. Der Mann sieht in ihrem Wesen das meisterliche Können Gottes: Gott hat der Frau die vollkommene Schönheit gegeben und dem Mann die Sinne, diese wahrzunehmen.796 Der Sänger nimmt die Frau als Wunderwerk Gottes wahr und verehrt sie: Was soll ich tun? Sobald ich die Schöne anschaue, entbrenne ich in Liebe. Wenn ich die ewigen Gesetze begriffen habe, umarme ich meine Schöne, zeige sie Gott und sage ihm: »Mein Herr, du hast diese Schönheit geschaffen. Es ist doch keine Sünde dein Werk zu lieben.« (Թամ., 594) ich bin ir holt; swenne ich vor gote getar, sô gedenke ich ir. daz geruoche ouch er vergeben mir: ob ich des sünde sule hȃn, zwiu geschuof er si sô rehte wol getȃn? (Friedrich von Hausen MF 46,14) Ich bin ihr zugetan; wenn ich mich getraue – Gott gegenüber-, / dann bin ich in Gedanken bei ihr. / Er möge es mir vergeben, / auch wenn ich damit eine Sünde begehen sollte, / warum erschuf er sie so wunderschön?797

794 795 796 797

Übersetzt von Kuhn. Übersetzt von Kuhn. Vgl. dazu: Fischer (1985), S. 205. Übersetzt von Kuhn.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

4. Dadurch bekommt die Liebe eine ganz andere Qualität und eine christlichmoralische Begründung: Die Liebe ist gottgewollt, von Gott verliehen. Sie ist nicht sündhaft. Das wird noch einmal mit der Hilfe des Motives »die Betroffenheit der biblischen Helden durch die Liebe« glaubhaft gemacht: David, der Prophet und der König hat die Liebe zu seiner Geliebten besungen. (Բ/Դ 121 – 128, hier: 121 – 122) Diu minne betwanc Salomône, der was der alrewîseste man, der ie getruoc küniges krône. (Heinrich von Veldeke MF 66,16) Die Liebe bezwang Salomon, / der war der allerweiseste Mann, / der jemals eine Königskrone trug.798

5. Wie die Frau von Anfang an so vollkommen geschaffen ist, genauso besitzt der Mann von Anfang an die Fähigkeit, sie deswegen zu lieben. Diese Liebe ist zeitlos, setzt das körperliche Leben nicht voraus. Das bedeutet, die Liebe ist von Kindheit an: Mit deiner Liebe hat meine Mutter mich gestillt, sie sitzt jetzt tief in meinen Knochen. (Ա/ԾԱ, 195 – 202, hier: 199 – 200) Ich hȃn von kinde an si verlȃn Daz herze mȋn und al die sinne. (Friedrich von Hausen MF 50, 11 – 12) Von Kindheit an habe ich ihr zugewandt / mein Herz und all mein Denken.799

Die Liebe endet nicht mit dem Tod, sondern geht über das Grab hinaus: Wer hoffnungslos liebt und keinen Ausweg mehr sieht, wenn er auch einen Graben aushebt und sich ins Grab legt, soll er da, wo sein Herz ist, ein Loch lassen, damit der purpurne Rauch abzieht. (Ա/ԾԱ, 303 – 310, hier: 303 – 308) Sturbe ich nȃch ir minne Und wurde ich danne lebende, sô wurbe ich aber Umbe daz wȋp. (Meinloh von Sevelingen MF 13,1)

798 Übersetzt von Kuhn 799 Übersetzt von Kuhn.

Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied

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Stürbe ich aus Sehnsucht nach ihrer Liebe / und würde dann wieder lebendig, so würde ich / abermals um sie werben.800

6. Die Frau und damit auch die Liebe haben ihren Sitz im Herzen des Liebenden, was nach der Genesis als geistiges Zentrum des Menschen gilt (Gen 17,17), das für die Erfahrung Gottes offen ist und die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse besitzt.801 Du irrtest in meinem Herzen, und fandest den Ausweg nicht mehr. (Ա/ԽԱ, 25 – 32, hier: 29 – 30) Diu brach alse tougen Al in mȋns herzen grunt. (Heinrich von Morungen MF 141, 21 – 22) Ganz heimlich brach sie / in das Innerste meines Herzens.802

Die Liebenden stehen der feindlichen Gesellschaft gegenüber. Der Sänger verwünscht die Gegner der Liebe und bittet Gott um Hilfe: Damit sind die Liebenden nicht mehr allein, sondern sie haben Gottes Unterstützung und Hilfe auf ihrer Seite: Der Minnesänger und der gowsan sind von Schuldgefühlen und Gewissensfragen wegen der Liebe nicht frei (David, Prophet, meine Hoffnung, / viele Sünden habe ich begangen, vergib. / Ich habe eine Frau geliebt / wie das Licht meiner Augen. Ա/Բ, 183 – 190, hier: 183 – 186 oder: Wenn ich es, bei Gefahr mich zu versündigen, zu sagen wage: / Ich, der sie allzeit lieber ansehen würde / als den Himmel oder den Himmelswagen.803 Walter von Vogelweide L 53,35)804, die weltliche Liebe zur Frau steht insgesamt aber nicht in Konkurrenz mit Liebe zu Gott. Sie stehen nebeneinander und nicht gegeneinander. Die Liebe zur Frau erscheint in den beiden Dichtungen gottgewollt und damit auch preiswürdig. Die Liebe ist weder im Minnesang noch in der hayren-Dichtung ein bloßes körperliches Verlangen, deswegen ist es für den Sänger wichtig, dass der Liebende bestimmte Qualitäten besitzt: Er muss sich beherrschen können, diszipliniert, treu und beständig sein und die Regeln der Liebe gut kennen, wie Geduld haben, die Liebesbeziehung heimlich halten können, den Namen der Geliebten nicht verraten und treu sein. Dadurch bekommt die Liebe in den beiden Dichtungen einen erzieherischen Charakter. Es geht nicht nur um das Lob der Frau, sondern auch um die Rolle und um das Verhalten des Liebenden im Dienst der 800 801 802 803 804

Übersetzt von Kuhn. Wenzel (1974), S. 157. Übersetzt von Tervooren. Übersetzt von Schweikle. Minne als Sünde findet sich auch bei Hausen (MF 46,17), Walter (171,1; 217,10), selbstquälerische Zweifel und Schuldgefühle finden sich noch bei Veldeke (MF 63,9), Johansdorf (MF, 90,5), Reinmar (MF, 171,18), Hartman von Aue (MF, 205,10), Kanzler KLD XVII, 2. Vgl. dazu: G. Schweikle (1995), S. 200.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Liebe. In dieser Rolle hat das lyrische Ich die Gelegenheit sich mit sich selbst zu beschäftigen, sich selbst zu analysieren und sogar indirekt Qualitäten zu erwerben. Außer den Ausdrucksformen und Erkenntnismitteln der christlichen Psychologie und Erziehung, derer sich die armenische und deutsche Minnelyrik bediente, werden auch alttestamentliche Motive, besonders aus dem Hohenlied, frei verarbeitet. In Armenien bildete die Bibel den Mittelpunkt der geistlichen armenischen Literatur. Aus dem Alten Testament waren das Buch der Psalmen, das Buch der Sprichwörter, das Buch Kohelet und das Hohelied besonders beliebt. Im mittelalterlichen Armenien war die allegorische Ausdeutung des Hohenliedes sehr verbreitet. Schon Agat’angełos berichtet im 4. Jh. über die Deutungen des Hohenliedes von Grigor Lowsavoricˇ’, der Christus als den Bräutigam, die Kirche als die Braut und die vollen Brüste als Gottes Testamente deutet, »die Unwissende mit geistlicher Milch der Wissenschaft stillen.«805 Im Jahre 977 verfasste Grigor Narekac’i seinen berühmten »Kommentar zum Hohenlied von Salomo«. Das Hohelied bot eine Reihe von Themen, Motiven und Bildern, die im Mittelpunkt der geistlichen und später auch der weltlichen Dichtung standen und so ihren Wirkungsbereich und ihre Einflussmöglichkeiten erweiterten. Auch in Europa waren das Alte Testament und besonders Psalmen und das Hohelied bekannt und beliebt.806 Seit Origenes (185 – 253/54) allegorischer Exegese wurde das Hohelied von verschiedenen Theologen und Kirchenvätern immer wieder interpretiert.807 Zu Anfang des 12. Jhs. kam »ein neues religiöses Leben auf, dem das Hohelied zum erweckenden Symbol geworden [war]«.808 Mehr als die Hälfte aller von 200 bis 1200 geschriebenen Hohenliederklärungen, über dreißig an der Zahl, war im 12. Jh. entstanden.809 Es fand deswegen schon sehr früh in der deutschsprachigen Literatur seinen Platz. Ab der Mitte des 11. Jhs. schuf in Bayern Williram von Ebersberg eine erste christologisch ausgerichtete Paraphrase und danach, zwischen 1120 – 1140 entstand im Schwarzwald das St. Trudperter Hohelied.810 Parallel zu der religiösen Literatur beeinflusste das Hohelied auch die lateinische Liebeslyrik. Indirekt erhielt auch der Minne-

805 »[…] որ արբուցանեն զամենայն տգէտս հոգեւոր կաթամբն գիտութեան։« Agat’angełos (1983), S. 242. 806 Vgl. vor allem: Ohly (1958): Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200. 807 Vgl. dazu: Fischer (1985), S. 45. 808 Vgl. dazu: Ohly (1958), S. 305. 809 Ebd., S. 305 – 306. 810 Vgl. dazu: Fischer (1985), S. 45.

Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied

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sang Anregungen vom Hohelied.811 Die Bedeutsamkeit des Hohenliedes für die armenische und deutsche Liebeslyrik kann man in folgenden Motiven erkennen: 1. Liebe als Krankheit. Sowohl im Hohelied als auch im Minnesang und in der hayren-Dichtung wird die Liebe als Krankheit dargestellt. In der hayrenDichtung erscheint noch, wie im Hohelied, das Motiv des Apfels als Symbol der Liebe und als Arznei gegen die Liebeskrankheit: Stärkt mich mit Traubenkuchen, / erquickt mich mit Äpfeln; / denn ich bin krank vor Liebe. (Hohelied, 2.5)812 Ich beschwöre euch, Jerusalems Töchter: / Wenn ihr meinen Geliebten findet, / sagt ihm, / ich bin krank vor Liebe. (Hohelied, 5.8) Ich bin krank aus Liebe zu dir, / nimm einen Apfel und komm zu mir.813 (Թամ., 531) Ich bin krank, mein Herz ist verwundet.814 (Heinrich von Morungen, MF 137,10)

2. Liebe oder die Geliebte als Feuer: Die Liebe kann wie Feuer brennen. Das weist auf den unauslöschlichen Charakter der Liebe hin. Auch die geliebte Person, besonders ihre Augen, können entflammen: Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, / wie ein Siegel an deinen Arm! Stark wie der Tod ist Liebe, / die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. / Ihre Gluten sind Feuergluten, / gewaltige Flammen. (Hohelied, 8.6) Ich bin so jung, ich kann nicht mehr, / lass mich dein Feuer nicht fühlen.815 (Ա/ՁԲ, 1217 – 1224, hier: 1223 – 1224) Diese Augen, die du hast, / das Linke entflammt, das Rechte, setzt in Brand.816 (Թամ., 570) Der strahlende Glanz ihrer Augen entflammt mich wie das Feuer den dürren Zunder817 (Heinrich von Morungen, MF 126,24)

3. Die Frau als Sonne und Mond: Wer ist, die da erscheint wie das Morgenrot, / wie der Mond so schön, / strahlend rein, wie die Sonne, / prächtig wie Himmelsbilder? (Hohelied, 6.10) 811 812 813 814 815 816 817

Ebd. Zitate aus dem Hohenlied nach Neue Jerusalemer Bibel (1985), S. 908 – 917. Հիւանդ եմ քո սիրուդ, / Ա՛ռ խնձոր արեկ զիս ի տես. Ich bin siech, mîn herze ist wunt. Übersetzt von Tervooren. Տըղայ եմ, չեմ ի կենար, / Զիս ի քո կրակդ մի՛ձգեր: Աչերըդ դու հանց ունիս, / աջն երէ՛, ձախըն խորովէ. Mich enzündet ir vill liehter ougen schȋn, / same daz viur den durren zunder tuot. Übersetzt von Tervooren.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Du kommst heraus aus deinem Haus, / wie die Sonne am frühen Morgen.818 (Ա/ԽԱ, 177 – 184, hier 177 – 178) Mond, du erzählst ganz stolz: / »Ich erleuchte die ganze Welt.« / Hier ist ein irdischer Mond, / der mit dem Glanz dich überstrahlt.819 (Ա/ԽԴ, 301 – 308, hier: 301 – 304) Ich habe es sehr nötig, Huld zu finden; / ich habe mir nämlich eine Frau auserwählt, welche die Sonne an Glanz überstrahlt.820 (Heinrich von Morungen, MF 134,25) Wie der Mond in der Nacht weit über das Land leuchtet, / so hell und so voll, dass sein Glanz die ganze Welt umfängt, / ebenso ist die Schöne von Vollkommenheit umstrahlt.821 (Heinrich von Morungen , MF 122,5)

4. Das Motiv des ›Pflückens‹, das auf Liebesvereinigung in der freien Natur hinweist: Ich komme in meinen Garten, Schwester Braut; / ich pflücke meine Myrrhe, den Balsam. (Hohelied, 5.1) In seinen Garten ging mein Geliebter / zu den Balsambeeten, / um in den Gartengründen zu weiden, / um Lilien zu pflücken. (Hohelied, 6.2) Du bist ein Garten Adams, / ich möchte dort gerne Äpfel pflücken.822 (Ա/ԻԹ, 48 – 56, hier: 50 – 51) Bevor ich dann von ihm scheide, / werde ich sagen: »Gehen wir Blumen pflücken auf der Heide.«823 (Reinmar, MF 196, 21 – 22)

Auch die Schönheitsbeschreibungen vom Scheitel bis zur Sohle, das Lobpreisen und die Wirkung der Geliebten auf das lyrische Ich (sie kann verzaubern H.L. 4.9; ihre Augen verwirren H.L. 6.5) und symbolisch verwendete Naturbilder weisen auf die Hoheliedtradition hin.824 Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl der Minnesang als auch die hayren-Dichtung wichtige Impulse aus der christlich-religiösen Literatur erhielten und aufnahmen. Das lässt sich für das mittelalterliche Armenien einerseits durch die Rolle der Kirche im kulturellen und politischen Leben, anderer818 Ելնես դու ի քո տանէն, / Զինչ ելնէ արևն ի մօրէն. 819 Լուսի՛ն, պարծենաս, ասես. / »Լուս կու տամ ես աստընվորիս«. / Ահա հողեղէն լուսին՝ / Ի գըրկիս ’ւ երեսն երեսիս. 820 Ich bedarf vil wol, daz ich genâde vinde, /wan ich hab ein wîp ob der sunnen mir erkorn. Übersetzt von Tervooren. 821 Liuhtet des nahtes wol lieht unde breit, / sô daz sîn schîn al die welt umbevet, / Als ist mit güete umbevangen diu schône. Übersetzt von Tervooren. 822 Քո ծոցտ՝ Ադամա դըրախտ, / Մտնէի, խնծոր քաղէի. 823 ȇ ich danne von im scheide, / sȏ mac ich sprechen »gȇn wir brechen bluomen ȗf der heide.« Übersetzt von Kuhn. 824 Vgl. dazu: Krüger (1993), S. 122 – 135.

Anstöße aus der christlich-religiösen Literatur: Heilige Schrift, Hohelied

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seits durch die Rolle des weltlichen Adels in Glaubenskämpfen für das Christentum bestätigen. Dazu kommt noch die Annäherung der kirchlichen Lyrik an die weltliche, die ab den 12.–13. Jh. intensiver wurde. Auch in Europa prägte die Kirche die geistige und politische Situation. Schon seit dem Jahr 1000 begannen die Erneuerung und Vertiefung des religiösen Lebens, die in der Kirchenreform der Cluniacenser ihren Höhepunkt finden.825 Die Kirche »propagierte die militia spiritualis, die allgemeine Vergeistigung des Lebens in der Nachfolge Christi, zur Ausweitung ihrer Macht und zur Abwehr von zahlreichen Häresien,826 die um die Mitte des 12. Jhs. zu breiten, von der Kirche verfolgten Massenbewegungen wurden (Arnold von Brescia, Katharer, Waldenser).«827 Die Intensivierung des religiösen Lebens fand ihren Höhepunkt in der Kreuzzugsbewegung, die mit dem Ende des 11. Jhs. einsetzte. Die Kreuzzugsbewegung »diente der Ausbreitung des Gottesreiches auf Erden und ist bereits Ausdruck erfolgreicher Integrationsbemühungen des Klerus.«828 Die Kirche war an der festen Bindung der Laien interessiert, um damit die christliche Religion auszubreiten und zu stärken. Bei der Ausbildung der höfischen Ideologie spielte die Kreuzzugsbewegung eine große Rolle, die die christliche Idee der höfisch-ritterlichen nahe brachte. »Im Bewusstsein des Adels verschmelzen dabei christliche Idee und Abenteuer- und Eroberungslust, irdische und überirdische Ziele zu einer Einheit.«829 Horst Wenzel fasst die Beziehung des feudalen Adels und der Kirche und deren Bedeutung für die weltliche Literatur folgendermaßen zusammen: »Die Tendenz zur Säkularisierung der Kirche – oder umgekehrt zur Vergeistlichung des Laienstandes – die sich seit den Reformen des 11. Jhs. andeutet und mit dem ersten 825 Wechssler (1966), S. 11. 826 Die armenische Kirche war viel früher intensiv mit der Abwehr von Häresien befasst. Eznik Kołbac’i (5. Jh.) setzte sich in seinem Traktat gegen die Irrlehren mit den Häresien auseinander: Der Traktat beinhaltet eine Verteidigung der christlichen Lehre durch die Widerlegung der Irrlehren des Heidentums, der Religion der Perser (Zoroastrismus bzw. Zurvanismus), der griechischen Philosophen und der Lehre von Markion. Im 7. Jh. entstand in Armenien die Paulikaner-Bewegung, die bis zum 9. Jh. im byzantinischen Reich zahlreiche Anhänger besaß und sich zu einer Massenbewegung entwickelte. Nach den Verfolgungen und Unterdrückungen in Armenien und im byzantinischen Reich wurden die Paulikaner zum größten Teil vom byzantinischen Kaiser Konstandin V. (741 – 775) nach Thrakien zwangsumgesiedelt. Unter dem Einfluss der Paulikaner entstand im 10. Jh. bei Balkanslawen die Nachfolgesekte der Bogomilen, die ihren Dualismus und Antimaterialismus von den Paulikanern übernommen hatten und an die südfranzösischen Katharer (12.–14. Jh.) weitergaben. Die direkten Nachfolger der Paulikaner in Armenien waren die Tondraken (9.–11. Jh.), die wiederum von der armenischen Kirche und später von den Byzantinern unterdrückt und verfolgt wurden. Mehr dazu: Lexikon K’ristonya Hayastan (Christliches Armenien) (2002), Tondraken, S. 391 – 393; Paulikaner, S. 845 – 847; Hofmann (1993), S. 130 – 137. 827 Wenzel (1974), S. 28. 828 Ebd., S. 29. 829 Brunner (1949), S. 82.

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

Kreuzzug zu einem wesentlichen Teil vollzogen ist, wird nunmehr auch in der ›weltlichen‹ Dichtung manifest.«830

Die Entstehung der Liebeslyrik setzte zwar eine bestimmte Eigenständigkeit des weltlichen Sängers gegenüber der Kirche voraus, aber sowohl der Minnesang als auch die hayren-Dichtung sind in einer Zeit entstanden, in der die Kirche die geistige und politische Situation prägte. Damit werden auch die christlichen Glaubensgrundsätze und Verhaltensnormen für den Sänger von großer Bedeutung.831 Man darf aber andererseits nicht behaupten, dass die mittelalterliche Liebesauffassung in der weltlichen Liebeslyrik nur aus der christlichen Tradition stammt.832 Das Objekt der Verehrung war schließlich wie im Minnesang als auch in der hayren-Lyrik eine irdische Person, eine Frau.

4.

Mögliche literarische Kontakte

Die Beziehungen Armeniens zum Westen wurden durch die Kreuzzüge immer intensiver. Es bestand ein aktiver wirtschaftlicher, politischer und kultureller Austausch. Einerseits übernahmen die Armenier französische Rechtsgewohnheiten und Titel, andererseits aber übten sie auf die abendländischen Ritter eine starke Anziehungskraft aus. Bald wurden feine Textilien und Teppiche, prächtige Kleidung des Adels und dessen Tischsitte unter dem europäischen Adel Mode.833 Der armenische Adel festigte politische Bündnisse mit Kreuzfahrerstaaten durch gezielte Heiratspolitik mit Franzosen. Auch die Kleriker spielten im kulturellen Leben Kilikiens eine gewisse Rolle. Ab 1074 kam es zu einer Annäherung an die römische Kirche, was zu Unionsverhandlungen führte. König Het’owm II. bat mit einem Schreiben an die Dominikaner in Rom um einige Priester des Predigerordens, worauf eine Ordensniederlassung in Armenien gegründet wurde. Die Franziskaner hatten sogar frühe Niederlassungen in Armenien. Die armenischen Gelehrten wie Erznkac’i, Nsˇec’i und Kr˙nec’i übersetzten theologisch-philosophische Schriften aus dem Lateinischen.834 Der Adel und der Klerus in Kleinarmenien beherrschten meistens neben Armenisch und Griechisch auch Latein und Französisch. So übersetzte Smbat Sparapet (Konstabler; 1208 – 1276), der Bruder des Königs Het’owm I. (1203 – 1270), aus dem Französischen »Die Assisen von Antiochien«.835 Höchstwahr830 Wenzel (1974), S. 98. 831 Vgl. dazu: Wenzel (1974), S. 29; Brunner (1949), S. 82. 832 Eine große Bedeutung für die jeweilige Dichtung spielte auch die einheimische Tradition und eigene Volksdichtung. 833 Bauer (1977), S. 122. 834 Inglisian (1963), S. 205. 835 Vgl. dazu: Die Assisen von Antiochien, französisch-armenisch, hg. von Alisˇan (1876).

Mögliche literarische Kontakte

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scheinlich wurden sie im Königreich Kilikien zur Rechtsprechung herangezogen, bis 1265 Smbat Sparapet das im Jahre 1184 durch Mxit’ar Gosˇ (1130 – 1213) in Großarmenien verfasste Gesetzbuch revidierte.836 Er hinterließ außerdem einen Brief auf Französisch, den er im Jahre 1247 an den König von Zypern, Heinrich I. Lusignan (1214 – 1254), schrieb.837 Es ist historisch belegt, dass der König Het’owm II. (? – 1301) Französisch beherrschte und Übersetzungen aus dem Französischen machte.838 Het’owm Patmicˇ’ (? – nach 1309), der Herr von Korykos in Kilikien aus der königlichen Dynastie der Het’owmiden (bekannt auch als Hayt(h)on von Korykos, Hayton von Lampron, Ayton, französisch Hthoum de Korikos, altfranzösisch Hayton du Corc, lateinisch Hayton dominus Churchi), ist der Verfasser der Geschichte »Flor des estoires«, die aus vier in französischer Sprache verfassten Büchern besteht.839 Het’owm unternahm 1305 eine Reise nach Frankreich. Er befand sich in Avignon, wo Papst Clemens V. residierte, und überreichte ihm die ersten drei Bücher. Im Auftrag des Papstes schrieb er im Jahre 1307 das vierte Buch. Als Quellen für das dritte Buch gibt Het’owm die Erzählungen seines Verwandten, des armenischen Königs Het’owm I. (1203 – 1270), an. Höchstwahrscheinlich kannte er auch die westlichen Quellen zur Kreuzzugsgeschichte, die Erzählungen über Gottfried von Bouillon.840 Neben der gelehrten Literatur auf Altarmenisch entstand in Kilikien eine weltliche Literatur in der mittelarmenischen Volkssprache. Hier waren mehr Literaten aus dem Laienstand als in Großarmenien vertreten. Die Geschichtsschreibung berichtet über die gowsanner, die in kilikischen Adelshöfen ihre Lieder vortrugen. Eine der ältesten Handschriften der hayren-Dichtung, die die ältesten hayrenner dokumentiert, stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus Kilikien (13. Jh.).841 Die volkstümliche Metrik der hayrenner war in Kilikien schon sehr früh bekannt: Von König Levon (Leo) III. (1236 – 1289) stammt ein geistliches Gedicht in hayren-Metrik.842 Außerdem ist ein episches Klagelied über 836 Vgl. dazu: Armenisches Rechtsbuch. 1. Bd.: Sempadscher Kodex aus dem 13. Jh. oder Mittelarmenisches Rechtsbuch nach der Venediger und der Etschmiadziner Version unter Zurückführung auf seine Quellen. 2. Bd.: Sempadscher Kodex aus dem 13. Jh. in Verbindung mit dem Großarmenischen Rechtsbuch des Mechitar Gosch aus dem 12. Jh. unter Berücksichtigung der jüngeren abgeleiteten Gesetzbücher, übersetzt von Karst, Straßburg 1905. Vgl. dazu: Haykakan hamar˙ot hanragitaran (Armenische Kurzenzyklopädie), Bd. 4 (2003), S. 461. 837 Vgl. dazu: Ebd. 838 Vgl. dazu: Inglisian (1963), S. 206. 839 Sie bieten eine geografische (Buch I) und historische (Buch II) Beschreibung Asiens, eine Geschichte der Mongolen (Buch III) und einen Kreuzzugsplan zur Eroberung des Heiligen Landes (Buch IV). 840 Vgl. dazu: Inglisian (1963), S. 206 – 207. 841 HS. Nr. 9229, Handschriftensammlung Matenadaran. 842 Im Gedicht äußert der König seinen Wunsch, Mönch in der Mönchskongregation Tat’ev zu

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Ausgangspunkte und Verfahren bei der Suche nach Vorbildern und Einflüssen

König Levon III. anonym, in hayren-Metrik und in der Volkssprache (Mittelarmenisch) überliefert. Das Lied berührt reale Ereignisse: Levon III. geriet im Jahre 1266 im Kampf gegen die ägyptischen Mamluken in Gefangenschaft und blieb 22 Monate bei den Mamluken gefangen. Sein Vater, Het’owm I., zahlte 1268 die geforderte Summe an Lösegeld für seinen Sohn. 1269 übergab er ihm den Thron und zog sich in ein Kloster zurück, wo er im Jahre 1270 starb. Das Klagelied ist höchstwahrscheinlich direkt nach der Gefangennahme Levons III. entstanden. Für die literarischen Beziehungen zwischen Armeniern und Europäern spielten die königlichen und fürstlichen Höfe eine besonders große Rolle. Die kilikischen Barone nahmen an Hoffesten und Hochzeiten der europäischen Kreuzfahrer teil oder organisierten selbst Empfänge und Feste zu Ehren des westlichen Adels. Solche Veranstaltungen boten Möglichkeiten für kulturelle Begegnungen, so etwa Levon (Leo) II. (? – 1219), der als Trauzeuge an der Hochzeit von König Richard Löwenherz mit Prinzessin Berengaria von Navarra teilnahm, die im Mai 1191 auf Zypern stattfand.843 Bei der feierlichen Krönungszeremonie Levons II., die am 6. Januar 1198 in Tarsus stattfand, nahmen die Vertreter des abendländischen Adels, darunter auch der Erzbischof von Mainz, Kardinal Konrad von Wittelsbach, teil.844 Auch die Ehen zwischen dem armenischen und französischen Adel waren für die literarischen Kontakte wichtig, denn durch die Ehen wurden dauerhafte Beziehungen geknüpft. Das politische Bündnis zwischen kilikischen Baronen und europäischen Kreuzfahrern führte zu zahlreichen Eheschließungen zwischen dem europäischen und armenischen Hochadel. Die armenischen Barone standen in besonders engen Bündnissen mit Herren von Lusignan, die Lehnsmänner der Grafen von Poitou und der Herzöge von Aquitanien waren. Graf Balduin I. (1058 – 1118), der Bruder Gottfrieds von Bouillon (ca. 1060 – 1100), heiratete die Tochter des armenischen Statthalters von Marasch namens T’at’owl. Nach der Eroberung Jerusalems 1099 gründeten die Kreuzritter das Königreich Jerusalem mit den Lehnstaaten Tripolis, Edessa und Antiochia. Als König von Jerusalem kamen die Grafen Raimund IV. von Toulose (1041/42 – 115) und Gottfried von Bouillon in Frage, beide lehnten jedoch die Krone ab. Gottfried von Bouillon übernahm den Titel »Verteidiger des heiligen Grabes« (advocatus sancti sepulchri). Erst sein Bruder Balduin ließ sich mit seiner arwerden. Er gibt das Gedicht dem Erzbischof von Syowni, der sich in Kilikien am Hof von König Levon (Leo) III. aufhielt, als er 1282 aus Jerusalem in die Heimat zurückkehrte. Das Gedicht ist in der Geschichte von Step’anos Orbelyan (1250 – 1305) »Patmowt’iun nahangin Sisakan« (Geschichte der Provinz Syownik’) überliefert. Vgl. dazu: Step’anos Orbelyan (1986), Kapitel: 67 (ԿԷ), S. 344 – 345. 843 Bauer (1977), S. 129. 844 Meyer / Berkian (1988), S. 17 – 22.

Mögliche literarische Kontakte

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menischen Gattin 1100 zum König von Jerusalem krönen. Auch sein Nachfolger Balduin II. (1118 – 1131) hatte eine armenische Ehefrau, die Tochter von Gabriel von Melitene, Morphia (? – 1126/27). Aus der Ehe stammten vier Töchter, Melisende (1105 – 1161), Alice (? – ca. 1137), Hodierna (1110 – 1164) und Ioveta (1120 – 1170). Hodierna wurde Gemahlin des Grafen von Tripolis, Alice heiratete Bohemund II. von Tarent und wurde Fürstin von Antiochia. Die Kronprinzessin Melisende, Gattin von Graf Fulco V. von Anjou, wurde Königin von Jerusalem. Auch Toros I., der Sohn und Nachfolger von Konstantin, ließ seine Schwester Joscelin I. von Courtenay (? – 1131) den Grafen von Edessa heiraten. Reinald von Chatillon (ca. 1125 – 1187), der Regent von Antiochia, war mit Konstanze, der Enkelin von Königin Morphia, Tochter von Alice, verheiratet. Die zweite Frau des ersten Königs von Kleinarmenien Levon (Leo) II. war Sibylle von Lusignan, die Tochter des Amalrich II., König von Jerusalem.845 Diese Hinweise zeigen, dass es für den Vergleich der beiden Dichtungen richtig ist, die Beziehungen zwischen dem armenischen und abendländischen Adel im 12.–14. Jh. als Hintergrund mit einzubeziehen. In der Mediävistik wurde die Stellung von Kilikien und seine Rolle in der Zeit der Kreuzzüge viel diskutiert, die Aufmerksamkeit lag aber hauptsächlich auf den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen.846 Die literarischen Kontakte vor allem in der höfischen Literatur wurden vernachlässigt, die allerdings eine neue Bewertung der Quellenlage benötigen.

845 Zur Heiratspolitik der kilikischen Fürsten und Könige: Bauer (1977), S. 120 – 138.; Geschichte des armenischen Volkes, Bd. 3 (1976), S. 671 – 779. 846 Unter anderen siehe die folgende Literatur: Petermann (1860); Ter-Grigoryan Iskanderian (1915); Der-Nersissian (1962); Geschichte des armenischen Volkes, Bd. 3 (1976); Bauer (1977), Meyer / Berkian 1988.

IV.

Schlussbetrachtung

Die Untersuchungen zeigten, dass sich die hayren-Dichtung und der Minnesang strukturell miteinander vergleichen lassen. Mithilfe der Motiv-, Terminologieund thematischen Analysen beider Dichtungen ließen sich neben spezifischen Unterschieden grundlegende Gemeinsamkeiten feststellen. Der Vergleich der beiden Dichtungen zeigte, dass diese Gemeinsamkeiten sich durch ähnliche gesellschaftliche Strukturen und gemeinsames Erbe, wie die antike und christlichreligiöse Literatur, erklären lassen. Beim Vergleich der gesellschaftlichen Strukturen war unsere Aufmerksamkeit aus folgenden Gründen hauptsächlich auf das Armenische Königreich von Kilikien fokussiert: Großarmenien verlor seit der Mitte des 11. Jhs. seine Unabhängigkeit und die politisch-kulturellen und die kirchlichen Zentren wurden aus Großarmenien nach Kilikien (Königreich seit 1198) verlegt. Hier waren die Literaten aus dem Laienstand häufiger vertreten als in Großarmenien. Die volkstümliche Metrik der hayrenner war in Kilikien im 12.–13. Jh. verbreitet: Von König Leo III. stammt ein geistliches Gedicht in hayren-Metrik. Außerdem ist ein episches Klagelied über König Leo III. anonym, in hayren-Metrik und in der Volkssprache (Mittelarmenisch) überliefert.847 Eine der ältesten Handschriften aus dem 13. Jh., die hayrenner enthält, stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus Kilikien.848 Die hayrenner sind sowohl in Kilikien, wo der Gedankenaustausch mit den europäischen Ländern durch Kreuzzüge ermöglicht wurde, als auch in Großarmenien, wo die hayrenner auf die Städte übergingen und in der Folge die Wertvorstellungen, Wünsche und Ängste des Bürgertums zum Ausdruck brachten, bezeugt. Ähnliche gesellschaftlichen Strukturen produzierten im mittelalterlichen Armenien und Deutschland ähnliche Vorstellungen bezüglich der Liebe, der Ehe und des Ehebruchs sowie der Stellung und Einschätzung der Frau in der mittelalterlichen armenischen und deutschen Gesellschaft: Die Ehen wurden meist 847 Mehr dazu: Teil 3, Kapitel 4. 848 Jerewaner Handschriftenarchiv Matenadaran, HS. Nr. 9229. Mehr dazu: Mnac’akanyan (1995), S. 1001.

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Schlussbetrachtung

aus politisch-wirtschaftlichen Gründen geschlossen, der Ehebruch insbesondere vonseiten der Frau wurde als Verbrechen behandelt. Die Frau wurde von der politisch-geistlichen Laufbahn ausgeschlossen und ihre literarische Tätigkeit war auf den geistlichen Bereich eingeschränkt. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit spielte die Liebe bei den meisten Eheschließungen keine Rolle. Stattdessen war die Gleichheit im sozialen Status der beiden Familien der Ehepartner und die Bestätigung oder Begründung politischer Aktionen von besonderer Bedeutung. Diese Vorstellungen aber verkehrten sich in der hayren- und Minnelyrik ins Gegenteil: Die Liebe wurde in der Dichtung als höchster Wert gepriesen, die einerseits mit zerstörerischer Gewalt über die Menschen herrschte, andererseits aber die Menschen veredelte und ihnen das Gefühl des Glückes gab. Der Sänger erlaubte sich außerdem, die hoch über ihm stehende Dame zu lieben und zu besingen. In der Dichtung erhielt die Liebe damit Entscheidungsfreiheit, die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht existierte. Die Frau spendete in beiden Dichtungen Freude und schmückte die Gesellschaft.849 Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten der Frau im Mittelalter lieferte die höfische Literatur des armenischen und deutschen Mittelalters Beispiele, in denen die Frau auch in den realen Verhältnissen die Festgesellschaften schmückte. Bei besonderen Anlässen trugen die Damen zur Unterhaltung des Hochadels bei.850 Nazenik sang bei einem Fest im Fürstenschloss Bakurs zur Unterhaltung der Gäste.851 Isold wurde in den Palast ihres Vaters gerufen, um mit ihren höfischen Künsten ihrem Vater und den anderen Anwesenden die Zeit zu verkürzen.852 Sie war vollkommen, sie konnte viel: »Si sanc, si schreip und si las« (G. v. Straßburg 8055).853 Dafür musste die Frau innerlich und äußerlich schön sein. Die Schönheit der Frau ist in der hayren-Dichtung wie auch im Minnesang ein wichtiges Element. Außerdem übernahmen beide Dichtungen eine Reihe von Motiven aus der antiken und christlich-religiösen Tradition, die als gemeinsames Erbe für die beiden Dichtungen betrachtet wurde. Die angeführten Beispiele zeigen, dass Laien neben Hoffesten, die ihnen die Möglichkeit gaben, sich mit der volkstümlichen Überlieferung vertraut zu machen, das Schulwesen sowohl in Armenien als auch in Deutschland Gelegenheit bot, die antike und geistliche Überlieferung kennenzulernen. Der Gegenstand der Minnelyrik und der hayren-Dichtung war zwar die weltliche Liebe zur Frau, für den Sänger jedoch war es wichtig, die weltliche 849 850 851 852

Mehr dazu: Bumke (1986), Bd. 2, S. 466 – 470. Ebd. Xorenac’i (1981), S. 236. »daz Isolt in den palas / vür ir vater wart besant; / und allez daz ir was bekannt / höfischer liste und schœner site, / da kurztes im die stunde mite / und mit im manegem an der stete.« (G. v. Straßburg 8040 – 45), Gottfried von Strassburg (1967), S. 224. 853 Ebd., S. 225.

Schlussbetrachtung

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Frauenliebe in Harmonie mit der Liebe zu Gott zu bringen. Wie die Analysen zeigen, war die Bedeutung der armenisch-apostolischen Kirche im Laufe der gesamten Geschichte des armenischen Volkes außerordentlich groß und sie wurde nach der Auflösung des Königreichs in Großarmenien zu einem wichtigen Faktor der Einheit. Die armenische Kirche kämpfte für die nationale Einheit und Unabhängigkeit des Landes und unterstützte die königlichen und fürstlichen Dynastien in der Innen- und Außenpolitik. Und umgekehrt musste der armenische Adel schon sehr früh für die christliche Religion kämpfen und sterben. Diese Tatsache hatte Einfluss sowohl auf die Personenbeschreibungen der armenischen höfischen Geschichtsschreibung, in der das Kirchliche mit dem Höfischen sehr vermischt und schwer zu trennen ist,854 als auch auf die hayrenDichtung, in der Liebe, Treue und die Tugenden nicht nur gemäß historischgesellschaftlichen, sondern auch christlich-religiösen Vorstellungen modelliert werden. Das Begriffs- und Tugendsystem der hayren-Dichtung ist nicht nur durch die Feudalitätsmetaphorik, sondern auch durch die geistlich-religiöse Metaphorik geprägt. Auch der westliche Adel in Europa lernte mit den Kreuzzügen, für die christliche Religion zu kämpfen und zu sterben.855 Die Träger beider Dichtungen waren also von der christlichen Religiosität geprägt. Die Entstehung und Entwicklung der hayren-Dichtung wurde durch den soziokulturellen Wandel der Gesellschaft und durch die wachsende Bedeutung der Städte und des Bürgertums initiiert. Armenien war aufgrund seiner geografischen Lage stets Mittelpunkt eines ost-westlichen politischen und kulturellen Austauschs. Auch wenn diese Lage in politischer Hinsicht dem Land nur Nachteile bereitete, so stand es in kultureller Hinsicht in einem aktiven Austausch mit anderen Völkern. Für die literarischen Kontakte zwischen Armeniern und Westeuropäern waren die königlichen und fürstlichen Höfe, an denen Hoffeste veranstaltet wurden, von großer Bedeutung. Die Hinweise auf die historischen Kontakte in Kilikien schaffen eine Grundlage, von der aus weitere Erkenntnisse gewonnen werden können. Ebenso kann die Quellenlage bezüglich solcher Kontakte neu bewertet werden. Sowohl der Minnesang als auch die hayren-Lyrik entstanden in der höfischen Gesellschaft. Während der Minnesang eine geschlossene Gesellschaft des Hofes voraussetzt,856 lassen sich Weiterentwicklung und Verbreitung der in der höfischen Gesellschaft entstandenen hayren-Dichtung in den mittelalterlichen Städten Armeniens verfolgen, ein Vorgang, der im deutschen Sprachraum nur in wenigen Fällen zu beobachten ist.857 Mit dem Verlust des Königtums gingen die 854 855 856 857

Vgl. dazu: Teil 3, Kapitel 3.1. Wechsler (1966), S. 12, mehr dazu: Teil 3, Kapitel 3.2. Vgl. dazu: Cramer (1977), S. 91. Vgl. dazu: Cramer: Minnesang in der Stadt. Überlegungen zur Lyrik Konrads von Würzburg (1977).

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Schlussbetrachtung

hayrenner auf die Städte über und stellten damit auch die Wertvorstellungen, Wünsche und Ängste des Bürgertums des armenischen Mittelalters dar. Durch diese Veränderungen verlor die hayren-Dichtung die gesellschaftliche Bindung an die Adelshöfe und entwickelte sich in den Städten weiter. Im Gegensatz zum Minnesang, dessen Träger vornehmlich die Adligen waren, stammten die Autoren der hayrenner aus verschiedenen Schichten. Die Hauptträger der hayrenDichtung waren aber Berufssänger, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten. Während der Minnesang als höfische Lyrik vom ritterlichen Selbstbewusstsein geprägt ist, reflektiert die hayren-Dichtung im mittelalterlichen Armenien die Perspektive von gowsanner. In der hayren-Dichtung steht deswegen das Tugendsystem der Feudalherren, wie etwa »Dienst und Lohn« nicht im Vordergrund. Für die hayren-Dichtung besteht der theoretische Ertrag der vorliegenden Arbeit vor allem im Folgenden: 1) Die hayren-Dichtung wurde in einem Gesamtzusammenhang mit der religiösen Literatur gesehen. Es wurde nachgewiesen, dass die hayrenner zwar einen weltlichen Charakter besitzen, aber auch Themen und Motive aus dem geistlichen Bereich behandeln und neben und nicht gegen die geistliche Dichtung traten. Diese beiden Bereiche beeinflussten sich gegenseitig. Die seit dem 10. Jh. beginnende Annäherung der kirchlichen Lyrik an die weltliche erreichte mit der hayren-Dichtung ihren Höhepunkt. 2) Die hayrenDichtung drückt keine subjektive Erfahrung aus und ist keine Werbung der einzelnen Sänger um eine bestimmte Frau, sondern die Träger der hayrenDichtung, die Berufssänger (gowsanner) waren, dichteten, musizierten und trugen ihre Lieder nach dem Geschmack und Wunsch des Publikums vor. Aus diesem Grund wird in hayrenner nicht die subjektive persönliche Liebe besungen, sondern die Liebe allgemein sowie deren Rolle in der Gesellschaft. 3) Diese Erkenntnis erlaubt uns, die Frauenmonologe als Frauenrollen und nicht als von Frauen gedichtete Lieder zu verstehen und zu interpretieren. Für diese These spricht unter anderem auch die Überlieferung: Im »Kiliser Liederbuch« ist ein Frauenlied unter einem männlichen Namen überliefert.858 Das heißt, dass ein Sänger imstande war, ohne weiteres Frauenlieder zu singen und über die Gefühle der Rollenfigur, die er erschaffen hat, zu berichten. Die vorliegende Untersuchung will zur Verringerung eines Forschungsdefizits auf diesem Gebiet und zur weiteren Theoriebildung sowie zu den Interpretationsmöglichkeiten der hayren-Dichtung beitragen. Sie erschöpft sich nicht in sich selbst, sondern legt die Diskursstrategien für neue Untersuchungen offen. Nicht zuletzt möchte diese Arbeit dazu beitragen, das wechselseitige Interesse der beiden Völker für die jeweils andere Kultur, Geschichte und Literatur in

858 Vgl. dazu: Teil 2, Kapitel 5: Frauenlieder.

Schlussbetrachtung

223

unserer Zeit der zunehmenden Globalisierung der Kultur zu vertiefen und die Aufmerksamkeit der Forschung auf den kulturellen Austausch zu lenken.

V.

Texte und Übersetzung

hayrenner Armenische Liebeslieder des Mittelalters

226 Ա՜յ իմ նշենի ծաղիկ, Դեղնեցար ու դարձար ի նուշ. Բերանդ է փոքրիկ ’ւ անուշ, Պռկունքտ է ամրաւ անուշ: (Ա/Ա, 135 – 138) Du bist die Blüte des Mandelbaums, die zu einer Mandel verwandelt wurde. Dein Mund ist so klein und schön, deine Lippen sind so süß wie eine Dattel. -Աղուո՛ր, քեզ բանիկ մ’ասեմ, Հօրտ ահուն չեմ իշխեր ասել. Անոր համար չեմ ասեր՝ Դուք հարուստ էք ու մենք՝ տառպել։ -Ասա՛, կտրի՛ճ, մի՛ վախեր. Շատ հարուստ է տառպելացել. Անչափ հարըստի դստրիկ Տառպելի ծոցիկն է պառկել: (Ա/Բ, 117 – 124) »Meine Schöne, ich will dir etwas vortragen, aber deines Vaters wegen traue ich mich nicht, das zu machen. Ich will es nicht machen, weil ihr reich seid und wir nicht.« »Sag, mein Held, habe keine Scheu! Das Leben hat viele Reiche ins Elend gebracht und die Tochter eines Reichen hat die Nacht mit dem Armen verbracht.« Քո սէրտ իմ սըրտիս միջին Հանց մըտեր զէտ ոսկի բևեռ. Գնացեր է սրտիկս ի ներս, Ու փառչին եղեր կեռ ու մեռ. Քո տեստ իմ սրտիս միջին Հերկ արեր ու դարձեր է եռ։ (Ա/Բ, 99 – 104) Deine Liebe ist in meinem Herzen wie ein goldener Nagel. Deine Liebe betrat mein Herz und hat sich dort eingenistet. Dein Antlitz pflügte mein Herz und wurde mit ihm fest verbunden. Մանուկ ան մանկանն ասեմ, Որ հնտրէ հայրէն ու ասէ. Զհայրէնն ի ղաթարն ասէ, Որ ետև ղալատ չի բերէ. Մարդիկ կայ ի յաս ճերկայս, Որ կասեն, թէ՝ Բան չի գիտէ.

Texte und Übersetzung

Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Լեզու կայ նորա բերանն, Որ ղաթար մ’ ջորին չի քաշէ։ (Ա/Բ 167 – 174) Als Besten kann ich denjenigen nennen, der ein hayren wählt und vorträgt. Das hayren singt er in richtiger Metrik, damit kein Nachteil entsteht. Es gibt aber Menschen, die nicht imstande sind, die Reihen vorzutragen. Sie singen in einer derartigen Metrik, die beim Maulesel besser klingt. Դաւիթ մարգարէ, ի՛մ յոյս, Շատ մեղկունք ունիմ՝ թէ թողուս. Եարուկ մի սիրեր եմ ես, Պարապար հետ երկու լուսոյս: Հնցկուն աղուորիկ եարուկ, Թէ ի խուցըդ գայ՝ նայ թողուս. Ցորեկն սաղմոս ասես, Լօք գիշերն ի ծոցիկտ առնուս։ (Ա/Բ, 183 – 190) Prophet David, meine Hoffnung, viele Sünden habe ich begangen, vergib. Ich habe eine Frau geliebt wie das Licht meiner Augen. Wenn eine so schöne Geliebte dich besucht, lässt du sie ein. Am Tage singst du die Psalmen und die Nacht verbringst du mit ihr. Իմ աղուոր՝ բարակ ’ւ երկան, Գեղեցիկ ու խիստ սիրուն ես. Հոտ անուշ վարդի նման, Ըսպիտակ ու կարմիր երես. Գովեմ քեզ հազար բերան, Հողեղէն մարդ չկայ զէտ քեզ. Փա՜ռք կու տամ ստեղծողիդ, Քաւ էլ, թէ քեզ նման դու ես. (Ա/Գ, 1 – 8) Meine Schöne, du bist groß und schlank, o, wie schön und vollkommen bist du. Du duftest wie eine Rose, rot und weiß ist dein Antlitz. Ich werde dich tausendmal preisen, kein irdisches Wesen gleicht dir. Wohl ihm, der dich geschaffen hat, wenn du auch so einzig bist.

227

228 Հանչաք հայրէնի ասիր, Որ եղաւ սրտիկս քարէ տուն. Հառաչս ի յերկինքն ելաւ, Ու յերկնիցն ի վայր կու գար ձիւն. Ո՞վ տեսեր ամառըն ձիւն, Որ կու գայ ի վերայ մարդուն. Իմ Տէ՛ր, ամ կըրակ ձգէ Ու այրէ՛ ատոր սէրըն դուն: (Ա / Գ, 69 – 76) So viele hayrenner hast du gesungen, dass mein Herz in ein Haus aus Stein verwandelt wurde. Meine Klage hat den Himmel erreicht, vom Himmel ist sie heruntergeschneit. Wer hat im Sommer so viel Schnee gesehen? Es schneit so reichlich auf den Menschen. Mein Herr, lasse die Liebe des Herzens im Feuer brennen. Հառաչեմ ու հառաչ կու գայ, Ու լերդէս ու սրտէս՝ արուն. Հառաչս ի յերկինքն ելնէ՝ Յերկնիցն ի վայր կու գա ձուն. Ամառն ո՞վ տեսեր է ձուն, Որ կու գա սիրու տէր մարդուն. Գիտեմ, թէ ինձ մէն կու գա, Նա կո՞ւ գա հաւսար ամմէնուն։ (Ա/Զ, 32 – 40) Ich klage und höre eigene Klage, mein ganzes Herz ist voll vom Blut. Meine Klage hat den Himmel erreicht, vom Himmel ist sie heruntergeschneit. Wer hat im Sommer so viel Schnee gesehen? Es schneit reichlich auf den Liebenden. Schneit es allein nur auf mich oder kriegt jeder das mit? Հայրէն մի կամիմ ասիլ, Աստընվորըս չկայ իւր գին. Ի վերայ իմ եարոջ ծծին, Մարգարտէ հատիկ մի կա՝ ծին. Երնէկ ես նորա կու տամ՝ Նա քըներ գիշեր մի ծոցին. Գրկիկ իւր մեջացն ածեր, Պագ առեր ներքև կլափին: (Ա/ԺԵ, 33 – 40) Ein hayren will ich singen, so Wertvolles gibt es in der Welt nicht. Ich will über die Brüste

Texte und Übersetzung

Armenische Liebeslieder des Mittelalters

meiner Geliebten singen. O weh, wie glücklich ist derjenige, der die Nacht mit ihr verbracht hat, sie geküsst und in seinem Schoß gehalten hat. Այս աստընվորիս վերայ Ես ու մէն կեղնամ քեզ ծառայ. Էնօք քեզ ծառայ կեղնամ, Կու սիրեմ, որ ճար մի չկայ: (Ա/ԺԷ 1 – 4) In dieser ganzen Welt werde ich allein dir dienen. Ich werde so gerne in deinem Dienst sein, ich liebe dich und kenne keinen Ausweg. Հիւա՜նդ, ես՝ հեռի քենէ, Թող մեռնի, ով քո չարկամ է. Թէ մեք զիրար կու սիրեմք, Ի՜նչ կուզեն քաղաքս ի մեզնէ: (Ա/ԺԸ, 13 – 16) Krank bin ich, weil ich fern von dir bin, ich verwünsche den neidischen Menschen. Wenn zwei einander lieben, warum wollen sie uns dann drohen? Այլ ողորմ ես չեմ տեսեր, Քան զմանուկ մարդն, որ մեռանի. Իւր կինըն այլ մարդ առնու, Ինք ներքև հողոյն մտանի. Երթամ, աղաչեմ զԱստուած, Որ մանկան կինըն մեռանի. Մանուկն ի շահին բազայ, Կու թռչի, այլ երամ խառնի: (Ա/ԺԹ, 17 – 24) Ich habe nichts Schlimmeres gesehen, als dass ein junger Mann stirbt. Während seine Frau einen anderen aussucht, liegt er unter der Erde. Ich werde Gott anflehen, dass die Frau des Mannes stirbt. Wie ein edler Falke fliegt dann der Mann zu einem anderen Schwarm. Այս գիշերս ի դուրս ելայ, Թուխ ամպեր ’ւ անուշ կու ցօղայ. Զիմ եարն այլ պառկած տեսի, Ու կանանչ եօրղանն ի վերայ. Ոտկունք առ ու դիր արի,

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230 Թէ մտնեմ ի ծոցըն նորա. Նա զգլխարկն ի վեր իկալ, Թուխ աչօքն ասաց, թէ՝ »Գնա՛. Սև օձն ի ծոցիս ունիմ, Զքեզ տեսնու ’ւ ինձ ղաստի ջանայ՚«. Հառչելէն ի յետ դարձայ, ’Ւ ու գովեմ զսուրաթըն նորա: (Ա/ԻԳ, 25 – 36) In dieser Nacht ging ich hinaus, es waren dunkle Wolken und es nieselte so angenehm. Ich sah meine Geliebte liegend unter der grünen Decke. Da versuchte ich, mich zu ihr zu legen. Sie nahm ihren Hut. Ihre schwarzen Augen sagten zu mir: »Geh jetzt, eine schwarze Schlange habe ich in meinem Schoß, wenn sie dich sieht, wird sie es erneut versuchen.« Mit Kummer kehrte ich zurück, und preise ihr schönes Antlitz. Քան զեկեղեցոյ կամար Քո ուներտ ի վեր կու քաշի. Քան զսէրն քաղցրիկ պտուղ Աստվորս չաւտամ, թէ լինի. Շաքարն նշով խառնած՝ Մօտ ի սէրն դառն է ու լեղի. Սիրու տէր ես եղայ Եւ սիրու եմ ճորտ ու գերի: (Ա/ԻԵ, 21 – 28) Wie das Gewölbe der Kirche sind deine Augenbrauen. Ich glaube nicht, dass es unter den Sternen, etwas Süßeres als die Liebe gibt. Die mit Zucker gemischten Mandeln sind neben der Liebe herb und bitter. Ich liebe von ganzem Herzen und bin im Dienst der Liebe wie ein Sklave und armer Lehnsmann. Ձեր տունն ի բանէ եկի, Զքեզ տեսայ՝ բանըս մոռացայ. Ոտկունքս ոչ ի յետ կերթայ, Ոչ յառաջ. սէրկէրտան եղայ. Ես քեզի հազար ծառայ, Ի՞նչ արիր, որ հնցկուն եղայ. Շատոց սիրոյ տէր էի, Թ’ ի՜նչ դիժար էր այս տարպայ։ (Ա/ԻԷ, 21 – 28)

Texte und Übersetzung

Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Ich kam zu dir, aber als ich dich sah, konnte ich nicht sagen, was ich sagen wollte. Meine Beine versagten mir den Dienst, ich stand verzweifelt da. Ich will dir tausendfach dienen, was hast du mit mir gemacht? Ich kenne die Liebe schon lange, warum erscheint sie so schwierig diesmal? Քո գունովն ինձ գինի պիտէր, Խմէի ու հարբենայի. Քո ծոցտ՝ Ադամա դըրախտ, Մտնէի, խնծոր քաղէի. Քո երկու ծըծամիջին Պառկէի ու քուն լինէի. Ան ժամն ես հոգի պարտի Գրողին, լուկ թող գայ, տանի։ (Ա/ԻԹ, 48 – 56) Ich möchte so gerne Wein trinken, aus der Farbe deiner Haut. Du bist ein Garten Adams, ich möchte dort gerne Äpfel pflücken. Ich würde mich dann zwischen deine Brüste hinlegen und einschlafen. Dann kann der Todesengel meine Seele aufnehmen. Գիշերս ես ի դուրս ելայ, Ի յերկինքն ի վեր նայեցայ. Լուսին էր կամար կապեր, Ի Հռօմ աշխարհ կու գնայ. Հազար զինահար, լուսի՛ն, Պահ մի կաց՝ չուր յետ լուսանայ. Երկու խօսկ կանկատ ունիմ, Քեզ ասեմ, ապայ թէ գնայ. Գնայ իմ եարոչն ասայ, Թէ՝ Ղարիպըն նստել կու լայ. Ըսկոյն ողորմած կու լայ, Աչուերէն արիւն կու ցոլայ. Հոգին կլափին առեր, Աչքն քո ճամփոյդ կու մնայ. Թէ դու չես ելնիր ու գալ, Ձայն մի տուր՝ հոգիս ի յիս դառնայ. Գիշերս երազիս, խօշ յեար, Երկ… (Ա/ԼԱ, 1 – 18) In der Nacht ging ich hinaus? und bewunderte den Himmel.

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232 Der helle Mond strahlte und machte sich auf dem Weg nach Rom. Mond, mein Helfer, bleib eine Weile, hör meine Klage, bis das Morgenlicht kommt. Sag bitte meiner Geliebten, dass ihr Geliebter weint. Im fremden Land weint er so heftig, dass Blut aus seinen Augen fließt. Die Seele hat er verloren und wartet nur noch auf dich. Wenn du nicht kommen kannst, sag, dass deine Seele zu mir kommt. In der Nacht habe ich geträumt, schöne Geliebte. Wir beide… Ա՜յ իմ որոգայթ ու չար, Ուստի՞ եկիր՝ ինձ հանդիպեցար. Աչերտ զէտ ճըրագ ի վառ ’Ւ ընքվնուտ ճոթըն կա ճուհար. -Առեալ մարգարիտ ու լալ Ու կարել զպռկիտ շողակալ. Ատով ես զառել զիմ շունչս, ու զհոգիս այլ յիս չես ի տալ։ (Ա/ԽԱ, 9 – 16) O weh, du meine Böse, ich bin hilflos in deiner Falle gefangen. Woher kamst du und warum trafst du mich? Deine Augen leuchten so herrlich, deine Brauen enden mit Edelsteinen. deine strahlenden Lippen umrunden weiße Perlen. Damit hast du mir mein Leben genommen. Meine Seele lässt du aber auch nicht in Ruhe. Ո՞ւր էիր, ’ւ ուսկի՞ց եկար, Քան զամէն ծաղիկ դու պայծառ. Եկիր ’ւ ի հոգիս մըտար, Չես ի տար պահիկ մի դադար. Սըրտիս մէջն ի ժուռ եկար, ’Ւ ելնելու ճարակ չի գտար. Զարկիր ի գըլխուս վերայ, ’Ւ աչերուս ի վար թափեցար: (Ա/ԽԱ, 25 – 32) Wo warst du, wo kommst du her? Du, schöner als jede Blume. Du tratest in meine Seele und lässt mich nie in Ruhe.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Du irrtest in meinem Herzen und fandest den Ausweg nicht mehr. Du schlugst in meinen Kopf ein und bist mit den Tränen hinaus geflossen. Գամ, կանկնիմ քո դիմացտ, Լամ, որ իմ հուրն զքեզ այրէ. Դու զիս սիրու տէր արիր Ու հանիր իմ հօն ի տանէ. Ջանայ, շուտով ճար արայ, Զիս ի քո ծոցըտ ժողովէ. Թէ չէ կու մեռնիմ գնամ, Գան առնուն զարիւնս ի քենէ: (Ա/ԽԱ, 41 – 48) Ich komme zu dir und weine, damit mein Feuer dich brennt. Wegen meiner Liebe zu dir habe ich mein Elternhaus verlassen. Ich bitte dich, finde ein Mittel, halte mich fest in deinem Schoß, sonst werde ich sterben. Du bleibst dann an meinem Blut schuldig. Աղուո՛ր, Աստուած զքեզ ստեղծել, Մարտ օրհնեալ, որ զքեզ բերել է. Ո՛չ լուսնկայ՝ ի քեզ նման, Ո՛չ արև, որ դեռ կու ծագէ. Զօհալ աստղ ի քեզ նման, Որ ամէն առաւօտ կելնէ. Կերթայ ի Հոռումք ի վար, Լուսն ի մութն ի հօն բաժանէ: (Ա/ԽԱ, 81 – 88) Du Schöne, dich hat Gott geschaffen, gesegnet sei deine Mutter, die dich gebar. Weder der Mond kann deine Schönheit erreichen, noch die Sonne, die so prachtvoll strahlt. Du bist wie der Morgenstern, der jeden Morgen aufsteigt. Er trennt das Licht vom Dunkel und zieht ins Land der Griechen ein. Ելես դու ի քո տանէն, Զինչ ելնէ արևն ի մօրէն. Ծագէ լոյս ի ծոցէդ, Զինչ գարնան կայծակն ի ամբէն։ Շատ երէց ու շատ աբեղայ Իջուցեր սէրտ ի բեմէն.

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234 Նայ զիս այլ դարապար արեր, Վտարեր իմ հօրէն ի տանէն։ (Ա/ԽԱ, 177 – 184) Du kommst heraus aus deinem Haus wie die Sonne am frühen Morgen. Wie der Frühlingsblitz aus Wolken leuchtet das Licht deines Schoßes. So viele Priester und Kirchendiener hast du der Kirche entrückt, auch mich hat die Liebe zu dir vom Elternhaus fortgezogen. Աչերտ է ծովէն առած, Ու ուներտ ի թուխի ամպէն Այտ քո պատկերքդ և սուրաթտ Ի վարդին կարմիր տերևէն. Ուր որ դու կանկնած լինիս՝ Չէ պատեհ վառեն մոմեղէն. Ծոցուտ լոյսն ի դուրս ծագէ, Գէմ ելնէ մեռելն ի հողէն։ (Ա/ԽԱ, 193 – 200) Deine Augen entstammen dem Meer, die Brauen von dunklen Wolken Dein Antlitz und deine Gestalt sind aus Rosen gemacht Wo du stehst, braucht man da keine Kerze zu brennen. Leuchtet das Licht deines Schoßes, wird der Tote aufstehen. Իմ եարն ’ւ ես մեկտեղ եկաք, Բռնեցաք մենք զԱստուած վկայ. Մեծ ղաւլ ու երդումն արաք՝ Գօթենայ՝ ով սէրն ուրանայ. Խօշ եար, թէ ուրանաս դուն զիս, Ստեղծօղէն զաւալ քեզի գայ. Զէրայ սիրու տէր արիր, Այս խալխին լեզուն ի վերայ. (Ա/ԽԲ, 19 – 26) Mein Geliebter (meine Geliebte) und ich trafen einander und bekräftigten heilig, Gott sei Zeuge, unseren Schwur: Lepra soll den befallen, der seine Liebe verleugnet. Schönster Geliebter (schönste Geliebte), falls du meine Liebe leugnest, soll der Schöpfer dich verderben. Da ich in Liebe dir verfallen bin, reden die Leute schlecht über mich.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Այս աստընորիս վրայ Սիրու տէրն ունի մեծ պալայ. Մօլան երբ զտըվան կու տայ, Սիրու տէրն քան զուռ կու դողայ. Մօլա՛յ, գեմ հերիք կանչես, Գիտացաք, որ կու լուսանայ. Երթամ, աղաչեմ զԱստուած, Որ զիմ ցաւս ի քեզ փոխէ նայ: (Ա/ԽԲ, 69 – 76) In dieser Welt hat der Liebende die große Versuchung. Wenn der Muezzin zur Moschee ruft, zittert der Liebende. Mullah, hör auf zu rufen, wir wissen, dass es dämmert. Ich bitte Gott, dass er meine Leiden auf dich abwälzt. Գիտեմ, շատ հայրէն գիտես, Լուկ ընտրէ ու մէկ մի ասայ. Ասա՛ այտ ամսուս վերայ, Այս խալխիս՝ զինչ հիմիկ որ կայ. Խօսկդըտ մանէով ասայ, Մի՛ ասեր մարդուն քուճուպայ. Գիտես, որ ղարիպ եմ ես, Ղարիպին սիրտըն չի մնայ։ (Ա/ԽԲ, 103 – 110) Ich weiß, du kennst viele hayrenner, sing mir ein Lied, ein hayren. Erzähle von unseren Tagen, von den Menschen, die noch leben. Gib deinen Worten einen Sinn, sei freundlich zu den Menschen. Du weißt, ich bin hier ein Wanderer, der ein trauriges Herz besitzt. Ես ան հաւերուն էի, Որ գետինն ի կուտ չուտէի. Թռչ’ի, երկնօքն երթ’ի, Թէ սիրոյ ակնատ չընկնէի. Ակնատն ի ծովուն միջին Էր լարած ու ես չգիտէի. Ամէն հաւ ոտօքն ընկեր, Ես՝ ոտօք ու թևս աւելի։ (Ա/ԽԴ, 57 – 64) Ich war einer von jenen Vögeln, der kein Korn von der Erde nahm. Ich flog in den Himmel, um nicht

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236 ins Netz der Liebe zu geraten. Das Netz war aber im Meer und ich wusste darüber nichts. Während die anderen Vögel sich nur mit den Füßen verfingen, verfing ich mich mit Füßen und Händen. Սուտ է, որ կասեն, եղբա՛րք, Թէ ընտանի կաքաւ չի լինի. Մէկիկ մ’ ես երէկ տեսայ, Յէյնեկ է զիր տէրն, որ ունի. Իր օնքն է ղամլով քաշած, Իր բերանն շաքրով ի լի. Զմեռելն ալ ի գիրկն առնու, Ի ծոցուն հանէ կենդանի: (Ա/ԽԴ, 81 – 88) Es ist eine Lüge, wenn man sagt, es gäbe kein zahmes Rebhuhn. Gestern sah ich eins und beneide den Mann, der es besitzt. Die Brauen sind wie gemalt, der Mund ist süßer als Zucker. Wenn es einen Toten in den Schoß nimmt, wird er gleich lebendig. Ամուր եմ քարիտ նըման, Որ մրճիկն ի յիս չի բանի. Բարձր եմ թուխ ամպիտ նըման, Որ ոչ ով ի յիս չի հասնի. Աղեղն եղնենի լինի, Ու լարն ի վերայ գալէնի, Քաշօղն քաջորդի լինի, Հապա թէ իմ սիրուն հասանի. (Ա/ԽԴ, 159 – 166) Ich bin so hart, wie ein Stein, den der Hammer nicht bezwingen kann. Ich bin so hoch, wie die schwarze Wolke, zu der keine Seele dringen kann. Wer meine Liebe erreichen will, Der soll ein tapferer Held sein, der die Armbrust aus Tannenholz mit einer Sehne aus Wolfshaut schwingt. Հընցեղ եմ ի քո սիրուտ, Որ տըղեկըն ծիծ չի կերել. Մարիկն վաղո՜ւց մեռել, Ու տըղեկն որբուկ մնացել. Ջուր տուր իմ ծարաւ լերդիս, Քո սիրուտ ի տապն եմ ընկել.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Խօսէ՛, որ առնում իխրար, Ես յետի նէֆէսս եմ եկել: (Ա/ԽԴ, 207 – 214) Die Liebe zu dir macht mich zum hungrigen Kind, das nach der Mutter ruft. Sie aber starb und ließ das Kind als Waise zurück. Ich brenne in deiner Liebe, gib mir Wasser zum Trinken. Sprich mit mir, lass mich hoffen, ich kann das nicht mehr ertragen. Լուսի՛ն, պարծենաս, ասես. »Լուս կու տամ ես աստնվորիս«. Ահա հողեղէն լուսին՝ Ի գըրկիս ’ւ երեսն երեսիս. Թէ չես աւտալ այս գերուս, Յետ տանիմ զփէշ կապայիս. Վախեմ սիրո տէր լինիս, Լուս պակաս տաս աստնվորիս: (Ա/ԽԴ, 301 – 308) Mond, du erzählst ganz stolz: »Ich erleuchte die ganze Welt.« Hier ist ein irdischer Mond, der mit dem Glanz dich überstrahlt. Wenn du mir nicht glaubst, werde ich ihn dir zeigen. Du wirst dich auch in ihn verlieben und schwächer am Himmel leuchten. Տեսայ իմ հոգուս հոգին, Որ կերթար հետ մէկի մն ալ. Ձեռկունքն ի վերան ձգել Ու կանկատ կանէր մէկի մ’ ալ. Սրտիկս ալ ի յիս ասաց, Թէ անոր թարկն պիտի տալ. Ան սէրն, որ ճորով լինի, Հետ անոր խաղալն է մուհալ։ (Ա/ԽԴ, 325 – 332) Ich sah die Seele meiner Seele mit einem anderen gehen. Ihr Arm lag sanft auf seinem Schulter, sie klagte leise über jemanden. Mein Herz hat mir geraten: »Trenne dich von ihr! Es ist sinnlos, mit einer Liebe zu spielen, die erzwungen wird.«

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238 Հաւսար ի ճօշք են առել, ’Ւ ոտանց կամին զիս ուտել. Ալ ղալատ բան չեմ արել, Իմ սրտովս ի եար եմ սիրել. Թէ շատ, թէ ի քիչ ջանամ, Զինչ հախն իմ ճակատս է գրել. Զայս մէկս ալ կամիմ սիրել, Թէ հաւսար ի ճօշք են առել։ (Ա/ԽԷ, 41 – 48) Die Schwätzer reden schlecht über mich, sie treiben mich in den Tod. Ich habe doch kein Verbrechen begangen: Ich liebe diesen Mann von ganzem Herzen. So kann ich tun, was ich will, eins steht fest: Ich habe recht. Ich liebe diesen Mann, deswegen reden sie schlecht über mich. Ամ երեստ է՞ր է դեղնել ’Ւ երեսիտ գունն գնացեր. Գէմ քո մանչն չէ մեռել Կամ օտար երկիր գնացեր. Թէ ես լամ՝ նա հաղ ունի, Որ գիտեմ՝ի՛նչ եմ կորուսել. Կորել է իմ հոգուս հոգին, ’Ւ անհոգեկ ես եմ մնացել։ (Ա/ԽԷ, 93 – 100) »Warum bist du so blass geworden und siehst so schlecht aus? Ist dein Sohn gestorben? Oder ist er in ein fremdes Land ausgewandert? Wenn ich weine, habe ich einen Grund dafür, weil ich weiß, was ich verloren habe. Mein Geliebter, meine Seele ist weggegangen, ohne Seele bin ich zurückgeblieben.« Դեղնել եմ խնկիտ նման, Գունատել եմ զէտ ըզաֆրան. Չի գիտեմ, թէ քո սէրտ արել, Կամ եկել է օրս ի մահւան: Ասցին, թէ դուն դեղ ունիս, Տուր ինձի, որ կենդանանամ. Թէ չէ կու մեռնիմ, գնամ, Գան ասեն քեզ՝ Մարդայսպան: (Ա/Խէ, 171 – 178) Wie Weihrauch bin ich blass geworden, wie Safran ist meine Farbe, bleich und kränklich. Kommt es von meiner Liebe zu dir,

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

oder bin ich der Todesstunde nahe? Man sagte mir, du kannst mich heilen. Mach mich bitte wieder lebendig. Sonst sterbe ich aus Liebe zu dir, man nennt dich Mörderin. Բազայ մի որդան փոկով Կու որսար զորսն ցորեկով. Կաքաւ մի հազար փետրով էր նստել աչվին ճոթերով. Կաքաւն ի բազան ասաց. - Մի՛ որսար զորսն ցորեկով. Ես չեմ ցորեկվան որսիկ, Զիս որսայ մութն գիշերով: (Ա/ԽԷ, 125 – 132) Ein Falke mit rotem Halsband jagte zur Mittagszeit. Ein Rebhuhn mit tausend Federn saß und sah den Falken an. Das Rebhuhn sagte zum Falken: »Jage mich nicht am Tag, ich bin keine Beute zur Mittagszeit, jag mich aber in der dunklen Nacht.« Ահա նշանեցաւ երկինք Ու գետինք վանց լուսանալու. Իմ եարն ի ծոցուս ելաւ, Լօք եդիր երես գնալու. Ձեռկունքս ալ առաջ տարայ՝ Բռնելու, վանց արգիլելու. Զերդումն ալ ի բերանն էառ. -Գնալու եմ, չեմ կենալու: (Ա/ԽԷ, 187 – 194) Sobald der Himmel und die Erde kündeten, dass das erste Tageslicht kommt, löste sich meine Geliebte (mein Geliebter) von mir und machte sich bereit zu gehen. Ich breitete meine Arme lang und versuchte, sie (ihn) zurückzuhalten, aber sie (er) antwortete: »Ich kann nicht bleiben, ich muss gehen.« Տեսայ իմ հոգուս հոգին՝ Զարդարած ու բաղնէլուայ. Ես ալ ի դէմիկն ելայ, Նեղ սօղմախ ու խիստ ղալապայ. Պէչան ալ ի վեր տարաւ, Ուներովն արաւ, թէ՝ Գնա՛յ.

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240 Գնայ ու գիշերն արի, Պագ հազար՝ մինչոր լուսանայ. Քեզի գիրկ ու ծոց անեմ, Որ ամէն դիժարս դուրանայ։ (Ա/ԽԸ, 15 – 24) Ich sah die Seele meiner Seele festlich geschmückt und frisch gebadet. Sie ging durch die enge Gasse, die voll von Menschen war. Als sie mich entgegenkommend sah, hob sie ein wenig den Schleier und sprach: »Geh und komm in der Nacht wieder, nachts ist es leicht und vertraut. Ich nehme dich auf in meinen Schoß, küsse dich, bis die Morgendämmerung kommt.« Ելայ, ես ի քեզ եկի, Զիս քէնէ կարօտ գիտէի. Գալըս քեզ դըժար թըվաց, Ես ի յիմ միտքս անտիճեցի. Մի՛ լար, մի՛ տրտում կենար, Մի՛ հաշվիլ զօրըս քեզ տարի. Ան ոտքն, որ ի հոս իբեր, Նա կարէ, որ այլվայ տանի. (Ա/ԽԹ, 39 – 46) Ich bin zu dir gekommen, ich dachte, du hättest Sehnsucht. Mein Kommen aber hat dich gestört, das habe ich gleich verstanden. Weine nicht, sei nicht so traurig, denke nicht, dass ein Tag ein Jahr ist. Die Füße, die mich hierher trugen, die können mich auch zurück tragen. Նալա՛թ ան սիրուն վրայ. Այս գիշեր կէսըս հալեցաւ. Թէ շունչս ու հոգիս կասես՝ Նա եկաւ, կլափս կուտեցաւ. Կտրեն զան հաւուն շըլնին, Որ պէվախտ ատեն խօսեցաւ. Դեռ սրտիս մուրատին Չ’ի հասեր, նա բարկ լուսացաւ: (Ա/ԾԱ 75 – 82) Meine Liebe ist verflucht. In dieser Nacht bin ich einer halber Mensch geworden. Der Hahn hat mir meine Seele, meinen Atem genommen. Man muss den Hahn töten,

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

der unzeitig gekräht hat. Mein Herzenstraum war unerfüllt, da hat es gedämmert. Այս ամէն ալամ գիտէ, Որ տըղայ եմ ըզքեզ սիրեր. Բըռներ եմ սրտիտ ականջն Ու ձեռօքս զօղն անցուցեր. Քո սէրն իմ մօրս կաթն ըւ ծուծ եղեր ’ւ ոսկերքս է մըտեր. Չկայ բաժնելու ճարակ, զայդ քո իմ միտդ մի՛ ձգեր։ (Ա/ԾԱ, 195 – 202) Die ganze Welt weiß darüber Bescheid, dass ich dich als Jüngling geliebt habe. Mit einem Ring habe ich dein Herz gebunden, als ewiges Zeichen für meine Liebe. Mit deiner Liebe hat meine Mutter mich gestillt, sie sitzt jetzt tief in meinen Knochen. Es ist unmöglich, diese Liebe von mir zu trennen, du darfst das nie vergessen. Ով որ սիրու տէր լինի, Իր սիրուն ճարակ չի լինի. Թող երթայ՝ փորէ տապան Եւ մտնու մէջըն կենդանի, Ստրին դէմըն բաց թողու, Որ ելնէ բոցըն ծիրանի. Ով անցնի՝ նա զայն ասէ, Թէ՝ Սիրոյ տէր մարդ կու այրի։ (Ա/ԾԱ, 303 – 310) Wer hoffnungslos liebt und keinen Ausweg mehr sieht, wenn er auch einen Graben aushebt und sich ins Grab legt, soll er da, wo sein Herz ist, ein Loch lassen, damit der purpurne Rauch abzieht. Wer das Grab sieht, wird dann sagen: »Er verbrennt wie Feuer, weil er Liebe besitzt«. Մահալլովտ ի վար կու գի, Զէտ հազար ղարիպ մոլորած, Իմ եարս ալ ի դէմս ելաւ, Զէտ հազար լուսին բոլորած. Զէտ սրած կտրուկ դանակ՝ Անողորմ ի սըրտիկս էած. Ո՛չ խեղճ ի մըտին ձգեց, Ո՛չ յիշեց աւուր մ’աղ ու հաց: (Ա/ԾԱ, 355 – 362)

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242 Als ich verwirrt und verzweifelt die kleinen Straßen hinunterlief, sah ich meine Geliebte, sie leuchtete mehr, als tausende Monde zusammen. Sie ist wie ein grausames Messer in meinem Herzen. O weh, sie hat keine Gnade und kein Mitleid mit mir. Աչերուս խրատ տըւի, Քանց հազար ծընօղ՝զաւակի. Թ’ Արե՛կ, որ ի վայր նստինք, Աստընվորըս մեզ չի պիտի։ Աչերս այլ ի յիս ասաց. Թ’ Ես քեզ խելօք գիտէի. Զաղէկն որ ի գնալ տեսնու՝ Բեր աչեր, որ զինք չի հայի: (Ա/ԾԶ, 10 – 17) Ich gab meinen Augen Rat wie die Eltern ihrem Sohn: »Kommt, lasst uns reden, wir brauchen das nicht mehr tun.« Meine Augen erwiderten: »Wir dachten: Klug bist du. Gibt’s in dieser Welt andere Augen, die die Schöne nicht sehen wollen?« Տարտով եմ ու տէրտ ունիմ, Մարդ չկայ՝ զիմ տէրտն ճանչնէ. Կանչեմ հոտ ի վեր, իմ Տէր, Իմ տէրտին տէրման դու արէ. Այս սէ՛ր չէր, որ ինձ տուիր, Այս՝ կրա՛կ, որ զիս կու երէ։ (Ա/ԾԸ, 1 – 6) Ich habe Schmerzen und Kummer, es gibt keinen, der mir hilft. Ich soll dem lieben Gott klagen: »Mein Herr, erlöse mich von diesen Leiden. Das ist keine Liebe, die Du mir geschenkt hast, das ist ein Feuer, in dem ich brenne. Նաղաշ մ’զղէլէմն առեր, Լուք զսուրաթն իր թուղթն է գրել. Զէտ, որ ի յուներն ելեր՝ Նայ ինկեր նաղաշն ու թուլցեր. Մէկ մ’ զնաղաշին նաղշածն Է տեսեր ու հէյրան եղեր.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Ես զիմ Աստուծոյ ստեղծածն Եմ սիրել ’ւ ի ճօշքեն առեր։ (Ա/ԾԹ, 17 – 24) Der Künstler nahm einen Pinsel und malte das Antlitz meiner Geliebten. Beim Zeichnen der Augenbrauen fiel er hilflos in Ohnmacht. Wer ihr Antlitz auf dem Bild erblickte, war sprachlos von der Schönheit. Ich liebe das Wunderwerk Gottes, die Schwätzer sind deswegen neidisch. Ասես, թէ կաթով շաղւած՝ Զայտ ճերմակ ծոցիկդ, որ ունիս. Ասես թ’ արեգակն ես դու՝ Լոյս կու տաս յամէն ալամիս. Շէքրին քէնն դու ունիս, Պուլպուլին ձայնով կու խօսիս. Մուշկի փէրւարին կու տաս, Քան զմուշկն անուշ հոտ ունիս: (Ա/ԾԸ, 28 – 35) Die weißen Brüste, die du hast, sind aus Milch gemacht. Du strahlst wie die Sonne und schenkst uns dein Licht. Du schmeckst wie Zucker und hast die Stimme der Nachtigall. Du bist wie ein duftendes Öl, du riechst besser als das Duftöl. Ասես, թէ եաղութն ես դու, Կամ զըմրութ, կամ ամբարինայ. Թափած է ի քո վերայ. Վարդէջուր հազար փիալայ։ - Հոգի՛, երբ զայդ ինձ ասիր, Նա ճերմակ ծոցս քի ծառայ. Զկոճկիկս այլ արձակ անեմ, Մուտ ի մէջն, յէշրաթ արայ։ (Ա/ԾԹ, 155 – 162) Du erscheinst wie ein Rubin, ein Smaragd oder Ambra. Du bist mit Rosenwasser aus dem Krug übergossen. »Meine Seele, wenn du mir das sagst, lass ich meinen Schoß dir dienen. Ich lasse den Knopf meiner Bluse offen, damit du eintreten und feiern kannst.

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244 Առին զիմ եարին սուրաթն, Տարան Չին ու Մէչին արմաղան. Տարան եւ ի ժուռ ածին, Սուրաթին նման չըգտան. Հինգ հարիւր ու վեցհազար Նախշարարն ի մէկտեղ եկան. Մէկըն չկարաց գըրել, Զիմ եարին սուրաթն ի նման: (Ա/ԾԹ, 163 – 170) Man suchte ein so schönes Antlitz, das meiner Geliebten gleicht, in vielen Orten bis hin nach China. Umsonst, keine war so schön wie sie. Sechstausendfünfhundert Maler versuchten, sie zu malen. Keinem einzigen glückte es, das Antlitz meiner Geliebten zu malen. Գիշե՛ր, դուն յերկան եղիր, Եւ տարեկ մ’ եղիր՝ թէ կարէս. Իմ եարն ինձի հուր եկեր, Զետ հազար տարու, թէ գիտես. Առաւօ՛տ, դու յետ կեցիր, Որ ըզմեր խաղըն չաւիրես. Երբ ըզլոյսն ի վեր բերես, Զիս ի յիմ եարէս բաժանես: (Ա/Կ, 65 – 72) O Nacht, sei lang, ohne Ende, sei ein Jahr, wenn du kannst. Mein Geliebter (meine Geliebte) kam zu mir, es schien mir, ich habe ihn (sie) tausend Jahre nicht gesehen. O du, Morgenlicht, zögere, störe nicht unsere Spiele. Wenn du kommst und dein Licht bringst, trennst du mich von meinem (meiner) Geliebten. Հանչաք ես հայրէն ասի, որ քաջերն՝ ի քարն ուսուցի. Դարձա մուճավաթ բերի, Երկընուցըն սուն կապեցի. Ելա ի վերան նըստա, Աստուծոյ գանկատ մի արի. -Այ Տէ՛ր, ամ ի վար հայէ, Խիստ ողորմը բան կու լինի. Տասըն տարեկան մանուկն Ի սիրուն զէտ մոմ կու հալի. Ոսկորն է պատրոյգ դարձեր, Ու կաշին զէտ մոմ կու վառի: (Ա/Կ, 177 – 188)

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Ich sang so viele hayrenner und belehrte die Tapferen damit. Danach baute ich mit Edelsteinen eine Säule bis zum Himmel. Dann saß ich auf der Säule und richtete meine Klage an Gott: »Schau unten, mein Herr und sieh, ganz Tragisches passiert hier. Wegen der Liebe vergeht ein zehnjähriges Kind wie eine Kerze. Seine Knochen sind zum Docht verwandelt und die Haut verbrennt wie Wachs.« Գընալ ու գընալ կասես, Առ դանակ ու դու զիս մորթէ. Քո սիրած եարուկն եմ ես, Իմ արիւնըս քեզ հալալ է. Այս իմ նենգաւոր աչերս Ծըռկըտի, գա ըզքեզ փընտռէ. Թէ դուն որ ի հոս չըլաս՝ Նա լեզւակս հետ ո՞ւմ զըրուցէ։ (Ա/Կ, 523 – 530) »Du sollst gehen«,– sagst du ständig, Töte mich lieber statt das zu sagen, Ich bin doch dein Geliebter, der bereit ist von dir getötet zu werden. O weh, meine heimtückischen Augen schauen nur noch nach dir. Wenn du nicht bei mir bist, mit wem soll ich mich unterhalten? Ելնես դու ի ձեր տանէն, Լուք աչօքդ անես, թէ՝Սիրէ՛ Իմ սէրըն ի՜նչ անէ, Երբ քուկիկն ի հետ չընկերէ. Երբ սէրն երկուքէն լինի, Քան զնուշ ու շաքարն անուշ է. Երբ սէրն ի մէկէն լինի, Քանց մահուն օրըն դըժար է: (Ա/Կ, 579 – 586) Du trittst hinaus aus deinem Haus, deine Augen scheinen zu sagen: »Liebe mich«. Aber was soll denn meine Liebe alleine machen, wenn es keine Liebe deinerseits gibt. Wenn die Liebe beiderseitig ist, ist sie süßer als Zucker mit Mandel. Wenn die Liebe aber einseitig ist, fällt sie schwerer als der Tod selbst.

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246 Այսօր ինձ երնեկ տըւէք, Քան զամէն օրերս եմ ուրախ. Իմ եարն ալ ի մերն եկաւ, Վաղվընէ ու խիստ մըթընթախ: Մանկտիքն ի գինին նըստեր, Սիրու տէր մանչըն կասէ խաղ. Այն, որ սիրու տէր չեղեր՝ Նա նըստեր քան զծովըն խաղաղ։ (Ա/Կ, 609 – 612), Wohl mir, ich bin nie so glücklich und freudvoll gewesen wie heute. Meine Geliebte ist gekommen, heute früh, in der Morgendämmerung. Die Jünglinge trinken Wein, derjenige, der liebt, singt ein Lied. Nur wer keine Liebe besitzt, bleibt still wie ein regloses Meer. Եկոյ զքեզ ի ծոցս առնում, Տեղ շինեմ կրծոցս վերայ. Ծոցս քեզ սեղան քաշեմ, Ծիծըս բարձ՝ էրեսդ ի վերայ. Կոճիկըս թուլկիկ կոճկեմ, Որ հոգիտ ի ծոցիկս ելնայ. (Ա/ԿԳ, 49 – 54) Komm zu mir, ich nehme dich auf in meinen Schoß. Mein Schoß wird für dich zum Tisch, mein Busen dient als Kissen. Ich lasse den Knopf meiner Bluse offen, damit deine Seele in meinen Schoß eintritt. Թող լռչուկ շապիկ հագնեմ Ու շրջիմ զէտ սըգաւորի. Զկոճիկն այլ արձակ թողում, Որ տենու՝ սիրտըն նուաղի: (Ա/ԿԴ, 25 – 28) Lass mich eine hellblaue Bluse anziehen, dann gehe ich wie eine Trauernde umher. Ich lasse den Knopf der Bluse offen, wenn er das sieht, wird er schwach werden. Առանց խոց, առանց եարայ Զիս տեղիկս հիւանդ է ձըգեր. Հարցունք մէկ ընդ իմ եղէք, Որ ասեմ՝ սև աչքն է արեր. Էնօ՛ք սև աչքն է արեր. Իւր ծոցուն մահրում է հաներ.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Այլ ու՞մ, այլ էլ ո՞ւմ կասեմ, Ես չեմ եկեր, քո սէրտ է բերեր: (Ա/ԿԵ, 9 – 16) Ohne Verwundung bin ich krank geworden. Wenn ihr mich fragt, warum ich so krank bin, werde ich antworten: Schwarze Augen haben mir das angetan. Diese schwarzen Augen ließen mich in Sehnsucht sterben. Wem soll ich, wem soll ich klagen, ich bin nicht selbst zu dir gekommen, die Liebe hat mich hierher gebracht. Ես կա՛նչ մի կուզեմ կանչեմ, Ուր որ իմ ձայնըն հասանի. Ուր որ ադամորդի լինի՝ Թող սիրոյ պէլան չի ընկնի. Սէրն այլ ոտք ու ձեռք ունի, Ժուռ կու գայ քան զադամորդի. Եկեր ’ւ իմ գլուխս ելեր, Վերայ երեսիս ի քարշ կու տանի։ (Ա/ԿԵ, 41 – 48) Ich will laut singen, dass meine Stimme jeden erreichen kann. Ihr, die Söhne Adams, hütet euch vor der Liebe. Die Liebe hat Beine und Hände, bewegt sich wie einer der Söhne Adams. Sie ist in meinen Kopf getreten und zieht mich an den Wangen. Քանի՜ ու քանի՜ ասեմ. -Զիմ եարին կապան կարեցէք. Արևն իւր երեսք արէք, Զլուսընկան աստառ ձևեցէք. Թուխ ամպն այլ բամբակ արէք ’Ւ ի ծովէն դերձան քաշեցէք. Աստղերն այլ կոճակ արէք, Զիս ի ներս ողկիկ շարեցէք։ (Ա/ԿԷ, 61 – 68) Ich sage immer wieder und wieder: »Näht für meine Geliebte ein schönes Gewand: Der obere Teil soll aus der Sonne sein, das Futter aber aus dem Mond. Die Baumwolle soll aus der dunklen Wolke sein und der feine Faden aus dem Meer. Die goldenen Knöpfe sollt ihr aus den Sternen nähen.

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248 Կրակն ի մորին անկաւ, Սուրբ մնաց մոծիրն ի տեղին. Հայրէն մի ի տեղն ասաց, Թէ՝Սիրոյ տէր մարդոյ սրտին Հանչանք ես հայրէն ասեմ, Որ երթայ իւր սէրն ի քամին: (Ա/ԿԸ, 133 – 138) Das Wäldchen ist mit Feuer befallen, Der Funke ist aber heilig geblieben. Er hat ein hayren gesungen: »Ich werde für das Herz, das Liebe trägt, so lange hayren singen, bis seine Liebesqualen mit dem Wind verfliegen.« -Քո ծոցդ է ճերմակ տաճար, Քո ծըծերդ է կանթեղ ի վառ. Երթամ ես՝ ժամկոչ ըլամ, Գամ՝ լինեմ տաճրիդ լուսարար: -Գնա՛, ծօ՛, տղա տղմար, Չի վայլես տաճրիս լուսարար. Երթաս, դուն խաղով լինաս, Որ թողուս տաճարս ի խաւար։ (Ա/Հ, 63 – 70) »Dein Schoß ist wie eine weiße Kathedrale, deine Brüste sind wie leuchtende Kandelaber. Ich möchte gerne Glöckner werden und in deiner Kathedrale Kirchendienst machen.« »Geh weg, du törichter Junge, dafür bist du gar nicht geeignet. Wenn es dich zu Spielen lockt, lässt du meine Kathedrale unbeleuchtet.« Էկան էն խամազ մարդիքն, Թէ՝ Բե՛ր, զքո եարն մեզ ցըցու. Տեսանք, թ’ ի՞նչ շէնք ու սուրաթ ունի, Որ արեր զքեզ խեվ՝ կապելու։ -Իմ եարն ի լուսնի նման Թուխ ամպի միջին է գալու։ (Ա/ՀԳ, 36 – 41) Die neidischen Menschen sagten zu mir: »Zeige uns deine Geliebte. Wir wollen sehen, welche Tugenden sie hat, wie sie aussieht, dass sie deinen Sinn so verwirrt hat.« Meine Geliebte ist dem Mond ähnlich, der durch die dunklen Wolken strahlt. Իմ եար, թէ ի վեր հայիմ, Թէ ի վայր՝ քան զքեզ չկայ. Ամէնն աստեղաց նման,

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Դուն ի մէջ պայծառ լուսընկայ. Կաղանդն շնորհաւոր կասեն, Ի տարին մէկ օր մի կու գայ. Այսօր՝ ինձ հազար կաղանդ Աչերուս, որ զքեզ տեսայ։ (Ա/ՁԱ, 49 – 56) Meine Geliebte, ich blicke nach allen Seiten, es gibt keine, die dir gleicht. Du leuchtest wie Sternen im Himmel, aber viel heller und schöner. Man wünscht sich zum neuen Jahr nur einmal im Jahr alles Gute. Aber heute sind für mich tausende Neujahrsfeste, denn meine Augen haben dich gesehen. Մտիկ իմ եարին արէք, Զինչ հագեր՝ ամէնն է կանաչ. Հագեր գոյնզգոյն կապայ, Կոճակ շարեր, օղակն է կանաչ. Առեր ու պաղջան մտեր, Ջուր կերթայ, եզերն է կանաչ. Մտիկ ծառերուն արէք, Ծառն ծաղկեր, տերևն է կանաչ: (Ա/ՁԲ, 21 – 28) O, schaut auf meine Geliebte, alles, was sie trägt, ist grün. Sie hat ein buntes Gewand an, die Schlingen der Knöpfe sind grün. Sie ging im Garten spazieren, das Ufer des Bächleins ist grün. Schaut auf die Bäume, sie blühen und die Blätter sind grün. Կասեմ, թէ հայրէն ասա, Թե չէ ես ասեմ՝ դուն լսէ. Զբերանդ ալ քենով ածէ Ու զականջդ ալ ի գոց դու պահէ. Զէտ օղ ի ականջըդ ա՛ռ, Զետ կարմիր դեկան ծրարէ. Այն մարդ, որ շատ կզուրցէ, Նա յետին խօսքն կու լսէ։ (Ա/ՁԲ, 141 – 148) Ich sage dir: Sing ein hayren, wenn nicht, hör zu, ich werde singen. Lass deinen Mund edel singen und deine Ohren halt immer offen. Hör immer aufmerksam zu, folge meinen wertvollen Rat:

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250 Derjenige, der sich gerne unterhält, soll auch zuhören können. Ի՛մ եար, քեզ վատ չեմ ասեր, Դու հիմի է՞ր ես խռովեր. Խամազ կայ ի մեր մէջըս, Քեզ ղալատ է հասկացուցեր. Ղամազն է ի օձ նման, Որ զԱդամ ղալտեցուցեր, Խաբեր, ի դրախտէն հաներ, Ի լուսուն է մերկացուցեր: (Ա/ՁԲ, 897 – 904) Meine Geliebte, ich habe doch nichts Schlechtes über dich gesagt. Warum bist du mir denn böse? Ein Verleumder hat sich zwischen uns gestellt. Er versucht dein Herz gegen mich aufzuhetzen. Ein Verleumder ist ähnlich jener Schlange, die Adam getäuscht und betrogen hat. Sie hat Adam am hellen Tag nackt aus dem Paradies vertrieben. Պաղջայ մի տնկեր եմ ես, Թէ ի՜նչ աղէկ մորճեր կայ ի ներս. Սնուցի ու ի հասկ բերի, Խլեցին զայն ու կուլամ ես. Զէտ մանկակորուստ կաքաւ, Ի լեռներն ի շուրջ կու գամ ես. Լսեր եմ՝ ակնատ ունիս, Բեր լարէ՛, գամ՝ ընկնիմ ի ներս։ (Ա/ՁԲ, 937 – 944) Einen Garten habe ich gepflanzt, in dem schöne Bäume sind. Ich habe sie gepflegt und gegossen, man nahm sie mir weg und so weine ich. Wie ein Rebhuhn, dem man das Junge raubte, ziehe ich verzweifelt ins Gebirge. Ich habe gehört, du hast ein Netz, bring und fang mich im Flug. Արեգակն է քո ստեղծուած, Լոյս կու տա ամէն ալամիս. Ասեն թե կաթով է շաղուած, այդ ճերմակ ծոցդ որ ունիս. Մշկին փարուարիշ կու տայ Այդ անուշ հոտիկդ, որ ունիս. Զպաքրին քան դու ունիս, Որ յանդու անուշ կու խօսիս։ (Ա/ՁԲ 1019 – 1026)

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Die Sonne ist dir ähnlich, sie schenkt uns reichlich ihr Licht. Die weißen Brüste, die du hast, sind aus Milch gemacht. Du bist wie ein duftendes Öl und riechst so süß wie das Duftöl. Du hast einen sinnlichen Mund, der kann so süß und sinnvoll reden. Սիրեմ զայդ սիրուն երեսդ Որ լուսին՝ ի մօտն է գերի. Պագնեմ զայդ բարկուկ պռկունքդ, Որ շէքէրն՝ ի մոտն է լեղի. Թուխ աչք ու կամար ունքերդ Քան զծովն կու զարնէ ալի. Բերնիկդ է ի շիշ նման, Որ վարդին ջրովն է ի լի. (Ա/ՁԲ, 1083 – 1090) Ich liebe dein schönes Antlitz, das strahlender als der Mond ist. Lass mich deine Lippen küssen, die süßer als Zucker schmecken. Deine schwarzen Augen und Brauen gleichen dem wogenden Meer. Dein Mund ist wie eine kostbare Schale, gefüllt mit Rosenwasser. -Ի՛մ եար, դու յերդիկն ի քուն, Ծոցդ լոյս տայր աստղներուն. Կամ ա՛ռ զիս ի ծոցդ ի քուն, Կամ տէսթուր տուր՝ երթամ ի տուն։ -Ո՛չ կառնում ի ծոցս ի քուն, Ո՛չ տէսթուր տամ՝ երթաս ի տուն. Հանցեղ երերուն պահեմ, Մինչ որ գայ լոյսն առաւօտուն: (Ա/ՁԲ, 1119 – 1126) »Meine Geliebte, du schläfst und dein Schoß strahlt heller als die Sterne am Himmel. Lass mich entweder zu dir oder gib mir ein Zeichen zum Gehen. «Ich lasse dich nicht zu mir, doch lasse ich dich auch nicht fliehen. Ich halte dich in diesem Zustand, bis die Morgenwolken erglühen. Երկու եարուկ զիս կուզէ, Չգիտեմ, թէ ո՞րն է սիրուն. Մէկն՝ ցերեկուան արև,

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252 Մէկն՝ լուսին մութն գիշերուն. Լուսի՛ն, չեմ սիրեր զքեզ, Դու սորվեր ես խոռ կենալուն. Երթամ զարեգակն սիրեմ, Որ ծագէ լոյսն առաւօտուն։ (Ա/ՁԲ 1127 – 1134) Zwei Geliebte mögen mich, ich weiß nicht, welche mir besser gefällt. Die eine ist wie die Sonne am hellen Tag, die andere wie der Mond in der dunklen Nacht. Mond, ich liebe dich nicht, du bist es gewohnt, untreu zu sein. Ich werde die Sonne lieben, die früh morgens aufgeht. Իմ բարձրագընաց լուսին, Շատ բարև տուր իմ կիւզէլին. -Զբարեւդ ես ի ու՞ր տանեմ, Չեմ գիտեր զտունն կիւզէլին. -Գընա՛ ի վերայ թաղին, Բարձր պատ ու ծառն ի միջին. Նըստեր ի ծառի շքին, Կխմէ իր լուրջ ապիկին, Կու խմէ. հայրէն կ’ասէ. -Ի՜նչ անուշ է սէրն ու գինին: (Ա/ՁԲ, 1167 – 1176) »Mein hoch oben strahlender Mond, bring meiner Schönen viele Grüße!« »Wie soll ich ihr Grüße bringen? Ich weiß doch nicht, wo sie wohnt. » «Geh die Straße hinüber, hinter hohen Mauern findest du einen Baum. Sie sitzt im Schatten des Baumes und trinkt aus einem hellblauen Glas. Dort trinkt sie und singt ein hayren, wie herrlich die Liebe und der Wein sind.« Այդ քո ստեղծողիդ համար, Երբ քայլես՝ զուներդ մի՛ շարժեր. Այդ քո աչերուդ խընճերն Շատ մարդու արիւն է խմեր. Խօշ եար, արևուդ համար, Որբուկ եմ, զիս մի՛ լացներ. Տըղայ եմ, չեմ ի կենար, Զիս ի քո կրակդ մի՛ձգեր: (Ա/ՁԲ, 1217 – 1224) Ich bitte dich, beim Laufen lass deine Augenbrauen nicht spielen.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Deine Augen sind schuldig am Blute vieler Menschen. Meine Schöne, ich flehe dich an, verletze mich nicht, ich bin ein Waise. Ich bin so jung, ich kann nicht mehr, lass mich dein Feuer nicht fühlen. Հոգե՛կ, թէ տայիր տէսթուր, Որ զծոցիկդ ի յետ բանայի. Զծոցիկդ ալ պաղ անէի, Տէսթուրով ի ներս մտնէի. Երդու’ի, երդում տայի, Այն տէսթուրից դուրս չգայի. Այն ի՞նչ անհաւատ գրօղ՝ Զիս ի քո ծոցուդ գայ, տանի: (Ա/ՁԲ, 1241 – 1248) Meine Seele, wenn du mir erlaubtest, in deinen Schoß einzutreten! Ich hätte da einen Garten angelegt und wäre eingetreten. Ich hätte dir geschworen, nichts Unerlaubtes zu tun. Wie ungläubig sollte der Todesengel sein, um mich von dir lösen zu können. Աս աստընվորիս վրայ, Սիրոյ տէրն ամ ի՞նչ կու շահի. Ըռպի մի վաճառ առնէ ’Ւ հազար դեկան կու զենի. Ելնէ հօր ու մօրն աչից, Սիրելիացն ամօթ աւելի. Թափի յերեսին ջըրէն ’Ւ իր ոսկի անունն աւերի. (Ա/ՁԳ, 988 – 995) In dieser Welt, was gewinnt diejenige, die liebt? Verkauft nur einen billigen Saft, verliert aber tausend Denar. Sie kann nicht mehr den Eltern unter die Augen treten. Die Schande der Liebenden ist groß: Sie bleibt schamlos und verlogen mit ruiniertem Ruf und Namen. Խելօքին հարցուկս ելան, Թե զպատճառն ո՞վ իսկի գիտէ. Աստուած է հոգի ստղծել ’Ւ ի հողոյ մարմին կապել է. Կարծեմ վասն այնոր արար,

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254 Թէ ի վեր քաշել զնա կարէ. Կամ զհոգին ի մէջ մարմնոյն, Քան զխալաս ոսկի նա զուգէ։ (Բ/Դ, 33 – 40) Man fragte einen weisen Mann, ob jemand den Grund wüsste, warum Gott die Seele geschaffen hat und sie in einen irdischen Leib fließen ließ. »Ich glaube, er hat das gemacht, weil die Seele den Körper immer hoch erhebt. Und vielleicht, weil die Seele, wie edles Gold, den Körper schmückt«. Դաւիթ մարգարէն ’ւ արքայն Սիրելեացն զսէրն է գովել. Ընցգուն վայելուչ ’ւ աղւոր Են եղբայրքս ի մէկտեղ եկել. Զինչ զԱհարոնի գլուխն, Որ ծաղկանց իւղովն էր օծել. Կամ ցօղն յԱհերմոն լերին, ’Ւ ի Սինայ քաղցրիկ նա ցօղել։ (Բ/Դ 121 – 128) David, der Prophet und der König, hat die Liebe zu seiner Geliebten besungen. Sie ist so anständig und wunderschön. Sie hat alle um sich gesammelt, wie der Kopf Aarons, der mit dem Blumenöl gesalbt ist. Oder der Morgentau des Berges Hermon, der abwärts den Berg Sinai besprengt. Ով օտարին վատ ասէ, Ինքն ալ ղարիպ լինենայ. Երթա ի օտար երկիր, Զղարիպին ղատրըն գիտենայ. Ղարիպն ի յօտար յերկիր, Թէ ոսկի թաթաւ գա նարայ, Ի յիւր սիրելեացն ի զատ Այն ոսկին մոխիր չաժենա: (Բ/Դ, 349 – 356) Wer einen Fremden tadelt, muss selbst ohne Heimat bleiben. Wenn er in ein fremdes Land geht, begreift er, was es bedeutet, fremd zu sein. Selbst wenn das Gold auf ihn regnet, getrennt von seiner Geliebten ist ihm das Gold nicht einmal Asche wert.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Բանիկ մի ղալատ արի, Որ զօձուն ձագն սիրեցի. Խիստ վստահութիւն արի, Որ օձուն դուռն գնացի. Օձուն մայրն ի դուրս երեկ, Զիս խայթեց, ես նստայ լացի. Արժան եմ ես այս լացիս, Ո՞վ եղեր օձուն սիրելի: (Բ/ԺԳ, 77 – 84) Ich irrte mich und liebte die Tochter einer Schlange. Umsonst ging ich mit voll Vertrauen zu ihr nach Hause. Da biss die Schlangenmutter gleich zu und ich weinte vor Schmerzen. Die Tränen geschehen mir recht, wer liebt die Tochter einer Schlange? Ոնց օր գիրկ ու ծոց, ա՜յվ էաք՝ Նենգաւոր հաւն խօսեցաւ. Դանակ ու շամբուր ա՛ն հաւին, Բարկ կրակ, որ զինքն խօրօվէ. Առնում զինք, լեռկունքն, ա՜յվ, ելենք, Զինք տիքամ-տիքամ բաժանեմք. Զինք տիքամ-տիքամ բաժանեմք, Ես ու իմ եարն մէն ուտենք: Ոսկորքն ալ տաճար, ա՜յ շինենք, Իր թէպուրն՝ ան տաճրին աճար։ (Գ/Դ, 12 – 22) Wir haben uns umarmt, als der verfluchte Hahn gekräht hat. Messer und Spieß für diesen Hahn und Feuer, dass man ihn grillen kann. Wir nehmen ihn auf die Berge und in viele Stücke teilen wir ihn. In viele Stücke teilen wir ihn, meine Geliebte und ich essen ihn. Von Knochen bauen wir eine Kathedrale, die Federn lassen wir als Abgabe darin liegen. Վաղուց գնացած խարիպ, Ուր կանէ տասերկու տարի. Ինչե՜խ իմ կարօտցեր, Երեսիտ շիֆէն իմ մոռցեր. Եկիր՝ նը բարո՛վ եկիր. Դուն եկիր, ես իմ խնտալու.

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256 Քու գալն է հազար բարի, Քու գնալն է խեղճ ու լալի: (Դ/Գ, 219 – 226) Du bist längst ausgewandert ins fremde Land, Es ist schon zwölf Jahre her. Ich vermisse dich so sehr, deine Gesichtszüge habe ich vergessen. Komm zurück, du bist willkommen. Wenn du zurückkehrst, ich werde mich freuen. Du bist tausendmal willkommen, dein Weggehen ist aber traurig und schmerzhaft. Լուսիկ բոլըրեր ’ւ երկեր, »Ես ի խարիպտ ի նման«։ Խպնէ՛ ու ամչնէ՛, լուսի՛կ, Ո՞ր տեղտ իմ խարիպիս նման. Խարիպս թուխ աչք ունէր, Թուխ յուներ ու շուշման բերան. Շրթունք շուրթեղէն ունէր, Սըռմաթել պեխերն ի վրան։ (Դ/Գ, 245 – 252) Der Mond rundete sich und sprach zu mir: »Ich gleiche deinem Geliebten im fremden Land.« Schäme dich, runder Mond! Wie kannst du dich mit ihm vergleichen? Mein Geliebter hat schwarze Augen, schwarze Brauen und einen roten Mund. Er hat volle Lippen und goldene Fäden im Schnurrbart. Ա՜յ իմ մայիսի անձրև, Ուր կու գաս կանչիս վրայ. Թը գաս նը՝ կենամ կանաչ, Թը չի գաս՝ երթամ չորանամ: (Դ/Դ, 17 – 20) Du bist wie der Regen im Mai, der auf die Erde herab regnet. Wenn du kommst, bleibe ich grün, wenn du nicht kommst, trockne ich aus. Ա՜յ իմ աննման նման. Չէր բերեր մարը քու նման. Ո՛ւչ մարն է բերեր նման, Ո՛ւչ արև ու ո՛ւչ լուսնկան։ (Դ/Ե, 21 – 24) Du bist ohne Makel und ohnegleichen, so lobenswert und unvergleichlich bist du. Keine Mutter ist in der Lage so einzigartige wie du, zu gebären, nicht mal die Sonne und der Mond.

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Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Բարձր սարերու հովեր, Ուր իջեր դռնակն է ծեծեր. Նորուկ, ջահելուկ հարսնուկ, Ու իջեր, դռնակն է բացեր. Տեսեր, որ իր մարդը չէ, Մալուլեր ու ետ է դարձեր: Կեսրակը հարցմունք արեր. -Հարսնո՛ւկ, քու ո՞ր տեղդ է ցաւեր: -Մարի՛կ, քու որդւոյդ սիրոյն, Իմ ամէն տեղիկս է ցաւցեր: -Մի՛ լար, ջահելուկ հարսնուկ, Գիր կանեմ, որդիս կբերեմ: -Գիր անես, որդիդ բերես՝ Աստուծոյ լուսոյն տիրանաս. Գիր չանես, որդիդ չբերես՝ Կանիծեմ, ուր քար կու դառնաս: (Դ/ԻԱ, 85 – 100) Die Winde des Hochgebirges stiegen herab, stießen die Haustür auf. Die neu vermählte junge Braut eilte zur Tür und öffnete sie. Ihr Mann war nicht an der Tür, traurig kehrte sie zurück. Die Schwiegermutter fragte die junge Braut: »Schwiegertochter, wo hast du Schmerzen?« »Mutter, aus Liebe zu deinem Sohn schmerzt es mich überall am Körper.« »Weine nicht, mein junges Bräutchen, ich werde einen Zauberspruch tun, um meinen Sohn heimkommen zu lassen.« »Wenn es dir gelingt, deinen Sohn heimholen zu können, sollst du des heiligen Scheines Gottes würdig sein. Wenn der Zauberspruch nicht gelingt, dann verfluche ich dich, damit du dich in einen Stein verwandelst.« Խալտեցայ խալատ մի արի, Ան գեշէն պագ մի ուզեցի. Ան գեշն ալ ի նազն ելաւ. »Չիմ իտար, անունս աւըրի«։ Պագիկն աղուորէն ուզէ, Որ գիտէ խաթրը կըյիճին։ (Դ/ԼԷ, 31 – 36) Ich irrte mich, beging einen Fehler, eine unschöne Frau wollte ich küssen. Sie weigerte sich und sprach zu mir: »Mein Name wird ruiniert.« Erbitte den Kuss von der Schönen, sie weiß den Helden zu schätzen.

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258 Հիւանդ եմ քո սիրուդ, Ա՛ռ խնձոր արեկ զիս ի տես, Արե՛կ նիստ ի բարրձիս վեր, Ու ձեռքդ տար ու զիմ սիրտն տես. Զիմ ցաւուն տեղն դու գիտես, Ինձ օտար հէքիմ չի բերես, Թէ նեղէնայ դեղ արա՛, Թէ չէ լից զնոր սէրդ ալ ի ներս։ (Թամ., 531) Ich bin krank aus Liebe zu dir, nimm einen Apfel und komm zu mir. Komm, setz dich auf mein Kissen, gib mir deine Hand und fühle mein Herz. Du weißt, wo meine Schmerzen sind, ich brauche keinen fremden Arzt mehr. Wenn mein Herz schwach wird, gib mir eine Arznei, Wenn nicht, fülle es erneut mit deiner Liebe. Յայդ դաշտէդ ի վայր գայի, Անարատ սրտովս դէպ ի տուն, Իմ եարն ինծի դիպաւ, Գոյնն շատ քան զբարկ արևուն. Զոտկունքս ես արգել տուի, Պագ մի առնեմ, երթամ ի տուն, Իմ եարն ինձ ճուղապ երետ, Թէ կացի՛ր լինի իրիկուն: Իմ հայրս ելնէ ժամ երթայ, Անհաւատ մայրիկս չէ ի տուն, Արե՛կ զքեզ ի ծոցս արնում, Մինչ որ գայ լոյսն արաւօտուն: (Թամ., 535) Mit reinem Herzen und sorglos ging ich herunter durch das Feld, da traf ich meine Geliebte. Sie strahlte mehr als die glühende Sonne. Ich blieb stehen, wollte sie küssen, und dann nur weitergehen. Meine Geliebte aber antwortete: »Warte, bis der Abend kommt. Mein Vater geht in die Kirche, meine ungläubige Mutter ist nicht zu Hause. Dann nehme ich dich auf in meinen Schoß, bis die Morgendämmerung kommt. Ա՜յ սարեր, ա՜յ ձորեր, Գիտացէք, եար եմ կորուսել. Ա՜յ քարեր, ա՜յ թփեր, Աճապ ի ձեզ չԷ՞ եկել.

Texte und Übersetzung

Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Ա՜յ քարե կարմընջնի. Ի ձեզ չէ՞ անցել. Զիս ի քուն թողեր Ելեր գնացեր. (Թամ., 538) O Berge, o Täler, mein Geliebter (meine Geliebte) ist weg. O Steine, o Büsche, habt ihr ihn (sie) nicht gesehen? O du Steinbrücke, ist er (sie) nicht zu dir gekommen? Mich schlafen lassend, ist er (sie) gegangen. Ան առաւօտուն լուսուն Ձայնըն գայ գարնան ձագերուն. Ա՛յ իմ փոքրիկ ձագեր, Ձայն անուշ է քանց ամենուն. Ձագ մի կայ՝ պուլպուլ կ’ասեն, Զինչ կ’ասէ՝ ամէնըն սիրոյ, Ձայնիկն ակնճովս ընկաւ, Չի դադրիր աչերս ի լալու: (Թամ., 553) In dieser Morgendämmerung höre ich das Zwitschern der Frühlingsvögel. Meine kleinen Vögel, eine bessere Stimme als eure hat keiner. Es gibt einen Vogel, den nennt man Nachtigall. Er singt immer über die Liebe, seine Stimme habe ich gehört, die Tränen laufen aus meinen Augen. Իմ եարս այլ ի դուրս ելաւ, Շորորաց ի պաղչան գընաց, Ձեռքն այլ ի ծառըն ձըգեց, Ծառերու ճըղերն երերաց. Էրաց թէ խընծոր քաղէր, Իր ճերմակ ծոցիկն երեւաց. Այնչափ քընքուշ չ’ինք տեսեր, Երբ տեսայ նա ուշքըս գընաց: (Թամ., 556) Meine Geliebte kam heraus aus ihrem Haus und ging im Garten spazieren. Sie berührte den Baum und seine Äste bewegten sich von ihrer Berührung. Sie pflückte Äpfel und dabei waren ihre weißen Brüste zu sehen.

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260 Sie waren so weiß und lieblich, als ich hinsah, fiel ich in Ohnmacht. Աղուոր մ’ի գընալ տեսայ, Կանչեցի թէ՝ Կարմի՛ր երես. Դարձաւ ու ճուղապ երետ՝ Ես աղուոր, դուն ո՞ւր փախել ես. Աստուած ինձ երես երետ, Քեզ աչեր, դու կանգնէ՛ ու տե՛ս. Ինձ ըռընտութիւն երետ, Քեզ կըրակ, որ դու զքեզ երես։ (Թամ., 559) Ich sah eine wunderschöne Frau gehen und sagte zu ihr: »Du rosarotes Gesicht.« Sie drehte sich um und antwortete: »Ich bin eine schöne Frau, warum bleibst du denn weg? Gott schuf mir schönes Antlitz, dir aber gab er Augen damit du mich bewunderst. Ich bekam die Schönheit, du aber das Feuer, in dem du ständig brennst. Վաղվենէն ի դուրս ելայ, Արեգակն աչացս ի դիմաց. Աղւորն ալ ի դէմս ելաւ, Զէտ հազար լուսին բոլորած. Ասի, թէ՝ »Սիրեմ ըզքեզ«. Լուք պռկունքն ալ ի դէմս իխած. -Սիրե՛ս, նայ սիրէ՛ դուն մէ՛ն, Մի՛ աներ այլ մարդու իմաց։ (Թամ., 569) Morgens früh ging ich hinaus, die Sonne schien so herrlich. Eine Schöne traf ich auf dem Weg, wie tausende Monde leuchtete sie so hell. »Ich liebe dich«, sagte ich zu ihr. Sie antwortete mir mit geschürzten Lippen: »Liebe mich, aber halte es geheim, verbreite deine Liebe nicht öffentlich!« -Աչերըդ դու հանց ունիս, Աջն երէ՛, ձախըն խորովէ. Ունքերըդ դու հանց ունիս, Որ Շիրազն ի հիմնէ քակէ. Հալապ ու Դըմըշխ քաղաք Ով որ ըզքո ձայնըդ լսէ, Տըւել զարեւուն ըզթարկն, Հասրաթով ըզքեզ կու տեսնէ։ (Թամ., 570)

Texte und Übersetzung

Armenische Liebeslieder des Mittelalters

Diese Augen, die du hast, das Linke entflammt, das Rechte setzt in Brand. Diese Augenbrauen, die du hast, sie zerstören Schiraz vom Grund her. In Damaskus und Aleppo hört jemand deine Stimme, er verzichtet auf die Sonne, weil er nur dich im Sinn hat. Այս առաւօտուս լուսուն՝ Գայր ջրէն ձայնիկն զըղզըղուն. Այն իմ պէօֆայ եարին՝ Ձայնն անուշ էր, քան զամենուն. Բարակ սիրոյ տէ՛ր մարդիկ՝ ինքն ու ի՛ր եարը մէն ի քուն. Պա՜գ տան ու պագ առնուն, Պագ պահեն մէկալ գիշերուն: (Թամ. 572a) In dieser Morgendämmerung höre ich das Wasser rauschen. Keine hat eine so schöne Stimme wie meine untreue Geliebte. Jene, die nur schwach lieben können, sind mit Geliebten in ihren Betten. Sie küssen sich, und den nächsten Kuss sparen sie für die nächste Nacht. -Թուխ աչք ու ունքեր ունիս, Լայն ճակատ ու կարմիր երես. Այդ ճերմակդ որ դուն ունիս, Ըզշամամամ ծըծերդ որ ի ներս, Մեռնիս, այլ անդին երթաս, Զայդ ճերմակ ծոցիկդ ի՞նչ առնես, Զամէնըն որդե՛րն ուտեն,– Դու է՞ր զիս մահրում կու պահես: (Թամ., 572b) Schwarz sind deine Augen und Augenbrauen, rot sind deine Wangen, deine Stirn ist weit. Weiß schimmernd bist du, mit schönen Brüsten. Wenn du stirbst und diese Welt verlässt, wird dein weißer Körper verdorren, die Würmer werden deine Brüste fressen. Warum hälst du mich von dir fern? Խալտեցայ, խալատ մ’ըրի, Իմ ծոցու բազան թռուցի. Ելայ, ետեւէն գացի,

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262 Կէս ճամբէն պագիկ մի առի: Ան պագին քաղցրութենէն Բռընկեր իմ սիրտս ու կ’երի: -Իմ սիրտըս սիրուդ կ’երի, Ինձ կուտան շէրպէթ, թե՝ խմէ՛: Ես ան շէրպէթն ի՞նչ ընեմ, Իմ վառած կըրակն է քենէ: (Թամ., 592) Ich irrte mich, beging einen Fehler, den Falken meines Schoßes ließ ich wegfliegen; danach lief ich dem Vogel hinterher, einen Kuss bekam ich auf dem halben Weg. Von der Süße dieses Kusses verbrennt mein Herz im Feuer. Mein Herz verbrennt von der Liebe zu dir, man gibt mir Fruchtsaft zum trinken. Was soll ich mit dem Fruchtsaft machen? Deinetwegen brenne ich in Liebe. Ի՞նչ անեմ, կամ ի՞նչ լինամ, Յուր տեսնում աղւոր, նա՛յ սիրեմ, Թէ զյաւիտենից պատճառն Եմ ուսել, ես երթամ, ասեմ. Զաղէկն ալ ի գիրկս առնեմ, ’Ւ աստուծոյ երթամ, ցըցընեմ. »Զաղէկըն դո՛ւ ստեղծեցիր, Ինձ յէ՞ր մեղք դընես, թէ սիրեմ«: (Թամ., 594) Was soll ich tun? Sobald ich die Schöne anschaue, entbrenne ich in Liebe. Wenn ich die ewigen Gesetze begriffen habe, umarme ich meine Schöne, zeige sie Gott und sage ihm: »Mein Herr, du hast diese Schönheit geschaffen. Es ist doch keine Sünde dein Werk zu lieben.« Հա՛յ եա՛ր, հա՛յ եար: -Ա՛յ իմ սիրեկան մարդուկ, Կարօտ եմ քո լուս երեսիդ. Ծարուեր եմ սիրոյ գրիդ. Սէրդ անուշ, խօսկունքդ անուշ, Կու խօսիս լուսընկայ լուսուն. Հոտդ ալ կու բուրէ անուշ, Գարնան ծաղկունանց նման: (Թամ. 599) Meine Liebe, mein Geliebter. Du mein Allerliebster, mein Liebchen,

Texte und Übersetzung

Armenische Liebeslieder des Mittelalters

ich sehne mich nach deinem Gesicht und nach deiner Liebe. Deine Liebe ist zart und deine Rede süß, dein Gespräch leuchtend wie der helle Mond, dein Wohlgeruch ist lieblich, wie die Blumenpracht im Hochfrühling. Մարդն որ սիրոյ տէր լինի, Քուն ի հոն, ա՜մ, ի՞նչ բան ունի. Ձորեկըն գիշեր թըւի Ու գիշերն է երերմանի. Ա՜մ, սէրըն հընցկուն պիտի, Որ Աստուած ու մարդըն հաւնի. Թէ չէ զասանակ այլ սէրըն՝ Շունն ու գայլն, աղուէսն այլ ունի։ (Թամ. 610) Wenn der Mensch in der Liebe gefangen ist, hat der Schlaf da nichts zu suchen. Der Tag kommt ihm wie die Nacht vor, und die Nacht ist ohne Ende. Das ist dann die echte Liebe, die Gott und dem Menschen gefällt. Eine andere Art der Liebe besitzen auch Wolf, Hund und Fuchs. -Իմ հոգւոյս հոգի, իմ եա՛ր, Քանի քո քովէդ գնացի, Հոգիս ի մարմնոյս ելաւ, Ի մահո՛ւն դուռըն գնացի. Վաղվնէքն ինչուր իրիկուն՝ Կուլայի ու զքեզ կ’ուզէի. Գիշերն ինչուր լուսանայր՝ Քո սիրուդ ես քուն չունէի: (Թամ., 620) Die Seele meiner Seele, meine Geliebte! Als ich von dir weg war, hat meine Seele meinen Körper verlassen, der Tod hat mich empfangen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend weinte ich und sehnte mich nach dir. In der Nacht, bis es tagte, konnte ich nicht schlafen aus Liebe zu dir.

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Verzeichnis der Abkürzungen

altokz. altokzitanisch Cod. Pal. Germ. Codex Palatinus Germanicus DVS Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte GAG Göppinger Arbeiten zur Germanistik mhd. mittelhochdeutsch o. O. ohne Ortsangabe o. T. ohne Titelangabe ZDMG Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie ZfGerm Zeitschrift für Germanistik

Literaturverzeichnis

1.

Textausgaben

Altägyptische Liebeslieder. Mit Märchen und Liebesgeschichten, hg. von Siegfried Schott, Zürich 1950. Aristoteles: Rhetorik, übersetzt, mit einer Bibliographie, Erläuterungen und einem Nachwort von Franz G. Sievke, München, 1980. Armenische Dichter, hg. und übersetzt von Arthur Leist, Leipzig / Dresden 1898. Armenische klassische Dichtung, 2 Bde., hgg. von Levon Mkrtcˇ’yan / Arsˇak Madoyan Jerewan 1986 (Bd. 1), 1987 (Bd. 2). Armenisches Rechtsbuch. 1. Bd.: Sempadscher Kodex. aus dem 13. Jh. oder Mittelarmenisches Rechtsbuch nach der Venediger und der Etschmiadziner Version unter Zurückführung auf seine Quellen. 2. Bd.: Sempadscher Kodex. aus dem 13. Jh. in Verbindung mit dem Großarmenischen Rechtsbuch des Mechitar Gosch aus dem 12. Jh. unter Berücksichtigung der jüngeren abgeleiteten Gesetzbücher, hg. und übersetzt von Josef Karst, Straßburg 1905. Assises d’Antioche, reproduites en francais et publiees au sixiene centenaire de la mort de Sempad le connétable, leur ancient traducteur armenien, par Łevond Alisˇan, Venise, 1876. Atlas zum Katalog der armenischen Handschriften. Bd. 1: Armenische Paläographie: Erläuterungen zu den armenischen Handschriften der königlichen Universitätsbibliothek in Tübingen, hg. von Franz Nikolaus Finck, Bd. 2: Kleinarmenische Miniaturmalerei: Die Miniaturen des Tübinger Evangeliars MA XIII, 1, vom J. 1113, BEZW. 893 N. CHR, hg. von Josef Strzygowski, Tübingen 1907. Augustinus: De magistro, hg. und übersetzt von Burkhard Mojsisch. Stuttgart 1998 (RUB; 2793). Augustinus: De vera religione, hg. von Wilhelm Timme, Stuttgart 1991. Carmina Burana, hg. von Benedikt Konrad Vollmann, Frankfurt/Main 1987 (Bibliothek des Mittelalters; 13). Des Minnesangs Frühling: Editionsprinzipien, Melodien, Handschriften, Erläuterungen, hg. Hugo Moser / Helmut Tervooren, 36., neugestaltete und erweiterte Aufl. Stuttgart 1977.

268

Literaturverzeichnis

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Textausgaben

269

Mittelhochdeutsche Minnelyrik, Bd. 1: Frühe Minnelyrik, hg. von Günther Schweikle, Darmstadt 1993. Nahapet Khutschak. Hundertundein Hairen, hg. von Levon Mkrtcˇ’yan, Jerewan 1988. Neidhart von Reuental: Lieder, hg. von Helmut Lomnitzer, Stuttgart 1984 (RUB; 6927). Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung, mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Deutsch hg. von Alfons Deissler und Anton Vögtle in Verbindung mit Johannes Nützel. Frankfurt / Main / Wien 1985. Ovid (Publius Ovidius Naso): Liebeskunst, hg. und übersetzt von Niklas Holzberg, Darmstadt 1985. Ovid: Liebesgedichte, hg. und übersetzt von Niklas Holzberg, Düsseldorf/Zürich 1999. Owe do tagte ez. Tagelieder und motivverwandte Texte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Renate Hausner Göppingen 1983 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik; 204). Platon: Das Gastmahl oder über die Liebe, Leipzig 1979 (Sammlung Dieterich Band 368). Plutarch: Ausgewählte Biographien. 1) Marcus Crassus, 2) Eumenes, hg. von Eduard Eyth, Stuttgart 1869 (Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischen und römischen Klassiker; 23). Plutarch: Große Griechen und Römer, hg. von Karl Hönn, eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler, Bd. 2, Zürich / München 1955 (Die Bibliothek der alten Welt; MCMLV). Puella bella. Die Beschreibung der schönen Frau in der Minnelyrik des 12. und 13. Jhs., 2. verbesserte und vermehrte Aufl., hg. von Rüdiger Krüger, (Helfant Texte; 6, hg. von Rolf D. Fay) Stuttgart 1993. Reinmar von Zweter: Die Gedichte Reinmars von Zweter, hg. von Gustav Roethe, Amsterdam 1967. Reinmar: Lieder, hg. von Günther Schweikle, Stuttgart 1986 (RUB; 8318). Romanische Frauenlieder, hg., eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Ulrich Mölk, München 1989 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters; 28). Tagelieder des deutschen Mittelalters, hg. von Martina Backes, mit einer Einleitung von Alois Wolf Stuttgart 1992 (RUB; 8831). Tannhäuser: Die Gedichte der Manessischen Handschrift, Einleitung, Edition, Textkommentar von Maria Grazia Cammarota, Übersetzung von Jürgen Kühnel, Göppingen 2009. The Penitental of David of Ganjak, edited and translated by C. J. F. Dowsett, in: Corpus scritorum christianorum orientalium, vol. 216, scriptores armeniaci, tomus 3, 2 Bde., Louvain 1961. Thomas von Aquino: Untersuchungen über die Wahrheit (Quaestiones disputate de veritate), hg. von L. Gelber, übersetzt von Edith Stein. Bd. 1: Louvain / Freiburg 1952, Bd. 2: Louvain / Freiburg 1955 (Band der Wissenschaften Buchgesellschaft e.V. ). Walther von der Vogelweide: Werke, 2 Bde., hg., übersetzt und kommentiert von Günther Schweikle Bd. 1: Spruchlyrik, Stuttgart 2005, Bd. 2: Liedlyrik, Stuttgart 2006 (RUB; 820). Wolfram von Eschenbach: Parzival-Titurel-Tagelieder. Cgm 19 der Bayerischen Staatsbibliothek. Bd. 1: Faksimile, Bd. 2: Transkription der Texte, hgg. von Fridolin Dreßler und Heinz Engels, Stuttgart 1970.

270

Literaturverzeichnis

Wolfram von Eschenbach: Parzival, 2 Bde., mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Karl Lachmann, übersetzt von Wolfgang Spiewok, Stuttgart 1981. Wolfram von Eschenbach: Parzival, mhd. Text nach der Ausgabe von Karl Lachmann, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übersetzt von Dieter Kühn, 2 Bde. Frankfurt/Main 1994 (Bibliothek des Mittelalters; 8/1; 8/2).

2.

Hilfsmittel: Lexika, Literaturgeschichten und Wörterbücher

Das große Buch der Heiligen. Geschichte und Legende im Jahreslauf, hgg. von Erna und Hans Melchers, Bearbeitung von Carlo Melchers, München 1980 (1. Aufl. 1978). Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, zweite, völlig neu bearb. Auflage, hg. von Kurt Ruh zusammen mit G. Keil, W. Schröder, B. Wachinger und F. J. Worstbrock, Berlin / New York 1978. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, hg. von Friedrich Kluge, 24., durchgesehene und erweiterte Auflage, bearbeitet von Elmar Seebold, Berlin / New York 2002. Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick, hg. von Horst Brunner, Stuttgart 1997 (RUB; 9485). Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 2., hg. von Helmut De Boor, München 1957. Knaurs Herkunftswörterbuch, hg. von Ursula Hermann, München 1982. Knaurs Lexikon der Symbole, hg. von Hans Biedermann, München 1989. Lexikon der Symbole, hgg. von Wolfgang Bauer, Irmtraud Dümotz und Serqius Golowin, Wiesbaden 1980. Lexikon des Mittelalters, hg. von Robert-Heri Bautier, 10 Bde., München / Zürich 1980 – 1999. Literatur Lexikon, hg. von Walther Killy, Bd. 1 bis 12: Autoren und Werke von A bis Z, Bd. 13 und 14: Begriffe, Realen, Methoden, Bd. 15: Register, Gütersloh / München 1988 – 1993. Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Bennecke, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854 – 1861, ausgearbeitet von W. Müller und F. Zarncke, Stuttgart 1990. Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon Dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Vierte, überarbeitete und ergänzte Auflage, hg. von Elisabeth Frenzel, Stuttgart 1992 (Kröners Taschenausgabe; 301). Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, hg. von Paul Merker, 5 Bde., Berlin 1958 – 1988 (1. Aufl.: 1926 – 1931). Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Neubearb. des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, hg. von Klaus Weimar, gem. mit Harald Frike, Klaus Grubmüller und Jan-Dirk Müller, Berlin / New York 1997. Sachwörterbuch der Mediävistik, hg. von Peter Dinzelbacher, Stuttgart 1992 (Kröners Taschenausgabe; 477). Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Müller, Berlin / New York 2000. Wörterbuch der Symbolik, 5. durchgesehene und erweiterte Aufl., hg. von Manfred Lurker, Stuttgart 1991 (Kröners Taschenausgabe; 464).

Forschungsliteratur

3.

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Textausgaben in armenischer und russischer Sprache

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Hayerg, mełedik’ tałk’ ev ergk’ (Armenische Lieder, Melodien und Gesänge), hg. von Archimandrit Aristakes Tevkanc’, Tiflis 1882. Hayrenner ev antowniner (Hayrenner und antowniner), hg. von Zowlal Gazanncˇyan, Venedig 2000. Hayrenner, hg. von Asatowr Mnac’akanyan. Jerewan 1995. ˇ ’opanyan, Paris 1940. Hayrennerow bowrastaneˇ (Garten der hayrenner), hg. von Arsˇak C Het’um Patmicˇ’: Patmowt’iwn t’at’arac (Geschichte der Tataren), hg. und aus dem Lateinischen ins Altarmenisch übersetzt von Mkrticˇ’ Awgerean, Venedig 1842. Kanonagirk’ Hayoc’ (Kanonisches Recht Armeniens), hg. von Vazgen Hakobyan, 2 Bde., Jerewan 1964 (Bd. 1), 1971 (Bd. 2). Kirakos Ganjakec’i: Patmowt’iwn hayoc’ (Geschichte Armeniens), hg. von Karapet Melik’-Ohanǰanyan, Jerewan 1961. Koryown: Varĸ’ Masˇtoc’i (Biographie des Masˇtoc’), hg. von Manowk Abełyan, Jerewan 2005, 1. Aufl. (1941). Łazar P’arpec’i: Hayoc’ patmowt’yown (Geschichte Armeniens), hg. und ins Ostarmenisch übersetzt von Bagrat Owlowbabyan, Jerewan 1982. Łevond Alisˇan: Sˇirak, Venedig 1881. Mat’eos Owr˙hayec’i: Zˇamanakagrowt’iwn (Chronik), hg. von Hracˇ’ Bart’ikyan, Jerewan 1991. Movses Kałankatowac’i: Patmowt’iwn Ałowanic’ asˇxarhi (Geschichte über das Land der Ałowanen), hg. von Varag Ar˙ak’elyan, Jerewan 1983. Movses Xorenac’i: Patmowt’iwn hayoc’ (Geschichte Armeniens), hg. von Step’anos Malxasyan, Jerewan 1981. Mxit’ar Gosˇ : Girk’ datastani (Rechtsbuch), hg. von Xosrov T’orosyan, Jerewan 1975. Nahapet K’owcˇ’aki banastełcakan asˇxarheˇ (Die dichterische Welt des Nahapet K’owcˇ’ak), hg. von Hrant T’amrazyan, Jerewan 2001. ˇ ’opanyan, Paris Nahapet K’owcˇ’aki diwaneˇ (Nahapet K’owcˇ’aks Divan), hg. von Arsˇak C 1902. Nahapet Kowcˇ’ak. Hayreni kargav (Nahapet Kowcˇ’ak. Hayren-Reihen), hg. von Avetis Łowkasyan, Jerewan 1957. Nerses Lambronac’i: Eˇntir matenagirk’ (Ausgewählte Werke), Venedig 1865. Nersesi Sˇnorhalwoy, Hayoc’ kat’ołikosi T’owłt’k’ (Die Schriften des Katholikos aller Armenier, Nersesi Sˇnorhali,), Venedig 1873. Nerses Sˇnorhali: T’owłt’ eˇndhanrakan (Schriften), hl. E¯ǰmiacin, 1865. Nor zˇołovacow (Neue Sammlung), hg. von Karapet Kostanyanc’ Tiflis Bd. 1 (1892), Bd. 3 (1896). Ows miǰnadari hay banastełcowtyown, 16.–17. darer (Armenische Dichtung des Spätmittelalters, 16.–17. Jh.), hg. von Hasmik Sahakyan, 2 Bde., Jerewan Bd. 1 (1986), Bd. 2 (1987). Pavstos Bowzand: Hayoc’ patmowt’iwn (Geschichte Armeniens), hg. von Step’anos Malxasyan, Jerewan 1987. Poèziâ Armenii s drevnejsˇih vremen do nasˇih dnej (Armenische Dichtung vom Altertum bis zu unserer Zeit), hg. von Valeri Brjussov, Moskau 1916. Sasownc’i Davit’ (Davit’ von Sasown), hg. von Sargis Harowt’yownyan. Jerewan 1981. Smbat Sparapet: Patmowt’iwn (Geschichte von Smbat Konstabler), hg. von Oskan Georgean Jovhanniseanc’ Erevanec’i, Moskau 1856.

288

Literaturverzeichnis

Step’anos Taronec’i Asołik: Tiezerakan patmowt’yown (Universalgeschichte), Jerewan 2000. Step’anos Orbelyan: Patmowt’iun nahangin Sisakan (Geschichte der Provinz Syownik’), Tiflis 1910. Step’anos Orbelyan: Syownik’i patmowt’yown (Geschichte von Syownik’), hg., ins Ostarmenisch übersetzt und kommentiert von Asˇot Abrahamyan, Jerewan 1986. T’ovma Arcrowni: Patmowt’yown Arcrunyac’ tan (Geschichte von Arcrowni’s Haus), hg., ins Ostarmenisch übersetzt und kommentiert von Vrezˇ Vardanyan s. o. Jerewan 1985. Tear˙n Yovhannow Mandakownwoy Hayoc’ Hayrapeti cˇar˙k’ (Reden des Katholikos aller Armenier Yovhannes Mandakowni), 1. Aufl. (1836), Venedig 1860. Yovhannow Oskeberani Meknowt’wn t’łt’oyn Paw’łosi (Kommentar des Johannes Chrysostomus zum Briefe des Paulus), 2 Bde., Venedig 1862.

6.

Hilfsmittel: Lexika, Handbücher, Literaturgeschichten und Wörterbücher in armenischer Sprache

Erazˇsˇtakan bar˙aran (Musik-Wörterbuch), hg. von Nerses Mkrtcˇ’yan, Jerewan 2000. Hay zˇołovrdi patmowt’yown (Geschichte des armenischen Volkes), hg. von Catowr Ałayan s. o. Jerewan Bd. 1 (1971), Bd. 2 (1974), Bd. 3 (1976), Bd. 4 (1981). Hay zˇołovrdi patmowt’yown. Hnagowyn zˇamanakneric’ mincˇ’ew mer orere˘ (Geschichte des armenischen Volkes. Vom Altertum bis zu unserer Zeit), hg. von Mkrticˇ’ Nersisyan, Jerewan 1985. Hayeren armatakan bar˙aran (Etymologisches Stammwörterbuch des Armenischen), hg. von Hracˇya Acˇar˙yan, Jerewan Bd. 1 (1971), Bd. 2 (1973), Bd. 3 (1977), Bd. 4 (1977). Hayeren stowgabanakan bar˙aran (Etymologisches Wörterbuch des Armenischen), hg. von Gevorg Jahowkyan, Jerewan 2010. Haykakan hamar˙ot hanragitaran (Armenische Kurzenziklopädie), hg. von Kostandin Xowdaverdyan s. o., 4 Bde., Jerewan Bd.1. (1990), Bd. 2 (1995), Bd. 3 (1999), Bd. 4 (2003). Haykakan sovetakan hanragitaran (Sowjetarmenische Enziklopädie), hg. von Kostandin Xowdaverdyan s. o.12 Bde., Jerewan 1974 – 1987. K’ristonya Hayastan (Lexikon Christliches Armenien), հg. von Hovhannes Ayvazyan s. o. Jerewan 2002. Miǰin hayereni bar˙aran (Wörterbuch des Mittelarmenischen), hg. von R˙owben Łazaryan und Henrik Avetisyan, 2 Bde., Jerewan Bd. 1 (1987), Bd. 2 (1992). Nor bar˙agirk’ haykazean lezowi (Neues Wörterbuch der armenischen Sprache), հg. von Gabrie¯l Awetik’ean s. o., 2 Bde., Venedig Bd. 1 (1836), Bd. 2 (1837). Zˇamanakakic’ hayoc’ lezvi bar˙aran (Wörterbuch des Neuarmenischen), hg. vom Institut für die Sprache der Nationalen Akademie der Wissenschaften, 4 Bde., Jerewan Bd.1. (1969), Bd. 2 (1972), Bd. 3 (1974), Bd. 4 (1980).

Forschungliteratur in armenischer und russischer Sprache

7.

289

Forschungliteratur in armenischer und russischer Sprache

Abełyan, Manowk: Hayoc’ hin grakanowt’yan patmowt’yown (Geschichte der altarmenischen Literatur), Bd. 1: Skzbic’ mincˇ’ew 10. dar (Vom Anfang bis zum 10. Jh.), Beirut 1955, Bd. 2: 11.–19. darer (11.–19. Jh.), Beirut 1959. –, Erker (Werke), Bd.1: Hay vipakan banahyowsowt’yown (Armenische epische Dichtung), Jerewan 1966. –, Erker (Werke), Bd. 2: Hay k’narakan banahyowsowt’yown (Armenische lyrische Folklore), Jerewan 1967 (1. Aufl.1931). –, Erker (Werke), Bd. 3: Hayoc’ hin grakanowt’yan patmowt’yown (Geschichte der altarmenischen Literatur), Jerewan 1968. –, Erker (Werke), Bd. 7: Azgagrakan ev grakan-banasirakan hetazotowt’yownner (Ethnographische und philologisch-literaturwissenschaftliche Untersuchungen), Jerewan 1975. –, Erker (Werke), Bd. 8: Asˇxatowt’yownner (Untersuchungen), Jerewan 1985. Ar˙ak’elyan Ar˙ak’el: Hay zˇołovrdi mtavor msˇakowyt’i zargac’man patmowt’yown (Die Entwicklungsgeschichte der armenischen Kultur), Jerewan 1959. Arsˇarowni, Arsˇalowys: Hay zˇołovrdakan t’ateraxałer (Armenische volkstümliche Theaterspiele), Jerewan 1961. Asatowr, Georg: Sirow ergicˇ’ Nahapet K’owcˇ’aki ergereˇ (Die Lieder des Minnesängers Nahapet K’owcˇ’ak), Tiflis 1905. At’ayan, Robert: Haykakan xazayin notagrowt’yowneˇ (Das armenische xazer-Notensystem), Jerewan 1959. Baxcˇinyan, Henrik s. o.: Hay miǰadaryan grakanowt’yown. Hamar˙ot patmowt’yown (Armenische mittelalterliche Literatur. Kurzgeschichte), Jerewan 1986. Brjussov, Valerie: Izbrannye cocˇineniâ (Ausgewählte Untersuchungen), 2 Bde., Moskau 1955. Ełiazaryan, Vano: Hayrenner. Owsowmnasirowt’yownner (Hayrenner. Untersuchungen), Jerewan 2007. Grigoryan, Gevorg: Hovhannes Erznkac’ow p’ilisop’ayakan hayac’k’nereˇ (Hovhannes Erznkac’is philosophischen Ansichten von ), Jerewan 1962. Grigoryan, Grigor: Hay zˇołovrdi banahyowsowt’yown (Folklore des armenischen Volkes), Jerewan 1967. Grigoryan, Sˇavarsˇ : Hay gowsanakan erger (Armenische Lieder der gowsanner), Jerewan 1971. Grigoryan, Sˇavił: Ov e i verǰo Nahapet K’owcˇakeˇ ? (Wer ist schließlich Nahapet K’owcˇak?), in: Lraber hasarakakan gitowt’yownneri (Kurier der Gesellschaftswissenschaften), Nr. 7, S. 34 – 42, Jerewan 1984. Hac’owni, Vardan: Dastirakowt’yowneˇ hin hayoc’ k’ov (Die Erziehung im alten Armenien), Venedig 1923. –, Hayowhin patmowt’ean ar˙jew (Die Armenierin vor der Geschichte),Venedig 1936. Hakobyan, Grigor: Sˇarakanneri zˇanreˇ hay miǰnadaryan grakanowt’yan meǰ, 5.–15. darer (Die Gattung der ˇsarakanner (Hymnen) in der mittelalterlichen armenischen Literatur, 5.–15. Jh.), Jerewan 1980.

290

Literaturverzeichnis

Harowt’yownyan, Suren: Hayrenneri xndireˇ ev Asatowr Mnac’akanyani gitakan nor hamahavak’eˇ (Die hayrenner-Frage und die neue wissenschaftliche Edition von Asatowr Mnac’akanyan), in: Patmabanasirakan handes (historisch-philologische Zeitschrift), Nr. 1 – 2, S. 153 – 168, Jerewan 1996. Hayrapetyan, Srbuhi: Hay hin ev miǰnadaryan grakanowt’yan patmowt’yown (Geschichte der alten und mittelalterlichen armenischen Literatur), Los Angelos 1986. Hovsep’yan, Garegin: Zˇoxavrdakan banahyowsowt’yan hetk’er miǰnadaryan tałarannerowm (Spuren der armenischen Folklore in mittelalterlichen Liederbüchern), in: Ararat, Nr. 1, Vałarsˇapat 1899. Kesˇcˇ’ean, Ar˙ak’e¯l / Parsamean, Mkrticˇ’: Akn ew Aknc’ik’ (Akn und Akner), Paris 1952. Komitas: Erkeri zˇołowacow (Sammlung der Werke), 10 Bde., Jerewan 1969 – 2000. Łanalanyan, Aram: Hay grakanowt’yowneˇ ev banahyowsow’tyowneˇ (Die armenische Literatur und die Folklore), Jerewan. 1986. Łazinyan, Arshalowys: Yerg Yergoceˇ ev Grigor Narekac’in (Das Hohelied und Grigor Narekac’i), in: Astvacasˇncˇyan Hayastan (Biblisches Armenien), Jerewan 2005, S. 559 – 567. Madoyan, Arsˇak: Xorhowrd mec ev sk’ancˇ’eli (Ein Gebot, großartig und bewundernswert), Jerewan 1999. Manandyan, Hakob: Hownaban dproceˇ ev nra zargacman sˇrǰannereˇ (Die gräkophile Schule und deren Entwicklungsphasen), Jerewan 1928. Manukyan, Artak: Hay ekełec’ow tonereˇ (Die Feste der armenischen Kirche), Tehran 1969. Margaryan, Hasmik: Vipakan tarrereˇ 10.–12. dareri hay patmagrowt’yan meǰ (Die epischen Elemente in der armenischen Geschichtschreibung des 10.–12. Jhs.), in: Patmabanasirakan hands (historisch-philologische Zeitschrift), Nr. 4, Jerewan 1987, S. 41 – 47. –, Tirapetoł dasakargeˇ Hayastanowm 12.–13. darerowm (Der regierende Stand Armeniens des 12.–13. Jhs.), in: Patmabanasirakan hands (historisch-philologische Zeitschrift), Nr. 4, Jerewan 1990, S. 39 – 45. Melik’yan, Spiridon: Ar˙oganowt’yan xazereˇ ev xazeri cagowmeˇ (Die Grundzeichen der prosodischen xazer und deren Entstehung), in: Ararat, Eǰmiacin 1902. Mkryan, Mkrticˇ : Hay hin grakanut’yan patmowt’yown (Die Geschichte der altarmenischen Literatur). Jerewan 1976. Mnac’akanyan, Asatowr: Hayrenneri ev Nahapet K’owcˇaki masin (Über hayrenner und Nahapet K’owcˇak), in: Patmabanasirakan hands (historisch-philologische Zeitschrift), Nr. 2, S. 234 – 257. Jerewan 1958. Mowradyan, Arowsyak: Hownaban dproceˇ ev nra dereˇ hayereni k’erakanakan terminabanowt’yan stełcman gorcowm (Die gräkophile Schule und deren Rolle bei der Entstehung der Grammatikbegriffe im Armenischen), Jerewan 1971. Mowradyan, Kim: Grigor Nyowsac’in hay matenagrowt’yan meǰ (Grigor von Nyssa in armenischen Schriften), Jerewan 1993. Mowradyan, Matewos s. o.: Aknark hay erazˇsˇtowt’yan patmwut’yan (Überblick der armenischen Musikgeschichte), Bd. 1, Jerewan 1963. Nersisyan, Varag: Hay miǰnadaryan tałergowt’yan gełarvestakan miǰocnereˇ (Die künstlerischen Mittel der mittelaltelichen armenischen tałergowt’yown), Jerewan 1976.

Forschungliteratur in armenischer und russischer Sprache

291

–, Tałergowt’yan zˇanrereˇ (Die Genre der tałergowt’yown), in: Hay miǰnadaryan grakanowt’yan zˇanrer (Die Genre der mittelalterlichen armenischen Literatur), Beiträge, Jerewan 1984. Safaryan, Vardgez: Kilikyan Hayastani grakanowt’yowneˇ (Die Literatur des kilikischen Armeniens), Jerewan 1990. Sˇahverdyan, Alexandr: Hay erazˇsˇtowt’yan patmowt’yown (Die Geschichte der armenischen Musik), Jerewan 1959. Sevak, Parowyr: Hancˇareł sirergowner (Geniale Minnesänger), in: Grakan t’ert’ (Literarische Zeitung), 25. August, Jerewan 1957, S. 4. Simonyan, Hracˇ’ik: Hayoc’ patmowt’yan himnaharc’er. Hnagowyn zˇamanakneric mincˇev mer orereˇ (Die Grundfragen der armenischen Geschichte. Vom Altertum bis zu unserer Zeit), Jerewan 2000. T’ahmizyan Nikołos: Komitaseˇ ev haykakan xazeri vercanowt’yan xndireˇ (Komitas und die Entschlüsselungsfrage der armenischen xazer), in: Patmabanasirakan handes (historisch-philologische Zeitschrift), Nr. 4, Jerewan 1969. –, Himnakan xazeri miakc’owt’yown (Kombinationen der Grundxazer), in: Bamber (Informationsblatt), Nr. 9, Jerewan 1969. –, Komitasi sˇar Akna zˇołovrdakan ergeri zˇołovacown (Die Sammlung der Volkslieder ˇsar Akna von Komitas), in: Bamber (Informationsblatt), Nr. 11, Jerewan 1969. –, Parzagowyn xazeri miakc’owt’yan p’orc’ (Ein Versuch der Kombination der elementaren xazer), in: Patmabanasirakan handes (historisch-philologische Zeitschrift), Nr. 2, Jerewan 1971. –, Xazagrowt’yan arvesteˇ ir patmakan zargac’vacowt’yan meǰ (Die Kunst der xazergowt’yown in ihrer historischen Entwicklung), in: Bamber (Informationsblatt), Nr. 12, Jerewan 1977. –, Erazˇsˇtowt’yowneˇ hin ew miǰnadaryan Hayastanowm (Die Musik im alten und mittelalterlichen Armenien), Jerewan 1982. –, Erazˇsˇtowt’yowneˇ haykakan Kilikiayowm (Die Musik im armenischen Kilikien), Jerewan 1989. Tade¯osean, Jovhannes: K’owcˇ’ak Nahapeti ergereˇ (Nahapet K’owcˇ’aks Lieder), Tiflis 1903. Tasˇcˇ’yan, Nikołayos: Dasagirk’ ekełec’iakan jaynagrowt’ean hayoc’ (Lehrbuch der Kirchenmusik Armeniens), Vałarsˇapat 1874. –, Hodvacner (Beiträge), in: Sˇabat’at’ert’ Arewelk’ (Wochenblatt Morgenland), K. Polis 1893. Tntesyan, Ełia: Bovandakowt’iwn nvagac’ Hayastaneayc’s Sowrb ekełec’woy (Der Inhalt der Gesänge der heiligen armenischen Kirche), K. Polis 1864. –, Nkaragir ergoc’ (Beschreibung der Gesänge), K. Polis 1874. Xacˇ’atryan, Połos: Grigor Narekac’in ev hay miǰnadare (Grigor Narekac’i und das armenische Mittelater), Eǰmiacin 1996.

Sachregister

Antike 13, 15, 17, 59, 67, 89, 92 f., 109, 121, 150, 175 – 177, 197 – 202, 219 f. Antitagelied 154 Antowni 28, 46, 53 Aristotelesschriften 199 f. Armenisch-Apostolische Kirche 181, 202 – 204 Bibel

123, 146, 203, 210 f.

Christentum 59, 89, 201 – 204, 213 Christlich-religiöse Literatur 15, 17, 57, 60, 66, 89, 94 f., 147, 177, 191, 202 f., 206, 212, 219 Ehe 17, 55, 64 f., 74, 77, 88, 90, 96, 98, 103, 112, 121, 129, 160, 177, 182 – 188, 194, 197, 216 f., 219 Ehebruch 17, 177, 182 f., 187 – 189, 219 f. Frau 11, 13 f., 17, 21, 28, 47, 55, 57 f., 60 – 75, 78, 80, 83, 85 f., 88, 92 – 94, 96, 98 f., 102 – 105, 107 – 118, 121 – 143, 148, 150 f., 155 f., 158 – 161, 168 – 172, 177, 182 – 185, 187 – 193, 195 – 197, 205 – 209, 211 f., 214, 217, 219 f., 222, 227, 229, 257, 260 – Frauenbild 105, 108, 122, 142 – Frauendialoge 140 – Frauendienst 14, 65, 67, 69 f., 80, 145, 183 – Frauenlied 17, 122, 126 f., 129 – 133, 135, 138, 140, 142, 222 – Frauenlob 93, 108, 168, 170, 206

– Frauenmonologe 122, 126, 132, 140, 222 – Frauenpreis 17, 192 – Frauenpreislied 89, 110 – Frauenrede 129 – 131 – Frauentadel 192 Gattung 14 f., 17, 30, 42, 53 f., 57, 130 – 132, 144 f., 157, 162, 172, 175 Gottesdienst 65 f., 80, 203 Hayren 16 f., 19 – 26, 28 – 36, 38, 43 – 47, 50 f., 53 – 55, 58 – 62, 65, 80, 93 f., 96 – 99, 103, 119, 123 – 127, 141, 143, 150 – 153, 155, 168, 172, 175, 188, 202, 214, 220 f., 227 f., 235, 248 f., 252 – Hayren-Ausgabe 16, 25 – Hayren-Dichter 198 – Hayren-Dichtung 11, 14 – 17, 19, 21, 23, 29 f., 38, 43, 46 f., 49 – 55, 57, 60, 62, 64, 66 – 68, 70, 74, 78, 81, 83, 92 f., 97, 99, 102, 104, 107 – 110, 115, 118 – 122, 126 f., 142 f., 146, 150, 169 – 172, 175, 177, 188 f., 197, 200, 202, 206, 209, 211 f., 214 f., 219 – 222 – Hayren-Edition 16 f., 34, 36, 50, 54 – Hayren-Forschung 52, 54 – Hayren-Handschrft 16, 36, 38, 44 – Hayren-Metrik 27, 29 f., 53, 176, 215 f., 219 – Hayren-Reihe 15 f., 19, 23 – 25, 34 – 36, 38, 44, 49, 51 – 54, 126 – Hayren-Sänger 111, 179 – Hayren-Texte 30, 44

294 Heilige Schrift 15, 146, 177, 195, 202 f. Herrendienst 14, 65, 69 f., 182 f. Hohelied 103, 146, 177, 202, 210 – 212 Hymne 24, 40, 42, 55, 125, 147, 149 Klagelied 29, 60, 74 f., 141, 175, 200, 215 f., 219 Konzil von Chalcedon 204 Liebe 13 f., 17, 19 – 21, 29, 32, 35, 53, 55, 57 – 64, 66 – 76, 78 – 88, 92 f., 96 – 99, 101, 103 – 105, 108 – 110, 112, 114, 116 – 118, 120 f., 125, 127 – 130, 133 – 138, 140 – 143, 147 f., 150 – 155, 158 – 160, 163, 166 – 172, 175, 177, 182 – 185, 188 – 190, 193, 200, 202, 206 – 211, 219 – 222, 226, 228 – 231, 233 f., 236 – 243, 245 – 248, 251 f., 254, 257 – 263 Minne 14, 68 f., 71, 73, 78, 81 – 83, 86 f., 104, 106, 118, 158 – 160, 167, 170, 201 f., 208 f. – Minneauffassung 17, 177, 198, 206 – Minnedame 103, 132, 140 – Minnekanzone 107, 132, 157 – Minneklage 17, 69, 74, 103, 153, 171 – Minnekonzeption 14, 198, 202 – Minnelehre 103, 198, 201 – Minnelied 17, 69, 78, 170 – Minnelyrik 17, 103, 108 f., 113, 118, 121, 142, 170, 177, 188, 190, 202, 206, 210, 220 – Minnepreis 103 – Minnereflexion 14, 17, 68, 103 – Minnesang 11, 14 f., 17, 62, 64 – 66, 68 – 70, 72, 74, 76 – 78, 81, 83 f., 92,

Sachregister

103 – 105, 107 – 110, 119 – 121, 127, 129 f., 132, 140, 142 – 144, 157, 169 – 172, 175, 183, 188 f., 197, 202, 209, 211 f., 214, 219 – 222 – Minnesänger 62, 69 f., 81, 83, 104, 108, 111, 121, 132, 170, 189, 198, 201 f., 209 – Minnethematik 53 Pandowxt-Lied 53, 155 f. Platonismus 200 – Neuplatoniker 89, 198 – 200 – Neuplatonismus 199 – Platoniker 201 Synode von Dvin 183 f., 186 Synode von Jagavan 185 Synode von Partav 186 Synode von Sˇahapivan 185 f. Tagelied 17, 82, 131, 144 – 146, 149 f., 152, 154 – 162, 167 – 169 – Antitagelied 146, 154, 161 – Tageliedparodien 161 – Tageliedvariation 156 Tałaran 37, 39, 43, 44, 45 Tałergowtiwn 20 Werbelied

57, 67 – 71

Xaz 23, 38 – 44 – Xazagrowt’yown 39 f., 42, 55 – Xazer-Kenner 40 – Xazer-Notation 40, 43 f. – Xazer-Schrift 40

Namenregister

Albrecht von Johansdorf 88, 110, 134 Aristakes Archimandrit Tevkanc’ 15, 38, 51 f., 54 Aristoteles 59, 199 f. Davit’ Anhałt’ 89, 199 f. Der Burggraf von Rietenburg 76, 136 Der von Kürenberg 132 – 134, 139 Dietmar von Aist 132, 135, 157, 163 Friedrich I. Barbarossa 179 Friedrich von Hausen 68, 76, 81, 86, 119, 132, 206 – 208 Frik 19, 28, 36, 51, 179, 198 Gregor von Nyssa 200 Grigor Magistros 28, 197, 200, 206 Grigor Narekac’i 27 – 29, 57, 146 – 148, 175, 192, 200, 210 Hartmann von Aue 132, 139, 198 Hartwig von Raute 169 Heinrich VI. 179, 198 Heinrich von Morungen 72, 74, 84, 87 f., 116, 207, 209, 211 f. Heinrich von Rugge 77 Heinrich von Veldeke 68, 86, 132, 208 Het’owm I. 214 – 216 Het’owm II. 197 f., 214 f. Het’owm Patmicˇ’ 215 Hildegard von Bingen 131, 191 Hovhannes Erznkac’i 28, 36, 51, 80, 90, 92, 196, 198

Konstandin Erznkac’i

78 – 80

Łazar P’arp’ec’i 38 Levon (Leo) II. 178 – 179, 184 f., 188, 216, 216, 217 Levon (Leo) III. 91, 197 f., 185, 197 – 198, 215 – 216 Meinloh von Sevelingen 87, 104, 111, 132, 137, 208 Mesrop Masˇtoc’ 146, 203 Movses Kałankatowac’i 186 Movses Xorenac’i 28, 31, 62, 94, 123, 205 Mxit’ar Gosˇ 186, 215 Nahapet K’owcˇ’ak 15 f., 49 – 52, 54 Neidhart 81, 109, 140 Nerses Lambronac’i 20, 176 Nerses Sˇnorhali 20, 28, 39 f., 52, 57, 60, 149, 184, 186, 189 f. Ovid

157, 201

P’avtos Bowzand 205 Philon 200 Platon 59, 89, 200, 202 Plutarch 199 Ps. Dionysius Areopagita

200

Reinmar 75 – 78, 82, 84, 107, 110, 115 f., 119, 132, 134 – 137, 142 f., 145, 153 f., 161, 209, 212 Richard Löwenherz 216 Rudolf von Fenis 72

296

Namenregister

Sahak Part’ev 38, 148, 203 Sahakdowxt Syownec’i 125, 191, 196 Sasownc’i Davit’ 47 – 49, 66 Smbat Sparapet 187, 190, 214 f. Step’anos Orbelyan 81, 125, 193 f., 196, 198, 216 Step’anos Syownec’i 39, 200 Ulrich von Gutenburg 71, 117 Ulrich von Lichtenstein 161 Vahram Rabowni

91, 198, 200

Walther von der Vogelweide 68, 73 f., 81 f., 85, 132, 138, 145, 167 f., 171, 198 Wolfram von Eschenbach 145, 158, 160 – 162, 164 f., 167 f., 193, 198 Xacˇ’atowr Kecˇ’ar˙ec’i 28, 29, 52, 176, 192 Xosrovidowxt Gołt’nac’i 125, 191 Zabel

126, 184 f.