Handbuch Nietzsche und die Wissenschaften 9783110285680, 9783110285789

Nietzsche’s philosophy stands at the intersection of many currents in science that animated the 19th century. Dynamic ch

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Handbuch Nietzsche und die Wissenschaften
 9783110285680, 9783110285789

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Siglenverzeichnis
Einleitung
Literaturverzeichnis
Ausführliche Inhaltsübersicht
I. Nietzsche im 19. Jahrhundert
Nietzsches Philosophie und das „Age of Science“
Nietzsche und die Wahrheitsgewissheitsverluste im Anbruch der Moderne
II. Naturwissenschaftliche Kontexte
Nietzsche und die Sinnesphysiologie und Erkenntniskritik
Nietzsche und die Lebenswissenschaften
Nietzsche and Mechanism
Nietzsche and Medicine
Nietzsche und die Astronomie
III. Geisteswissenschaftliche Kontexte
Nietzsche und die Philologie
Nietzsche and Historiography
Nietzsche und die „Logiker“
Nietzsche und die Erkenntnistheorie und Metaphysik
Nietzsche and Linguistics
Nietzsche und die Religionswissenschaft
IV. Sozialwissenschaftliche Kontexte
Nietzsche and Economics
Nietzsche und die politische Philosophie
Nietzsche and Sociology
Nietzsche und die Psychologie
Personenregister
Sachregister

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Handbuch Nietzsche und die Wissenschaften

Handbuch Nietzsche und die Wissenschaften Natur-, geistes- und sozialwissenschaftliche Kontexte

Herausgegeben von Helmut Heit und Lisa Heller

ISBN 978-3-11-028578-9 e-ISBN 978-3-11-028568-0 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Siglenverzeichnis

VII

Helmut Heit und Lisa Heller Einleitung 1 Lisa Heller Ausführliche Inhaltsübersicht

7

I. Nietzsche im 19. Jahrhundert Helmut Heit Nietzsches Philosophie und das „Age of Science“

19

Gregor Schiemann Nietzsche und die Wahrheitsgewissheitsverluste im Anbruch der Moderne

II. Naturwissenschaftliche Kontexte Sören Reuter Nietzsche und die Sinnesphysiologie und Erkenntniskritik Dirk Solies Nietzsche und die Lebenswissenschaften Pietro Gori Nietzsche and Mechanism Tobias Dahlkvist Nietzsche and Medicine

119

138

Irene Treccani Nietzsche und die Astronomie

155

107

79

46

VI

Inhaltsverzeichnis

III. Geisteswissenschaftliche Kontexte Christian Benne und Carlotta Santini Nietzsche und die Philologie 173 Anthony K. Jensen Nietzsche and Historiography

201

Nikolaos Loukidelis Nietzsche und die „Logiker“

222

Mattia Riccardi Nietzsche und die Erkenntnistheorie und Metaphysik Benedetta Zavatta Nietzsche and Linguistics

265

Andreas Urs Sommer Nietzsche und die Religionswissenschaft

290

IV. Sozialwissenschaftliche Kontexte Thomas Brobjer Nietzsche and Economics

307

Maria Cristina Fornari Nietzsche und die politische Philosophie Chiara Piazzesi Nietzsche and Sociology

341

Martin Liebscher Nietzsche und die Psychologie

Personenregister Sachregister

379 387

362

322

242

Siglenverzeichnis A. Werkausgaben KGW

KGB

KSA

BAW

Werke. Kritische Gesamtausgabe. Begründet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergeführt von Wolfgang Müller-Lauter und Karl Pestalozzi, ab Abt. IX/4 von Volker Gerhardt, Norbert Miller, Wolfgang MüllerLauter und Karl Pestalozzi. Berlin, New York: De Gruyter 1967ff. Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe. Begründet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergeführt von Norbert Miller und Annemarie Pieper. Berlin, New York: De Gruyter 1975ff. Werke. Kritische Studienausgabe. 15 Bände. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. 2. durchges. Aufl. München, Berlin, New York: dtv/ De Gruyter 1999. Frühe Schriften 1854–1869 [1933–1942]. 5 Bände. Hrsg. von Hans-Joachim Mette, Carl Koch und Karl Schlechta. Mit einer editorischen Vorbemerkung von R. Schmidt zum Nachdruck der Ausgabe. München: dtv 1994.

B. Siglen einzelner Werke in den deutschsprachigen Beiträgen AC BA CV DaR DD DS DW EH EKP FW GD GG GGL GM GMD GT HkP HL

Der Antichrist Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern Darstellung der antiken Rhetorik Dionysos-Dithyramben David Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller (Unzeitgemäße Betrachtungen 1) Die dionysische Weltanschauung Ecce homo Encyclopädie der klassischen Philologie und Einleitung in das Studium derselben Die fröhliche Wissenschaft Götzen-Dämmerung Die Geburt des tragischen Gedankens Geschichte der griechischen Literatur Zur Genealogie der Moral Das griechische Musikdrama Die Geburt der Tragödie Homer und die klassische Philologie Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (Unzeitgemäße Betrachtungen 2)

VIII

IM JGB M MA MD NL NW PHG SE SGT ST VM VPP WA WB WL WS Z

Siglenverzeichnis

Idyllen aus Messina Jenseits von Gut und Böse Morgenröthe Menschliches, Allzumenschliches (I und II) Mahnruf an die Deutschen Nachgelassene Notate/Aufzeichnungen/Fragmente Nietzsche contra Wagner Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen Schopenhauer als Erzieher (Unzeitgemäße Betrachtungen 3) Sokrates und die griechische Tragödie Sokrates und die Tragödie Vermischte Meinungen und Sprüche Vorlesungen zu den vorplatonischen Philosophen Der Fall Wagner Richard Wagner in Bayreuth (Unzeitgemäße Betrachtungen 4) Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne Der Wanderer und sein Schatten Also sprach Zarathustra

C. Abbreviations of Nietzsche’s Works in English A AOM BGE BT BT Attempt CW D DD EH GM GS HH NL NW PTAG TI TL UM WS Z

The Antichrist Assorted Opinions and Maxims (HH II) Beyond Good and Evil The Birth of Tragedy The Birth of Tragedy, Attempt At a Self-Criticism. The Case of Wagner Daybreak Dithyrambs of Dionysus Ecce Homo On the Genealogy of Morals The Gay Science Human, All Too Human Posthumous Fragments/Sketches Nietzsche contra Wagner Philosophy in the Tragic Age of the Greeks Twilight of the Idols. How To Philosophize with a Hammer On Truth and Lying in a Non-Moral Sense Untimely Meditations The Wanderer and His Shadow (HH II) Thus Spoke Zarathustra

Siglenverzeichnis

IX

Ein sämtliche Werke, Aufzeichnungen und Vorlesungen Nietzsches umfassendes zweisprachiges Verzeichnis der Siglen findet sich auf: http://www.degruyter.com/staticfiles/content/dbsup/Nietzsche_05_Siglen.pdf

Helmut Heit und Lisa Heller

Einleitung Nietzsche ist trotz aller selbst attestierten Unzeitgemäßheit auch ein Kind seiner Zeit. Seine Philosophie entsteht im Kontext des 19. Jahrhunderts, der Zeit einer Abkehr von idealistischen Positionen und des gleichzeitigen rasanten Aufstiegs der Naturwissenschaften als Instrumente der praktischen und theoretischen Gestaltung der Welt. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erweist sich so als eine besonders faszinierende und in ihren Wirkungen besonders aktuelle Phase der Wissenschaftsgeschichte. Die theologischen oder philosophisch-metaphysischen Vorzeichen der Forschung weichen zunehmend den positivistischen Prinzipien von induktiv oder hypothetischdeduktiv verfahrenden Gesetzeswissenschaften. Zwar betonte Christian Wolff schon 1713 die Differenz von „Pneumatologie, oder Geister-Lehre“ auf der einen Seite und „Natur-Wissenschaft, oder Natur-Lehre“ auf der anderen (Wolff 1965, §12), aber seit den 1850er Jahren verschärft sich diese Unterscheidung zunehmend. Während die Naturwissenschaften an methodischem Selbstbewusstsein und kultureller Hegemonie gewinnen, entwickeln auch die Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften aus der relativen Defensive ein disziplinäres Selbstverständnis und neue methodische Standards. Dabei sind die Grenzen zwischen den heute bekannten Fächern im 19. Jahrhundert oft noch wenig bestimmt und verlaufen teilweise entlang anderer Linien als gegenwärtig. Nicht immer entsprechen den neu entstehenden oder sich wandelnden Themenfeldern auch einheitliche Formen akademischer Identität oder gar universitäre Institute. Für die Geistes-, Kultur- oder historischen Wissenschaften hat sich noch nicht einmal eine gemeinsame Bezeichnung etabliert, und die später so genannten Sozialwissenschaften formieren sich erst zum Ende des Jahrhunderts als eigenständige und intern differenzierte Disziplinen. Manche Fächer wie Psychologie, Soziologie oder Religionswissenschaft sind noch in der Entstehung begriffen. Auch die Naturwissenschaften durchlaufen verschiedene Transformationen und Ausdifferenzierungen. So erlebt zum Beispiel die Physiologie Aufstieg und Niedergang im Verlauf dieser hundert Jahre. Dieser Dynamik entsprechend sind auch die Curricula höherer Bildung und die Organisation der akademischen Institutionen strittig, wie sich an der berühmten Forderung des Berliner Physiologen Emil Du Bois-Reymond festmachen lässt: „Kegelschnitte! Kein griechisches Skriptum mehr!“ Die Entwicklungen in den Wissenschaften begleiten massive weltanschauliche Auseinandersetzungen nicht nur um Fragen der Erziehung, sondern auch um die Rolle der Geschichte und der Religion, um Materialismus, Reduktionismus und Evolutionstheorie, sowie schließlich um die Möglichkeiten und Aussichten menschlicher Wahrheitserkenntnis. Diese Prozesse und Diskurse sind Teil einer umfassenden kulturellen, ökonomischen und sozialen Verwandlung der Welt (Osterhammel 2009), die sich etwa an Stichworten wie Industrialisierung, Kapitalismus, Imperialismus, Bürgerlichkeit, Arbeiterfrage und Demo-

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Helmut Heit und Lisa Heller

kratisierung, aber auch an der Oper, der Literatur und den Künsten festmachen lässt. Der Zeigertelegraph von Siemens und Halske aus dem Jahre 1847, dessen Abbildung wir für den Einband dieses Handbuches ausgewählt haben, verkörpert als innovative Kommunikationstechnologie paradigmatisch die wissenschaftlichen, technischen, kulturellen und sozialen Transformationsprozesse des 19. Jahrhunderts. Diese sozialhistorischen Konstellationen stehen immer wieder mehr oder minder deutlich im Hintergrund, auch wenn die Beiträge in diesem Band sich vor allem auf die intellektuellen und wissenschaftlichen Entwicklungen der Zeitgenossenschaft Nietzsches konzentrieren und auf die Formen, in denen sich sein eigenes Denken in der Auseinandersetzung damit formt. Insoweit die hier versammelten Aufsätze Nietzsche im Kontext dieser Zeit situieren, kann man sie auch als Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts lesen. Nietzsches Philosophie steht zeitlich und inhaltlich inmitten dieses facettenreichen Spannungsfeldes, in dem die Wissenschaften eine sehr zentrale Rolle spielen. Die einzige Disziplin, in der er selbst eine solide Ausbildung erfahren hat, die klassische Philologie, sensibilisiert ihn für die kulturhistorische Komponente des akademischen und epistemischen Wandels und bleibt von grundlegender Bedeutung für sein Wissenschaftsverständnis. Seine Auseinandersetzung mit dem historischen Bewusstsein steht im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung mit den Ansätzen von Burckhardt, Ranke, Wellhausen und anderen. Der sich formierenden geisteswissenschaftlichen Sphäre begegnet Nietzsche mit Interesse und Skepsis, früh erkennt er spezifische Probleme. So gehört Nietzsche zwar sowohl hinsichtlich seiner Ausbildung als auch hinsichtlich seiner eigenen Tätigkeit vorrangig in das Feld der Geisteswissenschaft, aber weder seine Lektüren noch seine Äußerungen beschränken sich darauf. Die sozialwissenschaftlichen Debatten über die gesellschaftliche Organisation, die ‚Arbeiterfrage‘, die Tauschökonomie oder die Formen von Herrschaft hinterlassen deutliche Spuren in seinem Denken, wie man nicht nur an seiner Beschäftigung mit Spencer oder Dühring sieht. Auch die soziale Organisation der Wissenschaften und ihre Rolle in der Gesellschaft erregen sein Interesse. Dabei verbindet er Themen der Geistes- und Sozialwissenschaften vielfältig mit Fragen der Naturauffassung. Zeitlebens lässt sich bei Nietzsche ein starkes Interesse an den Naturwissenschaften nachweisen, auch wenn er seinen Plan, selbst Chemie und Physik zu studieren, nicht in die Tat umsetzt. Seine Lektüren und Notizen dokumentieren ein ungebrochen großes Interesse an naturwissenschaftlichen Forschungen, an Feldern wie der Sinnesphysiologie oder an bestimmten Theorien wie dem Darwinismus. Nietzsches Auseinandersetzung mit den Wissenschaften findet somit in vieler Hinsicht produktiven Niederschlag in seinem Werk: Die Spannbreite reicht von einzelnen Gedanken, die ohne Kenntnis ihrer zeitgenössischen Inspirationsquellen oder Grundlagen nur schwer verständlich werden, bis hin zu elementaren Konzepten wie dem Willen zur Macht, dem Interpretationsgedanken, dem Perspektivismus oder der Wiederkunftslehre. Allerdings handelt es sich hierbei selten um eindeutige und direkte Adaptionen, sondern um unterschiedliche Formen konstruktiver Aneignung

Einleitung

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durch Nietzsche, die sorgsam analysiert werden müssen. Was Nietzsche liest, was Nietzsche denkt und was Nietzsche schreibt sind drei verschiedene Dinge, die nicht notwendig in einer linearen kausalen Verbindung zueinander stehen. Aus diesem Grund ist Nietzsches Philosophie letztlich ohne eine Kenntnis seiner Kontexte nicht angemessen zu verstehen, aber es reicht auch nicht, die Summe der Lektüren und Rezeptionen zu kennen und die mehr oder minder verborgenen Anspielungen und Verweise in seinen Schriften gelehrig zu entschlüsseln. Vielmehr geht es darum, eine produktive Verbindung zwischen den zeitgenössischen Kontexten und den eigenen Texten Nietzsches herzustellen. Die Metapher des „Einflusses“ erweist sich dabei fast immer als unbrauchbar, da selbst eine zustimmende Lektüre ein Prozess der aktiven und selektiven Aneignung ist. Um Nietzsches Denken im Kontext der Wissenschaften seiner Zeit zu begreifen, bedarf es daher sowohl einer gelehrten Kenntnis seiner Quellen als auch einer philosophischen Deutung seiner Philosophie. Dieser Aufgabe stellen sich die Beiträge des vorliegenden Bandes auf eine umfassende Weise, indem sie möglichst sämtliche Disziplinen oder Themenfelder berücksichtigen, die für Nietzsche, für seine Zeitgenossen und auch für uns relevant sind. Dabei können die einzelnen Beiträge in unterschiedlichem Umfang auf die Ergebnisse bisheriger kontextueller und quellengenetischer Forschungen zurückgreifen, die in den letzten Jahren bedeutend zum Verständnis der Philosophie Nietzsches beigetragen haben. Als George J. Stack 1983 seine grundlegende Studie zu Nietzsche and Lange publiziert, konstatiert er noch in seinem Vorwort, der Nachweis einer solchen engen Verbindung „may come as a surprise to those who have been, or are, interested in the thought of Nietzsche“ (Stack 1983, V). Allzu oft habe man nach seinem Eindruck über Nietzsche gedacht und geschrieben, „as if an impressive apex of a pryramid of thought was assumed to have had no base“ (Stack 1983, VI). Ein solches Bild von der Philosophie Nietzsches als einer Version freischwebender Intelligenz ist ohne Zweifel irreführend, auch wenn es gute Gründe gibt, Stacks Eindruck zumindest auf die englischsprachige Nietzsche-Rezeption zu beschränken – oder auf sein verständliches Anliegen, die Originalität seiner Arbeit herauszustellen. Wichtige Details der Verbindung zwischen Nietzsche und Friedrich Albert Lange hatte Jörg Salaquarda schon 1978 in den Nietzsche Studien veröffentlicht. Spätestens jedoch seit den 1980er Jahren, und nicht zuletzt auch durch die Arbeit George Stacks, hat sich das allgemeine Bewusstsein dafür geschärft, wie stark Nietzsche aller unzeitgemäßen Distanzgefühle zum Trotz in den Kontext seiner Zeit eingebunden ist. Mit Blick auf Langes Geschichte des Materialismus, zum Beispiel, wird man inzwischen kaum zögern, dessen Bedeutung für das Denken Nietzsches geradezu mit Schopenhauer und Wagner auf eine Stufe zu stellen. Besonders im Anschluss an die Forderung Mazzino Montinaris, Nietzsches „ideale Bibliothek zu rekonstruieren“ (Montinari 1982, S. 6), ist eine eigene Tradition quellengenetischer, kontextueller und vergleichender Forschungen entstanden. In den Nietzsche Studien gibt es seit 1988 eine eigene Rubrik dazu (vgl. Ratsch-Heitmann / Sommer 2001) und eine Vielzahl von Aufsätzen und Monographien dokumentiert die Verbindung Nietzsches zu seinen

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Helmut Heit und Lisa Heller

Lektüren und seiner Zeit. Auch sind zwischenzeitlich diverse vergleichende und quellengenetische Studien entstanden, die in den jeweiligen Beiträgen dieses Handbuchs zur Sprache kommen. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Kontexte Nietzsches sind gleichwohl noch immer die Studie von Alwin Mittasch (1952, bes. S. 365–371) sowie die Ausführungen von Karl Schlechta und Anni Anders zu den verborgenen Anfängen der Philosophie Nietzsches (Schlechta / Anders 1962) von grundsätzlicher Bedeutung. Eine allgemeine Rekonstruktion der im weiteren Sinne philosophischen Lektüren hat Thomas Brobjer in seiner intellektuellen Biographie Nietzsches vorgelegt (Brobjer 2008), der auch in diesem Band mit einem Beitrag zu den wirtschaftswissenschaftlichen Kontexten Nietzsches vertreten ist. Neben einigen Beiträgen in den Sammelbänden von Babich und Cohen (1999) und von Heit, Abel und Brusotti (2012) enthält vor allem die Studie Nietzsche in Context von Robin Small (2001) wichtige Beiträge zum Thema dieses Buches. Besonders hervorzuheben ist außerdem die Anthologie Nietzsche and Science, die Gregory Moore und Thomas Brobjer im Jahre 2004 herausgegeben haben. Darin findet sich neben Beiträgen zu Nietzsches Auseinandersetzung mit verschiedenen Wissenschaften vor allem ein sehr nützlicher Überblick über seine naturwissenschaftlichen Lektüren (Brobjer 2004). Insgesamt hat die Quellenforschung zahlreiche Verbindung Nietzsches zu seinem intellektuellen Umfeld herausgearbeitet und ist in manchen Details sehr weit fortgeschritten. Allerdings fehlt es an einer Zusammenschau, in der die verschiedenen Felder systematisch verbunden werden. Daher konstatiert Moore mit Recht: „To date, work on the subject of Nietzsche and science has been patchy, leaving a vacuum“ (Moore 2004, S. 9). Diesem Umstand leistet allerdings auch der von ihm und Brobjer vorgelegte Band nur zum Teil Abhilfe, denn die von ihnen versammelten Texte und auch sonst große Teile der bisherigen Arbeiten zu Nietzsches wissenschaftlichen Kontexten fokussieren fast ausschließlich auf die Rolle der Naturwissenschaften. Das ist ohne Zweifel verdienstvoll, denn tatsächlich bestand hier besonderer Aufklärungsbedarf, immerhin sind große Teile der Bibliothek Nietzsches und auch seiner Lektüren naturwissenschaftlichen Inhalts. Dennoch birgt dieser selektive Fokus die Gefahr, dem umfassenderen Wissenschaftsverständnis Nietzsches letztlich nicht gerecht zu werden. Aus diesem Grund versammelt dieses Handbuch Beiträge namhafter Forscherinnen und Forscher zu Nietzsche im Kontext der Wissenschaften seiner Zeit in einem die Natur- Geistes- und Sozialwissenschaften umfassenden Sinne. Dabei verfolgen wir einerseits das Ziel, den Leserinnen und Lesern einen breit angelegten Überblick über den Stand der Forschung zu ermöglichen. Andererseits setzen die Autoren in ihren Feldern jeweilige Schwerpunkte und markieren aktuelle Fragen und Probleme. Zum Auftakt des Handbuchs bietet eine detaillierte Übersicht, die Lisa Heller erstellt hat, eine umfassende Orientierung über den Aufbau und Inhalt des Bandes. Sie soll es den Leserinnen und Lesern erleichtern, sich einen Eindruck von dem Spektrum der behandelten Themen zu machen und gezielt bestimmte Beiträge aufzusuchen. Darauf folgen zwei Beiträge zur grundsätzlichen Verortung Nietzsches im 19. Jahrhundert. In

Einleitung

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dem Text von Helmut Heit wird im Stile einer Einleitung der Versuch unternommen, Nietzsche in den allgemeinen Zusammenhang der soziokulturellen und wissenschaftlichen Dynamik seiner Lebenszeit einzuordnen. Gregor Schiemann erläutert sodann in einem konkreteren Sinne den Wissenschaftsbegriff Nietzsches, insbesondere im Verhältnis zu demjenigen von Hermann von Helmholtz. Im Anschluss daran widmen sich die weiteren Abhandlungen detailliert dem Verhältnis Nietzsches zu einzelnen Fächern. Hinsichtlich der Organisation des Handbuchs orientieren wir uns dabei weitgehend an heute geläufigen disziplinären Differenzierungen. Ein erster Teil ist den Naturwissenschaften gewidmet (im engeren Sinne Physiologie, Biologie, Physik, Medizin und Astronomie) während ein zweiter die Geisteswissenschaften behandelt (Philologie, Geschichte, Philosophie, Linguistik, Religionswissenschaften) und ein dritter die Sozialwissenschaften (Ökonomie, Politik, Soziologie, Psychologie). Dieser Aufbau folgt allerdings auch pragmatischen Gründen, denn die jeweiligen Fächergrenzen entbehren nicht der Kontingenz. Zugleich ist im Auge zu behalten, dass Nietzsche sich für Probleme und Sachfragen interessierte und weniger für disziplinäre Hoheitsgebiete. Aus diesem Grund verbindet er im besten interdisziplinären Sinne Einsichten etwa der Physiologie mit der Erkenntnistheorie, der Philologie mit der Physik, oder der Linguistik mit der Soziologie. Als Einzelne gelesen erlauben die Studien, sich einen profunden Eindruck von einem jeweiligen Themenfeld zu verschaffen; in ihrer Gesamtheit ergeben sie ein möglichst umfassendes Bild der wissenschaftlichen Kontexte Nietzsches, auch wenn dieses Bild niemals vollständig sein kann. Insbesondere spiegelt unsere breite Auswahl auch, welchen Problemkonstellationen und Lösungsansätzen Nietzsche besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. So möchte dieses Handbuch einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts leisten und zugleich eine Grundlage bieten für ein vertieftes Verständnis der Zeitbedingtheit und Originalität der Philosophie Nietzsches. Keimzelle der vorliegenden Edition war ein Workshop an der Technischen Universität Berlin, der im Rahmen des Berliner Nietzsche Colloquiums von den Herausgebern veranstaltet worden war. Diese Veranstaltung wurde durch die finanzielle Unterstützung der VolkswagenStiftung und des Innovationszentrums Wissensforschung der Technischen Universität Berlin ermöglicht. Die in Berlin gehaltenen Referate wurden für dieses Handbuch grundlegend überarbeitet und systematisch durch weitere Beiträge ergänzt. Wir danken unseren Autorinnen und Autoren und dem de Gruyter Verlag, insbesondere Christoph Schirmer für die Förderung dieses Projekts. Berlin und Princeton April 2013

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Helmut Heit und Lisa Heller

Literaturverzeichnis Babich, Babette E./Cohen, Robert S. (1999): Nietzsche and the Sciences. I: Nietzsche, Theories of Knowledge, and Critical Theory. II: Nietzsche, Epistemology, and Philosophy of Science. Dordrecht et. al.: Kluwer. Brobjer, Thomas H. (2004): „Nietzsche’s Reading and Knowledge of Natural Science: An Overview“. In: Gregory Moore/Thomas H. Brobjer (Hrsg.): Nietzsche and Science, Aldershot: Ashgate, S. 21–50. Brobjer, Thomas H. (2008): Nietzsche’s Philosophical Context. An Intellectual Biography. Urbana: University of Illinois Press. Heit, Helmut/Abel, Günter/Brusotti, Marco (2012): Nietzsches Wissenschaftsphilosophie. Hintergründe, Wirkungen und Aktualität. Berlin, New York: de Gruyter. Mittasch, Alwin (1952): Friedrich Nietzsche als Naturphilosoph. Stuttgart: Kröner. Montinari, Mazzino (1982): Nietzsche lesen. Berlin, New York: de Gruyter. Moore, Gregory (2004): „Introduction“. In: Gregory Moore/Thomas H. Brobjer (Hrsg.): Nietzsche and Science, Aldershot: Ashgate, S. 1–16. Moore, Gregory/Brobjer, Thomas H. (2004): Nietzsche and Science. Aldershot: Ashgate. Osterhammel, Jürgen (2009): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München: Beck. Ratsch-Heitmann, Rüdiger/Sommer, Andreas Urs (2001): „Beiträge zur Quellenforschung. Register zu den Bänden 17–30“. In: Nietzsche-Studien, Bd. 30, S. 435–473. Salaquarda, Jörg (1978): „Nietzsche und Lange“. In: Nietzsche-Studien, Bd. 7, S. 236–253. Schlechta, Karl/Anders, Anni (1962): Friedrich Nietzsche. Von den verborgenen Anfängen seines Philosophierens. Stuttgart, Bad Cannstatt: Frommann Holzboog. Small, Robin (2001): Nietzsche in Context. Aldershot: Ashgate. Stack, George J. (1983): Lange and Nietzsche. Berlin, New York: de Gruyter. Wolff, Christian von (1965): „Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkäntnis der Wahrheit den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet“ [1713] In: Hans Werner Arndt (Hrsg.): Christian Wolff. Gesammelte Werke. I. Abteilung. Deutsche Schriften. Band 1. Vernünftige Gedanken (1) (Deutsche Logik), Hildesheim: Olms, S. 103–252.

Lisa Heller

Ausführliche Inhaltsübersicht I. Nietzsche im 19. Jahrhundert Helmut Heit: Nietzsches Philosophie und das „Age of Science“ Der einführende Essay von Helmut Heit verortet Nietzsches Philosophie im Spannungsfeld der sich grundlegend verändernden Welt des „Age of Science“. In drei exemplarischen Stationen werden die Transformationen der Zeit, Nietzsches Studien und seine Wirkabsichten umrissen. Politisch steht das 19. Jahrhunderts zwischen restaurativen und reformatorischen Tendenzen, während zugleich technische Innovationen, globaler Austausch und Warenverkehr, sowie revolutionierte Arbeitsprozesse und -bedingungen die Lebenswelt transformieren. Ein zentraler Faktor dieser Dynamiken sind die Wissenschaften: Der Erfolg zunehmend hypothetischer Methodik bei rasant wachsenden Gegenstandsbereichen machen die Wissenschaft zum wichtigsten Instrument des Homo Faber der Moderne. Nietzsches wissenschaftliche und philosophische Positionierung in dieser Welt wird zunächst geprägt durch seine humanistische Ausbildung. Die klassische Philologie differenziert seinen historisch-kritischen Blick auf seine Zeit, aber Nietzsches Absicht auf Wirkung transzendiert diese Disziplin. So verhindert zwar die frühe Berufung auf eine philologische Professur in Basel ein geplantes systematischeres Studium der Naturwissenschaften, aber dennoch führen Nietzsches weite Interessen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit vielfältigen wissenschaftlichen Themen und Herangehensweisen. Die selektiven Formen seiner Lektüren bleiben aber einer genuin philosophischen Perspektive verpflichtet. Anhand der Empfänger von Freiexemplaren der Genealogie der Moral illustriert Heit das intendierte Publikum Nietzsches. Neben Familie und intellektuellen Weggefährten zielt Nietzsche auf die kulturelle Elite zeitgenössischer Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftler. Die vielfältigen Spuren, die der Einbruch der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Moderne in Nietzsches Werk hinterlassen sowie der Anspruch, seinerseits verändernd auf die Zeit zu wirken, machen eine Untersuchung des Kontextes für das Verständnis und die Interpretation der Philosophie Nietzsches unverzichtbar.

Gregor Schiemann: Nietzsche und die Wahrheitsgewissheitsverluste im Anbruch der Moderne Schiemann skizziert den Wandel der Wissenschaftsauffassung zu Lebzeiten Nietzsches anhand der Geschichte der Physik. Seit Aristoteles ist diese Disziplin mit dem

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Lisa Heller

Anspruch auf Wahrheit, Notwendigkeit und Allgemeinheit verbunden, im 19. Jahrhundert relativiert sich dieser Anspruch einerseits durch das stärkere Gewicht von Hypothese, Experiment und empiristischer Vorgehensweise, andererseits durch den kantischen Fokus auf die Bedingungen des Erkenntnisgewinns. Exemplarisch wird dies mit einer wissenschaftlichen und einer philosophischen Perspektive, mit Helmholtz und Nietzsche illustriert. Auch wenn Helmholtz keinen der klassischen Ansprüche vollständig suspendiert, gehen von seiner Position wesentliche Impulse für ein reformiertes Wissenschaftsverständnis aus: Fallibilität und Hypothetizität werden zu akzeptierten Grundannahmen wissenschaftlicher Weltbetrachtung. Bei Nietzsche finden sich ähnliche Überlegungen. Die Historisierung allen Wissens, die Idee der Rangfolge und die Priorisierung von Ästhetik und Leben machen Nietzsche zu einem Vordenker postklassischer Ansätze, in der Radikalität seiner Idee nur begrenzt durch die ebenfalls kontextuell plausible naturalistische Prämisse seines Denkens. Wesentliche Elemente, die sich bei beiden hier behandelten Repräsentanten einer neuen Perspektive auf die Wissenschaft finden, sind Pluralisierung und eine fortschreitende Rücknahme eines universalen und diachronen Geltungsanspruches zugunsten hypothetischer und pragmatischer Konzeptionen. Die hier behandelten Ansätze verweisen so auf die beiden wichtigsten wissenschaftstheoretischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, kritischen Rationalismus und historischen Relativismus.

II. Naturwissenschaftliche Kontexte Sören Reuter: Nietzsche und die Sinnesphysiologie und Erkenntniskritik Die Physiologie der Sinne entsteht aus der Medizin und agiert an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Naturwissenschaften. Ihr Gegenstandsbereich ist die Untersuchung von Sinneseindrücken, Wahrnehmungen und physischen Empfindungen des Menschen – kurz: die Interaktion zwischen Individuum und Objekt in seiner physischen Struktur und bewussten Repräsentation. Diese Disziplin entsteht im 19. Jahrhundert und überschreitet mit dem Ausgang desselben ihren Höhepunkt, als die von ihr behandelten Fragen sich wieder in die Ausgangsdisziplinen der Biologie, Medizin und Erkenntnistheorie verlagern. Reuter zeichnet nach, wie Nietzsches großes Interesse gerade an der erkenntnistheoretischen Dimension der Physiologie geschärft wird durch Autoren, die sich ihrerseits mit den Schriften der Sinnesphysiologen auseinandergesetzt haben, etwa Lange, Liebmann und Hartmann. Die Differenzierungen, die Nietzsche aufnimmt, schlagen sich vor allem in einer grundlegenden Skepsis gegenüber den Konzepten von Wahrheit und Realität nieder. Besonders deutlich zeigt sich die Einsicht in die Volatilität von Wahrnehmung und Empfindung in Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn, bleibt aber auch in späteren Schriften präsent.

Ausführliche Inhaltsübersicht

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Dirk Solies: Nietzsche und die Lebenswissenschaften Die biologischen Wissenschaften des 19. Jahrhunderts sind, wie Nietzsches Lektüren im Bereich dieser Disziplin, geprägt von der Idee der Evolutionstheorie. Dabei ist, so Solies, Nietzsches Beschäftigung mit der Naturwissenschaft im Allgemeinen und der Biologie im Besonderen weder so zentral, wie er selbst es gelegentlich darstellt, noch ist sie so marginal und lediglich auf populärwissenschaftliche Lektüre reduzierbar, wie von manchen früheren Interpreten behauptet. Die zeitgenössische Biologie erfüllt, wie Solies hervorhebt, für Nietzsche eine wichtige Funktion, indem sie eine Ergänzung und Alternative zur idealistischen Philosophie darstellt. Dies gilt für Nietzsche insbesondere hinsichtlich der Zeit seines Schaffens zentralen Frage nach der Organisationsstruktur organischen Lebens. Wesentliche Theoreme, wie die Leibphilosophie Nietzsches, bleiben ohne diesen Hintergrund schwer verständlich. Nietzsches Rezeption bleibt aber, der philosophischen Perspektive verpflichtet, eine kritische. Solies weist auf die Nietzsche bekannten Positionen etwa Rolphs, Naegelis und Drehers hin. Wesentlicher Punkt der Kritik ist dabei nicht die Struktur, sondern das Movens, der Antrieb des Prinzips der Evolution: Nietzsche ersetzt das (Art-) Erhaltungsprinzip durch ein Steigerungsstreben, das sich zuletzt im Konzept des Willens zur Macht abbildet.

Pietro Gori: Nietzsche and Mechanism Gori untersucht Nietzsches Position zum mechanistischen epistemologischen Common Sense seiner Zeit, der von einer materialen Basis ausgehend die Welt in physikalischen Schemata zu erfassen sucht. Insbesondere durch Lange ist Nietzsche mit dem Materialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts vertraut und übt in wesentlichen Punkten Kritik an der positivistischen Fixierung auf physikalische Grundbegriffe. In einer interessanten Parallele zu Mach, dessen Schriften er allenfalls auszugsweise rezipiert hat, weist Nietzsche darauf hin, dass auch Begriffe wie ‚Materie‘, ‚Atom‘ bis hin zu ‚Wahrheit‘ in einem historischen Prozess entstandene Konzepte sind. Ihr unhinterfragter Status verdankt sich nur der Geschichtsvergessenheit, die sie vermeintlich ihrer metaphysischen Wurzeln und ihrer Bedingtheit entledigt. Auf einer zweiten Ebene, hier die populäre Idee der Evolutionstheorie ausweitend, sind die konventionellen physikalisch-mechanistischen Theoreme zudem nicht in der Lage, die von Nietzsche zentral gestellte Idee des Werdens der Welt adäquat zu erfassen. Die Modernität dieses kritischen wissenschaftshistorischen Ansatzes, der sich bei Nietzsche und Mach findet, wird etwa in den Ansätzen Poincarés, Einsteins und Kuhns im 20. Jahrhundert aufgegriffen und ausgebaut.

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Lisa Heller

Tobias Dahlkvist: Nietzsche and Medicine Das Interesse an der Medizin ist, wie Dahlkvist betont, für den zeitlebens von ernsten körperlichen Beschwerden geplagten Nietzsche ein genuin persönliches und richtet sich nicht primär auf den Erwerb abstrakten Wissens. Gleichwohl geht aus diesem Interesse eine leidenschaftlich betriebene philosophische Aufarbeitung hervor. Zentral ist, dass Nietzsche eine Brücke schlägt zwischen physischen und psychischen, geradezu geistigem Leiden. Ein Vorzeichen ist für Nietzsche die Interpretation von Krankheit als Symptom der Décadénce. Nietzsches ausgedehnte Rezeption zeitgenössischer medizinischer Ansätze, Dahlkvist nennt Bourget, Féré und Ribot, unterstützt diese Interpretation. Der Fokus des kurativen Ansatzes, den Nietzsche unter der Lektüre von Loewenfeld, Joly und Lombroso entwickelt, ist wiederum erstaunlich stark auf die Physis bezogen: Fragen der Diätik und des zuträglichen Klimas werden zu der Suche nach einer angemessenen Lebensart des Genies. Nietzsche entwickelt in Ecce Homo ein, wie Dahlkvist es beschreibt, „hygienisches System“ der Lebensführung, zu dem Montaignes Essais wiederum einen nicht unwesentlichen inspirativen Beitrag leisten.

Irene Treccani: Nietzsche und die Astronomie Entscheidende technische Errungenschaften wie die Verbesserung der Teleskope sowie die Erfindung von Fotografie und Spektrografie machen im 19. Jahrhundert bahnbrechende astronomische Innovationen möglich. Messungen der Entfernungen im Weltall und der tatsächliche Bewegungen von Sonne und Sternen geben einen Einblick in die Weite und Plastizität des Kosmos. Wie Treccani durch die Rekonstruktion seiner zahlreichen Buchkäufe und Ausleihen belegt, fällt Nietzsches Interesse an der Astronomie vorwiegend in die jeweils erste Hälfte der 1870er und der 1880er Jahre. Am Beispiel seiner theoretischen und metaphorischen Äußerungen zur Sonne verdeutlich Treccani, inwiefern das Wissen von astronomischen und physikalischen Zusammenhängen Nietzsches Denken auch nach eigenem Selbstverständnis geprägt hat. Nicht nur kommt dieser Himmelskörper unzählige Male in seinen Werken, Fragmenten und Briefen vor, einige Entdeckungen der zeitgenössischen Astronomie stehen auch in einer direkten Verbindung zu wichtigen Philosophemen Nietzsches. Zum Beispiel die „astronomische Verspätung“: Das erst nach dem Verglühen ferner Himmelskörper die Erde erreichende Licht interpretiert Treccani als Inspiration für die Idee Nietzsches, dass etwa auch das Gotteskonzept als verspätete Repräsentation eines vergangenen Referenzsystems zu betrachten sei. Darüber hinaus inspiriert Nietzsche das Theorem der „Sonnenverschwendung“ in seinem Kampf gegen teleologische und theologische Vorstellungen des Kosmos. Die astronomische Forschung bestärkt Nietzsche somit in seinem Projekt einer (post-) kopernikanischen Dezentrierung des Menschen.

Ausführliche Inhaltsübersicht

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III. Geisteswissenschaftliche Kontexte Christian Benne und Carlotta Santini: Nietzsche und die Philologie Die Philologie wird im 19. Jahrhundert zu einer Leitwissenschaft. Aus den humanistischen Grundlagen entwickelt eine Reihe ambitionierter Forscher im kontroversen Dialog eine moderne Disziplin, die Nietzsche wohl nachhaltiger geprägt als jede andere Wissenschaft. Nietzsches Auseinandersetzung mit philologischen Themen beginnt früh, mit dem philologischen Schwerpunkt seiner intellektuellen Ausbildung in Schulpforta, an die sich ein Studium der Philologie in Bonn und Leipzig anschließt. Wichtigste Figur dieser Zeit für Nietzsche ist Friedrich Ritschl, dem eine Synthetisierung der divergierenden Kräfte des Fachs gelingt, indem vermittelst einer strengen Methodik die Textkritik und Quellenforschung mit prosodischen, metrischen, epigraphischen und literaturhistorischen Studien verbunden werden. Zwischen 1869 und 1879 hat Nietzsche den Lehrstuhl für griechische Sprache und Literatur in Basel inne. Das breite Spektrum der behandelten Gegenstände seiner Vorlesungen, die hier genau untersucht werden, reicht von griechischer Literaturgeschichte über Metrik, Rhythmik und Rhetorik bis zur prägenden Auseinandersetzung mit philosophischer Literatur. Innovationspotential entfaltet die Studie Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik mit dem Anspruch, die Philologie in die Moderne zu führen. Urform der Bildung, Kunst des Lesens, der sukzessiven Textaneignung und trotz der wissenschaftlich strengen Methoden Hort der Ästhetik zu sein – das ist es, was Nietzsche nach Benne und Santini einer guten Philologie anträgt. Auch wenn die Philologie im späteren Werk aus dem unmittelbaren Rampenlicht zurücktritt, bleibt sie das Fundament der Bühne der nietzscheschen Ideen.

Anthony K. Jensen: Nietzsche and Historiography Der Beitrag von Jensen betont nicht nur die grundsätzliche, sondern auch die vielfältige Bedeutung geschichtswissenschaftlichen Denkens für Nietzsche. Schon sein Lehrer Koberstein macht ihn in Schulpforta mit den historischen Ausführungen der klassischen Autoren vertraut, die Studien in Bonn und Leipzig erweitern das Bild um zeitgenössische Debatten. Prägend für die methodische Positionierung der Disziplin sind Hermann und Boeckh, sowie der Bonner Philologenstreit zwischen Jahn und Ritschl. Aber schon Nietzsches Basler Vorlesungen stellen den zeitgenössischen Positionen die Notwendigkeit der Einbettung historisch-philologischer Untersuchungen in ein philosophisches Konzept entgegen. Mit der Geburt der Tragödie ist dieses, unter dem Einfluss von Schopenhauer und Burckhardt, noch ein wesentlich ästhetisches. Dezidiert kritisiert Nietzsche in Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben das Objektivitätsstreben seiner Zeitgenossen bezüglich historischer Rekonstruktionen.

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In der Genealogie der Moral kulminiert Nietzsches geschichtswissenschaftliche Thetik: Das Projekt der Werterelativierung zeigt exemplarisch einerseits die historische Bedingtheit von Werten als Ergebnis eines Kampfes der Willen zur Macht, von dem andererseits auch der Chronist nicht unabhängig ist, sondern seine eigene Perspektive etablieren möchte. In einer gewissen Parallelität zur Kritik Windelbands, Rickerts und Diltheys an der Möglichkeit objektiver historischer Rekonstruktion formuliert Nietzsche damit eine Spielart des perspektivischen Relativismus. Diese Position, die die Geschichtsschreibung philosophisch indiziert, prägt die Rezeption, die wie Jensen hervorhebt, wiederum eine wesentlich philosophische ist.

Nikolaos Loukidelis: Nietzsche und die „Logiker“ Loukidelis führt exemplarisch vor, welch tiefgehende Analyse zuweilen nötig ist, um Nietzsches Quellen und damit die Verwobenheit mit den Denktraditionen seiner Zeit zu entwirren. Anhand der Problematisierung der Sentenz „Ich denke“ in Jenseits von Gut und Böse, mit der Nietzsche manche „Vorurteile der Logiker“ verbunden sieht, rekonstruiert Loukidelis eine Vielzahl von Autoren, die hinter dem Kürzel „Logiker“ verborgen sind. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die Logik im 19. Jahrhundert ein weiteres philosophisches Feld umfasst als die Assoziation mit einem formalen Fachgebiet der Philosophie heute nahe legt. Die kontextuelle Analyse zeigt eine Breite des philosophischen Hintergrundes, den die aphoristische Form nicht auf den ersten Blick freigibt. Durch Nietzsches Rezeption von Teichmüller, Drossbach und Widemann und des Weiteren Spir, Lange und Lotze, die hier in ihren jeweiligen Spezifika entfaltet werden, entdeckt man die Vielschichtigkeit der Konzepte Nietzsches von „Ich“, „Sein“ und „Bewusstsein“. Dabei wird auch zutage gefördert, dass sich hinter der vermeintlichen Kritik an dem Personenkreis der „Logiker“ für Nietzsches Philosophie zentrale Differenzierungen mit deren Lektüre verbinden lassen.

Mattia Riccardi: Nietzsche und die Erkenntnistheorie und Metaphysik Im Fokus der Untersuchung Riccardis stehen zwei Themenkomplexe, die in einem internen Spannungsverhältnis zu stehen scheinen: die (skeptische) Falsifizierungsthese und das (positive) Konzept des Willens zur Macht. Die Kontextualisierung dieser Philosopheme durch zeitgenössische Ansätze zeigt, entgegen der Ansätze von Clark und Leiter, dass sie beide als elementare Elemente der nietzscheschen Epistemologie zu betrachten sind. Die ihnen zugrunde liegende Idee der Unzulänglichkeit von Wahrnehmung und sprachlicher Repräsentation erfährt dabei eine Reihe von Umformungen, inspiriert durch Nietzsches wissenschaftlich-philosophisches Umfeld.

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Frühe Ansätze Nietzsches rücken vor allem die Verfälschung der Realitätswahrnehmung durch die Spezifika der Wahrnehmungsprozesse ins Zentrum des Interesses. Als maßgeblich für diese Konzeption können Müller, Helmholtz, Liebmann und Czermak gelten. Unter dem Einfluss von Teichmüller und Spir wird die Unzugänglichkeit in den Bereich der Verarbeitung der Kognition verlagert. Im späten Werk rücken dagegen begriffliche Konzepte wie Materie, Einheit oder Kausalität stärker in den Fokus. Riccardi untersucht, wie Nietzsche im Zusammenhang mit der Lektüre von Drossbach, Mainländer und Bilharz das schopenhauersche Willensmodell zu einem Konzept mit individuierten, sich gegenseitig konstituierenden relationalen und intentionalen Machtzentren ausbaut. Spezifisch für dieses Konzept ist die Auflösung eines unidirektionalen Kausalverhältnisses zugunsten eines wechselseitigen Wirkmodells.

Benedetta Zavatta: Nietzsche and Linguistics Linguistik als eigenständige Disziplin emanzipiert sich Mitte des 19. Jahrhunderts von der klassischen Philologie und Altertumswissenschaft. In diesem Zuge gewinnen auch Fragestellungen Raum, die den determinativen Charakter der Sprache untersuchen, ihren denkprägenden Einfluss philosophisch, religionswissenschaftlich und psychologisch analysieren. Die fundamentale Rolle der Sprache für unsere Auffassung von der sozialen und natürlichen Welt tritt mehr und mehr ins Bewusstsein. Insbesondere auf diesem Feld einer philosophisch-anthropologischen Ausrichtung verortet Zavatta das Interesse Nietzsches und verfolgt exemplarisch seine Auseinandersetzung mit den Schriften Steinthals und Müllers. Nietzsches Lektüre dieser Autoren nimmt in den frühen Basler Jahren ihren Anfang und findet etwa in Vom Ursprung der Sprache unmittelbaren Niederschlag, bleibt aber auch für das philosophische Werk, besonders hervorgehoben wird Menschliches Allzumenschliches, maßgeblich. Das Konzept von Sprache als ausschlaggebender Grundlage, wie etwa in Nietzsches philosophischer Problematisierung der Kausalität oder der Verbindung von Gottesglaube und Grammatik, lässt sich auf Steinthal zurückführen. Die Idee einer sprachlichen Vorstrukturierung, die durch die spezielle Natur sowohl theoretische Konzepte als auch größer angelegte Mythen ganzer Sprachgruppen hervorbringt, gründet auf der Weiterentwicklung spezifischer Ideen Friedrich Max Müllers.

Andreas Urs Sommer: Nietzsche und die Religionswissenschaft Die Dominanz der christlich-religiösen Herkunftsperspektive wird, nach Sommer, schon in Schulpforta gebrochen: Nietzsche kommt hier unter der Anleitung von Koberstein mit germanischer Mythologie sowie jüdischer und islamischer Religionstheorie in Berührung. Als darauf aufbauend kann man die Studien der historischkritischen und vergleichenden Religionswissenschaft in Bonn und Leipzig unter

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Schaarschmidt, Brockhaus, Ritschl und Curtius betrachten. Auch in der Basler Zeit bleibt Nietzsches Interesse an diesem Gegenstand erhalten. Müller, Tylor und Lubbock sowie später Bachofen und Burckhardt befruchten seine theoretische Auseinandersetzung mit diesem Feld. Für die in den Vordergrund tretende religionskritische Haltung ist der Einfluss Overbecks besonders hervorzuheben. Exemplarisch zeigt Sommer, wie die Religionswissenschaft auf unterschiedlichen Ebenen Spuren im späten Werk hinterlassen hat. Lagardes politisch-agitatorische Absichten regen Nietzsche selbst zu einer stärker interessegeleiteten Beschäftigung mit Religion an, die eine wesentlich kritische werden soll. Jacolliots Schriften wirken dagegen inhaltlich, inspirieren Nietzsche zum Ideenkomplex des Primat des Vornehmen, Starken und Lebensbejahenden. Ausgerechnet die philologisch unzulängliche und selektive Version des Manu-Gesetzbuches von Jacolliot ist hier maßgeblich. Auch in der Rezeption Wellhausens steht eine philosophische Aneignung und Umwertung der Ideen im Vordergrund; Religion bleibt für Nietzsche trotz des weitgehend konsensfähigen Anthropomorphismus derselben aufgrund ihres immer noch moralprägenden Charakters ein elementarer Gegenstand, der im Kontext eigenständiger und eigensinniger Lektüre spezifischer Schriften philosophisch reflektiert und kritisiert wird.

IV. Sozialwissenschaftliche Kontexte Thomas Brobjer: Nietzsche and Economics Ökonomie scheint für Nietzsche ein auf den ersten Blick wenig relevanter Gegenstandsbereich gewesen zu sein: Weder lassen sich Lektüren der „großen Ökonomen“ des 18. und 19. Jahrhunderts nachweisen, noch werden ökonomische Themen zu bestimmenden Elementen im Werk. Brobjer differenziert diesen Eindruck. Anhand von Briefen, Notaten und Annotationen wird besonders zwischen 1875–1881 ein erstaunliches Lesepensum und ein explizites Interesse Nietzsches an ökonomischen Fragestellungen sichtbar. Schön während der 1870er Jahre in Leipzig besucht Nietzsche Wilhelm Roschers Vorlesung „Vergleichende Statistik und Staatskunst der europäischen Staaten“. Vertieft und angeregt wird die Auseinandersetzung durch die Bekanntschaft mit den Basler Ökonomen von Miaskowski und Schönberg. Zu der ab Anfang der 1880er Jahre frequentierten Literatur gehören etwa Bagehot, Lindwurm, Lange und Dühring sowie später Carey, Frantz, Block und Bebel. Auch wenn Nietzsche, wie Brobjer betont, keiner der prominenten Bewegungen vom Sozialismus bis zum Liberalismus Sympathie entgegenbringen konnte und eine explizite Teilnahme an den fachlichen Diskursen nicht zuletzt aus diesem Grund unterbleibt, ist die Auseinandersetzung mit systematischen und politischen Fragen der Ökonomie nicht folgenlos geblieben. Ein interessantes Ergebnis der Rezeption Nietzsches besteht, wie Brobjer herausarbeitet, in begriffliche Anleihen; als ein wei-

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teres und folgenreicheres kann man die Etablierung der „ökonomischen Welt“ zu einem Gegenmodell der Sphäre der Kultur verstehen.

Maria Cristina Fornari: Nietzsche und die politische Philosophie Mehr noch als bezüglich anderer Disziplinen steht eine Rekonstruktion der politischen Philosopheme Nietzsches vor der dringenden Aufgabe, diese aus aneignenden Interpretationen des 20. Jahrhunderts zu lösen und ihrem historischen Kontext und einem angemessenen Verständnis zuzuführen. Wesentlich ist zu diesem Zweck, sich Nietzsches Motivation vor Augen zu führen, die ähnlich wie das Interesse an ökonomischen Fragestellungen aus einem Ringen um Kultur entsteht. Nietzsches Ideen entwickeln sich, wie Fornari herausarbeitet, in Anlehnung an Mill und werden durch die Lektüre von Tocqueville sowie zeitgenössischer Soziologen, etwa Comte, Fouillée, Guyau und Espinas, befruchtet. Nietzsches Projekt ist im Wesentlichen eine auf den demokratisch ausgerichteten Common Sense zielenden Umwertung. Die durch die gesellschaftliche Ordnung repräsentierte Kultur soll von den Fesseln der traditionellen Moral befreit werden. In der Kritik stehen dabei die Orientierung an einem starren durch „Gut“ und „Böse“ flankierten Regelwerk und das als Dekadenzphänomen interpretierte zeitgenössische Gleichheitsideal. Dem sei eine Gesellschaft der „erneuerten Subjektivität“ entgegenzusetzen, die vom Individuum ausgehend und auf dieses zielend, differenzierte Entfaltungsmöglichkeiten hervorbringt.

Chiara Piazzesi: Nietzsche and Sociology Nietzsches Zugang zu der neu entstehenden Disziplin der Soziologie ist ein kritischer. In der Hauptsache bezieht sich Nietzsche auf Comte und Mill, wobei letzterer als zentrale Quelle auch zu Comte fungiert, aber auch Spencer und Fouillée sind Gegenstand der Rezeption Nietzsches. Piazzesi arbeitet die zentralen Merkmale dieser Kritik auf der epistemologischen und inhaltlichen Ebene heraus. Erkenntnistheoretisch steht hier der Positivismus der zeitgenössischen Ansätze in der Kritik, diese seien weder als eine unter anderen möglichen Interpretationen gekennzeichnet noch perspektivistisch konzipiert. Damit geht trotz eines deskriptiven Selbstverständnisses ein normatives Postulat einher, das zudem inhaltlich ein in der christlichen Moral verankertes Fortschrittsmodell propagiert. Ein Gegenentwurf müsste nach Nietzsche auch einen neuen epistemologischen Zugang, eine kritische Distanz zur Idee einer universellen und teleologisch konzipierten Geschichte enthalten. Eine solche inhaltliche und formale Neuausrichtung findet sich in den von Nietzsche inspirierten Zugängen der Jahrhundertwende, insbesondere bei Max Weber. Piazzesi arbeitet auch die Einflüsse auf Tönnies, Mayreder und Alfred Weber heraus

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und rekonstruiert die Übernahme inhaltlicher Elemente durch Tönnies, Simmel und Scheler.

Martin Liebscher: Nietzsche und die Psychologie Psychologische Blickwinkel und Ideen prägen Nietzsches philosophisches Werk zu einem wesentlichen Anteil, auch wenn sein Selbstverständnis als Begründer der Psychologie Liebscher zufolge allzu hoch gegriffen ist. Die Entstehung der Psychologie als eigenständiger Disziplin ist eher das Verdienst der konträren Ansätzen von William James und Wilhelm Wundt. Nietzsche kommt durch die Lektüre der von Ribot gegründete Pariser Zeitschrift Revue philosophique de la France et de l’étranger nicht nur mit den Thesen dieser rivalisierenden Gründungsväter in Berührung, als zentrales Organ des zeitgenössischen psychologischen Diskurses wird die Zeitschrift auch rekonstruierbarer Anlass zu weiteren Lektüren. Hier sind neben Gerber und Helmholtz auch Czermak und Zöllner zu nennen, deren Ideen zum Unbewussten und insbesondere zu unbewussten Schlüssen Nietzsche erkenntnistheoretisch verarbeitet. Dumonts Thesen zu Vergnügen und Schmerz finden Nietzsches Zustimmung durch ein dem Willen zur Macht sehr ähnliches Modell organisierter Elemente. Joly gibt Nietzsches durch die Auseinandersetzung mit einem weiteren zentralen Theorem, der Genie-Thematik, Anlass zur Lektüre. Auch Nietzsches Kritik des auf das Leiden fokussierten Christentums und das damit verbundene Projekt der Umwertung der Werte kann im Kontext seiner Beschäftigung mit Féré und der noch allgemeiner gefassten Metaphysikkritik in Höffdings erfahrungsbasierter Psychologie begriffen werden.

I. Nietzsche im 19. Jahrhundert

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Nietzsches Philosophie und das „Age of Science“ „Aus drei Anecdoten ist es möglich, das Bild eines Menschen zu geben“ schreibt Nietzsche 1873 in den Vorbemerkungen zur Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (KSA 1, S. 803), allerdings ohne eine solche Programmatik dann bei seiner Rekonstruktion der frühgriechischen Philosophie systematisch anzuwenden. Gleichwohl wird auf den folgenden Seiten der Versuch unternommen, aus drei Anekdoten zu einer Signatur von Nietzsches Gedankenwelt im Kontext seiner zeitgenössischen Wissenschaften zu kommen. Mehr als eine anekdotisch-schlaglichtartige Kontextualisierung Nietzsches ist jedenfalls in diesem einleitenden Essay nicht möglich und würde auch dem Ziel eines Überblicks zuwiderlaufen. Die erste Anekdote spielt im Frühjahr 1849 im Zusammenhang der Frankfurter Kaiserdeputation und erhellt von dort aus die Ambivalenzen und Dynamiken der Lebenszeit Nietzsches. Dabei versuche ich zu zeigen, dass Nietzsche das verbreitete historische Bewusstsein und den Aufstieg der Naturwissenschaften seiner Zeit ebenso produktiv verarbeitet wie den beginnenden Wahrheitsgewissheitsverlust und den gleichzeitigen Fokus auf die Zukunft (1). Die zweite Anekdote setzt Anfang 1869 an, als Nietzsche das Extraordinariat für klassische Philologie in Basel angeboten bekommt, und macht mit seinen Plänen und mit seinen wissenschaftlichen Lektüren und Einflüssen vertraut. So wird deutlich, dass bei Nietzsche klassische Philologie, Naturwissenschaften und Philosophie nicht in einem Konkurrenzverhältnis stehen, sondern eine originelle Verbindung eingehen (2). Die dritte Anekdote handelt von einem Brief, den Nietzsche im November 1887 an seinen Verleger schickt und gibt Auskunft darüber, auf welche Leser Nietzsche seinerseits zu wirken und in welche Kontexte er sich einzuschreiben hoffte. Diese Geschichte hat einige Implikationen für die quellengenetische und intertextuelle Forschung (3). Während der erste (und längste) Abschnitt einen allgemeinen Eindruck vom „Zeitgeist“ des 19. Jahrhunderts zu vermitteln sucht, wenden sich die beiden weiteren in zunehmend konkreter Weise Nietzsches spezifischen Rezeptionsweisen in diesem Kontext zu.

1. „Prämissen des Maschinen-Zeitalters“ – Nietzsche im Kontext seiner Zeit Nach langen und hitzigen Debatten in der Frankfurter Paulskirche entschließt man sich schließlich zu einer kleindeutschen Lösung mit dem König von Preußen als Kaiser eines deutschen Verfassungsstaates. Besonders die gemäßigten Kräfte hoffen, so wichtige Ziele der Revolution zu verwirklichen. Als eine Delegation der National-

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versammlung am 3. April 1849 dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV in Berlin die Kaiserkrone anbietet, hat dieser sich seine Antwort wohl längst überlegt. Zeit hatte er jedenfalls genug dazu. Dennoch lehnt er die Offerte erst nach gehöriger Abwägung mit diplomatischen Worten ab. In einem Brief an den Freiherrn von Bunsen vom 9. April 1849 erklärt sich der König hingegen sehr deutlich: „Man nimmt nur an und schlägt nur aus eine Sache, die geboten werden kann, – und Ihr da habt gar nichts zu bieten: Das mach’ ich mit meines Gleichen ab; jedoch zum Abschied die Wahrheit: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ (zit. nach Ranke 1873, S. 272). Die Kaiserwürde könnte ihm allenfalls eine Versammlung deutscher Fürsten antragen, nicht aber das Frankfurter Parlament der Professoren. Die Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft beruhe auf dem Gottesgnadentum und bedürfe keines verfassungsrechtlichen Fundaments. Legitimationstheoretisch ruht Friedrich Wilhelm IV damit fest in der Gedankenwelt des traditionellen ständischen Regimes. Mit seiner Entscheidung sind die Revolution und die daraus resultierenden parlamentarischen Bemühungen um einen deutschen Verfassungsstaat gescheitert. Die Nationalversammlung löst sich auf, das Stuttgarter Rumpfparlament wird gesprengt und letzte Reste der Revolution gewaltsam nieder geschlagen. Die deutschen Lande verfallen abermals in einen Zustand polizeistaatlicher Repressionen und politischer Restauration. Das familiäre Umfeld Nietzsches dürfte diesen Ausgang der Ereignisse begrüßt haben. Carl Ludwig Nietzsche und seine Familie war – wie die große Mehrheit der protestantischen Amtsträger – monarchisch gesonnen; im Röckener Pfarrhaus hatte man über die Revolution von 1848 nicht sprechen dürfen. Nietzsche selbst konstatiert hingegen später im Rückblick auf diese Zeit: „Wir, die wir in der Sumpfluft der Fünfziger Jahre Kinder gewesen sind, sind mit Nothwendigkeit Pessimisten für den Begriff ‚deutsch‘; wir können gar nichts Anderes sein als Revolutionäre“ (EH klug 5, KSA 6, S. 288). Diese autobiographische Bemerkung ist bisweilen so aufgefasst worden, als habe Nietzsche seine Gegenwart allein als Phase muckerhafter Stagnation und Kleingeistigkeit wahrgenommen. Gedankenvoll und tatenarm blühte vor diesem Hintergrund vor allem das historische Bewusstsein. Bekanntlich diagnostiziert er 1874 seinen Zeitgenossen das Leiden an einer „h i s t o r i s ch e n K r a n k h e i t. Das Uebermaass von Historie hat die plastische Kraft des Lebens angegriffen, es versteht nicht mehr, sich der Vergangenheit wie einer kräftigen Nahrung zu bedienen“ (HL 10, KSA 1, S. 329). Ganz in diesem Sinne urteilt Michel Foucault, indem er Nietzsches Verdikt zu einer allgemeinen Charakteristik dieser Zeit ausweitet: Es ist darum verständlich, daß das 19. Jahrhundert das Jahrhundert der Historie geworden ist: die Schwächung seiner Kräfte, die Auslöschung aller eigentümlichen Charaktere führen zu denselben Resultaten wie die Kasteiungen der Askese. Es ist unfähig zu schaffen; es fehlt an Werken; es fühlt sich verpflichtet, sich auf das zu verlassen, was vorher und anderswo gemacht worden ist; es ist zur niedrigen Neugierde des Plebejers verurteilt (Foucault 1996 [1971], S. 84).

Tatsächlich gehört das historische Bewusstsein zu den entscheidenden Merkmalen dieser Zeit, wie auch so manche Stilblüte des deutschen Historismus, die Nietzsche in

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seiner zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung problematisiert (Georg / Heit 2011). Aber dennoch unterschlägt eine solche Deutung die erstaunlichen Dynamiken und Transformationskräfte des 19. Jahrhunderts, die sich ebenfalls an einem anderen historischen Detail im Kontext der Frankfurter Kaiserdeputation illustrieren lassen: Als die Delegierten der Paulskirche am Berliner Hof ihr Anliegen vortragen, weiß Friedrich Wilhelm IV längst, dass er am 28. März 1849 mit 290 Stimmen gegen 248 Enthaltungen zum deutschen Kaiser gewählt worden war. Am 12. Oktober 1847 hatte sich in einem Berliner Hinterhaus die Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske gegründet und deren vorerst größter Auftrag bestand darin, eine Ferntelegraphenlinie zwischen Frankfurt und Berlin zu realisieren. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte die Elektro- und Kommunikationstechnologie eine erstaunliche Dynamik angenommen. Werner Siemens verbesserte 1846 den von Charles Wheatstone und anderen entwickelten Zeigertelegraphen, indem er ihn mit einem selbsttätig gesteuerten Synchronlauf zwischen Sender und Empfänger versah. 1847 konstruierte Siemens zudem eine nahtlose Guttaperchal-Presse für die Isolierung von Erd- und Seekabeln. Guttapercha, der eingetrocknete Milchsaft eines gleichnamigen Baumes, stammte aus der seit 1824 britischen (vorher niederländischen) Kolonie Malaya. Der Bau der Telegraphenlinie setzte so einen globalen Markt voraus, der seinerseits entweder direkt auf einer gewaltförmigen Ausbeutung kolonialer Ressourcen beruhte oder auf einer Politik, die man „treffend als ‚Freihandelsimperialismus‘ bezeichnet“ (Osterhammel 2009, S. 654). Erdkabel waren nötig, um die Telegraphenleitungen vor Saboteuren zu schützen, denn die „Volksmeinung glaubte, die Telegraphenanlagen würden vom Staat hauptsächlich geschaffen, um schnell Truppen gegen Aufrührer in Marsch setzen zu können, sie seien also ein Machtmittel der Reaktion gegen die Volksfreiheiten“ (Siemens 1961, S. 23). Immerhin lag die administrative Zuständigkeit für die Telegraphie in Preußen zunächst beim Kriegsministerium, bevor sie im Februar 1849 zum Ministerium für Handel und Gewerbe wechselte. Siemens und Halske ließen daher wo immer möglich Erdkabel entlang der Bahnlinien verlegen und tatsächlich gelang es der jungen Firma, diese seinerzeit auf dem Kontinent längste Leitung rechtzeitig fertig zu stellen. „Als das Wahlergebnis noch in der Stunde seiner Verkündung von der Frankfurter Paulskirche aus nach Berlin übermittelt wurde, war dies eine vielbeachtete technische Leistung, die dem Unternehmen hohes Ansehen eintrug“ (Feldenkirchen 1997, S. 28). Während also die Meldung, die am 28. März 1849 von Frankfurt nach Berlin über den Ticker ging, ihrem Inhalt nach Ausdruck ermäßigter Fortschrittshoffnungen ist und in ihren Konsequenzen zur politischen Restauration gehört, so markiert die Form ihrer Übermittlung deutlich die ingenieurwissenschaftliche und technologische, aber auch die imperiale und ökonomische Dynamik dieser Zeit. Die Geschichte der Telegraphie erweist sich dabei selbst als komplexer internationaler Prozess, in dessen Verlauf genau das geschieht, wofür die Fernmeldetechnik selber exemplarisch steht: Vernetzung und Beschleunigung. Menschen und Materialien aus aller Welt sind an ihrer Entwicklung beteiligt, ein erfinderischer Privatunternehmer will mit ihr Geld verdie-

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nen, und trotz ihrer ordnungspolitischen Bedeutung hat sie fraglos zu kulturellen und sozialen Transformationen beigetragen. Im 19. Jahrhundert verbinden sich, wie diese Anekdote um die Kaiserdeputation von 1849 zeigt, politische und ökonomische, globale und lokale, wissenschaftliche und technische Faktoren zu einer umfassenden, in sich ungleichzeitigen Dynamik, die Jürgen Osterhammel sehr passend als Verwandlung der Welt charakterisiert hat (Osterhammel 2009).1 Das Bewusstsein dieser dynamischen Transformation und ‚Gegenwartsschrumpfung‘ (Hermann Lübbe) ist unter den Zeitgenossen durchaus präsent und zeigt sich in der romantischen Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit ebenso wie in der technokratischen Hoffnung auf eine vollständige Beherrschung der bisherigen Unwägbarkeiten. Einen besonders prägnanten Ausdruck dieser Erfahrung gibt ein Dokument aus dem Jahre 1848: Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen zu sehen (Marx / Engels 1962 [1848], S. 465).

Nietzsche, der diesen Text und seine Urheber nicht weiter zur Kenntnis genommen hat, wäre sicher zurückhaltend, die zu konstatierende Dynamik vor allem mit der auf Dauer gestellten Innovationsnot einer bürgerlichen Klasse zu erklären, deren Existenz auf der kapitalistischen Profitmaximierung beruht.2 Ein sozioökonomischer Reduktionismus liegt ihm fern. Aber die fortgesetzte Dynamik seiner Zeit, den zugrundeliegenden Geist der Bemächtigung und die vielfältigen Wirkungen der Wandlungsprozesse nimmt er deutlich wahr. Mit der Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft etablieren sich neue kulturelle und soziale Institutionen, die in wesentlichen Teilen auch das folgende Jahrhundert prägen. Dazu gehören nicht nur die Industrialisierung und Technisierung der Arbeits- und Lebenswelt, sondern auch die Prozesse des europäischen nation-building sowie der Demokratisierung und Konstitutionalisie1 Auch Osterhammel sieht in der Beschleunigung durch Telegraphie und Eisenbahn „einen Bruch mit aller früheren Geschichte“, wobei ich ihm nicht zustimmen mag, dass deren Entwicklung „keine anderen als technologische Ursachen“ hatte (Osterhammel 2009, S. 126). 2 Dass Nietzsche Marx und Engels nicht direkt rezipiert hat, auch wenn er einige ihrer Gedanken gekannt haben dürfte (Brobjer 2002), ist weniger verwunderlich, als es aus der nachgeborenen Perspektive erscheinen könnte. Die Karriere des Kommunistischen Manifests und auch von Marx beginnt (ähnlich wie diejenige Nietzsches) mit Zeitverzögerung (Hobsbawm 2012, S. 13 und S. 108–128) und entfaltet ihre öffentliche Wirksamkeit vollends erst mit dem Ende der Sozialistengesetze und dem Erfurter Programm von 1891. Ein Indiz für die relativ geringe Sichtbarkeit von Marx in den 1860er70er Jahren ist, dass er in der ersten Auflage von Langes Geschichte des Materialismus von 1866 lediglich einmal und in der zweiten von 1873–75 auch nur in vier Fussnoten erwähnt wird.

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rung des Politischen, die Kolonialisierung und Globalisierung der Welt, die Liberalisierung der Märkte, die Trennung von Staat und Kirche, und der Wechsel von aristokratischen Standes- und Geburtsrechten zu einem meritokratischen Arbeitsethos, das später Max Weber als Geist des Kapitalismus bezeichnet. Natürlich ist es aussichtslos, eine derart komplexe Zeitspanne auf einen Begriff bringen zu wollen, aber mir scheint doch ein Aspekt besonders auffallend: Das allgemeine Gefühl für die Möglichkeiten des Menschen ist sehr groß. Anders noch als Hauke Haien, der in Theodor Storms Schimmelreiter mit sturen Widerständen zu kämpfen hatte, gewinnt eine praktisch veranlagte „Ingenieur-Erfindsamkeit“ (GM III 9, KSA 5, S. 357) vor allem seit der zweiten Hälfte des Säkulums kulturelle Hegemonie. Mehr als in früheren Zeiten sehen Nietzsches Zeitgenossen die Welt als einen gestaltbaren Raum, die Zukunft ist offen. Das gleichzeitige Auftreten romantischer Vergangenheitsverklärung und eine tragisch-pessimistische Kritik des Machbarkeitswahns ist selbst Produkt dieser Dynamik und bestätigt ihre Dominanz. Dadurch, dass das Heilige entweiht wird und das Ständische und Stehende verdampft, erweist es sich einerseits als zeitbedingte Konvention und eröffnet andererseits den Blick auf neue, zukünftige Möglichkeiten. Einen deutlichen Ausdruck findet die Idee einer offenen und gestaltungsfreien Sphäre von Möglichkeiten in den unterschiedlichsten Spielarten einer allgemeinen Frontier-Mentalität. Frontiers waren im 19. Jahrhundert vieles: Räume der Urbarmachung und Produktionssteigerung, Migrationsmagneten, umstrittene Berührungspunkte zwischen Imperien, Brennpunkte von Klassenbildung, Sphären von ethnischem Konflikt und Gewalt, Entstehungsorte von Siedlerdemokratie und Rasseregimen, Ansatzpunkte von Phantasmen und Ideologien (Osterhammel 2009, S. 563).

Auch in dem Glauben an die Zukunftsfähigkeit und die Fortschrittsräume der Wissenschaften zeigt sich diese Grenzen suchende, austestende und überschreitende Haltung. Vor allem in der Erforschung und Beherrschung der Natur dokumentiert sich der epistemologische Optimismus. Dementsprechend wird das 19. Jahrhundert nicht nur aus der nachgeborenen Perspektive als Age of Science rubriziert (Knight 1986), sondern so erschien es schon in den zeitgenössischen Rückblicken: „It will be generally admitted that the scientific spirit is a prominent feature of the thought of our century as compared with other ages. […] The century may thus be called with some propriety the scientific century“ (Merz 1896–1914, I, S. 89). Das Etikett der „Wissenschaftlichkeit“ macht sich dabei nicht nur an den vielfältigen Forschungsergebnissen dieser Zeit fest, sondern auch an den sozialen und technischen Anwendungen und an der disziplinären Institutionalisierung der Wissenschaften. Spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergeben sich im Rahmen der Industrialisierung sowie durch die zunehmende Empirisierung der Naturwissenschaften immer öfter auch praktische Effekte der Forschung in Technik, Industrie, Medizin und Gesundheitspflege. Besonders deutlich ist diese Verbindung in der agro-chemischen Landwirtschaft (Ullmann 1995, 41–49, S. 95–117), deren Effizienz nicht zuletzt durch die

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Forschungen Liebigs so gesteigert wird, dass ihr Anteil an den Beschäftigten in Deutschland zwischen 1816 und 1913 von 80% auf weniger als 30% sinkt, während gleichzeitig eine massiv wachsende Bevölkerung (von 23,4 auf 65,2 Mio.) ernährt sein will. Hier trat die Naturwissenschaft in den ihr schon von Bacon zugewiesenen Dienst der Naturbeherrschung und bahnte einer besseren Ausbeutung der Naturkräfte die Wege: Wissen war Macht. Und mehr und mehr wurde das auch für die naturwissenschaftliche Arbeit erkannt und kam der Zeit zu Bewusstsein (Ziegler 1899, S. 327).

Dabei spielte die Verbreitung der technischen anstelle der humanistischen Bildung in den seit 1850 vermehrt aufkommenden Realgymnasien und Technischen Hochschulen eine wichtige Rolle (Shinn 2003, S. 135–37). Wesentliche Aspekte der noch heute vorherrschenden institutionellen Gestalt moderner Universitäten und der disziplinären Diversifizierung der Fächer sind das Produkt des 19. Jahrhunderts. Insgesamt steigt die Zahl der Studierenden von 7.700 im Jahre 1816 auf 60.000 im Jahre 1913, proportional zur Gesamtbevölkerung von 0,03% auf 0,1%. Auch wenn die absoluten Zahlen noch sehr klein sind, dokumentieren sie doch den sozialgeschichtlichen Aufstieg und auch schon die beginnende Diffusion des Bildungsbürgertums. Eine gewisse Verunsicherung über diesen Prozess, der besonders die klassisch-humanistische Bildung und deren soziale Stellung betrifft, zeigt sich bereits in Nietzsches bildungspolitischen Überlegungen (Cancik 1995, S. 29f). Die besondere Bedeutung der Natur-Wissenschaften zeigt sich exemplarisch an drei öffentlichen Debatten des 19. Jahrhunderts: dem Materialismus-Streit über das Verhältnis von Geist und Materie, dem Darwinismus-Streit über die Folgen der Evolutions- und Deszendenztheorie und dem Ignorabimus-Streit über die Grenzen des Wissens.3 Materialistische Konzeptionen des Geistes sind so alt wie die Geschichte der okzidentalen Philosophie selbst, aber im 19. Jahrhundert erobern sie im Kontext eines allgemeinen anti-spiritistischen und anti-dualistischen Klimas eine hegemoniale Position. Nachdem Friedrich Wöhler 1828 die Synthese von Harnstoff und damit die künstliche Herstellung eines organischen Stoffes gelingt, schien so manchem eine vollständige naturalistische Erklärung des Lebendigen nur noch eine Frage der Zeit. „Ein jeder Naturforscher wird wohl“, schreibt Carl Vogt, „bei einigermaßen folgerichtigem Denken auf die Ansicht kommen, dass alle jene Fähigkeiten, die wir unter dem Namen der Seelentätigkeit begreifen, nur Funktionen der Gehirnsubstanz sind“. Daher stellt er die provokante Analogie auf, „dass die Gedanken in demselben Verhältnis etwa zu dem Gehirne stehen wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren“ (Vogt 1846, S. 17f). Vogt teilt hier nur eine Behauptung mit und sein Sekretionsgleichnis hat Aufsehen und Anstoß erregt, aber der Sache nach teilen auch

3 Zum Materialismus-Streit, zum Darwinismus-Streit und zum Ignorabimus-Streit vgl. Bayertz et al. 2007.

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besonnenere Forscher wie Emil Du Bois-Reymond (1974 [1872], S. 76) oder Ernst Mach (1987 [1882], S. 341f) die naturalistische Herangehensweise und sehen – wie im übrigen die absolute Mehrheit der Fachleute seitdem – darin die aussichtsreichste Forschungsprogrammatik. Nietzsches eigene anti-reduktionistische aber naturalistische Philosophie des Geistes gehört ebenfalls in diesen Kontext (Abel 2001, Heit 2013). Ähnliches kann man hinsichtlich des Darwinismus sagen, dieser „größten Schöpfung des Jahrhunderts“ (Müller 1902, S. 616), dem sich innerhalb weniger Dekaden fast alle Forscher in der einen oder anderen Form anschließen, auch Nietzsche (Richardson 2004). Für den deutschsprachigen Raum ist besonders bemerkenswert der Einfluss des Kosmos. Zeitschrift für einheitliche Weltanschauung auf Grund der Entwicklungslehre, der in Verbindung mit Charles Darwin und Ernst Haeckel von Otto Caspari und anderen seit 1877 herausgegeben wird. Im Vorwort zur ersten Ausgabe heißt es euphorisch: Für die Naturkunde, welche, gegenüber den sogenannten humanitären Wissenschaften, noch bis vor Kurzem nur ein geduldetes Dasein, ein der großen Menge fast verborgenes Leben geführt hat, brach mit dem reformatorischen Auftreten der Schule, die sich unter dem Banner D a r w i n ’ s schaart, ein neuer Tag an, sofern erst jetzt jene harmonische Gliederung der Theile des Kosmos, welche H u m b o l d t und so viele Denker vergangener Zeiten geahnt und bewundert haben, ihrem u r s ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h a n g e nach verständlich wurde. Unerschütterlich hat sich seitdem die Ueberzeugung befestigt, daß man auch in der Natur das Seiende nur als Gewordenes auffassen dürfe, um zu einer e i n h e i t l i c h e n , w i d e r s p r u c h s l o s e n W e l t a n s c h a u u n g zu gelangen (Caspari et al. 1877, S. 1).

Natürlich haben solche programmatischen Texte immer auch eine identitätspolitische Dimension und neigen daher zu Überzeichnungen. Insbesondere die Frontstellung gegen die „humanitären Wissenschaften“ ist vielmehr Selbstverständnis als adäquate historische Feststellung. Auch mit Blick auf die Aussichten einer universalen und konsistenten theory of everything melden sich zeitgleich skeptischere Stimmen zu Wort. Besonders Ernst Mach sah in der Wahrheitsgewissheit mancher Autoren, mit denen er die Ablehnung von Dualismus und Spiritismus teilt, noch zu viele metaphysische Reste. Er warnt davor, „eine m e c h a n i s c h e M y t h o l o g i e an die Stelle zu setzen der animistischen oder metaphysischen und damit v e r m e i n t l i c h e Probleme zu schaffen“ (Mach 1987 [1882], S. 237f). Konsequenterweise lehnt er später eine Einladung ab, dem von Haeckel und Ostwald geleiteten Monistenbund beizutreten (Blackmore 1972, S. 192–94). Anders als Du Bois-Reymond, dessen Rede über die Grenzen des Naturerkennens den Ignorabimus-Streit auslöste, sieht Mach in der prinzipiell beschränkten Reichweite menschlichen Wissens kein Problem. Im Gegenteil: mehr von den Wissenschaften zu fordern als eine möglichst sparsame, ökonomische Ordnung der Tatsachen, ist ein anachronistischer Ausdruck einer durch den Positivismus bereits überwundenen metaphysischen Erwartung. Wo Du Bois-Reymond die Unmöglichkeit erklärt, das Wesen der Materie und die Existenz des Bewusstseins vollständig zu begreifen, stellt Mach fest: „Wir brauchen eben das Fehlen einer sinn-

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reichen Antwort auf solche Fragen nicht zu bedauern. Ein Problem liegt nicht vor“ (Mach 1987 [1882], S. 239). Allerdings darf man sagen, dass Du Bois-Reymond seinerseits ebenfalls den Geltungsanspruch der Wissenschaften durch die Einsicht in diese Grenzen nicht geschwächt, sondern vielmehr gestärkt sieht: Je unbedingter aber der Naturforscher die ihm gesteckten Grenzen anerkennt, und je demütiger er in seine Unwissenheit sich schickt, um so tiefer fühlt er das Recht, mit voller Freiheit, unbeirrt durch Mythen, Dogmen und altehrwürdige Philosopheme, auf dem Wege der Induktion seine eigene Meinung über die Beziehung zwischen Geist und Materie sich zu bilden (Du Bois-Reymond 1974 [1872], S. 73; Heit 2012a, S. 18f).

Hier zeigt sich bei Mach und Du Bois-Reymond ein Prozess der Hypothetisierung der Wissenschaften, den man mit dem Wechsel von der Klassik zur Moderne im ausgehenden 19. Jahrhundert in Verbindung bringt: „Der im klassischen Wissenschaftsbegriff erhobene Wahrheitsanspruch ist für das moderne Wissenschaftsverständnis nicht mehr konstitutiv“ (Schiemann 1997, S. 137). Gregor Schiemann hat diesen Prozess vor allem am Beispiel von Hermann von Helmholtz rekonstruiert und treffend als Wahrheitsgewissheitsverlust bezeichnet. Auch daran hat Nietzsche seinen Anteil und notiert zuzeiten: „Das neue an unserer jetzigen Stellung zur Philosophie ist eine Überzeugung, die noch kein Zeitalter hatte: d a ß w i r d i e W a h r h e i t n i c h t h a b e n. Alle früheren Menschen ‚hatten die Wahrheit‘: selbst die Skeptiker“ (NL 1880, 3[19], KSA 9, S. 52). Dabei ist allerdings erstens im Auge zu behalten, dass der Übergang von der Klassik zur Moderne weder trennscharf noch geradlinig verläuft.4 Zweitens ist vor allem nicht zu vergessen, dass durch die Hypothetisierung zwar die epistemologische Reichweite der Wissenschaft eingeschränkt wird, nicht aber ihr Anspruch auf kulturelle Hegemonie. Vielmehr wird der Bereich des Erkennbaren mit dem Bereich des wissenschaftlich Erkennbaren gleichgesetzt. Was sich nicht mit den Mitteln der Wissenschaften klären lässt, lässt sich gar nicht klären. Mit dem Siegeszug einer praktisch und methodisch verstandenen Wissenschaftlichkeit geht daher zugleich eine Abkehr von Religion, Philosophie und Kunst als Formen der Erkenntnis einher. Die Religion wird mehr und mehr zu einer Privatsache, wissenschaftliche Theorien kommen ohne die Annahme eines Gottes aus und verzichten gemäß dem ökonomischen Prinzip der Sparsamkeit darauf. Nach einer bekannten Anekdote hatte schon Pierre-Simon Laplace auf die Frage Napoleons, warum in seiner Kosmologie kein Schöpfer erwähnt werde, geantwortet: „Sire, je n’avais pas besoin de cette hypothèse“. Auch bei Nietzsche fällt die Gottes-Hypothese Ockhams Razor zum Opfer (MA 28, KSA 2, S. 49). Nicht nur von den Naturwissenschaften, auch von Seiten der historischen Bibelquellen-Kritik wird der Geltungsanspruch der sogenannten Heiligen Schrift untergraben. Philosophie und Naturwissenschaften treten

4 Das gilt selbst innerhalb der Schriften von Helmholtz und von Nietzsche, wie Schiemann in seinem Beitrag zu diesem Band zeigt.

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ebenfalls immer mehr auseinander, insbesondere die „Schwärmereien für die Naturphilosophie“ (Müller 1902, S. 373) Hegelschen oder Schellingschen Typs gelten vielen inzwischen als sinnlose Spekulation. Auch die ästhetische Urteilskraft der Kunst scheidet als Instrument relevanter Erkenntnisse aus. Weder, erklärt Du Bois-Reymond 1882 beim Antritt des Rektorats der Berliner Universität, könne man Goethes Beiträge zu den Wissenschaften letztlich ernst nehmen, noch sei Doktor Faustus ein irgend attraktives Vorbild für den modernen Naturforscher: Wie prosaisch es klinge, es ist nicht minder wahr, dass Faust, statt an Hof zu gehen, ungedecktes Papiergeld auszugeben, und zu den Müttern in die vierte Dimension zu steigen, besser getan hätte, Gretchen zu heiraten, sein Kind ehrlich zu machen, und Elektrisiermaschinen und Luftpumpen zu erfinden (Du Bois-Reymond 1883, S. 23).

Die Geisteswissenschaften befinden sich kulturell in der Defensive. Das zeigt sich deutlich auch in der selbstbewussten Abgrenzung der Naturwissenschaft von der Gesamtheit der Wissenschaften durch Hermann von Helmholtz (Helmholtz 2002 [1862], bes. S. 162–65). Während die induktiv-mathematisch verfahrenden Naturwissenschaften kontinuierliche Fortschritte erwarten dürfen, denn „der Natur gegenüber besteht kein Zweifel, dass wir es mit einem ganz strengen Kausalnexus zu tun haben, der keine Ausnahmen zulässt“ (Helmholtz 2002 [1862], S. 178),5 operieren die Geisteswissenschaften mit einem weniger gesetzmäßigen Gegenstand. Helmholtz rät ihnen zu einem fortgesetzten Verzicht auf spekulative Philosophie, dann können sie von den Naturwissenschaften „in der Methode lernen und von dem Reichthum ihrer Ergebnisse sich Ermuthigung holen“ (Helmholtz 2002 [1862], S. 179). Dieser Rat ist mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Der Druck der expandierenden Naturwissenschaften führt allerdings zu einer disziplinären Selbstverständigung derjenigen Fächer, die sich nun unter den noch nicht fixierten Titeln der KulturGeistes- oder Sozialwissenschaften versammeln (Schnädelbach 1983, S. 89). Neben positivistischen und empiristischen Theorien wurde im deutschen Sprachraum besonders die historische Schule der Geisteswissenschaften als wissenschaftliche Alternative zum Idealismus entwickelt. Diesem Bemühen ist Diltheys Einleitung in die Geisteswissenschaften geschuldet, die er als Kritik der historischen Vernunft der kantischen Grundlegung der Naturwissenschaften an die Seite stellt. Dilthey versucht ausdrücklich, den Geisteswissenschaften als „selbständiges Ganze, neben den Naturwissenschaften“ einen eigenen Bereich und eine eigene Methodik zuzuweisen (Dilthey 1959 [1883], Kap. II). Der eigene Bereich sind die menschlicher Sinnstiftung unterworfenen kulturellen Phänomene, insbesondere historische Ereignisse, Texte und soziale Institutionen; die eigene Methodik ist die hermeneutische Kunst des Verstehens.

5 Diese Bemerkung deutet darauf, dass Helmholtz im Jahre 1862 den Schritt von der Klassik zur Moderne noch nicht, zumindest noch nicht öffentlich vollzogen hat.

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Zur wissenschaftlichen Signatur des Jahrhunderts gehören daher nicht nur die experimentell und mutmaßlich induktiv verfahrenden Naturwissenschaften, sondern auch das eingangs besprochene historische Denken. „Das allgemeine Bewusstsein des 19. Jahrhundert emanzipierte sich vom Idealismus im Namen von Wissenschaft und Geschichte“ (Schnädelbach 1983, S. 49). Ein Ausdruck dieser Konstellation sind auch die Veränderungen in der Universitätsphilosophie. Nachdem sie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das metaphysische Feld räumen musste, widmen sich Philosophieprofessoren verstärkt einer historischen Selbstverständigung. Wilhelm Wundt, der diesen Befund in einem Forschungsbericht zur Philosophy in Germany mit Hilfe einer Auswertung von Vorlesungsverzeichnissen begründet, sieht darin eine „complete revolution“ (Wundt 1877, S. 496). Anstelle von Metaphysik wird an den Universitäten inzwischen vor allem Geschichte der Philosophie unterrichtet. Gleichzeitig – und wohl auch beeinflusst davon – lässt sich beobachten, dass in Deutschland ein guter Teil der Philosophie inzwischen außerhalb der Seminare stattfindet. Dies zeigt sich an Strauss und Schopenhauer oder auch an den Unzeitgemäßen Betrachtungen eines gewissen „Prof. Friedrich Nietzsche of Basel“ (Wundt 1877, S. 509).6 In den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern bilden sich systematisch historische Methoden aus, verbunden mit einem starken Bewusstsein von der Gewordenheit und kulturellen Veränderlichkeit ihrer Gegenstände. Paradigmatisch dafür sind die quellengenetischen Studien, mit denen Nietzsche selbst den größten Teil seiner philologischen Forschungen verbrachte. Auch beim späteren Nietzsche spielt die bewusste Kenntnis der Geschichtlichkeit nicht nur als Krankheit eine Rolle, vielmehr ist zugleich „der Mangel an historischem Sinn“ der „Erbfehler aller Philosophen“ (MA 2, KSA 2, S. 24), dem Nietzsche durch genealogische Studien entgegenwirken will. Historisches Bewusstsein zeigt sich indes auch in den Naturwissenschaften, sei es konkret in den historischen Disziplinen wie etwa der Geologie, Paläoontologie und der Evolutionstheorie, sei es generell in dem Bewusstsein einer progressiven Fortschritts- und Verbesserungsgeschichte. Nietzsches eigene Beiträge zum Materialismus und zur Philosophie des Geistes, seine Auffassungen zur Evolutionstheorie und zur Stellung des Menschen in der Naturgeschichte, seine Gedanken über die Reichweite und Grenzen der Wissenschaften, zum kulturellen Fortschritt und zum Verhältnis der verschiedenen Wissenschaften entwickeln sich in diesem Kontext und sind ohne ihn kaum zu verstehen.

6 Nietzsche hat bei einem Aufenthalt in Rosenlaui-Bad im Sommer 1877 den Herausgeber der Zeitschrift Mind, George Croom Robertson, kennengelernt und mit ihm über den bald erscheinenden Beitrag von Wundt gesprochen (Bf. an Ree, Anfang 08.1877, KGB II/5, Bf. 643). Hätte Nietzsche übrigens die Einladung Robertsons nach London angenommen, hätte dieser ihn durchaus persönlich mit Spencer und Darwin bekanntmachen können. „Eine persönliche Begegnung zwischen Nietzsche und Darwin ist folglich der Kategorie der unverwirklicht gebliebenen historischen Möglichkeiten zuzurechnen!“ (Venturelli 2003, S. 250).

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Die Aktualität der Philosophie Nietzsches resultiert zu einem Teil gerade aus der vielfältigen Verwobenheit mit diesem Kontext. Seine eigene staatenlos-internationale Existenz verbindet ihn mit der Mobilität seiner Zeit. Seine Schwester, die mit ihrem Mann Bernhard Förster in Paraguay die deutsche Kolonie Nueva Germania gründet, ist zusammen mit sechs Millionen transatlantischen Migranten auch ein Symptom dieser Entwicklung. Das Dynamit, mit dem Widmann 1886 „Nietzsches gefährliches Buch“ (Jenseits von Gut und Böse) in einer Besprechung im Berner Bund vergleicht, war 1866 von Alfred Nobel erfunden worden und hatte dazu gedient, die GotthardBahn durch die Alpen zu schlagen (Widmann 1886; vgl. JGB 208). Nietzsche macht sich den Vergleich stolz zu eigen: „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit“ (EH Schicksal 1, KSA 6, S. 365). Die Fertigstellung des damals längsten Tunnels der Welt erwartet er ungeduldig (Bf. an Overbeck, 14.11.1881, KGB III/1, Bf. 167); ob er ihn durchquert hat, ist nicht bekannt, auch wenn er die Bahn regelmäßig benutzt und weiß, wie man leidet, „wenn ein Eisenbahn-Zug uns durch einen dunklen Tunnel fährt“ (NL 1884, 26[454], KSA 11, S. 271). So wie die Eisenbahn wird auch die Telegraphie für Nietzsche schon bald ein Instrument des alltäglichen Gebrauchs, insbesondere während des „heimatlose[n] Dasein[s] seiner zweiten Lebenshälfte“ (Janz 1994 [1978], I, S. 848). Neben ihrer lebenspraktischen Bedeutung taucht die neue Fernmeldetechnik bei Nietzsche zudem bereits in philosophischen Kontexten auf, etwa um den unmerklich schnellen Transfer von Reizen und Daten im menschlichen Organismus zu illustrieren. Die ‚Außenwelt‘ wirkt auf uns: die Wirkung wird ins Gehirn telegraphirt, dort zurechtgelegt, ausgestaltet und auf seine Ursache zurückgeführt: dann wird die Ursache p r o j i c i r t und n u n e r s t k o m m t u n s d a s F a c t u m z u m Bewußtsein (NL 1885, 34[54], KSA 11, S. 437).

Kulturdiagnostisch streicht Nietzsche die beschleunigenden Effekte der Telegraphie heraus (NL 1876, KSA 8, 19[89]) und zählt sie neben Presse und Eisenbahn zu den zentralen „P r ä m i s s e n d e s M a s c h i n e n - Z e i t a l t e r s“ (WS 278, KSA 2, S. 674), in dem wir noch heute leben. Das 19. Jahrhundert ist uns nicht zur zeitlich näher als die vorangegangene Zeit, es ist uns auch praktisch nahe, weil es die Entstehung und Verfestigung zahlreicher Institutionen und Verkehrsformen erlebt, die unsere Gegenwart noch immer entscheidend prägen. Trotz der „Sumpfluft der fünfziger Jahre“ sind Nietzsche die rasanten Bewegungen seiner Zeit und ihre ambivalenten Konsequenzen nicht verborgen geblieben. Seine Kulturdiagnostik und Kritik reflektiert auf eine Epoche dynamischer globaler Umgestaltungen und fragt nach der Richtung dieser Transformationen. Das „Maschinen-Zeitalter“ und dessen insgesamt ziellosen Machbarkeitsglauben hat er bereits entschieden kritisiert, als von einer anthropogenen ökologischen Krise noch lange nicht die Rede war. „Hybris ist heute unsre ganze Stellung zur Natur, unsere Natur-Vergewaltigung mit Hülfe der Maschinen und der so unbedenklichen Techniker und Ingenieur-Erfindsamkeit“ (GM III 9, KSA 5, S. 357). Diesem distanzierten und auf

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Beherrschung abzielenden Naturverhältnis gegenüber erinnert Nietzsche einerseits daran, dass der Mensch selbst durch und durch Natur ist und betont andererseits, dass sich die Natur niemals vollständig unserem bemächtigendem Forscherblick erschließt. Darin zeigt sich ein Bewusstsein um die Ambivalenz des Fortschritts (Zachriat 2001), die Nietzsche deutlich von dem epistemischen, technologischen oder soziokratischen Optimismus mancher seiner Zeitgenossen unterscheidet. Seine Reaktion auf die Zumutungen der Verwandlung der Welt im Zeichen expansiver Beherrschung innerer und äußerer Natur reduziert sich jedoch nicht auf eine tragische Kulturkritik, sondern verbindet sich mit einer jugendlich-dynamischen und umwertenden Ambition. Die Zukunft gehört zu seinen zentralen Themen, sei es als Zukunftsmusik, Zukunftsphilologie oder als Philosophie der Zukunft. Schon an Wagner begeisterte Nietzsche das kulturrevolutionäre Unternehmen einer neuen Musik. Umso größer seine Enttäuschung, als er darin statt eines Pessimismus der Stärke vielmehr einen romantischen „Resignationismus“ erkannte (GT Versuch 5, KSA 1, S. 20). Als er sah, wie zeitgemäß Wagner war, wandte er sich von ihm ab. „Ich bin so gut wie Wagner das Kind dieser Zeit, will sagen ein d e c a d e n t : nur dass ich das begriff, nur dass ich mich dagegen wehrte. Der Philosoph in mir wehrte sich dagegen“ (WA Vorwort, KSA 6, S. 11). Nietzsche will über seine Zeit hinaus – und ist gerade darin auch ein Kind der Moderne. In der Idee einer Verwandelbarkeit der Welt und einer Höherentwicklung des ganzen Menschen spiegelt sich die Erfahrung und der Geist des 19. Jahrhunderts.7 Im relativen Kontrast zu seiner Zeit ist der Gedanke an einen erweiterten zukünftigen Möglichkeitsraum des Menschen bei Nietzsche jedoch nicht trotz, sondern gerade wegen des natur-, geistes- und sozialwissenschaftlich begründeten Wahrheitsgewissheitsverlusts lebendig. Wie Reinhard Löw betont, gibt Nietzsche der Einsicht, dass alle Erkenntnis nur unser Werk ist, vermittelt durch Organe, Gehirn, Sprache, also nicht ‚an sich‘ und damit keine Einsicht in ewige Wahrheit, eine ganz neue Wendung: das ist nicht Grund für ein tragisch-pessimistisches ‚Ach‘, sondern für ein Schwelgen in unserem ‚Künstler-Hoheitsrecht … diese Welt geschaffen zu haben‘ (Löw 1984, S. 402).8

Nietzsche liegt es fern zu bedauern, dass wir nicht zur rein passiven Welterkenntnis taugen, sondern er sieht in unseren erkenntniskonstitutiven Anteilen gerade ein schöpferisches und emanzipatorisches Potenzial des Menschen. Wenn Nietzsche also den anthropomorphen und wert-beladenen Charakter unserer Erkenntnis betont und notiert, „Wissenschaft“ sei „die Bemächtigung der Natur zu Zwecken des Menschen“ (NL 1884, 25[308], KSA 11, S. 91), so geht es ihm mit dieser Feststellung vor allem um

7 Darauf hat als einer der ersten Theodor Lessing (1925, S. 29) hingewiesen, vgl. Heit 2012b. 8 Das Notat, aus dem Löw hier zitiert, beginnt mit einem Exzerpt aus der 1882er Auflage der Geschichte des Materialismus, wo Lange den wirklichkeitskonstitutiven Beitrag des menschlichen Intellekts konstatiert (Lange 1974 [1873–1875], S. 982). Dazu bemerkt Nietzsche: „Wir sind thätig darin: aber das giebt Lange keinen Stolz“ (NL 1884, 25[318], KSA 11, S. 94).

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die Frage, an welchen historisch und sozial bedingten Zwecken wir unsere Naturauseinandersetzung bisher orientierten und woran wir sie in Zukunft orientieren wollen. Nietzsche zeigt sich damit überzeugt, dass eine andere Welt möglich ist – und zwar in einer viel grundsätzlicheren Weise, als es den meisten seiner Zeitgenossen in den Sinn kommt.

2. „weiland Professor in Basel“ – Nietzsche im Kontext seiner Lektüren Anfang des Jahres 1869 bekommt der vielversprechende Leipziger Student Nietzsche, nicht zuletzt aufgrund der Vermittlung seines philologischen Lehrers Friedrich Ritschl, das Angebot, eine Professur für klassische Philologie in Basel anzutreten. Bedenkt man, dass Nietzsche zu diesem Zeitpunkt erst 24 Jahre alt ist und noch nicht einmal das Promotionsverfahren abgeschlossen hat, so darf man von einer beachtlichen Karriere reden. Allerdings war die Berufung so junger Kandidaten in Basel zu der Zeit (auch aus finanziellen Gründen) nicht ganz unüblich und mit Blick auf die bisherigen Leistungen Nietzsches in seinem Fach durchaus gerechtfertigt. Nietzsche hatte eine solide humanistische Ausbildung in Schulpforta und an den Universitäten Bonn und Leipzig erhalten, er beherrschte die historisch-kritische Methode inzwischen vollkommen und verfügte über umfassende Kenntnis insbesondere der griechischen Literatur. In einigen Feldern leistete er bereits innovative Beiträge zur Forschung und hatte einige Arbeiten publiziert, unter anderem zu den Quellen des Diogenes Laertius im Rheinischen Museum für Philologie.9 Dennoch hat Nietzsche die frühe Auszeichnung mit gemischten Gefühlen aufgenommen. „Wir sind doch recht die Narren des Schicksals“ schreibt er an seinen Freund Erwin Rohde noch vorige Woche wollte ich Dir einmal schreiben und vorschlagen, gemeinsam Chemie zu studieren und die Philologie dorthin zu werfen, wohin sie gehört, zum Urväter-Hausrath. Jetzt lockt der Teufel ‚Schicksal‘ mit einer philologischen Professur (Bf. an Rohde, 16.01.1869, KGB I/2, Bf. 608).

Der Gedanke, für eine Weile nach Frankreich zu gehen, beschäftigt Nietzsche seit längerem. Schon im April 1867 erzählt er seinem Schulfreund Paul Deussen von dieser Idee, (KGB I/2, S. 205) und Anfang Februar 1868 teilt er schließlich Rohde seine ParisPläne mit (KGB I/2, S. 250). Der nimmt die Idee begeistert auf und seither taucht der Plan einer gemeinsamen Studienreise regelmäßig auf. Dabei sind die Ambitionen der

9 Zu den Leistungen Nietzsches im Feld der klassischen Philologie siehe die Beiträge von Benne und Santini sowie von Jensen in diesem Band; weitere Literaturhinweise dort.

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beiden jungen „Parispilger“ durchaus nicht auf Naturwissenschaften beschränkt, wie sich an einer Ausführung Rohdes zeigt: Wir wohnen im achten Stock, geben täglich, wegen mangelnder Subsistenzmittel, einige Stunden (im Tanzen, Griechisch, oder Biertrinken, was man ja jetzt in P. mit Wucht sich anzueignen trachtet) und im Uebrigen l e b e n wir, d.h. saugen mit allen Organen, was Gutes und Wissenswerthes in den Museen, Bibliotheken, und namentlich im Leben sich uns darbietet, ein, entdecken ungezählte Anecdota, trinken Tag und Nacht Absinth und machen uns deutschen Winkelpedanten so unähnlich wie möglich (Bf. von Rohde, 28.04.1868, KGB I/3, Bf. 179).

Aus diesem schönen Plan wird nun nichts, weil die akademische Karriere des jungen Nietzsche allzu steil und ungebrochen verläuft. Der Teufel „Schicksal“ macht einen Strich durch die Rechnung und der Urväther-Hausrath fordert sein Tribut. Dieses später nie nachgeholte Versäumnis sei „vielleicht die Tragödie seines Lebens“ (Janz 1994 [1978], I, S. 319), denn die Philologie habe Nietzsche „einen großen Teil seines Lebens gekostet“ (Janz 1994 [1978], I, S. 173) und ihn von seiner Bestimmung zu einer freigeistigen und philosophischen Entwicklung abgehalten. Ein Beispiel für die Gefahren des Erfolgs? Das konnte aus einer anachronistischen Perspektive so erscheinen, aber die „Zeugnisse von 1868 selbst lassen keinen Zweifel, daß Nietzsche die Berufung annehmen wollte“ (Cancik 1995, S. 20). Nietzsche hat seine akademische Existenz als Philologe ungeachtet gewisser Vorbehalte systematisch und konsequent verfolgt. Noch während die Reiseträume lebendig sind, mahnt er seinen Freund, die Augen vor, während und nach einem etwaigen Aufenthalt in Paris „fest auf eine einmal einzuschlagende akademische Carrière zu richten“, denn unter den gegebenen Umständen sieht Nietzsche keine andere Möglichkeit „unsre Constellation von Kräften und Ansichten unsern Mitmenschen nutzbar zu machen“ (Bf. an Rohde, 3./4.05.1868, KGB I/2, Bf. 569). Nietzsche tritt also ohne Zögern das Extraordinariat für klassische Philologie in Basel an. Aus einem Studium von Chemie (und Absinth) in Paris wird nichts und auch das zwischenzeitliche Projekt einer Promotion über den Begriff des Organismus bei Kant gibt er zugunsten seiner akademischen Verpflichtungen auf. Anders als heute handelt es sich bei der Philologie zu Nietzsches Zeiten nicht um eine randständige Disziplin, das Studium der klassischen Texte hat um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch die Rolle einer kulturellen Leitwissenschaft und bildet den gemeinsamen Bildungsfundus der Gelehrten aller Fächer. Es ist noch typisch, dass der Physiologe Emil Du Bois-Reymond seine Dissertation zu den Ansichten der Griechen und Römer über die elektrischen Fische schrieb (1843), oder dass der Jurist Karl Marx mit einer Arbeit über Demokrit und Epikur promoviert wurde (1841). Anders als bei diesen Autoren bleibt die Philologie im Denken Nietzsches zeitlebens von Bedeutung (Benne 2005). Er hat nicht nur finanziell und persönlich, sondern auch intellektuell nachhaltig davon profitiert „weiland Professor in Basel“ gewesen zu sein (Bf. an Widmann, 28.06.1887, KGB III/5, Bf. 869). Seine geisteswissenschaftlichen Studien schärfen sein Bewusstsein für den welt-konstitutiven Charakter der Sprache, auch

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der zentrale Begriff der Interpretation verdankt sich diesem Hintergrund. Die historisch-kritische Methode prägt Nietzsches Verständnis von Wissenschaftlichkeit und trägt zugleich zu einer nüchtern-säkularen Perspektive auf die biblische Überlieferung und die Religion bei. Es ist zu einem guten Teil seine klassische Ausbildung, die Nietzsche eine hinreichende und kritische Distanz zu seiner Zeit erlaubt. Sie schärft sein Bewusstsein um die historisch und interkulturell realen Alternativen zur Moderne und zeigt ihm die Gegenwart als das Produkt einer facettenreichen Genealogie. Dennoch verweist Nietzsches Kritik am Urväther-Hausrath und der Wunsch, in Paris Chemie zu studieren, auch auf ein Unbehagen an der Philologie und an seinen sprach-, kultur- und sozialhistorischen Studien. Daher beginnt Nietzsche beizeiten, seine historischen Arbeiten durch autodidaktische Studien der Philosophie und der Naturwissenschaften zu ergänzen. Ein offenes Interesse an der Naturforschung lässt sich dauerhaft nachweisen, auch wenn die Intensität der Beschäftigung variiert und man eine dynamische Balance von skeptischen und pragmatischen Einschätzungen berücksichtigen muss. Aber ähnlich wie das 19. Jahrhundert insgesamt, sind es auch für Nietzsche Naturwissenschaft und Geschichte, mit denen er sich von Metaphysik und Idealismus zu emanzipieren sucht. Schon ein Text aus der Schulzeit (Fatum und Geschichte) dokumentiert das: „Geschichte u. Naturwissenschaft, die wundervollen Vermächtnisse unsrer ganzen Vergangenheit, die Verkünderinnen unsrer Zukunft, sie allein sind die sichern Grundlagen, auf denen wir den Thurm unsrer Spekulation bauen können“ (NL 1862, 13[6], KGW I/2, S. 432). Nietzsches Interesse sowohl an historischen als auch an naturwissenschaftlichen Studien zeigt sich so bereits am Anfang seiner intellektuellen Karriere, auch wenn die Naturwissenschaften nur einen kleineren Teil seiner schulischen Ausbildung betrafen (Cancik 1995, S. 7) und Nietzsche zudem durch seine Schwäche in der Mathematik behindert wurde. Dieses schon früh nachweisbare Interesse an den Naturwissenschaften wurde durch seine ersten selbst gewählten intellektuellen Bezugsgrößen bestärkt. Arthur Schopenhauer, den Nietzsche im Herbst 1865 für sich entdeckt, hatte einen Kursus sämtlicher Naturwissenschaften durchgemacht und behandelt immer wieder entsprechende Themen, nicht zuletzt in seiner Theorie der Farbwahrnehmung (Mittasch 1952, S. 1). Seit August 1866 liest Nietzsche regelmäßig Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus, eine durch die Erkenntniskritik Kants informierte historische Rekonstruktion der Naturwissenschaften (Salaquarda 1978; Stack 1983). Auch die Lektüren Goethes oder Nietzsches Studien zum antiken Materialismus befeuern seine naturwissenschaftlichen Interessen. Zu einem systematischen Studium kommt es jedoch nie, so dass Nietzsche außerhalb der klassischen Philologie zeitlebens Laie bleibt. Bezeichnend ist immerhin, dass er Jahre später, nachdem er 1881 den Gedanken der Ewigen Wiederkunft entwickelt, dem Zeugnis von Lou Andreas-Salomé zufolge erneut mit dem Gedanken spielte, „an der Wiener oder Pariser Universität zehn Jahre ausschließlich Naturwissenschaften zu studieren“ (Andreas-Salomé 2000 [1894], S. 257). Jedoch wurde auch aus diesem Vorhaben nichts.

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Nietzsche hat die wissenschaftlichen Diskurse seiner Zeit aufmerksam verfolgt und trotz seiner schwachen Augen ein enormes Lesepensum absolviert. In den veröffentlichten Schriften sind diese Spuren oftmals verdeckt, aber mit Hilfe seiner Notate und Exzerpte und seines Briefwechsels sowie durch seine persönliche Bibliothek (Campioni et al. 2003) und das Verzeichnis seiner Bibliotheks-Ausleihen in Basel (Crescenzi 1994) sind seine Lektüren gut erschlossen. Die Quellenforschung hat im Detail inzwischen so reiche Früchte getragen, dass sie mitunter eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Nietzsche zu ersetzen scheint. Dabei müssen freilich die Bücher Nietzsches von seinen Lektüren unterschieden werden, denn weder hat er alle seine Bücher gelesen, noch finden sich alle für ihn wichtigen Lektüren in seiner privaten Bibliothek (D’Iorio 2003, S. 63f). Noch wichtiger ist zu beachten, dass Lesen kein Prozess einer passiven Beeinflussung ist, sondern eine komplexe Form der intertextuellen Aneignung. Dieser Umstand lässt sich ausgehend von einer Äußerung klären, die in den quellengenetischen Forschungen zu Nietzsches naturwissenschaftlichen Kontexten immer wieder zitiert wird. 1888, im Rückblick auf sein bisheriges Lebenswerk, schreibt Nietzsche über die Zeit der Entstehung von Menschliches Allzumenschliches: Antike Metriker mit Akribie und schlechten Augen durchkriechen – dahin war es mit mir gekommen! – Ich sah mit Erbarmen mich ganz mager, ganz abgehungert: die R e a l i t ä t e n fehlten geradezu innerhalb meines Wissens und die ‚Idealitäten‘ taugten den Teufel was! – Ein geradezu brennender Durst ergriff mich: von da an habe ich in der That nichts mehr getrieben als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften, – selbst zu eigentlichen historischen Studien bin ich erst wieder zurückgekehrt, als die A u f g a b e mich gebieterisch dazu zwang (EH Bücher MA 3, KSA 6, S. 325).

Dieses Selbstbekenntnis soll im Folgenden als Ausgangspunkt einer doppelten Frage dienen: Was hat Nietzsche gelesen und wie hat er gelesen? Dabei muss man jedoch zunächst festhalten, dass Nietzsche weder während der Arbeit an Menschliches, Allzumenschliches noch überhaupt irgendwann Physiologie und Naturwissenschaften „getrieben“ d.h. praktiziert hat. Lediglich für seine experimentelle Diätetik und seine medizinischen Selbststudien kann man von einer solchen Praxis sprechen. Ansonsten geht es nicht um Praktiken, sondern um Lektüren. Mit Blick auf seinen Lesestoff hat indes Thomas Brobjer tatsächlich nachgewiesen, dass Nietzsche in den entsprechenden Jahren besonders viele Abhandlungen naturwissenschaftlichen Inhalts rezipiert. „His acquisition and reading of scientific books reached a peak during 1875–81“ (Brobjer 2004, S. 21). Die Rede von einem Höhepunkt verweist allerdings zugleich auf die Tatsache, dass Nietzsche einerseits auch zu anderen Zeiten Texte dieser Gattung gelesen hat, und dass er andererseits auch zu dieser Zeit andere Texte las. Nietzsche hat nie über einen längeren Zeitraum monothematisch gearbeitet. Selbst im Feld der „philosophischen“ Texte dokumentiert Brobjers chronologische Rekonstruktion eindrucksvoll die simultane Bandbreite seiner Lektüren (Brobjer 2008, S. 185–231). Dabei ist sogar dieser umfassende Katalog nicht vollständig, da Nietzsche nie nur Philoso-

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phie las, zumal die Rubrizierung unter dieses Etikett ohnehin nicht leicht ist. Sowenig Nietzsches Publikationen systematisch je einzelnen Disziplinen oder Sub-Disziplinen zugeordnet werden können, sowenig beschränken sich seine Lektüren dauerhaft auf ein Themenfeld. Einen guten Eindruck von dem Spektrum seiner Interessen gibt ein Brief Nietzsches vom 20./21. August 1881 an seinen Freund Overbeck. Der grüne Heinrich von Gottfried Keller könne er leider zurzeit nicht lesen, denn „das Wenige, was ich mit den Augen arbeiten kann, gehört jetzt fast ausschließlich physiologischen und medizinischen Studien (ich bin so schlecht unterrichtet! – und muß so Vieles wirklich wissen!)“ (Bf. an Overbeck, 20/21.08.1881, KGB III/1, Bf. 139). In dieser Auskunft präludiert, was später im Ecce Homo rückblickend auf diese Zeit gesagt wird. Nietzsche bittet Overbeck, ihm sechs Bücher nach Sils-Maria zu schicken, die mehrheitlich naturphilosophischen und – wie man heute sagen würde – wissenschaftstheoretischen Inhalts sind. Darunter sind zwei Studien des Neukantianers Otto Liebmann (Analysis der Wirklichkeit und Kant und die Epigonen) sowie Ursache und Wirkung von Adolf Fick. „Sodann hätte ich eins von meinen Büchern aus den Züricher Kisten sehr nöthig: Spir, Denken und Wirklichkeit“ (Bf. an Overbeck, 20/21.08.1881, KGB III/1, Bf. 139). Die erkenntnistheoretischen Probleme im Kontext der Wissenschaften stehen für Nietzsche im Vordergrund. Er lässt sich aber auch im engeren Sinne wissenschaftliche Studien zusenden: Die Thomson’sche Hypothese von der endlichen Temparaturausgleichung im Weltall, eine Kritik des Entropiegedankens aus der Feder des Evolutionstheoretikers Otto Caspari, und die latent obskure Abhandlung Die Kraft von Johann G. Vogt (nicht mit dem Materialisten Carl Vogt zu verwechseln), den Nietzsche zu einer Physik des Wiederkunftsgedankens verarbeitet (Small 2001, Kap. 8). Er fragt auch nach zwei Jahrgängen der Philosophischen Monatshefte und nach einer Gesamtausgabe der Reden von Du Bois-Reymond, die allerdings erst 1885–87 erscheint. Außerdem bittet Nietzsche um die „Zeitschrift Kosmos, Band 1“ (Bf. an Overbeck, 20/ 21.08.1881, KGB III/1, Bf. 139). Aus dem Vorwort dieser Zeitschrift habe ich im vorigen Abschnitt dieses Essays zitiert. Es ist nicht gewiss, ob Overbeck ihm den Band geschickt hat und ob Nietzsche ihn las, aber es gibt immerhin ein Indiz dafür. Im Herbst des Jahres 1881 notiert Nietzsche, „Hellwald, Häckel und Consorten – sie haben die Stimmung der Spezialisten, und eine Froschnasen-Weisheit“ (NL 1881, 11[299], KSA 9, S. 556). Nietzsche könnte sich auch auf andere Quellen beziehen, zumindest von Hellwald hat er 1880–81 nachweislich andere Texte gelesen (Brobjer 2004, S. 37), aber die Genannten sind jedenfalls mit weiteren Autoren beide in dem ersten Band des Kosmos vertreten. Zugleich belegt das Notat die offenkundige Tatsache, dass Lektüre nicht mit Übereinstimmung verwechselt werden darf. Nietzsche distanziert sich entschieden, aber in der Sache abwägend, von der Stimmung dieser Spezialisten. Er nennt sie „Bildungskamele, auf deren Höckern viel gute Einsichten und Kenntnisse sitzen, ohne zu hindern, daß das Ganze doch eben nur ein Kamel ist“ (NL 1881, 11[299], KSA 9, S. 556). Wie man sieht, macht er sich das wissenschaftliche Wissen seiner Zeit in einem pragmatischen Sinne zu eigen und verschmäht auch

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singuläre gute Einsichten nicht. Allerdings sind seine Lektüren meist entschiedene Aneignungen und mit zunehmendem Alter auch zunehmend selektiv. Was er liest und wie er es liest, ist mehr und mehr von seiner „Aufgabe“ und von seiner eigenen philosophischen Ambition geprägt. Nietzsche schreibt keine Sekundärliteratur zu seinen Quellen, sondern entwickelt mit ihrer Hilfe eine eigene Philosophie. Gerade deshalb kann eine Rekonstruktion seiner natur-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Kontexte zum Verständnis der Gedankenwelt Nietzsches und somit schließlich zu einer Würdigung seiner Aktualität beitragen.

3. „ein Leser, wie ich ihn verdiene“ – Nietzsche im Kontext seiner Adressaten Als Nietzsche am 8. November 1887 seinem Verleger Naumann schreibt, um organisatorische und finanzielle Dinge bezüglich seiner jüngsten Publikation Zur Genealogie der Moral zu besprechen, bringt er ein zentrales Motiv zum Ausdruck: „Mein Hauptwunsch bei dieser Veröffentlichung ist, etwas damit zum Besten meiner früheren Litteratur zu erreichen: nämlich dazu einzuladen, dieselbe zu lesen und ernst zu nehmen“ (Bf. an Naumann, 08.11.1887, KGB III/5, Bf. 946). Mit Blick auf die äußerst müden Verkaufszahlen ist tatsächlich Handlungsbedarf gegeben. Wie jeder Autor versucht auch Nietzsche, sein Publikum zu erreichen, auch wenn das Verhältnis Nietzsches zu den Lesern (und den Verlegern) stets delikat ist. Er schreibt für Alle und Keinen und verbirgt sich hinter vielerlei Masken, nicht zuletzt hinter der Maske des Unbeeinflussten, Einzigartigen und Unzeitgemäßen. „Trotzdem erwartete er sehnsüchtig jedes Buch und die Nachrichten der Verleger über den Verkauf seiner Bücher“ (Eichberg 2009, S. 31). In der Regel waren diese Nachrichten ernüchternd, seine Bücher verkauften sich schlecht und auch die wenigen Besprechungen empfand Nietzsche meist als unzulänglich. Seit der erfolglosen Publikation des Zarathustra versuchte er, nicht zuletzt durch einen veränderten Stil, eine bessere Rezeption zu ermöglichen. Schon mit Jenseits von Gut und Böse unternimmt er den Versuch, dieselben Dinge zu sagen wie im Zarathustra, „nur anders, sehr anders“ (Bf. an Burckhardt, 22.09.1886, KGB III/3, Bf. 754). Allerdings blieb erneut der Erfolg aus. Nachdem sein Verleger ihn anlässlich der Leipziger Buchmesse 1887 über die Verkaufszahlen von JGB informiert hat, macht Nietzsche in einem Briefentwurf an Overbeck seiner Enttäuschung Luft. Die „stetig wachsende Gleichgültigkeit“ gegen seine Schriften sei nun „ziffernmäßig constatiert“: von JGB waren 114 Exemplare verkauft worden. Dem stehen „in den letzten 3 Jahren erhebliche Unkosten durch SelbstDrucke“ von ZA IV und JGB sowie für die neue Aufmachung seiner früheren Schriften gegenüber. „Das hat nun ein Ende. Weder ich, noch irgendein Verleger kann den Luxus einer Litteratur aufrecht erhalten, deren Liebhaber kaum die Zahl 100 übersteigt“ (Bf. an Overbeck, 08.06.1887, KGB III/5, Bf. 858).

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Zwar äußert sich Nietzsche am selben Tag in einem Brief an Köselitz ganz ähnlich, aber dass er diesen Brief an Overbeck nicht abgeschickt hat, spricht vielleicht für einen heimlichen Sinneswandel. De facto zeigt sich Nietzsche entschlossen, diesen Luxus eben doch weiterhin aufrecht zu erhalten: Kaum anderthalb Monate später schickt er am 17. Juli 1887 seinem Verleger Naumann „eine kleine Streitschrift“, die in derselben Form (und zu denselben Konditionen) wie JGB erscheinen soll. Es erschien ihm, so Nietzsche schließlich in einem Brief an Overbeck, „notwendig, diesem ‚Jenseits‘ von mir aus etwas zur Hilfe zu kommen: und so habe ich ein paar gute Wochen benutzt, um in Gestalt von 3 Abhandlungen das Problem des genannten Buches noch einmal zu präcisieren“ (Bf. an Overbeck, 30.08.1887, KGB III/5, Bf. 900). Die Rechnung über 580,– Mark für „die Herstellungskosten der ‚Genealogie‘“ (Bf. von Naumann, 30.01.1888, KGB III/6, Bf. 516) lässt er unverzüglich begleichen. Ob diese Investition sich lohnte, ist schwer zu beurteilen. Bis zu Nietzsches geistigem Zusammenbruch Anfang 1889 blieben die Verkaufszahlen trübe. Danach jedoch steigt das Interesse an seiner Literatur und seiner Person so massiv an, dass er innerhalb weniger Jahre zu einem weltbekannten Denker wird und den Zeitgenossen der Jahrhundertwende geradezu selbst als Signatur ihrer Gegenwart erscheint. Schon 1894 veröffentlicht Lou Andreas-Salomé eine der ersten Monographien über Nietzsche und bereits 1897 sieht Ferdinand Tönnies genügend Anlass, sich über den Nietzsche-Kultus zu mokieren.10 In Theobald Zieglers Die geistigen und sozialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts von 1899 wird Nietzsche ausführlicher und häufiger behandelt als etwa Napoleon oder Marx; seine Popularität als Nonkonformist und Verfechter des Individualismus erscheint schon als Selbstverständlichkeit: „Dass das einschlagen und wirken, dass diese Lehre vor allem die Jugend mit sich fortreißen musste, versteht sich von selber“ (Ziegler 1899, S. 598). Zumindest zu dem ersten enormen Erfolg Nietzsches gleich nach seinem Zusammenbruch hat neben seiner diagnostischen Kraft sicher auch die Dramatik seines Schicksals und der Nimbus des an der radikalen Eigenständigkeit seiner Gedanken irre gewordenen Genies beigetragen. Die Pointe dieser Begebenheiten liegt allerdings weniger, zumal für die kontextuelle Perspektive dieses Essays, in der Ironie eines für den Urheber persönlich schon zu späten Erfolgs, sondern in der spezifischen Form seiner Bemühungen um Wirkung. Hierbei ist Nietzsches ambivalente Haltung zu seinen Lesern im Auge zu behalten. Nietzsche ging es vorgeblich nicht darum, möglichst viele Leser zu erreichen, wie er gegenüber einem seiner ersten Rezipienten und Multiplikatoren betont: „ein paar Leser, die man bei sich selbst in Ehren hält und sonst k e i n e Leser – so gehört es in der That zu meinen Wünschen“ (Bf. an Brandes, 02.12.1887, KGB III/5, Bf. 960). Mit Blick auf diese würdigen Leser ist eine Liste von siebenundzwanzig Namen aufschlussreich, die Nietzsche seinem zum Beginn dieses Abschnitts genannten Schrei-

10 Leider hat Nietzsche umgekehrt Tönnies’ Gemeinschaft und Gesellschaft von 1887 nicht mehr zur Kenntnis genommen.

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ben an Naumann anfügt, damit ihnen ein Freiexemplar von JGB geschickt werde (Bf. an Naumann, 08.11.1887, KGB III/5, Bf. 946).11 In einem weiteren Schreiben bittet er tags darauf, auch Georg Brandes sowie den Herausgeber des Kunstwart Ferdinand Avenarius und den Berner Bund mit einem Freiexemplar zu bedenken (Bf. an Naumann, 09.11.1887, KGB III/5, Bf. 947). Die von Nietzsche gewählten Adressaten können Auskunft darüber geben, auf wen er wirken wollte und in welchen Kontexten er selber dachte, auch wenn die verschiedenen Personen wohl aus unterschiedlichen Gründen in den Genuss eines Freiexemplars kommen. Vor allem möchte Nietzsche den Erfolg seines Buches befördern. Viele erhalten das Buch vermutlich aus Gründen der persönlichen oder akademischen Höflichkeit. Aber zu einem interessanten Teil zeichnet Nietzsche mit seiner Selektion auch aus und definiert so seinerseits einen intertextuellen Bezugsrahmen, den er für relevant erachtet. Handelt es sich bei der Auswahl um die „paar Leser“, die Nietzsche bei sich in Ehren hält? Ist vielleicht sogar sein idealer Leser darunter, „ein Leser, wie ich ihn verdiene, der mich liest, wie gute alte Philologen ihren Horaz lasen“ (EH Bücher 5, KSA 6, S. 305)? An erster Stelle nennt Nietzsche seine Schwester, wofür familiäre Bande ausschlaggebend gewesen sein dürften und nicht etwa Elisabeth Försters besondere Qualität als Leserin oder gar als Inspirationsquelle. Der zweitgenannte, Ludwig Sieber aus Basel, erhält das Buch in seiner Eigenschaft als Oberbibliothekar. Dem Leipziger Senatspräsidenten Heinrich Wiener, den Nietzsche erst im August 1887 in Sils-Maria kennen gelernt hatte, dürfte er die Genalogie der Moral als freundliche Geste geschickt haben, oder um einflussreiche Personen für sein Buch zu interessieren. Das gilt wohl auch für die größere Zahl derjenigen Adressaten, mit denen Nietzsche in akademischen Zusammenhängen bekannt war, ohne einen engeren Kontakt zu pflegen oder größeres Interesse an ihren Arbeiten zu zeigen. Mit vielen hatte er seit der Studienzeit kaum mehr etwas zu tun. Dazu gehören der klassische Philologe Otto Ribbeck und der Indologe Ernst Windisch, beide inzwischen Professoren in Leipzig, sowie der Schwiegersohn Ritschls und spätere Professor in Basel, Curt Wachsmuth. Auch der Sprachwissenschaftler Rudolf Kleinpaul war ein Studienkollege aus Leipziger Zeiten. In Bonn pflegte Nietzsche privaten Umgang mit dem Philosophieprofessoren Karl Schaarschmidt, der ebenfalls Alumni von Schulpforta war, und hörte dessen Vorlesungen, „allerdings ohne nennenswerte Anregungen dadurch zu bekommen“ (Reich 2004, S. 193). Mit dem Historiker Gabriel Monod war Nietzsche in den 1870er Jahren über Malwida von Meysenburg (die signifikanterweise nicht mehr unter den Adressaten ist) bekannt geworden, aber eine besondere persönliche oder gar inhalt-

11 Biographisch ist es interessant, diese Aufzählung mit anderen Listen hinsichtlich der Kontinuitäten und Wechsel von Nietzsches Auswahl zu vergleichen. Schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass Nietzsche deutlich mehr Freiexemplare der Genealogie der Moral verschickt als sonst üblich und dass mehr überraschende Empfänger darunter sind. In der KGW IX ist eine Vorstufe dieser Liste abgedruckt (N VII 3, S. 39), die nicht mit der schließlich an Naumann geschickten identisch ist, da sie unter anderem noch die Namen Ree, Meysenburg und Virchow enthält.

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liche Beziehung lässt sich für die 1880er Jahre nicht ausmachen.12 Ähnlich unverbindlich ist der Kontakt zu dem Baseler Strafrechtsprofessor Karl Binding oder zu Gustav Friedrich von Schönberg, der 1869 noch Professor für Nationalökonomie in Basel war und als Kathedersozialist galt. Selbst über den Philosophen Max Heinze, den er seit 1874 aus Basel kannte, urteilt Nietzsche, er habe „nicht den entferntesten Begriff von meiner Bedeutung“ denn „er ist geistig zu gering! Dies unter uns, Du weißt ja daß ich ihn persönlich gern habe“ (Bf. an Franziska und Elisabeth Nietzsche, 04.–11.12.1884, KGB III/1, Bf. 564). Heinze fiel es übrigens später zu, als Nietzsches Gegenvormund zu fungieren und an seinem Grab eine Rede zu halten. Hinsichtlich der bisher genannten Empfänger scheint Nietzsche vor allem strategische oder höfliche Motive zu verfolgen. Zugleich wird deutlich, dass er eine geistige und kulturelle Elite adressiert. Abgesehen von seiner Schwester, die immerhin mit dem Titel ihres Gatten gelistet wird, handelt es sich ausschließlich um Akademiker, und mit der persönlich wichtigen Ausnahme seines langjährigen Studienfreundes und Gutsbesitzers Carl von Gersdorff auch größtenteils um Professoren. Nietzsche hofft, durch einen Einfluss auf die akademischen Lehrer zu einem Erzieher der Erzieher zu werden. In diese Richtung, obwohl sicher nicht nur in diese Richtung, weist auch der Umstand, dass Nietzsche mit dem Komponisten und früheren Mann von Cosima Wagner, Hans von Bülow, sowie mit Johannes Brahms und dem Danziger Musikredakteur Carl Fuchs auch Musiker in die Liste aufgenommen hat. Das Urteil und das Urteilsvermögen dieser künstlerischen Männer hat Nietzsche geschätzt. Seinem älteren Kollegen und verehrten väterlichen Freund Jakob Burckhardt hat Nietzsche stets seine Schriften zukommen lassen – und meist ein freundliches Schreiben zur Antwort erhalten, in dem Burckhardt sich als einfacher Historiker charakterisiert, der Nietzsche auf die Höhen seiner philosophischen Übersicht kaum folgen könne. Während Burckhardts Haltung zu Nietzsche eher wohlwollend-distanziert zu sein scheint, hat Nietzsche seinerseits das Werk des Baseler Kulturhistorikers sehr geachtet. Besonders der zweite Teil von Burckhardts Kultur der Renaissance in Italien (1860) war eine wichtige Quelle seiner frühen Konzeption des Individuums (Nabais 2006, S. 93), den Cicerone (1855) schätzte er als Reiseführer in Italien. Ähnlichen, vielleicht noch größeren Respekt hegt Nietzsche später für Hippolyte Taine, dessen historische Studien zu England und Frankreich er seit 1878 liest und den er – was selten genug ist – öffentlich als den „e r s t e n lebenden Historiker[ ]“ lobt (JGB 254, KSA 5, S. 198), auch wenn er später konstatiert, selbst Taine sei durch Hegel verdorben (EH klug 3, KSA 6, S. 285). Seit 1886 bestand zwischen beiden ein Briefwechsel. Da Taine zudem in GM III 19 (KSA 5, S. 387) erwähnt wird, ist sein Name auf dieser Liste ebenfalls kaum verwunderlich.

12 Wie sich herausstellt, war die Adresse Monods in dem ersten Brief falsch, so dass Nietzsche schließlich Naumann bittet, das Exemplar stattdessen an Victor Cherbuliez von der Revue de Deux Mondes zu schicken (Bf. an Naumann, 25.11.1887, KGB III/5, Bf. 959).

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Wenig überraschend ist auch, dass Nietzsche seine engeren akademischen Weggefährten mit einem Freiexemplar bedacht wissen will: Franz Overbeck, Paul Deussen und Erwin Rohde. Der Baseler Theologieprofessor Overbeck ist nicht nur Nietzsches wohl bester und treuester Freund (auch wenn Nietzsche nicht immer so fühlte), beide sind auch durch eine religionskritische Waffenbrüderschaft verbunden (Sommer 1997). Deussen kannte Nietzsche seit 1859 aus Schulpforta, aber zu persönlichen Spannungen kam auch eine philosophische Entfremdung aufgrund von Deussens ungebrochener Hochschätzung Schopenhauers. Deussens Elemente der Metaphysik (1877) erschien Nietzsche „als eine g l ü c k l i c h e A n s a m m l u n g a l l e s d e s s e n , w a s i c h n i c h t m e h r f ü r w a h r halte“ (Bf. an Deussen, Anfang 08.1877, KGB II/5, Bf. 642). Auch in der Beziehung zu dem Studienfreund und Philologen Rohde, mit dem er seit 1867 zeitweise sehr eng zusammen gearbeitet hatte und der 1872 eine Replik auf Willamowitz-Moellendorfs Kritik an der Geburt der Tragödie verfasst hatte, trat Mitte der 1870er Jahre eine Abkühlung ein. Rohde konnte dem Charakter der philosophischen Wende Nietzsches nicht folgen. Man tauscht weiter höfliche Briefe aus, bis es schließlich im Frühjahr 1887 durch eine Meinungsverschiedenheit über die Qualität von Taine zum Bruch kommt. Nietzsche ist diese relative Distanz zu seiner Philosophie nicht verborgen geblieben und im Ecce Homo sagt er es „jedem meiner Freunde“ – vorgeblich ohne Bitternis – „ins Gesicht, dass er es nie der Mühe für werth genug hielt, irgend eine meiner Schriften zu s t u d i e r e n“ (EH Bücher WA 4, KSA 6, 363). Er selbst scheint indes seinerseits auch nicht allzu viel Zeit auf die Lektüre der Arbeiten von Overbeck, Rohde oder Deussen verwendet zu haben. Hinsichtlich der indischen Philosophie etwa hätte er sich wohl besser auf Deussens System der Vedanta (1883) und dessen Edition der Sutra (1887) verlassen, statt auf die fragwürdige Kompilation des Gesetzbuch des Manu von Jacolliot.13 „But the fact is that Nietzsche made no attempt to exploit his acquintance with the most competent comparative philosopher of the time to study critically the ideas of the Sanscrit philosophers“ (Sprung 1991, S. 84). Wie es scheint, hat Nietzsche zwar Freunden, Bekannten und Kollegen ein Freiexemplar der Genealogie der Moral zukommen lassen, aber seinen idealen Leser hat er unter ihnen wohl nicht gesehen, vielleicht nicht einmal in Brandes oder Taine. Dennoch bringt die teure Publikation und der Versand des Buches faktisch die Hoffnung zum Ausdruck, irgend etwas damit erreichen zu können. Zudem bleibt noch eine letzte Gruppe von Namen zu besprechen, deren Präsenz auf eine erhellende Weise rätselhaft ist, da sie einige markante Merkmale teilen. Erstens handelt es sich dabei um Personen, mit denen Nietzsche bis dato allem Anschein nach keinen persönlichen Kontakt hatte, und die zweitens auch in seinen Lektüren keine hervorragende Rolle spielten. Drittens vertreten sie im Unterschied zu den bisher genannten Akademikern, die allesamt aus den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern

13 Vgl. dazu den Beitrag von Andreas Urs Sommer in diesem Band.

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kamen, die Naturwissenschaften. Viertens sind sie, abgesehen von dem wenig bekannt Leipziger Zoologen und späteren Mitbegründer der Parasitologie Robert Leuckart, der auch in Nietzsche Oeuvre sonst kein weiteres Mal nachweisbar ist, sämtlich berühmte Zeitgenossen: Hermann von Helmholtz, Carl Vogt, Emil Du Bois-Reymond, Wilhelm Wundt und Ernst Mach. Es ist kein Zufall, dass alle Namen bereits im ersten Teil dieses Essays gefallen sind und auch an anderen Stellen dieses Handbuchs auftauchen, denn es handelt sich um Personen, die schon in ihrer Zeit eine signifikante Sichtbarkeit entfaltet haben und die, mit der Ausnahme von Carl Vogt, auch heute noch berühmt sind. Es handelt sich um philosophisch aufgeschlossene Forscher mit einer stark säkularen und naturalistischen Tendenz, die sich untereinander kannten. Der Materialismus des bekannten 1848er Revolutionärs Carl Vogt war ubiquitär, Helmholtz und Du Bois-Reymond stammten aus der physiologischen Schule von Johannes Müller und waren Kollegen in Berlin, Wundt war erst Mitarbeiter von Du Bois-Reymond (1857) und später Assistent von Helmholtz (1858–63), Mach setzte sich mit ihnen auseinander. Bedenkt man, dass etwa Ernst Haeckel oder Rudolf Virchow nicht adressiert sind, so zeigt sich trotz ihrer Prominenz doch die Selektivität dieser Liste. Ich weiß nicht, wie die Adressaten das Buch aufgenommen haben. Nur von Mach ist eine sichtbare Reaktion überliefert, denn er hat Nietzsche (vielleicht bezeichnend genug) im Gegenzug einen Aufsatz über die photographische Fixierung der durch Projektile in der Luft eingeleiteten Vorgänge geschickt. Auf Seiten Nietzsches ist interessant, dass diese Denker in seinen rekonstruierbaren Kontexten eine eher verborgene Rolle spielen. Über Nietzsches Beziehung zu Wundt weiß man, dass er sich mit dem Redakteur der Zeitschrift Mind im Sommer 1877 über dessen Beitrag zur Philosophie in Deutschland unterhalten hat. Er könnte ihn (z.B. über Heinrich Romundt) aus Leipzig kennen. Dem Autoren Wundt kann er an vielen Stellen begegnet sein, etwa in den Bänden der Philosophischen Monatshefte, um die er Overbeck bittet, oder in Casparis Kritik an dessen These, das Universum sei unendlich. Vielleicht sah Nietzsche gegen Caspari in Wundt einen dem Wiederkunftsgedanken verwandten Geist (Treiber 1996, S. 410–12). Mit Du Bois-Reymond, nach dessen Schriften sich Nietzsche ebenfalls im August 1881 bei Overbeck erkundigt, hatte er sich bereits in den frühen 1870er Jahren beschäftigt (Brobjer 2004, S. 41). Er verweist in der dritten Unzeitgemäßen explizit auf seine Goethe-Kritik (SE 6, KSA 1, S. 390) und einige Reden Du BoisReymonds finden sich in noch heute in Nietzsches Bibliothek. Dort steht auch eine kleine Studie Über Vulkane, in der Vogt die These eines flüssig-glühenden Erdkerns als Ausdruck christlicher Höllenphantasien zurückweist, während der Vulkanismus tatsächlich durch Wasserdruck zu erklären sei. Nietzsche greift diese falsche These im Zarathustra auf (KSA 4, S. 168; Treiber 1998). Auch Helmholtz, dessen Abhandlung über die Wechselwirkung der Naturkräfte Nietzsche im Heraklit-Abschnitt seiner Vorlesungen über die vorplatonischen Philosophen zitiert (KGW II/4, S. 270), hat in seinem Werk verschiedene Spuren hinterlassen, wenn sie auch einer aufmerksamen Rekonstruktion bedürfen (Reuter 2004; Riccardi 2005). Das gilt umso mehr für Mach,

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denn Nietzsche „never explicitly discusses Mach and his work“ (Brobjer 2008, S. 95) und sein Exemplar der Analyse der Empfindungen weist keine Lesespuren auf, obwohl sich vielfältige Parallelen zwischen den beiden Denkern nachweisen lassen (Gori 2009). Mit Blick auf diese bedeutenden Naturforscher ist also der quellengenetische Befund vergleichsweise dünn. Wir wissen nicht genau, was Nietzsche in ihnen sah oder ob er sie gar für seine idealen Leser hielt. Dennoch sind sie ihm offenbar so wichtig, dass er sich ihnen unvermittelt mit der Genealogie der Moral bekannt macht. Dieser Umstand selbst ist für die Forschung nach Nietzsches Kontexten bedeutsam. Dass Nietzsche einer Reihe von Autoren für seine erhoffte Wirkung große intertextuelle Relevanz beimisst, die ihrerseits in seinen Schriften nach den Maßstäben quellengenetischer Einflussforschung nur geringe Signifikanz haben, zeigt, dass ein Kontext etwas anderes ist als die Summe der positiv nachweisbaren textuellen Verbindungen. Nietzsche bewegt sich aktiv, wertend und aneignend in der Welt seiner Lektüren. Wie Claus Zittel schon am Beispiel des Zarathustra aufgewiesen hat, ist daher die „Quelle-Einfluss-Metaphorik“ letztlich unbrauchbar (Zittel 2000, S. 59). Ein Leser wird nicht einfach beeinflusst, so wie eine Billardkugel durch einen Anstoß beeinflusst wird, sondern er rezipiert, interpretiert und transformiert das Gelesene auf seine je eigene Weise. Dieser Prozess ist nie vollständig durch den Text und oft weit mehr durch den Lesenden selbst bestimmt. Dieser „Lesende selbst“ ist zudem kein stabiler und autonomer Ort, sondern vielmehr als Knotenpunkt in einem komplexen intertextuellen Gefüge auf unergründliche Weise eigen- und einzigartig. Nietzsche bleibt unergründlich und letztlich nicht quellengenetisch rekonstruierbar, weil er seine eigene Philosophie aus einer praktisch unbestimmbaren Vielfalt von Lektüren, Gesprächen, Erfahrungen und Dispositionen entwickelt, die er zudem auf je eigene Weise verarbeitet. Zu guter Letzt weiß nicht einmal der Autor, wie er auf eine bestimmte Idee gekommen ist, denn „ein Gedanke kommt, wenn ‚er‘ will, und nicht wenn ‚ich‘ will“ (JGB 17, KSA 5, S. 31). Wenn man daher sagt, ein „ideales Ziel der Nietzsche-Forschung“ sei es, „all das zu kennen, was Nietzsche geschrieben, gelesen, gedacht hat“ (D’Iorio 2003, S. 67), so sollte man sich, wie D’Iorio betont, über den „idealen“ Charakter dieser regulative Idee keine Illusionen machen. Man sollte sich aber auch darüber im Klaren sein, dass dieses ohnehin nicht erreichbare Ziel der Forschung selbst nur die Voraussetzung zu einem Philosophieren mit Nietzsche darstellt. Aus diesem Grund kann die quellengenetische Forschung für eine philosophische Auseinandersetzung immer nur eine Hilfestellung sein. Gerade als solche ist sie allerdings für einen seriösen Umgang mit Nietzsche zwingend nötig. Nietzsches philosophische Signifikanz geht nicht in der Addition seiner Lektüren auf, aber ein erfolgreiches Verständnis gerade auch seiner Originalität ist ohne kontextuelle Kenntnisse kaum zu haben. Wie die Beiträge in diesem Band zeigen, ist deshalb das Wissen um die Kontexte Nietzsches zu einer angemessenen Beschäftigung mit seinen Gedanken immer nützlich, oft auch unverzichtbar.

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Nietzsche und die Wahrheitsgewissheitsverluste im Anbruch der Moderne Einleitung In Friedrich Nietzsches Auseinandersetzung mit den Wissenschaften seiner Zeit reflektiert sich ein Umbruchprozess, der prägend für das heutige Wissenschaftsverständnis geworden ist. Zu den Resultaten dieser Transformation gehören die Schwächung der Wissenschaftseinheit und das Hervortreten unterschiedlicher Wissenschaftskonzeptionen. Während im Wissenschaftssystem eine Vielzahl von Disziplinen entstanden, die in ihren Praxen und Theorien teilweise nur partiell untereinander verbunden waren, sahen sich die traditionellen Wissenschaftsauffassungen verstärkt der Konkurrenz von neuen Konzeptionen ausgesetzt. Die im 19. Jahrhundert einsetzende Pluralisierung der Wissenschaften und ihrer Thematisierungsweisen war nicht Ausdruck einer Krise, sondern der Beginn eines Siegeszuges der Wissenschaften, der bis in die Gegenwart anhält. Wissenschaftliches Denken gewann eine kulturprägende Kraft; Anwendungen wissenschaftlicher Forschungsergebnisse fingen an, maßgeblich in die Dynamik der Gesellschaftsentwicklung einzugreifen, die sich umgekehrt immer enger mit den Wissenschaften verzahnte. Nietzsche war Zeuge der Institutionalisierung eines machtvollen Systems der Wissenschaften und des Einsetzens einer historisch beispiellosen Verwissenschaftlichung der Gesellschaft. Im Gegensatz zum frühneuzeitlichen Aufbruch der Wissenschaften stand im 19. Jahrhundert nicht die Kritik der traditionellen Verständnisweisen im Zentrum des Diskurses über die Wissenschaften. Die bisherigen Auffassungen verloren vielmehr stillschweigend ihre ehemalige Geltung, wurden nicht mehr mit gleichem Pathos vorgetragen und mussten hinnehmen, dass sich neue Auffassungen neben ihnen etablierten. Zunächst fand die Relativierung der traditionellen Wissenschaftsauffassungen vornehmlich innerhalb einzelner Disziplinen wie auch in der erst wenig ausgebildeten Wissenschaftsphilosophie statt, so dass der Wandel für Außenstehende kaum bemerkbar war. Hypothetische Annahmen, die bisher als vorübergehende Vermutungen in der Forschungspraxis anerkannt waren, fanden vermehrt Eingang in die Grundlagen der Theoriebildung, konventionalistische und pragmatische Konzeptionen begannen den bislang kaum angefochtenen Wahrheitsanspruch zu problematisieren. Aber die Wissenschaften blieben in der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung – wie es der Physiologe und Physiker Hermann von Helmholtz in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausdrückte – an dem Ziel orientiert, „vollständige Kenntnis und vollständiges Verständnis des Waltens der Natur- und Geisteskräfte“ zu erlangen (Helmholtz 1884 [1862], S. 182).

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Umso bemerkenswerter ist es, dass Nietzsche, der bald schon an keiner wissenschaftlichen Forschung selbst mehr teilnahm, nicht nur einen Veränderungsprozess wahrnahm, sondern ihn in seiner epochalen Dimension auch in beachtlichem Umfang bereits zutreffend charakterisierte. Er ist wohl der einzige namhafte Philosoph des 19. Jahrhunderts, der den Umbruch im Wissenschaftsverständnis, da er seine Tragweite erkannte, ins Zentrum seines Denkens stellte. Dabei blieben seine Reflexionen insofern der Zeit des Wandels verhaftet, als in ihnen neue Bestimmungen der Wissenschaftlichkeit teilweise noch neben traditionellen Vorstellungen zu finden sind. Elemente dieser für einen Umbruch typischen Zwischenstellung teilte Nietzsche – und darin drückt sich eine bemerkenswerte geistige Nähe zur Transformation der Wissenschaften aus – bezeichnenderweise mit den Forschern, die aktiv am Wandel selbst teilnahmen. Zu ihnen gehörten etwa Emil Du Bois-Reymond, Hermann von Helmholtz, Carl Gustav, Jacob Jacobi, Ernst Mach, Carl Neumann und Bernhard Riemann – um nur einige der Bekannteren zu nennen. Teilweise war es für diese Forscher nicht leicht zu entscheiden, ob die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis ihrer Zeit eher als Fortsetzung des frühneuzeitlichen Aufbruches denn als eigenständiger Neuanfang zu bewerten sei. Auch ergaben sich die Schwankungen, die sich bei diesen Wissenschaftlern zwischen alten und neuen Wissenschaftsauffassungen nachweisen lassen, aus dem Umstand, dass neuen Konzeptionen noch die begriffliche Ausarbeitung fehlte, um sie schon durchgängig an die Stelle der alten zu setzen. Nietzsche war mit den Arbeiten der den Wandel im Wissenschaftsverständnis vorantreibenden Naturforscher seiner Zeit nur teilweise und oft nur durch die Vermittlung anderer Darstellungen bekannt.1 Umgekehrt hatten diese Wissenschaftler, sofern ihre Lebenszeit in die Schaffenszeit von Nietzsche fiel, von seinen Texten vermutlich meist keine Kenntnis. Die Gemeinsamkeiten, die zwischen seinem und ihrem Denken bestanden, reflektieren die allgemeine Relevanz der veränderten gesellschaftlichen Stellung der Wissenschaften. Im ersten Teil werde ich den historischen Kontext des Umbruchprozesses der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf die Physik verorten. Vom Beginn der Neuzeit bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war die Physik die Leitwissenschaft in den Naturwissenschaften. Der Wandlungsprozess der auf sie bezogenen Wissenschaftsauffassungen geht im 19. Jahrhundert über eine Radikalisierung der frühneuzeitlichen Bestimmungen hinaus, sofern er bislang unangetastete, von der Antike herrührende Geltungsansprüche außer Kraft setzt. Diesen „Wahrheitsgewissheitsverlust“ betrachte ich als Kennzeichen der Modernisierung der Wissenschaften und ihrer wissenschaftsphilosophischen Thematisierung.

1 Zu Nietzsches Kenntnis der Wissenschaften seiner Zeit vgl. neben den Beiträgen in diesem Band auch Heit/Abel/Brusotti 2012; Brobjer/Moore 2004; Small 2001; Crowell 1999; Schlechta/Anders 1962 und Mittasch 1952.

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Im zweiten Teil werde ich Nietzsches Charakterisierung der Wissenschaften exemplarisch mit der von Hermann von Helmholtz vergleichen. Helmholtz kann als ein herausragender Vertreter der Naturforschung des 19. Jahrhunderts angesehen werden. Er entwickelte seine erste bahnbrechende wissenschaftliche Leistung, die mathematische Formulierung des Energieerhaltungssatzes, noch ganz im Rahmen einer auf Wahrheit und Einheit fokussierten Wissenschaftsauffassung. Im Verlauf seiner weiteren Arbeiten relativierten sich seine Geltungsansprüche zunehmend, ohne dass er sich ganz von den Vorgaben seiner früheren Auffassung löste. In systematischer Hinsicht näherte sich Helmholtz damit nicht nur der Position an, die Nietzsche immer schon eingenommen hat, sondern er übertraf sie sogar in bestimmter Hinsicht. Allerdings war sich Helmholtz im Gegensatz zu Nietzsche kaum der historischen Tragweite des von ihm selbst beförderten Wandlungsprozesses bewusst. Der Vergleich der beiden Positionen leistet einen Beitrag zur Verortung von Nietzsche im Kontext des Wissenschaftswandels im 19. Jahrhundert. Die auf das 21. Jahrhundert hinausweisende Aktualität, aber auch die zugleich bestehende historische Beschränkung teilen Nietzsche und Helmholtz. Im dritten Teil werde ich mich kritisch mit einem Aspekt der Rezeption des historischen Verhältnisses von Nietzsche und Helmholtz auseinandersetzen. Helmholtz gehörte zu den wenigen repräsentativen Naturwissenschaftlern, von denen man annimmt, dass ihre Forschungen auf das Denken Nietzsches Einfluss hatten. Bemerkenswerterweise stammen die betreffenden Arbeiten aus der ersten Phase von Helmholtz’ Wissenschaftsauffassung. Während Helmholtz mit seinen Forschungen einen traditionellen Wahrheitsanspruch bestätigt sah, bezog sich Nietzsche auf sie, um sie umgekehrt zur Destruktion dieses Anspruches einzusetzen. Wo der Rezeption diese Konstellation entgangen ist, hat sie dazu beigetragen, die Aktualität von Nietzsches Wissenschaftskritik zu überschätzen.

1. Der historische Kontext: Epochenwandel der klassischen Wissenschaftsauffassung Bezeichnet man mit „Physik“ jede Disziplin, die die Phänomene der unbelebten Natur systematisch erkundet und nach ihren Ursachen fragt, fallen Aristoteles’ Physik und Newtons Mechanik ebenso darunter wie die unter dieser Bezeichnung zusammengefassten Fächer im 19. Jahrhundert. Der zu Beginn dieses Jahrhunderts in der Physik noch wirksame vereinheitlichende „klassische“ Wissenschaftsbegriff hat zwei historische Hauptursprünge: Er reicht auf die antike Wissenschaftsbegründung zurück und steht im Zeichen der frühneuzeitlichen Wissenschafterneuerung. So sehr die Physik zu Beginn der Neuzeit mit den ihr vorangegangenen Traditionen bricht, bekräftigt sie doch den auf die Antike zurückreichenden wesentlich theoretisch verfassten Geltungsanspruch. Erstmals mit wirkungsgeschichtlich überragender Bedeutung von

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Aristoteles formuliert, lässt sich dieser Anspruch mit den Grundbestimmungen der Wahrheit, Notwendigkeit und Allgemeinheit charakterisieren.2 Wahrheit als Übereinstimmung von Denken und Sein kennzeichnet im klassischen Verständnis sowohl die einzelne Erkenntnis wie das eigentliche Ziel der Gesamterkenntnis, die auf eine Erklärung aller Phänomene abzielt. Erst nach Aristoteles, dessen Wissenschaft sich noch als eine Pluralität von Erkenntnisbereichen darstellt, verbindet sich mit dem Wahrheitsanspruch auch eine Einheitsvorstellung, wonach sich die Erkenntnis insgesamt zu einem System mit ausschließlicher Geltung zusammenfügen soll.3 Das Merkmal der Notwendigkeit schließt die Möglichkeit des Andersseins aus (vgl. Aristoteles Met. V,5, 1015a34). Den traditionellen Inbegriff der Notwendigkeit bilden die Wissensbestände der Mathematik, der Geometrie und der Logik. In den Naturwissenschaften wird Notwendigkeit klassisch durch Verwendung von logischen Schlussregeln, die selbst dem Wandel der Erfahrung enthoben sind, gesichert. An die formale Struktur von Urteilszusammenhängen werden bis heute typischerweise Erklärungsschemata und ihre wissenschaftstheoretischen Rekonstruktionen gebunden (vgl. Schurz 2006, S. 223ff). Allgemeinheit, das dritte Merkmal, meint sowohl die uneingeschränkte Lehrbarkeit wie auch die jeden Gegenstand und zu allen Zeiten umgreifende Universalität der wissenschaftlichen Erkenntnis im jeweiligen Geltungsbereich. Die Einheitsvorstellung der Wahrheit impliziert Allgemeinheit und ist unverträglich mit einer pluralen Verfassung der Erkenntnis. Nur außerhalb des klassischen Verständnisses lassen sich Allgemeinheit und Notwendigkeit ohne korrespondenztheoretischen Wahrheitsanspruch denken. Die Auflösung des Zusammenhanges kennzeichnet schon die Erosion der Klassik, wie sie im 19. Jahrhundert zu beobachten ist. Nietzsche sieht die traditionelle, in seiner Zeit niedergehende Wissenschaftsauffassung nicht mit Aristoteles, sondern mit Platon beginnen. Nachdem das „Suchen nach der Wahrheit [am] Leitfaden der Causalität“ mit Sokrates anheben würde, habe sie sich zu einer „Universalität der Wissensgier“ ausgeweitet (GT 15, KSA 1, S. 99). Auch wenn Nietzsche Platons Philosophie zu Recht mit Wahrheit, Notwendigkeit und Allgemeinheit kennzeichnet, so verkennt er doch, dass sie insofern nicht Gründungsakt des klassischen Verständnisses ist, weil sie eine wissenschaftliche Erkenntnis von der sichtbaren Welt, dem der klassische Begriff gilt, für unmöglich hält. Als Abbild der Ideen kann es von der sichtbaren Welt, wie Platon etwa im Dialog Timaios lehrt, nur eine wahrscheinliche, immer nur uneindeutige Erkenntnis geben (vgl. Platon Tim 29c). Platon aber schafft mit der Figur des Sokrates schon „den Typus des t h e o r e t i s c h e n M e n s c h e n“ (GT 15, KSA 1, S. 98) der nachfolgend bei Aristoteles die Hinwendung zu Erfahrung vollzieht. 2 Schnädelbach 1983, S. 106f; vgl. Aristoteles Met. I,1 980a; Nik. Eth. VI, 3, 1139. 3 Paradigmatisch für die Vorstellung der Wissenschaft als ein System ist Descartes’ Vorstellung, dass die „gesamte Philosophie […] einem Baume vergleichbar [sei], dessen Wurzel die Metaphysik, dessen Stamm die Physik und dessen Zweige alle übrigen Wissenschaften“ seien (Descartes 1955 [1644], XLII).

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Die Bekräftigung des klassischen Wissenschaftsverständnisses wird zu Beginn der Neuzeit durch eine neuartige Legitimation vollzogen (vgl. Schiemann 1997, S. 56f). An die Stelle von theologischen Begründungen, die im Mittelalter zur Rechtfertigung der wissenschaftlichen Erkenntnis ausschlaggebend waren, treten empiristische und rationalistische Rechtfertigungsstrategien. Neben ihrer programmatischen Formulierung durch Francis Bacon und René Descartes wird Kopernikus’ Erneuerung des heliozentrischen Weltbildes zum frühen Sinnbild der Entwertung von transzendenten Argumenten. Für Nietzsche trägt die neuzeitliche Wissenschaftsbegründung maßgeblich zur Schwächung der christlichen Glaubensüberzeugungen bei. Damit geht auf die Wissenschaft zum einen die Eröffnung epochal neuer Handlungsmöglichkeiten zurück.4 Zum anderen hält Nietzsche die damit verbundene Abwendung der Wissenschaft von umfassenden Orientierungen für eine Quelle des Nihilismus.5 In diesen Kontext stellt er auch Kopernikus’ fundamentale Umstellung astronomischer Modelle: Ist nicht gerade die Selbstverkleinerung des Menschen, sein W i l l e zur Selbstverkleinerung seit Kopernikus in einem unaufhaltsamen Fortschritte? […] Seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene gerathen, – er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg – wohin? in’s Nichts? in’s ‚d u r c h b o h r e n d e Gefühl seines Nichts‘? (GM III 25, KSA 5, S. 404)

Die neuzeitliche Physik beseitigt nicht nur die zentrale Stellung des Menschen im Kosmos, sondern entdeckt bald schon die unendliche Weite des Weltalls, die die schauererregende Vorstellung von der verschwindenden Kleinheit und Flüchtigkeit der menschlichen Existenz unabwendbar werden lässt.6 Gegen die kosmische Verlorenheit hält die Wissenschaft am Glauben an die absolute Geltung der Wahrheit ihrer Erkenntnis fest. Kennzeichnend für die Fortführung des klassischen Wissenschaftsverständnisses ist eine Neubestimmung des Hypothesenbegriffes, durch die sich weniger die Bedeutung des Begriffes als vielmehr sein Verhältnis zur Erkenntnis ändert. Als Hypothesen werden seit der Antike Vermutungen bezeichnet, die in wahre oder falsche Aussagen überführbar sind, oder deren Geltungsanspruch als nicht überprüfbar unterstellt wird (vgl. Heidelberger/ Schiemann 2009). War die Anerkennung von Hypothesen als Mittel der Wissensgewinnung bis weit ins Mittelalter problematisch (vgl. Freudenthal 2009), so beginnt die Neuzeit systematisch Hypothesen in die Methoden der Naturwissenschaften aufzunehmen. Hypothesen rücken zu wissenschaftlich weithin legitimen, aber doch nur vorübergehenden Annahmen auf. Entweder gilt es, ihren Wahrheitswert zu ermitteln, oder ihre Nichtüberprüfbarkeit muss deutlich von wissenschaftlichen Geltungsansprüchen unterschieden werden. Obwohl die Integration des Hypothetischen in 4 MA I 34, KSA 2, S. 53ff; FW 7, KSA 3, S. 378ff und FW 335, KSA 3, S. 560ff. 5 NL 1873, KSA 7, 19[206]; NL 1887, KSA 12, 9[60]; NL 1885, KSA 12, 2[127]. 6 Paradigmatisch ist Pascal 1987, Fragment 205. Zum Weltbild der neuzeitlichen Physik vgl. Blumenberg 1975.

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den Wissenschaftsbegriff als eines der Kennzeichen des revolutionären Neuanfangs gelten kann, bekräftigt die neuzeitliche Physik damit also nur, dass sie den bisherigen Wissenschaftskonzeptionen darin verbunden bleibt, Wahrheit als oberstes Kriterium ihrer Erkenntnis zu begreifen (vgl. McMullin 2009). Die methodische Zulassung von Erkenntnisunsicherheiten folgt der Hinwendung der Wissenschaft zu technischen Kontexten der Wissensgewinnung und Naturbeherrschung. Nachdem die traditionelle Entgegensetzung von Natur und Technik beseitigt ist, steigt das experimentelle Verfahren als führende Methode der Praxis auf. Im dem Maße, wie Wissenschaft und Technik zum Zweck der Naturbeherrschung zusammenrücken, beginnt sich das Verhältnis von Theorie und Praxis zu verschieben. Waren die Erfahrungsgewinnung und die Erkenntnisanwendung der Theorie untergeordnet, gewinnen sie jetzt an Eigenständigkeit und Gewicht. Die Praxis der Experimente bleibt aber als Verfahren der Hypothesenerzeugung (Bacon) und -überprüfung (Galilei) an theoretischen Vorgaben orientiert. Mit Newtons Mechanik schafft die Physik ein Paradigma der Naturforschung, das den künstlichen Kontext der Versuche mit den nur beobachtbaren kosmischen Bewegungsgesetzen in einer Theorie zusammenfasst. Es wird nachfolgend, wie Helmholtz 1855 bemerkt, „gleichsam als das Vorbild für alle späteren naturwissenschaftlichen Theorien betrachtet“ (Helmholtz 1884 [1855], S. 368). Newton leitet die Gesetze der Mechanik induktiv als Verallgemeinerung einer großen Zahl von wiederholbaren Beobachtungen ab. Er ordnet sich damit in die empiristische Linie ein, die die besondere Sicherheit der wissenschaftlichen Erkenntnis durch den speziellen Charakter der zugehörigen Erfahrung rechtfertigt. Es ist diese, mit der Naturforschung eng verbundene Line der Wissenschaftsbegründung, in der es bei David Hume zu einer ersten Stufe des Wahrheitsgewissheitsverlustes kommt, die bereits auf eine vollständige Relativierung der Geltungsansprüche der Naturwissenschaften hinausläuft. Hume behauptet, dass zwischen Tatsachen keine notwendige Verbindung bestehe und deshalb Naturgesetze, die in der Form von bedingten Allsätzen Notwendigkeit für einen unendlichen Anwendungsbereich postulieren, nicht zu begründen seien (vgl. Hume 1748, S. 82ff). Damit sind Hypothesen nicht mehr die begrenzt legitime Form einzelner Aussagen, sondern die einzig mögliche Form, in der überhaupt naturwissenschaftliche Sätze und Theorien vorgetragen werden können. Diesem Angriff auf die Grundlagen des klassischen Verständnisses antwortet Kants Philosophie mit einer Neuorientierung, die neben dem Empirismus (vertreten z.B. durch Helmholtz und John Stuart Mill) und dem Konventionalismus (vertreten z.B. durch Friedrich Heinrich Jacobi, später durch Henri Poincaré und Pierre Duhem) für das 19. Jahrhundert den wohl bedeutendsten Bezugspunkt zur wissenschaftstheoretischen Reflexion bildet, ohne den auch das Verhältnis von Nietzsches und Helmholtz’ Wissenschaftsverständnis nicht angemessen beurteilt werden kann. Indem Kants Ansatz die klassischen Bestimmungen in die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung verlegt, sichert er die Erkenntnisgewissheit lediglich noch in formaler

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Hinsicht. Für die Inhalte des objektiven Wissens besteht wegen der subjektiven Verfassung der Erkenntnisbedingungen keine Realitätsgarantie mehr. Ihre Wahrheit ist nur als ideales Ziel eines unendlichen Fortschrittsprozesses in Aussicht gestellt. Nietzsche versteht die Doppelgesichtigkeit der Transzendentalphilosophie, die die klassischen Bestimmungen noch einmal rettet und zugleich problematisiert, als Einleitung einer „tragischen Kultur“, der Kant offenbart habe, wie Raum, Zeit und Causalität als gänzlich unbedingte Gesetze von allgemeinster Gültigkeit […] nur dazu dienten, die bloße Erscheinung, das Werk der Maja, zur einzigen und höchsten Realität zu erheben und sie an die Stelle des innersten und wahren Wesens der Dinge zu setzen und die wirkliche Erkenntnis von diesem dadurch unmöglich zu machen (GT 18, KSA 1, S. 118).

Vor dem Hintergrund des Aufschwungs, den die Wissenschaften im 19. Jahrhundert nehmen, tritt die bei Kant schon präsente Problematisierung des klassischen Wissenschaftsverständnisses im öffentlichen Diskurs jedoch zunächst zurück. Es wird vielmehr Teil der Aufbruchsrhetorik, die den Aufstieg der Wissenschaft zur ersten Deutungsmacht und zur innovativsten Produktivkraft begleiten. In der Physik lässt sich in den ersten beiden Dritteln des Jahrhunderts kaum ein Bewusstsein davon nachweisen, dass die neue Macht der Wissenschaft nicht der klassischen Konzeption gemäß sei. Man versteht die Entwicklung als kumulativen Prozess, der keiner Umorientierung bedarf. So heißt es bei Helmholtz 1855: Die Naturwissenschaften stehen noch jetzt fest auf denselben Grundsätzen, die sie zu Kants Zeiten hatten, und zu deren fruchtbarer Anwendung Newton das große Beispiel gegeben hat; sie haben sich nur reicher entfaltet, und ihre Grundsätze an einer immer größeren Fülle von Einzelheiten geltend gemacht (Helmholtz 1884 [1855], S. 368).

Im wachsenden Umfang der naturwissenschaftlichen Gegenstände spiegelt sich nicht nur die Ausweitung des theoretischen Geltungsbereiches wieder, sondern der zunehmende Anwendungsbezug der naturwissenschaftlichen Forschung. Nachdem ihre technische Umsetzbarkeit bereits zu den zentralen Einsichten der Physik der frühen Neuzeit gehörte, entdeckt das 19. Jahrhundert die umfassende gesellschaftliche Nützlichkeit der Naturforschung und ihrer Methoden. Die wesentlich theoretisch verfassten Wissenschaftskriterien beginnen, in Konkurrenz zu den praktischen Erfordernissen des Einsatzes der Wissenschaft bei der Weltgestaltung zu geraten. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Verfahren, darunter auch die der Physik, werden erstmals in großindustriellen Fertigungsmethoden eingesetzt (z.B. Berechnung des Wirkungsgrades von Dampfmaschinen, Mechanisierung der Produktion), systematisch zum Aufbau von Produktionszweigen herangezogen (z.B. Chemie- und Elektroindustrie), als Triebkraft für technologische Innovationen ausgebildet (z.B. Energieversorgung, Hygienerevolution) und bei der Schaffung neuer Formen gesellschaftlicher Infrastrukturen verwendet (v.a. Kommunikation und Verkehr). Die Relevanz dieser Anwendungskontexte schlägt sich in der staatlichen Förderung der Naturwissenschaften nieder. Die privaten Labors der Professoren – darunter die

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„physikalischen Kabinette“ – werden aufgelöst bzw. in die experimentellen universitären Einrichtungen überführt. Mit der umfassenden Reform der Universitäten entstehen „Basisinstitutionen der modernen Welt“, die das Studium organisieren, die Forschung zentralisieren und ihre Mitglieder kulturprägend sozialisieren (Osterhammel 2009, S. 1132). Im Zuge dieser Transformationen verliert der Gelehrte seine Schlüsselstellung für den Prozess der Erkenntnisgewinnung; es bildet sich die arbeitsteilig organisierte Forschungsgemeinschaft heraus, mit der die Wissenschaft auf die zunehmende Spezialisierung ihrer Praxis und Theorie reagiert. Mit Blick auf die „wachsende […] Teilung und Organisation der wissenschaftlichen Arbeit“ spricht Helmholtz 1862 davon, dass „die Männer der Wissenschaft eine Art organisierter Armee“ bilden: Wohl kann es in jetziger Zeit so scheinen, als ob die gemeinsamen Beziehungen aller Wissenschaften zu einander, um deren Willen wir sie unter dem Namen einer Universitas litterarum zu vereinigen pflegen, lockerer als je geworden seien. Wir sehen die Gelehrten unserer Zeit vertieft in ein Detailstudium von so unermeßlicher Ausdehnung, dass auch der größte Polyhistor nicht mehr daran denken kann, mehr als ein kleines Teilgebiet der heutigen Wissenschaft in seinem Kopfe zu beherbergen (Helmholtz 1884 [1862], S. 119).

Nicht nur fängt der Umfang der wissenschaftlichen Gesamterkenntnis an, das Fassungsvermögen eines Menschen zu übersteigen. Zudem zeugt seine innere Differenzierung von der einsetzenden Schwächung der Einheit des Erkenntnissystems. Auch für die Physik und das Verhältnis der zu ihr benachbarten Fächer lassen sich für das 19. Jahrhundert neue unabhängige Wissensbereiche und Verselbständigungstendenzen nachweisen. So gelingt in der Thermodynamik (Wärmeleitung, thermodynamischer Wirkungsgrad) und der Elektrodynamik (magnetische und elektrische Kräfte) – um die heutige Bezeichnung der Fächer zu wählen – die mathematische Erfassung von Phänomenen ohne Rückgriff auf den Formalismus der Mechanik, deren Universalität damit an Geltung verliert. In der Chemie wird eher selten nach den physikalischen Grundlagen der Phänomene gefragt. Der zu Anfang des Jahrhunderts noch verbreitete Atomismus weicht in der zweiten Hälfte dem verstärkten Einfluss positivistischer Auffassungen, die die Atome in der Chemie als Hypothesen auffassen, deren Wahrheitswerte für den Fortschritt der Forschung keine Bedeutung haben. Mit der Pluralisierung des Wissens droht die Erreichung eines einheitlichen Erkenntnissystems selbst zur Hypothese zu geraten, deren mögliche Wahrheit allenfalls in weit entfernter Zukunft ermittelt werden könnte. Zu einer weiteren Aufwertung des Hypothesenbegriffes trägt die zunehmende Verwendung von nichtbeobachtbaren Größen in den physikalischen Theorien bei. Paradigmatisch hierfür können die genannten Beispiele der elektrischen und magnetischen Kräfte sowie der Atome gelten. Erst die aus der angenommenen Existenz von nicht beobachtbaren Objekten (z.B. Kräften) abgeleiteten Phänomene (wie etwa die Feldlinien von Eisenspänen im Umkreis eines Magneten) sind der Erfahrung zugänglich. Dieser indirekte Erfahrungsbezug hebt den hypothetischen Charakter der

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behaupteten Ursache nicht auf. Die fehlende eindeutige Relation zu Objekten gestattet Hypothesen einen hohen Allgemeinheitsgrad, der die Erklärung verschiedener Phänomene miteinander in Beziehung zu setzen vermag (z.B. Kraft als universelle Größe) (vgl. Carrier 2006, S. 35ff). Die Hypothetizität von nichtbeobachtbaren Größen und Erkenntniszielen problematisiert das klassische Wahrheitsverständnis, muss es aber nicht grundsätzlich gefährden. Die Wahrheit von Aussagen kann auf Beobachtbares restringiert und der Wissenszuwachs als Approximation an eine umfassende Wahrheit verstanden werden. Eine fundamentale Infragestellung des klassischen Verständnisses, die dessen prinzipielle Grenzen deutlich werden und sich als zweite Stufe des Wahrheitsgewissheitsverlustes bezeichnen lässt, geht hingegen in der Physik des 19. Jahrhunderts von Grundlagendiskursen aus. Bereits bei der neuzeitlichen Begründung der Mechanik zeigte sich die Uneindeutigkeit des Verhältnisses ihrer Begriffe (Raum, Zeit, Materie, Kraft). Es differenzierten sich materialistische (Grundbegriff Materie), duale (Grundbegriffe Materie und Kraft) und dynamistische (Grundbegriff Kraft) Positionen aus, für die sich vom Beginn der Neuzeit an Vertreter finden lassen (vgl. Schiemann 1997, S. 45ff, S. 417). Im 19. Jahrhundert tritt bei einigen Theoretikern die Einsicht hinzu, dass konkurrierende mechanische Prinzipien nicht bewiesen oder widerlegt werden können, sondern einer konventionellen Setzung bedürfen (Jacobi und Neumann) (vgl. Pulte 2009). Wegen des deduktiven Aufbaus der Mechanik überträgt sich der hypothetische Charakter der Prinzipien auf alle aus ihnen abgeleiteten Aussagen. Zu einer weiteren unaufhebbaren Hypothetisierung der Mechanik kommt es mit der Entdeckung der nichteuklidischen Geometrien um die Mitte des Jahrhunderts. Sie bieten alternative Konzeptualisierungen der Mechanik, zwischen denen nicht empirisch entschieden werden kann, was wiederum dem Konventionalismus neuen Auftrieb gibt (Riemann und Poincaré). Die Wahrheitsverunsicherung der Physik speist sich im 19. Jahrhundert auch aus kaum präzise bestimmbaren Einschränkungen der Reichweite ihrer Erklärungskraft. Größerem Gewicht als den schon angesprochenen nicht mechanischen Prinzipien in der Thermodynamik, Elektrodynamik und der Chemie kommt Darwins Evolutionstheorie zu, die durch ihren Rückgriff auf zufällige Ereignisse, mit denen sie die Variationsvielfalt der Arten erklärt, der von der Mechanik angenommenen strengen Naturkausalität entgegensteht. Indem Darwin auch die „intellektuellen Fähigkeiten“ und „moralischen Qualitäten“ des Menschen in seine Theorie einbezieht (Darwin 1908 [1872], S. 199f), ebnet er der naturalistischen Betrachtung dieser Phänomene den Weg. Das logische Vermögen zur Ableitung wissenschaftlicher Aussagen lief Gefahr, den Charakter einer Voraussetzung des Erfahrungswissens zu verlieren und stattdessen zu seinem Gegenstand zu werden. Auch Helmholtz sieht, nachdem er sich 1869 zur Darwin’schen Theorie bekannt hat, das „eigentlich sogenannte Denken“ bis in die „einzelnen Schritte“ von fundamentalen Prozessen der Empfindungsverarbeitung beeinflusst (Helmholtz 1884a [1878], S. 233). Allerdings bleiben bei ihm Aussagen über die empirische Erforschbarkeit des Denkens ebenso selten wie inkonsequent

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gegenüber seiner ansonsten behaupteten dualistischen Weltsicht, auf die gleich zurückzukommen sein wird. Der soweit skizzierte Hypothetisierungsprozess erreicht im Konventionalismus von Poincaré und Duhem einen ersten Höhepunkt. Mit Nietzsche kann man Kants Erkenntnistheorie als Präludium eines Wandels auffassen, der weniger die neuzeitlichen Errungenschaften der technischen Verwertung der Wissenschaften als vielmehr ihre noch aus der Antike herrührenden Merkmale in Frage stellt, das heißt, ihre „sokratische Cultur […] erschüttert“ (GT 18, KSA 1, S. 119). Doch es gibt auch Gegentendenzen, die für das klassische Verständnis sprechen. An erster Stelle ist hierbei die von Helmholtz und anderen vertretene Auffassung zu nennen, die eine kausalgesetzliche Erfassung von Phänomenen des Bewusstseins und der Kultur für unmöglich hält (vgl. Schiemann 1997, S. 288ff). Der Geltungsbereich der mechanistischen Welterklärung wird damit in cartesischer Tradition auf die Natur als Inbegriff der anorganischen und bewusstlosen organischen Phänomene begrenzt. Ein wissenschaftliches Verständnis der Lebensprozesse, die mit elementaren Formen des Bewusstseins einhergehen, ist damit für Helmholtz allenfalls partiell vorstellbar (vgl. Schiemann 1997, S. 290ff). Dass aber von der Mechanik ausgehend die Natur vollständig begreifbar sei, beweist im 19. Jahrhundert für viele Naturforscher der von James Prescott Joule, Robert Mayer und Helmholtz formulierte Energieerhaltungssatz, insofern er unter Voraussetzung der universellen Geltung der bereits bekannten mechanischen Sätze (fälschlicherweise) erklärt wird. Im letzten Drittel des Jahrhunderts wird außerdem die neu entwickelte statistische Wärmelehre, die die Richtung von Energieveränderungen aus den Bewegungen von Atomen ableitet (Entropiesatz), als ein Triumph der Wahrheit des mechanistischen Weltbildes aufgefasst. Obgleich die Hypothetizität in den Grundlagen der Mechanik Eingang gefunden hat und ihr Erklärungsumfang sich nicht mit Bestimmtheit beurteilen lässt, bleiben die meisten Physiker bis in die ersten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts an der mechanistischen Naturauffassung orientiert (vgl. MacCormmach 1984). Nur weil diese Ausrichtung mit einem klassischen Geltungsanspruch verbunden war, haben die Theorien der modernen Physik in ihrer Unvereinbarkeit mit den Prinzipien der Mechanik zu tiefgreifenden Erschütterungen geführt. Hypothetisierungstendenzen wird im 19. Jahrhundert schließlich auch mit neuen Verständnisweisen der klassischen Konzeption widersprochen. Hatte Kant schon die klassischen Geltungsansprüche durch Formalisierung von ontologischen Festlegungen befreit, gelingt dem Positivismus des 19. Jahrhunderts eine weitere Abkehr von inhaltlichen Seinsbestimmungen. Der Positivismus verlangt von der Naturforschung, sich allein auf die Erfassung und Analyse von beobachtbaren Größen zu beschränken. Entweder beziehen sich Erklärungen ausschließlich auf diese Größen oder die Wissenschaft verzichtet überhaupt auf Erklärungsansprüche. Damit schließt der Positivismus Objekte aus dem wissenschaftlichen Gegenstandsbereich aus, deren Wahrheit nicht empirisch erwiesen werden kann und an denen die Hypothetisierung anknüpft. Schon Newton gab für diese Richtung ein berühmtes Beispiel, als er mechanische

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Aussagen über die Ursache der Gravitationskräfte ablehnte. Im 19. Jahrhundert sind dem Positivismus im klassischen Verständnis u.a. Michael Faraday, Joseph Fourier, Gustav Robert Kirchhoff und teilweise auch Ernst Mach, nicht aber Hermann von Helmholtz zuzuordnen.

2. Helmholtz’ und Nietzsches Wissenschaftsauffassung im Vergleich Hermann von Helmholtz’ und Friedrich Nietzsches Positionen zur Wissenschaft im Allgemeinen und zur Naturwissenschaft im Besonderen weisen in mehrfacher Hinsicht gegensätzliche Eigenschaften auf. Helmholtz wurde mit gutem Recht als „Reichskanzler der Wissenschaft“ bezeichnet (Koenigsberger 1902f, Bd. 3, S. 97), Nietzsche gilt als einer der führenden Wissenschaftskritiker seiner Zeit; Helmholtz spricht aus der Innenperspektive der Naturwissenschaft, Nietzsche nimmt eine Beobachterperspektive ein; Helmholtz gibt der wissenschaftlichen Erkenntnis den Vorrang vor allen anderen Erkenntnisweisen, Nietzsche hält sie für sekundär; Helmholtz betont den historisch beispiellosen Wert der wissenschaftlichen Erkenntnis für die Wohlfahrt der Menschheit, Nietzsche, der den Nutzen der Wissenschaften wohl zu schätzen weiß, sieht zugleich ihre Gefahren, die, wenn man ihnen nicht hinreichend entgegenwirkt, sogar den Untergang der Menschheit bedeuten; Helmholtz ist ein Vertreter der uneingeschränkten akademischen Freiheit, nach Nietzsche gehört die Wissenschaft unter eine ästhetische Oberaufsicht. Die Gegensätzlichkeit würde eine weitergehende Zuspitzung erfahren, vergliche man Nietzsches Wissenschaftskritik mit Helmholtz’ früher Position, die eindeutig den klassischen Vorgaben folgt. Die Begründungen und Geltungsansprüche, mit denen Helmholtz sein mechanistisches Forschungsprogramm bis zum Beginn der 1870er Jahre versieht, wären eine gute Zielscheibe für Nietzsches Kritik. Dass sich Nietzsche ungeachtet seiner Ablehnung der klassischen Wissenschaftsauffassung auf Forschungsergebnisse von Helmholtz aus dieser Zeit bezieht, wird Gegenstand des dritten Teils sein. Zunächst soll es um die Berührungspunkte gehen, die sich aus der seit dem Beginn der 1870er Jahre einsetzenden Hypothetisierung von Helmholtz’ Wissenschaftsauffassung ergeben. Dieser Wandel hebt die genannten Gegensätzlichkeiten nicht auf, sondern führt Differenzierungen ein, die einen Brückenschlag zu Nietzsches Wissenschaftskritik erlauben. Ich werde mit Helmholtz’ Relativierung der klassischen Wissenschaftsauffassung beginnen, um mit den Ansichten eines repräsentativen Wissenschaftlers exemplarisch den Rahmen für den Kontext von Nietzsches Kritik zu schaffen. Das Material entnehme ich vor allem Helmholtz’ öffentlichen Vorträgen. Die Jahre von 1872 bis 1888, in der Nietzsche seine philosophischen Schriften publizierte, fallen in etwa mit der Zeit zusammen, in der ich für Helmholtz eine Annäherung an eine hypothetische

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Wissenschaftsauffassung datiere (1871–1894). Meine Darstellung folgt nicht der Chronologie, mit der Helmholtz von seinen früheren Positionen abrückt, sondern ist nach dessen Auseinandersetzung mit den klassischen Bestimmungen der Wahrheit, Notwendigkeit und Allgemeinheit gegliedert. Dabei ist abschließend zu berücksichtigen, dass Helmholtz nicht nur diese Kennzeichen erkenntnistheoretisch, sondern auch den Stellenwert der Erkenntnistheorie überhaupt hinterfragt. Bei ihm deutet sich bereits die Umkehrung des Verhältnisses von Theorie und Praxis als ein mögliches Kennzeichen postklassischer Wissenschaftsauffassung an.

a) Abschwächung der Klassik: Helmholtz’ späte Wissenschaftsauffassung Die Wissenschaftsauffassung, die Helmholtz zunächst fast 25 Jahre vertritt, wird von ihm programmatisch in der Schrift formuliert, mit der er 1847 seine epochemachende Formulierung des Energieerhaltungssatzes publiziert. Sie kulminiert im Ziel der Naturwissenschaft, die Wahrheit über alle Phänomene durch ihre Erklärung aus mechanischen Bewegungen zu ermitteln. Insofern die Charakterisierung der Bewegungen allein als Gegenstand der Erfahrungswissenschaft verstanden wird, hat dieses Programm empiristischen Charakter. Als elementar Bewegtes nennt er Atome, von denen die „Chemie […] durch tatsächliche Untersuchung erwies[en habe], dass alle Masse aus [ihnen] zusammengesetzt“ sei (Helmholtz 1884 [1869], S. 378f). Zwischen den Atomen wirkten ausschließlich mechanische Kräfte, deren Struktur aus dem experimentell bewiesenen Energiesatz erschließbar sei. Aus der Ausschließlichkeit, mit der die allgemeingültige Reduktion aller Beobachtungen auf Atombewegungen gelten soll, schließt Helmholtz auf ihre Notwendigkeit und Wahrheit: Das Geschäft der theoretischen Naturwissenschaft werde vollendet sein, wenn einmal die Zurückleitung der Erscheinungen auf einfache Kräfte vollendet ist, und zugleich nachgewiesen werden kann, dass die gegebene die einzig mögliche Zurückleitung sei, welche die Erscheinungen zulassen […, dann] wäre dieselbe als die notwendige Begriffsform der Naturauffassung erwiesen, es würde derselben alsdann also auch objektive Wahrheit zuzuschreiben sein (Helmholtz 1889 [1847], S. 6).

Aus der zu Beginn der 1870er Jahre einsetzenden facettenreichen Relativierung dieses Programms möchte ich einige derjenigen Aspekte herausgreifen, die die klassische Wissenschaftskonzeption in grundsätzlicher Weise in Frage stellen.7 Ich beginne mit der Problematisierung des Wahrheitsanspruches, der den Kern der klassischen Konzeption bezeichnet. Am Wahrheitsbegriff treten nicht nur der Wandel im Wissen-

7 Den Wandel von Helmholtz’ Wissenschaftsauffassung und seine Ursachen habe ich ausführlich diskutiert in Schiemann 1997.

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schaftsverständnis, sondern auch seine Grenzen und damit seine Distanz zur Position Nietzsches hervor. Helmholtz, der im Grunde „Klassiker“ geblieben ist, hat Wahrheit als Ziel der Wissenschaft zeitlebens nicht aufgegeben. Im Wandel seiner Wissenschaftsauffassung verschiebt sich die Erreichung eines wahren Erklärungssystems der Naturforschung aber von einem Nahziel in weite Entfernung, während die Fallibilität der wissenschaftlichen Aussagen, kaum dass sie thematisch geworden ist, an Bedeutung gewinnt. Der Wandel des Wahrheitsanspruches findet sich in nuce in den Transformationen von Helmholtz’ Gesetzesbegriff, den er explizit als notwendige Bedingung für Wissenschaftlichkeit anführt. Naturwissenschaftliche Gesetze zeichnen sich ihm zufolge durch eine „ausnahmslos[e] Geltung“ aus, erstrecken sich auf eine „unendliche Anzahl von Fällen“ und sind gegen den Begriff der Hypothese abgesetzt.8 Die Erosion des Wahrheitsanspruches reflektiert sich darin, dass die von Helmholtz immer aufrechterhaltene Grenze zwischen Gesetzen und Hypothesen, denen zum Gesetz die empirische Bestätigung fehlt, durchlässig wird. Wo er die Hypothetizität der Gesetzeserkenntnis eingesteht, ohne zugleich an die Möglichkeiten ihrer Verminderung zu denken, findet sich bei ihm die weitestgehende Relativierung der klassischen Wissenschaftsauffassung. In den 1870er Jahren entdeckt er eine unaufhebbare Wahrheitsoffenheit im induktiven Verfahren, das er für die Quelle aller erfahrungswissenschaftlichen Aussagen hält. Er spricht von „der nur approximativen Erweisbarkeit aller Naturgesetze durch Induktion“ (Helmholtz 1884a [1878], S. 393). Und später heißt es dann noch entschiedener: „Alle Kenntnis der Naturgesetze ist induktiv, keine Induktion ist je absolut fertig“ (Helmholtz 1892 [1884], S. 358). Zuweilen geht er sogar so weit, die Anerkennung der dauerhaft bestehenden ursprünglichen Hypothetizität als konstitutives Moment des wissenschaftlichen Ethos anzusehen: „Unwürdig eines wissenschaftlich sein wollenden Denkers aber ist es, wenn er den hypothetischen Ursprung seiner Sätze vergißt“ (Helmholtz 1884a [1878], S. 239). Für Helmholtz bleibt aber der hypothetische Charakter von Gesetzen allermeist Ausdruck eines Makels, den es besser nicht gäbe, und der, wenn er denn schon nicht restlos zu beseitigen sei, doch jedenfalls minimiert werden müsste. Durch Helmholtz’ öffentliche Vorträge zieht sich seit Beginn der 1870er Jahre ein gleichsam wehmütiger Ton. Die von ihm selbst betriebene Zersetzung einer einstmals unumstößlichen Orientierung am Wahrheitsanspruch wird weniger als aufklärerischer Akt gefeiert, sondern eher als Verlust erfahren. Ein Beispiel für die Entwicklung einer eher vorwärtsgewandten Position findet sich in der Formulierung eines Abgrenzungskriteriums, das im Ethos der Hypothetizität bereits angelegt ist. Hypothesen, deren Wahrheitsoffenheit geleugnet wird, bezeichnet Helmholtz als Dogmen (vgl. Helmholtz 1884b [1878], S. 187). Sie sind das

8 Helmholtz 1884 [1862], S. 171 und S. 160; vgl. Schiemann 1997, S. 259ff und S. 321ff.

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Kennzeichen von „metaphysischen Systemen“, die er den Erfahrungswissenschaften entgegensetzt: Charakteristisch aber für die Schulen, die auf solchen als Dogmen angenommenen Hypothesen ihr System errichteten, ist die Intoleranz […]. Die überzeugten Anhänger müssen […] für jeden einzelnen Teil eines solchen Gebäudes denselben Grad von Infallibilität in Anspruch nehmen (Helmholtz 1884b [1878], S. 175f).

Wenn für dogmatische Systeme die „Infallibilität“ ihrer Sätze typisch ist, dann sollte sich demgegenüber die wissenschaftliche Erkenntnis durch ihre Widerlegbarkeit auszeichnen. Helmholtz gelangt damit bereits zu einem Wissenschaftsverständnis, das die Grundüberzeugung des kritischen Rationalismus, wie ihn Karl R. Popper später begründen wird, vorwegnimmt: Unfehlbarkeit wird für Helmholtz zum Kennzeichen einer falschen Wissenschaftlichkeit.9 Das klassische Wissenschaftsmerkmal der Notwendigkeit erfährt bei ihm nur eine partielle Relativierung. Die als Inbegriff des Notwendigen geltenden Gegenstände der Mathematik und der Logik bleiben in ihrer unwandelbaren Geltung nahezu unangetastet.10 Die geometrischen Systeme werden zwar einer Empirisierung und einer Pluralisierung unterzogen, ohne dabei aber ihren immanenten Charakter der Notwendigkeit zu verlieren. Einschränkungen des klassischen Verständnisses der Notwendigkeit werden hingegen am Begriff der Kausalität kenntlich, die Helmholtz als Naturgesetz und Gesetz der Erkenntnisbedingungen auffasst. Es lassen sich in seinen Vorträgen verschiedene Bedeutungen der Kausalität nachweisen, die von ihm weder als different ausgewiesen noch immer hinreichend unterschieden werden (vgl. Schiemann 1997, S. 254ff). Als Garant der Realität der Außenwelt nennt Helmholtz das Kausalgesetz ein „vor aller Erfahrung gegebene(s) Gesetz“ (Helmholtz 1884 [1855], S. 116); als Verknüpfung von Ereignissen glaubt er jedoch, dessen Geltungsumfang begrenzen zu müssen. Schon bei der Formulierung des Energieerhaltungssatzes hält er es für eine empirische Frage, ob es Veränderungen in der Natur gebe – Helmholtz denkt hierbei an Lebensphänomene –, „die sich dem Gesetze eine notwendigen Kausalität entziehen“ (Helmholtz 1889, S. 4). Neben fortgesetzten Behauptungen der absoluten Geltung von Kausalität finden sich in seinen Schriften ab den 1870er Jahren Formulierungen, die mit ihrer uneingeschränkten Notwendigkeit im Bereich der unbelebten Natur nicht mehr vereinbar

9 Auch das von Helmholtz in diesem Zusammenhang gegebene Beispiel für den Gegensatz zwischen wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Systemen, die Entgegensetzung von Astronomie und Astrologie, wird später von Popper zur Veranschaulichung des Abgrenzungskriteriums gegen nicht falsifizierbare Aussagen verwendet (vgl. Helmholtz 1884b [1878], S. 188; 1884 [1874], S. 433 und Popper 1963, S. 37f, S. 188 u.ö.). Zum Verhältnis von Helmholtz und Popper vgl. Schiemann 1995, von Nietzsche und Popper vgl. Fischer 2003. 10 Zu einer Einschränkung kommt es im Zusammenhang der sogenannten unbewussten Schlüsse, die Helmholtz mit „den Schlüssen der Logiker“ vergleicht (Helmholtz 1884 [1868], S. 358).

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sind.11 Einerseits schwächt die Hypothetisierung des Gesetzesbegriffes auch die Geltung der Notwendigkeit von Kausalbeziehungen ab. Andererseits treten Erwägungen hinzu, die speziell die Kausalität betreffen. Schon 1878 macht er sich die empiristische Auffassung zu eigen, dass die Geltung des Kausalgesetzes induktiv nicht beweisbar sei (vgl. Helmholtz 1884a [1878], S. 244). Später hält er auch den Ursprung kausaler Erklärungen von Einzelphänomenen für hypothetisch (vgl. Helmholtz 18962 [1885ff], S. 593). In einer vermutlich erst danach entstandenen Nachlassaufzeichnung fällt die Kausalität als universelle Sicherungsinstanz: Das Kausalgesetz (die vorausgesetzte Gesetzmäßigkeit der Natur) ist nur eine Hypothese und nicht anders erweisbar als eine solche. Keine bisherige Gesetzmäßigkeit kann künftige Gesetzmäßigkeit erweisen. Der einzige Beweis aller Hypothesen ist immer: prüfe, ob es so ist, und Du wirst es finden (am besten experimentell, wo es angeht) (Helmholtz zitiert nach Koenigsberger 1902f, Bd. 1, S. 247f).

Das dritte klassische Wissenschaftsmerkmal, die Allgemeinheit, wird im 19. Jahrhundert – und so auch bei Helmholtz – nur in seiner Bedeutung der Universalität der wissenschaftlichen Wahrheit relativiert. An der allgemeinen Lehrbarkeit der Wissenschaften zu zweifeln, besteht in einer Zeit, in der sich die Universitäten als gesellschaftliche Institutionen konstituieren und das Verbot des Frauenstudiums noch nicht problematisch scheint, kein Anlass. Die Behauptung der Universalität meint im klassischen Verständnis die Einheit der Wahrheit und ihre alle Zeiten und Gegenstände umfassende Geltung. Ihre Relativierung ist an dem Grad abzulesen, in dem sich die Erkenntnis pluralisiert. Eine Quelle mangelnder Allgemeinheit stellt der von Helmholtz zeitlebens vertretene Dualismus von Natur und Geist dar, dem auch seine Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaft folgt. Indem Helmholtz den Geist als Subjekt der Naturerkenntnis begreift, integriert er die beiden Erkenntnisweisen in ein in sich geschlossenes und dennoch heterogen strukturiertes System. Natur- und Geisteswissenschaft unterscheiden sich durch ihre Gegenstandsbereiche und Methoden, zwischen denen Helmholtz erst in seinen späteren Schriften Gemeinsamkeiten erkennt.12 Mit den 1870er Jahren treten in seiner Darstellung der Forschung Unterbestimmtheiten der Erkenntnis auf, die auch innerhalb eines Gegenstandsbereiches nicht mehr mit dem Allgemeinheitspostulat verträglich sind. Von beachtlicher öffentlicher Wirkung ist hierbei seine Auseinandersetzung mit den von Nikolai Lobatschewski und Bernhard Riemann entdeckten nichteuklidischen Geometrien. Misst er in den 1860er

11 Helmholtz 1884a [1878], S. 234f; Schiemann 1997, S. 369. 12 Die in Helmholtz 1884 [1862], S. 183, aufgeführten Wechselbeziehungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften relativieren nicht ihren Gegensatz, wie Orsucci 2012, S. 425, behauptet, sondern setzen ihn voraus. Zu den späteren Reden, in denen Helmholtz Berührungen zwischen den Disziplinengruppen behauptet, gehört Helmholtz 1892 [1884], vgl. Schiemann 1997, S. 246ff, S. 288ff und S. 340ff.

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Jahren der euklidischen Geometrie mit Verweis auf die ausschließliche Geltung der Newton’schen Mechanik noch eine Sonderstellung zu (vgl. Schiemann 1997, S. 219ff), geht er in den 1870er Jahren dazu über, die anschauliche Vorstellbarkeit auch der nichteuklidischen Geometrien zu demonstrieren.13 An die Stelle der Evidenz, von dem die euklidische Geometrie ausging, tritt eine im Prinzip nicht begrenzbare Menge unterschiedlicher Satzsysteme, die die räumliche Darstellung eines empirisch Gegebenen gleichberechtigt bestimmen, woraus eine Unterbestimmtheit der Mechanik resultiert. Von geringerer Publizität, aber nicht minderer wissenschaftstheoretischer Relevanz ist Helmholtz’ Einsicht, dass der wissenschaftlichen Erkenntnis unhintergehbare metaphysische Voraussetzungen zugrunde liegen. Gegenstand dieser Überlegung ist seine eigene realistische Außenweltannahme, die er fast durchgängig bis in die 1870er Jahre glaubt, aus der absoluten Geltung der Kausalität ableiten zu können. 1878 heißt es dann: Die verschiedenen Abstufungen der idealistischen und realistischen Meinungen sind metaphysische Hypothesen, welche, so lange sie als solche anerkannt werden, ihre vollkommene wissenschaftliche Berechtigung haben […]. Die Wissenschaft muß alle zulässigen Hypothesen erörtern, um eine vollständige Übersicht über die möglichen Erklärungsversuche zu behalten (Helmholtz 1884a [1878], S. 239).

Im Rahmen der klassischen Wissenschaftsauffassung stellen die Begründungstrategien des Idealismus und Realismus zwei sich wechselseitig ausschließende Ansätze dar. Eine klassische Wissenschaft kann nicht sowohl idealistisch als auch realistisch, sondern muss, im Rahmen dieser Alternativen, eines von beiden sein. Ohne dass Helmholtz die Entgegensetzung der beiden Ansätze aufhebt, geht er im obigen Zitat von ihrer Unwiderlegbarkeit aus (vgl. Helmholtz 1884a [1878], S. 239) und erkennt beide als gleichberechtigte an. Idealismus und Realismus werden zum Teil einer wahrheitsrelativierenden Vielfalt von Wissenschaftsauffassungen. Helmholtz kennt schließlich nicht nur plurale Elemente innerhalb der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern grenzt sie auch von anderen Erkenntnis- und Erfahrungsweisen ab – etwa von der „künstlerischen Anschauung“ (Helmholtz 1884b [1878], S. 184) oder von der lebensweltlichen Erfahrung, die er teilweise „Kenntnis“ nennt.14 Die Pluralität der Wissensformen ist Voraussetzung für die ansatzweise Formulierung eines pragmatischen Wissenschaftsbegriffes, in dem sich eine bereits eingetretene Verschiebung des Verhältnisses von Theorie und Praxis reflektiert. Noch im theoretischen Kontext der Bestimmungen des Wahrheitsbegriffes verbleibend entnimmt Helmholtz dem lebensweltlichen Kontext eine pragmatische Definition, die

13 Helmholtz 1884a [1878], S. 230ff; vgl. Schiemann 1997, S. 346ff 14 Helmholtz 1884 [1855], S. 99f; 1894 [1882ff], S. 540, bzw. 18962 [1885ff] S. 598.

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später in seine Diskussion des Kausalbegriffes und damit in seine Wissenschaftsauffassung eingeht.15

b) Tod der Klassik: Nietzsches Wissenschaftsauffassung Unter den genannten Gegensätzen zwischen Helmholtz’ und Nietzsches Wissenschaftsauffassungen kommt der differenten Bewertung der wissenschaftlichen Erkenntnis eine Schlüsselstellung zu. Für Helmholtz hat die wissenschaftliche Erkenntnis höchsten Rang: Als vorbildliche Wissensform hat sich die kulturelle Entwicklung an ihr zu orientieren. Innerhalb der Wissenschaften gebührt den Naturwissenschaften der Vorzug vor den Geisteswissenschaften; die Naturwissenschaften ordnen sich wiederum der Mechanik unter. Wissenschaftliche Erkenntnis ist kein Mittel, sondern Selbstzweck: [Die] echte Wissenschaft [ist] nichts anderes, als eine methodisch und absichtlich vervollständigte und gesäuberte Erfahrung, und zwar eine Erfahrung, welche viel vollständiger und viel sicherer ist, als jede durch Zufall zusammengekommene Erfahrung eines einzelnen nicht methodisch verfahrenden Menschen. Eben deshalb dürfen wir auf die echte Wissenschaft am meisten vertrauen und am meisten Wert legen (Helmholtz 1903, S. 20).

Für Nietzsche kommt der Wissenschaft hingegen kein Eigenwert zu. Als „Symptom des Lebens“ ist sie der Weltgestaltung untergeordnet und gründet wie diese auf Irrtum (GT Versuch 1, KSA 1, S. 12). In einer Nachlassaufzeichnung formuliert er bündig: „Leben ist die Bedingung des Erkennens. Irren die Bedingung des Lebens und zwar im tiefsten Grunde Irren. Wissen um das Irren hebt es nicht auf! Das ist nichts Bitteres!“ (NL 1881, 11[162], KSA 9, S. 504). Wissenschaftliche Erkenntnis bietet bloß oberflächliche Einsichten, die den Sinnbedürfnissen des Lebens nicht nur nicht genügen,16 sondern auch lebensbedrohlich sind, wo sich das Denken auf sie beschränkt. Der normative Gehalt von Erkenntnis wird offengelegt. Richtig eingesetzt vermag Wissenschaft ein nützliches Mittel zur Schärfung der Kritik, zur Erweiterung des Wissens und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse sein.17 Aus der Unterordnung der Wissenschaft unter das Leben leitet sich bereits die radikale Ablehnung der klassischen Wissenschaftsauffassung ab, wie sie Nietzsche in seinen Schriften oftmals formuliert. Schon das Wissen um die „Irrtümlichkeit der Welt“ (JGB 34, KSA 5, S. 52ff) lässt keine absoluten Wahrheitsansprüche zu. Teils wird die Möglichkeit der Wahrheit überhaupt bestritten, teils werden Wahrheiten bloß kontextrelativ und nur mit vorübergehender Geltung formuliert (vgl. Clark 1990). Aber

15 Helmholtz 1856ff, S. 443 und 1878, S. 244. Vgl. Schiemann 1997, S. 269f und S. 371. 16 FW 373, KSA 3, S. 624ff; NL 1887, KSA 12, 5[16]. 17 MA I 128, KSA 2, S. 123; NL 1880, KSA 9, 8[98].

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nicht primär aus theoretischen, sondern vielmehr aus praktischen Erwägungen verliert der Wahrheitsbegriff seine Stellung als Leitbegriff der wissenschaftlichen Erkenntnis. Alle Theorie gilt als Ausdruck von Interessen, denen es um Herrschaft statt um bloße Erkenntnis geht. Mit dieser Vorgabe fallen auch die anderen Kennzeichen der klassischen Wissenschaftsauffassung. Es kann keine zeitlose Notwendigkeit geben, da alles Wissen einem von Überlebens- und Machtkämpfen getriebenen historischen Wandel unterliegt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse gelten in ihren Bereichen zudem nicht allgemein, sondern stehen gleichberechtigten, aber von gegensätzlichen Interessen geleiteten Aussagen gegenüber.18 Nietzsche vertritt die grundlegenden Elemente dieser Position zeitlebens. Es kommt mir nicht wie bei Helmholtz darauf an, Wandlungen von Nietzsches Wissenschaftsauffassung, die keineswegs in Abrede gestellt werden sollen, nachzuzeichnen. Als Kritiker der traditionellen Ansichten gehört Nietzsche selbst zu den Motoren des Transformationsprozesses der Wissenschaftsauffassung im 19. Jahrhundert.19 Aus der Beobachtungsperspektive erkennt er den von Helmholtz nur vollzogenen, aber nicht thematisierten Wandel auch als solchen und setzt sich mit der Situation, die sich aus dem schwindenden Einfluss der klassischen Bestimmungen ergibt, auseinander. In Kants Erkenntniskritik sieht er einen entscheidenden Wendepunkt, der zur Erschütterung der „sokratischen Cultur“ (GT 18, KSA 1, S. 117) geführt habe. Meine Darstellung, die sich wiederum nach der Kritik an den klassischen Merkmalen der Wahrheit, Notwendigkeit und Allgemeinheit ordnet, sucht das Ausmaß ihrer Relativierung exemplarisch zu bestimmen. Leitend sind die bei Helmholtz diskutierten Beispiele des Gesetzesbegriffes, der Kausalität und Pluralität. Während sich die Grenzen der Modernisierung bei Helmholtz hauptsächlich daraus ergeben, dass er an der Klassik orientiert bleibt, resultieren sie bei Nietzsche wesentlich aus den Aporien einer Wissenschaftsauffassung, die sich bereits in weiter Distanz von den traditionellen Merkmalen befindet, dennoch aber vor einem Rückfall auf sie nicht gefeit ist. Um des Vergleiches der beiden Positionen willen, kam es bei der Darstellung von Helmholtz’ Positionen darauf an, die Elemente der Modernisierung zu betonen. Bei den Ausführungen zu Nietzsche geht es hingegen darum, Grenzen der Radikalität der Verabschiedung von klassischen Auffassungen herauszustellen. So kompromisslos Nietzsche seine Kritik an den auf die Antike zurückreichenden wissenschaftlichen Wahrheitsansprüchen vorträgt, so zweifelhaft bleibt die damit teilweise einhergehende mangelnde Reflexion auf das Problem der Selbstbezüglichkeit. Ist etwa der Satz, „daß wir die Wahrheit nicht haben“, wahr?20 Wo Nietzsche Wahrheit im Rückgriff auf Wahrheit zurückzuweisen versucht, setzt er sich dem

18 Zu Nietzsches pluraler Wissenschaftsauffassung vgl. weiter unten in diesem Abschnitt. 19 Habermas 1968; Löw 1984. 20 NL 1880, KSA 9, 3[19]. Wo Nietzsche annimmt, dass es wahr ist, dass dem Menschen die Wahrheit nicht gegeben ist, spricht er auch davon, dass das „ganze menschliche Leben […] tief in die Unwahrheit eingesenkt“ (MA I 34, KSA 2, S. 54) ist.

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Einwand eines Selbstwiderspruches aus.21 Neben formalen Gründen ergeben sich Grenzen der Wahrheitskritik aber auch aus inhaltlichen Zusammenhängen. Größtes Gewicht kommt hierbei Nietzsches Naturalismus zu, in dessen Rahmen er die Bedingungen menschlicher Erkenntnis bestimmt.22 Beispielsweise hält er die Unfähigkeit zur wahren Erkenntnis für eine evolutionär entstandene Natureigenschaft des Menschen: „Ursprung der Erkenntnis. – Der Intellect hat ungeheure Zeitstrecken hindurch Nichts als Irrthümer erzeugt; einige davon ergaben sich als nützlich und arterhaltend“ (FW 10, KSA 3, S. 469). Naturalistisch fällt mitunter auch seine Begründung für die Nichtexistenz von Naturgesetzen aus. Weil der „Gesammt-Charakter der Welt […] in alle Ewigkeit Chaos“ ist, „kennt [das All] auch keine Gesetze“ (FW 109, KSA 3, S. 468). Der angenommenen Ungesetzlichkeit der Welt entspricht der Gedanke der Unanwendbarkeit von Gesetzen (vgl. MA I 19, KSA 2, S. 41), die Nietzsche als Anthropomorphismen ohne jeden Wahrheitsgehalt ausgibt (vgl. NL 1872–1873, KSA 7, 19[237]). Ein Naturgesetz hat nicht wie bei Helmholtz den Charakter einer Hypothese, deren Wahrheitswert sich im Prinzip ermitteln lässt, sondern einer „Welt-Interpretation“, einer „Zurechtmachung und Sinnverdrehung“ der Welt.23 Nietzsche will mit seiner Kritik vor allem den absoluten Geltungsanspruch, nicht aber die Nützlichkeit naturwissenschaftlicher Gesetze zur Gestaltung der Welt bestreiten. Auch das Merkmal der Notwendigkeit, das Helmholtz im Wesentlichen nur im Kontext der Kausalität relativiert, fällt bei Nietzsche gänzlich der Naturalisierung und Historisierung der Erkenntnis zum Opfer. Die Logik, die im klassischen Verständnis neben der Mathematik und Geometrie als Inbegriff der Notwendigkeit gilt, fasst Nietzsche als ein naturgeschichtlich gewordenes und immer wandelbares Konstrukt auf. Der Verlauf logischer Gedanken und Schlüsse in unserem jetzigen Gehirne entspricht einem Processe und Kampfe von Trieben, die an sich einzeln alle sehr unlogisch und ungerecht sind; wir erfahren gewöhnlich nur das Resultat des Kampfes: so schnell und so versteckt spielt sich jetzt dieser uralte Mechanismus in uns ab (FW 111, KSA 3, S. 472).

So wenig den Naturgesetzen der Wissenschaft etwas Reales entspricht, hat die Logik als Mittel des Überlebenskampfes ein Korrelat in der Welt. Indem Nietzsche auch der Kausalrelation bloß noch eine psychologische Natur zuschreibt, kommt er zu Einsichten, die an Humes Kritik der Notwendigkeit heranreichen. Kausalität verliert ihre zwingende, jedes Anderssein ausschließende Geltung und reduziert sich auf die Gewöhnung an eine im Grunde kontingente zeitliche Abfolge von Ereignissen:

21 Heit 2009; Richardson 2001, S. 15f. 22 Zu Nietzsches Naturalismus vgl. Leiter 2009. 23 FW 373, KSA 3, S. 626; JGB 22, KSA 5, S. 37.

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Wir sprechen […] von Kausalitäten, während wir im Grunde nur ein Nacheinander von Ereignissen sehen. Daß dies Nacheinander bei einer bestimmten Scenerie immer eintreten müsse, ist ein Glaube, der unendlich oft widerlegt wird.24

Obwohl Nietzsche die Gegenstände des klassischen Notwendigkeitsverständnisses neu denkt, verzichtet er selbst nicht auf den Begriff. Er gibt ihm neue Bedeutungen, wie etwa die eines normativen Postulats,25 hält aber auch an der Bedeutung der ausgeschlossenen Alternativen fest. Letzteres trifft etwa für seine geschichtsphilosophische Überzeugung zu, die „Heraufkunft des Nihilismus“ sei als „Augenblick der allertiefsten Selbstbesinnung des Menschen“ notwendig.26 Wo aber die Notwendigkeit als Ausschließungsprinzip fehlt, kann Pluralität Platz greifen und das dritte Merkmal der klassischen Wissenschaftsauffassung, die Allgemeinheit, entkräften. Nietzsches Verständnis von Naturgesetzen als Interpretationen der Welt eröffnet ihm die Möglichkeit, eine unendliche Auslegungsvielfalt zu postulieren. Die Deutungen wandeln sich historisch und richten sich nach den Absichten ihrer Autoren, sie unterscheiden sich aber auch nach den Erfordernissen ihrer Gegenstände. Die historische Veränderlichkeit, um mit der ersten dieser drei Varianten der Vielfalt zu beginnen, wird von Nietzsche oftmals uneingeschränkt behauptet. Ähnlich wie Ernst Mach 1872 ganz allgemein feststellt, „[d]ie Geschichte hat alles gemacht, die Geschichte kann alles verändern“ (Mach 1872, S. 3), heißt es bei Nietzsche 1878: „Alles aber ist geworden; es giebt k e i n e e w i g e n Ta t s a c h e n: sowie es keine absoluten Wahrheiten giebt“ (MA I 2, KSA 2, S. 25). Durch den Willen zur Macht bestimmt, führt der historische Prozess nicht zur Wahrheit: Daß […] jede erreichte Verstärkung und Machterweiterung neue Perspektiven aufthut und an neue Horizonte glauben heißt – das geht durch meine Schriften. Die Welt, die u n s e t w a s a n g e h t, ist […] ‚im Flusse‘, als etwas Werdendes, als eine sich immer neu verschiebende Falschheit, die sich niemals der Wahrheit nähert: denn – es giebt keine ‚Wahrheit‘ (NL 1885–1886, 2[108], KSA 12, S. 114)

Die Pluralität der Interpretationen erlaubt verschiedene äquivalente Ansichten eines Gegenstandes. Mit „der entgegengesetzten Absicht und Interpretationskunst [kann] aus der gleichen Natur und im Hinblick auf die gleichen Erscheinungen […] das Gleiche von dieser Welt“ behauptet werden (JGB 22, KSA 5, S. 37). Unterschiedliche Interpretationen können einem Gegenstand aber auch verschieden angemessen sein. Nietzsche bestreitet etwa, dass die mathematische „Welt-Interpretation“ seiner Zeit in 24 NL 1873, KSA 7, 29[8]. Vgl. auch GD Irrthümer 4, KSA 6, S. 92. 25 „Werde notwendig!“, NL 1882, KSA 10, 5[1]. 26 NL 1887, KSA 13, 11[119]; vgl. entsprechend NL 1887, KSA 13, 11[411], NL 1887, KSA 13, 7[64]; NL 1887, KSA 12, 10[42]; NL 1887, KSA 12, 10[42] und NL 1888, KSA 13, 13[4]. Zu Nietzsches Begriff der Notwendigkeit vgl. auch Moles 1990, S. 185ff.

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der Lage wäre, irgendetwas von dem „W e r t h einer Musik“ zu begreifen (FW 373, KSA 3, S. 626). Die Zurückweisung eines naturwissenschaftlichen Erklärungsanspruches gegenüber ästhetischen Phänomenen ist Helmholtz’ Dualismus von Natur und Geist verwandt. Dessen „Lehre von den Tonempfindungen“ beschränkt sich strikt auf die physiologischen Grundlagen der Empfindungen und des Erlebens isolierter Töne und Klänge, womit sie sich eines Urteils über die geistige Erfassung des Gehörten enthält.27 Bei vergleichbar berechtigtem Objektbezug vermögen sich hingegen verschiedene Interpretationen untereinander zu ergänzen: „[ J ] e m e h r Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser ‚Begriff‘ dieser Sache, unsre ‚Objektivität‘ sein“ (GM III 12, KSA 5, S. 365). Dieses Vervollständigungsprinzip braucht nicht nur synchron zu gelten. Auf die Geschichte angewandt, gerät es in ein Spannungsverhältnis zur obigen Ablehnung einer möglichen Wahrheitsannäherung. In einer Nachlassaufzeichnung glaubt Nietzsche sogar, „daß die allgemeinsten Begriffe, als die f a l s c h e s t e n, auch die ältesten sein müssen“ (NL 1885, 38[14], KSA 11, S. 613). Es gibt ihm zufolge unter den „u n e n d l i c h e n I n t e r p r e t a t i o n e n“, die die Welt „i n s i c h s c h l i e s s t“ (FW, 374, KSA 3, S. 627), „G r a d e des Falschen“ (NL 1881, 11[325], KSA 9, S. 568). Eine sich historisch entfaltende Pluralität von Interpretationen könnte demnach eine fortschreitende Verbesserung der Gegenstandsangemessenheit implizieren. Indem dieser entwicklungsgeschichtliche Prozess über den Ausschluss von Falschem vermittelt wäre, wiese er Verwandtschaft mit dem von Helmholtz angedeutetem und später von Popper propagierten Erkenntniskriterium der Widerlegbarkeit auf.

3. Klassische Wissenschaftsauffassung als eigene Totengräberin? Nietzsche, der in seinen Schriften Helmholtz nur einmal erwähnt, ist in seinem Wissenschaftsverständnis durch Helmholtz’ Arbeiten wahrscheinlich beeinflusst worden.28 Unter den Themen, denen Nietzsche vermutlich Anregungen entnommen hat, 27 Helmholtz 19136 [1863]. Die These von Rieger 2006, nach der sich mit Helmholtz 19136 [1863] ein Umbruch im Musikverständnis von der Proportionslehre zur naturwissenschaftlich-objektiven Untersuchung der materiellen Grundlagen vollzogen habe, scheint überzogen, insofern sie die nichtnaturalistische Position von Helmholtz nicht berücksichtigt. 28 Vgl. u.a. Riccardi 2009; Reuter 2004; Small 2001; Stack 1983. Nietzsches einziges Zitat aus Helmholtz findet sich in den Vorlesungen zu den Vorplatonischen Philosophen: „Im Verlauf ungeheurer Zeiten muß die ganze uns so unabsehbare Dauer von Sonnenlicht u. Wärme völlig verschwinden. Helmholtz sagt in der Abhandlung über die Wechselwirkung der Naturkräfte ‚wir kommen zu dem unvermeidlichen Schlusse, daß jede Ebbe und Fluth fortdauernd u. wenn auch unendlich langsam, doch sicher, den Vorrath mechanischer Kraft des Systems verringert, wobei sich die Axendrehung der Planeten verlangsamen muß u. sie sich der Sonne oder ihre Trabanten ihnen nähern müssen. Also

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kommt Helmholtz’ noch dem klassischen Verständnis verhafteter Zeichentheorie erhebliche Bedeutung zu. Nietzsche könnte sie zur Grundlegung seiner Kritik an eben dieser Wissenschaftsauffassung herangezogen haben. Helmholtz’ Zeichentheorie schließt am „Gesetz der spezifischen Sinnesenergien“ seines Lehrers Johannes Müller an, dem zufolge die Qualität einer Sinnesempfindung nicht auf den empfundenen Gegenstand, sondern auf die Qualität der Sinnesnerven zurückgeht.29 Wegen der fehlenden qualitativen Beziehung zwischen dem Objekt und dem Erlebnis einer Empfindung nennt Helmholtz letztere und die auf sie bezogenen Wahrnehmungen „Zeichen“. Lässt er anfänglich nur eine Beziehung der Gleichheit bzw. Ungleichheit zwischen Objekt und den zugehörigen Bewusstseinsinhalten zu, postuliert er später ein Abbildungsverhältnis in der „Zeitfolge der Ereignisse“ der Relata.30 Für Helmholtz dürfte kein Zweifel bestanden haben, dass es sich bei seiner Theorie um eine wissenschaftlich abgesicherte Wahrheit handelt. Die Sinnesphysiologie erweist mit dem Zeichencharakter von Empfindungen und Wahrnehmungen nicht etwa einen Mangel der wissenschaftlichen und damit der eigenen Erkenntnis, sondern umgekehrt eine Schwäche der nichtwissenschaftlichen Alltagserkenntnis.31 Zur experimentellen Feststellung der physikalischen Gesetze der Welt bezieht sich die Wissenschaft allein auf das präzise zeitliche Abbildungsverhältnis, das der Zeichenwelt des Alltagsverstandes gänzlich verschlossen bleibt. Weil auch zwischen den physikalischen Theorien und ihren Gegenständen ein eindeutig bestimmbares Kausalverhältnis besteht, hat die zugehörige Erkenntnis keinen Zeichen-, sondern allein Abbildungscharakter (vgl. Schiemann 1998). Die Grenze von Physik und nichtwissenschaftlicher Alltagswelt beginnt bei Helmholtz erst mit der Hypothetisierung der Kausalität in den 1870er Jahren durchlässig zu werden. Ohne dass die Differenz zwischen experimenteller Erkenntnis und der Sinneswahrnehmung aufgehoben wäre, kann sich die Wissenschaft dann dem Zeichencharakter der lebensweltlichen Wahrnehmung nicht mehr vollständig entziehen. Von Helmholtz’ Zeichentheorie könnte Nietzsche über die Lektüre von Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus Kenntnis gehabt haben (vgl. Stack 1983, S. 94f). Lange versteht Helmholtz’ sinnesphysiologische Behauptungen irrtümlich als empirische Bestätigung von Kants „Erkenntnis der Abhängigkeit unsrer Welt von unsern Organen“ (Lange 1974, S. 852). Die wissenschaftliche Analyse der lebensweltlichen Wahrnehmung wird als Argument für den Zeichencharakter auch der wissenschaftlichen Erkenntnis genommen. Im Gegensatz zu Helmholtz hält es Lange für einen Fehler der wissenschaftlichen Erkenntnis, „daß die Realität der Zeit in uns

kann auch von einer absoluten Strenge unserer astronomischen Zeitskala nicht die Rede sein.‘“ (VPP 10, KGW II/4, S. 270). Diesen Hinweis verdanke ich Helmut Heit. 29 Müller 1833ff, Bd. 2, S. 254; Helmholtz 1882 [1852], S. 605; 1856ff, S. 233. 30 Helmholtz 1882 [1852], S. 608 (vgl. analog Helmholtz 1884 [1853], S. 41f); 1856ff, S. 445. 31 Helmholtz 1882 [1852], S. 608f; 1884 [1853], S. 40f.

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auf die Realität der Zeit außer uns übertragen wird“ (Lange 1974, S. 868). In Nietzsches Schriften, die vielleicht unter dem Einfluss von Helmholtz’ Zeichentheorie stehen, findet sich eine ähnliche Interpretation der Sinnesphysiologie wie bei Lange. Als exemplarisch für diese Rezeption darf der postum veröffentlichte Essay Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne gelten.32 Nietzsche entwickelt in diesem grundlegenden Text seine Sprachkritik, die er auch auf die wissenschaftliche Erkenntnis anwendet. Sinnesphysiologische Forschung bestätigt ihm, dass die Sprache kein Abbild der Wirklichkeit sei, sondern „nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen“ (WL, KSA 1, S. 879): Das ‚Ding an sich‘ (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfaßlich und ganz und gar nicht erstrebenswerth. […] Ein Nervenreiz zuerst übertragen in ein Bild! erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einen Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Ueberspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andere und neue (WL, KSA 1, S. 879).

Die als unumstößliche Tatsache dargestellte Trennung der Alltagssprache von der Außenwelt überträgt er auf die wissenschaftliche Erkenntnis: Sodann: was ist für uns überhaupt ein Naturgesetz; es ist uns nicht an sich bekannt, sondern nur in seinen Wirkungen d.h. in seinen Relationen zu anderen Naturgesetzen, die uns wieder nur als Relationen bekannt sind. [… N]ur das, was wir hinzubringen, die Zeit, der Raum, also Suczessionsverhältnisse und Zahlen sind uns wirklich daran bekannt (WL 1, KSA 1, S. 885).

Wie Lange schreibt Nietzsche auch die zeitliche Abfolge der Sinnesempfindungen allein dem Subjekt zu: Diese aber produzieren wir in uns und aus uns mit jener Notwendigkeit, mit der die Spinne spinnt […] Alle Gesetzmässigkeit, die uns im Sternenlauf und im chemischen Process so imponirt, fällt im Grund mit jenen Eigenschaften zusammen, die wir selbst an die Dinge heranbringen, so dass wir damit uns selber imponiren (WL 1, KSA 1, S. 885f).33

Erfahrungswissenschaftlich scheint damit begründet, dass Naturgesetzen kein Wahrheitsanspruch zukommt. Indem Nietzsche die Differenz von lebensweltlicher und wissenschaftlicher Erkenntnis überspringt, verkennt er, dass sich der Geltungsan-

32 Auf den möglichen Einfluss von Helmholtz auf diese Schrift verweisen z.B. Stack 1983, S. 94f und Reuter 2004, S. 363. 33 Nietzsches These vom anthropomorphen Charakter der Naturgesetze präludiert Werner Heisenbergs These von der Selbstbegegnung des modernen Menschen: „Wenn man versucht, von der Situation in der modernen Naturwissenschaft ausgehend sich zu den in Bewegung geratenen Fundamenten vorzutasten, so hat man den Eindruck, […] daß zum ersten Mal im Laufe der Geschichte der Mensch auf dieser Erde nur noch sich selbst gegenüber steht, daß er keine anderen Partner oder Gegner mehr findet“ (Heisenberg 1953, S. 412). Vgl. Schiemann 2008, S. 120.

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spruch der Naturforschung nicht allein mit dem Hinweis auf sinnesphysiologische Prozesse relativieren lässt. Erst in der Zeit nach Nietzsche ist deutlich geworden, dass sich die Funktion der Sinneswahrnehmung bei Experimenten und Beobachtungen in den unanschaulichen Gegenstandsbereichen des Subatomaren und der kosmischen Objekte meist nur noch auf die Ablesung von Messdaten beschränkt. Aus der Verdrängung von qualitativen Elementen der Sinneswahrnehmung durch Instrumente in der Naturforschung folgt allerdings nicht die Sicherung eines Wahrheitsgehaltes der in diesen Zusammenhängen angewendeten Gesetze. Durch theoretische Vorannahmen, die für den Einsatz von Instrumenten und die Auswertung der durch sie erhaltenen Daten gemacht werden, erhalten die Gesetze, durch die sich die Daten reproduzieren lassen, selbst einen hypothetischen bzw. konstruktiven Charakter, der aber mit dem mangelhaften Realitätsgehalt lebensweltlicher Erkenntnis nicht verwechselt werden darf.

4. Abschließender Vergleich und seine Aktualität Die durch Helmholtz und Nietzsche jeweils vertretenen Auffassungen lassen sich gegensätzlichen Standpunkten zuordnen, die sich im wissenschaftsphilosophischen Diskurs bis heute durchgehalten haben.34 Wie einleitend bemerkt, ist das Nebeneinander verschiedener Positionen seit dem 19. Jahrhundert für die Wissenschaftsphilosophie typisch geworden. Bei Helmholtz hat sich eine Problematisierung der klassischen Bestimmungen nachweisen lassen, die noch nicht zu ihrer Ablehnung führt. Paradox formuliert, hypothetisiert sich die klassische Wissenschaftsauffassung bei Helmholtz selbst. Indem sie ihren Ausschließlichkeitsanspruch aufgibt, wird sie zu einer Konzeption in einer Pluralität von gleichberechtigten alternativen Betrachtungsweisen,35 zu denen später auch ihre von Nietzsche beeinflussten Kritiker gehören.36 Nietzsche lehnt nicht nur den absoluten Wahrheitsanspruch der klassischen Konzeption radikal ab, sondern verwirft überhaupt ihre theoretische Orientierung, indem er sie der Praxis des Lebens unterordnet. Entlang der drei diskutierten Kennzeichnungen der klassischen Wissenschaftsauffassung – Wahrheit, Notwendigkeit und Allgemeinheit – lässt der Vergleich der

34 Fischer 2003 vergleicht Nietzsches Wissenschaftsauffassung mit den Positionen von Karl Popper, Thomas S. Kuhn und Paul Feyerabend; Schiemann 1995 vergleicht Helmholtz’ Wissenschaftsauffassung mit der von Karl Popper. 35 Insofern die klassische Wissenschaftsauffassung Pluralisierung strenggenommen nicht zulässt, darf man auch von ihrer Selbstaufhebung durch Pluralisierung sprechen (vgl. Schiemann 1997, S. 375ff). Allerdings kann an den klassischen Bestimmungen eingeschränkt auch festgehalten werden, wenn sie in Konkurrenz zu anderen Wissenschaftsauffassungen vertreten wird, was bis heute der Fall ist. 36 Im gegenwärtigen Diskurs beziehen sich etwa Günter Abel und Hans Lenk positiv auf Nietzsches Wissenschaftsphilosophie.

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beiden Autoren unterschiedliche Schlüsse zu. Helmholtz’ Relativierung des klassischen Wahrheitsanspruches erleichtert dessen Aufrechterhaltung in der Wissenschaft. Helmholtz hält am Ziel einer wahren und ausschließlich geltenden vollständigen Theorie der Natur fest, besteht aber nicht mehr darauf, diese Aufgabensetzung als notwendiges Kriterium der Wissenschaftlichkeit zu begreifen. Bei Helmholtz ist bereits die Anerkennung von anderen Wissenschaftsauffassungen angelegt, solange diese nicht jeden Wahrheitsanspruch ablehnen. Die Grundsätzlichkeit, mit der sich Nietzsche vom klassischen Wahrheitsverständnis abkehrt, kann schon als postklassisch bezeichnet werden. Mit der absoluten Wahrheit wird das Eigenrecht aller epistemischen Kriterien verworfen und Wissenschaft in den Dienst einer Weltgestaltung genommen, deren Zwecksetzung nichtwissenschaftlichen Motivationen folgt. Die wissenschaftliche Erkenntnis kann n i c h t b e f e h l e n, Weg weisen! sondern erst wenn man weiß wohin?, k a n n sie nützen. Im Allgemeinen ist es Mythologie zu glauben, daß die Erkenntniß immer das was der Menschheit am nützlichsten und unentbehrlichsten sei, erkennen werde – sie wird eben so sehr schaden können als nützen – die höchsten Formen der Moralität sind vielleicht unmöglich bei voller Helle (NL 1880, 8[98], KSA 9, S. 403).

Teilweise versieht Nietzsche seine Wahrheitskritik mit einem Geltungsanspruch, der in seinem fundamentalen Charakter der Klassik verwandt bleibt. Gegen diesen Selbstwiderspruch bleibt Helmholtz als Wissenschaftler, dessen Erkenntnisinteresse sich je schon auf spezielle Gegenstände beschränkt und der Wahrheit, deren Erreichung in weite Ferne gerückt ist, bloß noch kontextrelativ definieren muss, gefeit.37 Nietzsches Rekurs auf Helmholtz’ Zeichentheorie zeigt einerseits, wie die Kritik an der Klassik auch im Detail von wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig bleibt bzw. ihre Wahrheit voraussetzt. Andererseits nimmt der Rekurs, wie gezeigt, die unzulässige Verallgemeinerung einer speziellen Einsicht vor. In der Nachfolge des 19. Jahrhunderts ist es in der Wissenschaftsphilosophie unentschieden geblieben, ob Wahrheit notwendiges Kriterium der Wissenschaftlichkeit ist oder nicht. In der Physik ist es zur bisher größten Erschütterung des klassischen Wahrheitsverständnisses erst mit den Revolutionen der modernen Atomphysik und den beiden Relativitätstheorien zu Anfang des letzten Jahrhunderts gekommen. In dem Maß, wie sich danach herausgestellt hat, dass derartige Paradigmenwechsel historisch eher selten vorkommen, hat sich der Wahrheitsbegriff in den physikalischen Wissenschaften wieder gefestigt. Dennoch ist die Wahrheitskritik auch in der Wissenschaftstheorie der Physik aktuell geblieben.38

37 Helmholtz’ Beschränkung auf Detailfragen übertrifft Nietzsches postklassisches Denken, das unter dem Hang zu großen Erzählungen leidet. 38 Repräsentativ ist immer noch Cartwright 1983.

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Auf der epistemischen Ebene, auf der alle drei Kriterien im klassischen Verständnis angesiedelt sind, gehen die beiden Positionen bei der Bestimmung der Notwendigkeit am deutlichsten auseinander. Lässt Helmholtz die Gegenstände der Logik, der Mathematik und der Geometrie als Inbegriffe der Notwendigkeit weitgehend unangetastet, begreift Nietzsche sie als evolutionär entstandene und historisch immer wandelbare Konstrukte des menschlichen Geistes. In dieser Differenz reflektiert sich der Kontrast zwischen Helmholtz’ Natur-Geist-Dualismus und Nietzsches Tendenz zur naturalistischen Aufhebung solcher Entgegensetzungen. Während dualistische Positionen, wie sie Helmholtz vertreten hat, heute in der Naturwissenschaft als widerlegt gelten, hat sich der Naturalismus dort als Forschungsprogramm, dem sich auch Thesen aus Nietzsches Schriften zuordnen lassen, weitgehend durchgesetzt.39 Allerdings ist der Naturalismus noch weit davon entfernt, die von Helmholtz und Nietzsche vergleichbar hervorgehobene Verschiedenheit von bewusstlosen natürlichen und geistigen Phänomenen erklären zu können. Vergleicht man schließlich die pluralen Elemente in beiden Wissenschaftsauffassungen, so kann man feststellen, dass die Autoren Differenzen zwischen Erfahrungsweisen sowohl innerhalb der Wissenschaften als auch außerhalb derselben behaupten. Eine auch die eigene Position einbegreifende Pluralität lässt Helmholtz nur bedingt zu, da sie sich in die klassische Auffassung nicht integrieren lässt. Die Differenz zwischen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Erfahrung reicht jedoch für einen pragmatischen Wahrheitsbegriff. Bei Nietzsche gilt die Pluralität paradoxerweise ausschließlich. Dass beide Autoren keine vollständige Gleichberechtigung innerhalb der von ihnen jeweils zugelassenen Vielfalt kennen, führt auf die entscheidende Differenz zwischen ihnen: Während Helmholtz der physikalischen Theorie höchste Priorität zumisst, geht Nietzsche von einem der wissenschaftlichen Erkenntnis vorgeordneten Machtwillen aus. Damit kehrt Nietzsche das Verhältnis von Theorie und Praxis gegenüber den klassischen Bestimmungen um. Aufwertungen der Praxis, die mit Nietzsche zumindest Elemente ihrer Orientierung teilen, finden sich in den Konzeptionen postmoderner Wissenschaft, die auch unter den Titeln der Technoscience, des Mode 2 oder der postnormalen Wissenschaft in jüngster Zeit diskutiert und auch auf die Physik bezogen worden sind.40 Diese Konzeptionen stimmen darin überein, dass den Anwendungen wissenschaftlicher Erkenntnisse bzw. den technischen Aspekten der Wissenschaften eine zunehmende gesellschaftliche Relevanz zukommt. Durch den wachsenden Einsatz von Wissenschaft und Technik zur Gestaltung der Lebensverhältnisse erhalten die damit verbundenen praktischen Vorgaben erkenntnisleitenden Charakter. Insofern sich in den postmodernen Konzeptionen die durch gesellschaftliche Institutionen vermittelte

39 Zur Aktualität von Nietzsches Naturalismus vgl. Leiter 2009, der an der Physik orientierte Naturalismus heißt Physikalismus, zu seiner Aktualität vgl. Papineau 1993. 40 Eine Übersicht über die Konzeptionen bieten Elzinga 2004 und Schiemann 2010.

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Praxis der Wissenschaftspolitik jedoch nicht von ästhetischen Gesichtspunkten leiten lässt, kann nur von einer entfernten Ähnlichkeit zu Nietzsches Position gesprochen werden. Gegen die postmodernen Konzeptionen kann man einwenden, dass sie bloß der tatsächlich steigenden Verwissenschaftlichung der Gesellschaft das Wort reden, ohne die Gefahren des damit verbundenen tiefgreifenden kulturellen Wandels zu thematisieren. Noch gehen in die Entscheidungen über die Anwendung von Wissenschaft nicht vornehmlich wissenschaftliche Interessen ein. Eine weiter fortgesetzte Verwissenschaftlichung könnte aber auch zur Einebnung der unterschiedlichen Erfahrungsund Erkenntnisweisen auf das Niveau des von der Wissenschaft Zugelassenen führen – ein nihilistisches Szenario, vor dem Nietzsche eindrücklich gewarnt hat: Denn eine „höhere Cultur“ muss dem Menschen ein Doppelgehirn, gleichsam zwei Hirnkammern geben, einmal um Wissenschaft, sodann um Nicht-Wissenschaft zu empfinden: neben einander liegend, ohne Verwirrung, trennbar, abschließbar; es ist dies eine Forderung der Gesundheit. Im einen Bereiche liegt die Kraftquelle, im anderen der Regulator […]. – Wird dieser Forderung der höheren Cultur nicht genügt, so ist der weitere Verlauf der menschlichen Entwicklung fast mit Sicherheit vorherzusagen […]: der Ruin der Wissenschaften, das Zurücksinken in Barbarei ist die nächste Folge (MA I 251, KSA 2, S. 209).

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II. Naturwissenschaftliche Kontexte

Sören Reuter

Nietzsche und die Sinnesphysiologie und Erkenntniskritik 1. Einleitung Wahrheit als ein „bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen“? Um Geltungsansprüche im Bereich von Erkenntnis und Wissenschaft in Zweifel zu ziehen, wendet Nietzsche in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne erstmalig ein genealogisch-kritisches Verfahren an. Dass die Sprache nicht der „adäquate Ausdruck aller Realitäten“ (WL, KSA 1, S. 878) sein kann, glaubt Nietzsche dadurch zeigen zu können, dass er die Sprache in ihren Entstehungsbedingungen zurückverfolgt und auf eine unscheinbare Frage „Was ist ein Wort?“ eine irritierende Antwort gibt: Ein Wort sei nur die „Abbildung eines Nervenreizes in Lauten“ und der „Sprachbildner“, der mit Worten operiere, arbeite in Metaphern, weil er immer nur die Relationen der Dinge zu den Menschen bezeichne und nicht die Dinge selbst: Ein Nervenreiz zuerst übertragen in ein Bild! erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Ueberspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andere und neue (WL, KSA 1, S. 879).

Die hier vertretene anthropomorphistische These Nietzsches gehört zwar einer kantischen Traditionslinie an und lässt sich in dieser auch interpretieren (vgl. Kaulbach 1980), vermag aber durch einen direkten, unmittelbaren Bezug zur kantischen Erkenntnisphilosophie nicht befriedigend erhellt zu werden. Genauso wenig wie durch den Umstand, dass Nietzsche in dieser Abhandlung ganze Passagen von Gustav Gerbers Die Sprache als Kunst fast wortwörtlich abschreibt.1 Nietzsches erkenntnistheoretischer Skeptizismus ist zwar Ausdruck einer dem philologischen Selbstverständnis entnommenen historisch-kritischen Methodik (vgl. Benne 2005), muss aber zugleich in einen engen Zusammenhang mit dem sinnesphysiologischen Diskurs seiner Zeit gestellt werden.2 Um diesen soll es im Folgenden gehen. Allerdings ist es weniger das sinnesphysiologische Forschungsprojekt als solches, auf das sich Nietzsche einlässt. Es geht ihm vielmehr allein um die Schnittstelle, wo sich „Philosophie und Naturwissenschaften am nächsten berühren“, wie Hermann von Helmholtz es formuliert hat. Diese Berührung geschieht in der „Lehre von den sinnlichen Wahrnehmungen des Menschen“ (Helmholtz 1896 [1855], S. 90)3 und nach Helmholtz im

1 Gerber 1871, vgl. Meijer/Stingelin 1988. 2 Vgl. Reuter 2009, Riccardi 2009. 3 Vgl. Helmholtz 1896 [1868], S. 267; Helmholtz 1896 [1878], S. 218.

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Glauben, Sinnesphysiologie und Philosophie arbeiteten an derselben Aufgabe, die darin bestünde, im Ausgang der Empfindung die objektive Anschaubarkeit der Wirklichkeit zu erklären. Die Aufarbeitung dieses Diskurses findet allerdings unter erschwerten Bedingungen statt. Denn Nietzsche hat sich mit den Schriften der renommiertesten Vertreter der Sinnesphysiologie, wie Johannes Müller, Ernst Heinrich Weber, Hermann Rudolf Lotze, Theodor Fechner, Ewald Hering, Hermann von Helmholtz, Ernst Wilhelm Ritter von Brücke, Wilhelm Wundt, Sigmund Exner oder Ernst Mach, nachweislich kaum oder nur sporadisch auseinandergesetzt. Die Genannten zeichnet aus, dass sie in je unterschiedlicher Weise die Nähe zur Philosophie gesucht bzw. die Abgrenzung von ihr angestrebt haben. Das Wissen, das Nietzsche als Basis seiner kritischen Reflexionen dient, ist ihm vornehmlich durch die Autoren vermittelt worden, die sich mit den Arbeiten der Sinnesphysiologen beschäftigt und sich mitunter darin verbissen haben, wie Friedrich Albert Lange (1866, S. 481f), Otto Liebmann (1865, 1869), Afrikan Spir (1873), Eduard von Hartmann (1869, S. 253–272) oder Otto Caspari (1876), um nur einige zu nennen, die Nietzsche zum Verständnis dieses Problemfeldes herangezogen hat. Dieser Umstand macht das Interesse der Nietzsche-Forschung begreiflich, vornehmlich die Quellensituation zu klären, um über das, was Nietzsche gelesen hat, Rückschlüsse auf seine erkenntnistheoretische Position ziehen zu können.4 Beschreibung und Rekapitulation der Quellenforschung spielen im Folgenden jedoch keine Rolle. Es soll mir vielmehr darauf ankommen, die konstitutiven Momente dieser Schnittstelle zwischen der physiologischen Optik und der nachkantischen Erkenntnisphilosophie aufzuzeigen, um einen wichtigen Ausgangspunkt für Nietzsches Erkenntnis- und Wissenschaftskritik in den Blick zu nehmen, ein Aspekt, der nicht nur seine frühe Skepsis gegenüber einem verfehlten Wahrheitsbegriff betrifft, sondern seine Auffassung über Objektivitätsaussagen bestimmter Art prägt und bis in die späte Konzeption des Willens zur Macht reicht. Die Physiologie der Sinnesorgane oder Physiologie der Sinne, oder später vereinfachend Sinnesphysiologie genannt, zählt zu den Forschungsprojekten, die im Wissenschaftsspektrum des 19. Jahrhunderts eine herausragende Stellung einnehmen. Infolge der rasant einsetzenden Diversität der einzelnen Forschungsrichtungen liegt eine ungeheure Komplexität vor, die auch dort gilt, wo die Sinnesphysiologen an erkenntnistheoretische oder ästhetische Fragen stoßen. Ist die Gesamtsituation kaum zu überblicken, bietet die Wissenschaftsgeschichte mit dem Naturforscher Hermann von Helmholtz einen Glücksfall in zweierlei Hinsicht: Helmholtz hat im Zuge seiner Beschäftigung mit der physiologischen Optik und bedingt durch sein Interesse an der räumlichen Anschauung von Anfang an die Auseinandersetzung mit der Erkenntnisphilosophie gesucht. Zum anderen ist es bezeichnenderweise die helmholtzsche

4 Vgl. Schlechta/Anders 1956, Salaquarda 1978, Crawford 1988, Orscucci 1994, Treiber 1994, Reuter 2009, Riccardi 2009.

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Position, die für Nietzsches Denken maßgebend geworden ist und an der er sich kritisch reibt. Bevor ich mich der Bedeutung von Helmholtz als Erkenntnisphilosoph zuwende und darlege, wie Nietzsche dessen Positionen reflektiert, gehe ich kurz auf das sinnesphysiologische Projekt als solches ein. Die Sinnesphysiologie ist ein Teilbereich der Physiologie, die sich um ein funktionales Verständnis des tierischen und menschlichen Körpers bemüht. Grundlage hierfür ist ein Medizinstudium, für das seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend physikalische und mathematische Kenntnisse erforderlich sind.5 Die Beschäftigung mit der Funktionsweise der Sinnesorgane erstreckt sich auf unterschiedliche Interessensgebiete, die auf Johannes Müllers Grundgesetz der „spezifischen Sinnesenergien“ zurückgehen. Dieses Gesetz besagt, dass jedes Sinnesorgan nur auf eine bestimmte Art und Weise zu reagieren vermag, unabhängig davon, wie es gereizt wird. So reagiert das Auge mit einem Lichteindruck, egal ob die Netzhaut nun mechanisch, chemisch, elektrisch oder, wie es der Normalfall ist, durch die sogenannten „Ätherwellen“ erregt wird.6 Die Erregungsfähigkeit der Netzhaut lässt sich in zwei Typen unterscheiden, einmal im Hinblick auf die Qualität und Verschiedenheit der Lichtempfindung hinsichtlich Farbe, Intensität, Helligkeit; zum anderen im Hinblick auf die räumliche Verteilung der Empfindungspunkte auf der Netzhaut. So stellen sich in einer Physiologie des Sehens bei Müller bereits zwei Kernfragen: Wie geschieht die Umwandlung der empfindlichen Netzhautpartien in Licht? Und wie funktioniert das räumliche Sehen mit zwei Augen? Die Schüler von Johannes Müller, allen voran du Bois-Reymond, Helmholtz, Brücke und Virchow setzen zu Beginn der 1840er Jahre einen Paradigmenwechsel durch, indem sie dem Vitalismus in der Physiologie den Kampf ansagen. Metaphysische Konzepte haben im Rahmen des neuen Verständnisses von Physiologie, das Bois-Reymond als „angewandte Physik und Chemie“ definiert, keinen Platz mehr.7 Vor diesem Hintergrund ist die Gründung der Physikalischen Gesellschaft in Berlin 1845 zu sehen, in der diese programmatischen Ziele ausgesprochen werden und ein entsprechendes Publikationsorgan Die Fortschritte der Physik aus der Taufe gehoben wird. Die Mitglieder der Gesellschaft verpflichten sich, regelmäßig über die neuesten Arbeiten in den einzelnen Wissenschaftsfeldern zu berichten. Diese programmatische Wende erklärt die ersten Arbeiten des jungen Helmholtz über Nervenund Muskelphysiologie, über Stoffwechselvorgänge sowie die Versuche zur Messung der Geschwindigkeit der Nervenimpulse. Das sind Studien über basale Lebensvorgänge, die auf experimentellen Verfahren und ihrer Mathematisierung beruhen

5 Zur Geschichte der Medizin vgl. Rothschuh 1953, Lesky 1965, Hagner/Rheinberger 1993. 6 Vgl. Müller 1826, S. 44f; Müller 1840, S. 254f; Helmholtz 1867, § 17. 7 Zum mechanistischen Weltbild und dem reduktionistischen Forschungsprogramm, das von der Annahme ausgeht, im Organischen würden keine anderen Gesetze gelten als im Bereich der anorganischen Physik, vgl. Leiber 2000, S. 56f.

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und die Vorstellung einer „Lebenskraft“ in das Reich der Spekulation verweisen sollen.8

2. Der Zusammenhang der physiologischen Optik mit der Erkenntnistheorie Die zentralen Forschungsprogramme der Sinnesphysiologie (Psycho-Physik, Theorie des farbigen Sehens, der räumlichen Anschauung, Messung der Reiz-Reaktionszeiten) generieren neues Wissen über die Funktionsweise der Sinnesorgane, stellen als solche aber noch keinen Beitrag zur Erkenntnistheorie dar, wenn man an eine Erkenntnistheorie die Forderung einer „philosophischen Logik“ richtet, sich sowohl von einer rein formalen Logik als auch von einer Logik des kausalen Erklärens unterscheiden zu können (vgl. Abel 1984, VIII). Diese Voraussetzung liegt vor, wenn gefragt wird, wie Empfindungen auf Objekte bezogen werden, und die Geschichte der Sinnesphysiologie zeigt, dass die Beantwortung dieser Frage auch das eigene Untersuchungsgebiet mit einschloss. Das wird nicht nur durch den kantischen Hintergrund begreiflich, sondern auch durch den Umstand, dass die historische Tradition der Wahrnehmungstheorien seit Descartes und Locke bei den Sinnesphysiologen durchaus präsent war.9 So ist es keineswegs überraschend, dass bereits Johannes Evangelista Purkinje in seinen Beobachtungen und Versuche zur Physiologie der Sinne das erkenntnisphilosophische Kernproblem im ersten Satz auf den Punkt bringt: Wenn anfangs dem sich zum Selbstbewußtseyn entfaltenden Menschen die gesamte Objectwelt blos in seinem Innern wie ein Traum zu schweben scheint, Phantasie und Wirklichkeit wunderbar durcheinanderlaufen; so stellt er alles nach und nach ausser sich und sich allem entgegen und orientirt sich in dem Kreise seines Daseyns (Purkinje 1823, S. 3).

Doch wie ist solches Nach-außen-Versetzen der Innenwelt zu verstehen und wie verhält sich das kantische Konzept der Transzendentalphilosophie zu diesem Ansatz? In seiner Geschichte des Materialismus vertrat Friedrich Albert Lange die These, dass die „Physiologie der Sinnesorgane der entwickelte oder der berichtigte Kantianismus [sei]“ (Lange 1866, S. 482). Ob Langes Einschätzung zutrifft, ist allerdings fraglich. Das Verhältnis der Sinnesphysiologen zu Kant war ein durchaus ambivalentes, und es bleibt zweifelhaft, ob der methodische Ansatz der erkenntnistheoretisch interessierten Sinnesphysiologen noch als eine ‚Berichtigung‘ transzendentalphilosophischen Denkens im Sinne Kants verstanden werden kann. Bereits Johann Georg Steinbuch

8 Siehe Helmholtz 1883, S. 663–923. Vgl. hierzu: Holmes/Olesko 1993, Hagner/Rheinberger 1993, Rechenberg 1994,S. 46f, Grüsser 1996, S. 126f, Leiber 2000, S. 211f. 9 Vgl. die Literaturliste bei Helmholtz 1867, S. 455f.

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hatte sich 1811 in seinem Beytrag zur Physiologie der Sinne die transzendentale Anschauung des Raumes bei Kant als naiv und unbrauchbar zurückgewiesen (vgl. Steinbuch 1811). Dass Steinbuch in seiner Kant-Kritik keinen Einzelfall darstellt, lässt sich auch bei Johannes Müller zeigen, in dessen Projektionstheorie empiristische wie biologistische Momente gleichermaßen einfließen. Anders als Helmholtz es seinen Lesern nahelegen wollte,10 hat Johannes Müller sein Gesetz von den spezifischen Sinnesenergien zu keiner Zeit als eine Erweiterung, Ergänzung oder gar Vertiefung der kantischen Frage nach der Apriorität der Erkenntniskategorien verstanden. Müller knüpft an die Projektion der Sinnesempfindungen auf Objekte das Unterscheidungsmerkmal, ob sie selbst oder fremdbewirkt sind. Er geht davon aus, dass es so etwas wie eine Primärsituation gibt, die der Innenwelt zugehört und das Selbstbewusstsein ausmacht. Diese Prämisse ist von weitreichender Bedeutung, da sie Müller dazu zwingt, zwischen einer Innenseite der Innenwelt (der durch Eigenreize stimulierte Traum, die Halluzination oder ähnliches, vgl. Müller 1826a) und einer Außenseite der Innenwelt (die fremdbewirkte, objektive Realität) zu unterscheiden, eine Unterscheidung, die aus seiner Sicht notwendig ist, da das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien keinen logisch zulässigen Rückschluss von der Reizung eines Organs auf seine Ursache erlaubt. Müller schlussfolgert, dass diese als elementar eingestufte Unterscheidungsfähigkeit nicht oder nur marginal angeboren sein könnte, sondern durch Erfahrungskomponenten wie Übung, Lernen, Experimentieren erst zu erbringen sei.11 Müllers Erklärungsmodell, das im Zeichen einer „Erziehung der Sinne“ steht, setzt nicht auf ein transzendentales Argument, sondern auf die Erprobung von Hypothesen, die – entsprechend dem Gedanken Fichtes – dazu dienen soll, die Sphäre des Nicht-Ichs von derjenigen des Ichs abzugrenzen. Der Unterschied gegenüber Fichtes „Wissenschaftslehre“ liegt darin, dass sich dieser Prozess unter empirischen Vorzeichen und nicht wie bei Fichte durch eine Setzung des Ichs vollzieht.

2.1. Die Zeichentheorie von Hermann von Helmholtz In seiner Rede zum 70. Geburtstag kommt Helmholtz darauf zu sprechen, dass seine Untersuchungen über Sinnesempfindungen und Sinneswahrnehmungen ihn auch auf das Gebiet der Erkenntnistheorie geführt haben. Es schien ihm notwendig, die „Leistungsfähigkeit unseres Denkvermögens zu untersuchen“. Als sein „wesentlichstes Ergebniss“ führt er aus, „dass die Sinnesempfindungen nur Zeichen für die Beschaffenheit der Aussenwelt sind, deren Deutung durch Erfahrung gelernt werden muss.“ (Helmholtz 1896 [1891], S. 16f, vgl. Helmholtz 1867, S. 797) Auch wenn Helmholtz 10 Vgl. Helmholtz 1896 [1855], S. 98f, Helmholtz 1867, S. 456; ausführlich S. 805. 11 Müller selbst hat zumal in seiner Lehre von den Raumanschauungen mit biologistischen Annahmen operiert, was ihm die Kritik von Helmholtz eingehandelt hat. Vgl. Helmholtz 1867, S. 805f und Lenoir 1992, S. 215f.

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selbst im Hinblick auf seine Lehre von der Sinneswahrnehmung nicht von einer „Zeichentheorie“ gesprochen hat, hat sich dieser Terminus in der Helmholtz-Forschung fest eingebürgert.12 Die Helmholtzsche Wahrnehmungstheorie beruht auf zwei gegensätzlichen Voraussetzungen: dem physikalischen Weltbild und der empiristischen Annahme, dass es für die Konstituierung einer Wahrnehmung keine angeborenen Faktoren gibt und dass diese einer ausschließlich „psychischen Tätigkeit“ entspringe. Die Primärperspektive des Naturwissenschaftlers wechselt mit der des Psychologen, wobei Introspektion und spekulative Annahmen über das Wesen der Psyche von Helmholtz strikt abgelehnt werden. Leider hat Helmholtz seine erkenntnistheoretischen Reflexionen nicht systematisch zusammenzufassen versucht. Seine eher verstreuten Reflexionen lassen sich jedoch unter dem Gesichtspunkt einer „Zeichentheorie“ in einen mehrschichtigen Argumentationszusammenhang stellen. Helmholtz hat bereits sehr früh davon gesprochen, dass Empfindungen Zeichen bzw. Symbole darstellen. Als Zeichen bezieht sich die Sinnesempfindung auf etwas. Dieses „sich-beziehen-auf-etwas“ hat Helmholtz auf verschiedenen Ebenen reflektiert, die es im Folgenden kurz zu betrachten gilt:

2.2. Sinnesempfindung und physikalische Wirklichkeit Auf den letzten zwei Seiten seines Habilitationsvortrages „Ueber die Natur der menschlichen Sinnesempfindungen“ von 1852 versucht Helmholtz das Verhältnis zwischen der Sinnesempfindung und ihrem eigentlichen Referenzobjekt auf den Punkt zu bringen: Wir können das Verhältniss vielleicht am schlagendsten bezeichnen, wenn wir sagen: Licht- und Farbempfindungen sind nur Symbole für Verhältnisse der Wirklichkeit; sie haben mit den letzteren ebenso wenig und ebenso viel Aehnlichkeit oder Beziehung, als der Namen eines Menschen, oder der Schriftzug für den Namen mit dem Menschen selbst (Helmholtz 1883 [1852], S. 608).13

Dass Empfindungen mit dem, was sie bezeichnen, keine Ähnlichkeit aufweisen, keine „Abbilder“ der Wirklichkeit darstellen, stellt eine These dar, die bereits Johannes Müller vertreten hatte. Unter „Wirklichkeit“ versteht Helmholtz zum einen die subjektive Empfindung, zum anderen die allgemein als solche bezeichneten „Aetherwellen“, die physikalisch messbare Lichtwelle also. Er stellt sehr deutlich diese Kluft zwischen diesen beiden Bedeutungsweisen von Wirklichkeit heraus, wenn er die Konsequenzen ausmalt, die einträten, wären wir fähig,

12 Vgl. Conrat 1904, S. 54f, Lohff 1996, S. 9, Schiemann 1997, S. 238f. 13 Vgl. Helmholtz 1883 [1853], S. 41f.

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das direct wahrzunehmen, dem sich der Physiker durch lange Verkettung von Schlüssen nähert, überall nichts, als immer dasselbe einförmige Wirken anziehender und abstossender Molecularkräfte, keine Mannigfaltigkeit als der dürre Wechsel der Zahlenverhältnisse, kein Licht, keine Farbe, kein Ton, keine Wärme (Helmholtz 1883 [1852], S. 608f).

Ein Jahr später, in seinem Vortrag über Goethes naturwissenschaftliche Arbeiten (Helmholtz 1883 [1853]) unterstreicht Helmholtz, dass es gerade diese methodische Leistung ist, die den Physiker vom Dichter unterscheidet. Während letzterer an den sinnlichen Phänomenen hängenbleibe, implizit davon ausgehe, „dass die Natur ihre Geheimnisse von selbst darlegen müsse“ und eine auf Intuition basierende Farbenlehre entwickle, behauptet der Naturwissenschaftler, dass eine Naturerscheinung physikalisch erst dann vollständig erklärt [ist], wenn man sie bis auf die letzten ihr zu Grunde liegenden und in ihr wirksamen Naturkräfte zurückgeführt hat. Da wir nun die Kräfte nie an sich, sondern nur ihre Wirkungen wahrnehmen können, so müssen wir in jeder Erklärung von Naturerscheinungen das Gebiet der Sinnlichkeit verlassen und zu unwahrnehmbaren, nur durch Begriffe bestimmten Dingen übergehen (Helmholtz 1883 [1853], S. 40).

Evident ist zunächst, dass die Rede vom Symbol zwischen der Sinnesempfindung und dem „unwahrnehmbaren“ Begriff vermitteln soll. Diese Vermittlungsfunktion des Symbols bleibt im Vortrag von 1852 jedoch mehrdeutig. Einmal spricht Helmholtz von den Sinnesempfindungen als Symbolen, dann aber von einer „Symbolik unserer Sinnesnerven“. In dieser Hinsicht ist unklar, ob Sinnesempfindungen und Sinnesnerven als Synonyme oder als zwei unterschiedliche Phänomene oder aber als zwei unterschiedliche Aspekte desselben mentalen Phänomens verstanden werden sollen. Zum anderen unterstreicht Helmholtz, dass sich eine „Symbolik unserer Sinne“ von einer „Symbolik der menschlichen Sprache“ radikal unterscheidet, auch wenn es für ihn durchaus Vergleichspunkte gibt, die er in seinen weiteren Publikationen immer wieder betonen wird. Zunächst bedeutet diese Feststellung jedoch, dass die traditionelle Semiotik, wie sie von Aristoteles entworfen wurde, zum Verständnis dessen, was Helmholtz in diesem Kontext unter einem Symbol verstanden wissen will, kaum eine Hilfe darstellt. Die Rede vom Symbol erfüllt die Aufgabe, zwischen zwei unterschiedlich definierten Formen von Wirklichkeit zu vermitteln. Sie soll plausibel machen, wie die physiologische Erklärung eines subjektiven Phänomens, nämlich die Sinnesempfindung, in ein mechanistisches Weltbild integriert werden kann und welchen Platz es in diesem einnimmt. Diese Vermittlung geschieht bei Helmholtz unter einem erkenntnistheoretischen Vorzeichen. Insofern das Verhältnis zwischen physikalisch messbarem Reiz und subjektiver Empfindung als in eine mathematische Funktion übersetzbar gedacht wird, stellt das Symbol zudem die theoretische Grundlage für die Psychophysik dar, wie sie von Fechner – zumal in seiner „äußeren Psychophysik“ – entwickelt wurde (vgl. Fechner 1860). Mit seiner Rede vom Symbol nimmt Helmholtz den Standpunkt eines Außenstehenden ein. Von diesem ist die Innenperspektive zu unterscheiden, mit der Helmholtz die Frage thematisiert, wie Sinnesempfindungen

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von einem Erkenntnissubjekt tatsächlich auf die Wirklichkeit bezogen werden und Erfahrung konstituieren. Für diesen Kontext gebraucht Helmholtz den Begriff des Zeichens, mit dem seine empiristische Theorie der Sinneswahrnehmung untrennbar verbunden ist.14

2.3. Wie werden Sinnesempfindungen auf Objekte bezogen? In seinem Vortrag Ueber das Sehen des Menschen von 1855 konturiert Helmholtz erstmalig die Grundlagen seiner Wahrnehmungstheorie. Eine solche muss zunächst den intentionalen Bezug der Sinnesempfindung auf ein äußeres Objekt verständlich machen: Auf welche Weise sind wir denn nun zuerst aus der Welt der Empfindungen unserer Nerven hinübergelangt in die Welt der Wirklichkeit? Offenbar nur durch einen Schluss: wir müssen die Gegenwart äusserer Objecte als Ursache unserer Nervenerregung voraussetzen; denn es kann keine Wirkung ohne Ursache sein (Helmholtz 1896 [1855], S. 116; vgl. Helmholtz 1867, S. 453).

Bereits Friedrich Conrat hatte darauf hingewiesen, dass Helmholtz das Kausalitätsprinzip in einer doppelten Bedeutung verwendet, einmal in der Hinsicht, das es erklären soll, wie es überhaupt möglich ist, sich auf Objekte zu beziehen, dann in der Hinsicht, wie Empfindungen miteinander verknüpft werden und dadurch Erfahrung ermöglichen (vgl. Conrat 1904, S. 71f). Letzteres diskutiert Helmholtz vor dem Hintergrund einer induktiven Logik. Beide Aspekte seien im Folgenden kurz erläutert.

2.3.1. Kausalität und Intentionalität Dass eine empiristische Theorie der Erfahrung das Projektionsproblem lösen muss, war bereits Johannes Müller klar. Wir können nur über unsere Empfindungen sprechen, indem wir sie auf Objekte beziehen und sie dadurch bezeichnen. Aber wenn das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien richtig ist, ein empiristischer Ansatz gewählt wird und zudem herausgestellt wird, dass die Sinnesempfindungen „für unser Bewusstsein Zeichen“ sind (Helmholtz 1867, S. 797), muss es einen Zustand geben, in dem Empfindungen bewusst, aber noch nicht auf Objekte bezogen sind. Der springende Punkt ist also, dass der von Helmholtz vertretene radikale empiristische Ansatz verlangt, das Gerichtetsein der Empfindungen auf Objekte als konstitutiven Bestandteil der empiristischen Theorie von Erfahrung selbst zu verstehen. Würde diese Annahme nicht gemacht, müsste zugestanden werden, dass Intentionalität etwas Angeborenes darstellt und eine naturalistische Erklärung verlangen würde. Da aber

14 Zum Verhältnis zwischen Innnen- und Außenstandpunkt bei Helmholtz vgl. Heidelberger 1999.

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Helmholtz in dieser Hinsicht eine prinzipielle Vorentscheidung getroffen hat und den von ihm so bezeichneten „nativistischen“ Ansatz seines Kontrahenten Ewald Hering strikt ablehnt,15 muss die Möglichkeit von Intentionalität aus den empiristischen Grundannahmen selbst hervorgehen. Helmholtz glaubt offenbar, dass das Kausalitätsprinzip diese Funktion erfüllen kann. Dadurch, dass wir nach der Ursache einer Empfindung fragen, setzen wir etwas, das diese verursacht hat, voraus. Ein solcher Schluss ist jedoch unzulässig wie Nietzsche in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne konstatieren wird: „Von dem Nervenreiz aber weiterzuschließen auf eine Ursache außer uns, ist bereits das Resultat einer falschen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grunde.“ (WL, KSA 1, S. 878) Die Existenz einer Außenwelt kann durch den Rückgriff auf das Kausalitätsprinzip nicht bewiesen werden. Auch Schiemann spricht bei Helmholtz in diesem Zusammenhang von „noumenaler Kausalität“ (Schiemann 1997, S. 262) und verweist zu Recht darauf, dass diese Problematik, die um die Existenz der Außenwelt kreist, im Rahmen der Transzendentalphilosophie Kants nicht auftreten kann (vgl. Schiemann 1997, S. 257). Es bleibt allerdings zweifelhaft, ob Helmholtz das Kausalitätsprinzip tatsächlich im Sinne eines Existenzbeweises der Außenwelt verstanden hat, auch wenn seine Formulierungen dies manchmal nahelegen. Das helmholtzsche Denkgefüge setzt die Realität in Form von Materie und Kraft voraus, wonach es merkwürdig erschiene, sollte ein Beweis für deren Realität nachträglich durch eine Logik der Wahrnehmung erst erbracht werden. Dass es Helmholtz weniger um die Existenz der Außenwelt, als um das Problem der Intentionalität gehen könnte, war bereits die Vermutung von Otto Liebmann (vgl. Liebmann 1869, S. 116). Allerdings ergeben sich gegenüber diesem Erklärungsansatz zwei Einwände: Geht Helmholtz davon aus, dass eine Sinnesempfindung bewusst ist, dann ist sie zugleich auf etwas gerichtet, wie jeder Mensch aus eigener Erfahrung weiß. Wenn es darum ginge, die Intentionalität als solche zu erklären, kann diese intentionalitätsermöglichende Funktion des Kausalitätsprinzips nur im Unbewussten liegen. Dass es sich um eine unbewusste Funktion des Verstandes handeln müsse, war die Konsequenz, die Liebmann zog. Daraus folgt ein weiterer Einwand: Wendet der Verstand das Kausalitätsprinzip an, versucht er, einen Zusammenhang zu erklären. Erklärungen sind aber mentale Konstrukte. Nun nehmen wir Phänomene wahr und keine Gedanken, so dass sich die Frage stellt, wie die Funktion des Kausalitätsprinzips gedacht werden müsse, dass sie zur Wahrnehmung von Phänomenen und nicht zu Gedanken führt. Dass dieser Erklärungsversuch von Intentionalität missverständlich sein oder auch missgedeutet werden kann, ist womöglich auch darin begründet, dass die Anwendung des Kausalitätsprinzips für einen instantanen Akt gehalten wird. Das war aber offenbar nicht Helmholtz’ Intention.

15 Vgl. Helmholtz 1867, S. 435, vgl. § 33. „Kritik der Theorien“, S. 796f, wo Helmholtz seine Argumente gegen Hering noch einmal bündelt.

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2.3.2. Kausalität als Suche nach Gesetzen Für Helmholtz ist das „Kausalitätsgesetz“ das einzige epistemische Grundprinzip, das a priori gilt und nicht auf Erfahrung beruht. Das erklärt seine Anlehnung an Kant und zugleich seine Ablehnung von John Stuart Mill in dieser Hinsicht. Dessen ungeachtet übernimmt er die induktive Logik des letzteren und macht sie zur Grundlage seiner Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung, wobei er allerdings unthematisiert lässt, dass Mill bewusst die Frage nach der Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung aus der Explikation der induktiven Logik ausklammert, weil nach ihm die Logik nur das zu untersuchen vermag, was die Form eines Urteils annehmen kann, die sinnliche Wahrnehmung jedoch – wie Helmholtz selbst betont – auf Prozessen beruht, die unbewusst und nicht in Worten vonstatten gehen. (vgl. Mill 1862, S. 21f) Das „Kausalitätsgesetz“ versteht Helmholtz als einen Trieb, nach Regeln zu suchen, und zwar mit der Erwartung, dass sich die Wirklichkeit nach Gesetzen ordnen und beherrschen lasse (vgl. Helmholtz 1867, S. 455). Vor dem Hintergrund der induktiven Logik Mills stellt der Schluss von der Wirkung auf die Ursache keinen instantanen Verstandesakt, sondern vielmehr einen Denkprozess dar, der von seiner Form her einem Syllogismus ähnelt. Syllogismen dieser Art haben aber, wie Helmholtz betont, nicht die Aufgabe, Erkenntnis hervorzubringen. Sie stellen vielmehr das Resultat von Erkenntnissen dar. Auch in dieser Konzeption ist die Empfindung für Helmholtz ein Zeichen. Aber gegenüber dem Vortrag von 1852 ist dessen Bedeutung eine andere. Im Rahmen eines Auslegungsprozesses ist die Empfindung ein Zeichen, dessen Bedeutung für das Bewusstsein zunächst vollkommen offen ist, aber eine Information insofern birgt, als es „eine Nachricht“ über die Art der Einwirkung gegeben kann, „durch welche sie erregt ist“. Damit können Zeichen nicht die Realität selbst, aber deren formale Strukturen wie Raum und Zeit abbilden (vgl. Helmholtz 1896 [1878], S. 222). Helmholtz legt Wert darauf, dass die Bedeutung der Zeichen nicht angeboren ist, sondern ausschließlich durch Interaktionsprozesse erlernt werden muss. Helmholtz greift damit Müllers, bereits empirisch ausgerichtete, Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich auf und stellt sie in das Zentrum seiner Theorie der Wahrnehmung. Das Gerichtetsein auf Objekte ist in dieser Hinsicht zu verstehen als das Ende einer Kette von Denk- und Urteilsprozessen, bei denen allein das Resultat ins Bewusstsein gelangt. Es geht Helmholtz nicht darum, Bewusstsein zu erklären, sondern darum, wie Bewusstsein von etwas möglich ist, das nicht ein Bewusstsein von sich selbst ist. Dies geschieht durch das prüfende und antizipierende Interagieren mit den eigenen Bewegungsimpulsen und den damit verknüpften Erwartungen, die evident machen, was selbstund was fremderzeugt ist. Michael Heidelberger spricht in diesem Zusammenhang von einem „experimentellen Interaktionismus“, den er im idealistischen Denken Fichtes verwurzelt sieht (Heidelberger 1995, S. 839). Wichtig ist zudem, dass diese unentwegt stattfindenden Denkprozesse nicht durch ein bewusstes Subjekt gesteuert zu werden brauchen. Das Erkennen von Regeln ist möglich, ohne sich der Regel im einzelnen bewusst zu werden, wobei Helmholtz zusätzlich davon ausgeht, dass wir

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grundsätzlich nur das im Gedächtnis behalten, was auf eine Regel oder etwas Typisches hindeutet. Helmholtz spricht in diesem Zusammenhang bevorzugt vom „Kennen“, das sprachlos funktioniere und den Gebrauch mit den Alltagsdingen auszeichne. Im Kennen kulminiert das Wissen der Künstler.16 Das Gerichtetsein auf Objekte ist das Resultat von sich bewährenden Interpretationsprozessen, die für Helmholtz mehr oder weniger mit der Geburt einsetzen. Auf der Grundlage des Ausgeführten lässt sich der enge Zusammenhang zwischen dem helmholtzschen Wahrheits- und Wirklichkeitsbegriff explizieren. Geht aus dem Vortrag von 1852 hervor, dass Helmholtz unter Wahrheit keine Entsprechung zwischen Subjekt und Objekt versteht, wäre dem hinzuzufügen, dass Wahrheit auch nicht die Form eines Urteils haben kann. Wäre die Korrespondenztheorie der Wahrheit gültig, müsste es nach Helmholtz einen übergeordneten Standpunkt geben, dem es möglich wäre, Aussagen über Farben mit den entsprechenden „Ätherwellen“ vergleichen zu können, eine Voraussetzung allerdings, die Helmholtz nicht als gegeben ansieht. Zulässig ist für ihn allein die Aussage, dass für normale Augen unter normalen Bedingungen die Dinge auf eine bestimmte Art wahrgenommen werden. Aus diesen Überlegungen zieht Helmholtz die Konsequenz, dass Wahrheit nur eine „practische“ sein kann (vgl. Helmholtz 1867, S. 443). Unter einer praktischen Wahrheit versteht er den pragmatisch, erfolgsorientierten Gebrauch von Zeichen (vgl. Helmholtz 1896 [1878], S. 243). Ist der Wahrheitsbegriff durch den instrumentellen Gebrauch der Zeichen definiert, begreift Helmholtz unter Wirklichkeit das, was nicht durch das Ich selbst bedingt oder hervorgebracht ist. Zur Wirklichkeit kommt der Mensch durch den experimentellen Umgang mit seinem Empfindungsmaterial, der sich für Helmholtz in allen Lebensvollzügen auszeichnet und im Wesentlichen durch die Suche nach Gesetzen geleitet wird. Entscheidend ist für Helmholtz, dass Naturgesetze keine bloßen Begriffe oder logischen Konstrukte darstellen, die das Verhalten der Dinge unter Idealbedingungen beschreiben und damit kausale Ableitungen erlauben. Für Helmholtz’ Verständnis eines Naturgesetzes ist hingegen entscheidend, dass es eine Kraft zum Ausdruck bringt. Wenn wir Helmholtz zufolge von Naturgesetzen sprechen, dann meinen wir die Kraft, die einen Vorgang bewirkt oder ein Phänomen hervorbringt, aber selbst unsichtbar bleibt. Helmholtz drückt sich in den Thatsachen in der Wahrnehmung etwas irreführend aus, wenn er von der „Ursache“ spricht, die allen Veränderungen als das Bleibende zugrunde liegt (Helmholtz 1896 [1878], S. 241). Damit will Helmholtz keiner metaphysischen Substantialisierung das Wort reden, sondern den Gedanken verständlich machen, dass Wirklichkeit primär eine Relation von Kräften darstellt, die unsichtbar bleiben, von denen aber gleichwohl die gesamte Phänomenalität menschlichen Daseins abhängt.

16 Vgl. die Vortragsreihe „Optisches über Malerei“, Helmholtz 1896 [1871–1873].

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2.4. Die Frage nach dem Subjekt der Erfahrung Helmholtz war der Auffassung, dass es im Hinblick auf das Wahrnehmen und Vorstellen der Dinge kein angeborenes Wissen gibt. Im § 26 des Handbuchs legt Helmholtz die Grundzüge seiner Wahrnehmungstheorie dar. Er muss dem Leser den schwierigen Spagat erklären, dass er als Vertreter der exakten Naturwissenschaften doch davon überzeugt ist, Wahrnehmungen kämen allein durch psychische Akte zustande und ließen sich demzufolge nur aus psychologischer Sicht begreiflich machen. Das einzige Prinzip, das verlangt wird, um das Sehen als ein unentwegt erfolgendes Handeln zu begreifen, ist eine „wiederkehrende Association“ (Helmholtz 1867, S. 798). Diese Spannung spiegelt sich in seiner Theorie der unbewussten Schlüsse der Sinneswahrnehmung wider. Unbewusste Schlüsse sind für Helmholtz Urteilsprozesse, die eine Wahrnehmung von etwas konstituieren. Sie beruhen auf Erfahrung und sind „in ihrem Resultate einem Schlusse gleich“ (Helmholtz 1867, S. 430), was besagt, dass allein das Resultat ins Bewusstsein tritt. Helmholtz vermag damit zu erklären, dass wir Dinge erlernen und damit auch kennen können, ohne uns über die Regeln, die uns dabei – unbewusst – leiten, Rechenschaft ablegen zu müssen. Was Helmholtz’ Theorie der unbewussten Schlüsse problematisch macht, ist die Tatsache, dass er von mentalen Vorgängen auch dort spricht, wo Denkprozesse in keiner Weise offenkundig zu sein scheinen, wie bei den Sinnestäuschungen z.B.: Lassen wir uns also verleiten, von der Reizung der Netzhaut durch den Druck des Fingernagels auf das Vorhandensein von Licht zu schliessen, so ist es auch nur folgerichtig, dass wir dies Licht von derselben Stelle des Raumes herkommen lassen, von welcher das wirkliche Licht herkommt, wenn es die betreffende Stelle der Netzhaut trifft. […] und unsere Vorstellung verlegt also frisch weg auch das scheinbare Licht des Druckes an dieselbe Stelle. Wir haben nämlich unsere Vorstellung auf einem Fehlschlusse ertappt […] (Helmholtz 1896 [1855], S. 101).

Helmholtz’ Absicht ist es, alle Wahrnehmungen als versteckte Erfahrungsurteile zu deuten. Dass er ausschließlich eine psychologische Erklärung von Wahrnehmungen zulassen will, hängt damit zusammen, dass er gegenüber neurophysiologischen Erklärungsversuchen eine große Skepsis hegt. Er glaubt, dass es im Rahmen einer Gehirnphysiologie (noch) keine gesicherte theoretische Grundlage für eine Erklärung von Sinneswahrnehmungen gibt.17 Helmholtz insistiert auf einen psychologischen Standpunkt, den er tendenziell jedoch durch physiologische bzw. neurophysiologische Annahmen zu unterlaufen scheint und damit eine eindeutige Interpretation erschwert. Einerseits behauptet er, dass es sich bei Sinnestäuschungen um psychische Prozesse handelt und stellt anderseits im selben Atemzug fest, diese seien „nicht Acte des freien bewussten Denkens“, sondern „fest und unausweichlich“ und man könne sie durchaus der „Nervensubstanz zuschreiben“ (Helmholtz 1867, S. 804).

17 Vgl. Helmholtz 1867, § 33 „Kritik der Theorien“, vgl. dazu Grüsser 1996, S. 159.

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Es ist diese Unklarheit im Hinblick auf den an Kant angelehnten, aber zugleich Kant überbietenden methodischen Ausgangspunkt, gegenüber den sowohl aus der Perspektive der (Neuro-) Physiologie als auch von Seiten der Philosophie Kritik laut geworden ist. Ewald Hering kritisiert, dass Helmholtz dort von Urteilen spricht, wo es genügen würde, von biologischen bzw. neurobiologischen Prozessen zu sprechen. Hering bestreitet, dass „die Empfindung eigentlich formlos ist und erst von uns, z.B. mittels unbewusster Schlüsse, zu räumlichen Vorstellungen verarbeitet wird.“ (vgl. Hering 1879, S. 345) Die helmholtzsche Annahme, dass die Wahrnehmung als solche bereits ein Urteil darstellt, erscheint ihm unbegründet und auf einen spekulativen Denkansatz hinzudeuten. Psychische Akte dieser Art sind für Hering einfach nur „Gehirnwahrheiten“. August Classen wirft Helmholtz vor, dass er die kantische Funktion der „transcendentalen Apperception“ materialisiert und zugunsten einer diffusen Verortung des Subjekts im Gehirn des Menschen aufgehoben habe, da „für das Ich […] speciell die Sehsinnsubstanz, das Organ des Auges, die Netzhaut mit ihren eingeborenen Energien [eintritt]“ (Classen 1876, S. 51f). Damit ist für Classen der Punkt erreicht, wo eine Erweiterung kantischen Denkens vorgenommen wird, die dem transzendentalen Denkansatz nicht mehr gerecht zu werden vermag.

3. Nietzsches Rezeption und Erkenntniskritik Dass Nietzsche sich mit dieser umstrittenen Thematik auseinandergesetzt hat, tritt am deutlichsten in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne hervor. Hierbei spielen unterschiedliche Aspekte eine Rolle. Ein für Nietzsche zentraler Punkt ist derjenige der „Oberfläche“. Damit weist Nietzsche darauf hin, dass uns, wie Helmholtz es formuliert, nur die „Resultate“ von Denkprozessen ins Bewusstsein treten. Der Verstand erweist sich diesbezüglich als eine reine Oberflächenkraft.18 Unterhalb der Oberfläche liegt das Verborgene, das Unbewusste, das Vergessene, das durch Übung Erworbene. Dieser Gedankenkomplex verweist auf die helmholtzsche Theorie der unbewussten Schlüsse, die Nietzsche aufgreift, aber ins Ästhetische bzw. Rhetorische umzubiegen versucht. Hierfür stehen die beiden von Nietzsche verwendeten Tropen der Metapher und der Metonymie, die beide das Kausalitätsprinzip kritisch reflektieren: Die Metonymie im Hinblick auf das Problem der Intentionalität, die Metapher im Hinblick auf die von Helmholtz favorisierte induktive Logik. Wenn Nietzsche letztere bestreitet, dann unter der Voraussetzung, dass er das Erkennen nicht primär für etwas Logisches, sondern eher für etwas Künstlerisches hält. So stellt sich ihm das Erkennen als ein „Nachahmen“ (NL 1873, 19[227], KSA 7, S. 490), ein fortwährendes „Auswählen“ (NL 1873, 19[78], KSA 7, S. 445) oder als ein „Ä h n l i c h k e i t e n s c h a u e n“ (NL 1873, 19[75], KSA 7, S. 444; NL 1873, KSA 7, 19[179]) dar. Die „Meta-

18 Vgl. NL 1873, KSA 7, 19 [66, 140,144]. Vgl. dazu Schlechta/Anders 1956, Reuter 2009, S. 209f.

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pher“, so kann man weitestgehend sagen, reflektiert das Prinzip der Verknüpfung; die Metonymie hingegen steht im Kontext der Projektionsproblematik: wie werden Empfindungen auf die Wirklichkeit übertragen und welche logischen Voraussetzungen sind dazu nötig? Was Nietzsche unter dem Stichwort der Metonymie diskutiert, ist seine Einsicht in die „Vertauschung“ von Grund und Folge bzw. Ursache und Wirkung. Damit verbindet er die These, dass die Projektion von Empfindungen auf die Wirklichkeit einem fundamentalen Fehlurteil unterliegt und einer Kritik bedarf. Sie fällt zudem in die Metaphysik, wenn er z.B. in einer Notiz anmerkt, alle synthetischen Urteile dieser Art stellten Metonymien dar und seien Ausdruck einer populären Metaphysik.19 Eine Darstellung aller Aspekte überschreitet den Umfang dieses Beitrags. Ich beschränke mich auf das Verhältnis zwischen Empfindung und Sprache, Nietzsches Kritik des Ding an sich, der erkenntnistheoretischen Bedeutung des Traumes sowie einer punktuellen Thematisierung des Willens zur Macht. Im Hinblick auf Nietzsches zentralen Gedanken des Interpretierens sei auf die zahlreichen Arbeiten von Günter Abel verwiesen, die von Nietzsches Interpretationsbegriff ausgehen.20

3.1. Empfindung und Sprache. Der methodische Ausgangspunkt in WL Interpretiert man Nietzsches sprachphilosophischen Essay im Licht von Gustav Gerbers Die Sprache als Kunst tritt ein wichtiger Aspekt zutage. Gerbers Auffassung, die kantische Kritik der Vernunft sei als eine Kritik der „unreinen Vernunft“, als eine Kritik der Sprache fortzuführen (vgl. Gerber 1871, S. 262), scheint von Nietzsche positiv rezipiert worden zu sein. Der methodische Ausgangspunkt für den Zugang zur Sprache ist damit aber noch nicht beschrieben. Dieser liegt im Begriff der Empfindung. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht nur der Bezug zur Sinnesphysiologie aufweisen, sondern es kann auch verständlich gemacht werden, welche Sprengkraft der Sprachkritik Nietzsches zukommt. Gerade in erkenntnisphilosophischer Hinsicht ist der Begriff der Empfindung eher ein unklarer als ein klar definierter Begriff, weil die Empfindung kein Sein, sondern Zustände oder Prozesse bezeichnet, denen eine Dynamik in zweierlei Hinsicht eingeschrieben ist: Empfindungen bewegen sich auf einer gedachten Linie zwischen dem Physischen und dem Psychischen. Sie sind hinsichtlich ihres Bewusstseinsstatus nicht eindeutig bestimmt. Oder es fehlt einfach wie bei Helmholtz das Bemühen um eine eindeutige Klärung ihres Status. Zum anderen eröffnen Sinnesempfindungen das Fenster zur Welt. Gemeinhin gilt, dass sie noch keine Wahrnehmungen, aber auf dem Weg dazu sind. Diesen Prozess als 19 Vgl. NL 1873, KSA 7, 19 [204, 243], vgl. Reuter 2009, S. 282f. 20 Vgl. Abel 1984. Vgl. auch die berechtigte Kritik, die Christian Benne aus der Perspektive der historisch-kritischen Philologie, der Nietzsche angehörte, gegenüber Abels Interpretationsansatz vorgebracht hat (vgl. Benne 2005, S. 8f).

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metaphorisch zu bezeichnen, wie Nietzsche es in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne tut, trifft genau diesen doppelten Sachverhalt, insofern Sinnesempfindungen ein epistemischer Gehalt zukommt und insofern sie zugleich Teil eines Bewusstwerdungsprozesses sind, der vom Bewusstsein ins Unbewusste zurückverweist. Diese doppelte dynamische Struktur liegt Nietzsches Begriff der „Metapher“ zugrunde. Auf der anderen Seite ist klar, dass Nietzsche in diesem Essay den Begriff der Empfindung nicht auf die Sinnesempfindung beschränkt, sondern in gleichem Maße vom Gefühl im moralischen und sozialen Sinne spricht. Das ist für das Verständnis von Nietzsches Erkenntnis- und Wahrheitskritik ein schwieriger, aber unbestreitbarer Befund. Wenn Sinnesempfindungen den Bezug zur Außenwelt konstituieren, so bestimmen Gefühle unsere soziale Welt. Nietzsche unternimmt jedoch keine Anstalten, zwischen der epistemischen und der sozialen Sphäre der Empfindung zu unterscheiden, weil er beides offenbar nicht trennen will. Seine Feststellung, Wahrheit stelle lediglich „ein Heer von Metaphern“ dar, die auf dem Trieb zur „Metaphernbildung“ beruhe, verknüpft demzufolge eine epistemische mit einer eher gesellschaftskritischen Einsicht. Auf der einen Seite führt Nietzsche aus, wir missverstünden z.B. das Urteil „der Stein ist hart“, weil wir nicht die Härte, sondern nur eine „subjektive Reizung“ kennen würden; auf der anderen stellt er heraus, dass durch die Bildung der Begriffe und den Gebrauch von Konventionen das „individualisierte Urerlebniss“ verloren ginge, das wir zum Beispiel im Hinblick auf die „Ehrlichkeit“ haben (vgl. WL, KSA 1, S. 879f). Empfindung und Gefühl werden von Nietzsche nicht getrennt, sondern als Einheit betrachtet. Hierfür steht die „Bildung der Begriffe“, aus deren Dekonstruktion die Kritik am Wahrheitsbegriff hervorgeht. Vor dem Hintergrund des sinnesphysiologischen Diskurses zu dieser Zeit ist Nietzsches Gleichbehandlung von Empfindung und Gefühl nicht ungewöhnlich. Gerade die Klärung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Empfindung und Gefühl war eine der zentralen Aufgaben, die es für die sich neu formierende physiologische Psychologie Anfang der 1870er Jahre zu lösen galt. Neben Wilhelm Wundt als bekanntestem Vertreter dieser Richtung ist in diesem Zusammenhang auf den heute eher unbekannten Adolf Horwicz (1831–1894) zu verweisen, der sich dieser Thematik zugewendet und eine für das Verständnis von Nietzsches Position aufschlussreiche These entwickelt hat. In seinen Psychologische[n] Analysen auf physiologischer Grundlage kommt es Horwicz darauf an, eine ursprüngliche Einheit von Empfindung und Gefühl nachzuweisen. Er behauptet, dass das Beziehen der Empfindungen auf Gegenstände einen bereits bestehenden Kontinuitätsraum von Erfahrung voraussetzt, der durch einen sozialen Faktor bestimmt ist. „Wir müssen dieselbe Farbe oft gesehen, denselben Ton oft gehört haben, ehe wir sagen können, ich nehme die Farbe des Silbers, den Ton der Flöte wahr“ (Horwicz 1872, S. 179). Wenn hierbei „verwickelte Urteils- und Schluss-Processe“ im Spiel sind, sind diese ohne eine zugleich „vergesellschaftende[ ] Erinnerung“ nicht denkbar. Der Wahrnehmungshorizont ist durch das Bezeichnen der Empfindungs-Objekte nicht nur an Sprache und damit an einen

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Sozialisations- und Kulturprozess geknüpft, sondern auch oder sogar in erster Linie an die elementare Gefühlssphäre von Lust und Unlust. Diese Überlegung führt Horwicz dazu, nach einer gemeinsamen neuronalen Struktur von Empfindung und Gefühl zu fragen. Er glaubt, eine solche in der Identität aller Nervenzellen erkennen zu können, die ein und dieselbe Funktion erfüllen. Physiologisch gesehen sind für Horwicz die Gemeingefühle (also die Lust- und Unlustgefühle) gegenüber den Sinnesempfindungen gleichgestellt und nur durch eine Differenzierung des Nervenapparats unterschieden. Aus der neuronalen Identität aller Empfindungen glaubt Horwicz zudem ableiten zu können, dass der Erkenntnistrieb, anders als Helmholtz es sehen wollte, ein dem Selbsterhaltungwillen nachgeordnetes Streben darstellt. Wenn Nietzsche in seinen Notizen dieser Zeit davon spricht, dass das „eigentliche Material alles Erkennens“ die „allerzartesten Lust- und Unlustempfindungen“ darstellen und dass das „eigentliche Geheimniß“ darin bestehe, dass die „Nerventhätigkeit in Lust und Schmerz Formen hinzeichnet“ (NL 1873, 19[84], KSA 7, S. 448), spricht einiges dafür, dass er diese von Horwicz vertretene Position gekannt und offenbar auch geteilt hat. Zum Verständnis von Nietzsches Sprach- und Erkenntniskritik in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne ist diese methodische Gleichsetzung von Empfindung und Gefühl von grundlegender Bedeutung. Im Folgenden werde ich mich jedoch allein auf Aspekte beschränken, die das epistemische Moment betreffen.

3.2. Die Subjekt-Objekt-Relation und das „räthselhafte X des Dinges an sich“ Zu den Kernaussagen von Ueber Wahrheit und Lüge gehört die These Nietzsches, dass es zwischen Subjekt und Objekt keine Entsprechung, „keine Causalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck“, sondern „höchstens ein ästhetisches Verhalten“ gibt. (WL, KSA 1, S. 884) Es spricht zunächst einiges dafür, dass Nietzsche die helmholtzsche These, dass wir nicht die Dinge selbst, sondern nur ihre Wirkungen auf die Nervenapparate wahrnehmen, übernimmt. Aus seinen weiteren Ausführungen geht jedoch hervor, dass Nietzsche einen kritischen Standpunkt gegenüber dem helmholtzschen Objektivitätsanspruch einnimmt. Am Begriff des Objekts lässt sich Nietzsches Argumentation rekonstruieren. Nehmen wir das Beispiel der Seh- oder Lautempfindung, so ist für Helmholtz das „Objekt“ im strengen Sinne des Wortes die physikalisch messbare Licht- oder Tonschwingung, die erst durch das Sinnesorgan seh- bzw. hörbar gemacht wird. Diese wird in ein subjektiv erfahrbares Phänomen übersetzt. Wenn Nietzsche von Objekten spricht, die keine adäquate Beschreibung zulassen, scheint er genau diesen Sachverhalt kennzeichnen zu wollen. Auf der anderen Seite ist aber daran zu erinnern, dass es für Helmholtz nur das subjektive Phänomen und das physikalische Referenzobjekt gibt. Es gibt bei ihm eine Kritik der Subjektivität, aber keine Kritik der Voraussetzungen der physikalischen Grundannahmen. An die-

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sem Punkt setzt Nietzsches Kritik des naturwissenschaftlichen, von Helmholtz vertretenen Weltbildes an. Damit erscheint die Frage nach dem Objekt in einem anderen Licht. Zentrale Passagen aus Ueber Wahrheit und Lüge mögen das verdeutlichen. Im Anschluss an das Beispiel mit den „Chladnischen Klangfiguren“, das daran erinnern soll, dass wir die Figuren nicht mit dem von uns gehörten Ton verwechseln, konstatiert Nietzsche: „Wie der Ton als Sandfigur, so nimmt sich das räthselhafte X des Dinges an sich einmal als Nervenreiz, dann als Bild, endlich als Laut aus.“ (WL, KSA 1, S. 879) An anderer Stelle wiederholt Nietzsche diesen Aspekt, indem er ihn auf den Aspekt der Relationalität erweitert: Sodann: was ist für uns überhaupt ein Naturgesetz; es ist uns nicht an sich bekannt, sondern nur in seinen Wirkungen d.h. in seinen Relationen zu anderen Naturgesetzen, die uns wieder nur als Relationen bekannt sind. Also verweisen alle diese Relationen immer nur wieder auf einander und sind uns ihrem Wesen nach unverständlich durch und durch; nur das, was wir hineinbringen, die Zeit, der Raum, also Successionsverhältnisse und Zahlen sind uns wirklich daran bekannt (WL, KSA 1, S. 885).

Das erste Zitat könnte so gelesen werden, als würde sich das „räthselhafte X des Dinges an sich“ vollkommen in Relationen auflösen, als ließe sich darüber nur in Form von Relationen sprechen. Diese Lesart würde zudem durch Nietzsches Aussage gestützt, dass das „Ding an sich“ die „reine folgenlose Wahrheit“ sein würde. Die zweite Passage stünde hierzu nicht im Widerspruch. Wäre die Einsicht in die Relationalität der Dinge tatsächlich Nietzsches Deutung des Dinges an sich, würde er diese aber zugleich wieder unterlaufen, wenn er konstatiert, dass uns die Relationen ihrem „Wesen nach unverständlich durch und durch [sind]“ und die Bezeichnung der Dinge „den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen.“ (WL, KSA 1, S. 879) Denn die Behauptung, dass sich das Wesen der Dinge der Sprache entzieht, ist nicht identisch mit der These, dass sich das Wesen der Dinge nur in Gestalt von Relationen beschreiben lässt. Diese Unklarheit betrifft Nietzsches frühe Deutung des Ding an sich, wobei der Eindruck entsteht, als würde Nietzsche mit dem Ding an sich auf eine wahre Welt abzielen, die jedoch als „unerreichbar, unbeweisbar, unversprechbar“ gilt. (vgl. Riccardi 2009, S. 15) Allein mit dem Rekurs auf das Ding an sich und dem Hinweis auf Wesenheiten, die unerkennbar bleiben, nimmt Nietzsche eine Position ein, die mit der Helmholtzschen nicht mehr kompatibel sein kann. Denn für Helmholtz ist das Ding an sich entweder ein vollkommen sinnloser und überflüssiger Terminus, der in den Naturwissenschaften nichts verloren hat, oder aber das Ding an sich fiele mit seinem Materieund Kraftbegriff zusammen. Das Ding an sich wäre also identisch mit dem physikalisch bestimmbaren Objekt. Beide Alternativen lehnt Nietzsche ab, und er ist in seiner Einstellung sehr stark durch Friedrich Albert Lange beeinflusst worden. (vgl. Salaquarda 1978; 1985, S. 36f) Allerdings könnte es an dieser Stelle sehr hilfreich sein, nicht auf Lange, sondern

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auf Otto Liebmann einzugehen, und zwar auf dessen Abhandlung Ueber den objectiven Anblick, die 1869 erschien und in der Nietzsche-Forschung bisher unberücksichtigt geblieben ist. Das mag insgesamt mit einer unklaren Quellensituation zusammenhängen. Auch wenn zu vermuten ist, dass Nietzsche Liebmanns Buch über Kant und die Epigonen wohl gelesen, zumindest zur Kenntnis genommen hat, fehlen hierfür die gesicherten Belege. Ähnliches dürfte für Liebmanns Abhandlung Ueber den objectiven Anblick gelten, die sich explizit und ausschließlich mit einer philosophischen Theorie des Sehens befasst und genau dort ansetzt, wo Helmholtz die Berührungsstelle der Physiologie der Sinne mit der Philosophie gesehen hatte, nämlich in der „Lehre von den sinnlichen Wahrnehmungen des Menschen“. Auch wenn unklar bleiben muss, ob Nietzsche diese Abhandlung Liebmanns tatsächlich gelesen hat, könnte diese gleichwohl zu einem besseren Verständnis seiner erkenntniskritischen Position und seiner Einstellung zum Ding an sich beitragen. Das möchte ich im Folgenden zeigen. Es geht Liebmann in dieser Abhandlung um eine Kritik des menschlichen Erkenntnisvermögens, die an der Frage des menschlichen Sehens ansetzt und hier die Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften, in Gestalt der Sinnesphysiologie sucht. Dass auch diese Schrift den Untertitel „eine kritische Abhandlung“ trägt, zeigt, dass Liebmann mit Kant und die Epigonen seine Kritik des Zustandes der zeitgenössischen Philosophie und Wissenschaften noch nicht für abgeschlossen hält und fortzusetzen gedenkt. Die Auswahl des Themas begründet Liebmann folgendermaßen: Grade nämlich die Beschäftigung mit dem objectiven Sehen ist ungemein geeignet, um jene höchst oberflächliche, gedankenlose, kindische Sorte von Realismus, wodurch nicht nur die Menge verblendet wird, sondern die leider auch in die Reihen der Forscher eingerissen ist, zu entlarven, in ihrer ganzen Richtigkeit bloßzustellen, und völlig ad absurdum zu führen, zu Gunsten einer idealistischen Weltansicht, deren Berechtigung sozusagen ad oculus demonstrirt wird. (Liebmann 1869, Vorwort IVf.)

Anhand einer Analyse des Sehvorgangs lässt sich für Liebmann ein naiver Realismus in zweierlei Hinsicht bloßstellen. Es ist einmal die Sicht des Alltagsmenschen, der das Sehen „als selbstverständlich in die Tasche gesteckt [betrachtet]“ (Liebmann 1869, Vorwort III), weil er die Dinge für so nimmt, wie sich ihm diese darstellen, dann aber auch der Realismus des Naturforschers, den Liebmann glaubt in gleicher Weise als naiv charakterisieren zu können. Beides aber erst im Zuge einer kritischen Reflexion der jeweiligen Denkvoraussetzungen. Zwei Grundüberzeugungen weisen Liebmann die methodische Richtung: die Ablehnung einer idealistisch spekulativen Naturphilosophie und die Einsicht, dass für die Positionierung des philosophischen Standortes eine kritische Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Wissen seiner Zeit erforderlich ist. Wer Auskunft über die Vorgänge des Sehens einholen will, kann sich nach Liebmann nicht an die Philosophie halten, die nur Gleichnisse und Metaphern gibt, sondern muss sich mit den Sinnesphysiologen selbst auseinandersetzen. Im Hinblick auf die Physiologie des Sehvorgangs beschäftigt sich Liebmann in erster

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Linie mit den Schriften von Helmholtz und Albrecht Nagel.21 Mit seinem kritischen Verfahren setzt sich Liebmann die Aufgabe, das Wissen der Naturwissenschaftler vom menschlichen Sehen zu erörtern, um es dann im kantischen Sinne einer Kritik zu unterziehen. So mündet die Abhandlung in eine Hinterfragung des naturwissenschaftlichen Objektivitätsideals, die einen transzendenten Standpunkt erörtert, ohne ihn aber selbst einzunehmen. Liebmanns Grundgedanke ist, dass die zeitgenössische Debatte um den Realismus der Naturwissenschaften von einem logischen Fehlschluss der Art einer „ignoratio elenchi“ (vgl. Liebmann 1869, S. 167f.) bestimmt wird. Er glaubt, dass sowohl der Versuch, Objektivität zu beweisen als derjenige, sie zu widerlegen, am eigentlichen Kern des erkenntnistheoretischen Problems vorbeigeht und dadurch ein prinzipielles Missverständnis im Hinblick auf die Reichweite wie Grenze naturwissenschaftlichen Wissens evoziert. Liebmann gesteht die Erkennbarkeit der Welt zu, in seiner Formulierung den „objectiven Anblick“, glaubt aber, dass alle Erkenntnis sich lediglich auf die Außenseite der Wirklichkeit bezieht und dabei deren Innenseite, das Wesen der Natur, prinzipiell verfehlt. Auch wenn alle Naturgesetze vollständig expliziert wären, die Gehirnstruktur des Menschen vollständig durchleuchtet und begriffen wäre, so Liebmanns Auffassung, „bewegt sich alle empirische Forschung und Wissenschaft innerhalb des Reiches relativer Phänomene, scheinbarer Objectivität.“ (Liebmann 1869, S. 160) Das „Räthsel der Welt“ kann durch ein objektivierendes Erkenntnisverfahren nicht gelöst werden. Liebmanns entscheidender Punkt ist also der, dass die sinnesphysiologische Erklärung der Empfindungsfähigkeit auf zwei Annahmen beruht, die zum Verständnis des Sehvorgangs notwendig erscheinen, aber gleichwohl aus heuristischer Sicht problematisch sind. Auf der einen Seite ist das physikalische Wissen über die Ätherwellen kein absolut sicheres Wissen, sondern nur eine Hypothese, die sich als falsch oder korrekturbedürftig herausstellen kann. Auf der anderen Seite vermag die Physiologie nicht zu erklären, warum das Sinnesorgan auf ein bestimmtes Agens gerade so reagieren muss und nicht anders. Beides bleibt für Liebmann ein Unbekanntes, so dass sich ihm die Relation zwischen Subjekt und Objekt als eine Relation zweier im Kern unbekannter Faktoren zueinander verhält: Es ist die Relation zwischen einem Unbekannten (Y) und einem andern, gleichfalls Unbekannten (X), welch letzteres uns als Leib erscheint, woraus in unsrem Bewußtsein thatsächlich jene sensiblen Qualitäten entstehn, die unser Verstand nach a priori gegebenen Gesetzen in die wahrnehmbare Natur, das Phänomen der materiellen Außenwelt, umwandelt. (Liebmann 1869, S. 153)

Liebmann will zeigen, dass die physikalisch-physiologische Rede über die Sinnesorgane auch nur eine Vorstellung über deren Funktionsweise darstellt, die in ihrem

21 Vgl. Helmholtz 1867, Nagel 1861. Liebmann zieht Nagel heran, um physiologische Eigenheiten des Sehens, wie die Umkehrung des Netzhautbildes oder das binokulare Sehen zu erklären, mit Helmholtz setzt er sich eher in theoretischer Hinsicht auseinander.

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Wesen jedoch notwendig verborgen bleiben muss. Im Hinblick auf dieses Unerkennbare will sich Liebmann nicht definitiv festlegen, doch um den „transcendenten Factor“ (Liebmann 1869, S. 153) für den Leser doch noch etwas verständlicher zu machen, erläutert er ihn abschließend vor dem Hintergrund eines Dilemmas. Der Mensch, so Liebmann, ist in jeglicher Hinsicht das Produkt der Natur, ein „Tropfen ist er im Meer der Unendlichkeit, das der immer schaffenden, gebärenden, säugenden Natura naturans entquilt.“ (Liebmann 1869, S. 163) Aber zugleich ist die Natur das Produkt des Menschen bzw. seines Verstandes. Was der Mensch zu erkennen vermag, ist letztlich nur diese äußere Seite der Natur, die „natura naturata“. Die „natura naturans“ hingegen verweist auf eine Ordnung jenseits des Erkennbaren, wobei Liebmann nahe legt, darin weniger ein theologisches Prinzip zu erkennen als vielmehr die Vorstellung einer unendlich schöpferischen Natur, die gebiert und die Dinge erkennen lässt, ohne sich jedoch dabei in ihrem Wesen zu entblößen. Vor diesem Hintergrund ließen sich nun zwei Aspekte thematisieren, die für Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne von grundlegender Bedeutung zu sein scheinen: Nietzsches These, dass „höchstens ein ästhetisches Verhalten“ die Kluft zwischen Subjekt und Objekt zu überbrücken vermag sowie seine Auffassung, die Wirklichkeit lasse sich zwar im Rahmen von Raum, Zeit und Kausalität erkennen, bleibe aber dabei in ihrem Kern unerkannt. Mit Liebmanns Vorstellung einer „natura naturans“, die jenseits des Objektivierbaren, aber nicht jenseits der Natur zu verorten ist, bietet sich die Möglichkeit an, zunächst diesen letztgenannten Aspekt der Erkenntniskritik Nietzsches einer Deutung zu unterziehen. Wenn Nietzsche davon spricht, dass die sprachliche Bezeichnung der Dinge „den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen“ (WL, KSA 1, S. 879), verweisen diese „ursprünglichen Wesenheiten“ nicht auf etwas Jenseitiges, sondern auf etwas der Wirklichkeit selbst Inhärierendes. Dieser Gedanke wäre allerdings ohne eine ontologische Annahme über das Wesen der Dinge nicht plausibel zu machen. Damit wäre zwar keine Substanzmetaphysik im platonisch-christlichen Sinne impliziert, wohl aber eine ontologische Aussage über eine werdende und schöpferische Natur, die präsent ist und sich doch verbirgt. Bereits bei Liebmann ist die Möglichkeit angedeutet, die Herkunft dieses naturphilosophischen Gedankens weniger in der idealistischen Philosophie Schellings oder überhaupt in der Moderne als vielmehr im frühgriechischen Denken zu suchen, ein Eindruck, der durch Liebmanns mythologisierende Einführung der „natura naturans“ nahe gelegt wird und sich durch eine weitere Analyse auch wohl erhärten ließe. Nietzsches Orientierung am vorsokratischen Denken, die durch seine Studien über die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen ihren Niederschlag in dieser Zeit findet, käme dem sicherlich entgegen. Daraus wäre die Konsequenz zu ziehen, dass Nietzsches Erkenntniskritik in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne in einem engen Zusammenhang mit einer Ontologie des Werdens steht, die durch eine Kritik des Dinges an sich und durch die Anlehnung an frühgriechisches Denken als Resultat dieser Kritik motiviert zu sein scheint.

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Diese Überlegung ließe sich auch für den zweiten Aspekt fruchtbar machen. Nietzsches These, dass die Kluft zwischen Subjekt und Objekt „höchstens durch ein ästhetisches Verhalten“ zu überbrücken wäre, findet weder im Forschungsprojekt der Sinnesphysiologen noch in dem neukantianischen Erkenntnismodell liebmannscher Provenienz eine Stütze. Weder bei Liebmann noch bei Helmholtz spielen ästhetische Faktoren für die Klärung der Frage, wie der Verstand Sinnesempfindungen auf die Wirklichkeit bezieht, eine Rolle. Dass hingegen für das Erkennen der Zusammenhänge von Dingen sowie der Bildung von Theorien Intuition und kreatives Denken erforderlich sind und grandiose Naturwissenschaftler wie Helmholtz in dieser Hinsicht auch geniale Erfinder und Künstler sind, ist in der philosophischen Tradition nie bestritten worden, weil ein so verstandenes künstlerisch-experimentelles Denken im Dienst der Erkenntnis steht und nicht zum Zweck eines skeptischen Arguments formuliert wird. Wenn der Rekurs auf die Sinnesphysiologie die Frage nach der Herkunft des Gedankens eines „ästhetischen Verhaltens“ zwischen Subjekt und Objekt nicht positiv zu beantworten vermag, stellt sich die Frage neu, worin Nietzsches Aussage tatsächlich begründet ist. Meine Vermutung, die ich an dieser Stelle äußern möchte, ist die, dass Nietzsche aus der Perspektive einer „natura naturans“ seine Erkenntnis- und Wahrheitskritik formuliert. Hintergrund dafür ist seine tiefsitzende Verunsicherung und Skepsis im Hinblick darauf, was Kausalität eigentlich ist und was eine kausale Erklärung eigentlich leisten soll. Wenn sich Nietzsche in einem nachgelassenen Fragment dieser Zeit hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Reiz und Bild notiert: „wie das ist, wissen wir nicht, wir verstehen keine einzige Kausalität“ (NL 1873, 19[210], KSA 7, S. 484), verdichtet sich in dieser Bemerkung genau das Kernproblem, womit sich Nietzsche zeitlebens beschäftigt hat, nämlich die Frage, was die Beziehung zwischen Grund und Folge, was das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung tatsächlich ausmacht. Nietzsche glaubt bereits zu diesem Zeitpunkt nicht daran, dass eine kausale Erklärung im Sinne einer logischen Ableitung das Geschehen eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs adäquat auszudrücken vermag. Es scheint, als gäbe es für Nietzsche nichts Geheimnisvolleres und im Prinzip Unverständlicheres als den Gedanken von Ursache und Wirkung, als das Hervorbringen von etwas aus etwas anderem, egal welcher Art. Nietzsche glaubt, dass sich Ereignisse, die auf uns den Eindruck von Notwendigkeit machen, durch Gesetzesaussagen zwar beschreiben, aber dadurch nicht wirklich verstehen lassen. Um dem Leser diese Deutung nahezubringen, nimmt er selbst die Perspektive des Rätselhaften, des Unverständlichen ein, die man in der Terminologie Liebmanns durchaus als die einer „natura naturans“ kennzeichnen könnte. Hinter der Bezugnahme von Subjekten auf die Wirklichkeit, die bei Helmholtz und Liebmann aus der Perspektive des Kausalitätsprinzips gedeutet wird, steht somit weniger eine durch die Sinnesphysiologie vermittelte Einsicht als die prinzipielle Aussage über die Undurchdringlichkeit einer schöpferischen Natur, die es möglich gemacht hat, dass Menschen sich eine Welt entgegenstellen und sich mittels der Sprache auf diese beziehen können. Damit ist nicht unmittelbar eine Ästhetisierung

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der Wirklichkeit und des Wahrheitsbegriffs verbunden. Denn zunächst geht es Nietzsche offenbar darum, einen Blick hinter den für Menschen selbstverständlichen Objektivitätsanspruch ihrer Lebensäußerungen zu werfen und dessen Bedingungen zu verstehen bzw. zu hinterfragen. Nietzsche glaubt, das Rätselhafte, das wir dabei entdecken können, sei noch am ehesten mit ästhetischen Kategorien zu beschreiben. Damit wird auch klar, dass die Formulierung, dass „höchstens“ ein ästhetisches Verhalten die Kluft zwischen Subjekt und Objekt überbrücken könne, als Ausdruck einer Ambivalenz im Begriff des Ästhetischen selbst zu sehen ist. Wenn es überhaupt ein Vermögen gibt, die Kluft zwischen Subjekt und Objekt zu überbrücken, dann kann es sich hierbei nur um ein künstlerisches handeln. Zugleich ist das Ästhetische aber auch der Grund dafür, dass wir mit unserer objektivierenden Erkenntnis das Wesen der Dinge verfehlen. Ähnlich hatte Nietzsche bereits in der Geburt der Tragödie im Hinblick auf die Notwendigkeit des apollinischen Scheins argumentiert. Das Ur-Eine hat den Schein nötig, weil es sich nur im Schein zu erlösen vermag, eine Erlösung, die für Nietzsche jedoch sehr ambivalent ist, weil mit ihr zugleich der Beginn einer Selbstzerstörung der Tragödie eingeleitet wird. Ist es in der Regel üblich, Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne als den Versuch Nietzsches zu lesen, auf Distanz zu seiner Artistenmetaphysik der Geburt der Tragödie zu gehen, bleibt die Frage, inwieweit Nietzsches Erkenntniskritik und seine Rede vom „räthselhafte[n] X des Dinges an sich“ in diesem sprach- und erkenntniskritischen Essay nicht doch auch von einer Metaphysik der Kunst inspiriert gewesen sein könnte, interpretierte man diese im Licht von Liebmanns Vorstellung einer „natura naturans“ und würde hinzunehmen, dass Nietzsche diese Vorstellung in ein sprachphilosophisches Modell übersetzte, das in Anlehnung an Wilhelm von Humboldt und vermittelt durch seinen Lehrer Friedrich Ritschl Sprache nicht als Mechanismus, nicht als Spekulation, sondern als Organismus, der sich ständig im Wandel befinde, begriffe. (vgl. Benne 2005, S. 71)

3.3. Die Bedeutung des Traumes in der Erkenntnisphilosophie Nietzsches Das Traummotiv spielt bereits in der Geburt der Tragödie und Ueber Wahrheit und Lüge eine große Rolle, eine erkenntnistheoretisch bedeutsame Aussage zur Natur des Traumes macht Nietzsche allerdings erst in den Aphorismen 12 und 13 von Menschliches, Allzumenschliches I. Nietzsche versteht hier den Traum als eine Zustandsweise, die die Anfänge der Zivilisation wieder lebendig werden lässt, wenn er sagt: „der Traum bringt uns in ferne Zustände der menschlichen Cultur wieder zurück und giebt ein Mittel an die Hand, sie besser zu verstehen“ (MA I 13, KSA 2, S. 33). In diesem Kontext ist auf Hubert Treiber zu verweisen, der Nietzsches „Logik des Traumes“ in die Geschichte der Sinnesphysiologie gestellt, die Nähe zu Helmholtz herausgearbeitet sowie die maßgebliche Literatur zusammengestellt hat (vgl. Treiber 1994). Im Rahmen einer sinnesphysiologischen Einbettung des Traumes verdienen drei Aspek-

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te, die Nietzsches Überlegungen charakterisieren, Beachtung: 1) der Metonymiegedanke; 2) die Angleichung zwischen innerer und äußerer Realität; und 3) die versteckten Annahmen zum Verhältnis zwischen Denken und Bewusstsein. Da sich die genannten Punkte nicht konsequent voneinander isolieren lassen, werde ich sie gemeinsam besprechen. Es ist auffallend, dass Nietzsche wieder auf das Metonymieprinzip zurückgreift, um den gewöhnlichen Fehlschluss zwischen Ursache und Wirkung herauszustellen, der die Logik unseres Wirklichkeitsverständnisses bestimmt. Ein solches Missverständnis liegt vor, wenn wir vergessen, dass uns eigentlich immer nur Empfindungen, nicht die Dinge selbst gegeben sind. Wir schließen auf die Dinge zurück, und dieser Vorgang fällt gewöhnlich außerhalb unseres Bewusstseins. Nietzsches These setzt sich in dieser Hinsicht aus zwei Einzelthesen zusammen. Er behauptet, dass eine solche Verkehrung bereits das Zustandekommen von Träumen bestimmt, die durch Nervenreize veranlasst werden. Denn „der Traum ist das Suchen und Vorstellen der Ursachen für jene erregten Empfindungen […].“ (MA I 13, KSA 2, S. 32) Und er behauptet, dass Träume für die Konstituierung unseres Wirklichkeitsverständnisses insofern wesenskonstitutiv sind, als es „zwischen Wachen und Träumen keinen w e s e n t l i c h e n Unterschied giebt“ (M 119, KSA 3, S. 113). Demzufolge kann Nietzsche sagen, Träume würden auf den Anfang der Kultur zurückverweisen. Der Gedanke des Zurückschließens von der Erregung auf die Ursache bleibt noch in seiner Bedeutung unklar, wenn man nicht hinzufügt, dass in der „Logik des Traumes“ der Unterschied zwischen einer externen und einer internen Realität eingeebnet wird. Die Traumrealität ist nur graduell, aber nicht prinzipiell von der Tagesrealität unterschieden. Damit bringt das Interpretieren von Empfindungen als solches bereits ein Realitätsbewusstsein hervor. Ähnlich wie Helmholtz in den Thatsachen in der Wahrnehmung versteht Nietzsche den Schluss von der Wirkung auf die Ursache nicht als einen Denkakt, sondern als einen intellektuellen Prozess, der immer schon in einem Interpretationskontext eingebettet ist.22 Die individuelle wie kulturgeschichtliche Entwicklung von der „erstbesten Hypothese“ zu einem sich kontrollierenden und stets erweiternden Denken wird wiederum nur durch die Klärung des Verhältnisses zwischen Denken und Bewusstsein verständlich. Nietzsches Aussage, der Traum erweise sich als „Resultat eines Denkens“ (NL 1877, 22[62], KSA 8, S. 389) geht interessanterweise auf die helmholtzsche Theorie der unbewussten Schlüsse zurück, der zufolge das Bewusstsein die Folge von Denkprozessen darstellt.23 Unter Bewusstsein als Oberfläche ist also das Bewusstsein als das Resultat von Urteilen zu verstehen, wobei der Urteilsfindungsprozess unbewusst bleibt. Eine zunehmende Urteilsfähigkeit würde demzufolge ein zunehmendes Bewusstsein und damit eine zunehmend „realitätsgetreuere“ Wirklichkeitssicht impli-

22 Günter Abel hat diesen Gesichtspunkt sicherlich am konsequentesten in seiner Interpretationsphilosophie verfolgt, vgl. Abel 1984. 23 Vgl. die Diskussion dieser Thematik bei Horwicz 1872, S. 220f.

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zieren. Genau genommen beruht Nietzsches Analogie zwischen dem Traum und den Anfängen der Kultur auf einem Umkehrschluss. Wenn der Träumende ein gerade eben merkliches Bewusstsein hat, und man Bewusstsein versteht als Folge von Urteilen, scheint es zulässig, von einem eingeschränkten Bewusstsein auf eine eingeschränkte Form der Intellektualität zurückschließen zu können. Die Dummheit unserer Träume bringt uns „in ferne Zustände der menschlichen Cultur wieder zurück“ (MA I 13, KSA 2, S. 33). So verstanden, geht es Nietzsche in diesem Aphorismus um die Selbstdisziplinierung des Geistes, nicht darum, den Unterschied zwischen Traum und Realität zu verwischen oder einer Psychoanalyse des Traumes vorzuarbeiten.

3.4. Der Wille zur Macht und die Frage nach den sinnlichen Eigenschaften In seiner kürzlich erschienenen Abhandlung über Nietzsche und das Ding an sich hat Mattia Riccardi den Versuch unternommen, Nietzsches Konzeption vom Willen zur Macht aus der nachkantischen sowie sinnesphysiologischen Diskussion um Kants Ding an sich zu rekonstruieren. Seine These lautet, dass sich der Wille zur Macht Nietzsches als eine „relationale Ontologie“ darstellen lässt, die an Kant anknüpft, sich aber doch entscheidend von ihm absetzt (vgl. Riccardi 2009). Das ist insofern ein bedeutender Gesichtspunkt, als er zeigt, dass Nietzsches Konzeption des Willens zur Macht auch im sinnesphysiologischen Diskurs verwurzelt ist. Meine Intention an dieser Stelle beschränkt sich allerdings darauf, die Gemeinsamkeit wie Differenz gegenüber dem helmholtzschen Ansatz herauszustellen. Wir können ein Ding, so der späte Nietzsche, nur durch seine Relationen bestimmen, wobei das, was eine Relation ist, im Wesentlichen durch eine Wirkung, also durch Kraft definiert ist. Damit steht Nietzsches Konzeption des Willens zur Macht in der Tradition der Naturphilosophie, weil sie einer Auseinandersetzung um den Status von Naturgesetzen entspringt. Kraft und Relationalität sind in dieser Hinsicht wechselweise aufeinander bezogen: Die Eigenschaften eines Dings sind Wirkungen auf andere „Dinge“: denkt man andere „Dinge“ weg, so hat ein Ding keine Eigenschaften d.h. es g i e b t k e i n D i n g o h n e a n d e r e D i n g e d.h. es giebt kein „Ding an sich“. (NL 1885–1886, KSA 12, 2[85])

Es ist bemerkenswert, dass Helmholtz bereits im Handbuch der physiologischen Optik eine vergleichbare Grundposition formuliert, wenn er betont: Denn alle Naturkräfte sind Kräfte, welche ein Körper auf den anderen ausübt. Wenn wir uns die bloße Materie ohne Kräfte denken, so ist sie auch ohne Eigenschaften, abgesehen von ihrer verschiedenen Vertheilung im Raume und ihrer Bewegung. Alle Eigenschaften der Naturkörper kommen deshalb auch erst zutage, wenn wir sie in die entsprechende Wechselwirkung mit anderen Naturkörpern oder mit unsern Sinnesorganen setzen. (Helmholtz 1867, S. 444)

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Diese Wechselbeziehung zwischen den Kräften der Körper und der Bestimmung von Eigenschaften tritt ganz deutlich zutage. Eine dem Körper zugewiesene Eigenschaft geht entweder auf die Relation der Dinge zueinander oder auf eine Wirkung der Dinge auf das menschliche Sinnesvermögen zurück. Insofern diese Relationen auf einer permanenten Wechselwirkung beruhen, schreiben wir den Dingen nach Helmholtz Konstanz zu: „Diese dauernde Fähigkeit nennen wir Eigenschaft“. (Helmholtz 1867, S. 444) Helmholtz versteht somit unter einer Eigenschaft eine logische Funktion mit einem Gesetzesstatus, wobei er einfordert, dass hinter jedem Naturgesetz eine Kraft wirkt. Demzufolge können Sinnesqualitäten den Charakter von Eigenschaften annehmen, weil sie die Folge zweier Kräfteverhältnisse darstellen: den Lichtwellen und dem Gesetz der spezifischen Sinnesenergien. Dem setzt Helmholtz ein physikalisches Eigenschaftsverständnis entgegen, wenn er sagt: „Etwas anderes ist es, wenn wir behaupten, dass die Wellenlängen des vom Zinnober zurückgeworfenen Lichtes eine gewisse Länge haben.“ (Helmholtz 1867, S. 445) Der Unterschied zwischen der Sinnesqualität und einer bestimmten Wellenlänge des Lichts betrifft nicht den relationalen Charakter von Eigenschaften, sondern besteht in der Unterscheidung zwischen gesetzlichen Zusammenhängen der anorganischen und solchen der organischen Materie. Die ersteren sind für Helmholtz nicht anthropomorphistisch. Das ist für ihn insofern evident, als z.B. die Struktur eines chemischen Elements zwar in Verbindung zu anderen Elementen, aber nicht in einer Beziehung zum Menschen steht. Dem entspricht die traditionelle Unterscheidung Lockes zwischen primären und sekundären Qualitäten. Aber genau hierin scheint ein wesentlicher Unterschied zu Nietzsches Vorstellung eines rein dynamischen Kraftmodells zu liegen, die dem Atombegriff sowie den mechanistischen Grundannahmen von Helmholtz skeptisch gegenüber steht. Der Unterschied zu Helmholtz betrifft somit nicht den Begriff einer auf Relationen beruhenden Eigenschaft, sondern zielt auf zwei andere Momente: einerseits auf die Ablehnung des mechanistischen Materie- und Kraftbegriffs, andererseits auf die Aufhebung der Unterscheidung zwischen anorganisch und organisch, die dem helmholtzschen physikalischen Weltbild zugrunde liegt. Lässt sich Nietzsches Konzept des Willens zur Macht tatsächlich als „relationale Ontologie“ beschreiben, wie Riccardi es tut, und beruht die vollkommen neue Auslegung der Welt durch den Willen zur Macht auf einer Überwindung mechanistischer Prämissen, was Nietzsche immer wieder betont hat (vgl. JGB 22, KSA 5, S. 36), wäre zu fragen, wie eine Theorie der sinnlichen Eigenschaften im Rahmen von Nietzsches Entwurf zu formulieren wäre. Als erstes wäre der substanzialistische Eigenschaftsbegriff des von Helmholtz vertretenen physikalischen Weltbildes preiszugeben. Im Hinblick auf den mechanistischen Atombegriff hat Nietzsche diese Konsequenz auch gezogen. Aus seinen Schriften geht allerdings nicht klar hervor, inwieweit Nietzsche gesehen hat, dass die Relativierung des naturwissenschaftlichen Weltbildes durch eine Konzeption, die darauf setzt, dass die Welt Wille zur Macht und nichts außerdem ist, nicht nur den Atombegriff, sondern auch die gesamte Theorie der Sinneswahrnehmung, d.h. ihre physikalischen Voraussetzun-

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gen betrifft. Einer Kritik des Atombegriffs entspräche im Hinblick auf eine Theorie der sinnlichen Wahrnehmung die Hinterfragung der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten. Denn wodurch wäre diese noch zu begründen? Die Frage, wie sich vor dem Hintergrund eines rein relationalen Dingbegriffs bei Nietzsche eine Theorie der sinnlichen Eigenschaften explizieren lassen könnte, scheint mir noch offen zu sein.

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Nietzsche und die Lebenswissenschaften Wer sich mit der Frage nach der philosophischen Adaption naturwissenschaftlicher Theorien bei Nietzsche befasst, tut gut daran, dies im Lichte der mitunter stark divergierenden Selbstinszenierungseffekte zu tun, mit denen Nietzsche sein eigenes Schaffen immer wieder retrospektiv beleuchtet, zuweilen jedoch wohl auch eulenspiegelhaft verdunkelt hat. Dies lässt sich an einer der bekanntesten Selbstaussagen zum Thema „Naturwissenschaften“ zeigen: In Ecce homo nämlich interpretiert Nietzsche das Projekt von Menschliches, Allzumenschliches rückblickend als „Denkmal einer rigorösen Selbstzucht“ (EH MA 5, KSA 6, S. 327): Zehn Jahre hinter mir, wo ganz eigentlich die Ernährung des Geistes bei mir stillgestanden hatte […]. Ein geradezu brennender Durst ergriff mich: von da an habe ich in der That nichts mehr getrieben als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften (EH MA 3, KSA 6, S. 325).

Man gehe Nietzsche hier nicht auf den antimetaphysischen Leim: Dass er seither „nichts mehr getrieben“ habe als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften, gehört nämlich in das Reich legendenbildender Selbststilisierungen. Weitaus aufschlussreicher ist an diesem Zitat jedoch, dass auch in der so genannten mittleren Schaffensphase Nietzsches Beschäftigung mit den Natur-, insbesondere mit den Lebenswissenschaften, primär als philosophisches Antidot gegen die kulturellen und moralischen Implikationen eines falschen, durch das Christentum inaugurierten Idealismus fungiert: Die Beschäftigung mit den Ergebnissen empirischer Naturwissenschaften verfolgt in Nietzsches Selbstwahrnehmung und -darstellung das Ziel einer Verabschiedung von im schlechten Sinne „idealistischen“ Restbeständen aus Philosophie und Naturwissenschaften. Wobei unter „Idealismus“ eben nicht nur – und wohl nicht einmal primär – seine so genannte „deutsche“ Spielart mit ihrem Protagonisten Fichte, Schelling und Hegel gemeint ist (Kant wird von Nietzsche zumeist ebenfalls dazu gerechnet), sondern auch und vor allem die von Nietzsche an vielen Stellen so genannte „idealistische Falschmünzerei“ mit ihrer Leibverachtung, der Fingierung metaphysischer Hinterwelten und der damit verbundenen Geringschätzung des Wirklichen bis hin zur Konstruktion eines christlichen, nämlich eines transzendenten Gottes. Wie dieses Beispiel zeigt, leitet sich die inhaltliche Notwendigkeit, sich systematisch eingehend mit Nietzsches Lektüre zeitgenössischer naturwissenschaftlicher Autoren zu befassen, nicht aus einem allgemein philosophiehistorisch motivierten Interesse her, sondern aus der Einsicht, dass zahlreiche Sätze und Äußerungen vor allem des späten Nietzsche ohne die (zuweilen explizite, meist aber implizit bleibende) Bezugnahme auf zeitgenössische naturwissenschaftliche Theorien nicht adäquat verstanden werden können.

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Zusätzlich erschwert wird diese Analyse durch die Tatsache, dass Nietzsche – darauf ist ja von zahlreichen Nietzsche-Interpreten bereits hingewiesen worden – sich oft nicht direkt auf diese Theorien bezogen hat, sondern stattdessen „popularisierende“ Darstellungen herangezogen hat.1 Nun enthält diese Tatsache (anders als einige Interpreten glauben machen wollen) für sich genommen durchaus noch nichts Diskreditierendes. Die wissenschaftliche Kultur vor allem des späten 19. Jahrhunderts ist ja vor allem durch eine regelrechte Konjunktur popularisierender Wissenschaftsdarstellungen geprägt, die in der gegenwärtigen Wissenschaftskultur ohne Parallelen ist.2 Nicht erst in der (im Deutschland der 1860er Jahre einsetzenden) populären Auseinandersetzung mit dem Darwinismus, sondern schon in der geistigen Reaktion auf und Verarbeitung von wissenschaftlichen Theorien wie der Zellkunde der 1840er und dem Materialismusstreit der 1850er Jahre sind zahlreiche hochrangige Forscherpersönlichkeiten wie Helmholtz, Virchow, Liebig und Du Bois-Reymond als „Popularisatoren“ hervorgetreten. Aber auch heute weniger bekannte Autoren wie Reinke, Bölsche, Ostwald und Dodel-Port haben sich um die Popularisierung naturwissenschaftlich-lebenswissenschaftlicher Resultate verdient gemacht.3 Was also die von Schlechta an Nietzsche kritisierte Form der Adaption naturwissenschaftlicher Theorien unter anderem durch die Lektüre populärwissenschaftlicher Autoren angeht (Schlechta 1969, S. 1443–45), so ist festzuhalten, dass dieselbe zwar unzweifelhaft stark selektiv, jedoch weitaus weniger dilettantisch gewesen ist, als Schlechtas Darstellung dies glauben machen will. Die mit Schlechta zeitgenössische Analyse von Mittasch immerhin konzediert dem Rezipienten Nietzsche – quasi als Tribut an sein philosophisches Genie – ein „seltsame[s] Vermögen […] auch ohne tiefgehende fachkundige Studien durch die Oberfläche auf den Grund der Dinge – oder auf den ‚Hintergrund‘ der Dinge – zu schauen“ (Mittasch 1952, S. 50). Dieses Votum von Alwin Mittasch ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Seither ist einiges über Nietzsches Quellen in Erfahrung gebracht worden, obwohl eine konsequente Aufarbeitung noch immer aussteht. Auf der anderen Seite steht die Einschätzung, Nietzsche habe in den naturwissenschaftlichen Theorien nur nach Analogien für das gesucht, was er auch ohne diese hätte formulieren können. Eine weitere Überprüfung sei daher nicht erhellend (Henke 1989, S. 287); ebenso wird der angeblich „schielende“ Bezug auf naturwissenschaftlichen Theorien im Werk Nietzsches moniert (Henke 1989, S. 284). Ohne diese seit mehr als einem halben Jahrhundert andauernde Auseinandersetzung erneut aufgreifen zu wollen, lässt sich doch Eines feststellen: Die Frage nach

1 Allerdings nicht ausschließlich; vielmehr zeigt ja die fortlaufende Erforschung von Nietzsches Bibliothek, dass Nietzsche zahlreiche naturwissenschaftliche Standardwerke nicht nur besessen, sondern intensiv durchgearbeitet und mit kritischen Anmerkungen versehen hat. 2 Zu Entfaltung und Einfluss dieser Wissenschaftspopularisierungen siehe Daum 1998. 3 Daum 1998, S. 461f stellt in seinem grundlegenden Werk für die zweite Phase der Popularisierung (nach 1870) beginnend mit der Gründung der GVV (Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung) sogar eine „Institutionalisierung der Populärwissenschaften“ fest.

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der „Ernsthaftigkeit“ von Nietzsches Beschäftigung mit den zeitgenössischen Naturwissenschaften lässt sich, ebenso wie die Frage, ob Nietzsche auf der Höhe der naturwissenschaftlichen Forschung argumentiert habe, nur auf der Basis einer umfassenden Gesamtdarstellung von Nietzsches Rezeption naturwissenschaftlicher Diskussionen entscheiden. Eine solche Untersuchung steht jedoch bisher noch aus.4 Einen ersten Anhaltspunkt für Nietzsches frühe Ansätze zu einer Ausformulierung des Lebensbegriffes gibt ein in KGW auf April/Mai 1868 datiertes Aufzeichnungskonvolut, das bereits zentrale Momente von Nietzsches späterem Lebensbegriff vorwegnimmt (NL 1868, KGW I/4, S. 548–578). Vergegenwärtigen wir uns in aller Kürze den werkbiografischen Zusammenhang: Nietzsche hatte sich nach intensiven familiären Auseinandersetzungen 1864 definitiv für das Studium der Philologie und damit gegen die von der Mutter gewünschte Theologenlaufbahn entschieden (Ottmann 2000, S. 14) – eine Entscheidung, an der neben grundsätzlichen Glaubensfragen auch die Person seines Lehrers Ritschl einen nicht zu unterschätzenden Anteil gehabt haben dürfte.5 Im April 1868 nun spielt Nietzsche mit dem Gedanken, „auch einmal philosophisch zu promovieren“, wie es (anlässlich der Zusendung einer Kant-Dissertation) in einem Brief an E. Rohde vom 03.04.1868 heißt (Bf. an Rohde, 03.04.1868, KGB I/2, Bf. 565). Wenig später, Ende April / Anfang Mai 1868, findet sich in einem Brief an Paul Deussen bereits die Ankündigung, diesem die geplante „Doktordissertation“ zum Thema „‚der Begriff des Organischen seit Kant‘“ bis Ende des Jahres zusenden zu wollen – die Thematik wird als „halb philosophisch, halb naturwissenschaftlich“ charakterisiert (Bf. an Deussen, Ende April / Anfang Mai 1868, KGB I/2, Bf. 568). Neben der kritischen Auseinandersetzung mit Kants Teleologiebegriff (die hier nicht eingehend zu thematisieren ist) zeugen diese Aufzeichnungen von Nietzsches früher Rezeption naturphilosophischer und naturwissenschaftlich-populärer Schriften.6 Unter der Überschrift „Naturphilosophisch“ notiert Nietzsche:

4 Zu Nietzsches „aufklärerischer“ Lektüre naturwissenschaftlicher Werke vgl. Solies 2004. Das 2000 erschienene Nietzsche-Handbuch sieht dieses „Manko“ darin, „daß immer noch Mittaschs Buch von 1952 als einschlägige Darstellung von N.s Verhältnis zur Naturwissenschaft gelten muß. Bislang gibt es keine neuere Arbeit, welche die vielen seither erschienenen Einzelstudien zu N.s naturwissenschaftlichen Studien in einer großangelegten Interpretation zusammenführt.“ (Zittel 2000, S. 404) Eine hilfreiche Rekonstruktion von Nietzsches Naturbegriff findet sich neuerdings in der Dissertation von Wolfgang Jordan, die auch den Forschungsstand zu Nietzsches Naturbegriff zutreffend wiedergibt (vgl. Jordan 2006, S. 31–43); allerdings werden die naturwissenschaftliche Einflüsse auf Nietzsche auch hier nicht eingehender thematisiert. 5 Die Gefolgschaft zu Ritschl wird von Nietzsche selbst in seinem Brief an Franziska und Elisabeth Nietzsche vom 29. 05. 1865 als „Hauptgrund“ seines Wechsels von Bonn nach Leipzig genannt (Bf. an Franziska und Elisabeth Nietzsche, 29.05.1865, KGB I/2, Bf. 468). Zur Entwicklung des Verhältnisses Ritschl – Nietzsche vgl. nochmals Ottmann 2000, S. 15. 6 Im Einzelnen belegen die Manuskripte der Mappe 62 (NL 1868, KGW I/4, S. 548–578) Nietzsches Beschäftigung mit den naturphilosophischen Konzeptionen von Holbach (NL 1868, 62[9], KGW I/4,

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Die einfache Idee tritt in Vielheit der Theile u. Zustände des Organismus auseinander, aber sie bleibt als Einheit in der nothwendigen Verknüpfung der Theile u. Funktionen. Dies macht der Intellekt (NL 1868, 62[7], KGW I/4, S. 551).

Dieser letzte Nachsatz ist nun keineswegs im Sinne einer realen einheitsstiftenden Potenz des Intellekts zu deuten, sondern weist im Gegenteil auf die interpretatorische Relevanz des Zweckmäßigkeitsgedankens für den Intellekt hin: „Die Zweckmäßigkeit des Organischen, die Gesetzmäßigkeit des Unorganischen ist von unserm Verstande in die Natur hineingebracht“ (NL 1868, 62[7], KGW I/4, S. 551). Damit befindet sich Nietzsche – wissentlich oder nicht – in Übereinstimmung mit der teleomechanistischen Forschungsrichtung, der so prominente Naturforscher wie Liebig, von Baer, Joh. Müller zuzurechnen sind.7 Die Aufzeichnungen des Konvoluts 62 weisen in ihrer Gesamtheit eine intensive kritische Auseinandersetzung mit dem kantischen Zweckbegriff auf. Auf der einen Seite bemüht sich Nietzsche, gegen teleologische Weltdeutungen das Prinzip des Zufalls und des Unzweckmäßigen geltend zu machen (NL 1868, KGW I/4, 62[4]) sowie die „völlige Unvernunft“ (NL 1868, 62[5], KGW I/4, S. 550) im Moment des Zweckmäßigen aufzuweisen (worin sich übrigens bereits eine gewisse Ähnlichkeit zu Nietzsches späterer Apotheose des Zufalls im Zarathustra sehen ließe). Auf der anderen Seite wird das Moment der Zweckmäßigkeit immer wieder zur Interpretation organischer Prozesse herangezogen. Im Zentrum der Kritik steht dabei immer der ontologische Status des Teleologiekonzepts, nicht sein heuristischer Wert. Das Wunderbare ist uns eigentlich das organische Leben: und alle Mittel dies zu erhalt nennen wir zweckmäßig. Weshalb hört in der Unorgan. Welt der Begriff des Zweckmäßigen auf? Weil wir hier lauter Einheiten haben, nicht aber zusammengehörige ineinander arbeitende Theile (NL 1868, 62[15], KGW I/4, S. 554).

Der (kantisch motivierte) Begriff der Zweckmäßigkeit wird hier von Nietzsche mit dem der Organisiertheit praktisch synonym gebraucht. Die Frage nach der kantischen Teleologie führt also auf das Problem der Organisiertheit des organischen Lebens. Dies ist durchaus relevant: nicht die Frage nach dem Leben selbst steht hier zur Disposition, nicht die Spekulation um eine „Lebenskraft“ als dem bewegenden Prinzip des Lebens, wie es die naturphilosophischen (und populären!) Spekulationen spätestens seit der Romantik beschäftigt hatte, sondern die Frage nach der Organisations-

S. 552), Goethe (NL 1868, 62[22], KGW I/4, S. 556f), Schelling (NL 1868, 62[48], KGW I/4, S. 573), Fries (NL 1868, 62[53], KGW I/4, S. 576) und Oken (NL 1868, 62[53], KGW I/4, S. 576) sowie mit naturwissenschaftlich-populären Autoren wie Moleschott (NL 1868, 62[9], KGW I/4, S. 552 und NL 1868, 62[48], KGW I/4, S. 572), Brockes (NL 1868, 62[19], KGW I/4, S. 555), Treviranus, Czolbe, Virchow, Helmholtz, Lotze, Joh. Müller (alle NL 1868, 62[48], KGW I/4, S. 572f) und Schleiden (NL 1868, 62[53], KGW I/4, S. 576). Diese Notate stellen allerdings lediglich Lektüreprogramme dar. Ob Nietzsche wirklich alle diese Schriften primär rezipiert hat, ist nicht in allen Fällen zweifelsfrei erwiesen. 7 Zu Nietzsches früher Fassung des Organischen vgl. Solies 2005.

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struktur organischen Lebens. Unter der Voraussetzung dieser impliziten Reduktion der Frage nach dem Leben auf die Frage nach der Organisiertheit organischen Lebens wird auch die (von Kant als Prinzip einer regulativen Verstandeserkenntnis konzipierte) „Zweckmäßigkeit“ mit dem physiologischen Selbsterhaltungsprinzip identifiziert, das bereits 1868 von Nietzsche – und zwar unter Berufung auf Goethe – als Resultat einer zweckmäßigen (d.h. selbsterhaltenden) Organisationsform selbstständiger Wesen gedacht wird: Jedes Lebendige, sagt, Goethe, ist kein Einzelnes, sondern eine Mehrheit: selbst insofern es uns als Individuum erscheint, bleibt es doch eine Versammlung von lebendig. selbständigen Wesen. Goethe. B. 36 p. 7. etc. (NL 1868, 62[22], KGW I/4, S. 556).

Nietzsche bezieht sich hier auf eine auf das Jahr 1807 zurückgehende Textpassage aus Goethes Morphologie (Goethe 1817, S. 56). Die Tatsache, dass eben dieses Zitat in dem in Nietzsches Bibliothek erhaltenen Exemplar von F. A. Langes Geschichte des Materialismus (Lange 1887, S. 579f) angestrichen ist, lässt es als sicher erscheinen, dass dies die Quelle für Nietzsches Textkenntnis war. Nietzsches erste Lange-Lektüre geht bekanntlich bereits auf das Jahr 1866 zurück, erhalten ist allerdings nur die nachgekaufte Auflage von 1887, was jedoch dem starken Indiz der Quellenherkunft keinesfalls widerspricht. Interessant ist übrigens, dass auch Virchow nach Auskunft von Lange dieselbe Stelle „in einem trefflichen Vortrag über Atome und Individuen benutzt hat“ (Lange 1887, S. 58f).8 Der Gedanke der Selbständigkeit der Teile (Wesen) im Organismus wird also von Nietzsche unter Berufung auf Goethes Organismusbegriff formuliert – und zwar lange vor der (1881 einsetzenden) Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Konzeptionen, insbesondere der Entwicklungsmechanik von Roux. Auch das ist wichtig, um diese Auseinandersetzung in ihrer Bedeutung korrekt einschätzen zu können.9 Auch wenn sich aus dieser Tatsache nichts Prinzipielles über Nietzsches Rezeptionsgewohnheiten den Lebenswissenschaften gegenüber ableiten lässt – in diesem Fall ist festzustellen, dass die primäre Quelle dieses Motivs offensichtlich nicht in der später einsetzenden Beschäftigung mit der Entwicklungsmechanik von Roux zu finden ist.10 Zentralpunkt dieser Reflexionen ist und bleibt für Nietzsche der Lebensbegriff, der bereits deutliche Strukturähnlichkeiten zu den späteren lebensphilosophischen

8 Lange meint Virchows Vortrag „Vom Leben und Kranksein“. 9 Dass Nietzsche von seiner späteren Konzeption einer „großen Vernunft des Leibes“ noch weit entfernt ist, zeigt bereits die Tatsache an, dass die Weise des Zusammenwirkens dieser Wesen noch als Gesamtheit „blindwirkende[r] Kräfte“ begriffen wird (KGW I/4, S. 563). Auch das Moment eines inneren Kampfes fehlt hier noch völlig. 10 Auch Müller-Lauter 1978 betont ausdrücklich, Nietzsche habe sich bei der Ausarbeitung seiner (primär gegen Darwin gerichteten) Leibphilosophie „vor allem“ – also nicht ausschließlich – auf Roux gestützt (Müller-Lauter 1978, S. 101, Hervorh. im Orig.). Ein Hinweis auf Nietzsches Rezeption von Goethes Organismusbegriff findet sich hier allerdings nicht.

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Entwürfen (etwa bei Simmel, Dilthey, Eucken, Spengler und Joël) aufweist: „Denn Leben in einer Form ist eben Organismus. Was ist Organismus denn anders als Form, geformtes Leben?“ (NL 1868, 62[46], KGW I/4, S. 569). Mit seiner Rückführung des Lebensbegriffs auf den des geformten Organismus nimmt Nietzsche bereits in diesen frühen Fragmenten zentrale Momente der Leben-Form-Thematik, die später für die Begriffsbildung der Lebensphilosophie von so entscheidender Bedeutung werden soll, vorweg. Das grundsätzlich antinomische Verhältnis von „Leben“ (ein Begriff, den Nietzsche, allerdings ohne erkennbare Differenzierung, zuweilen in Anführungszeichen setzt) und Form besteht ja darin, dass Leben nicht als solches, sondern immer nur in konkreter Form erkennbar und terminologisch begreifbar ist, wobei das Verhältnis von „Leben“ und „Form“ letztlich nach dem Schema der spinozistischen Relation von Substanz und den Modifikationen ihrer Attribute gedacht wird.11 Gemäß dieser Voraussetzung entzieht sich der „Begriff des Lebens“ der (mechanisch vermittelten) Erkennbarkeit, die nur in der Form der „Lebenden“, d.h. der (organischen) Lebewesen gegeben ist, die jedoch ihrerseits als Individuen insofern ungenügend bestimmt sind, als der Begriff „Individuum“ der Sichtweise eines organisierten Konglomerats selbstständiger Wesen, wie sie zuvor unter Berufung auf Goethe formuliert worden war, auf das schärfste widerspricht. Es ist unmöglich den Begriff des Lebens zu fassen: also gehört er nicht in die Idee des Ganzen. […] Individuum ist ein unzureichender Begriff. Was wir vom Leben sehn ist Form; wie wir sie sehn, Individuum. Was dahinter liegt ist unerkennbar (NL 1868, 62[52], KGW I/4, S. 574f).

Das Prinzip „Leben“ wird demnach vom frühen Nietzsche bereits als grundsätzlich nicht begriffsfähiger Ausdruck, als terminologisch nicht fassbar verstanden. Hier zeichnet sich bereits eine der für die spätere Ausformung lebensphilosophischen Denkens grundlegenden Antinomien12 ab: dass nämlich das Phänomen „Leben“ immer nur auf die Weise und unter der Bedingung der Form verstanden werden kann, dass aber genau diese Form als Oberflächenphänomen13 zu qualifizieren ist, das grundlegende Verfälschungen dessen, was das Leben sei, mit sich bringt. Nietzsches spekulative Auseinandersetzung mit dem Lebensbegriff endet also mit einem Ignorabimus, das aus der Retrospektive späterer Fassungen des Lebensbegriffes schon viel von den Antinomien des Lebensbegriffes vorwegnimmt, die für die geschichtliche Entwicklung der Lebensphilosophie konstitutiv werden sollten. Individualität wird von Nietzsche auch schon in diesen frühen Aufzeichnungen erstens als prinzipiell defiziente, aber einzig erfahrbare Erscheinungsweise des Lebens

11 Vgl. NL 1868, 62[51], KGW I/4, S. 574: „Was als Idee der Wirkung Ursache sein soll, kann nicht das ‚Leben‘ sondern nur die Form sein./dh. eine Erscheinugsweise eines Dinges wird als präexistirend gedacht u. als real“. 12 So bereits in den sechziger Jahren diagnostiziert: vgl. Gorsen 1966. 13 „Die Form ist alles, was vom ‚Leben‘ an der Oberfläche sichtbar erscheint“ (NL 1868, 62[47], KGW I/4, S. 571).

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analysiert. Dies bedeutet zweitens, dass Leben als solches sich selbst nicht unmittelbar transparent ist. Die Erfahrung des Lebens ist daher nicht direkt, „intuitiv“ möglich, sondern bedarf immer der kulturphilosophischen Aufarbeitung vorfindlicher kultureller Phänomene, der nachträglich-diskursiven Analyse von (mit Dilthey gesprochen) „Lebensäußerungen“. Das Motiv des Organismus als „innerer Kampf“ findet sich in diesen frühen Aufzeichnungen jedoch noch nicht, es gehört in den gedanklichen Umkreis von Nietzsches Auseinandersetzungen mit der philosophischen Herausforderung durch den Darwinismus.14 Dabei scheint die Polemik Nietzsches die tatsächliche Inspirationskraft, die von Darwin ausgegangen ist, zunächst eher zu verdecken. Auch dies gehört zu den eulenspiegelhaften Verdunkelungsstrategien, von denen eingangs die Rede war. Immerhin finden sich in allen Schaffensphasen Nietzsches aber auch positive Äußerungen über Darwin. Bereits in seiner Fröhlichen Wissenschaft spricht Nietzsche von dem „erstaunlichen Griff Hegel’s“, der die dialektische Entwicklung der logischen Begriffe gelehrt und damit den Darwinismus vorbereitet habe: „denn ohne Hegel kein Darwin“ (FW 357, KSA 3, S. 598). Das Provokante von Nietzsches Satz liegt gerade in der Analogisierung biologischer Artbegriffe mit logischen Kategorien, die ferner überhaupt erst eine weitergehende Analogisierung Hegels mit Darwin erlaubt. Dessen in Origins of species zwar nicht erstmals, aber doch prominent formulierte Erkenntnis, dass die Arten keineswegs unveränderlich seien, sondern neue Arten hervorzubringen in der Lage seien, ist ja unter dem Begriff des Transformationismus zu einer der am heftigsten kritisierten Positionen des 19. Jahrhunderts geworden. Indem Nietzsche nun diesen Transformationismus in einen engen Zusammenhang mit Hegels Logik bringt, stellt er deren Provokationspotenzial heraus. Die Tatsache, dass der Darwinismus (wegen seiner möglichen positivistischen Implikationen an anderer Stelle als „Philosophie für Fleischerburschen“ (NL 1875, 12[22], KSA 8, S. 259), ferner als „letzte große Entwicklung“ der Neuzeit bezeichnet wird, akzentuiert die besondere Bedeutung, die auch Nietzsche dem Darwinismus in wissenschaftlicher Hinsicht durchaus zugesprochen hat. Das vorstehende Zitat ist demgegenüber von dem deutlichen Bestreben gekennzeichnet, die Originalität der darwinschen Leistung durch den Hinweis auf die (historisch äußerst fragwürdige) Vorgängerschaft Hegels zu relativieren. Auch in Nietzsches Formel von 1885 „Lamarck und Hegel – Darwin ist nur eine Nachwirkung“ (NL 1885, 34[73], KSA 11, S. 442) wird Darwin lediglich als Zwischenstation auf dem Weg der Entwicklung einer Werdensphilosophie (von Hegel zu Lamarck und natürlich zu Nietzsche selbst) dargestellt. Auch hier ist die (zunächst wohl eher überraschende) Analogisierung Darwins mit Hegel offensichtlich dem Bestreben geschuldet, Darwins Leistung in eine philosophiehistorische Bewegung einzuordnen. Jenseits des hier dokumentierten problematischen Verhältnisses Nietzsches zu Darwin wird damit eine gerade in ihrer offenkundigen philosophiegeschichtlichen

14 Zum Folgenden vgl. auch Solies 2007.

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Falschheit bemerkenswerte und bezeichnende Einsicht formuliert. In Hegels Historisierung des Geistes qua dialektischem Entwicklungsbegriff sieht Nietzsche nämlich eine geistesgeschichtliche Bewegung beginnen, die sich über Lamarck und Darwin bis hin zu Nietzsche selbst fortsetzt und innerhalb deren sich jenes Projekt vorbereitet, das als zentrales Programm von Nietzsches eigener Philosophie angesehen werden kann: die Selbstüberwindung des Idealismus. Nietzsches gesamte Umwertungsthematik, die Physiologiekonzeption, die späte Ausarbeitung der Doktrin des Willen zur Macht, ja sogar noch die zentrale Rede vom Tode Gottes – alle diese zentralen Punkte in Nietzsches früher, mittlerer und später Philosophie sind als immanente Kampfpositionen gegen jene Lehre zu verstehen, die mit dem Tode Hegels zwar bereits in den 30er Jahren ihr quasi offizielles Ende gefunden hatte, deren Restbestände Nietzsche jedoch in der Konstruktion des christlichen Gottes, der „Hinterweltlerei“ transzendenter metaphysischer Systeme, im Sozialismus und nicht zuletzt in der Leibfeindlichkeit der Moderne transponiert und fortgesetzt sieht. Einer von Nietzsches zentralen Kritikpunkten an darwinistischen Positionen betrifft den „Kampf ums Dasein“. Auch in dieser gedanklichen Auseinandersetzung, die Nietzsche über mehrere Jahre hinweg in seinen veröffentlichten Schriften wie auch in seinen nachgelassenen Fragmenten geleistet hat, tritt das Bestreben deutlich hervor, das bei Darwin durch externe Faktoren bedingte Kampfgeschehen15 (survival of the fittest im struggle for life / struggle for existence) in einer Weise neu zu interpretieren, die erstens die internen Lebensantriebe zu positiver Geltung bringt und zweitens nicht durch eine zu Konkurrenzkämpfen verpflichtende Mangelsituation (Kampf um Nahrung, Lebensraum und Ressourcen) motiviert ist, sondern durch ein internes, positives Steigerungsstreben eines jeden Organismus. Gewährsmänner für eine solche Kritik fand Nietzsche vor allem in der zeitgenössischen Popularisierungen der Darwinismusfrage durch Rolph, Naegeli und Dreher. William Rolphs 1881 erstpubliziertes Buch Biologische Probleme zugleich als Versuch zur Entwicklung einer rationellen Ethik hat Nietzsche 1884 in zweiter Auflage erstanden und intensiv bearbeitet (Müller-Lauter 1978, S. 135). Auch Rolph bezieht sich in zustimmender Weise auf die Darwinismuskritik Langes. In seiner kritischen Auseinandersetzung handelt Rolph von Lange und „seiner neuen Auffassung des Darwinismus, nicht als Vervollkommnung im Kampf um’s Dasein, sondern im Kampf um die bevorzugte Stellung, wie er sich ausdrückt“ (Rolph 1881, S. 102). Nietzsche hat die Worte bevorzugte Stellung unterstrichen und am Rand handschriftlich das Wort

15 Wobei immer zu bedenken ist, dass die in der zeitgenössischen Literatur oft implizit vollzogene Gleichsetzung von Darwins struggle for life / struggle for existence mit einem direkten Kampfgeschehen der Individuen untereinander eine unzulässige Engführung des bei Darwin ursprünglich als reine Konkurrenzsituation intendierten Gedankens darstellt. Allerdings wurde bereits von Zeitgenossen darauf hingewiesen, dass die deutsche Übersetzung mit „Kampf ums Dasein“, die sich seither eingebürgert habe, diesem Missverständnis Vorschub geleistet habe (Alternativ wäre ja auch eine Übersetzung mit „Ringen um Existenz“ o. ä. denkbar gewesen).

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„Macht“ notiert – ein Hinweis darauf, dass Nietzsche in seiner Rolph-Lektüre vielleicht eine Inspiration, zumindest aber eine Bestätigung für sein Konzept des Willen zur Macht gefunden hat. In Anschluss daran fährt Rolph fort: Dann aber spielt sich freilich der Daseinskampf nicht mehr um’s Dasein ab, er ist kein Kampf um Selbsterhaltung, kein Kampf die „Erwerbung der unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse“, sondern ein Kampf um Mehrerwerb. […] Dann ist ferner der Daseinskampf kein Vertheidigungskampf, sondern ein Angriffskrieg, der nur unter gewissen Umständen zu einem Vertheidigungskampf umgewandelt werden kann. Wachsthum aber und Vermehrung und Vervollkommnung sind die Folgen jenes erfolgreichen Angriffskrieges, in keiner Weise aber der Zweck desselben oder gar in einer der Natur liegenden Tendenz. Während es also für den Darwinisten überall da keinen Daseinskampf gibt, wo die Existenz des Geschöpfes nicht bedroht ist, ist für mich der Lebenskampf ein allgegenwärtiger: Er ist primär ein Lebenskampf, ein Kampf um Lebensvermehrung, aber kein Kampf um’s Leben! (Rolph 1881, S. 97).

Nietzsche hat diese Stelle in seinem Exemplar angestrichen und an den Rand die Anmerkung geschrieben: „Mehr Leben“, eine Formulierung, die später durch Simmel zum Ausgangspunkt einer lebensphilosophischen Kulturhermeneutik werden sollte. Auch diese Anmerkung deutet unverkennbar darauf hin, dass Rolphs Darwinismuskritik für Nietzsches Lebensbegriff maßgeblich gewesen ist: Leben ist hier, in Nietzsches Lesart, nicht mehr der von Mangelwirtschaft und Konkurrenz geprägte Kampf der Individuen, als welche die späteren Darwinisten den Lebensbegriff allgemein formulierten, sondern eine spontan formgebende plastische Instanz des Lebens. Auch Eugen Drehers 1882 erschienene Schrift Der Darwinismus und seine Consequenzen in wissenschaftlicher und socialer Beziehung hat in Nietzsches Darwin-Kritik ihren Niederschlag gefunden. In Nietzsches Bibliothek erhaltenem Exemplar von Eugen Drehers Darwinismusbuch findet sich der (von Nietzsche allerdings nicht angestrichene) Hinweis, dass sogar Zelle mit Zelle desselben Organismus um die Aneignung ihrer Nahrung kämpfen [recte: kämpft], wodurch gleichfalls eine Umänderung des Organismus, unter Umständen aber auch störende Anomalien, sogar auch Krankheit und Tod des Organismus herbeigeführt werden können (Dreher 1882, S. 47).

Auch hier also wird der darwinsche Gedanke eines struggle for life or existence auf den Bereich des Leiblichen übertragen. In einem späteren Zitat kommt Dreher sogar Nietzsches Konzept einer Vernunft des Leibes ziemlich nahe: Sie [die Natur] hat Einzelwesen, von denen jedes an sich Bewusstsein besitzt, zu einer Einheit verschmolzen, die ihrerseits Bewusstsein hat. Sie bringt das für unser Denken Unmögliche fertig, aus Individuen eine Art von Statt zu schaffen, der […] ein eigenes in sich bewusstes Leben hat (Dreher 1882, S. 95).

Prominente Unterstützung eines „dezentralen“ Organismusbegriffes erfuhr Nietzsche ferner von einem Werk, das in der Darwinismusdebatte des 19. Jahrhunderts eine überaus wichtige Rolle gespielt hat und das sich in Nietzsches nachgelassener

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Bibliothek in stark durchgearbeiteter Form findet: Naegelis Theorie der Abstammungslehre. Naegeli (dem man übrigens die Wiederentdeckung der Mendelschen Gesetze im Jahr 1900 verdankt) verteidigt im genannten Werk die Theorie eines Idioplasmas, die sich zwar im Nachhinein als irrig herausstellte, die aber für Nietzsches Konzept einer großen Vernunft des Leibes durchaus maßgeblich gewesen sein dürfte. Dem Idioplasma wird hier förmlich die Rolle eines vernünftig agierenden Fluidums zugeschrieben, das die dezentrale Organisation des Organischen in zweckmäßiger Weise dirigiert, etwa bei einer Verletzung: „Es ist, als ob das Idioplasma genau wüsste, was in den übrigen Teilen der Pflanze vorgeht, und was es thun muss, um die Integrität und die Lebensfähigkeit des Individuums wiederherzustellen“ (Naegeli 1884, S. 193). Nietzsche macht sich diese Sichtweise des Idioplasmas als quasi-vernünftig agierendes Fluidum zu eigen, wenn er 1886 notiert: „dieselbe gleichmachende und ordnende Kraft, welche im Idioplasma waltet, waltet auch beim Einverleiben der Außenwelt“ (NL 1885–1886, 2[92], KSA 12, S. 106f). Die auch von anderen Autoren in der zeitgenössischen Darwinismusdebatte vorgetragene Kritik an der darwinschen Fassung des survival of the fittest betrifft also – und hierfür dürfte die Lektüre Naegelis, Drehers und Rolphs ausschlaggebend gewesen sein – in Nietzsches Lesart primär die Differenz zwischen interner und externer Entwicklung und mithin die Spontaneität lebendiger Selbstgestaltung, die dann auch im Begriff der „grossen Vernunft“ des Leibes zum Ausdruck kommt (Z I Verächtern). Jene zeitgenössische Kritik also wird von Nietzsche übernommen und auf sein eigenes Organismuskonzept übertragen. Bei dieser Kontroverse, die in der zeitgenössischen Debatte zumeist auf die Namen „Lamarck und Darwin“ zugespitzt wurde, war es um die Frage gegangen, ob die Ursache der Evolution in der selektiven Auswahl spontan auftretender Veränderungen im Erbgut zu sehen sei16 oder aber in einer planmäßigen Gestaltung des Organismus „von innen heraus“. Nietzsches Position in dieser Frage ist somit geradezu exemplarisch für eine Haltung in der zeitgenössischen Philosophie, die im Namen Lamarcks (als eines Vertreters der Verursachung „von innen her“) Partei ergriff gegen die „mechanistische“ Zumutung Darwins, wonach jede evolutive Veränderung Ausdruck und Resultat eines blinden Auswahlprozesses sei. Hiergegen macht Nietzsche in seinem Fragment „Gegen den Darwinismus“ geltend: der Einfluß der „äußeren Umstände“ ist bei D ins Unsinnige ü b e r s c h ä t z t; das Wesentliche am Lebensprozeß ist gerade die ungeheure gestaltende, von Innen her formschaffende Gewalt, welche die ‚äußeren Umstände‘ a u s n ü t z t, a u s b e u t e t … (NL 1886–1887, 7[25], KSA 12, S. 304).

16 Wobei zu bedenken ist, dass die Mechanismen der Vererbungsvorgänge zu weder zu Darwins noch zu Nietzsches Zeiten restlos geklärt waren, sondern erst mit der Neuentdeckung der Mendelschen Vererbungsgesetze um die Jahrhundertwende durch Naegeli erklärbar wurden.

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Auch hier wird der Versuch deutlich, eine spontan formschaffende Kraft des Organismus (Wille zur Macht bei Nietzsche) als Ursache morphologischer Veränderung nachzuweisen. Wie alle diese Einlassungen zeigen, ging es Nietzsche in seiner Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften seiner Zeit, insbesondere mit dem Darwinismus, nirgends um die Etablierung einer biologistischen Philosophie auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern im Gegenteil um den Erweis der Selbstgestaltungsautonomie lebendiger Bildungsprozesse. Diese Erkenntnisse ruhen aber auf der vorhergehenden Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Positionen auf und sind ohne diese Bezugnahmen schlechterdings nicht zu verstehen. Hieraus leitet sich für die Nietzsche-Forschung die Notwendigkeit einer systematischen Aufarbeitung seiner naturwissenschaftlichen Quellen her.

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Dirk Solies

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Pietro Gori

Nietzsche and Mechanism On the Use of History for Science

Let us not let go the guiding hand of history. History has made all; history can alter all. Let us expect from history all, but first foremost, and I hope this of my historical investigation, that it may not be too tedious. Ernst Mach

1. Introduction Nietzsche’s ideas concerning science have been widely discussed during the last decades, and nowadays most scholars agree that his critical remarks do not imply a complete rejection of the main outcomes of 19th century physics, biology, mathematics, and so on. As many studies have shown, his interest in these topics started early, when he was a young teacher in Basel, and persisted throughout his life.1 Even though he went through an early ‘positivistic’ phase,2 and during the 1880s his remarks on science become considerably critical, one must make sense of the considerable amount of scientific books in his private library, as much as of his speaking in favourable terms of several scientists of his era. One way to solve this apparent contradiction is to consider Nietzsche’s middle and late stage of thought not as antipositivistic, but rather as post-positivistic, and therefore to argue that he developed his critique of science in compliance with science itself. This should not be surprising, given that in the second half of the 19th century many scientists reconsidered the status of their own discipline, and tried to get rid of the old Newtonian paradigm. In their works one finds critical remarks concerning the limits of the old scientific worldview, but also the principles of a brand new one. The idea that Nietzsche’s critique of the scientific world-description was not a critique of science in itself, but rather of some specific aspects of it, is particularly clear in his later writings. In the first chapter of Beyond Good and Evil, for example, so as in the last book of The Gay Science (written in the same period as BGE), Nietzsche explicitly makes reference to that particular “interpretation” of the world held by the science of mechanics, claming it to be a worldview unable to provide an “explanation”

1 See for example Mittasch 1952, Babich/Cohen 1999, and Small 2001. 2 See Vaihinger 1902, Kremer-Marietti 1997, Cohen 1999, Hussain 2004b.

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of the world itself. In BGE 14, for example, he writes that 19th century physics is grounded on “belief in the senses”, and thus it cannot reach beyond the realm of pure appearances. In GS 373 (“Science” as prejudice), he states: A “scientific” interpretation of the world, as you [materialistic natural scientists] understand it, might still be one of the stupidest of all possible interpretations of the world, i.e. one of those most lacking in significance. This to the ear and conscience of Mr Mechanic, who nowadays likes to pass as a philosopher and insists that mechanics is the doctrine of the first and final laws on which existence may be built, as on ground floor. But an essentially mechanistic world would be an essentially meaningless world! (KSA 3, p. 626).

What Nietzsche calls “prejudice” here (and in the first chapter of BGE, devoted to The Prejudices of Philosophers), is the idea that the natural world can be understood by schematizing it, reducing it to a formula, and therefore demoting “existence in this way to an exercise in arithmetic and an indoor diversion for mathematicians” (KSA 3, p. 626). In Beyond Good and Evil, Nietzsche stresses this point, and criticizes the physicists who glorify “nature’s conformity to law” (BGE 22, KSA 5, p. 37). Since they believe mathematics to be the only “true” world-description, they pretend to reach the inner side of reality through it (BGE 22, KSA 5, p. 37). On the contrary, Nietzsche claims the science of mechanics to be just one of the many possible interpretations one can give; a very useful one, and that is why it became a long lasting paradigm in science, but still unable to provide a “good”, a “complete” description of the world (in Nietzschean terms: an “explanation” of it). The main statements of the materialistic mechanism against which Nietzsche writes in his last works are chiefly two: a) the world has a material ground (an idea that follows from the belief in the senses); b) everything can be explained in terms of the laws of (Newtonian) mechanics. In Nietzsche’s view, both these statements are a misinterpretation of a natural, pure necessarily becoming (that he describes in terms of “will to power”).3 More specifically, they both are a misinterpretation of an interpretation of this becoming, since it is commonly believed that our way of describing the latter in terms of human action is “truthful” (see for example GS 109 and BGE 22). In an important note from 1888 (Critique of mechanistic theory) Nietzsche sums up all of this, and writes that in order to sustain the mechanistic theory of the world, we always have to include a proviso about the use we are making of two fictions: the concept of motion (taken from the language of our senses) and the concept of the atom = unity (originating in our psychological “experience”). Its prerequisites are a s e n s u a l p r e j u d i c e and a p s y c h o l o g i c a l p r e j u d i c e (NL 1888, 14[79], KSA 13, p. 259).

3 See Abel 1984, Spiekermann 1992, and Gori 2007.

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I will come back later to this note. What interests me at this stage is to focus on the core of Nietzsche’s critique to 19th century physics: as we read in the first section of Beyond Good and Evil, Nietzsche’s idea is that the materialistic mechanism satisfies men’s fundamental “metaphysical need”, since it is grounded on a (bad) sensualism,4 on the belief in what our senses testify (BGE 12, KSA 5, p. 27). In this sense, 19th century physics – the physics of mechanics – is itself metaphysical.5 Nietzsche found the idea that the materialistic worldview which 19th century physicists refer to is metaphysical in Lange’s History of Materialism. This book has been of the greatest importance for Nietzsche,6 since it provided to him a fundamental presentation of “the materialistic perspective of our era, the natural sciences and their Darwinian theories” (letter to Gersdorff, 16.02.1868, KSB I/2, Bf. 562). Lange thus showed to Nietzsche the main topics of the 19th century scientific debate, and the direction of its development. For example, in the extended edition of his book (bought by Nietzsche in 1882) Lange dealt with the problem of force and matter, and stated that it would soon be possible to accept the “dynamical conception of nature”, which was “the mere development of Atomism” (Lange 1880, vol. 2, p. 365). Before this, in a chapter included in the first edition of the History of Materialism (1866), Lange spoke about a science that “trusts the senses”, whose “metaphysics is formed on analogy of the world of experience”, and whose “atoms are small corpuscles” (Lange 1880, vol. 2, p. 338). To sum up, “the whole materialistic theory of the world is brought about through the senses and the categories of understanding” (Lange 1880, vol. 2, p. 338) – a conclusion that sounds notably close to Nietzsche’s remarks from 1888. Nietzsche’s writings testify how deeply Lange influenced him. The critique of modern Atomism in BGE 12, for example, clearly recalls the latter’s statements,7 as two important notes concerning the mechanistic world-description do. In the first one (NL 1884, KSA 11, 26[410]), Nietzsche deals with “the belief in cause and effect” of the “mechanistic-atomistic worldview”, and predicts the advancement to a new stage, i.e. a “dynamical world-conception”. In the second one he shows what, according to him, is really problematic in this interpretation of the world, i.e. its believing in “matter”: 4 On Nietzsche’s sensualism one can say many things, since his ideas on how our sense organs operate seem to change from the first notes of the late 1870s to Twilight of the Idols. For a recent discussion of this topic see Riccardi 2011, Hussain 2004b, and Clark 1990. 5 The first section of Beyond Good and Evil is devoted to the three metaphysical notions that one finds in science: atom (12), I or ego (16–17), and (free) will (19). Nietzsche will later deal with these topics in Twilight of the Idols, in particular in the section on The four great errors. As regards Nietzsche’s critique of 19th century physicists’ use (and abuse) of substantial notions, see Gori 2009. 6 The most important studies on Nietzsche and Lange are Salaquarda 1978 and Stack 1983. 7 It is noteworthly that Lange, in writing his observations on the development of modern Atomism, refers to Gustav Fechner’s Über die physikalische und philosophische Atomenlehre (Fechner 1864), a book that Nietzsche himself read when he was in Basel.

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In thinking of my philosophical genealogy, I feel myself connected with the anti-teleological, i.e. Spinozian, movement of my era; but with one difference: I think that also “aim” and “will” in us are illusions; I can say the same with regards to the mechanistic movement (the reduction of all the moral and aesthetic questions to physiological ones, the physiological to chemical, the chemical to mechanical); but with the difference that I do not believe in “matter”, and consider Boscovich to be one of the main turning points, as Copernicus (NL 1884, 26[432], KSA 11, p. 266).8

From these excerpts one argues that 1) Nietzsche’s critique of materialistic mechanism does not concern the entire scientific world-description; 2) Nietzsche carries on his observation in compliance with the development of 19th century science itself. As regards the first point, in the second of the two notes quoted above Nietzsche’s remarks are clearly not directed against the mechanistic view in itself; he only rejects what makes it a pure metaphysical view (i.e. its believing in “matter”). Furthermore, any critique published in the first chapter on BGE is devoted to that peculiar scientific world-description which is grounded on a belief in the senses. As for the second claim, the reference to Lange alone can be enough to confirm the “scientific” ground of Nietzsche’s remarks. Indeed, in the History of Materialism Nietzsche found an exposition of the most recent ideas concerning the scientific world-description, with some important observations and critical remarks on the science of mechanics. But Lange has not been the only source of Nietzsche’s thought on this topic. As regards, once again, Beyond Good and Evil, during the last decades the scholars found many other scientists and thinkers who influenced Nietzsche’s ideas, and whom he quotes, or even implicitly refers to: Georg Lichtenberg, as regards the critique of Descartes’ cogito;9 Afrikan Spir and Gustav Teichmüller, for what concerns Nietzsche’s “sensualism”;10 Gustav Fechner and his Atomenlehre, and many others. All these thinkers contributed to the development of a new scientific worldview, a new paradigm, which has been completely accepted only at the beginning of the 20th century. I obviously cannot deal with all of them now; let me just emphasize their role in Nietzsche’s critique of mechanism, and stress the fact that his later observations were not directed against the science in itself, but rather against a specific way of looking at its outcomes. This is of the greatest importance, since many scholars during the 20th century sharply rejected

8 The Dalmatian scientist Ruggiero Boscovich plays an important role in Nietzsche’s critical remarks against the science of mechanics. According to Nietzsche, Boscovich’s investigations on force and matter show that science can get rid of the old – metaphysical – paradigm. In 6 2, Nietzsche wrote to Peter Gast that the ‘material’ prejudice has been “well and truly disproved”, and “the disproving come not from an idealist but from a mathematician – from Boscovich” (letter to Köselitz, 20.03.1882, KGB III/3, Bf. 213). This observation can be compared with an excerpt from Lange’s History of Materialism: “We should have found our way by the mere development of Atomism into the dynamical conception of nature, and that not by means of speculative philosophy, but of the exact sciences” (Lange 1880, vol. 2, 365, my italics). On Nietzsche and Boscovich see Stack 1981, Whitlock 1996, Gori 2007 and Gori 2013. 9 On Nietzsche’s reference to Lichtenberg in BGE 17, see Loukidelis 2005 and Gori 2011b. 10 Hussain 2004b stresses the question of sensualism in BGE 15. As regards Nietzsche’s reading of Spir and Teichmüller, see also Green 2002 and D’Iorio 1993.

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any connection between Nietzsche and the scientific debate of his era. On the contrary, his philosophy was deeply grounded on it, and his interest in the results of scientific investigation persisted throughout his life, as he himself acknowledged. Thus, as regards the science of mechanics, Nietzsche’s statement in BGE 14, according to which “it is perhaps just dawning on five or six minds that physics, too, is only an interpretation and exegesis of the world […] and n o t a world-explanation” (KSA 5, p. 28), can be properly understood only by admitting his reference to a debate concerning the limits of the paradigm which 19th century science was still referring to.

2. Nietzsche’s Interest in Ernst Mach In order to show both the core of Nietzsche’s criticism towards the mechanistic worlddescription and its compliance with 19th century science, I turn now to a more detailed topic: Nietzsche’s relationship with Ernst Mach’s philosophy of science. Actually, one cannot properly speak of a “relationship”, since the role played by Mach in Nietzsche’s thought cannot be compared with the influence of Lange, Spir, or many others. Nevertheless, there are several similarities between their fundamental assumptions concerning epistemology, and this is something that cannot be neglected, all the more so, since Mach’s contribution to Western science has been fundamental to get rid of the mechanistic worldview and open a new stage of investigations.11 The correspondence of many of Nietzsche’s ideas on scientific knowledge with Mach’s statements can thus confirm that the former carried out his critique in compliance with science itself. I do not have enough space for a detailed study of this topic, and I do not want to repeat what has been already written on it. Therefore, I will focus on both the fundamental assumption of Mach’s criticism and his definition of the term “metaphysics”, since most of Nietzsche’s statements against the science of mechanics correspond to them. During the last decade the name of Ernst Mach appeared in some studies concerning Nietzsche, most of the time in order to describe the context which the latter referred to in carrying on his mature philosophy, and to testify his persisting interest in the features of 19th century epistemology.12 Unfortunately, there’re not many documents concerning Nietzsche’s interest in Mach, and therefore a direct influence between them cannot be proved. Nevertheless, in Nietzsche’s private library one finds two of Mach’s works: the first one is a book from 1886 – which Nietzsche most likely bought in the same year – titled Beiträge zur Analyse der Empfindungen, the first edition of one of 11 See on this topic Kleinpeter 1913, Frank 1950 (chapter 2), Fischer 1993, Stadler 1982, and Blackmore 1972. 12 See Brobjer 2008, pp. 91–95, and Brobjer/Moore 2004, pp. 21–46 and pp. 41–46. More detailed studies concerning the compliance of Nietzsche’s view of science with Mach’s epistemology have been carried out by Hussain 2004a and 2004b and myself (Gori 2009).

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Mach’s most known works;13 the other text is an essay on projectile’s paths, published by Mach and Peter Salche, which the former sent to Nietzsche with his own sign (see Campioni et al. 2003, p. 382). In all likelihood Nietzsche received this essay in return for his Genealogy of Morals,14 but that does not mean that Mach has been interested in his philosophy. On the contrary, as Hans Kleinpeter – a friend of Mach – wrote to Elisabeth Förster-Nietzsche in 1912, the Austrian scientist found in Nietzsche’s book some not specified “polemical claims against one of his views” (see Gori 2011a, p. 293). Kleinpeter did not know what Mach was exactly talking about, and explained this to Elisabeth. Moreover, in the same letter he stated that, in his opinion, some observations on truth and knowledge that Nietzsche wrote in his notebooks were very close to Mach’s statements on the same topics. Finally, Kleinpeter added that he was trying to persuade his friend of all this (apparently without success. See again Gori 2011a). If Nietzsche’s private library helps us in finding some references to Mach, his writings do not. Despite the fact that both Nietzsche and Mach were interested in the same topics and followed the same perspective in dealing with many epistemological questions, a deep investigation concerning Nietzsche’s writings shows that any attempt to refer a single passage to Mach, even indirectly quoted, is vain. Most of the ideas that Nietzsche shares with the Austrian scientist have been published (or written, in case of notes) before his reading one of Mach’s works.15 Moreover, many excerpts that sound like Mach’s statements can be directly related to other thinkers that the scientist himself quotes in his books, e.g. Fechner or Lichtenberg. Therefore, it is arguable that Nietzsche and Mach made the same epistemological statements since they referred to a common scientific debate, and not because one of them influenced the other.16 The only place of Nietzsche’s writings where one finds the name of Mach is a note from 1882, discovered by Alwin Mittasch and published in the critical apparatus of Nietzsche’s complete works (see Ergänzungen im Text der Abtei13 Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. Mach changed the title in the second edition. 14 One finds Mach among the people to whom the publisher Naumann was supposed to send Nietzsche’s book (see the letter to Naumann, 08.11.1887, KGB III/5, Bf. 946). 15 A good example of all this is the presumed source of TI Errors 4, which Thomas Brobjer assumed to be a proof of Nietzsche’s reading Mach’s Analysis of Sensations (see Brobjer 2003). Despite the fact that this texts reveals many correspondences with an excerpt from Mach’s book, the topic of the timeinversion (Zeit-Umkehrung) they both concern occurs many times in Nietzsche’s writings between 1884 and 1885, before the publication of Mach’s work on sensations (see NL 1884, KSA 11, 26[35] and 26[44]; NL 1885, KSA 11, 34[54]; NL 1885, KSA 11, 39[12]; NL 1888, KSA 13, 15[90]). Moreover, it appears even before, in HaH I 13 (Logic of the dream). In this aphorism one finds all the elements with which Nietzsche later deals in TI Errors 4, from the general topic of the time-inversion to the specific example of the gunshot he uses in his argument. On the impossibility of claming Mach to be a direct source of Nietzsche see also Gori 2009, pp. 113f. 16 One can say, with Hussain 2004a, p. 120, that Mach’s view was “in the air” during the last decades of 19th century, but only if that means that he shared statements that other scientists made before him and/or without knowing his own position.

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lung VII, KGW VII/4.2, p. 67). In a notebook, among other books that he studied some years before, Nietzsche wrote the title of an early essay of Mach: Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit (Prague, 1911 [1872]). This reference is usually neglected, chiefly since there is no evidence that Nietzsche read this text, and no one knows where he found its title. Nevertheless, it can be a good starting point for an investigation concerning Nietzsche’s compliance with the development of 19th century philosophy of science, since in this work Mach outlines for the first time his own critique of the science of mechanics.

3. Metaphysical Concepts and Scientific “Truths” The History and the Root of the Principle of Conservation of Work (or energy, as one reads in some translations) is the title of a lecture that Mach gave at the Royal Bohemian Society of Sciences in 1871, and published the following year in Prague. In this very short book Mach a) deals with the meaning of the term “metaphysical” and the role that historical studies should play in science; b) speaks about the real meaning of the notions daily used by the physicists (such as that of “matter”), and argues that in some sense one can talk about “economy” in science; c) shows the reasons why the law of causality must be substituted by that of “functional relation”. In short, in this text one finds all the guiding lines of Mach’s epistemology, i.e. the fundamental ideas of his quite new perspective lying on the use of the historical reconstruction of both physical concepts and laws, whose main result is the rejection of the old mechanistic worldview. This perspective can be directly compared with Nietzsche’s thought, e.g. with his statements on the notion of genealogy or, more specifically, with his claims concerning the contrast between historical and metaphysical philosophy (see HaH 1, KSA 2, p. 23). In the opening pages of his work on the Principle of Conservation, Mach states what does “metaphysical” mean for him: “We accustomed to call concepts metaphysical, if we have forgotten how we reached them” (Mach 1911 [1872], p. 17). To avoid any misunderstanding, it is important to say that Mach’s view of this topic is far from the idea of a logical analysis of the scientific notions; his aim is rather to show the importance of working with concepts whose origin is known, or can at least be found through a genealogical reconstruction. Mach’s epistemology should thus not be interpreted in an analytical way, so to say, à la Wittgenstein or – better – à la Carnap. Even though Carnap directly referred to Mach in carrying on his new philosophical perspective, the latter was a pure “continental” philosopher with a peculiar interest in the history of his own discipline, in its genealogical development. Mach just warned the scientists of his time not to mistake the pure logical function of the concepts they used with their ontological content. According to him, metaphysics is just an illusion of our knowledge; therefore, in his writings the word “metaphysical” sounds like “a notion accepted without any preliminary investigation”. Thus, if one wants to get the

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scientific knowledge rid of any dogmatic heritage, the only way to follow is an inquiry concerning the genesis of the notions daily used in physics, psychology etc., since it reveals their development during the history of thought and culture. This is what Mach writes in his work from 1872: Quite analogous difficulties lie in wait for us when we go to school and take up more advances studies, when propositions which have often cost several thousand years’ labour of thought are represented to us as self-evident. Here too there is only one way to enlightenment: historical studies (Mach 1911 [1872], p. 16).

Mach first presented the idea of the usefulness of a retrospective look some years before, in his Über die Definition der Masse (1868), by suggesting what he later wrote in this terms: “One can never lose one’s footing, or come into collision with facts, if one always keeps in view the path by which one has come” (Mach 1911 [1872], p. 17). He soon developed his idea in a wider project concerning the historical explanation of both scientific concepts and laws, a project briefly outlined in the conference from 1871, and which Mach dealt with in his later works, e.g. in the books concerning The Science of Mechanics (1919 [1883]) and the Analysis of Sensations (1914 [1886]). Within these texts, the first one is probably the most important, since it clearly shows that in dealing with his own discipline Mach aimed to carry on “a critical and historical account of its development” as the subtitle of his Science of Mechanics indicates. Moreover, according to him, a critical analysis of the principles of the Newtonian physics can be provided only through a historical reconstruction of their genesis. In the opening pages of this work, Mach writes that the aim of his volume is “to clear up ideas, expose the real significance of the matter, and get rid of metaphysical obscurities” (Mach 1919 [1883], p. X ). Thus, his critical aim has a deep anti-metaphysical value, in a sense that clearly recalls Kant’s investigations.17 Moreover, Mach explains that the gist and kernel of mechanical ideas has in almost every case grown up in the investigation of very simple and special cases of mechanical processes; and the analysis of the history of the discussions concerning these cases must ever remain the method at once the most effective and the most natural for laying this gist and kern’s bare. Indeed, it is not too much to say that it is the only way in which a real comprehension of the general upshot of mechanics is to be attained (Mach 1919 [1883], p. x–xi).

According to Mach the historical analysis allows us to get “the positive and physical essence of mechanics” rid of the “mass of technical considerations” beneath which it’s buried, and which conceals how the principles of mechanics “have been ascertained, from what sources they take their origin, and how far they can be regarded as 17 See Mach 1914 [1886], XII : “The opinion, which is gradually coming to the front, that science ought to be confined to the compendious representation of the actual, necessarily involves as a consequence the elimination of all superfluous assumptions which cannot be controlled by experience, and, above all, of all assumptions that are metaphysical in Kant’s sense”.

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permanent acquisitions” (Mach 1919 [1883], p. X ). That can therefore be the only way one has to reach the inner side of scientific notions, and look at them as mere ideas, thought symbols that human beings created during their development, and that change together with the “paradigm shifts” (to use Kuhn’s words). Mach dealt for the first time with the use of history for science in his lecture on the Principle of Conservation, by claiming that this is the only tool one has to see the frequently changing of views, concepts, and theories, and thus to let us “get used to the fact that science is unfinished and variable” (Mach 1911 [1872], p. 17). In stressing the historical nature of science, Mach also argues the inner impermanence of its notions, since they are a mere product of an ever changing and improving description of the natural world. Thus, as regards this topic, Mach clearly assumes the concepts to be but resting points of our mind, thought symbols that a scientist temporarily adopt as the best result that until now has been reached from the researchers working in his field of study. These “labels” are first of all useful to save experience and let the scientists communicate the results of their studies to other researchers who will carry on the formers’ work. This is what Mach thinks in talking about an economical office of science: “Science is communicated by instruction, in order that one man may profit by the experience of another and be spared the trouble of accumulating it from himself” (Mach 1919 [1883], p. 481). In 1871 he presented the same idea by stating that a formula, a scientific ‘law’ has “no more real value than the aggregate of the individual facts” it explains. “Its value for us lies merely in the convenience of its use: it has an economical value” (Mach 1911 [1872], p. 55).18 It is easy to see that this perspective directly follows from Mach’s view on the development of his own discipline, since he thinks that the physicists (but we can say the same for what concerns the researchers working in other fields) keep on creating new concepts that would adapt in a better way to the objects or to the processes they want to explain. In 1910 Mach summed up this “evolutionary” interpretation of the investigating process talking about the “adaptation of the ideas to the facts and the adaptation of the ideas to themselves” (Mach 1910, p. 226). On the philosophical plane, that leads to a new evaluation of the results of scientific investigation: even though the practical usefulness of the concepts daily used cannot be denied, one must say that they have a mere relative value on the ontological plane, and thus reject (or at least limit) the “truthfulness” of scientific knowledge. According to Mach, unlike both 17th and 18th century scientists, any concept has to be defined only as a methodological reference point to describe and manage the natural world, a mere thought symbol that does not

18 In the endnote to this claim Mach writes that “in science we are chiefly concerned with the convenience and saving of thought”, and that “the moment of inertia, the central ellipsoid, and so on, are simply examples of substitutes by means of which we conveniently save ourselves the consideration of the single mass-points”. Moreover, Mach refers to his friend Emanuel Herrmann, the political economist from whom he took what seemed to him “a very suitable expression: ‘Science has a problem of economy or thrift’” (Mach 1911 [1872], p. 88).

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lead to something stable and permanent under the becoming surface of our sensations. In a way very close to Nietzsche’s perspective, Mach rejects the reference to any kind of “thing in itself”: even though he never claims that it does not exist, Mach argues that this reference is not important, in order to investigate our own reality, which is a pure phenomenal world (see Mach 1914 [1886], pp. 29–31). Turning back to Mach’s definition of the metaphysical concepts in the introduction of his text from 1872, we can stress the similarity between his words and Nietzsche’s famous statement from On Truth and Lie in a Nonmoral Sense (1873): “Truths are illusions of which one has forgotten that they are illusions” (TL, KSA 1, p. 881). In this text Nietzsche calls “truth” a schematization of the external data which value is related (or even mistaken) with both its practical usefulness and its having been helpful for the preservation of the species. Therefore, “truth” is a concept that has never been brought into question and, after a long time, has been adopted with no reference to its origin. In particular, Nietzsche talks about “metaphors that have become worn-out and deprived of their sensuous force, coins that have lost their imprint and are now no longer seen as coins but as metal” (TL, KSA 1, p. 881). As well as the metaphysical notions which Mach deals with in the Principle of Conservation, the “truths” that Nietzsche describes in TL are the result of a wrong judgment, since they’re isolated from the process of becoming which they are part of. On the contrary, both the scientific concepts and these “truths” can be properly described only trough a historical analysis. Nietzsche’s criticism towards the notion of truth in his unpublished writing from 1873 directly follows from his idea that a genealogical reconstruction tracing the development of human thought is the only tool one has to enlighten the character of the notions one usually adopts, the “mobile army of metaphors, metonyms, and anthropomorphisms” which are nothing but illusions of knowledge. The same statement is published in the first section of Human, all too Human, where Nietzsche deals with many questions first treated in TL (but left unpublished). In HaH I 16 he writes that the concepts commonly used to describe the external world are not fixed and unchanging, rather they’re a gradually evolved and still evolving product of our intellect. According to Nietzsche, it is the human intellect that has made appearance appear and transported its erroneous basic conceptions into things. Late, very late – it has reflected on all this: and now the world of experience and the thing in itself seem to it so extraordinarily different from one another and divided apart that it rejects the idea that the nature of one can be inferred from the nature of the other (HaH I 16, KSA 2, p. 37).

Thus, the world of phenomena is an “inherited idea, spun out of intellectual errors” (HaH I 16, KSA 2, p. 37). This way of treating the problematic relationship between appearances and “thing in itself” directly leads to a possible solution, since if one admits that the “real” world is a mere product of our intellect generated during the development of the species, then a genealogical analysis can easily show its inner lack of content.

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With all these conceptions the steady and laborious process of science, which will one day celebrate its greatest triumph in a history of the genesis of thought, will in the end decisively have done; for the outcome of this history may well be the conclusion: that which we now call the world is the outcome of a host of errors and fantasies which have gradually arisen and grown entwined with one another in the course of the overall evolution of the organic being, and are now inherited by us as the accumulated treasure of the entire past – as a treasure: for the value of our humanity depends upon it (HaH I 16, KSA 2, p. 37).

In Human, all too Human Nietzsche first presented his statements against the metaphysical realm of absolute and unchanging concepts that he will later call “the ‘true’ world”. This is quite clear if one reads HaH I 11, where Nietzsche writes that “in language, man juxtaposed to the one world another world of his own” (KSA 2, p. 30). Language is an essential tool for human beings, since without it they could not manage the world and win the struggle for life. Moreover, “the shaper of language was not so modest as to think that he was only giving things labels; rather, he imagined that he was expressing the highest knowledge of things with words; and in fact, language is the first stage of scientific effort. […] Very belatedly (only now) is it dawning on men that in their belief in language they have propagated a monstrous error” (KSA 2, pp. 30f). Therefore, the knowledge of the external world as knowledge of (pure logical) shapes and schemes created by our intellect must be distinguished from the knowledge of the essence of this world, i.e. of its ontological plane. The creation of a world of concepts laying next to the one in which we live directly follows from men’s inability in making this distinction. But Nietzsche knows that human intellect’s “fallibility” is physiological, since it has been acquired during the development of the organism. Intellectual errors have so great value as tools for the struggle for life that nowadays it is not possible to imagine a human being describing the world in a different way (see HaH I 9). Unfortunately, there is no space to deal with Nietzsche’s view of the relationship between knowledge and language, or to talk about the value of the intellectual errors in the struggle for life. Anyway, I believe that these brief remarks can be sufficient to show that Nietzsche’s later statements concerning the “true” world of metaphysics are in compliance with what he early argued on these topics. That is mostly clear in this note from 1888, titled Origin of the “true world”: The aberration of philosophy is that, instead of seeing in logic and the categories of reason means toward the adjustment of the world for utilitarian ends (basically, toward an expedient f a l s i f i c a t i o n), one believed one possessed in them the criterion of truth and r e a l i t y. The “criterion of truth” was in fact merely the b i o l o g i c a l u t i l i t y o f s u c h a s y s t e m o f s y s t e m a t i c f a l s i f i c a t i o n; and since a species of animals knows of nothing more important than its own preservation, one might indeed be permitted to speak here of “truth”. The naiveté was to take an anthropocentric idiosyncrasy as t h e m e a s u r e o f t h i n g s, as the rule for determining “real” and “unreal”: in short, to make absolute something conditioned. And behold, suddenly the world fell apart into a “true” world and an “apparent” world […]. Instead of employing the forms as a tool for making the world manageable and calculable, the madness of philosophers divined that in these categories is presented the concept of that world to which the one in which man lives

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does not correspond… The means were misunderstood as measures of value, even as a condemnation of their real intention… (NL 1888, 14[153], KSA 13, p. 336).

In this excerpt Nietzsche defines the true world as the dimension in which all the conceptual forms that played an unavoidable role in the development of human beings can be found. Since human beings had faith on their truthfulness, they never carried on a critical analysis of them, and soon these thought symbols denying the becoming nature of the world has been hypostasized. Thus, according to Nietzsche, the metaphysical plane is the universe of fixed, unchanging shapes (thoughts, symbols, bodies, subjects, and things) in which existence men believe. The characters that Nietzsche attributes to these entities are exactly the same as those of Mach’s metaphysical concepts: they all are mere products of the human intellect whose origin has been forgotten. Therefore, Nietzsche’s suggestion to get rid of metaphysics is in compliance with Mach’s ideas: What distinguishes us in the deepest way from all the Platonic and Leibnitzean way of thinking, is this: we do not believe in eternal concepts, eternal values, eternal shapes, eternal souls; and philosophy, as far as it is science and not legislation, is for us just the broadest extension of the concept of “history”. By proceeding from the etymology and the history of language, we assume any concept to be b e c o m e, and many of them still in becoming; and this all the more so, that the most general concepts, the m o s t i l l u s o r y, must also be the oldest. “Being”, “substance” and “absolute”, “identity”, “thing” –: these are the first and oldest schemes the intellect invented, which actually contrasted the world of becoming at the most, but which seemed to correspond to the latter from the very first, because of the dullness and one-sidedness of our initial, still underanimal consciousness (NL 1885, 38[14], KSA 11, p. 613).

Nietzsche’s description of the “true world” directly follows from his view of human knowledge. According to him, the only way to stop believing in the fixed forms generated by our intellect is to become historians and, therefore, to carry on a genealogical analysis that leads to the origin of these hypostatized ideas. Then, it is not surprising to find that in Twilight of the Idols Nietzsche states the same ideas first presented in Human, all too Human, and repeats the critical remarks about the philosophers published in the first pages of this book.19 In particular, he deplores their “lack of historical sense”, and criticises their being unable to see human knowledge as part of a still becoming process. Lack of historical sense is the family failing of all philosophers; many, without being aware of it, even take the most recent manifestation of man, such as has arisen under the impress of certain religions, even cer-

You ask me what are all the idiosyncrasies of the philosophers?… For one thing their lack of historical sense, their hatred of the very idea of becoming, their Egypticism. They think they are doing a thing an

19 That must not surprise, all the more so because in 1886 Nietzsche worked on a new edition of HaH, and thus many notes from the late 1880s are in compliance with his early thoughts.

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tain political events, as the fixed form from which one has to start out […] The whole of teleology is constructed by speaking of the man of the last four millennia as of an e t e r n a l man towards whom all things in the world have had a natural relationship from the time he began. But everything has become: there are n o e t e r n a l f a c t s, just as there are no absolute truths (HaH 2, KSA 2, pp. 24f).

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h o n o u r when they dehistoricize it, sub specie a e t e r n i – when they make a mummy out of it. All the philosophers have been handling for thousands of years are conceptual mummies; nothing real has ever left their hands alive. They kill things and stuff them, these servants of conceptual idols, when they worship – they become a mortal danger to everything when they worship. (…) Whatever is, does not b e c o m e; whatever becomes, i s not… Now they all believe, even to the point of desperation, in being (TI Reason 1, KSA 6, p. 74).

4. The Metaphysical Mechanism In the above paragraph I tried to show how close the two definitions of the term “metaphysics” provided by Nietzsche and Mach are. That is of the greatest importance if we consider the early 20th century debate concerning philosophy and science, since many thinkers involved in the foundation of the Vienna Circle directly referred to Mach, and stressed the fact that he marked off the realm of meaningfulness of science.20 Therefore, the deep similarity between some of Nietzsche’s ideas concerning scientific knowledge and the epistemology of Mach is the sign that the former forerun some of the most important topics of the following decades (even though Nietzsche’s aim and perspective were different from that of Mach and the philosophers who later referred to him). That can thus help to look at Nietzsche in a new way, and consider his thought not as the product of the history of Western thought before him, but rather as the expression of a quite new worldview. A worldview that has been the ground of the investigation concerning the philosophy of science of the early 20th century. Let us now turn to other pages of the Principle of Conservation and stress the more detailed topic concerning the critical discussion of the mechanical worldview which both Nietzsche and Mach deal with in their writings, and which is strictly related with their anti-metaphysical remarks. The starting point is once more Nietzsche’s theory of knowledge. According to Nietzsche, science simplifies the chaos of sense data and “operates only with things which do not exist, with lines, surfaces, bodies”, etc. (GS 112, KSA 3, p. 473). All these notions have a mere logical value and a practical usefulness, even though one usually consider them to be absolute entities. In particular, in carrying on his analysis of science Nietzsche deals with the notion of atom, the material corpuscle which attributes has been defined by Descartes and, later, by

20 The Vienna Circle rose from the Association “Ernst Mach”. See Frank 1950 and Stadler 1982.

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Newton, and that 19th century physicists use without getting it rid of the gloss of the common sense which covers it. This is probably the most important example of how the metaphysical knowledge works, since the atom is a pure simplification and hypostatization of a thought symbol. Nietzsche defines it a “earth-residuum” (Erdenrest), a “particle-atom” (BGE 12, KSA 5, p. 26) revealing the “rudimentary psychology” of the physicists (TI Errors 3, KSA 6, p. 91), who are unable to get rid of the testimony of both eyesight and touch. Thus, the atom is the object one must refer to, to properly show that the physics of mechanics involves a metaphysical worldview (an idea that also Mach states many times). In the section of his book on the Principle of Conservation devoted to Mechanical Physics, Mach is aimed at showing that the scientists working in that research field believe mere thought symbols to be fixed and unchanging elements. In doing this, he deals with the notion of matter (Stoff), and compares it with the reference point of any religious view: the soul. Matter is a possible phenomenon, a convenient word for a gap in our thoughts. To us investigators, the concept “soul” is irrelevant and a matter for laughter. But matter is an abstraction of exactly the same kind, just as good and just as bad as it is. We know as much about the soul as we do of matter (Mach 1911 [1872], p. 48).

This observation follows from Mach’s idea according to which human knowledge has an economic value, and therefore scientific notions are only names, labels for complexes of elements. Both matter and soul have exactly this function, since they’re “words for a gap in our thoughts”, which allow us to work with something that does not exist. Obviously, these notions can be adopted, but one must admit the pure logical value of them, instead of claiming that there is something “real” filling this gap. On the contrary, Mach states that “what we represent to ourselves behind the appearances exists only in our understanding, and has for us only the value of a memoria technica or formula, whose form, since it is arbitrary and irrelevant, varies very easily with the standpoint of our culture” (Mach 1911 [1872], p. 49). According to Mach, the fallibility of the mechanical worldview in physics follows from these remarks, since this discipline (that should be a knowledge of higher level) reveals its dependence on the common sense: It is a bad sign for the mechanical view of the world that it wishes to support itself on such preposterous things, which are thousands of years old. If the ideas of matter, which were made at a lower stage of culture, are not suitable for dealing with the phenomena accessible to those on a higher plane of knowledge, it follows for the true investigator of nature that these ideas must be given up; not that only those phenomena exist, for which ideas that are out of order and have been outlived are suited. But let us suppose for a moment that all physical events can be reduced to spatial motions of material particles (molecules). What can we do with that supposition? Thereby we suppose that things which can never be seen or touched and only exist in our imagination and understanding, can have the properties and relations only of

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things which can be touched. We impose on the creations of thought the limitations of the visible and tangible (Mach 1911 [1872], p. 50). These claims are quite similar to Nietzsche’s critical remarks. Moreover, in a note from 1888 devoted to a Critique of mechanistic theory, Nietzsche argues that the substantial entities are only thought symbols, and that their origin lies in our senses’ testimony (Mach expressly talks about eyesight and touch, as Nietzsche does!): We need unities in order to be able to count: we should not therefore assume that such unities exist. We have borrowed the concept of unity from our concept of “I” – our oldest article of faith. If we did not consider ourselves to be unities, we would never have created the concept of “thing”. (…) In order to sustain the mechanistic theory of the world, we always have to include a proviso about the use we are making of two fictions: the concept of motion (taken from the language of our senses) and the concept of the atom = unity (originating in our psychological „experience“). Its prerequisites are a s e n s u a l p r e j u d i c e and a p s y c h o l o g i c a l p r e j u d i c e. The m e c h a n i s t i c world is imagined the only way that eye and fingertips can imagine a world (as “being moved”) in such a way that it can be calculated – that unities are invented, in such a way that causal unities are invented, “things” (atoms) whose effect remains constant (– the false concept of subject is transferred to the concept of atom) (NL 1888, 14[79], KSA 13, p. 259).

According to Nietzsche, the fundamental idea of the mechanical worldview is a metaphysical statement claming mere products of thought to be real entities; an idea that lies on the unjustified switch from the logical plane to the ontological, since it is commonly believed that the sense organs provide the inner qualities of the world. The result of this operation is the notion of atom, the core of the materialistic mechanism, which Nietzsche claims to be the archetype of any substantial entity. In Beyond Good and Evil Nietzsche writes some important remarks concerning the atomic theory, with the aim of showing that one usually supposes much more than what is needed to provide a scientific investigation of the natural world, since one attributes to the atom qualities that it does not have in itself. Thus, the science of mechanics is not different from any other metaphysical world-interpretation, such as the religious one, with its souls and substances. As for materialistic atomism, it is one of the best refuted theories there are, and in Europe perhaps no one in the learned world is now so unscholarly as to attach serious significance to it, except fro convenient household use (as an abbreviation of the means of expression) – thanks chiefly to the Pole Boscovich: he and the Pole Copernicus have been the greatest and most successful opponents of visual evidence so far. For while Copernicus has persuaded us to believe, contrary to all senses, that the earth does not stand fast, Boscovich has taught us to abjure the belief in the last part of the earth that “stood fast” – the belief in “substance”, in “matter”, in the earthresiduum and the particle-atom: it is the greatest triumph over the senses that has been gained on earth so far. One must, however, go still further, and also declare war, relentless war unto death, against the “atomistic need” which still leads a dangerous afterlife in places where no one suspects it, just like the more celebrated “metaphysical need”: one must also, first of all, give the finishing stroke to that other and more

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calamitous atomism which Christianity has taught best and longest, the soul atomism (BGE 12, KSA 5, pp. 26–27). Materialistic atomism can thus be a useful description of the world, but in no way it can be claimed to be a good explanation of it. The name of Boscovich, here, recalls the note from 1884 in which Nietzsche (in compliance with Lange) looked at the dynamical world-conception as the development of the physics of mechanics. This new paradigm would be as scientific as the old one, but – supposedly – free from the reference to a metaphysical ground. Apart from that, what interests me at the most, in order to outline Nietzsche’s critique of mechanism, is that in presenting the guiding lines of the new world view that could finally get us rid of the belief in the ocular evidence, Nietzsche focuses on the relationship between the physical notion of “atom” and the world description build up by any religion, and thus argues that the “metaphysical need” is the root of the mechanism itself. The same remarks can be found in Mach’s works, since he writes several times that the image of the world resulting from the investigations of modern science can be compared with the mythological view peculiar to the old faiths. This is quite clear in an excerpt of Mach’s lecture on The Economical Nature of Physical Inquiry (held in 1882, and published many years later in his Popular Scientific Lectures): It would not become physical science to see in its self-created, changeable, economical tools, molecules and atoms, realities behind phenomena, forgetful of the lately acquired sapience of her older sister, philosophy, in substituting a mechanical mythology for the old animistic or metaphysical scheme, and thus creating no end of suppositious problems. The atom must remain a tool for representing phenomena, like the functions of mathematics (Mach 1897 [1896], pp. 206–207).

In that lecture, Mach deals with the notion of atom, as he did in 1872, and shows once again his view of the mere logical value of the scientific notions. In particular, he stresses that “atom” is only a name, a mere product of our thought, and therefore argues that we cannot claim it to be real. According to him, this misunderstanding leads us to a false evaluation of the explanatory power of science, and furthermore to the belief that the essence of the external world can be known, and not only described. Mach strongly criticizes the idea that through science we can reach the unattainable plane of the thing in itself, a popular belief which Mach claims to be shared by many physicists of his era. According to him, science is not different from the old metaphysical views, since it is only another way of looking at the world stating the existence of an unchanging and stable ground under its becoming surface. Obviously, this closing remark directly follows from Mach’s idea that scientists never provided an analysis of the notions they used, a study that would show them that these concepts are mere thought symbols changing together with the outcomes of their investigations.

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5. Conclusions At the end of this investigation the similarity between Nietzsche’s view of science and that of one of the fathers of the modern philosophy of science is clear. We can therefore argue that Nietzsche’s critique of mechanism is in compliance with the outcomes of late 19th century physics. Since Mach has not been a direct source of Nietzsche’s thought, we must say that they found the fundamental ideas of a quite new worldview in the cultural debate they both referred to. 19th century thinkers actually dealt with the crisis of the scientific knowledge – whose grounds were not seen as stable anymore – and started searching new basis for it. Despite the strong rejection of the explanatory power of science, it is not possible to argue that this crisis led to any kind of irrationalism. At the end of the 19th century the scientists simply become aware of the limits of a paradigm that could not be fully meaningful. Thus, the critique of scientific knowledge finally led to a strengthening of science itself, of its capability to provide a useful world-description. This has been possible only because a quite new, relativistic, perspective (uphold by thinkers such as Poincaré, Kuhn, and Einstein) has been adopted in science. That is not different from what Nietzsche did. He, too, dealt with the main epistemological questions of his time, and argued that all our concepts are only void containers, and therefore “truth” is just a word for something that does not exist. But when Nietzsche reached the boundaries of nihilism, he developed a “positive” philosophy, and outlined a worldview grounded on the rejection of absolute and substantial notions, i.e. on a pure relativistic knowledge. Furthermore, the new perspective of the late 19th century science, with which Nietzsche’s thought was in compliance, followed from another important outcome of both the philosophical and the scientific debate of that era: the idea of the development of both human race and its culture, derived from the popularization of the new born Darwinian evolutionism. The idea that everything has become, and is actually still becoming, deeply influenced Nietzsche, as well as many scientists of his time, who then started thinking at the role played by the historical studies in their own discipline. The development of 19th century science cannot be properly understood without referring to this topic, and we can say the same for what concerns Nietzsche’s philosophy, with special regard to his critique of the science of mechanics. That of a genealogical development of human thought is indeed the “dangerous idea” which during the second half of 19th century has been adopted against the mechanistic world-description, in order to show its limits and lack of meaningfulness. “History has made all; history can alter all”, wrote Mach in 1872 (1911 [1872], p. 18); we can consider these words as the principle of the criticism towards any metaphysical worldview that started disseminating during his era. Thus, in carrying on his remarks against the scientific knowledge, Nietzsche was in compliance with a fundamental idea of his time, an idea peculiar not only to pure “philosophical” investigations, but also to those carried on by the scientists who outlined the early 20th century worldview.

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Nietzsche and Medicine Nietzsche was a very ill man. From a young age Nietzsche was plagued by a wide range of illnesses and ailments: his migraine would send him to bed for weeks on end, plagued by terrible headaches and attacks of vomiting; his eyes were always very sensitive, at times the problems approached full blindness; and his stomach seems to have been at least as sensitive, with resulting indigestions. He also lived in fear that the early death of his father would have been the result of a hereditary neurological condition that he himself would fall victim to. Nietzsche was in short obsessed with health and illness. He was obsessed with his own health and illness and he was obsessed with the health and illness of man in modern culture. It is no wonder then that Nietzsche defined himself in terms of his illnesses. In a fragment from the autumn of 1881 he reflects on his health and illness as an important part of who he was. “Meine Art krank u n d gesund zu sein, ist ein gutes Stück meines Charakters – es rechtfertigt sich und mich” (NL 1881, KSA 9, 13[10]). And he repeatedly describes his illnesses as experiments, made possible by the instinct to find the way back to health that he as a profoundly healthy person possesses. When discussing Nietzsche’s preoccupation with medicine, Gregory Moore writes that Nietzsche’s interest in medicine differed from that in other scientific disciplines in that it was not aimed at acquiring abstract knowledge. Rather, it was of a much more pragmatic nature; Nietzsche wanted to learn about his own sick body and to alleviate his suffering, if not cure his illnesses altogether. In other words, Nietzsche did not only read about medicine; in a rather misguided fashion he tried to practise it too (Moore 2004, p. 78).

I fully agree with Moore; and this paper represents my attempt to investigate the use of medicine in Nietzsche’s works. After Nietzsche’s break with Wagner and Wagnerism in the late 1870’s Nietzsche’s search for an alternative outlook led him to the natural sciences. Through the second half of the 1870’s Nietzsche read a large number of works pertaining to various scientific disciplines, apparently to compensate for the lack of training he had in these fields. From 1881, however, his interest in physiology and related disciplines grew; and it would continue to do so until his breakdown in January 1889 (Brobjer 2004, p. 21; see also Orsucci 1992). Illness and health had been important themes in the early works as well, but in the 1880’s they gradually cease to be mere metaphors. Nietzsche’s philosophy is clearly in part an attempt to create a system of hygiene, a set of principles to preserve or promote health. This is particularly visible in Ecce Homo but is an important function of other late works too.

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1. Ecce Homo as a System of Hygiene The most conspicuous aspect of Nietzsche’s hygienic system is probably the dietetics included. One of the most important themes in Ecce homo is food, and in particular how Nietzsche’s greatness is a result of him having understood the dangers of German cooking. Aber die deutsche Küche überhaupt – was hat sie nicht Alles auf dem Gewissen! Die Suppe vor der Mahlzeit (noch in Venetianischen Kochbüchern des 16. Jahrhunderts alla tedesca genannt); die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse; die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer! Rechnet man gar noch die geradezu viehischen Nachguss-Bedürfnisse der alten, durchaus nicht bloss alten Deutschen dazu, so versteht man auch die Herkunft des deutschen Geists – aus betrübten Eingeweiden… Der deutsche Geist ist eine Indigestion, er wird mit Nichts fertig (EH klug 1, KSA 6, p. 279f).

Nietzsche clearly considers this to be an important aspect of his analysis of Germany’s intellectual life. German food causes indigestion, and indigestion causes gloominess and lethargy. German beer causes alcoholism and alcoholism causes stupidity. Nietzsche was a very ill man. And he was a man equipped with an extremely sensitive stomach. As evidenced by a list from 1885, there was very little that that stomach actually could digest: D i n g e , m i t d e n e n m e i n M a g e n s c h l e c h t o d e r g a r n i c h t f e r t i g w i r d: Kartoffeln, Schinken, Senf, Zwiebeln, Pfeffer, alles im Fett gebackene, Blätterteig, Blumenkohl, Kohl, Salat, alle geschmälzten Gemüse, Wein, Würste, Buttersaucen am Fleisch, Schnittlauch, frische Brotkrumen, alles gesäuerte Brod. Alles auf dem Rost Gebratene, alles Fleisch saignant, Kalb, Rostbeef, Gigot, Lamm, Eidotter, Milch auch Schlagsahne, Reis, Gries, gekochte warme Äpfel grüne Erbsen Bohnen Carotten Wurzeln Fisch, Kaffee Butter braune Weiß-Brodkruste. (NL 1885, KSA 11, 34[13])

There can thus be very little doubt that Nietzsche’s comments on how German cuisine causes indigestion was a problem which he knew from first-hand experience. Nietzsche sought the aid of medical science to come to terms with these problems. Apart from the numerous doctors that he consulted through his life, his library also contained two books by Josef Wiel, Diätetisches Koch-Buch and Tisch für Magenkranke (see Campioni et al. 2003), two immensely popular books on diet, with particular focus on diets for indigestion and other ailments of the stomach. Nietzsche also owned Leopold Loewenfeld’s Die moderne Behandlung der Nervenschwäche (1887), which contains plenty of advice on a suitable diet for curing illnesses of the modern man such as neurasthenia or hysteria. But Nietzsche by no means accepted the advice given in these books uncritically; on the contrary he seems to have tried out the cures and adapted them to himself. Wiel for example recommends tea for most patients but adds that it must not be too strong, in which case it might cause anxiety and sleeplessness (see Wiel 1871, p. 122). According to Nietzsche on the other hand, it is very important that tea is strong

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enough: “Thee nur morgens zuträglich. Wenig, aber energisch; Thee sehr nachtheilig und den ganzen Tag ankränkelnd, wenn er nur um einen Grad zu schwach ist. Jeder hat hier sein Maass, oft zwischen den engsten und delikatesten Grenzen” (EH klug 1, KSA 6, p. 281). Similarly, Löwenfeld writes that a large number of small meals is to prefer to a small number of large meals (see Löwenfeld 1887, p. 22). Not so Nietzsche; he claims that a large meal is more easily digested, since one must know the size of one’s stomach: “Eine starke Mahlzeit ist leichter zu verdauen als eine zu kleine. Dass der Magen als Ganzes in Thätigkeit tritt, erste Voraussetzung einer guten Verdauung. Man muss die Grösse seines Magens k e n n e n” (EH klug 1, KSA 6, p. 281). Being a very ill man, Nietzsche had also come to regard exercise, mental and physical (Erholung is the term used in Ecce homo) as central to achieving good health. Nietzsche himself developed the habit of walking long distances. The notion that great ideas are connected with physical effort was obviously dear to Nietzsche. In GötzenDämmerung, this notion is used to diagnose Flaubert as a nihilist: “’On ne peut penser et écrire qu’assis’ (G. Flaubert). – Damit habe ich dich, Nihilist! Das Sitzfleisch ist gerade die S ü n d e wider den heiligen Geist. Nur die e r g a n g e n e n Gedanken haben Werth” (GD Sprüche 34, KSA 6, p. 64).1 And in Ecce homo, the notion that thoughts must be the result of movement is presented as one of the results of his morals: “So wenig als möglich s i t z e n; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, – in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern. Alle Vorurtheile kommen aus den Eingeweiden” (EH klug 1, KSA 6, p. 281). This is a complex of thoughts that was developed in dialogue with contemporary medicine. This can be seen fairly clearly from a fragment from the autumn of 1887, where Nietzsche comments on Beethoven’s habit of walking when composing: Beethoven componirte g e h e n d. Alle genialen Augenblicke sind von einem Überschuß an Muskelkraft begleitet. Das heißt in jedem Sinne der Vernunft folgen. Ford[ert] erst jede geniale Erregung eine Menge Muskel-Energie, – sie e r h ö h t das Kraft-Gefühl überall. Umgekehrt steigert ein starker Mensch die geistige Energie, bis zum Rausch (NL 1887, KSA 12, 9[70]).

There can be no doubt that Nietzsche had the information on Beethoven from Joly’s Psychologie des grands hommes (1883).2 Not only is this fragment preceded by a row of entries containing quotes from and paraphrases of Joly’s book, a footnote in it furthermore reads: “‘Beethoven composait en marchant et n’écrivait jamais une seule note avant que le morceau dont il avait le plan dans la tête fût entièrement achevé’ (Fétis.)” (Joly 1883, p. 260).3

1 The Flaubert quotation reads “One can only write and think sitting down.” 2 As indeed already Colli and Montinari noted: see the comment to this fragment in KSA 14, p. 741. 3 “Beethoven would compose while walking and never wrote a single note before the entire piece he was planning in his head was completed in its entirety (Fétis).” Joly quotes the article on Beethoven in Fétis’ large universal biography of music (see Fétis 1837–1844, vol. 1, p. 306).

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Nietzsche clearly finds another aspect of Fétis’ text interesting than Joly did (and Fétis in his turn was interested in yet another). To Fétis, Beethoven’s walking is merely an anecdote, which apparently is cited primarily to give life to the text. Joly then quotes him out of context to make a point that a man of genius creates instinctively; the footnote including the quotation is inserted after the word “nombreux” [“numerous”] in the following phrase: “le grand musicien entendra sans peine des sons variés et nombreux qui, soit simultanés, soit succesifs, tendront naturellement à se mettre d’accord” (Joly 1883, p. 260f).4 So to Joly, the point of the anecdote is that musical ideas could come to Beethoven at any time, even when he was walking. To Nietzsche, obviously, it is the movement of Beethoven, the act of walking while composing, that matters. So we can see that although Nietzsche looked to science for inspiration and examples for his own thinking, it is by no means a passive absorption of ideas. German food and German culinary habits lead to indigestion, Nietzsche wrote, and juxtaposed them with his own ideal: “Die beste Küche ist die P i e m o n t ’ s” (EH klug 1, KSA 6, p. 280). It was however not only the Piemontese cuisine that Nietzsche favoured. He had spent the summers in the Swiss Alps and the winters in northern Italy and southern France for many years by the time he wrote Ecce homo. He believed that the climate of this part of Europe had a positive influence on his mind. Mit der Frage der Ernährung ist nächstverwandt die Frage nach Ort und Klima. Es steht niemandem frei, überall zu leben; und wer grosse Aufgaben zu lösen hat, die seine ganze Kraft herausfordern, hat hier sogar eine sehr enge Wahl. Der klimatische Einfluss auf den Stoffwechsel, seine Hemmung, seine Beschleunigung, geht so weit, dass ein Fehlgriff in Ort und Klima nicht nur seiner Aufgabe entfremden, sondern ihm dieselbe überhaupt vorenthalten kann: er bekommt sie nie zu Gesicht (EH klug 2, KSA 6, p. 281f).

Nietzsche famously used his stays in the Swiss Alps to improve his characterisation of himself. Being 6000 feet above the rest of mankind gave him the clarity of vision and audacity to formulate the thought of eternal recurrence (see NL 1881, KSA 9, 11[141]). Similarly, in Ecce homo being 6000 feet above Bayreuth is mentioned as reason for his independence of mind (see EH weise 4, KSA 6, p. 270). These 6000 feet thus have a symbolic meaning. But as is often the case with Nietzsche, his symbols and metaphors are only partly symbolic. Sometimes it seems as if he believed that the lower atmospheric pressure makes a difference: 49 Centner weniger – athmosph[ärischer] Druck hier in der Höhe von 6000 Fuß: lasse ich meine Empfindung zu Worte kommen, so sagt sie dagegen: ‚zwei Pfund weniger zu tragen als drunten am Meere – und vielleicht nicht einmal so viel weniger!’ (NL 1881, KSA 9, 11[239]).

4 “The great musician will without effort hear varied and numerous sounds that, either simultaneously or successively, will tend to form chords naturally”.

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To the medical sciences of the late nineteenth century climate definitely had an important impact on the nerves. Loewenfeld for example recommends stays at mountain resorts for most patients. Patients suffering from neurasthenics and hysteria could profit particularly from sojourns in the Alps, Loewenfeld thought: their hypersensitivity meant that the beneficial effects on the nerves would be extra great for them. Still, his investigations led to somewhat other results than Nietzsche: Loewenfeld could find no difference in patients who had stayed at 900 meters altitude and those who had stayed at 1800 meters (see Loewenfeld 1887, p. 66). Neurasthenics and hysterics were not the only people whose sensitive nerves meant that they could profit from seeking out a suitable climate. In the medical discourse on genius – a field that Loewenfeld would eventually contribute to (see Loewenfeld 1903) – climate was considered a significant factor. The central name in the fin de siècle medical literature on genius was Cesare Lombroso. This debate is a strange phenomenon: the ancient notion of an affinity between madness and genius suddenly went from being a Romantic cliché to being taken very seriously by medical science, and interpreted as a form of degeneration. In a series of books from 1864 to 1902, Lombroso gradually developed a theory of genius as a pathological degenerative deviation, a form of epilepsy, but a positive counterpart to the criminals and the insane. Although a symptom of degeneration, genius is an extremely important phenomenon that can be used to solve the problems caused by other forms of degeneration, such as criminality and insanity. The transgressive force of the genius, Delia Frigessi writes in her recent study on Lombroso, means that it “riesce a smouvere il mondo e a cambiare il corso della storia” [“succeeds in setting the world in motion and changing the course of history”] (Frigessi 2003, p. 291). The fourth edition of Lombroso’s Genio e follia was translated into German in 1887 as Genie und Irrsinn.5 In this book he tries, by means of statistics, to demonstrate that the factors affecting outbreaks of insanity also affect the creation of genial works of art. Moderate temperature is an important factor: the cases of insanity and the number of great works of art both reach their peaks in the months of May and September, Lombroso holds (see Lombroso, 1864, p. 54). And climate is another of the factors. Unlike Nietzsche, Lombroso considers high mountains to be an unsuitable environment for genius, instead regarding towns such as Florence and Naples, situated among hills and thus with a moderate air pressure and moderate temperatures, to be the ideal climate (see Lombroso 1864, pp. 64f). It is uncertain to what extent Nietzsche was familiar with Lombroso’s theories. But Lombroso was a professor at the University of Turin when Nietzsche lived there, and was an immensely important figure in the contemporary scientific discourse on 5 Two of his later books on genius, L’uomo di genio and Genio e degenerazione, were also translated (as Der geniale Mensch, 1890, and Genie und Entartung, 1910), and in 1894, a collection of various papers on the theme was published as Entartung und Genie. But all of these were obviously too late for Nietzsche, as was the French edition L’homme de genie (1889).

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degeneration.6 And when for example the Swedish writer August Strindberg criticises Nietzsche’s understanding of the criminal in their correspondence, he does so by citing Lombroso to support his own outlook (see Dahlkvist 2009, pp. 92–96). To me it seems all but certain that Nietzsche had a fair knowledge of Lombroso’s main ideas, since he was so influential in fields such as medicine in which Nietzsche took a live interest. Nietzsche was extremely sensitive to climactic changes. It is obviously impossible to determine to what extent this sensitivity was psychosomatic, and ultimately it does not matter. But it is a fact that he was. The discovery of Turin was thus an extremely important event. Mit der Ankunft in Turin vollzieht sich ein radikaler Umbruch in Nietzsches körperlichem Befinden: die fürchterlichen Anfälle von Kopfschmerz und Erbrechen, die Geißel der letzten 15 Jahren, die ihn meist mindestens wöchentlich einmal traf, bleiben von nun an völlig aus (Janz 1978, vol. 2, p. 630).

In the light of Nietzsche’s notion of health, this is very important. After seeking for years on end the place ideally suited to his sensitive nerves, Nietzsche suddenly discovered that he was better. Of course, this came as a confirmation that he was right, that his search was meaningful.

2. Nietzsche’s Analysis of Décadence as Pathological Phenomenon It is uncontroversial – to say the least – to state that the system of hygiene put forward in Ecce homo represented Nietzsche’s attempt to find a solution to la décadence, Nietzsche’s “problema centrale”, to use Giorgio Colli’s description (Colli 1980, pp. 198f). Nietzsche’s definition of decadence in Der Fall Wagner is very clearly based on that of Paul Bourget in his Essais de psychologie contemporaine. Bourget’s importance for Nietzsche has therefore been stressed by a number of scholars. Perhaps its importance has been somewhat exaggerated; I cannot but agree with Moore that for instance Charles Féré was probably much more important than Bourget in this respect: “Indeed, I would argue that the word ‘décadence’ owes its sudden appearance and rapid profusion in Nietzsche’s later writings not so much to Bourget’s Essais as to his encounter with Féré” (Moore 2002, pp. 126f). But Bourget and Féré are by no means a complete list of sources to Nietzsche’s use of the concept décadence. Rather, as I will seek to demonstrate in this section, Nietzsche’s analysis of the decadence of modern man was based on a wide reading in the field of contemporary medicine.

6 See Pick 1989, chapter 5; see also Lampl 1986, pp. 226ff.

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One of the most central characteristics of the décadent as Nietzsche sees him is the inability to resist temptation. The need to react to any stimulus is in GötzenDämmerung mentioned as a central symptom of degeneration: Alle Ungeistigkeit, alle Gemeinheit beruht auf dem Unvermögen, einem Reize Widerstand zu leisten – man muss reagiren, man folgt jedem Impulse. In vielen Fällen ist ein solches Müssen bereits Krankhaftigkeit, Niedergang, Symptom der Erschöpfung, – fast Alles, was die unphilosophische Rohheit mit dem Namen ‚Laster’ bezeichnet, ist bloss jenes physiologisches Unvermögen, nicht zu reagiren (GD Deutschen 6, KSA 6, p.109).

This is a theme that Nietzsche repeats many times with small variations in his late works. It is not least one of the presuppositions of Ecce homo. It is because he himself allegedly is fundamentally healthy that Nietzsche can conduct his experiences with health; and it is because he is fundamentally healthy that he was able to find his way to the correct diet and the correct climate etc. that allowed him to overcome the negative influences that he had been subjected to. This notion of the decadent as someone who cannot resist his or her impulses and who is thus unable to avoid perpetuating a problematic behaviour has a strong affinity with the descriptions of hysterics in the medicine of the day. Les maladies de la volonté by the French psychologist Théodule Ribot is a case at hand. Nietzsche did not own Ribot’s book, but it seems likely that he read it (at least Hans Erich Lampl makes a compelling case that he did in Lampl 1989). Ribot pays special interest to the behaviour of epileptics and hysterics. After quoting a colleague’s description of a female patient who tried to kill herself whenever she saw a table knife and who was unable to resist this impulse even when the knife in question was blunt and completely harmless, Ribot states that both epileptics and hysterics often display this sort of behaviour. In particular this is the case with hysteric patients who cannot resist seeking immediate satisfaction of any whim or need: “elles ont une tendence effrénée à la satisfaction immédiate de leurs caprices ou de leurs besoins” (Ribot 1883, p. 74, pp. 112ff).7 Another important aspect of Nietzsche’s involvement with degeneration was the question of exhaustion (Erschöpfung), and whether it might cause hereditary defects. This is a theme where traces of Charles Féré’s Criminalité et dégénérescence (1888) are particularly visible. A fragment with the heading “Féré p. 89.” discusses how sustained effort under unfavourable circumstances might lead to degeneration (see NL 1888, KSA 13, 15[37]). The page that Nietzsche refers to contains a passage that bears a strong resemblance to Nietzsche’s own position: Un des principaux effets de l’épuisement nerveux est l’incapacité de l’effort soutenu. Il est vrai que chez les sujets congénialement sains et bien entretenues le travail excessif ne détermine qu’une fatigue en général facilement réparable. Mais si à ce travail excessif se joignent des

7 “They have an unrestrained tendency for the immediate satisfaction of their whims or needs.”

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privations de toutes sortes, il en résulte un épuisement plus profonde et plus durable, qui non seulement favorise la dechéance individuelle, mais encore prepare les aptitudes morbides de la génération suivante (Féré 1888, p. 89).8

To a healthy person, exhaustion is normally no danger. But in combination with other negative influences, it might cause irreparable damage, and furthermore be inherited by future generations. This is obviously very similar to how Nietzsche describes his own past in Ecce homo. Particularly when describing the late 1870’s and the writing of Menschliches, Allzumenschliches, (“das Denkmal einer Krisis”, EH Bücher MA 1, KSA 6, p. 322). Wagner’s narcotic music, ten years of faulty diet (intellectually as well as gastronomically speaking) were a threat to Nietzsche, precisely because they were combined with the “travail excessif” of the university professor. A particularly dangerous symptom of degeneration that had threatened the unhealthy classics professor Nietzsche was pessimism. Pessimism is a theme that appears time and time again in Nietzsche’s late notebooks, and that he very often uses as an example of the frame of mind of the typical decadent. A characteristic example is a laconic phrase from 1888: “Die pessimistische Bewegung ist nur der Ausdruck einer physiologischen décadence” (NL 1888, 17[8], KSA 13, p. 529). A number of the books discussed above that Nietzsche read when developing his critique of décadence allude to pessimism as a symptom of degeneration. One of the most explicit examples is Charles Féré’s Sensation et mouvement, a book that Nietzsche as we have seen read in 1887/88. With a transparent allusion to Schopenhauer, Féré writes that pessimism is a waste product of the psychic evolution: Le pessimisme est un déchet de l’évolution psychique, comme le crime de la folie. Il faut remarquer, d’ailleurs, qu’aboutissant au ‘renoncement de la volonté de vivre’ il produit en fin de compte le même résultat que les dégénéresences, la stérilité (Féré 1887, p. 151).9

Féré goes on to add that one must seek the causes for pessimism in the “misère physiologique” [“physiological misery”] of its adherents, and mentions degeneration (“dégénérescence”) as well as “une déchéance liée au progrès de l’âge”10 amongst the factors that might result in pessimism.

8 “One of the principal effects of nervous exhaustion is the incapacity for any extended effort. It is true that in the congenitally healthy and well-kept subjects excessive labours only cause a fatigue that in general is easily repairable. But if all kinds of privations are added to this excessive labour, the result is an exhaustion, which not only favours the degeneration of the individual, but which also prepares the morbid aptitudes for the generation to come.” 9 “Pessimism is a waste-product of the psychical evolution, just like crime and insanity. We should observe, furthermore, that because it leads to the ‘renunciation of the will to live’ it eventually produces the same result as degeneration, sterility.” 10 “A decline linked to the progress of the era”.

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Féré was far from alone in discussing pessimism as a symptom of degeneration. To be sure, pessimism was not as frequently discussed in France as it was in Germany, but it was still an issue that was being debated in French philosophy in the 1880’s. In 1878 for instance, Elme Marie Caro, professor and member of the Académie Française had published a book on pessimism in the nineteenth century (see Caro 1878). Four years later, a French translation of the English psychologist James Sully’s book Pessimism: A History and a Critique – a book that Caro had relied heavily on, and that Nietzsche too owned a copy of – was published (see Sully 1877). And in the philosophical journals of France too, pessimism was being debated. In the Revue philosophique de la France et de l’Étranger – a magazine that Nietzsche seems to have read from 1877 (see Lampl 1989, p. 574) – a number of articles were written by Eduard von Hartmann and several others were dedicated to the German pessimists: Schopenhauer, Hartmann, Mainländer and Bahnsen were the object of at least two articles each. The journal had been founded by Théodule Ribot, who in addition to his psychological studies wrote a book on Schopenhauer (see Ribot 1874). Ribot’s interest in the problems of the will – the field where he achieved most of his success – seems to have stemmed from his reading of Schopenhauer (see Nicholas 2005, p. 78). The Revue philosophique was also a forum for the leading French psychologists to publish their work. Among its contributors numbered for example Henri Joly and Charles Féré.11 So pessimism was a theme that French philosophers took an interest in. But even so, on the whole they regarded it as a pathological phenomenon. Few went so far as Féré in the passage quoted above, but Caro describes pessimism as a “maladie du cerveau” [“disease of the brain”] (Caro 1878, p. 75). And on a similar vein, Sully writes that Schopenhauer doubtlessly suffered from some hereditary disease, “probablement d’une maladie cérébrale” [“probably a cerebral disease”] (Sully 1877, p. 78). In other words, when Nietzsche diagnoses Schopenhauer, Baudelaire and Leopardi (see NL 1888, KSA 13, 15[34]), or Mainländer, Goncourt and Dostoevsky (see NL 1888, KSA 13, 14[222]) as decadents on account of their pessimism he is relying on a commonplace in the medicine of his day. But not only does Nietzsche discuss pessimism as a symptom of decadence in the terms of fin de siècle medicine; his discussion takes form as he reads its representatives. Charles Féré writes that Schopenhauer’s notion of pity might lead to a degeneration of the human species: “C’est à tort que Schopenhauer considère la charité comme une vertu cardinale: son action générale est de contrarier l’évolution naturelle en permettant aux dégénérés, aux improductifs, de survivre et de se reproduire; elle favorise la déchéance de l’espèce”

11 Parts of Joly’s Psychologie des grands hommes were published in the Revue philosophique in 1882, while Féré had large portions of what would eventually become his books Sensation et mouvement and Dégénérescence et criminalité published there from 1885 onwards.

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(Féré 1887, p. 132).12 When reading this book in the winter of 1887/88, these lines caught Nietzsche’s attention. But while he agrees with Féré’s analysis of pity as a justification of degeneration, he clearly does not share his opinion that Schopenhauer was wrong to proclaim pity as a virtue: NB. Schopenhauer hatte, aus seinem Nihilismus heraus, ein vollkommenes Recht darauf, das Mitleiden allein als Tugend übrig zu behalten: mit ihm wird in der That die Verneinung des Willens zum Lebens am kräftigsten gefördert. Das Mitleiden, die caritas kreuzt, indem es den Deprimirten und Schwachen gestattet fortzuleben und Nachkommenschaft zu haben, die natürlichen Gesetze der Entwicklung: es beschleunigt den Verfall, es zerstört die Gattung, – es v e r n e i n t das Leben. Warum erhalten sich die anderen Thier-Gattungen g e s u n d? Weil ihnen das Mitleid abgeht (NL 1887–1888, KSA 13, 11[361]).

There are at least two reasons for Nietzsche to describe pessimism in these terms. Firstly, it was a commonplace in the medical and philosophical literature that he was reading with ever greater interest from the beginning of the 1880’s onwards that pessimism was a pathological phenomenon rather than a philosophical doctrine. This was his intellectual horizon at the time; there is nothing surprising in him using the standard figures of thought of this tradition. Secondly, this interpretation of pessimism fit very well with Nietzsche’s ongoing reinterpretation of his past. If pessimism is a pathological phenomenon then the fact that Nietzsche’s philosophy is an ongoing experimentation with states of health and illness is easily reconcilable with Nietzsche’s fascination for pessimism. For if Nietzsche is fundamentally healthy (in the sense of being un-décadent) then it is to be expected that he conduct experiments with pessimism, and then turn against it, as his healthy instincts make him see that pessimism is pathological. By now it should be clear that Ecce homo was definitely conceived within a medical context. The reflections on diet, on climate, on exercise have a counterpart in numerous works on medicine and psychology by Nietzsche’s contemporaries. His desperate search for a place where the climate would be in tune with his sensitive nerves was eccentric, but had a scientific basis. And the analysis of the decadence that his hygienic system is a solution to was clearly inspired by the scientific literature on degeneration. Nietzsche’s late works thus definitely have a foundation in contemporary medicine. It might seem that this conclusion robs Nietzsche of (some of) his originality. It has been suggested that Nietzsche’s interest in physiology and dietetics was in fact surprisingly conventional: “What seems strange, though, is that Nietzsche’s ‘morality’, his recommendations in Ecce homo, differ so little from the conventional medical wisdom of the time” (Moore 2004, p. 88).

12 “Schopenhauer is mistaken when he considers charity to be a cardinal virtue: its general action consists in counteracting the natural evolution by allowing the degenerates and the unproductive to survive and to reproduce; it thus favours the decline of the species.”

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There is some truth to this, to be sure. Many of the elements out of which Nietzsche’s understanding of decadence took form are adapted from other thinkers. But as I will next try to show, Nietzsche puts these elements to use in an original way. But in order to demonstrate this, we have to take leave of Nietzsche’s contemporaries.

3. Décadence, Dietetics and Melancholy Speaking of Nietzsche’s notion of nutrition (die Nahrungsfrage), Timo Hoyer comments that the amount of consideration he dedicated to these problems might surprise the reader at first: “Nietzsche hat dieser Thematik eine philosophische Aufmerksamkeit gewidmet, deren Ausmaß in Erstaunen setzt. Berücksichtigt man jedoch den biographischen und zeitgeschichtlichen Kontext, dann verringert sich die Verblüffung erheblich” (Hoyer 2003, p. 73). Hoyer mentions Ludwig Feuerbach as an example of this context, and also points to the fact that Nietzsche himself experienced the impact of food on the psyche through his illnesses. Of course, Feuerbach was an important figure in German nineteenth century philosophy, and of course, Nietzsche’s health was so weak that he was more or less forced to dedicate considerable time and thought to diseases and to cures. But Nietzsche’s fixation with diet – and with climate and exercise (Erholung) – becomes even less startling if we take into consideration another context: namely the melancholy tradition. For just like Nietzsche tried to use his own décadence to understand the mechanism of degeneration in order to find a solution to the degeneration issue and at the same time draw advantage of the sensitivity that certain forms of degeneration could cause, melancholy has ever since Antiquity been regarded as a potentially dangerous condition that also has a creative potential, provided that measures to keep a balance be taken. The categories that Nietzsche uses to structure his hygienic system are „Ernährung, Ort, Clima, Erholung, die ganze Casuistik der Selbstsucht“ (EH klug 10, KSA 6, p. 295). This is remarkably similar to the six non-naturals of the melancholy tradition. The non-naturals (they are non-natural as opposed to the seven naturals, innate constitutional factors) are the six factors that provide the basis of traditional medical hygiene, at least from Galen in the second century A.D. The list varies a little bit, but usually consists of: air, exercise and rest, sleep and wakefulness, food and drink, evacuation and retention of superfluities, and the passions or perturbations of the soul (Jackson 1986, pp. 11f; cf. Klibansky et al. 1992 [1964], pp. 148f). The six non-naturals were originally used to create the delicate balance between the four humours of Galenic medicine. Attention to the six non-naturals was an important part of any cure against melancholy particularly. Especially important was attention to diet: ever since Antiquity, melancholy has been associated with indigestion and various laxatives and purgatives have been used as a remedy. An inadequate

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diet was believed to lead to an overproduction of black bile or to the formation of black fumes in the body that cause melancholy, and therefore the person afflicted by melancholy would have to pay attention to his or her diet. Course and heavy food, particularly when it is of a dark colour, causes melancholy: red meats and strong cheeses, cabbage and beans, red wine and beer are among the foodstuffs that were condemned most often. Much like Nietzsche thought, food that is hard to digest creates gloominess: it remains in the stomach long enough to putrefy, producing black fumes that spread through the body, which cause the melancholic to see the world in black. In the most literal sense of the word, therefore, melancholy was thought to be Schwarzseherei. Much like incompletely digested food might cause melancholy, so might the air. In the Galenic scheme, black choler, the humour that causes melancholy, was cold and dry. A cold and dry climate was therefore a danger for the melancholic. Furthermore, certain environments could be dangerous. Swamps, for instance, or for that matter cities, were believed to cause melancholy because of dark and unhealthy fumes that could affect a sensitive mind much like the black fumes caused by an improper diet. This means that travelling was an important part of the cure of melancholy. In particular in northern Europe, travels to the South, to the sun, was a central part of the cure. Jean Starobinski writes that the entire Grand Tour tradition, the long journey to (in particular) Italy and Greece that was an important part of the education of young noblemen in northern Europe in the eighteenth century was not least a way of treating their melancholy: il s’agit certes d’apprendre le monde, mais tout en guérrisant ou en apaisant une mélancolie engendrée par les études sédantaires, par le climat froid, par le tempérament. Voyager, ce sera donc cumuler les bienfaits de l’éducation pratique et du traitement spécifique (Starobinski, 1960, p. 68).13

The most elusive and at the same time perhaps the most important of the six nonnaturals was the perturbations of the mind. Melancholy persons were believed to have a particularly active imagination that could aggravate the fear and sorrow that were their constant companions. Material factors such as diet and climate could as we have seen cause melancholy, but the fantasies of an over-active imagination could do that too. And the behaviour associated with melancholy was thought to intensify the illness. Melancholy persons tend to stay up at night, brooding over sombre themes: this fondness of the night and of dark thoughts is at the same time a symptom and a cause of melancholy. Melancholy persons tend to avoid the company of others: but loneliness is also one of the causes of melancholy. Melancholy thus tends to perpetua-

13 “It is certainly a matter of leaning the ways of the world, but at the same time of curing or alleviating a melancholy caused by sedentary studies, by the cold climate, by temperament. Travelling thus means accumulating the benefits of practical education and specific treatment.”

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te itself, just like Nietzsche (and Féré) believed that the behaviour and thinking of the degenerate aggravate degeneration. Nietzsche describes long walks and occasionally reading a small number of carefully selected books as his Erholung, his way of relaxing his mind after the tension of his creative work. This is another theme where a strong affinity between Ecce homo and the melancholy tradition can be discerned. As a classics scholar, Nietzsche was obviously well acquainted with a number of key texts of this tradition. The Aristotelian Problem XXX, i, for example, a text that raises the question why all great men are melancholic and that was of fundamental importance to the interpretation of melancholy from the Renaissance onwards, is quoted in Nietzsche’s notebooks from his student days (see NL 1867–1868, KGW I/4, 58[19]). But melancholy was not only a scholarly interest for Nietzsche: at Schulpforta he had started writing a really bad short story based on the traditional attributes of melancholy (see NL 1862, KGW I/2, 13[12]); and in 1869 he gave Wagner a copy of Dürer’s Melencolia I as a Christmas present (see Janz, vol. 1, pp. 345f). And in some fragments from 1881, Nietzsche tries to understand the different temperaments against a chemical background: Die Temperaments-Unterschiede sind vielleicht durch die verschiedene Vertheilung und Masse der unorganischen Salze mehr als durch alles andere bedingt. Die biliösen Menschen haben zu wenig schwefelsaures Natrium, den melancholischen Menschen fehlt es an schwefel- und phosphorsaurem Kali; zu wenig phosphorsaurer Kalk bei den Phlegmatikern. Die muthigen Naturen haben einen Überfluß von phosphorsaurem Eisen (NL 1881, KSA 9, 11[244]; NL 1881, KSA 9, 12[27]).

Regardless of the scientific value of these speculations, Nietzsche was clearly well acquainted with both from a scholarly perspective as an important element of ancient Greek thought, as an artistic tradition and as a pathological phenomenon. But furthermore, Nietzsche was extremely fond of one thinker who clearly belonged to this tradition, and whose thinking used the six non-naturals to find a balance that allowed him to make creative use of a melancholy that might otherwise turn into a pathological phenomenon: Michel de Montaigne. Montaigne was one of very few thinkers held in high esteem by Nietzsche through his entire adult life (see Molner 1993, p. 81). He was also one of the thinkers who functioned as counter-examples to Wagner and Schopenhauer after his break with pessimism and Wagnerism in the late 1870’s. Ironically, Nietzsche’s first copy of Montaigne’s Essais – Johann Daniel Tietz’s translation from 1753/54 – actually was a Christmas present from Richard and Cosima Wagner in 1870.14 Nietzsche’s middle 14 See Michel de Montaigne: Michaels Herrn von Montagne [sic] Versuche, nebst des Verfassers Leben, nach der neuesten Ausgabe des Herrn Peter Coste ins deutsche übersetzt, tr. Johann Daniel Tietz, 3 vols., Leipzig, 1753–1754. Eventually Nietzsche would also acquire a French edition: Essais. Avec des notes de tous les commentateurs. Édition revue sur les textes originaux. Paris, 1864; see Campioni et al. 2003.

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period, with its gentle Epicurean tenor, owes a lot to his reading of the Essais.15 For a while, he even rented a tower outside of Naumburg to be able to truly live like Montaigne. But Montaigne’s importance to Nietzsche was by no means limited to these years. The traces of reading go back at least to the summer of 1873 (see Dahlkvist 2007b, p. 383). And he would return to Montaigne several times, in 1887 for instance, and possibly in 1885 (see Brobjer 1997, p. 686 and p. 681). Montaigne’s Essais obviously defy any attempt at a simple categorization. Containing reflections on politics and Ancient philosophy as well as on stoves and chimneys and on sexual impotence, the Essais are far too rich to be taken to be a book about any single topic. But one theme is particularly important: It is not least a book about health. It is a book in which the author, firstly, by introspection uses his own health and illness to understand how the world functions. And it is, secondly, a book in which the author seeks to create a system of hygiene in order to keep his melancholy under control. In his study of Montaigne, Jean Starobinski demonstrates how Montaigne’s discussion of his bodily health (in particular in the last essay, “De l’expérience”) is structured on the six non-naturals (see Starobinski 1982, pp. 318f), and that his entire project was aimed at regaining control of himself when threatened by the lethargy and gloom of melancholy: “Pour dire mieux: le souci d’écrire, pour Montaigne, vise à reconquérir une maîtrise interne que mettent en péril les incartades de son esprit oisif, ou l’irrésistible invasion du chagrin mélancolique” (Starobinski 1982, p. 60).16 “Man wird mich fragen,” Nietzsche writes in Ecce homo, “warum ich eigentlich alle diese kleinen und nach herkömmlichen Urtheil gleichgültigen Dinge erzählt habe; ich schade mir selbst damit, um so mehr, wenn ich grosse Aufgaben zu vertreten bestimmt sei” (EH klug 10, KSA 6, p. 295). His answer is of course that these purportedly indifferent things are in reality extremely important. It is by attention to food and climate and exercise etc. that one can regain true health. This reads like an echo of Montaigne, who also seems to have felt the need to justify why he dealt at such length with unimportant and embarrassing details of his own life. Quoting from the German translation of the Essais that Nietzsche read, Montaigne’s justification reads: Aller dieser Mischmasch, den ich hier zusammen schmiere, ist nichts als ein Verzeichniß der Versuche meines Lebens, welches in Ansehung der innerlichen Gesundheit noch gut genug zu einem Muster dienen kann, wenn man gerade die Gegentheil thun will. Allein, wegen der leiblichen Gesundheit kann niemand eine nützlichere Erfahrung an die Hand geben, als ich: da die meinige lauter, und weder durch Kunst, noch Einbildungen, verändert und verderbt ist (Montaigne 1992 [1753–1754], III, pp. 364f).

15 See in particular Vivarelli 1998, pp. 55–94. 16 “More precisely: the care put into writing, for Montaigne, allows him to re-conquer an internal dominion that was endangered by the escapades of his idle mind, or the irresistible invasion of melancholy sadness.”

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The Essais, and in particular “De l’expérience”, are full of statements on Montaigne’s position with regard to things that might seem trivial. He likes to drink out of vessels made out of transparent materials rather than metals, and he can no longer eat two full meals a day. Just like Nietzsche, Montaigne took eating seriously, and by treating it as one of the noblest acts of life it could lead him to health: Die alten Griechen und Römer machten es besser als wir, und widmeten dem Speisen, welches eine von den vornehmsten Lebenshandlungen ist, wenn sie nicht eine andere außerordentliche Beschäftigung abhielte, den besten Theil der Nacht. Sie aßen und tranken nicht so übereilt, als wir, bey denen alles auf der Post geht; und genossen dieses natürliche Vergnügen mit mehr Gemächlichkeit und Nutzen, da sie verschiedene nützliche und angenehme Gespräche mit unter streuten (Montaigne 1992 [1753–1754], III, pp. 412f).

“De l’expérience”, from which these quotes are taken, is the last and also the longest of the Essais. It would be impossible to give anything like a full summary of it. But it does contain a central passage that both sums up an important part of Montaigne’s message and explains his importance to Nietzsche. Montaigne claims that his appetite is so reliable that whatever he likes turns out to be good for him and vice versa Mein Appetit hat sich in vielen Stücken, für sich, glücklich nach der Gesundheit meines Magens bequemet. In der Jugend liebte ich sauere und scharfe Brühen: nachdem mein Magen dieselben mit der Zeit überdrüßig worden ist, hat mein Geschmack ihm so gleich gefolget. Der Wein ist den Kranken schädlich: dieser ist das erste, vor dem ich einen Ekel, und einen unüberwindlichen Ekel, bekomme. Alles ist mir schädlich, was ich mit Widerwillen zu mir nehme: und nichts schadet mir, was ich aus Hunger und mit Lust esse. Niemals ist mir eine mir angenehme Handlung nachtheilig gewesen (Montaigne 1992 [1753–1754], III, pp. 380f).

This corresponds extremely well with Nietzsche’s notion of health. Instinctively avoiding what is damaging and seeking out what is good: this is precisely the instinct that the healthy person has and that the décadent lacks. And it is by paying attention to a “Mischmasch” of things generally considered irrelevant that Montaigne was able to keep his melancholy under control and to develop such an instinct. Pessimism and melancholy must not be confused with each other, but there is an obvious affinity between the two. The term pessimism was first defined in terms of melancholy, with the phrase “celui qui voit les choses en noir” [“he who sees the things in black”] being used to characterise a pessimist (Gerhardt 1989, p. 386); much like the sadness of the melancholic was believed to be caused by dark matter (black bile or black fumes) clouding his vision. When Nietzsche talks about pessimism he uses the term the way it was normally used in his day: to refer to the notion that the value of life is negative and that death therefore would be preferable (see Dahlkvist 2007a, pp. 113f, pp. 216f). But even if this definition of pessimism, which was established with Eduard von Hartmann’s Philosophie des Unbewussten (1869), was very widespread among Nietzsche’s contemporaries, and was all but dominant in the philosophy of the 1870’s and 80’s, it nonetheless retained the connotations to melancholy.

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Nietzsche’s hygienic system in Ecce homo is thus very similar to the means traditionally employed to cure melancholy. Just like the traditional medicine, Nietzsche seems to regard the illness that he seeks to control as potentially useful. A melancholy temperament comes with the potential for great intelligence and creativity; just like the nervousness of the décadent obviously can give insights into the décadence if the decadent in question take steps to strengthen his or her health. In itself décadence is dangerous, a threat to the afflicted individual as well as to modern culture. But with the right hygienic system to control it, the tendency to pessimism and nihilism that décadence brings with it might be turned into a life-affirming philosophy. Just like Montaigne Nietzsche attempted to use medicine to turn the dark thoughts that he came all too naturally to him to creative use. And just like Montaigne he would use his own affliction from an illness that was widespread in his day to analyse the entire culture that he lived in. But the hygienic system of Ecce homo is not a carbon copy of Montaigne’s or anyone else’s system. Nietzsche clearly sought to draw advantage of the progress of medicine when analysing and finding a cure for the illness that he felt threatened modern man. And with the aid of modern medicine, he came to the conclusion that that illness was not melancholy, nor was it pessimism, melancholy’s philosophical brother. With the aid of modern medicine, Nietzsche came to see that melancholy and pessimism were only symptoms of degeneration. Rather than finding Nietzsche’s morality to be strangely similar to “the conventional medical wisdom of the time” (Moore 2004, p. 88), I would therefore like to stress the similarities to Montaigne, and conclude that Ecce homo, to my mind, was Nietzsche’s Essais.

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Nietzsche und die Astronomie Innerhalb der umfangreichen Forschungsliteratur ist die Beziehung, die Nietzsche zu der Astronomie seiner Zeit hatte, ein noch nicht sehr erforschter Aspekt. Studien und Artikel, die der Verbindung zwischen dem Philosophen und einigen der berühmtesten Astronomen gewidmet sind, fehlen zwar nicht: im Gegenteil sind die Vergleiche Nietzsche-Zöllner, Nietzsche-Boscovich oder Nietzsche-Blanqui dazu die wichtigsten Beispiele.1 Manche Beiträge der Quellenforschung führen außerdem ganze Passagen Nietzsches auf Zitate aus astronomischen Büchern zurück2 und viele Biografien über Nietzsche unterstreichen die Interessen des Philosophen für die Wissenschaften.3 Sogar im theoretischen Bereich mangelt es nicht an den Werken, die sich mit der Interpretation der Bedeutung der himmlischen Figuren innerhalb Nietzsches Philosophie befassen.4 Trotz alledem scheint aber der Mangel an den Beiträgen, die den tatsächlichen Einfluss des historisch-astronomischen Kontextes ernsthaft in Betracht ziehen, offensichtlich. Die sekundäre Literatur über das Thema „Nietzsche und die Astronomen“ beschäftigt sich nämlich fast ausschließlich mit Problemen der Erkenntnistheorie, der Physik oder der Kosmologie. Die Beiträge zur Quellenforschung bemühen sich nicht, die astronomischen Kenntnisse des Denkers zu erklären oder zu kontextualisieren. Und die Werke, die sich auf die stellaren Figuren innerhalb von Nietzsches Werk konzentrieren, beschränken sich auf die bloße ästhetisch-poetische Ebene und lassen dadurch deren potenzielle wissenschaftliche Tragweite außer Acht. Für den Stand der Studien über das Thema „Nietzsche und die Astronomie“ ist es emblematisch, dass die einzige Monografie, die der Astronomie des 19. Jahrhunderts einen Abschnitt widmet, Nietzsche als Naturphilosoph von Alwin Mittasch, die Angelegenheit auf nur etwa zehn Zeilen abhandelt (Mittasch 1951, S. 24). Die Frage nach der Verwandtschaft zwischen Nietzsche und der zeitgenössischen astronomischen Debatte wird also vernachlässigt. Wenn man sich den wiederkehrenden astralen Figuren der Philosophie Nietzsches heute nähert (wie dieser Beitrag es versucht), ist es deswegen, schwierig, sich vorzustellen, dass eine tiefergehende Auseinandersetzung Nietzsches mit der Astronomie stattgefunden hat. Trotzdem, wie oft in der Wissenschaft so kommt es auch in der Philosophie vor, dass man bei Nachforschungen zu einem Ergebnis etwas Anderes findet, etwas Unerwartetes. Die Angelsachsen nennen diese unverhofften Entdeckungen „serendipity“. Wovon dieser Bei1 Vgl. Schlechta/Anders 1962, S. 122–153; Small 1986 und 1994; D’Iorio 1995a und 1995b; Whitlock 1996; Andina 1998, 2001 und 2005, S. 246–256; Gori 2007. 2 Vgl. Orsucci 1996, S. 160–162; Groddeck 1989, S. 505f. 3 Siehe beispielsweise Janz 1978 oder auch Schlechta/Anders S. 118–153. 4 Vgl. Schlechta 1954; Vivarelli 1989; Vivarelli 1992; Eilon 2001.

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trag berichten wird, ist eine dieser serendipities: die Astronomie Nietzsches. Die Studie wird mit einem kurzen Exkurs über die Astronomie des 19. Jahrhunderts beginnen, der wesentlich ist, um Nietzsches Denken innerhalb der Astrophysik seiner Zeit richtig einzuordnen und zu kontextualisieren. Daraufhin wird eine allgemeine Übersicht über die astrophysikalischen Kenntnisse Nietzsches gegeben und abschließend dargelegt, wie er von diesen Kenntnissen in seiner Philosophie Gebrauch machte.

1. Ein kurzer Exkurs in die Astronomie Das 19. Jahrhundert gehörte sicher zu den reichhaltigsten, interessantesten und meistversprechenden Zeiträumen in der Geschichte der Astronomie. Damals sahen nicht wenige in dieser Disziplin die Königin der Wissenschaften, ein Vorbild, dem es galt, nachzueifern. Sie stellte das Ideal der mechanistischen und aufklärerischen Weltanschauung dar: Die Himmelsbewegungen, mit denen sie sich auseinandersetzte, ließen sich aus allgemeinen Gesetzen ableiten und konnten durch genaue und beständige Beobachtung nachgewiesen werden (Rigutti 1999, S. 131). Gegen Mitte des Jahrhunderts begann man in der klassischen Astronomie (oder Positionsastronomie) zu untersuchen, was man bisher für unergründlich gehalten hatte. Es ist kein Zufall, dass die Astronomen zu der Zeit einen neuen Namen für ihr Fach suchten. Zöllner schlug den Begriff der „Astrophysik“ vor, andere sprachen von „neuer Astronomie“: Man wollte die Tatsache unterstreichen, dass das, was geschah, vergleichbar war mit dem, was sich im 17. Jahrhundert ereignet hatte.5 In der Tat, auch wenn man diese Zeit nicht astronomische Revolution nennen will, kam doch in diesem Jahrhundert die kopernikanische Wende endlich zu ihrem Abschluss. Es waren 308 Jahre seit der Veröffentlichung des De revolutionibus (1543) vergangen, als das berühmte Experiment des Foucault-Pendels (1851) zum ersten Mal experimentell die Erdrotation um ihre eigene Achse bewies (Rigutti 1999, S. 136). Der Erdumlauf um die Sonne war jedoch bereits durch die Messung der ersten stellaren Parallaxe nachgewiesen worden, d.h. des Phänomens, aufgrund dessen sich das beobachtete Objekt, abhängig von der Bewegung des Betrachters, vor dem Hintergrund zu bewegen scheint. Die Parallaxe war bereits den alten Griechen bekannt, auch Kopernikus hatte dies nicht bezweifelt, ja es gab keinen Astronomen nach Galileo, der nicht die Herausforderung, sie zu messen, angenommen hätte.6 Aber erst

5 Im Jahre 1888 veröffentlichte der Astronom Langley, nicht ohne eine gewisse Anmaßung, ein Buch mit dem Titel Die neue Astronomie. Dieser Titel war schon durch Keplers Astronomia nova berühmt. Dadurch unterstrich Langley die Einschätzung, dass das, was geschah, mit den Entwicklungen des 17. Jahrhunderts vergleichbar war (vgl. Rigutti 1999, S. 155). 6 Der zähe Kampf der Astronomen, die Parallaxe zu berechnen, ist das Symbol der beständigen Sorge um Präzision. Kopernikus vermutete, dass die Sterne zu entfernt seien, um eine schätzenswerte Bestimmung ihrer Parallaxe zu messen. Bessel, nachdem er die erste Parallaxe berechnet hatte, hielt

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im 19. Jahrhundert mit der Erfindung der Fotografie und der Erschaffung von immer leistungsfähigeren Teleskopen war es möglich, sie mit akzeptabler Genauigkeit zu messen. In einem kurzen Zeitraum engagierten sich drei Astronomen in diesem Unterfangen: Bessel, dessen Messung von 1838 als die erste Messung der stellaren Parallaxe in die Geschichte einging, Struve und Henderson. Astronomisch gesehen stellte dies die erste eindeutige Bestätigung der Heliozentrismus dar. Philosophisch gesehen aber unterstrich es die Notwendigkeit, genau auf die Gesichtspunkte und Blickwinkel der Beobachter und vor allem auf die Veränderung dieser Blickwinkel zu achten. Und „wer noch Ohren hat für Unerhörtes“ (Z Vorrede 9, KSA 4, S. 27), den werden diese Einsichten an den erkenntnistheoretischen Perspektivismus erinnern.7 Aber zurück zu der ersten Messung der stellaren Parallaxe. Da man sowohl ihren Winkel als auch den Durchschnittsradius der Umlaufbahn der Erde (d.h. den Abstand Sonne-Erde) kannte, war es möglich mit Hilfe der Trigonometrie die Entfernung zu dem jeweiligen Stern zu berechnen.8 Die enorme Entfernung der Sterne wurde so für alle deutlich und offenbarte die Unendlichkeit des Kosmos und die daraus resultierende Randständigkeit der Erde. Hinzu kamen um 1800 die Entdeckungen von neuen Planeten, die den Menschen einen Schwamm gaben, „um den ganzen“ bis dahin bekannten „Horizont wegzuwischen“ (FW 125, KSA 3, S. 481). Kurz vor Beginn des 19. Jahrhundert (1781) hatte Wilhelm Herschel nämlich Uranus entdeckt. Diese Entdeckung hatte eine enorme Resonanz, da sie zeigte, dass auch andere Planeten außer den bekannten existieren konnten und dass sich die Begrenzungen des Sonnensystems unbekannten Weiten öffneten. Am 1. Januar 1801 entdeckte Piazzi den ersten Planetoiden, Ceres, und knapp ein Jahr später (am 20. März 1802), fand Olbers den zweiten Planetoiden, Pallas. Das Jahr 1804 war der Moment von Harding, der Juno entdeckte, und im Jahr 1807 fand der bereits genannte Olbers Vesta (Rigutti 1999, S. 133f). Im Zuge der Untersuchung der unregelmäßigen Bewegung des Uranus entstanden auch die ersten Hypothesen zur Existenz eines möglichen Störkörpers über Uranus selbst hinaus. Dieser Körper, der 1846 entdeckt wurde, war Neptun. Wenn es also wahr ist, dass ab Kopernikus die Erde ihre privilegierte Stellung und Funktion verlor, dann ist es auch wahr, dass gerade im 19. Jahrhundert mit dem Bewusstsein – sowohl der tatsächlichen und der erstaunlichen Entfernungen der Sterne als auch der

einen populären Vortrag über die Geschichte der Parallaxe-Bestimmung. Dieser Vortrag wurde in den Astronomischen Nachrichten, Dezember 1838, 220 veröffentlicht (vgl. Hermann 2001–2004, S. 218ff). 7 Man kann sich in diesem Zusammenhang fragen, ob es vielleicht außer der etymologischen auch eine historisch-begriffliche Verbindung zwischen dem Wort „Perspektivismus“ und dem „Perspektiv“ gibt, das im 17. Jahrhundert das Fernrohr bezeichnete? Vgl. König 1989, S. 363f. 8 Dies ist ein besonderer Fall der Triangulation (eine Methode der optischen Abstandsmessung mit der trigonometrischen Funktion): in dem eine Seite und 2 Winkel bzw. 2 Seiten und ein Winkel gegeben sind, was es ermöglicht, die übrigen Maße eines Dreiecks zu berechnen. Aufgrund der trigonometrische Definition der Tangente ist es möglich, die auflösende Formel zu berechnen: SG = SE / tan(π) = SE * cot(π) SG bezeichnet den Abstand Sonne-Gestirn und SE den Abstand Sonne-Erde.

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Existenz von bisher unbekannten Planeten – sich in der menschlichen Seele die alte Wunde aus den Jahren der astronomischen Revolution wieder öffnete: das Gefühl von Wertverlust und Nichtigkeit, aufgrund dessen der Mensch vom hochmütigen und arroganten Endzweck der Schöpfung zum Floh, zum „Erdfloh“ wurde (Z Vorrede 5, KSA 4, S. 19).9 Zumal sich gerade zu dieser Zeit die Debatte der Thermodynamik in Richtung der Hypothese des Wärmetods des Universums bewegte und nicht wenige Astronomen aus der Biologie die Hypothese einer Sternentwicklung übernahmen.10 Dem ist gleichzusetzen, dass der Werteverlust und der Nihilismus in erster Linie ein wissenschaftliches und astronomisches Phänomen waren.11 Aber die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war auch aus einem anderen Grund astronomisch eine revolutionäre Zeit. In frühesten Zeiten wurden die Sterne für unbeweglich gehalten, weshalb man sie „Fixsterne“ nannte. Am Ende des 18. Jahrhunderts trugen jedoch Halley und Herschel mit ihren Stern-Lotungen dazu bei, den Mythos der Fixsterne und der unbeweglichen Sonne im Mittelpunkt des Sonnensystems zu zerstören. Bei der Umsetzung dieser Diskussion in philosophische Termini könnte man sagen, dass die Fixsterne, oder das, was schon immer für unveränderlich gehalten wurde und was dem Menschen schon immer zur Orientierung gedient hatte, schließlich in Frage gestellt wurde. Es gab nun keinen festen Punkt mehr, selbst die Sonne war nicht mehr stabil. Sie bewegte sich im Weltraum in Richtung der Herkuleskon9 Vgl. NL 1881, KSA 9, 14[25]. 10 Für die Hypothese des Wärmetods des Universum siehe Stewart 1875, S. 181f und S. 180: „Nun hat Thomson vortrefflich nachgewiesen, dass das Weltall eine Einrichtung ist, die einen Anfang gehabt und ein Ende haben muss, da ein Process der Entartung nicht ewig dauern kann“; „Die Sonne ist in der Lage eines Mannes, dessen Ausgaben seine Einnahmen übersteigen. Sie zehrt von ihrem Kapital und theilt das Schicksal aller derer, die so verfahren. Wir müssen daher eine zukünftige Periode in Betracht ziehen, in der die Sonne ärmer an Energie sein wird, als sie gegenwärtig ist, und eine noch fernere Periode, in der sie gänzlich aufhört zu scheinen.“ Für die Hypothese der Sternentwicklung siehe Zöllner 1865. 11 Vgl. M I, 7, KSA 3, S. 21: „ U m l e r n e n d e s R a u m g e f ü h l s. […] D i e s e Art von Raumgefühl wird folglich, unter der Einwirkung der Wissenschaft, immer verkleinert: so wie wir von ihr gelernt haben und noch lernen, die Erde als klein, ja das Sonnensystem als Punct zu empfinden“ und (GM III, 25, KSA 5, S. 404): „Ist nicht gerade die Selbstverkleinerung des Menschen, sein W i l l e zur Selbstverkleinerung seit Kopernikus in einem unaufhaltsamen Fortschritte? Ach, der Glaube an seine Würde, Einzigkeit, Unersetzlichkeit in der Rangabfolge der Wesen ist dahin, – er ist T h i e r geworden, Thier, ohne Gleichniss, Abzug und Vorbehalt, er, der in seinem früheren Glauben beinahe Gott (‚Kind Gottes‘, ‚Gottmensch‘) war… Seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene gerathen, – er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg – wohin? in’s Nichts? in’s ‚ d u r c h b o h r e n d e G e f ü h l s e i n e s N i c h t s ‘ ? … Wohlan! Dies eben wäre der gerade Weg – in’s a l t e Ideal? … A l l e Wissenschaft (und keineswegs nur die Astronomie, über deren demüthigende und herunterbringende Wirkung Kant ein bemerkenswerthes Geständniss gemacht hat, ‚sie vernichtet meine Wichtigkeit‘…), alle Wissenschaft, die natürliche sowohl, wie die u n n a t ü r l i c h e – so heisse ich die ErkenntnissSelbstkritik – ist heute darauf aus, dem Menschen seine bisherige Achtung vor sich auszureden, wie als ob dieselbe Nichts als ein bizarrer Eigendünkel gewesen sei“.

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stellation. Es gab keinen absoluten Standpunkt mehr, ob privilegiert oder göttlich. Bedenkt man, dass die vermeintliche Stabilität und Ordnung des Kosmos von Platons soziokosmischem Universum bis zu Kants Kritik der praktischen Vernunft immer auch als Vorbild normativer Orientierung herangezogen wurde, zeigt sich die Reichweite dieser Entwicklungen. Übersetzt in die Sprache der Religion, Metaphysik und Normativität bedeutete diese kosmologische Einsicht: Gott war tot! Aber zurück zur Geschichte der Astronomie. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden die Grundlagen der Spektroskopie, die im frühen 19. Jahrhundert von Wollaston und Fraunhofer gelegt wurden, mit Kirchhoff zum grundlegenden und unverzichtbaren Mittel für das Verständnis der physikalischen Struktur und der chemischen Zusammensetzung der Himmelskörper.12 Die Entdeckung war von enormer Bedeutung, vielleicht vergleichbar mit der Galileis. Seitdem letzterer nämlich sein Fernrohr gen Himmel gerichtet hatte, war es physikalisch möglich, die Oberfläche der Sonne und der Planeten zu beobachten, aber erst als Kirchhoff die Spektroskopie zur Beobachtung der Sterne anwandte, wurde die chemische Zusammensetzung des Universums bekannt.13 Vom Gesichtspunkt der Philosophie grub diese Entdeckung die alte Frage der aristotelischen Teilung in eine sublunare und translunare Welt und die nächste geometrisch-physikalische, kopernikanische und brunianische Wiedervereinigung von Erde und Kosmos wieder aus. Darüber hinausgehend bewies die neue Spektroskopie die chemische Zusammensetzung: Die Himmelskörper bestanden aus den gleichen Elementen, aus denen die Erde zusammengesetzt war. Um es in Nietzsches Worten auszudrücken: „die ‚wahre Welt‘“ wurde ontologisch und nicht nur gnoseologisch „zur Fabel“ (GD Fabel, KSA 6, S. 80f) oder besser gesagt, die Hinterwelt wurde „ein himmlisches Nichts“ (Z I Hinterweltlern, KSA 4, S. 36).

2. Eine allgemeine Übersicht über die astronomischen Kenntnisse Nietzsches Was man sich jetzt fragt, ist was Nietzsche eigentlich von all dem wusste. Das Ziel dieser Arbeit ist in keiner Weise, zu beweisen oder zu behaupten, dass Nietzsche im Detail die astrophysikalischen Thesen der Zeit kannte, sondern eine sorgfältige Unter-

12 Das kirchhoffsche Strahlungsgesetz beschreibt den Zusammenhang zwischen Absorption und Emission eines realen Körpers im thermischen Gleichgewicht. Es besagt, dass 1) Strahlungsabsorption und Emission einander entsprechen; 2) jedes chemische Element ein charakteristisches Lichtspektrum emittiert. Vgl. auch Wahsner 1990, S. 268 und S. 270. 13 Erst 1835 hatte der französische Philosoph Auguste Comte, in seinem Buch Kurs der positiven Philosophie (Curs de Philosophie positive) genau die chemische Zusammensetzung der Sterne zum Vorbild genommen für das, was den menschlichen Kenntnissen für immer unverständlich bleiben würde (vgl. Hack 2002, S. 384).

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suchung, bezogen auf das Interesse des Philosophen – unter den vielen Wissenschaften – an der Astronomie. Meine Forschungen ergeben, dass Nietzsches Interessen für die Astronomie sich auf zwei große Zeiträume konzentrierten: die erste Hälfte der 70er Jahre und die erste Hälfte der 80er Jahre. Zu dem ersten Zeitraum gehören die Ausleihe des Buches von J. K. F. Zöllner, Über die Natur der Kometen (1872), getätigt von Nietzsche in der Universitätsbibliothek zu Basel am 6. November 1872, (genau zwanzig Tage vor dem Auftauchen des berühmten Kometen Biela).14 Nietzsche wiederholte bzw. verlängerte diese Ausleihe (28. März 1873; 2. Oktober 1873; 13. April 1874) und kaufte schließlich dieses Buch.15 Am 28. März 1873 entlieh er das Buch über populäre Astronomie: Der Wunderbau des Weltalls oder populäre Astronomie von J. H. von Mädler (1867). Wahrscheinlich, aber nicht datiert ist der Kauf des Buches Die Sternschnuppen von A. Hirsch, vermutlich auf Grund des Auftauchens der Sternschnuppen hinter dem Kometen Biela, (1873). Zudem ist es nützlich, sein astronomisches Interesse in diesem ersten Zeitraum in die Lektüre von Büchern von breiterer physikalisch-kosmologischen Tragweite einzuordnen. Dazu gehören J. Müller, Pouillet’s Lehrbuch der Physik und Meteorologie (1847 – entliehen am 15. März 1873); G. Karsten, Allgemeine Enzyklopädie der Physik (1867 – entliehen am 5. April 1873); R. Boscovich, Philosophiae naturalis theoria (1759 – entliehen am 28. März 1873, am 2. Oktober 1873, am 13. April 1874 und am 14. November 1874); B. Stewart, Die Erhaltung der Energie (1875 – gekauft am 20. Januar 1875); E. Lommel, Das Wesen des Lichts (1874 – gekauft am 20. Januar 1875); P. Reis, Lehrbuch der Physik. Einschliesslich der Physik des Himmels (Himmelskunde), der Luft (Meteorologie) und der Erde (Physikalische Geographie) (1872 – gekauft am 18. Juni 1875); F. Schoedler, Das Buch der Natur, die Lehren der Physik, Astronomie, Chemie, Mineralogie, Geologie, Botanik, Zoologie und Physiologie umfassend (1875 – gekauft am 21. Juni 1875) sowie die versuchte Annäherung an das Buch des berühmten italienischen Astronomen Pater Secchi, Die Einheit der Naturkräfte: ein Beitrag zur Naturphilosophie (1876 – Retourné an: C. Detloff’s Buchhandlung, Basel, laut Bescheinigung vom 5. Juli 1875). Zu dem zweiten Zeitraum, 1881–1885, gehört hingegen die Lektüre Nietzsches eines anderen Buches über populäre Astronomie, nämlich R. A. Proctor, Unser Standpunkt im Weltall (1877) (Brobjer 2004, S. 38). In Briefen an Overbeck fragt er weitere einschlägige Publikationen nach,16 darunter die folgenden physikalisch-kosmologi-

14 Vom 25. November 1872 bis zum 5. Dezember 1872 kreuzte die Erde die Umlaufbahn des Kometen Biela. Dieser Komet war von Wilhelm von Biela im Februar 1826 entdeckt worden und wurde berühmt, weil er in der Moderne (und zwar am 13. Januar 1846) der einzige Komet war, bei dem eine Teilung beobachtet wurde. Im Jahre 1846 zerbrach er: Genau als die Astronomen auf die 2 oder 3 Teile des Kometen warteten, entlieh Nietzsche ein Buch über diesen. 15 Für eine interessante Behandlung der von Nietzsche aus der Universitätsbibliothek in Basel entliehenen Bücher siehe Crescenzi 1994, S. 338ff. 16 Siehe etwa den Brief an Franz Overbeck, 20./21.08.1881, KGB III/1, Bf. 139.

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schen Bände und Artikel: Philosophische Monatshefte, Nr. 9 von 1873 und Nr. 11 von 1875 (darin findet sich ein Artikel von Hans Vaihinger, Der gegenwärtige Stand des kosmologischen Problems);17 den ersten Band der Zeitschrift Kosmos; O. Caspari, Die Thomson’sche Hypothese von der endlichen Temperaturausgleichung im Weltall, beleuchtet vom philosophischen Gesichtspunkte (1874); J. G. Vogt, Die Kraft. Eine realmonistische Weltanschauung (1878);18 die Anfrage und Bestätigung des Eingangs eines Buches über Meteorologie: Foissac, Meteorologie mit Rücksicht auf die Lehre vom Kosmos und in ihren Beziehungen zur Medicin und allgemeinen Gesundheitslehre (1859). Im Jahre 1883 schickte ihm sein Freund Köselitz, über die Lektüren Nietzsches während dieser Zeit in Kenntnis, einen Artikel von Werner Siemens: Über die Zulässigkeit der Annahme eines elektrischen Sonnenpotentials und dessen Bedeutung zur Erklärung terrestrischer Phänomene (Mittasch 1952, S. 369; Brobjer 2004, S. 44). Im November 1885 hatte Nietzsche, stets im Zusammenhang mit der Astronomie, schließlich in Arcetri die Möglichkeit, den Astronomen Ernst Wilhelm Leberecht Tempel persönlich kennen zu lernen.19 Wenn man all dem hinzufügt, dass Nietzsche das Buch von A. Bilharz, Der heliozentrische Standpunkt der Weltbetrachtung gelesen hatte (1879 – Nietzsche las es 1880), dass ihm die Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels von Kant bekannt war und er aus ihr zitierte,20 dass er L’éternité par les astres von Auguste Blanqui kannte,21 obwohl man keine Nachweise davon in seiner Bibliothek fand, dass er Leopardi (Autor einer Geschichte der Astronomie und einer Operetta Morale mit dem Titel Copernicus) las,22 dann beginnt sich der Rahmen der Interessen und Kenntnisse Nietzsches in diesem Zusammenhang abzuzeichnen.

17 Nietzsche hatte die Philosophischen Monatshefte Nr. 9 und Nr. 11 in dem Buch Der Zusammenhang der Dinge von O. Caspari zitiert gefunden und wahrscheinlich wollte er sie in ihrer Ganzheit lesen. Wie es der Zufall will, enthielten sie (Nr. 11) den merkwürdigen Artikel des Philosophen des „Als ob“. 18 Obwohl Nietzsche an Franz Overbeck am 18. September 1881 schrieb: „Die Zeitschriften laß! Die gesuchten Aufsätze stehen in Liebmann’s ‚Analysis‘ auch.“ (Bf. an Overbeck, 18.09.1881, KGB III/1, Bf. 149). 19 Dies bezeugt der schöne Brief an Reinhart und Irene von Seydlitz in München vom 24.11.1885: „In Florenz überraschte ich den dortigen Astronomen auf seiner Sternwarte, welche den schönsten Gesammt-Überblick über Ort, Thal und Fluß giebt. Sollte manʼs glauben, daß er neben seinem Arbeitstische die sehr zerlesenen Schriften Eures Freundes hatte und daß er, ein schneeweißer alter Mann, mit Begeisterung Stellen aus ‚Menschliches, Allzumenschliches’ recitirte? – Das Bild dieses vollkommen und hochgearteten Eremitenthums war das kostbarste Geschenk, das ich von Florenz mitnahm: – zugleich freilich auch der schmerzhafteste Biß, nämlich ein Gewissensbiß. Denn ersichtlich hatte dieser einsame Forscher es in Weisheit des Lebens (und nicht nur in der Entdeckung von Kometen und Orion-Nebeln) weiter gebrach, als Euer Freund.“ (Bf. an Reinhart und Irene von Seydlitz, 24.11.1885, KGB III/3, Bf. 647). 20 Nietzsche zitierte dieses Buch in DS 6, KSA 1, S. 190; PHG 17, KSA 1, S. 866. 21 NL 1883, KSA 10, 17[73]: „Blanqui l’éternité par les astres Paris 1872“. 22 Nietzsche besaß: 1) Leopardi 1861(darin: Il Copernico); 2) Leopardi 1866; 3) Leopardi 1878a; 4) Leopardi 1878b (darin: Copernicus). Für eine interessante Behandlung des Verhältnisses Nietzsche-

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3. Wie die Astronomie Teil der Philosophie werden kann An dieser Stelle bleibt jedoch fraglich, ob das astrophysikalische Wissen Nietzsches sein Denken beeinflusst hat. Zu diesem Zweck haben wir uns an all die Metaphern angenähert, die in das semantische Feld des „Himmlischen“ gehören, und wir haben entdeckt, dass hinter jeder von ihnen eine profane astronomische Theorie versteckt liegt. Es gäbe eine lange Liste auszuarbeiten, da Nietzsche nicht nur das erste Gesetz von Kepler kannte (JGB 215, KSA 5, S. 152), sondern auch die Bewegung der Sonne und des Sonnensystems in Richtung der Herkuleskonstellation, die Nachforschungen über die Milchstraße, die Doppelsterne, das Olberssche Paradoxon etc. Aber hier vertiefen wir nur zwei Beispiele, die den Geist Nietzsches am meisten beeinflussten: Die Sonne und die Sterne. Dass die Sonne im Mittelpunkt des Interesses Nietzsches stand, wird durch die Häufigkeit deutlich, mit der diese Figur wieder und wieder in seinen Werken, seinen Fragmenten und sogar Briefen auftaucht. Der Schritt, der mehr als jeder andere das gründliche Augenmerk zeigt, mit dem Nietzsche sich diesem Gestirn näherte, ist ein Brief vom 20. September 1884 an Köselitz.23 Gestern rechnete ich aus, daß die entscheidenden Höhepunkte meines „Denkens und Dichtens“ („Geburt der Tragödie“ und Zarathustra) mit dem Maximum der magnetischen Sonnen-Einwirkung zusammenfallen, umgekehrt mein Entschluß zur Philologie (und Schopenhauer) (eine Art Selbst-Irrewerden) und insgleichen Menschliches Allzumenschliches (zugleich schlimmste Crisis meiner Gesundheit) mit einem Minimum. – Sehen Sie, wie der Einsiedler von Sils-Maria zum Astrologen wird? (Bf. an Köselitz, 20.09.1884, KGB III/1, Bf. 536)

Nietzsche stellte sein Wissen selten explizit zur Schau, auch nicht in den Briefen. Er verbarg – und dies ist das deutlichste Beispiel – sein akribisch genaues Wissen, auch das über Astrophysik, hinter extravaganten und manchmal bizarren Metaphern.

Leopardi siehe auch Nietzsches Brief an Erwin Rohde vom 11.04.1872: „Hans von Bülow, den ich noch gar nicht kannte, hat mich hier besucht und bei mir angefragt, ob er mir seine Übersetzung von Leopardi (das Resultat seiner italiänischen Mußestunden) widmen dürfte“ (Bf. an Rohde, 11.04.1872, KGB II/2, Bf. 207); Vgl. Bf. von Bülow an Nietzsche, 01.11.1874, KGB II/4, Bf. 601. 23 Das bezeugt auch der Brief an Heinrich Köselitz in Venedig – Rom, 10. Mai 1883 –: „Im Übrigen mögen zur Erklärung meines damals ganz ungewöhnlichen ‚Unlustgefühls‘ jene elektrischen ‚Stürme‘ ausreichen, welche in den Herbst- und Wintermonaten alle Beobachter der elektrische Strömungen in Erstaunen gesetzt haben: zeitlich fallen sie mit dem Sichtbarwerden großer Sonnenflecken zusammen.“ (Bf. an Köselitz, 10.05.1883, KSB III/1, Bf. 415).

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Daher hat sich – bis jetzt – noch niemand die Mühe gemacht, festzustellen, was Nietzsche über die magnetische Aktivität der Sonne wusste und was mit ihr in den von ihm angegebenen Jahren passierte. Die Beschäftigung mit der Geschichte der Astronomie hat aber gezeigt, dass im Jahre 1843 bereits Schwabe die Behauptung des Zyklus der magnetischen Aktivität der Sonne aufstellte, und dass im Jahre 1859 R. Wolf sogar begann, die relative Zahl der Sonnenflecken zu berechnen. Da diese Zahl, die demnach Wolfsche Zahl genannt wird, jährlich aufgezeichnet wurde, wurde erkannt, dass die magnetische Aktivität der Sonne, d.h. die Anzahl von Sonnenflecken, einen variablen Zeitraum zwischen 9,5 und 11 Jahren hatte (Greulich 1998–2000, V, S. 91). Es ist eine Überraschung festzustellen, dass von der Veröffentlichung der Geburt der Tragödie (1872) bis zum Beginn der Komposition von Also sprach Zarathustra (1883) genau 11 Jahre vergingen, aber angesichts der Tabellen der Wolfschen Zahlen, ist die Genauigkeit der Worte Nietzsches sogar verblüffend: die Jahre von 1870 bis 1872 und von 1883 bis 1884 waren die Höhepunkte, wohingegen die Jahre 1865–1867 (d.h., die Jahre des Entschlusses zur Philologie 1864–1865, und die Begegnung mit Schopenhauer, Winter 1865 bis 1866) und das Jahr 1878 (das Jahr der Veröffentlichung Menschliches, Allzumenschliches und der Verschlimmerung seines Gesundheitszustands) die Tiefpunkte waren.

Abb. 1: Die Magnetische Aktivität der Sonne (die relative Zahl der Sonnenflecken entsprechend der Zurich sunspot number) und die philosophische Aktivität Nietzsches.

Es ist schwer zu sagen, ob Nietzsche über eine Korrelation hinaus ernsthaft an eine Beeinflussung seiner geistigen und körperlichen Entwicklung durch den Sonnenmagnetismus geglaubt hat. Es war ohnehin vielmehr das Phänomen der Vergeudung von Wärme und Licht von der Sonne, welches Nietzsche noch mehr faszinierte als die magnetische Aktivität der Sonne und ihrer Flecken. Der Philosoph war von dieser Tatsache so verzaubert, die ihm mit enormer Wahrscheinlichkeit als das größte Bei-

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spiel der Verschwendung in der Natur erschien, dass er die Idee mehrmals in seine Schriften aufnahm.24 Nietzsche hatte diese Information in dem von ihm gekauften Buch R. A. Proctor, Unser Standpunkt im Weltall gefunden,25 und die beiden Passagen, in denen diese vorkam, hatte er sorgfältig mit Bleistift mit vertikalen Linien und großen „NB“ hervorgehoben. Unsere Erde erhält nämlich nur ein 2000 Millionstel der gesamten von der Sonne ausgestrahlten Wärme- und Lichtmenge und alle Planeten zusammen empfangen weniger als ein 230 Millionstel, während alles Uebrige nutzlos in den Himmelsraum ausgestrahlt wird. […] Erwägen wir nun, daß das, was bei unserer Sonne stattfindet, auch für ihre Mitsonnen, die Sterne, gilt, daß also die vielen Tausende von Sternen, welche wir erblicken, daß alle Sterne, sowohl die durch das Fernrohr sichtbaren, als auch die vielen Myriaden von Sternen, die über den Bereich unserer mächtigsten Fernröhre hinausgehen, ebenfalls Sonnen sind, die Wärme und Licht in den Himmelsraum ausstrahlen, wie groß muß dann nach unseren Anschauungen der Verlust an Kraft sein. Die verlorene Kraft kommt nahezu dem ganzen Betrage der überhaupt hervorgebrachten gleich. (Proctor 1877, S. 29)

Es ist jedoch sinnvoll, die Kenntnis, die Nietzsche von Proctor übernommen hatte, in den Kontext der astrophysikalischen Forschungen der Zeit zu stellen. Wegen ihrer größeren Nähe war das Sonnenspektrum viel detaillierter zu beobachten als die Spektren anderer Sterne, daher waren die Forschungen die Sonne betreffend das wichtigste Forschungsthema der Spektroskopie geworden.26 Die Sonne hatte das Interesse der Gelehrten und Wissenschaftler auch aus einem anderen Grund geweckt: Während die Debatte über den Wärmetod des Universums wütete, wurde die Frage nach ihrer zukünftigen Zuverlässigkeit als Quelle von Licht und Wärme für den Fortbestand von Leben auf der Erde sogar von primärer Wichtigkeit.27 Es ist kein Zufall, dass Studien über die Maße der Solarkonstante, d.h. die Menge an Energie, die

24 Vgl dazu: Vgl dazu: NL 1880–1881, KSA 9, 10[B 38]; NL 1881, KSA 9, 11[24]; NL 1883, KSA 10, 7[257]; NL 1883, KSA 10, 16[77]; NL 1884, KSA 11, 25[127]; NL 1884, KSA 11, 27[9]; Z Vorrede 1, KSA 4, S. 11; Z IV Honig-Opfer, KSA 4, S. 296; NL 1884–1885, KSA 11, 31[51]; DD Armut, KSA 6, S. 407; NL 1886–1887, KSA 12, 7[1]. 25 Nietzsche offenbarte es in NL 1881, 11[24], KSA 9, S. 451: „Zur Verschwendung der Natur! Dann die Sonnenwärme bei Proctor.“ 26 Rigutti 1999, S. 143: „Die Sonne stand damals im Mittelpunkt der Spektroskopie-Studien, sodass einer der vorgeschlagenen Namen für die neue Astronomie ‚Sonnenphysik‘ war.“ 27 Vgl. Blumenberg 1997, S. 292: „Der ‚Wärmetod‘ enthielt in nuce das Fin de siècle, obwohl es zunächst nur die ferne Zeitperspektive des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf die universale Bezeichnung brachte, daß alle Temperaturdifferenzen im Weltall auf ihre Nivellierung und damit auf die Erschöpfung der Bewegungsenergie tendierten. Genau in der Jahrhundertmitte war dieses Verhängnis für alles Leben gefunden worden. Die spezielle Fragestellung nach der Zuverlässigkeit der Sonne für die Erde war die akutere Bedeutung, weil der Prozeß ihrer Wärmeerzeugung nur chemisch als Verbrennung verstanden werden konnte und das Nachlassen dieser Lebensbedingung einen engen Zeithorizont eröffnete. Jahrtausende waren die Maßeinheiten.“

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die Erde von der Sonne pro Flächen- und Zeiteinheit erreicht, aus dieser Zeit stammen (Pouillet, J. Herschel, Forbes, Mayer, Helmholtz und Thomson).28 Wie schon früher angemerkt, wurde entdeckt, dass nur ein Bruchteil von Sonnenlicht und -wärme von der Erde und anderen Planeten genutzt wird, alles andere geht – unbenutzt – in den Tiefen des Weltalls verloren. Dies genauer erläutert, ist es nun wichtig zu beachten, dass es tatsächlich ein Beispiel aus Astronomie war, das der Sonnenverschwendung, welches Nietzsche die Inspiration und Kraft gab, um gegen den langlebigen Glauben an den angeblichen Zweck des Kosmos anzukämpfen.29 Der post-kopernikanische Kampf gegen die alte theologische und teleologische sowie geozentrische und anthropozentrische Astronomie, gegen die Annahme einer göttlichen Ordnung der Wesenheiten, wurde von Nietzsche selbst zunehmend mit immer mächtigeren Waffen fortgeführt: mit den neuen Erkenntnissen der Astronomie und Thermodynamik des 19. Jahrhunderts. Und wenn sich mit Kopernikus die jeweiligen Positionen von Erde und Sonne umgekehrt hatten, und bereits von Leopardi mit der Schrift Copernicus die physische Umkehrung auf eine metaphysische Ebene gebracht worden war,30 dann war es im Einklang mit dem erreichten Bewusstsein der Astronomie, dass – so Nietzsche – der Mensch auf eine schiefe Ebene geriet und immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg rollte ins durchbohrende Gefühl des Nichts (GM III 25, KSA 5, S. 404f). Um es mit

28 Vgl. Greulich 1998–2000, V, S. 83. 29 Neben dem Beispiel der Sonnenverschwendung gab es ein anderes Beispiel, das Nietzsche in seinem Kampf gegen den Glauben an den angeblichen Zweck des Kosmos benutzte, und zwar die Anordnung der Satelliten. Auch dieses Beispiel hatte Nietzsche in dem bereits genannten Buch von Proctor gefunden. M I 37, KSA 3, S. 44f: „ F a l s c h e S c h l ü s s e a u s d e r N ü t z l i c h k e i t . – Wenn man die höchste Nützlichkeit einer Sache bewiesen hat, so ist damit auch noch kein Schritt zur Erklärung ihres Ursprungs gethan: das heisst, man kann mit der Nützlichkeit niemals die Nothwendigkeit der Existenz verständlich machen. Aber gerade das umgekehrte Urtheil hat bisher geherrscht – und bis in die Gebiete der strengsten Wissenschaft hinein. Hat man nicht selbst in der Astronomie die (angebliche) Nützlichkeit in der Anordnung der Satelliten (das durch die grössere Entfernung von der Sonne abgeschwächte Licht anderweitig zu ersetzen, damit es den Bewohnern der Gestirne nicht an Licht mangele) für den Endzweck ihrer Anordnung und für die Erklärung ihrer Entstehung ausgegeben? Wobei man sich der Schlüsse des Columbus erinnern wird: die Erde ist für den Menschen gemacht, also, wenn es Länder giebt, müssen sie bewohnt sein. ‚Ist es wahrscheinlich, dass die Sonne auf Nichts scheine und dass die nächtlichen Wachen der Sterne an pfadlose Meere und menschenleere Länder verschwendet werden?‘“. 30 Leopardi 1878b, S. 186–203: Copernicus an die Sonne: „Sondern ich will nur sagen, dass diese Sache nicht so ausschließlich materieller Art ist, wie sie auf den ersten Blick erscheinen möchte, und dass ihre Wirkungen nicht allein der Physik angehören werden; denn sie wird die Rangordnung der Dinge und die Stufenfolge der Wesen umstoßen, die Endzwecke der Geschöpfe verändern und dadurch auch eine sehr große Umwälzung in der Metaphysik, ja in Allem, was sich auf den speculativen Theil des Wissens bezieht, hervorrufen. Und die Folge davon wird sein, dass die Menschen, wenn sie überhaupt noch die Fähigkeit oder die Neigung haben werden, vernünftig zu überlegen, dahinter kommen werden, dass sie nun etwas ganz Anderes sind, als sie bis dahin waren, oder zu sein sich eingebildet haben.“

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andern Worten zu sagen, die kopernikanische Umstrukturierung wurde mit der Philosophie von Nietzsche zur „absoluten Metapher“ (Blumenberg 1999, S. 143–145) der Selbstverachtung des Menschen, seiner Selbstverkleinerung, seiner Vernichtung. Und sie wurde dazu dank der Bestätigung, die Nietzsche durch die astronomischen Forschungen des 19. Jahrhunderts erhalten hatte. Ein weiteres Beispiel, das von Nietzsche mehrmals gegeben wird, ist die astronomische Verspätung, mit der ein irdischer Beobachter das Licht, das von einem Stern ausgeht, sieht, manchmal sogar, wenn letzterer bereits erlöschen ist.31 Hinter der Schönheit dieses Bildes gibt es eine lange Reihe von Studien, die zur Zeit Nietzsches das Himmelsgewölbe aus ewigen Sternen in ein Weltall in ständiger Evolution verwandelten: 1. Die Idee von Geburt und Tod der Sterne, außer von der Thermodynamik, wurde von professionellen Astronomen, darunter Zöllner selbst in seinen Photometrischen Untersuchungen behandelt. 2. Die Annahme Galileis von der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, die bereits im Jahre 1676 durch die erste Messung von Roemer bestätigt wurde, hatte weitere Bestätigungen im 19. Jahrhundert erhalten: Mit der ersten direkten Messung in der Luft durch Fizeau und Foucault und mit dem Experiment von Michelson und Morley. Zumal es historisch gesehen die Epoche und das sozio-kulturelle Umfeld Nietzsches waren, die, zur Beschreibung der komplexen Tatsache, dass das Sternenlicht eine enorme Zeit bis zur Erde braucht, die erste Verwendung eines neuen Begriffs wagten: das Lichtjahr. Nietzsche, der sich eine solche astronomische Vorstellung zu Eigen machte, verwendete dies, um einen der Schlüsselbegriffe seiner Philosophie zu entwickeln: den Tod Gottes. So wie das Licht eines Sterns (und in früheren Zeiten galten tatsächlich die Fixsterne als Götter) war das Licht Gottes, das Licht der absoluten und offenbarten Wahrheit. Seine Macht war so groß und hell, dass es noch lange nach seinem Ende leuchten konnte. Aber – um im Bild zu bleiben – war dieses Licht nichts anderes als die Herrlichkeit des vergangenen Gottes, seines Todes, seiner Asche (NL 1881, KSA 9, 14[25]). Es war ein Fehler menschlicher Bewertung. Aber jetzt, da jenes Licht, da jener Glaube unglaubwürdig geworden war (FW 343, KSA 3, S. 573), jetzt da wissenschaftlich bewiesen war, dass das Licht sich mit einer endlichen Geschwindigkeit bewegte, und dass auch diese nicht absolut war, sondern den Gesetzen von Zeit und Raum unterlag, konnte man schließlich anerkennen, dass nur eine Art des Sehens, des Erkennens möglich war: das perspektivische. Gnoseologisch gesehen braucht der Mensch Zeit, manchmal zu viel Zeit, um zu erkennen. Er kann die Phänomene nicht absolut sehen und verstehen, weder unmittelbar, noch an sich. Er sieht und erkennt nur, was ihm in dem Moment von seinem Standpunkt aus erscheint, welcher ziemlich weit weg von dem ist, was er sehen will, von der Wahrheit. Seine Objektivität, wenn er

31 Vgl. dazu: NL 1880, KSA 9, 3[125]; M 529, KSA 3, S. 303; NL 1881, KSA 9, 14[25]; FW 125, KSA 3, S. 481f; NL 1883, KSA 10, 9[15]; NL 1883, KSA 10, 9[45]; NL 1883, KSA 10, 13[1]; NL 1883, KSA 10, 16[4]; Z II Tugendhaften, KSA 4, S. 121; JGB 285, KSA 5, S. 232.

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überhaupt eine hat, sollte eher darin bestehen, die Dinge mit so vielen Augen wie möglich zu sehen (GM III 12, KSA 5, S. 365): mit denen der Gegenwart, die sich immer noch vom vergangenen Licht nähren, und mit denen der Zukunft, die in der Lage sind, posthum, das Erlöschen eines Sterns, einer Wahrheit von zu langer Dauer zu bezeugen. Wenn man in diesem Sinne eine Verbindung zwischen dem astronomischen Gedankengang und Nietzsches epistemologischen Theoremen herstellt, dann bedeutet dies Folgendes: Nicht nur was uns erlaubt die Wahrheit (den Stern) zu sehen – d.h. das Licht – ist genau das, was sie uns zur gleichen Zeit wegen seines Wesens (der Endlichkeit seiner Geschwindigkeit) verbirgt; sondern auch die Wahrheit selbst kann sich nicht ganz und in einem einzigen Moment dem menschlichen Auge offenbaren. Sie enthüllt sich und zur selben Zeit verhüllt sie sich. Sie trägt einen Schleier (FW Vorrede 4, KSA 3, S. 352), sie ist „ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehn zu lassen“ (FW Vorrede 4, KSA 3, S. 352).

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III. Geisteswissenschaftliche Kontexte

Christian Benne und Carlotta Santini

Nietzsche und die Philologie 1. Überblick Die Philologie hat Nietzsche früher und wohl auch nachhaltiger geprägt als jede andere Wissenschaft. Weder in der nachantiken Philosophiegeschichte noch der modernen Literatur hat er vergleichbar gründliche Kenntnisse besessen. Anthropologische, ethnologische, naturwissenschaftliche und verwandte Forschungsinteressen, denen er sich seit den 70er Jahren mit zunehmender Intensität widmete, waren in ihrem Ursprung entweder von philologischen Fragestellungen inspiriert oder wurden an den methodischen Standards der Philologie gemessen. Was Nietzsches Denken und Schreiben inhaltlich wie stilistisch dem Studium der Antike verdankt, ist längst nicht erschöpfend aufgearbeitet. Es lässt sich zudem kaum allein unter inhaltlichen Gesichtspunkten betrachten. Philologie beschrieb für Nietzsche und seine Zeit neben ihrem Gegenstandsbereich, dem Altertum im weitesten Sinne, auch das Fundament höherer Bildung und definierte die wissenschaftliche Methodik schlechthin. Dergestalt ist die Philologie, als wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Antike, nicht nur überall dort relevant, wo sich Nietzsche mit Fragen der antiken Kultur auseinandersetzt, sondern auch für die grundsätzliche Reflexion von Bildung und des wissenschaftlichen Zugangs zur Vergangenheit, zur Kunst und zum Denken. Gerade in den mittleren und späten Werken verwendet Nietzsche den Begriff der Philologie meist in diesem allgemeinen Sinne. Dies spricht dafür, die allgemeinen methodischen Grundlagen der Philologie für diese Periode seiner Autorschaft in den Mittelpunkt zu stellen, im Unterschied zu seiner eigenen Arbeit als Philologe und der frühen Auseinandersetzung mit ihr im Umfeld der Tragödienschrift. Nietzsches Verhältnis zur Philologie lässt sich wie folgt periodisieren: (I) Nietzsche als Schüler und Student der klassischen Sprachen und der Klassischen Philologie im Naumburger Dom-Gymnasium, dem Eliteinternat Schulpforta und an den Universitäten Bonn und Leipzig; (II) Nietzsche als Professor der Philologie in Basel, der sich zugleich (III) als philologischer Renegat erprobte, indem er seine Disziplin mit einem radikal neuen Verständnis der Antike herausforderte, das von der zeitgenössischen Philosophie und Ästhetik inspiriert ist und zunehmend Rolle und Ausrichtung der Philologie in Bildungssystem und Gesellschaft infrage stellte; (IV) Nietzsche als Verteidiger methodischer Prinzipien der historisch-kritischen Philologie: nach Aufgabe der Professur und dem Bruch mit Wagner spielt die Philologie in einem sehr allgemeinen Sinn eine rhetorisch wichtige Rolle als Instrument in der Hand des freien Geistes und als Bundesgenossin gegen „Hinterweltler“ aller Art; (V) schließlich kommt zunehmend wieder der ambivalente Charakter der Philologie zum Vorschein, deren eingebauter Skeptizismus auch ein Nihilismus sein kann, der stellvertretend für das asketische Ideal steht. Doch bilden die beiden letzten Phasen nicht allein wegen

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ihrer zeitlichen Überlagerung eine Einheit, sondern weil sie auch systematisch zusammengehören: als Frage nach der Bedeutung der Philologie für Nietzsches Werk im Unterschied zur Frage nach Nietzsches Tätigkeit als Philologe. Ferner ist davon noch einmal ausdrücklich die durchgängige Beschäftigung Nietzsches mit antiker Dichtung, Philosophie und Kultur abzugrenzen, die zwar von seinen philologischen Anfängen geprägt ist, aber keinesfalls auf sie reduzierbar ist. Ihr kann in einer kurzen Einführung, die sich im Wesentlichen auf Nietzsches Verhältnis zur Disziplin der Philologie konzentriert, naturgemäß nicht umfassend Rechnung getragen werden.1

2. Forschungsstand Schon früh gab es Stimmen, die der Philologie einen wesentlichen Anteil an Nietzsches philosophischem Werdegang zumaßen,2 allerdings wurden sie bald von konkurrierenden philosophischen Interessen und Forschungsparadigmen übertönt. Erst mit der Edition von Nietzsches philologischem Nachlass in den Abteilungen I u. II der KGW wurde wieder offensichtlich, dass das Verhältnis von Philosophie und Philologie bei Nietzsche neu zu bewerten ist.3 Gemeinsam ist vielen älteren Studien die Konzentration auf den frühen Nietzsche, auf die biographischen Umstände seines Bildungsganges bzw. seine Tätigkeit als Philologe. Dazu ergänzend sind jene Arbeiten zu nennen, die die Philologie nun in Kommentar und Deutung von Nietzsche nicht primär philologischen Schriften einbeziehen, darunter die Tragödienschrift, die von Nietzsche nicht eigentlich als philologischer Beitrag konzipiert war. Diese Studien zeigen, dass schon für den frühen Nietzsche Philologie, Philosophie und Dichtung eine Einheit bilden.4 Schließlich wird neuerdings auch untersucht, inwieweit die philologische Prägung aus Jugend und Studium das mittlere und späte Werk beeinflusst haben – und wie daraus wiederum allgemeinere Schlussfolgerungen gezogen werden können, die über die zeitgenössische Philologie hinaus weisen.5 Die Beschäftigung mit den Philologica hat freilich gerade erst begonnen. Viele Einzelstudien sind noch zu leisten. Bereits angesichts des aktuellen Erkenntnisstandes lässt sich jedenfalls nicht länger die traditionelle These von einem konsequenten Bruch Nietzsches

1 Die folgende Darstellung stützt sich hauptsächlich auf Vorarbeiten und laufende Forschung der Verfasser, insbesondere Benne 2005 und 2012 sowie Santini im Druck. Gelegentliche Übernahmen bzw. Paraphrasen aus diesen Arbeiten werden nicht gesondert ausgewiesen. 2 Vgl. Howald 1920, Svoboda 1920, Andler 1920–1931, Reinhardt 1928, Schlechta 1948. 3 Vgl. Schaffer 1997, Riedel 1999, Ugolini 2000. Aus der Perspektive der Klassischen Philologie haben sich u.a. Bornmann 1984 und 1989, Gigante 1989 und 1999, Porter 2000 und 2000b, Most 1994 und Cancik 1994 und 1995 bzw. Cancik/Cancik-Lindemaier 1999 und 2002 hervorgetan. 4 Siehe etwa: von Reibnitz 1992, Babich 2005, Günther 2008. 5 Dazu gehören z.B. Figl 1984, 1989 und 2007, Orsucci 1996, Emden 2002, Benne 2005, Gentili 2001 oder Laks 2011.

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mit der Philologie aufrechterhalten, der ihn erst eigentlich zum Philosophen habe werden lassen.6 Im Gegenteil gibt es gute Gründe für die Annahme, die Spezifik von Nietzsches Denken und Schreiben hänge eng mit seiner spezifischen philologischen Herkunft zusammen. Die traditionelle Blickverengung, die das Thema Philologie bei Nietzsche ab Mitte der 1870er Jahre erschöpft sah, muss durch eine berechtigte Gegenbewegung als überwunden gelten: Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem philologischen Themenspektrum gehört derzeit zu den fruchtbarsten Bereichen innerhalb der Nietzscheforschung. Die Philologie nimmt einen zentralen Platz in der Geschichte der NietzscheRezeption ein: von der ersten großen Auseinandersetzung mit Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931) anlässlich der Tragödienschrift bis zum Streit über editorische Fragen. Die moderne Nietzscheforschung ist undenkbar ohne die philologischen Grundsteinlegung der KGW. Edition, Quellenforschung, genaue Lektüre, Kontextualisierungen (der vorliegende Band ist dafür ein gutes Beispiel) sind, anders als bei vielen anderen Philosophen, zur selbstverständlichen Voraussetzung für die Beschäftigung mit Nietzsche geworden, so wie er es selbst immer wieder eingefordert hat. Dies spricht für die ungewöhnlich enge Affinität zwischen Philologie und Philosophie seines Werks. Schon im Jahr 1972 plädierte der französische Germanist Richard Roos, der mit einem früheren Aufsatz ein wesentlicher Anreger für die Colli/ Montinari-Edition gewesen war, für eine umfassende philologische Lektüre Nietzsches. Nietzsches eigener emphatischer Philologiebegriff seit Menschliches, Allzumenschliches hat die Akzeptanz der Philologie in der philosophischen Rezeption nach vielen anfänglichen Widerständen begünstigt. Einige der einflussreichsten Ansätze zur philosophischen Nietzscheforschung versuchen die Philologie deshalb heute nicht länger abzuwehren, sondern sie im Gegenteil auf außerordentlich fruchtbare Weise zu integrieren (vgl. etwa Stegmaier 2007 und 2009). Auch und gerade die genaue Lektüre jedes einzelnen Textes, Aphorismus’, Satzes, Wortes Nietzsches – für sich und im Gesamtzusammenhang – ist heute kaum mehr vorstellbar ohne das Wissen um das gesamte Spektrum seiner „Philologie“.

3. Wissenschaftshistorischer Kontext Als Nietzsche sein Studium an der Universität Bonn aufnahm, stand die Klassische Philologie seit einem knappen Jahrhundert in höchster Blüte. Sie war zur Leitwissenschaft des Jahrhunderts geworden, die einige der besten Köpfe angezogen hatte. Zwar besaß sie eine ehrwürdige Tradition, die weit ins Altertum, in die Schulen der alexandrinischen Philologen („Grammatiker“) zurückführt und nie richtig unterbrochen worden war, doch lag ihre letzte große Zeit, ehe sie ab dem 18. Jahrhundert nament-

6 Vgl. aber schon Gerratana 1994, Thouard 2000.

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lich in Deutschland einen außerordentlichen Auftrieb erfuhr, in der Renaissance. Kennzeichen dieser neuen Konjunktur der Philologie ist die Tatsache, dass sie nun systematisch über ihre eigenen Methoden, Standards und Strukturen nachzudenken beginnt. So wird aus ihr eine moderne Wissenschaft. Die ersten und entscheidenden Schritte dorthin werden freilich bereits im England des 17. Jahrhundert unternommen, etwa im berühmten Streit über die Authentizität der Episteln des Phalaris, den Richard Bentley (1662–1742) gegen Charles Boyle (1634–1731) mit dem Beweis ihrer Unechtheit entschied. Der philologischen Schule, der Nietzsche entstammt, galt Bentley geradezu als Gründungsfigur. Die Tradition der Pseudoepigraphie, die er mitbegründet hat, gehört zu jenen Bereichen, die sich am klarsten zur Entwicklung der wissenschaftlichen Forschungsmethoden und Textuntersuchungen eignet. Nietzsche selbst hielt ihn für einen der reizvollsten und wichtigsten der Philologie und die Arbeit Bentleys für die echte Zäsur zwischen der humanistischen und der anbrechenden wissenschaftlichen Philologie. Mit Bentley tritt die Logik als rechtsgültiges Instrument für Interpretation und Textkritik in die klassische Philologie ein. Seine Wirkung kommt mit Verspätung nach Deutschland und beeinflusst insbesondere die grammatisch-kritische Schule von Wolfgang Reiz (1733–1790) und dessen Schüler Gottfried Hermann (1772–1848), der wiederum unmittelbarer Lehrer Friedrich Ritschls (1806–1876), Nietzsches wichtigstem Lehrer, war. Obwohl Nietzsche den Anspruch der Logik einschränken will, wird er sie gleichwohl nie aufgeben. Das gehört zum Kern seines komplexen Verhältnisses zur Philologie. Die Stringenz der Methode und die Notwendigkeit, sie theoretisch zu fassen, sind von zentraler Bedeutung im Prozess der Anerkennung der klassischen Philologie als Wissenschaft. Es wird übliche Praxis, zur Methode der Philologie Vorlesungen zu halten. Die sogenannte philologische Enzyklopädie soll die Disziplin und ihre Instrumente vor dem Beginn der eigentlichen philologischen Arbeit immer aufs Neue begründen und festlegen. Berühmt wurde insbesondere Friedrich August Wolfs Museum der Alterthumswissenschaft (1807–1810) sowie seine posthume Darstellung der Altertumswissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Wert (1833). Am wirkungsmächtigsten waren die Vorlesungen August Boeckhs (1785–1867) zur Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaft (auch sie posthum veröffentlicht, 1877). Nietzsche kannte sie zwar zumindest in seiner aktiven philologischen Zeit nicht, war aber mit ihrem Inhalt vertraut, an dem ganze Generationen von Philologen geschult worden sind. Auch die Hermeneutik und Kritik (1838) Friedrich Schleiermachers (1768–1834), einer der Lehrer Boeckhs, gehört noch in dieses Umfeld. Nietzsches spätere Lehrer, Otto Jahn (1813–1869) und Friedrich Ritschl prägten ihre Schüler stark durch ihre Enzyklopädien. Nietzsche griff für seine eigene Encyklopädie der klassischen Philologie und Einleitung in das Studium derselben (1871–1874) direkt auf sie, aber auch auf die weniger bekannten Grundlinien zur Enzyklopädie der Philologie (1832) Gottfried Bernhardys (1800–1875) zurück. In ihrer Entwicklung hin zur wissenschaftlichen Strenge vertraten die Philologen seit Friedrich August Wolf (1759–1824) die unhintergehbare Einheit von Grammatik

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(≈ Sprachwissenschaft), Hermeneutik und Kritik (Textkritik und höhere Kritik) als Grundlage jeder Philologie. Insbesondere die zwei zentralen methodischen Bereiche der Kritik und der Hermeneutik, die „beiden Augen“ des Philologen, wie Theodor Birt (1852–1933) sie einmal genannt hat, wurden in ihrem Zusammenspiel herausgestrichen. Je nach Schule hatte dabei entweder die Kritik oder die Hermeneutik das letzte Wort. Mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit stellt sich nun aber auch die Frage nach der Reichweite der Ratio: bis zu welchem Punkt kann sie Tradition, Intuition, Kenntnis der Individualität des Autors und der historischen und ästhetischen Dimensionen seines Werks ersetzen? Der Gegensatz dieser Tendenzen riss endlich in dem epochemachenden Streit zwischen der „Wortphilologie“ Gottfried Hermanns und der „Sachphilologie“ August Boeckhs seit dessen Veröffentlichung des ersten Bandes des monumentalen Corpus Inscriptionum Graecarum (1824) auf. Der bisweilen persönlich geführte Streit artete zu einer Auseinandersetzung zwischen Schulen und Universitäten (Hermann: Leipzig, Breslau, Bonn; Boeckh: Halle, Berlin) aus, der in Wahrheit auf sehr unterschiedliche Sprachauffassungen zurückging. Er setzte sich fort als Auseinandersetzung zwischen einer stark grammatisch-kritisch, philosophisch eher Kant zuneigenden und einer stark antiquarisch-historischen, philosophisch eher der Identitätsphilosophie zuneigenden Richtung – im Grunde bis ans Ende des Jahrhunderts. Erst Wilamowitz – zugleich Produkt der Hermann-Schule und Schwiegersohn Theodor Mommsens (1817–1903) – gelang es, beide Richtungen endgültig zu synthetisieren, was ihm seine große Bedeutung für die Geschichte der Altertumswissenschaft verschaffte. Der erste, der die Spaltung von Wort- und Sachphilologie überwand, war allerdings Friedrich Ritschl, wichtigster Lehrer Nietzsches in Bonn und Leipzig. Anders als Wilamowitz hatte Ritschl die Synthese in die antike Überlieferungsproblematik, insbesondere die sprachlichen Quellen selbst verlegt. Er wurde so zum Vermittler zwischen den Lagern und zum einflussreichsten Philologen vor Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Obwohl er Hermann-Schüler war, bevorzugte ihn Boeckh sogar als Nachfolger Karl Lachmanns (1793–1851) in Berlin. Ritschls Kompromiss bestand darin, nicht die Bedeutung von antiquarisch-historischer Forschung an sich zu verneinen, aber als dringlichste Aufgabe der zeitgenössischen Philologie für sie zunächst eine verlässliche Textgrundlage zu fordern, die nur mit strenger Methodik zu erlangen sei. Als auf Betreiben Ritschls Otto Jahn nach Bonn kam, war die „Bonner Schule“, die sich schon mit Namen wie Friedrich Gottlieb Welcker (1784–1868) verknüpfte, endgültig etabliert und eines der renommiertesten Institute Mitteleuropas geschaffen. Bonn wurde die Universität der „Methode“ schlechthin. Bonner Schule der klassischen Philologie, und in ihrem Geist wird Nietzsche hauptsächlich erzogen, heißt die Verbindung von Textkritik und Quellenforschung mit prosodischen, metrischen, epigraphischen und literaturhistorischen Studien. Die Etablierung von Texten und ihre kritische Auslegung zum Zwecke der Sicherstellung der Überlieferung war ihr wesentliches Anliegen. Sie verstand sich als hart und unerbittlich in der Strenge ihrer Methodik, die gleichwohl nicht rein formal sein soll, sondern Strenge eher in der

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kritischen Distanz zur eigenen wissenschaftlichen Phantasie praktiziert. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit immer auf kleinere, überschaubare Gegenstände und entwickelte größere Thesen nur am konkreten Fall. Ihr Ethos soll verbindlich für jede Wissenschaft sein, ihre Methode Grundlage zumindest der historischen Wissenschaften. Die Art und Weise ihres Lesens unterscheide die Philologie als Disziplin von verwandten Disziplinen. Die Methode ist immer an Einzelproblemen ausgerichtet; nie gab es hier den Ehrgeiz, das Ganze des Altertums zu erfassen. Sie setzte das tiefe Eindringen gegen oberflächliche Universalität. Das scheinbar unwichtigste sprachliche, metrische, paläographische Detail konnte den Schlüssel zum Erfolg darstellen; statt antiquarischem Sammlertums hatte man sich der intensiven Konzentration und minutiösen Lektüre auf abgegrenzten Gebieten zu befleißigen. Textkritik in all ihren Facetten war die Königsdisziplin. Sie sah sich selbst in der Nähe zu jungen empirischen Wissenschaften und pflegte die Distanz zur Theologie und Metaphysik. Philosophisch stand sie der Skepsis nahe: ihre zergliedernde, analytische Seite lässt sich geradezu als praktizierte Skepsis auffassen. Intellektuelle „Redlichkeit“ um jeden Preis gehörte zum Kern ihrer Selbstauffassung.

4. Biographischer Kontext Das Bildungssystem, in dem Nietzsche heranwuchs, privilegierte bekanntlich das Studium der lateinischen und griechischen Sprache, aber auch die inhaltliche, historische Beschäftigung mit dem Altertum. Die erste Annäherung an die alten Sprachen, besonders Latein, erfuhr Nietzsche in der frühen Jugendzeit, am Naumburger Domgymnasium. Wegen seiner ausgezeichneten Fortschritte trat er schon 1858 in die Landesschule Pforta ein. Die Schulpforte war eines der renommiertesten Gymnasien, dessen fachliches Niveau auf ihrem Schwerpunktgebiet heute allenfalls einem Universitätsstudium der Klassischen Philologie vergleichbar ist. Nach den Absichten der Familie sollte Schulpforta Nietzsche für das Theologiestudium nach väterlichem Vorbild rüsten, aber er traf, angeregt von seinen Lehrern, bereits in diesen Jahren die Entscheidung, sich künftig der Philologie zu widmen. Zu diesen Lehrern, weit über die Schule hinaus bekannten Koryphäen, zählten etwa Wilhelm Corssen (1820–1875), Max Heinze (1835–1909) und Diederich Volkmann (1838–1903). Insbesondere der letztgenannte wurde entscheidend für Nietzsche, indem er ihn auf die ersten Gegenstände seiner zukünftigen philologischen Forschung hinwies, namentlich auf das Studium der Quellen des Suidae Lexikons und der Spruchsammlung des Theognides. Er stammte selbst aus der Schule Friedrich Ritschls und hatte bei ihm in Bonn studiert und promoviert, was wohl auch Nietzsches Wahl des Studienorts beeinflusst hat. Aus den Jahren in Schulpforta sind viele Schularbeiten überliefert. Die zwei vollständigsten und für die zukünftigen philologischen Interessen interessantesten Werke sind der Kommentar (auf Latein, Griechisch und Deutsch) Primum Oedipodis regis carmen choricum commentario illustravit, dissertationibus adornavit Fr. Nietzsche sowie die

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Abschlussdissertation De Teognide Megarensis in denen man im Keim einige Gedanken für die Geburt der Tragödie und die Schriften über Theognis von Megara findet. Nach Abschluss des Gymnasiums ging Nietzsche im Herbst 1864 an die Universität Bonn. Die Pförtner Philologen scheinen von ihren Lehrern zum Studium in Bonn ermutigt worden zu sein. Dies hat nicht nur etwas mit der besonderen Ausrichtung der Philologie an beiden Institutionen zu tun, die in besonderem Maße von der Tradition Gottfried Hermanns geprägt waren. Es gab auch zahlreiche persönliche Verbindungen, von denen Volkmann Nietzsche lediglich am nächsten stand. So war einer der drei Gründungsväter des Bonner philologischen Seminars, August Ferdinand Naeke (1788–1838), selbst Alumnus Portensis gewesen. Nach anfänglichen, dem Wunsch und der Tradition der Familie entsprechenden theologischen Studien wechselte Nietzsche seinen ursprünglichen Neigungen folgend schon im zweiten Semester an die philologische Fakultät. Obwohl ihn Otto Jahn wegen dessen neben der Philologie ausgeprägten musikalischen Interessen anzog, entschied Nietzsche sich nach dem zwischen diesem und Ritschl ausgebrochenen Streit (Bonner Philologenstreit) für letzteren und folgte ihm 1865 nach Leipzig. Dieser Streit hatte sich zuerst auf persönlichem und hochschulpolitischem Niveau abgespielt, führte aber zu einer Zäsur in der Bonner Schule, die eine der wichtigsten der Zeit war. Sie hatte großen Einfluss auf den weiteren Verlauf von Nietzsches Karriere, weil die Nachfolger und Schüler Jahns in Bonn fortfuhren, Partei gegen Ritschl und seine Schüler zu nehmen. Es ist kein Zufall, dass die schärfsten Kritiker zur Geburt der Tragödie aus den Reihen der alten Feinde seines Lehrers kamen: Ritschls Nachfolger in Bonn, Hermann Usener (1834–1905) und sein Schüler Ulrich von WilamowitzMoellendorff waren die bedeutendsten unter ihnen. Nietzsche, der große Verehrer der Griechen, ist hauptsächlich bei Latinisten in die Schule gegangen. An der Leipziger Universität besuchte Nietzsche die Vorlesungen von Georg Curtius (1820–1885), die seine zukünftige Annäherung an die Sprachwissenschaft beeinflussen sollten, sowie des Historikers Georg Voigt (1828–1871). Die bestimmende Figur seiner Universitätsjahre war indes Friedrich Ritschl selbst; der Einfluss des großen Latinisten und Spezialisten für Altlatein machte sich überall geltend. Man findet deutliche Spuren davon etwa in Nietzsches Vorlesungsaufzeichnungen über die Lateinische Grammatik und in der Einführung in die lateinische Epigraphik. Das außerordentliche Vertrauen Ritschls in die philologische Methode (insbesondere der Textkritik) sollte die Wahl der Forschungsthemen Nietzsches, seine philologische Praxis und später sogar seine kritische, auf Umschaffung zielende Philosophie stark prägen. Im Rückblick auf meine zwei Leipziger Jahre beschreibt Nietzsche, dass ihn weniger der Stoff der Vorlesungen interessierte: Die Methode wars, für die ich lebhafte Theilnahme hatte; sah ich doch, wie wenig auf Universitäten stoffliches gelernt wird […] Da wurde mir deutlich, daß das Vorbildliche der Methode, der Behandlungsart eines Textes usw, jener Punkt sei, von dem die umschaffende Wirkung ausgehe (KGW I/4, S. 511f).

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Dank Friedrich Ritschls begann Nietzsche ab 1867, seine philologischen Werke und einige Besprechungen in dessen Rheinischem Museum für Philologie zu veröffentlichen; er redigierte auch das Inhaltverzeichnis der Zeitschrift. Nietzsches TheognisAufsatz, seine erste gedruckte Arbeit, ist zum großen Teil freilich schon an der Pforte entstanden. Am Ende seines Studiums und nach einem kurzen militärischen Intermezzo erlangte Nietzsche schnell die erforderliche akademische Qualifikation, um den von Ritschl betriebenen Ruf an die Basler Universität anzunehmen. Zwar hatte er noch keine Monographie vorgelegt, doch gilt seine auch für damalige Verhältnisse unerhört frühe Berufung heute gemeinhin als gerechtfertigt aufgrund seiner frühen philologischen Beiträge im Rheinischen Museum, dem führenden Fachorgan der Epoche. In Basel sollte er zehn Jahre lang (1869–1879) den Lehrstuhl für Griechische Sprache und Literatur innehaben und einige zusätzliche Stunden am lokalen Pädagogium halten. Die Arbeitsbelastung war hoch. Die Pension der Universität Basel nach seinem gesundheitlich bedingten Ausscheiden aus der Lehrtätigkeit war es freilich, die ihm seine freie Existenz in den Jahren bis zum Zusammenbruch ermöglichte. Mit der Aufgabe der Philologie als Beruf endet zwar Nietzsches akademische Karriere, nicht aber sein Selbstverständnis als Philologe. Im Gegenteil finden sich seine größten Elogen auf die Philologie im mittleren und späten Werk.

5. Nietzsche als Philologe 5.1. Nietzsches Philologica Obwohl Nietzsche nach 1873 keine philologischen Arbeiten mehr veröffentlichte, existieren viele Aufzeichnungen zu Vorlesungen, die er bis 1879 hielt. Seine Lehr- und Vorlesungstätigkeit zeigt zwar Verbindungen zur Tragödienschrift, ist ansonsten aber durchaus zeittypisch und entspricht dem Stand der damaligen Disziplin, auch wenn sich einige durchaus originelle Ansätze finden. Neben dem umfangreichen philologischen Nachlass, der noch immer nicht vollständig veröffentlicht ist und auch eine Reihe von Vorlesungsaufzeichnungen aus Nietzsches eigener Studienzeit umfasst, sind wissenschaftliche Abhandlungen zu berücksichtigen, die Nietzsche zwischen 1869 und 1873 veröffentlichte, und zwar ausschließlich im von Ritschl herausgegebenen Rheinischen Museum für Philologie sowie den Acta societatis philologae Lipsiensis. Nietzsche hielt für die Leipziger Gesellschaft für Philologie zwischen 1866 und 1867 vier Vorträge. Als Einzelschriften wurden die Gratulationsschrift Beiträge zur Quellenkunde und Kritik des Laertius Diogenes und die Antrittsvorlesung an der Universität Basel Homer und die klassische Philologie gedruckt. Die Gesamtheit dieser Materialien ist von Fritz Bornmann und Mario Carpitella in der 2. Abteilung der KGW herausgegeben worden. Um ein umfassendes Bild der Interessen und der Beiträge Nietzsches im Rahmen der klassischen Philologie zu gewinnen, sollte man auch die vorherigen Schriften, die sogenannten Jugendschriften der Zeit in Schulpforta und ferner die

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Aufzeichnungen der Jahre an der Universität berücksichtigen. Mehrfach sind Kontinuitäten und sogar direkte Ableitungen feststellbar. Aus der wissenschaftlichen Produktion Nietzsches stechen einige Hauptthemen hervor, sowohl nach der Zahl der Veröffentlichungen als auch nach ihrer Häufigkeit im Nachlass. Es handelt sich nicht nur um eine ausdrückliche Vorliebe für bestimmte Autoren, wie es zunächst scheinen könnte, sondern auch um einen Vorzug für gewisse Typen von Fragen und für eine besondere Art der philologischen Arbeit, die diese Art von Frage benötigen. Unter dem Gesichtspunkt der Themen und der Autoren können wir unterscheiden: Studien über Theognis von Megara, über Diogenes Laertius, über das Lexikon der Suda und einige Schriften über das Certamen zwischen Homer und Hesiod, die sich auf das generelle Interesse Nietzsches für die homerische Frage zurückführen lassen. Als Student und junger Professor brillierte Nietzsche in den Disziplinen der Text- und Quellenkritik mit allen dazugehörigen Hilfs- und Unterdisziplinen von Paläographie bis Konjekturalkritik. Während seine Leipziger philologischen Arbeiten vor allem aus literaturhistorischen Studien bestehen, beschäftigt er sich später eher mit Pseudoepigraphie und Werkkonstitution, zu Motiven und Wertmaßstäben antiker Traditionen, also allesamt Fragen der niederen und höheren Kritik. Die erste wichtige Schrift Nietzsches ist Zur Geschichte der Theognideischen Spruchsammlung (1867). Der Dichter Theognis war schon Inhalt der Abschlussdissertation in Schulpforta De Theognide Megarensis (1864) sowie des ersten der erhaltenen Vorträge bei der Leipziger philologischen Gesellschaft (1866). In den Vorarbeiten für diese Veröffentlichung von 1867 behält Nietzsche eine inhaltliche Untersuchung der Spruchsammlung bei, die unter dem Namen von Theognis überliefert worden ist, und versucht das Profil der Persönlichkeit des Autors zu umreißen. Ausgehend von diesen Analysen stellt Nietzsche die Hypothese auf, dass die überlieferte Spruchsammlung nicht zur gnomologischen Gattung gehöre, mit der in der Tat die Inhalte der Sammlung nicht übereinstimmen. In der Schrift von 1867 versucht Nietzsche, die Geschichte der Tradition des Textes der theognideischen Spruchsammlung zu rekonstruieren, und er zeigt, dass sie das Resultat einer späteren Fassung sei, in der die Verse eines Elegiendichters, dessen Schöpfung auf den Kreis des Symposions rückführbar sei, in eine erbauliche Spruchsammlung für die Erziehung der Jugend umgewandelt worden seien. Die theognideische Sammlung wäre also eine willkürliche, wahrscheinlich ursprünglich als Parodie beabsichtigte Zusammenfassung, die von der Tradition durch spätere Fassungen, Zerlegungen und Herausnahmen unpassender Stoffe der gnomologischen Gattung zugeschrieben worden ist. Die Frage nach der Überlieferung der Texte und nach den Motiven, die historisch die Art der Überlieferung bestimmt haben, bleibt auch in den Studien Nietzsches über die Pinakes des Aristoteles zentral, ebenso in der Diskussion der Tradierung der ihm und Platon zugeschrieben Texte in den Basler Vorlesungen, aber auch allgemeiner in der unveröffentlichten Schrift über die Einführung der Diadochaí bei den vorplatonischen Philosophen. Nietzsche will – jenseits des tatsächlichen Interesses dieser

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recht innovativen philologischen Forschungen – zeigen, wie das von einer Epoche oder von einer Gesellschaft a priori gefällte Urteil aktiv die Überlieferung oder die Wahrnehmung eines Werks beeinflusst. Neben den Umständen, die in der Geschichte eines Werkes vom Altertum bis heute dazwischentreten und es unkenntlich machen können, sollte man Nietzsche zufolge über die allgemeinen Faktoren der Beschädigung und des menschlichen Irrtums hinaus auch die Meinungen berücksichtigen, die die Überlieferung durch die Jahrhunderte gesteuert haben können. Die philologischen Schriften Nietzsches zielen freilich mit den Instrumenten der grammatikalischen Kritik und der Rekonstruktion der Individualität des Autors und seiner Epoche darauf ab, die Fragen der Zuschreibung beizulegen und die jahrhundertelang durch die abweichenden Wege der Überlieferung eingetretenen Interpolationen zu beseitigen. Aber auch das Irren der Tradition selbst, der gewundene Weg, auf dem der Text zu uns gekommen ist, die Motive und die Gründe der Missverständnisse, die Hintergedanken dieses Irrens sind für Nietzsche interessante Phänomene, die vielleicht besser vom Altertum zeugen als ein mit Akribie vollständig rekonstruierter Text. Ein anderes Leitmotiv der philologischen Forschung Nietzsches ist die Quellenforschung. Diese Form der philologischen Untersuchung ist das Fundament der Schriften über Diogenes Laertius und das Suidae Lexikon (zu Nietzsches Zeit wusste man noch nicht, dass „Suda“ oder „Suida“ der Name der Sammlung und nicht der Name des Verfassers ist.) Diese Werke sind, gemessen an der Epoche ihrer Entstehung, echte Rätsel, deren kompositorische Einheit vollkommen willkürlich zu sein scheint. In dem Leipziger Vortrag Über die literarhistorischen Quellen des Suidas (1866) behauptet Nietzsche, dass die Möglichkeit, die inneren Inkongruenzen des Werks, seiner Komposition, seiner inhaltlichen Auswahl und seiner Auslassungen zu erklären, ganz von der Fähigkeit des Philologen abhängt, Fragen über die Quellen des Lexikons selbst zu stellen. Dieselbe Frage wiederholt sich in den Studien über die Quellen des Diogenes Laertius, De Laertii Diogenis fontibus (1868), Analecta Laertiana (1870) und in den Beiträgen zur Quellenkunde und Kritik des Laertius Diogenes (1870). Diese Schriften sind die reifsten seiner Tätigkeit als Philologe, in denen Nietzsche eine sichere Fähigkeit für die Konjekturalkritik und die Textanalyse beweist. Ausgehend von der Textkritik plädiert Nietzsche für die Hypothese einer Hauptquelle und einer Nebenquelle, aus denen Diogenes Laertius, als gelehrter Verfasser, viel geschöpft habe. Daraus schließt Nietzsche, dass das Werk des Diogenes Laertius eher die Züge einer Anthologie der alten literarischen Kritik hat und genau darin sein Wert als Dokument liegt, indem es etwas von der antiken Weise der Überlieferung der alten Philosophen enthülle. Das letzte große Thema der philologischen Studien Nietzsches ist das Certamen zwischen Homer und Hesiod. Die Schrift Der Florentinische Tractat über Homer und Hesiod, ihr Geschlecht und ihren Wettkampf (1870–1873), die Neuausgabe des Textes des florentinischen Codex über das Certamen (1871), aber zuvor schon der letzte Vortrag für die Leipziger philologische Gesellschaft (1867) gehören zu dem allgemeinen Interesse Nietzsches für die homerische Frage. Die homerische Frage, wie Fried-

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rich August Wolf sie wissenschaftlich zuerst in seinen Prolegomena ad Homerum (1795) gestellt hatte, richtete sich auf die Dekonstruktion der sagenhaften Figur des Dichters und der Idee, die homerischen Epen seien eine einheitliche Schöpfung. Sie ist ein Hauptthema der damaligen klassischen Philologie, und Nietzsche beschäftigt sich mit ihr auf originelle Weise nicht nur in diesen Schriften, sondern auch in der Vorrede Homer und die klassische Philologie und an vielen anderen Stellen der Basler Vorlesungen. Wenn man grundsätzlich eine mündliche Überlieferung der homerischen Epen annehmen will, sollte man bei der Erforschung ihrer Überlieferungsgeschichte einige Jahrhunderte zurückgehen. Wieder wendet Nietzsche sich weniger den Texten selbst als dem Problem ihrer Überlieferung vor ihrer späteren schriftlichen Fassung zu. Er bedient sich also der ältesten Zeugnisse über die Figur Homers, der Legende über das Certamen zwischen Homer und Hesiod. Nietzsche vermutet, dass die Zuschreibung der Ilias und der Odyssee an den großen „Homer“ ein relativ spätes Phänomen sei, das sich erst ereignet habe, nachdem aus dem umfangreichen Erbe der epischen Dichtung eine Auswahl nach ästhetischen Kriterien getroffen worden sei. Für den Ahnen dieser Tradition habe man nun den sagenhaften Homer gehalten. Homer wäre also der Name, mit dem die Griechen die epische Kunst überhaupt benannten, und dass Homer der Autor der Ilias und der Odyssee sei, ist ein ästhetisches Urteil über diese beiden Werke und über ihre Stellung innerhalb der epischen Tradition selbst. Es ist offenbar, dass Nietzsches Einheitlichkeitstheorie Friedrich August Wolf in einer sehr spezifischen Weise widerspricht. Die Wahl Nietzsches, seine Antrittsvorlesung über die Persönlichkeit Homers zu halten, war nicht einfach merkwürdig anachronistisch, da sie ja als mehr oder weniger beantwortet galt. Nietzsches Theorie über Homer lehnt keineswegs die von den Spezialisten vorgebrachten Argumente gegen die Einheitlichkeit ab (Textbeweise, Inkongruenzen und Ungleichheiten innerhalb der homerischen Epen), sondern beurteilt jene Argumente nur aus neuer Perspektive. Denn mit seinen Kritiken, die im Rahmen des Textes und der Komposition bleiben, kritisiert Wolf tatsächlich nur die letzte, fixierte Stufe, in der die Epen auf uns gekommen sind. In diesem Rahmen kann man weder über die Persönlichkeit Homers noch über die kompositorische Einheit der Ilias und der Odyssee plausible Aussagen treffen. Die Frage nach der Persönlichkeit Homers beantwortet Nietzsche deshalb auf doppelte und anspruchsvollere Weise: es gab einen einzigen Autor der homerischen Epen, aber er war wahrscheinlich kein Homer. Homer ist vielmehr eine von der griechischen Tradition erfundene künstliche Persönlichkeit, ein kollektiver Name für alle alten epischen Dichter und infolgedessen der einzige Name, dem die griechische Tradition die höchsten Meisterwerke dieser Gattung zuschreiben konnte. Gerade in der Antrittsvorlesung kommt die Ambivalenz der philologischen Methodik zwischen Hermeneutik und Kritik, zwischen Philosophie und Historie deutlich zum Ausdruck. Die zwei Schulen bzw. Seiten der Philologie bestehen darin, entweder „mit dem Auge des Historikers das Gewordene“ zu begreifen, oder aber „in der Art des Naturforschers die sprachlichen Formen der alterthümlichen Meisterwerke [zu] rubrizieren, vergleichen, allenfalls auf einige morphologische Gesetze zurück[zu]bringen“

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(KGW II/1, S. 252). Der Grundwiderspruch der Philologie ergebe sich dabei aus den gewissermaßen idealisierenden Tendenzen der einen, rekonstruierenden Seite und der anderen, kritischen, scheinbar den „Umsturz der Heiligthümer“ betreibenden. Anhand des Umgangs mit Homer verteidigt Nietzsche in dieser Rede die historischkritische Philologie und nimmt sogar ausdrücklich den Einsatz von „Blut und Schweiss und […] mühsamste[r] Gedankenarbeit“ (KGW II/1, S. 267) gegen ungerechtfertigte Vorwürfe in Schutz. Die Wissenschaftlichkeit der Homer-Forschung seit Wolf hat er nicht infrage gestellt. Der geschilderte Zwiespalt sei nämlich von jedem redlichen Philologen verinnerlicht und für den einzelnen nicht überwindbar. Das Gesamtprojekt der Philologie sei am Ende „nichts als die endliche Vollendung ihres eigensten Wesens, völliges Verwachsen und Einswerden der anfänglich feindseligen und nur gewaltsam zusammengebrachten Grundtriebe“ (KGW II/1, S. 252). Philologie ist immer doppeltes Verfahren: konstruktiv und destruktiv zugleich, das eine ohne das andere sei abzulehnen. Nietzsches Reformvorstoß läuft darauf hinaus, die methodischen Errungenschaften der Tradition von Wolf bis Ritschl wieder mit der ästhetischen Gestimmtheit zu verbinden, die das Bedürfnis nach Philologie überhaupt erst hervorgebracht hatte.

5.2. Die Basler Vorlesungen Die Entwürfe für die Vorlesungen, die Nietzsche an der Universität Basel zwischen 1869 und 1879 als Inhaber des Lehrstuhls für griechische Sprache und Literatur gehalten hat, stellen den umfangreichsten und kohärentesten Teil des philologischen Nachlasses Nietzsches dar und nehmen die letzten vier der fünf Bände ein, aus denen die 2. Abteilung der KGW besteht. Der Charakter dieser Texte ist hinsichtlich der Sorgfalt, mit der sie verfasst wurden, sehr unterschiedlich. Ihrem didaktischen Zweck ist eine gewisse kompilatorische Tendenz geschuldet. Nur in einigen Abschnitten, normalerweise auf den einleitenden Seiten, kann man eine direkte Einmischung des Autors Nietzsche finden, der die dargestellten Materialien auf Demonstrationszwecke ausrichtet. Einige Vorlesungen wurden über zwei oder drei Semester hinweg gehalten, andere wurden mehrmals wiederholt, oft mit späteren Ergänzungen; auch Randbemerkungen und Selbstzitate gehören zum normalen Erscheinungsbild dieser Textgattung. Am Leitfaden einiger Themenbereiche lassen sich die Vorlesungen grob ordnen. Obwohl Nietzsche vom Studium her selbst stark latinistisch geprägt war, sind sie, seinem Aufgabengebiet entsprechend, inhaltlich meist gräzistisch ausgerichtet: griechische Literaturgeschichte, Metrik und Rhythmik, Rhetorik, die philosophische Literatur (alte Philosophen und Plato). Der nach Umfang und Gewicht eindeutig kleinere Teil ist einigen Vertiefungen zur lateinischen Sprache gewidmet: die Vorlesungen über die Lateinische Grammatik (1869–1870), über Ciceros Academica (1870–71) sowie die Einleitung in die lateinische Epigraphik (1871–72). Eine gesonderte Stellung nehmen

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die Encyklopädie der klassischen Philologie und Einleitung in das Studium derselben (1871–74) sowie die Vorlesungen über den Gottesdienst der Griechen (1875–78) ein. Besonders viel Aufmerksamkeit hat seit jeher der Abschnitt am Anfang der Vorlesungen über die Lateinische Grammatik auf sich gezogen, in dem Nietzsche eine beträchtliche Vertrautheit mit den wichtigsten Entwicklungsstufen der Sprachwissenschaft demonstriert.7 Diese Exkurse behalten freilich ihren kompilatorischen Charakter bei, und es wäre riskant, aus ihnen mehr zu deduzieren als den Beweis eines Interesses Nietzsches für einige spezifische Fragen. Die Vorlesungen über die Encyklopädie gehören zur oben angesprochenen großen Tradition der deutschen philologischen Enzyklopädien, für die vor allem Friedrich August Wolf vorbildhaft wurde. In Übereinstimmung mit dieser Tradition fängt Nietzsches Encyklopädie mit einem Versuch an, die klassische Philologie durch eine terminologische und eine – kurze, aber präzise – historische Analyse zu definieren. Nietzsche bedient sich oft schematischer historisch-bibliographischer Abschnitte zum Nutzen der Studenten. Der methodologische Abschnitt behandelt wie üblich die Hermeneutik und die Kritik und, ganz in der Tradition der Ritschl-Schule, besonders die Instrumente der letzteren: die Konjekturalkritik und die recensio. Wichtig ist auch der Abschnitt zur historisch-literarischen Kritik, weil dort jene Felder behandelt werden, auf die sich Nietzsches Tätigkeit als Philologe konzentrierte: Pseudoepigraphie, Pinakographie, antike historisch-literarische Überlieferungsgeschichte, Quellenforschung. Der zweifellos originellste Aspekt im Blick auf die herkömmlichen Enzyklopädien ist aber der Umstand, dass die Aufgabe des Philologen als Erzieher sowie der Wert der klassischen humanistischen Studien für die Jugend thematisiert werden. So erscheint ein persönliches Bild des Philologen als Vermittler zwischen den Menschen des Altertums und der Moderne. Der Philologe ist nach Nietzsches Meinung eine paradoxe Figur an der Grenze zwischen den zwei Welten, beiden fremd und gleichzeitig vertraut. Der Philologe kann als moderner Mensch das Altertum nie von Grund auf verstehen und es nur durch die getrübte Brille des modernen Denkens beobachten. Indes kann er einzig als moderner Mensch das Altertum interpretieren, weil es zu ihm in gerade der richtigen Entfernung steht, um seine Konturen erkennen zu lassen. Nur als moderner Mensch kann er endlich Vermittler der Werte des Altertums sein, denn nur aus der Entfernung erscheinen diese als „klassisch“. Um der Annäherung an die eigentlich unerreichbare griechische Welt willen sucht Nietzsche unaufhörlich nach Wegen, die dazu benötigten Instrumente, Kategorien, Terminologien neu festzulegen. Ein guter Philologe ist zudem nicht zuletzt durch seinen Charakter ausgezeichnet, ohne den jede technische Ausbildung unnütz wäre, nämlich den unbedingten Willen zum Wissen, gepaart mit der Wachsamkeit gegenüber der Fälschung. Er wird dann im Idealfalle von der Liebe für das Altertum ergriffen und zur Forschung geführt. Zuletzt ist pädagogische Berufung eine conditio sine qua non. Nietzsche äußert seine Abneigung gegen Wissen-

7 Vgl. dazu auch den Beitrag von Benedetta Zavatta in diesem Band.

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schaft als Selbstzweck, gegen die bloße gelehrte Befriedigung, fordert die konsequente Verbindung von Eros der Forschung und Lehre. Die Vorlesungen Über die Geschichte der griechischen Literatur (1874–1876) sind die längste und kohärenteste seiner Lehrveranstaltungen, zu deren Ergänzung er die Vorlesungen über die Griechischen Lyriker (ab 1869 mehrmals wiederholt) hinzufügte. Nietzsche hielt ferner zwei Vorlesungen über spezifische Texte der alten Literatur: die Prolegomena zu den Choephoren des Aeschylus (mehrmals mit Kommentar wiederholt) und die Einleitung in die Tragödie von Sophokles (1870). Diese letzte Vorlesung ist gemeinsam mit der Dionysischen Weltanschauung (1870) eine der wichtigsten Experimentierfelder für die Geburt der Tragödie (1872). Abgesehen von diesen zwei letzten Texten ist es ziemlich schwierig, die Reflexionen der Geburt der Tragödie an anderer Stelle zu finden, weil das Spektrum der Forschung in den Vorlesungen weiter ist und die Geburt der Tragödie ja mehr sein wollte, als ein fachspezifischer Forschungsbeitrag. In den Vorlesungen Über die Geschichte der griechischen Literatur fügt Nietzsche zur akademischen Betrachtung der inneren Entwicklung der griechischen Literatur die Charakterisierung der Konstanten hinzu, aus denen sie besteht. Nietzsche spricht dem „Kunstwerk der Sprache“ der alten griechischen Literatur die Dimension der Mündlichkeit sogar in den späteren, schriftliterarischen Zeiten zu. Damit will er naturgemäß nicht behaupten, die Werke seien nie geschrieben worden, sondern dass die Werke nicht primär für die stille Lektüre komponiert wurden. Die Begegnung zwischen Sprache des Kunstwerks und Publikum fand vielmehr auf einer ganz anderen Ebene statt. Jedes Werk war mit einer bestimmten Gelegenheit, einem öffentlichen Ereignis verbunden, das seinen festen Ort in den Sitten der griechischen Gesellschaft besaß. Eine Tradition kodifizierter Bestimmungen setzte den Charakter der Komposition je nach Zweck fest. Jeder Aspekt der Komposition, von der Sprache bis zum Metrum, von der Tonart bis zur musikalischen Begleitung, dem Inhalt, der Form und der Wirkung, die aus jenen entstanden, gehörten zu einem Horizont von feststehenden, schon bekannten Regeln, in denen der Autor und sein Publikum, die griechische Gesellschaft, sich aufeinander bezogen. Es ist also kein Zufall, dass Nietzsche die Geschichte der Literatur nach literarischen Gattungen geordnet darstellt. Fern von der späteren Herabsetzung der Gattungstheorie durch Benedetto Croce (1866–1952) hält Nietzsche die literarischen Gattungen für die Strukturen, in die natürlicherweise, d.h. nach kulturellen Prozessen, die mit den Entwicklungen der griechischen Gesellschaft verbunden sind, die schöpferische Kraft der Griechen geflossen ist. In den literarischen Gattungen und in ihrem strengen Regelwerk zeigen sich erstens der Charakter der alten griechischen Stämme, zweitens die Bedürfnisse der griechischen Gesellschaft, die die Gelegenheit zum Gesang gaben: der Krieg, der Tod, der Gottesdienst, die Feier, das Symposion, der Wettkampf. Wie auch in der Geburt der Tragödie ist hier die Frage nach der Herkunft entscheidend, und sie wird zum Ende gedacht. Nietzsche fragt nach der Herkunft des Bedürfnisses der Griechen nach Literatur und nach der Entstehung ihres besonderen mündlichen und normativen Charakters. Er entdeckt sie im Gottesdienst und beson-

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ders in der Wahrnehmung der aktiven Kraft des Rhythmus, der das Wesen jeder Dichtung ist und die Macht hat, die Affekte und den Willen der Menschen und der Götter zu beeinflussen. Der Rhythmus wäre also potentiell Träger einer zivilisatorischen Kraft, aber auch des Gegenteils. Der Gottesdienst bei den Griechen wird von Nietzsche in dem letzten und formal schönsten der Kurse in Basel untersucht, Der Gottesdienst der Griechen (1875–1878), der auch wegen der Anwendung von zeitgenössischen ethnographischen Quellen wegweisend ist. Dem Rhythmus hat Nietzsche ohnehin ein wichtiges Kapitel seiner philologischen Studien gewidmet, hauptsächlich in Form der Vorlesungen über die Griechische Rhythmik (1870–71), der Schrift Zur quantitierenden Rhythmik und eines umfangreichen Nachlasses von Notizen und Entwürfen, von denen einige unter dem Titel Rhythmische Untersuchungen gesammelt wurden. Diese Untersuchungen über die griechische Metrik und Rhythmik sind wahrscheinlich die originellsten und innovativsten unter seinen philologischen Schriften. Sie sind damit auch jene, die für die philologische Wissenschaft von der größten Bedeutung waren. Er geht von den Definitionen der alten Rhythmiker aus, denen zufolge der Rhythmus das Maß der Zeit, die Ordnung der Zeiteinheiten ist. Er untersucht den Ursprung der alten rhythmischen Terminologie und findet ihn in der Orchestik und in den Bewegungen des Chormeisters, der das Zeitmaß vorgab. Davon ausgehend erkennt Nietzsche in den rhythmischen Theorien seiner Zeit, und besonders in der Theorie des rhythmischen Iktus (seit Richard Bentley und weitergeführt von Gottfried Hermann), einen prōton pseudos, ein grundlegendes Missverständnis des wesentlichen Charakters der griechischen Rhythmik. Laut Nietzsche habe der Rhythmus rein gar nichts mit dem Akzent zu tun. Die alte Rhythmik ist quantitativ, d.h. sie beruht auf der Wahrnehmung der quantitativen Verhältnisse der Zeit und auf den Verhältnissen zwischen den Quantitäten der Zeiteinheiten. Die qualitative Kategorie der modernen Iktus-Theorie sei ihr fremd. Die Aufgabe des antiken Chormeisters war es, die Bewegung der Zeit durch das Anzeigen der Intervalle, das heißt des Anfangs und gleichzeitig des Endes jeden Taktes (musikalischen Satzes), mit Gesten sichtbar oder hörbar zu machen. Die moderne akzentuierende (qualitative) Rhythmik markiert dagegen die schweren Taktteile durch eine Erhöhung der Stimme oder ihres Drucks (intensio), so dass dieser Teil allein rhythmische Bedeutung gewinnt und man so den Sinn für Intervall und Zeitraum verliert. Die richtige Wahrnehmung der Zeitmaße des Verses kommt abhanden. Die meisten von Nietzsches Schlussfolgerungen sind von der Wissenschaft im Wesentlichen angenommen worden, obwohl Nietzsches Anteil bei der Entdeckung der quantitierenden Rhythmik lange nicht genügend gewürdigt worden ist. Ein bedeutender dauerhafter Kern des Forschungsinteresses Nietzsches während der Basler Jahre ist die philosophische Literatur, besonders die ältesten Philosophen und das Studium des schwer entscheidbaren Übergangs von der Figur des Weisens zur Figur des Philosophen. In den Vorlesungen über die Vorplatonischen Philosophen (1869–76), deren Text man mit einigen bedeutenden Änderungen in der unveröffentlichten Schrift Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (1873) finden kann,

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untersucht Nietzsche die einzelnen Figuren des alten philosophischen Panoramas und schlägt zu jedem Philosophen eine Charakterisierung seines Denkens vor. Dieser vorherrschende Charakter zeigt sich darin, dass sie Denker eines einzigen Gedankens, aber auch autonome, unabhängige Persönlichkeiten sind, „reine Typen“, wie Nietzsche sie nennt. Auf dieser Definition gründet er die Rechtfertigung seiner originellen Periodisierung der Geschichte der alten Philosophie gegen die Einteilung von Eduard Zeller (1814–1908), auf die Hermann Diels später (1848–1922) in seiner berühmten Ausgabe der Vorsokratiker zurückgreifen wird. Nicht Sokrates ist nach Nietzsches Meinung die Zäsur zwischen den alten, nach dem Archetypus suchenden Philosophen und der griechischen klassischen Philosophie, sondern Platon, der erste große „gemischte“ Charakter, was als Beschreibung seiner Unoriginalität zu verstehen ist. Nietzsche nennt die alten Philosophen deshalb „vorplatonisch“ und nicht „vorsokratisch“, und diese Bezeichnung sollte nicht nur im chronologischen Sinne einer historischen Zäsur verstanden werden, sondern im Sinne einer Abgrenzung jener Philosophen gegen Platon. Nach Sokrates, der noch ein Zentrum in seiner Reflexion hatte, nämlich den ethischen Gedanken, das praktische Leben, ist Platon der erste, der auf die ihm vorangegangene Tradition aufmerksam wird. Nietzsche widmet der Figur Platons, seinem Leben und seinen Dialogen eine Vorlesung, die er dreimal im Laufe des Jahrzehnts in Basel wiederholt (1871–1879). Sein erklärtes Ziel ist es, Platon als Schriftsteller und besonders als Dialogschriftsteller zu untersuchen, um seine Persönlichkeit, den Menschen Platon, zu erkennen. Nietzsche kommt auf die Frage der Dialoge unter einem formalen Gesichtspunkt in den Vorlesungen Über die Geschichte der griechischen Literatur zurück. Er hält sie nun für ein Beispiel einer Grenzgattung, das die Grenzen der Gattungstheorie selbst bricht. Der philosophische Dialog ist eine undefinierbare Gattung, eine Mischung aller Gattungen, wie auch ihr Autor der vermischte Charakter par excellence ist. Nietzsche führt also eine historische Analyse der Zeugnisse über Platon, der philosophischen Einflüsse auf ihn (Heraklit und Pythagoras noch früher als Sokrates), aber auch eine echte literarische Kritik seiner Schriften, ihrer Struktur, ihrer Personen und Redemittel durch. Im Zentrum der Reflexion bleibt nämlich die Figur Platons als Schriftsteller, der Philosoph als Künstler. Bleibt eine letzte Gruppe von Vorlesungen: die Vorlesungen über die Geschichte der griechischen Beredsamkeit (1872–73) und die Darstellung der antiken Rhetorik (1874). Sie zählen zu den wohl am wenigsten originellen unter den Arbeiten Nietzsches in dem Sinne, dass ihr kompilatorischer Charakter an die vollständige Transkription der Quellen grenzt. Über eine historische Betrachtung der alten Rhetorik hinaus, wie wir sie schon in den Vorlesungen über die Geschichte der griechischen Literatur finden, untersucht Nietzsche einige wesentliche Begriffe und Prinzipen der rhetorischen Kunst, besonders die rhetorischen Figuren. Diese Analysen, besonders jene über die Metapher, sind vornehmlich dem Buch Gustav Gerbers (1820–1901) mit dem Titel Die Sprache als Kunst (1871) entlehnt, und sie werden entscheidend für die Fassung der unveröffentlichten Schrift Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen

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Sinne (1873). Diese Texte bleiben auf jeden Fall bedeutend für die Frage, welches Verhältnis Nietzsche zur alten Rhetorik hatte, eine Gattung, die er mit der Forderung wieder zu schätzen versuchte, man sollte ihre oft verkannte schöpferische Originalität und ihren künstlerischen Wert anerkennen. In diesen Texten zeigt sich auch ein direkter Bezug auf Aristoteles, von dessen Rhetorik Nietzsche eine Übersetzung des dritten Buches anfertigte. Es ist merkwürdig, wie Nietzsche, der Platon Vorlesungen widmet und sich in seinen Schriften stets auf diesen bezieht, sich doch als ein besserer Kenner von Aristoteles, zumindest der Rhetorik und Poetik, zeigt. Im Unterschied zu älteren Forschungsauffassungen stand die Rhetorik als System freilich keineswegs im Zentrum Nietzsches philologischer Interessen.

5.3. Versuch zur kritischen Erneuerung der Philologie Die Geburt der Tragödie ist einerseits das große, längst nicht ausgeschöpfte Meisterwerk der philologischen Jahre Nietzsches, vielleicht die schwierigste seiner Schriften überhaupt, stellte andererseits aber auch den Stein des Anstoßes für seine Fachkollegen dar. Ihre Verurteilung vertrieb ihn aus dem Umfeld, in dem er in einem unerhört jungen Alter bereits fast alles erreicht hatte, was es zu erreichen gab. Die Kritiken, unter anderen die berühmte des jungen Wilamowitz, tadelten die unwissenschaftliche Weise, durch die Nietzsche seine Themen, die zum Teil kaum zur gewöhnlichen Altertumswissenschaft zählten, betrachtet hätte. Diese Kritik, abgesehen von dem Detail der oft ad personam und nicht immer auch philologisch berechtigten Polemik, war im Prinzip legitim, aber sie berücksichtigte nicht, dass Nietzsche sich freiwillig und im Voraus außerhalb der Grenzen einer traditionellen disziplinären Betrachtung gestellt hatte, und deshalb nicht ausschließlich deren Beurteilungskriterien unterlag. Die Geburt der Tragödie war nämlich ein außerordentlich modernes Buch, das die folgenden Generationen nicht nur von Philologen, sondern mehr noch von Historikern, Religionsphilosophen, Ästhetikern, Kulturtheoretikern, ja nicht zuletzt auch: Künstlern, Dichtern, Musikern beeinflussen sollte. Ausgehend von den musikalischen Reformen Richard Wagners und den ins Ästhetische gewendeten Theorien Arthur Schopenhauers erforscht Nietzsche den Ursprung des spezifisch griechischen Phänomens der Tragödie und führt es auf das dynamische Gleichgewicht der zwei Prinzipien des Apollinischen und des Dionysischen zurück. Mit der Adoption dieser beiden schon im Altertum (besonders der neoplatonischen Theologie Plutarchs) sowie in Ansätzen in der Frühromantik bekannten Prinzipien schreibt Nietzsche das erste große psychologische Werk über das Altertum. Jenseits der Metaphysik der Kunst, die man für Schwerpunk des Werkes halten will, stellt Die Geburt der Tragödie den Versuch einer Großinterpretation des Altertums auf der Basis seiner Komplexität als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen dar. Stärker als irgendein anderes philologisches Werk wirkte es am Ende auf die wissenschaftliche Forschung über das

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Altertum selbst, zum Teil bis heute. Andererseits ergibt sich aus dem Gesagten auch die Schlussfolgerung, dass die Geburt der Tragödie nicht einfach auf „Philologie“ reduzierbar oder durch philologische Kontextualisierung erklärbar ist – dies war eben das grundlegende Missverständnis, das zur Spaltung des Faches beitrug. Die ins Unermessliche gewachsene Forschungsliteratur, auf die hier nicht einmal im Ansatz eingegangen werden kann, belegt dies zur Genüge. Freilich harren noch viele Verbindungen der Tragödienschrift zur Wissenschaftsgeschichte, den Philologica Nietzsches sowie zur Umfunktionierung der Philologie im Spätwerk, die noch längst nicht restlos aufgearbeitet sind. An dieser Stelle soll auf Platzgründen lediglich auf die Rolle eingegangen werden, die Nietzsche der Geburt der Tragödie im Kontext seiner Erneuerungsversuche der Philologie zugedacht hatte. Er selber wusste besser als die Kritiker, dass das Buch ihren Rahmen sprengen würde, überging aber bewusst Ritschls Rat, mit dem Buch zu warten, bis er sich in der Wissenschaft fester etabliert haben würde. Nietzsche ging es um keinen Bruch und keine Revolte gegen seine philologischen Väter, sondern im Gegenteil darum, Philologie auch unter den Bedingungen der Moderne weiterbetreiben und ihre herausragende Rolle im Bildungssystem legitimieren zu können, die ja in den kommenden Jahrzehnten in der Tat immer weiter ausgehöhlt wurde. Der Krise des Faches ist Nietzsche sich früh bewusst. Er glaubt, dass es nur durch eine Anbindung an die zeitgenössische Philosophie und Ästhetik zu retten sei. Nietzsche will die Wissenschaft nicht aufgeben, sondern mit avantgardistischer Kunst und revolutionärem Denken neu verschmelzen. Der Begriff der Bildung selbst steht schließlich auf dem Spiel, wie die Bildungsvorträge, aber auch die zweite Unzeitgemässe beweist. Er darf nicht zur statischen Größe gerinnen, die mechanisch weiter zu tradieren ist, ohne wirklich noch den Menschen zu ergreifen, wie er es, aus Sicht des jungen Nietzsche, zur Zeit Goethes, Wolfs oder Humboldts getan hatte. Die zweite Unzeitgemäße ist weniger eine Auseinandersetzung mit der modernen Geschichtswissenschaft, als vielmehr mit dem historisch-altertumswissenschaftlichen Ansatz der Klassischen Philologie, die der Wertmaßstäbe gegenüber ihren Gegenständen verlustig gegangen ist und der das Bewusstsein dafür fehlt, dass die mikrologische Beschäftigung mit historischen Texten und Epochen bereits ein (ästhetisches) Urteil enthält. Klassisch im vollen Sinne des Begriffs ist ein Text für Nietzsche dann, wenn er nach Philologie verlangt und sie hervorbringt. Die entsprechende Einübung führt durchaus einen Vorteil mit sich, der sich auf die unabhängig vom Inhalt bezogene philologische Kompetenz auswirkt: „Ein großer Werth des Alterthums liegt darin, dass seine S c h r i f t e n die einzigen sind, welche moderne Menschen noch g e n a u l e s e n.“ (NL 1875, KSA 8, 3[25]) Aber wenn die Verbindung zur ursprünglichen Motivation, ausgerechnet an diesen Schriften das Lesen einzuüben, völlig gekappt wird, geht am Ende beides, das Verständnis des Altertums und die Beherrschung des Lesens, verloren. An ihrem eigenen Schopf, so die Überzeugung des jungen Nietzsche, wird die Philologie sich jedenfalls nicht mehr aus dem Sumpf ihrer sinkenden Relevanz herausziehen können. Im Abstand von einigen Monaten, zwischen März und September 1875,

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arbeitet Nietzsche an der unvollendeten Schrift Wir Philologen in der Absicht, die Reihe der Unzeitgemäßen Betrachtungen zu erweitern. Von Beginn an stellt Nietzsche sich direkt Wolfs einstiger enzyklopädischer Grundlegung der Philologie entgegen, was für die Grundsätzlichkeit der von ihm selbst verfolgten Ziele spricht. Wir Philologen spielt genau mit dem Umkippen des Schwerpunktes der eigenen Encyklopädie. Unbeschadet der schon dort ausgedrückten Anschauungen von der absoluten Fremdheit der griechischen Welt und der Illegitimität des epistemologischen Anspruches der philologischen Wissenschaft, bezweifelt Nietzsche jetzt, dass die Philologie noch irgendeine Rechtfertigung ihrer pädagogischen Berufung beanspruchen kann. Der pädagogische Anspruch der Philologie beruht auf der Möglichkeit, das Altertum für „klassisch“, und also für mustergültig zu halten, und auf dieser „humanen“ (im Sinne von „humanistischer“) Basis die Jugend zu erziehen. Anders als in den zeitnah gehaltenen Vorlesungen Über die Geschichte der griechischen Literatur, aber ähnlich der Argumentation in den Vorträgen Über die Zukunft unserer Bildungs-Anstalten (1872), stellt Nietzsche sich hier weniger der Beispielhaftigkeit des Altertums, als vielmehr der Legitimität des Urteils, das die Philologen über das Altertum fällen, entgegen, ferner der Vorstellung, aus dieser gefälschten Gestalt könne eine wahrhafte Nachahmung des Altertums erwachsen. Nietzsche hält diesen Mangel der klassischen Philologie weniger für einen virtuosen Annäherungsversuch an eine am Ende immer fremde und unverständliche Realität, als vielmehr für eine bewusste Fälschung der Wirklichkeit des Altertums, die eine Berufsklasse von Philologen mit Hilfe idealistischer Vorurteile aufgebaut habe. Obwohl der vorherrschende Tenor der Fragmente dieser Unzeitgemäßen Betrachtung scharf und kritisch ist, wird ebenso offenbar, dass Nietzsche mit der Philologie noch nicht abgeschlossen hat. Die gesamte Argumentation ist ja letztlich philologisch, aus dem Geist einer anderen, zukünftigen Philologie heraus argumentierend, die von der zeitgenössischen aber das Beste übernommen hat. Dazu zählt der kritische Geist selbst, der es dieser Disziplin erlaubte, die eigenen Kritiker heranzuziehen. Dazu zählt ferner die Idee einer virtuosen, mit Talent und Klugheit ausgestatteten Philologie, die nicht nur Beruf, sondern auch Berufung sein kann. Ihr Vorbild ist etwa der Dichter-Philologe Giacomo Leopardi (1798–1837), in dem sich auch schon das schöpferische Potential der Philologie ankündigt. Selbst in der modernen wissenschaftlichen Philologie gibt es Figuren, die über alle Zweifel erhaben sind. In diesem Sinne ist Wir Philologen keineswegs die Generalabrechnung mit jeder Art von Philologie gewesen, zu der sie aus Sicht der Rezeption und der älteren Forschung oft gemacht worden ist. Ein philologisches, nämlich ein editorisches Problem hat dieses Missverständnis befeuert, denn die Publikation der ungeordneten Notizen, die Nietzsche aus gutem Grund (und weil sie nach seinem Abschied aus der Universität hinfällig wurden) nie publiziert hat, folgte in der Darstellung den aphoristischen Büchern der nächsten Periode. In dieser aber findet vielmehr das ganze Gegenteil statt: eine Ehrenrettung der Philologie als Methode und Kunst des guten Lesens, die erst eigentlich Einblick in Nietzsches vollen Philologiebegriff erlaubt. Die kritische Erneuerung der Philologie aus dem Geist der Philosophie war fehlgeschlagen. Dies

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räumt Nietzsche ein, indem er den Basler Lehrstuhl und den Bildungsauftrag am Pägagogium aufgibt. Nun wird er sich am umgekehrten Fall versuchen: die Philosophie ihrerseits aus dem kritischen Potential der Philologie zu erneuern.

6. Die Philologie in Nietzsches Werk Die Bedeutung der Philologie für Nietzsches Denken lässt sich noch immer kaum abschätzen. Freilich hängt bei dieser Behauptung alles von der Verwendung des Philologiebegriffs ab. Wenn damit der gesamte Gegenstandsbereich der Klassischen Philologie gemeint sei, so ist eine Erfassung kaum noch möglich, weil sie sich ausführlich der Auseinandersetzung Nietzsche mit der antiken Dichtung und Philosophie in ihrem jeweiligen Rezeptionskontext und über die Entwicklung des Gesamtwerkes hinweg zu widmen hätte. Dieses Gebiet ist unerschöpflich und wird immer die Domäne von Einzelstudien zu bestimmten Autoren oder Teilbereichen bleiben. Am engsten verquickt ist naturgemäß die Verbindung von Philologie und Philosophie im Frühwerk, ehe in Menschliches, Allzumenschliches Ton und Thema wechseln. In diesem Sinne wäre jede Abhandlung zur Geburt der Tragödie oder ihrem Umfeld auch eine Abhandlung zur Rolle der Philologie, ohne dabei weder dieses Buch noch die Philologie erschöpfend zu behandeln. Eine zweite Begriffsverwendung, die sich schon aus rein pragmatischen Gründen eher empfiehlt, würde zunächst nach der Verwendung des Begriffs in Nietzsches Schriften selbst fragen. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Desillusionierung vom Brotberuf, schreibt Nietzsche: Ich weiss es, fühle es, dass es eine höhere Bestimmung für mich giebt als sie sich in meiner Baseler so achtbaren Stellung ausspricht; auch bin ich mehr als ein Philologe, so sehr ich für meine höhere Aufgabe, auch die Philologie selbst gebrauchen kann (Bf. an Baumgartner, 30.08.1877, KGB II/5, Bf. 661).

Hierin liegt offensichtlich eine Bedeutung von Philologie verborgen, die sich nicht in der oft karikierten Kärrnerarbeit erschöpft. „Man ist nicht umsonst Philologe gewesen, man ist es vielleicht noch“ (M Vorrede 5, KSA 3, S. 17). Den Bruch mit Wagner und der gesamten Periode der Tragödienschrift ist bei Nietzsche begleitet von einer Rückkehr zu den „kleinen unscheinbaren Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden“, in dezidierter Absetzung von den „beglückenden und blendenden Irrthümer, welche metaphysischen und künstlerischen Zeitaltern und Menschen entstammen“ (MA I 3, KSA 2, S. 25) – kein Zweifel, dass hier die Philologie der Bonner Schule Pate gestanden hat. Nietzsches’ seither oft thematisierte Kunst des guten Lesens sowie seine Philologiedefinition als „Herstellung und Reinhaltung der Texte, nebst Erklärung derselben“ (MA I 270, KSA 2, S. 223) ist angesichts der neueren Entwicklung in dem Fach, das er gerade erst aufgegeben hat, geradezu konservativ. Im Lichte einer philologischen Kontextualisierung von Nietzsches Schriften, die am

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Leitfaden dieser Definition ausgerichtet ist, lassen sich einige bekannte Schwierigkeiten und scheinbare Widersprüche in Nietzsches Werk lösen; zumindest stellen sie sich neu. Einige wichtige Beispiele mögen genügen. Die erstrangige Bedeutung der Interpretation für den mittleren und späten Nietzsche steht heute außer Frage. Es liegt nahe, sein Verständnis der Interpretation mit seiner methodischen Herkunft aus der Philologie abzugleichen, die ihn das Interpretieren zuerst gelehrt hatte. Plausibel ist dieser Ansatz zusätzlich deshalb, weil Nietzsche sich zum Thema der Interpretation häufig auf seine philologische Schulung beruft. Eine bestimmende Rolle spielen dabei der Begriff des Textes sowie die Unterscheidung zwischen Lesen und Interpretieren. Exemplarisch kann gezeigt werden, wie Nietzsches philologische Schulung entscheidend auf zentrale Motive seines Denkens gewirkt hat. So ist Nietzsches Interpretationstheorie von den Versionen philosophischer Hermeneutik durch die Prägnanz seines Textbegriffes unterschieden. In philologischer Enzyklopädie und Praxis ist der Text keineswegs das Gegebene, das nur noch ausgelegt werden muss, sondern im Gegenteil bereits selbst Resultat philologischer Tätigkeit. Aufgrund der Überlieferungssituation in der Klassischen Philologie ist selbst bei scheinbar vollständig auf die Nachwelt gekommenen Texten Misstrauen angebracht. Nun galt die Textkonstitution indes nicht nur banalerweise als Moment im hermeneutischen Prozess. Der ganze Methodenstolz der Philologie des 19. Jahrhunderts gründete sich auf die Überzeugung, in der strengen Vorgehensweise von Recensio und Emendatio das durchaus notwendige subjektive Element kontrollierbar, operationalisierbar und nachprüfbar gemacht zu haben. Dem nachlässigen Umgang mit Überlieferung und Gegenständlichkeit der Theologie und Philosophie galt ihre ganze Verachtung; er inspirierte ihr Gefühl wissenschaftlicher Überlegenheit. Nietzsche beruft sich häufig darauf, gerade im Angriff auf das Christentum im Spätwerk. Dabei kommt es sogar zu einer Rehabilitation der Alexandriner (z.B. AC 59, KSA 6, S. 247ff). Eng damit verbunden ist Nietzsches Aufwertung des „Tatsachensinns“, der zahlreiche Interpreten zur Verzweiflung getrieben hat. Der Tatsachensinn ist kein Kniefall vor dem Positivismus, sondern Respekt vor der Faktizität; er widerspricht nicht der Einsicht, dass auch diese letztlich nicht unabhängig von Auslegung bleibt. Entsprechend ist der Text kein Fakt, sondern ein Artefakt, der aber nur dann auf redliche Weise zustande gekommen ist, wenn der Philologe bei seiner Herstellung und Auslegung textuelle Phänomene unter der Perspektive ihrer Faktizität berücksichtigt hat. Die Zentralität des Textbegriffs für Nietzsches Werk hat weitreichende Konsequenzen, vor allem wenn man ihn vor dem Hintergrund seiner Prägung durch die philologische Praxis der Quellenforschung betrachtet. Die Stammbaum-Methode, deren Entstehung heute v.a. mit Karl Lachmann verbunden wird, verdankt sich in wesentlichen Teilen – Friedrich Ritschl. Im 19. Jahrhundert war sie auch und vornehmlich als genealogische Methode bekannt. Ritschls Akzentuierung der Lachmannschen Methode bestand darin, weniger als andere an der oft ohnehin unerreichbaren Rekonstruktion eines Urtextes interessiert zu sein. Vielmehr ging es ihm um die komplexen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Quellen, Einflüssen, Fragmenten,

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Kommentaren, die eine Textgeschichte ausmachen. Es ist daher plausibel, dass sich Nietzsches vielzitierter Begriff der Genealogie von dieser Verwendung herleitet. In der Vorrede zur Genealogie der Moral verweist Nietzsche explizit auf seine „historische und philologische Schulung“ (GM Vorrede 5, KSA 5, S. 249). Die „Genealogie“ der Moral wäre demnach der Versuch einer vergleichenden recensio jener entscheidenden Äußerungen und Versatzstücke, die die historische Entwicklung des „Textes“ der (abendländischen) „Moral“ ausgemacht haben; nicht um ihren Ursprung, sondern um ihre Verwandtschaftsverhältnisse bloßzulegen. Dazu passen nicht zuletzt die sprachhistorisch-etymologischen Exkurse, dazu passt aber auch die hermeneutische Selbstreflexivität, die in GM III eine Musterauslegung zu präsentieren vorgibt. In der Genealogie der Moral findet sich auch die berühmteste und umstrittenste Definition der Interpretation. Zu ihrem Wesen gehöre das „Vergewaltigen, Zurechtschieben, Abkürzen, Weglassen, Ausstopfen, Ausdichten, Umfälschen“ (GM III 24, KSA 5, S.400). Dies sind keine zufällig gewählten Begriffe, sondern Eindeutschungen von Fachtermini der verschiedenen Kategorien von Textkorruptelen (lacunae, luxaturae, omissiones usw.). Auch der Begriff der Fälschung verweist auf das Hauptinteresse einer Philologie, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Fälschungen zu entlarven. Dies übrigens nicht nur auf dem Gebiet der textuellen Überlieferung, sondern, ein weiteres wichtiges philologisches Studiengebiet, der Numismatik. Nietzsches oft gegen Theologen und Philosophen erhobener Vorwurf der „Falschmünzerei“ gehört deshalb ebenfalls in den philologisch-philosophischen Kontext. Das vergewaltigende Wesen der Interpretation bezieht sich angesichts einer Fülle von Indizien in Nietzsches Werkkontext auf den achtlosen oder brutalen Umgang mit der Leiblichkeit des Textes. Tatsächlich ist die Metaphorik des Philologen deshalb häufig auch eine medizinische. Der Textphilologe versteht sich explizit als Arzt, der verdorbene Teile wegschneidet oder neu annäht. In seiner enzyklopädischen Vorlesung lehrte Nietzsche die Studenten, sich darin täglich zu üben „wie der Mediciner an seinem cadaver“, geschult an Vorbildern wie Bentley, Wolf, Hermann und immer wieder vor allem Ritschl (KGW II/3, S. 388f). Er streicht heraus, dass Anatomie und Medizin in Alexandria gleichzeitig mit Grammatik und Kritik entstanden seien (vgl. KGW II/3, S. 409). Nietzsches Devise, Philologie und Medizin seien gemeinsam die Gegnerinnen allen Aberglaubens (vgl. AC 47, KSA 6, S. 226), ist deshalb weniger überraschend als die Distanzierung zum Alexandrinismus im Frühwerk suggerieren mag. Man sei jedenfalls nicht „Philolog und Arzt“, ohne nicht zugleich Gegner des Christentums zu sein: „Als Philolog schaut man nämlich hinter die ‚heiligen Bücher‘, als Arzt hinter die physiologische Verkommenheit des typischen Christen. Der Arzt sagt ‚unheilbar‘, der Philolog ‚Schwindel‘…“ (AC 47, KSA 6, S. 226). Auch der Begriff vom Arzt der Kultur in Nietzsches mittlerer Periode folgt dieser Logik. Die Zuverlässigkeit des zur Verfügung stehenden „Textes“ wird also zum Maßstab, an dem die Unzulänglichkeit bzw. die bewußte oder unbewußte Verfälschung anderer Erkenntnisversuche aufgezeigt wird, bis hin zur Naturwissenschaft, der es angesichts der überbordenden phänomenalen Fülle ihres Gegenstandes gleicherma-

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ßen am „Text“ wie an „Interpretationskunst“ mangelt (JGB 22, KSA 5, S. 37). Interpretation ist hier das Gegenteil von Text. In der Tat fällt auf, dass Nietzsche immer dann zum Begriff der Interpretation greift, wenn die Textherstellung aufgrund der Umstände schwierig oder unmöglich ist. Deshalb wird sie zwangsläufig „Zurechtmachung“ oder „Sinnverdrehung“, wie es hier und an vielen anderen Stellen heißt. Auf dem einzigen Gebiet, wo man guten Gewissens von Texten sprechen kann, falls man ein entsprechend geschulter Philologe ist, bevorzugt Nietzsche den Begriff des Lesens – hier ist die Interpretation dann eine schlechte, vielleicht auch böswillige Auslegung. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung über die Geburt der Tragödie schreibt Nietzsche in einem Brief an Rohde über den jungen Wilamowitz: „Nur durch die frechsten Interpretationen erreicht er, was er will. Dabei hat er mich schlecht gelesen, denn er versteht mich weder im Ganzen noch im Einzelnen“ (Bf. an Rohde 08.06.1872, KGB II/3 Bf. 227). Die Interpretation, als Mittel „u m H e r r ü b e r e t w a s z u w e r d e n“ (NL 1885–1886, 2[148], KSA 12, S. 140) ist der Standard-Fall überall dort, wo es keinen Text gibt. Wer aber in der Lage ist, Texte herzustellen, hat zumindest die Chance, sie auch nach allen Regeln der Kunst (im Sinne der techné des Philologen) zu lesen. Worin besteht nun dieses Lesen? Was daran ist „philologisch“? Nietzsche spricht selbst davon, dass die Lesekunst philologisch „in einem sehr allgemeinen Sinne“ sei (AC 52, KSA 6, S. 233). Zu den wesentlichen Elemente, wie sie sich aus verschiedenen, übers Werk verteilten Stellen rekonstruieren lassen, gehören Takt, Feinheit, Vorsicht, Langsamkeit (vgl. z.B. AC 52, KSA 6, S. 233 oder M Vorrede 5, KSA 3, S. 17), also all das, was zur altehrwürdigen hermeneutischen subtilitas und zu den Bedingungen hermeneutischer Billigkeit gehört. Nietzsche betont den skeptischen Charakter ihrer Urteilsenthaltung („Ephexis in der Interpretation“, AC 52, KSA 6, S. 233), die eben deshalb dem Vorwurf der Fälschung entgeht, der an die reine Interpretation gerichtet ist. Lesen gleicht einem Kommentar, der nie ans Ende gelangt, Interpretation der gewaltsamen Unterordnung des Textes unter die immer schon feststehenden Ziele des Interpreten. Interpretation ist gleichsam auf einem Auge, dem kritischen, blind, während die Lektüre die Perspektive der Hermeneutik immer wieder infrage stellt und dergestalt kritische Hermeneutik wird. Nietzsches Philologie ist deshalb auch eine wichtige Voraussetzung für den Perspektivismus, aber das kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht mehr ausgeführt werden. Ein letzter Aspekt des philologischen Umgangs mit Texten, an dem sich der Unterschied von Lesen und Interpretieren noch deutlicher machen lässt, betrifft die Berücksichtigung jener Phänomene, die nicht primär zum „Sinn“ beitragen. Philologische „Interpretation“ ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie Interpretation auch in der Verwendung des Begriffs ist, wie er etwa in der Musik üblich ist. Schon der junge Philologe war nicht müde geworden, den mündlichen Charakter selbst der schriftlich verfassten antiken Dichtung zu betonen – mündliche Phänomene wie der Rhythmus stehen dabei stellvertretend für alle künstlerischen Mittel, die nicht primär an Sinnkodierung und eng gefasster Bedeutung ausgerichtet sind. Der griechische Leser blieb immer „der sublimirte Hörer“ (KGW II/5, S. 278), der die Kunstprosa auch

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mit den Ohren genoss. Wenn Nietzsche für seine eigenen Schriften Leser fordert, die ihn lesen „wie gute alte Philologen ihren Horaz lasen“ (EH Bücher 5, KSA 6, S. 305), so zielt das auf genau jenen Anspruch. Sinn und Musik eines Textes sind, wie der Philologe weiß, nicht unbedingt kongruent. Anspruchsvolle Dichtung – und Nietzsche denkt hier sowohl an den Zarathustra wie auch an seine Kunst der Aphoristik – nur auf ihren Sinngehalt hin zu lesen, entspräche der absurden Vorstellung, Wagner nur durch die Lektüre der Libretti aufzunehmen. An einer der berühmtesten Stellen, an denen sich Nietzsche explizit über die Interpretation äußert, in einem späten Brief an seinen Musikerfreund Carl Fuchs, ist genau dieser Kontext gemeint. Wenn Nietzsche hier davon spricht, dass es keine „alleinseligmachende Interpretation“ gebe (Bf. an Fuchs 26.08.1888, KGB III/5, Bf. 1096), so bezieht er sich auf die musikalische Interpretation. Fast immer wird dieses Zitat aus diesem Zusammenhang herausgerissen. Nietzsche greift in seinen Briefen an Fuchs die Themen seiner Philologica wieder auf, namentlich seine Kritik an der Iktustheorie. Er unterzeichnet ihn als „Dr. Friedrich Nietzsche, weiland Prof. der klassischen Sprachen, insgleichen der Metrik“ (Bf. an Fuchs Mitte 04.1886, KGB III/3, Bf. 688). Einschränkend sei hinzugefügt, dass wir uns bei all diesen positiven Bestimmungen der Philologie immer in der Domäne der Philologie befinden. Erst im Werkzusammenhang wird deutlich, warum Nietzsche gerade im Spätwerk einen emphatischen Philologiebegriff wieder nötig hat. Sie soll nämlich als Kontrast den abgrundtiefen Unterschied zu anderen Bereichen menschlicher Erkenntnis hervorheben, in denen „Philologie“ – und damit Redlichkeit, Takt, Feinheit usf. – aus der Natur der Sache heraus gar nicht möglich sind. Das gilt schon für die Beschäftigung des Menschen mit sich selbst, mit seiner psychologischen Selbstausdeutung: „einen Text als Text ablesen können, ohne eine Interpretation dazwischen mengen, ist die späteste Form der ‚inneren Erfahrung‘, – vielleicht eine kaum mögliche…“ (NL 1888, 15[90], KSA 13, S. 460). Die Aufwertung der Psychologie im Spätwerk entspricht der zwangsläufigen Aufwertung der philologischen divinatio wo es an textueller Grundlage mangelt. Das gilt umso mehr für historische oder naturwissenschaftliche Phänomene. Umso größer ist die Gefahr, dass die Interpretation nur zur Verschleierung des nackten Willens zur Macht wird. Man soll sich indes hüten, hier moralische Kriterien einzuführen – auf dieses Glatteis will Nietzsche den Leser ja gerade führen, um ihn zu testen. Leben ist wesentlich Aneignung, Überwältigung, Zurechtmachung (z.B. JGB 259, KSA 5, S. 207f) – wer versuchte, es nach Maßgabe der Philologie auszugestalten, ist bereits auf dem Weg in den Nihilismus. Philologie als Wissenschaft, die mehr sein will als Instrument des freien Geistes, steht deshalb wie die Skepsis schnell unter demselben Dekadenzverdacht wie das asketische Ideal, unter das sie dann subsumiert wird (dessen Darstellung in GM III nimmt viele Motive von Nietzsches früher Kritik am Berufsstand des Philologen wieder auf). Philologie ist nur dann selbst schaffend (statt lediglich bewahrend-epigonal), wenn sie sich als Kontrollinstanz begreift, die das Leben bekämpft, damit es aus seiner Behauptung gegen die zersetzende Kritik umso gestärkter wieder hervorgeht. Das agonale Denken des Dionysischen und Apolli-

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nischen findet sich in neuer Konfiguration wieder als letztbestimmte Einheit von Philosophie und Philologie. Darüber weiter nachzudenken ist das Gebot der Stunde.

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Nietzsche and Historiography In the field of historiography, to fail to contextualize the phenomenon under investigation is to fail to have adequately described it. Historical phenomena – events and the agents involved in them – do not spring spontaneously into the world, any more than do people. They have pasts of which they are a result, necessary and sufficient conditions that foist them onto the world stage and into the spotlight of inquiry. On the other side of the moment, events have futures. Events lay foundations; they bring about; they lead to what comes next. The past flows into them as much as they flow into the future. The occurrence of an event is not isolatable as such anywhere other than in the mind of the historian when he or she abstracts from the event’s natural situatedness an imagined, context-less singularity. Events must be understood, in both directions, historically. The event of Nietzsche’s thinking is no different. Its natural context involves those influences which shaped it and its impact on what would follow. As such the present collection’s contextualization of Nietzsche’s thinking is entirely necessary for understanding it at all. My own contribution provides an overview of the context of the development and influence of Nietzsche’s historiography.

1. Schulpforta The history of Nietzsche’s historiographical development begins in earnest when he enters Schulpforta at the age of fourteen in 1858.1 The venerable institution, which had already held its four hundredth anniversary and counted among its alumni Klopstock, Fichte, and the father of German historiography Leopold von Ranke, was long the standard of humane education in Germany. During Nietzsche’s time there, the character of the school mirrored that of its most venerable literary scholar and historian Karl August Koberstein.2 Embracing those same two disciplines himself, Nietzsche’s

1 For a detailed account of Nietzsche’s reading of historical and historiographical books, see Orsucci 1996, pp. 371–381, Campioni et al. 2003, and Brobjer 2004, pp. 185–236. My own (non-exhaustive) footnotes about Nietzsche’s reading are drawn from these sources. Works listed will be arranged roughly in accord with the chronology presented by Brobjer, except when they are relevant to a particular figure, such as Hartmann, or theme, such as teleology. Books whose influence oversteps the bounds of a single period will only be mentioned in their earliest use. Among titles from the Schulpforta years that we can prove Nietzsche read are selections from Cicero’s Epistolae, Voltaire’s Historie de Charles XII (1731), Herder’s Der Cid (1803–1804), and Feuerbach’s Das Wesen des Christenthums (1841). 2 The titles of Koberstein’s scholarly books illustrate the multi-faceted character of historical studies at Schulpforta. See his Ueber das wahrscheinliche Alter und die Bedeutung des Gedichts vom Wartburg-

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first extensive historiographical project covered the saga of the fourth century Ostrogoth King Ermanarich (KGW I/2, pp. 274–284).3 Even then Nietzsche tried his hand at various historiographic expressions on the theme. In 1861, he wrote a symphonic poem entitled Serbia (BAW 2, pp. 32–37). The year following, he presented to his friends Wilhelm Pinder and Gustav Krug three additional “Hungarian Sketches” in imitation of Liszt, whose daughter Cosima was to become Cosima von Bülow and then Cosima Wagner. In the fall of that year, Nietzsche outlined the composition of a dramatic production entitled Ermanarich (BAW 2, pp. 144–54). And as late as the summer of 1865, he was considering the performance of an Ermanarich, Oper in drei Akten (BAW 3, pp. 123f). “Scholarship, art, and philosophy,” were indeed “growing together inside me to such an extent that one day I’m bound to give birth to centaurs” (letter to Rohde, 15.01.1870, KSB II/1, Bf. 58). Schulpforta offered this centaur a wide field to run, but one nonetheless fenced in by her demand for careful philological method. A brief examination of Nietzsche’s earliest scholarship will illustrate the meta-historical principles that guide his philology and enable us to circumscribe its proper context. Nietzsche’s problem, foremost, is one of conflicting historical sources. Ermanarich, king of Oium in the early 300’s, had been confused over time with various old tribal kings of gothic Germany, like Hermenrich and Emelrich, and the old Danish tribal leader Jarmarich of whom Saxo Grammaticus spoke (BAW 2, p. 306). He is named Eormenric in the English epic Beowulf and Jörmunrekkr in old Norse songs. His story had been manipulated most egregiously by the chroniclers of the Anglosaxons who sought to associate the notoriously cruel and rapacious traits of Attila the Hun with all of their Eastern foes. To disentangle the story of Ermanarich, Nietzsche first had to straighten out the sources of Jordanes, a scribe of the sixth century. According to his book, the Getica (522), at the time of the invasion of the Huns, Ermanarich was betrayed by one of his own tribes, the Rosoman. The name of that tribe, however, derives from a convoluted genealogy within the Getica, which was discoverd to have been based on an original chronicle by Kassiodorus: other names in other tales include Rosomonorum, Roxolanorum, Rasomonorum, and Rosomorum (BAW 2, p. 308). From the Rosomans, the name of which Nietzsche suspects might have been Jordanes’ construct, Ermanarich had chosen to be his bride Suanahild – otherwise known in Kassiodorus’ source text as Sonilda, Sunihil, Sanielh, and finally – but most recognizably to a young amateur of Wagner – Swanhilde. But upon discovering her infidelity, according to Jordanes, Ermanarich let her be killed in the most gruesome fashion: quartering by wild horses. Thereafter Sarus and Ammius, leaders of the Rosomans and brothers of Suanahild,

krieg (1823), Grundriss der Geschichte der deutschen National-Literatur (1827), and Vermischte Aufsätze zur Literaturgeschichte und Äesthetik (1858). 3 For the complete biographical details surrounding his work, see Janz 1978, I, pp. 94–96, and Cate 2002, pp. 28–33.

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sought their revenge against the king. Attacking together, they injured the powerful Ermanarich, but could not kill him. The Huns, knowing meanwhile their enemy to be wounded and with his kingdom in disarray, seized the opportunity to invade. Unable to bear the emotional wound of Suanahild’s infidelity, the mutiny of his own people, and sensing the impending Hun conquest, Ermanrich was said to have committed suicide at the ripe old age of one hundred and ten (BAW 2, p. 308). Apart from the improbable attribution of such longevity, Jordanes’ history still burdens Ermanarich with two seemingly inconsistent characteristics. Why would the otherwise benevolent king have chosen so brutal a death for his wife and why would so adept a military strategist have failed even to attempt a defense against the invaders? Nietzsche’s answer: It was the hatred or jealousy of later historians – like Jordanes – that made Ermanarich look simultaneously pathetic and cruel. Suanahild had not actually been Ermanarich’s wife, Nietzsche claims, but the wife of one of his advisors who had betrayed his king by defecting to the invading Huns. To avenge his anger, Ermanarich demanded that the traitor’s wife be captured and torn apart by horses – a punishment, Nietzsche remarks, that was traditionally reserved for treason rather than infidelity. Suanahild’s brothers had then avenged their sister’s murder by killing the aged King Ermanarich. This leads Nietzsche to conclude that Ermanarich had in fact not opted for suicide, but was killed in cold blood without the chance to defend his people. Whoever Ermanarich actually was, and whatever the factual details of his life and death were, is likely unrecoverable given the discontinuity of the extant historical evidence. But Nietzsche never rested at the level of philological skepticism. In this, as in his published articles on Theognis and Diogenes Laertius, he constructed a speculative character portrait intended to fill in the missing pieces of the historical story. Such a two-phase meta-historical standpoint – skeptical realism about the historical sources combined with a psychological constructivism – was evidently praised by the instructors at Schulpforta. As Nietzsche’s close friend Carl von Gersdorff would later recall, “[Koberstein] was pleased in the highest and full of praise for the erudition, the perspicacity, the deductive character and stylistic elegance of his student” (Janz 1993, p. 96). Presuming that such a positively evaluated paper implies tacit approval of its methodologies by his teachers, one can begin to outline the context of Nietzsche’s historiographical education in contradistinction to other reigning views in the 1850’s and 60’s. Then, the meta-historical theory simultaneously most infamous among philosophers and most tendentious among historians was doubtless that put forward by the Hegelian, whose relationship to the mature Nietzsche I will discuss in my fourth section. For now, it is apparent that Nietzsche’s Ermanarich project – or for that matter any of his published philology – does not bear even the slightest resemblance to a teleological account, whether idealist or materialist. Ermanarich is not some moment in the march of history, nor some typological phenomenon characteristic of an epoch. Indeed, the conservative religious and constitutionalist leanings of Schul-

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pforta would hardly have been conducive to the Hegelian-Marxist way of thinking. Moreover, in contrast to Enlightenment historiographers like Voltaire or Gibbon, the young Nietzsche never valorizes his historical figures to make them stand as moral exemplars for our own edification in humanistic ideals. None of the personalities he constructs are enlightened models of rational clarity; each evokes much darker and more earthly psychological compulsions. Nietzsche’s early philological scholarship is in this way more reminiscent of romantic historiography, a likely mark of Koberstein’s influence. Along with Carlyle, Michelet, Schiller, Goethe, and Macaulay, the young Nietzsche conceived the constructive task of the historian as that of a dramaturge who imbues his characters with personality in order to re-enliven formerly lifeless aspects of the past.

2. Bonn and Leipzig Friedrich August Wolf is typically considered the father of German philology.4 Wolf provided the study of antiquity, more than a generation before Ranke did for historiography generally, its first systematic set of methods and its first aspiration to achieve the same sort of demonstrable progress and rigor as the natural sciences. His Prolegomena zu Homer (1795) was the starting point for Nietzsche’s own studies thereon. Counted as romanticizing contemporaries of Wolf in the German speaking world were Wilhelm von Humboldt, Goethe, Schiller, and the Schlegel brothers, August Wilhelm and Friedrich. Of the five, Humboldt concentrated his efforts on reforming the German educational system, and accomplished this to a significant degree from his post as the educational secretary of the Prussian Home Office and in his influence upon the newly founded University of Berlin. For Humboldt, the classical is seen as an ideal principally for moral emulation, and should occupy a central place in the national education. As a student at Leipzig, Goethe’s favorite author was Homer, and he would become Werther’s as well. His dramatic works such as Iphigenie auf Tauris (1787), Egmont (1788), and Torquato Tasso (1789), exemplify his engagement with Winckelman during the Italienische Reise, though he himself grew critical of Winckelmann’s conclusions after reading Wolf. Schiller’s poetry reflects its author’s deep affinity for ancient literature, culture, and philosophy; his conception of antiquity is imbued with a constant eye toward a comparison with the spiritual paucity of modernity. In his Über naive und sentimentalische Dichtung (1796–1797), a work that influenced Nietzsche’s own work on tragedy, Schiller portrays Greek culture as the very paradigm that must advance humanity itself, in sharp distinction to the self-alienating culture of his contemporary Germany. And Schiller’s call for the humane holism in the historical

4 Nietzsche often expresses praise for Wolf. See for example, NL 1875, KSA 8, 3[2]. He also owned Wolf’s Vorlesung über die Encyklopädie der Alterthumswissenschaft, 2 vols. (1831).

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sciences throughout his Was heisst und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (1789) would be echoed in Nietzsche’s various critiques of the „Brotgelehrte“ (a favorite derisive of Schiller and later Schopenhauer), those for whom science is merely a job with no meaningful connection to their life. As for the Schlegel brothers, a predominant theme in August Wilhelm’s Über dramatische Kunst und Literatur (1808) and in Friedrich’s Vom Wert des Studiums der Griechen und Römer (1795–1796) is the revision of the German notion of self-cultivation along the lines of the ancient models; through the study of antiquity, we acquire an apprehension of the concepts “noble”, “good”, and “beautiful”, through which we accordingly constitute the humane structure of our lives. Their faith in humanistic education figures strongly in Nietzsche’s Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten (1872). A common thread that unites the romantic historiographers, a point in marked contrast to Wolf’s methodology, is a characteristic disdain for source criticism, for codices, and for linguistic analysis, in preference to an exposition of the classical world according to their own educational, artistic, and cultural aims. They were not professional researchers: they did not utilize archival material; they did not cite their original sources even on the occasions they bothered to use them; their reconstructions were not “falsifiable”, to use a more recent term, and insofar could not be considered “knowledge”, much less authoritative accounts of what actually took place in the past. However lovely their depictions of the past, as R.G. Collingwood would later judge, the romantics use a kind of “cut and paste” approach to historiography, borrowing from other sources only what fit the character they selected to construct, and ignoring whatever was extraneous to their narrative (Collingwood 1946, pp. 257ff). They were not, in a word, scientists of the past. Nor, however, did they wish to be, since their goal was never pure knowledge but an enlivening of the human spirit. Rejecting fervently the romantics, professional philologists entrenched themselves in what they considered the “scientific” methodologies of Wolf. Gottfried Hermann and August Boeckh founded two groups of scholars with antipodal methodologies, the Sprachphilologen and the Sachphilologen respectively.5 For the former, the scientific status of philology entailed both certainty and objectivity, which in turn meant avoiding as much as possible the intrusion of subjective interpretations of evidence. To do that, the Sprachphilologen narrowed their net of acceptable evidence to that which allegedly needed no interpretation, to that form of evidence whose meaning would allegedly be manifest to whomever could observe it: the written word. The Sachphilologen, on the contrary, considered science as a means of circumscribing the whole of experience. That whole, with respect to antiquity, could be elucidated in part through

5 Nietzsche speaks of this pair in his lecture notes “Encyclopaedia of Classical Philology and Introduction to the Study of the Same”, which were delivered between 1871–1875. The only book of either of them which still stands in his library is Boeckh’s Commentatio Platonica (1809), which Nietzsche only bought in 1875. As these were the two most important German philologists other than Wolf, their influence is probably greater than can be proven with archival analysis.

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written accounts, to be sure, but only in part. What counted equally as evidence were the artifacts of antiquity: the plastic arts, the architecture, the coinage, even the clothing, athletics, tools, and playthings. None of these phenomena speaks for itself in the way the written word does. Each requires something of the historian to reconstruct what their meaning might have been – each historical phenomenon, in other words, is meaningful only within a scheme of hermeneutical interpretation. Something of the objectivity and exactitude is lost therein; but the sacrifice is repaid by attaining a more comprehensive sense of antiquity through the totality of its artifacts. The overwhelming portion of training Nietzsche received in the methods of professional historiography was philological.6 But in place of a single unitary lesson, Nietzsche found himself immersed directly in a debate about the meaning of the field itself during his education at both Bonn and Leipzig. His teacher Friedrich Ritschl was the student of Hermann and of Hermann’s student Karl Christian Reisig.7 Otto Jahn, like Nietzsche a Schulpforta graduate, went on to study with Hermann in Leipzig and Lachmann in Berlin.8 But Jahn was also student of Boeckh at Berlin, and was considered alongside his friend Theodor Mommsen, one of the defenders of Sachphilologie. Ritschl’s pedagogy mimicked Wolf’s in its holistic approach to shaping not just scholars but men. Yet in his scholarship, he was clearly an adherent of the rigor and discipline of Hermann’s Sprachphilologie. Almost entirely unimpressed by archeology, his life’s work was devoted to creating a standard edition of the works of Plautus, in which he chronicled every emendation, every subtlety in voice and phrasing, every source of Plautus, all for the sake of affixing the text, the true words of Plautus such that generations of scholars could step with confidence upon this one solid rung on their way up the ladder of Wissenschaft. Jahn was equally scientific in terms of rigor. But in keeping with Sachphilologie, he ventured beyond the written word and sought wholeness. Jahn undertook a critical

6 Apart from the wealth of classical texts and philological scholarship that Nietzsche read during his time at Bonn and Leipzig, he would have also come across reflections on historiography from works like Diogenes Laertius’ Lives, Lessing’s Laokoon: Oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766), Christoph Meiners’ Geschichte des Ursprungs, Fortgangs und Verfalls der Wissenschaften in Griechenland und Rom (1781), Ralph Waldo Emerson’s Versuche (1841–1844), Georg Grote’s Geschichte Griechenlands (1851), F.W.A. Mullach’s Fragmentum Philosophorum Graecorum (1861–1867), Strauss’s Das Leben Jesu (1835) and Die Halben und die Ganzen (1865), F.A. Lange’s Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung für die Gegenwart (1866), and Friedrich Ueberweg’sGrundriss der Geschichte der Philosophie von Thales bis auf die Gegenwart (1866f). 7 As with Hermann and Boeckh, Ritschl’s influence is greater than Nietzsche’s library records can suggest. Nevertheless, he owned the first volume of Ritschl’s Kleine philologische Schriften (1866), his Zur Geschichte des lateinischen Alphabets (1869), and his Canticum und Diversium bei Plautus (1871). 8 After the start of Nietzsche’s friendship with Wagner, his reading of Jahn is entirely hostile. Despite this, Jahn remained a source for Nietzsche’s Encyclopedie. See Cancik and Cancik-Lindemaier 1999, p. 14.

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engagement of Goethe’s Iphigenia auf Tauris (1843) and wrote a still-standard biography of Mozart (1856–1859) wherein he pioneered the application of the methodological principles of philology to the production of critical editions of musical arrangements. Invited to catalog the vase collection of King Ludwig I, his meticulously critical systematization of ancient iconography properly contextualized what had been unsystematic classifications of images (Jahn 1854). Jahn made major historiographical headway in epigraphy, numismatics, cultural and religious history, and in the study of the ancient novel. Perhaps his most influential endeavor, however, was his use of rigorous philological technique in the area of archeology. In the school year of 1864–5, the same year that Nietzsche entered Bonn, Ritschl and Jahn engaged in a petty yet field-altering squabble that came to be known as the Bonner Philologenstreit. Although Nietzsche took Jahn’s side in the matter – as he wrote to Gersdorff, “Here in Bonn the biggest flap, the worst cattiness about the JahnRitschlstreit still dominates. I consider Jahn unconditionally right” (letter to Gersdorff, 25.05.1865, KSB I/2, Bf. 467) – he nevertheless had no palpable interest in Jahn’s archeological, artistic, or numismatical studies. His philological articles in those years on Theognis and Diogenes Laertius show a methodological allegiance to Ritschl’s Sprachphilologie, and retain the basic strategy of his earlier effort on Ermanarich in that they rely both on a skeptical realism about the authenticity of the texts and the construction of a Charakterbild in order to supply the psychological motivations for the agents’ behaviors in the historical stories. Both of Nietzsche’s projects were lauded by Ritschl, who now taught at Leipzig, and indeed both were published in his venerable Rheinisches Museum für Philologie. On their merits, Nietzsche famously graduated from Leipzig without a formal dissertation and was given appointment as a replacement for another of Ritschl’s students, Adolf Kiessling.

3. Basel In 1869, Nietzsche presented the lecture “Homer und die klassische Philologie” (KGW II/1, pp. 247–269), full of hope for the potential of a renewed and invigorated field.9 Toward the end of the lecture, however, he declares that it must be accom-

9 Among Nietzsche’s reading in history and historiography at this time were Montaigne’s Versuche (1753–1754), A.W. Schlegel’s Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur (1809–1811), E. Müller’s Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten (1834–1837), Friedrich Schiller’s Sämtliche Werke (1844), Susemihl’s Die genetische Entwicklung der Platonischen Philosophie (1855–1860), E. Roth’s Geschichte unserer abendländischen Philosophie (1858), Lichtenberg’s Vermischte Schriften (1867), G.H. Lewes’ Geschichte der Philosophie von Thales bis Comte (1871), J.W. Draper’s Geschichte der geistigen Entwicklung Europas (1871) and his Geschichte der Conflicte zwischen Religion und Wissenschaft (1875), Spencer’s Einleitung in das Studium der Sociologie (1875), and Renan’s Philosophische Dialoge und Fragmente (1877). For Nietzsche’s sources of the Birth of Tragedy, see Brobjer 2005, pp. 278–99.

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plished by recognizing a new philosophical basis, that “each and every philological activity should be enclosed by and proceed from a philosophical worldview” (KGW II/ 1, p. 268). The reference is clearly to Schopenhauer, whom he had begun to read in the autumn of 1865 and of whose thought he had adopted the rough outline. His circle of associates did not only that, but also, like Nietzsche, sought to combine Schopenhauer’s teaching with historiography. His childhood friend Paul Deussen studied oriental history and culture with Swami Vivekananda – and would found the SchopenhauerGesellschaft in 1911.10 Richard Wagner, who fancied himself at times the reviver of the “true” historical Germanic culture, sent a personal copy of his Nibelungen directly to Schopenhauer, and often claimed to have based his opera on his aesthetics.11 Erwin Rohde, himself the author of what remains one of the finest scholarly books on Ancient mystery cults and “Dionysian” culture, Psyche: Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (1890–1894), was a lifelong Schopenhauerian.12 Johann Jacob Bachofen’s psychology of the dark anti-rational undercurrents of ancient history in his Das Mutterrecht (1861) and his critique of scientific “objectivity” both intimate Schopenhauerian influence. And although he is sometimes thought to be anti-philosophical, Jacob Burckhardt was an overt Schopenhauerian – as well as the most renowned cultural historian of his generation.13 Nietzsche and Burckhardt had similar upbringings insofar as their introductions to the critical methods of philology extinguished the flame of their devotion to Christianity. Like Burckhardt, too, Nietzsche came to view the obsessive source criticism of Sprachphilologie as a necessary correction of romantic historiography, but also as a potentially detrimental step in the development of an individual scholar and, eventually, in the development of culture. The concern for both at this time is not to report the past with an unattainable degree of objectivity, “wie es eigentlich gewesen ist,” as Burckhardt’s teacher Leopold von Ranke demanded.14 Rather, “a single source 10 Nietzsche owned his dissertation on Plato’s Sophist (1869), his Die Elemente der Metaphysik (1877), his anonymously published Zur Erinnerung an Georg von Kanschin (1880), Das System des Vedânta (1883), and Die Sûtra’s des Vedânta (1887). 11 In addition to his collection of Wagner’s musical scores, Nietzsche owned Wagner’s Gesammelte Schriften und Dichtungen (1873), which contain miscellaneous exhortations about the “right” way to view the past. 12 Besides the documents surrounding Rohde’s exchange with Wilamowitz, Nietzsche owned Rohde’s Ueber Lucians Schrift ΛΟΥΚΙΟΣ Η ΟΝΟΣ und ihr Verhaeltniss zu Lucius von Patrae und den Metamorphosen des Apulejus (1869), his Unedirte Lucianscholien (1870), De Julii Pollucis (1870), Die Quellen des Jamblicus in seiner Biographie des Pythagoras (1871), Der griechische Roman und seine Vorläufer (1876), and his Die asianische Rhetorik und die zweite Sophistik (1886). 13 Nietzsche attended some of Burckhardt’s lectures at Basel, which were subsequently published as Burckhardt’s Griechische Kulturgeschichte (1878), which Nietzsche owned. He also owned Burckhardt’s Der Cicerone, 3 vols. (1869), and his Die Cultur der Renaissance in Italien (1869). 14 Nietzsche’s reception of Ranke is mixed between praise for his objectivity (see UM I 3, KSA 1, p. 174) and derision for his naivety about the “facts” of history (see GM III 19, KSA 5, p. 387). In this respect, he is sometimes considered together with the other great historians of the “Berliner school”, Theodor

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happily chosen can” for Burckhardt, “do duty for a whole multitude of possible other sources, since he who is really determined to learn, that is, to become rich in spirit, can by a simple unction of his mind, discern and feel the general in the particular” (Burckhardt 1930–1934, VII, p. 15). Burckhardt sought to intuit that which was constant, universal, and typical from the welter of particular passing instances. Like Schopenhauer, who himself – despite a massive historical erudition and a cordial acquaintance with Wolf – had almost nothing positive to say about historiography, Burckhardt believed that only the timeless and universal could rise to the level of truth, hence his and Nietzsche’s focus on Kulturgeschichte rather than the passing intrigues of political history.15 And like Nietzsche (at least in these years), but in contradistinction to Schopenhauer, Burckhardt believed that the proper study of history could reveal precisely that: typological traits within people, forms of personalities, and characteristics of epochs. As Burckhardt writes, “Our point of departure is the one and the only thing which lasts in history and is its only possible center: man, this suffering, striving and active being, as he is and was and will forever be” (Burckhardt 1930–1934, VII, p. 3). And as Nietzsche echoes in his preface to his Philosophy in the Tragic Age of the Greeks (1873), “I am going to emphasize only that point of each of their systems which constitutes a piece of character and hence belongs to that noncontrovertible, non-discussable evidence which it is the task of history to preserve: […]” (PHG, KSA 1, pp. 801f). For both Burckhardt and Nietzsche what was most worthy of being taken up by history was never the common or mundane person, but the “great man”. For Burckhardt this mainly meant the leading figures of Renaissance Italy, while for Nietzsche, Pre-Socratic Greeks appeared like giants calling to each other in the spirit of competition from atop high mountain peaks. Each thereby recalled Carlyle’s bon mot, “the History of the World… [i]s the Biography of Great Men” (Carlyle 1844, p. 17).16

Mommsen and Barthold Georg Niebuhr. Nietzsche owned Ranke’s Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert (1856). 15 Besides Burckhardt and Bachofen’s cultural studies, some of Nietzsche’s sources on European cultural history include J.W. Draper Geschichte der geistigen Entwickelung Europas (1871), E.B. Tylor’s Die Anfänge der Cultur (1873), W. Mannhardt’s Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme (1875), F.A.H.v. Hellwald’s Culturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart (1876– 1877) and his Die Erde und ihre Völker (1877–1878), J. Lubbock’s Die Entstehung der Civilisation und der Urzustand des Menschengeschlechtes (1875), J. Janssen’s Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters (1879), Perhaps the most important source for Nietzsche’s reading of cultural history was W.E.H. Lecky, whoseGeschichte des Ursprungs und Einflusses der Aufkärung in Europa (1873), Sittengeschichte Europas von Augustus bis auf Karl den Grossen (1879), and Entstehungsgeschichte und Charakteristik des Methodismus (1880) he owned. 16 Nietzsche would object pointedly to Carlyle’s conception of the genius after his departure from Basel, repeatedly labeling him a ‘scatterbrain’ or Wirrkopf. See M, KSA 3, p. 298; FW, KSA 3, p. 97; JGB, KSA 5, p. 252. Brobjer is skeptical whether Nietzsche ever read Carlyle directly, noting that Nietzsche suggests only that he has read a biography of him. See Brobjer 2008, p. 236.

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However true to the philosophy of Schopenhauer Burckhardt styled himself, his conception of the historian’s ability to intuit common formal patterns within the myriad variegations of historical personages was closer to Goethe’s morphology than to Schopenhauer’s ästhetische Anschauung (Gay 1974, pp. 178f). For Goethe, the close observation of the biological development of organic objects, as much as the composition of the dramatic development of a literary character, would reveal Urphänomene or the primary forms of the phenomenon which guided their development. In his dramatic works, Goethe sought to portray the Steigerung of typological characters like Werther, Tasso, or Goetz, whose development over time is not the alteration or transformation of character but its intensification over time. Burckhardt thought the historian’s task was similar insofar as the careful study of historical documents would reveal typological traits among great people, the course of whose development only intensified what was necessarily there from the start. For Schopenhauer, by contrast, aesthetic intuition was never about discovering typical recurrences in history or a developmental intensification, but gazing beyond the “veil of Maya” in a partial diremption from the spatio-temporal forms of subjective willing. Aesthetic intuition for Schopenhauer was a non-intellectual and thus nondiscursive Auffassung of the Ideas which constitute the first objectification of the one panenthetic Will. Aesthetic apprehension can only occur when these instrumental satisfactions in the here and now have been removed entirely, when the will of the spectator is silenced. In contrast to art, historiography was merely like science insofar as it ever only studied its objects subjectively, that is, insofar as they might satisfy the demands of the individuated will (Schopenhauer 1977, X/2, pp. 459f). Just as the sciences study their objects in order to use them, benefit from them, or solve problems with them, historians only research the topics they do with an eye toward explaining what was previously unknown, solving mysteries, or perhaps toward finding insights to contemporary problems. And precisely because of the subjective and necessarily temporal judgments of history, Schopenhauer, in opposition to both Burckhardt and Nietzsche at this time, esteemed history insufficient to attain the “deep truths” of the world in the manner of great art. “Wherever it is a question of knowledge of cause and effect or of grounds and consequences of any kind,” writes Schopenhauer, “that is to say in all branches of natural science and mathematics, as also in history, or with inventions, etc., the knowledge sought must be an aim of the will” (Schopenhauer 1977, X/2, pp. 459f). Burckhardt and Nietzsche both thought that history failed to attain the level of science, but for different reasons. Unlike science, history is unable to construct laws by which the historian might predict future cases, and, more importantly, should not try to be scientific since its proper aim was not understanding but creating values. But although Burckhardt had nothing to do with the mystical elements of Schopenhauer’s thought, his younger Basel colleague was less concerned with scholarly restraint. To Burckhardt’s and Ritschl’s consternation, Nietzsche tried to co-opt the Schopenhauerian aesthetic-metaphysical mysticism in his first “historical” work, The Birth

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of Tragedy (1872). “But our Nietzsche!” Ritschl would write to Wilhelm Vischer, the man who a few years before hired Nietzsche at Basel, It’s remarkable how in one person two souls live next to each other. On the one side, the strictest method of academic scientific research…on the other this fantastically-overreaching, over enthusiastic, beat-you-senseless, Wagnerian-Schopenhauerian art-mystery-religion-crap [Kunstmysterienreligionsschwärmerei]! […] What really makes me mad is his impiety against his true mother, who had suckled him at her breast: philology (KSA 15, pp. 46f).

The justification for Nietzsche’s claims about the “inner” or “real” nature of tragedy was never intended to have utilized the same methodology as his earlier philology, no longer aiming at a correspondence between the account and what the evidence portrays to be real, as Ritschl sensed easily enough. In claiming that the real origin of tragedy is a happy confluence of Dionysian and Apolline drives at a particular moment in history, we have instead an intuitional claim that transgresses the boundaries of naturalistic explanation. Nietzsche, as Jahn’s student Ulrich von WilamowitzMoellendorff famously charged, shunned source criticism, neglected linguistic analysis, couldn’t be bothered to footnote, was generally ignorant of archeology, and revile[d] the historical-critical method, denouncing any intuition which deviates from his own, and [ascribed] a “complete misunderstanding of the study of antiquity” to the age in which philology in Germany, due to Gottfried Hermann and Karl Lachmann was raised to an unprecedented height (Wilamowitz-Moellendorff 2000 [1872], p. 5).

Beyond traditional historical versions of intuition in the manner of Herder or Burckhardt, Nietzsche’s believes his own intuitions about tragedy are true precisely insofar as he has left the phenomenal realm behind and become identified with the inner nature of the tragic world in-itself. Through a sort of mystical echo of the ancient standard of truth as identity between the subject and object, the principle that “like is known by like,” Nietzsche thinks he can communicate the real inner Idea of tragedy. Only insofar as the genius, during the act of artistic procreation, merges fully with that original artist of the world does he know anything of the eternal essence of art; for in this condition he resembles, miraculously, that uncanny image of fairy-tale which can turn its eyes around and look at itself; now he is at one and the same time subject and object, simultaneously poet, actor, and spectator (BT 5, KSA 1, pp. 47f. See also, KGW III/4, pp. 25–6).

Like Wagner, who in his own aesthetic ecstasy was claimed by Nietzsche to have attained a “sort of omniscience [Allwissenheit] …as if the visual power of his eyes hovered not only upon surfaces, but ‘ins Innere’” (BT 22, KSA 1, p. 140), Nietzsche believed himself to inhabit the sort of aesthetic state of Schopenhauer’s genius. “I had discovered the only historical simile and facsimile of my own innermost experience, – and this led me to apprehend the amazing phenomenon of the Dionysian…” (EH Books BT 2, KSA 6, p. 311). Another retrospective evaluation claims the work was, “Constructed entirely from precocious, wet-behind-the-ears personal experiences, all

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of which lay at the very threshold of what could be communicated.” And this apparently because the work was not scientific-philology but was, “located in the territory of art […] perhaps a book for artists with some subsidiary capacity for analysis and retrospection (in other words, for an exceptional type of artist […]), full of psychological innovations and artist-mysteries, with an artist’s metaphysics in the background…” (BT Attempt 2, KSA 1, p. 13).

4. Physiognomy and Teleology Almost immediately after the Birth of Tragedy, Nietzsche rescinded his artistic-mystical view about the historian’s ability to intuit the real Ideas, in Schopenhauer’s technical sense, of the nature of tragedy beyond the mediated observation of the past through historical evidence. “For the readers of my earlier writings I wish to expressly clarify that I have abandoned the metaphysical-artistic views that fundamentally govern them” (NL 1876–1877, 23[159], KSA 8, p. 463). Indeed, his increasingly skeptical attitude toward the mystical aspect of Schopenhauer’s philosophy led Nietzsche to revise major aspects of his own thought. In 1874’s Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, Nietzsche presents three “types” of historian: the critical, antiquarian, and monumental. None of these “merges with the original artist of the world”; none becomes the “subject and object” of their historical study. Instead, each type of historian represents the past according to the rules of an inner necessity, exaggerating or downplaying certain aspects of the past in order to tear down idols, preserve them, or build them up. Each type of historian and their accordant way of representing the past has its advantages and disadvantages for themselves and for the cultures in which they live, but none is able to represent the past as it “really” was since into each of their judgments intrudes their psychologically-determined desires and interests. If it is, as Nietzsche begins to think, that all judgments are constituted by unconscious psychological dynamics, then the “subject-free” ideal of objectivity will be in vain. Certainly, the Schopenhauerian aesthetic escape from individual subjectivity will be impossible; but so will the Rankean “disinterested” vision of scientific objectivity. The best we can hope for our historians, Nietzsche thinks, is that the subjective facticities that distort their judgments would be in some sense “healthy”, or at least healthier than those judgments that infect modern schoolbooks. Only the strong have the right sort of subjective dynamics that would enable a healthy interpretation of historical events. If you are to venture to interpret the past you can do so only out of the fullest exertion of the vigour of the present: only when you put forth your noblest qualities in all their strength will you divine what is worth knowing and preserving in the past. Like to like! Otherwise, you will draw the past down to you. Do not believe historiography that does not spring from the head of the rarest minds… (HL 6, KSA 1, pp. 293f).

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By looking at the psychological conditions within which historians construct their accounts, Nietzsche effectively focuses the “historical sense” – “the capacity for quickly guessing the order of rank of the valuations according to which a people, a society, a human being has lived” (BGE 224, KSA 5, p. 157) – on the historians themselves. “History belongs above all to the active and powerful man,” Nietzsche tells us – like Schiller or Goethe who view the past as a model for inspiration, not merely to imitate, but as an “incentive to do as others have done and do it better” (HL 2, KSA 1, p. 259). Among those with highly-ranked drives we find Burckhardt (see among many examples, NL 1875, KSA 8, 5[58]), Thucydides (e.g., TI Ancients 2, KSA 6, pp. 155f),17 Hekataeus (KGW II/5, pp. 229f), Tacitus (NL 1885, KSA 11, 43[3]),18 Hippolyte Taine (JGB 254, KSA 5, p. 198),19 and Ritschl (EH clever 9, KSA 6, p. 295). Among those badly ranked are Karl Lachmann (NL 1875, KSA 8, 3[36]), the historian of ancient philosophy Eduard Zeller (KGB II/1, p. 124),20 and Overbeck’s confidant Heinrich von Treitschke (EH Wagner 3, KSA 6, p. 361). Relegated to a secondary consideration is whether these historians’ “facts” are accurate; what is time and again foregrounded is the order of rank of the values and drives according to which their historiographical accounts are constructed. The same is true of Nietzsche’s evaluation of teleological historiography.21 Although David Friedrich Strauss (see the entirety of DS) and Hegel (NL 1875, KSA 8, 5[58]) are also targets, much of what Nietzsche says in the latter chapters of Nutzen und Nachteil about teleological historiography is directed against Eduard von Hartmann.22 Hartmann’s philosophical history of consciousness was largely a synthesis

17 Of the works of Thucydides, Nietzsche owned K.W. Krüger’s 1858 edition and Adolf Wahrmund’s multi-volume translation of the Geschichte des Peloponneischen Kriegs (1863). 18 Nietzsche owned Friedrich Haase’s 1855 edition of Tacitus’ Opera, in addition to Karl Nipperdey’s (1857) commentary and a German collection translated by Carl Friedrich Bahrdt (1781). 19 Of Taine’s writing, Nietzsche owned Philosophie der Kunst (1866), Die Entstehung des modernen Frankreich (1877), and Geschichte der englischen Literatur (1878). 20 Nietzsche owned the first volume of his Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1869). 21 Among books that served as source material for his thoughts about teleology are Hartmann’s Philosophie des Unbewußten (1869), Afrikan Spir, Forschung nach der Gewissheit in der Erkenntnis der Wirklichkeit (1869), Otto Liebmann’s Über subjective, objective und absolute Zeit (1871–1872), Zöllner’s Über die Natur der Kometen: Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntnis (1872), and Strauss’s Der alte und der neue Glaube (1972). Eugen Dührung was also an essential source; Nietzsche owned his Der Werth des Lebens: Eine philosophische Betrachtung (1865), Natürliche Dialektik (1865), Kritische Geschichte der allgemeinen Prinzipien der Mechanik (1873), Cursus der Philosophie als streng wissenschaftlichen Weltanschauung und Lebensgestaltung (1875), and his Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus (1875). 22 See also NL 1884, KSA 11, 26[326]; NL 1887–1888, KSA 13, 11[61]. Although an important source for Nietzsche’s knowledge of teleological philosophy, pessimism, and the philosophy of history generally, Nietzsche’s reception of Hartmann is overwhelmingly hostile. Still, he continued to buy Hartmann’s books throughout his career. At various times, Nietzsche possessed Hartmann’s: Ueber die dialektische

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of Schopenhauer’s depiction of the blind world will and Hegel’s teleological unfolding of both mind and the rational course of history itself (Hartmann 1923, I, p. 329).23 Spiritual and moral progress are guaranteed by what Hartmann calls the Divine Will, whose ideas are instantiated first within the unconscious desires and drives of early peoples and then in an ever-increasing degree of conscious reflection within civilized nations. The aims of the Divine Will are accomplished, consciously or otherwise, regardless of whatever individuals would like to make of their futures. Hartmann and the sort of Hegelian teleological historicism he represents have, of course, gone out of fashion. It would be rather absurd in today’s more naturalistic historiographical climate to try to prove that a particular decision by a particular agent was the effect of the Divine Will’s cosmic plan. But the focus of Nietzsche’s critique lies elsewhere. In keeping with his view that judgments are necessarily a function of the psychological fundament of their authors, Nietzsche targets the underlying motivations that would lead Hartmann, and for that matter Hegel, to interpret the historical world as teleological in the first place. And what he discovers in these teleological historians is a “cynical” outlook on life generally, that instead of a grim determination to affirm their lives they surrender themselves to the recognition that nothing they do is anything more than a preordained stepping-stone on the march toward the absolute. Teleological historians are driven by a nihilistic desire, by the need, Nietzsche contends, to absolve their own wills: “die volle Hingabe der Persönlichkeit an den Weltprozess” [the total sacrifice of individuality to the worldprocess] (HL 9, KSA 1, p. 316).24 Although positivism and teleology are nearly antonyms today, this was not the case in Nietzsche’s century. Comte, and his sociological and economical descendants like Durkheim and Marx, each envisioned an epochal and progressive scheme of history – a sort of one-way street from a repressed past to an enlightened future.25

Methode: Historisch-kritische Untersuchungen (Berlin, 1868), Philosophie des Unbewußten: Versuch einer Weltanschauung (Berlin, 1869), Das Unbewusste vom Standpunkt der Physiologie und Descendenztheorie: eine kritische Beleuchtung des naturphilosophischen Theils der Philosophie des Unbewussten aus naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten (Berlin, 1872), Shakespeare’s ‘Romeo und Julia’ (Leipzig, 1874), Wahrheit und Irrthum im Darwinismus: Eine kritische Darstellung der organischen Entwicklungstheorie (Leipzig, 1875), and Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins: Prolegomena zu jeder künftigen Ethik (Berlin, 1879). The only two of these which are still found in his private library are the 1872 and 1879 volumes. 23 Although most of Nietzsche’s opinion of Hartmann was arrived at independently, two important sources for him were Julius Bahnsen’s Zur Philosophie der Geschichte: Eine kritische Besprechung des Hegel-Hartmann’schen Evolutionismus aus Schopenhauer’schen Principien (1872) and Hans Vaihinger’s Hartmann, Dühring und Lange (1876). Nietzsche owned two other books by Bahnsen that informed his knowledge of historiography: Beiträge zur Charakterologie (1867) and Der Widerspruch im Wissen und Wesen der Welt: Prinzip und Einzelbewährung der Realdialektik (1882). 24 Nietzsche is quoting from Hartmann 1869, p. 638. 25 Nietzsche owned G.H. Schneider’s 1880 translation of Comte’s Einleitung in die positive Philosophie.

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Both, however, were careful to replace Hegel and Hartmann’s extra-natural teleological movers in history with a positivist or materialist theory of explanation respectively. And in doing so they considered their developmental schemes both equally demonstrable and as necessary as those of the natural sciences. “All historical writing,” Marx tells us, “must set out from these natural bases and their modification in the course of history through the action of men” (Marx/Engels 1998 [1845], p. 36). “Scientific history, or sociology,” according to Durkheim, “must be founded upon the direct observation of concrete facts” (Durkheim 1972, p. 78). Such scientific historical representations rested on their shared hope of ascribing causes that governed the behaviors of either individuals or groups as they undergo their progressive development. And that hope can be traced back to H.T. Buckle, the original “scientific historian”, whom Nietzsche himself recognizes in this context (GM I 4, KSA 5, p. 262).26 Nietzsche rejected grand architectonics whose purpose seemed only to convince us that we will someday soon be better off. He also criticized the efforts to regard the past as unfolding even to non-teleological laws insofar as their effort to deduce nomothetically betrayed either their desire to predict and thereby control future events or else their fear of the unknown. In other disciplines, generalizations [Allgemeinheiten] are the most important thing since they contain the laws [Gesetze]. But if such assertions as that cited are meant to be valid laws, then we could reply that the historian’s work is wasted. For whatever truth is left in such statements, after subtracting that mysterious and irreducible residue we mentioned earlier, is obvious and even trivial since it is self-evident to anyone with the slightest range of experience (HL 6, KSA 1, pp. 291f).

While there may have been a certain admiration for positivism’s rigorous and antimetaphysical methodologies, Nietzsche says very little about any of these protosociologists. Most notoriously, Nietzsche never names Marx a single time anywhere in his writing.

5. Réealism and Genealogy Nietzsche’s rejection of nomothetic schemata that purport to explain historical change, whether metaphysical or naturalistic, does not imply he was a radical outlier of the “historical” 19th-Century.27 Every bit as historically-concerned as the teleolo-

26 Nietzsche owned David Asher’s 1867 translation of Buckle’s Geschichte der Civilisation in England. In a letter to Köselitz, Nietzsche names Buckle his “strongest antagonist” (letter to Köselitz, 20.05.1887, KSB III/5, Bf. 851). 27 Among the sources relevant to the Genealogie der Moral (apart from those already mentioned) are Friedrich Creuzer’s Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen (1841), A. Fick’s Ursache und Wirkung: Ein Versuch (1867), Mill’s Auguste Comte und der Positivismus (1869–1880),

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gists, he thinks “philosophy, or that alone which I count it to be, [is] the most general form of history, the attempt to somehow describe and abbreviate in signs the Heraclitean world of becoming…” (NL 1885, 36[27], KSA 11, p. 562). Nietzsche’s attempt at historicizing philosophy would endure longer than his friendship with the man who helped to inspire it. For alongside Paul Rée he came to the conviction that values, whether moral, political, aesthetic, or even metaphysical, were a function of drives which were themselves conditioned subconsciously throughout a long historical process.28 Old religious and Platonic beliefs in good and evil as static metaphysical entities were, for both Rée and Nietzsche, to be replaced with a naturalistic and developmental account about how present-day values derive from a convoluted process of practical and often egoistical considerations. But where for Rée, like Darwin and Lamarck before him, acquired habits become inherited traits due to their role in helping both individuals and societies survive better relative to their competitors, Nietzsche viewed the historical inculcations of moral sentiments as a reflection of group attempts to instantiate power-aims. In keeping with his exhortation that philosophy become historical, Nietzsche variously endeavors to construct a “history of the moral sensations”, a “natural history of morals”, and most famously, a Genealogy of Morals (1887). The task is, of course, based upon an historical argument of sorts. “[W]e need to know about the conditions and circumstances under which the values grew up, developed, and changed…” (GM Preface 6, KSA 5, p. 253; see also HaH I 224, KSA 2, pp. 187–9). To that end, Nietzsche seems to require a set of demonstrable historical premises: that there really was a time during which a masterly set of values dominated and a later time at which it became displaced by the widely-flung inversion of those values known as slave morality. Indeed he claims to seek, “morality as it really existed and was really lived”, “the real history of morality,” which can “actually be confirmed and has actually existed” (GM Preface 7, KSA 5, p. 254). But doing so enmeshes Nietzsche in considerable meta-historical problems, some of which he himself poses. The Genealogie is above all an attempt to articulate the history of the development of moral values in a way that undermines his contemporaries’ faith in the absoluteness of their own values. It does so on two levels: first by offering an historical explanation that reveals the intrinsically historical character of

W. Bagehot’sDer Ursprung der Nationen (1874), L. Jacolliot’s Les législateurs religieux. Manou MoïseMahomet (1876), Wackernagel’s Über den Ursprung des Brahmanismus (1877), Spencer’s Die Tatsachen der Ethik (1879), Alfred Espinas’s Die thierischen Gesellschaften (1879), Eugen Dreher’s Der Darwinismus und seine Consequenzen in wissenschaftlicher und socialer Beziehung (1882), J. Lippert’s Christenthum, Volksglaube, und Volksbrauch (1882), M. Drossbach’s Über scheinbaren und wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt (1884), and L. Jacoby’s Die Idee der Entwickelung. Eine sozial-philosophische Darstellung (1886–1887). 28 Nietzsche owned Rée’s Psychologische Beobachtungen (1875), Der Ursprung der moralischen Empfindungen (1877), and his Entstehung des Gewissens (1885).

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moral values. Nietzsche had formidable allies on this score in Rée and the “English School” of moral psychology – represented foremost by Herbert Spencer – both of whom followed Charles Darwin’s intimation that even morality should be viewed as an evolutionary phenomenon. But whereas their interpretation of that evolution seemed to guarantee the progressive status of fundamentally Christian values like altruism, honesty, cooperation, and compassion, Nietzsche’s own psychologizinghistoriography uncovered a darker underside of morality. In fact, as has been thoroughly argued, the text itself represents something like a new-Darwinism (Richardson 2004) or anti-Darwinism (Johnson 2010), insofar as it rejects evolutionary progress and substitutes a vision of the “competition of wills” as a mechanism to explain historical change. Nietzsche rejects the Darwinian accounts by dismantling their presumptions about the origin of value resting with the recipient rather than the doer of “good” or “bad” deeds, about nature aiming at preservation rather than overcoming, about the passivity and accidental character of propagatory success, and about the possibility and value of altruism within social frameworks. The success of this refutation rests in its being somehow a “better” historical account than socialDarwinian alternative. Given that Nietzsche offers scant historical data that would support his own interpretation of events – the few proffered etymologies would hardly prove much – his account, as an objective history of morality largely fails to demonstrate Nietzsche’s counterhypotheses. It is on the second level, a meta-historical level, that Nietzsche’s Genealogie proves its enduring originality. Nietzsche shows that the very attempt to reconstruct the story of development of morality “as it really happened” is occluded by the recognition that the narrator of events is intrinsic to the story, that the historian himself is no will-less, objective, static point of observation, but was himself a perpetually becoming, value-laden dynamic of subjectivity, who is every bit as historical and drive-constituted as the values he was trying to explain. Contrary to Darwinians of any stripe, Nietzsche recognized that historiography is never about “getting the facts straight”, “wie es eigentlich gewesen ist”, but about interpreting it according to the drive-informed perspective in which the historian was embedded. Whereas the Darwinians interpreted the historical evolution of morality as if they themselves stood outside of it, for Nietzsche, [W]e count – after the fact – all the twelve trembling strokes of the clock of our experience, our lives, our being – alas! In the process we keep losing the count. So we remain necessarily strangers to ourselves, we do not understand ourselves, we have to keep ourselves confused (GM Preface 1, KSA 5, p. 247).

Our values and even our conception of ourselves as the architects of those values dynamically affects the manner by which we can interpret those values, such that the attempt to re-present the “first bell”, that original value, free of the distortions of generations of overwriting, reformulating, and above all re-valuing those values, is impossible. Despite his conviction that philosophy must be historical, then, Nietzsche

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simultaneously understood historiography to be a deeply problematic endeavor. As he would write to his friend, the historical theologian Franz Overbeck: At last my mistrust now turns to the question whether history is actually possible? What, then does one want to ascertain [feststellen]? – something, which in a moment of happening, does not itself “stand fast” [“feststand”]? (letter to Overbeck, 23.02.1887, KSB III/5, Bf. 804).29

The situation is made worse in recognizing that not only is the reality to be described in a state of flux, but the one who recognizes it is in a similar state of flux. It’s not just that Heraclitus’ river has changed; we ourselves, who were to step into it twice, are nothing static either. Precisely how we should consider the meta-historical principles that lie behind Nietzsche’s genealogical method – whether this is all an interpretive expression of the Will to Power, a sort of perspectival relativism, an attempt to tear down beliefs, or one to narratively construct new ones – is a philosophical question that oversteps the bounds of our own historical contextualization here. Notwithstanding, a similar cluster of problems was faced by the Baden school of Neo-Kantianism in the years just following Nietzsche’s Genealogie. Wilhelm Windelband, Heinrich Rickert, and Wilhelm Dilthey were each in their own ways keen to view historical judgment as a function of subjective facticities rather than as a mirror of an objective past.30 Each sought, too, like Nietzsche, to distinguish history from science both in terms of the methodology of its investigations and the sorts of objects it studies. Where science seeks to explain by deduction from general rules, history only contains such generalities in imprecise abstractions. Due to the singularity of every object under its purview, history cannot hope to explain scientifically by means of deduction under general laws. As Windelband phrases it in his inaugural address as rector at Strasbourg, “The nomological sciences are concerned with what is invariably the case. The sciences of process are concerned with what once was the case” (Windelband 1980 [1894], p. 175). The former sciences were famously designated nomothetic, the latter, like historiography, called idiographic. Finally, while historiography does involve the search for explanations in terms of causes, those causes must be regarded as value-imbued. “History,” Rickert writes, with its individualizing method and its orientation to values, has to investigate the causal relations subsisting among the unique and individual events with which it is concerned. These

29 Nietzsche owned a number of Overbeck’s writings about church history and historiography, including his Ueber Entstehung und Recht einer rein historischen Betrachtung der Neutestamentlichen Schriften in der Theologie (1871), Ueber die Christlichkeit unserer heutigen Theologie. Streit- und Friedensschrift (1873), and Zur Geschichte des Kanons (1880). 30 From the three authors, the only book Nietzsche seems to have owned was Windelband’s Über den gegenwärtigen Stand der psychologischen Forschung (1876). He returned it to Felix Schneider’s Basel bookstore that same year. Although the young Nietzsche had a cordial relationship with the philologist Carl Dilthey, he seems never to have met his brother Wilhelm.

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causal relations do not coincide with any universal laws of nature […] the selection of what is essential in history involves reference to values even in the inquiry into causes… (Rickert 1962 [1889], p. 94; see also Windelband 1921 [1884], p. 205).

In place of a universal dogmatic positivist explanation, philosophers of history following the neo-Kantians address which causal account best satisfies the subjective standards of the historians and of their audience. Compare this to Nietzsche’s claim in Twilight of the Idols, that we are not looking for just any type of explanatory cause, we are looking for a chosen, preferred type of explanation, one that will most quickly and reliably get rid of the feeling of unfamiliarity and novelty, the feeling that we are dealing with something we have never encountered before, – the most common explanation (TI Errors 5, KSA 6, p. 93).

6. Reception The historical context of an event, we mentioned at the outset, involves both its emergence from the past and its impact on the future. Said otherwise, the context of an event can only be understood once we grasp both how it interprets its antecedents and how it is interpreted by its descendants. And this point is taken over from Nietzsche himself, who rejects attempts to construe a past in-itself without acknowledging the tangled but inextricable web of interpretations cast upon it by later interpreters. [T]he origin of the emergence of a thing and its ultimate usefulness, its practical application and incorporation into a system of ends, are toto coelo separate; anything in existence, having somehow come about, is continually interpreted anew, requisitioned anew, transformed and redirected to a new purpose (GM II 12, KSA 5, p. 313).

Our own attempt to isolate Nietzsche’s historiographical ideas for the sake of contextualizing them would accordingly demand a reckoning of the many drives of its very many interpreters over the past century or so. But such a genealogical account of Nietzsche’s historiography would be severely unwieldy, if not impossible. It nevertheless serves to mention at least two of the most prominent lines of the interpretive reception of Nietzsche’s meta-history. Although a broad generalization, continental thinkers from the 1930’s to the 1970’s like Heidegger, Jaspers, Sartre, Arendt, Levinas, Ricouer and Patočka took their cue from Nietzsche’s demand that the human person be considered within the framework of his or her historicity. Specifically, they each appear influenced by Nietzsche’s 1874 characterization of the “human animal” as the one unable to ignore his or her temporality; being human means being forever tied to a continual process of becoming, the awareness of which it is our unique burden to bear (HL 1, KSA 1,

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pp. 248f). In fact, this single idea is arguably the most essential and unifying theme among all mid-20th Century continental thinkers. We must understand our existential condition as oriented in our birth and propelled toward our future possibilities, which fall under the inescapable common horizon of our death. Orienting ourselves to our history becomes the essential existential project. Among later Post-modern continental thinkers such as Foucault, DeMan, LacoueLabarthes, Lyotard, Derrida, and among the most noted contemporary Post-modern meta-historians like Hayden White, Frank Ankersmit, and Keith Jenkins, the anthropological focus increasingly shifts to an epistemological one. The view of history as a mirror of the real events of a real objective past is ridiculed as an outdated conservative ideal. Historiography has historically not been used to discover truth, pure and unadulterated – and indeed cannot be. Historical writing hitherto has consisted in a set of authoritative narratives constructed in order to justify existing biases and power structures. Consistent with their interpretation of Nietzsche’s genealogical project, they see the West in a moment of cultural crisis, one which historiography has uncovered and which it must of itself help resolve. Historiography’s task is thus no longer to simply records facts, they hold, but to unmask the so-called “objective” systems of values by deconstructing or revealing as mythic the ideological foundations on which they were built. After those grand-narratives have been exposed, historiography’s myth-making capacities are to be refocused to allow previously underrepresented groups to construct the story from their own perspectives. One senses here the rather freely-interpreted application of Nietzsche’s claim that “the more eyes, different eyes we learn to set upon the same object, the more complete will be our ‘concept’ of this thing, the more ‘objective’” (GM III 12, KSA 5, p. 365). But they are nevertheless correct to acknowledge the debt their own conception of powerinterpretation owes to Nietzsche. Benedetto Croce famously wrote, “All history is contemporary history” (Croce 1938, p. 11). Roughly this same conclusion was reached by Nietzsche in 1874, “The history of his city becomes for him the history of himself” (HL 3, KSA 1, p. 265). If providing the context for an event is itself an essential part of the work of historiography, then we should be as eager to understand the event of Nietzsche’s thinking in its historical contexts as we should be cautious to prevent dogmatism from turning our interpretations into the same sort of “objective historiography” that Nietzsche himself would have us question.31

31 This article was written with the generous support of the Alexander von Humboldt Stiftung.

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Nikolaos Loukidelis

Nietzsche und die „Logiker“ Eine bewährte Art, die Geschichte der Philosophie zu schreiben, besteht darin, sich auf einzelne Menschen zu beziehen, die philosophisch Bemerkenswertes hervorgebracht haben, und ihr Werk zu untersuchen, zu interpretieren und zu kritisieren. Abgesehen von den vielen Vorteilen dieser Herangehensweise erwecken jedoch ihre Produkte oft den Eindruck, dass die besonderen philosophischen Gestalten zu ihren Denkergebnissen völlig unabhängig von ihren Zeitgenossen und der Kultur, in der sie aufgewachsen sind und gewirkt haben, gelangten. Die Bedeutung des dialogischen Moments bei der Entstehung des Werks der großen Philosophen wird dabei unterschätzt. Letzteres ist durchaus mit einer Antwort zu vergleichen, einer Antwort auf die Thesen, die Gepflogenheiten, die Tendenzen ihrer Zeit und der Menschen, denen die großen Philosophen persönlich und/oder durch ihre Werke begegnet sind. Das kommt in der Geschichte der Interpretation des jeweiligen Philosophen zwar mit einer Verspätung von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten, aber dann umso deutlicher (weil historisch-kritisch abgesichert) zum Vorschein. Nietzsche ist ein gutes Beispiel hierfür. Nach einer bemerkenswerten kollektiven Anstrengung vieler Forscher haben wir heute, mehr als hundert Jahre nach seinem Tode, einen guten Überblick darüber, wie viel er der Auseinandersetzung mit seiner Zeit verdankt. Das gilt auch für die zeitgenössische Philosophie. Nietzsche hatte genaue Kenntnis der entsprechenden Strömungen des 19. Jahrhunderts, die in seinem Werk durchaus präsent sind, und zwar oft an Stellen, wo man dies mangels eines expliziten Bezugs kaum vermutet hätte. Dabei geht Nietzsche mit den zeitgenössischen Philosophen (die er teilweise persönlich kennt) allgemein wie folgt um: Er liest sie gerne, die Zeichen und Bemerkungen aus seiner Hand in seinen persönlichen Exemplaren dokumentieren Interesse, Zustimmung, aber auch Verwerfung, im veröffentlichten Werk bezieht er sich jedoch meistens pauschal und kritisch oder polemisch auf sie, so dass die Einverleibung ihrer Gedanken in der Regel verschleiert wird.1 Das ist auch der Fall mit den „Logikern“, das heißt Philosophen, die vor allem vom späten Nietzsche2 in eine einheitliche Gruppe gefasst werden. Charakteristisch ist etwa, dass er Kapitel mit der Überschrift „An die Logiker“ (NL 1885–1886, KSA 12, 2[137]; NL 1886–1887, KSA 12, 6[6]) plant, sich gegen „[f]anatische Logiker“ wendet, die „es zu Wege“ brachten, „daß nur im Denken der Weg zum Sein’, zum ‚Unbedingten‘ gegeben sei“ (NL 1885, 40[25], KSA 11, S. 641) und dass er das Misstrauen 1 Im Nachlass spiegelt sich oft – aber nicht immer – eine viel detailliertere und fairere Auseinandersetzung wider, bei der etwa Exzerpte mit konkreter Seitenangabe aus ihren Büchern angefertigt und kommentiert werden. 2 Vgl. aber z.B. auch MA I 18, KSA 2, S. 39.

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„einiger Logiker“ gegenüber „[u]nsere[m] Glauben an den Leib“ für ein Zeichen untergehenden Lebens hält (NL 1884, 25[385], KSA 11, S. 112). Unter den Stellen, in denen sich Nietzsche auf die „Logiker“ bezieht, ist der Aphorismus 17 aus Jenseits von Gut und Böse zweifellos die bedeutendste und am meisten rezipierte: Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Thatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen ungern zugestanden wird, – nämlich, dass ein Gedanke kommt, wenn ‚er‘ will, und nicht wenn ‚ich‘ will; so dass es eine F ä l s c h u n g des Thatbestandes ist, zu sagen: das Subjekt ‚ich‘ ist die Bedingung des Prädikats ‚denke‘. E s3 denkt: aber dass dies ‚es‘ gerade jenes alte berühmte ‚Ich‘ sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine ‚unmittelbare Gewissheit‘. Zuletzt ist schon mit diesem ‚es denkt‘ zu viel gethan: schon dies ‚es‘ enthält eine A u s l e g u n g des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst. Man schliesst hier nach der grammatischen Gewohnheit ‚Denken ist eine Thätigkeit, zu jeder Thätigkeit gehört Einer, der thätig ist, folglich –.‘ Ungefähr nach dem gleichen Schema suchte die ältere Atomistik zu der ‚Kraft‘, die wirkt, noch jenes Klümpchen Materie, worin sie sitzt, aus der heraus sie wirkt, das Atom; strengere Köpfe lernten endlich ohne diesen ‚Erdenrest‘ auskommen, und vielleicht gewöhnt man sich eines Tages noch daran, auch seitens der Logiker ohne jenes kleine ‚es‘ (zu dem sich das ehrliche alte Ich verflüchtigt hat) auszukommen (JGB 17, KSA 5, S. 30f).

Im eben zitierten Text wendet sich Nietzsche zunächst gegen einen „Aberglauben der Logiker“ (JGB 17, KSA 5, S. 30). Es handelt sich um die Auffassung, dass „das Subjekt ‚ich‘ […] die Bedingung des Prädikats ‚denke‘“ (JGB 17, KSA 5, S. 31) sei. Nietzsche führt direkt im Anschluss daran den Satz „E s denkt“ ein, und es entsteht momentan der Eindruck, dass diese Formel nach Nietzsche den Sachverhalt angemessen ausdrücken würde. Trotzdem übt Nietzsche Kritik auch an diesem Satz; auch er gebe den Sachverhalt nicht treu wieder, da sowohl das „Ich“, als auch das „‚es‘“ „zum Vorgange selbst“ (JGB 17, KSA 5, S. 31) nicht gehören: ihre Existenz werde bloß durch den Sprachgebrauch postuliert, der auf den Begriff des Subjekts nicht verzichten könne. Dieser Einfluss der Grammatik auf das Denken hatte nach Nietzsche zur Folge, dass die älteren Physiker die Existenz von aus Materie bestehenden Atomen annahmen: die wirkende Kraft musste unbedingt einen Sitz, ein substratum haben (JGB 17, KSA 5, S. 31). Nietzsche fügt sofort hinzu, dass diese Auffassung überwunden worden sei, und der Absatz mündet in eine Mutmaßung – die offenbar zugleich den Charakter eines Wunsches hat –, dass nämlich die Logiker sich irgendwann vielleicht daran gewöhnen, „ohne jenes kleine ‚es‘ auszukommen“ (JGB 17, KSA 5, S. 31).

3 Statt „E s“ findet man in der KSA bzw. KGW „Es“. Die hier unternommene Sperrung folgt der Erstausgabe von Jenseits von Gut und Böse (Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. Leipzig: C.G. Naumann, S. 21). Da Giorgio Colli und Mazzino Montinari keinen Grund für die Abweichung von ihrem editorischen Grundsatz angeben, als „Druckvorlage für die von Nietzsche selbst herausgegebenen Werke […] die Erstdrucke bzw. die von Nietzsche genehmigten Neuausgaben“ (KSA 14, S. 18) zu nehmen, muss man von einem Wiedergabefehler der KSA bzw. KGW. ausgehen.

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Dieser Aphorismus dokumentiert so einerseits die kritische Auseinandersetzung Nietzsches mit den sogenannten Logikern, andererseits kaschiert er diese Auseinandersetzung zugleich, insofern unklar bleibt, wer diese Logiker sind. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, ausgehend von dem Aphorismus 17 eine Antwort auf die Frage nach der Identität der Logiker zu geben. So kann exemplarisch gezeigt werden, in welchem Umfang und auf welche Weise Nietzsche die philosophischen Positionen seiner Zeit rezipiert. Der Erörterung dieser Frage, bei der zugleich der Standpunkt des jeweiligen Logikers beleuchtet wird und wichtige Aspekte der entsprechenden Rezeption durch Nietzsche zum Vorschein kommen, sollen jedoch zunächst drei klärende Bemerkungen vorangestellt werden. Es gilt zum ersten hervorzuheben, dass die Logiker des 19. Jahrhunderts nicht nur formale Logik betrieben, sondern zugleich sich der Auseinandersetzung mit Fragestellungen widmeten, die man heute als metaphysisch, erkenntnistheoretisch und sprachphilosophisch bezeichnet.4 Dies erklärt die breite Bedeutung des Terminus, die den in der gegenwärtig üblichen philosophischen Begrifflichkeit geschulten Leser befremdet. Wenn Nietzsche zum zweiten das Wort „Logiker“ nicht zur Bezugnahme auf eine Gruppe von philosophischen Autoren benutzt, verwendet er es in einem allgemeineren Sinne. Charakteristisch ist hierfür die Bezeichnung des Sokrates als eines „Logiker[s]“ (GT 14, KSA 1, S. 96; vgl. SGT, KSA 1, S. 634f), der Gebrauch von seiner Vernunft macht und dabei fest überzeugt ist, dass sie in das Wesen der Wirklichkeit eindringen und letztere sogar korrigieren kann (vgl. GT 15, KSA 1, S. 99). Diese allgemeinere Bedeutung schwingt bei der Bezugnahme auf die „Logiker“ als einheitliche Gruppe von philosophischen Autoren mit. Zum dritten muss auf eine prinzipielle Begrenzung hingewiesen werden: es ist nämlich für jeden Forscher unmöglich, sich einen derartigen Einblick in das äußere und innere Leben des von ihm studierten Autors zu verschaffen, so dass er mit Vollständigkeit und absoluter Gewissheit den genauen Gegenstand sowie die Adressaten einer vom Autor formulierten Kritik fassen und nennen kann. Eine solche Vollständigkeit und Gewissheit kann also auch im vorliegenden Beitrag nicht erwartet werden, auch wenn er, basierend auf einer Heranziehung und Auswertung von einigen der philosophischen Lektüren Nietzsches, konkrete und begründete Antworten gibt.5

4 Daher ist es nicht überraschend, dass Nietzsche eine der im Aphorismus 17 zum Ausdruck gebrachten ähnliche Kritik am Ich-Begriff nicht gegen die Logiker, sondern gegen die „Metaphysiker“ richtet (NL 1885, KSA 11, 35[35]) oder dass er am Ende der Vorstufe des Aphorismus 17, in der explizit und kritisch von „der Philos.[ophie, N. L.] der Grammatik“ die Rede ist, zunächst „Grammatiker“ schreibt, bevor er es mit „Logiker“ ersetzt (KGW IX/4, W I 7, S. 55). 5 Die Grundlage dafür bietet Loukidelis 2013, wo die Frage nach der Identität der Logiker ausführlicher erörtert wird.

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1. Zur Forschungslage Die Frage nach der Identität der Logiker ist mit Blick auf den Aphorismus 17 bisher nicht explizit gestellt und behandelt worden. Dennoch lassen sich in der Nietzsche-Forschung Hinweise ausfindig machen, die zu ihrer Beantwortung beitragen können. Erstens gehen zahlreiche Interpreten hinsichtlich der im Aphorismus 17 enthaltenen Kritik am „Ich denke“ bzw. „Es denkt“ von einer Bezugnahme Nietzsches auf René Descartes bzw. Georg Christoph Lichtenberg aus.6 Für eine solche Bezugnahme spricht einerseits, dass es im Nachlass 1885 einige Aufzeichnungen gibt, die auffallende Ähnlichkeiten mit dem Aphorismus 17 aufweisen und in denen Descartes’ Cogito kommentiert und kritisiert wird.7 Charakteristisch ist ein Auszug aus einer dieser Bemerkungen: Seien wir vorsichtiger als Cartesius, welcher in dem Fallstrick der Worte hängen blieb. Cogito ist freilich nur Ein Wort: aber es bedeutet etwas Vielfaches: manches ist vielfach und wir greifen derb darauf los, im guten Glauben, daß es Eins sei. In jenem berühmten cogito steckt 1) es denkt 2) und ich glaube, daß ich es bin, der da denkt, 3) aber auch angenommen, daß dieser zweite Punkt in der Schwebe bliebe, als Sache des Glaubens, so enthält auch jenes erste ‚es denkt‘ noch einen Glauben: nämlich, daß ‚denken‘ eine Thätigkeit sei, zu der ein Subjekt, zum mindesten ein ‚es‘ gedacht werden müsse – und weiter bedeutet das ergo sum nichts! Aber das ist der Glaube an die Grammatik, da werden schon ‚Dinge‘ und deren ‚Thätigkeiten‘ gesetzt, und wir sind fern von der unmittelbaren Gewißheit (NL 1885, 40[23], KSA 11, S. 639f).

Andererseits ist bekannt, dass Nietzsche Lichtenbergs Bemerkungen hoch geschätzt hat,8 und deswegen kann es nur als plausibel erscheinen, dass sich Nietzsche im Aphorismus 17 auf die folgende Bemerkung Lichtenbergs bezieht, zumal er sie nachweislich gelesen hat:9 Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; Andere glauben, wir wenigstens hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. E s d e n k t, sollte man sagen, so wie man sagt: e s b l i t z t. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch I c h d e n k e übersetzt. Das I c h anzunehmen, zu postuliren, ist praktisches Bedürfniß (Lichtenberg 1867, S. 99).

Dennoch kann die Frage nach den Adressaten der im Aphorismus 17 formulierten Kritik am „Ich denke“ und „Es denkt“ nicht durch den ausschließlichen Hinweis auf Descartes und Lichtenberg entschieden werden, da diese Kritik ausdrücklich den

6 Z.B.: Danto 1980, S. 111f; Lampert 2001, S. 47; Greiner 1972, S. 261f (vgl. S. 205ff); Stingelin 1996, S. 122ff, S. 179. 7 Vgl. NL 1885, KSA 11, 40[23, 24, 25]; vgl. Lampert 2001, S. 47. 8 Zu Nietzsches Lichtenberg-Rezeption: Stingelin 1996, S. 75ff und S. 167ff. 9 In seinem Exemplar sind die siebente und achte Zeile rot angestrichen (vgl. Stingelin 1996, S. 123, S. 179).

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Logikern gilt und es wenige Anhaltspunkte dafür gibt, dass Nietzsche mit dem Stichwort „Logiker“ Descartes und Lichtenberg meint. Es muss vielmehr nach anderen Philosophen gesucht werden, mit denen sich Nietzsche in der Entstehungszeit von Jenseits von Gut und Böse befasst hat und die Positionen von Descartes und Lichtenberg im systematischen Zusammenhang ihres Werkes thematisiert und angenommen bzw. verworfen haben. Zweitens stößt man auf Passagen, in denen impliziert bzw. behauptet wird, dass sich Nietzsches Kritik am Ich-Begriff im Aphorismus 17 gegen den Philosophen Gustav Teichmüller richtet.10 Diese Annahme ist zwar, wie unten gezeigt wird, zutreffend, jedoch erweist sie sich für den Versuch, die Logiker im Aphorismus 17 zu identifizieren, als unzulänglich, weil sie einerseits die naheliegende Möglichkeit nicht berücksichtigt, dass sich das Wort „Logiker“ im Aphorismus 17 auf mehrere Autoren bezieht, und sich andererseits für die Beantwortung der Frage nach der Identität der Logiker, die ein „Es“ anstelle des „Ich“ gebrauchen, nicht fruchtbar machen lässt, da sie diese Frage überhaupt nicht stellt. Drittens schlägt Paolo D’Iorio bei seinem Versuch, die „[f]anatische[n] Logiker“ zu identifizieren, von denen in der Aufzeichnung 40[25] vom Nachlass 188511 die Rede ist, außer Teichmüller Afrikan Spir und Maximilian Drossbach vor (vgl. D’Iorio 1993, S. 292f).12 Dieser Vorschlag hat den Vorteil, dass er noch zwei Denker, mit denen sich Nietzsche in der Entstehungszeit von Jenseits von Gut und Böse nachweislich auseinandergesetzt hat, in die Diskussion einführt. Darüber hinaus wird er durch aufschlussreiche Analysen und Textvergleiche begleitet (vgl. D’Iorio 1993, S. 283ff; vgl. auch S. 274ff), die die Bezugnahme Nietzsches beim Gebrauch des Wortes „Logiker“ auf Afrikan Spir und Gustav Teichmüller untermauern. Jedoch lässt sich ein Bezug auf Drossbach in der Aufzeichnung 40[25] vom Nachlass 1885 nicht mit derselben Argumentationskraft behaupten. D’Iorio hält sie für nur wahrscheinlich (vgl. D’Iorio 1993, S. 292),13 auch wenn Drossbachs Fragestellung Ähnlichkeiten mit der von Teichmüller und Spir aufweist (vgl. D’Iorio 1993, S. 290, S. 292f). An dieser Stelle drängt sich auf, den Vorschlag von D’Iorio auf die Frage nach der Identität der Logiker im Aphorismus 17 anzuwenden. Freilich wird die in Rede stehende Anwendung – die D’Iorio nicht unternimmt – sich nur dann als fruchtbar erweisen,

10 Nohl 1913, S. 110, S. 115; Dickopp 1965, S. 26ff, S. 78f, S. 86ff; Small 2001, S. 48f. 11 „Fanatische Logiker brachten es zu Wege, daß die Welt eine Täuschung ist; und daß nur im Denken der Weg zum ‚Sein‘, zum ‚Unbedingten‘ gegeben sei. Dagegen habe ich Vergnügen an der Welt, w e n n sie Täuschung sein sollte; und über den Verstand der Verständigsten hat man sich immer unter vollständigeren M‹enschen> lustig gemacht“ (NL 1885, 40[25], KSA 11, S. 641). 12 Die entsprechenden Werke von Teichmüller, Spir und Drossbach sind Die wirkliche und die scheinbare Welt (Teichmüller 1882), Denken und Wirklichkeit (Spir, 1877a, 1877b) und Über die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt (Drossbach 1884). 13 Trotzdem gibt es eine Stelle in seinem Artikel, wo er seine ephektische Haltung verlässt und von den „trois ‚logiciens fanatiques‘, Spir, Teichmüller et Drossbach“ spricht (D’ Iorio 1993, S. 292).

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wenn Stellen ausfindig werden können, die eine Bezugnahme Nietzsches auf Teichmüller, Spir und Drossbach im fraglichen Aphorismus rechtfertigen. Diese Stellen gibt es in der Tat und werden in den folgenden zwei Abschnitten präsentiert, wo zusätzlich gezeigt wird, dass Nietzsches Kritik auch weitere Adressaten hat, nämlich Paul Heinrich Widemann und – mit großer Wahrscheinlichkeit – Friedrich Albert Lange und Hermann Rudolf Lotze.14

2. Der Ich-Begriff bei Teichmüller, Drossbach und Widemann Wir haben oben gesehen, dass Gustav Teichmüller, der zwischen 1869 und 1871 philosophischer Kollege Nietzsches in Basel war, als Adressat von Nietzsches Kritik im Aphorismus 17 bereits in Betracht gezogen ist. Das Programm von Die wirkliche und die scheinbare Welt lässt sich in den folgenden Bemerkungen klar ablesen:15 Jede einzelne Wissenschaft setzt ein Seiendes voraus, das sie als ihr Object zu erforschen sucht; keine aber erörtert die Frage, wesshalb doch ihrem vorausgesetzen Gegenstande das Sein zukomme und was unter diesem Sein verstanden werden solle. Mithin bleibt für die Metaphysik, als Wissenschaft von den Principien, die Aufgabe, über den Begriff des Seins und die Methode, wie wir denselben gewinnen, Rechenschaft zu geben (Teichmüller 1882, S. 3).

Die Beantwortung der Seinsfrage hält Teichmüller nicht etwa für ein peripheres Ziel der Metaphysik, sondern für ihre wichtigste Aufgabe überhaupt. Diese Behauptung begründet er dadurch, dass einerseits jede metaphysische Betrachtung eines seienden Gegenstandes bedarf und andererseits selbst ein metaphysischer Begriff (wie z.B. Quantität, Qualität, Zweck) ein Seiendes darstellt. Trotz ihrer Bedeutsamkeit ist jedoch nach Teichmüller die Frage nach dem Begriff des Seins „die am Meisten vernachlässigte“ in der Geschichte der Metaphysik. Deswegen kann eine ausführliche

14 Es handelt sich dabei um folgende Werke: Erkennen und Sein (Widemann 1885), Metaphysik (Lotze 1879) und Geschichte des Materialismus (Lange 1873, 1875) – D’Iorio zählt auch Lange zu den Philosophen, die einiges mit Teichmüller, Spir und Drossbach teilen, ohne ausdrücklich zu behaupten, dass er zu den Logikern gehört. 15 Nietzsche hat sich mit diesem Buch nachweislich auseinandergesetzt. Die Herauskristallisierung von wichtigen Konzepten seiner Philosophie wie etwa die Auffassung vom perspektivischen Charakter des Lebens oder die Kritik am Konzept der unmittelbaren Erkenntnis – um nur zwei Beispiele zu nennen – hängt mit dieser Auseinandersetzung eng zusammen. Dazu und zum Verhältnis NietzscheTeichmüller überhaupt vgl. Nohl 1913; Hocks 1914, S. 45ff, S. 68ff; Dickopp 1965, S. 59ff, S. 74ff, S. 93ff, D’Iorio 1993, S. 283ff; Small 2001, S. 41ff; Loukidelis 2005a; Schwenke 2006, S. 257ff; Riccardi 2007a, 2007b, 2009a, insbesondere S. 207ff, 2009b; Arenas-Dolz/Riccardi 2010.

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Behandlung dieser Frage „zu einer neuen Philosophie führen“ (Teichmüller 1882, S. 3f).16 Nach Teichmüllers Seinsauffassung gibt es drei Aspekte des Seins: das Sein als Was (oder das ideelle Sein), das Sein als Dass (oder das reale Sein) und das Sein als Ich bzw. Wesen. Alle drei Aspekte des Seins leitet Teichmüller vornehmlich aus einer Analyse unseres gewöhnlichen Bewusstseins ab (vgl. Teichmüller 1882, S. 49–61). Dabei konstatieren wir zum einen ein „wechselnde[s] Tun, Wollen oder Denken“ und zugleich zahlreiche gegebene Inhalte dieses Tuns, Wollens und Denkens (Teichmüller 1882, S. 51). Die Kategorie, die in uns entsteht, wenn wir „alles […] Einzelne des Inhalts, möge es Sinnliches oder Wissenschaftliches, Künstlerisches oder Sittliches und Religiöses sein, in Eins“ zusammenfassen wollen (Teichmüller 1882, S. 51), nennt Teichmüller das Was bzw. das ideelle Sein (Teichmüller 1882, S. 52). Wenn wir zum zweiten in unserem Bewusstsein das ideelle Sein den immer wechselnden Tätigkeiten gegenüberstellen, dann tritt die Vielheit der Tätigkeiten in einen eindeutigen Gegensatz zur Identität des ideellen Seins (vgl. Teichmüller 1882, S. 53). Zum Beispiel ist der Ton c, mögen wir ihn einmal oder n-mal hören, immer derselbe Ton c seinem ideellen Sein nach und dieselbe Anecdote kann n-mal erzählt werden. Die Thätigkeiten selbst sind aber niemals dieselben, sondern jedes Mal anders und unvereinbar [die] eine mit der andern (Teichmüller 1882, S. 53).

Das besondere Merkmal, das die Tätigkeiten in ihrer Beziehung zum ideellen Sein auszeichnet, besteht darin, dass sie real sind; dieses Merkmal begründet nach Teichmüller die Kategorie des Dass bzw. des realen Seins (vgl. Teichmüller 1882, S. 53f). Wenn man nun zum dritten berücksichtigt, dass ideelles und reales Sein zwar von einander getrennt und verschieden sind, jedoch in unserem Bewusstsein vereint auftreten, muss man die Existenz eines Bezugspunktes annehmen, der sowohl das Was als auch das Dass vorstellen kann und sie auf einander bezieht (vgl. Teichmüller 1882, S. 57). Dieser Bezugspunkt ist das Ich.17 Es wird von Teichmüller als eine reale Entität konzipiert (vgl. Teichmüller 1882, S. 111f), die sich zum ideellen und reellen Sein wie die Substanz zu ihrer Akzidenz verhält (vgl. Teichmüller 1882,

16 Auf die auffallende Ähnlichkeit von Teichmüllers Fragestellung mit der Martin Heideggers ist schon hingewiesen worden (vgl. Dickopp 1965, S. 74 und Schwenke 2006, S. 97f). Diese Ähnlichkeit stellt Heideggers Nietzsche-Interpretation (s. z.B. Heidegger 1989) insofern in ein neues Licht, als Nietzsches Befassung mit Teichmüllers Die wirkliche und die scheinbare Welt nachweist, dass Nietzsche einer Form der Seinsfrage begegnet ist und sich daher nicht so naiv ihr gegenüber verhalten hat, wie Heidegger ihm unterstellt. 17 Hier wird keine vollständige Darstellung des in Die wirkliche und die scheinbare Welt exponierten Ich-Begriffes beabsichtigt. Einen zuverlässigen – wenn auch nicht vollständigen Überblick – bietet die Berücksichtigung der 19 Stellen, die Teichmüller im Verzeichnis des Buches beim Lemma „Ich“ anführt (vgl. Teichmüller 1882, S. 353); vgl. ferner Dickopp 1965, S. 78ff.

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S. 125) und zugleich gegenüber der Vielheit und Verschiedenheit der Akzidenz eine Einheit bildet, deren genaue Natur Teichmüller im folgenden Text benennt und erläutert: Wenn es sich nun darum handelt, einen Namen für die Einheit des Ichs zu finden, so können wir sie nur die s u b s t a n z i a l e E i n h e i t nennen. Das aber, was darunter zu verstehen sei, können wir nur finden, indem wir das Ich selbst sich offenbaren lassen; denn das Ich als Substanz kann nur durch sich erkannt werden und mithin nur, indem es sich selbst erkennt. Das Ich aber bezeugt von sich, dass es in vielen Thätigkeiten existire und dass diese Thätigkeiten ihrem ideellen Sein nach verschieden seien, dass es aber zugleich in numerischer Einheit in allen diesen Thätigkeiten thätig sei und in numerischer Einheit den Inhalt dieser Thätigkeit denke, wolle und bewege (Teichmüller 1882, S. 71).

Nietzsche hat bei seiner im Aphorismus 17 formulierten Kritik am Ich als Bedingung des Denkens die Ich-Auffassung Teichmüllers bestimmt im Auge, und zwar aus zwei Gründen. Erstens deckt sie sich inhaltlich mit dem im Aphorismus 17 kritisierten IchBegriff, da Teichmüller das Ich als reale Entität konzipiert, die Urheber aller ihrer Tätigkeiten (das heißt auch des Denkens) ist. Und zweitens hat Nietzsche die IchAuffassung Teichmüllers zweifellos rezipiert. Dafür spricht nicht nur, dass der IchBegriff in vielen und für den Zusammenhang von Die wirkliche und die scheinbare Welt wichtigen Stellen auftritt, so dass der Leser des Buches nicht umhin kann, ihn zu beachten. Nietzsche hat darüber hinaus in zwei Aufzeichnungen Passagen aus Die wirkliche und die scheinbare Welt exzerpiert, die vom Ich handeln (NL 1883, KSA 10, 7[153]; NL 1883, KSA 10, 7[223]) Außer Teichmüller gibt es noch zwei Denker, die Nietzsche in der Entstehungszeit von Jenseits von Gut und Böse nachweislich gelesen hat und von denen ein ähnlicher Ich-Begriff wie der im Aphorismus 17 kritisierte vertreten wurde. Beim ersteren handelt es sich um Maximilian Drossbach, der im Vorwort seiner Schrift Über die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt18 einen zentralen Ansatz seines Denkens folgendermaßen ausdrückt: „die sinnliche Wahrnehmbarkeit der materiellen Dinge“ ist zwar „eine Illusion“, aber zugleich gibt es tatsächlich vorhandene Dinge, die wir wahrnehmen können (Drossbach 1884, S. III; vgl. S. 57). Diese Auffassung expliziert Drossbach u.a. dadurch, dass er zwischen der bloßen Vorstellung „Sessel“ und dem Widerstand unterscheidet, den man fühlt, wenn man darauf sitzt (Drossbach 1884, S. 16). Dieser Widerstand weist, so Drossbach, eindeutig darauf hin, dass eine wirkende Kraft vorhanden ist, die vom Sitzenden unmittelbar wahrgenommen wird und zugleich das Wesen der Erscheinung „Sessel“ ausmacht:

18 Zu Nietzsches Auseinandersetzung mit Über die scheinbaren und die wirklichen Ursachen vgl. Schmidt 1988; Orsucci 2001, S. 219ff; Spreafico 2008, S. 140ff; Riccardi 2009a, insbesondere S. 128ff, S. 211ff.

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Was mich z.B. beim Sitzen […] hindert, das giebt sich mir als eine wirksame Kraft zu erkennen und ich nehme es vermittelst meiner Hautnerven wahr. Was ich sinnlich wahrnehme, das ist mir nicht unbekannt, es ist mir vielmehr das allein Bekannte und Erkennbare, und dieses ist die auf mich wirkende Kraft (Drossbach 1884, S. 15).

Die wirkende Kraft ist nach Drossbach die „r e a l e c a u s a, welche das Gewirkte macht“ und in deren Folge der Begriff der Kausalität gebildet wird (Drossbach 1884, S. 5). Es ist ein Irrtum zu behaupten, dass das Geschehen durch einen kausalen Zusammenhang von Erscheinungen hervorgebracht wird: „Nur Substanzen, Wesen sind Causalitäten. Ursache ist Ur-sache, ist ursprüngliche Sache“ (Drossbach 1884, S. 5). Drossbach wendet diese Konzeption auch auf den Begriff des Ichs an, wie aus dem unten folgenden Text hervorgeht, in dem Drossbach eine Stelle aus dem Artikel von Carl Schaarschmidt „Zur Widerlegung des subjectiven Idealismus“ (Schaarschmidt 1878) zustimmend wiedergibt:19 Herr Prof. Dr. SCHAARSCHMIDT […] weist auf die Erfahrungsthatsache hin, dass das Ich nicht bloss vorstellende Thätigkeit hat, nicht bloss Theorie ausübt, sondern auf automatische Weise Veränderungen hervorbringt, die neben dem Vorstellen hergehen, die zwar vorgestellt werden, aber sich vom Vorstellen toto genere unterscheiden. „Das Ich ist Sache (Wesen, Wirklichkeit, Seiendes, Substanz) weil es Ursache ist. Das Ich ist mehr und thut mehr als ein c o g i t o ergo sum ausdrückt; es weiss sich als res cogitans et movens; nicht sowohl im cogitare als im movere steckt sein esse.“ …. „Insofern ich mich als Willenskraft aus dem Willen heraus erkenne, muss ich dem, auf das ich wirke, also zunächst meinem eigenen Körper, Wirklichkeit beimessen, da er meiner Anstrengung nicht bloss weicht, sondern auch oft widersteht“ (Drossbach 1884, S. 14f).

Wenn man berücksichtigt, dass die Formulierungen „das Ich ist die Bedingung des Denkens“ und „das Ich ist die Ursache des Denkens“ weitgehend gleichzusetzen sind,20 dann kommt man leicht zu dem Schluss, dass Nietzsche in der ersten Hälfte des Aphorismus 17 von Jenseits von Gut und Böse außer Teichmüller auch Drossbach zu den Logikern zählt. Dies gilt aber auch selbstverständlich für den Autor des Artikels, aus dem Drossbach zustimmend zitiert, nämlich Carl Schaarschmidt, den Nietzsche aus seiner Bonner Studienzeit persönlich kannte und für den er die Verschi-

19 Ergänzend zur Auseinandersetzung Nietzsches mit dieser Drossbach-Passage s. Loukidelis 2005b. Dass Nietzsche den Artikel von Schaarschmidt gelesen hat, ist zwar eher unwahrscheinlich, kann aber nicht ausgeschlossen werden. 20 Dazu vgl. Dickopp 1965, S. 26f. Außer Drossbach und Schaarschmidt konzipiert auch Teichmüller das Ich als Ursache. Charakteristisch ist die folgende Stelle aus dem von Nietzsche zwar nicht gelesenen, mit Die wirkliche und die scheinbare Welt dennoch eng zusammenhängenden Werk Neue Grundlegung der Psychologie und Logik: „Mithin ist der Begriff der Ursache im Ich zu suchen, welches bei der Vorstellung von a dies oder das Gefühl erlebt und darauf diese oder jene bestimmte Bewegung hervorbringt. Diese Bewegung ist die W i r k u n g, das so oder so von Vorstellung und Gefühl bestimmte Ich ist die U r s a c h e.“ (Teichmüller 1889, S. 201)

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ckung eines Freiexemplars der Genealogie der Moral anordnete (vgl. Bf. an Naumann, 08.11.1887, KGB III/5, Bf. 946).21 Wenden wir uns aber Paul Heinrich Widemann zu.22 Sein Buch Erkennen und Sein widmet sich vor allem der Beantwortung der „Frage: wie verhält sich unsere Erkenntniß zur wirklichen Beschaffenheit der Dinge an sich selbst, – stimmt sie mit diesen überein oder nicht –?“ (Widemann 1885, S. 1). Als Antwort auf diese Frage lassen sich nach Widemann drei Hauptpositionen aufstellen. Nach der ersten ist unsere Erkenntnis „das getreue Abbild der Dinge“; nach der zweiten ist sie es „nur zum Theil, nur in einigen allgemeinen Beziehungen“; und nach der dritten ist sie es gar nicht, „wir schöpfen alle, selbst die allgemeinsten und nothwendigsten Bestimmungen, […] bei der Erkenntniß der Dinge nur aus uns selbst“ (Widemann 1885, S. 1). Widemanns Auffassung, die als Variante der zweiten Hauptposition zu betrachten ist, wird in der unten angeführten Passage zusammengefasst: [Wir] erkennen […] die Dinge zwar wie sie sind, aber, in Folge der Beschränktheit unserer Wahrnehmungsmittel, nur unvollständig. Alle Eigenschaften, die an ihnen erscheinen – Raum, Zeit, Intensität, Beharrlichkeit, Veränderlichkeit, Kraft, Causalität u.s.w. – gehören ihnen (nach dem Gesetz der Correspondenz der gleichen Eigenschaften) wahrhaft an sich selbst zu; aber es erscheinen uns bei Weitem nicht alle. Wir erkennen also wohl die Dinge an sich, aber nicht die letzte Wurzel aller ihrer Daseinsäußerungen […] (Widemann 1885, V).23

Die Wurzel „alles anorganischen und organischen Lebens“ nennt Widemann den „i n t e l l i g i b l e n C h a r a k t e r“ der Dinge und der Welt (Widemann 1885, S. 233). Diesen Begriff24 gebraucht Widemann, wie er selbst bemerkt (vgl. Widemann 1885, S. 127; vgl. S. 233), im Anschluss an Kant. Darunter versteht er die Grundqualität eines Dinges (oder auch des menschlichen Subjekts), „in welcher alle [seine] besonderen Qualitäten […] begründet liegen und woraus alle seine activen und passiven Daseins21 Schaarschmidt war damals Professor in Bonn, und Nietzsche hörte bei ihm im Sommersemester 1865 Allgemeine Geschichte der Philosophie. Ersterer verhielt sich gegenüber dem letzteren sehr freundlich (dabei spielte die Tatsache, dass auch Schaarschmidt die Schulpforta besucht hatte, eine maßgebende Rolle). Dennoch hielt Nietzsche von Schaarschmidts philosophischer Erscheinung nicht viel. Zu diesen Angaben s. Janz 1999, I, S. 142, S. 153, S. 195. 22 Widemann gehörte zu den Basler Studenten Nietzsches, und seitdem ist er direkt oder indirekt in Nietzsches Leben präsent (zum Verhältnis Widemann-Nietzsche vgl. die zahlreichen Stellen in Janz 1999a, 1999b, 1999c, die in Janz 1999, III, S. 440 aufgelistet werden). Zu Nietzsches Lektüre von dessen Erkennen und Sein s. Loukidelis 2006, S. 306. 23 Widemann hält es für ausgeschlossen, dass „die Dinge mittelst ihnen völlig fremder Formen angeschaut werden könnten“ (Widemann 1885, S. 229). Deswegen postuliert er eine „C o r r e s p o n d e n z d e r g l e i c h e n E i g e n s c h a f t e n i n S u b j e c t u n d O b j e c t“ als „nothwendige und allgemeine Bedingung der Anschauung und Erscheinung“ (Widemann 1885, S. 229). Damit man z.B. eine objektive Eigenschaft wie etwa die Kraft erkennt oder eine Qualität wie etwa die Wärme wahrnimmt, muss man über eigene Kraft und Körperwärme verfügen (vgl. Widemann 1885, S. 229). 24 An seiner Stelle begegnet man in Erkennen und Sein oft den synonymen Termini „Charakter“ und „absoluter Charakter“ (dazu s. z.B. Widemann 1885, V, S. 127, S. 233f).

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äußerungen fließen“ (Widemann 1885, S. 233; auch S. 127). Der intelligible Charakter kann uns zwar „nicht erscheinen, weil die Erscheinung immer nur bestimmte Wirkungen der Objecte darbietet, die wohl auf einen einheitlichen qualitativen Ursprung h i n d e u t e n, ihn aber nicht e n t h a l t e n und m i t b r i n g e n“ (Widemann 1885, S. 234). Seine Natur lässt sich aber bis zu einem gewissen Grade durch die Erforschung unseres bewussten Lebens beleuchten. Je mehr wir es ergründen, desto bestimmter wird unser Begriff vom intelligiblen Charakter des Subjekts, der mit dem intelligiblen Charakter der Welt (oder eines beliebigen Dinges) wesensgleich ist.25 Widemanns vorwiegend realistische Auffassung, die in den vorangegangenen Ausführungen komprimiert dargelegt worden ist, wird in den drei Teilen seines Buches ausführlich begründet. Diesen ist eine Einleitung vorangestellt, die unter anderem eine mit bemerkenswertem Scharfsinn vorgetragene Kritik des Idealismus enthält. Hauptadressaten dieser Kritik, bei der Widemann versucht, die Selbstwidersprüchlichkeit des Idealismus zu demonstrieren, sind Kant und Schopenhauer. In Bezug auf die Formel von Schopenhauer: Die Welt ist meine Vorstellung heißt es etwa: Ist die Welt der Erscheinung meine Vorstellung, und bin ich, das Subject, selbst Erscheinung, so bin ich selbst meine Vorstellung, und das Dasein der Vorstellung ist nicht wirklich; folglich ist in Wahrheit keine Vorstellung (Widemann 1885, S. 4).

Um die Selbstwidersprüchlichkeit des Idealismus nachzuweisen, zieht Widemann darüber hinaus das cartesische cogito heran. In ihm glaubt er einen angemessenen Ausdruck des Verhältnisses zwischen Erkennen und Sein aufgefunden zu haben, der die Unhaltbarkeit des idealistischen Subjektbegriffs vor Augen führt. Im Anschluss daran stellt er seine Auffassung von der Realität des Subjektes dar: In der Cartesianischen Formel: cogito ergo sum, von welcher der Idealismus angeblich ausgeht, sind Erkennen und Sein im Subject, worin sie vereinigt sind, weislich auseinander gehalten. Diese Zweiheit aber hat die idealistische Philosophie völlig übersehen; ihr Satz ist in Wahrheit nicht: ich denke, folglich bin ich, sondern: ich denke, folglich bin ich n i c h t; denn sie richtet das „D e n k e“ selbst gegen das „Ic h “, das Subject des Denkens und macht damit diese nothwendige Bedingung jenes Prädicats zu dessen eigenem Product, sodaß natürlich mit dem Ich, der Bedingung des Prädicats „d e n k e“, auch dieses letztere aufgehoben wird. Mag auch Mancherlei am empirischen Subject durch das Erkennen bedingt sein: das S u b j e c t s e l b s t kann davon nie betroffen werden, weil es die erste und hauptsächlichste Bedingung des Selbstbewußtseins ist. Dieses ist Prädicat; das Ich ist Subject dieses Prädicats, Träger und Grundlage des Selbstbewußtseins und muß seinem ganzen Dasein nach als g ä n z l i c h u n a b h ä n g i g vom Erkennen, folglich als real gedacht werden (Widemann 1885, S. 5).

25 Diese Wesensgleichheit wird in Erkennen und Sein vorausgesetzt, ohne m. W. eigens begründet zu werden. Es ist deswegen anzunehmen, dass Widemann sie für selbstverständlich hält, da seiner Ansicht nach die Eigenschaften von Subjekt und Objekt im Prinzip gleich sind (dazu s. oben; vgl. Widemann 1885, S. 232f).

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Die Übereinstimmung in der Wortwahl zwischen dem eben zitierten Text und einem wichtigen Satz des Aphorismus 17 ist auffallend. Wenn Nietzsche nämlich die Auffassung, dass „das Subjekt ‚ich‘ […] die Bedingung des Prädikats ‚denke‘“ ist, als „eine F ä l s c h u n g des Thatbestandes“ bezeichnet (JGB 17, KSA 5, S. 31), gebraucht er dieselbe Begrifflichkeit wie Widemann, um Kritik am letzteren – und den anderen Logikern – auszuüben. Deswegen kommt Widemann für die Entstehungsgeschichte der ersten Hälfte des Aphorismus 17 eine besondere Bedeutung zu.26

3. Die Auffassungen von Spir, Lange und Lotze Ein weiterer Philosoph des 19. Jahrhunderts, mit dem sich Nietzsche auseinandergesetzt hat, ist Afrikan Spir.27 In seinem Hauptwerk Denken und Wirklichkeit28 erklärt er „die Gewissheit […], d.h. die richtige und mit dem Beweise ihrer Richtigkeit versehene Erkenntniss der Wirklichkeit“ für „das Ziel der Philosophie“ (Spir 1877a, S. 25).29 Spir unterscheidet zwischen zwei Arten von Gewissheit, der mittelbaren und der unmittelbaren. Da mittelbar gewiss etwas ist, dessen Richtigkeit nur „aus seinem Zusammenhange mit etwas Anderem, vorher Festgestelltem“ eingesehen wird, kann es, so Spir, „ohne etwas unmittelbar Gewisses […] auch nichts mittelbar Gewisses, mithin überhaupt keine Gewissheit“ geben (Spir 1877a, S. 25). Daher besteht „[d]ie erste Aufgabe der Philosophie“ darin, „das unmittelbar Gewisse aufzusuchen“ (Spir 1877a, S. 26). Es ist nach Spir ein großes Verdienst von René Descartes, dass „er zuerst mit Entschiedenheit die Forderung ausgesprochen hat, die Philosophie […] müsse“ mit

26 Von besonderem Interesse ist, dass Widemann den Aphorismus JGB 17 in einem Brief an Heinrich Köselitz, mit dem er befreundet war, ausführlich kommentiert, ohne zu ahnen (oder wenigstens: ohne darauf hinzuweisen), dass sich Nietzsche in diesem Text auf ihn bezieht: „Die Leugnung des Subjects: Ein Gedanke komme, wenn e r will, nicht wenn i c h will. ‚D a r u m῾ sei es falsch das Subject als Bedingung des Denkens zu fassen. Ein Gedanke kommt allerdings nicht, wenn ich will, aber ebensowenig wenn er will, noch aus irgend einem Willen oder Wollen, sondern aus einem Müssen. Der Schluß ‚D a r u m’ etc, ist ein schlechter Spaaß, denn er geht ganz und gar nicht aus dem Vorigen hervor, hängt gar nicht mit demselben zusammen; Bedingung sein und Veranlassen ist sehr zweierlei. Das Dasein des Raumes z.B. ist Bedingung dieses Dreiecks; aber der Raum hat das Dreieck nicht gezeichnet. Also brauchte auch das Subject den Gedanken nicht hervorzubringen und würde doch e i n e d e r Bedingungen desselben sein können. (17) Ist es auch.“ (Bf. von Widemann an Köselitz, 18.08.1886, KGB III/7.2, Bf. 37). 27 Er ist der einzige von den hier in Betracht gezogenen Philosophen, den Nietzsche ausdrücklich als einen „Logiker“, und zwar einen von ihm „geschätzte[n]“ bezeichnet (Bf. an Schmeitzner, 22.11.1879, KGB II/5, Bf. 907). 28 Zu Nietzsches Auseinandersetzung mit diesem Werk vgl. Hocks 1914, S. 50ff, S. 68ff; Schlechta/ Anders 1962, S. 89f, S. 94, S. 118ff, S. 141, S. 153, S. 159f; Dickopp 1965, S. 58ff, S. 90ff, D’Iorio 1993; Small 2001, S. 1ff; Green 2002; Riccardi 2009a, insbesondere S. 71ff, S. 83ff, S. 181ff. 29 Spir bemüht sich nicht um eine Begründung dieser Auffassung, da er sie für „selbstverständlich“ hält (Spir 1877a, S. 25).

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der Auffindung des „unmittelbar Gewissen anfangen“ und zugleich bei der Suche danach erfolgreich gewesen ist, indem er das unmittelbar Gewisse „in dem Inhalte unseres Bewusstseins selbst […] entdeckt hat“ (Spir 1877a, S. 28). Diese letzte Behauptung stützt Spir auf folgender Umformulierung des cartesischen cogito: Der Descartes’sche Satz Cogito, ergo sum muss allgemein und präcis ausgedrückt, so lauten: Alles, was ich in meinem Bewusstsein vorfinde, ist als blosse Thatsache des Bewusstseins unmittelbar gewiss (Spir 1877a, S. 27).

Nietzsche hat Spirs Rekonstruktion des cartesischen cogito beachtet und im folgenden Nachlassnotat Stellung dazu bezogen: Man soll die Naivetät des C nicht verschönern und zurechtrücken, wie es z.B. Spir thut. ‚Das Bewußtsein ist sich selber unmittelbar gewiß: das Dasein des Denkens kann nicht geleugnet, noch bezweifelt werden, denn diese Leugnung oder dieser Zweifel sind eben selbst Zustände des Denkens oder des Bewußtseins, ihr eigenes Vorhandensein beweist also das, was sie in Abrede stellen, es benimmt ihnen folglich jede Bedeutung.‘ Spir I, 26. ‚Es wird gedacht‘, ergo giebt es etwas, nämlich ‚Denken‘. […] ‚Etwas, das sich selber unmittelbar gewiß ist‘ ist Unsinn. Gesetzt z.B., Gott dächte durch uns, und unsere Gedanken, sofern wir uns als Ursache fühlten, wären ein Schein, so wäre das Dasein der Gedanken nicht geleugnet oder bezweifelt, wohl aber das ergo sum. Sonst hätte er sagen müssen: ergo e s t. – Es giebt keine unmittelbaren Gewißheiten: cogito, ergo sum setzt voraus, daß man weiß, was ‚denken‘ ist und zweitens was ‚sein‘ ist: es wäre also, wenn das est (sum) wahr wäre, eine Gewissheit auf Grund zweier richtiger Urtheile, hinzugerechnet die Gewißheit, daß man ein Recht überhaupt zum Schlusse, zum ergo hat – also jedenfalls keine unmittelbare G (NL 1885, 40[24], KSA 11, S. 640f).

An Hand des eben zitierten Textes lässt sich u.a. zeigen, dass Nietzsche zur Bezeichnung des Vorganges „Denken“ mit verschiedenen Formeln experimentiert. Nach ihm stellt das Denken ein Ereignis dar, das durch keine Formel getreu wiedergegeben werden kann. In diesem Zusammenhang ist es nebensächlich, ob man „Es denkt“ (Aphorismus 17) oder „Es wird gedacht“ (s. oben) schreibt, da beide Formeln die Tatsache (und nicht den persönlichen Urheber) des Denkens hervorheben. Daher kann mit guten Gründen behauptet werden, dass sich Nietzsche in der zweiten Hälfte des Aphorismus 17 auf Afrikan Spirs Rekonstruktion des cartesischen cogito bezieht. Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus, zählt zu den klassischen Texten der Philosophie des 19. Jahrhunderts.30 In ihm erkennt Lange zwar die Bedeutung des Materialismus, dessen Geschichte er von der Antike bis ins 19. Jahrhundert minutiös verfolgt, für Wissenschaft und Philosophie an, zugleich aber übt er von einem idealistischem Standpunkt Kritik an ihm. Langes Position fasst die Welt als eine Reihe von zunächst mit einander nicht zusammenhängenden Vorstellungen auf,

30 Von den vielen Titeln, die sich dem Verhältnis Nietzsches zu Langes Hauptwerk widmen, seien hier nur Vaihinger 1927, S. 771ff; Salaquarda 1978 und Stack 1983 angeführt.

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die durch eine Art Synthesis zu einer Einheit verschmolzen werden (vgl. Lange 1875, S. 418). Diese Synthesis wird nicht von einer Entität, sei es das Ich, die Seele oder das Subjekt, geleistet, sondern stellt einen Vorgang dar, der im folgenden Gedankenexperiment beschrieben wird: Jetzt nehme ich an, das Ich, das Bewusstsein oder sonst ein fingirtes Wesen sitze im Innern des Schädels und betrachte das Netzhautbild […]. Das Wesen, welches ich fingire, ist sehr hingebend an seine Anschauuung; es ist ausser dieses Bildes überhaupt keiner Gesichtswahrnehmung fähig; sieht von sich selbst nichts, auch nichts von dem Medium, durch welches es sieht. Wohl aber ist dasselbe fingirte Wesen noch anderer Eindrücke fähig; es hört, es fühlt u.s.w. – Was wird geschehen? – Der Schall wird wohl sehr leicht mit dem Gesichtsbilde verschmelzen. Bewegt sich ein Glöcklein auf dem Bilde in einiger Harmonie mit dem entsprechenden Klang, so ist die Association gleich fertig. Von sich selbst als Zuschauer und Zuhörer kann unser Wesen freilich auch so nichts erfahren. Wir gehen weiter. […] Jetzt soll es [das fingierte Wesen, N. L.] ein Gebilde erblicken, dessen Bewegungen in vollständiger Harmonie mit seinen Empfindungen stehen, dessen Glieder zusammenfahren, wenn es einen Schmerz empfindet, sich ausstrecken, wenn es ein Verlangen empfindet. Dies Gebilde ist ganz im Vordergrund der Scene. […] Andre Gebilde zeigen sich, perspectivisch kleiner, sehr ähnlich, aber vollständiger, zusammenhängender, als das grosse Wesen im Vordergrund, mit welchem die Empfindungen von Schmerz und Lust so unzertrennbar zusammenhängen. Unser Wesen combinirt, abstrahirt, und da es von sich selbst ausser seinen Empfindungen gar nichts weiss, so verschmelzen auch seine Empfindungen mit dem grossen unvollständigen Gebilde im Vordergrunde des Sehfeldes; durch die Vergleichung mit andern aber wird dies Gebilde in der Vorstellung rückwärts ergänzt (Lange 1875, S. 416f).

Im eben angeführten Text zeigt Lange wie die Begriffe des Ichs, des eigenen Körpers und der Außenwelt entstehen (vgl. Lange 1875, S. 417). Der eigene Körper entspricht dem großen Gebilde, das im Vordergrund steht, die Außenwelt offenbart sich mit den anderen auftretenden Gebilden und das Ich wird erst „durch die Ideen-Association“ gesetzt (Lange 1875, S. 417). Dieser Ich-Begriff ist durchaus „vorläufig“ (Lange 1875, S. 417) und wird von Lange nicht geteilt. Damit hat er nur „einen Vorgang“ personifizieren wollen (Lange 1875, S. 417). Diese „Mittelperson“, die er erfunden hat, hält er für „überflüssig“ (Lange 1875, S. 417), da ihm „ein einheitlicher Verbindungspunkt“ für die verschiedenen Vorstellungen nicht „nöthig scheint“ (Lange 1875, S. 418). Im Zusammenhang mit Langes Zurückweisung einer Entität, die als Urheber der das Selbstbewusstsein konstituierenden Synthesis fungieren würde, ist auch Langes Übereinstimmung mit Lichtenberg, wie sie in folgender Bemerkung geäußert wird, zu verstehen:31

31 Sie findet sich im Kontext eines Referats über die Descartes-Kritik von Pierre Gassendi (vgl. Lange 1873, S. 228f).

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Am wenigsten ist der Schluss auf ein Subject des Denkens begründet, wie L i c h t e n b e r g mit der treffenden Bemerkung hervorgehoben hat: „E s d e n k t, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito ist schon zu viel, sobald man es durch I c h d e n k e übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postuliren, ist praktisches Bedürfnis (Lange 1873, S. 229)

Es ist bekannt, dass sich Nietzsche in der Entstehungszeit von Jenseits von Gut und Böse mit der Geschichte des Materialismus auseinandergesetzt hat.32 Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Nietzsches Kritik an den Logikern in der zweiten Hälfte des Aphorismus 17 auch gegen Lange richtet, da letzterer Lichtenbergs „Es denkt“-Formel als geeignet für eine Bezeichnung des Vorganges, den das Denken darstellt, betrachtet.33 Am Schluss des Abschnitts über die Forschungslage wurde darauf hingewiesen, dass ein weiterer Logiker, der als Adressat der im Aphorismus 17 geäußerten Kritik Nietzsches in Frage kommt, Hermann Rudolf Lotze ist. Dies erscheint aus einer ersten Sicht befremdlich, weil Nietzsche sich mit Lotze nicht besonders befasst zu haben scheint.34 In Die wirkliche und die scheinbare Welt jedoch gibt es ein Referat Teichmüllers über „Lotze’s Lehre vom Sein“ (Teichmüller 1882, S. 76–79), das Nietzsche allem Anschein nach gelesen hat und mit Blick auf seine Kritik am „Es denkt“ relevant sein könnte. Der Begriff des Seins ist nach Teichmüller wie jeder Begriff einer Sache „irgendwie schon u n b e w u s s t vorhanden“ (Teichmüller 1882, S. 14) und dessen Spuren finden sich nicht nur in unserem Bewusstsein, sondern auch in der Sprache. So erklärt sich auch die Benennung der Kategorien, die Teichmüller aus der Analyse des Bewusstseins abgeleitet hat (s. oben). Das ideelle Sein wird als das Was bezeichnet, weil wir eben dieses Wort verwenden, wenn wir nach der eben erwähnten Kategorie

32 Nietzsche hat ihre vierte Auflage (Lange 1882) im Frühjahr 1884 und in der Zeit von April bis Juni 1885 nachweislich gelesen (dazu Salaquarda 1978, S. 240; Loukidelis 2007). Aus arbeitstechnischen Gründen wird im vorliegenden Beitrag aus der zweiten Auflage der Geschichte des Materialismus und nicht aus der vierten zitiert. Letztere ist ein unveränderter Abdruck des Textes der zweiten Auflage, die Anmerkungen der zweiten wurden jedoch in ihr weggelassen (s. dazu Salaquarda 1978, S. 240). 33 In Ernst Machs Beiträgen zur Analyse der Empfindungen findet sich eine Langes Analysen ähnliche Kritik am Ich-Begriff (vgl. Mach, 1886, S. 1ff). Dabei bezieht sich auch Mach zustimmend auf Lichtenbergs „Es denkt“-Bemerkung (vgl. Mach 1886, S. 20). Das in Rede stehende Buch ist zwar in Nietzsches nachgelassener Bibliothek erhalten (vgl. Campioni et. al. 2003, S. 374), es gibt aber meines Erachtens keine Anhaltspunkte, die eine Lektüre von Machs Beiträgen während der Entstehungszeit von Jenseits von Gut und Böse befürworten. Diese Auffassung wird von Thomas Brobjers Annahme bekräftigt, dass Nietzsche Mach erst im Jahr 1887 gelesen hat (vgl. Brobjer 1997, S. 692). Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass Mach zu den Logikern gehört, gegen die sich Nietzsche im Aphorismus 17 wendet. 34 Immerhin findet man in Nietzsches Militärzeit auf einer Liste von Büchern, die „[z]u lesen sind“, Lotzes Medicinische Psychologie und Streitschriften (Lotze 1852, 1857; BAW 3, S. 393f); in seiner persönlichen Bibliothek die Grundzüge der Aesthetik (Lotze 1884; vgl. Campioni u.a. 2003, S. 363) und im Nachlass sowie in den Briefen einige Erwähnungen Lotzes (z.B. NL 1872–1873, KSA 7, 19[259]; Bf. an Rohde, 21.02.1873, KGB II/3, Bf. 296).

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fragen: „Jemand beginnt zu erzählen: ‚Er that – – ‘. ‚W a s that er?‘ ‚Er dachte – –‘. ‚W a s dachte er?‘ ‚Er wollte – – ‘. ‚‚W a s wollte er?‘“ (Teichmüller 1882, S. 52). Die Wahl des Partikels „Dass“ für die Benennung des realen Seins entspricht wiederum der Funktion, die ihm zukommt, wenn man sagt, dass etwas existiert. Und schließlich wird das substanziale Sein Ich genannt, weil „von dem Ich […] in der Sprache alles Sein ausgesagt [wird], sowohl das der Existenz als das Ideelle“ (Teichmüller 1882, S. 58). Die Bedeutung, die Teichmüller der Sprache bei der Suche nach dem Seinsbegriff zuschreibt, wird auch durch folgenden Text ersichtlich, der im Zusammenhang einer Darstellung und Kritik von Lotzes Seinsauffassung steht, wie sie in seiner Metaphysik (vgl. Lotze 1879) dargestellt wurde: Im weiteren Verlaufe, z.B. S. 83, giebt er dann wieder eine ganz andere Definition, indem er „die sich selbst vollziehende Thätigkeit“ unter dem Sein versteht und den Gegensatz zwischen Wesen und Erscheinung gänzlich aufgeben will. Obgleich es Lotze dunkel gelassen hat, was man sich unter einer Thätigkeit, die sich selbst vollzieht, näher denken soll, da die Thätigkeiten ja doch nur durch auswärtige Sollicitation ausgelöst werden können, wie kein Körper sich ohne äussere Veranlassung bewegen, kein Ich ohne Anlass wollen oder denken wird, so erkennt man bei dieser Definition wohl sein Bestreben, das ‚Wesen oder die Idee‘ der Idealisten mit dem ‚Dasein‘ der Realisten zu verschmelzen. Uns kann es aber, abgesehen von den eben angedeuteten Schwierigkeiten, dennoch Wunders nehmen, wo denn das Ich bleiben solle, wenn die Thätigkeit sich erst selbst vollzieht; denn man darf dann ja nicht mehr sagen: Ich denke, ich will, ich arbeite, sondern nur etwa: es denkt sich das Denken etwas, es will sich das Wollen, es arbeitet sich das Arbeiten. Sollte denn wirklich das Ich überflüssig oder sinnlos sein, welches wir herkömmlich als Subject des Satzes gebrauchen? (Teichmüller 1882, S. 79).

Lotzes Lehre vom Sein als der „sich selbst vollziehende[n] Tätigkeit“ (Teichmüller 1882, S. 79) könne nicht richtig sein, weil sie sich unter anderem sprachlich in einer Form ausdrücken ließe, die dem herkömmlichen Sprachgebrauch widerspreche. Im Zusammenhang mit der Frage nach den Logikern, auf die sich Nietzsche in der zweiten Hälfte des Aphorismus 17 bezieht, bedeutet dies, dass Lotze, der nach Teichmüllers Interpretation eine dem Es denkt verwandte Formel („Es denkt sich das Denken etwas“) vertreten würde, durchaus einer der Adressaten der Kritik Nietzsches sein könnte.

4. Nietzsches Verhältnis zu den „Logikern“ Das umfangreiche Material, das in den voranstehenden Ausführungen ausgehend vom Aphorismus 17 aus Jenseits von Gut und Böse zu Tage gefördert wurde, weist zum einen nach, dass Nietzsches Auseinandersetzung mit den „Logikern“ bei der Herauskristallisierung seiner Kritik am „Ich denke“ bzw. „Es denkt“ maßgebend war, und legt zum anderen nahe, dass dieser Auseinandersetzung zusätzlich eine besondere Bedeutung für die Entwicklung einiger weiterer zentraler Gedanken zukommt. Zwei Beispiele sollen dies belegen.

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Wenn man sich etwa den ganzen Inhalt des Aphorismus 36 aus Jenseits von Gut und Böse vergegenwärtigt, dabei besonders auf die berühmte Passage fokussiert, nach der „[d]ie Welt von innen gesehen, die Welt auf ihren ‚intelligiblen Charakter‘ hin bestimmt und bezeichnet […] eben ‚Wille zur Macht‘“ wäre (JGB 36, KSA 5, S. 55), und dann Nietzsches These mit Widemanns entsprechenden Ausführungen vergleicht (siehe oben), kann man nicht umhin festzustellen, dass es sich bei der Erwähnung des Begriffs des „intelligiblen Charakters“ nicht nur um eine Anspielung auf Widemann handelt: vielmehr weist die Fundierung des Begriffs des Willens zur Macht im Aphorismus 36 eine frappierende Nähe zu der des intelligiblen Charakters in Erkennen und Sein, so dass man davon ausgehen kann, dass sich Nietzsche an dieser Stelle Gedankengut Widemanns angeeignet hat.35 Darüber hinaus ist mit Blick auf Teichmüller zu bemerken, dass er in seinem Die wirkliche und die scheinbare Welt nicht nur das Ich, sondern – was in der NietzscheForschung meines Wissens bisher unbeachtet geblieben ist − auch das Selbst einführt, das „auch ganz unbewusst arbeiten [kann]“ und ersterem zu Grunde liegt (Teichmüller 1882, S. 76). Um seine Auffassung zu veranschaulichen, vergleicht er das Selbst mit einer „Kerze“: „wenn sie brennt, sind wir uns unserer bewusst; erlöscht sie, so verschwindet das Ich in’s Unbewusste; stellen wir durch Annäherung genügender Wärme die Flamme wieder her, so findet sich das Ich wieder, da dieselbe Kerze, dasselbe Selbst, die Bedingungen für das Brennen wieder liefert“ (Teichmüller 1882, S. 76). Auch wenn Nietzsche das Selbst in der vierten Rede Zarathustras (vgl. KSA 4, S. 39f) nicht wie Teichmüller als eine „substanziale Einheit“ (Teichmüller 1882, S. 76) konzipiert und sich entschieden, wie wir oben gesehen haben, gegen dieses Konzept wendet, teilt er mit Teichmüller die Prämisse, dass es zu einem sehr großen Teil unbewusst agiert und die „Bedingungen des Wissens“ (Teichmüller 1882, S. 76) sowie des Bewertens und Handelns schafft.36 Die beiden vorgebrachten Beispiele, die sich leicht vermehren ließen,37 zeigen, dass Nietzsche auf dem Weg zur Formulierung seiner die Bedeutung der Affekte und des Leibes hervorhebenden Philosophie den „Logikern“ nicht nur als Antipoden begegnet: vielmehr verdankt er ihren Gedankengängen Begründungsmomente, die für seine eigene Philosophie unentbehrlich sind. Auch in diesem Punkt dient die Beschäftigung mit Nietzsche der Entdeckung der philosophischen Vielfältigkeit und

35 Zu JGB 36 und Widemann vgl. auch Riccardi 2009a, S. 138f. 36 Es liegt nahe, dass sich Nietzsche bei der Formulierung der vierten Rede (auch) von Teichmüller inspirieren ließ, da er sich schon in der Entstehungszeit des ersten Zarathustra mit Die wirkliche und die scheinbare Welt befasst hat (vgl. dazu Riccardi 2009b). 37 Karl-Heinz Dickopp etwa hat bereits 1965 die Bedeutung von Spir und Teichmüller für die Grundlegung des Gedankens des Willens zur Macht überzeugend herausgearbeitet (Dickopp 1965, insbesondere S. 113ff). Und was Friedrich Albert Lange betrifft: Nietzsches Philosophie des Leibes verdankt ihm zweifellos wichtige Impulse (Salaquarda 1985, S. 35ff; vgl. auch Hocks 1914, S. 52ff, wo u.a. die Möglichkeit eines Einflusses von Langes Logische Studien (Lange 1877) erwogen wird).

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Fruchtbarkeit des 19. Jahrhunderts, eines Jahrhunderts, das – abgesehen von wenigen Ausnahmen – in dieser Hinsicht für längere Zeit vernachlässigt war.

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Mattia Riccardi

Nietzsche und die Erkenntnistheorie und Metaphysik Indizien für die konservative Lesart

1. Der kontextualisierte Nietzsche und die konservative Lesart Pauschal scheint es mir richtig zu behaupten, dass sich die meisten Interpreten traditionell darüber einig sind, Nietzsche befürworte einerseits (a) die erkenntnistheoretische These, dass unser Bild der Welt irgendwie falsch ist, andererseits (b) die ontologische These, dass die Wirklichkeit letztendlich Wille zur Macht ist. Eine Interpretation, die Nietzsche sowohl (a) als auch (b) zuschreibt, könnte man deshalb konservativ nennen. Diese konservative Lesart wurde jedoch von einflussreichen Interpreten wie Maudemarie Clark und Brian Leiter infrage gestellt.1 Sie behaupten, dass sich Falsifizierungs-These sowie Macht-Metaphysik mit dem „uniform and unambiguous respect for facts, the senses, and science“ (Clark 1990, S. 105), die mindestens für Nietzsches letzte Werke charakteristisch sei, gar nicht vertragen. Insbesondere widerspräche die Falsifizierungs-These dem vom späten Nietzsche verteidigten empirischen Realismus, während die Macht-Metaphysik eine unakzeptable Verletzung des nüchternen Naturalismus sei, zu dem er sich in seinen Schriften wiederholt bekennt. Die kritischen Argumente, die Clark und Leiter zur Begründung dieser Thesen formulieren, sind zweifellos schlagkräftig. Das Hauptziel meines Beitrags ist es nicht, direkt und ausführlich auf diese Argumente einzugehen. Vielmehr werde ich mich bemühen, der konservativen Lesart mit Hilfe einer philosophiegeschichtlichen Kontextualisierung von Nietzsches Erkenntnistheorie und Metaphysik einige Unterstützung anzubieten. Denn von der Perspektive seiner Beschäftigung mit der zeitgenössischen Philosophie her gelesen, fallen Falsifizierungs-These und Macht-Metaphysik als zwei Grundpositionen auf, die sich in den Rahmen von Nietzsches späterer Philosophie durchaus einbetten lassen. Bevor ich mich dieser Hauptaufgabe widmen kann, sind aber noch einige Bemerkungen vorauszuschicken. Bei dem Versuch, das Werk eines Philosophen vor den Hintergrund des jeweiligen historischen Kontexts zu stellen, wird oft der „breite“ geschichtliche und kulturelle Horizont seiner Epoche ins Auge gefasst. In meiner Betrachtung werde ich dagegen den „engen“ Kontext fokussieren, der in den sogenannten „Quellen“ von Nietzsches

1 Vgl. Clark 1990, 2006 und Leiter 2002 und Leiter im Druck.

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Denken besteht. Hierbei handelt sich um Autoren, die Nietzsche direkt rezipiert und denen er zuweilen wichtige Ansichten verdankt. Zugunsten dieser Herangehensweise lassen sich unterschiedliche Gründe vorbringen, die aber alle auf Nietzsches etwas eigenwilligen Umgang mit den Texten anderer Autoren zurückgeführt werden können. Sowohl seine Werke als auch sein Nachlass bergen zahlreiche versteckte Hinweise auf Zeitgenossen, mit denen er sich intensiv beschäftigte und deren Thesen er sich manchmal aneignet, viel häufiger aber zurückweist. In den letzten Jahrzehnten hat eine systematisch geführte Quellenforschung zur Erschließung des Großteils solcher in Nietzsches Texten verstreuten Verweise entscheidend beigetragen. Dies hat wiederum ein genaueres Verständnis von vielen Positionen ermöglicht, die er erwägt, vorträgt bzw. attackiert. Deshalb scheint es mir, dass die Berücksichtigung von Nietzsches Quellen das beste Instrument zur konkreten und philologisch fundierten Kontextualisierung seines Denkens darstellt.2 Um Nietzsches Umgang mit der Erkenntnistheorie und Metaphysik seiner Zeit in Übereinstimmung mit diesem quellengeschichtlichen Ansatz zu skizzieren, wird zunächst in Abschnitt 2 ein sehr kurzer Überblick über das Thema der Untersuchung gegeben, der die Hauptkoordinaten zur späteren Betrachtung von Nietzsches Falsifizierungs-These und Macht-Metaphysik liefern soll. Die zwei darauf folgenden Abschnitte (3 und 4) beschäftigen sich mit der Falsifizierungs-These. Hier werde ich zeigen, dass Nietzsche zu verschiedenen Zeiten zwei unterschiedliche Versionen dieser These vertritt. Im Abschnitt 5 werde ich auf Nietzsches Betrachtung der Kausalität eingehen, denn sie bietet einen geeigneten Übergang zur Macht-Metaphysik, die im Abschnitt 6 behandelt wird.

2. Nietzsches Erkenntnistheorie und Metaphysik im Kontext: Ein Überblick In diesem Abschnitt werde ich versuchen, einen knappen Überblick über das Verhältnis von Nietzsches Erkenntnistheorie und Metaphysik zur Philosophie seiner Zeit zu geben. Hierbei werde ich sehr kursorisch vorgehen. Die hier gelieferte Übersicht erhebt also keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll zur ersten Orientierung dienen. Da ich auf einige von Nietzsches Zeitgenossen im Laufe der Untersuchung detaillierter eingehen werde, ist an dieser Stelle kurz über weitere relevanten Quellen seines Denkens zu berichten.

2 Auf die meisten der an dieser Stelle herangezogenen Quellen bin ich bereits in Riccardi 2009a eingegangen. Da ich dem Leser wiederholte Verweise auf diese Veröffentlichung lieber ersparen möchte, beschränke ich mich bis auf eine Ausnahme auf diesen pauschalen Hinweis.

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Im Hinblick auf die erkenntnistheoretischen Fragen gehört Nietzsches auf immer markantere Weise hervorgehobene Nähe zum Neukantianismus zu den in den letzten Jahrzehnten meistdiskutierten Aspekten seines Verhältnisses zur Philosophie der Zeit. In diesem Zusammenhang wurde Nietzsches Version3 der Falsifizierungs-These manchmal als eine mehr oder weniger ausgeprägte Radikalisierung des kritischen Ansatzes gedeutet, die in ihren Grundzügen auch bei anderen Denkern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederzufinden sei. Es ist in der Tat so, dass sich viele der zeitgenössischen Philosophen, mit denen sich Nietzsche am intensivsten beschäftigt hat, stark an Kants Kritizismus anlehnen. Hierbei kann man Neukantianer stricto sensu, wie etwa Friedrich Albert Lange und Otto Liebmann, von weiteren Denkern unterscheiden, die, obwohl sie sich irgendwie im Horizont der transzendentalen Philosophie bewegen, nicht als echte Anhänger des Neukantianismus anzusehen sind. Zu den letzten gehören beispielsweise Afrikan Spir und Gustav Teichmüller. Da alle diese Autoren zu jenen zählen, die in meinen weiteren Überlegungen oft wieder auftauchen werden, überlasse ich die Aufgabe einer näheren Betrachtung ihrer Rolle im Kontext von Nietzsches „intellektueller Biographie“4 den kommenden Abschnitten. Sobald wir uns Nietzsches metaphysischen Thesen zuwenden, wird das Szenario komplizierter. Um die wichtigsten Momente seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie seiner Zeit herauszustellen, ist es in diesem Fall hilfreich, chronologisch vorzugehen. Bekanntlich orientiert sich Nietzsches frühe Artisten-Metaphysik, die sich vor allem im Hintergrund der Geburt der Tragödie findet, am Muster der schopenhauerschen Willensmetaphysik.5 In Nietzsches eigenen Worten geht es um die „metaphysische[…] Annahme […], dass das Wahrhaft-Seiende und Ur-Eine, als das ewig Leidende und Widerspruchsvolle, zugleich die entzückende Vision, den lustvollen Schein, zu seiner steten Erlösung braucht“ (GT 4, KSA 1 S. 38). Diese Auffassung, die im Erstlingswerk auftaucht, weist aber auf ein breiteres metaphysisches Projekt hin, das Nietzsche jedoch nie fertig bringen konnte. Wie der Nachlass aus diesen Jahren dokumentiert, spielt in diesem Zusammenhang vor allem seine Lektüre von Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewussten (1869) eine wichtige Rolle, wie Aldo Venturelli zutreffend hervorhebt: „Anknüpfend an Hartmann gelingt es Nietzsche, die von Wagner erhaltenen Anregungen, seine Treue zu Schopenhauer und seine philosophischen Kenntnisse auf originelle Weise fruchtbar zu machen“ (Venturelli 2003, S. 19).6

3 Eigentlich sollte man von „Versionen“ im Plural sprechen, denn, wie ich zu zeigen versuche, hat Nietzsche zu verschiedenen Zeiten die These unterschiedlich spezifiziert und untermauert. 4 Dieser Ausdruck ist aus Brobjer 2008 entnommen. Brobjers Studie bietet einen hervorragenden Überblick über Nietzsches Beschäftigung mit der Kultur seiner Zeit. 5 Eine gut argumentierte Betrachtung der Artisten-Metaphysik hat Han-Pile 2007 jüngst geliefert. 6 Zu Nietzsches Rezeption von Hartmann vgl. auch Gerratana 1988.

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Nietzsches sogenannte „mittlere“ Periode ist von einer klaren Distanzierung vom kulturphilosophisch motivierten Projekt der früheren Artisten-Metaphysik geprägt. Oft wird diese Periode als die positivistische Phase seines Denkens bezeichnet. Obwohl sich diese Bezeichnung sicherlich als irreführend erweisen kann, signalisiert sie doch einen tatsächlichen Umbruch in Nietzsches Haltung der Wissenschaft und im Allgemeinen der empirischen Forschung gegenüber. Menschliches, Allzumenschliches eröffnet diesen neuen Kurs mit einem klaren Bekenntnis zur „historische[n] Philosophie“ (MA I 1, KSA 2, S. 23), die explizit mit einer auf apriorische Erkenntnisse gerichteten Art des Philosophierens kontrastiert wird. Bekanntlich verdankt Nietzsche diese neue Ausrichtung mindestens zum Teil dem regen intellektuellen Austausch mit seinem Freund Paul Rée. Doch scheint auch seine Beschäftigung mit Eugen Dühring eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt zu haben. Dies bezeugt eine ungewöhnlich lange, aus dem Jahr 1875 stammende, kommentierende Zusammenfassung von Dührings Werk Der Werth des Lebens, in der wichtige Themen auftauchen, die noch in Menschliches, Allzumenschliches präsent sind.7 Im ersten Buch dieses Werks polemisiert dann Nietzsche auch noch gegen Afrikan Spir, der vor allem als Vertreter der apriorischen Philosophie herangezogen wird. In diesem Zusammenhang ist es manchmal schwierig, die metaphysische von der erkenntnistheoretischen Fragestellung zu unterscheiden. Nietzsches Hauptvorschlag besteht im Vorhaben einer „E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e d e s D e n k e n s“ (MA I 16, KSA 2, S. 37), die sowohl den apriorischen Ansatz ersetzen als auch metaphysische Probleme als irrelevant entblößen sollte. In den 1880er Jahren führt Nietzsche den Begriff des „Willens zur Macht“ ein und versucht damit, eine relationale Metaphysik zu skizzieren. Es bleibt immer noch kontrovers, inwiefern diese Macht-Metaphysik für seine späte Philosophie tatsächlich zentral ist. Auf solche Probleme werde ich an dieser Stelle nicht eingehen. Vielmehr soll geschildert werden, welche zeitgenössischen Philosophen Nietzsche im Visier hatte, als er an der Macht-Metaphysik arbeitete. Einerseits sind Schopenhauers Anhänger wie Philipp Mainländer und Alfons Bilharz zu nennen, die jeweils eine pluralistische Variante der schopenhauerschen Willensmetaphysik entfalten, auf die Nietzsche eingeht. Eine ähnliche Rolle bei der Genese seiner Macht-Metaphysik spielen weiterhin einige Philosophen, die man pauschal als Neuleibnizianer etikettieren kann. Damit beziehe ich mich vor allem auf Otto Caspari und Maximilian Drossbach. Da ich im Laufe meiner Untersuchung auf die meisten der hier nur genannten Zeitgenossen Nietzsches, die für die Entstehung seiner Macht-Metaphysik von Bedeutung waren, zu sprechen kommen werde, beschränke ich mich zunächst auf diese spärlichen Hinweise.8 Aufgabe der folgenden Abschnitte wird es also sein, die bisher eher kursorisch bereitgestellten Informationen in einen systematischen Rahmen ein-

7 Vgl. Dühring 1875. Zu Nietzsche und Dühring vgl. insbesondere Venturelli 1986 und Gerhardt 1988. 8 Eine Ausnahme ist Caspari, dessen Bedeutung für einige Themen in Nietzsches Philosophie ich an dieser Stelle nicht berücksichtigen werde. Vgl. dazu D’Iorio 1993a und Riccardi 2009a.

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zubetten und somit eine Reihe von konkreten und exemplarischen Momentaufnahmen von Nietzsches Beschäftigung mit der Erkenntnistheorie und Metaphysik seiner Zeit zu liefern.

3. Sinnliche Qualitäten und Falsifizierung Die konservative Lesart, die ich in meinem Beitrag untermauern möchte, behauptet, dass Nietzsche an der Falsifizierungs-These festhält. Die Motivation, die dieser These zugrunde liegt, ändert sich aber im Laufe seines Denkens. In diesem Abschnitt werde ich mich mit der Formulierung der These beschäftigen, die für die Periode zwischen Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne und Die fröhliche Wissenschaft einschlägig ist. Wie ich im nächsten Abschnitt zu zeigen versuchen werde, verteidigt der späte Nietzsche immer noch die Falsifizierung-These, begründet sie aber anders. Die erste Formulierung der Falsifizierungs-These wurzelt in einer Auffassung der sinnlichen Qualitäten, die Nietzsche seiner dauernden Auseinandersetzung mit dem sogenannten physiologischen Neukantianismus verdankt. Die physiologische Variante des Neukantianismus resultiert aus dem Versuch, Kants transzendentalen Ansatz mit der zunächst von Johannes Müller entwickelten Theorie der Sinnesenergien zu kombinieren. Wichtigster Vertreter dieser Kombination war der Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz.9 Schnell fand sie doch zahlreiche Anhänger sowohl unter Wissenschaftlern als auch unter Philosophen. So behauptet Friedrich Albert Lange in seiner Geschichte des Materialismus (ein Werk, auf das Nietzsche mehrmals zwischen 1866 und 1887 zurückgriff), „[d]ie Physiologie der Sinnesorgane ist der entwickelte oder der berechtigte Kantianismus“ (Lange 1866, S. 482).10 Wie zahlreiche Interpreten betont haben, hat sich bereits der junge Nietzsche mit dieser physiologischen Version des Neukantianismus beschäftigt und daraus wesentliche Ansichten gewinnen können. Beispielsweise ist die erkenntnistheoretische Position, die er in Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne vorträgt, von dieser Auseinandersetzung stark geprägt. Insbesondere wirkt die Theorie der Sinnesenergien als zentraler Hintergrund für Nietzsches erste deutliche Formulierung der Falsifizierungs-These – eben jene, die in der kleinen nachgelassenen Schrift zu finden ist. Die Tatsache, dass in der philosophischen und wissenschaftlichen Literatur, mit der Nietzsche am häufigsten in Kontakt kam, die physiologische Version des Neukantianismus stark vertreten war, ist aber nur ein Grund dafür, dass er sie philosophisch attraktiv fand. Maßgeblich war vor allem, dass sie in seinen Augen interessante Zusammenhänge mit Schopenhauers Philosophie aufwies. Auf der einen Seite glaubt

9 Vgl. dazu insbesondere Reuter 2009. 10 Die Beiträge zu Nietzsches Verhältnis zu Lange sind zahlreich. Die umfangreichste Studie bleibt Stack 1983. Vgl. auch die klassischen Arbeiten von Salaquarda 1978, 1979 und 1985.

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Nietzsche, in der physiologisch neuformulierten Erkenntniskritik einen tauglichen Ansatz zu finden, um einige Schwierigkeiten des schopenhauerschen Systems zu lösen. Diese Perspektive dominiert insbesondere seine frühe Auseinandersetzung mit Lange: Wie er in einem Brief an Gersdorff aus dem Jahr 1866 schreibt, „selbst bei diesem [Langes] strengsten kritischen Standpunkte bleibt uns unser Schopenhauer, ja er wird uns fast noch mehr“ (Bf. an Carl von Gersdorff, Ende August 1866, KGB I/2, Bf. 517). Auf der anderen Seite konnte Nietzsche eine überraschende Übereinstimmung zwischen der für den physiologischen Neukantianismus ausschlaggebenden Wahrnehmungstheorie und Schopenhauers Sinnesauffassung anerkennen. Darauf werde ich im Laufe meiner Betrachtung noch zurückkommen. Zunächst soll aber auf das für uns zentrale Problem der sinnlichen Qualitäten eingegangen werden. In Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne ist folgende berühmte Passage zu lesen: Sie [die Menschen] sind tief eingetaucht in Illusionen und Traumbilder, ihr Auge gleitet nur auf der Oberfläche der Dinge herum und sieht „Formen“, ihre Empfindung führt nirgends in die Wahrheit, sondern begnügt sich Reize zu empfangen und gleichsam ein tastendes Spiel auf dem Rücken der Dinge zu spielen (WL 1, KSA 1, S. 876).

Die Tatsache, dass unser Bild der Welt irgendwie falsch ist, hat für Nietzsche also damit zu tun, dass der qualitative Inhalt der Empfindung eine Art von gattungsspezifischer Reaktion auf die äusseren Einwirkungen ist. Die sinnlichen Qualitäten sind keine Eigenschaften der äußeren Dinge, sondern instanziieren sich mental. Natürlich tragen auch andere Faktoren zur Falsifizierung bei, wie die Tatsache, dass wir „Formen“ sehen, oder – wie Nietzsche vor allem im zweiten Teil der Schrift argumentiert – die Art und Weise, auf die der Inhalt unserer Erfahrung begrifflich strukturiert wird. Die, wenn man so will, „Ur-Falsifizierung“ scheint dennoch für Nietzsche damit gegeben zu sein, dass die Einwirkung auf unsere Sinnesapparate qualitativ umgewandelt wird. Dies ist aber gerade das Phänomen, das von der Theorie der Sinnesenergien beschrieben wird. Es scheint deshalb nahezuliegen, dass sie als der Hintergrund für Nietzsches erste Formulierung der Falsifizierungs-These wirkt. Diese Vermutung wird verstärkt, sobald man die Überlegungen in Betracht zieht, die diese Theorie bei denjenigen zeitgenössischen Philosophen auslöst, mit denen Nietzsche gut vertraut war. Ein erstes Beispiel bietet wiederum Langes Betrachtung. Eine wichtige Stelle, an der Lange gegen Kants transzendentale Auffassung polemisiert, betrifft den Status der sinnlichen Qualitäten. Insbesondere behauptet er, Kant habe deren apriorische Natur zu begreifen versäumt. Diese leuchte jedoch unmittelbar ein, denn – so meint Lange – man kann „die einfache Qualität der Empfindung nicht aus der Erfahrung ableiten, sondern nur umgekehrt, die Erfahrung aus den Empfindungen“ (Lange 1866, S. 255). Empirische Untermauerung bekomme nun diese These in Langes Augen von der Theorie der Sinnesenergien, wonach die „eigenthümliche Qualität“ der Empfindung „durch unseren Organismus“ bedingt ist (Lange 1866, S. 256). Nach Lange stellen also die sinnlichen Qualitäten jenes formale Moment der Anschauung dar, das Kant des-

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halb nicht anerkennt, weil er von der falschen Annahme ausgeht, die Empfindung sei rein stofflich. Ähnliche Schlüsse zum Status der sinnlichen Qualitäten zieht auch Otto Liebmann aus der Theorie der Sinnesenergien – wieder eine wichtige Quelle für Nietzsches Denken. Auf das Problem der Sinnlichkeit geht Liebmann vor allem in einem „Ueber die Phenomenalität des Raumes“ betitelten Beitrag ein, der zuerst als Artikel 1871–72 in den Philosophischen Monatsheften veröffentlicht wurde.11 Wie Liebmann dort behauptet, bestätige das Müllersche Gesetz ganz deutlich die philosophische These, dass „die Qualität der Empfindung […] eine Modification der empfindenden Sensibilität“ ist (Liebmann 1880, S. 41). Dies heißt, dass der „qualitative Inhalt unserer Empfindungen“ den physikalischen Eigenschaften gegenüber völlig „disparat“ ist, eben weil er „subjectiv“ und „phänomenal“ sei (Liebmann 1880, S. 40). Nietzsches prompte Aufnahme der Theorie der Sinnesenergien wird zum Teil auch dadurch erklärt, dass er relevante Gemeinsamkeiten zwischen dieser Theorie und Schopenhauers Wahrnehmungsauffassung vorfand. Dies gilt vor allem im Bezug auf Schopenhauers These, Farben seien mentale Eigenschaften. Zur Veranschaulichung des „engen“ Kontexts, in dem sich Nietzsches Philosophie situiert, kann es wiederum hilfreich sein, einen Autor einzuführen, der ihm bekannt war. Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang eine kleine Schrift des Physiologen Johannes Nepomuk Czermaks, die Schopenhauers Farbentheorie gewidmet ist und die Nietzsche 1870 las. Czermak stellt eine „wirklich überraschende und stauneswerthe Übereinstimmung der S c h o p e n h a u e r ’ s c h e n mit unserer modernen Y o u n g H e l m h o l t z ’ s c h e n Farbentheorie“ fest (Czermak 1870, S. 393), indem er in Schopenhauers These, die Farben seien auf die Tätigkeit der Netzhaut zurückzuführen, eine Antizipation der Theorie der spezifischen Energien sieht. Dies erlebte der junge Schopenhauerianer als „großen Triumpf“ (Bf. an Gersdorff, 12.12.1870, KGB II/1, Bf. 111) wie Nietzsche in einem Brief an Gersdorff mitteilt.12 Stellt man sich diesen dichten Zusammenhang nun vor Augen, sollte nicht verwunderlich erscheinen, dass Nietzsche seine erste Formulierung der FalsifizierungsThese im wesentlichen in der Betrachtung der sinnlichen Qualitäten begründet, die aus der Theorie der Sinnesenergien quasi unmittelbar folgt. Nietzsches Befürwortung dieser Betrachtung der sinnlichen Qualitäten geht aber deutlich über die frühe, von

11 Zu Nietzsches Lektüre dieses Artikels vgl. D’Iorio 1993c. Im Folgenden zitiere ich aus der Version von Liebmanns Artikel, die in der zweiten Aufgabe seiner Analysis der Wirklichkeit abgedruckt wurde. Auf dieses Werk werde ich noch später zu sprechen kommen. 12 Noch weiter als Czermak geht der Astronom Friedrich Zöllner, der in seinem Buch Über die Natur der Cometen Helmholtz sogar Plagiat aus Schopenhauers Sinnestheorie vorwirft. Wiederum ist dies ein Werk, das Nietzsches erkenntnistheoretische Position zur Zeit von Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne auf verschiedene Art und Weise beeinflusste. Vgl. auch hier Reuter 2009 für eine umfangreiche Betrachtung. Zu Nietzsches Beschäftigung mit Zöllner vgl. auch Orsucci 1994.

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der Schopenhauer-Begeisterung noch geprägte Phase seines Denkens hinaus. Denn explizite Bezüge auf Müllers Gesetz, die meistens durch Nietzsches wiederholte Beschäftigung mit Vertretern des physiologischen Neukantianismus vermittelt sind, kommen immer wieder vor. Oft greift Nietzsche an solchen Stellen auf bereits Bekanntes zurück. So notiert er beispielsweise 1881: Wir können dieselbe Bewegung als Ton Farbe Wärme Elektrizität e m p f i n d e n. Die E m p f i n d u n g macht die Eigenschaften der Dinge für uns so bunt und mannigfaltig. In Wahrheit könnte alles viel einfacher und anders sein! (NL 1881, 11[236], KSA 9, S. 531).

Diese Notiz, wie ein einleitender Verweis expliziert, schreibt Nietzsche im Anschluss an seine erneute Lektüre von Liebmanns „Ueber die Phänomenalität des Raumes“ nieder – diesmal als zweites Kapitel der 1880 in zweiter Auflage erschienenen Analysis der Wirklichkeit. Wichtig ist aber vor allem, dass Nietzsches Bekenntnis zur Falsifizierungs-These auch in dieser Phase von einer Auffassung des qualitativen Inhalts der Empfindung als bloß subjektiv motiviert ist, die auf der Theorie der spezifischen Sinnesenergien basiert. Denn diese Auffassung scheint der Behauptung implizit zugrunde zu liegen, die „Gewohnheiten unserer Sinne haben uns in Lug und Trug der Empfindung eingesponnen: diese wieder sind die Grundlagen aller unserer Urtheile und ‚Erkenntnisse‘“ (M II 117, KSA 3, S. 110). Ähnlich wie in Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne wird hier der irrtümliche Charakter unserer Überzeugungen und Urteile auf die grundlegende Verfälschung unserer Sinne zurückgeführt. Obwohl nicht ganz klar ist, was Nietzsche mit dem Ausdruck „Gewohnheiten unserer Sinne“ meint, weist seine weitere Rede vom „Trug der Empfindung“ darauf hin, dass diese Verfälschung im wesentlichen von der qualitativen Dimension unserer sinnlichen Erfahrung abhängt. Dieser Punkt kommt an einigen nachgelassenen Stellen expliziter zum Ausdruck, wie folgende Notiz gut verdeutlicht: Es liegt auf der Hand, daß jedes von uns verschiedene Wesen andere Qualitäten empfindet und folglich in einer anderen Welt, als wir leben, lebt. Die Qualitäten sind unsere eigentliche menschliche Idiosynkrasie: zu verlangen, daß diese unsere menschlichen Auslegungen und Werthe allgemeine und vielleicht constitutive Werthe sind, gehört zu den erblichen Verrücktheiten des menschlichen Stolzes (NL 1886–1887, 6[14], KSA 12, S. 238).

Hier stoßen wir aber auf ein erstes Problem. Wie bereits angekündigt, haben Leiter und Clark richtig hervorgehoben, dass der späte Nietzsche eine Art von Empirismus bzw. Sensualismus vertritt, der mit dieser Formulierung der Falsifizierungs-These inkompatibel ist.13 Denn in der Götzen-Dämmerung ist ganz deutlich zu lesen, die Sinne „lügen überhaupt nicht“ (GD Vernunft 2, KSA 6, S. 75). Daraus – so läuft ihre

13 Dazu vgl. Riccardi 2013.

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Argumentation – lässt sich der Schluss ziehen, Nietzsche habe in seinem späten Werk die Falsifizierungs-These zugunsten einer Version von empirischem Realismus einfach preisgegeben. Wie soll man auf diese Lesart reagieren? Ist dieser letzte Schluss zwingend notwendig? Oder ist die Falsifizierungs-These auch im Rahmen von Nietzsches spätem Sensualismus doch zu retten? Es ist schwer zu leugnen, dass diese Passage aus der Götzen-Dämmerung eine Neupositionierung in Nietzsches Denken signalisiert. Ich glaube aber nicht, dass dies uns dazu zwingen sollte, soweit zu gehen wie Leiter und Clark. Die FalsifizierungsThese verlangt bloß, dass unseres Bild der Welt irgendwie falsch ist. Sie verlangt aber nicht, dass die Quelle der Falsifizierung unsere Sinnlichkeit sei. Unsere Erfahrung der Welt ist ein vielschichtiges Unternehmen, das aus dem Zusammenspiel mehrerer kognitiver Leistungen resultiert. Um die Falsifizierungs-These aufrecht zu erhalten, würde es wohl reichen, wenn die eine oder andere dieser kognitiven Operationen für irgendeine Form von Falsifizierung verantwortlich wäre. Gerade diese Ansicht scheint doch Nietzsche selbst wenige Zeilen später zu suggerieren: Was wir aus ihrem [der Sinne] Zeugniss m a c h e n, das legt erst die Lüge hinein, zum Beispiel die Lüge der Einheit, die Lüge der Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer… Die ‚Vernunft‘ ist die Ursache, dass wir das Zeugniss der Sinne fälschen. Sofern die Sinne das Werden, das Vergehn, den Wechsel zeigen, lügen sie nicht… Aber damit wird Heraklit ewig Recht behalten, dass das Sein eine leere Fiktion ist (GD Vernunft 2, KSA 6, S. 75).

Bleibt nun Raum für eine alternative Formulierung der Falsifizierungs-These, die sich also der Kritik von Clark und Leiter entzieht, darf sie jedoch nicht mehr auf der Müllerschen Theorie der Sinnesqualitäten begründet werden. Welche Form soll die These beim (sehr) späten Nietzsche nun annehmen? Auch bei der Beantwortung dieser Frage wird sich die Berücksichtigung seiner Beschäftigung mit der Philosophie der Zeit wieder als sehr hilfreich erweisen.

4. Begriffe und Falsifizierung Die oben angeführte Passage aus der Götzen-Dämmerung verdeutlicht, dass für Nietzsche die unserer Erfahrung innewohnende Falsifizierung von der Leistung höherer kognitiver Funktionen abhängt. Sinnliche Qualitäten wie Farben oder Töne tragen hingegen – als solche – zu der Verfälschung nicht bei. Eher ist es die Okkurrenz von gewissen Konzeptualisierungsvorgängen, die das „Zeugniss“ der Sinne verstellt. Um Nietzsches Verständnis dieser allgemeinen Idee genauer herauszuarbeiten, werde ich wieder zeitgenössische Philosophen heranziehen, mit denen er gut vertraut war. Wie von Nadeem Hussain prägnant betont, lässt sich Nietzsches Position auf zwei zentrale Auffassungen zurückführen. Die erste ist eine „conception of the world of experience in phenomenalist terms as made up of sensations that come and go in

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various clusters according to their own laws“ (Hussain 2004, S. 342). Die zweite ist eine „conception of our thoughts, and of our language, as referring to clusters of sensations using concepts given which all such claims, literally construed, are false“ (Hussain 2004, S. 342). Um genauer zu verstehen, wie Nietzsche zu diesen beiden Auffassungen kam, empfiehlt sich, sein Verhältnis zu Afrikan Spir und Gustav Teichmüller – zwei Philosophen, denen die Nietzsche-Forschung seit Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder Aufmerksamkeit geschenkt hat – zu beachten.14 Sowohl Spir als auch Teichmüller teilen in einer wesentlichen Hinsicht die Heraklitische Ansicht, die Nietzsche in der bereits erwähnten Passage aus der GötzenDämmerung preist. Demnach ist unsere Erfahrung ursprünglich von einem ständigen Empfindungswechsel konstituiert. Diese Ansicht kommt bei Spir, der sich in seiner Schilderung sogar explizit auf Heraklit bezieht, ganz deutlich zur Sprache: Wahr ist also, was der alte Heraclit gelehrt hat, dass die Welt der Erfahrung einem Strome zu vergleichen ist, in dem immer neue Wellen die früheren verdrängen und der sich keine zwei einander folgende Augenblicke vollkommen gleich bleibt. Wohl ist etwas Unwandelbares in der Welt der Erfahrung vorhanden; aber dasselbe ist nicht substantieller Natur, ist nicht realer Gegenstand oder eine Mehrheit realer Gegenstände, sondern liegt in den blossen Gesetzten der Erscheinungen, in der Ordnung ihres Zugleichseins und ihrer Aufeinanderfolge (Spir 1877, S. 277f).

Spirs Position ist deutlich. Gegeben sind uns nichts als Empfindungen, die also Nietzsches unmittelbares „Zeugnis“ der Sinne ausmachen. Phänomenologisch sieht es aber anders aus, denn wir treffen in unserer alltäglichen Erfahrung feste und beharrliche Gegenstände wie Tische oder Äpfeln an. Wie kommt nun der Übergang vom heraklitischen Empfindungswechsel zur Welt der uns vertrauten Gegenstände überhaupt zustande? Die Antwort liegt für Spir darin, dass wir gewisse Begriffe – insbesondere den Substanzbegriff – zur kognitiven Kategorisierung der ständig changierenden sinnlichen Inhalte anwenden. Die Hauptzüge seiner Position fasst Green passend zusammen: [C]ognition of experience is contradictory because it is an attempt to force the image of a necessary unity onto the temporal flow of sensations. We are thinking about the world only to the extent that we apply the image of unity, and yet in so doing we conceive of a world that contradicts particularity and the flow of time (Green 1999, S. 48).

Spirs These ist also, dass unsere Erfahrung von empirischen Gegenständen bzw. Körpern daraus resultiert, dass man den Substanzbegriff zur begrifflichen Artikulierung der sinnlichen Empfindungen anwendet. Dabei sind zwei Aspekte besonders wichtig. Erstens meint Spir, dass diese Anwendung des Substanzbegriffs konstitutiv

14 Beide Philosophen werden bereits bei Hocks 1914 berücksichtigt. Zu Spir bleibt D’Iorio 1993b die akkurateste Arbeit. Vgl. aber auch Green 1999.

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irreführend ist. Denn sie lässt uns glauben, dass die von uns erfahrenen Gegenstände keine bloßen Empfindungskomplexe, sondern tatsächlich Substanzen seien. Dies ist aber seiner Auffassung nach schlicht falsch, denn Substanz kann nur Etwas sein, das keine Veränderung erleidet und allein intrinsische Eigenschaften besitzt. Gerade das Gegenteil davon ist jedoch bei empirischen Gegenständen der Fall. Zweitens ist diese inkongruente Anwendung des Substanzbegriffs unausweichlich, denn sie geschieht für Spir unbewusst und infolge eines ursprünglichen Denkaktes. Darin sieht er also die Quelle einer Art kognitiver Illusion, die sich natürlich und unausrottbar ergibt. Es ist leicht, deutliche Anklänge von Spirs Überlegungen in Nietzsches Auffassung der verfälschenden Rolle wiederzufinden, die Begriffe wie der von Substanz bei der kognitiven Strukturierung unserer Erfahrung spielen. Um wieder auf die bereits mehrmals erwähnte Stelle aus der Götzen-Dämmerung zurückzugreifen, wird das „Zeugnis“ der Sinne eben durch „die Lüge der Einheit, die Lüge der Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer“, die alle aus der „,Vernunft‘“ entspringen, verzerrt (GD Vernunft 2, KSA 6, S. 75). Natürlich weicht Nietzsche grundsätzlich von Spirs These ab, wonach Begriffe wie die von Substanz oder Einheit als apriorische Denkinstanzen anzusehen seien. Auf diesen Unterschied werde ich am Ende dieses Abschnitts noch zu sprechen kommen. Zunächst ist aber Nietzsches Beschäftigung mit Gustav Teichmüller zu betrachten. Obwohl sich Nietzsche auch für andere Werke von Teichmüller interessierte, kommt dem 1884 erschienenen Buch Die wirkliche und die scheinbare Welt eine besondere Relevanz zu.15 Dies gilt auch in Hinblick auf die Problematik, die uns gerade beschäftigt. In einer Passage, woraus Nietzsche bereits im Jahr 1883 exzerpiert,16 räsoniert Teichmüller folgendermaßen: Wenn sich nun im Bewusstsein die unzähligen Mosaiksteine der Empfindungen aus allen Sinnen unzählige Male durcheinandergeschoben haben und bei diesen vielen Bewegungen schliesslich gewisse Complexe durch häufige Wiederholung Halt und Stand gewinnen, so entsteht die Fata Morgana des Lebens, nämlich die Meinung, dass die sogenannten Dinge, die Menschen, Thiere, Bäume und alles, was in seiner Erscheinung eine gewisse Zeit zusammenhält, d.h. in uns als ein relativ fester Complex von verschiedenen Empfindungen erscheint, die sogenannten Gegenstände oder Substanzen oder die Wirklichkeit waren (Teichmüller 1882, S. 132).

Beide von Hussain betonten Aspekte kommen hier paradigmatisch zum Ausdruck. In erster Instanz werden uns lose Empfindungen gegeben, woraus sich objektuale Komplexe bilden. Teichmüllers Rede klingt – mindestens an dieser Stelle – eher assoziativ, denn er scheint die Entstehung von solchen objektualen Komplexen auf das mehrfache Zusammentreffen von gewissen Empfindungsgruppen zurückzuführen. Die wesentliche Übereinstimmung mit Spirs Betrachtung lässt sich jedoch mühelos erkennen. Genauso wie Spir betont auch Teichmüller die irreführende Konsequenz jenes

15 Zu Teichmüller vgl. Small 2001. 16 Vgl. dazu Riccardi 2009b.

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kognitiven Verfahrens, womit aus der wechselnden Eingabe, die uns die Sinne liefern, strukturierte Objekte herausgebildet werden. Denn solche objektualen Empfindungskomplexe stellen sich dem Subjekt als genuin substanzielle Gegenstände dar. Daraus folgen zwei wichtige Punkte: Erstens sind solche objektuale Konstrukte nichts als die Gegenstände unserer Erfahrung. Dies bedeutet also, dass die Art und Weise, wie uns die Welt in der Erfahrung präsentiert wird, grundsätzlich falsifizierend ist. Zweitens, wie Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse behauptet, beziehen sich unsere alltäglichen Begriffe auf solche Komplexe von – ganz à la Teichmüller – wiederkehrenden Empfindungen (vgl. JGB 198). Dies bedeutet, dass alle empirischen Urteile, die wir über die Gegenstände unserer Erfahrung fällen, in einer wichtigen Hinsicht für falsch zu halten sind. Hierbei distanziert sich Nietzsche jedoch mit Bezug auf einen bedeutenden Aspekt von Spir und Teichmüller. Denn diese letzten meinen, dass Begriffe wie die von „Einheit“ oder „Substanz“ a priori gegeben und deshalb an sich unanfechtbar sind. Schließt unsere Erfahrung ein Element der Falsifizierung ein, ist es für sie also darin zu suchen, dass die Empfindungen kein geeignetes Material zur Anwendung solcher apriorischer Kategorien anbieten. Bei Nietzsche ist die Pointe ganz anders, denn er glaubt, die Falsifizierung liege gerade bei jenen Begriffen, durch die der Empfindungsinhalt konzeptualisiert wird. Darüber hinaus sind für ihn diese Begriffe gar nicht a priori, sondern haben sich einfach evolutionär als lebensförderlich erwiesen. Relevant für den hier in Frage stehenden Zusammenhang ist aber die Tatsache, dass Nietzsche trotz seiner späten Abwendung von der These, die sinnlichen Qualitäten seien konstitutiv verfälschend, dennoch an der FalsifizierungsThese festhalten kann. Denn er vertritt die Ansicht, dass das „Zeugnis“ der Sinne vom kognitiven Apparat verfälscht wird, womit der Empfindungswechsel zunächst kategorisiert wird. Diese erste Falsifizierung wird dann dadurch ausgebaut, dass wir Begriffe benutzen, um von solchen objektualen Komplexen in unserem alltäglichen Verkehr zu reden.

5. Arten der Kausalität In unserer gebräuchlichen Rede über empirische Gegenstände verwenden wir einige Begriffe, die weniger harmlos als etwa „Hund“, „Tisch“ oder „Linde“ sind, und die in Nietzsches Augen für eine viel weiterreichende Art von Falsifizierung verantwortlich sind. Wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben gehören dazu beispielsweise „die Lüge der Einheit, die Lüge der Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer“ (GD Vernunft 2, KSA 6, S. 75). In diese Liste nicht aufgenommen und doch oft Zielscheibe von Nietzsches kritischen Ausführungen ist aber auch der Begriff der Kausalität. Die bei der Behandlung dieses Begriffs auftretenden Probleme werden uns in diesem Abschnitt beschäftigen. Die besondere Aufmerksamkeit für den Kausalitätsbegriff lässt sich dadurch begründen, dass seine Betrachtung einen direkten Übergang zu Nietzsches

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Macht-Metaphysik ermöglicht, auf die sich der nächste und letzte Abschnitt konzentriert. Nach unserem alltäglichen Bild der äußeren Welt stehen Objekte in gewissen kausalen Verhältnissen: Die eine Billardkugel stößt auf eine andere und verursacht deren Bewegung. Dieses intuitive Bild stellt Nietzsche an mehreren Stellen seines Werks jedoch in Frage. Der Grund dafür hängt mit seiner Auffassung, empirische Objekte seien nichts als Empfindungskomplexe, sehr eng zusammen. Nehmen wir an, dass unsere Begriffe tatsächlich nichts als derartige kognitive Konstrukte bezeichnen. Wenn das so ist, liegt der weitere Schluss nahe, dass jede Relation, die man zwischen solchen Konstrukten feststellen kann, genauso wenig eine zwischen „wirklichen“ Gegenständen vorkommende genuine Relation sein kann. Der Kausalitätsbegriff wird aber gerade dazu verwendet, um Relationen dieser Art zu beschreiben. Daraus folgt für Nietzsche, dass die kausalen Zusammenhänge, denen normalerweise eine primäre explanatorische Funktion zugesprochen wird, tatsächlich gar keine Erklärung liefern. Dennoch scheint Nietzsche oft die Idee zu vertreten, dass in der Welt auch eine Form genuiner kausaler Wirksamkeit herrscht, nämlich jene, worauf er sich mit der Formel „Wille zur Macht“ bezieht. Diese Spannung weist darauf hin, dass seine Kritik auf eine gewisse Kausalitätsauffassung zielt, ohne jedoch eine pauschale Abschaffung des Kausalitätsbegriffs anzustreben. Im Folgenden werde ich diesen Zusammenhang zu erhellen versuchen, indem ich erneut von Nietzsches Beschäftigung mit der Philosophie seiner Zeit ausgehe. Für Nietzsches Kausalitätsauffassung wichtige Überlegungen entwickelt Liebmann in seinem Werk Gedanken und Thatsachen, das Nietzsche nachweislich sowohl 1885/1886 als auch 1887 studierte. Liebmanns Betrachtung weist auf eine Reihe von angeblichen Schwierigkeiten hin, die dem mechanischen Erklärungsmuster der neuzeitlichen Physik innewohnen. Sein Ausgangspunkt ist die kantische Lehre, dass raumzeitliche Verhältnisse allein unsere Erfahrung von Objekten charakterisieren. An sich stehen jedoch die Dinge gar nicht in solchen Relationen zueinander. Für Liebmann bedeutet dies, dass, wenn es darum geht, eine gewisse Veränderung kausal zu erklären, raumzeitliche Eigenschaften keine explikatorische Leistung hervorbringen können. Denn Raum und Zeit sind „bloß Schauplatz, nicht Realgrund des Geschehens“ (Liebmann 1881, S. 84). Daraus zieht Liebmann den allgemeinen Schluss, dass die ganze newtonsche Physik eine „bloße S e m i o t i k d e r f ü r M e n s c h e n wa h r n e h m b a r e n S y m p t o m e d e s R e a l e n“ ist (Liebmann 1881, S. 86). Wie von Loukidelis (2007) deutlich dokumentiert, schlugen sich solche Überlegungen in Nietzsches Nachlass nieder. Starke Anklänge an Liebmanns Betrachtung finden sich außerdem noch in Jenseits von Gut und Böse, insbesondere dort, wo Nietzsche unsere durch Anwendung von Begriffen wie Ursache, Zwang, Gesetz oder Freiheit konzeptualisierte Erfahrung als eine „Zeichen-Welt“ bezeichnet (JGB 21, KSA 5, S. 36) bzw. wo er die explanatorische Ansprüche der modernen Physik in Frage stellt (JGB 12 und 14). In diesem Kontext möchte ich aber auf einen weiteren Aspekt aufmerksam machen, der uns als Übergang zur Betrachtung von Nietzsches Macht-Metaphysik dienen wird.

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Für Liebmann weist die Tatsache, dass sich die mechanische Naturauffassung einfach darauf beschränkt, raumzeitliche Gesetzmäßigkeiten festzustellen, die ausschließlich unsere Erfahrung der Welt charakterisieren, auf ihren defizitären Status hin. Denn Wissenschaft sollte eher auf genuine Erklärungen aus sein, die uns also den „Realgrund“ der von uns erfahrenen raumzeitlichen Veränderungen deutlich machen können. Auf diesen Zusammenhang geht Liebmann vor allem in der ersten, „Die Arten der Notwendigkeit“ betitelten Abhandlung seines Buchs ein. Dort schenkt er dem Aristotelismus ein unerwartetes Lob, indem er behauptet, dass „wovon man sich zu emancipiren hatte, das war die P h y s i k , n i c h t d i e M e t a p h y s i k des Aristoteles“ (Liebmann 1881, S. 18). An dieser Stelle hat er vor allem Aristoteles DynamisBegriff im Visier.17 Denn er glaubt, dass man gerade durch den Rückgriff auf diesen Begriff die explikatorische Lücke der mechanischen Naturauffassung schließen kann. In Liebmanns Augen bezeichnet der Dynamis-Begriff eine reale, den Dingen fest innewohnende Tendenz zu einer Action, welche, obwohl […] vorläufig noch gehemmt, sich alsbald als Geschehen umsetzen wird, wenn die äußeren Bedingungen hinzukommen; eine Tendenz, die aber auch schon beim Mangel jener Nebenbedingungen sich zu actualisiren v e r s u c h t (Liebmann 1881, S. 10).

Nur insofern eine solche „Tendenz zur Actualisierung bestimmter Processe und Entwicklungsvorgänge“ (Liebmann 1881, S. 9) postuliert wird, ist es für Liebmann möglich, jene Veränderungen, die der Mechanismus nur dem raumzeitlichen Koordinatensystem unserer Erfahrung gemäß beschreiben kann, tatsächlich zu erklären. Interessant ist zudem, dass Nietzsche neben die gerade zitierte Passage, wo Liebmann die Dynamis als die „reale, den Dingen fest innewohnende Tendenz zu einer Action“ definiert, die Randbemerkung „Wille zur Macht?“ anbringt. Dies weist darauf hin, dass er eine gewisse Affinität zwischen dem eigenen Philosophem und Liebmanns Auffassung des Dynamis-Begriffs anerkennt. Dies wird von einer Notiz bestätigt, die Nietzsche während seiner zweiten Lektüre von Liebmanns Buch niederschreibt: „Dynamis ‚reale Tendenz zur Aktion‘, noch gehemmt, die sich zu aktualisieren versucht – ‚Wille zur Macht‘ ‚Spannkraft‘ ‚aufgesammelte und aufgespeicherte Bewegungstendenz‘“ (NL 1887, 9[92], KSA 12, S. 387). Hier mischen sich Definitionen und einzelne Begriffe, die Nietzsche aus Liebmanns Werk entnimmt, übergangslos mit seiner eigenen berühmten Formel. Nietzsches Interesse an Liebmanns Wiederaufnahme von Aristoteles DynamisBegriff wirft interessante interpretatorische Fragen auf. Wie lässt sich dieses Interesse überhaupt erklären? Und warum bringt Nietzsche den Dynamis-Begriff explizit in Beziehung zu dem des Willens zur Macht? Um darauf zu antworten, soll zunächst an die Spannung erinnert werden, die für Nietzsches Betrachtung der Kausalität charakte-

17 Vgl. dazu Gerhardt 1996, der meines Wissens als erster auf Nietzsches Interesse für Liebmanns Dynamis-Begriff hingewiesen hat.

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ristisch ist. Einerseits hält er die kantisch geprägte Auffassung der Kausalität als kognitive Funktion, die Vorstellungen auf einer besonderen Art und Weise miteinander verknüpft, für wenig überzeugend, denn daraus würde einfach die explikatorische Belanglosigkeit kausaler Zusammenhänge resultieren. Andererseits leuchtet Nietzsches Rede vom Willen zur Macht unmittelbar ein, wenn man darunter eine Form kausaler Wirksamkeit versteht. Diese Position steht nun derjenigen, die Liebmann formuliert, in wesentlichen Hinsichten sehr nah. Denn auch Liebmann kritisiert die standardmäßige – d.h., im weiten Sinne kantische – Auffassung der Kausalität als nur anscheinend explanatorisch. Auf dieses Defizit reagiert er, indem er einen Rückgriff auf die aristotelische Begrifflichkeit, insbesondere auf den Dynamis-Begriff, vorschlägt. Es sollte also nicht verwundern, wenn Nietzsche den Begriff des Willens zur Macht in den Rahmen von Liebmanns Argumentation zu situieren versucht. Dies geschieht, indem er diesen Begriff als eine möglicherweise18 stärkere Alternative zu dem von Liebmann als Lösungsvorschlag wieder eingeführten Dynamis-Begriff hinstellt. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass genau dieselbe Dialektik auch noch Nietzsches Beschäftigung mit einem weiteren Werk kennzeichnet, das er um die Mitte der 1880er Jahre studierte. Ich beziehe mich auf Maximilian Drossbachs 1884 veröffentlichtes Büchlein Ueber die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt.19 Ziel von Drossbachs Kritik ist wiederum die insbesondere von Kant vertretene Auffassung, dass kausale Verhältnisse zwischen Erscheinungen gelten. Gibt man zu, dass diese letzten eine Art objektualer Konstrukte sind, die dadurch entstehen, dass man – in kantischem Jargon – das Mannigfaltige der Anschauung synthetisch vereinigt, so ist es für Drossbach sinnlos, von einer „Causalität der Erscheinungen“ zu sprechen (Drossbach 1884, S. 5). Denn „d i e E r s c h e i n u n g i s t s t e t s e i n r e i n s u b je c t i v e r G e m ü t h s z u s t a n d i n u n s, daher vollständig kraft- und wirkungslos“ (Drossbach 1884, S. 4). Kausal wirksam sind hingegen nur jene „Dinge“, die, indem sie auf unsere sinnlichen Apparate agieren, korrespondierende mentale Zustände in uns hervorrufen. Die Hauptzüge des für ihn korrekten Verständnisses der Kausalität resümiert Drossbach folgendermaßen: D e r w a h r e C a u s a l s a t z sagt: jede Erscheinung h a t ihre Ursache – jede Erscheinung s e t z t U r s a c h e n v o r a u s. In dem Ausspruch, dass die Erscheinungen U r s a c h e n haben, ist enthalten, dass sie nicht U r s a c h e n sind; der herkömmliche Satz von der Causalität der Erscheinungen dagegen besagt, dass die Erscheinungen zugleich auch U r s a c h e n sind (Drossbach 1884, S. 5).

Wie stellt sich nun Drossbach jene Art kausaler Wirksamkeit vor, von der er das Auftreten bestimmter Erfahrungsinhalte in uns abhängig macht – denn genau dies

18 Dies ‚möglicherweise‘ ist vom Fragezeichen in Nietzsches Randanmerkung motiviert. 19 Schmidt 1984 hat m. W. zuerst auf Drossbach aufmerksam gemacht.

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sind Kants Erscheinungen letztendlich? Seine Antwort auf diese Frage illustriert er am Beispiel der Erfahrung eines Sessels, auf den ich mich setze: Der Sessel z.B. ist jedenfalls eine Vorstellung, leistet mir daher keinen Widerstand; dagegen das, was mir beim Sitzen Widerstand leistet, dessen Widerstreben ich spüre, ist keine Vorstellung, kein Erscheinungsding, kein Körper, ist nicht der Sessel, sondern wirkende Kraft, und aus der Form, in welcher diese Kraft in Verbindung mit anderen Kräften auf mich einwirkt, bilde ich die Vorstellung „Sessel“, die Vorstellung eines Körpers. Nicht der Sessel ist das sinnlich Wahrgenommene, sondern was meine Sinne afficirt (Drossbach 1884, S. 16 – Hervorhebungen M.R.).

Der empirische Gegenstand „Sessel“, den wir in unserer Erfahrung antreffen, ist für Drossbach – genauso wie für Spir oder Teichmüller – nichts als ein bestimmter Empfindungskomplex. Der Sessel ist also ein mentaler Inhalt, der dadurch entsteht, dass meine kognitive Anlage auf eine gewisse Art und Weise affiziert wird. Kausale Wirksamkeit besitzen nun für Drossbach eben nur jene Kräfte, die einer derartigen Einwirkung auf mein mentales Leben fähig sind. Noch mehr: Solche „wirkenden Kräfte“ sind für Drossbach die Grundelemente der Welt, die er als ständig und wechselseitig aufeinander agierende „Kraftsubstanzen“ beschreibt. Damit liefert er eine metaphysische Skizze, die auffallende Ähnlichkeiten mit Nietzsches eigener Macht-Ontologie aufweist. Darauf werde ich im nächsten Abschnitt noch kommen. Zunächst soll aber die Behandlung des Kausalitätsproblems abgeschlossen werden. Im sechsten Kapitel seines Werks versucht Drossbach, den „Grund der Wechselwirkung“ – so lautet der Titel des Kapitels – zwischen den von ihm postulierten Kraftsubstanzen zu illustrieren. Wieso kommt es überhaupt zur Tätigkeit und zur Bewegung? Um darauf zu antworten, präzisiert er seine Auffassung von Kausalität auf eine Art und Weise, die sehr an Liebmanns Wiederbelebung des Dynamis-Begriffs erinnert. Denn seiner Ansicht nach wohnt jeder Kraftsubstanz ein „Streben nach Entfaltung“ inne (Drossbach 1884, S. 45). Der Raum von möglichen Wechselbeziehungen bildet dann die Arena, in der sich diese metaphysische Grundtendenz ausspielen darf: „Die Wesen entwickeln ihre Kraft, indem sie auf andere einwirken und von anderen Einwirkungen empfangen“ (Drossbach 1884, S. 45). Beim Lesen dieser Passage reagiert Nietzsche ähnlich wie beim Lesen von Liebmanns Definition des Dynamis-Begriffs. Drossbachs Rede von einem „Streben nach Entfaltung“ erwidert er nämlich damit, dass er am Seitenrand notiert: „,Wille zur Macht‘ sage ich!“ Nietzsche sieht also eine gewisse Affinität zwischen Drossbachs Vorschlag und seiner eigenen Auffassung der Welt als konstituiert von Machtkonstellationen. Beide stimmen darin überein, dass sie eine Art genuiner kausaler Wirksamkeit als Alternative zur kantisch geprägten Kausalitätsauffassung konzipieren. Genau dasselbe lässt sich aber auch im Bezug auf Nietzsches Stellung zu Liebmanns Kritik der mechanischen Naturerklärung behaupten. Im nächsten Abschnitt ist nun zu untersuchen, wie er beim Skizzieren seiner Macht-Metaphysik diese nicht-kantische Konzeption von Kausalität zu entfalten versucht.

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6. Eine Genealogie für Nietzsches Machtquanta Wie im vorigen Abschnitt illustriert, kommt Nietzsche durch seine Auseinandersetzung mit Liebmann und Drossbach zur Auffassung, in der Welt herrscht eine Art kausaler Wirksamkeit, worauf er sich mit dem Ausdruck „Wille zur Macht“ bezieht und die er inter alia als Gegenvorschlag zum kantischen Kausalitätsbegriff konzipiert. Diese Form kausaler Wirksamkeit legt er seiner Macht-Metaphysik zugrunde. Clark und Leiter bestreiten, dass Nietzsches Begriff des Willens zur Macht metaphysisch zu deuten sei. Sie betonen, dieser Begriff komme fast ausschließlich im Kontext von Nietzsches psychologischen Ausführungen zum Einsatz. Darüber hinaus würde sich eine derartig spekulative, ja sogar „irrsinnige“ Metaphysik kaum mit Nietzsches Naturalismus vertragen.20 Wie ich im Folgenden zu zeigen versuche, suggeriert jedoch eine eingehende Berücksichtigung von Nietzsches Beschäftigung mit der zeitgenössischen Philosophie nicht nur, dass er eine eindeutig metaphysische Version dieses Konzepts erwägt, sondern auch, dass die von ihm konturierte Macht-Metaphysik vor dem Hintergrund der damaligen Debatten keineswegs als exzentrisch verstanden werden sollte. Einen guten Einstieg in diese Problematik ermöglicht wiederum Drossbachs Werk. Wie bereits angedeutet, entwirft Drossbach eine neuleibnizsche Metaphysik, nach der die Welt aus in ständiger Wechselwirkung stehenden „Kraftsubstanzen“ besteht. Die gegenseitigen Verhältnisse zwischen solchen Kraftsubstanzen realisieren also jene „wahre“ Kausalität, die Drossbach dem in seinen Augen verfehlten kantischen Modell entgegensetzt. In ihren Grundzügen ähnelt Nietzsches eigene MachtMetaphysik der von Drossbach vorgeschlagenen Auffassung. Wie in einer Notiz aus dem Jahr 1888 zu lesen ist, gibt es in der Welt keine Dinge, sondern „dynamische Quanta, in einem Spannungsverhältniß zu allen anderen dynamischen Quanten: deren Wesen in ihrem Verhältniß zu allen anderen Quanten besteht, in ihrem ‚Wirken‘ auf dieselben“ (NL 1888, 14[79], KSA 13, S. 259). Nietzsches Betonung des relationalen Charakters der Machtquanta ist an dieser Stelle offenkundig. Die „wechselseitige Bezogenheit“ ist für diese ontologisch ausschlaggebend (Müller-Lauter 1971, S. 29), denn jedes Ding konstituiert sich für Nietzsche erst innerhalb des bestimmten Netzes von Relationen, in denen es zu den anderen Dingen steht. Oft wird diese Form der Wechselwirkung zwischen Machtquanta als eine Art gegenseitiger Widerstandsleistung geschildert. Dafür gilt folgende Notiz als repräsentativ: „Der Wille zur Macht kann sich nur an W i d e r s t ä n d e n äußern; er sucht also nach dem, was ihm widersteht“ (NL 1887, 9[151], KSA 12, S. 424). Mit direktem Einbezug des Machtquantum-Begriffs kommt dann diese These wieder an einer Nachlassstelle vor, die Nietzsche in dasselbe Heft eintrug, aus dem auch die vorher wiederge-

20 Leiter spricht von „crackpot metaphysics“ (im Druck). Clark/Dudrick 2012 argumentieren dafür, „Wille zur Macht“ sei nur als psychologischer Begriff zu verstehen.

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gebene, skizzenhafte Schilderung seiner Macht-Metaphysik stammt: „Ein Machtquantum ist durch die Wirkung, die es übt und der es widersteht, bezeichnet“ (NL 1888, 14 [79], KSA 13, S. 258). Die Tatsache, dass Nietzsche zur Charakterisierung der elementaren Beziehungsform, in der die Machtquanta zueinander stehen, wiederholt auf den Widerstandsbegriff zurück greift, erlaubt eine weitere Übereinstimmung mit Drossbachs Position festzustellen. Denn auch jenes „Streben nach Entfaltung“, das Drossbachs Kraftsubstanzen innewohnt, drückt sich in Form einer „widerstandsleistende [n] Kraft“ aus (Drossbach 1884, S. 13). Von der Offensichtlichkeit dieser These versucht uns Drossbach zu überzeugen, indem er den Leser zunächst dazu auffordert, sich Handlungen in einer relationslosen Welt vorzustellen: Wenn das Verhältnis der Wechselwirkung ein Hinderniss für unser Können und Erkennen wäre, so müssten wir ungehindert sein, wenn dasselbe nicht bestände, wenn wir ausser Wechselwirkung mit den anderen Wesen ständen. Aber in einer solchen Isolierung (wenn sie möglich wäre) könnten wir gar nichts leisten; wo bliebe unsere Erkenntnis, wenn es nichts gäbe, was sich unserem Wahrnehmen darbietet? wenn nichts auf uns einwirkte? Wie könnten wir etwas bewegen, wenn wir keinen Widerstand erführen? Wir wären ohne alle Erkenntnis und ohne alle Macht des Handelns (Drossbach 1884, S. 33 – Hervorhebungen M.R.).

Trotz der hier ausbuchstabierten Gemeinsamkeiten, die Nietzsches Macht-Metaphysik mit Drossbachs neuleibnizschem Modell teilt, besteht ein grundlegender Unterschied zwischen ihnen. Sobald man Drossbachs Begriff von „Kraftsubstanz“ näher betrachtet, leuchtet dieser Unterschied unmittelbar ein. Denn, anders als Nietzsches Machtquanta, die sich restlos in gegenseitigen Wirkungsprozessen konstituieren, werden mit Kraftsubstanzen Wesen bezeichnet, die bereits da sind, ehe sie in bestimmte Verhältnisse zu den anderen Dingen eintreten. Drossbach meint also, „[j]edes Wesen ist eine ursprüngliche selbstständige Kraftsubstanz“ (Drossbach 1884, S. 23). Offenkundig lässt sich eine derartige Beschreibung auf Nietzsches Machtquanta keinesfalls übertragen. Dieser letzte Punkt bietet uns eine gute Gelegenheit, zur Betrachtung von Nietzsches Verhältnis zu Philosophen, die pluralistische Varianten der schopenhauerschen Willensmetaphysik vorschlugen, über zu gehen. Bekanntlich vertritt Schopenhauer die These, das Wesen der Welt sei der von ihm monistisch konzipierte Wille. Einige unter Schopenhauers Anhängern behielten zwar die Idee bei, die Welt sei letztendlich Wille, versuchten jedoch, diese Grundauffassung nicht-monistisch zu entwickeln. In anderen Worten: Anstatt von Schopenhauers ursprünglichem AllWille auszugehen, postulierten sie eine Vielheit von individuierten Willenszentren. Die Relevanz dieser alternativen Entfaltung von Schopenhauers Hauptidee für Nietzsches eigene Macht-Metaphysik leuchtet unmittelbar ein, sobald man sich zwei Aspekte vor Augen führt. Zum einen steht der Begriff „Wille zur Macht“ in enger Beziehung zu Schopenhauers Willensbegriff. Zum anderen wehrt sich Nietzsche dezidiert gegen ein monistisches Verständnis seines Philsophems. Denn, wie die bereits erwähnte Skizze zur Machtquanta-Metaphysik deutlich zeigt, nimmt er viel-

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mehr eine Pluralität von sich in ständiger Wechselwirkung befindenden Wille-zurMacht-Zentren an. Ein erster, an dieser Stelle heranzuziehender Schopenhauer-Anhänger ist Philipp Mainländer, dessen Hauptwerk Die Philosophie der Erlösung 1876 erschien. Laut Decher stellt „Nietzsches Konzeption einer Vielheit von Machtwillen […] die konsequente Weiterentwicklung von Gedanken und Expositionen dar, die Nietzsche bei Mainländer vorfand“ (Decher 1996, S. 223). Mainländer richtete sich nämlich immer stärker „gegen die metaphysische Komponente des Schopenhauerschen Systems“, wobei er die These vertritt, „in der Welt gebe es nur individuelle Willen“, die keineswegs als „Objektivationen eines jenseits der erfahrbaren Welt liegenden Willens“ zu verstehen sind (Decher 1996, S. 235). Eine ähnliche Kritik an Schopenhauers monistische Willensauffassung trägt auch der weniger bekannte Schopenhauer-Enthusiast Alfons Bilharz in seinem 1879 veröffentlichten Buch Der heliocentrische Standpunct der Weltbetrachtung vor:21 Wenn Wille Streben, oder Drang zu Sein bedeutet, so hat dies gar keinen Sinn, wenn nicht etwas da ist, das diesem Streben entgegensteht; denn ein zielloses, ungehemmtes Streben ist gar keines. Dass der subjective Drang zu Sein überall gehemmt und eingeengt ist, und das Leben im ununterbrochenen Bahnbrechen durch entgegenstehende Hindernisse geradezu aufgeht, ist denn auch so sehr das Ergebniss der inneren Selbstbeobachtung, dass sich hier der Druck, den das Kant’sche Ding an sich (und sein Correlat) auf das unbefangene Schopenhauer’sche Denken ausgeübt hat, so zu sagen mit Fingern fühlen lässt. Denn dem Ding an sich durfte natürlich die Vielheit nicht zukommen; diese gehörte allein der Vorstellung an. – Es ist aber doch gewiss, dass, wenn der Universalwille das Sein ganz ausfüllt, mit ihm identisch ist, das Streben an ihm ganz nutzlos sein muss. Was sollte er erstreben, da ausser ihm nichts ist, und, wenn er selbst das Sein ausmacht, er doch nicht mehr das Sein zu erstreben braucht (Bilharz 1879, S. 81f).

An dieser Stelle kommt ein komplexes Problemgewebe zur Sprache. Drei Aspekte sind im Hinblick auf Nietzsches Macht-Metaphysik vor allem relevant. Erstens setzt Bilharz, genauso wie Mainländer, dem schopenhauerschen Monismus explizit eine Pluralität von individuellen Willen entgegen. Diesen Zug begründet er zweitens mit dem Argument, Schopenhauers Begriff eines „Universalwillens“ sei einfach selbstwidersprüchlich, da der Willensbegriff selbst die Vorstellung eines Etwas bereits enthalte, worauf der Wille gerichtet sei. In dieser Hinsicht erkennt Bilharz also wohl an, dass Intentionalität ein konstitutives Merkmal des Willens ist. Drittens ist es dennoch zu beobachten, dass Bilharz – wiederum wie Mainländer – an Schopenhauers Konzeption eines sich ursprünglich als Selbsterhaltungstrieb manifestierenden „Willens zum Leben“ festhält. Mit seinem Begriff des Willens zur Macht beabsichtigt aber Nietzsche explizit, dieser schopenhauerschen Konzeption entgegenzutreten. Noch im Jahre 1888 notiert er beispielsweise: „Nicht Selbsterhaltung: jedes Atom wirkt

21 Zu Nietzsches Beschäftigung mit Bilharz vgl. Riccardi 2007.

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in das ganze Sein hinaus, – es ist weggedacht, wenn man diese Strahlung von Machtwillen wegdenkt“ (NL 1888, 14[79], KSA 13, S. 258).22 Einwände gegen Schopenhauers auf Selbsterhaltung gerichteten Willen zum Leben tauchen oft in Nietzsches Werk auf. Eine frühere Formulierung davon findet sich interessanterweise im Zusammenhang seiner kritischen Diskussion gerade von Mainländers pluralistischer Entfaltung dieses Begriffs: Auch Mainländers Reduktion dieses Begriffs [des Willens zum Leben] auf viele individuelle ‚Willen zum Leben‘ bringt uns nicht weiter, man erhält dadurch statt einer universalen Lebenskraft (welche zugleich als außer, über und in den Dingen gedacht werden soll!) individuale Lebenskräfte, gegen welche dasselbe einzuwenden ist wie gegen jene universale (NL 1876–1877, 23[12], KSA 8, S. 407).

Was Nietzsche an dieser Stelle bereits in Frage stellt, ist also die von Schopenhauer vertretene Ansicht, jedes Wesen sei essenziell auf Selbsterhaltung aus.23 Außerdem bezweifelt er die Stimmigkeit der psychologischen Beobachtungen, von denen Schopenhauer diese These bestätigt sieht: „Ist es wahr, daß, wenn der Mensch in sein Inneres blickt, er sich als E r h a l t u n g s t r i e b wahrnimmt?“ (NL 1876–1877, 23[12], KSA 8, S. 407). Eine klare, negative Antwort auf diese Frage liefert der späte Nietzsche. Einerseits behauptet er, dass eine genaue Untersuchung der psychologischen Tatsachen auf die Allgegenwärtigkeit eines fundamentalen Willens zur Macht hinweist. Andererseits gilt ihm diese psychologische Tatsache als Ausgangspunkt zur Entwicklung seiner MachtMetaphysik. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass der Vorrang der Intentionalität in diesem metaphysischen Szenario stark zugespitzt wird. Denn auch gegen Mainländers Einzelwillen bzw. gegen Bilharz’ Kraftpunkte kann man immer noch einwenden, dass sie in kompletter Isolierung konzipierbar sind. Dies ist aber bei Nietzsches Machtquanta nicht der Fall. Denn ein Machtquantum besteht nur, insofern es sich in gewissen Kraftrelationen zu anderen Machtquanta befindet. Deswegen kann man behaupten, dass jedes Machtquantum konstitutiv auf Etwas gerichtet ist. Die Machtquanta werden also von Nietzsche sowohl als relational als auch als intentional verstanden. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Nietzsche zur eigenen relationalen Macht-Metaphysik mindestens teilweise durch eine beachtliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen kommt, die er bei zeitgenössischen Philosophen vorfand. Dazu gehören zum einen Drossbachs neuleibnizisch anmutendes KraftsubstanzenModell, zum anderen Versuche wie die von Mainländer und Bilharz, Schopenhauers Willensmetaphysik pluralistisch umzugestalten. Es wäre vielleicht übertrieben zu glauben, auf diese Weise ließe sich der angesichts Nietzsches naturalistischen An-

22 Zu Nietzsches Kritik des Selbsterhaltungsprinzips vgl. beispielsweise Abel 1998, Kap. 2. 23 Gegen die Stichhaltigkeit von Nietzsches Kritik argumentiert Müller-Seyfarth 2002, S. 83.

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satzes problematische Status seiner Macht-Metaphysik ganz aus der Welt schaffen. Die in diesem letzten Abschnitt vorgelegte quellengeschichtliche Untersuchung spricht jedoch meines Erachtens gegen den von Clark und Leiter eingebrachten Vorschlag, man sollte jeden Verweis auf den metaphysisch gedeuteten Begriff des Willens zur Macht besser aus Nietzsches Denken streichen.

7. Schlussbemerkungen Clark und Leiter haben eine heftige Attacke gegen die konservative Lesart gerichtet. Insbesondere stellen sie sowohl infrage, dass der späte Nietzsche an der Falsifizierungs-These festhält, als auch dass der Begriff des Willens zur Macht eine genuin metaphysische Dimension habe. Die Untersuchung von Nietzsches Umgang mit der Erkenntnistheorie und Metaphysik seiner Zeit bereitet jedoch der konservativen Lesart eine indirekte, aber meines Erachtens nicht zu unterschätzende Unterstützung. Einerseits fand Nietzsche vor allem bei Spir und Teichmüller wichtige Anregungen, um zu einer mit seinem späten Sensualismus kompatiblen Version der Falsifizierungs-These zu kommen. Andererseits ist Nietzsches Versuch einer metaphysischen Ausbuchstabierung des Begriffs des Willens zur Macht nachweislich, wobei er sich insbesondere mit neuleibnizschen Modellen, wie z.B. dem von Drossbach, sowie mit pluralistischen Varianten von Schopenhauers Willensmetaphysik, wie z.B. denen von Mainländer und Bilharz, auseinandersetzt.

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Mattia Riccardi

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1. Origin and Development of Sprachwissenschaft Linguistics established itself as an autonomous discipline in the mid-nineteenth century. It was Friedrich Schlegel in the early years of the century who invented the historical-comparative method, which he used for his research on Sanskrit (Schlegel 1808). Franz Bopp made the first large-scale application of the method in his Über das Conjugationssystem der Sanscritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache (1816), later re-worked in his monumental Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Deutschen (1833–1857). Rasmus Kristian Rask extended research on the grammar and phonology of Scandinavian languages, providing further proof of the effectiveness of the new comparative method (Rask 1814), while Pott, in his Etymologische Forschungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen (1833–1836), used it for etymology. Comparative linguistics was mainly a product of German culture, as the first historians of the discipline recognised (Benfey 1869).2 After Bopp had received his chair in Berlin (Orientalische Literatur und allgemeine Sprachkunde, 1821) and Pott in Halle (Vergleichende Grammatik, 1833) there was a rapid increase in the sector, both in research and teaching. Leipzig University, in particular, where Nietzsche studied classical philology from 1865 to 1868, was soon recognised as a leading centre in the field, thanks to the presence of distinguished scholars of Indo-European languages and scientists as Carl Ludwig Merkel, the author of important works on the anatomy and physiology of language (1857, 1866).3 Sprachwissenschaft, in fact, made great use of such fundamental contributions from the physical and medical sciences as Helmholtz’ research on acoustic phonetics (Helmholtz 1863) and the many studies of aphasia and other language disturbances by Paul Broca, which led to the linguistic faculty being located in the brain (Broca 1863).

1 I would like to thank the Fundação para a Ciência e Tecnologia (Portugal) which is currently supporting my project “Language, cognition and cultural experience. From Humboldt to contemporary Cognitive Linguistics” (SFRH/BPD/86257/2012). I would also express my gratitude to the Instituto de Filosofia da Linguagem (IFL), the Faculdade de Ciências Sociais e Humanas (FCSH) of the Universidade Nova de Lisboa, and in particular to my supervisor Prof. João Constâncio. 2 Nietzsche borrowed Benfey’s Geschichte der Sprachwissenschaft from Basle University Library in November 1869 (see Crescenzi 1994, p. 390). 3 Leipzig University’s preeminence in the field of linguistics dates from 1861 with Curtius’ teaching, followed by that of Leskien, Brugmann and Wundt. Saussurre too – a generation younger than Nietzsche – studied at Leipzig in the years when the movement of the Junggrammatiker emerged, as did the American Leonard Bloomfield.

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The development of linguistics as an autonomous field of study among the Geisteswissenschaften was based on the new conception of classical philology that developed at Göttingen University, thanks to Christian Gottlob Heyne and Friedrich August Wolf. Unlike France and Great Britain, where philology was mere Sprachstudium, in Germany philology was understood in a wider sense as Alterthumwissenschaft, where language, religion, art, usages and customs played equally important roles. In the late ninteenth century it was August Boeckh who developed the conception of philology as Altherthumsstudien that Wolf had introduced. Boeckh regarded the object of philological research as “that which the philosophers call the principle of a people or an age, the innermost kernel of its total being” (Boeckh 1877, p. 56; Porte 2000, p. 201). Nietzsche’s teachers at Leipzig, the famous Latinist Ritschl and the Greek scholar Georg Curtius, were keen supporters of this broader conception of philology.4 Georg Curtius in particular saw language as the first and most important form of expression of human beings, and therefore hoped for a close alliance between Philologie and Sprachwissenschaft. In his inaugural lecture at Leipzig in 1862 Curtius claimed that the principles of comparative linguistics should be well known to a good philologist. Die Sprache hängt überdies mit dem ganzen Geistesleben eines Volkes so innig zusammen, sie umschliesst bis zu dem Grade die Denkformen und den Denkgehalt desselben, dass die feineren und höheren Fragen nur von dem gestellt werden können, der in diesem Gesistesleben heimisch ist. Andrerseits aber können sie nicht recht gestellt werden ohne einige Einsicht in die Mittel und das Verfahren des Sprachforschers (Curtius 1862, p. 18).

Although Nietzsche’s letters do not give the impression of a very attentive student, but one who preferred to concentrate on his own reading, Schopenhauer in particular, we certainly cannot disregard the importance of the influence of the university environment on his thought.5 His inaugural lecture at Basle in May 1869, Homer und die klassische Philologie, confirms that he had chosen to follow his masters’ way of looking at the subject. Philology is defined „ebenso wohl ein Stück Geschichte als ein Stück Naturwissenschaft als ein Stück Aesthetik“: History to the extent that it attempts to understand the development of peoples; natural science for its exploration of man’s most profound instinct, the linguistic instinct; and aesthetics as it defines the canon of classical antiquity, on the basis of which we can evaluate the present

4 The Danish Latinist Johan Nicolai Madvig, too, regarded a perfect understanding of language (Sprachverständnis) as a premise, but not the aim, of philology (see Benne 2005, p. 69). Nietzsche read Madvig’s Opuscula academica (1834–1842) in 1870, his Adversaria critica ad scriptores Graecos et Latinos, Bd. 1 (1871) in 1871, and his Kleine philologische Schriften (1875) in 1876 (see Crescenzi 1994). Nietzsche’s personal library also contains Madvig’s famous Lateinische Sprachlehre für Schulen (1877). 5 In a letter to Mushacke of 27. April 1866 Nietzsche describes Curtius as “abscheulich” and his lessons as a mortal bore (Bf. an Mushacke, 27.04.1866, KGB I/2, Bf. 504). But at the beginning of the new semester Nietzsche was already revising his judgement on Curtius (see Reich 2004, p. 50).

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(HkP, KGW I/1, p. 246). In later years, as we can see from the list of books borrowed from Basle library, Nietzsche’s interest in language grew. At the same time he felt a growing impatience with what had become the prevailing orientation of linguistic research: the collecting and cataloguing of facts. To safeguard the scientific nature of the new discipline, linguists preferred not to speculate on the nature and origin of language, which had been all the rage in the previous century. A clear indicator of the cultural climate of the age was the decision taken in 1866 by the Société de linguistique in Paris to accept no more contributions on the origin of language or on universal languages (art. 2 of the Statute). Humboldt, who had aspired to combine empirical research with philosophical reflection on language, was an author much admired, but little imitated. Registering a widespread opinion among European scholars of the period, Whitney described Humboldt as “a man whom it is nowadays the fashion to praise highly, without understanding or even reading him” (Whitney 1873, p. 333).6 More popular in the 1860s and 1870s was the theory of August Schleicher, whose Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen (1861– 1862) was for a long time the standard manual of the new discipline. Schleicher claimed that language, as an emanation of a natural organism, was regulated by its own laws, independent of the history and culture of the people that spoke it. Linguistics should therefore be regarded as an autonomous discipline and included among the natural sciences rather than the historical ones where philology had its place (Schleicher 1861–62, p. 1). In his Encyclopedie der klassischen Philologie, an introduction to classical studies delivered in 1871, Nietzsche set out the idea that historical-comparative research on languages was now a powerful tool for investigating antiquity, but could not become an end in itself. While demonstrating his great appreciation of the important results that it had produced, Nietzsche thought it necessary to use them for more wideranging considerations (EKP, KGW II/3, pp. 389f). He took the same line in the notes of 1875 for the never-to-be-published Unzeitgemässe Betrachtung on Wir Philologen, in which he deplored the blindness of those who devoted themselves only to studying the particular without being able to include it in a wider vision (KGW IV/1). The list of books which Nietzsche borrowed during the Basle years confirms the fact that he was more interested in authors who used the results of the historical-comparative method to advance general considerations on the subject of language. Three authors at the forefront of his thoughts were Heyman Steinthal, Max Müller and Gustav Gerber. His reading of them gave Nietzsche the tools for transcending the prevailing empiricaldescriptive current of his time and for investigating how language is related to culture and also to the human mind.

6 According to Jürgen Trabant the Kawi-Einleitung was already out-of-date when it was published posthumously in 1836, precisely because it uses historical analysis as a means for a philosophical consideration of the problem (see Trabant 1985, pp. 676f).

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2. Heymann Steinthal and Linguistic Relativism Heymann Steinthal (1823–1899) was active as a Privatdozent in Berlin from the mid nineteenth century onwards, and was one of the few scholars who tried to keep alive Humboldt’s legacy, promoting an edition of his works and knowledge of them.7 In November 1869 Nietzsche borrowed from Basle University Library the Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern mit besonderer Rücksicht auf die Logik (1863) and, in the bibliography for his Encyclopädie der klassischen Philologie we find Steinthal’s Philosophie, Geschichte und Psychologie in ihren gegenseitigen Beziehungen (NL 1869, KGW I/5, 75[3]). In that period Nietzsche was working on the Vorlesungen über lateinische Grammatik (1869–1870), whose prologue Vom Ursprung der Sprache contains interesting philosophical reflections on the relation between the grammatical form of language and the logical form of thought. Nietzsche claimed that language inevitably pre-determines the thought expressed in it, and that metaphysical, moral or religious systems simply re-elaborate the hidden philosophy contained in the grammar of the language in which they are formulated.8 Although the thoughts developed in this essay are along the lines of those in Eduard von Hartmann’s Philosophie des Unbewusstes (Thüring 1994; Crawford 1988), we should not underestimate the importance of the influence that Steinthal might have had on Nietzsche. Humboldt had already claimed that grammar was the form of thought in his Kawi-Einleitung, assigning linguistics the task of identifying, through the comparative method, the grammatical forms common to all languages, so as to then trace from them the corresponding universal forms of the human spirit (Humboldt 1963, p. 10f).9 The premise of Humboldt’s research was Kant’s idea of a transcendental

7 Heymann Steinthal never obtained a chair, anti-Semitism being widespread then (see Stammerjohann 1996, p. 885). Along with his brother-in-law Moritz Lazarus he founded and for thirty years edited the Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft (1860–1890). The project of a Völkerpsychologie was later taken up again in the early twentieth century by Wundt, who, in Sprachgeschichte und Sprachpsychologie (1901), praised him for being the first to introduce a psychological perspective into the science of language (see Knobloch 1987, pp. 268–273). In any case Steinthal was little understood or appreciated by his contemporaries. Delbrück described him thus: “Ein schwer verständlicher Philosoph, dem es auf den Höhen der Abstraktion am wohlsten war” (Delbrück 1919, p.11). And Jespersen observed: “This obscurity, in connexion with the remoteness of Steinthal’s studies, which ranged from Chinese to the language of the Mande negroes, but paid little regard to European languages, prevented him from exerting any powerful influence on the linguistic thought of his generation” (Jespersen 1925, p. 87). 8 Nietzsche regarded the concepts of substance and accident, which are fundamental to Western philosophy, as derived from the linguistic categories of subject and predicate. “Die tiefsten philosoph. Erkenntnisse liegen schon vorbereitet in der Sprache […]; der Begriff des Urtheils ist vom grammatischen Satze abstrahirt. Aus Subjekt u. Prädikat wurden die Kategorien von Substanz und Accident” (Vorlesungsaufzeichnungen SS 1869 – WS 1869–1870, KGW II/2, p. 185. See Simon 1972). 9 See also Humboldt 1822.

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subject, which precedes and founds empirical subjectivity. At first Steinthal had shared Humboldt’s vision and had taken on this task. But, after considering languages very different from the Indo-European ones, like that of the Mande negroes, he soon became convinced that such a comparison was impossible, and that the relation between linguistic structure and the form of thought should be considered in relation to specific cases (Steinthal 1867, VIf). The innere Sprachform – the grammatical form of a language – would not reveal an assumed universal mental form, but the particular spirit of the people that created it. Steinthal’s vision was also rigidly deterministic: he was convinced that the grammar of every language already contains in nuce all the logic, metaphysics and even scientific vision that the people speaking it can develop (Steinthal 1871, p. 108). His monumental project of a Völkerpsychologie, later taken up by Wundt, aimed to verify how the pecular spirit of each people reaches expression in the grammar of its language. Unity is to be found, à la Hegel, in the development from one language to another. Each people represents a different phase in the development of the Spirit and its essence is incarnate in their language, giving form to the logical categories with which it should be evaluated (Steinthal 1848, p. 93). Steinthal’s thinking marks the transition from a universal linguistic relativism to a particular one, where language is bound not by the universal categories of Kantian reason, but by historical-cultural forms.10 In Philosophie, Geschichte und Psychologie (1864), which Nietzsche read in the winter of 1868–69, Steinthal vindicated the need to relate grammar not to the logical categories of an assumed transcendental subject, but to the psychological categories of empirical subjectivity. Nietzsche’s critique of grammar and the restraint it unconsciously places on thought, which he began in 1869 with Vom Ursprung der Sprache, was powerfully reworked in the years of Menschliches, Allzumenschliches, and later became a constant Leitmotiv in the works of the 1880s. Grammar is defined as a “faith (Glauben)” or, rather, a sort of popular belief or “superstition (Aberglauben)”11 that comes into being to satisfy humans inherent need to make a stable and coherent mental representation of the world. To live, man is forced to believe that, below the flux of becoming, there exists a substantial “being” that remains. Actually, Nietzsche observes, it is the

10 Bernhardi’s (1801) and Heyse’s (1856) attempts are also worth mentioning. Their critique of eighteenth-century universal grammar is accompanied by a dissatisfaction with the simple collection and comparison of data and, as a result, the search for a philosophical foundation of the empirical sciences, including linguistics (see Formigari 1997, pp. 199f). 11 Nietzsche defines grammar as “Gouvernanten-Glauben” (JGB 34, KSA 5, p. 52) or “Volks-Metaphysik” (FW 354, KSA 3, p. 590). Schopenhauer defines religion as Volks-Metaphysik, since it indicates in a symbolic manner to non-philosophers the metaphysical truth that only philosophy can adequately conceive. Nietzsche applies this definition to grammar since it represents a sort of popular creed that precedes and underlies true metaphysical speculation. Governesses (Gouvernaten) represent the populace, the non-intellectuals (see Schank/Zavatta forthcoming).

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predicative relation “subject-verb-object”, that leads us to imagine a causal agent behind every phenomenon, thus giving rise to a world of metaphysical substances that are known to us only through their “effects”. Wenn ich sage ‘,der Blitz leuchtet’, so habe ich das Leuchten einmal als Thätigkeit und das andere Mal als Subjekt gesetzt: also zum Geschehen ein Sein supponirt, welches mit dem Geschehen nicht eins ist, vielmehr b l e i b t , i s t, und nicht ‚wird‘ (NL 1885–1886, 2[84], KSA 12, p. 104).12

It is therefore through language that a Hinterwelt of eternal, immutable substances is created as cause of the visible world.13 That is why Nietzsche claims: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben …“ (GD Vernunft 5, KSA 6, p. 77). Even when the old religious systems have been demolished, as soon as we start to reflect on reality we once again project onto it the shadow of metaphysics (FW 109, KSA 3, p. 467), because we can only think in the form that language makes available to us (NL 1886–1887, KSA 12, 5[22]). Furthermore, the mental representation of the world, created according to the categories of syntax, is absolutely congruent with the categories of the human intellect. “Knowledge” is, indeed, the illusion that is generated whenever we meet a correspondence between the sphere of being we have invented and our cognitive structures, without noticing that the regularity we find in nature is what we ourselves have brought to it. As Nietzsche observes in his Zur Genealogie der Moral, forgetting the unstable foundation of all knowledge is a blessing for human beings (GM II 1,

12 The example of the lightning flash is used by Trendelenburg in his Logische Untersuchungen (Albrecht 1979, p. 239), but Nietzsche took it from Drossbach’s Ueber die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt (1884). Drossbach offered Nietzsche important stimuli for reflecting on the fact that the imagination always tends to see the effect (Wirkung) of an action (Wirken) as the work of a subject (ein Wirkendes) (see Drossbach 1884, p. 3; Orsucci 2001, p. 221; Schmidt 1988). Nietzsche returns to the example of the lightening flash several times in the Nachlaß 1885–1886, see for example NL NL 1885–86, KSA 12, 2[78]; NL 1885–86, KSA 12, 2[193]. Using the same argument in Zur Genealogie der Moral, he discusses how the strong man cannot be separated from his strength (see GM I 13, KSA 5, p. 279). Another important source for Nietzsche was Lichtenberg’s Sudelbücher (1801). Lichtenberg claims that grammar represents the skeleton of thinking, which supports it and at the same time imprisons it. The spine is represented by the subject-predicate-object relation (see Stingelin 1996, p. 25). Through the criticism of predicative determination he attacks causal inference in general, and the cogito ergo sum as a particular form of it. Tilman Borsche objects to Nietzsche’s theory, inviting the consideration that, while we cannot say more than: “der Blitz leuchtet”, we can nonetheless conceive this phenomenon in terms of event, “ohne ‘den’ Blitz als Täter einer Tat hypostatisieren zu müssen” (Borsche 1988, p. 174). 13 In substitution of the traditional “Ding-Modell” Nietzsche proposes a “Prozeß-Modell”, in which “als ‘Bausteine’ der Natur und des Lebendigen nicht ‘Dinge’ im Sinne Raum-Zeit-Stellen besetzender ‘materieller Körper’, sondern ‘Ereignisse’ resp. ‚Prozesse’ angenommen warden” (Abel 2001, p. 11). It is an adualist onthology (adualistische Ontologie), that is, which does not foresee the separation between organic and inorganic, between physical and mental.

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KSA 5, p. 291). The make-believe of a reality that develops according to immutable laws, and can therefore be controlled and predicted by the intellect, is the indispensable condition for human nature to thrive (GM II 2, KSA 5, p. 293). That Nietzsche was not inclined towards a universal linguistic relativism, like Humboldt, but rather to a “speziellen Sprachrelativismus”, like Steinthal, emerges clearly from JGB 20 (Albrecht 1979).14 On this occasion Nietzsche took up the thesis of Vom Ursprung der Sprache, by which the grammatical categories of a language predispose conscious thought to take a certain direction, encouraging certain thoughts and thwarting others. Concepts are to language as plants to the terrain: at a certain latitude only certain types of vegetation can grow. This also explains why the concepts formulated in a certain language have a kind of affinity that allows them to become parts of the same system, or why the diversity of philosophical systems formulated in the same language is always circumscribed within certain limits. The philosophers do nothing more than fill in a pre-formed “framework [Grundschema]”, constituted by the grammatical structures of their language. All philosophizing is not so much the discovery of something new, as the recognition of something already known: a sort of “return home” to that homeland (that is grammar) from which the thinking originates (JGB 20, KSA 5, p. 34). Nietzsche also states in a fragment of 1885, contesting Descartes’ cogito ergo sum: “Vor der Frage nach dem ‚Sein‘ müßte die Frage vom Werth der Logik entschieden sein” (NL 1885, [40]23, KSA 11, p. 640). Before dealing with the question of being and other philosophical problems, that is, we should ask ourselves about the legitimacy of inferring from a thought the existence of something that exercises the action of thinking: we should wonder if the logic we are using is really universal and incontrovertible, or does not rather depend on the grammar of the language in which we are expressing ourselves.15 With regard to Steinthal, Nietzsche takes another step, however: he considers grammar as the expression not of the Volksgeist, but rather of the physiology of a given race. In the above-mentioned JGB 20 Nietzsche claims that grammatical restraints reflect physiological value-judgements and race-conditions: Philosophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am schlechtesten entwickelt ist) werden mit grosser Wahrscheinlichkeit anders „in die Welt“ blicken und auf andern Pfaden zu finden sein, als Indogermanen oder Muselmänner: der Bann bestimmter

14 Albrecht opposes Simon’s thesis, by which Nietzsche tends towards an “allgemeiner Sprachrelativismus” (Simon 1972, p. 12). Djurić 1985, p. 44 is more moderating, seeing Nietzsche as being more inclined towards a “spezieller Sprachrelativismus” in JGB 20 but not being so clear in other texts. 15 Nietzsche suggested, rather, that the subject has just a “Scheinexistenz” (JGB 54) and is a heuristic hypothesis for organizing our perceptions, making the world representable and, consequently, our existence on the earth easier. The development of a criticism of the subject starts from a consideration of Teichmüller’s Die wirkliche und scheinbare Welt (1882). See Orsucci 2001, pp. 212ff; Zavatta 2009, pp. 286f.

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grammatischer Funktionen ist im letzten Grunde der Bann physiologischer Werthurtheile und Rasse-Bedingungen (JGB 20, KSA 5, p. 34).16

Nietzsche alludes to the fact that human beings fix grammatical categories in response to particular Existenz-Bedingungen: through language an image of the world has to be produced in which a race can live and thrive. Grammar is also described as a mirror of the “fernen uralten Gesammt-Haushalt der Seele” – the primordial traffic of stimuli and responses between the body and the outside world. Replacing “Geist”, a term traditionally used to denominate the immaterial principle separate from the body and opposed to it, with “Seele”, understood as the whole of an organism’s psycho-physical processes, Nietzsche wants to underline how the “Weltansichten” created by different languages are not a purely intellectual product, but rather the fruit of “perspektivische Schätzungen […], vermöge deren wir uns im Leben […] erhalten” (NL 1885–1886, 2[108], KSA 12, p. 114). Every human institution that is created through inter-subjective agreement reached through language is the expression not of a spirit disengaged from the body, but of the effort of a specific life form to create an environment for itself that is suitable for its survival. The tradition of comparative grammar from which he came thus provided Nietzsche with important tools for carrying out the more strictly philosophical task he had set himself, that of an Erkenntniskritik and a Kulturkritik. On the one hand, underlining the role played by physiology in the formation of grammatical categories, he shook up the Kantian idea of a ‘pure’ reason detached from the body. On the other, underlining the great diversity of grammatical systems and visions of the world that they produce, he questioned the universality of reason and, consequently, the absolute validity of moral values unconsciously conveyed by language.

3. Friedrich Max Müller and the Mythology of Language Another author who was particularly attentive to the relation between thought and language, and whom Nietzsche had read and admired as early as the Basle years was Friedrich Max Müller (1823–1900), an Orientalist and scholar of comparative mythology. After studying at Leipzig, he moved to Paris to study Sanskrit with Burnouf, and

16 Andrea Orsucci 2006 suggests the possibility of an influence from Winckler 1885. This author, whom Cassirer had also read, discovered that the syntax of Indo-Germanic languages emphasizes the subject who acts, while the syntax of Ural-Altaic languages emphasizes the action performed by the subject. In the syntax of Indo-European languages subject and verb are two separate, autonomous entities, while in Ural-Altaic languages the whole phrase is organized as a verb substantive: e.g: I take / taking – my.

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later to London, where he spent several years translating the Rig-Veda. In 1854 he became Taylorian Professor of Modern Languages, but it was ten years before Oxford University offered him a chair in Comparative Philology. Language for Müller was the tool by which man can organize his experience coherently, establish models of interaction with the outside environment, and relate to his fellow men, setting up social and cultural practices. He claimed that “language is the true autobiography of the human mind” (Müller 1887, p. 515; Cloeren 1988, pp. 167f) because it witnesses the cultural development of humanity and the evolution of social practices. However, linguistics is to be considered not just as a historical science, but also and above all as a physical science (Van Den Bosch 2002, p. 215), in as that from language we can extract information about what today is called the “cognitive unconscious” – all those operations that the mind performs automatically. This is certainly the most interesting part of Müller’s thought, and also what makes it distinctive in the cultural panorama of his time: language becomes for him a torch to light up “the dark chambers” of thought (Müller 1887, p. 6; Van Den Bosch 2002, p. 217) and explore their depths. Criticizing the purity and universality of Kantian reason, Müller underlined the important role played by language in the transcendental synthesis. We always think within the historical forms that language makes available to us: “We think with our words as we see with our eyes” (Müller 1887, p. 550). Unawareness of this fact has led over the centuries to an interminable series of pseudo-problems that philosophy has vainly struggled to solve. Müller, anticipating twentieth-century Logical Positivism, believed they should not be solved, but dissolved through rigorous linguistic analysis. In the new linguistic science he therefore saw a powerful weapon for combatting “cloudy German metaphisycs” (Müller 1887, p.123; Zavatta 2009, p. 275). Nietzsche’s personal library contained the second volume of Müller’s Essays (1869), the Beiträge zur vergleichenden Mythologie und Ethnologie, while Nietzsche referred various times to the first volume of the work, the Beiträge zur vergleichenden Religionswissenschaft, in his notes of the years 1869–74 (KSA 14, pp. 534f). In November 1869 Nietzsche also borrowed from the Basle library the famous Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache (1863–1866)17 and, in October 1875, the Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft (1874), a cycle of four lectures

17 Nietzsche borrowed this work various times in the crucial years 1869–74. It was also often mentioned by Ritschl and Curtius in their lectures. See Nietzsche’s notes of Ritschl’s lectures on ‚Institutiones grammaticae linguae latinae‘ (Bonn, SS 1865). The notebook C IV 3b (= GSA 71/55) contains 53 sheets, i.e. 105 written pages and has the title “Lateinische Grammatik, vorgetragen von F. Ritschl Bonn, Sommersemester 1865, Erster Theil”. Max Müller is mentioned by Nietzsche also in the notebook C IV 2, p. 174, which from p. 158 to p. 174 refers to Ritschl’s seminar “Einleitung und Anleitung zur lateinischen Grammatik”, vgl. BAW 1, LVIII. See Figl 2007, pp. 193–194. Georg Curtius quoted Max Müller’s Vorlesungen and the essay Comparative Mythology (1856, republished in the second volume of his Essays, NB) in his seminar “Geschichte der griechischen Literatur” (see Nietzsche’s notebook C III 1a, Wintersemester 1865–1866).

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published along with two other essays, Über falsche Analogien and Über Philosophie der Mythologie. Müller’s work offered Nietzsche various stimuli, but decidedly the most fertile was that of a mythology unconsciously generated by an uncritical use of language. Nomina numina, observed Müller: the names given to things become divinities that animate them. Concepts, first created for purposes of recapitulation to speed up communication and facilitate the sharing of needs and objectives, over time are erroneously confused with the names of really existing, though invisible, entities. This attitude is not only characteristic of primitive peoples, but a universal instinct of human beings. In Über die Philosophie der Mythologie (1874) Müller makes use of the results of scientific etymology and comparative grammar to show how this instinct can be found identical in every age and at every latitude. Even the modern age, now secularized and dominated by the scientific spirit, is by no means free of mythology. The concepts of atom, substance and force, claims Müller, are still more imaginative than the creatures imagined by Homer. “Mythologie im höchsten Sinne des Wortes ist die durch die Sprache auf den Gedanken ausgeübte Macht, und zwar in jeder nur möglichen Sphäre geistiger Thätigkeit” (Müller 1874, p. 317). Since every thought needs language if it is to be expressed, there is no ambit of thought that is free of its seduction. Müller’s influence on Nietzsche’s thought is very visible in an aphorism of Der Wanderer und sein Schatten, where he observes how it is language that enables us to isolate individual objects from the flux of perceptions. That is to say, it is by assigning a name to a group of sense impressions that we conceive them as a single phenomenon (WS 11, KSA 2, p. 546).18 This simplification certainly brings great advantages for communication, but at the same time produces the illusion that these concepts have corresponding metaphysical entities. As Nietzsche had already noted in Über Wahrheit und Lüge, forgetting the origin of the concept ‘leaf’, coined to summarize a series of similar perceptual experiences, we imagine there is a metaphysical entity, ‘the leaf’ that real leaves are imperfect copies of (WL 1, KSA 1, p. 875). The whole Platonic doctrine of ideas is based on this misunderstanding (DaR 7, KGW II/4, p. 446). This phenomenon produces still more absurd consequences in the moral sphere. For example, we speak of virtues like daring so often that we tend to imagine there exist qualities that, if possessed by a certain individual, lead him to act in a certain way.

18 One possible source for Nietzsche was also Lange’s Geschichte des Materialismus (1866). Lange explains that the tendency to create anthropomorphic images of the world around us is a universal, irrepressible characteristic of human beings. Projecting attributes of human beings onto nature, we imagine the physical processes as actions of entities on other entitites and group sense impressions in discrete units, so that we recognize “objects” in the world. “Dinge nennen wir eine Gruppe von Erscheinungen, die wir unter Abstraktion von weiteren Zusammenhängen und inneren Veränderungen einheitlich auffassen” (Lange 18872 II, p. 217). Nietzsche read Lange for the first time in 1866 and was struck at once by him (see Salaquarda 1978 and Stack 1983).

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Actually, daring is simply an abstract concept derived from a series of moral judgements conferred on individual actions on the basis of a moral code whose validity is not universal and necessary, but limited to a certain historical-cultural context (DaR 7, KGW II/4, p. 446).19 So, Nietzsche concludes, the artistic impulse that led the Greeks to personify virtues like wisdom, courage, etc. in images of gods does not just define a naive, pre-scientific stage in the history of man, but is still active today. Using Müller’s words, Nietzsche thus cautions us against the seduction language exercises over thought: “Es liegt eine philosophische Mythologie in der Sprache versteckt, welche alle Augenblicke wieder herausbricht, so vorsichtig man sonst auch sein mag” (WS 11, KSA 2, p. 546). In the published works and the Nachlass of the second half of 1880s Nietzsche takes up and develops this consideration in a series of reflections on the coercion that words exercise on thought unconsciously. The concepts we create to facilitate our reasoning, such as “Einheit, Identität, Dauer, Substanz, Ursache, Dinglichkeit, Sein” (GD Vernunft 5, KSA 6, p. 77), often end up escaping our conscious control and deceiving us. Science seems to Nietzsche no less mythological than the fables of the ancients, as the concepts it uses, like “atom”, “force” and “causality”, are just as arbitrary as those of “freedom”, “soul” or “God” (GM II 13, KSA 5, p. 280). Psychology too becomes metaphysical when it speaks of faculties like the will, the imagination and the intellect, or worse still, when it speaks of the soul as an immaterial principle separate from the body and opposed to it. Nietzsche observes in a note of 1880: “Keine Mythologie hat schädlichere Folgen gehabt, als die, welche von der Knechtschaft der Seele unter dem Körper spricht” (NL 1880–1881, 3[152], KSA 9, p. 69).20

19 See also MA I 39: “Zuerst nennt man einzelne Handlungen gut oder böse ohne alle Rücksicht auf deren Motive, sondern allein der nützlichen oder schädlichen Folgen wegen. Bald aber vergisst man die Herkunft dieser Bezeichnungen und wähnt, dass den Handlungen an sich, ohne Rücksicht auf deren Folgen, die Eigenschaft ‘gut’ oder ‘böse’ innewohne: mit demselben Irrthume, nach welchem die Sprache den Stein selber als hart, den Baum selber als grün bezeichnet – also dadurch, dass man, was Wirkung ist, als Ursache fasst” (KSA 2, p. 62). 20 Nietzsche certainly had in mind the passage from Über die Philosophie der Mythologie in which Müller criticizes the degeneration of the concept of Seele, which derives metaphorically from that of breathing (psyché). In the course of time psyché becomes the name for an incorruptible, eternal principle separate from and oppposed to the body: “Sobald dieser Gegensatz in Sprache und Vorstellung festgestellt war, begann die Philosophie ihr Werk und suchte zu erklären, wie zwei so heterogene Kräfte auf einander einwirken konnten, wie die Seele den Körper beeinflussen und wie der Körper die Seele bestimmen konnte” (Müller 1874, p. 324). For Müller the soul is not a metaphysical entity, but simply a collective name for a series of processes or mental acts. In number II (JuneDecember 1876) of the Revue Philosophique there is a review of an article by Müller that had appeared in the journal Mind entitled Du sens originel des termes collectifs et abstraits, in which he discusses John Stuart Mill’s theory that matter is simply the permanent possibility of sensation, just as the spirit is no more than the permanent possibility of feeling. Müller agrees with Mill and describes the soul as a combination of states of consciousness. Nietzsche was both an admirer of the journal Mind and an avid reader of the Revue Philosophique (see Bf. an Ree, Anfang August 1877, KGB II/5, p. 266, see also

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In the Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache, too, Müller gives ample space to the mythology evoked during the process of word formation. He defends the theory by which language originated from a relatively small number of verbal roots that express everyday actions, like digging, eating, grasping, etc. In an early stage of the development of language, the roots were used with a holophrastic function; later, the names of objects were created on the basis of the actions involving them. For example, the names “sun” or “fire” were derived from the root that expresses the action of shining, or trees were called “what can be split”, because they could be used to make spears or boats.21 It is interesting to note that the names given to objects are not meant to express any assumed “essence” they might have, but the type of interaction that man can establish with them. As many names will therefore be created for the same object as the interactions it can be involved in. With time, thanks to a process of “natural selection [natürliche Auswahl]” (Müller 1866, p. 290), only the concepts used most frequently will remain.22 As a further step in language development, through metaphor abstract concepts are derived from concrete ones, providing an important aid for reasoning and so for the progress of civilization (Müller 1866, p. 331). Yet, if we forget their origin, we easily fall into what Müller calls “mythologische Sprachstörung”, meaning “ein krankhafter Zustand, eine Ohnmacht der Sprache” (Müller 1866, p. 386). This disease of thought can be cured only through rigorous

Campioni 2001). We can therefore assume he was familiar with the theories of Mill and Müller on the soul. 21 “Man discovered in a smaller or larger number of trees, before they were as yet trees to him, something which was interesting to him and which they all shared in common. Now trees were interesting to primitive man for various reasons, and they could have been named for every one these reasons. For practical purposes, however, trees were particularly interesting to the primitive framers of language, because they could be split in two, cut, shaped into blocks and planks, shafts and boats. Hence from a root dar, to tear, they called trees dru or dâru, lit. what can be split or torn or cut to pieces. From the same root they also called the skin δέρμα, because it was torn off, and a sack δορός, because it was made of leather (Sanskrit driti), and a spear, δόρυ, because it was a tree, cut and shaped and planed” (Müller 1892, pp. 382–383). This theory of Müller can also be found in Über die Philosophie der Mythologie and in the Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache. 22 M üller takes up Humboldt’s idea that human nature in different countries is subject to different pressures and stimuli, and therefore produces different visions (Ansichten) of things. For the stage of inter-subjective agreement, which, for Humboldt, decreed the real birth of a language, Müller substitutes the idea, taken from Darwin, of a “natural selection [natürliche Auswahl]” or, rather, a “natural elimination [natürliche Elimination]”. Of the many ‘apperceptions’ of an object, there remain at the end only the most used, which become binding for a people. “Nicht jede beliebige Apperception wird zu der Würde eines allgemeinen Begriffes erhoben, sondern nur die constant wiederkehrende, die stärkste, die brauchbarste; und aus der unendlichen Zahl allgemeiner Begriffe, die sich dem beobachtenden und sammelnden Geiste zudrängen, bleiben nur die am Leben und gewinnen eine bestimmten lautlichen Ausdruck, welche zur Fortführung des Lebenswerkes unbedingt erforderlich sind. Viele Apperceptionen, welche sich unserem Geiste naturgemäss darbieten, sind niemals zu allgemeinen Begriffen gesammelt worden und sie haben demgemäss auch nie einen Namen empfangen” (Müller 1866, p. 291).

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linguistic analysis, which discloses the metaphorical origin of concepts through their etymology and prevents us from using them uncritically.23 The need to purify thought of metaphysical superstition was strongly felt by the Nietzsche of Menschliches, Allzumenschliches, who sought to unmask the “WunderUrsprung” of the “höher gewertheten Dinge” (MA I 1, KSA 2, p. 23) through a careful historical examination conducted with rigorous scientific method. The analysis of language performs a fundamental role in this project. From etymological research we can obtain incontrovertible proof of the fact that words do not provide objective definitions of the things they name, but are largely arbitrary and conventional. From it there also emerges that the meaning of a word is not something given once and for all, but evolves and changes over time. With this discovery there collapses for ever faith in concepts like “a e t e r n e v e r i t a t e s” (MA I 11, KSA 2, p. 30) and there arises rather the awareness that they are human products created in given historical-cultural circumstances with, therefore, limited validity.24 Nietzsche thus believes that the findings of linguistic research mark a turning-point for philosophy, which, if it wants to be a science, must become historical analysis or, better, genealogy. We read in a note of 1885: Was uns von allen Platonischen und Leibnitzischen Denkweisen am Gründlichsten abtrennt, das ist: wir glauben an keine ewigen Begriffe, ewigen Werthe, ewigen Formen, ewigen Seelen; und Philosophie, soweit sie Wissenschaft und nicht Gesetzgebung ist, bedeutet uns nur die weiteste Ausdehnung des Begriffs “Historie” (NL 1885, 38[14], KSA 11, p. 613).

23 Nietzsche would certainly have been fascinated by the etymology of the concept-word “truth” recalled by Müller in the Vorlesungen: “Truth (Wahrheit) ist von Horne Tooke als dasjenige erklärt worden, was man trauet, troweth. Dies würde indess nur sehr wenig erklären. To trow ist nur ein abgeleitetes Verb und bedeutet trauen, fur wahr halten. Was ist aber true (treu)? Es ist das sanskritische dhruva und bedeutet fest, zuverlässig, überhaupt etwas Haltbares, von dhar, halten” (Müller 1866, p. 325). 24 Wittgenstein’s theory that the meaning of a word corresponds to its use in a given context was already widespread in nineteenth-century Germany. It can already be found in August Boeckh (18662), who claimed that words have a meaning only within concrete relations, when they are used in a syntactic, pragmatic context (see Benne 2005, p. 72–73). It can be seen in the Danish Latinist Madvig, who claimed: “Der Laut der Wörter steht also in keinem natürlichen und nothwendigen Verhältniss zur Vorstellung und ihrem Gegenstand. Das Wort hat nur eine Bedeutung für gewisse Menschen, die ihm diese Bedeutung unterlegen und geben” (Madvig 1875, p. 59). It is also present in Max Müller and Gustav Gerber. Gerber explains that, just as in music the same tune arouses a large number of feelings and sensations, in the same way the Lautbild evokes many representations, which we can choose from only by using the word in an effective communicative context. Therefore the meaning of a word is all its possible uses (see Gerber 1871, p. 343). Müller, too, while aware of the need to give precise definitions of concept-words (Wortbegriffe) to avoid misusing them, nevertheless recognises that they do not have a single meaning, but rather circumscribe ‘areas of meaning’. The intension of a concept can never be defined exhaustively. The only possible definition of a concept-word is the history of its uses, its genealogy (see Cloeren 1988, p. 172).

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Bringing to light the origin of some designations on which the present moral system hinges, Nietzsche reveals the substantial continuity between literal and metaphorical meaning, where the former is simply the historical deposit of a continual artistic creation of meanings. In Zur Genealogie der Moral Nietzsche links, for example, the moral concept of spiritual “purity” to the physical experience of cleaning (GM I 6, KSA 5, p. 264), or the abstract concept of guilt (Schuld) to the material one of debt (Schulden) (GM II 4, KSA 5, p. 297; GM II 8, KSA 5, p. 305). The “second sight [zweites Gesicht]” (GM II 4, KSA 5, p. 297) that the genealogist possesses is one that considers every phenomenon in the historical stratification of its meanings, and does not simply stop to consider the last and most recent of them as if it were the only one.25 A passage in the Encyclopedie der klassischen Philologie reveals that Nietzsche was well aware of Müller’s theory on the formation and natural selection of names since 1871: Die vergleich. Mythenforschung hat constatirt daß die Namen von Gottheiten ursprünglich Prädikate sind: nun aber hat ein Object meist eine Anzahl von Prädikaten, u. so giebt es in den Urperioden eine Mehrzahl von Namen, die einem Objekte zukommen: also Synonyme. Nun aber sind viele dieser Namen wieder gebräuchlich für andre Objekte, es giebt demnach auch viele Homonyme. […] Daher, wenn die Metaphern vergessen sind, große Verdunkelung der Mythen (EKP, KGW II/2, p. 410).

“Das Interesse der vergl. Mythenforschung ist das Zurückführen ethischer Ideen auf sinnliche Anschauungen” (EKP, KGW II/2, p. 412). Also the above-mentioned note of 1885 suggests that Nietzsche knew and shared Müller’s conjecture that the most ancient concepts are those that, over time, have proved most useful for the survival of the species: “Von der Etymologie und der Geschichte der Sprache her nehmen wir alle Begriffe als g e w o r d e n, viele als noch werdend; und zwar so, daß die allgemeinsten Begriffe, als die f a l s c h e s t e n, auch die ältesten sein müssen” (NL 1884–1885, 38[14], KSA 11, p. 613). Nietzsche claims that the concepts of “being”, “substance”, “thing”, etc. are “the most false, that is to say, those that most contradict reality, which is a flux where nothing remains identical to itself. But they are also the most ancient concepts, those that were created first and still survive today – because they have proved useful to the preservation of the species, as, more than others, they contribute to creating the illusion of a stable, durable, regular world that the human mind can know and dominate. Nietzsche seems to share Müllers theory also in the Darstellung der antiken Rhetorik, when he explains that the names given to things simply express one of their salient characteristics, which is taken to represent the whole. “Die Sprache drückt 25 An important source for Nietzsche’s etymological analyses in Zur Genealogie der Moral is the classical philologist Leopold Schmidt. In Die Ethik der alten Griechen (1882) Schmidt investigates the development of morality in the Greek world, statying from the lexical and semantic changes in the language (see Orsucci 2001, p. 172). Schmidt’s analysis is based on the conviction that there is a close link between a language and the spirit of the people who speak it.

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niemals etwas vollständig aus, sondern hebt überall nur das am meisten hervorstechende Merkmal hervor” (DaR 7, KGW II/4, p. 445). For example, we call an animal “Schlange” for its characteristic sinuous movement, “schlängeln”. Aber warum heißt serpens nicht auch Schnecke? Eine einseitige Wahrnehmung tritt ein für die ganze u. volle Anschauung. In anguis bezeichnet der Lateiner die Schlange als constrictor, die Hebräer nennen sie die Zischelnde oder die Schwindende oder die Verschlingende oder die Kriechende (DaR 3, KGWII/4, pp. 426f).

Objects are perceived and named on the basis of their most significant characteristic.26 That different languages have different names for the same object shows that the various peoples, depending on the historical-social conditions and the environment in which they live, regard different characteristics of it as more important (and so representative of the object). As Nietzsche emphasizes in Über Wahrheit und Lüge, man “knows” the world, not guided by instinct for the truth, but by utility. His interest is not that of understanding the “essence” of things – which is, anyway, impossible – but only to catalogue them according to the type of interaction that he can establish with them. It is the practical interest that guides perception of reality: the names we give things actually describe only the way in which we relate to them. Privileging only one of an object’s characteristics and ignoring all the others, man succeeds in constructing concepts that certainly facilitate the organization of experience and simplify its communication, but on the other hand also enormously reduce their complexity. Filtering the “thatsächliche Geschehen” through a “Simplifications-Apparat”, man succeeds in establishing a “Zeichenschrift” with which his experience can be communicated and shared (NL 1885, KSA 11, 34[249]). Nevertheless, the part of experience that reaches expression through language represents only “der kleinste [….], der oberflächlichste, der schlechteste Theil” (FW 354, KSA 3, p. 590) of the individual’s inner life, the social, public part. The world we construct through language and share with our fellows is therefore “nur eine Oberflächen- und Zeichenwelt ist, eine verallgemeinerte, eine vergemeinerte Welt, – […] Alles, was bewusst wird, ebendamit flach, dünn, relativ-dumm, generell, Zeichen, Heerden-Merkzeichen w i r d, dass mit allem Bewusstwerden eine grosse gründliche Verderbniss, Fälschung, Veroberflächlichung und Generalisation verbunden ist“ (FW 354, KSA 3, p. 593). Reading Müller helped mature Nietzsche’s awareness that language does not depict reality exhaustively and objectively, but composes a highly ideological vision of it, suppressing some of its features and adding others. Although we cannot conceive reality outside the form that language makes available to us, it is yet possible and necessary to be aware of its distorting effects. Therefore Nietzsche insists on the need to use concepts critically, bearing in mind that they are “conventioneller Fiktio-

26 See also DaR 7, KGW II/4, p. 445: “Ein Zahn-habender ist noch kein Elephant, ein Haarhabender noch kein Löwe, u. dennoch nennt das Sanskrit den Elephanten dantín, den Löwen kesín”.

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nen zum Zweck der Bezeichnung, der Verständigung, n i c h t der Erklärung. […] und wenn wir diese Zeichen-Welt als ‘an sich’ in die Dinge hineindichten, hineinmischen, so treiben wir es noch einmal, wie wir es immer getrieben haben, nämlich mythologisch“ (JGB 21, KSA 5, p. 35).

4. Gustav Gerber and Tropes as Patterns of Conceptual Association During the Basle years Nietzsche showed great interest in rhetoric and in some of his courses analysed classical treatises such as Cicero’s De oratore, Quintilian’s Institutio Oratorie and Aristotle’s Rhetoric. In addition, between 1872 and 187427 he held a course entitled Darstellung der antiken Rhetorik, which analysed the system of rhetoric in its traditional divisions. In it he makes some extremely interesting remarks on rhetoric’s relation to language and the role of tropes in the formation of language. Many of these comments bear the marks of his reading of the first volume of Gustav Gerber’s work, Die Sprache als Kunst (1871), which he borrowed several times from the Basle university library from September 1872 onwards. Nietzsche claims that rhetoric as techne – the orator’s conscious art of constructing a good speech – is based on an unconscious dynamis innate in every human being, animating all linguistic acts, including those not usually regarded as “rhetorical”. Even scientific discourse, which is usually regarded as objective and neutral, and poetry, which seems to derive directly, spontaneously and authentically from the poet’s soul, are actually no more than rhetorical constructions. Starting from this premise, tropes are seen not as mere ornaments of discourse, but as its constituent mechanisms, reflecting cognitive procedures that are indispensable in everyday life. Synecdoche, metonymy and metaphor are not so much figures of discourse as unconscious cognitive patterns that are responsible for the creation of language and the corresponding Weltansicht. Nietzsche examines each of these tropes in detail. Synecdoche enters into the process of forming names. The object is always named on the basis of one of its salient characteristics (Merkmal), which is taken as representing the whole (e.g. Schwange, from schwingen). Once a name has been created for an observable phenomenon, corresponding to a concrete concept, we can transpose it metaphorically to phenomena that are not accessible to sense experience, creating abstract concepts. Metonymy determines an inversion of cause and effect, so that an abstract concept created on the basis of concrete experiences is mistaken for their cause. “Jene Begriffe, die lediglich unserer Empfindung ihr Entstehen verdanken, werden als das innere Wesen der Dinge voraus-

27 The dating of the Darstellung is somewhat controversial. See Stingelin 1996, p. 93; Behler 1998; Most/Fries 1994, p. 22.

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gesetzt: wir schieben den Erscheinungen als Grund unter, was doch nur Folge ist” (DaR 7, KGW II/4, p. 446). For example, hardness is imagined as a qualitas occulta that brings about the property of being hard in objects (DaR 3, KGW II/4, p. 427). As names in no way reflect the essence of things, Nietzsche concludes that it is meaningless to distinguish between proper and figurative names. He paraphrases Gerber, who claims: “Alle Wörter sind Lautbilder und sind in Bezug auf ihre Bedeutung an sich und von Anfang an Tropen. […] ‚Eigentliche Worte‘ d.h. Prosa giebt es in der Sprache nicht” (Gerber 1871, p. 333; cf. DaR 3, KGW II/4, p. 426). As a Lautbild the word is a transposition – a trope – as soon as it is created. It is set off at the same time as the nerve stimulus that is generated by contact with a certain object and is in proportion to it, but it certainly does not represent the external object faithfully or exhaustively. The image of the world we produce through language is not, then, a faithful mirror of reality, and so it is meaningless to speak of “proper” meanings of words that are transposed in certain circumstances for certain purposes.28 Nietzsche therefore claims: “die Tropen treten nicht dann u. wann an die Wörter heran, sondern sind deren eigenste Natur. Von einer ‘eigentlichen Bedeutung’, die nur in speziellen Fällen übertragen wurde, kann gar nicht die Rede sein” (DaR 3, KGW II/4, p. 427). Ultimately, for Nietzsche there is no difference between so-called proper words and tropes, apart from our habit of using them more or less frequently with reference to a certain object. Proper words are the words we use most frequently and whose origin we have forgotten. Considerations about tropes are to be found not only in Nietzsche’s notes and lectures of the Basle period. The epistemological framework elaborated during the Basle years is taken up again by Nietzsche in the fragments of the late 1880’s. Though not using the terminology of rhetoric, he continues describing the most recurrent patterns of conceptual association as analogy, inversion of cause and effect, and highlighting of one characteristic as representative of the whole object. Distinctive feature of the analysis conducted in the late 1880’s on man’s cognitive procedure of elaborating a Weltansicht is the relevance assigned to the body. From an analysis of the most frequent metaphors, Nietzsche reaches the conclusion that the first cognitive schemas are formed on the basis of human beings’ everyday experience of the perception of their bodies in relation to the surrounding space. The “embodied schemata” formed through everyday experience are then applied to new phenomena, adapting them where necessary. The result is that we produce images of the world that are highly anthropomorphic. “Am Leitfaden des Leibes zeigt sich eine ungeheure Vielfachheit; es ist methodisch erlaubt, das besser studirbare reichere Phänomen zum Leitfaden für das Verständniß des ärmeren zu benutzen” (NL 1885–1886, 2[91],

28 For Gerber language is involved in a process of “unaufhaltsamen translatio”, of “unendliche Verschiebungen”, in that new words are constantly being created in the attempt to achieve a more adequate expression of the essence of things (see Orsucci 1994, p. 204). But this aim can never be achieved as words are only works of art: they merely offer us images of things, and never the things themselves (see Gerber 1871, p. 159f).

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KSA 12, p. 106). The phenomenon of the body is that for which we have the greatest number of mental representations, because it recurs most frequently in our experience. Nietzsche considers the capacity to create metaphors as a great resource for human beings, in that it lets them exploit the knowledge they possess about everyday phenomena so as to penetrate less directly accessible domains. This procedure is set off by an adaptive instinct by which, faced with a new experience, we always tend to re-use the cognitive schemas we already have, modifying them where necessary, rather than create new ones. In this way we save energy and are able to respond more rapidly to external stimuli (FW 111, KSA 3, p. 471). In short, Nietzsche concludes, “‘Erkenntniß’: das ist der Ausdruck eines neuen Dings durch die Zeichen von schon ‘bekannten’, schon erfahrenen Dinge” (NL 1885, 38[2], KSA 11, p. 597). Scholars have analysed exhaustively the influence of Gerber’s work on the Darstellung and Über Wahrheit und Lüge.29 But it is worth asking how a scholar who was the Principal of a Gymnasium in a small Prussian town and always remained on the sidelines of academic debate was able to conceive such an original theory. In one of the first interpretations of Nietzsche’s rhetoric, Joachim Goth claims that in his day this discipline enjoyed little esteem and was even despised as it was considered a needless embellishment that might disturb the clarity of communication or, worse still, an expedient to dissimulate the lack of content (Goth, 1970). This is not quite true. Reconstructing the origins of lexical semantics, Dirk Geeraerts explains the discipline’s deep debt to rhetoric (Geeraerts 2010, p. 5). Round the mid nineteenth century etymological research had become one of the strengths of historical-comparative linguistics. While most scholars were simply collecting and comparing data, some were also beginning to wonder if there were any general principles governing semantic change. This gave rise to a new branch of linguistics devoted to the study of meaning, called semasiology or Bedeutungslehre (which led to modern semantics), whose initiators were the Latinist Karl Christian Reisig, his pupil Friedrich Haase, and, later, Karl Ferdinand Heerdegen.30 These scholars, who were classical philologists, used the enormous corpus of documents from the Latin and Greek tradition as research material. For interpretation, they borrowed concepts from textual rhetoric. In his Vorlesungen über lateinische Sprachwissenschaft (1839), the whole of the second volume of which deals with semantic change, Reisig claims that the development of a language is determined by its free use (Sprachgebrauch) within the limits set by the general laws of language (Sprachgesetze) (Reisig 1881, p. 5). These are psychological

29 See Meijers 1988; Meijers/Stingelin 1988; Zavatta 2009. Today Gerber’s name is almost wholly unknown. Schmidt places him alongside Otto Gruppe, Friedrich Max Müller and Georg Runze among the “vergessene Sprachphilosophen des 19. Jahrhundert” (Schmidt 1968). 30 Only recently has the prevailing view been corrected that it was Bréal 1897 who invented both the discipline and the term semasiology. See Gordon 1982; Nerlich 1992; Koerner 1995; Schmitter 2003. The main exponent of German semasiology is Hermann Paul (see Paul 1880). Nietzsche quotes Hermann Paul in NL 1884–1885, KSA 11, 29[3].

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laws – general laws of the human mind. Linguistic change is therefore caused by the interaction between universal forms and historical circumstances, which are different from one people to another (Nerlich 1992, p. 36). Reisig identifies some of the more frequent paths of conceptual association and establishes their correspondence with the procedures that rhetoric calls metaphor, metonymy and synecdoche.31 Comparing one thing with another, inverting cause and effect, focusing on one part of the object that is taken as representing the whole are, Reisig says, universal cognitive processes. What varies is the concrete content on which they work – the mental representations whose association they decide, which are different from one people to another. “Gewöhnlich kann man in den gangbarsten Tropen etwas Charakteristisches einer Nation erkennen, nämlich gewisse Lieblingsvorstellungen. So z.B. drücken sich die Römer als ein Kriegervolk gern aus mit brechen, schlagen, treten” (Reisig 1890, p. 6). Reisig’s Vorlesungen, first published in 1839, reached a much larger readership when it was reprinted in 1881–1890. In the 1870s and 1880s Haase and Heerdegen continued to study semantic change, and, though they criticised Reisig for deducing its principles from the categories of reason, rather than empirically by examining actual historical documents, they still reached the same conclusions. Applying the historical-comparative method to a huge bulk of documents, they established that the most

31 “Die Grundlage der Ideenentwickelung in den Wörtern ist die Gedankenassoziation in der Gemeinschaft der Vorstellungen. Es sind gewisse Ideenassoziationen unter den menschlichen Vorstellung vorzüglich gebräuchlich, welche mit gewissen Ausdrücken bezeichnet die Rhetorik sich angeeignet hat, welche aber in gewisser Hinsicht auch in die Bedeutungslehre gehören, nämlich die Synekdoche, die Metonymie und die Metapher. So weit diese sogenannten Figuren auf das Ästhetische hinzielen, gehören sie allerdings der Rhetorik an, auch insofern sich Einzelne derselben bedienen; wofern aber in einer besonderen Sprache nach diesen Redefiguren sich ein Redegebrauch gebildet hat, der dem Volke eigen ist, so gehören diese Figuren hierher” (Reisig 1890, p. 2). Reisig goes on to explain them one by one: “Nichts ist gebräuchlicher, als daß von der Bedeutung eines Teiles die des Ganzen ausgeht, oder umgekehrt, daß die Vorstellung des Ganzen die Bedeutung eines besonderen Teiles erzeugt; dies ist die Synekdoche (partis pro toto oder totius pro parte) in der Rhetorik. Hierbei ist wahrzunehmen, wie manche Sprache vorzugsweise einen Teil vor dem anderen gewählt hat, um das Ganze zu erkennen zu geben […]. Die Metonimye ist eine besondere Art der Vertauschung von Vorstellungen, nämlich entweder so, daß das Wort, welches die Ursache bedeutet, zugleich dient, eine gewisse Wirkung auszudrücken, oder daß eine Wirkung gesetzt wird, um den Sinn einer Ursache zu geben. […] Die Adjectiva laetus und tristis bekommen den Begriff des froh- und traurigmachenden, z.B. laetae segetes, tristis senectus” (Reisig 1890, p. 4). “Die dritte Figur, welche zu dem Ideenwechsel die Grundlage gibt, ist die Metapher […]. Ohne solche bildliche Bezeichnung wäre die Sprache tot und gestaltlos; damit aber erhält sie ein heiteres, buntes Leben” (Reisig 1890, p. 6). Friedrich August Bernhardi had already identified in his Sprachlehre (1801) synecdoche, metonymy and metaphor as the three main procedures that in their different ways effected an integration between mental images: subordination in the case of synecdoche, succession in the case of metonymy, and identity in the case of metaphor (see Bernhardi 1801, pp. 17f). With these mechanisms we can account for both free artistic creation and everyday language use (see Schlieben-Lange/Weidt 1988, p. 89).

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frequent paths of conceptual association were metaphor, metonymy and synecdoche.32 In the first volume of Die Sprache als Kunst Gerber essentially repeats more briefly and incisively what the German semasiologists had discovered, collecting the comments they had scattered in massive, densely argued volumes. Presumably, Nietzsche was sufficiently struck by Gerber’s work to use it as a model when preparing his own lectures, but he was certainly not unaware of the tradition from which those ideas came. Karl Christian Reisig was a famous and admired Latinist, who had taught Ritschl at Halle University. Nietzsche borrowed his Vorlesungen über lateinische Sprachwissenschaft (1839) from Basle library in 1869 (Crescenzi 1994, p. 391). Haase is quoted by Nietzsche in the bibliography for the Encyclopaedie der klassischen Philologie (NL 1869, KGW I/5, 75[3]). Heerdegen, even if he is never quoted or mentioned by Nietzsche, dedicated his Untersuchungen zur lateinischen Semasiologie (1875) to the Greek scholar George Curtius, who taught Nietzsche at Leipzig. Heerdegen gave thanks to Curtius for being the first to state that it was not only possible, but necessary, to find „allgemein menschliche Gesetze und Analogien” (Curtius 1866, p. 88) on the basis of which to explain semantic change in the various languages, and so had been the first to insist on the need for a section of linguistics specifically devoted to the study of meaning.33 In conclusion, we may note that, despite what Goth says, late nineteenth-century German culture evidences a great rediscovery of rhetoric, which was not conceived as a technique of literary discourse, but as a valuable interpretative tool for understanding how language works. Consequently, tropes were not seen as mere embellishments, so much as paths of mental association that are then reflected in language use. Rather than diverging from a rule, tropes seem to be the rule itself: universal laws of thought, and consequently principles of semantic change.34 32 Haase and Heerdegen differ from Reisig not only in methodology, but above all in their aim: Reisig wanted to show that the universal laws of the mind are embodied in language and detemine how it develops, but Haase and Heerdegen studied Latin with the aim of understanding Latin culture (see Nerlich 1992, p. 44; Nerlich 2001, p. 1597). 33 Curtius’ Grundzüge also makes a claim similar to that with which Nietzsche opens his Darstellung. Curtius distinguishes ‘constitutive’ or ‘natural’ metaphors, which lead to the formation of the meaning of words, from ‘poetic’ metaphors, which extend the meaning of words beyond their normal scope of relevance. The former arise unconsciously and spontaneously, and express the specific character of a given people, while the latter, “die kunstvolle Übertragungen”, are a “Fortsetzung der natürlichen” (Curtius 1866, p. 107) on a conscious level and allow us to understand how the former work, which otherwise we could not know. Curtius explicitly states his debt to Max Müller, who was the first to distinguish ‘radical’ metaphors from ‘poetic’ metaphors (see Müller 1866, p. 334). Nietzsche borrowed Curtius’ Grundzüge from Basle’s library in February 1870, then in May of the same year, in May 1872 and 1873, in autumn 1873, and in April 1874 (see Crescenzi 1994). 34 This means we should also reconsider Emden’s claim that all classical treatises on rhetoric that Nietzsche draws on supplied only a historical perspective of the discipline, shunning any systematic discussion. Emden also claims that, in the authors Nietzsche read, tropes are regarded exclusively as

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5. Final Considerations Even though the authors Nietzsche read and admired were working in different contexts and with different aims, what unites them emerges clearly: they were all studying language in an anthropological perspective, in relation to the man who speaks it. Max Müller, questioning Schleicher’s position, compares language to the circulation of the blood: just as it depends on the overall conditions of the body, although it is not subject to the conscious control of the individual, so a language reflects the nature of those who speak it, although they cannot deliberately modify it (Müller 1863, p. 35). And, Nietzsche points out, men are not made of pure intellect, but also of bodies that move in space and know it in relation to themselves, that strive to adapt themselves to their environment and interact with their fellows. Responding to the needs of his age, which was marked by the growing influence of the so-called “life sciences”, Nietzsche sets the problem of the relation between thought and language in a broader context. The anthropological dimension of thought on language becomes for him inseparable from reflections on the physiology of men, who are not simply historical beings, but also, above all, biological organisms. If we can understand the psychology of a people, its history and culture, from language as a historical product, then from the “language faculty” – the cognitive patterns along which these peculiar visions of the world take form – we can draw information about the human mind and how it works. Nietzsche was educated in a prestigious philological tradition and he used its tools to carry out an investigation that was specifically philosophical. Combining the results of historical-comparative research on language with those provided by the psychology and physiology of perception, Nietzsche used the best that his age could provide to go beyond it, developing a theory that only now, in the light of recent research, can be fully appreciated.

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Andreas Urs Sommer

Nietzsche und die Religionswissenschaft Friedrich Nietzsche wuchs in einem von religiösen Themen beherrschten Umfeld auf. Im protestantischen Pfarrhaus, aus dem er stammte, schienen die Fragen nach Heil und Verdammnis voll von existenziellem Ernst zu sein. Nietzsches Vater Carl Ludwig war während seiner Hallenser Studienzeit vom theologischen Rationalismus zu einem lutherisch-orthodoxen und supranaturalistischen Standpunkt übergegangen und verteidigte diesen Standpunkt während seines Pfarramtes in Röcken vehement (vgl. Goch 2000, dazu kritisch Sommer 2001). Auch nach dem frühen Tod des Vaters dürfte die Prädominanz des Religiösen im Familienkreis nicht geringer geworden sein (dazu polemisch-erschöpfend Schmidt 1991). Charakteristisch für diese Prädominanz ist das Fehlen jeglicher kritischen Perspektivierung: Die religiösen Fragen, etwa die nach Heil und Verdammnis, werden als nicht hinterfragbare Selbstverständlichkeiten genommen. Zweifel am eigenen Gnadenstand, an der eigenen Erlösung sind zwar innerhalb dieses Rahmens möglich, ja als Ausdruck der frommen Selbstvergewisserung geradezu nötig. Nicht aber möglich ist eine liberale Distanzierung oder gar eine Vergleichgültigung der religiösen Fragen selbst. So sehr der junge Friedrich Nietzsche in den Augen seiner Umwelt noch in diesen Rahmen passte, so dass in der Familie lange die Überzeugung gehegt wurde, er werde wie sein Vater die Theologen-Laufbahn einschlagen, sprechen doch bereits die Selbstzeugnisse aus der Gymnasialzeit eine andere Sprache: Obwohl sowohl das Naumburger Domgymnasium, das Nietzsche zunächst besuchte, als auch die danach von ihm absolvierte Landesschule Pforta ihr Curriculum unter christliche Präambeln stellten, überwog doch gerade in Pforta die klassisch-philologische Ausrichtung, die mit ihrem Ausgreifen auf außereuropäische Philologien – natürlich lernte Nietzsche auch Hebräisch – einen komparativen Blick auf die eigene Kultur und damit auf die eigene Religion ermöglichte.1 Sein Schulfreund Paul Deussen berichtet, wie in Pforta der Kinderglaube der Zöglinge durch Übertragung der philologischen Methode aus dem Bereich der Klassiker-Lektüre auf das biblische Feld „unmerklich untergraben“ worden sei: So habe beispielsweise der Lehrer Karl Heinrich August Steinhart den 45. Psalm „durchaus als ein weltliches Hochzeitslied“ erklärt (Deussen 1922, S. 70). Im Deutschunterricht Karl August Kobersteins wurden das Nibelungenlied und damit die germanische Mythologie einer literarhistorischen Analyse unterzogen, die Nietzsche 1861 wiederum zu einer eigenen „historischen Skizze“ über Ermanarich inspiriert hat. Auch mit dem Islam und den indischen Religionen hat Nietzsche schon während seiner Schulzeit Bekanntschaft geschlossen, wobei wiederum Koberstein eine Schlüsselrolle spielte, und zwar als Vertreter der Indogermanistik, die von der Völkerver-

1 Siehe Figl 2007, S. 29 und Figl 1984, S. 47ff; zur „Christlichkeit“ Schulpfortas vgl. Bohley 2007.

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wandtschaft der Inder, Perser und Europäer ausging. Eine reichhaltige Schulbibliothek tat ein Übriges, um Nietzsches Interesse an außereuropäischen Religionen zu wecken. So kann man Nietzsches Selbstthematisierungen während seiner Gymnasialzeit als Ausdruck eines Bildungsprogrammes verstehen, das sich schon weitgehend von den familiären protestantischen Vorgaben emanzipierte. Nach Hans Gerald Hödls einschlägigen Untersuchungen lässt sich das aus Nietzsches erster Autobiographie von 1858 ebenso erheben wie aus seinem „frühe[n] skeptische[n] Manifest“ Fatum und Geschichte von 1862 (Hödl 2009, S. 207). Während seiner Studienzeit in Bonn und Leipzig – zunächst bekanntlich auch der Theologie – machte sich Nietzsche nicht nur weiter vertraut mit den historischkritischen Ansätzen innerhalb der Bibelwissenschaften,2 sondern gewann tieferen Einblick in die Religionsgeschichte der vorchristlichen Antike und der außereuropäischen Kulturen. Aufschlussreich sind dafür Nietzsches weitgehend unpublizierte Vorlesungsmitschriften. So ist der junge Student in einem philosophiegeschichtlichen Kolleg von Carl Schaarschmidt mit indischer Philosophie konfrontiert worden; die Charakterisierung von Buddhismus als Nihilismus taucht hier bereits auf. Bei Schaarschmidt herrschte eine vergleichende Perspektive vor – ebenso wie beim Orientalisten Hermann Brockhaus, bei Nietzsches Mentor Friedrich Ritschl und insbesondere bei Georg Curtius, der in seinen Lehrveranstaltungen Sprachvergleichung mit Religionsvergleichung verband. Der ehemalige Leipziger Student (Friedrich) Max Müller entwickelte zeitgleich als Professor in Oxford das Konzept einer Vergleichenden Religionswissenschaft, in dem Nietzsche später eine Bestätigung seiner eigenen, auch in den Anregungen von Curtius gründenden Anschauungen finden sollte.3 Als Nietzsche in Basel seine Professur übernahm, deckte er mit seinem Lehrprogramm durchaus auch Gegenstände der antiken Religionsgeschichte ab. In seiner Vorlesung über den Gottesdienst der Griechen von 1875/76 und 1877/78 (KGW II/5, S. 355–520) kam beispielsweise eine religionsethnologische Sicht zum Tragen, die zwar einerseits in der (antiklassizistischen) Fortsetzung des Philhellenismus eine Vorrangstellung der altgriechischen Religion behauptete, zum anderen aber die damalige religionsvergleichende Forschung auf breiter Front einbezog (vgl. Figl 2007, S. 245– 266, kritisch dazu Orsucci 2008, S. 416–422). Dabei spielten die Lektüren von Max

2 Neben David Friedrich Strauß’ Leben Jesu ist besonders Daniel Schenkels Charakterbild Jesu zu nennen, vgl. Pernet 1989, S. 95f. 3 Vgl. Figl 2007, S. 159–227. Im Jahre 1867 gebrauchte Müller zum ersten Mal den Ausdruck „Vergleichende Religionswissenschaft“ zur Kennzeichnung einer von Theologie und Religionsphilosophie gleichermaßen unabhängigen Disziplin (zuerst englisch, dann deutsch 1869 im Titel des ersten Bandes seiner Essays). Nietzsche besaß zwar nur den zweiten Band der Essays, hat den ersten aber schon früh exzerpiert (siehe NL 1870–1871, 5[30]-5[71], KSA 7, S. 99–109). Im Oktober 1875 entlieh Nietzsche der Basler Universitätsbibliothek Müllers Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft.

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Müller, Edward Burnett Tylor und John Lubbock eine wichtige Rolle (vgl. Orsucci 1996). Gerade bei Müller fand Nietzsche für seine spätere Rede vom „Tod Gottes“ Vorgaben, obwohl Müller an den fraglichen Stellen die Idee vom Sterben der Götter noch nicht auf die christliche Welt ausgeweitet und daraus kein praktisches Postulat gemacht hatte (vgl. Figl 2007, S. 233). Entscheidend für die Verbreiterung von Nietzsches Interesse an religionswissenschaftlichen Fragen ist das Basler Gelehrtenumfeld gewesen (dazu allgemein Sommer 2011): Im Blick auf die Religionen des vorchristlichen Altertums konvergieren Nietzsches Interessen mit dem Entdecker des Mutterrechts, Johann Jacob Bachofen, und insbesondere mit Jacob Burckhardt (vgl. Gossman 2000). Von besonderer Bedeutung für die kritische Schärfung von Nietzsches Religionsverständnis dürfte aber die Gesprächsgemeinschaft mit dem Neutestamentler und Kirchenhistoriker Franz Overbeck gewesen sein: Overbeck, ursprünglich im theologischen Liberalismus beheimatet, entwickelte sich nicht nur zu einem radikalen Kritiker der Theologie, sondern entwarf das Programm einer profanen Kirchengeschichtsschreibung, die keinerlei religiösen Interessen mehr dienstbar sein wollte. Die enge Freundschaft mit Overbeck hat wesentlichen Anteil an der allmählichen Veränderung von Nietzsches Blick auf religiöse Phänomene gehabt (vgl. Sommer 1997; 2003): Hatte sich Nietzsche bis dahin als Wissenschaftler auf Religionsvergleiche konzentriert, was ihm auch die Religion seines Herkommens, das protestantische Christentum, als eine Religion unter anderen Religionen zu perspektivieren erlaubte, trat nun immer stärker das kritische Moment hervor. Nietzsches prinzipielle Religionskritik nahm konkretere Gestalt an, je mehr er sich von Richard Wagner und von dessen synkretistischer Kunstreligion distanzierte, als deren Prophet er noch in der Geburt der Tragödie aufgetreten war. Nietzsches religionswissenschaftliche Lektüren werden fortan mehr und mehr in funktionale Kontexte eingepasst, das heißt, sie werden zum Vehikel seiner philosophischen Selbstverständigung. Andrea Orsucci (1996) hat in exemplarischer Weise vorgeführt, wie Nietzsche religionswissenschaftliche Werke nutzte, um für seine Versuche, Philosophie neu zu begründen, die nötige Distanz vom abendländischen Wertkonsensus zu gewinnen. Im Folgenden will ich an drei Beispielen deutlich machen, wie Nietzsche in Auseinandersetzung mit religionswissenschaftlicher Literatur Material für sein philosophisches Denken gewann. Dabei kann im gegebenen Rahmen keine Entwicklungsgeschichte seines Umgangs mit religionswissenschaftlichen Texten und Theorien nachgezeichnet werden. Um der Verdeutlichung willen habe ich zwei der drei Beispiele aus Nietzsches letzter Schaffensphase gewählt, als er eine „Umwerthung aller Werthe“ ausrief, die eine Antwort sein sollte auf die angeblich durch die jüdischchristliche Tradition bewirkte „radikale F ä l s c h u n g aller Natur, aller Natürlichkeit, aller Realität“ (AC 24, KSA 6, S. 191).

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1. Paul de Lagarde und die Nationalreligion Nietzsches Bekanntschaft mit den Werken des Göttinger Orientalisten, SeptuagintaForschers und Publizisten Paul de Lagarde4 dürfte sich Franz Overbeck verdanken, der mit dem Göttinger Kollegen seit Mitte der 1860er Jahre Briefkontakt pflegte. Gemeinsam mit Overbeck hat Nietzsche Lagardes populäre Schriften gelesen, „da wir“, wie Overbeck Lagarde brieflich wissen ließ, „kein Fest der Art, das uns bereitet wird, unter uns zu feiern pflegen, ohne den andern daran Theil nehmen zu lassen“ (Peter/Sommer 1996, S. 143). An Erwin Rohde schrieb Nietzsche am 31.01.1873 zu Lagardes Werk Über das verhältnis des deutschen staates zu theologie, kirche und religion: „Eine kleine höchst auffallende Schrift, die 50 Dinge falsch, aber 50 Dinge wahr und richtig sagt, also eine sehr gute Schrift – versäume nicht zu lesen“ (Bf. an Rohde, 31.01.1873, KGB II/3, Bf. 294). In den frühen 1870er Jahren stimmten Lagarde und Nietzsche überein in ihrer Kritik an den Zuständen im Bildungswesen und an der Politik Deutschlands, obwohl Nietzsche Lagardes imperialistische Ambitionen nicht teilte. Sie waren Repräsentanten der frühen kaiserzeitlichen Kulturkritik, die mit ihrer Unzeitgemäßheit kokettierte und dafür ein gewisses Publikum fand. Sowohl Lagarde als auch Nietzsche waren von Haus aus Philologen und gewannen ihre zeitdiagnostischen Einsichten am Maßstab einer normativen Frühzeit – am archaischen Griechentum im Falle Nietzsches, am Evangelium Jesu im Falle Lagardes. Den nationalreligiösen Implikationen von Lagardes „theologisch-politischen“5 Deutschen Schriften stand Nietzsche allerdings vorbehaltvoll gegenüber. Lagarde hatte die Nationwerdung der Deutschen zum eigentlichen Ziel ausgerufen – zu einem Ziel jedoch, das seiner Ansicht nach weder von den Repräsentanten des zeitgenössischen politischen Deutschlands noch durch einen Rückgriff auf das kirchliche Christentum in seiner katholischen oder protestantischen Gestalt erreicht werden könne. Das kirchliche Christentum und noch mehr das als Fremdkörper verstandene Judentum, das Lagarde als erklärter Antisemit besonders zur Zielscheibe seiner Polemik machte, stünden der (Wieder-) Geburt einer deutschen Nation gerade entgegen. „[J]eder Nation“ nun sei „eine nationale Religion nothwendig“ (Lagarde 1920, S. 72). Ohne Religion ist Nation Lagarde zufolge nicht zu haben, aber auch Religion nicht ohne Nation. Einerseits hält Lagarde an einer überhistorischen Stiftung von Religion durch göttliche Offenbarung fest. Sie will er keineswegs der von ihm im täglichen wissenschaftlichen Geschäft selbst betriebenen, historischen Kritik preisgeben. Andererseits diktiert er Gott die theologisch-politischen Rahmenbedingungen einer erst zu offenbarenden Religion: Sie soll national sein. Mit dieser nationalen Offenbarung werde Deutschland alle ihm fremden Elemente – namentlich aus Judentum, Reformation und Französischer Revo4 Zu Lagardes Werk und seiner antisemitischen Radikalisierung siehe ausführlich Sieg 2007. Immer noch sehr lesenswert ist Stern 1961/1986. 5 Seine Deutschen Schriften bezeichnet Lagarde im Vorwort als seine „theologisch-politischen Traktate“ (Lagarde 1920, S. 3).

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lution (vgl. Lagarde 1920, S. 269) – abstreifen. Den Wissenschaften, besonders der Theologie als „Pfadfinderin der deutschen Religion“ (Lagarde 1920, S. 73), fällt die Aufgabe zu, das Heraufdämmern der neuen Religion zu befördern. Als Nietzsche seinerseits die Hoffnung auf eine kulturelle Totalerneuerung durch Wagners Gesamtkunstwerk aufgab – eine Hoffnung, die deutlich religiöse Züge zu haben schien –, wandte er sich auch offensiver gegen Lagardes theologisch-politische Pläne. Das wird besonders deutlich in seinen einschlägigen Bemerkungen zu Lagarde in den beiden Bänden von Menschliches, Allzumenschliches (dazu ausführlich Sommer 1998; 2008b): Gelehrte wie Paul de Lagarde meinen, die Thatsachen des religiösen Bewusstseins müsse man vermöge der Wissenschaft festhalten. Aber wohl kann man sie constatiren, beschreiben, wissenschaftlich erklären: aber für das Individuum ist es dann mit ihnen vorbei. Denn der gute Glaube an sie ist zerstört, wenn man begriffen hat, wie irrthümlich menschlich es in ihrem Wesen aussieht. Die Wissenschaft ist der Tod aller Religionen, vielleicht einmal auch der Künste (NL 1876– 1877, 23 [13], KSA 8, S. 408).

Lagardes Vision von (theologischer) Wissenschaft als „Pfadfinderin der deutschen Religion“ weist Nietzsche zurück, denn diese Vision verkennt das Wesen der Wissenschaft, nämlich religiöse Gewissheiten zu zersetzen. In Aphorismus 79 von Der Wanderer und sein Schatten behandelt Nietzsche Religion als eine Stilfrage. Ursprünglich war dieser Aphorismus direkt gegen Lagarde gerichtet gewesen (vgl. MA II WS 79, KSA 2, S. 588 u. die Vorstufe in KSA 14, S. 190). Er macht klar, dass der „Stil“ der herkömmlichen christlichen Religion ebenso wenig wie Lagardes Konstrukte einer neuen Nationalreligion der Weite und Widersprüchlichkeit des modernen, aufgeklärten Bewusstseins angemessen sind. Nietzsche durchschaute Lagardes Bestrebungen, eine nationaldeutsche Religion auf Grundlage eines von Judentum und Paulinismus „gereinigten“ Evangeliums zu initiieren, als Chimäre. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, in den 1880er Jahren gelegentlich auf Lagarde zurückzukommen. Dabei fällt auf, dass Nietzsche die Erkenntnisse Lagardes enttheologisierte und sie für die eigene Religionskritik nutzbar machte. Lagardes Wendung „judainfrei“, die er selber benutzte (AC 56, KSA 6, S. 240), prägte er in „moralinfrei“ um (AC 2, KSA 6, S. 170). Lagardes schroffe Trennung von Judentum und Paulus auf der einen, Jesus auf der andern Seite kehrt in Nietzsches Spätwerk wieder, wobei Paulus (gleich wie Augustin und Luther) bei beiden Denkern schärfstem Tadel verfällt. Anders als Lagarde wollte Nietzsche jedoch kein (pseudo-) jesuanisches Urchristentum revitalisieren. Von Lagarde, dessen Forschungen zur orientalischen und alttestamentlichen Religionsgeschichte damals als bahnbrechend galten, konnte Nietzsche lernen, wie die Religionswissenschaft praktisch werden wollte: Der Religionswissenschaftler Lagarde begnügte sich nicht mehr wie beispielsweise sein Berliner Studienkollege Max Müller mit der historisch-kritischen Aufarbeitung der religiösen Vergangenheit Asiens, sondern benutzte das wissenschaftliche Werkzeug in weltverändernder Ab-

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sicht. Nietzsche standen die Brüche und Inkonsistenzen dieser Position unmittelbar vor Augen, jedoch dürfte an Lagarde seine Erkenntnis gereift sein, dass ein religionswissenschaftliches Instrumentarium zur Destabilisierung vermeintlicher weltanschaulicher Gewissheiten hervorragend geeignet ist. Nietzsche ging über zu einer radikalen Religionskritik, die in den Rahmen einer Moralkritik gehörte und keine geringeren politisch-agitatorischen Implikationen hatte als Lagardes Deutsche Schriften. Im Zeichen einer radikalen Historisierung und Psychologisierung des Religiösen, die von Nietzsches Schul- und Studienlaufbahn und seinen einschlägigen Lektüren ebenso vorbereitet war wie von Overbecks profanhistorischem Zugriff auf das Christentum, verließ Nietzsche den Boden interesseloser Religionswissenschaft, um sich ihrer Ergebnisse umso bereitwilliger zu bedienen.

2. Louis Jacolliot und das Gesetzbuch des Manu6 Nach Aufgabe seiner Basler Professur war Nietzsche als „fugitivus errans“ (Bf. an Rée, Ende 07.1879, KGB II/5, Bf. 869) wenig besorgt darum, ob die von ihm herangezogene religionswissenschaftliche Literatur den wissenschaftlichen Standards entsprach. So behandelt er im Antichrist die „heiligen Lügen“, die Priester, Herrscher und Philosophen unter unterschiedlichen kulturellen Bedingungen benutzt hätten. Man müsse aber unterscheiden, zu welchen Zwecken gelogen würde: Das Christentum habe seine „heiligen Lügen“ erdacht, um das Leben, den Menschen herabzuwürdigen. In strahlendem Gegensatz dazu erscheint nun das indische Gesetzbuch des Manu (Manusmriti oder mānavadharmashāstra), das nur zu vornehmen Zwecken lüge. Nietzsche will die angeblich grundlegenden Differenzen zwischen den neutestamentlichen und Manu’schen heilig-unheiligen Lügen herausarbeiten. Dazu zog er Louis Jacolliots Les législateurs religieux von 1876 heran. Unter anderem enthält dieser Band eine französische Übersetzung des Manu-Gesetzbuches, des bekanntesten juristischen Werk der Sanskrit-Literatur – eine Übersetzung, die nach Nietzsches begeistertem Brief an Heinrich Köselitz vom 31. Mai 1888 und nach Jacolliots eigener Verlautbarung „in Indien unter genauer Controle der hochgestelltesten Priester und Gelehrten daselbst, gemacht worden“ (Bf. an Köselitz, 31.05.1888, KGB III/5, Bf. 1041) sei. Die Indologin Annemarie Etter hat diese von Nietzsche benutzte Quelle eingehend untersucht. Sie deckt auf, dass es sich bei Jacolliots sogenannter Übersetzung um das dubiose Machwerk einer fanatisierten Indienbegeisterung handelt, das in umfangreichen Anmerkungen skurrile Geschichtstheorien verbreitet hat, die selbst ein fachlich nicht versierter Leser sofort hätte entlarven müssen. Etter weist nach,

6 Ich stütze mich hier auf meine Ausführungen in Sommer 1999. Siehe an neuerer Literatur auch Brobjer 1998, Smith 2005/2006 und Bonfiglio 2005/2006.

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dass ein Großteil der von Nietzsche in der Götzen-Dämmerung und im Antichrist zitierten Sätze nur bei Jacolliot, nicht aber in den der Wissenschaft bekannten ManuManuskripten vorkommt. Dies gilt namentlich für die in AC 56 wiedergegebenen Äußerungen über die Frauen und das Geschlechtliche im Allgemeinen: Ironischerweise fehlt den Passagen aus dem echten Manu, bis auf eine kurze Bestimmung am Anfang, ausgerechnet das, weswegen Nietzsche ‚seinen‘ Manu anführt, nämlich die Verehrung für die Frau, von der dieses indische Werk zeugen soll (Etter 1987, S. 344).

Jacolliot spannt einen großen historischen Bogen (vgl. Jacolliot 1876, S. 98–120 und Etter 1987, S. 349f). Er meint, das Gesetz des Manu habe schon 13.300 Jahre v. Chr. bestanden.7 Man dürfe annehmen, dass die durch illegitime Verbindungen aus den Kasten Ausgestoßenen, die Tschandalas sich zu einer eigenen Nation entwickelt hätten, gegen die jene Abschottungsedikte, die Nietzsche in der Götzen-Dämmerung referiert, um 8000 v. Chr. erlassen worden seien. Dies habe zu einer Dezimierung der Tschandalas geführt, bis sie durch die Kämpfe zwischen Buddhisten und Brahmanen um 4000 (!) v. Chr. zur Auswanderung gezwungen worden seien. Etter merkt an, dass Nietzsche spätestens hier hätte stutzig werden müssen, war ihm doch wohlbekannt, dass Gautama Buddha erst um 563 v. Chr. geboren worden war. Kämpfe zwischen Buddhisten und Brahmanen dürften damit 3500 Jahre vor der Geburt Buddhas eher unwahrscheinlich gewesen sein. Nach Jacolliot verkörpern die Chaldäer, Assyrer, Babylonier, Syrer, Phönizier, Araber und Juden, kurz die „Semiten“, nichts anderes als die Nachfahren der aus Indien vertriebenen Tschandalas. Hingegen seien Ägypten und die westliche Welt von emigrierten Angehörigen der hohen Kasten, den „Ariern“ bevölkert worden. Jacolliots Absicht ist durchsichtig: Er will das „Semitische“ verunglimpfen und das „Arische“ hochjubeln. Nietzsche wiederum scheint von Jacolliots krauser Fiktion beeindruckt gewesen zu sein (vgl. Bf. an Köselitz, 31.05.1888, KGB III/5, Nr. 1041),8 ohne dass ihm an Jacolliots leitendem Antagonismus „arisch/semitisch“ sonderlich gelegen gewesen wäre. Aber dass Nietzsche es an der nötigen philologischen Sorgfalt hat mangeln lassen, ist hier nicht das Problem, sondern, weshalb er das getan hat: Was wollte er mit der zweifelhaften Rückendeckung Jacolliots erreichen? Nach Nietzsches Lesart behielten im Manu-Gesetz die vornehmen Stände die Oberhand; „vornehme Werthe überall, ein Vollkommenheits-Gefühl, ein Jasagen zum Leben, ein triumphierendes Wohlgefühl an sich und am Leben“ (AC 56, KSA 6, S. 240). So werde darin das

7 Heute wird das Werk in die ersten beiden Jahrhunderte vor oder in die ersten beiden Jahrhunderte nach Chr. datiert. 8 Jedenfalls verzichtete er darauf, sich bei sachkundigen Freunden, namentlich den Indologen Paul Deussen und Ernst Windisch eine Stellungnahme zu Jacolliots Werk einzuholen. Dass Max Müllers Urteil über Jacolliots „Wissenschaft“ verheerend ausgefallen war, hätte ihm übrigens aus der Lektüre der Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft noch in Erinnerung sein können (vgl. Müller 1874, S. 30 und S. 289–297).

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Geschlechtliche mit „Ehrfurcht“ behandelt, im Neuen Testament hingegen nur beschmutzt. Die entsprechenden Manu-Stellen, die Nietzsche als Belege anführt, sind allerdings Jacolliots Hinzufügungen. Abgesehen davon kann der fragliche Abschnitt 56 des Antichrist den Zusammenhang von vornehmen Werten und Hochachtung des Geschlechtlichen nur suggerieren, systematisch jedoch nicht plausibel machen. Nietzsche vertraut auf die Suggestion, dass vornehme Werte zwangsläufig Lebensbejahung implizierten – und weiter darauf, dass Lebensbejahung ihrerseits die Hochachtung vor dem Geschlechtlichen impliziere. Wie das von Nietzsche selbst in AC 20 bis 23 gegebene Beispiel des nihilistischen Buddhismus belegt, ist das erste Implikationsverhältnis jedoch keineswegs notwendig gegeben: Aristokratische Werte können durchaus auf lebensverneinendem Grunde stehen. Ebenso zweifelhaft ist das zweite Implikationsverhältnis: Auch wenn die gefälschten Passagen über die Frauen echt wären, folgt aus der Achtung der Frauen noch keine Lebensbejahung. Dem antichristlichen Immoralisten behagte am Manu-Gesetz offenbar besonders die ständische Verfassung der Gesellschaft. Es gibt dort drei Kasten: An oberster Stelle stehen die „W e n i g s t e n“, „vorwiegend Geistigen“, sodann an mittlerer Stelle die „vorwiegend Muskel- und Temperaments-Starken“, an unterster Stelle die „Mittelmässigen“ (AC 57, KSA 6, S. 242). Abgesehen davon, dass im originalen Manu-Gesetzbuch dieses Schema erheblich differenzierter ist, verschweigt Nietzsche tunlichst, dass Manus „Wenigste“ kaum ihr „Glück“ dort finden, „worin Andre ihren Untergang finden würden: im Labyrinth, in der Härte gegen sich und Andre, im Versuch“ (AC 57, KSA 6, S. 243). Die oberste Kaste Manus ist diejenige der Brahmanen, das heißt die der „Priester“, gegen deren Agitation Der Antichrist ansonsten unentwegt polemisiert. Nun sind plötzlich die Geistigen mit den „von Natur“ Starken identisch und zu Recht immer schon an der Macht. Mit dieser Rehabilitation der geistigen Naturen wird ein Hauptargument der im Antichrist vorgetragenen „Priester“-Kritik außer Kraft gesetzt. Diesen Einsatz wagte Nietzsche offenbar deswegen, weil er mit Hilfe der Manu-Kastengesellschaft die vorgeblich egalitären und demokratischen Auswüchse der christlichen Moral zu erschüttern hoffte: Eine ständische Gesellschaft soll allein jenes „Pathos der Distanz“ (AC 57, KSA 6, S. 243) ermöglichen, das den geistigsten Menschen erst freien Reflexionsraum eröffne. Nach einer moralgenealogischen Einleitung in AC 57, die das Kasten-System auf seine kontingenten Entstehungsumstände zurückführt – Umstände, die von der Proklamation des Gesetzes selber verschleiert werden müssten –, beginnt der Text selber mit naturgesetzlichen Notwendigkeiten zu operieren, die den Nietzsche gemeinhin attestierten genealogischen Perspektivismus Lügen strafen: „Die O r d n u n g d e r K a s t e n, das oberste, das dominirende Gesetz, ist nur die Sanktion einer N a t u r - O r d n u n g, Natur-Gesetzlichkeit ersten Ranges, über die keine Willkür, keine ‚moderne Idee‘ Gewalt hat“ (KSA 6, S. 242). Die Pointe des Textes besteht also darin, dass sein antichristlicher Verfasser sich selbst aufs „priesterliche“ Dekretieren verlegt und offenbart, was „die Natur“ will und ist. Er begibt sich selbst in die Rolle des heiligen Lügners – der sich als solcher selbstredend auch um die philologische Akkuratesse seiner Quelle nicht kümmern muss. Religionswissenschaft, egal ob seriöse oder

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unseriöse, ist hier bloß noch antichristliches Kanonenfutter. Zeitgleiche Nachlassaufzeichnungen zum Manu-Gesetz sprechen eine ganz andere Sprache: Das ist eine Schule der V e r d u m m u n g: in einer solchen Theologen-Brutanstalt (wo auch der junge Militär und Ackerbauer einen neunjährigen Cursus Theologie durchmachen muss, um ‚constant‘ zu werden – den neunjährigen ‚Militärdienst‘ der 3 obersten Kasten) müssen die Tschandala’s die Intelligenz und selbst das Interessante für sich gehabt haben. Sie waren die einzigen, welche die wahre Quelle des Wissens, die E m p i r i e zugänglich hatten… Hinzugerechnet die I n z u c h t der Kasten… / Es fehlt die Natur, die Technik, die Geschichte, die Kunst, die Wissenschaft, – – – (NL 1888, 14[203], KSA 13, S. 386).

Dieses Notat enthält die ganze Kritik am Manu-Gesetz, die man in AC 56 und 57 schmerzlich vermisst. Sie verdeutlicht, dass Nietzsche sein religionsgeschichtliches Material jeweils so umbesetzte, wie es der jeweilige Kontext verlangte. Nietzsche dachte keineswegs daran, sich in seinem Denken durch asiatische Inspirationen irremachen zu lassen. Es handelt sich bei Nietzsches Jacolliot-Manu-Adaption um ein Konstrukt, das nur das integriert, was sich in Sachen Umwertung verwerten lässt – und folgerichtig ausblendet, was dieser Verwertung widerstreitet. Im Falle des ManuGesetzes steht die egalisierende, demokratische Moral des Christentums und der Moderne zur Disposition, zu deren Abwehr sich Nietzsche weitgehend mit den Absichten des Manu-Gesetzes identifizierte, das er insgeheim zur selben Zeit als „Schule der V e r d u m m u n g“ lächerlich machte. Es handelt sich nach AC 54 um skeptisches „Verbrauchen“ von „Überzeugungen“ zur Erreichung eines bestimmten Zieles, nämlich der moralischen Desillusionierung, der Verunsicherung, aus der heraus erst neue Werte geboren werden können. Dieser Verunsicherung, die Freiheit gewährt, dient das umwerterische Unternehmen des Antichrist. Der Rückgriff auf die Religionsgeschichte soll im Falle des Manu-Gesetzes Distanz schaffen zu dem, was im Okzident ungefragt als wahr und richtig gilt.

3. Julius Wellhausen, Israel und das nachexilische Judentum9 Von ganz anderer wissenschaftlicher Reputation und Qualität als Jacolliots Manu sind die Schriften des Orientalisten und Alttestamentlers Julius Wellhausen, die Nietzsche gleichfalls im Spätwerk ausgiebig rezipierte, ohne seine Quelle publik zu machen. 1890 sollte Wellhausen übrigens die Lehrstuhlnachfolge von Lagarde in Göttingen antreten.

9 Der folgende Abschnitt beruht teilweise auf Sommer 2008b. Zum Thema siehe ausführlich Hartwich 1996, Orsucci 1996, Ahlsdorf 1997 u. Sommer 2000. Zu Wellhausens wissenschaftlichem Werk siehe den Überblick bei Smend 2006.

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Um zu verstehen, wie stark sich Nietzsches Bild von der altisraelitischen Geschichte unter dem Lektüreeindruck Wellhausens gewandelt hat, vergegenwärtige man sich, wie er noch kurz vor dieser Lektüre, etwa in Jenseits von Gut und Böse über das Alte Testament dachte: Damals verstand er die Schriftensammlung als ein einheitliches, als ein in sich geschlossenes Werk. Darin gebe es Menschen, Dinge und Reden in einem so grossen Stile, dass das griechische und indische Schriftenthum ihm nichts zur Seite zu stellen hat. Man steht mit Schrecken und Ehrfurcht vor diesen ungeheuren Überbleibseln dessen, was der Mensch einstmals war […] – der Geschmack am alten Testament ist ein Prüfstein in Hinsicht auf „Gross“ und „Klein“ (JGB 52, KSA 5, S. 72).

Das Neue Testament mit dem Alten Testament zu Einem Buche zusammengeleimt zu haben, als ‚Bibel‘, als ‚das Buch an sich‘: das ist vielleicht die grösste Verwegenheit und ‚Sünde wider den Geist‘, welche das litterarische Europa auf dem Gewissen hat (JGB 52, KSA 5, S. 72; vgl. GM III 22, KSA 5, S. 393).

Sicher ist auch dieses Lob kein Selbstzweck, sondern hat seine Pointe darin, die christliche Überordnung des Neuen über das Alte Testament umzukehren. Gegen die nach Nietzsche bereits im Neuen Testament greifbare Verkleinerungsmoral richtet sich die Auslassung. Nietzsches intensive Lektüre von Julius Wellhausens Prolegomena zur Geschichte Israels und seiner Skizzen und Vorarbeiten im Jahr 1887/88 war wohl durch Overbeck angeregt worden. Im Zuge dieser Beschäftigung ersetzte Nietzsche die bei ihm bisher vorherrschende, plakative Entgegensetzung von Altem und Neuem Testament durch einen in die Schriften des Alten Testaments selbst hineingelesenen Verfallsprozess. Wellhausen verwarf die bis dahin in der Forschung für wahr gehaltene Version der israelitisch-jüdischen Geschichte, indem er nicht mehr davon ausging, dass zu Beginn dieser Geschichte die detaillierte Gesetzgebung (durch Mose) gestanden hatte. Wellhausen fand im schriftlich überlieferten „mosaischen Gesetz“ eine spätzeitliche Konstruktion. Im Alten Israel hatte es nach Wellhausen kein geschriebenes Gesetz, sondern lediglich die rein mündliche Weisung gegeben. Erst mit der Niederschrift des Deuteronomiums viele Jahrhunderte nach dem angeblichen Auszug aus Ägypten sei ein eigentliches, schriftliches Gesetz festgelegt worden. Wellhausen zufolge war das späte Judentum in Widerspruch zu seinen ursprünglichen kriegerischen Werten geraten und hatte so seine eigene Frühgeschichte nach „priesterlichen“ Kriterien neu geschrieben, um dadurch seine Selbsterhaltung zu sichern. Wellhauses grundstürzendes Geschichtsbild stieß auf vehementen Widerspruch seitens konservativer Theologen, fand jedoch auch rasch die Zustimmung aufgeschlossener Fachkollegen.10

10 Namentlich auch des mit Nietzsche bekannten, in Basel lehrenden Hebraisten Emil Kautzsch, vgl. Smend 1997, S. 118f.

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Von Nietzsches Auseinandersetzung mit Wellhausen, den er im Übrigen auch als Gewährsmann für früharabische Geschichte nutzte, zeugen zunächst Exzerpte aus dem Nachlass (besonders NL 1887–1888, KSA 13, 11[377]). Dass das späte Judentum in Widerspruch zu den „N a t u r - W e r t h e n“ geraten sei, um seine Selbsterhaltung zu sichern, ist ein zentraler, von Nietzsche aufgegriffener und generalisierter Gedanke aus Wellhausens Analyse der israelitisch-jüdischen Geschichte.11 Die von Wellhausen betriebene Rekonstruktion des Ursprünglichen – dort bezogen auf das vorexilische Israel – wird im Antichrist auf das Neue Testament übertragen, bei dem Nietzsche, Wellhausens Verfahren imitierend, hinter die Dokumente zu schauen, den mit „verstümmelten oder mit fremden Zügen überladenen“ „psychologischen Typus des Erlösers“ (AC 29, KSA 6, S. 199) herausschälen wollte. Bei Wellhausen war das Ursprüngliche oder das „Natürliche“ kein unhintergehbarer Wert; der Alttestamentler stand dem Zivilisationsprozess, wenn er zu einem ethischen Individualismus wie, in seiner Lesart, bei Jesus führte, durchaus positiv gegenüber. Nietzsche hingegen konstruierte eine bruchlose Negativ-Kontinuität zwischen Judentum und Christentum, die Wellhausen so nicht kannte. Der Antichrist bringt die Wellhausen-Exzerpte in die Passform antichristlicher Geschichtsschreibung, beginnend mit der Entwicklung des urtümlich-mächtigen Volksgottes Altisraels zu einem nur noch guten „Gott für Jedermann“ (AC 16, KSA 6, S. 183) über die priesterliche „F ä l s c h u n g aller Natur“ (AC 24, KSA 6, S. 191) bis hin zur Genese des Christentums aus dem priesterlichen Judentum. Dabei vereinfacht Nietzsche Wellhausens Schema stark, indem er das ausklammert, was sich der Passform antichristlicher Geschichtsschreibung nicht fügt. Während für Wellhausen die Propheten als eigentliche Schöpfer der neuen, universalistischen Moral eine zentrale Rolle spielen, und zwar gerade gegen das Priestertum ihrer Zeit,12 werden sie bei Nietzsche zu Priestern unter Priestern degradiert. Freilich zeigt sich in der Adaption von Wellhausens Erkenntnissen zum Alten Israel, zum exilischen und nachexilischen Judentum, dass Nietzsche keineswegs den

11 Wellhausen 1883, S. 105 spricht von „Denaturalisation“. 12 In Israel kamen nach Wellhausen mit dem Verfall des Davidischen Königtums und der politischen Integrität des Landes, mit den Propheten und dem Exil neue Vorstellungen auf. So heißt es – von Nietzsche am Rand markiert – über den Gott der Propheten: „Was Jahve fordert, ist Gerechtigkeit, nichts anderes; was er hasst, ist das Unrecht. Die Beleidigung der Gottheit, die Sünde, ist durchaus moralischer Natur. Mit so ungeheuerem Nachdruck war das nie zuvor betont worden. Die Moral ist es, wodurch alle Dinge Bestand haben, das allein Wesenhafte in der Welt. Sie ist kein Postulat, keine Idee, sondern Notwendigkeit und Thatsache zugleich“ (Wellhausen 1884, S. 48f) Die Entwicklung schritt – von Nietzsche an Rand mit „NB“ hervorgehoben – unaufhaltsam fort: „Die Moral sprengte, in Folge eines geschichtlichen Anlasses, die Schranken des engen Glaubens, in dem sie aufgewachsen war, und führte den Fortschritt der Gotteserkenntnis herbei. Dies ist der sogenannte ethische Monotheismus der Propheten; sie glauben an die sittliche Weltordnung, an die ausnahmslose Geltung der Gerechtigkeit als obersten Gesetzes für die ganze Welt. Von da aus scheinen nun die Prärogative Israels hinfällig zu werden“ (Wellhausen 1884, S. 50; von Nietzsche Unterstrichenes hier kursiviert).

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Glauben an einen naturwüchsigen und ursprünglichen Volksgott revitalisieren wollte (vgl. Orsucci 1996, S. 323). Im Antichrist entwarf Nietzsche gerade kein Gegenbild eines diesseitsverbundenen, brachialen, dionysischen Gottes, an den man nun anstelle des schwachen christlichen Gottes glauben solle. Dass er mit Wellhausen den alttestamentlichen Naturgott aufbot, ist dem strategischen Kalkül geschuldet, das vergeistigte Christentum als besonders dekadente Erscheinung (in der Nachfolge des ebenfalls schon dekadenten, nachexilischen Judentums) in ein grelles Licht zu stellen. Sicher war die Verfallsgeschichtsschreibung, die Nietzsche nun anhand von Wellhausen an der israelitisch-jüdischen Entwicklung nachvollzog, bei Nietzsche bereits im Frühwerk angelegt, als er die Degeneration der Tragödie und damit der echten griechischen Kultur zu Euripides und zum hybriden Sokratismus aufzuweisen gesucht hatte (vgl. Hartwich 1997, S. 162). Das Schema der Verfallsgeschichtsschreibung ist Nietzsche also schon altbekannt und durch Gebrauch bewährt, als ihm Wellhausen unterkam. Bei diesem aber ging es ihm nicht um die Rehabilitation des Alten, diesmal des vorpriesterlichen Israels (wie einst der klassischen Tragödie), sondern um die Diskreditierung des Christentums. Das Christentum – namentlich das Christentum des von Wellhausen geschätzten, von Nietzsche verabscheuten Paulus – galt Nietzsche keineswegs wie Wellhausen als glückliches Ende des versteinerten, hierokratischen Judentums, vielmehr als die Wiederholung der jüdischen Umwertung in der Moral auf welthistorischem Parkett. Das moderne Judentum hat Nietzsche in seiner israelitischjüdisch-christlichen Verfallsgeschichte nicht im Blick; sein Antijudaismus ist nicht mit dem Antisemitismus seiner Zeit – namentlich seines Schwagers Bernhard Förster und des Lagarde-Adepten Theodor Fritsch – zu verwechseln, denn dieser Antijudaismus hat keinen Bezug zum Judentum in der Gegenwart. Er ist antichristlich motiviert: Das nachexilische Judentum, wie Nietzsche es bei Wellhausen kennenlernt, ist die Vorbereitung des Christentums und als solches welthistorisch verhängnisvoll geworden, ohne dass dies nach Nietzsche für den Umgang mit Juden zu seiner eigenen Zeit irgendeine Relevanz hätte. In der produktiven Aneignung religionswissenschaftlicher Einsichten hatte sich Nietzsche schon sehr früh von den religiösen Fragen seines Elternhauses, nämlich den Fragen nach Heil und Verdammnis entfernt. Religionen – die eigene so gut wie die fremden – erschlossen sich dem mit vergleichendem und historischem Blick Begabten als durch und durch menschliche Gebilde: von Menschen und für Menschen gemacht. Und doch führte alle nüchterne Kenntnis der Religion und der mit ihr befassten Wissenschaft in Nietzsches Denkhaushalt keineswegs eine Vergleichgültigung von Religion herbei. Der existenzielle Ernst, den die Religion im Elternhaus besaß, hat sich auf Nietzsches intellektuellem Weg nur phasenweise vermindert – namentlich zwischen Menschliches, Allzumenschliches und der Fröhlichen Wissenschaft –, um aber im Spätwerk seine alte Macht in travestierter Form zurückzugewinnen. Gewiss, die Fragen nach individuellem Heil und individueller Verdammnis berührten Nietzsche 1888 nicht mehr, umso mehr aber die Frage nach Heil und Verdammnis der Kultur. Das ist keine leichtfertig metaphorische Sprechweise: Der

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Untertitel des Antichrist spricht einen förmlichen „Fluch auf das Christenthum“ aus (KSA 6, S. 165), das dem Text angehängte „Gesetz wider das Christenthum“ verhängt förmliche Verdammungsurteile (KSA 5, S. 254). Ganz anders als die Positivisten seiner Zeit – auch unter den Religionswissenschaftlern – gab sich Nietzsche nicht der schönen Hoffnung hin, das Religiöse habe sich mit dem Fortschritt der Menschheit schlicht überlebt, so dass man daran allenfalls noch ein antiquarisches Interesse haben könne, wenn man die Entwicklungsstufen unserer Gattung verstehen wolle. Für Nietzsche waren Religionen selbst dann noch prägend, als sie ihre Glaubwürdigkeit als Glaubenssysteme längst verloren hatten: Das Christentum, obwohl seine Glaubenssätze dem kritischen modernen Menschen als schreiende Absurdität erscheinen müssen, hört nicht auf, die Gegenwart, nämlich ihre Moral zu bestimmen. Nietzsche bediente sich der Religionswissenschaft, um die Religion als moralbestimmende Macht zu entlarven – und damit zugleich die (angeblich) servilen Interessen, die im Falle des Christentums hinter dieser Moralbestimmungsmacht stehen. Der eschatologische Druck, den Nietzsche so in seinem Spätwerk aufbaut, ist gewaltig. Er überträgt sich auf seine Leser, die trotz ihrer Aufklärung zu glauben beginnen, Religion (und ihre Abschaffung) als Moralpräge-Instanz sei nach wie vor die eigentliche Schicksalsangelegenheit der menschlichen Spezies.

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IV. Sozialwissenschaftliche Kontexte

Thomas Brobjer

Nietzsche and Economics Nietzsche seldom speaks about political economy or the importance of economics and economic factors. It has been reasonable to assume that this reflects his unawareness, disinterest and lack of knowledge about economics and political economy.1 However, a closer examination of the case, especially the evidence yielded by Nietzsche’s reading and library, shows that this assumption needs to be significantly modified. Nietzsche’s knowledge of economics and political economy was much more extensive than has been realized, although perhaps nonetheless limited. Especially during the period 1875 to 1881, but also earlier and later, Nietzsche read, and even studied, several major treatises on political economy. His relative silence is thus not due to lack of knowledge, but rather to an opposition to this whole manner of thinking. However, occasionally he also explicitly expresses both internal and external critique of the field. Examining his relation and view of economics can yield interesting and valuable perspectives on Nietzsche’s philosophy.2 The term and the field of economics has its origin among the Greeks (oikonomia), the affairs of the household, which in the 18th and 19th centuries evolved into political economy – the financial branch of the art of government, and later into the social science that studies the production, distribution and consumption of commodities. Wealth and the production of wealth has been the primary concern of modern economics, while for Aristotle, wealth was not an end in itself but a means of achieving ethical and political ends. As often is the case, Nietzsche seems to stand closer to the ancient manner of viewing the field than the modern one. The earliest form of modern economics, called classical economics, was founded by Adam Smith, with his An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) and further developed by David Ricardo. It was centered on wealth, price mechanism and labour as the source of value. By the middle of the century John Stuart Mill was probably the most important of the thinkers who summarized and further developed economics, among others with his Principles of Political Economy (1848). Nietzsche almost certainly did not read Adam Smith, and never refers to him in his works, notes and letters, but actually wrote down his name in the margin of one of the books he read (see below). Nietzsche possessed and read Mill extensively, but did

1 Bruce Detwiler, for example, writes in his Nietzsche and the Politics of Aristocratic Radicalism (1990) that ‘Marx may have emphasized economic factors too heavily, but with Nietzsche the emphasis is surely too weak, particularly in his analysis of what is noble and what is base, the ethos of the last man, and, generally, the origins of modern political ideas’ (Detwiler 1990, p. 193). 2 This chapter is a revised version of my “Nietzsche’s Knowledge, Reading and Critique of Political Economy” In: Journal of Nietzsche Studies, Vol. 18, pp. 57–70. This work has received support from the Swedish Research Council: 2009–1547.

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not possess nor read his Principles of Political Economy. From the 1870s onwards the study of economics became more specialized with a stronger emphasis on the importance of the market (supply and demand) and of price formation, and moved into a new phase called neoclassical economics, principally instigated by Jevans, Walras, Menger and Marshall. Nietzsche probably did not encounter much of this reform of the field, but seems to have actively decided not to read Stanley Jevans’ Money and the Mechanism of Exchange (see below). The period following Ricardo, especially from 1870 to 1900, was full of criticism of classical economic theory and the capitalist system, including laissez-faire policy, in particular by humanists and socialists in Germany. These were views that Nietzsche almost certainly encountered. To show that Nietzsche had some acquaintance with nineteenth century economical thought, I will first examine his reading relevant for this field (1), and thereafter briefly comment on his view of economics (2).

1. Nietzsche’s reading and knowledge of economical thought The first evidence of Nietzsche’s interest in political economy (and politics) comes from his time as a university student in Leipzig in 1866 and 1867.3 He then attended the well-known political economist Wilhelm Georg Friedrich Roscher’s lecture-series „Vergleichende Statistik und Staatskunst der europäischen Staaten“.4 Wilhelm Roscher (1817–1894) was an important and highly productive political economist at this time who, influenced by Hegel and the philosophy of history, sought to find the supposed laws of economic development by detailed historical and comparative studies. He wrote extensively on political economy and history, and Nietzsche read, apart from attending courses, at least one of his books.5 Roscher was a well-known figure at this time, and frequently discussed in the literature, also in many of the books Nietzsche read, for example, in both works by Lange which Nietzsche read, in Dühring and in several of the other books about political economy, politics and history which Nietzsche read. However, Nietzsche was not enthusiastic about Roscher (to Gersdorff, 16.02.1868, KGB I/2, Bf. 562), but the following semester he again

3 However, already at Schulpforta, in January 1862, Nietzsche made a long excerpt from Theodor Mundt’s Die Geschichte der Gesellschaft, which mainly treats collectivism, socialism and communism, but as such also frequently mentions different aspects of political economy. Nietzsche’s extract is published in BAW 2, p. 431–435. 4 There are no notes from this series of lectures in Nietzsche’s Nachlass, possibly, but not necessarily, implying a limited attendance and/or interest. 5 Nietzsche borrowed volume one of his Klio: Beiträge zur Geschichte der historischen Kunst (1842), both in 1869 and in 1874.

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attended Roscher’s lectures, this time on the theme „Geschichte der politischen Theorien“.6 At this time, Nietzsche’s best friend, the aristocrat Carl von Gersdorff, studied agriculture, including political economy, for which he showed a special interest. Nietzsche writes to him: I find it very understandable that you with much pleasure have dedicated yourself to the study of political economy; I myself regret nothing more than that I, so far, have not found anyone to show me the way. For about Roscher’s standing and value, we have, to my surprise, exactly the same view (letter to Gersdorff, 16.02.1868, KGB I/2, Bf. 562).

Later in the letter Nietzsche tells Gersdorff that he has just read J. E. Jörg’s Geschichte der social-politischen Parteien in Deutschland (1867), a work which contains fairly detailed discussions of questions relating to political economy from a pro-Lassalle perspective, and he again recommends F. A. Lange’s Geschichte des Materialismus to him, and exemplifies that one can learn about “ethical materialism and the Manchester theory etc.” (letter to Gersdorff, 16.02.1868, KGB I/2, Bf. 562).7 About half of the last chapter of Lange’s book, which Nietzsche had read with great interest and sympathy several times, consists of discussions of political economy. When Nietzsche went to Basel to become a professor of classical philology, his first friends and colleagues were the much older Jacob Burckhardt and the political economist Gustav Friedrich Schönberg (1839–1908).8 Schönberg had been called to become professor in political economy in Basel at the same time as Nietzsche, and they associated and frequently ate dinner together and for a time lived in the same house. However, already in 1870 Schönberg moved on to Freiburg and in 1873 to Göttingen, where he was active for a long time. He was editor and contributor to the very influential Handbuch der politischen Oekonomie (two volumes, 1882), and published several other books, including one entitled Die sittlich-religiöse Bedeutung der socialen Frage (1876). Both Schönberg and Roscher belonged to the so called school of “Kathedersozialismus”, that is, to the school of thought which argued for state intervention in favour of the working classes, and opposed both those who argued for

6 Nietzsche counted Roscher’s son, Wilhelm Roscher (jun.), a philologist half a year younger than Nietzsche, as one of his closest friends in 1869, and another of Nietzsche’s close friends, the orientalist Windisch, married Roscher’s daughter. One can, for the sake of comparison, note that Nietzsche also only attended two or three courses in the field of philosophy. 7 This is discussed in the last chapter of the first edition of the book from 1866 which Nietzsche then read, “Der ethische Materialismus und die Religion”, pp. 501–557. About the first half of the chapter concerns political economy, and in it Lange discusses, among others, Adam Smith, Carey, Owen and Mandeville. 8 For Nietzsche’s close relation to Schönberg, see his letters to Franziska Nietzsche, May 1869, midJune 1869 and 23 Aug. 1869 and to Deussen, July 1869. In a letter to Deussen Nietzsche lists six of his closest friends, and “Prof. Schönberg in Basel (Nationalökonom)” is mentioned, as is also the philologist son of Wilhelm Roscher (letter to Paul Deussen, 25.08.1969, KGB II/1, Bf. 24).

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liberal laissez faire policies and the revolutionary socialists.9 We do not know to what extent Schönberg and Nietzsche discussed political economy and the social question, or if Nietzsche read any of his books.10 Such discussions and such reading cannot be ruled out, but are unlikely to have been extensive. However, it is likely that Nietzsche’s strong dislike of laissez faire at this time was encouraged by Roscher and Schönberg, for in 1873 he writes down a large number of notes critical of it. In 1872 Nietzsche borrowed Robert von Mohl’s Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, (three volumes, 1860, 1862 and 1869). This book is not a study of political economy, but it contains some discussions of the political relevance of economics and economic reform. The most probable reason that Nietzsche chose to borrow it was because he was concerned about education and Bildung, about which he prepared and gave public lectures, and the third volume of Mohl’s work contains a detailed account of „Erziehungs-Politik“ etc. (pp. 3–346). Later in the same volume Mohl discusses „SocialPolitik“ (pp. 475–604). The major part of the account deals with „Die Arbeiterfrage“ and discusses, among others, political economy, socialism, Lassalle and Schulze-Delitszch. The following year, 1873/74, Nietzsche read the British political economist and editor of the journal The Economist Walter Bagehot’s Physics and Politics in the German translation with the title Der Ursprung der Nationen: Betrachtungen über den Einfluss der natürlichen Zuchtwahl und der Vererbung auf die Bildung politischer Gemeinwesen (1874) which is an attempt to apply Darwin’s theory of evolution to the field of political economy. Some information which Nietzsche picked up from the reading of this work entered his Schopenhauer as Educator, including high praise of Bagehot: It is indisputable that the individual sciences are now pursued more logically, cautiously, modestly, inventively, in short more philosophically, than is the case with so-called philosophers: so that everyone will agree with the impartial Englishman Bagehot when he says of our contemporary system-builders: “Who is not almost sure beforehand that they will contain a strange mixture of truth and error, and therefore that it will not be worthwhile to spend life in reasoning over their consequences? The mass of a system attracts the young and impress the unwary; but the cultivated people are very dubious about it. They are ready to receive hints and suggestions and the smallest real truth is ever welcome. But a large book of deductive philosophy is much to be suspected. Unproven abstract principles without numbers have been eagerly caught up by sanguine men and then carefully spun out into books and theories which were to

9 The term “Kathedersozialismus” was coined by Oppenheim in the debate which began by Schönberg’s inauguration speech in Freiburg 1871: Arbeitsämter: Eine Aufgabe des deutschen Reiches. 10 While still at Basel, Schönberg held a public lecture entitled Die Frauenfrage, which it seems likely that Nietzsche attended and heard. The lecture was held in Basel, 15 Feb. 1870. It was later, in 1872, published under the same title (consisting of 44 pages) and Nietzsche acquired a copy, which is still in his library. It is not clear if he read it or not. Two letters of Nietzsche to Schönberg and four from Schönberg to Nietzsche are extant and full of warm friendship. One of Nietzsche’s letters (see letter to Franziska Nietzsche, 07.05.1869, KGB II/1, Bf. 2) shows that he attended Schönberg’s installation lecture the same day and that he had borrowed an unidentified book from him.

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explain the whole world. The world goes totally against these abstractions, and it must do so since they require it to go in antagonistic directions” (SE 8, KSA 1, p. 420).11

In the second half of 1874 and the first of 1875 Nietzsche had a friendly relation to, and often visited, the political economist August von Miaskowski (1838–1899) in Basel. It is possible that this relation encouraged Nietzsche to learn more about political economy, for in the summer of 1875 he began much more seriously and actively to read and even study this field. His notebooks from this time contain two lists of plans of what to read or study which contains “National-Ökonomie” (NL 1875, KSA 8, 8[3] and 10[6]). However, more important was the general change in Nietzsche’s way of thinking which occurred at this time and his dissatisfaction with his earlier “idealistic” Weltanschauung, which made him turn to more substantial knowledge and ways of thinking, including natural science and political economy. For this purpose in June 1875 he bought four books about political economy, Lindwurm’s Die Handelsbetriebslehre und die Entwickelung des Welthandels (1869), two works by Dühring, Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus (18752) and Kursus der Nationalund Sozialökonomie (1873) and Lange’s Die Arbeiterfrage (third edition from 1875). He read Lindwurm in July and it seems very likely that he then also read at least Dühring’s Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus, for he mentions such intentions in his letters and his copy of the book contains annotations.12 He is also likely to have read Lange’s Die Arbeiterfrage, a work of 404 pages, which contains much about political economy, at or near this time.13 Both Dühring’s Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus and Lange’s Die Arbeiterfrage contains much discussions and many quotations from Karl Marx, including his view of economics.14

11 The long quotation in the text is from Bagehot’s Physics and Politics. Section 3 of Schopenhauer as Educator also contains material taken from Bagehot’s book. 12 The likelihood that Nietzsche also read the other work by Dühring, Kursus der National- und Sozialökonomie (1873) of 563 pages, is fairly high, although his copy of the book does not contain any annotations (and pages 234/235 had not been cut open), for in letters from this time he alludes to the title of the work. (Note that Lindwurm which Nietzsche clearly read, also contains no signs of having been read.) See letter to Marie Baumgartner, 19 July 1875: “Um mir rechte Zerstreuung zu machen, treibe ich eine Wissenschaft, zu der ich bisher fast keine Zeit hatte und die es verdient Zeit für sie ausfindig zu machen ‘Handels-betriebslehre und die Entwicklung des Welthandels’, nebst Nationalund Socialökonomie.” (letter to Baumgartner, 19.07.1875, KGB II/5 Bf. 469). See also letter to Carl von Gersdorff, 19 July 1875: “Ich treibe in aller Stille, um mich zu zerstreuen und etwas Nöthiges zu lernen ‘Handelsbetriebslehre und Entwicklung des Welthandels’. Sag’s nicht weiter. Es soll mir nur eine Vorbereitung auf national-ökonom. Studien sein.” (letter to Gersdorff, 19.07.1875, KGB II/5, Bf. 470) 13 An unpublished book-bill in the Goethe-Schiller Archives in Weimar shows that Nietzsche bought Lange’s Die Arbeiterfrage in 1875, but there is no copy of it in Nietzsche’s library. 14 For a discussion of Nietzsche’s knowledge of Karl Marx, see Brobjer 2002. Nietzsche never explicitly mentions Marx, but he is mentioned, discussed and quoted rather extensively in many of the books Nietzsche read.

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In late 1876 and 1877 Nietzsche is interested enough about questions relating to industry and economics to ask his publisher to order the first volume (of six) of the work Buch der Erfindung, Gewerbe und Industrien (letter to Schmeitzner, 02.02.1877, KGB II/5, Bf. 592).15 A year later, after having failed to find something better, he gives it away to Elisabeth as a Christmas-present (letter to Franziska and Elisabeth Nietzsche, 17.12.1878, KGB II/5, Bf. 782). A possible indication that Nietzsche’s interest in political economy was limited, is the fact that he possessed the first 19 volumes of the series Internationale wissenschaftliche Bibliothek (including the volume by Bagehot, mentioned above), and a few later volumes in the series (which published important scientific works in English, French and German simultaneously), but apparently chose not to buy the 21st volume by Stanley Jevons Geld und Geldverkehr (1876). In June 1879 Nietzsche ordered the influential political economist Henry Charles Carey’s massive Lehrbuch der Volkswirthschaft und Sozialwissenschaft (18702), from his publisher (letter to Schmeitzner, 08.06.1879, KGB II/5, Bf. 855), and probably began to read it then. In 1881 he asked his sister in Naumburg to send the book to him in Sils-Maria (letter to Elisabeth Nietzsche, 07.07.1881, KGB III/1, Bf. 121). Carey was a well-known American political economist of Irish descent, whose writings were much read and influential in the second half of the nineteenth century. He rejected the English liberal political economy (and was generally severely hostile towards the English) and agitated intensively for trade-protection. Nonetheless, Carey was an optimist and idealist, who believed in natural progress and in increasing social harmony. As such, he rejected the Malthusian doctrine of population, maintaining that numbers regulated themselves sufficiently in every well-governed society. Nietzsche appears to have been especially interested in this aspect, for the only two chapters containing annotations in his copy of the book are ones in which Carey discusses questions relating to population (though Nietzsche also made excerpts from other parts of the book). Carey, like Marx (and many economists at the time), whom he however does not mention in the book, assumed that work is the only source of value (the value of a thing depends on the cost of producing, or rather of reproducing it). Carey is furthermore mentioned and discussed in several of the books Nietzsche read, especially by Dühring, who even wrote two whole treatises on him: Carey’s Umwälzung der Volkswirthschaftslehre und Socialwissenschaft (1866) and Die Verkleinerer Carey’s und die Krisis der Nationalökonomie: Sechzehn Briefe (1867) and by Lange J. St. Mills Ansichten über die soziale Frage und die angebliche Umwälzung der Sozialwissenschaft durch Carey (1866). Nietzsche almost certainly did not read these works, but both Dühring and Lange refer to them and their contents also in the works by

15 Letter to Schmeitzner, 2 Feb. 1877. “Ich bitte Sie um den ersten Band jenes Industriewerkes” (letter to Schmeitzner, 02.02.1877, KGB II/5 Bf. 592). Compare also the letter Schmeitzner to Nietzsche, 25.01.1877, KGB II 6/1, Bf. 488.

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them which Nietzsche read. Nietzsche’s copy of the book by Carey contains a few annotations,16 and he made a few excerpts and wrote notes and texts based on this reading (NL 1879, KSA 8, 41[23]). Much later, in 1887, Nietzsche refers to the relation between Dühring and Carey – clearly implying or showing that he had read both authors with sufficient care (letter to Gast, 20.05.1887, KGB III/5, Bf. 851).17 In the late 1870s and early 1880s, Nietzsche appears to have also read a number of other works in the field of politics and political economy. Three books which Nietzsche possessed were published in 1879; Maurice Block’s Kleines Handbuch der National-Ökonomie oder Volkswirthschaft (18792), Constantin Frantz, Der Föderalismus als das leitende Prinzip für die soziale, staatliche und internationale Organisation, unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland (1879) and Albert Schäffle Quintessenz des Sozialismus (18751, 18793). It seems likely that he acquired and read them near this time when he still had an interest in political economy. The works by Block and Frantz are still in his library, but contain no annotations and the work by the political economist Schäffle has been lost.18 The work by Block is a very elementary text on political economy, written in the form of discussions between young pupils and their teacher. It seems unlikely that Nietzsche would have gained much insight or stimulus from reading it – possibly he judged and ordered the book from the title, without being aware of how very elementary it was. The works by Frantz and Schäffle, however, are important studies which contain much about political economy. Frantz’ massive work is more polemical, while Schäffle, who was an important and influential political economist, manages to be highly informative in the 69 pages of his booklet. In late 1879 Nietzsche also requested from his publisher Schmeitzner to know all that has been translated into German by the British political economist Walter Bagehot, whom he had read in 1873 (letter to Schmeitzner, 28.12.1879, KGB II/5, Bf. 921).19 This request by Nietzsche is probably a reflection of an interest in political economy. After having read these several books about political economy in the mid and late 1870s Nietzsche fairly frequently used “economic” terms and expressions in his discussions of art, society and culture, and, for example, in 1887 he claims that the moral and psychological phenomena and concept of “guilt” has evolved from the economic phenomena of “debt”. 16 At the end of the chapter “Zunahme der Bevölkerung” (pp. 30–41), there is a dog-ear, and the 38th chapter “Bevölkerung” (pp. 516–540), contains six pages with penciled marginal lines. 17 Nietzsche had been reading Buckle and comments in the letter to Gast: “Übrigens ist es kaum glaublich, wie sehr E. Dühring sich von den plumpen Werthurtheilen dieses Demokraten in historischen Dingen abhängig gemacht hat: ganz derselbe Fall, wie mit Carey, von dem er alle wesentlichen Oeconomica sich angeeignet hat” (letter to Köselitz, 20.05.1888, KGB III/5 Bf. 851). 18 It too, probably contained no annotations since it was not mentioned by Steiner, who made his list of the content of Nietzsche’s library before the book disappeared. 19 In his answer Schmeitzner only referred to the work Physics and Politics which Nietzsche already had read in the German translation. It is not known if the copy in Nietzsche’s library was acquired earlier or at this time.

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J.S. Mill was one of the important nineteenth century thinkers in the field of political economy, and he wrote extensively on this theme. Nietzsche read Mill intensively in 1880 (and re-read several texts in 1887). He possessed five out of twelve volumes of Mill’s collected works translated into German (as well as Die Hörigkeit der Frau which he bought separately in 1878), but these five volumes do not contain any more important work on political economy. Nonetheless, questions concerning economics are present in several of the texts he read and annotated, especially in Mill’s extensive review of Alexis de Tocqueville’s Democracy in America. However, among the many shorter works included in these five volumes there are several short texts which explicitly deal with themes closely related to political economy, but these contain no or only very few annotations, in contrast to the philosophically more relevant texts which mostly are heavily annotated by Nietzsche. Mill was also discussed in several of the books he read concerning political economy. In 1881 and 1883 Nietzsche appears to have read the Irish historian William Edward Hartpole Lecky’s Geschichte des Ursprungs und Einflusses der Aufklärung in Europa, (two volumes, 18732), which contains two for us here relevant chapters, including one long chapter dealing with political economy, covering almost exclusively the period before the nineteenth century: “Ueber die Secularisation der Politik” (pp. 76–181), and “Die Geschichte der Industrie und die Aufklärung” (pp. 182–297). The book is one of the most heavily annotated ones in Nietzsche’s library, and in the latter chapter Nietzsche has annotated almost every page, not only with many underlinings and marginal lines, but also with frequent NBs (nota benes) and many words, including, for example, having written “A. Smith”, “Turgot” and “Bentham” and many other words in the margin of pages.20 Nietzsche’s comments in the margins show that he both goes into a sort of dialogue with the text, frequently writing „gut“ or „sehr gut“ (and only very rarely writing critical words like „nein“), but also that he more studied than merely read the book – he frequently wrote down names and years which Lecky discusses and numbers Lecky’s arguments in the margins. In 1885 Nietzsche, together with Gast in Venice, read one of the more well-known works in the Marxist and socialist tradition, August Bebel’s Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (second edition from 1883), a work more commonly known under the title Die Frau und der Sozialismus, which is a socialist „Streitschrift“ and contains much discussions of political economy. The book is an introduction to scientific communism, written for a broader public, and a reference work for proletarian feminism, containing a description of the past, present and future position of women from a socialist and Marxist perspective.21

20 The three names mentioned here, he wrote down in the margin of page 214, where Lecky discusses them. 21 I have been unable to find a German (or English) copy of the second edition of this work and the page-references are therefore from the Swedish translation of the second edition (published in 1885). The first edition of the work, 180 pages, was published in February 1879, under the title Die Frau und

Nietzsche and Economics

315

Nietzsche’s reading of Bebel’s Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seems to have given rise to little or no comments in the secondary literature, which is surprising since it was an important source for Nietzsche’s knowledge of feminism, Marxism, socialism and radicalism generally. The two longest chapters, “State and Socialism” and “Socialism” discuss radical politics and socialism (without involving feminism) and the book ends with the motto: “Socialism is science, applied with full understanding to all fields of human activity”. Beside socialism and feminism, the book is strongly coloured by a belief in progress, optimism, a strong emphasis on the theory of environment (and a rejection of the importance of inheritance) and the thought that the great social revolution will occur soon (before the end of the nineteenth century). The idea of progress makes Bebel reject Malthus, but he accepts and often refers to Darwin and Darwinism (including applying it to humans and sometimes expressing strong racism against especially Africans). Karl Marx is the most frequently discussed person in the book, but Engels, Lassalle and Kautsky are also mentioned. Mill is also fairly frequently discussed, and he, together with Richard Wagner, are regarded as socialists. Several of Nietzsche’s comments after 1885 seem to have their origin in the reading of this work. For example, Bebel strongly argues that woman should acquire jobs, that they should become workers: “They [women] demand first of all the greatest possible self-determination and independence, and further, that women, as well as men, should have the right to enter all areas of work” (Bebel 1885, p. 145). It is likely that this is the background to Nietzsche’s claim in Beyond Good and Evil: Wherever the spirit of industry has triumphed over the military and aristocratic spirit woman now aspires to the economic and legal independence of a clerk: “woman as clerk” stands inscribed on the portals of the modern society now taking shape (BGE 239, KSA 5, p. 176).

For the later 1880s we have less evidence of Nietzsche’s interest in political economy. However, in 1887 he read and heavily annotated the political economist Emanuel Herrmann’s Kultur und Natur: Studien im Gebiete der Wirtschaft (18872).22 Herrmann

der Socialismus. Bebel had then read and used the Communist Manifesto, the first volume of Das Kapital, Engels’ Lage der arbeitende Klassen in England, Marx’ Bürgerkrieg in Frankreich and Marxist resolutions for the International Workers Association. For the second edition 1883 – the edition Nietzsche read – Bebel had studied the Anti-Dühring and incorporated from it further thoughts on exploitation and class conflict. He also used a more exact Marxist terminology in this enlarged and revised second edition. Due to Bismarck’s anti-socialist laws from 1878, which had made the first edition illegal, Bebel changed the title to Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft for the second edition. The book was later re-published with substantial additions, in a very large number of editions. 22 During the autumn 1887 Nietzsche bought, read, heavily annotated and excerpted Emanuel Herrmann’s Kultur und Natur: Studien im Gebiete der Wirtschaft (18872). Nietzsche’s excerpts from the book are in NL 1887, KSA 12, 9[151] and 10[13, 15, 16 and 17]. See Wolfgang Müller-Lauter 2003 for this reading.

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Thomas Brobjer

argues that everything, including nature, follows economic laws, and attempts to analyze the world from this perspective. He also argues against free competition and for a centrally directed world-economic system. Nietzsche seems to have been influenced by this belief in a centrally directed world-economic system, but he seems to have read the book mostly critically.23 Also in 1887, or in the following year, he read Leopold Jacoby’s Die Idee der Entwicklung (1886/872) which contains extensive discussions in the field of political economy and of Marx’ thinking. In 1887 or 1888 Nietzsche also seems to have bought a copy of the one-volume fourth edition of Lange’s Geschichte des Materialismus (1887) and read large parts of it. Most of the annotations in the copy in his library are in the last chapter dealing with political economy.

2. Nietzsche’s adoption and critique of economical thought Nietzsche seems never to have sympathized with any of the major positions in regard to political economy; he rejected collectivism and socialism, he harshly criticized liberalism and laissez faire policies and he ignored or seems to have been skeptical towards intermediate positions.24 He sometimes expressed severe critique of capitalism and money-making, but did not show any especial sympathy for the economic situation of the poor or the workers. He neither sympathised with the capitalists, the salesmen nor with the workers, neither with the state nor with the revolutionaries. In fact, his limited interest in economics and political economy was not so much an interest in economics and political economy as contra or against political economy and its manner of viewing the world. Nietzsche’s relative silence in regard to questions relating to political economy was less due to ignorance or disinterest than to opposition – he objected to the whole manner of thinking which characterizes political economy: the emphasis on utility, on man as a homo economicus, the emphasis on social reforms, the striving for wealth, material possessions, comfort and progress. Nietzsche instead emphasizes an opposition between money and spirituality, between utility and culture and between efficiency and final values: After all, no one can spend more than he has – that is true of individuals, it is also true of nations. If one spends oneself on power, grand politics, economic affairs, world commerce, parliamentary institutions, military interests – if one expends in this direction the quantum of reason, seriousness, will, self-overcoming that one is, then there will be a shortage in the other direction [i.e.

23 For example, on page 8 he has written a word which seems to be “Gegensatz” [opposite] and on page 233 “’Esel!” [Ass!] 24 Compare Sedgwick 2007.

Nietzsche and Economics

317

in regard to culture]. Culture and the state – one should not deceive oneself over this – are antagonists: the ʻcultural stateʼ is merely a modern idea. The one lives off the other, the one thrives at the expense of the other. All great cultural epoches are epoches of political decline: that which is great in the cultural sense has been unpolitical, even anti-political. […] the main thing – and that is still culture […] The essential thing has gone out of the entire system of higher education in Germany: the end, as well as the means to the end. That education, culture, itself is the end – and not “the Reich” – […] has been forgotten (TI Germans 4–5, KSA 6, p. 106f).

There is a parallel between Nietzsche’s views of economics and of politics – he is critical of (and to a large extent disinterested in) the whole manner of thinking in these two fields. This is for example expressed in Dawn, 179: Political and economic affairs are not worthy of being the enforced concern of society’s most gifted spirits: such a wasteful use of the spirit is at bottom worse than having none at all. They are and remain domains for lesser heads, and others than lesser heads ought not to be in the service of these workshops: better for the machinery to fall to pieces again! […] Our age may talk about economy but it is in fact a squanderer: it squanders the most precious thing there is, the spirit (D 179, KSA 3, p. 157).

Although Nietzsche’s discussion of political economy is limited, he does express some internal critique. He refers to is as a not yet science (NL 1870, KSA 7, 3[10]), and claims that the laws it attempts to discover are not natural laws but only generalities (NL 1879, KSA 8, 44[6, 8 and 16]). One of the central themes of political economy in the latter part of the nineteenth century was to determine what constituted ʻvalueʼ. Nietzsche came across several such discussions in the texts he read, but rejected them as superficial and simplistic. In The Wanderer and His Shadow he argues that the word ʻrevengeʼ is said so quickly it almost seems as if it could contain no more than one conceptual and perceptional root. And so one continues to strive to discover it: just as our economists have not yet wearied of scenting a similar unity in the word ʻvalueʼ and of searching after the original root-concept of the word. As if every word were not a pocket into now this, now that, now several things at once have been put! (WS 33, KSA 2, p. 564).

However, it is not altogether impossible that Nietzsche took the for him so important word “revaluation” from literature in the field of economics (where value and even revaluation was discussed).25 Nietzsche’s view that man is much less rational than assumed by most political economists can also be regarded as part of his internal critique of political economy.26 Nietzsche’s real critique of political economy, however, is not internal, but exter-

25 Andreas Urs Sommer has pointed out to me that the word “Umwerthung”, which Nietzsche normally is regarded as having coined, occurs in economic literature in the nineteenth century. 26 That man to a large extent is determined by the subconscious and is much less rational than we tend to think, is a general claim by Nietzsche. I am not aware that he ever says it explicitly in relation to political economy.

318

Thomas Brobjer

nal. Where economic thought rules the emphasis is on utility; it will no longer be culture, but luxury and fashion, which becomes the interest of the people (NL 1871– 1872, KSA 7, 8[57]). This also means that economic thinking is a major threat to Bildung, which is based on and presupposes something other than utility. Art and culture are not for the busy, but for another sort of human being. In the 1870s he frequently emphasizes that economic thinking is part of optimistic thinking, which he rejects as superficial. In the 1880s he emphasizes that political economy is nihilistic: Nihilism stands at the door: whence comes this uncanniest of all guests? – […] 6. The nihilistic consequences of the ways of thinking in politics and economics, where all ʻprinciplesʼ are practically histrionic: the air of mediocrity, wretchedness, dishonesty, etc. […] A r e d e e m i n g class and human is lacking, one that justifies – (NL 1885–1886, 2[127], KSA 12, pp. 125 and 127)27.

Further, that a society which is centered around economic values and work is hollow: There is something […] of the ferocity peculiar to the Indian blood, in the American lust for gold; and the breathless haste with which they work – the distinctive vice of the new world – is already beginning to infect old Europe with its ferocity and is spreading a lack of spirituality like a blanket. […] One thinks with a watch in one’s hand, as one even eats one’s midday meal while reading the latest news of the stock market (GS 329, KSA 3, p. 556).

Nietzsche’s other major critique is that economic thinking and values make life and man small and boring: It is comfort, security, fear, laziness, cowardness which attempts to take away from life its d a n g e r o u s character and wants to “organize” everything – tartuffery of economic science. The plant man flourishes most when the danger is great, under uncertain conditions: but admittedly precisely then the greatest number go under. […] every higher human feels himself as a d v e n t u r e r (NL 1884, 27[40], KSA 11, p. 285).

There is a natural opposition between great men (including between the creation of great men and their conditions) and economic thinking. From the perspective of civilized society and economic thinking it is natural to struggle against great men – as too costly and dangerous – but Nietzsche is clearly not on that side (NL 1887, KSA 12, 9[137]). Nietzsche’s alternative to the hegemony of economic thinking is precisely supreme human beings. This is a constant in his thinking. He summarizes this view in an important note written in the autumn of 1887, revised in the summer of 1888 (and he seems to have returned to it again in the autumn of 1888). This is one of the 374 notes he wrote down as working material for the planned four-volume magnum opus, entitled first Will to Power and later Revaluation of All Values. He summarized each of these notes in one or two sentences and allocated them to the four volumes of that

27 Compare also NL 1885–1886, KSA 12, 2[131].

Nietzsche and Economics

319

planned work. Our note, number 150, is summarized as: “Secretion of a luxury surplus of mankind. the t w o movements” (NL 1888, 12[1], KSA 13, p. 201), and allocated it to the fourth and last volume, entitled “The Great Midday” or “Dionysos”. In the last detailed table of contents of that magnum opus, the last volume consists of three chapters, the first on order of rank, the last on eternal recurrence and the middle one entitled: “T h e t w o w a y s” or “T h e t w o r o a d s” (NL 1888, 18[17], KSA 13, p. 538: “D i e z w e i W e g e”). It is not completely clear what Nietzsche means with this heading, but a likely candidate is what he a little earlier had called “the t w o movements” (“die z we i Bewegungen”). We can then see that Nietzsche sets up his ideal in opposition to what he regarded as the goal of economics.28 The n e c e s s i t y to show that as the consumption of man and mankind becomes more and more economical and the “machinery” of interest and services is integrated ever more intricately, there b e l o n g s a c o u n t e r m o v e m e n t. I designate this as the s e c r e t i o n o f a l u x u r y s u r p l u s o f m a n k i n d : it aims to bring to light a stronger species, a higher type that arises and preserves itself under different conditions from those of the average man. My concept, my m e t a p h o r for this type is, as one knows, the word “Übermensch”. On the first road which can now be completely surveyed, arise adaptation, leveling, higher Chinadom, modesty in the instincts, satisfaction in the dwarfing of mankind – a kind of s t a t i o n a r y l e v e l o f m a n k i n d. Once we possess that common economic management of the earth that will soon be inevitable, then mankind w i l l b e a b l e to find its best meaning as a machine in the service of this economy: as a tremendous clockwork, composed of ever smaller, ever more subtly “adapted” gears […] In opposition to this dwarfing and adaptation of man to a specialized utility, a reverse movement is needed – the production of a s y n t h e t i c, s u m m a r i z i n g, j u s t i f y i n g man for whose existence this transformation of mankind into a machine is a precondition, as a base on which he can invent his h i g h e r f o r m o f b e i n g. He needs the o p p o s i t i o n of the masses, of the “leveled”, a feeling of distance from them! he stands on them, he lives off them. This higher form of aristocracy is that of the future. – Morally speaking, this overall machinery, this solidarity of all gears, represents a maximum in the e x p l o i t a t i o n o f m a n; but it presupposes those on whose account this exploitation has m e a n i n g. Otherwise it would really be nothing but an overall diminution, a v a l u e diminution o f t h e t y p e m a n – a r e g r e s s i v e p h e n o m e n o n in the grand style. – It is clear, what I combat is e c o n o m i c optimism: as if increasing expenditure of everybody must necessarily involve the increasing welfare of e v e r y b o d y. The opposite seems to me to be the case: e x p e n d i t u r e o f e v e r y b o d y a m o u n t s t o a c o l l e c t i v e l o s s: man is d i m i n i s h e d – so one no longer knows w h a t a i m this tremendous process has served. An aim? a n e w aim! – that is what humanity needs…(NL 1887, KSA 12, 10[17]).29

This is in line with the contrast between the Übermensch and the Ultimate Man (who seems closely akin to ‘economic man’) in the Prologue to Also sprach Zarathustra. The

28 His direct stimulus for writing this, seems to have been his reading of Herrmann 1887, for the two previous notes are excerpts from that book, and even this note contains allusions to it. 29 This note has been published as ‘The Will to Power’, 866. Compare also NL 1881 KSA 9, 11[221]. I have revised Kaufmann’s translation according to KSA and KGW IX/6.

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Thomas Brobjer

latter is described as “the most contemptible man” who “will no longer shoot the arrow of his longing out over mankind” and “give birth to no more stars”. This ultimate or last man who no longer loves, no longer creates, no longer longs, but have discovered small happiness: “Everyone wants the same thing, everyone is the same” (Z 1 Prologue, KSA 4, p. 19f). Nietzsche’s solution – and the escape from nihilism – the finding of a new aim and goal – rather than maximizing wealth and utility – is also emphasized in Götzen-Dämmerung and Der Antichrist. For example, the last aphorism of the first chapter of Götzen-Dämmerung can be read as representing the opposite of nihilism, and as pointing toward the last volume of the planned Revaluation of All Values: “44. Formula of my happiness: a Yes, a No, a straight line, a g o a l …” (KSA 6, p. 66). The very same words are used as the last sentence of the first section of Der Antichrist. A better understanding of how Nietzsche regarded and understood economics thus also aids us to better understand Nietzsche’s philosophy and his alternative to economic thinking.

Literature Translations of Nietzsche’s letters and notes, unless stated otherwise, are my own. For quotations from Nietzsche’s books I have used the translations of R. J. Hollingdale, but for The Gay Science, that of Walter Kaufmann. Bebel, August (1885): Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft [18832]. Swedish translation by Frithiof, Hellberg: Uppsala. Brobjer, Thomas (2002): “Nietzsche’s Knowledge of Marx and Marxism”. In: Nietzsche-Studien, Vol. 31, pp. 298–313. Müller-Lauter, Wolfgang (2003): “Über Ökonomie und Kultur bei Nietzsche”. In: Nietzscheforschung, Vol. 10, pp. 327–353. Sedgwick Peter (2007): Nietzsche’s Economy: Modernity, Normativity and Futurity. Basingstoke: Palgrave.

Books Nietzsche read or possessed in the field of Political Economy: Listed in the order Nietzsche appears to have read them: Read

Author, title, and publication date

Annotations

1862

Mundt, Theodor: Die Geschichte der Gesellschaft (18441, 18562)

excerpted

1866ff

Lange, Friedrich A.: Geschichte des Materialismus (18661)

Lost

1868

Joerg, Jos. Edmund: Geschichte der sozial-politischen Parteien in Deutschland (1867)



1871+73

Roscher, W.: Klio: Beiträge zur Geschichte der historischen Kunst (1842) Nietzsche had earlier attended Roscher’s lectures



1873

Mohl, Rober von: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, three volumes (1860, 1862 and 1869)



Nietzsche and Economics

321

Read

Author, title, and publication date

Annotations

1873/74

Bagehot, W.: Der Ursprung der Nationen: Betrachtungen über den Einfluss der natürlichen Zuchtwahl und der Vererbung auf die Bildung politischer Gemeinwesen (1874)

few excerpts

?

Lange, Friedrich A.: Die Arbeiterfrage (18753)

–?

1875

Lindwurm, Arnold: Die Handelsbetriebslehre und die Entwickelung des Welthandels (1869)



1875?

Dühring, Eugen: Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus (18752)

little

?

Dühring, Eugen: Kursus der National- und Sozialökonomie, einschliesslich der Hauptpunkte der Finanzpolitik (1873)



?

Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien, Herausgegeben in Verbindung mit L. Bobrik, C. Böttger, Fr. Kohl, R. Ludwig u.v.a., 6 Vols., 1864–67, Verlagsbuchhandlung von Otto Spaner



?

– Block, Maurice: Kleines Handbuch der National-Ökonomie oder Volkswirtschaftslehre. Aus dem Französischen übers. v. A. v. Kaven (18792)

?

Frantz, C.: Der Föderalismus als das leitende Prinzip für die soziale, staatliche und internationale Organisation, unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland (1879)



?

Schäffle, A.: Quintessenz des Sozialismus (18751, 18793)

lost

1881

Carey, H. C.: Lehrbuch der Volkswirtschaft und Sozialwissenschaft. Übers. v. Karl Adler (18702)

little

1881+83

Lecky, W. E. Hartpole: Geschichte des Ursprungs und Einflusses der Aufklärung in Europa, 2 Vols. (18792)

heavily

1885

Bebel, August: Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (18832)



I quote this work from the Swedish translation by Frithiof Hellberg (Uppsala, 1885). 1887/88

Herrmann, Emanuel: Kultur und Natur: Studien im Gebiete der Wirtschaft (18872)

heavily

1887/88

Lange, Friedrich A.: Geschichte des Materialismus (18874)

little

1887/88

Jacoby, Leopold: Die Idee der Entwicklung. Eine sozial-philosophische Darstellung, 2 Vols. (1886–18872)

little

Maria Cristina Fornari

Nietzsche und die politische Philosophie „‚Die gemeinen Naturen täuschen sich über die noblen: sie errathen deren Motive nicht.‘!“ „Die Zukunft ist kaum in’s Auge bisher gefaßt worden, außer bei den Römern“ (F. Nietzsche)1

1. Politik und Kultur Obwohl unzweifelhaft ein politischer Gebrauch von Nietzsches Schriften und Philosophemen gemacht wurde und auch heute noch mit fragwürdigen Ergebnissen gemacht wird,2 hat Nietzsche niemals eine vollständige politische Theorie dargelegt und auch keine erschöpfende Definition der üblicherweise mit dem Fach verknüpften Begriffe geliefert.3 Staat, Institutionen, Rechte und bürgerliche Gesellschaft

1 NL 1884, KSA 11, 25[75] und 25[255]. 2 Von rechter Seite wurde Nietzsche frühzeitig als Theoretiker des „aristokratischen Radikalismus“ gelesen (nach einer bekannten Definition von Brandes, 1888), dann als Vorläufer des Deutschtums und der nationalsozialistischen Theorien (Baeumler), von linker Seite als „Meister des Verdachts“ und großer Ideologiekritiker, bis hin zu den postmodernen (bzw. postmodernistischen) Verzerrungen der französischen Nietzsche-Renaissance. Die Versuche, über Nietzsche eine „Philosophie der Differenz“ zu erarbeiten, die zugleich eine „Philosophie der Befreiung“ sei (Derrida, Foucault), scheinen heute überwunden zu sein. Dagegen scheint in Italien, auf der Gegenfront, die Versuchung weiter lebendig zu sein, aus Nietzsche einen antilibertären „aristokratischen Rebell“ zu machen, dessen Denken trübe und abstoßende Motive enthält (vgl. Losurdo 2009). Diesen Interpretationen, denen es entgegen ihrer Absichtsbekundungen an einer ernsthaften historischen Kontextualisierung und einer redlichen Rekonstruktion von Nietzsches intellektueller Biografie fehlt, steht die historisch-philologische Interpretation gegenüber, die durch die kritische Ausgabe eingeweiht wurde (begonnen von Colli-Montinari und fortgeführt von Campioni u.a.). Diese hat dazu beigetragen, Nietzsche von ideologischen Verzerrungen zu befreien, insbesondere durch die korrekte Publikation seiner Schriften, einschließlich der nachgelassenen Fragmente, in chronologischer Folge und durch die Einbettung in ihren kulturellen Zusammenhang. Einen guten bibliografischen Überblick zum Thema „Nietzsche und die Politik“, insbesondere zur Frage seiner Beziehungen zur Demokratie, gibt Siemens 2001. Siehe auch Busch 2004. Viel Aufmerksamkeit wurde auch dem Thema des Wettstreits zuteil. Vgl. neben Siemens die Arbeiten von Acampora, die agon und Kampf interpretiert als „a cultural and social site for the creation of a sense of the public good, a practice of meaning making […] he [Nietzsche] is not simply an advocate of a form of might-makes-right Homeric nobility or the celebration of bravado. Rather, Nietzsche’s view of agon unfolds in an attempt at a comprehensive interpretation of life“ (Acampora 2003, S. 377). 3 Einer gängigen Definition von Politikwissenschaft und Politiksoziologie zufolge richten diese Fächer sich vorwiegend auf die Beschreibung und Analyse von Phänomenen und Abläufen (vgl. Bobbio 1985), während die politische Philosophie die verborgenen tiefen Strukturen zu verstehen sucht, die sich dem

Nietzsche und die politische Philosophie

323

waren nur nebenbei Gegenstand seines Interesses, auf seinem Weg der Kritik der Moderne und der Analyse ihrer Verfallsstrukturen. Sicher vollzog sich dieser Weg mit Blick auf eine „große Politik“, die eine Gegenbewegung darstellen sollte, doch gehört sie mehr in den Bereich der Philosophie und Kultur als in den der Regierungslehre. Die burckardtsche Figur des Gewaltmenschen liefert ihm das Modell einer Aristokratie der Kultur, die zur Ausübung einer „moralinfreien“ Tugend imstande ist,4 während die in politischem Ton gehaltenen Verkündungen, die wir zum Beispiel in Ecce homo finden – mit seinen kriegerischen und explosiven Metaphern – in Wirklichkeit eine ästhetische Stellungnahme zum Ausdruck bringen, die den Charakter und den „großen Stil“ betrifft. So ist der Gewaltmensch „ein philosophischer Gewaltmensch und ein Künstler-Tyrann“, der sich durch strenge Selbstgesetzgebung und Disziplin gebildet hat, deren Wille den Jahrtausenden durch ein „Übergewicht von Wollen, Wissen, Reichthum und Einfluß“ (NL 1885, 2[57], KSA 12, S. 87) aufgeprägt wird. Nur wenn man auf die niedrigsten Formen des Willens zur Macht blickt, kann man annehmen, die „große Politik“ decke sich mit dem brutalen „Bedürfniss des Machtgefühls“, das wiederum die Sprache der Moral spricht und das Nietzsche im Aphorismus 189 der Morgenröthe anprangert.5 „Genug, die Zeit kommt, wo man über Politik umlernen wird“ (NL 1885, 2[57], KSA 12, S. 88). Wir können mit Ansell-Pearson übereinstimmen, der meint, Nietzsche sei seit jeher mit einem „andauernden Konflikt zwischen Kultur und Politik“ befasst gewesen (Ansell-Pearson 1994, S. 3). Die Ziele und Besonderheiten einer Kultur sind zwangsläufig durch die Gesellschaftsordnung, die wirtschaftlichen Beziehungen, durch Natur, Position und Rolle der Individuen und der Werte bedingt, deren Träger sie sind.6 Aber sie sind es vor dem Hintergrund des Gegensatzes, den Nietzsche immer hervorhebt und noch in der Götzen-Dämmerung, wiederum mit Anklängen an Burckhardt, verdeutlicht:

phänomenalen Blick nicht unmittelbar erschließen. Als Philosophie versucht sie Offensichtliches oder das, was als offensichtlich, gewohnt und pragmatisch ratsam erscheint, stets zu problematisieren, indem sie ihre Interpretationen, Bewertungen und Entscheidungen mit nicht offenkundigen Abläufen und Mechanismen verknüpft. In diesem Sinn können wir Nietzsche tatsächlich als politischen Philosophen bezeichnen. 4 Vgl. NL 1881, KSA 9, 11[197]; NL 1884, KSA 11, 25[117]. Vgl. Gentili 2005, S. 102f; Campioni 2009, S. 227ff. 5 „Die grossen Eroberer haben immer die pathetische Sprache der Tugend im Munde geführt: sie hatten immer Massen um sich, welche sich im Zustande der Erhebung befanden und nur die erhobenste Sprache hören wollten. Wunderliche Tollheit der moralischen Urtheile!“ (M III 189, KSA 3, S. 162). 6 Z.B.: „C o r r u p t i o n des kräftigen Naturmenschen im Zwang der civilisirten Städte (– geräth zu den aussätzigen Bestandtheilen, lernt da das schlechte Gewissen)“ (NL 1885–1886, 2[56], KSA 12, S. 87).

324

Maria Cristina Fornari

Giebt man sich für Macht, für grosse Politik, für Wirthschaft, Weltverkehr, Parlamentarismus, Militär-Interessen aus, – giebt man das Quantum Verstand, Ernst, Wille, Selbstüberwindung, das man ist, nach dieser Seite weg, so fehlt es auf der andern Seite. Die Cultur und der Staat – man betrüge sich hierüber nicht – sind Antagonisten: ‚Cultur-Staat’ ist bloss eine moderne Idee. Das Eine lebt vom Andern, das Eine gedeiht auf Unkosten des Anderen. Alle grossen Zeiten der Cultur sind politische Niedergangs-Zeiten: was gross ist im Sinn der Cultur war unpolitisch, selbst antipolitisch (GD Deutschen 4, KSA 6, S. 106).7

Der politisch-kulturelle Kontrast ging bekanntlich zugunsten Frankreichs und gegen das Deutsche Reich und das Bismarck-Deutschland aus, die Nietzsche schon in jungen Jahren Widerwillen einflößten. In einer Zeit, in der man an die Vergötterung von Wirtschaft und Politik „das Kostbarste, den Geist“ (M III 179, KSA 3, S. 158) verschwendet, haben die Deutschen sich nicht nur von ihrer alten Bildung losgesagt („die sie mit einem blinden Eifer abgeschüttelt haben, wie als ob sie eine Krankheit gewesen sei“), sondern sie wussten „nichts Besseres dagegen einzutauschen, als den politischen und nationalen Wahnsinn“ (M III 190, KSA 3, S. 163). Einem mit Stolz staatenlosen und kosmopolitischen Nietzsche, der dennoch den Wunsch hegt, noch einmal als Franzose zur Welt zu kommen (vgl. Bf. an Bourdeau, um den 17.12.1888, KGB III/5, Bf. 1196), erscheint das verdummte Deutschland immer ferner und feindlicher. Sein kluger Weitblick ist sehr kritisch gegenüber der rabies nationalis, gegenüber dem fortschreitenden Obskurantismus und der dröhnenden großen Politik, die in Wahrheit die kleine Politik der Ressentiments und chauvinistischen Forderungen ist: „Die Deutschen verderben, als N a c h z ü g l e r, den großen Gang der europäischen Cultur…“ (NL 1884, 25[115], KSA 11, S. 43).8 Als Nietzsche in seinen letzten Briefen an reale und hypothetische Adressaten kurz vor dem psychischen Zusammenbruch das Haus Hohenzollern als Nährboden

7 Das gilt auch für Nietzsche persönlich, z.B.: „So wenig als möglich Staat! Ich bedarf des Staates nicht, ich hätte mir, ohne jenen herkömmlichen Zwang, eine bessere Erziehung gegeben, nämlich eine auf meinen Leib passende, und die Kraft gespart, welche im Sichlosringen vergeudet wurde. Sollten die Dinge um uns etwas unsicherer werden, um so besser! ich wünsche, daß wir etwas vorsichtig und kriegerisch leben. Die Kaufleute sind es, die uns diesen Ohne-Sorgenstuhl Staat so einladend machen möchten, sie beherrschen mit ihrer Philosophie jetzt alle Welt. Der ‚industrielle’ Staat ist nicht meine Wahl, wie es die Wahl Spencer’s ist. Ich selber will so viel als möglich Staat sein, ich habe so viele Ausund Einnahmen, so viele Bedürfnisse, so viel mitzutheilen. Dabei arm und ohne Absicht auf Ehrenstellen, auch ohne Bewunderung für kriegerische Lorbeeren“ (NL 1880, 6[377], KSA 9, S. 294). Ich stimme mit der Hypothese überein, dass der Staat Nietzsche nur als eine Äußerung der Herdenmoral unter vielen interessierte. 8 „Ich bewundere beinahe Jedermann, der unter einem bedeckten Himmel den Glauben an sich nicht verliert, gar nicht zu reden vom Glauben an die ‚Menschheit‘, an die ‚Ehe‘, an das ‚Eigenthum‘, an den ‚Staat‘… In Petersburg wäre ich Nihilist: hier glaube ich, wie eine Pflanze glaubt, an die Sonne. Die Sonne Nizza’s – das ist wirklich kein Vorurtheil. Wir haben sie gehabt, auf Unkosten vom ganzen Reste Europa’s. Gott läßt sie mit dem ihm eigenen Cynismus über uns Nichtsthuer, ‚Philosophen‘ und Grecs schöner leuchten als über dem so viel würdigeren militärisch-heroischen ‚Vaterlande‘ –“ (Bf. an Brandes 27.03.1888, KGB III/5, Bf. 1009).

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kultureller Rückständigkeit und einer stumpfsinnigen nationalistischen Politik angreift,9 hat sich seine Distanz bereits in erbitterte Feindseligkeit gegenüber den unterschiedlichen antisemitischen Äußerungen verwandelt, die er entschieden ablehnt:10 „- - - der ‚antisem(itischen) Correspondenz‘ gelesen habe, kenne ich keine Schonung mehr. Diese Partei hat der Reihe nach mir meinen Verleger, meinen Ruf, meine Schwester, meine Freunde verdorben – nichts steht meinem Einfluß mehr im Wege, als daß der Name Nietzsche in Verbindung mit solchen Antisemiten wie E. Dühring gebracht worden ist: man muß es mir nicht übel nehmen, wenn ich zu den Mitteln der N o t h w e h r greife“ (Fragment an Franziska Nietzsche 29.12.1887, KGB III/5, Bf. 967).11

Denn er dachte stattdessen an bestimmte Völker oder Kasten, die mächtigere und umfänglichere Seelen hervorzubringen vermochten, als es je gegeben hat („Alle bisherigen Einzel-Fähigkeiten in Eine Natur zu centralisiren. Stellung der J u d e n dazu“; vgl. NL 1884, KSA 11, 25[221] u. [222]). Nietzsches Hinwirken auf eine „große Politik“ ist also nicht mit dem philosophischen und systematischen Entwurf des Willens zur Macht verbunden, der leicht missverstanden werden kann und in der Tat oft absichtlich missverstanden wurde. Die

9 „Es repräsentirt die stupideste verkommenste verlogenste Form des ‚deutschen Geistes‘, die es bisher gegeben hat“ (Bf. an von Seydlitz, 24.02.1887, KGB III/5, Bf. 807); „Fürst Bismarck hat nie ans ‚Reich‘ gedacht, – er ist ja mit allen Instinkten bloß Werkzeug des Hauses Hohenzollern! – und diese Aufreizung zur Selbstsucht der Völker wird als große Politik, als Pflicht beinahe in Europa empfunden und gelehrt!… Damit muß man ein Ende machen – und ich bin stark genug dazu…“ (Bf. an Bonghi, Ende Dezember 1888, KGB III/5, Bf. 1231). 10 Nietzsche besaß nicht nur aufgrund seiner Lektüre der „Klassiker“ der Bewegung (Dühring, Lagarde oder die „Bayreuther Blätter“) eine vertiefte Kenntnis des Antisemitismus und seiner verschiedenen Äußerungsformen, sondern auch durch seine Bekanntschaft mit wichtigen Vertretern verschiedener antisemitischer Organisationen: vom Verleger Schmeitzner bis hin zu seinem Schwager Förster, typischer Vertreter eines virulenten christlichen Antisemitismus. In den Briefen aus der letzten Zeit finden sich unmissverständliche Urteile über das Unternehmen seiner Schwester und ihres Mannes, die eine arische Kolonie in Paraguay gründeten: „Mein Wunsch ist zuletzt, daß man Euch deutscherseits etwas zu Hülfe käme, und nämlich dadurch daß man die Antisemiten n ö t h i g t e, Deutschland zu verlassen: wobei ja nicht zu zweifeln wäre, daß sie Euer Land der ‚Verheißung‘ P anderen Ländern vorziehen würden. Den Juden andererseits wünsche ich immer mehr, daß sie in Europa zur Macht kommen, damit sie ihre Eigenschaften verlieren (nämlich n i c h t m e h r n ö t h i g h a b e n) vermöge deren sie als Unterdrückte sich bisher durchgesetzt haben. Im Übrigen ist es meine ehrliche Überzeugung: ein Deutscher, der bloß daraufhin, daß er ein D ist, in Anspruch nimmt m e h r zu sein, als ein Jude, gehört in die Komödie: gesetzt nämlich daß er nicht ins Irrenhaus gehört“ (Entwurf an Elisabeth Förster-Nietzsche, kurz vor dem 05.06.1887, KGB III/5, Bf. 854). Losurdo zeigt, dass er diese letzten Briefe nicht kennt (oder nicht berücksichtigen will), wenn er in den Beziehungen zum Verleger Schmeitzner einen Beweis für Nietzsches Antisemitismus erblickt. Schmeitzner wollte ihn als Verbündeten gewinnen, während Nietzsche jede Beziehung radikal abbrach (vgl. Losurdo 2009). 11 Umfängliche Hinweise zu diesem Thema in Campioni/Fornari 2011. Siehe auch Vivarelli 2011.

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„große Politik“ ist vielmehr das Projekt einer neuen Kultur,12 die sich von der traditionellen Moral freimachen muss, deren Hervorbringungen sich gesellschaftlich und kulturell schlecht bewährt haben. Es ist ein Projekt, das auf einen neuen Typus Mensch abzielt, dessen Definition alles andere als eindeutig ist.13 Entgegen der „zahmen Barbarei“, die jetzt in Europa vordringt, geht Nietzsches Bestreben dahin, eine Alternative zu den Konstruktionen der Moderne aufzuzeigen und eine positive und konstruktive neue Haltung nahezulegen, die dem Nihilismus entgegenzutreten und die von der Dekadenz aufgebotenen Energien fruchtbar zu machen versteht: „Moralität – der Inbegriff aller uns einverleibten Werthschätzungen: was soll aus dieser ungeheuren Summe von Kraft werden? Nur insofern interessirt mich die Frage, wie diese Schätzungen entstanden sind“ (NL 1882, KSA 10, 4[151]), hält er in seinen Notizbüchern fest.14 Eine auf die absoluten moralischen Werte des Guten und Bösen gegründete Gesellschaft ist unfähig, die „allgemeine Ökonomie des Ganzen“ zu verstehen. Mehr noch: Eine Gesellschaft, die auf instrumentellen und utilitaristischen Werten basiert, von der politischen Macht beherrscht und von der Geldwirtschaft gelenkt ist, wie in Nietzsches Augen die moderne, ist unfähig, bleibende, kulturell bedeutsame Konstruktionen ins Leben zu rufen (vgl. Ansell-Pearson 1994, S. 5). Nachdem wir „runder Sand“ und „hölzernes Eisen“ geworden sind, sind „wir Alle […] kein Material mehr für

12 Siehe dagegen z.B. Ottmann: „Nietzsches späte Philosophie unterscheidet sich von der Freigeisterei in einem entscheidenden Punkt. Die Apolitie der freien Geister ist Nietzsches Ideal nicht mehr. Der ‚Übermensch‘ […] soll Herrscher sein. […] ‚große Politik‘ bei Nietzsche [meint] Herrschaft“ (Ottmann 1987, S. 239). 13 Es mag die Feststellung aus Ecce homo reichen – „andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt“ (EH Bücher 1, KSA 6, S. 300) –, um mit der Idee aufzuräumen, der von Nietzsche erhoffte „neue Typus Mensch“ sei das Ergebnis einer Art Eugenik. Wenn Nietzsche ohne Zweifel eine neue Gestaltung des Menschen durch die Neuordnung seines psychophysischen Systems vor Augen hat, so sind die Mittel zur Verwirklichung dieser „Revolution“ bzw. dieses „Kriegs der Geister“ vielleicht weniger klar. 14 „Das neue alternative Projekt [Nietzsches] beinhaltet eine Neuordnung der gesamten Kraftmenge, die der Menschheit zur Verfügung steht. Diese Kraft ist in einer konstanten, endlichen Menge gegeben – ein antiteleologischer Aspekt, den Nietzsche betont – und kann entweder unter der Voraussetzung der grundlegenden Gleichberechtigung aller organisiert werden, wie die Demokraten und Sozialisten fordern, einer Voraussetzung moralischer Art, die zur Schaffung des homo communis und zu allgemeiner Schwächung führt. Oder man folgt der Hypothese des Übermenschen und betrachtet alle anderen als notwendige Energie für seine Stärkung und Verwirklichung. Nachdem das neue Herren-Bewusstsein den Sklaven-Charakter der Mehrzahl der Menschen zur Kenntnis genommen hat, setzt es sich zum Ziel, ihrer Existenz einen Sinn zu verleihen. Es ist hier nicht der Ort, um auf die Einzelheiten der schwierigen und vieldiskutierten Problematik eines solchen ‚politischen‘ Willens einzugehen. Es geht mir jedoch darum, aufzuzeigen, dass es in dieser Richtung zu einer Wiederaufnahme der Religion und der christlichen Moral im Dienst seines ‚höheren Plans‘, zur Aufwertung der Wissenschaft und paradoxerweise sogar der Demokratie kommt. Vor allem dieser letzte, im Übrigen mit dem vorgenannten verknüpfte Punkt hat in den Interpretationen eine mindestens ebenso große Verwirrung gestiftet wie Klarheit in Nietzsches Texten lag“ (Campioni 1993, S. 193f).

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eine Gesellschaft“ (FW 356, KSA 3, S. 597). Die Vorherrschaft von Altruismus und Mitleid, das Streben nach Glück und Wohlstand, die Forderung nach gleichen Rechten und die Gleichmachung der Neigungen und des Geschmacks, grausamen, vom Markt entlehnten Werkzeugen der Nivellierung: „sie fressen die charaktervollen Formen hinweg“.15 Dem einheitlichen Entwurf der Moderne zieht Nietzsche die ungeheuren durch die Dekadenz erschlossenen Möglichkeiten und den immensen Reichtum vor, den sie mit sich bringt. In diesem Sinn ist der Standpunkt der „Herde“ – einer ständigen Zielscheibe von Nietzsches Polemik – nur einer unter vielen, ein Standpunkt im Dienst der Arterhaltung, der gegenüber der möglichen Öffnung vielfältiger Perspektiven niedriger angesetzt ist. So kann „w e n n diese erreicht ist, […] das Ziel höher genommen werden“ durch eine gelungene Mischung der Gegensätze und im Kontrast zur Einseitigkeit gewisser Individuen und Völker, „z.B. Engländer“,16 mit ihrer Moral und Soziologie des comfort, der Nützlichkeit und dem „größten Glück für die größte Zahl“. Mit „Glück“ als Ziel ist nichts zu machen, auch mit dem Glücke eines Gemeinwesens nicht. Es handelt sich, eine Vielheit von I d e a l e n zu erreichen, welche im K a m p f sein müssen, das ist aber nicht das Wohlbefinden einer Heerde, sondern ein höherer Typus. D i e s e r aber wird n i c h t erreicht durch das Wohlbefinden der Heerde! so wenig als der einzelne Mensch auf seine Höhe kommt durch Behaglichkeit und Entgegenkommen. „Gnade“, „Liebe gegen die Feinde“, „Duldung“, „gleiches“ Recht (!) sind alles Principien n i e d e r e n Ranges. Das Höhere ist der W i l l e über uns hinweg, durch uns, und sei es durch unseren Untergang s c h a f f e n. (NL 1884, KSA 11, 26[346])

Ganz im Gegensatz zu den oft missverstandenen und übertriebenen Bedeutungen des Projekts eines „neuen Typus Mensch“ verweist dieses keineswegs auf den Willen zu egoistischer Überwältigung des Anderen oder zum Aufzwingen der eigenen erneuerten Perspektive. Für mehrere mögliche Standpunkte offen, widersetzt es sich vielmehr der beschränkten Sicht des Individuums, das sich durch eine einseitige Deutung seiner Affekte in egoistischer Weise behauptet und dessen vermeintliche Harmonie in Wahrheit das Resultat einer Hegemonieausübung ist.17 Die Versuche mit sich selbst

15 Die ökonomischen Kategorien, die dem zeitgenössischen Wirtschaftsliberalismus teuer sind, vereinfachen eine komplexe reale Situation: Gewichte und Maße abzuwiegen, Gleichwertigkeiten aufzustellen und einen „Preis“ für jede Situation festzusetzen, setzt den Glauben an die Austauschbarkeit von Handlungen voraus. Vorausgesetzt wird folglich ein „vermasster“ Einzelmensch, der an Wert nichts anderes hervorzubringen vermag als der Durchschnitt seiner Mitmenschen. Vgl. M III 174; M III 175, KSA 3, S. 154ff; NL 1880, KSA 9, 6[163]; NL 1887, KSA 12, 9[55]; NL 1887–1888, KSA 13, 11[127]; NL 1888, KSA 13, 22[1]. 16 Vgl. NL 1883, KSA 10, 7[21]; NL 1884, KSA 11, 25[211]. 17 „Grund-I r r t h u m: wir legen u n s e r e moral Gefühle von heute als Maaßstab an und messen darnach Fortschritt und Rückschritt. Aber jeder dieser Rückschritte wäre für ein entgegengesetztes Ideal ein Fortschritt. ‚Vermenschlichung‘ – ist ein Wort voller Vorurtheile, und klingt in meinen Ohren beinahe umgekehrt als in euren Ohren“ (NL 1884, 25[171], KSA 11, S. 59).

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machen dagegen den heroischen Zug höherer Art aus,18 der viel weniger von der Herrschernatur hat als von der fragilen Komplexität einer hybriden, pluralen Form. Nietzsches wachsendes Interesse für das Phänomen der Décadence in seinen letzten Schaffensjahren führte dazu, dass dem Stumpfsinn des Philisters immer mehr Konfigurationen gegenübergestellt wurden, die sich durch Komplexität und Zerbrechlichkeit auszeichnen, aber auch durch einen größeren Reichtum der Triebe, denn dieser ist eine notwendige Vorbedingung für eine höhere Kultur entgegen der fanatischen moralischen Einförmigkeit. Nur durch solche experimentellen Konfigurationen kann versucht werden, der Verkleinerung des modernen Menschen entgegenzuwirken. Die Décadence in ihrem Charakter eines Zwischenzustands bietet folglich einen möglichen Ausweg aus der Krise, der insbesondere den einseitigen Figuren positivistischer Prägung gegenüberzustellen ist.

2. Der moderne Mensch als Funktion Handel und Wohlstand, Markt und comfort – dies sind die Schlüsselbegriffe, um die, insbesondere ab den 80er Jahren, Nietzsches Kritik an den moralischen, sozialen und ökonomischen Konstruktionen seiner Zeit kreist. Angenommen die Herdenmoral deckt sich mit der Moral überhaupt (vgl. FW 1), so ist sie, meint Nietzsche, die Hauptursache für die Ermattung und Verarmung des modernen Menschen (vgl. JGB 228). Seine Quellen sind in diesem Fall vor allem die englischen Evolutionstheoretiker und Utilitarier (Herbert Spencer, John Stuart Mill), die organizistischen Soziologen (Auguste Comte, Alfred Fouillée, Jean-Marie Guyau, Alfred Espinas) sowie die Vertreter des Positivismus im Allgemeinen. Statt eine reale Emanzipation des Individuums anzustreben, schreiben sie ihm bei ihrer Suche nach der „allgemeinen Wohlfahrt“ angeblich „natürliche“ Zwecke zu, verankern es in kollektiven Strukturen und verwandeln es in eine nützliche Funktion des Ganzen.19 Nietzsche ist immer mehr davon überzeugt, dass das Glück mit einer persönlichen Wertentscheidung einhergeht, ja dass es in der Zunahme der Originalität entgegen der für die moderne Lebensbedingung charakteristischen Gleichmachung besteht.20 Der

18 „Heroismus – das ist die Gesinnung eines Menschen der ein Ziel erstrebt, gegen welches berechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt. Heroismus ist der g u t e W i l l e zum absoluten Selbst-Untergang. Der Gegensatz des heroischen Ideals ist das Ideal der harmonischen All-Entwicklung: ein schöner Gegensatz und ein sehr wünschenswerther! Aber nur ein Ideal für gute Menschen!“ (NL 1882–1884, 1[88], KSA 10, S. 32). 19 Vgl. z.B. M II 132, KSA 3, S. 124f; FW 119, KSA 3, S. 476. Vgl. zu dieser Thematik Fornari 2009. 20 Vgl. NL 1880, KSA 9, 3[151]. Dass die Originalität ein Fortschrittsfaktor sei, ist auch Stuart Mills These. Nietzsche findet dazu eine umfängliche Erörterung in dem Aufsatz On Liberty, den er in deutscher Übersetzung las. In Nietzsches Bibliothek befinden sich heute nur die Bände I, IX–XII, mit zahlreichen Unterstreichungen.

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utilitaristische Imperativ, „immer der Gesammtheit am nützlichsten zu handeln“, mit dem Mill z.B. den kantischen Imperativ verzerrt und die goldene Regel unter einer ökonomischen Formel getarnt hat, ist nur für eine Gesamtheit völlig gleichartiger Individuen mit gleichen Bedürfnissen und genügenden Mitteln, sie zu befriedigen, berechnet. Für die heutige Gesamtheit der Menschen, wie sie sind, ist es aber eine völlig unbrauchbare Abstraktion. Nietzsche stellt fest: [E]s ist der Gegensatz m e i n e r Tendenz – m ö g l i c h s t v i e l e w e c h s e l n d e v e r s c h i e d e n a r t i g e O r g a n i s m e n, die zu ihrer R e i f e u n d F ä u l n i ß gekommen ihre Frucht fallen lassen; die Individuen, von denen zwar die meisten zu Grunde gehen, aber auf die Wenigen kommt es an (NL 1881, 11[222], KSA 9, S. 527).21

Die Herabsetzung des Individuums in einem wie auch immer gearteten Kollektivbegriff und seine Einbindung in einen Organismus, in dem es sich verstecken und vor den eigenen Idiosynkrasien Schutz finden kann (vgl. M I 26, KSA 3, S. 36f), bedeutet eine Verarmung seiner spezifischen Merkmale: Sobald wir den Zweck des Menschen bestimmen wollen, stellen wir einen Begriff vom Menschen voran. Aber es giebt nur Individuen, aus den b i s h e r bekannten kann der Begriff nur so gewonnen sein, daß man das Individuelle a b s t r e i f t, – also den Zweck des Menschen aufstellen hieße die Individuen in ihrem Individuellwerden verhindern und sie heißen, a l l g e m e i n zu werden. Sollte nicht umgekehrt jedes Individuum der Versuch sein, eine h ö h e r e G a t t u n g a l s d e n M e n s c h e n z u e r r e i c h e n, vermöge seiner individuellsten Dinge? Meine Moral wäre die, dem Menschen seinen Allgemeincharakter immer mehr zu nehmen und ihn zu spezialisiren, bis zu einem Grade unverständlicher für die Anderen zu machen (und damit zum Gegenstand der Erlebnisse, des Staunens, der Belehrung für sie) (NL 1880, KSA 9, 6[158]). Also: nicht das Aufopfern macht den Edlen, damit gehört er erst in die Kategorie des Leidenschaftlichen (wie z.B. der rasend Wollüstige sich aufopfert) es giebt niedrige Leidenschaften d.h. gemeinsame und h ö h e r e: individuelle. Der Edle o p f e r t hier eine i n d i v i d u e l l e Leidenschaft: nicht daß er für Andere sich opfert, macht ihn edel, sondern die Seltenheit dieses Triebes für Andere — eine i n d i v i d u e l l e Sonderheit, wie viele andere Sonderheiten, die a u c h e d e l m a c h e n (NL 1880, KSA 9, 6[178]; vgl. auch NL 1880, KSA 9, 6[168]).

Nietzsches Gedanken über den Wert des Individuums, „g e g e n die GesellschaftsMoral und a b s e i t s von ihr“ (NL 1881, 11[59], KSA 9, S. 463), bewegen sich in ge-

21 Wie Ansell-Pearson hervorhebt, kann Nietzsches Position nicht als „liberal“ gekennzeichnet werden, da er nach einer tatsächlichen Bejahung des Individuums strebt und nicht nach der bloß sozialen und wirtschaftlichen Freiheit des Bürgers (laissez-faire). In einem vom Geld und von unwahrscheinlicher Gleichheit bestimmten System sei es unmöglich, dass das „souveräne Individuum“ sich behauptet. Nietzsches Position sei eher als „aristokratischer Individualismus“ zu charakterisieren, den AnsellPearson auch als „Anti-Humanismus“ bezeichnet, „wenn man unter Humanismus versteht, dass der Mensch in den Mittelpunkt des Universums gestellt und sein Wert anhand einer menschlich/moralischen Perspektive interpretiert wird“ (Ansell-Pearson 1994, S. 9ff).

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wisser Hinsicht im Einklang mit denen von Alexis de Tocqueville, den er in umfangreichen Zitaten aus einer Besprechung von John Stuart Mill kannte. Mills Rezension zu Tocquevilles Über die Demokratie in Amerika, die 1840 in der Edinburgh Review erschien und in Band 11 von John Stuart Mills’ Gesammelten Werken wiederabgedruckt wurde,22 bot Nietzsche Gelegenheit, über den unaufhaltsamen Demokratiezuwachs nachzudenken – nicht im Sinne einer besonderen Regierungsform, sondern als „Gleichheit der Verhältnisse, […] Abgang jeder Aristokratie, gleichviel ob dieselbe auf politischen Vorrechten oder auf der Ueberlegenheit an individueller Bedeutung und socialer Macht beruht“ (Mill 1840, S. 6 – von Nietzsche am Rand angestrichen). Die unwiderstehliche Tendenz zur Gleichheit der Verhältnisse – die nicht notwendig zu einer Volksregierung führt, sondern sich mehr als demokratischer Status der Gesellschaft denn in Form demokratischer Institutionen verwirklicht – ist eine schicksalhafte, ständig wachsende Bewegung, die zu schnell vonstatten geht, als dass man sie aufhalten könnte, aber nicht schnell genug, um nicht gelenkt werden zu können. Diese Bewegung hat Tocqueville zufolge großartige und gefährliche Folgen. Lässt man ihr freien Lauf, so droht die Demokratie mit ihren negativen Auswirkungen ihre besten Vorzüge und wohltätigen Ergebnisse zunichte zu machen. Zu letzteren – einige davon unbestreitbar – zählt er die Verbreitung der Bildung unter den Mittelschichten, wirtschaftliches Wachstum und die Zunahme von Tatkraft und Fleiß in den untersten Bevölkerungsschichten.23 Sind diese Ergebnisse positiver Art, so steht auf der anderen Seite jedoch die Absicht jedes Neulings, sich im öffentlichen Leben einen Weg zu bahnen, und die tatsächliche Möglichkeit, diesen Wunsch befriedigt zu sehen, was zum Aufstieg von Parvenüs der Politik und zum Mangel an echten Staatsmännern führt, die imstande

22 Ein erster Teil von M. de Tocqueville on Democracy in America war 1835 in der London Review erschienen (Juli–Januar 1835–1836, S. 85–129) und hatte Tocquevilles Zustimmung und Bewunderung gefunden; ein zweiter längerer und ambitionierterer Teil erschien 1840 in der Edinburgh Review (LXXII), zeitgleich mit der Publikation des zweiten Bandes des Werks, das Nietzsche in deutscher Übersetzung las. 23 Auch Mill scheint der Aristokratie im Übrigen eine gewisse Trägheit und Lässigkeit vorzuwerfen, die ihren Fortschritt verhindert und sie außerstande setzt, dem Vordringen der Majorität entgegenzutreten, während der fehlende Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft, wo jeder dazu bewogen ist, sich um sich selbst zu kümmern und die eigenen Interessen zu pflegen, alle zu Tätigkeit und Fleiß antreibt. Tocqueville paraphrasierend schreibt Mill: „Die Mitglieder eines demokratischen Gemeinwesens gleichen den Sandkörnern am Meeresufer, deren jedes sehr klein ist und an keinem andern haftet. Es gibt dort keine dauernden Classen und deshalb auch keinen esprit de corps, wenige ererbte Vermögen und deshalb auch wenig Sympathien für bestimmte Oertlichkeiten oder äußere Gegenstände, denen das Familiengefühl eine höhere Weihe gibt. Der einzelne Mann hat nur wenig von dem Gefühl des Zusammenhangs mit seinem Nachbar, mit seinen Vorfahren oder Nachkommen. Es gibt kaum irgend welche Bande, die zwei Männer mit einander vereinigen könnten, außer dem Allen gemeinsamen Band des Vaterlandes“ (Mill 1840, S. 37). Am Rand von Nietzsche doppelt angestrichen. Vgl. NL 1880, KSA 9, 3[98].

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wären, ein eigenes System anzuwenden und weitsichtige, ferne Ziele zu verfolgen. Mit ganz ähnlichen Sorgen blickt Nietzsche auf die fortschreitende Demokratisierung der modernen Gesellschaft, aber auch auf den Sozialismus und die anarchischen Bewegungen, die ihrerseits Abkömmlinge eines christlich-herdenmäßigen Gemütszustands sind:24 Ich nehme die demokratische Bewegung als etwas Unvermeidliches: aber als etwas, das nicht unaufhaltsam ist, sondern sich verzögern läßt. Im Großen aber nimmt die Herrschaft des Heerden-Instinkts und der Heerden-Werthschätzungen, der Epicuräismus und das Wohlwollen mit einander zu: der Mensch wird schwach, aber gut und gemüthlich (NL 1885, 34[108], KSA 11, S. 456).25

Nach Tocqueville sind die allgemeine Milderung der Sitten und der bemerkenswerte Fortschritt der modernen Zeit in Menschlichkeit und Philanthropie größtenteils eine Folge der allmählichen Entwicklung der sozialen Gleichheit, und die Lehre vom „richtig verstandenen Interesse“ scheint ihm von allen philosophischen Theorien am besten auf die Bedürfnisse der Zeit zu passen. Nietzsche zufolge sind es dagegen – in einer bedeutenden Umkehrung der Perspektive – gerade die durch den Herdeninstinkt, die Moral des Altruismus und des allgemeinen Glücks diktierten Werte, die, wie gesagt, einem ebenso illusorischen wie schädlichen Gleichheitsgefühl Nahrung geben: Je mehr das Gefühl der Einheit mit den Mitmenschen überhand nimmt, um so mehr werden die Menschen uniformirt, um so strenger werden sie alle Verschiedenheit als unmoralisch empfinden. So entsteht nothwendig der Sand der Menschheit: Alle sehr gleich, sehr klein, sehr rund, sehr verträglich, sehr langweilig. Das Christenthum und die Demokratie haben bis jetzt die Menschheit auf dem Wege zum Sande am weitesten gefahren. Ein kleines, schwaches, dämmerndes Wohlgefühlchen über Alle gleichmäßig verbreitet, ein verbessertes und auf die Spitze getriebenes Chinesenthum, das wäre das letzte Bild, welches die Menschheit bieten könnte? […] So lang, allzulang hieß es: Einer wie Alle, Einer für Alle (NL 1880, 3[98], KSA 9, S. 73).

Es fehlt also der große Mensch, der Ehrgeizige „in großem Maßstab“, dessen Ziele nicht die des „prestissimo“ sind, sondern ein langsamer Bau mit Blick auf die kom-

24 „[M]an hat die Menschheit den Satz von der Gleichheit erst religiös stammeln gelehrt, man hat ihr später eine Moral daraus gemacht: und was Wunder, daß der Mensch damit endet, ihn ernst zu nehmen, ihn p r a k t i s c h zu nehmen! will sagen politisch, demokratisch, socialistisch, entrüstungspessimistisch…“ (NL 1888, 15[30], KSA 13, S. 424). 25 Zwei Jahre später wird Nietzsche radikaler argumentieren, wenn er nachdrücklich die Notwendigkeit einer Indienstnahme der Misslungenen für die Ausbildung der charakteristischen Merkmale der Stärke unterstreicht; in dieser Perspektive ist „die A u s g l e i c h u n g des europäischen Menschen […] der große Prozeß, der nicht zu hemmen ist: man sollte ihn noch beschleunigen. Die Nothwendigkeit für eine K l u f t a u f r e i ß u n g , D i s t a n z , R a n g o r d n u n g ist damit gegeben: n i c h t die Nothwendigkeit, jenen Prozeß zu verlangsamen“ (NL 1887, 9[153], KSA 12, S. 425).

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menden Generationen. Die öffentliche Meinung mit ihrer Nivellierung des Geschmacks, der Neigungen, Ziele und Meinungen – eine wahre „Tyrannei der Majorität“, die Mill auch in seinem Aufsatz über Die Freiheit (1859)26 beklagt – steht dem Hervortreten eines solchen Menschen im Weg, ja sie fürchtet und behindert es. Dem Wachstum der demokratischen Gesellschaft entspricht folglich eine Art Atrophie des Individuums: Gegenüber der Macht der Gesellschaft empfindet der Einzelne seine persönliche Ohnmacht; mit der Angleichung der Meinungen wächst die Gefahr, jenes moralischen Mutes und jener stolzen Unabhängigkeit verlustig zu gehen, die es gestatten, nötigenfalls von den bereits beschrittenen Wegen abzugehen. Nach Mill fürchtet Tocqueville – dieser „Montesquieu unserer Zeit“ – von der Demokratie „nicht ein Uebermaß von Freiheit, sondern von allzu bereitwilliger Fügsamkeit, nicht die Anarchie, sondern die Servilität, nicht den allzu jähen Wechsel, sondern eine chinesische Erstarrung“ (Mill 1840, S. 46), Ausdrücke, die Nietzsche zu unterstreichen nicht unterlässt.27 Nietzsche teilt also die Befürchtung, dass Europa einer fortschreitenden „Chineserei“ entgegengeht, die zugleich Folge und Symptom seiner Ermattung ist.28 Er wünscht sich das Vorhandensein störender Elemente – in der Götzen-Dämmerung werden sie in der Figur des „Tschandala“ resümiert – die Europa aufzurütteln und das Neue einzuimpfen vermögen. Es handelt sich um primitive, ungestüme Kräfte, die gebändigt werden müssen; oft sind sie unverhältnismäßig und dem Untergang geweiht, aber unerlässlich, damit der heutige Typus das moralische und politische Europa am Ende nicht völlig und endgültig beherrscht.29

26 Nietzsche besaß die deutsche Übersetzung von Th. Gomperz in Bd. 1 von Mills’ Gesammelten Werken. 27 Die Hervorhebungen entsprechen Nietzsches Unterstreichungen in seinem persönlichen Exemplar. 28 „Das 20te Jahrhundert hat z w e i G e s i c h t e r: eines des Verfalls. Alle die Gründe, wodurch von nun an mächtigere und umfänglichere Seelen als es je gegeben hat (vorurtheilslosere, unmoralischere) entstehen könnten, wirken bei den schwächeren Naturen auf den Verfall hin. Es entsteht vielleicht eine Art von europäischem Chinesenthum, mit einem sanften buddhistisch-christlichen Glauben, und in der Praxis klug-epikureisch, wie es der Chinese ist – reduzirte Menschen“ (NL 1884, 25[222], KSA 11, S. 72). 29 Bekanntlich entwickelt Nietzsche eine betont gegensätzliche Dialektik zwischen dem Individuum und seiner Zugehörigkeitsgruppe. An einigen wenigen Stellen scheint der kollektive Organismus ihm jedoch als notwendig und zweckmäßig für die Geburt des Individuums zu gelten. Denn nur als Mitglied einer Gruppe oder einer Gesellschaft ist das Individuum imstande, seine eigene Emanzipation zu betreiben: „Die Gesellschaft erzieht erst das Einzelwesen, formt es zum Halb- oder Ganz-Individuum vor, sie bildet sich nicht a u s Einzelwesen, nicht aus Verträgen solcher! Sondern höchstens als Kernpunkt ist ein Individuum nöthig (ein Häuptling) und dieser auch nur im Verhältniß zu der tieferen oder höheren Stufe der Anderen ‚frei‘“; und gegen Hobbes gerichtet: „Also: der Staat unterdrückt ursprünglich nicht etwa die Individuen: diese existiren noch gar nicht! Er macht den Menschen überhaupt die Existenz möglich, als Heerdenthieren. Unsere Triebe Affekte werden uns da erst gelehrt: sie sind nichts Ursprüngliches! Es giebt keinen ‚Naturzustand‘ für sie!“ (NL 1881, 11[182], KSA 9, S. 511; vgl. auch NL

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Die gegenwärtige Richtung der öffentlichen Meinung zeigt einen charakteristischen Zug, der ganz besonders geeignet ist, sie gegen jede einigermaßen entschiedene Aeußerung der Individualität unduldsam zu machen. Die Menschen gehen ihrem großen Durchschnitt nach in ihren Neigungen eben so wenig wie in ihrer geistigen Begabung über ein sehr bescheidenes Maß hinaus; sie haben keine Geschmacksrichtungen oder Wünsche, die stark genug wären, sie zu ungewöhnlichen Handlungen zu vermögen, und folglich verstehen sie auch die nicht, bei denen dies der Fall ist, und stellen sie in eine Linie mit den wilden und maßlosen Charakteren, auf die sie herabzublicken gewohnt sind. […] es ist bereits viel für Förderung eines regelmäßigen Lebenswandels und gegen Ausschreitungen aller Art geschehen, und überall macht sich ein philanthropischer Geist bemerkbar, dem sich kein einladenderes Feld der Thätigkeit darbietet als die Sorge für die Hebung der Sittlichkeit und Verständigkeit unserer Mitmenschen […]. Ihr Ideal eines Charakters ist es, keinen ausgesprochenen Charakter zu besitzen: jeder Theil unseres Wesens, der entschieden hervortritt und die Physiognomie eines Menschen von jener der Alltagsnaturen merklich unterscheidet, soll gleich einem chinesischen Damenfuß eingezwängt und verkrüppelt werden (Mill 1859, S. 71f).

Diese Worte könnten von dem Antidemokraten Nietzsche stammen, sind hingegen die des Liberalen Stuart Mill, der seiner Sorge angesichts des Mangels an geistreichen Individuen Ausdruck verleiht. Viele von Nietzsches Überlegungen entsprechen also einem gemeinsamen Fühlen der Zeit.30 In diese Richtung geht die ausdrückliche Kritik der Götzen-Dämmerung an der alternden modernen Gesellschaft und die Kennzeichnung starker Zeiten als solcher, die über reiche positive Kräfte verfügen: „dann nämlich darf auch Viel gewagt, Viel herausgefordert, Viel auch v e r g e u d e t werden“ (GD Streifzüge 37, KSA 6, S. 137). Denn derlei Kräfte sind durch einen Überschuss von Leben geprägt und richten sich nicht auf unproduktive Übungen der Selbsterhaltung.

1881, KSA 9, 11[193]). „Alle Staaten und Gemeinden sind etwas N i e d r i g e r e s als das Individuum, aber nothwendige Arten seiner H ö h e r b i l d u n g“ (NL 1883, 7[98], KSA 10, S. 276). 30 Vgl. z.B. Tocqueville: „Der allgemeine Charakter der alten Gesellschaft war Verschiedenartigkeit: Einheit und Gleichförmigkeit war nirgends zu finden. In der modernen Gesellschaft drohen alle Dinge einander so gleich zu werden, daß die besonderen Eigenthümlichkeiten des Individuums in der Gleichförmigkeit des allgemeinen Eindruckes ganz verloren gehen. Unsere Vorfahren waren immer geneigt, einen ungebührlichen Gebrauch von der Vorstellung zu machen, daß Privatrechte geachtet werden müssen, und wir unsrerseits sind geneigt, die Idee auf die Spitze zu treiben, daß das Interesse eines Individuums hinter dem der Vielen zurückstehen muß. Die politische Welt ist umgewandelt: gegen neue Krankheiten muß man hinfort neue Heilmittel suchen. Der Action der herrschenden Macht weitgehende, aber bestimmte und unbewegliche Grenzen zu setzen, den Privatpersonen gewisse Rechte zu verleihen und ihnen den Genuß dieser Rechte zu sichern, dem Einzelnen die Behauptung derjenigen Unabhängigkeit, Kraft und Originalität, die er noch besitzt, möglich zu machen, ihn gleichzeitig mit der Gesellschaft im Allgemeinen auf eine höhere Stufe zu heben und auf derselben zu erhalten – das scheinen mir die Hauptaufgaben für den Gesetzgeber des Zeitalters, in das wir jetzt eintreten. Es scheint fast, als ob die Herrscher unserer Zeit die Menschen nur brauchen möchten, um große Dinge zu bewirken: ich wollte, sie möchten sich etwas mehr bemühen, große Männer zu schaffen“ (zitiert nach: Mill 1840, S. 49; die Hervorhebungen entsprechen Nietzsches Unterstreichungen in seinem persönlichen Exemplar).

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3. Was ist vornehm? Wenn das Problem, das Nietzsche am Herzen liegt, also die „Erhöhung des Typus Mensch“ ist, in einem der Masse und ihren Werten entgegengesetzten Sinn und mit Blick auf einen vorteilhafteren Einsatz der verfügbaren Energien, dann dürfen wir uns nicht verbergen, dass „jede Erhöhung des Typus „Mensch“ […] bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft“ war (JGB 257, KSA 5, S. 205).31 Mit dieser Feststellung beginnt das neunte Hauptstück von Jenseits von Gut und Böse, in dem Nietzsche verdeutlicht, „was vornehm ist“. Er definiert die aristokratische Gesellschaft als diejenige, „welche an eine lange Leiter der Rangordnung und Werthverschiedenheit von Mensch und Mensch glaubt“ und Sklaverei „in irgend einem Sinne“ nötig hat. Wenn ihre historische Erscheinung sich in einem tatsächlichen Kasten- und Klassenunterschied eingefleischt hat, dessen Unbarmherzigkeit er sich nicht verbirgt („Freilich: man darf sich über die Entstehungsgeschichte einer aristokratischen Gesellschaft […] keinen humanitären Täuschungen hingeben: die Wahrheit ist hart“), so scheint er dem, was die Rangordnung ausmacht, dennoch eine weiterreichende Bedeutung zu verleihen. Ein ständiger Ausblick auf das, was uns umgibt; Übung im Gehorchen und Befehlen; die Herausbildung immer umfänglicherer und fernerer Zustände: Das Pathos der Distanz gehört so sehr zum Reich des Geistes, dass Nietzsche nicht zögert, es auch als eine Übung innerhalb der Seele zu bezeichnen, ein Ausloten von Abgründen und Hierarchien in uns selbst und zwischen unseren Trieben und Vorlieben (vgl. JGB 257, KSA 5, S. 205).32 Im Übrigen sind Zwang und Aufbau, Kampf, Willkür und Gewalt stets in uns am Werk: „Über das Chaos Herr werden das man ist“ (NL 1888, 14[61], KSA 13, S. 247), dem eigenen Charakter Stil geben (FW 290, KSA 3, S. 530) – das sind Aufgaben, die ein Überwinden und Unterjochen, das Aufzwingen einer Form, ein Erringen von Siegen und ein Versklaven vorsehen (also „Sklaverei in irgend einem Sinne“). Das Pathos der Distanz ist der Wille starker, herrschender Naturen, denen es gelingt, Herr ihrer selbst zu werden, in einer Ausübung der Macht, die zugleich ein ästhetischer Schöpfungsakt ist. Es ist den starken Zeiten eigen, die die großen Spannungen in der Geschichte anerkennen und ihren Lauf mit Blick auf höhere Ziele, mit Blick auf die Zukunft lenken.

31 „Das hohe Individuum giebt sich alle die R e c h t e, welche der Staat sich erlaubt – zu tödten, zu vernichten, zu spioniren usw. Die Feigheit und das schlechte Gewissen der meisten Fürsten hat den Staat erfunden und die Phrase vom bien public. Der rechte Mann hat es immer als M i t t e l in seiner Hand benutzt, zu irgend einem Zwecke. Die Cultur ist n u r in vornehmen Culturen entstanden – und bei Einsiedlern, welche um sich Alles niederbrannten mit Verachtung“ (NL 1884, 25[261], KSA 11, S. 80). 32 Gänzlich unangemessen erscheint mir die Interpretation von Losurdo, der das Pathos der Distanz als Zeichen des Projekts einer sozialen Apartheid deutet, entworfen von einem ganz und gar politischen Nietzsche (vgl. Losurdo 2009).

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Genau das, was der Moderne fehlt. Auf die demokratischen und liberalen Einrichtungen blickend, stellt Nietzsche ihre Kosten fest und ihren miserablen Ertrag im Sinne der Ökonomie des Geistes, um die es ihm zu tun ist: „Der Werth einer Sache liegt mitunter nicht in dem, was man mit ihr erreicht, sondern in dem, was man für sie bezahlt, – was sie uns k o s t e t“ (GD Streifzüge 38, KSA 6, S. 139). Damit es Institutionen giebt, muss es eine Art Wille, Instinkt, Imperativ geben, antiliberal bis zur Bosheit: den Willen zur Tradition, zur Autorität, zur Verantwortlichkeit auf Jahrhunderte hinaus, zur Solidarität von Geschlechter-Ketten vorwärts und rückwärts in infinitum […] Der ganze Westen hat jene Instinkte nicht mehr, aus denen Institutionen wachsen, aus denen Zukunft wächst: seinem ‚modernen Geiste‘ geht vielleicht Nichts so sehr wider den Strich (GD Streifzüge 39, KSA 6, S. 141).

Die Gegenbewegung, die Umkehrung der Tendenz, die Nietzsche für notwendig hält – seine große Politik – ist der Krieg gegen das Laster (und „das Laster ist das Christenthum“). Verstanden wird das Laster als Unfähigkeit, die Lebensinstinkte zu erkennen und zu fördern und sie zur Grundlage von Bauten in großem Stil zu machen. „Umwerthung aller Werthe: das ist meine Formel für einen Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit“ (Bf. an von Seydlitz, 12.02.1888, KGB III/5, Bf. 989). Es ist ein entscheidender Moment der Veränderung unserer moralischen Horizonte, von dem an neue Entwürfe in Angriff genommen werden können, obwohl auch Nietzsche den Schmerz und die Schwierigkeit kennt, das eigene „verehrende Herz“ zu zerbrechen. Als factum brutum ausgedrückt: die erste Niederschrift meiner ‚Umwerthung aller Werthe‘ ist fertig. Die Gesammt-Conception dafür war bei weitem die längste Tortur, die ich erlebt habe, eine wirkliche Krankheit. Ihr andern ‚Erkennenden’, Ihr habt es besser, und nicht so unvernünftig! Ihr kennt die Wahrheit nicht als Etwas, das man sich Stück für Stück vom Herzen abreißt und bei dem jeder Sieg sich mit einer Niederlage rächt (Bf. an Overbeck, 13.02.1888, KSB III/5, Bf. 990).

Der Wille zur Macht als ordnende Kraft wirkt notwendigerweise, indem er unaufhörlich bewegliche Konfigurationen ins Leben ruft, in denen wir wesentlich „Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden“, Härte, Einverleibung und Aufzwingung eigener Formen erkennen. Nietzsche streitet nicht ab, dass es unheimlich33 sein kann, auf die reine Grundlage der Lebenstätigkeit zu blicken (an anderer Stelle: die „nackte

33 Zur Psychologie, die als Morphologie und Entwicklungslehre des Willens zur Macht aufgefasst wird: „Gesetzt […] Jemand nimmt gar die Affekte Hass, Neid, Habsucht, Herrschsucht als lebenbedingende Affekte, als Etwas, das im Gesammt-Haushalte des Lebens grundsätzlich und grundwesentlich vorhanden sein muss, folglich noch gesteigert werden muss, falls das Leben noch gesteigert werden soll, – der leidet an einer solchen Richtung seines Urtheils wie an einer Seekrankheit. Und doch ist auch diese Hypothese bei weitem nicht die peinlichste und fremdeste in diesem ungeheuren fast noch neuen Reiche gefährlicher Erkenntnisse: – und es giebt in der That hundert gute Gründe dafür, dass Jeder von ihm fernbleibt, der es – k a n n!“ (JGB 23, KSA 5, S. 38).

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Natur“34), aber er fordert uns auf, die Grenzen unseres Wahrnehmungshorizonts und unserer moralischen Verzerrungen zu betrachten: „Aber wozu sollte man immer gerade solche Worte gebrauchen, denen von Alters her eine verleumderische Absicht eingeprägt ist?“ (JGB 259, KSA 5, S. 207). Vielleicht weil wir „Heutige“ immer noch nicht verstehen, dass der Wille zur Macht seinen Ausgangspunkt nicht in irgendeiner Moral oder Unmoral hat, sondern in seiner Natur selbst.35 Alles Loben, Tadeln, Belohnen Strafen erscheint mir erst gerechtfertigt, wenn es als W i l l e d e r b i l d e n d e n K r a f t erscheint: also a b s o l u t losgelöst von der moralischen Frage „darf ich loben strafen?“ – m i t h i n v ö l l i g u n m o r a l i s c h. Ich lobe tadle belohne strafe, d a m i t der Mensch nach meinem Bilde sich verwandle; denn ich weiß, daß mein Loben Strafen usw. eine verwandelnde Kraft hat. (Dies vermöge der Wirkung auf Eitelkeit Ehrgeiz Furcht und alle Affekte bei dem Gelobten und Bestraften.) S o l a n g e ich noch mich selber unter das moralische Gesetz s t e l l e , d ü r f t e i c h n i c h t l o b e n u n d s t r a f e n. (NL 1884, 25[100], KSA 11, S. 34f)

Nietzsche verwendet also weniger politische Argumente als vielmehr psychologische, physiologische und moralische. Wir können im Wesentlichen mit der Hauptthese von Conway (1997) übereinstimmen, die meint, bei Nietzsche sei der „ethische Perfektionismus“ das Vehikel des „politischen Perfektionismus“, der nie mehr sei als ein bloßes Werkzeug.36

34 NL 1887, 9[75], KSA 12, 9[75]: „Eine Periode, wo die alte Maskerade und Moral-Aufputzung der Affekte Widerwillen macht: d i e n a c k t e N a t u r, wo die M a c h t - Q u a n t i t ä t e n a l s e n t s c h e i d e n d einfach zugestanden werden (als r a n g b e s t i m m e n d), wo der g r o ß e S t i l wieder auftritt, als Folge der g r o ß e n L e i d e n s c h a f t!“. In diesem Sinn definiert Nietzsche meines Erachtens in derselben Zeit seine „Stellung in politicis“ als eine, die „Probleme der Macht [sieht], des Quantums Macht gegen ein anderes Quantum. Wir glauben nicht an ein Recht, das nicht auf der Macht ruht, sich durchzusetzen: wir empfinden alle Rechte als Eroberungen“ (NL 1887, 10[53], KSA 12, S. 483). Im Zusammenhang mit seiner scharfen Kritik an der Rechtsordnung von Eugen Dühring heißt es vielmehr, dass „vom höchsten biologischen Standpunkte aus, Rechtszustände immer nur A u s n a h m e - Z u s t ä n d e sein dürfen […] Eine Rechtsordnung souverain und allgemein gedacht, nicht als Mittel im Kampf von Macht-Complexen, sondern als Mittel g e g e n allen Kampf überhaupt, etwa gemäss der Communisten-Schablone Dühring’s, dass jeder Wille jeden Willen als gleich zu nehmen habe, wäre ein l e b e n s f e i n d l i c h e s Princip, eine Zerstörerin und Auflöserin des Menschen, ein Attentat auf die Zukunft des Menschen, ein Zeichen von Ermüdung, ein Schleichweg zum Nichts. –“ (GM II 11, KSA 5, S. 313). 35 Nietzsche ist sich vollkommen darüber im Klaren, dass die Erschaffung endloser Bedeutungsketten im Laufe der Zeit, durch die Philosophie oder das gemeine Denken, die Bedeutungsverschiebung bestimmter Begriffe je nach Kontext und Funktion schwer erfassbar macht (vgl. den Fall der Strafe in GM). Meines Erachtens bleibt dies eins der dringlichsten Probleme Nietzsches, auch im Hinblick auf den Begriff des Willens zur Macht. 36 Conway spricht bezogen auf Nietzsche von einer „Mikropolitik des Widerstands“ entgegen einer „Makropolitik der Veränderung“. Die Makropolitik betrifft die „production of great individuals through the organisation of institutional resources“, während die Mikropolitik außerhalb des institutionellen Rahmens im Netzwerk des ethischen Lebens wirkt, dem sie entspringt: „[a]utochthonous folkways, tribal rituals, ethnic customs, and memory traces, familial habits and mores, hieratic regimens of diet and hygiene“ (Conway 1997, S. 48). Conway hebt die performative Dimension von Nietzsches Schriften

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4. Individualismus contra Individuum Der I n d i v i d u a l i s m ist eine bescheidene und noch unbewußte Art des ‚Willens zur Macht‘; hier scheint es dem Einzelnen schon genug, f r e i z u k o m m e n von einer Übermacht der Gesellschaft (sei diese die des Staates oder der Kirche…). Er setzt sich n i c h t a l s P e r s o n in Gegensatz, sondern bloß als Einzelner; er vertritt alle Einzelnen gegen die Gesammtheit. Das heißt: er setzt sich instinktiv g l e i c h a n m i t j e d e m E i n z e l n e n; was er erkämpft, das erkämpft er nicht sich als Person, sondern sich als E i n z e l n e r gegen die Gesammtheit. Der S o c i a l i s m ist bloß ein A g i t a t i o n s m i t t e l d e s I n d i v i d u a l i s t e n: er begreift, daß man sich, um etwas zu erreichen, zu einer Gesammtaktion organisiren muß, zu einer ‚Macht’. Aber was er will, ist nicht die Societät als Zweck des Einzelnen, sondern die Societät als M i t t e l z u r E r m ö g l i c h u n g v i e l e r E i n z e l n e n : – Das ist der Instinkt der Socialisten, über den sie sich häufig betrügen […]. Die altruistische Moral-predigt im Dienste des Individual-Egoism: eine der gewöhnlichsten Falschheiten des n e u n z e h n t e n Jahrhunderts (NL 1887, 10[82], KSA 12, S. 502f).

Dieses Fragment vom Herbst 1887, das in einem zwei Jahre zuvor verfassten eine Entsprechung findet (vgl. NL 1885, KSA 11, 40[26]), verbindet zwei scheinbar widersprüchliche Phänomene: die individualistische Tendenz und die ersehnte Gleichheit der Rechte, für die der Sozialismus eintritt. Nietzsche, der inzwischen ein klares Bild vom modernen Zustand hat („eine gesellschaftliche Rasse […], in welcher tatsächlich die Begabungen und Kräfte nicht erheblich auseinandergehn“), lässt sich nicht durch den Gegensatz täuschen. Die Forderung nach gleichen Rechten und der Individualismus schließen einander in Wahrheit nicht aus („das verstehe ich endlich“). Zwar strebt der Sozialismus nach Gleichheit, aber nach Gleichheit von äußerst verletzbaren, weil in ihrer Eitelkeit gekränkten Individuen, die sich, berücksichtigt man ihre wahren Talente und Verdienste, dennoch anmaßend geben. Schuld an diesem maßlosen Stolz, der den kleinen Mann erfasst, ist die dem Christentum zuzuschreibende verhängnisvolle „optische Gewöhnung“ dank seiner Lehre von der persönlichen Erlösung, die einem Jeden Entfaltungsmöglichkeiten einräumt und Wert verleiht („Extremste Form der G l e i c h b e r e c h t i g u n g, angeknüpft an eine optische Vergrößerung der eigenen Wichtigkeit bis ins Unsinnige …“). Wenn heute keiner mehr an diesen anthropomorphischen Hochmut glaubt, so bleibt dennoch die optische Verzerrung bestehen, wonach der Wert des Menschen in seiner Annäherung an einen idealen Menschen gesucht wird, man zu wissen vermeint, worin dieses Ideal bestehe und welches der Maßstab seiner Wünschbarkeit sei. „Zustände träumen, wo dieser v o l l k o m m e n e M e n s c h die ungeheure Zahlen-Majorität für sich hat: höher haben es auch unsere Socialisten, selbst die Herren Utilitarier, nicht gebracht“, obgleich dies nichts anderes bedeutet, als die Erwartung der Voll-

hervor und interpretiert die politischen Mittel lediglich als „semiotics of self-creation“. Vgl. auch Siemens 2001, S. 510f.

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endung jenes universellen Ziels, das einst der Ankunft des „Reichs Gottes“ zukam, ins Menschliche verlegt zu haben (vgl. NL 1887–1888, KSA 13, 11[226]). Der politische Wahn, über den ich eben so lächle, wie die Zeitgenossen über den religiösen Wahn früherer Zeiten, ist vor allem V e r w e l t l i c h u n g, Glaube an die Welt und Aus-dem-Sinn-Schlagen von ‚Jenseits‘ und ‚Hinterwelt‘. Sein Ziel ist das Wohlbefinden des flüchtigen Individuums: weshalb der Socialismus eine Frucht ist, d.h. die f l ü c h t i g e n Einzelnen wollen ihr Glück sich erobern, durch Vergesellschaftung, sie haben keinen Grund zu w a r t e n, wie die Menschen mit ewigen Seelen und ewigem Werden und zukünftigem Besserwerden (NL 1887–1888, 11[163], KSA 9, S. 504f).

Nietzsche ist stolz auf sein Wiedererkennen und Herausziehen des überlieferten Ideals, des christlichen, auch wo man mit der dogmatischen Form des Christentums abgewirtschaftet hat, das heißt in einer entchristlichten Welt, und auf seinen Kampf gegen den Sozialismus als Residuum eines latenten Christentums.37 Seine Ablehnung richtet sich gegen jedes Symptom der physiologischen Ermüdung, der Verkümmerung des Willens und der rancune, die „Revolution, moderne Idee und Niedergangs-Princip der ganzen Gesellschafts-Ordnung“ wird (AC 62, KSA 6, S. 252). Diese – vorwiegend ist sie „c h r i s t l i c h e [ s ] Dynamit“ – untergräbt die Grundlagen eines bereits anfälligen Gebäudes, das nur für die Gegenwart Gültigkeit hat. Zu einem solchen Ideal kann der Philosoph als ein „nothwendiger Mensch des Morgens und Übermorgens“ freilich nur im Widerspruch stehen.38 So spricht Nietzsche an verschiedenen Stellen von einer „neuen Aufklärung“, die dank der Entlarvung der fortgesetzten moralischen Lügen dem Körper des europäischen Menschen – in physiologicis – die Energie zurückgeben wird, die ihm entzogen wurde.39 Nur dann kann „das s o u v e r a i n e I n d i v i d u u m“ (GM II, 2, KSA 5, S. 293) entstehen – eine Figur, die sich nicht leicht in Begriffe der modernen Politikwissenschaft übersetzen lässt. Es ist nicht derjenige, der sich einfach von einer Zwangsmacht gelöst hat (sei sie staatlicher, moralischer oder religiöser Art), sondern der, der die volle Verantwortung des Zwanges auf sich nimmt, aus sich selbst und für sich selbst das eigene Gesetz schafft und sich so als erneuerte Subjektivität setzt. Nachdem Nietzsche aufgezeigt hat, mit welcher Barbarei man das schlechte Gewissen im Menschen herangebildet hat („Härte, Tyrannei, Stumpfsinn und Idiotismus“), schlägt er folglich einen neuen Begriff des Bewusstseins vor, der nicht mehr das Ergebnis einer tyrannischen Abrichtung des Tieres Mensch, sondern die reife

37 „Der moderne Socialismus will die weltliche Nebenform des Jesuitismus schaffen: J e d e r absolutes Werkzeug. Aber der Zweck ist nicht aufgefunden bisher. Wozu!“ (NL 1884, KSA 11, 25[263]). 38 Vgl. JGB 212, KSA 5, S. 145. 39 Vgl. NL 1884, KSA 11, 27[80] und 25[294]. NL 1888, 25[1], KSA 13, S. 638: „die g r o ß e Politik macht die Physiologie zur Herrin über alle anderen Fragen machen; sie will eine Macht schaffen, stark genug, die Menschheit als Ganzes und Höheres zu z ü c h t e n, mit schonungsloser Härte gegen das Entartende und Parasitische am Leben, – gegen das, was verdirbt, vergiftet, verleumdet, zu Grunde richtet…“.

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Frucht und das Ziel dieses „ungeheuren Prozesses“ ist: ein wirkliches „Individuum“, in dem das gute Gewissen des eigenen Werts und der eigenen Freiheit, „in allen Muskeln zuckend“, „in Fleisch und Blut“ übergegangen und nicht länger bloße moralische Etikette ist: Das stolze Wissen um das ausserordentliche Privilegium der Verantwortlichkeit, das Bewusstsein dieser seltenen Freiheit, dieser Macht über sich und das Geschick hat sich bei ihm bis in seine unterste Tiefe hinabgesenkt und ist zum Instinkt geworden, zum dominirenden Instinkt: – wie wird er ihn heissen, diesen dominirenden Instinkt, gesetzt, dass er ein Wort dafür bei sich nöthig hat? Aber es ist kein Zweifel: dieser souveraine Mensch heisst ihn sein Gewissen… (GM II 2, KSA 5, S. 294).

Es handelt sich also um eine „Umwertung der Werte“, die sich in physiologicis vollziehen muss. Darin besteht meines Erachtens das Ziel von Nietzsches Kampf gegen die Herdenmoral und der Ausgang seiner Großen Politik.40 Nicht mit einem vermeintlichen Anti-Humanismus haben wir es dabei zu tun, sondern mit einer Perspektive, die dem Menschen eine legitime Herrschaft über sich selbst und seine Lebensumstände und das gute Gewissen der eigenen Legitimität als Sinngeber und Interpret seiner Lebensform wiedergibt.

Literaturverzeichnis Acampora, Christa Davis (2003): „Demos Agonistes Redux: Reflections on the Streit of Political Agonism“. In: Nietzsche-Studien, Bd. 32, S. 373–89. Acampora, Christa Davis (2006): „Unlikely Illuminations: Nietzsche and Frederick Douglass on Slavery, Power, and Freedom“. In: Todd Franklin/Jacqueline Scott (Hrsg.): Critical Affinities: Reflections on the Convergence of Nietzsche and African-American Thought, New York: State University of New York Press, S. 175–202. Ansell-Pearson, Keith (1994): An Introduction to Nietzsche as Political Thinker. The Perfect Nihilist. Cambridge: Cambridge University Press. Bobbio, Norberto (1985): „Stato, potere e governo“. In: Noberto Bobbio (Hrsg): Stato, governo, società. Frammenti di un dizionario politico, Turin: Einaudi, S. 43–125. Brandes, George (1890): „Aristokratischer Radikalismus: Eine Abhandlung über Friedrich Nietzsche“. In: Deutsche Rundschau, Bd. 16/7, S. 52–89. Busch, Peter (2004): „Democratizing Nietzsche“. In: The Political Science Reviewer, Bd. 33, S. 62–89.

40 Wenn die Figur des souveränen Individuums mehr als eine Vieldeutigkeit birgt und sich in dem utopischen, auf die Zukunft verweisenden Raum des „Sollens“ ansiedelt (Franco 1996, S. 45f), dann deshalb, weil die Moderne noch vom Herdenmenschen beherrscht ist. Nietzsche muss die Übermacht des Letzteren brechen, bevor er sich neue ethische Figuren wünschen kann. In diesem Sinn ist der Kampf entscheidend, den er in Der Antichrist führt (nicht von ungefähr die gesamte Umwertung), dessen positiver Ausgang imstande wäre „die Zeitrechnung zu verändern“ und „die Geschichte der Menschheit in zwei Stücke zu brechen“.

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Overcoming Ideology, Promoting Reflexivity

1. A Nietzschean Contribution to Sociology? Almost every one of the very few studies on the relationship between Nietzsche and sociology begins with the discussion of a preliminary concern: does Nietzsche’s deprecating position towards the sociology of his time prejudice the very possibility of drawing a parallel between his thought and sociological thought? Such a consideration clearly does not concern Nietzsche’s influence on specific representatives of sociological thought in 19th and 20th century – ultimately, every thinker finds his or her sources where he or she finds them. It concerns however the possibility that a philosophy conceived as a response to the shortcomings of most of the scientific disciplines of his time could have a profound impact on sociological thought itself. In order to discuss this question and find an answer to it in Nietzsche’s thought, we must examine the strategies, goals, and analyses that could be compatible with some kind of “sociological” concern. I will show that such elements of affinity are deeply embedded in the structure of Nietzsche’s philosophy. The question of whether or not Nietzsche’s engagement with the sociology of his time can be considered as contributing to the sociological debate presupposes, however, a discussion of that engagement in itself. It requires the historical and epistemological framing that allows to appraise Nietzsche’s reception of and critical approach to 19th century sociology. In other words, we have to recognize the conditions of possibility of Nietzsche’s engagement, such as the fact that Nietzsche is aware of the existence of a sociology as a mode of inquiry, and the fact that such a sociological inquiry exists at that time. In this sense, it is important to underscore that the scientific discipline Nietzsche confronted was a newly born discipline, that of sociology, which was taking its first steps toward an epistemological definition of its

1 Since my doctoral dissertation in 2005, I have been grappling with the connections and proximities between Nietzsche’s philosophy and sociological theory. During these years, many discussions with colleagues and friends have allowed me to improve my analysis and broaden my perspective on the problem: I am especially grateful to Giuliano Campioni, Maria Cristina Fornari, Luca Lupo, Werner Stegmaier, Luca Crescenzi, Pietro Gori. I also thank the participants of the atelier on Nietzsche’s Twilight of the Idols (CCEAE, Université de Montréal, Sept.-Nov. 2011) as well as the colleagues and students attending my talks on Nietzsche’s perspectivism at the Department of Philosophy of the University of Montréal (Nov. 2011) and at the Technische Universität in Berlin (Jan. 2012) for their inspiring questions and remarks. My deepest gratitude goes to Martin Breaugh and Stephen Newman for helping me revise this text.

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own framework, aims, and methods. Hence we have to take into account how Nietzsche perceived sociology, that is to say who and what Nietzsche considered to be a “sociologist” and “sociology”. It is through this analysis that we will be able to account both for Nietzsche’s judgment on 19th century sociology, and for the epistemological meaning of such a judgment. We will be dealing with this reconstruction, in order to clarify the terms in which Nietzsche’s engagement with 19th century sociology can be considered as making a genuine contribution to the sociological debate of the time. We will begin by outlining the context and evaluating the implications of Nietzsche’s disapproval of the sociological thought of his time. Since this judgment does not exclude the existence of a purposeful sociological dimension and contribution within his philosophical thought, we will then identify the ideas, the methods, and the aims that characterize Nietzsche’s criticism. What I will suggest, then, is that Nietzsche worked through the historical, social, psychological issues that contribute to the epistemological framing of sociological inquiry.

2. Nietzsche and 19th Century Sociology: Texts Nietzsche’s main concern and polemical point with regards to the social sciences of his time has more than likely to do with the failure of sociological analysis to display a sense of complexity and multiplicity. This is for Nietzsche a major methodological and epistemological issue, which has practical consequences for the way we understand society and social phenomena, and, therefore, of imagining social measures and any form of – to use a term that can perhaps sound anachronistic – social and human “engineering” linked to Nietzsche’s late philosophy.2 The epistemological issue consists in 19th century mainstream social science’s tendency – especially in France and England – to emphasize the homogeneity of natural, social, and individual processes and structures of development, to a point where the features of biological progress and those of social progress become indistinguishable. Nietzsche’s main objection addresses the idea that biological development, i.e. evolution, and social and human progress not only run parallel, but that the latter is constitutively part of the former. He points out the implications of the confusion between the scientific idea of a natural evolution of humanity as a form of life and the idea of a morally oriented, teleological progress in human “community”, behavior, and psychology. The fallacy committed

2 I mainly refer here to Nietzsche’s reflection on the problem of Züchtung, which is directly and deeply connected to his questioning of social order, social structure, individual and social psychology, as well as physiological conditions and trends within the framework of European civilization and of 19th century Europe. See for instance TI ‘Improving’, KSA 6, pp. 98ff. For a discussion of this problem, see Wotling 2009 and Schank 2000. Sloterdijk has devoted a significant part of his last work on “anthropotechniques” to Nietzsche’s idea of shaping human form(s) of life (see Sloterdijk 2009).

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by social theorists such as Auguste Comte, Alfred Fouillée, Herbert Spencer, and John Stuart Mill,3 mainly consists in not clearly distinguishing the descriptive level from the normative level of their analysis; they assimilate a moral appraisal concerning the desirability and evolutionistic utility of some psychological features of individuals and social relationships in modern society to a general description of the evolution of modern European society. Aphorism 373 of Gay Science, entitled ‘Science’ as Prejudice, clarifies such a confusion and, in addition, traces it back to the physiological and psychological needs which produce the corresponding epistemological error. Addressing “scholars” of his time, Nietzsche stresses: “the need that makes them scholars, their inner expectations and wish that things might be s u c h a n d s u c h, their fear and hope, too soon find rest and satisfaction” (GS 373, KSA 3, p. 625). Nietzsche’s example here is Herbert Spencer, with his central idea of a “definitive reconciliation of ‘egoism and altruism’ about which he spins fables” (GS 373, KSA 3, p. 625). What Nietzsche considers problematic about this way of interpreting is that such scholars lack intellectual integrity (i.e. they are the slaves of their own needs) to the point of not admitting the possibility for things and processes to be other than how their theories describe and explain them. In other words, they do not admit the possibility for their interpretation to be nothing but an interpretation, dependent on some contingent conditions and on their specific point of view. Consequently, they project their wish and criteria for desirability on things and processes, whereas such criteria and appraisals could appear, if regarded from a different perspective, simply as contemptible and “disgusting”. Making this last remark, Nietzsche brings to light the heterogeneity between a descriptive and an evaluative framework of discussion, a heterogeneity of which Nietzsche is himself aware while formulating his own claims about modern psychology, society, and civilization. Thus, if Nietzsche is fascinated by the idea – affirmed and developed by Rée, Spencer, John Stuart Mill, Guyau, and Fouillée – of the emergence of morality, morals, and social structures from biological evolution,4 and integrates this idea in his philosophical criticism of Christian morals and Western civilization, his own speculative path leads him nonetheless toward a questioning of the epistemological and theoretical consequences of such a fundamental assumption: the confusion between

3 The catalogue of Nietzsche’s library (Campioni et al. 2002) includes the following works: by H. Spencer: 1875, Einleitung in das Studium der Sociologie, Erster und Zweiter Theil. Leipzig: F.A. Brockhaus; 1879, Die Thatsachen der Ethik. Stuttgart: E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung (in addition to this, according to Fornari 2006, p. 123, Nietzsche is very likely to have read the summary of the Principles of Sociology published by H. Marion in the Revue Philosophique. II, 1877, pp. 54–76 and pp. 505–518); by A. Fouillée: 1880, La science sociale contemporaine. Paris: Hachette; by J. Stuart Mill: 1874, Auguste Comte und der Positivismus. Leipzig: Fues; 1869, Die Freiheit. Leipzig: Fues; 1874ff, the three volumes of Vermischte Schriften, Leipzig: Fues; 1872, Die Hörigkeit der Frau. Berlin: Berggold. 4 A further discussion of this question can be found in Fornari’s instructive essay (2006), as well as in Moore 2002.

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evolutionary continuity and teleology; between adaptive transformations and progress; between adaptive processes and a form of “rationality” of evolution. Despite the attempt to liberate the analysis of social phenomena from any metaphysical or mythological presupposition, and to provide social science with a scientific foundation through the epistemological link to evolutionary theory,5 such an approach ends up accomplishing an illegitimate epistemological shift, which consists in attributing reality and therefore prescriptive power to a “narrative” molded on standards and categories of the modern Western “rationalization” of social and historical processes. Indeed, as GS 373 points out, the approach of such social scientists is based on “the faith in a world that is supposed to have its equivalent and measure in human thought, in human valuations – a ‘world of truth’ that can be grasped entirely with the help or our four-cornered little human reason”. Nietzsche’s critique of 19th century social scientists involves a second step, which is even richer in philosophical consequences. While the first objection aimed at pointing out their epistemological inconsistency, the second addresses the content of their interpretation of the social “facts” and trends, which can be observed in modern Western society. In order to understand this critique, we must now examine Nietzsche’s discussion of the positions of certain of the preeminent social scientists of his time. Although Raymond Aron (1967) credits Montesquieu with the establishment of a sociological reflection and method, the first and most influential sociologist for Nietzsche is Auguste Comte. Moreover, Comte’s positivistic foundation of social science had a great impact on sociology in 19th century and is considered as the main reference for all the other social scientists Nietzsche deals with (Spencer, Mill, Fouillée).6 Through his well-known idea of the three stages of humanity (a theological, a metaphysical, and a scientific state), Auguste Comte aimed at conceiving the history of humanity not only as a succession of facts, but as a process involving the evolution of social formations, of the corresponding human ideas and conceptions, and especially of (scientific) knowledge. As Kremer-Marietti observes (2006, p. 10), Comte’s positivism can be described as “scientific” precisely because it is based on the very idea of a progress of human knowledge in its methods and principles as permeating and informing history: thus, once it has reached its positive stage, scientific knowledge (as progressive) can serve as basis for the political, social, and moral progress of humanity. Indeed, in his Discours sur l’esprit positif (1844), Comte insists on the relativity of positive knowledge, meaning that our knowledge of facts is not only a

5 See for instance chapter 2 of Spencer’s The Study of Sociology (1873) 6 Nietzsche is perfectly aware of the indebtedness of English sociology and moral theory to Comte’s theory of the development of moral sentiments and human psychology: see for instance NL 1885, KSA 11, 35[34]. The annotation belongs to a series which specifically addresses the lack of probity in scientific knowledge, that is, as we will see, Nietzsche’s major criticism of 19th century social science.

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human phenomenon, but a social one, resulting from and depending on a collective and continuous evolution, within which all stages are necessarily connected. In this framework, the idea of scientific progress implies that human theories about facts and states of affair become increasingly able to provide an exact representation of the objects of their investigations; consequently, they improve their capacity for providing understanding of facts and states of affair as well as for predicting them – by way of the formulation of laws –, fostering the progress of human spirit. Further, in the Discourse sur l’ensemble du positivisme (1848), Comte explains how positivism, as social science, consists in a philosophy and a politics, which are inseparable and represent the basis and the goal of the same universal system. It is in this sense that, according to Comte, the first “social need”, equally oriented towards order and progress, is the “systematization” of all human thoughts. Such an ambitious philosophical project aims at creating a new and unitary moral authority for Western society, which will allow the harmonic development and organization of every human community. In what he used to call his “second career”, Comte further developed his conception of such a fundamental progressive harmonization of all human knowledge and action, on the basis of positivistic method and thought, towards what he called the “Religion of Humanity”. In his Système de politique positive Comte explains the core of his undertaking, aimed at harmonizing human affects, intelligence, and action: A chaque phase ou mode quelconque de notre existence, individuelle ou collective, on doit toujours appliquer la formule sacrée des positivistes: l’Amour pour principe, l’Ordre pour base, et le Progrès pour but. La véritable unité est donc constituée enfin par la religion de l’Humanité. Cette seule doctrine vraiment universelle peut être indifféremment caractérisée comme la religion de l’amour, la religion de l’ordre, ou la religion du progrès, suivant que l’on apprécie son aptitude morale, sa nature intellectuelle, ou sa destination active. En rapportant tout à l’Humanité, ces trois appréciations générales tendent nécessairement à se confondre. Car, l’amour cherche l’ordre et pousse au progrès; l’ordre consolide l’amour et dirige le progrès; enfin, le progrès développe l’ordre et ramène à l’amour. Ainsi conduites, l’affection, la spéculation, et l’action tendent également au service continu du Grand-Être, dont chaque individualité peut devenir un organe éternel (Comte 1852, p. 65).7

7 “At every stage or mode of our existence, individual or collective, we ought always to apply the sacred Positivist formula: Love as a Principle, Order as a Basis, and Progress as a Goal. Thus authentic unity is finally constituted by the Religion of Humanity. This only truly universal doctrine can be characterized either as the religion of love, as the religion of order, or as the religion of progress, depending on whether we appreciate its moral aptitude, its intellectual nature, or its active destination. By connecting everything to Humanity, these three general appraisals are necessarily inclined to merge. Indeed love seeks order, and order compels progress; order consolidates love and governs progress; finally, progress develops order and leads to love. Directed this way, affection, speculation and action are inclined to the consistent service of the Great Being, of which every individuality can become an eternal organ”.

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The passage is an excellent illustration of how clearly, in the second phase, ideology (which was not absent in the first phase of Comte’s reflection on social science) gets the upper hand on the epistemological project. In his essay Auguste Comte and Positivism (1865), John Stuart Mill insists on this turning point as a corruption of Comte’s epistemological rigor, where mysticism and a dogmatically nuanced spirit dominate scientific speculation. Mill’s presentation and assessment of Comte’s thought plays a crucial role within Nietzsche’s reception of the latter: it is to him the main – if not practically the only – source of information on the ensemble of the French sociologist’s system, goals, and methods. Nietzsche’s position vis-à-vis Comte’s sociology and anthropology is almost exclusively based on this background, which, in addition to this, is in itself a reflection on society and on the duties of a social science, and becomes as well the object of Nietzsche’s criticism. Both Comte and Mill are addressed, for example, in the aphorism 132 of Dawn (KSA 3, pp. 123ff), rebuking them – together with Schopenhauer – for being misled by a major moral prejudice on human nature, its evolution, and its destination.8 Despite the nominal overcoming of a religiously centered foundation of morals, such a prejudice clearly bears the mark of Christianity: there is a fundamental homogeneity between Christian anthropology and the anthropology of positivistic social science,9 on the one hand, and of evolutionary theory of morals on the other hand. Not only do they identify morality (in the sense of “das Moralische”, meaning both the moral element and what is morally praiseworthy in it) according to the criteria of Christian anthropology and theology, they also shape their description of human nature and human communities, as well as their conception of social development, in accordance with the Christian idea of human nature and criteria for morality. Hence individuals should be put, and put themselves, in the service of the general needs, of the “whole”, while there is not yet a firm agreement regarding what such a whole consist of (the State? the Nation? fraternity between peoples? economic communities? – or even Humanity according to Comte). Nietzsche shows to which extent moral and dogmatic premises affect the coherence, the plausibility, the reliability, and the conclusions of such a pseudo-scientific speculation on human evolution and historical progress; further, he also makes his reader aware of

8 A fundamental distinction regarding the method and the interrogation of the present paper is needed. Nietzsche’s readers are undoubtedly aware of the fact that the German philosopher’s major criticism of the English and French thought on society and sociology concerns the very way by which they deal with the nature, the aims, and the features of morality and morals. My paper will discuss these aspects only in connection to the more genuine sociological questions running through Nietzsche’s discussion of sociological thought. Maria Cristina Fornari (2006) has already provided us with a very accurate reconstruction of Nietzsche’s assessment on Mill’s and Spencer’s conceptions of morality and morals: her book is a central reference for the aims of this piece. 9 Nietzsche’s reference to Comte’s ideal of “vivre pour autrui” as summarizing his whole position towards morals is very likely due to the influence of Mill’s assessment of Comte’s late thought. Moreover, Mill noted that: “M. Comte is a morality-intoxicated man. Every question with him is one of morality, and no motive but that of morality is permitted” (Mill 1961 [1865], p. 139f).

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the impact of such a massive (epistemological) naiveté. Also BGE 48 and TI Skirmishes 4 stress this intrinsic proximity between Comte’s sociology and Catholicism as being a major objection against the authority of his position: Comte’s dogmatism hinders selftransparence, therefore reflection. Behind the concrete object of disagreement, an issue for the ethics of knowledge is thus at stake. The same criticism, in a very different form, is specifically directed at Comte in aphorism 542 of Dawn. Comte (here we are definitely dealing with Mill’s reading of Comte)10 is taken as the perfect example of the pernicious influence of aging on (philosophical) thought and speculation: physiological and psychological aging manifests itself in a general subordination of the aims of knowledge and scientific theorization to misleading needs, illusions, and desires for easy and immediate gratification. Such psychology leads the aging philosopher to increasingly neglect epistemological rigor and scientific procedures, and to surrender to dogmatic affirmation and self-enjoyment. This was also Mill’s main criticism of Comte’s ‘late speculation’: on the basis of a growing self-confidence, his way of stating and arguing ends up being inadequate with regard to any basic commitment to the scientific method of putting one’s own position through the test of controversy, of objections, of other points of view on the same issues and phenomena.11 According to Mill, Comte’s demand for “‘unity’ and ‘systematization’” is a very powerful source of errors and epistemological narrowness for his late thought: if one considers Mill’s plea, in the first chapter of On Liberty (1869) in favor of liberty of expression as fostering plurality and (scholarly) debate, which are the necessary conditions for the progress of knowledge and truth, the contrast with Comte’s is striking. Comte appears to be spellbound by his own systematic conception, as well as by his moralistic engagement, to the point of not being willing to engage in self-criticism and an open confrontation with further perspectives. As I have mentioned, when Nietzsche rejects the English and French sociology of his time it is mainly on account of their fundamental agreement on a sort of main-

10 The strongly critical second part of Mill’s essay (1961 [1865]), focusing on “The Later Speculation of Auguste Comte”, discusses the main shift of Comte’s conception of his own task within the frame of social science and of human progress, which led the French scholar to a kind of missionary selfmythology, to a cult of Humanity, to emphasizing feelings and affects as a source of wisdom and morality. According to Mill, this has seriously weakened the power of Comte’s method and the incisiveness of his inquiry on history and social development. Nietzsche’s portrait of the senile philosopher thoroughly follows Mill’s one, up to the point of mentioning, as Mill does, the “adulation of the woman”, meaning Comte’s relationship to and passionate idealization of Clotilde de Vaux, which had been his muse between 1844 and 1846 and gave a decisive input to the French scholar’s “second career”. See also KSA 14, p. 226 for the more explicit, preparatory version of the aphorism. 11 Mill reports (1961 [1865], part 2, pp. 127ff) that Comte’s “hygiène cérébrale” consisted in the selfimposed rule “to abstain systematically, not only from newspapers or periodical publications, even scientific, but from all reading whatever, except a few favourite poets in the ancient and modern European languages”.

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stream vision of the moral features of human nature, of the corresponding interpretation of evolution, history, and the development of social forms. It is well known that Nietzsche qualifies such a vision as Heerdenthier perspective or Heerdenmoral, etc. In an elucidatory passage of BGE, Nietzsche argues in defense of his using the words “herd” and “herd instinct” to characterize “people of ‘modern ideas’”, and he illustrates the “mechanism” producing the resistance that herd morality opposes to a pluralistic view in the field of morals: People in Europe clearly k n o w what Socrates claimed not to know, and what that famous old snake once promised to teach, – people these days “know” what is good and evil. Now it must sound harsh and strike the ear quite badly when we keep insisting on the following point: what it is that claims to know here, what glorifies itself with its praise and reproach and calls itself good is the instinct of the herd animal man, which has come to the fore, gaining and continuing to gain predominance and supremacy over the other instincts, in accordance with the growing physiological approach and approximation whose symptom it is. M o r a l i t y i n E u r o p e t h e s e d a y s i s t h e m o r a l i t y o f h e r d a n i m a l s: – and therefore, as we understand things, it is only one type of human morality beside which, before which, and after which many other (and especially h i g h e r) moralities are or should be possible. But this morality fights tooth and nail against such a “possibility” and such a “should”: it stubbornly and ruthlessly declares “I am morality itself and nothing else is moral!” (BGE 202, KSA 5, p. 124).

Such a view is uniformly expressed in the claims of anarchists, democrats, ideologists of revolution, “silly philosophasters and brotherhood enthusiasts who call themselves socialists”, all united in their refusing privileges and special rights, in their “religion of pity, in sympathy for whatever feels, lives, suffers” (BGE 202, KSA 5, p. 125) and so forth. When Nietzsche opposes a different interpretation – precisely centered on the criticism of the idea of “herd” and on the idea of the variety and hierarchy of (moral, psychological, physiological) types12 – to such a mainstream one, it is also, I would argue, on the basis of a preliminary, genuine epistemological step he undertakes with regards to moral theory and social science of his time. This first step, as we have mentioned, consists namely in contesting the authority and the consistency of the mainstream view by reason of its too self-confident coherence, that is its refusal of taking into account the epistemological possibility of other interpretations (and of other forms of morality). Since this refusal is a symptom of exhaustion, of consumption, and thus represents a self-protection strategy of a specific type of human being, it can undoubtedly be regarded as an obstacle to the development of new mindsets and corresponding forms of life. This is, though, a general objection to a whole epoch, to the specific issues of Western civilization: within the framework of this general objection, which almost identifies Nietzsche’s late philosophy, an ad homines objection can be distinguished, addressing the epistemological and ethical position of those

12 See for instance BGE 203, 212 and 242.

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who are expected to analyze and interpret social phenomena (including the one Nietzsche is discussing). The scientific perspective of such scholars is biased not only with regards to the “meaning” (for instance: progress, moralization, triumph of altruism over egoism)13 they attribute to human development and history (as well as to other specific social facts and processes), but first of all with regards to the methods and to the epistemological premises of their inquiries (whereas all these failures are obviously grounded, according to Nietzsche, on the same fundamental needs). Let us examine some examples of this criticism, focusing on the epistemological paradigm of modern 19th century social science. Similarly to Dawn 132, we have already seen that the aphorism 373 of Gay Science, entitled “Science as Prejudice”, deals with the scientific myopia of modern scholars. Nietzsche argues, as in many other texts, that their belonging to “intellectual middle class” prevents them from “catch[ing] sight of the truly g r e a t problems and question marks” (KSA 3, p. 624).14 Then, however, he explains where they go wrong: they take their own (“scientific”) vision of the world as the one grasping the “world of truth”, that is to say they consider the world as being the exact referent of their theories, perfectly intelligible by reason of the correspondence between reality and its (rational) formalization (KSA 3, p. 624). Thus, Spencer presents as a scientific description of the world what is in fact the focus of his personal hope (namely “the definitive reconciliation of ‘egoism and altruism’”).15 Nietzsche’s objection is very consequential: “but t h a t he had to view as his highest hope what to others counts and should count only as a disgusting possibility is a question mark that Spencer would have been unable to foresee” (GS 373, KSA 3, p. 625). As in Comte’s example, personal needs and commitments do not simply hinder the articulation of further scientific explanation or interpretation: they also hinder the capacity for conceiving the possibility of further interpretations. In other words, such scholars lack in reflexivity, in the capacity of questioning the very conditions of possibility of their view, and in this sense of separating the descriptive from the prescriptive dimension of their speculation. In this respect, epistemological and physio-psychological powerfulness are internally linked. The attitude which I just have defined as “reflexivity” – a term not found in Nietzsche’s vocabulary – corresponds to what Nietzsche sees and identifies as the commitment to the idea of epistemological perspectivism: the reflexive integration, in

13 Comte, Mill, and Spencer all agree on the idea that such a triumph is historical (and biological) development. In his general disapproval of Comte’s late speculation, Mill praises the French sociologist on this point (1961 [1865], pp. 145f). Nietzsche identifies with this idea the core Spencer’s position: see for instance GS 373, KSA 3, pp. 624ff; TI Skirmishes 37, KSA 6, pp. 136ff; EH Destiny 4, KSA 6, pp. 367ff where Nietzsche puts forward his philosophical criticism to this theory of humanity. See also Nietzsche’s annotations on Alfred Fouillée and the “Zukunfts-Sociologen” in NL 1887–1888, KSA 13, 11[137]. 14 See for instance BGE 253, KSA 5, pp. 196ff, specifically focusing on the English “mediocre minds” such as Darwin, Mill, and Spencer. See also NL 1887–1888, KSA 13, 11[127], on John Stuart Mill. 15 See also NL 1885, KSA 11, 35[31].

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one’s (scientific) vision and practice of knowledge, of the awareness of the partial, provisional, determined character of one’s vision of things, as well as of every vision, interpretation, theory of the world which is assumed to be the case. Such an attitude implies a further step, having some major ethical implications: to recognize, reflect, accept, and affirm that one’s vision of things – as any other – is conditioned by one’s form of life, i.e. has particular (and transitory) conditions of possibility, the awareness of which represents a main premise of intellectual probity and epistemological honesty. By doing this, it becomes possible to acknowledge that one’s perspective (vision, theory) is not only descriptive, but necessarily prescriptive: it expresses namely the specific evaluations, biases, and peculiarities of one’s individuated form of life. Failing to (or, which is the same in Nietzschean terms, not being able to) accomplish such an epistemological (and ethical) step, the scholars that Nietzsche criticizes cannot recognize their perspective as a perspective, that is admit the possibility of further interpretations of the same “facts” (GS 374, KSA 3, pp. 626f); and consequently mistake prescription for description within their speculation. Arguing against Mill’s idea of justice and equity,16 which seems to aim at grounding interaction on a form of reciprocity (“Gegenseitigkeit der Leistung”) that presupposes the equivalence of the value of individual actions, Nietzsche points out a telling example of such a distorted view. Despite his defense of individuality, Mill’s theory, according to Nietzsche, annihilates any radical difference between individuals, inasmuch as it assumes that an equivalence (and thus a reciprocal compensation) between actions is possible, i.e. that everyone is capable of actions having a value which is equivalent to the value of others’ actions. Produced by the “unaristocratic” element in Mill’s speculation, his assumptions entail and promote a specific anthropology and a corresponding morality: Mill overlooks the historical character of the ideal of man, of the social criteria, and of the attributions he takes for granted and for natural. In other words, he overlooks the conditioned, determined, “situated” character of his own ideas and interpretative categories, which depends on a specific vision of human life etc. (NL 1887–1888, KSA 13, 11[127]). The self-affirmation of a certain “T y p u s M e n s c h”, the expression of the “I n s t i n k t d e r H e e r d e”, becomes a social ideal, and also forges the criteria for describing and illustrating the structures of social phenomena as such (NL 1888, 22[1], KSA 13, p. 583); see also BGE 228, KSA 5, pp. 163ff).17 In this sense it can be claimed, as W. Müller-Lauter does, that Nietzsche

16 For a further discussion of Nietzsche’s confrontation with Mill and Spencer on this question, see Fornari 2006. 17 In his lectures on pragmatism, Hilary Putnam gives an excellent example of the epistemological impact of perceiving the distinction Nietzsche also points out: “it is probable that ‘feeling sorry’ for someone else under some circumstances is a biologically innate capacity, but ‘being a compassionate individual’ is not a possibility in the absence of a culture which classifies human behaviors under such rubrics, and which shares he evaluations implied by such rubrics” (Putnam 1995, p. 17). See for example TI Skirmishes 35, KSA 6, pp. 133f for a similar interpretation of altruism.

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understands sociology as a relationship to society, which has no self-understanding (in Baier 1981–1882, p. 23). A similar criticism can be found in the crucial paragraph of Genealogy of Morals (GM II 12), where Nietzsche pleads, against the naiveté of the “previous genealogists of morals” (KSA 5, p. 313), in favor of the use of “historical methodology” (KSA 5, p. 315) in order to grasp the distance between the origin and utility of a certain thing, and its actual use in and meaning for a system of purposes. According to Nietzsche, such a historical methodology provide an understanding of the dynamics, the articulations, and the “generativity” of the will to power, which is “the essence of life” (KSA 5, p. 316): it allows us to see plural genealogies, to connect processes, to appreciate power relations, which entail conflicts between attributions of value and, as such, change the “meaning” of things, institutions, ideas, and so forth (here the example is punishment). Again Herbert Spencer’s concepts are exemplary of the way in which a fundamental Misarchismus has transformed itself into a scientific approach (whose pattern can be seen as evolutionist), focusing on “adaptation” and reactivity – instead of on the “activity” of life – and interpreting also all human phenomena through this bias. For the aim of my argument, the main point of interest is precisely how Nietzsche focuses on the connection between the scientific approach, corresponding categories, vision (or interpretation) of things, and evaluations, which such a pattern necessarily entails. Nietzsche’s approach instead is expected to provide a better understanding of complexity and heterogeneity, and this on the basis of some specific epistemological assumptions, such as the very famous one, presented in GM II 13, according to which only something which has no history can be defined. This means, on the one hand, that if historical development and the progress of knowledge increase the intelligibility of phenomena, they do not do it the way Comte’s positivism expected them to;18 on the other hand, that understanding social phenomena and social change does not only consist in reconstructing evolutionary linearities structured by causal connections, as in the Spencerian approach.

18 Just to give an example of the application of the Comtian method of speculation, A. Fouillée, seeking to reconcile contractualist theory and evolutionary theory of society, claims in the concluding remarks of his essay on contemporary social science: “ce n’est pas assez d’appeler le monde un vaste organisme où tout conspire et sympathise […]; on peut conjecturer encore, selon nous, que c’est un organisme social ou tendant à devenir social; en d’autres termes, l’état social est la fin à laquelle semble tendre naturellement le monde, sans que cette fin lui soit imposée du dehors [It is not enough to call the world a vast organism within which everything conspires and sympathizes […]; we can further speculate, we believe, that it is a social organism, or an organisms inclined to become social; in other terms, the social stage is the ends towards which the world seems to naturally tend, without this ends being imposed from the exterior]”. There is a fundamental identity of biological and sociological laws (Fouillée 1880, p. 412), so that sociology and cosmology converge in a synthesis: society is a biological microcosm, whereas the world can be said to be a social macrocosm.

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The pivotal aphorism 345 of Gay Science that focuses on “Morality as a problem” details another such epistemological distinction: with regard to the scientific inquiry on morality, Nietzsche claims that nobody is to be found, “who has ventured a c r i t i q u e of moral valuations” (KSA 3, p. 578). Then he points out the difference between the goals and the method of a “h i s t o r y o f o r i g i n s of these feelings and valuations” and those of a “critique” and of “a history of ethical systems” (KSA 3, p. 578). Finally, he clarifies the aim of such differentiation by criticizing “these historians of morality (particularly, the Englishmen)” – the reference to Spencer and Mill in primis is evident –, whose “usual mistaken premise” is either that they affirm some consensus among peoples, at least among tame peoples, concerning certain moral principles, and then conclude that these principles must be unconditionally binding also for you and me – or, conversely, [that] they see that among different peoples moral valuations are n e c e s s a r i l y different and infer from this that no morality is binding (KSA 3, p. 579).

Further, the “more subtle among them” mistake their criticism of “possibly foolish opinions of a people about their morality, or of humanity about all human morality”, for a critique of “morality itself” (KSA 3, p. 579). Again the epistemological shift concerns the status of criteria and categories of the scientific analysis: here, more specifically, it concerns the status of moral valuations with regard to the premises guiding the inquiry on the one hand, and the relationship between moral valuations and critical inquiry on morality on the other hand.19 This leads us to the much commentated passage of Twilight of the Idols where Nietzsche summarizes his position towards social scientists:20 My objection to the whole of English and French sociology remains the fact that it knows by experience only the s t r u c t u r e s o f d e c a y [Verfalls-Gebilde] in society and, in all innocence, takes its own instincts for decay as the n o r m for sociological value judgments. D e c l i n i n g life, the waning of any organization energy, i.e. any dividing, gulf-opening, sub- and superordinating energy, is formulated by today’s sociology into an i d e a l… (TI Skirmishes 37, KSA 6, p. 138).

The interpretation and the meaning of the increasing moralization of modern European society are here at stake: Nietzsche gives a brilliant example of how to read and to

19 It is in this regard that, within the framework of his genuine critical analysis of moral systems in Twilight of the Idols, Nietzsche clarifies: “Moral judgment pertains, like religious judgment, to a level of ignorance on which the very concept of the real, the distinction between the real and the imaginary, is still lacking […]. In this respect moral judgment should never be taken litterally: as such it is only ever an absurdity. But as a s e m i o t i c s it remains inestimable: it reveals, at least to anyone who knows, the most valuable realities of cultures and interiorities which did not know enough to ‘understand’ themselves. Morality is merely sign language, merely symptomatology: you must already know w h a t is going on in order to profit by it” (TI Improvers 1, KSA 6, p. 98). 20 Again Spencer is mentioned: “Our socialists are d é c a d e n t s, but Mr. Herbert Spencer is also a décadent – he sees the triumph of altruism as desirable!…” (TI Skirmishes 37, KSA 6, p. 139).

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evaluate as a process of decay that which all his opponents interpret as a progress and a fulfillment of the human natural tendency towards moral good. The question, here, does not really seem to be who is right and who is wrong: as already shown concerning other texts, the sociologists are criticized for not putting their epistemological and axiological categories to the test of other possible – and consistent – ways of analyzing and interpreting what they see and analyze. Their “only” reference, in describing as well as in evaluating states of affairs, are the ideals of the type of human being, of the society, and of the epoch they are themselves born of: décadence ideals they simply cannot get rid of, and which affect their way of carrying out scientific research.21 Against my insistence on the primacy of the epistemological concern within Nietzsche’s rejection of the sociology of his time, it could be argued that Nietzsche only pleads for an opposite interpretation of social phenomena, one which supports his own philosophical view and aims (focusing on the idea of life as will to power, on the fundamental character of hierarchy, etc.). Indeed, it cannot be denied that, with regards to what I have dared to call “social engineering”, Nietzsche and the social scientists he is confronted with, speak, so to say, almost the same language.22 The general self-understanding of 19th sociology was that of scientific research on social phenomena as the basis and the guide for social reformation. As Foucault will put it some decades later, a main bio-political concern comes through 19th century Europe: population growth, criminality, economic relations, work organization, social justice, morality in social interaction (even from a psychological point of view), are among the most discussed issues.23 It would be reductive, though, to consider Nietzsche’s undertaking as if it were just seeking to replace one ideology with another. His aim is, first of all, to denounce the ideological character of an interpretational activity whose scientific criteria are still linked to a metaphysical attitude.24 Perspectivism, as well as 21 See also NL 1888, KSA 13, 14[6] and especially 14[40]. 22 Just to offer a few examples among Nietzsche’s references: one of A. Comte’s first works is entitled Plan des travaux scientifiques nécessaires pour réorganiser la société (1822), and could be considered as sketching at least a desideratum for all his further production. As Kremer-Marietti observes, Comte’s project consists in reforming society through a foundation of politics as a social science (see KremerMarietti 2006, pp. 10f); Ch. Féré’s Dégénérescence et criminalité (1888) deals with the possible contribution of social and medical science to social management (even towards some kind of “eugenics”) of criminality and deviance – and so forth. 23 Nietzsche was familiar with the theories of Cesare Lombroso, and especially with Charles Féré’s Dégénérescence et criminalité (1888), as documented by the studies of Wahrig-Schmidt (1988) and Lampl (1986). Féré’s essay offered indeed the materials and the categories for a more comprehensive interpretation of décadence as a phenomenon affecting the social organism in general, and, as a specifically modern phenomenon, as entailed by the increasing complexity of society – that is by “progress” in itself. 24 It is interesting to note that Nietzsche’s rejection of some of H. Spencer’s claims in NL 1887–1888, KSA 12, 10[147] and NL 1888, KSA 13, 14[48], is based on Mill’s criticism. In his essay on Comte, Mill refers to Spencer’s epistemological claims as proof of the persistence of the “metaphysical mode of

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the hypothesis of will to power within the epistemological framework of perspectivism (see for instance the famous conclusion of BGE 22) are fundamentally anti-ideological assumptions before being a matrix for specific value appraisals. Nietzsche certainly rebukes the sociologists of his epoch for what they specifically affirm, but he primarily rejects how they do it: the attitude of excessive self-confidence in establishing causal connections and in identifying the origins of some social facts or institutions (for example punishment or altruism), an attitude which appears as anti-scientific par excellence (see also BGE 228). The conscious practice of perspectivism, for which I have used the non Nietzschean term of reflexivity, seems to represent, in this sense, the antidote to the major ideological temptation of modern scholars (Nietzsche refers to “all modern ideology and herd desires”; BGE 44, KSA 5, p. 62).

3. Nietzsche and 19th Century Sociology: Some Critical Assessments Before discussing the epistemological potential, for sociological reflection in general, of Nietzsche’s confrontation with the sociology of his time, we will briefly review – and with a eye on the purpose of the present paper – some of the main scholarly contributions on this question. The principle merit of Horst Baier’s paper on Nietzsche and sociology (1981f) is that it addresses questions largely neglected by the scholarly literature on Nietzsche: Nietzsche’s self-positioning towards the sociology of his time (which he considers as a “science of décadence resulting from décadence”); Nietzsche’s own appraisal of modern social development (primarily concerning, according to Baier, the triangular relationship between State, individual, and society25) the status of what Baier calls “positive Gegen-Soziologie”, revolving around the idea of “die Schaukelbewegung vom sinkenden und steigenden Leben als triadische Struktur von Gesellschaft, Staat und höherem Menschen im Fluß des Lebenprozesses” (Baier 1981f, p. 18). Baier observes, though, that Nietzsche’s often quoted idea of transforming – or replacing – sociology, such as it was theorized and practiced at that time, into a “Lehre […] der Herrschaftsgebilde” (NL 1887, 5[61], KSA 12, p. 208), remains a desideratum, a promise, for us, better yet, just “Notizen” (indeed Nietzsche doesn’t mention such a project in his published works). In the discussion

thought” in higher philosophy (Mill 1961 [1865], p. 73). The source of Nietzsche’s fragment was discovered by M.C. Fornari 1993. 25 A very good example can be found in TI Skirmishes 39, discussing the status of individuals towards modern institutions (the example is that of free – or ‘love’ – marriage vs. traditional marriage). I will come back to this text in my concluding remarks.

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following his paper,26 Baier observes that a clarification of the question concerning how Nietzsche sees society is mandatory in order to evaluate his influence on sociology (Baier 1981f, p. 25), and W. Müller-Lauter stresses, in this framework, the potential of Nietzsche’s new “gedankliche Möglichkeiten” for a new foundation of sociology (in Baier 1981f, p. 23). A remark made by G. Abel on Baier’s argument seems to me to be the most consequential: that, before being able to found a “new” or an “anti”-sociology based on the idea of Herrschaftsgebilde, Nietzsche had to carry out a major undertaking, namely the critique of both the idea of universal history and the teleological conception of history (Baier 1981f, p. 28). In other words, the descriptive task of sociology has to be anchored to a different concept of scientific description of social phenomena than the one that was represented by the sociologists that Nietzsche criticizes.27 According to Baier, it is a fact that Marx and Nietzsche raised the main issues that historical sociology deals with, although Nietzsche’s influence had not been properly recognized and studied yet (Baier 1981f, p. 32). In his remarkable historical and speculative contribution on the relationship of Max Weber’s sociology to Nietzsche’s philosophy (and “sociology”), Fleischmann (1964) claimed the same, reconstructing the Nietzschean roots not only of Weber’s main ideas, but especially of his whole epistemological approach.28 The state of the art has significantly changed, though, since Runciman has explicitly posed the question concerning the status of Nietzsche’s speculation about sociology and social phenomena in the following terms: “Can There Be a Nietzschean Sociology?” (2000). Runciman’s inquiry aims at clarifying “what sort of sociology do we get if we (sociologists, that is) take Nietzsche’s arguments about human history and psychology as seriously as we can” (Runciman 2000, p. 3).29 Through a very stimulating discussion, Runciman argues that Nietzsche, through his denunciation of the necessity for (social) science of becoming aware of the impossibility of universal (scientific) truth, articulates a form of “sociology of sociology” (which is, as such, sociology), and replaces

26 The 1981f issue of Nietzsche-Studien (vol. 10/11) contains the papers presented at the NietzscheTagung auf Schloß Reisenburg bei Ulm (September 1980). 27 I make the same argument in the discussion above. 28 See Fleischmann 2001 [1964], p. 272: “À notre avis il n’est pas impossible que l’interprétation de la pensée wébérienne comme incarnation concrète des considérations abstraites de Nietzsche, loin de rendre l’œuvre de Weber moins intéressante, lui donne au contraire une vitalité nouvelle [We believe that it is not impossible that interpreting Weber’s thought as a concrete incarnation of Nietzsche’s abstract considerations, does not make Weber’s work less interesting, on the contrary it provides it with a new vitality].” 29 Runciman characterizes a Nietzschean sociology through four main propositions: will to power is 1) driving force of history and 2) expresses itself differently in different epochs and social contexts; 3) these two propositions “apply to the explanation of human beings’ own attempts to explain their history and impose their chosen explanation on one another”; 4) these three propositions are produced by a certain configuration of will to power and must be assessed as such (Runciman 2000, p. 9).

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“encyclopaedic professorial treatise on human history and psychology” with “collections of aphorisms” (Runciman 2000, p. 10), which “are only incidentally and in part hypotheses of cause and effect” and “are more descriptive than they are explanatory” (Runciman 2000, p. 12). His conclusion, though, is that Nietzsche and those “encyclopaedic professors” mirror each other, since Nietzsche’s sociology of sociology (as Lehre der Herrschaftsgebilde) must undergo the same restrictions that it imposes to the latters’ theories (Runciman 2000, p. 18). An accurate assessment of Nietzsche’s influence on early Austrian and German sociology (especially Max Weber, Ferdinand Tönnies, Rosa Mayreder, and Alfred Weber) has been recently provided by SolmsLaubach (2007). In the first chapter of his study, Solms-Laubach (2007) discusses such a view of the conditions of possibility and of the features of a Nietzschean sociology.30 A similar challenge is found in R. Häußling’s (2000) inquiry on the complex “Wechselbezüge”, and the possibility of a dialogue between Nietzsche and sociology as such. Focusing on the idea of Übermensch as mainly anti-sociological and as producing, consequently, vigorous reactions within the sociological tradition which dealt with it (for instance Ferdinand Tönnies, Georg Simmel, Max Weber, Max Scheler), this ambitious study sought to investigate the sociological dimension of the characterizing aspects of Nietzsche’s thought.

4. Nietzsche’s Contribution to the Reflexivity of Sociological Theory It seems to me that all the aforementioned investigations show that the appraisal and the study of Nietzsche’s rejection of the sociology of his time must be linked to that of the epistemological potential that his criticism can exert within the framework of an undertaking such as that of a sociology striving for reflexivity. The debate that I have evoked is mainly concerned with the status of propositions (critical as well as descriptive and prescriptive) issued from an epistemological framework, whose first aim is the dismissal of the possibility for either a theory or a perspective to have a universal, i.e. decontextualized epistemological value. As I have observed above, such a restriction must apply to Nietzsche’s claims as well – and Nietzsche is aware of this. In other words, such a restriction must contain, with regard to its epistemological framework, a reflexive movement, which, I believe, is meant to be and might be of advantage for scientific knowledge and especially for the inquiry on social phenome-

30 Solms-Laubach argues that at least some of the most representative authors of the early Austrian and German sociology – such as Max Weber – already were Nietzschean: “Nietzsche’s writings clearly were at some point regarded and, for various reasons, should certainly still be considered part of this particular ‘ideological’, ‘metaphorical’ and ‘temporal’ framework on which sociology was built” (Solms-Laubau 2007, XX).

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na. If – this being the link between perspectivism and “will to power” hypothesis – every perspective, concept, idea, value, and so forth, is not only conditioned, but (as such) produced by the complex articulations and dynamics of life’s striving for empowerment and self-affirmation (of the plurality of wills to power, we could also say), and if every stage of the self-comprehension and of the self-appraisal of such a dynamic process is also conditioned, transitory, processual (for instance, sociology, as well as the hypothesis of will to power and Nietzsche’s philosophy), then the epistemological validity of a theory (including that revolving around the idea of will to power) is limited to its being part of the history of human forms of self-understanding. In other words, within a Nietzschean framework the way of formulating hypotheses and interpretations, and not only the specific content of the hypothesis, is ethically-epistemologically binding (namely: formulating hypotheses in the full awareness of their being interpretations.31) The hypothesis of will to power – to take one of Nietzsche’s most popular ideas – is one way of descriptively linking biological, historical, and psychological processes to one another, but its (purposeful) epistemological advantage is that of leaving room for plurality, diversity, and complexity with regard to the specific activity of producing descriptive hypothesis concerning that link. The difference is made, I believe, by the dismissal of the metaphysical difference between true world and illusionary world, and by its epistemological consequences (regarding, for instance, the opposition objective/subjective, the status of “subject”32 etc.). On the path which made the “true world” become a “fable” (TI Fable, KSA 6, pp. 80f), positivism is only at stage four out of six: the complete liberation from the metaphysical ghost of truth is still to come.33 It is in this sense that I have stressed Nietzsche’s rejection of the ideological character of the sociology of his time. And it is in this sense that I would argue against Karl Brose’s conclusion (1977, p. 251), according to which Nietzsche’s criticism of Comte would be unfair, on account of the latter’s “strenge wissenschaftliche Methode” and of his avoiding metaphysical speculation. Then from Nietzsche’s standpoint positivism still is metaphysical, or at least captive in a residual metaphysical need of “something” to replace “the old God” (BGE 10, KSA 5, p. 23). If Comte, as Raymond Aron (1967, pp. 79ff) puts it, is the sociologist of human and social unity, of the unity of human history, one could say that Nietzsche’s critical position encourages sociology to move towards an understanding of the social and of the historical as “total” and systemical-

31 It would be incorrect to say: “just interpretations”, as if the “just” were a restriction which applies to interpretations as opposed to something else having a different epistemological status. There is nothing outside our interpreting we could somehow point at. 32 See for instance TI Reason 5, KSA 6, pp. 77f. 33 This is also why, as Nietzsche clearly points out in BGE 204 and 210, the positivistic conception of philosophy does not correspond to his one, which refuses to restrain itself to epistemology and critical science: “facts” cannot be the touchstone for objective knowledge, because there are no such “facts” without a vision of them, and, consequently, an affirmation of values.

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ly diversified, rather than unitary.34 The ideology of a teleological unity (also known as progress) is very likely to overlook the hermeneutic character of its own qualitative appraisals, together with the limits of every qualitative appraisal: in a word, it is likely to disregard the difference between social science and morals.35 I have insisted above on the fact that Nietzsche urges sociology – as a science – to a sort of reflexive turn. According to Nietzsche’s criticism, 19th century sociology fails to provide an appropriate understanding of the status of individuals, which also means, I believe, of the status of individual values, perspectives, as well as of theories (such as sociological theories). In other words, 19th century sociology is unable to conceive its own view (and “narrative”) as a part of historical and social development without conceiving it as disclosing the meaning and the unique principle of such a development. Hence, it provides neither room nor tools for grasping diversity, the plurality of values, their different genealogies, and the relationships between concurring (scientific) perspectives and values. If 19th sociology was about sketching a way of linking psychic, social, and historical processes to one another, Nietzsche exhorts sociologists to carry out such a task in an epistemological framework which is perspectivistic – that is, which requires and entails a deeply reflexive dimension for knowledge. In this respect, thus, I am sympathetic with Aspers’ definition of the Nietzschean position towards the epistemological status of social science: “Nietzsche regards the social domain in particular as socially constructed, though the body and its organs may resist. One may therefore talk of a radical social constructivism, which I call socio-ontology, that is, a man-made ontology that acknowledges the researcher as coconstructor” (Aspers 2007, p. 494). From the standpoint of a non-sociologist, Nietzsche raises issues that have a sociological impact such that their discussion can be profitable for producing the epistemological conditions for reflexivity. Aspers draws a connection to the constructivist approach of scholars such as Berger and Luckmann, as well as Pierre Bourdieu, and to Max Weber’s conception of the relationship between social phenomena and epistemological set. We can also include the name of Michel Foucault and that of Norbert Elias.36 According to these scholars, sociology should be reflexive, in the sense that it should pay attention to the constructed 34 According to Fornari 2006, pp. 144f, for instance, Nietzsche’s reaction to the position of Spencer and of Mill consists in rejecting the idea of an aim for progress as well as for humanity, that he dismisses together with the idea of the biological and evolutionary utility of human instinctual apparatus – whose configuration is, in Nietzsche’s view, governed by chance and by a tendency to dissipation which characterizes life. 35 See Heinich 2006 for a discussion of the role of values in contemporary sociology, as well as of the persistency of the abovementioned confusion. 36 For a confrontation of Nietzsche’s and Elias’ thought with regard to their understanding of the correlation between power configurations, individual self-shaping, and self-comprehension, see Piazzesi 2010. On Nietzsche and Elias, more generally, see Häußling 2010, as well as all the contributions in Günther, Holzer and Müller 2010.

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character of social tools for self-comprehension, that is, more specifically, to the link between knowledge and power configurations (or at least between knowledge and other social activities entailing some kind of unequal distribution of resources on the one hand, and reflexivity on the other hand). Socially engendered tools, such as conscious, autonomous subjectivity,37 as well as the “sense” for individuality, are not simply “functions” of the social (and human) development: they retroact on society, better yet on social and historical processes, and on institutions, creating “evolutionary” paths which are multiple, complex, and divergent (see also BGE 228). Nietzsche gives a very good example of such a vision in TI Skirmishes 39, which deals with the social implications of modern rejection, on the basis of individual freedom, of authority and especially of the authority of traditional institutions (here, traditional marriage vs. modern love-marriage). Individual freedom, together with the modern impetus to autonomy, produce subjects that are expected, and expect themselves, to assume responsibility for their commitment to values and institutions (e.g. to their marriage), rather than to submit themselves blindly to institutional authority (e.g. to marriage). Such a configuration entails several consequences. First, it engenders for the individuals conflicting commitments and corresponding moral sentiments. On a social dimension, secondly, it leads to a change in institutional functions and structures on the basis of an increasing diversity.38 Thirdly, it entails, on a sociological dimension, the necessity of articulating the appropriate categories for perceiving such transformations and fostering a corresponding self-comprehension for society. In this respect, what Nietzsche points out is the need for sociological tools to grasp social change and increasing social differentiation. Finally, from his “interested” standpoint (which implies the perspectivistic awareness of such an “interest”), the philosopher (better yet, Nietzsche) can draw the consequences of the observed shift – consequences which entail a value appraisal of the latter (see BGE 204). To a certain extent, Nietzsche’s idea of the nature, of the task, and of the ethics of knowledge is analogous to the epistemological and ethical framework traced – in a genuine Nietzschean spirit, Fleischmann observes (1964) – by Max Weber in his seminal contribution on science as vocation (1919). Weber depicts science, as well as methodological reflection and philosophy, as providing not only epistemological, but ethical clarity, i.e. coherence and a sense of responsibility, by making us aware of the consequences of choosing this or that position (interpretation, perspective). In this

37 See for instance Elias 1987, Foucault 1975. As for Nietzsche, see especially GM II 2, KSA 5, pp. 293f. 38 Nietzsche underscores the functional connection between the stability of instituted marital hierarchy and social stability in general: the link consists in the canalization of some basic drives (“the sexual drive”, “the drive to own”, “the d r i v e t o r u l e”) toward an “instinctual solidarity between centuries”, to be realized by the conservation and reproduction of family power and achievements (TI Skirmishes 39, KSA 6, pp. 140ff). The institution traditional marriage embodies a certain form of social reflexivity concerning the self-reproduction of society, whereas love marriage, as I have already pointed out, manifests a different articulation of individual commitment with regard to social stability.

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sense, science has to be fundamentally anti-ideological – as Nietzsche also pointed out. And one could say that the way of achieving such an anti-ideological attitude is committing oneself to a reflexive approach, such as the one provided by Nietzsche’s perspectivism. What is at stake, in such an ethical-epistemological framework is the capacity for accounting for the implications of our own perspective, capacity which is based on a specific understanding of the connection between social, historical, and psychological development on the one hand, and concurring (or conflicting) human forms of self-comprehension (e.g. knowledge) on the other.

Literature Translations, unless stated otherwise, are my own. The quotes from Nietzsche’s work refer to the following English translations: The Gay Science (2001), ed. by B. Williams, transl. by J. Nauckhoff, Cambridge et al.: Cambridge University Press; Beyond Good and Evil (2002), ed. by R.-P. Horstmann and J. Norman, transl. by J. Norman, Cambridge et al.: Cambridge University Press; On the Genealogy of Morality (2007), ed. by K. Ansell-Pearson, transl. by Carol Diethe, Cambridge et al.: Cambridge University Press; Twilight of the Idols (1998), new translation by D. Large, New York, Oxford: Oxford University Press. Aron, Raymond (1967): Les étapes de la pensée sociologique. Paris: Gallimard. Aspers, Patrik (2007): “Nietzsche’s Sociology”. In: Sociological Forum, Vol. 22(4), pp. 474–499. Baier, Horst (1981f): “Die Gesellschaft – ein langer Schatten des toten Gottes, Friedrich Nietzsche und die Entstehung der Soziologie aus dem Geist der Décadence’”. In: Nietzsche-Studien, Vol. 10/11, pp. 6–33. Bobjer, Thomas (2002): “Nietzsche’s Knowledge of Marx and Marxism”. In: Nietzsche-Studien, Vol. 31, pp. 298–313. Brose, Karl (1977): “Nietzsche und Comte. Zum Verhältnis von Philosophie und Soziologie bei Nietzsche”. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Vol. LXIII/2, pp. 239–254. Brose, Karl (1974): “Nietzsches Verhältnis zu John Stuart Mill: Eine geisteswissenschaftliche Studie”. In: Nietzsche-Studien, Vol. 3, pp. 152–174. Comte, Auguste (1844): Discours sur l’esprit positif. Paris: Dalmont. Comte, Auguste (1848): Discours sur l’ensemble du positivisme. Paris: Mathias. Comte, Auguste (1852): Système de politique positive, ou Traité de sociologie, instituant la religion de l’Humanité, tome deuxième. Paris: Carilian-Goeury et Dalmont. Elias, Norbert (1970): Was ist Soziologie? München: Juventa. Elias, Norbert (1987): “Die Gesellschaft der Individuen”. In: Norbert Elias: Gesammelte Schriften, Vol. 10, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Elias, Norbert (1989): Studien über die Deutschen. Ed. by M. Schröter, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Fleischmann, Eugène (2001): “De Weber à Nietzsche” [1964]. Republished in: Archives européennes de sociologie, Vol. 42, pp. 3–21. Fornari, Maria Cristina (1993): “Beiträge zur Quellenforschung”. In: Nietzsche-Studien, Vol. 22, pp. 401–402. Fornari, Maria Cristina (2006): La morale evolutiva del gregge. Nietzsche legge Spencer e Mill. Pisa: ETS. Foucault, Michel (1975): Surveiller et punir. Paris: Gallimard Fouillée, Alfred (1880): La science sociale contemporaine. Paris: Hachette.

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Nietzsche und die Psychologie Als Nietzsche im Ecce Homo über sein Leben und Werk Rechenschaft ablegt, bezeichnet er sich an zwei Stellen als einen Psychologen, ja, sogar als den einzigen Psychologen seiner Zeit und der bisherigen Geistesgeschichte: „Wer war überhaupt vor mir unter den Philosophen P s y c h o l o g und nicht viel mehr dessen Gegensatz ‚höherer Schwindler‘, ‚Idealist‘? Es gab vor mir noch gar kein Psychologie“ (EH Schicksal 6, KSA 6, S. 371); „– Dass aus meinen Schriften ein Psychologe redet, der nicht seines Gleichen hat, das ist vielleicht die erste Einsicht, zu der ein guter Leser gelangt –“ (EH Bücher 5, KSA 6, S. 305). Wie mancherorts in Nietzsches Spätschriften erscheinen diese Selbstbestimmungen auf den ersten Blick psychisch inflationär1 und ohne das Herstellen kontextueller Bezüge steht vorschnell das Urteil im Raum, es handle sich dabei um einen pathologischen Vorboten des späteren tragischen Schicksals. Aber gerade in Hinsicht auf Nietzsches Aussagen zur Psychologie möchte ich hier zur Vorsicht mahnen und zeigen, dass diese durchaus ihre Berechtigung haben, insofern man sie aus dem wissenschaftshistorischen Kontext der Zeit heraus liest. Nietzsches Selbstbeschreibung als erster Vertreter einer neuen Psychologie entstammt einer Zeit, da die Psychologie noch heftig um ihren Rang als eigene Wissenschaftsdisziplin zu kämpfen hatte. Während sich andere Disziplinen als Einzelwissenschaften bereits seit den 1860er Jahren etabliert hatten, fand die Psychologie kaum Anerkennung als Naturwissenschaft, insofern ihr Forschungsthema in anderen Bereichen wie etwa dem der Physiologie oder Neurologie abgehandelt werden konnte. Den ersten Lehrstuhl für Psychologie an einer naturwissenschaftlichen Fakultät erhielt Théodore Flournoy in Genf erst im Jahr 1892 und sah in seiner Ernennung rückblickend ein erstes Indiz für die Abkehr der Psychologie von philosophischer und metaphysischer Spekulation (Flournoy 1896, S. 5). Der ungesicherte Status der Psychologie als naturwissenschaftliche Disziplin und die Gefahren einer metaphysischen Vereinnahmung beschäftigen zu dieser Zeit auch William James, wenn er schreibt, dass es sich hier nicht um eine Wissenschaft, sondern lediglich um die Hoffnung auf eine Wissenschaft handle:

1 “Inflation: Refers to a greater or lesser degree to an identification with the collective psyche caused by an invasion of unconscious archetypal contents or a result of extended consciousness. There is disorientation accompanied either by a feeling of immense power and uniqueness or a sense of nonworth and being of no account. The former represents a hypomanic state, the latter, depression” (Samuels 1986, S. 81f). Jung interpretiert Nietzsches Krankheit als psychische Inflation verursacht durch eine unbewusste Identifikation mit dem Archetypus des Alten Weisen (vgl. Jung 1989).

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But at present psychology is in the condition of physics before Galileo and the laws of motion, of Chemistry before Lavoisier and the notion that mass is preserved in all reactions. The Galileo and the Lavoisier of psychology will be famous men indeed when they come, as come they some day surely will (James 1892, S. 468).

Nietzsche war also Zeuge, als sich die Psychologie als Wissenschaft zu emanzipieren begann, und es überrascht keineswegs, dass er sich im Sinne der eingangs zitierten Stellen aus dem Ecce Homo auch als Anwärter auf den Posten eines Gründungsvater dieser Disziplin sah. Tatsächlich waren es aber zwei andere Forscher, welche der Psychologie als Wissenschaft die entscheidenden, wenn auch konträr entgegengesetzten Akzente zu verleihen vermochten bzw. längst verliehen hatten: zum einen eben William James und zum anderen der Begründer der Experimentalpsychologie Wilhelm Wundt (Shamdasani 2003, S. 31–37). Zwar war es beiden um eine Emanzipation der Psychologie von der spekulativen Philosophie zu tun, doch unterschieden sich ihre Vorstellungen, wie dies zu bewerkstelligen sei, grundsätzlich voneinander. Besonders in Hinsicht auf eine wissenschaftlich standardisierte Sprache der Psychologie hatten die beiden unterschiedliche Auffassungen: Wundt ging davon aus, dass man das bereits vorhandene begriffliche Vokabular verwenden müsste, diesem jedoch − gleich jeder anderen Einzelwissenschaft − eine exakte Definition zu geben und die Begriffe hernach systematisch zu ordnen hätte. James dagegen forderte eine besondere Begrifflichkeit der wissenschaftlichen Psychologie, insofern sie sich von anderen Wissenschaften durch den Charakter der „personal equation“ unterschied, wonach Forscher und Forschungsgegenstand miteinander übereinstimmten. Einzig eine assoziativ metaphorische Sprache würde der Subjektivität der Psychologie gerecht. Auch wenn sich in der Bibliothek Nietzsches keine Werke von James oder Wundt auffinden lassen, so war er − wie wir noch sehen werden – über andere psychologische Texte mit deren Auffassungen durchaus bekannt (Brobjer 1997, S. 669). Eine zentrale Vermittlerrolle spielte auch die Pariser Zeitschrift Revue philosophique de la France et de l’étranger, die Théodule Ribot im Jahre 1876 ins Leben gerufen hatte und welche Nietzsche bereits in einem Brief von 1877 an Paul Rée überschwänglich lobt (Bf. an Rée, Anfang 08.1877, KGB II/5, Bf. 643) Seine bis Ende der 80er Jahre anhaltende regelmäßige Lektüre dieser Zeitschrift brachte Nietzsche in Kontakt mit den wichtigsten Exponenten des psychologischen Diskurses und ein Vergleich mit Nietzsches Bibliothek zeigt, dass sich seine psychologischen Lektüren oftmals mit den Empfehlungen und Diskussionen in der Revue deckten. In den Jahren 1876 bis 1889 finden sich dort selbständige Beiträge unter anderem von Alfred Binet, Léon Dumont, Charles Féré, Harald Höffding, Pierre Janet, Henri Joly, Gustave Le Bon, Charles Richet, Hippolyte Taine, Théodule Ribot, Wilhelm Wundt; zudem Besprechungen von Büchern und Aufsätzen unter anderem von Alexander Bain, Hyppolite Bernheim, Alfred Binet, Jean M. Charcot, Hermann Ebbinghaus, Gustav Theodor Fechner, Charles Féré, Hermann Helmholtz, Harald Höffding, William James und Wilhelm

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Wundt. Dies sind nur einige der Namen, mit deren Theorien Nietzsche über die Revue in Kontakt gekommen sein könnte. Insofern man über das eklektizistische Moment von Nietzsches Lektüre des Journals keine Aussage treffen kann, behält der Konjunktiv hier seine Richtigkeit. Besonders Beiträge von und Diskussionen zu Wilhelm Wundt figurieren prominent in der Revue Philosophique. Sein Kontrahent William James findet zwar weniger oft Erwähnung, Beiträge zu seinen Arbeiten könnte Nietzsche in dem Journal aber in den Jahren 1878 bis 1882 gelesen haben.2 Aus demselben Jahr wie der Ecce Homo 1888 stammt folgende Überlegung Nietzsches betitelt mit „Philosophie als décadence“, die nahelegt, dass er mit der Frage der Etablierung der Psychologie als Wissenschaft und den entsprechenden Positionen von Wundt und James durchaus vertraut gewesen war: Zur Psychologie des P s y c h o l o g e n Psychologen, wie sie erst vom 19ten Jahrhundert [ab] möglich sind: nicht mehr jene Eckensteher, die drei, vier Schritt vor sich blicken und beinahe zufrieden sind, in sich hinein zu graben. Wir Psychologen der Zukunft — wir haben wenig guten Willen zur Selbstbeobachtung: wir nehmen es fast als ein Zeichen von Entartung, wenn ein Instrument ‚sich selbst zu erkennen‘ sucht: wir sind Instrumente der Erkenntniß und möchten die ganze Naivetät und Präcision eines Instrumentes haben; — folglich dürfen wir uns selbst nicht analysiren, nicht „kennen.“ Erstes Merkmal eines Selbsterhaltungs-Instinkts des großen Psychologen: er sucht sich nie, er hat kein Auge, kein Interesse, keine Neugierde für sich … Der große Egoismus unseres dominirenden Willens will es so von uns, daß wir hübsch vor uns die Augen schließen, — daß wir als ‚unpersönlich‘, ‚désintéressé‘, ‚objektiv‘ erscheinen müssen … oh wie sehr wir das Gegentheil von dem sind! Nur weil wir in einem excentrischen Grade Psychologen sind (NL 1888, 14[27], KSA 13, S. 230f).

Beinahe scheint es, als würde sich Nietzsche hier an den Versuch einer Synthese zwischen den Auffassungen der Experimentalpsychologie Wundts und der persönlichen Gleichung bei James wagen: die Psychologen der Zukunft als diejenigen, die sich selbst „objektiv“ zu untersuchen vermögen. Im Folgenden werde ich den Versuch unternehmen, einen kurzen Überblick zu Nietzsches Psychologierezeption zu geben und zu versuchen, vor diesem Hintergrund Nietzsches Auffassung von Psychologie, wie sie in diesem Text an uns herantritt, etwas zu erhellen. Dabei kann ich mich zum Teil auf die Ergebnisse der Quellenforschung der letzten Jahrzehnte berufen, muss aber dennoch auf das Provisorische und Exemplarische dieses Unterfangens hinweisen.

2 Besprechungen in der Revue Philosophique zu William James: „Remarques sur la definition de l’esprit poer Herbert Spencer“ (1878); „L’intelligence chez la brute et chez l’homme“, „Sommes-nous de automate?“, „La qualité propre de l’espace“ (1879); „Sur l’association des idées“ (1880); Sur quelques maximes Hégéliennes“ (1882). Beiträge von oder zu Wilhelm Wundt finden sich in allen Jahrgängen bis 1889.

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1. Helmholtz, Zöllner und Gerber Ein Streifzug durch Nietzsches Auseinandersetzung mit der Psychologie in den Jahren bis 1878, dem Erscheinungsjahr von Menschliches, Allzumenschliches I, macht deutlich, wie schwierig es ist, für diesen Abschnitt einen spezifisch psychologischen Diskurs, dem Nietzsche hätte folgen können, herauszufiltern: psychologische Inhalte findet man gleichermaßen in Nietzsches philosophischer als auch wissenschaftlicher Lektüre. Ein besonderes Augenmerk Nietzsches ist in diesen Jahren auf die Diskussion rund um das Unbewusste und die Frage nach dem Vorhandensein unbewusster Schlüsse gerichtet (Liebscher 2010). Diese Problematik spielt einerseits eine zentrale Rolle in der philosophischen Debatte, wenn man etwa Schopenhauers Willensmetaphysik, Bahnsens Charakterologie oder Hartmanns Philosophie des Unbewussten in Betracht zieht – alle drei rezipiert Nietzsche in dem Jahren zwischen 1865 und 1869 −,3 andererseits findet sie ihre Thematisierung ebenso in den Naturwissenschaften bei Forschern wie dem Physiologen Hermann Helmholtz (1821–1894) oder dem Astrophysiker Karl Friedrich Zöllner (1834–1882). Wie wir sehen werden, spielt der Versuch der Abgrenzung zwischen der spekulativen Philosophie und den Naturwissenschaften eine entscheidende Rolle in der streitbaren Auseinandersetzung zwischen den beiden Wissenschaftlern. Nietzsches Interesse in diesen Jahren gilt sowohl der philosophischen als auch der naturwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Theorie unbewusster Schlüsse. Eine erste Bekanntschaft mit dieser Theorie hatte Nietzsche schon durch Schopenhauers Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813) gemacht, wo Schopenhauer dem Verstand das Vermögen zugeschrieben hat, von einer Empfindung als Wirkung auf dessen Ursache zurückschließen zu können. In seinem Handbuch der physiologischen Optik (1867) beschreibt Hermann Helmholtz den sinnlichen Wahrnehmungsakt in ähnlicher Art und Weise, sich dabei aber auf die Ergebnisse seiner physiologischen Forschung berufend. Dessen Theorie dürfte Nietzsche vermutlich über Langes Geschichte des Materialismus bekannt gewesen sein (Reuter 2004, S. 352). Helmholtz selbst bestritt allerdings ein solches Nahverhältnis zur Philosophie Schopenhauers, wodurch es zu einer heftig geführten Kontroverse kam. Zunächst war es im deutschen Sprachraum Johann Nepomuk Czermak (1828– 1873), der in seiner Vorlesung zu Schopenhauers Farbenlehre die Behauptung aufstellte, Helmholtz hätte lediglich Schopenhauers Gedanken eine empirische Ausformung verliehen (Czermak 1870) – wobei Czermaks Ausführungen sich mehr auf Thomas Young als auf Helmholtz beziehen. Nietzsche weist in einem Brief vom 12. Dezember 1870 auf Czermaks Text hin und bezeichnet ihn als großen Triumph

3 Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung liest Nietzsche im Jahr 1865, Bahnsens Beiträge zur Charakterologie 1867 und Hartmanns Philosophie des Unbewussten 1869. Zu Nietzsche und Bahnsen siehe Grimm 1989, zu Nietzsches Hartmann-Rezeption Gerratana 1988 und Salaquarda 1984.

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(Bf. an von Gersdorff, 12.12.1870, KGB II/1, Bf. 111; siehe Orsucci 1994). In ähnlicher Weise wie Czermak argumentiert Friedrich Zöllner im Jahr 1872 in seinem Buch Über die Natur der Kometen. Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntnis. In seinem Vorwort verteidigt Zöllner Wilhelm Webers Elektrodynamik gegen die Angriffe von William Thomson und Peter Tait, deren Treatise on Natural Philosophy wiederum von Helmholtz ins Deutsche übersetzt worden war (Buchwald 1993). Zudem versuchte er sich an einer a priori Physik auf Grundlage von Webers Elektrodynamik, die der Energietheorie von Helmholtz widersprach. Dieser reagiert mit einem Angriff auf Zöllner in der Zeitschrift Nature: Judging from what he [i.e. Zöllner] aims at his ultimate object, it comes to the same thing as Schopenhauer’s metaphysics. The stars are to love and hate one another, feel pleasure and displeasure, and to try to move in a way corresponding to these feelings. Indeed, in blurred imitation of the Principle of Least Action, Schopenhauer’s pessimism, which declares this world to be indeed the best of possible worlds, but worse than none at all, is formulated as an ostensibly generally applicable principle of the smallest amount of discomfort, and this is proclaimed as the highest law of the world, living as well as lifeless (Helmholtz 1874, S. 150).

Trotz der Kritik von Helmholtz war für Nietzsche zu diesem Zeitpunkt gerade der Schopenhauerische Aspekt von Zöllners Theorie von Interesse. Zwischen November 1872 und April 1874 borgte er sich wiederholt dessen Kometen von der Bibliothek Basel aus. In der Zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung spricht er gar von „unserem noblen Zöllner“, der aufgrund seiner Nähe zu Schopenhauer Angriffe von Helmholtz erleiden müsse (UB II, KSA 1, S. 292). Insbesondere Zöllners Behauptung, wonach das unbewusste Bedürfnis nach Kausalität die Grundlage des sittlichen Verhaltens bilde, beschäftigte Nietzsche. Ein Gedanke, den er in seiner Auseinandersetzung mit Zöllners Theorie in der Zeit vom Sommer 1872 und Anfang 1873 aufnahm (NL 1872–1873, 19[93], KGW III/4, S. 38). Dabei interessierte ihn vor allem die von Zöllner behauptete Lustempfindung, die das Bedürfnis nach Kausalität befriedige, da sie es ihm ermöglichte, Lust- oder Unlustempfindungen als Antrieb der Erkenntnis anzunehmen (Orsucci 1994, S. 198). Im Zentrum von Nietzsches erkenntnistheoretischen Überlegungen in den Jahren vor Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne (1873) steht also die Rezeption der Theorie unbewusster Schlüsse. Dieses Modell unbewusster Verstandesoperationen wird von ihm jedoch im Zuge seiner Rezeption der Sprachphilosophie Gustav Gerbers (1820–1901) allmählich durch jenes der Bilderübertragung ersetzt. Die große Bedeutung von Gerbers Die Sprache als Kunst (1871) für Nietzsches Nachlassschrift WL steht dank der Ergebnisse der Quellenforschung mittlerweile außer Frage.4 Auch Nietzsches Verständnis des Unbewussten in WL, das seinem Begriff von Wahrheit zugrunde liegt, verdankt sich seiner Gerberlektüre. Für Nietzsche stellt dabei der Intellekt nur

4 Siehe Meijers 1988, Meijers/Stingelin 1988, Hödl 1994.

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ein Mittel zur Erhaltung des Individuums dar, wahre Erkenntnis sei ihm gar nicht möglich. Zugänglich sei ihm nur die Ebene des Scheins, gleichsam die Oberfläche der Dinge. „Was weiß der Mensch eigentlich von sich selbst!“, ruft Nietzsche aus und fragt nach dem Ursprung des trotzdem vorhandenen Wahrheitstriebes (WL, KSA 1, S. 877). Dieser hätte seinen Ursprung in dem Versuch einer Vereinbarung über eine gültige und verbindliche Bezeichnung der Dinge, die das allergröbste bellum omnium contra omnes unter den Menschen verhindern solle, genommen. Auf diese Weise hätte die Gesetzgebung der Sprache die ersten Gesetze der Wahrheit an die Hand gegeben, da sie das Unwirkliche als wirklich erscheinen ließ. Die Sprache selbst besäße aber keinerlei Zugang zu einem „Ding an sich“, sie drücke lediglich die Relationen der Menschen zu den Dingen aus, in dem der Sprachbildner Metaphern zur Übertragung vom Nervenreiz zum Bild und vom Bild zum Laut verwende. Diese Überlegung führt zu Nietzsches zu berühmter Definition von Wahrheiten als einem „beweglichen Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen“ (WL, KSA 1, S. 880f). Der Mensch vergesse aber den illusionären Charakter der Wahrheiten, wodurch sie ihm erst verbindlich erschienen. Durch dieses Moment des Vergessens werde der Mensch aber zu einem unbewussten Lügner, so folgert Nietzsche, so dass die Unbewusstheit die eigentliche Grundlage eines Gefühl von Wahrheit darstelle. Jedoch stellt diese Auseinandersetzung mit Gerbers Sprachtheorie nur ein Moment von Nietzsches Interesse an dessen Sprachphilosophie dar. Von Bedeutung für Nietzsche sind insbesondere auch Gerbers Überlegungen der Bildübertragungen, da sie für ihn das Konzept der unbewussten Schlüsse ersetzen: „Die unbewussten S c h l ü s s e erregen mein Bedenken: es wird wohl jenes Übergehen von B i l d zu B i l d sein“ (NL 1872–1873, 19[107], KSA 7, S. 454). Wie ausschließlich Gerbers Theorie jene von Zöllner im Denken Nietzsches ersetzt hat, dazu gibt es gegensätzliche Auffassungen, wobei das Fragment 19[217] eine eindeutige Absage an die Theorie unbewusster Schlüsse aufweist: Tropen sind’s, nicht unbewusste Schlüsse, auf denen unsere Sinneswahrnehmungen beruhen. Ähnliches mit Ähnlichem identificiren – irgend welche Ähnlichkeit an einem und einem anderen Ding ausfindig machen ist der Urproceß. Das G e d ä c h t n i ß lebt von dieser Thätigkeit […] Die V e r w e c h s l u n g ist das Urphänomen (NL 1872– 1873, 19[217], KSA 7, S. 487). Auch wenn Nietzsche die Theorie unbewusster Schlüsse schon relativ früh wieder aufgibt, so ist er in diesen Jahren doch erstmals mit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Unbewussten in Berührung gekommen. Gemeinsam mit seiner Kenntnis philosophischer Konzepte des Unbewussten bilden sie das Fundament, auf die er später seine eigenen Überlegungen zum Unbewussten stellt. Gleichzeitig ist er dadurch auch in Berührung mit Kernstücken psychologischer Forschung gekommen.

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2. Französische Einflüsse und die Revue philosophique de la France et de l’étranger Wie Hans Erich Lampl exemplarisch für die Genealogie der Moral ausgeführt hat, lassen sich aufgrund „mikrologischer, vorwiegend lexikalischer und ideativer Sichtung“ bestimmte Forscherprominenzen aus dem Texthintergrund des Textes herausarbeiten (Lampl 1989, S. 578). Auf psychologischer Seite identifiziert er dabei folgende „Montage-Durchschüsse“ französischer Provenienz: die experimentalphysiologische Schule der Salpêtrière, deren Vertreter durch (oftmals öffentlich vorgeführte) Experimente mit wiederholbaren Versuchsanordnungen die objektive Gültigkeit der Hypnose nachzuweisen suchten (Jean M. Charcot, Charles Féré, Alfred Binet, Paul Richer und Charles Richet); die rivalisierenden Nancy-Schule, welche die Ergebnisse der Pariser Kollegen als Gedankensuggestion von Seiten des jeweiligen Experimentators heftig kritisierten (Ambroise Liébault, Hippolyte Bernheim, Henri Beaunis und Jules Liégois); sowie mehr oder weniger unabhängige Vertreter, zum Großteil ebenfalls aus dem Bereich der Hypnoseforschung (Théodule Ribot, Pierre Janet, Eugène Azam, Hippolyte Taine, Jean Marie Guyau und Alfred Fouillée) (Mayer 2002, S. 65–88). Man halte sich hier wiederum Nietzsches Lektüre der Revue Philosophique vor Augen, die zahlreichen dieser Psychologen eine Plattform bot, die Ergebnisse ihrer Forschung zu präsentieren. Nietzsche war auch mit den Arbeiten ihres Herausgebers Théodule Ribot (1839–1916) über dessen regelmäßige Aufsätze und Besprechungen in der Zeitschrift hinaus vertraut. Insbesondere dessen Schrift Las Maladies de la volonté (1883) war für Nietzsche von Bedeutung. Lampl hat Nietzsches Rezeption dieses Werks – aber auch von La pychologie allemende contemporaine (1879) – dargestellt und Übernahmen für den dritten Teil der Genealogie der Moral nachgewiesen.5

3. Léon Dumont „Vergnügen und Schmerz“ Unter den psychologischen Schriften in Nietzsches Bibliothek befindet sich auch die deutsche Übersetzung von Léon Dumonts (1837–1877) Théorie Scientifique de La Sensibilité, le Plaisir et la Peine aus dem Jahr 1876. Der deutsche Titel lautet Vergnügen und Schmerz. Zur Lehre von den Gefühlen. Mit Bestimmtheit lässt sich sagen, dass Nietzsche den Text im Jahr 1883 gelesen und exzerpiert hat. Thomas Brobjer vermutet zudem, dass man aufgrund der unterschiedlichen Art der Annotationen in Nietzsches Exemplar davon ausgehen kann, dass Nietzsche Dumonts Band auch schon Ende der

5 Vgl. Lampl 1989, S. 581–583; Lampl 1988; Haaz 2002.

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1870er und im Jahr 1881 zur Hand genommen hätte (Brobjer 2008, S. 86). Nietzsche fand hier Ausführungen zu einer physiologischen bzw. psychologischen Theorie der Kraft, die teilweise Ähnlichkeiten mit seinem Verständnis des Willens zur Macht aufwiesen. Hätte Nietzsche das Werk tatsächlich bereits vor 1883 rezipiert, ließe sich hier ein direkter Einfluss auf Nietzsches Willen zur Macht Theorie behaupten. Dumonts Auffassung gemäß ist Materie nichts anderes als Kraft und der Mensch dementsprechend ein System verschiedener konkurrierender Krafteinheiten. Vergnügen und Schmerz seien lediglich Anzeichen für einen Anstieg oder Verlust dieser Kräfte im Menschen. Hier vom Beginn der Einleitung: Die Wahrheit hat einen ganz relativen Charakter. Sie bedeutet nichts als die Kraft, mit der eine Vorstellung sich unserm Geiste aufnöthigt; sie ist, mit andern Worten, der Stärkegrad der Thatsachen des Bewusstseins. Die Gesammtkenntnis unserer Begriffe, unserer Meinungen, unserer Kenntnisse bildet für jeden von uns ein System von Phänomenen des Intellects, die sich gegenseitig bestimmen: die einen schließen sich aus, die andern bedingen sich, die einen dulden sich gegenseitig nicht, die andern unterstützen sich. In unserem Inneren bildet sich eine Art von lebendiger Concurrenz zwischen den Vorstellungen, ein Kampf für die Zulassung des Neuen und der Erhaltung des Bestehenden (Dumont 1876, S. 1).

Was Nietzsche aber bei Dumont noch finden konnte, war eine weitere theoretische Auseinandersetzung mit dem Unbewussten im Kapitel „Die Unbewusstheit oder die Anästhesie“. Dumont behauptet dort zwei Arten des Seins: einer bewussten Seinsweise, welche Materie im objektiven und Empfindung im subjektiven sei, stellt er das begrenzende Unbewusste als Leere oder Negation der Kraft gegenüber: Wenn das Leere und das Unbewusste nicht existirten, so würde das Universum in seiner Erscheinung ein ungeheures Ganze ohne irgendeine Art von Discontinuität, ohne eine Möglichkeit der Veränderung oder Bewegung in den Phänomenen bilden (Dumont 1876, S. 135).

Das nicht erkannt und dadurch das Ich „mit Gott oder dem Absoluten“ vermengt zu haben, sei der Fehler des deutschen Idealismus gewesen. Nietzsche streicht diese Stelle in seinem Exemplar doppelt an. Dumont fasst das Universum als eine Gesamtheit von Empfindungen, das Ich wiederum als eine Spezifikation derselben auf: „eine besondere Gruppe von Empfindungen und Bewegungen, die von aussen kommen, sich in uns organisieren, einander modificiren und schliesslich nach aussen restituirt werden“ (Dumont 1876, S. 136). Hier finden sich in Dumonts Text ähnliche Überlegungen, wie sie Nietzsche später in seinen Ausführungen zum Bewusstsein als vorübergehendes Konglomerat von Wille zur Macht Quanten, welches zu einem Anstieg der Macht verhelfen soll, anstellt. Diesen temporäreren Charakter des Ichs, das nur einen flüchtigen Aspekt unter vielen unbewussten Zentren im Körper bildet, streicht Dumont weiter unten heraus, und Nietzsche zeichnet diese Stelle nicht nur doppelt an, sondern versieht sie auch mit einem „NB“ – nota bene:

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Es können daher selbst in einem einzigen Organismus eine Menge voneinander unbewussten Centren vorhanden sein, deren Leiden und Vergnügen dem intelligenten Gehirncentrum, welches sich das Ich nennt, verborgen bleiben können (Dumont 1876, S. 136).

Über C. G. Jungs Komplexpsychologie werden solchen Gedankengänge Jahrzehnte später Eingang in die Tiefenpsychologie finden.

4. Henri Joly „Psychologie des Grands Hommes“ Ein weiteres psychologisches Werk aus Frankreich, das sich Nietzsche für seine Bibliothek zulegte, ist Henri Jolys (1839–1925) Psychologie des grands hommes (1883). Nietzsche studierte den Text im Jahr 1887 (Brobjer 2008, S. 103–104). Joly, unter anderem Mitarbeiter von Ribots Revue philosophique, versucht in seiner Untersuchung zu zeigen, unter welchen sozialen und historischen Bedingungen der geniale Mensch entstehen könne und welche Rolle die Vererbung dabei spiele. Ein Thema, das im Denken Nietzsches einen zentralen Stellenwert einnimmt. Brobjer weist in diesem Zusammenhang auf Jolys Einfluss für Abschnitte der Götzen-Dämmerung hin. In Kapitel III diskutiert Joly die Position von Galton, wonach das Genie unabhängig von seiner Umwelt entstehe, und setzt dieser die darwinistische Auffassung von William James gegenüber (Joly 1883, S. 104–108).6 Auch hier findet also eine Begegnung der Philosophie Nietzsches mit der Psychologie von James statt. Im Nachlass Nietzsches finden sich Spuren der Lektüre von Jolys Werk. Giuliano Campioni führt eine Nachlassstelle zur „religiösen Neurose“ (NL 1885–1886, KSA 12, 2[23]) auf Nietzsches Lektüre von Jolys Psychologie zurück (Campioni 1992, S. 402). Auch Nietzsches Überlegungen zur Physiologie des Genies in dem Fragment NL 1887, 9[68] (KSA 12, S. 371–372) entstammen der Psychologie des grands hommes. Die Schlussfolgerung „Le génie n’est q’une longue patience“ (NL 1887, 9[69], KSA 12, S. 372) übernimmt Nietzsche sogar wörtlich von Joly, der hier Flourens Urteil über Buffon wiedergibt (Joly 1883, S. 216–217; Campioni 2001, S. 56). Jolys Verständnis des Genies, zu dessen Entstehen verschieden Faktoren, vor allem aber eine atavistische und methodische Anhäufung von Energie beizutragen hätte (Joly 1883, S. 216–217) kommt jenem Nietzsches sehr nahe.

6 Joly bezog sich in seiner Darstellung auf zwei Texte von William James, die in Atlantic Monthly (Oktober 1880) und der Critique philosophique (22. u. 29. Januar 1881 und 5. Februar 1882) erschienen waren.

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5. Psychologische Einflüsse in „Der Antichrist“: Charles Féré, Paul Bourget und Fiodor Dostojewski Als sich Nietzsche in der zweiten Hälfte des Jahres 1888 mit Der Antichrist an einer Umwertung aller Werte versucht, spielt die Theorie eines weiteren französischen Psychologen eine entscheidende Rolle, nämlich jene von Charles Féré (1857–1907) (Lampl 1886). Féré war Schüler und Assistent von Jean M. Charcot an der Salpêtrière, wo er sich zunächst mit dem Hypnotismus, später mit elektrophysiologischen Methoden beschäftigte (Lampl 1986, S. 229–230). Nietzsche war mit Férés Studie zur Kriminalität Dégénérescence et criminalité (1888) bekannt.7 Einflüsse dieser Lektüre weist Lampl für die Götzen-Dämmerung nach (Lampl 1986, S. 227). Auch Férés Abhandlung Sensation et mouvement (1887) hatte Nietzsche im Jahr 1888 studiert, wovon die Paraphrasierungen in (NL 1888, KSA 13, 14[172]) Zeugnis ablegen. Im Folgenden werden Nietzsches psychologische Überlegung des Gläubigen und des Erlösers aus dem AC dargestellt, wo sich Spuren seiner FéréLektüre deutlich abzeichnen, wo aber auch erkennbar wird, wie verschiedene Einflüsse (wie etwa der Bourgets oder Dostojewskis) sich miteinander zu einem Ganzen verbinden. Unter dem Arsenal an Argumenten, die Nietzsche dort gegen das Christentum auffährt, findet sich auch die Opposition zwischen Glauben und Wissenschaft: „Der ‚Glaube‘ als Imperativ ist das V e t o gegen die Wissenschaft.“ (AC, KSA 6, S. 225). Nietzsche wird an dieser Stelle auch spezifischer in seinem Verständnis von Wissenschaft, die er zunächst als „Weisheit der Welt“ bezeichnet. Als die beiden Disziplinen, welche dem Aberglauben des paulinischen Christentums am entschiedensten gegenüberstehen, anerkennt er die Philologie und die Medizin: In der That, man ist nicht Philolog und Arzt, ohne nicht zugleich auch A n t i c h r i s t zu sein. Als Philolog schaut man nämlich h i n t e r die „heiligen Bücher“, als Arzt h i n t e r die physiologische Verkommenheit des typischen Christen. Der Arzt sagt „unheilbar“, der Philolog „Schwindel“… (AC 47, KSA 6, S. 226).

Der Wille zur Wahrheit, wie Nietzsche den Drang nach Wissen, welches nicht einmal vor der Auflösung des eigenen Standpunkts zurückschreckt, nennt, hat den christlichen Glauben längst als Lüge entlarvt. Heute noch Christ zu sein, bezeichnet Nietzsche dementsprechend als obszön, insofern ein solcher Glaube fordere, gegenüber den Lügen der Theologen, der Priester und des Papstes die Augen zu verschließen.

7 Mit der Psychologie des Verbrechens hatte sich Nietzsche bereits zuvor auseinandergesetzt: Henry Maudsleys Die Zurechnungsfähigkeit des Geisteskranken (1875) las Nietzsche im Jahr 1881 – Brusotti zeigt, dass Nietzsches Ausführungen zur epileptischen Neurose aus der Morgenröthe auf diese Lektüre zurückgehen (vgl. Brusotti 1997, S. 224–237); zudem war er mit Salomon Strickers Physiologie des Rechts (Wien 1884) und August Krauss Die Psychologie des Verbrechens (Tübingen 1884) bekannt.

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Um diese Haltung des Gläubigen zu erklären, greift Nietzsche zur psychologischen Methode und skizziert eine „Psychologie des Gläubigen“ (AC 50–53). Er argumentiert dabei, dass späterer Überzeugungen ursprünglich aus Lügen entstanden seien. Zu lügen bedeutet für Nietzsche “[e]twas n i c h t so sehn wollen, das man sieht, Etwas nicht so sehn wollen, wie man es sieht” (AC 55, KSA 6, S. 238). Der Priester, der über die Einheit von Lüge und Überzeugung Bescheid weiß, verschiebt die Entscheidung über Wahrheit und Lüge in einen Bereich höherer Ordnung wie Gott, Gottes Wille oder die Offenbarung Gottes, damit der Gläubige die Fundamente seines Glaubens nicht in Zweifel zieht. Nietzsche versucht in der Folge zu zeigen, warum der Priester eine derartige Macht über die Gläubigen auszuüben vermag, die es sogar ermöglicht, deren Willen zur Wahrheit zu täuschen. Dabei kommt er an jenen Punkt der Argumentation, an dem er sich durch Férés Psychologie bestätigt sieht. Im Zentrum des Christentums stehe, so Nietzsche, die Krankheit – deshalb auch die Angst des Priesters vor der Medizin, die seine Macht in Frage stelle: Das Christentum hat die Krankheit n ö t h i g, ungefähr wie das Griechenthum einen Überschuss von Gesundheit nöthig hat, – krank-machen ist die eigentliche Hinterabsicht des ganzen Heilsprozeduren-System’s der Kirche (AC, KSA 6, S. 230).

Um Herr über die Raubtiere zu werden, musste das Christentum diese krank und schwach machen. Dies gelang, indem es die lebensbejahende Verbindung mit der Welt unterbrach. Der Schwerpunkt des Lebens wurde auf eine ideale und nicht existente Welt jenseits der hiesigen verschoben. Das Leben verlor dadurch seinen Sinn: „So zu leben, dass es keinen Sinn mehr hat, zu leben, das wird jetzt zum ‚Sinn‘ des Lebens…“ (AC 43, KSA 6, S. 217). Um sich aber noch stärker gegen die Bedrohung durch die wissenschaftliche Erkenntnis zu schützen, stellt der Priester der wissenschaftlichen Kausalität den Begriff der Sünde, der jeder Beziehung von Ursache und Wirkung widerspricht, entgegen. In einem ausgeklügelten System von Schuld und Bestrafung wird das Leiden des Menschen stimuliert, um sein Elend weiter zu perpetuieren. Der Mensch blicke nun in sich, um moralisches Fehlverhalten zu erklären, anstatt in der äußeren Welt auf wissenschaftlichem Wege danach zu suchen. Dadurch sei sichergestellt, dass der Leidende sich dem Priester anvertraue, um von der Spannung befreit und von der Sünde freigesprochen zu werden. Begriffe wie Schuld und Strafe, Gnade, Erlösung und Vergeben seien Begriffe bar jeden wirklichen Gehalts und würden reine Lügen erzeugen. Sie führten auf diese Weise fiktive Einheiten in das Verhältnis von Ursache und Wirkung ein und zerstörten dabei jede Voraussetzung für wahres Wissen. Das Christentum benötige, so Nietzsche, das Leiden seiner Anhänger. Sobald das System von interner Schuld und Strafe aufgebaut sei, würde der Gläubige in einer folie circulaire zwischen Leiden und Erlösung durch den Priester gefangen bleiben:

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Ich habe mir einmal erlaubt, den ganzen christlichen Buss- und Erlösungstraining (den man am besten heuten in England studiert) als eine methodisch erzeugte f o l i e c i r c u l a i r e zu bezeichnen, wie billig, auf einem bereits dazu vorbereiteten, das heisst gründlich morbiden Boden (AC 51, KSA 6, S. 231).

Auch in Ecce Homo spricht Nietzsche von einer „folie circulaire zwischen Bußkrampf und Erlösungshysterie“ (EH, KSA 6, S. 374). Den Begriff entlehnt er eben der Psychologie Férés, der in Sensation et mouvement die religiöse Monomanie als eine folie circulaire zwischen Depression und Tonizität beschreibt. Die innere Welt des gläubigen Christen ähnle der eines durch Überreizung erschöpften Kranken. Christentum und Priester müssten, so Nietzsche, sicherstellen, dass dieser Zustand erhalten bliebe. Daher stelle das Christentum Krankheit über alle anderen Werte. Der Begriff, den Nietzsche für diesen physiologischen Verfall verwendet, ist jener der décadence. Diesen hatte er in der Aufsatzsammlung Essais de psychologie comtemporaine (1883) des Schriftstellers und Kulturkritikers Paul Bourget kennengelernt. Die darin enthaltene décadence-Theorie hatte er im Winter 1883/84 eingehend studiert (Campioni 2001; Neumann 2001). Im Zusammenhang mit seiner Kritik des Christentums bedeutet décadence für Nietzsche die Flucht vor der Realität in eine fiktive Welt. Das Christentum biete den Erschöpften eine solche Welt, die durch die Verkehrung von Ursache und Wirkung die Realität verfälscht, entwertet und negiert habe. Der Begriff Gott stehe dabei konträr zu dem der Natur, die dementsprechend verurteilt würde. Während schwache Völker zu einem solchen guten Gott Zuflucht nehmen würden, projizierten starke Völker ihre eigene Stärke in einen allmächtigen Gott. Décadence wird hier zum Gegenspieler des Willens zu Macht: „Wo in irgendwelcher Form der Wille zur Macht niedergeht, giebt es jedes Mal auch einen physiologischen Rückgang, eine décadence“ (AC 17, KSA 6, S. 183). Die reinste Form der décadence sieht Nietzsche beim Typus des Erlösers am Werk. Nietzsche entwirft im Antichrist eine Psychologie dieses Typus (AC 28–35). In diesem Zusammenhang kritisiert er Ernest Renans Beschreibung Jesu als Helden und Genie in Vie de Jésus (1863). Nicht nur sein eigenes Verständnis des Genies, wie es Nietzsche auch bei Joly gefunden hatte, ließe diese Charakterisierung Jesu nicht zu, sondern es widerspreche zudem der Evidenz der Evangelien, wo jemand beschrieben würde, dem es gänzlich unmöglich sei, die Realität des Lebens zu ertragen. Der Erlöser leide dort unter einer vollkommenen pathologischen Reizbarkeit der taktilen Sinne – hier kann Nietzsche wieder auf die Theorie Férés zurückgreifen. Das notwendige Vermeiden jeglichen sinnlichen Kontakts oder Reizes, so folgert Nietzsche weiter, führe zu einem instinktiven Hass gegen die Realität. Beim Typus des Erlösers gehe dies Hand in Hand mit einem instinktiven Ausschluss jeglichen Abwehrverhaltens oder Antagonismus. Nach Nietzsches Urteil ist der Erlöser Ausdruck eines physiologischen Verfalls, da er vollkommen von der Realität zurückgezogen sei. Er finde ein Reich Gottes in sich selbst, das auf einer gänzlichen Unfähigkeit zur Negation oder Zurückweisung gebaut sei, nicht einmal die wirkliche Welt würde mehr geleugnet werden. Dafür verwendet

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Nietzsche den Ausdruck „Idiot“. Es wurde in der Forschung schon öfters darauf hingewiesen, dass Nietzsche hier vermutlich an Dostojewskis Romanfigur des Prinzen Myshkin gedacht hatte. Auch Dostojewskis Romane stellten für Nietzsche eine psychologische Quelle allererster Güte dar. Welche Wertschätzung Nietzsche dem russischen Autor gegenüber hatte, zeigt diese Stelle aus Nietzsches psychologischer Beschreibung des Erlösers: Man hätte zu bedauern, dass nicht ein Dostoiewsky in der Nähe dieses interessanten décadent gelebt hat, ich meine Jemand, der gerade den ergreifenden Reiz einer solchen Mischung von Sublimen, Krankem und Kindlichem zu empfinden wusste (AC 31, KSA 6, S. 202).

Obwohl es nicht gesichert ist, dass Nietzsche Der Idiot gelesen hat, so war er mit dem Werk Dostojewskis dennoch gut vertraut, vor allem durch die französische Sammlung unter dem Titel L’Esprit Souterrain.8 Was diese kurze Ausführung zu Der Antichrist vor allem zeigen, ist, in welcher Weise Nietzsche die verschiedenen psychologischen Einflüsse verarbeitet: Ohne Verweise werden hier Überlegungen und Gedanken von Féré, Bourget und Dostojewski miteinander vermischt und zu einem neuen Ganzen zusammengefügt – ob diese psychologischen Inhalte von einem Wissenschaftler, Philosophen oder Schriftsteller stammen, spielt dabei keine Rolle. Letzteres sagt aber nicht nur etwas über Nietzsches besondere Rezeptionsweise, sondern auch über den unsicheren Status der Psychologie als Einzelwissenschaft zu Nietzsches Lebzeiten aus.

6. Harald Höffding „Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung“ Nietzsches Argument, wonach die Kirche durch ein Zusammenspiel von Schuld und Bestrafung über das Raubtier Mensch herrsche, findet sich andeutungsweise auch in einem Text, mit dem er sich im Herbst und Winter 1887 intensiv auseinandergesetzt hat: Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung (1881) des dänischen Philosophen Harald Höffding (1843–1931).9 Dort heißt es: Eine solche Resignation ist möglich und legt den herrlichsten Beweis für die Reinheit der Sympathie ab. Insoweit war es mit vollem Recht, wenn Molinos und Fénélon in theologischer, wie früher Spinoza in philosophischer Form eine von aller Rücksicht auf das Selbst, von aller Belohnung und Bestrafung unabhängige Liebe als das Höchste aufstellten. Die katholische Kirche verdammte diese Lehre, hauptsächlich wohl, um nicht das in der Rücksicht auf Belohnung und Bestrafung liegende Erziehungsmittel zu verlieren. Die Psychologie kann jedoch nicht einräumen, daß die

8 Siehe: Miller 1973, Poljakova 2007, Stellino 2007. 9 Quellenverweise bei Brusotti 1992, S. 391f und Brobjer 2001.

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uninteressierte Liebe eine Schmimäre sei; das Schimärische beginnt erst dann, wenn die Forderung so weit geht, daß das Leben und die Bewegung des Gefühls vor einem absolut einfachen, ruhenden Zustande verschwinden solle. Ein derartiger Zustand würde, wie wir oft bemerkt haben, mit dem Aufhören des Bewußtseinsleben gleichbedeutend sein (Höffding 1887, S. 327).

Wie sehr Nietzsche hier bereits mit Gedanken beschäftigt war, die dann prominent im Antichristen figurieren, zeigt seine Randnotiz „Dostojewsky humiliés et offensés“, in welcher er ergänzend auf Dostojewskis Roman aus dem Jahr 1861 hinweist. Derart stellt Nietzsche bereits zu diesem Zeitpunkt die gedankliche Verbindung zu Dostojewskis Charakterisierung des Erlösertypus her, der (das Argument folgt hier Féré) an der Unmöglichkeit, das sinnliche Leben zu ertragen, zugrunde geht.10 Höffdings Psychologie ist eines der am heftigsten annotierten Bücher in Nietzsches Bibliothek. Bei Nietzsches Ausgabe handelt es sich um die deutsche Übersetzung der zweiten dänischen Auflage aus dem Jahr 1887. Als Philosoph ist Höffding vor allem durch seine kritische Auseinandersetzung mit Kierkegaard bekannt. Auch in der Psychologie in Umrissen findet man Spuren derselben. In der Nietzscheforschung wurde bereits darauf hingewiesen, dass Nietzsche Kierkegaards Philosophie u.a. über seine Lektüre von Höffdings Werk bekannt gewesen sei (Brobjer 2003, S. 259–260). Was Nietzsche aber noch bei Höffding finden konnte, war eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen psychologischen Debatten, so etwa zum Hypnotismus oder zu Fechners Schwellengesetz, wonach jeder Reiz wie Reizunterschied schon eine gewisse endliche Grösse erreicht haben muss, bevor die Merklichkeit desselben nur eben beginnt, d.h. bevor er eine unser Bewusstsein merklich afficierende Empfindung erzeugt (Fechner 1889, S. 231).

Außerdem ist anzunehmen, dass Höffdings Entwurf einer Psychologie des Willens bei Nietzsche auf Interesse gestoßen sein muss. Höffdings Psychologie auf empirischer Grundlage wendet sich zum einen gegen die Metaphysik, − wie wichtig diese Abgrenzung für die Selbständigkeit der neuen Disziplin war, kann man an den eingangs angeführten Stellen bei Flournoy und James erkennen −, aber auch gegen den Spiritismus, der zu dieser Zeit noch eng mit der Psychologie verbunden war, und den Materialismus. Ein streng umrissener psychologischer Standpunkt, der sich an bewusst wahrgenommene Sinnesempfindungen hält, müsse durch „physiologische und historische (soziologische) Untersuchungen ergänzt werden“: „die subjektive Psychologie muß durch die objektive ergänzt werden“ (Höffding 1887, S. 29).11 Wenn Höffding über den subjektiven Charakter der

10 Nietzsche schickt Köselitz im März 1887 ein Exemplar von Humiliés et offensés (siehe Bf. an Köselitz, 27.03.1887, KGB III/5, Bf. 822). Wie KGB III/3 ausführt, wurde Nietzsche auf diesen Roman durch Overbeck aufmerksam gemacht. Nietzsches Ausgabe war die folgende: Humiliés et offensés, traduit par Edmunt Humbert, Paris 1884. 11 Nietzsche streicht die Stelle in seinem Exemplar an.

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Psychologie spricht, ist man an William James und dessen „personal equation“ erinnert. Höffding verwendet tatsächlich den Begriff „persönliche Gleichung“ – den er der Astronomie entlehnt und auf die Psychologie anwendet –, von dem er schreibt, dass die Erkenntnisse subjektiver Wahrnehmung stets „im Verhältnis zu anderen Beobachtern“ bestimmt werden müssten (Höffding 1887, S. 23). Nur derart könnten psychologische Beobachtungen vom Individuellen in den Bereich allgemeiner Gültigkeit transferiert werden: Die Unterscheidung des Typischen und dem Nicht-Typischen muß schon innerhalb des Individuellen anfangen: wenn das Individuum seine eigne innere Natur erkennen will, so muß es von vielen Beobachtungen absehen, weil sie isoliert dastehen und nur einzelnen vorübergehenden Situationen ihr Entstehen verdanken. Eine solche Ausreinigung unternimmt unwillkürlich ein jeder, und ebenso unwillkürlich führt der tägliche Verkehr mit anderen Individuen zu einer Unterscheidung zwischen dem Gemeinschaftlichen, Universellen und dem bloß individuellen der persönlichen Betrachtung (Höffding 1887, S. 23).

Nietzsche vermerkt hier am Rande des Textes ein wohlwollendes „Gut“. Unweigerlich ist man bei Höffdings Entwurf einer Psychologie, die den subjektiven mit einem objektiven Standunkt verbinden könnte, an die eingangs angeführt Nachlassstelle bei Nietzsche aus dem Frühjahr 1888 erinnert. Ja, sie ließe sich sogar als Reaktion auf die Psychologie Höffdings interpretieren. Zur Erinnerung heißt es da bei Nietzsche: […] wir nehmen es fast als ein Zeichen von Entartung, wenn ein Instrument ‚sich selbst zu erkennen‘ sucht: wir sind Instrumente der Erkenntniß und möchten die ganze aivetät und Präcision eines Instrumentes haben; – folglich dürfen wir uns selbst nicht analysiren, nicht ‚kennen‘. Erstes Merkmal eines Selbsterhaltungs-Instinkts des großen Psychologen: er sucht sich nie, er hat kein Auge, kein Interesse, keine Neugierde für sich … Der große Egoismus unseres dominirenden Willens will es so von uns, daß wir hübsch vor uns die Augen schließen, – daß wir als ‚unpersönlich‘, ‚désintéressé‘, ‚objektiv‘ erscheinen müssen … oh wie sehr wir das Gegentheil von dem sind! Nur weil wir in einem excentrischen Grade Psychologen sind (NL 1888, 14[27], KSA 13, S. 230f)12

Nietzsche geht dabei aber einen Schritt über Höffding hinaus, wenn er die ambivalente Haltung jener Psychologen beschreibt, die eine objektive Einstellung gegenüber der subjektiven Inhalte ihres Forschungsgegenstandes einzunehmen suchen. Zu diesen wäre dann Höffding selbst zu zählen, insofern er den empirischen Gehalt der Psychologie herausstreicht und eine Objektivierung psychologischer Inhalte durch die Physiologie und Soziologie fordert. Denn während Höffding eine solche Möglichkeit in Aussicht stellt, bricht Nietzsche mit der Argumentation in seinem Text − „oh, wie sehr wir das Gegentheil von dem sind!“ – und kehrt solchermaßen die Aporie dieses Unterfangens hervor. Damit aber schließt sich der Kreis und wir kehren zurück zu

12 Gasser interpretiert diese Stelle als eine Kritik an Kant. Siehe Gasser 1997, S. 568–569.

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Nietzsche Selbstcharakterisierung aus dem Ecce Homo: „Wer war überhaupt vor mir unter den Philosophen P s y c h o l o g und nicht viel mehr dessen Gegensatz ‚höherer Schwindler‘, ‚Idealist‘? Es gab vor mir noch gar keine Psychologie“ (EH Schicksal 6, KSA 6, S. 371).

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Personenregister Abel, Günter 4, 25, 47, 69, 82, 92, 101, 120, 261, 270, 355 Acampora, Christa Davis 322 Aeschylus 186 Ahlsdorf, Michael 298 Albrecht, Jörn 270–271 Anders, Anni 4, 47, 80, 91, 155, 233 Andina, Tiziana 155 Andler, Charles 174 Andreas-Salomé, Lou 33, 37 Ankersmit, Frank 220 Ansell-Pearson, Keith 323, 326, 329 Arenas-Dolz, Francesco 227 Arendt, Hannah 219 Aristoteles 7, 48–49, 85, 150, 159, 181, 189, 255–256, 280, 307 Aron, Raymond 344, 357 Aspers, Patrik 358 Attila 202 Avenarius, Ferdinand 38 Azam, Eugène 368 Babich, Babette E. 4, 119, 174 Bachofen, Johann Jacob 14, 208–209, 292 Bacon, Francis 24, 50–51 Baer, Karl Ernst von 110 Bagehot, Walter 14, 310–313, 321 Bahnsen, Julius 146, 214, 365 Bain, Alexander 363 Baudelaire, Charles 146 Bayertz, Kurt 24 Beaunis, Henri 368 Bebel, August 14, 314–315, 321 Behler, Ernst 280 Benfey, Theodor 265 Benne, Christian 11, 31–32, 79, 92, 100, 174, 266, 277 Bentley, Richard 176, 187, 194 Berger, Peter L. 358 Bernhardi, August Ferdinand 269, 283 Bernhardy, Gottfried 176 Bernheim, Hippolyte 368 Bessel, Friedrich Wilhelm 156–157 Bilharz, Alfons 13, 161, 245, 260–262 Binding, Karl 39 Binet, Alfred 363, 368 Bismarck, Otto von 315, 324–325

Blackmore, John T. 25, 123 Blanqui, Auguste 155, 161 Block, Maurice 14, 313, 321 Blumenberg, Hans 50, 164, 166 Bobbio, Norberto 322 Boeckh, August 11, 176–177, 205–206, 266, 277 Bohley, Reiner 290 Bölsche, Wilhelm 108 Bonfiglio, Thomas 295 Bonghi, Ruggero 325 Bopp, Franz 265 Bornmann, Fritz 174, 180 Borsche, Tilman 270 Bošković, Rugjer Josip (Boscovich) 122, 133– 134, 155, 160 Bourdieu, Pierre 358 Bourget, Paul 10, 143, 371, 373–374 Boyle, Charles 176 Brahms, Johannes 39 Brandes, Georg 37–38, 40, 322, 324 Bréal, Michel 282 Brobjer, Thomas H. 4, 14, 22, 34–35, 41–42, 47 123–124, 138, 151, 160–161, 201, 207, 209, 236, 244, 295, 311, 363, 368–370, 374– 375 Broca, Paul 265 Brockhaus, Hermann 14, 291, 343 Brose, Karl 357 Brücke, Ernst Ritter von 80–81 Brusotti, Marco 4, 47, 371, 374 Buchwald, Jed Z. 366 Buckle, Henry Thomas 215, 313 Buddha (Gautama) 296 Bülow, Hans von 39, 162 Burckhardt, Jacob 2, 11, 14, 36, 39, 208–211, 213, 292, 309, 323 Campioni, Guliano 34, 124, 139, 150, 201, 236, 276, 322–323, 325–326, 341, 343, 370, 373 Cancik, Hubert 24, 32–33, 174, 206 Cancik-Lindemaier, Hildegard 174, 206 Carey, Henry Charles 14, 309, 312–313, 321 Carlyle, Thomas 204, 209 Carnap, Rudolf 125 Caro, Elme Marie 146

380

Personenregister

Carrier, Martin 54 Cartwright, Nancy 70 Caspari, Otto 25, 35, 41, 80, 161, 245 Cassirer, Ernst 272 Cate, Curtis 202 Charcot, Jean M. 363, 368, 371 Cherbuliez, Victor 39 Cicero 184, 201, 280 Clark, Maudemarie 12, 62, 121, 242, 249–250, 258, 262 Classen, August 91 Cloeren, Hermann 273, 277 Cohen, Robert 4, 119 Colli, Giorgio 140, 143, 175, 223, 322 Collingwood, Robin George 205 Comte, Auguste 15, 159, 207, 214–215, 328, 343–347, 349, 351, 353, 357 Conrat, Friedrich 84, 86 Conway, Daniel W. 336 Copernicus s. Kopernikus Corssen, Wilhelm 178 Crawford, Claudia 80, 268 Crescenzi, Luca 34, 160, 265–266, 284, 341 Croce, Benedetto 186, 220 Crowell, Steven Galt 47 Curtius, Georg 14, 179, 265–266, 273, 284, 291 Czermak, Johann Nepomuk 13, 16, 248, 365– 366 Czolbe, Heinrich 110 Dahlkvist, Tobias 10, 143, 151–152 Danto, Arthur C. 225 Darwin, Charles 25, 28, 54, 111, 113–115, 116, 121, 135, 216–217, 276, 310, 315, 349 Daum, Andreas W. 108 Decher, Friedhelm 260 Delbrück, Berthold 268 Demokrit (Democritus) 32 Derrida, Jacques 220, 322 Descartes, René (Cartesius) 49–50, 82, 122, 131, 225–226, 233–235, 271 Detwiler, Bruce 307 Deussen, Paul 31, 40, 109, 208, 290, 296, 309 Dickopp, Karl-Heinz 226–228, 230, 233, 238 Diels, Hermann 188 Dilthey, Carl 218 Dilthey, Wilhelm 12, 27, 112–113, 218 Diogenes Laertius 31, 180–182, 203, 206–207 Dionysos Dionysian 319

Djurić, Mihailo 271 Dostojewski, Fjodor M. (Dostoevskij, Dostoevsky), 146, 371, 374–375 Draper, Jon William 207, 209 Dreher, Eugen 9, 114–116, 216 Drossbach, Maximilian 12–13, 216, 226– 227, 229–230, 245, 256–259, 261–262, 270 Du Bois-Reymond, Emil 1, 25–27, 32, 35, 41, 47, 81, 108 Duhem, Pierre 51, 55 Dühring, Eugen 2, 14, 214, 245, 308, 311–313, 315, 321, 325, 336 Dumont, Léon 16, 363, 368–370 Durkheim, Émile 214–215 D’Iorio, Paolo 34, 42, 122, 155, 226–227, 233, 245, 248, 251 Ebbinghaus, Hermann 363 Eichberg, Ralf 36 Eilon, Eli 155 Einstein, Albert 9, 135 Elias, Norbert 358–359 Elzinga, Aant 71 Emden, Christian J. 174, 284–285 Emerson, Ralph Waldo 206 Engels, Friedrich 22, 215, 315 Epikur (Epicur) 32, 151, 331–332 Ermanarich 202–203, 207, 290 Espinas, Alfred 15, 216, 328 Etter, Annemarie 295–296 Exner, Sigmund 80 Faraday, Michael 56 Fechner, Theodor G. 80, 85, 121–122, 124, 363, 375 Feldenkirchen, Wilfried 21 Féré, Charles 10, 16, 143–147, 150, 353, 363, 368, 371–375 Fétis, François-Joseph 140–141 Feuerbach, Ludwig 148, 201 Feyerabend, Paul 69 Fichte, Johann Gottlieb 83, 88, 107, 201 Fick, Adolf 35, 215 Figl, Johann 174, 273, 290–292 Fischer, Klaus 59, 69 Fischer, Kurt 123 Flaubert, Gustave 140 Fleischmann, Eugène 355, 359

Personenregister

Flournoy, Théodore 362, 375 Foissac, Pierre 161 Forbes, James David 165 Formigari, Lia 269 Fornari, Maria Cristina 15, 325, 328, 341, 343, 346, 350, 354, 358 Förster, Bernhard 29, 301, 325 Förster, Elisabeth 29, 38, 124 Foucault, Michel 20, 220, 322, 353, 358–359 Fouilée, Alfred 15, 328, 343, 349, 351, 368 Fourier, Joseph 56 Franco, Vittoria 339 Frank, Philipp 123, 131 Frantz, Constantin 14, 313, 321 Fraunhofer 159 Freudenthal, Gad 50 Friedrich Wilhelm IV (König von Preußen) 20–21 Fries, Jakob Friedrich 110 Fries, Thomas 280 Frigessi, Delia 142 Fritsch, Theodor 301 Fuchs, Carl 39, 196 Galen (Galenos von Pergamon) 148–149 Gasser, Reinhard 376 Gay, Peter 210 Geeraerts, Dirk 282 Gentili, Carlo 174, 323 Gerber, Gustav 16, 79, 92, 188, 267, 277, 280– 282, 284, 365–367 Gerhardt, Volker 152, 245, 255 Gerratana, Federico 175, 244, 365 Gersdorff, Carl von 39, 121, 203, 207, 247–248, 308–309, 311, 366 Gigante, Marcello 174 Goch, Klaus 290 Goethe, Johann Wolfgang von 27, 33, 41, 85, 110–112, 190, 204, 207, 210, 213, 311 Gordon, Terrence 282 Gori, Pietro 9, 42, 120–124, 155, 341 Gorsen, Peter 112 Gossman, Lionel 292 Goth, Joachim 282, 284 Green, Michael Steven 122, 233, 251 Greiner, Bernhard 225 Grimm, Reinhold 365 Groddeck, Wolfram 155 Grote, Georg 206 Grüsser, Otto-Joachim 82, 90

381

Günther, Friederike Felicitas 174, 358 Gustav, Carl 47 Guyau, Jean Marie 15, 328, 343, 368 Haaz, Ignace 368 Habermas, Jürgen 63 Haeckel, Ernst 25, 35, 41 Hagner, Michael 81–82 Halley, Edmond 158 Han-Pile, Béatrice 244 Harding, Karl Ludwig 157 Hartmann, Eduard von 8, 80, 146, 152, 201, 213–215, 244, 268, 365 Hartwich, Wolf-Daniel 298, 301 Häußling, Roger 356, 358 Heerdegen, Karl Ferdinand 282–284 Hegel, Georg W. F. 27, 39, 107, 113–114, 203– 204, 213–215, 269, 308 Heidegger, Martin 219, 228 Heidelberger, Michael 50, 86, 88 Heinze, Max 39, 178 Heisenberg, Werner 68 Heit, Helmut 4–5, 7, 21, 25–26, 30, 47, 64, 67 Hekataeus 213 Hellwald, Friedrich Anton Heller von 35, 209 Helmholtz, Hermann von 5, 8, 13, 16, 26–27, 41, 46–48, 51–64, 66–71, 79–92, 94–97, 99–103, 108, 110, 165, 246, 248, 265, 363, 365–366 Henderson, Thomas James 157 Henke, Dieter 108 Heraklit, (Heraclitus) 41, 188, 218, 250–251 Herder, Johann Gottfried von 201, 211 Hering, Ewald 80, 87, 91 Hermann, Dieter B. 157 Hermann, Gottfried 11, 176–177, 179, 187–188, 194, 205–206, 211 Herrmann, Emanuel 127, 315, 319, 321 Herschel, John 165 Herschel, Wilhelm 157–158 Hesiod 181–183 Heyse, Ludwig 269 Hirsch, Adolph 160 Hobsbawm, Eric 22 Hocks, Erich 227, 233, 238, 251 Hödl, Hans Gerald 291, 366 Höffding, Harald 16, 363, 374–376 Holmes, Frederic L. 82 Homer 181–184, 207, 274, 322

382

Personenregister

Horaz 38, 196 Horwicz, Adolf 93–94, 101 Howald, Ernst 174 Hoyer, Timo 148 Humboldt, Wilhelm von 100, 190, 204, 267– 269, 271, 276 Hume, David 51, 64 Hussain, Nadeem 119, 121–124, 250–252 Jackson, Stanley W. 148 Jacobi, Friedrich Heinrich 51 Jacobi, Carl Gustav Jacob 47 Jacoby, Leopold 216, 316 Jacolliot, Louis 14, 40, 216, 295–298 Jahn, Otto 11, 176–177, 179, 206–207, 211 James, William 16, 55, 146, 362–364, 370, 375– 376 Janet, Pierre 363, 368 Janssen, Johannes 209 Janz, Curt Paul 29, 32, 143, 150, 155, 202–203, 231 Jaspers, Karl 219 Jenkins, Keith 220 Jensen, Anthony K. 11–12, 31 Jespersen, Otto 268 Jesus 294, 300 Johnson, Dirk R. 217 Joly, Henri 10, 16, 140–141, 146, 363, 370, 373 Jordan, Wolfgang 109 Joule, James Prescott 55 Kanschin, Georg von 208 Kant, Immanuel 32–33, 35, 51–52, 55, 63, 67, 82–83, 87–88, 91, 96, 102, 107, 109, 111, 126, 158–159, 161, 177, 218–219, 231–232, 244, 246–247, 256–257, 260, 268, 376 Karsten, Gustav 160 Kaulbach, Friedrich 79 Kautsky, Karl 315 Kautzsch, Emil 299 Keller, Gottfried 35 Kiessling, Adolf 207 Kirchhoff, Gustav Robert 56, 159 Kleinpaul, Rudolf 38 Kleinpeter, Hans 123–124 Klibansky, Raymond 148 Klopstock, Friedrich Gottlieb 201 Knight, David M. 23 Knobloch, Clemens 268

Koberstein, Karl August 11, 13, 201, 203–204, 290 Koenigsberger, Leo 56, 60 Koerner, Ernst F.K 282 König, Gert 157 Kopernikus, Nikolaus (Copernicus) 10, 50, 122, 133, 156–159, 165–166 Köselitz, Heinrich 37, 122, 161–162, 215, 233, 295–296, 313, 375 Kremer-Marietti, Angèle 119, 344, 353 Krug, Gustav 202 Kuhn, Thomas S. 9, 69, 127, 135 Lachmann, Karl 177, 193, 206, 211, 213 Lacoue-Labarthes, Philippe 220 Lagarde, Paul de 14, 293–295, 298, 301 Laks, André 174 Lamarck, Jean Baptiste de 113–114, 116, 216 Lampert, Laurence 225 Lampl, Hans Erich 143–144, 146, 353, 368, 371 Lange, Friedrich Albert 3, 8–9, 12, 14, 22, 30, 33, 67–68, 80, 82, 95, 111, 114, 121–123, 134, 206, 214, 227, 233–236, 238, 244, 246–247, 274, 308–309, 311–312, 316, 320–321, 365 Le Bon, Gustave 363 Lecky, William Edward Hartpole 209, 314, 321 Leiter, Brian 12, 64, 71, 242, 249–250, 258, 262 Lenk, Hans 69 Lenoir, Timothy 83 Leopardi, Giacomo 146, 161–162, 165, 191 Lesky, Erna 81 Lessing, Gotthold Ephraim 30, 206 Leuckart, Robert 41 Levinas, Emmanuel 219 Lewes, Georg Henry 207 Lichtenberg, Georg Christoph 122, 124, 207, 225–226, 235–236, 270 Liébault, Ambroise 368 Liebig, Justus von 24, 108, 110 Liebmann, Otto 8, 13, 35, 80, 87, 96–100, 161, 213, 244, 248–249, 254–258 Liebscher, Martin 16, 365 Liégois, Jules 368 Lindwurm, Arnold 14, 311, 321 Liszt, Cosima s. Wagner, Cosima Liszt, Franz 202 Lobatschewski, Nikolai 60 Loewenfeld, Leopold 10, 139, 142

Personenregister

383

Lohff, Brigitte 84 Lombroso, Cesare 10, 142–143, 353 Lommel, Eugen 160 Losurdo, Domenico 322, 325, 334 Lotze, Hermann Rudolf (bei Reuter Rudolph) 12, 80, 110, 227, 233, 236–237 Loukidelis, Nikolaos 12, 122, 224, 227, 230– 231, 236, 254 Löw, Reinhard 30, 63 Lubbock, John 14, 209, 292 Luckmann, Thomas 358 Luther, Martin 209, 294 Lyotard, Jean-François 220

Moore, Gregory 4, 47, 123, 138, 143, 147, 153, 343 Most, Glenn W. 174, 280 Mozart, Wolfgang Amadeus 207 Müller, Enrico 207, 358 Müller, Friedrich Max 13–14, 267, 272–279, 282, 284–285, 291–292, 294, 296 Müller, Johannes 13, 41, 67, 80–81, 83–84, 86, 88, 110, 246, 248–250 Müller-Lauter, Wolfgang 111, 114, 258, 315, 350, 355 Müller-Seyfarth, Winfried H. 261 Mundt, Theodor 308, 320

Macaulay, Thomas Babington 204 MacCormmach, Russell 55 Mach, Ernst 25–26, 41–42, 47, 56, 65, 80, 119, 123–128, 130–135, 236 Mädler, Johann Heinrich von 160 Madvig, Johan Nikolai 266, 277 Mainländer, Philipp 13, 146, 245, 260–262 Malthus, Thomas Robert 312, 315 Mandeville, Bernard 309 Marx, Karl 22, 32, 37, 214–215, 307, 311–312, 314–316, 355 Mayer, Robert 55, 165 Mayreder, Rosa 15, 356 McMullin, Ernan 51 Meijers, Anthonie 282, 366 Meiners, Christoph 206 Merkel, Carl Ludwig 265 Merz, John Theodore 23 Meysenburg, Malwida von 38 Miaskowski, August von 14, 311 Michelet, Jules 204 Mill, John Stuart 15, 51, 88, 215, 275–276, 307, 312, 314–315, 328–330, 332–333, 343–344, 346–347, 349–350, 352–354, 358 Mittasch, Alwin 4, 33, 47, 108–109, 119, 124, 155, 161 Mohl, Robert von 310, 320 Moïse-Mahomet, Manou 216 Molner, David 150 Mommsen, Theodor 177, 206, 209 Monod, Gabriel 38–39 Montaigne, Michel de 10, 150–153, 207 Montesquieu 332, 344 Montinari, Mazzino 3, 140, 175, 223, 322

Nabais, Nuno 39 Naegeli, Carl W. von 9, 114, 116 Naeke, August Ferdinand 179 Napoleon Bonaparte 26, 37 Naumann, Constantin Georg 36–39, 124, 223, 231 Nerlich, Brigitte 282–284 Neumann, Carl 47, 54 Newton, Isaac 48, 51–52, 55, 61, 119–120, 126, 132, 254 Niebuhr, Barthold Georg 209 Nietzsche, Carl Ludwig 20, 290 Nietzsche, Franziska 39, 109, 309–310, 312, 325 Nohl, Hermann 226–227 Oken, Lorenz 110 Olbers, Heinrich Wilhelm 157, 162 Olesko, Kathryn M. 82 Orsucci, Andrea 60, 138, 155, 174, 201, 229, 248, 270–272, 278, 281, 291–292, 298, 301, 366 Osterhammel, Jürgen 1, 21–23, 53 Ostwald, Wilhelm 25, 108 Ottmann, Henning 109, 326 Overbeck, Franz 14, 29, 35–37, 40–41, 160–161, 213, 218, 292–293, 295, 299, 335, 375 Papineau, David 71 Pascal, Blaise 50 Paul, Hermann 282 Paulus 294, 301 Pernet, Martin 291 Piazzesi, Chiara 15, 358 Piazzi, Giuseppe 157 Pick, Daniel 143

384

Personenregister

Pinder, Wilhelm 202 Platon, Plato 49, 98, 130, 159, 181, 184, 188– 189, 208, 216, 274, 277 Plautus 206 Poljakova, Ekaterina 374 Popper, Karl R. 59, 66, 69 Porter, James I. 174 Pouillet, Claude Servais Mathias 160, 165 Proctor, Richard Anthony 160, 164–165 Pulte, Helmut 54 Purkinje; Johannes Evangelista 82 Putnam, Hilary 350 Ranke, Leopold von 2, 20, 201, 204, 208–209, 212 Rask, Rasmus Kristian 265 Rée, Paul 216–217, 245, 295, 343, 363 Reibnitz, Barbara von 174 Reich, Hauke 38, 266 Reinhardt, Karl 174 Reis, Paul 160 Reisig, Karl Christian 206, 282–284 Reiz, Wolfgang 176 Renan, Ernest 207, 373 Reuter, Sören 8, 41, 66, 68, 79–80, 91–92, 246, 248, 365 Rheinberger, Hans-Jörg 81–82 Ribbeck, Otto 38 Ribot, Théodule 10, 16, 144, 146, 363, 368, 370 Ricardo, David 307–308 Riccardi, Mattia 12–13, 41, 66, 79–80, 95, 102– 103, 121, 227, 229, 233, 238, 243, 245, 249, 252, 260 Richardson, John 25, 64, 217 Richer, Paul 368 Richet, Charles 363, 368 Rickert, Heinrich 12, 218–219 Riedel, Manfred 174 Rieger, Matthias 66 Riemann, Bernhard 47, 54, 60 Rigutti, Mario 156–157, 164 Ritschl, Friedrich 11, 14, 31, 38, 100, 109, 176– 180, 184–185, 190, 193–194, 206–207, 210–211, 213, 266, 273, 284, 291 Rohde, Erwin 31–32, 40, 109, 162, 195, 202, 208, 236, 293 Rolphs, William 9, 114–116 Romundt, Heinrich 41 Roos, Richard 175

Roscher, Georg Friedrich 14, 308–310 Roth, Eduard 207 Rothschuh, Karl E. 81 Runciman, Walter Garrison 355–356 Salaquarda, Jörg 3, 33, 80, 95, 121, 234, 236, 238, 246, 274, 365 Salomé, Lou s. Andreas-Salomé, Lou Santini, Carlotta 11, 31, 174 Sartre, Jean-Paul 219 Schaarschmidt, Carl 14, 38, 230–231, 291 Schaffer, Ekkehart 174 Schäffle, Albert 313, 321 Schank, Gerd 269, 342 Scheler, Max 16, 356 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 27, 98, 107, 110 Schenkel, Daniel 291 Schiemann, Gregor 5, 7, 26, 50, 54–55, 57–62, 67–69, 71, 73, 84, 87 Schiller, Friedrich 204–205, 207, 213, 311 Schlechta, Karl 4, 47, 80, 91, 108, 155, 174, 233 Schlegel, August Wilhelm von 204–205, 207 Schlegel, Friedrich von 204–205, 265 Schleicher, August 267, 285 Schleiden, Matthias Jacob 110 Schleiermacher, Friedrich 176 Schlieben-Lange, Brigitte 283 Schmeitzner, Ernst 233, 312–313, 325 Schmitter, Peter 282 Schnädelbach, Herbert 27–28, 49 Schoedler, Friedrich 160 Schönberg, Gustav Friedrich von 14, 39, 309– 310 Schopenhauer, Arthur 3, 11, 13, 28, 33, 40, 145– 147, 150, 162–163, 189, 205, 208–212, 214, 232, 244–249, 259–262, 266, 269, 310– 311, 346, 365–366 Schulze-Delitszch, Hermann 310 Schurz, Gerhard 49 Schwenke, Heiner 227–228 Secchi, Angelo 160 Sedgwick, Peter 316 Seydlitz, Irene 161 Seydlitz, Reinhart 161, 325, 335 Shamdasani, Sonu 363 Shinn, Terry 24 Sieber, Ludwig 38 Sieg, Ulrich 293

Personenregister

Siemens, Werner von 2, 21, 161 Simmel, Georg 16, 112, 115, 356 Sloterdijk, Peter 342 Small, Robin 4, 35, 47, 66, 119, 155, 226–227, 233, 252 Smend, Rudolf 298–299 Smith, Adam 307, 309, 314 Smith, David 295 Sokrates 49, 55, 63, 188, 224, 301 Solies, Dirk 9, 109–110, 113 Solms-Laubach, Franz Graf zu 356 Sommer, Andreas Urs 3, 13–14, 40, 290, 292– 295, 298, 317 Sophokles 186 Spencer, Herbert 2, 15, 28, 207, 216–217, 324, 328, 343–344, 346, 349–353, 358, 364 Spengler, Oswald 112 Spiekermann, Klaus 120 Spinoza, Baruch 112, 122, 374 Spir, Afrikan 12–13, 35, 80, 122–123, 213, 226– 227, 233–234, 238, 244–245, 251–253, 257, 262 Spreafico, Andrea 229 Sprung, Mervyn 40 Stack, George J. 3, 33, 66–68, 121–122, 234, 246, 274 Stadler, Friedrich 123, 131 Stammerjohann, Harro 268 Starobinski, Jean 149, 151 Stegmaier, Werner 175, 341 Steinbuch, Johann Georg 82–83 Steinhart, Karl Heinrich August 290 Steinthal, Heymann 13, 267–269, 271 Stellino, Paolo 374 Stewart, Balfo 158, 160 Stingelin, Martin 79, 225, 270, 280, 282, 366 Storm, Theodor 23 Strauß, David Friedrich 28, 206, 213, 291 Struve, Georg Wilhelm 157 Sully, James 146 Svoboda, Karel 174 Tacitus 213 Taine, Hippolyte 39–40, 213, 363, 368 Tait, Peter 366 Teichmüller, Gustav 12–13, 122, 226–230, 236– 238, 244, 251–253, 257, 262, 271 Tempel, Ernst Wilhelm Leberecht 161

385

Theognis von Megara 178–179, 180–181, 203, 207 Thomson, William 35, 158, 161, 165, 366 Thouard, Denis 175 Thucydides 213 Thüring, Hubert 268 Tocqueville, Alexis de 15, 314, 330–333 Tönnies, Ferdinand 15–16, 37, 356 Trabant, Jürgen 267 Treccani, Irene 10 Treiber, Hubert 41, 80, 100 Treitschke, Heinrich von 213 Treviranus, Gottfried Reinhold 110 Tylor, Edward Burnett 14, 209, 292 Ueberweg, Friedrich 206 Ugolini, Gherardo 174 Ullmann, Hans-Peter 23 Usener, Hermann 179 Vaihinger, Hans 119, 161, 214, 234 Vaux, Clotilde de 347 Venturelli, Aldo 28, 244–245 Virchow, Rudolf 38, 41, 81, 108, 110–111 Vischer, Wilhelm 211 Vivarelli, Vivetta 151, 155, 325 Vivekananda, Swami 208 Vogt, Carl 24, 35, 41 Vogt, Johannes Gustav 35, 161 Voigt, Georg 179 Volkmann, Diederich 178–179 Wachsmuth, Curt 38 Wackernagel, Jacob 216 Wagner, Cosima 39, 150, 202 Wagner, Richard 3, 30, 138, 145, 150, 173, 189, 192, 196, 202, 206, 208, 211, 244, 292, 315 Wahrig-Schmidt, Bettina 353 Wahsner, Renate 159 Weber, Alfred 15, 356 Weber, Ernst Heinrich 80 Weber, Max 15, 23, 355–356, 358–359 Weidt, Harold 283 Wellhausen, Julius 2, 14, 298–301 Wheatstone, Charles 21 White, Hayden 220 Whitney, William Dwight 267 Widemann, Paul Heinrich 12, 227, 231–233, 238 Widmann, Josef Victor 29, 32

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Personenregister

Wiel, Josef 139 Wiener, Heinrich 38 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 175, 177, 179, 195, 208, 211 Winckelmann, Johann Joachim 204 Winckler, Heinrich 272 Windelband, Wilhelm 12, 218–219 Windisch, Ernst 38, 296, 309 Wittgenstein, Ludwig 125, 277 Wöhler, Friedrich 24 Wolf, Friedrich August 176, 183–185, 190–191, 194, 204–206, 209, 266 Wollaston, William Hyde 159

Wotling, Patrick 342 Wundt, Wilhelm 16, 28, 41, 80, 93, 265, 268– 269, 363–364 Young, Thomas 248, 365 Zachriat, Wolf Gorch 30 Zavatta, Benedetta 13, 185, 269, 271, 273, 282 Zeller, Eduard 188, 213 Ziegler, Theobald 24, 37 Zittel, Claus 42, 109 Zöllner, Karl Friedrich 16, 155–156, 158, 160, 166, 213, 248, 365–367

Sachregister Affekt (affect) 187, 217, 238, 327, 332, 335–336, 345, 347 Age of Science 7, 19, 23 Anthropologie (anthropology) 13, 173, 285, 346, 350 Anthropomorphismus, anthropomorph (anthropomorphism, anthropomorphic) 14, 30, 64, 68, 79, 103, 128, 274, 281, 337, 367 Anti-Humanismus (anti-humanism) 329, 339 Antike, Altertum (antiquity) 33–34, 47–48, 50, 55, 63, 148, 173–175, 177–178, 181–182, 185, 187–192, 195, 204–206, 211, 234, 266–267, 278, 280, 291 Antinomie (antinomy) 112 Antisemitismus, antisemitisch (antisemitism, antisemitic) 293, 301, 325 Appearance s. Erscheinung Aristokratie, aristokratisch (aristocracy, aristocratic) 23, 297, 315, 319, 322–323, 329– 330, 334 Art, artistisch s. Kunst Artist s. Künstler Ästhetik, ästhetisch (aesthetics, aesthetic) 8, 11, 27, 56, 66, 72, 80, 91, 94, 98–100, 122, 155, 173, 177, 183–184, 189–190, 208, 210–212, 216, 266, 283, 323, 334 Archäologie, archäologisch (archeology, archaeological) 206–207, 211 Astrologie, astrologisch (astrology, astrological) 59 Astronomie, astronomisch (astronomy, astronomic) 5, 10, 50, 59, 67, 155–167 Astrophysik, astrophysisch (astrophysics, astrophysical) 156, 159, 162, 164, 365 Atom, Atomismus (atom, atomism) 9, 53, 55, 57, 69, 103–104, 111, 120–122, 131–134, 223, 260, 274–275 Atomphysik 70 Aufgabe (task) 34, 36, 80, 88, 93, 97, 141, 151, 177, 192, 204, 209–210, 216, 220, 227, 233, 268–269, 272, 294, 333–334, 347, 355, 358–359 Aufklärung (Enlightenment) 4, 58, 109, 116, 126, 156, 204, 214, 302, 314, 321, 338

Basel 7, 11, 19, 28, 31–32, 34, 38–40, 119, 121, 160, 173, 180, 184, 187–188, 192, 207–211, 218, 227, 284, 291, 299, 309–311, 366 Bedeutungslehre s. Semasiologie Berlin 5, 20–21, 27, 41, 81, 177, 204, 206, 208, 265, 268, 294, 341 Beschleunigung 21–22 Bewusstsein (conciousness) 12, 25, 29, 55, 67, 82–83, 86, 88, 90–92, 93, 97, 101–102, 115, 214, 228, 232, 234–236, 252, 326, 338–339, 369, 375 Bibliothek (library) 3–4, 32, 34, 41, 108, 111, 114–116, 119, 123–124, 139, 161, 205–206, 214, 236, 265–268, 273, 280, 284, 291, 307, 310–311, 313–314, 316, 328, 343, 363, 366, 368, 370, 375 Bild (image) 19, 68, 79, 95, 97, 99, 134, 161, 207, 211, 231, 235, 242, 247, 250–251, 254, 272, 274–275, 277, 281, 331, 336–337, 367 Bildung (education) 1, 11, 24, 35, 117, 149, 173– 174, 178, 190–191, 201, 203–206, 291, 293, 310, 317–318, 321, 324, 330 Biologie, biologisch (Biology, biological) 5, 8–9, 91, 113–114, 117, 119, 129, 158, 210, 285, 336, 342–343, 349–350, 351, 357– 358 Body s. Leib Bonn 11, 13, 31, 38, 109, 173, 175, 177–179, 204, 206–207, 230–231, 273, 291 Buddhismus (Buddhism) 291, 296–297, 332 Bürgerliche Gesellschaft s. Gesellschaft Capitalism s. Kapitalismus Catholicism s. Katholizismus Causality s. Kausalität Certainty s. Gewissheit Chemie, chemisch (chemistry, chemical) 2, 23, 31–33, 52–54, 57, 68, 81, 103, 122, 150, 159–160, 164, 363 Christentum, Christliche Religion, christlich (Christianity, Christian) 13, 15–16, 41, 50, 98, 107, 114, 134, 193–194, 201, 208, 217, 290, 292–294, 295, 297, 299–302, 325– 326, 331–332, 335, 337–338, 343, 346, 371–373 Climate s. Klima Cognition s. Kognition

388

Sachregister

Coherence s. Kohärenz Coincidence s. Zufall Comfort s. Komfort Communism s. Kommunismus Compassion s. Mitleid Complexity s. Komplexität Conciousness s. Bewusstsein Conservation of energy s. Energieerhaltung Conventionalism s. Konventionalismus Correspondence theory of truth s. Korrespondenztheorie der Wahrheit Cosmology s. Kosmologie Cosmos s. Kosmos Crisis s. Krise Criticism of science s. Wissenschaftskritik Criticism of religion s. Religionskritik Culture s. Kultur Darwinismus, darwinistisch (darwinism, darwinistic) 2, 25, 108, 113–117, 121, 135, 214, 217, 315–317, 326, 370 Darwinismusstreit 24, 114–116 Death of God s. Tod Gottes Décadence, Dekadenz (decadence) 10, 15, 30, 143–148, 152–153, 196, 301, 326–328, 352–354, 364, 373–374 Decay s. Verfall Demokratie (democracy) 1, 15, 20, 22, 297–298, 313–314, 322, 326, 330–333, 335, 348 Deskriptiv (descriptive) 15, 267, 343, 349–350, 355–357 Diät (Diet) 10, 54, 139, 144–145, 147–149, 336 Ding an sich (Thing-in-itself) 68, 92, 95–96, 102, 128, 134, 231, 260, 367 Discovery s. Entdeckung Drives s. Triebe Dualismus, Dualität, dualistisch (dualism, duality, dualistic) 24–25, 55, 60, 66, 71, 270 Dynamik (dynamic) 7, 19, 54, 93, 103, 121–122, 134, 189, 212, 258, 351 Dynamis 255–257, 280 Earth s. Erde Economy s. Ökonomie Education s. Bildung Elektrik, elektrisch (Electric, electric) 21, 27, 32, 52–53, 81, 161–162, 249, 371 Elektrodynamik (electrodynamics) 53–54, 366

Empirie, empirisch (empiric) 23, 54–55, 58–59, 61, 67, 83, 88, 107, 178, 232, 242, 245, 247, 250–254, 257, 267, 269, 283, 298, 365, 375–376 Empirismus (empiricism) 8, 27, 50–51, 57, 60, 83–84, 86–87, 249 Energie (energy) 91–92, 125, 140, 158, 160, 164, 282, 334, 338, 352, 366, 370 Energieerhaltung (conservation of energy) 48, 55, 57, 59 Enlightenment s. Aufklärung Entdeckung (discovery) 54, 143, 157, 159, 161, 187, 238, 271, 277 Epistemology s. Erkenntnistheorie Equality s. Gleichheit Erde (earth) 10, 68, 132–133, 157–160, 164–166, 223, 271, 319 Erfindung (invention) 10, 157, 210, 312, 321 Erkenntnis (insight) 1, 26–27, 47, 49–54, 56, 58–60, 61–64, 66–72, 79, 88, 97, 99–100, 111, 113, 117, 165, 196, 210, 231, 233, 245, 249, 254, 268, 282, 300, 335, 364, 366– 367, 372, 376 Erkenntnistheorie, Epistemologie, erkenntnistheoretisch, epistemisch, (epistemology, epistemic, epistemological) 5, 8–9, 12, 15–16, 21, 23, 26, 30, 33, 35, 55, 57, 70–71, 79–80, 82–83, 88, 91–94, 97–98, 100, 123–125, 131, 135, 157–159, 166–167, 191, 220, 224, 227, 242–245, 246–248, 262, 272, 281, 341–344, 346–360, 366 Erscheinung (appearance) 52, 57, 65, 85, 112, 120, 128, 132, 229–232, 237, 251–252, 254, 256–257, 281, 301, 334, 369 Eternal reccurence s. ewige Wiederkehr Ethik, ethisch (Ethics, ethic, ethical) 188, 278, 300, 307, 309, 336, 339, 347–348, 350, 352, 357, 359–360 Etymologie (etymology) 130, 157, 194, 217, 265, 274, 277–278, 282 Evolution, Evolutionstheorie, evolutionär (evolutionary theory, evolutionism, evolutionary) 1, 9, 28, 54, 64, 71, 116, 119, 127, 129, 135, 145, 147, 166, 214, 217, 235, 273, 310, 328, 342–345, 348, 351, 358– 359 Ewige Wiederkehr, Widerkunft (eternal reccurence) 141, 319

Sachregister

Experiment, experimentell (experimental) 8, 28, 51, 53, 57, 60, 67, 69, 81, 88–89, 99, 138, 147, 156, 166, 235, 328, 368 Fallacy s. Irrtum Falsifizierung (falsification) 12, 59, 129, 205, 242–244, 246–249, 250–251, 253, 262 Force s. Kraft Fortschritt (progress) 23, 27–28, 50, 53, 145, 153, 158, 204, 214, 217, 276, 300, 302, 312, 315–316, 327–328, 331, 342, 344–347, 349, 351, 353, 358 Fotografie (photography) 10, 157 Freiheit (freedom) 26, 56, 254, 275, 298, 329, 332, 339, 343, 359 Future s. Zukunft Gedächtnis (memory) 89, 132, 336 Geisteswissenschaften (humanities) 2, 5, 27, 32, 60, 62, 266 Geltung s. validity Gemeinwesen 321, 327, 330 Genealogie, genealogisch (genealogy, genealogical) 28, 33, 36–37, 79, 122, 125, 128, 130, 135, 194, 202, 215, 218–220, 258, 277–278, 297, 351 Genealogische Methode (genealogical method, historical analysis, evolutionary interpretation) 126–128, 193, 218, 267, 277 Genie (genius) 10, 16, 37, 108, 141–142, 209, 211, 370, 373 Geometrie (geometry) 9, 49, 59–61, 64, 71, 159 Gerechtigkeit (justice) 300, 350, 353 Geschichte, Kulturgeschichte (history) 1, 2, 15, 22, 28, 33, 65–66, 68, 101, 119, 121–122, 125–127, 129–131, 135, 142, 146, 201, 203, 207–211, 213–220, 266–267, 275, 277, 285, 289–301, 308–309, 334, 339, 344, 347– 349, 351–352, 355–357 Geschichtsschreibung (historiography, historiographical) 12, 201, 207, 292, 300–301 Geschichtswissenschaften (history, historical science) 11–12, 119, 121–122, 125–127, 129–131, 135, 142, 146, 190, 201–205, 207– 211, 213–220, 265–267, 273, 275, 277, 285, 344 Geschmack 152, 299, 327, 333 Gesellschaft, bürgerliche Gesellschaft, Societät, gesellschaftlich (society, social) 2, 15, 22,

389

46–47, 52, 60, 71–72, 93, 115, 173, 182, 186, 189, 208, 213, 216–217, 273, 279, 297, 307– 310, 312–313, 315–318, 322–323, 326–327, 329, 330–334, 337–338, 342–360 Gesundheit, gesund (Health, healthy) 72, 138, 140, 143–145, 147–149, 151–153, 162–163, 188, 212, 372 Gewalt 23, 116, 184, 195, 297, 323, 334 Gewissheit (certainty) 205, 213, 215, 223–224, 233–234, 294–295 Gewissheitsverlust 7, 19, 25–26, 30, 46–47, 51 Gleichheit (equality) 15, 329–331, 337 Glück 297, 327–328, 331, 338 Gott (God) 26, 107, 114, 116, 158–159, 234, 270, 275, 292–293, 300–301, 324, 338, 369, 372–373, 357 Grammatik (grammar) 13, 176–177, 179, 182, 185, 194, 223–225, 265, 268–274 Handel 21, 311, 321, 328 Harmonie (harmony) 25, 235, 312, 320, 327, 345 Health s. Gesundheit Heat death of the universe s. Wärmetod des Universums Heliozentrismus, heliozentrisch (heliocentrism, heliocentric) 50, 157 Herde, Heerde (herd) 279, 327, 332, 348, 350, 354 Herdeninstinkt, Heerdeninstinkt (herd instinct) 331, 348 Herdenmoral, Heerdenmoral 324, 328, 339, 348 Herdentier, Heerdenthier 332, 348 Heroismus, heroisch (heroism, heroistic) 328 Hierarchie, Hierarchy s. Rangordnung Hinterwelt 107, 114, 159, 173, 270, 338 Historie, history s. Geschichte, Geschichtswissenschaften Historiography s. Geschichtsschreibung Historisches Bewusstsein, historischer Sinn (historical consciousness, historical sense) 2, 19–20, 22, 24, 28, 30, 52, 130, 213 Historismus (historicism) 20, 214 History of religions s. Religionsgeschichte History of Science s. Wissenschaftsgeschichte Humanismus, humanistisch (Humanism, humanistic) 7, 24, 31, 176, 185, 191, 204– 205, 308, 329, 339

390

Sachregister

Humanities s. Geisteswissenschaften Hygiene, hygenisch (hygienic) 10, 52, 138–139, 143, 147–148, 151, 153, 336, 347 Hypothese, hypothetisch (Hypothesis, hypothetical) 1, 7–8, 26, 46, 50–51, 53–56, 58–59, 60–61, 64, 67, 69, 83, 97, 101, 157–158, 181–182, 217, 271, 324, 326, 335, 354–355, 357 Ideal 15, 34, 38, 42, 52, 89, 97, 141–142, 156, 158, 173, 196, 204, 212, 220, 319, 326–328, 333, 337–338, 346, 350, 353, 372 Idealimus, idealistisch (Idealism, idealistic) 27–28, 33, 49, 61, 88, 96–98, 107, 114, 122, 191, 203, 230, 232, 234, 237, 311–312, 362, 369, 377 Ignorabimus 24–25, 112 Ilias 183 Illness s. Krankheit Image s. Bild Individualismus (Individualism) 37, 300, 329, 337 Individuum (individual) 8, 15, 39, 111–112, 114– 116, 145, 153, 214–216, 218, 274, 279, 285, 294, 316, 323, 327–330, 332–334, 336– 339, 343, 345–346, 350, 354, 358–359, 367, 376 Induktion, induktiv (induction, inductive) 1, 26– 28, 51, 58, 60, 86, 88, 91 Innovation 1, 10–11, 52, 212 Insight s. Erkenntnis Intentionalität (intentionality) 86–87, 91, 260– 261 Interpretation 2, 10, 33, 64–66, 68, 89–90, 92, 101, 110, 120–121, 127, 133, 147, 176, 189, 193–197, 205–206, 212, 217, 219, 222, 284, 322, 343–344, 348–353, 357, 359 Invention s. Erfindung Irrtum (fallacy) 62, 182, 230, 249 Judentum (Judaism) 293–294, 296, 298–301, 325 Justice s. Recht Kantianismus, kantisch, kantianisch (Kantianism, kantian) 8, 27, 79, 82, 92, 97, 110, 218, 246, 254, 256–258, 269, 272– 273, 329 Kapitalismus (capitalism) 1, 22–23, 308, 316

Katholizismus (catholicism) 347, 374 Kausalität, Kausalitätsprinzip, Kausalitätsgesetz (causality, principle of causality) 13, 27, 49, 52, 54, 59, 60–61, 63–65, 67, 82, 86–89, 91, 94, 98–99, 125, 133, 218–219, 230–231, 243, 251, 253–254, 255–258, 270, 275, 263, 354, 366, 372 Klima (Climate) 10, 24, 141–144, 147–149, 151, 214, 267 Knowledge s. Wissen Knowledge of nature s. Naturerkenntnis Kognition (cognition) 13, 251, 265 Kohärenz (coherence) 346, 348, 359 Komfort (comfort) 316, 318, 327–328 Kommunismus (Communism) 22, 308, 314, 336 Komparative Methode 40, 265–268, 272–274, 283, 285, 290, 308 Komplexität (complexity) 80, 189, 279, 328, 342, 351, 353, 357 Konjekturalkritik 181, 182, 185 Konventionalismus (conventionalism) 46, 51, 54–55 Körper s. Leib Korrespondenztheorie der Wahrheit (correspondence theory of truth) 49, 89, 349 Kosmologie, kosmologisch (cosmology, cosmological) 26, 155, 351 Kosmos (cosmos) 10, 25, 50, 157, 159, 165 Kraft (force) 20, 54, 66, 72, 82, 87, 89, 91, 95, 102–103, 110, 116–117, 121–122, 128, 140, 141–142, 164–165, 187, 223, 229–231, 255, 257–259, 261, 274–275, 326, 335–336, 355, 369 Krankheit (illness) 10, 20, 28, 115, 138–139, 144, 147–148, 149, 151, 153, 324, 333, 335, 362, 372–373 Krieg, kriegerisch 115, 186, 229, 323–324, 326, 335 Krise (crisis) 29, 46, 190, 328 Kultur, kulturell (culture, cultural) 1, 15, 27, 39, 52, 55, 63, 72, 100–102, 108, 115, 126, 132, 135, 138, 153, 173–174, 194, 204–205, 208–209, 212, 220, 222, 244, 265, 267, 269, 273, 275, 277, 284–285, 290–291, 301, 313, 316–318, 321–326, 328, 334, 350–351 Kulturgeschichte s. Geschichte Kunst, Künste, künstlerisch, artistisch (art, artistic) 11, 26–27, 39, 61, 65, 91, 99–

Sachregister

100, 142, 150–151, 173, 183, 186, 188–189, 192, 195–196, 202, 205, 207, 210–212, 228, 244–245, 266, 275, 278, 280–281, 283, 294, 298, 307–308, 313, 321 Künstler (artist) 30, 89, 99, 150, 188, 211–212, 323 Landesschule Pforta s. Schulpforta Language s. Sprache Law s. Recht Law of nature s. Naturgesetz Lebensphilosophie (philosophy of life) 111–112, 115 Lebenswissenschaften (life sciences) 9, 107, 111, 285 Leib, Körper (body) 9, 81, 97, 102–103, 107, 111, 114–116, 138, 149, 223, 230, 235, 237–238, 257, 270, 272, 275, 281–282, 285, 324, 338, 358, 369 Leipzig 11, 13–14, 31, 36, 38, 41, 109, 173, 177, 179–182, 204, 206–207, 265–266, 272, 284, 291, 308 Liberalismus, liberal (Liberalism) 14, 23, 292, 310, 312, 316, 327, 329, 333, 335 Library s. Bibiliothek Lie s. Lüge Life sciences s. Lebenswissenschaften Linguistik, Sprachwissenschaft, linguistisch (Linguistics, linguistic) 5, 13, 177, 185, 205, 211, 265–269, 271, 273, 277, 280, 282–284 Logik, logisch (logic, logical) 12, 49, 59, 64, 71, 82, 86–88, 91, 100–101, 113, 125, 129, 131–134, 176, 224, 230, 268–269, 271, 273 Lüge (lie) 249–250, 252–253, 295, 338, 371–372 Macht (power) 13, 24, 52, 65, 115, 120, 134–134, 166, 187, 211, 216, 220, 242–243, 245, 254, 257–262, 274, 297, 301–302, 316, 323–326, 330, 332–334, 336–339, 344, 347, 351, 357–359, 362, 369, 372 Machtquanta, Machtquanten 258–259, 261, 336 Madness s. Wahnsinn Magnet, Magnetismus, magnetisch (magnetism, magnetic) 53, 162–163 Markt (market) 21, 327–328, 308, 318 Maschine (machine) 19, 27, 29, 52, 317, 319 Materialismus, Materialist, materialistisch (Materialism, materialist, materialistic) 1, 9, 24, 28, 33, 35, 41, 54, 108, 120–122,

391

133–134, 203, 215, 234, 236, 309, 320–321, 365, 375 Materialismusstreit 24, 108 Materie (matter) 9, 13, 24–26, 54, 87, 95, 102– 103, 121–122, 125–126, 132–133, 152, 223, 275, 369 Mathematik, mathematisch (mathematics, mathematical) 27, 33, 49, 53, 59, 64–65, 71, 81, 85, 119–120, 134, 210, 262 Mechanik, Mechanismus (Mechanism, mechanistic) 9, 25, 48, 51–57, 61–62, 64, 66, 81, 85, 100, 103, 110, 112, 116, 119–123, 125– 126, 131–135, 156, 190, 254–255, 257, 280, 307, 348 Medizin, medizinisch (Medicin, medical) 2, 5, 8, 10, 23, 34–35, 81, 107, 139–140, 142–144, 146–148, 153, 194, 265, 353, 371–372 Melancholie, melancholisch (melancholia, melancholy) 148–153 Memory s. Gedächtnis Metapher (metaphor) 68, 79, 91, 93, 128, 138, 141, 166, 188, 194, 276–278, 280, 283– 284, 323, 367 Methode, methodisch (method, methodological) 1, 7, 11, 26, 27, 28, 31, 33, 50, 51, 52, 62, 79, 85, 91–92, 94, 96, 126–127, 173, 176–179, 185, 191–193, 202, 204, 206, 208, 211, 218, 227, 265, 267–268, 277, 281, 283, 290, 342, 344–347, 349, 351–352, 357, 371–372, 373 Methodologie, Methodenlehre (methodology) 127, 185, 203, 205, 207, 211, 215, 218, 284, 342, 351, 359 Metonymie (metonym) 79, 91–92, 101, 128, 280, 283–284, 367 Mitleid (compassion) 147, 217, 327, 350 Moderne, modern (modernity) 7, 11, 24, 26–27, 30, 33, 46, 53, 63, 68, 70, 72, 98, 114, 121, 134–135, 138–139, 143, 153, 160, 173, 176, 185, 187, 189, 190–191, 204, 212, 220, 248, 254, 274, 282, 294, 297–298, 301–302, 307, 315, 317, 322–324, 326–328, 331, 333, 335, 337–339, 343–344, 347–349, 352– 354, 359 Modernisierung (modernisation) 47, 63 Moral, Moralität, moralisch, moralistisch (moral, maorality, moral, moralistic) 14–15, 54, 70, 93, 107, 122, 140, 147, 153, 194, 196, 204, 214–217, 268, 272, 274–275, 278, 294–

392

Sachregister

295, 297–298, 300–301, 313, 319, 323, 326–329, 331–332, 335–339, 342–350, 352–353, 358–359, 372 Mythos, Mythologie (myth, mythology) 13, 25, 70, 134, 158, 220, 272–276, 280, 290, 344, 347 Mystik (mysticism) 208, 210–212, 346 Natur (nature) 23–25, 27, 29–30, 48, 51, 55, 59–60, 64–65, 70–71, 84–85, 97–100, 102, 110, 115, 120–122, 127–128, 130, 133, 164, 215–217, 255, 257, 270–271, 274, 276, 285, 292, 297–298, 300, 316, 321, 332, 336, 348, 359, 373, 376 Naturalismus, naturalistisch (naturalism, naturalistic) 24–25, 41, 54, 64, 71, 86, 211, 214–216, 242, 258, 261, 290 Naturerkenntnis (knowledge of nature) 25, 46, 60 Naturforschung, Naturwissenschaft, naturwissenschaftlich (natural science) 1, 2, 4–5, 7–9, 19, 23–24, 26–28, 31–34, 41, 47–52, 55–58, 60, 62, 64, 66, 68–69, 71, 79, 85, 90, 95–97, 99, 103, 107–111, 117, 120–121, 132, 138, 194, 196, 204, 210, 215, 266, 311, 362, 365 Naturgesetz (law of nature, natural law, principle of nature) 51, 58–59, 64–65, 68, 89, 95, 97, 102–103, 120, 219, 297, 317 Neccessity s. Notwendigkeit Neukantianismus (neo-Kantianism) 80, 99, 102, 244, 246–247, 249 Nibelungen 208, 290 Nihilismus, nihilistisch (nihilism, nihilistic) 50, 65, 72, 135, 140, 147, 153, 158, 173, 196, 214, 291, 297, 318, 320, 326, Notion of Truth s. Wahrheitsbegriff Notwendigkeit (neccessity) 8, 11, 49, 51, 57, 59, 63–65, 68–69, 71, 99, 107, 255, 297, 300, 331 Numismatisch (numismatical) 194, 207 Objektivität (objectivity) 11, 66, 80, 94, 97, 205–206, 208, 212, 220, 354, 364 Ökonomie, Wirtschaft (economy) 2, 5, 14, 307– 312, 311, 313–321, 324, 326–327, 329–330 Ontologie, ontologisch (ontology, ontological) 55, 98, 102–103, 110, 125, 127, 129, 133, 159, 242, 257–258, 270, 358 Oper (opera) 2, 161, 202, 208, 213

Optik (optics) 80, 82, 102, 337, 365 Optimismus, optimistisch (optimism, optimistic) 23, 30, 312, 315, 318–319 Organ, Organismus (organism) 29–30, 32, 67, 80–83, 91, 94, 97, 100, 102, 110–117, 121, 129, 133, 246–247, 267, 272, 285, 329, 332, 345, 351, 353, 358, 370 Organisch (organic) 9, 24, 32, 55, 103, 129, 210–112, 116, 231, 270 Paläographie (palaeography) 178, 181 Past s. Vergangenheit Pathos der Distanz 297, 334 Perception s. Wahrnehmung Perspektive, perspektivisch (perspective, perspectival) 8, 13, 22–23, 32–33, 37, 56, 63, 65, 84–85, 92, 99, 121, 124–125, 127– 128, 131, 135, 150, 157, 174, 183, 193, 195, 217–218, 220, 242, 247, 268–285, 290– 292, 307, 309, 314, 316, 318, 327, 329, 331, 339, 341, 343, 347–350, 356–360 Perspektivismus, perspektivistisch (perspectivism) 2, 12, 14–15, 157, 166, 169, 195, 227, 235, 272, 290, 292, 297, 341, 349, 353–354, 357, 359–360 Pessimismus, pessimistisch (pessimism, pessimistic) 20, 23, 30, 145–147, 150, 152–153, 213, 331, 366 Philologie, philologisch (philology, philological) 2, 5, 7, 11, 13–14, 19, 28, 30–33, 38, 79, 92, 109, 162–163, 173–187, 189– 197, 202–208, 211–212, 243, 265–268, 273, 278, 282, 284–285, 296–297, 309, 371 Philosophy of life s. Lebensphilosophie Philosophy of science s. Wissenschaftsphilosophie Photography s. Fotografie Physiologie, physiologisch (physiologics, physiological) 1, 5, 32, 34–35, 41, 81–82, 90–97, 102–103, 107, 111, 114, 122, 129, 138, 145, 147, 194, 246–247, 249, 265, 271–272, 285, 336, 338–339, 342–343, 347–348, 362, 365, 368–369, 370–371, 373, 375–376 Physiologie der Sinnesorgane s. Sinnesphysiologie Physik, physikalisch (Physics, physical) 2, 5, 7, 9–10, 35, 47–55, 67, 70–71, 81–82, 84–85,

Sachregister

94–95, 97, 103, 119–121, 125–127, 132, 134–135, 155, 159–160, 165, 223, 254–255, 265, 271–273, 363, 366 Physikalismus (physicalism) 71 Pluralismus, Pluralisierung (pluralism, pluralistic) 46, 53, 59–60, 69, 245, 259, 261– 262, 348 Politik, politisch (politics, political) 5, 7, 14–15, 20–23, 127, 131, 151, 209, 216, 293, 294– 295, 300, 307–310, 313–318, 322–339, 344–345, 353, Politikwissenschaft (political science) 322, 338 Politische Philosophie (political philosophy) 15, 322 Positivismus, Positivist, positivistisch (positivism, positivist, positivistic, positif, positivisme) 1, 9, 15, 25, 27, 53, 55–56, 113, 119, 193, 214–215, 219, 245, 273, 302, 328, 344–346, 351, 357 Power s. Macht Principle s. Gesetz Principle of nature s. Naturgesetz Progress s. Fortschritt Psychologe (psychologist) 84, 144, 146, 347, 362 Psychologie, psychologisch (psychology, psychological) 1, 5, 13, 16, 64, 90, 93, 120, 126, 132–133, 146–147, 169, 189, 193, 203– 204, 207–208, 212–214, 217, 258, 261, 268–269, 275, 282, 285, 295, 300, 313, 335–336, 342–344, 347–349, 353, 355– 357, 360, 362–365, 368–373, 377 Quellen (sources) 2–3, 12, 15, 31, 35–36, 39, 50, 110, 117, 122, 124, 135, 143, 177–178, 182, 187–188, 201–203, 205–209, 213–215, 242–243, 248, 250, 252, 270, 274, 278, 295, 297–298, 328, 341, 346–347, 354, 374 Quellenforschung 4, 11, 19, 28, 34, 42, 80, 96, 108, 155, 175, 177, 180–182, 185, 193, 208– 209, 242–243, 262, 295, 364, 366 Rangordnung, Hierarchie (hierarchy, ranking) 165, 331, 334, 348, 353, 359 Rationalität, rational (rationality) 204, 208, 214, 317, 344, 349 Reason s. Vernunft Recht, Rechte (justice, law) 23, 26, 147, 234, 292, 315, 320, 322–334, 336–337, 374

393

Relativismus, Relativität, relativistisch (Relativism, relativity, relativistic) 8, 12, 135, 218, 268–269, 271, 344 Relativitätstheorie (theory of relativity) 70 Religion 1, 14, 26, 33, 130, 132–134, 159, 203, 207, 216, 266, 268–270, 290–294, 301–302, 326, 331, 345–346, 348, 352 Religionsgeschichte, religionsgeschichtlich (history of religions) 207, 291, 294, 298 Religionskritik (criticism of religion) 14, 40, 211, 292, 294–295 Religionswissenschaft (religious studies) 1, 13–14, 189, 273, 290–292, 294–297, 301– 302 Renaissance 150, 176, 209 Restauration 7, 20–21 Revaluation of All Values s. Umwertung Revolution 19–20, 30, 51–52, 70, 156, 158, 315, 326, 338, 348 Rhetorik (rhetoric) 11, 184, 188–189, 280–285 Romantik, Romantiker (romantics, romantic) 110, 189, 204–205, 208 Sanskrit 265, 272, 276, 277, 279, 295 Schulpforta, Schulpforte, Landesschule Pforta 11, 13, 31, 38, 40, 150, 173, 178, 180–181, 204, 206, 231, 290, 308 Scientific history s. Wissenschaftsgeschichte Scientific progress s. wissenschaftlicher Fortschritt Scientific theory s. Wissenschaftstheorie Seele (soul) 24, 130, 132, 133, 134, 148, 149, 158, 209, 211, 235, 272, 275–277, 280, 325, 332, 334, 338 Selbsterhaltung (self-preservation) 11, 94, 115, 260–261, 299–300, 319, 333, 364, 376 Sensation s. Sinnesempfindung Semasiologie, Bedeutungslehre (semasiology) 282–284 Sensualismus (sensualism) 121–122, 249–250, 262 Sinnesempfindung (sensation) 67, 84–87, 93, 275 Sinneseindrücke 8, 68, 83, 92, 99, 128, 250– 251, 277, 375 Sinnesphysiologie, Physiologie der Sinnesorgane, Physiologie der Sinne (physiology) 2, 8, 67–69, 79–104, 246, 365 Sittlichkeit, sittlich 228, 333, 336

394

Sachregister

Sklaven, Sklaverei (slaves, slavery) 216, 326, 334, 343 Society, Societät, social s. Gesellschaft Sokratismus 301 Sonne (sun) 10, 66, 156–159, 162–165, 276, 324 Soul s. Seele Sources s. Quellen Sozialismus, Sozialist (Socialism, Sociaslist) 14, 22, 39, 114, 248, 308–311, 314–316, 321, 326, 331, 337–338, 352 Sozialwissenschaft (social sciences) 312, 342 Soziologie, Soziologe, soziologisch (sociology, sociologist, sociological) 1, 5, 15, 207, 214–215, 322, 327, 341–342, 344, 346– 347, 349, 351–359, 375–376 Sprache (Language) 11, 13, 30, 32, 68, 79, 85, 92–93, 95, 99–100, 120, 129–130, 133, 173, 178, 180, 184, 186, 196, 236–237, 251, 265–267, 268–283, 285, 323, 347, 352– 353, 363, 367 Sprachwissenschaft s. Linguistik Spekulative Philosophie 27, 96, 112, 258, 363, 365 Staat (state) 19–21, 23, 52, 218, 308–309, 316–317, 322, 324, 332–333, 334, 337, 346, 354 Sterne (stars) 10, 68, 156–159, 162, 164–167 Stil (style) 36, 294, 319, 323, 334, 336 Substanz, substantialistisch (substance, substancialistic) 98, 103, 112, 121, 130, 133, 228–230, 237–238, 250–253, 257– 259, 261, 268–270, 274–275, 278 Synekdoche (synecdoche) 280, 283–284 task s. Aufgabe Techné 195, 280 Technik, Technologie, technisch (technique, technical) 2, 7, 10, 21–24, 29–30, 51–52, 55, 71, 126, 132, 185, 207, 212, 284, 298 Telegraph, Telegraphie 2, 21–22, 29 Teleologie, teleologisch (teleology, teleological) 15, 109–110, 122, 131, 165, 201, 203, 212–215, 326, 342, 344, 355, 358 Textkritik 11, 176–179, 182 Theologie, theologisch (theology, theological) 4, 10, 50, 98, 165, 178–179, 189, 193, 218, 290–294, 298, 344, 346, 371, 374 Theory of perception s. Wahrnehmungstheorie

Theory of relativity s. Relativitätstheorie Thermodynamik (thermodynamics) 53–54, 158, 164–166 Thing-in-itself s. Ding an sich Tod Gottes (death of God) 114, 166, 292 Tragödie (tragedy) 32, 100, 163, 189–190, 195, 204, 211–212, 301 Transformation,Transformationismus 1, 2, 7, 21–22, 29, 46–47, 53, 58, 63, 113, 210, 319, 344, 349 Transzendetalphilosophie, transzendent, transzendental 50, 52, 82–83, 87, 91, 97, 99, 107, 114, 244, 246–247, 268–269, 273 Trope 91, 280–281, 283–284, 367 Truth s. Wahrheit Truth value s. Wahrheitswert Tugend (virtue) 147, 274–275, 323 Typus (type) 27, 49, 188, 194, 212, 300, 319, 325–327, 332, 334, 348, 350, 353, 371, 373, 375 Übermensch 319, 326, 356 Unbewusstes (unconscious) 16, 59, 87–88, 90–91, 93, 101, 212, 214, 236, 238, 252, 269, 272, 273, 274–275, 280, 284, 337, 362, 365–367, 369–370 Universalität (universality) 49, 50, 60, 178, 272–273 Universität (university) 1, 24, 27–28, 31, 33, 53, 60, 142, 145, 175, 177, 179–181, 184, 191, 204, 265–266, 268, 273, 280, 284, 308 Universum (universe) 41, 130, 158–159, 329, 369 Umwertung, Umwerthung aller Werthe (Revaluation, Revaluation of All Values) 14–16, 114, 292, 298, 301, 317–318 320, 335, 339, 371 Utilitarismus, utilitaristisch (utilitarism, utilitaristic) 129, 326, 328–329, 337 Validity s. Geltung Vedânta 40, 208 Verfall (decay) 147, 299, 300–301, 323, 332, 352–353, 373, Vergangenheit (past) 20, 22, 33, 129, 145, 147, 173, 201, 204–205, 208, 212–215, 218–220, 294

Sachregister

Vergessen 91, 367 Vernunft (reason) 26, 27, 92, 111, 115–116, 129, 140–141, 159, 224, 249–250, 252–253, 269–270, 272–273, 275, 283, 310, 316, 344, 348–349 Virtue s. Tugend Wahnsinn (madness) 129, 142, 324 Wahrheit (truth) 1, 8–9, 20, 26, 30, 46, 48–55, 57–58, 60–71, 79, 86, 89, 91, 93–95, 98– 100, 120, 124–125, 127–131, 135, 166–167, 177, 192, 209–210, 211, 215, 220, 232, 247, 249, 269, 277, 279, 310, 324, 327, 334–335, 337, 344, 347, 349, 355, 357, 366–367, 369, 371–372 Wahrheitsbegriff (concept of truth) 57, 63, 70–71, 80, 89, 93, 100, 128 Wahrheitsgewissheitsverlust 7, 19, 25–26, 47, 51, 54 Wahrheitswert (truth value) 50, 53, 64 Wahrnehmung (perception) 8, 12–13, 33, 46, 67, 69, 83—93, 96, 101, 103–104, 107, 182, 187, 229–230, 235, 259, 271, 274, 279, 281, 285, 317, 336, 365, 367, 376 Wahrnehmungstheorie (theory of perception) 82, 84, 86, 90, 248 Wärmetod des Universums (heat death of the universe) 158, 164 Wealth s. Wohlstand Weimar 311 Wiederkunft, Wiederkehr s. Ewige Wiederkehr Wille zur Macht (will to power) 2, 9, 12, 16, 80, 92, 102–103, 114–115, 117, 120, 196, 218,

395

238, 242, 245, 254–256, 257–262, 318– 319, 323, 325, 335–337, 351, 353–355, 357, 369, 373 Wirklichkeit s. Realität Wissen (knowledge) 8, 10, 24–25, 42, 49–54, 62–63, 80, 82, 89–90, 96–97, 123–132, 135, 138, 143, 162, 165, 185, 205, 210, 213, 238, 268, 270, 282, 298, 307–308, 311, 315, 323, 339, 344–345, 347, 350–351, 356–360, 371–372 Wissenschaftspolitik 72, 179 Wissenschaftlicher Fortschritt (scientific progress) 23, 27–28, 50, 52–53, 153, 178, 204, 344–345, 347, 351 Wissenschaftsgeschichte (history of science, scientific history) 1–2, 5, 7, 11, 24, 28, 80–82, 100, 119, 125, 127, 129–131, 153– 157, 159, 161, 163, 173, 177, 188, 190, 215, 222, 227 Wissenschaftskritik (criticism of science) 48, 56, 80 Wissenschaftsphilosophie (philosophy of science) 46–47, 49, 69–70, 123, 125, 131, 135 Wissenschaftstheorie (scientific theory) 8, 35, 49, 51, 61, 70 Wohlstand (wealth) 327–328, 307, 316, 320 Zufall (coincidence) 62 Zukunft (future) 19, 23, 30–31, 33, 53, 145, 167, 201, 210, 214–215, 219–220, 319, 322, 334–336, 339, 349, 364 Zweckmässigkeit 110–111