Handbuch für Gewerbe- u. Kaufmannsgerichte: Fortsetzung des Handbuchs für Gewerbegerichte. Unter Benutzung des Archivs des Verbandes deutscher Gewerbe- und Kaufmannsgerichte [Reprint 2019 ed.] 9783111512433, 9783111144702

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Handbuch für Gewerbe- u. Kaufmannsgerichte: Fortsetzung des Handbuchs für Gewerbegerichte. Unter Benutzung des Archivs des Verbandes deutscher Gewerbe- und Kaufmannsgerichte [Reprint 2019 ed.]
 9783111512433, 9783111144702

Table of contents :
Inhaltsübersicht
Vorwort des Verbandes deutscher Gewerbegerichte
Vorwort des Herausgebers
Verzeichnis der Abkürzungen
Erster Teil. Gesetze
Zweiter Teil. Entscheidungen
Zum Gewerbegerichtögesetz
Zum Kaufmamlsgerichtsgesetz
Konkursordnung
Lohnbeschlagnahmegesetz
Zur Gewerbeordnung
Zum Handelsgesetzbuch
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Dritter Teil. Formulare
Alphabetisches Verzeichnis der in Deutschland bestehenden Gewerbe- und Kaufmannsgerichte
Alphabetisches Register

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Handbuch für

Gewerbe- u. Kaufmannsgerichie Fortsetzung des Handbuchs für Getverbegerichtr

Unter Benutzung des Archivs des Verbandes

deutscher Gewerbe- und Kaufmannsgerichie hrrsusgrgrbrn von

Dr. Georg Baum Rechtsanwalt am Kammergericht, Archivar deS Verbandes deutscher Gewerbe- und Kaufmannsgerichie, stellv. Vorsitzenden des Gewerbe- u. Kaufmannsgerichts zu Berlin-Schöneberg

Mir einem Vorwort des Verbandes deutscher Gewerbegerichte

Berlin

Druck und Verlag von Georg Reimer 1912

Inhaltsübersicht. Vorwort des Verbandes deutscher Gewerbegerichte Vorwort des Herausgebers Vorwort zur Fortsetzung Verzeichnis der Abkürzungen

1. Teil.

X

Gesetze.

1. Gewerbegerichtsgesetz 2. Kaufmannsgerichtsgesetz 3. Auszug aus der Konkursordnung 4. Lohnbeschlagnahmegesetz 5. Auszug aus der Gewerbeordnung 6. Auszug aus dem Handelsgesetzbuch 7. Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch

2. Teil.

V

VII—IX IX

XIII—XXXVII XXXVIII—XLV XLV—XLVII

XLVII—XLIX XLIX—CII CII—CXIV

CXIV—CXXIV

Entscheidungen.

Zum Gewerbegerichtsgesetz 1—122 Zum Kaufmannsgerichtsgesetz 122—182 Zur Konkursordnung ...................................................................................182—186 Zum Lohnbeschlagnahmegesetz 187—194 Zur Gewerbeordnung 194—442 Zum Handelsgesetzbuch 442—592 Zum Bürgerlichen Gesetzbuch 593—676

3. Teil. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Formulare.

Vereidigung eines Beisitzers 679 Klage wegen kündigungsloser Entlassung 679 Säumnis des Beklagten 680 Versäumnis gegen Beklagten 681 Einspruch gegen Bersäumnisurteil 682 Zurückweisung eines Vertreters. Säumnis des Klägers 682 Bersäumnisurteil gegen Kläger 683 Einspruch und Wiedereinsetzungsgesuch 684 Erste Verhandlung ohne Beisitzer 684 Streitige Verhandlung. Beweisaufnahme. Beweisbeschluß .......................... 687 Zwischenurteil auf Gewährung der Wiedereinsetzung 690 Strasbeschluß gegen Zeugen 691 Fortsetzung der Beweisaufnahme. Weitere mündliche Verhandlung .... 692 Publikationstermin....................................................................................................693 Endurteil 693 Klage auf Lohn, Zeugnis und Papiere 695 Teilweises Anerkenntnis. Verhandlung mit Personen, welche der deutschen Sprache unkundig sind 696

IV

Inhaltsübersicht.

18. 19. 20. 21. 22.

Anerkenntnisurteil................................................................................................................ Verhandlung mit Dolmetscher. Parteieid. Vergleich........................................... Klage eines Arbeitgebers ............................................................................................... Bestellung eines Prozeßvertreters .............................................................................. Ablehnung einer Gerichtsperson. Ordnungsstrafe gegen Beisitzer. Ungebühr« strafe. Klagerücknahme............................................................................................... Kostenurteil nach Klagerücknahme.................................................................................. Anrufung des Gewerbegerichts als Einigungsamt.................................................... Sitzung des Einigungsamts............................................................................................... Publikation des Schiedsspruchs...................................................................................... Kaufmannsgericht. Klage aus der Konkurtvnzklausel........................................... Kaufmannsgerichtssitzung. Verweisung an das Gewerbegericht..........................

23. 24. 25. 26. 27. 28.

697 697 698 699

699 700 701 702 704 704 705

Verzeichnis der deutschen Gewerbe- und Kaufmannsgerichte......................................... 707 Sachregister.................................................................................................................................... 713

Vorwort -es Verbandes deutscher Gewerbegerichte. Die nachfolgende Schrift des Herrn Rechtsanwalt Dr. Baum

ist insofern eine Privatarbeit, als sie von ihm selbständig und im wesentlichen nach eigenem Plan verfaßt wurde; sie steht indes in engsten Beziehungen zu dem Verband Deutscher Gewerbe­ gerichte. Das verarbeitete Material ist mit Zustimmung des Verbandes dem Archiv entnommen, das der Verband zum Zwecke

der Sammlung des gewerbegerichtlichen Materials und im Inter­ esse der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Das Gewerbegericht"

angelegt hat. Wir glauben, daß alle Interessenten Herrn Dr.Saum

dankbar sein werden, daß er dieses Material nunmehr den Gewerbe­ gerichten und allen denjenigen, die sonst die Entwicklung des

Arbeitsvertrages verfolgen, zugänglich macht.

Wir glauben aber

auch, daß das Werk jetzt eben zur richtigen Zeit erscheint. Zur richtigen Zeit, nicht etwa um deswillen, weil das Gewerbe­ gerichtsgesetz und der unmittelnar nach Erlaß desselben begründete Verband der deutschen Gewerbegerichte nunmehr das erste Dezennium vollendet haben; sondern weil die Entwicklung des

Arbeitsvertrages Wendepunkt

steht.

zurzeit in einem bedeutungsvollen

Erst unter dem Einfluß der sozialen

Bewegung der neuesten Zeit und wesentlich angeregt durch die Tätigkeit der Gewerbegerichte, hat die Rechtswissenschaft diesem wichtigsten aller Verträge ihr Augenmerk zugewandt; und die

Baumsche Schrift bietet ein Bild davon, wie umfangreich das Gebiet ist, welches allein die von den Gewerbegerichten behandelte Art des Arbeitsvertrages, der gewerbliche Arbeitsvertrag, beherrscht,

wie vielfälüg die entstehenden Streitfragen und wie unendlich

mannigfaltig die zu beurteilenden Tatbestände sind, namentlich da nicht nur, wie in der neuerlich erschienenen Publikation des

VI

Vorwort des Verbandes deutscher Gewerbegerichte.

Berliner Gewerbegerichts das gewerbliche Leben in einer einzelnen

Stadt, sondern das gewerbliche Leben in ganz Deutschland das Feld ist, auf dem die Umschau gehalten wird.

Aber neben dem

sog. freien Arbeitsvertrag entwickelt sich in den letzten Jahren ein

mehr oder weniger im voraus gebundener Vertrag. Einseitige Festsetzungen des Arbeitgebers (Arbeitsordnungen), generelle Ab­ machungen zwischen Gruppen von Arbeitnehmern und Arbeit­

gebern über den Inhalt der abzuschließenden Arbeitsverträge

(Tarifverträge), Beschlüsse großer Verbände, der Unternehmer oder der Arbeiter (Kartelle, Syndikate rc.). bestimmen den Inhalt des gewerblichen Arbeitsvertrages weit mehr als Verhandlungen

zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeiter. Jetzt sind es freilich nur die größeren Städte, die Reichshaupt­ stadt voran, vor deren Gewerbegerichten sich bereits eine Art Praxis der einigungsamtlichen Tätigkeit der Gewerbegerichte bilden

konnte. Gerade in der Zeit aber, in welcher diese wichtigen, juristisch noch fast unerforschten Rechtsgebilde bereits in den

Gesichtskreis aller Beteiligten getreten sind, mag es doppelt geboten sein, den Rechtsstoff zu sammeln, der unter dem Einfluß der bisher allein vorhandenen Rechtsformen seine Gestalt erlangt hat. Wir glauben daher, daß der Verband der Gewerbegerichte

zu ernsten und warmen Empfehlung des Werkes Veranlassung hat, und daß alle, die an der Entwicklung des Arbeisvertrages

Interesse nehmen, Ursache haben, dem Verfasser für seine Mühe-

waltung zu danken. Mainz, Frankfurt a. M.,

Oktober 1903.

Für den Verstand deutscher Gewerbegerichte. Der Vorsitzende.

Der Geschäftsführer.

Oberbürgermeister Dr. Gaßner.

Stadtrat Dr. Flesch.

Vorwort des Herausgebers. Das vorliegende „Handbuch für Gewerbegerichte"

verdankt seine

Entstehung dem vielfach hervorgetretenen Wunsche, zum zehnjährigen Be­ stehen des Verbandes deutscher Gewerbegerichte eine systematische Übersicht

dessm zu geben, was die deutschen Gewerbegerichte auf dem Gebiete der Rechtspflege geleistet haben. Ohne den Verband und das Verbandsarchiv wäre die Herausgabe des Buches nicht möglich gewesen.

Der Herausgeber

spricht daher hier an erster Stelle dem Verband und seinem Vorstande seinen Dank dafür aus, daß ihm für das vorliegende Buch die Benutzung, des Verbandsarchivs in so bereitwilliger Weise gestattet wurde.

Das Buch ist in erster Linie. für den praktischen Gebrauch im Gewerbegerichtsverfahren bestimmt. Es will dem Gewerberichter, der

insbesondere bei mittleren und kleineren Gewerbegerichten nur selten über eine größere Handbibliothek verfügt, auf möglichst gedrängtem Raum und in übersichtlicher Form die Materialien für die Tätigkeit

in der Sitzung bieten. Auch den ordentlichen Gerichten, den Rechts­ anwälten und allen denjenigen, welche sich als Behörden oder im gewerblichen Leben mit dem Rechte des Arbeitsoertrages zu befassen haben, dürfte es willkommen sein, die Judikatur zum Recht des Arbeits­ vertrages in systematischer Ordnung zur Hand zu haben, die bisher in einer sich auf ganz Deutschland erstreckenden Sammlung noch nicht vorlag. Dieser Judikatur ist der Hauptteil (der zweite Teil) des Buches gewidmet. Er bringt nach der Legalordnung des Gewerbegerichtsgesetzes, der Gewerbeordnung und des Bürgerlichen Gesetzbuchs geordnet, unter 439 Nummern etwa 600 Entscheidungen von Gewerbegerichten und ordentlichen Gerichten aus allen Teilen Deutschlands. Das Material

hierzu lieferten hauptsächlich die ungedruckten Bestände des Verbands­ archivs und die Verbandszeitschrift „Das Gewerbegericht". Andere Ent­ scheidungssammlungen und Zeitschriften, insbesondere „Soziale Praxis",

„Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts", „Juristische

Wochenschrift" rc., sowie die „Entscheidungen des Reichtsgerichts" (inZivilund in Strafsachen) und „Seufferts Archiv" sind deshalb nicht vernachläffigt. Eine größere Anzahl Entscheidungen sind auch dem altbekannten Werk von Unger, „Entscheidungen des Gewerbegerichts Berlin", ent-

vni

Vorwort des Herausgebers.

nommen, auf das auch wiederholt in Anmerkungen verwiesen ist. Da­ gegen konnte das Werk von v. Schulz & Schalhorn, „Das Gewerbegericht

Berlin", nur noch an einzelnen Stellen zitiert werden, da bei seinem Erscheinen der größte Teil des vorliegenden Buches bereits im Druck fertiggestellt war.

Dabei ist die Auswahl nicht auf die Judikatur nach

dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Gewerbegerichts­

novelle beschränkt worden, sondern es sind auch ältere Entscheidungen verwendet, soweit die betreffenden Materien von dem Wechsel der Gesetz­ gebung nicht berührt sind. Hierbei mußte freilich der Übelstand mit in

Kauf genommen werden, daß sich bei einer Anzahl Entscheidungen, welche sich aus der Zeit vor 1898 in der Zeitschrift „Das Gewerbegericht" und im Verbandsarchiv vorfanden, das Datum nicht mehr ermitteln ließ. Da das Buch eine möglichst unparteiische Übersicht der Judikatur geben soll, so ist ohne Rücksicht auf die persönliche Ansicht des Heraus­ gebers darauf Wert gelegt, bei streitigen Fragen die verschiedenen An­

sichten einander gegenüberzustellen, damit der Leser, ohne durch Kom­ mentierung voreingenommen zu werden, sich aus dem „Für" und „Wider" eine selbständige Meinung bilden kann. Kritische Anmerkungen sind fast

ganz unterlassen. Die Gesetzestexte im ersten Teil bieten das Gewerbegerichtsgesetz, die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige und das Lohn­

beschlagnahmegesetz vollständig, aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, der Gewerbeordnung und den Reichsversicherungsgesetzen einen Auszug der für das Gewerbegericht besonders in Betracht kommenden Bestimmungen.

Unter jedem Gesetzesparagraphen ist zugleich auf die einschlägigen Ent­ scheidungen verwiesen und damit ein systematisches Register geschaffen,

das zugleich für die Praxis des Gewerbegerichts einen Kommentar zu den Gesetzesbestimmungen darstellt.

Der dritte Teil endlich gibt eine Formularsammlung für das Gewerbegerichtsverfahren. Während ähnliche Sammlungen für die

ordentlichen Gerichte vorhanden und stark im Gebrauch sind, ist bisher, soweit ersichtlich, die Ausarbeitung einer solchen für die Gewerbegerichte noch nicht versucht worden. Dieser Abschnitt des Buches wird daher ins­

besondere denjenigen willkommen sein, welche aus einem andern Verwal­

tungszweige heraus zu Gewerbegerichtsvorsitzenden berufen werden. Auch dem Nichtjuristen werden die Formulare die Möglichkeit geben, rasch einen Überblick über die Formen des Gewerbegerichtsverfahrens zu gewinnen. Am Schluffe endlich ist noch ein alphabetisches Verzeichnis der Gewerbegerichte nach den neuesten Ermittelungen des Verbandes Deutscher

Gewerbegerichte und ein ausführliches alphabetisches Sachregister beigefügt.

Vorwort zur Fortsetzung.

IX

Für die Durchsicht der Formulare bin ich den Herren Assessor

Dr. Sontag zu Berlin und Dr. Luppe, stellvertretendem Vorsitzenden des Gewerbegerichts Frankfurt a. M., zu besonderem Dank verpflichtet.

Berlin, den 10. November 1903.

Dr. Gaum.

Vorwort Mr Fortsetzung. Die Einrichtung der Kaufmannsgerichte und die zahlreichen Fragen,

welche inzwischen in der Praxis der Gewerbegerichte aufgetaucht und entschieden waren, machten eine Neubearbeitung des im Jahre 1904 erschienenen Buches nötig. Es erschien angezeigt, möglichst wenig an der Einrichtung des Buches zu ändern, die sich in der Praxis bewährt

und es zum ständigen Hilfsmittel für die richterliche Tätigkeit bei den meisten Gewerbegerichten gemacht hat. Es war daher auch ursprünglich

geplant, sämtliche in der ersten Ausgabe enthaltenen Entscheidungen, soweit sie noch praktische Bedeutung besitzen, in derselben Form wieder aufzunehmen. Dieser Plan mußte aufgegeben werden, weil sich heraus­ stellte, daß dann der Umfang des Buches ein übermäßiger geworden und die Festsetzung eines einigermaßen angemessenen Verkaufspreises nicht mehr möglich gewesen wäre. Um aber trotzdem den Hauptvorteil des Buches — die übersichtliche Zusammenstellung des gesamten Entscheidungsmaterials — nicht fallen zu lassen, ist der Ausweg ge­ wählt worden, von den in der ersten Angabe enthaltenen Entschei­ dungen wenigstens die Überschrift und die Angabe zu bringen, ob die

Frage in bejahendem oder verneinendem Sinne entschieden ist. Der Leser kann sich dann wenigstens sofort darüber orientieren, ob die betreffende Frage überhaupt für ihn von Interesse ist, und braucht erst dann die erste Ausgabe wieder zu Rate zu ziehen. Möge auch die zweite Ausgabe bei den Gewerbe- und Kaufmanns­ gerichten und deren Interessentenkreisen die gleiche Beachtung und

günstige Aufnahme finden, die der ersten Ausgabe beschieden war!

Berlin, den 1. April 1912.

Dr. Gaum.

Verzeichnis der Abkürzungen. a. a. O. = am angegebenen Orte. Abs. = Absatz. Anm = Anmerkung. BGB = Bürgerliches Gesetzbuch. Entsch. — Entscheidung. Ges = Gesetz GG = Gewerbegericht GGG Gewerbegerichtsgesetz GO - Gewerbeordrrung für das Deutsche Reich HGB. = Handelsgesetzbuch KG Kaufmannsgericht. KGG = Kaufmannsgerichtsgesetz KO = Konkursordnung LBG Lohnbeschlagnahmegesetz. S = Seite vgl. vergleiche ZPO Zivilprozeßordnung. Zust. -- Zuständigkeit.

Erster Teil.

Gesetze.

1. Gewerbegerichtsgesetz. Erster Abschnitt. Errichtung und Zusammensetzung der Gewerbegerichte.

§ 1. Für die Entscheidung von gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitem einerseits und ihren Arbeitgebem andererseits sowie zwischen Arbeitem desselben Arbeitgebers können Gewerbegerichte errichtet werden. Die Errichtung erfolgt für den Bezirk einer Gemeinde durch Ortsstatut nach Maßgabe des § 142 der Gewerbeordnung. Die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde über die Genehmigung des Statuts ist binnen sechs Monaten zu erteilen. Die Entscheidung, durch welche die Genehmi­ gung versagt wird, muß mit Gründen versehen sein. Mehrere Gemeinden können sich durch übereinstimmende Ortsstatuten zur Errichtung eines gemeinsamen Gewerbegerichts für ihre Bezirke ver­ einigen. Für die Genehmigung der übereinstimmenden Ortsstatute ist die höhere Verwaltungsbehörde zuständig, in deren Bezirke das Gewerbe­ gericht seinen Sitz haben soll. Jmgleichen kann ein Gewerbegericht für den Bezirk eines weiteren Kommunalverbandes errichtet werden. Die Errichtung erfolgt in diesem Falle nach Maßgabe der Vorschriften, nach welchen Angelegenheiten des Verbandes statutarisch geregelt werden. Die Zuständigkeit eines solchen Gerichts ist ausgeschlossen, soweit die Zuständigkeit eines für eine oder mehrere Gemeinden des Bezirkes bestehenden oder später errichteten Gewerbegerichts begründet ist. Die Errichtung kann auf Antrag beteiligter Arbeitgeber oder Arbeiter durch Anordnung der Landeszentralbehörde erfolgen, wenn ungeachtet einer von ihr an die beteiligten Gemeinden oder den weiteren Kommunal­ verband ergangenen Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist die Errichtung auf dem im Abs. 2 bis 4 vorgesehenen Wege nicht erfolgt ist. Me Be­ stimmungen, welche dieses Gesetz dem Statute vorbehält, erfolgen in diesem Falle durch die Anordnung der Landeszentralbehörde. Bor der Errichtung sind sowohl Arbeitgeber als Arbeiter der haupt­ sächlichen Gewerbezweige und Fabrikbetriebe in entsprechender Anzahl zu hören. Ist das GG. für die Klage der Erben des Arbeiters zuständig? 8. 1. Kann der Gläubiger des Arbeiters die gepfändete Lohnforderung vor dem GG. einklagen? 8. 1. Kann der Zessionar eines Arbeiters die Lohnforderung vor dem GG. einklagen? 8. 1. Ist das Amtsgericht für den Zessionar zuständig, dem ein vor das GG. gehöriger Anspruch nur abgetreten ist, um die Zuständigkeit des GG. auszuschließen? S. 3. Sind die GG.

Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

XIV

1. Gewerbegerichtsgesetz.

zuständig für die Frage, ob Trinkgelder dem Lehrlinge oder dem Meister zustehen? Wird die Zuständigkeit durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses berührt? S. 58. Ist das GG. zuständig für Klagen aus Lehrverträgen, bei denen der Vater oder Vormund des Lehrlings als Kläger auftritt? 8. 5, für die Klage des Vaters auf noch­ malige Zahlung des Lohns, welcher entgegen einem Ortsstatut direkt an den Sohn gezahlt ist? 8. 5, für die Klage des Lehrherm gegen den Vater, Mutter oder Vor­ mund des Lehrlings? 8. 6. Ist das GG. zuständig für die Klage gegen den Konkursverwalter des Arbeit­ gebers? 8. 6, für den Konkursverwalter, der nach der Konkurseröffnung die Dienste eines vom Gemeinschuldner eingestellten Arbeiters stillschweigend angenommen hat? S. 7. Ist das GG. zuständig für die Klage eines Bauarbeiters gegen den Bauherrn, der in eigener Regie baut? 8. 8, für Streitigkeiten zwischen Produktivgenossenschaften und deren Mitgliedern? S. 8, für Ansprüche gegen unselbständige Arbeitgeber? 8. 9, für Ansprüche gegen die Fabrikpensionskasse ? 8. 12, für Ansprüche gegen eine Unter­ stützungskasse, die der Arbeitgeber allein ohne jede Mitwirkung der Arbeiter unterhält? S. 1L

§ 2. Für Gemeinden, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung mehr als zwanzigtausend Einwohner haben, muß ein Gewerbegericht errichtet werden. Die Landeszentralbehörde hat erforderlichenfalE die Errichtung nach Maßgabe der Vorschriften des § 1 Abs. 5 anzuordnen, ohne daß es eines Antrags beteiligter Arbeitgeber oder Arbeiter bedarf. § 3. Als Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes gelten diejeitigen Ge­ sellen, Gehilfen, Fabrikarbeiter und Lehrlinge, auf welche der siebente Titel der Gewerbeordnung Anwendung findet. Jmgleichen gelten als Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes Betriebs­ beamte, Werkmeister und mit höheren technischen Dienstleistungen betraute Angestellte, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt zweitausend Mark nicht übersteigt. B a h n a n g e st e l l t e. Ist das GG. zuständig für die Lohnklage eines Wagen­ führers einer elektrischen Straßenbahn? 8. 12, eines Pferdebahnschaffners? 8. 12, eines bayrischen Straßenbahnschaffrifefs? 8. 114, eines Omnibusschaffners? 8. 114, eines bei dem Gütertransport einer Eisenbahn beschäftigten Arbeiters? 8. 12, des Betriebswächter einer Kleinbahn? (Berliner Hochbahn) 8. 12. Unterstehen die Kraft­ station und die Werkstätten der Hoch- und Untergrundbahn zu Berlin der Gewerbeord­ nung? S. 12. Ist das GG. zuständig für Werkstattarbeiter einer Straßenbahn? S. 13, für Streckenarbeiter bei der Gleislegung einer Dampfstraßenbahn? (§ 6 GO.) 8. 14, für in einer Haupteisenbahn-Reparaturwerkstatt bzw. •Wagenbauanstalt beschäftigte Arbeiter (Stellmacher)? 8. 14, für Kellner einer Eisenbahn-Schlafwagen-Gesellschaft? 8. 16. Gärtner. Unter welchen Umständen ist das GG. für Gärtner zuständig? S. 16. Ist das GG. zuständig für Kunst- und Handelsgärtnereien ? 8. 17, für Freiland-Gemüse­ gärtnereien? 8. 17, für Gehilfen in Kunst- und Landschaftsgärtnereien? 8. 18, für An­ gestellte einer Champignonzüchterei? S. 18, für Angestellte einer Gartenbauausstellung? 8. 18, für Gartenarbeiter der städtischen Friedhofsverwaltung? 8. 18. Zuständigkeit des GG. für landwirtschaftliche Nebenbetriebe? Findet die GO. tauch auf diese Anwendung? 8. 19. Ist das GG. zuständig für Klagen des Binnenschiffers (Schiffsführers)? 8. 19, für die Schiffsmannschast auf Küstenmotorbooten? S. 19. Fährbetrieb. Ist das GG. zuständig für die Klage eines Kontrolleurs der Ham­ burger Alster-Dampfschiffahrt gegen deren Unternehmer? 8. 19. Ist das GG. für Gehilfen eines Fischers zuständig? 8. 19. Ist das GG. zuständig für Fahrradlehrer? 8. 20, für die Klage eines Ingenieurs gegen einen Patentanwalt? S. 20, für Gehilfen eines Rechtsanwalts? 8. 22, für Streitig­ keiten zwischen einem Zahntechniker und dem Zahnarzt, bei dem er arbeitet? 8. 22. Ist die Backwarenträgerin, die von einem Konsumverein beschäftigt wird, gewerb­ liche Arbeiterin? Ist für sie das GG. zuständig? S. 22, Ist für die Angestellten einer Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

1 Gewerbegerichtsgesetz.

XV

Hagelversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit das GG. zuständig? 8. 22. Ist ein Verlagsbuchhändler, der als Kassierer eines Mietervereins eine Ausstellung veran­ staltet, auch in dieser Eigenschaft Kaufmann? Sind die von ihm für die Ausstellung an­ genommenen Personen Handlungs- oder Gewerbegehilfen? S. 135. Ist das GG. zu­ ständig für die Klage eines Bautechnikers gegen einen Architekten, dessen Tätigkeit haupt­ sächlich auf lünstlerischem Gebiet liegt? S. 22. Ist das KG. zuständig für Gehilfen eines Pfandleihers? S. 133. Welches Gericht ist zuständig für den Taxator in einem Pfand­ leihgeschäft? S. 23. Ist das GG. zuständig für den Portier, Heizer und Fahrstuhlführer eines Mietshauses? S. 24. Ist das KG. zuständig für den Hausmeister in einem Kauf­ hause? S. 143. Artisten. Ist das GG. zuständig für Tierbändiger? 8. 25, für Schauspieler und Sänger in Vari6t6s? 8. 25, für Ansprüche eines „Humoristen“ aus einem Rauch­ theater? 8. 25, für Theatersänger an einem herumreisenden „Ausstattungsensemble"? S. 25, für die Klage eines Clowns mit dressierten Hunden? 8. 26, für Klagen von Mu­ sikern und Künstlern niederer Gattung gegen Unternehmer von sog. SpezialitätenVorstellungen? 8. 26, für Ansprüche einer Drahtseiltänzerin? 8. 26, für Charakter­ komiker, Bauchredner, Zauber- und Fesselkünstlerinnen ? 8. 27. Technisches T h e a t e r p e r s o n a l. Ist ein Theatermeister Betriebs­ beamter? 8. 27. Ist der Theater-Maschinist Gewerbegehilfe? 8. 27. Ist das GG. zu­ ständig für die Klage eines Theaterkassierers, der ein Monatsgehalt von 200 Mk. be­ zieht? 8. 27. Gesinde oder gemerbliche Arbeiter? Ist das GG. für Angestellte in Fabrikkantinen zuständig? 8. 27. Ist der Verkäufer in einer Kasernenkantine Hand lungsgehilfe? S. 141. Unterstehen Hausdiener der GO.? 8. 27. Ist das GG. zuständig für das Küchenmädchen eines Restaurants? 8. 27. Ist die Buffetmamsell Gewerbe­ gehilfin? 8. 27. Kommunale A n g e st e l l t e. Ist das GG. zuständig für Klagen von Ar­ beitern gegen die Verwaltung städtischer, zur Befriedigung öffentlicher Aufgaben dienender Betriebe? 8. 27, für Angestellte im städtischen Volksbad? S. 28, für Arbeiter eines städtischen Gaswerks? S. 28, für Arbeiter städtischer Gaswerke? S. 29, für Arbeiter der Hamburgischen Baudeputation? S. 30, für bei der städtischen Kanalisation beschäf­ tigte Arbeiter? S. 33, für städtische Straßenunterhaltungsarbeiter? S. 34. Arbeiter oder Unternehmer? Wird die Arbeiterqualität dadurch beseitigt, daß der Arbeitnehmer gegen Entschädigung das Werkzeug stellt? 8. 37. Ist das GG. zuständig für „Rheinarbeiter", die auf eigene Hand das Be- und Entladen von Schiffen übernehmen? S. 37, für den Garderobier eines Schankwirts? 8.38, für Streitig­ keiten zwischen dem Inhaber eines Dienstmannsinstituts und den einzelnen Dienstmännern? S. 38. Ist ein Schachtmeister Arbeiter, Werkmeister oder selbständiger Unternehmer? 8. 38. Ist ein Schlosseranschläger Arbeiter oder selbständiger Unternehmer? 8. 39. Ist der Geschäftsführer eines Restaurants, der die Leitung gegen Prozente der Ein­ nahmen übernommen hat, Gewerbegehilfe? S. 39. Ist ein in einem Restaurant in sog. Tonnenpacht stehender Busfetier Gewerbegehilfe? S. 41. Ist der Toilettenwärter in einem Restaurant, der einen Teil seiner Trinkgelder dem Wirte abführen muß, Pächter oder gewerblicher Arbeiter? S. 44. Ist ein Lohndiener, der an einem bestimmten Tage für einen Gastwirt den Bierverschleiß als sogen. Buffetier übernimmt, gewerblicher Arbeiter? 8. 44. Ist das GG. zuständig für die Klage eines Lohnschlächters gegen die Schlachthqusverwaltung, die ihm die weitere Tätigkeit im Schlachthaus untersagt hat? S. 44. Ist der Kapellmeister einer ungarischen Kaffeehauskapelle selbständiger Unter­ nehmer oder Gewerbegehilfe des Kaffeehausbesitzers? S. 46. Ist der Ziegelmeister Arbeiter oder selbständiger Unternehmer? S. 47. Handlungsgehilfen oder gewerbliche Arbeiter? Ist das GG. zuständig für kaufmännische Gehilfen in gewerblichen Betrieben? 8. 105. Hand­ langer in kaufmännischen Geschäften? S. 106, Stenographinnen und Maschinenschreibe­ rinnen in kaufmännischen Geschäften? 8. 106. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Stenograph und Maschinenschreiber als Handlungsgehilfe anzusehen? S. 144. Ist der Registrator Handlungsgehilfe oder gewerblicher Arbeiter? S. 144. Ist ein mit der Füh­ rung von Lohnlisten und der Berechnung der Kranken- und Invalidenversicherungsbeiträge beschäftigter Angestellter im Abrechnun^bureau einer Fabrik Handlungs- oder Gewerbegehilfe? S. 145. Ist der Werkstattschreiber Gewerbe- oder Handlungsgehilfe? S. 106. Ist ein „Volontär" in der Konfektionsbranche Gewerbegehilfe? auch wenn er Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

XVI

1. Gewerbegerichtsgesetz.

vorübergehend zur Ausbildung als Einrichter arbeitet? S. 107. Ist der Berichterstatter einer Zeitung Gewerbegehilfe? 8.107. Ist der Korrektor einer Zeitung Gewerbegehilfe? 8. 107. Ist der Kolporteur Gewerbegehilfe oder Handlungsgehilfe ? 8. 108. Ist die Direktrice eines Putzgeschäfts Handlungs- oder Gewerbegehilfin? S. 108. Ist der Schau­ fensterdekorateur Handlungsgehilfe ? 8.109. Ist die Verkäuferin eines Bäckers Gewerbe­ oder Handlungsgehilfin? 8.109. Ist die Schlächtermamsell Handlungsgehilfin? Kommen die Bestimmungen über Handlungsgehilfen auch auf Angestellte von Minderkaufleuten zur Anwendung? S. 141. Ist ein Bierfahrer Handlungsgehilfe? 8. 109. Ist ein Milch­ kutscher Handlungsgehilfe? 8. 112. Ist der Verkäufer in einer Trinkhalle Gewerbe­ oder Handlungsgehilfe ? 8. 112. Ist der Hotelsekretär Handlungsgehilfe ? 8. 114. Ist der Kellner Gewerbegehilfe? 8.114. Ist der Geschäftsführer eines Schankwirts (Aschingers Bierquelle) Handlungs- oder Gewerbegehilfe? 8. 114. Ist der von einer Brauerei eingesetzte Leiter einer Gastwirtschaft Handlungsgehilfe? S. 139. Ist die Wechselkassiererin im Automatenrestaurant Handels- oder Gewerbegehilfin? S. 140. Ist ein bayrischer Straßenbahnschaffner Handlungsgehilfe ? 8. 114. Ist der Omnibusschaffner Hand­ lungsgehilfe? 8. 114. Ist der Platzanweiser auf dem Stätteplatz Handlungsgehilfe? 8. 114. Ist das GG. zuständig für Angestellte eines Detektivbureaus? 8. 114. Sind Packerinnen in Warenhäusern Handlungsgehilfinnen? S. 142. Ist das KG. zuständig für den Hausmeister in einem Kaufhause? S. 143. Begriff des Betriebsbeamten, Werkmeisters usw. (5.401 ff. Zuständigkeit des GG. für Werkmeister. Werden Naturalbezüge (Wohnung, Heizung) zur Zuständigkeitssumme gerechnet? S. 51. Sind bei Berechnung der Zuständigkeits­ summe für höhere Angestellte auch der Höhe nach wechselnde Nebenbezüge (Orts­ zulagen) mitzurechnen? 8. 51. Sind bei Berechnung der Zuständigkeitsgrenzen die Einwnfte aus mehreren gleichzeitigen Dienstverhältnissen zusammenzurechnen? S. 158. Ist für die Zuständigkeit des KG. der Jahresarbeitsverdienst maßgebend, den der Gehilfe in dem streitigen Dienswerhältnis bezog, oder der, den er zur Zeit der Klageerhebung bezieht? S. 159. Inwieweit sind Reisespesen bei der Berechnung des Jahresarbeits­ verdienstes für die Zuständigkeit zu berücksichtigen? S. 159. Inwieweit sind bei Prüfung der Zuständigkeitsgrenze Provisionen und Reisespesen dem Gehalte zuzurech­ nen? S. 160—161. Ist bei Berechnung der Zuständigkeitsgrenze ein Gewinnanteil in Ansatz zu bringen, dessen ziffernmäßige Höhe sich nicht schätzen läßt? S. 161. Inwieweit sind bei Berechnung des Jahresarbeilsverdienstes für die Zuständigkeit Nebeneinnahmen mitzurechnen? S. 161. In welchem Umfang ist zur Prüfung der Zuständigkeit in eine Beweisaufnahme über die Gehaltshöhe einzutreten? S. 159. *

§ 4. Die Gewerbegerichte sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig für Streitigkeiten: 1. über den Antritt, die Fortsetzung oder die Auflösung des Arbeits­ verhältnisses sowie über die Aushändigung oder den Inhalt des Arbeitsbuchs, Zeugnisses, Lohnbuchs, Arbeitszettels oder Lohn­ zahlungsbuchs, 2. über die Leistungen aus dem Arbeitsverhältnisse, 3. über die Rückgabe von Zeugnissen, Büchern, Legitimationspapieren, Urkunden, Gerätschaften, Kleidungsstücken, Kautionen und der­ gleichen, welche aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses übergeben worden sind, 4. über Ansprüche auf Schadensersatz oder auf Zahlung einer Ber­ ttagsstrafe wegen Nichterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung der Verpflichtungen, welche die unter Nr. 1 bis 3 bezeichneten Gegenstände bettesfen, sowie wegen gesetzwidriger oder unrichtiger Eintragungen in Arbeitsbücher, Zeugnisse, Lohnbücher, Arbeits­ zettel, Lohnzahlungsbücher, Krankenkassenbücher oder Quittungskatten der Invalidenversicherung, Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

1. Gewerbegerichtsgesetz.

XVII

5. über die Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitem zu leistenden Krankenversicherungsbeiträge und Eintrittsgelder (§§ 53a, 65, 72, 73 des Krankenversicherungsgesetzes), *) 6. über die Ansprüche, welche auf Grund der Übemahme einer gemein­ samen Arbeit von Arbeitern desselben Arbeitgebers gegeneinander erhoben werden. Streitigkeiten über eine Konventionalstrafe, welche für den Fall be­ dungen ist, daß der Arbeiter nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein solches bei anderen Arbeitgebem eingeht oder ein eigenes Geschäft errichtet, gehören nicht zur Zuständigkeit der Gewerbegerichte. Ist das GG. zuständig für den Bereicherungsanspruch des Arbeiters, wenn der Arbeilsvertrag nichtig war? S. 51. Ist das GG. zuständig bei Anfechtung eines gewerbe­ gerichtlichen Vergleichs? S. 52—53. Ist das GG. zuständig bei Anfechtung eines gewerbe­ gerichtlichen Vergleichs? S. 52—53. Ist das GG. zuständig für den Anspruch eines Lehrlings auf Entschädigung wegen Unterlassung von Sicherheitsvorrichtungen? 8. 53. Ist das GG. zuständig für die Schadensersatzklage gegen einen Arbeiter, der Waren beschädigt bat, aus die sich der Arbeitsvertrag nicht bezieht? S. 53. Ist das GG. zuständig für den Schadenanspruch des Arbeiters gegen den Arbeitgeber wegen unrichtiger Meldung bei der Krankenkasse? 8. 54. Ist das GG. zuständig für Ansprüche wegen Nichtab­ schlusses eines Arbeitsvertrages? 8. 54. Ist das GG. zuständig für den Schadenanspruch des Arbeiters, der infolge einer Mitteilung seines früheren Arbeitgebers von einem ver­ übten Vertragsbruch seine neue Stellung verloren hat? S. 54. Begriff des Arbeitsver­ hältnisses. Ist das GG. zuständig für Ansprüche der nur zum Löschen eines bestimmten Schiffes angenommenen Schauerleute? 8. 55. Ist das GG. zuständig, wenn Klägerin für Dienste Vergütung verlangt, die sie, um sich für ihre spätere Stellung als Frau eines Geschäftsmannes vorzubereiten, ihrem früheren Verlobten geleistet hat? S. 55. Ist das GG. zuständig für Ansprüche des Arbeiters aus dem Versprechen des Gewerbetreibenden, daß er zeitlebens in der Fabrik sein Brot haben werde? S. 56. Ist das GG. zuständig für eine Klage des Arbeitgebers auf Rückzahlung irrtümlich zuviel gezahlten Lohnes? S. 56. Ist das GG. zuständig für die Klage auf Rückzahlung eines noch nicht abverdienten Lohnvorschusses? S. 56. Ist das GG. zuständig für Klagen auf Herausgabe von Spar­ büchern und Spargeldern? 8. 56. Ist das GG. zuständig für Klagen mif Rückforderung von Beiträgen zur Fabrikpensionskasse? S. 57. Sind die GG. zuständig für die Frage, ob Trinkgelder dem Lehrlinge oder dem Meister zu stehen? Wird die Zuständigkeit durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses berührt? 8. 58. Ist das GG. zuständig für Streitigkeiten über abhanden gekommene dem Arbeitgeber aber vorher nicht übergebene Kleidungsstücke? S. 58. Ist das GG. zuständig für den Anspruch von Kellnern auf Ersatz der Auslagen für Beschaffung von Aushilfskellnern an den gesetzlichen Ruhetagen? S. 58. Ist das GG. zuständig für Streitigkeiten über das Recht an Erfindungen Angestellter? S. 58. Ist das GG. zuständig für Klagen auf Schadenersatz wegen Erteilung wahrheits­ widriger Auskunft über den Arbeiter nach Lösung des Dienstverhältnisses? S. 59. Ist das GG. für Klagen aus einem vertragsmäßigen Konkurrenzverbot zuständig, die nicht auf Konventionalstrafe gerichtet sind? 8. 60. Kann vor dem GG. die Aufrechnung von Forderungen geltend gemacht werden, für die das GG. unzuständig ist? 8. 60. Können Ansprüche, welche vor die GG. gehören, mit solchen, für welche die ordentlichen Gerichte zuständig sind, verbunden werden? S. 60. Ist das ordentliche Gericht zuständig, wenn die Klage außer auf den Arbeitsvertrag noch auf ein Anerkenntnis gestützt wird? S. 60.

§ 5. Zur Zuständigkeit der Gewerbegerichte gehören ferner Streitig­ keiten der im § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Art zwischen Personen, welche für bestimmte Gewerbetreibende außerhalb der Arbeitsstätte der letzteren mit Anfertigung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt sind (Heim*) § 4 Nr. 5 fällt gemäß Art. 88 Einf.-Ges. zur RBO. mit dem Inkrafttreten des § 435 der Reichsversicherungsordnung weg. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen. Baum, Gewerbegertchte. b

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1. Gewerbegerichtsgesetz.

arbeiter, Hausgewerbetreibende), und ihren Arbeitgebem, sofern die Be­ schäftigung auf die Bearbeitung oder Verarbeitung der den ersteren von den Arbeitgebem gelieferten Rohstoffe oder Halbfabnkate beschränkt ist. Das gleiche gilt von Streitigkeiten der im § 4 Abs. 1 Nr. 6 bezeichneten Art zwischen solchen Hausgewerbetreibenden untereinander. Streitigkeiten derjenigen Hausgewerbetreibenden, welche die Roh­ stoffe oder Halbfabrikate selbst beschaffen, unterliegen der Zuständigkeit der Gewerbegerichte, soweit dies durch das Statut bestimmt ist.

Begriff des Heimarbeiters und des Hausgewerbetreibenden 8. 61. Unter welchen Umständen ist das GG. für Hausschneider zuständig? 8. 61. Worin liegt der Unter­ schied zwischen Hausgewerbetreibenden und selbständigen Unternehmern? S. 61—67. Ist das GG. zuständig für Hausgewerbetreibende, die für eine große Zahl von Geschäften arbeiten? 8. 67. Fahrrad-Industrie. Ist das GG. zuständig für Klagen wegen Ver­ gebung einzelner Bestandteile an unabhängige Arbeiter? 8. 67. Selbständiger Ge­ werbetreibender oder Heimarbeiter bezw. Hausindustrieller? Wird die Zuständigkeit des GG. dadurch begründet, daß Kl. nur auf Bestellung arbeitet? 8. 67. Statutarische Zuständigkeit des GG. für Hausgewerbetreibende, welche sich Rohstoffe und Halb­ fabrikate selbst beschaffen. Wird die Zuständigkeit ausgeschlossen, wenn der Heim­ arbeiter für mehrere Arbeitgeber arbeitet? 8. 67.

§ 6. Durch die Zuständigkeit eines Gewerbegerichts wird die Zu­ ständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen. Schiedsverträge, durch welche die Zuständigkeit der Gewerbegerichte für künftige Streitigkeiten ausgeschlossen wird, sind nur dann rechtswirksam, wenn nach dem Schiedsvertrage bei der Entscheidung von Streitigkeiten Arbeitgeber und Arbeiter in gleicher Zahl unter einem Vorsitzenden mit­ zuwirken haben, welcher weder Arbeitgeber oder Angestellter eines be­ teiligten Arbeitgebers, noch Arbeiter ist. Muß das ordentliche Gericht von Amts wrgen prüfen, ob ein zuständiges GG. vorhanden ist? 8. 68. Ist der Einwand, daß ein Rechtsstreit vor die GG. gehöre, noch in zweiter Instanz zulässig? 8. 68. Ist die Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts noch in zweiter Instanz von Amts wegen zu berücksichtigen? S. 173. Können Ansprüche, welche vor die GG. gehören, mit solchen, für welche die ordentlichen Gerichte zuständig sind, verbunden werden? 8. 60. Wird durch die Abrede, daß das Arbeitsverhältnis nach Handelsrecht beurteilt werden soll, die Zuständigkeit des GG. beseitigt? 8. 70. Ist eine Abrede rechtsgültig, durch die Parteien vor dem Inkrafttreten des KGG. die Zuständigkeit des ordentlichen Gerichts vereinbart haben? S. 176. Ist das ordentliche Gericht am Wohnsitze des Beklagten zuständig, wenn zwar für den Erfüllungsort, nicht aber für den Wohnsitz ein GG. besteht? S. 70. Tarif- und Schiedsvertrag. Kann vereinbart werden, daß an Stelle des GG. die Achtzehnerkommission des Verbandes der Berliner Baugeschäfte entscheiden soll? 8. 71. Ist die Tarifüberwachungskommission ein Schiedsgericht? Kann vor dem GG. geklagt werden, ehe sie angerufen ist? S. 71. Kann die Lehrlingskommission der Deut­ schen Gesellschaft für Mechanik und Optik in GG.-Sachen als Schiedsgericht eingesetzt werden? S. 72. Unter welchen Umständen ist die Vereinbarung der Zuständigkeit eines örtlich unzuständigen GG. nichtig? S. 175. Können die Parteien statt des zuständigen KG. stillschweigend die Zuständigkeit des GG. vereinbaren? S. 174.

§ 7. Die sachliche Zuständigkeit der Gewerbegerichte kann auf be­ stimmte Arten von Gewerbe- oder Fabrikbetrieben, die örtliche auf bestimmte Teile des Gemeindebezirkes beschränkt werden. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Die Landes-Zentralbehörde kann die örtliche Zuständigkeit eines von ihr errichteten Gewerbegerichts ausdehnen. Die beteiligten Ortsbehörden sind zuvor zu hören. § 8. Die Grenze der Zuständigkeit (§ 7) sowie die Zusammensetzung des Gerichts nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes ist durch das Statut zu regeln. § 0. Die Kosten der Einrichtung und der Unterhaltung des Gerichts sind, soweit sie in dessen Einnahmen ihre Deckung nicht finden, von der Gemeinde oder von dem weiteren Kommunalverbande zu tragen. Soll das Gericht nicht ausschließlich für eine Gemeinde oder einen weiteren Kommunalverband zuständig sein, so ist bei Festsetzung der Zuständigkeit zugleich zu bestimmen, zu welchen Anteilen die einzelnen Bezirke an der Deckung der Kosten teilnehmen. Gebühren, Kosten und Strafen, welche in Gemäßheit dieses Gesetzes zur Hebung gelangen, bilden Einnahmen des Gerichts. § 10. Für jedes Gewerbegericht sind ein Vorsitzender und mindestens ein Stellvertreter desselben sowie die erforderliche Zahl von Beisitzem zu berufen; die Zahl der letzteren soll mindestens vier betragen. Bei Gewerbegenchten, welche aus mehreren Abteilungen (Kammern) bestehen, können mehrere Vorsitzende bestellt werden. § 11. Zum Mitglied eines Gewerbegerichts soll nur berufen werden, wer das dreißigste Lebensjahr vollendet und in dem der Wahl voran­ gegangenen Jahre für sich oder seine Famüie Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln nicht empfangen oder die empfangene Armenunter­ stützung erstattet hat. Als Beisitzer soll nur berufen werden, wer in dem Bezirke des Gerichts seit mindestens zwei Jahren wohnt oder beschäftigt ist. Personen, welche zum Amte eines Schöffen unfähig sind (Gerichts­ verfassungsgesetz §§ 31, 32), können nicht berufen werden. § 12. Der Vorsitzende sowie dessen Stellvertreter dürfen weder Arbeitgeber noch Arbeiter sein. Sie werden durch den Magistrat und, wo ein solcher nicht vorhanden ist oder das Statut dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung, in weiteren Kommunalverbänden durch die Vertretung des Verbandes aus mindestens ein Jahr gewählt. Hat ein GG.-Borsitzender, der als Magistratsassessor Besoldung erhält, aber aus dieser Dienststellung vor Maus seiner Wahlperiode ausscheidet, Anspruch auf weitere Tätigkeit als Vorsitzender und auf Vergütung, bis die Wahlzeit abgelaufen ist? S. 73.

§ 13. Die Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Arbeitgebern, zur Hälfte aus den Arbeitern entnommen werden. Die ersteren werden mittels Wahl der Arbeitgeber, die letzteren mittels Wahl der Arbeiter bestellt. Die Wahl ist unmittelbar und geheim. Die Wahl erfolgt auf mindestens ein Jahr und auf höchstens sechs Jahre. Eine Wiederwahl ist zulässig. § 14. Zur Teilnahme an den Wahlen (§ 13) ist nur berechtigt, wer das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet und in dem Bezirke des Ge­ werbegerichts Wohnung oder Beschäftigung hat. Die im § 11 Abs. 2 be­ zeichneten Personen sind nicht wahlberechtigt. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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Ist die Zuständigkeit des Gewerbegerichts auf bestimmte Arten von Gewerbe- oder Fabrikbetrieben beschränkt (§ 7 Abs. 1), so sind nur die Arbeitgeber und Arbeiter dieser Betriebe wählbar und wahlberechtigt. Mtglieder einer Innung, für welche ein Schiedsgericht in Gemäßheit des § 81 b Nr. 4 und der §§ 91 bis 91 b der Gewerbeordnung errichtet ist, sowie deren Arbeiter sind weder wählbar noch wahlberechtigt. § 15. Die näheren Bestimmungen über die Wahl und das Verfahren bei derselben werden durch das Statut getroffen. Es kann insbesondere festgesetzt werden, daß bestimmte gewerbliche Gruppen je einen oder mehrere Beisitzer zu wählen haben. Auch ist eine Regelung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zulässig; dabei kann die Stimmabgabe auf Vorschlags­ listen beschränkt werden, die bis zu einem im Statute festgesetzten Zeit­ punkte vor der Wahl einzureichen sind. Ist in dem Statute bestimmt, daß die Gemeindebehörde Wahllisten aufzustellen hat, so sind die Polizeibehörden sowie Krankenkassen, welche im Bezirke des Gewerbegerichts bestehen oder eine örtliche Verwaltungs­ stelle haben, verpflichtet, der Gemeindebehörde auf Verlangen die für die Fertigung der Wählerliste für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erforder­ lichen Auskünfte zu geben, insbesondere Einsicht der Mitgliederverzeichnisse beziehungsweise der Gewerbeanzeigen zu gewähren. § 16. Als Arbeitgeber im Sinne der §§ 12 bis 14 gelten diejenigen selbständigen Gewerbetreibenden, welche mindestens einen Arbeiter (§ 3) regelmäßig das Jahr hindurch oder zu gewissen Zeiten des Jahres beschäfti­ gen. Den Arbeitgebern stehen im Sinne der bezeichneten Vorschriften die mit der Leitung eines Gewerbebetriebs oder eines bestimmten Zweiges desselben, betrauten Stellvertreter der selbständigen Gewerbetreibenden gleich, sofern sie nicht nach § 3 Abs. 2 als Arbeiter gelten. Inwieweit die nach § 5 der Zuständigkeit der Gewerbegerichte unter­ stellten Hausgewerbetreibenden als Arbeitgeber oder als Arbeiter wahl­ berechtigt und wählbar sind, wird durch das Statut bestimmt. § 17. Beschwerden gegen die Rechtsgültigkeit der Wahlen sind nur binnen eines Monats nach der Wahl zulässig. Sie werden durch die höhere Verwaltungsbehörde entschieden. Dieselbe hat auf erhobene Beschwerde Wahlen, welche gegen das Gesetz oder die auf Gmnd des Gesetzes erlassenen Wahlvorschriften verstoßen, für ungültig zu erllären. Die Wahl der Vorsitzenden und der Stellvertreter bedarf der Be­ stätigung der höheren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke das Gewerbe­ gericht seinen Sitz hat. Diese Bestimmung findet auf Staats- oder Ge­ meindebeamte, welche ihr Amt kraft staatlicher Ernennung oder Bestäti­ gung verwalten, keine Anwendung, solange sie dieses Amt belleiden. § 18. «sind Wahlen nicht zustande gekommen oder wiederholt für ungültig erllärt, so ist die höhere Verwaltungsbehörde befugt, a) die Wahlen, soweit sie durch Arbeitgeber oder Arbeiter vorzunehmen waren, durch den Magistrat und, wo ein solcher nicht vorhanden ist oder wo das Statut dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung, in weiteren Kommunalverbänden durch die Vertretung des Ver­ bandes vomehmen zu lassen; ßateiniidier Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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b) soweit die Wahlen vom Magistrat oder der Gemeindevertretung oder der Vertretung eines weiteren Kommunalverbandes vorzunehmen waren, die Mitglieder selbst zu ernennen.

§ 19. Namen und Wohnort der Mitglieder des Gewerbegerichts werden nach näherer Bestimmung des Statuts öffentlich bekannt gemacht.

§ 20. Das Amt der Beisitzer ist ein Ehrenamt. Die Übernahme kann nur aus den Gründen verweigert werden, welche zur Mlehnung eines unbesoldeten Gemeindeamts berechtigen. Wo landesgesetzliche Bestim­ mungen über die zur Ablehnung von Gemeindeämtem berechtigenden Gründe nicht bestehen, darf die Übernahme nur aus denselben Gründen

verweigert werden, aus welchen das Amt eines Vormundes abgelehnt werden kann. Wer das Amt eines Beisitzers sechs Jahre versehen hat, kann während der nächsten sechs Jahre die Übernahme des Amtes ablehnen. Ablehnungsgründe gewählter Beisitzer sind nur zu berücksichtigen, wenn dieselben, nachdem der beteiligte Beisitzer von seiner Wahl in Kenntnis gesetzt ist, schriftlich geltend gemacht werden, über den Ablehnungsantrag entscheidet die im § 12 Abs. 2 bezeichnete Stelle. Die Beisitzer erhalten für jede Sitzung, der sie beigewohnt haben, Vergütung etwaiger Reisekosten und eine Entschädigung für Zeitversäumnis. Die Höhe der letzteren ist durch das Statut festzusetzen; eine Zurückweisung derselben ist unstatthaft. § 21. Ein Mitglied des Gewerbegerichts, hinsichtlich dessen Um­ stände eintreten oder bekannt werden, welche die Wählbarkeit zu dem von ihm beneideten Amte nach Maßgabe dieses Gesetzes ausschließen, ist des Amtes zu entheben. Die Enthebung erfolgt durch die höhere Verwaltungs­ behörde nach Anhörung des Beteiligten. Aus den Arbeitgebern entnommene Beisitzer, die erst nach ihrer Wahl Mitglied einer int § 14 Abs. 3 bezeichneten Innung werden, sowie aus den Arbeitem entnommene Beisitzer, die erst nach ihrer Wahl bei einem Mit­ glied einer solchen Innung in Arbeit treten, bleiben bis zur nächsten Wahl im Amte. Ein Mitglied des Gewerbegerichts, welches sich einer groben Ver­ letzung seiner Amtspflicht schuldig macht, kann seines Amtes entsetzt werden. Die Entsetzung erfolgt durch das Landgericht, in dessen Bezirke das Ge­ werbegericht seinen Sitz hat. Hinsichtlich des Verfahrens und der Rechts­ mittel finden die Vorschriften entsprechende Anwendung, welche für die zur Zuständigkeit der Landgerichte gehörigen Strafsachen gelten. Die Klage wird von der Staatsanwaltschaft auf Antrag der höheren Ver­ waltungsbehörde erhoben. § 22. Der Vorsitzende des Gewerbegerichts und dessen Stellvertreter sind vor ihrem Amtsantritte durch den von der höheren Verwaltungsbehörde beauftragten Beamten, die Beisitzer vor der ersten Dienstleistung durch den Vorsitzenden auf die Erfüllung der Obliegenheiten des ihnen über­ tragenen Amtes eidlich zu verpflichten. § 23. Beisitzer, welche ohne genügende Entschuldigung zu den Sitzun­ gen nicht rechtzeitig sich einfinden oder ihren Obliegenheiten in anderer Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck oie in der zweiten Ausgabe neu aufgenomrnenen.

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Weise sich entziehen, sind zu einer Ordnungsstrafe bis zu dreihundert Mark sowie in die verursachten Kosten zu verurteilen. Die Verurteilung wird durch den Vorsitzenden ausgesprochen. Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, so kann die Berurtellung ganz oder teilweise zurückgenom­ men werden. Gegen die Entscheidungen findet Beschwerde an das Landgericht statt, in dessen Bezirke das Gewerbegericht seinen Sitz hat. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung. Kann ein Beisitzer auch wegen unentschuldigten Ausbleibens aus Plenar- und Ausschußsitzungen in Strafe genommen werden? 8. 77. § 24. Das Gewerbegericht verhandelt und entscheidet, soweit nicht in diesem Gesetz ein anderes bestimmt ist, in der Besetzung von drei Mtgliedem mit Einschluß des Vorsitzenden. Durch das Ortsstatut kann bestimmt werden, daß allgemein oder für gewisse Streitigkeiten eine größere Zahl von Beisitzern zuzuziehen ist. In gleicher Weise ist zu bestimmen, nach welchen Gmndsätzen der Vorsitzende die einzelnen Beisitzer zuzuziehen hat. Arbeitgeber und Arbeiter müssen stets in gleicher Zahl zugezogen werden.

War das Gericht vorschriftsmäßig besetzt, wenn statutengemäß vier Beisitzer einzuladen sind, aber nur zwei an der Entscheidung teilgenommen haben? S. 77. § 25. Bei jedem Gewerbegerichte wird eine Gerichtsschreiberei ein­ gerichtet. 'Für die Bewirkung der Zustellungen in dem Verfahren vor den Ge­ werbegerichten können an Stelle der Gerichtsvollzieher Gemeindebeamte verwendet werden.

Zweiter Abschnitt. Verfahren. § 26. Auf das Verfahren vor den Gewerbegerichten finden, soweit im nachstehenden nicht besondere Bestimmungen getroffen sind, die für das amtsgerichüiche Verfahren geltenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung.

Kann für den minderjährigen Sohn von dem Vater eine wirksame Prozeßvoll­ macht erteilt werden? 8. 78.

§ 27. Zuständig ist dasjenige Gewerbegericht, in dessen Bezirke die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist oder sich die gewerbliche Niederlassung des Arbeitgebers befindet oder beide Parteien ihren Wohnsitz haben. Unter mehreren zuständigen Gewerbegerichten hat der Kläger die Wahl. Ist der Gerichtsstand der Niederlassung gegenüber einem Karussellbesitzer be­ gründet, der sich am Sitze des GG. nur während der Dauer einer Messe aufhält? 8. 79. Ist für die Klage des Matrosen gegen den Schiffer das GG. örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Schiff zur Zeit der Entlassung lag? S. 79. Welches Gericht ist zuständig, wenn es zwar für den Ort der Handelsniederlassung des Arbeitgebers, nicht aber für den Ort des Gewerbebetriebes ein GG. gibt? S. 80. Wo ist der Gerichtsstand des ErsüllungsLateinischer Druck be-etchnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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orts bei Schadenersatzklagen gegen einen Reisenden, der nicht am Wohnorte seines Prinzi­ pals »yohnt? S. 81. Ist die Baustelle ohne weiteres Erfüllungsort für die Lohnzahlung? S. 82. Ist für Heizer im Elektrizitätswerk einer Eisenbahngesellschaft das GG. des Orts zuständig, an dem sich die Gesellschaftsdirektion, aber nicht das Elektrizitäts­ werk befindet? S. 83. Ist das KG. am Orte der gewerblichen Niederlassung zuständig, wenn der Prinzipal diese Niederlassung erst nach Auflösung des Dienstvertrages begründet hat? S. 179.

§ 28. Die Vorschrift im § 11 der Zivilprozeßordnung über die bin­ dende Wirkung der rechtskräftigen Entscheidung, durch welche ein Gericht sich für sachlich unzuständig erklärt hat, findet in dem Verhältnisse der Ge­ werbegerichte und der ordentlichen Gerichte Anwendung. Eine solche Entscheidung des ordentlichen Gerichts ist auch insoweit, als sie auf der Annahme der örtlichen Zuständigkeit eines bestimmten Gewerbegerichts beruht, für das letztere bindend. Erfolgt die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das Oberlandesgericht, wenn sich GG. und Amtsgericht für unzuständig erklärt haben? 8. 83. Kann das Amtsgericht nach Erlaß eines Zahlungsbefehls das Verfahren an das KG. verweisen? S. 178.

§ 29. über Gesuche wegen Ablehnung von Gerichtspersonen ent­ scheidet das Gewerbegericht. § 30. Nichtprozeßfähigen Parteien, welche ohne gesetzlichen Vertreter sind, kann auf Antrag bis zum Eintritte des gesetzlichen Vertreters von dem Vorsitzenden ein besonderer Vertreter bestellt werden. Das gleiche güt im Falle erheblicher Entfernung des Aufenthaltsorts des gesetzlichen Vertreters. Die nichtprozeßfähige Partei ist auf ihr Verlangen selbst zu hören. § 31. Rechtsanwälte und Personen, welche das Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, werden als Prozeßbevollmächtigte oder Beistände vor dem Gewerbegerichte nicht zugelassen. Ist ein Gewerkschaftsbeamter als geschäftsmäßiger Vertreter anzusehen, der das Verhandeln vor Gericht häufig, wenn auch ohne Entschädigung betreibt? 8. 83. Sind kaufmännische Angestellte einer Aktiengesellschaft, die juristische Vorbildung haben und ihre Firma regelmäßig vor dem KG. vertreten, geschäftsmäßige Vertreter? S. 83. Be­ treibt ein Angestellter einer Aktiengesellschaft, der gleichzeitig den Anforderungen der Tochtergesellschaften in Prozeßsachen Folge zu leisten hat, das Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig? S. 84. Darf ein Rechtskonsulent seinen minderjährigen Sohn vor dem KG. vertreten? S. 86. Ist gegen die Zurückweisung eines Prozeßbevollmächtigten Beschwerde zulässig? 8. 87.

§ 32. Die Zustellungen in dem Verfahren vor den Gewerbegerichten erfolgen von Amts wegen. Urteile und Beschlüsse, gegen welche ein Rechtsmittel stattfindet, sind den Parteien zuzustellen, soweit diese nicht auf die Zustellung verzichten. Sonstige Urteile und Beschlüsse sind einer Partei nur zuzustellen, wenn sie nicht in Anwesenheit derselben verkündet sind. Auf Verlangen einer Partei ist derselben auch Ausfertigung eines in ihrer Anwesenheit verkündeten Urteils oder Beschlusses zu erteilen. Anträge und Erklärungen einer Partei, welche zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht einzureichen oder mündlich zum Protokolle des Gerichtsschreibers anzubringen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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1. Gewerbegerichtsgesetz.

«Sofern durch die Zustellung eine Frist gewahrt oder die Verjähmng unterbrochen werden soll, tritt diese Wirkung, wenn die Zustellung dem­ nächst erfolgt, bereits mit der Einreichung oder Anbringung des Antrags oder der Erklärung ein. Sind im Verfahren vor dem 06. Parteizustellungen zulässig? 8. 88. § 83. Der Gerichtsschreiber hat für die Bewirkung der Zustellung Sorge zu tragen und die bei derselben zu übergebenden Abschriften zu beglaubigen. Er hat das zu übergebende Schriftstück in einem verschlossenen, mit der Adresse der Person, an welche zugestellt werden soll, sowie mit einer Ge­ schäftsnummer versehenen Briefumschläge dem Zustellungsbeamten und im Falle der Zustellung durch die Post dieser zur Zustellung zu übergeben. Auf den Briefumschlag ist der Vermerk zu setzen: Vereinfachte Zustellung. Die auf dem Briefumschlag angegebene Geschäftsnummer ist in den Men zu vermerken. § 34. Die von dem Zustellungsbeamten oder dem Postboten auf­ zunehmende Zustellungsurkunde muß die Art und Weise, in welcher der seiner Adresse und seiner Geschäftsnummer nach bezeichnete Briefumschlag übergeben ist, insbesondere den Ort und die Zeit der Übergabe sowie die Person, welcher zugestellt ist, bezeichnen und, wenn die Zustellung nicht an den Adressaten persönlich erfolgt ist, den Gmnd hiervon angeben. Die Urkunde ist von dem die Zustellung vollziehenden Beamten zu unter­ schreiben. Bei der Zustellung wird eine Abschrift der Zustellungsurkunde nicht übergeben. Der Tag der Zustellung ist von dem zustellenden Beamten auf dem Briefumschläge zu vermerken.

§ 35. Die zur Erledigung des Rechtsstreits erforderlichen Verhand­ lungstermine werden von dem Vorsitzenden von Amts wegen angesetzt. Nach Ansetzung des Termins ist die Ladung der Parteien durch den Gerichtsschreiber zu veranlassen. Ladungen durch die Parteien finden nicht statt. Die Zustellung der Ladung muß spätestens am Tage vor dem Termin erfolgen. Die Zustellung der Ladung an eine Partei ist nicht erforderlich, wenn der Termin in Anwesenheit derselben verkündet oder ihr bei Einreichung oder Anbringung der Klage oder des Antrags, auf Grund dessen die Ter­ minsbestimmung stattfindet, mitgeteilt worden ist. Die erfolgte Mitteilung ist zu den Akten zu vermerken. § 36. Nachdem die Klage eingereicht oder zum Proiokolle des Ge­ richtsschreibers angebracht ist, hat der Vorsitzende einen möglichst nahen Termin zur Verhandlung anzusetzen. Die Klage gilt, unbeschadet der Bestimmung im § 32 Abs. 4, erst mit der Zustellung an den Beklagten als erhoben. § 37. An ordentlichen Gerichtstagen können die Parteien zur Ver­ handlung des Rechtsstreits ohne Terminsbestimmung und Ladung vor dem Gericht erscheinen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Die Erhebung der Klage erfolgt in diesem Falle durch den münd­ lichen Vortrag derselben. Die Klage ist zu Protokoll zu nehmen, falls die Sache streitig bleibt. § 38. Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse desselben erfolgt öffenllich. Durch das Gericht kann die Öffentlichkeit für die Verhandlung oder für einen Teil derselben nach Maßgabe der Vorschriften in den §§ 173 bis 176 des Gerichtsverfassungsgesetzes ausgeschlossen werden. Die Vorschriften der §§ 176 bis 193 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen und über die Gerichtssprache finden Anwendung. § 39. Erscheint der Kläger im Verhandlungstermine nicht, so ist auf Antrag des Beklagten das Versäumnisurteil dahin zu erlassen, daß der Kläger mit der Klage abzuweisen sei. Erscheint der Bellagte nicht und beantragt der Kläger das Versäumnis­ urteil, so werden die in der Klage behaupteten Tatsachen als zugestanden angenommen. Soweit dieselben den Klageantrag rechtfertigen, ist nach dem Anträge zu erkennen; soweit dies nicht der Fall, ist die Klage ab­ zuweisen. Bleiben beide Parteien aus, so ruht das Verfahren, bis die Ansetzung eines neuen Verhandlungstermins beantragt wird. § 40. Die Partei, gegen welche ein Versäumnisurteil erlassen ist, kann binnen der Notfrist von drei Tagen seit der an sie bewirkten Zustellung des Urteils die Erllämng abgeben, daß sie Einspmch einlege. Die Ein­ legung gilt mit der Einreichung der Erllämng oder mit der Abgabe der­ selben zum Protokolle des Gerichtsschreibers als bewirkt. In dem Versäumnisurteil ist der Partei zu eröffnen, in welcher Form und Frist ihr der Einspmch zusteht. Nach Einlegung des Einspruchs hat der Vorsitzende einen neuen Ver­ handlungstermin anzusetzen. Erscheint die Partei, welche den Einspmch eingelegt hat, auch in dem neuen Termine nicht, so gilt der Einspmch als zurückgenommen. Anderen­ falls wird, sofern der Einspruch zulässig ist, der Prozeß in die Lage zurück­ versetzt, in welcher er sich vor Eintritt der Versäumnis befand. Muß die Einspruchsschrift das Wort „Einspruch" enthalten? S. 88. Ist der Ein­ spruch wirksam, wenn die Einspruchsschrift nicht unterschrieben ist? 8. 89. Ist der Einspruch noch rechtzeitig, wenn die Einspruchsschrift am letzten Tage der Frist nach Schluß der Geschäftsstunden in den Gerichtsbriefkasten geworfen wird? S. 89. Ist die Entscheidung, durch welche die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumnis einer Einspruchsfrist erteilt wird, durch selbständiges Rechtsmittel anfechtbar? S. 89. Gilt der Einspruch auch als zurückgenommen, wenn der Antragsteller, der int ersten Termin erschienen ist, in einem der folgenden ausbleibt? S. 90.

§ 41. Erscheinen die Parteien in dem Termine, so hat das Gewerbe­ gericht tunlichst auf eine gütliche Erledigung des Rechtsstreits hinzuwirken. Es kann den Sühneversuch in jeder Lage des Verfahrens erneuern und hat denselben bei Anwesenheit der Parteien am Schlüsse der Verhandlung zu wiederholen. Lateinischer Dmck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Dmck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Der Inhalt eines vor dem Gericht abgeschlossenen Vergleichs ist durch Aufnahme in das Protokoll festzustellen. Die Feststellung ist den Parteien vorzulesen. In dem Protokoll ist zu bemerken, daß die Vorlesung statt­ gefunden hat und daß die Genehmigung erfolgt ist, oder welche Einwen­ dungen erhoben sind. Verstößt der Richter gegen das 066., wenn er einer Partei den Rat erteilt, sich nicht zu vergleichen? 8. 92. § 42. Kommt ein Vergleich nicht zustande, so ist über den Rechtsstreit zu verhandeln. Die Leitung der Verhandlung liegt dem Vorsitzenden ob. Derselbe hat dahin zu wirken, daß die Parteien über alle erheblichen Tat­ sachen sich vollständig erllären, die Beweismittel für ihre Behauptungen bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Derselbe kann jederzeit das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen und für den Fall des Nichterscheinens eine Geldstrafe bis zu einhundert Mark androhen. Gegen die Festsetzung der Strafe findet Beschwerde nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung statt. Bedarf der in Gegenwart des Vertreters verkündete Beschluß, der das persönliche Erscheinen anordnet, der Zustellung? S. 92. Ist die Festsetzung einer Strafe gegen die trotz Anordnung persönlichen Erscheinens nicht erschienene Partei zulässig, wenn auf 6rund des Nichterscheinens die Versäunmisfolgen angenommen sind? 8. 93. § 48. Die Beweisaufnahme erfolgt in der Regel vor dem Gewerbe­ gerichte. Sie kann nur in den Fällen der §§ 372, 375, 382, 434, 479 der Zivilprozeßordnung dem Vorsitzenden des Gerichts oder mittels Ersuchens einem Amtsgericht übertragen werden. Die Beweisaufnahme ist auch dann zu bewirken, wenn die Parteien oder eine derselben in dem für die Beweisaufnahme bestimmten Termine nicht erscheinen. § 44. Beschließt das Gericht die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, so sind dieselben, falls sie nicht von den Parteien zur Stelle gebracht sind, zu laden. Bon der Ladung der Sachverständigen kann abgesehen werden, wenn schriftliche Begutachtung angeordnet wird. Die Beeidigung der Zeugen und Sachverständigen erfolgt nur, wenn das Gericht die Beeidigung zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für notwendig erachtet oder wenn eine Partei dieselbe beantragt. Die Bestimmungen, nach welchen die Beeidigung in gewissen Fällen unzu­ lässig ist (Zivilprozeßordnung § 393), bleiben unberührt. § 45. Ob die Leistung eines zugeschobenen oder zurückgeschobenen Eides durch bedingtes Urteil oder durch Beweisbeschluß anzuordnen sei, bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen. § 46. Erscheint der Schwurpflichtige in dem zur Leistung eines Eides bestimmten Termine nicht, so ist der Eid ohne weiteres als verweigert anzu­ sehen. Dem Verfahren ist Fortgang zu geben. Der Schwurpflichtige kann binnen einer Notfrist von drei Tagen nach dem Termine sich zur nachträglichen Leistung des Eides erbieten. Auf ein inzwischen ergangenes Urteil finden die Bestimmungen des § 707 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung. Ein solches Urteil ist, wenn der Eid nachträglich geleistet wird, insoweit aufzuheben, als es auf der Annahme der Eidesverweigerung bemht. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

1. Gewerbegerichtsgesetz.

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Erscheint der Schwurpflichtige auch in dem zur nachttäglichen Eides­ leistung bestimmten Termine nicht, so findet ein nochmaliges Erbieten zur Eidesleistung nicht statt. § 47. über die Verhandlung vor dem Gewerbegericht ist ein Protokoll aufzunehmen. Dasselbe ist von dem Vorsitzenden und dem Gerichts­ schreiber zu unterzeichnen.

§ 48. Das Urteil ist in dem Termin, in welchem die Verhandlung geschlossen wird, zu verkünden. Ist dies nicht ausführbar, so erfolgt die Verkündung in einem sofort anzuberaumenden Termine, welcher nicht über drei Tage hinaus anberaumt werden soll. Die Wirksamkeit der Verkündung des Urteils ist von der Anwesenheit der Parteien und der Beisitzer nicht abhängig. § 49. Aus dem Urteile müssen ersichtlich sein: 1. die Mitglieder des Gerichts, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben, 2. die Parteien, 3. das Sach- und Stteitverhältnis in gedrängter Darstellung nebst den wesentlichen Entscheidungsgründen, 4. der Spruch des Gerichts in der Hauptsache und in betteff der Kosten. Der Bettag der letzteren mit Einschluß einer der obsiegenden Partei etwa zu gewährenden Entschädigung für Zeitversäumnis soll, soweit sie sofort zu ermitteln sind, im Urteile festgestellt werden. Das Urteil ist von dem Vorsitzenden zu unterzeichnen. Kann die obsiegende Partei noch nachträglich Festsetzung der Kosten verlangen, deren Betrag sich nicht alsbald feststellen ließ? S. 93.

§ 50. Ein über den Grund des Anspruchs vorab entscheidendes Zwischenurteil ist in betteff der Rechtsmittel nicht als Endurteil anzu­ sehen. § 51. Erfolgt die Verurteilung auf Vomahme einer Handlung, so ist der Beklagte zugleich auf Anttag des Klägers für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer zu bestimmenden Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer nach dem Ermessen des Gerichts festzusetzenden Ent­ schädigung zu verurteilen. In diesem Falle ist die Zwangsvollstreckung in Gemäßheit der §§ 887, 888 der Zivilprozeßordnung ausgeschlossen. Verurteilung zur Ausstellung eines Zeugnisses binnen drei Tagen bei Vermeidung von 50 Mk. Schadensersatz. Kann der Arbeiter, dem das Zeugnis verspätet ausgehän­ digt wird, noch besondere Klage auf Ersatz des durch die Verspätung entstandenen Schadens erheben? S. 93. Vertragsstrafe oder Bollstreckungsmaßregel? Inwieweit wird durch Zahlung der Strafe der ErMungsanspmch aus dem Konkurrenzverbot beseitigt? S. 94.

§ 52. Die Verpflichtung der unterliegenden Partei, die Kosten des Rechtsstreits zu ttagen, erstreckt sich auf die Erstattung der dem Gegner durch die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten oder Beistandes ent­ standenen Auslagen nur unter der Voraussetzung, daß die Zuziehung dmch besondere Umstände gerechtfertigt war, und nur in Ansehung des Bettags, welchen das Gericht für angemessen erachtet. Kann dem obsiegenden Arbeiter die Entschädigung für die Zeitversäumnis vor Gericht zugesprochen werden, obwohl ihm nach BGB. § 616 der Lohn nicht gekürzt

Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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1. Gewerbegerichtsgesetz.

werden darf? 8. 95. Kann der Kläger Versäumniskosten beanspruchen, wenn er unter Küitdigungsausschluß im Akkord arbeitet? 8.653.

§ 53. Die nicht auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergehenden Beschlüsse und Verfügungen werden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, von dem Vorsitzenden allein erlassen. Im übrigen sind für die Befugnisse des Vorsitzenden und der Beisitzer die Vorschriften über das landgerichtliche Verfahren maßgebend. In bezug auf die Beratung und Abstimmung finden die Vorschriften der §§ 194 bis 200 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwen­ dung. § 54. In dem ersten, auf die Klage angesetzten Termine kann die Zuziehung der Beisitzer unterbleiben. Erscheint in dem Termine nur eine der Parteien, so erläßt auf Antrag derselben der Vorsitzende das Versäumnisurteil. Erscheinen beide Parteien, so hat der Vorsitzende einen Sühneversuch vorzunehmen. Kommt ein Vergleich zustande, so ist derselbe in Gemäßheit des § 41 Abs. 2 im Protokolle festzustellen. Das Gleiche gilt, wenn die Klage zurückgenommen oder wenn auf den Klageanspruch verzichtet oder wenn derselbe anerkannt wird; in diesen Fällen hat, sofern beantragt wird, die Rechtsfolgen durch Urteil auszusprechen, der Vorsitzende das Urteil zu erlassen. Bleibt die Sache in dem Termine streitig, so hat der Vorsitzende die Entscheidung zu erlassen, wenn dieselbe sofort erfolgen kann und beide Parteien sie beantragen. Anderenfalls ist ein neuer Verhandlungstermin, zu welchem die Beisitzer zuzuziehen sind, anzusetzen und sofort zu verkünden. Zeugen und Sachverständige, deren Vernehmung der Vorsitzende für er­ forderlich erachtet, sind zu diesem Termine zu laden. Kann das GG. im ersten Termine ohne Beisitzer entscheiden, wenn eine Beweis­ aufnahme stattgefunden hat? S. 95.

§ 55. In den vor die Gewerbegerichte gehörigen Rechtsstreitigkeiten finden die Rechtsmittel statt, welche in den zur Zuständigkeit der Amts­ gerichte gehörigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zulässig sind. Die Be­ rufung ist jedoch nur zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von einhundert Mark übersteigt. Entscheidungen über die Festsetzung der Kosten einschließlich der gemäß § 52 ergangenen sind nicht an­ fechtbar. Als Berufungs- und Beschwerdegericht ist das Landgericht, in dessen Bezirke das Gewerbegericht seinen Sitz hat, zuständig. Ist für das Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Gewerbegerichts eine Notfrist bestimmt, so beginnt diese für jede Partei mit der an sie be­ wirkten Zustellung und, sofern auf die Zustellung verzichtet war (§ 32 Abs. 2), mit der Verkündung der Entscheidung. Im übrigen richtet sich die Einlegung des Rechtsmittels und das Verfahren in der Rechtsmittel­ instanz nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung. Die Bestimmung im § 569 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung über die Einlegung der Beschwerde in den bei einem Amtsgericht anhängigen oder anhängig gewesenen Sachen findet entsprechende Anwendung. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

1. Gewerbegerichtsgesetz.

XXIX

Ist die Berufung zulässig, wenn bei unechter Streitgenossenschaft, bei Zusammen­ rechnung der Einzelansprüche sich ein Gesamtobjekt von über 100 Mk. ergibt, Be­ rufung aber nur seitens einzelner Streitgenossen und nur wegen eines Objektes von unter 100 Mk. eingelegt ist? 8. 96. Ist Berufung zulässig, wenn der Streitwert von mehr als 100 Mk. durch Verbindung mehrerer Prozesse hergestellt war? 8. 96. Ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung der jeweilige Beschwerdegegenstand oder der gesamte Streitgegenstand maßgebend? S. 96. Ist Bemfung zulässig, wenn der Streitwert zur Zeit der Klageerhebung mehr, zur Zeit des Urteilserlasses weniger als 100 Mk. betrug? S. 97. Ist bei Prüfung der Zulässigkeit der Berufung ein Betrag mitzu­ rechnen, welchen der Bekl. sofort anerkannt hat, wegen dessen aber kein besonderes An­ erkenntnisurteil ergangen ist? S. 97. Ist die Beschwerde gegen ein Kostenurteil zulässig, wenn ein in der Hauptsache ergehendes Urteil unanfechtbar sein würde? 8. 98. Ist Beschwerde gegen einen Be­ schluß des KG. zulässig, der die Verpflichtung der unterliegenden Partei zur Erstattung der Kosten des gegnerischen Prozeßbevollmächtigten verneint? S. 98. Kann die obsiegende Partei noch nachträglich Festsetzung der Kosten verlangen, deren Betrag sich nicht alsbald feststellen ließ? Ist gegen die ablehnende Verfügung des GG. Beschwerde zulässig? S. 93. Kann durch Erhöhung des Streitgegenstandes in der Berufungsinstanz das Urteil berufungsfähig gemacht werden? S. 99. Hat das Berufungsgericht die Wertfestsetzung des GG. nachzuprüfen? 8. 99. Ist gegen die durch das GG. erfolgte Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes Beschwerde zulässig? Wert des Streitgegenstandes bei Streitigkeiten über Arbeitszeugnisse. 8. 99. Darf das Berufungsgericht vor Einle­ gung der Berufung einem Anträge auf Festsetzung des Streitwertes stattgeben? S. 99. Ist eine Feststellungswiederklage zulässig, die lediglich zu dem Zweck erhoben wird, um das Urteil des KG. berufungsfähig zu machen? S. 180. Ist für die Zulässigkeit der Be­ rufung der Wert des Streitgegenstandes bei Erhebung der Klage oder bei der Urteils­ verkündung maßgebend? S. 181. Wird die Berufungsfrist durch die im Parteibetrieb geschehene Zustellung des Urteils in Lauf gesetzt? 8. 101. Ist der Einwand, daß ein Rechtsstreit vor die GG. gehöre, noch in zweiter In­ stanz zulässig? 8. 68. Ist die Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts noch in zweiter Instanz von Amts wegen zu berücksichtigen? S. 173. Können Ansprüche, welche vor die GG. gehören, mit solchen, für welche die ordentlichen Gerichte zuständig sind, verbunden werden? 8. 60.

§ 56. Die Anfechtung einer Entscheidung des Gewerbegerichts kann auf Mängel des Verfahrens bei der Wahl der Beisitzer oder auf Umstände, welche die Wählbarkeit eines Beisitzers zu dem von ihm bekleideten Amte nach Maßgabe dieses Gesetzes ausschließen, nicht gestützt werden. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Anfechtung darauf gestützt wird, daß ein Beisitzer zu den im § 11 Abs. 2 bezeichneten Personen gehöre.

§ 57. Aus den Endurteilen der Gewerbegerichte, welche rechts­ kräftig oder für vorläufig vollstreckbar erllärt sind, sowie aus den Vergleichen, welche nach Erhebung der Klage vor dem Gewerbegerichte geschlossen sind, findet die Zwangsvollstreckung statt. Die der Berufung oder dem Einspruch unterliegenden Urteile sind von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn sie die in Nr. 1 des § 4 bezeichneten Streitigkeiten betreffen oder der Gegenstand der Verurteilung an Geld oder Geldeswert die Summe von dreihundert Mark nicht übersteigt.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht auszusprechen, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde; auch kann sie von einer vorgängigen Sicherheits­ leistung abhängig gemacht werden. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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1. Gewerbegerichtsgesetz.

Im übrigen finden auf die Zwangsvollstreckung sowie auf den Arrest und die einstweiligen Verfügungen die Vorschriften im achten Buche der Zivilprozeßordnung Anwendung. Die für den Beginn der Zwangsvoll­ streckung erforderlichen Zustellungen (§§ 750, 751, 798 der Zivilprozeß­ ordnung) sind, soweit sie nicht bereits vorher erfolgt sind, auf Antrag des Gläubigers durch das Gewerbegericht zu bewirken. Ist das KG. oder das Amtsgericht Vollstreckungsgericht? S. 101. Kann das Amts­ gericht in dringenden Fällen eine einstweilige Verfügung erlassen, wenn für die Haupt­ sache das GG. zuständig ist? 8. 102. Sind GG.-Urteile auch vollstreckbar zu erklären, wenn sie nur auf „Feststellung“ lauten? 8. 102.

§ 58. Für die Verhandlung des Rechtsstreits vor den Gewerbegerichten wird eine einmalige Gebühr nach dem Werte des Streitgegenstandes erhoben. Dieselbe beträgt bei einem Gegenstand im Werte bis 20 Mark einschließlich 1,00 Mark, von mehr als 20 Mark bis 50 Mark einschließlich .. 1,50 „ von mehr als 50 Mark bis 100 Mark einschließlich . 3,00 „ . Die ferneren Wertsklassen steigen um je einhundert Mark, die Gebühren um je drei Mark. Die höchste Gebühr beträgt dreißig Mark. Wird der Rechtsstreit durch Versäumnisurteil oder durch eine auf Grund eines Anerkenntnisses oder einer Zurücknahme der Klage erlassene Entscheidung erledigt, ohne daß eine kontradiktorische Verhandlung vorher­ gegangen war, so wird eine Gebühr in Höhe der Hälfte der oben bezeichneten Sätze erhoben. Wird ein zur Beilegung des Rechtsstreits abgeschlossener Vergleich ausgenommen, so wird eine Gebühr nicht erhoben, auch wenn eine kontra­ diktorische Verhandlung verausgegangen war. Schreibgebühren kommen nicht in Ansatz. Für Zustellungen werden bare Auslagen nicht erhoben. Im übrigen findet die Erhebung der Aus­ lagen nach Maßgabe des § 79 des Gerichtskostengesetzes statt. Der § 2 des­ selben findet Anwendung. Durch das Statut (§ 1 Abs. 2 bis 4) kann vorgeschrieben werden, daß Gebühren und Auslagen in geringerem Betrag oder gar nicht erhoben werden. Sind die in gewerbegerichtlichen Streitigkeiten dem ersuchten Gericht entstande­ nen Schreibgebühren zu erstatten? 8. 102. Findet die zwischen den einzelnen Bundes­ staaten abgeschlossene Vereinbarung über die Nichterstattung von Rechtshilfekosten auch auf die GG. Anwendung? S. 102. Sind die im Rechtshilfeverkehr erwachsenen Kosten dem Amtsgericht auch dann zu erstatten, wenn beide Gerichte demselben Bundesstaate angehören? S. 103.

§ 59. Schuldner der entstandenen Gebühren und Auslagen ist der­ jenige, welchem durch die gerichtliche Entscheidung die Kosten auferlegt sind, oder welcher dieselben durch eine vor dem Gewerbegericht abgegebene oder diesem mitgeteilte Erklärung übernommen hat, und in Ermangelung einer solchen Entscheidung oder Übernahme derjenige, welcher das Ver­ fahren beantragt hat. Die Einziehung der Gerichtskosten erfolgt nach den für die Einziehung der Gemeindeabgaben geltenden Vorschriften. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Dmck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

1. Gewerbegerichtsgesetz.

XXXI

§ 60. Die Kosten der Rechtsmittel und der Zwangsvollstreckung be­ stimmen sich nach den für die ordentlichen Gerichte maßgebenden Vor­ schriften. Das Gesuch um Festsetzung der Kosten zweiter Instanz ist bei dem Landgericht anzubringen. Die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige findet in dem Verfahren vor den Gewerbegerichten Anwendung. § 61. Die ordentlichen Gerichte haben den Gewerbegerichten nach Maßgabe der Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes Rechtshilfe zu leisten. Sind die ordentlichen Gerichte im Bezirk des GG. selbst zur Rechtshilfe ver­ pflichtet? 8. 104. Sind die in gewerbegerichtlichen Streitigkeiten dem ersuchten Gericht entstandenen Streitigkeiten zu erstatten? 8. 102. Findet die zwischen den einzelnen Bundesstaaten abgeschlossene Vereinbarung über die Nichterstattung von Rechtshilfekosten auch aus die GG. Anwendung? S. 102. Sind die im Rechtshilfeverkehr erwachsenen Kosten dem Amtsgericht auch dann zu erstatten, wenn beide Gerichte dem­ selben Bundesstaate angehören? S. 103.

Dritter Abschnitt. Tätigkeit des Gewerbegerichts als Einigungsamt. § 62. Das Gewerbegericht kann bei Streitigkeiten zwischen Arbeit­ gebern und Arbeitern über die Bedingungen der Fortsetzung oder Mederaufnahme des Arbeitsverhältnisses als Gnigungsamt angemfen werden.

§ 63. Der Anrufung ist Folge zu geben, wenn sie von beiden Teilen erfolgt und die beteiligten Arbeiter und Arbeitgeber — letztere sofern ihre Zahl mehr als drei beträgt — Vertreter bestellen, welche mit der Ver­ handlung vor dem Einigungsamte beauftragt werden. Als Vertteter können nur Beteiligte bestellt werden, welche das fünf­ undzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, sich im Besitze der bürger­ lichen Ehrenrechte befinden und nicht durch gerichtliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind. Soweit Arbeiter in diesem Alter nicht, oder nicht in genügender An­ zahl vorhanden sind, können jüngere Vertreter zugelassen werden. Die Zahl der Vertreter jedes Teiles soll in der Regel nicht mehr als drei betragen. Das Einigungsamt kann eine größere Zahl von Vertretern zulassen. Ob die Vertteter für genügend legitimiert zu erachten sind, entscheidet das Einigungsamt nach stetem Ermessen.

§ 64. Erfolgt die Anmfung nur von einer Seite, so soll der Vor­ sitzende dem anderen Teile oder dessen Stellverttetem oder Beauftragten Kenntnis geben und zugleich nach Möglichkeit dahin wirken, daß auch dieser Teil sich zur Anmfung des Einigungsamts bereit findet. § 65. Auch in anderen Fällen soll der Vorsitzende bei Stteitigkeiten der im § 62 bezeichneten Art auf die Anmfung des Einigungsamts hinzu­ wirken suchen und dieselbe den Beteiligten bei geeigneter Veranlassung nahelegen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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1. Gewerbegerichtsgesetz.

§ 66. Der Vorsitzende ist befugt, zur Einleitung der Verhandlung und in deren Verlauf an den Streitigkeiten beteiligte Personen vorzuladen und zu vernehmen. Er kann hierbei, wenn das Einigungsamt gemäß § 63 oder § 64 angerufen worden ist, für den Fall des Nichterscheinens eine Geld­ strafe bis zu einhundert Mark androhen. Gegen die Festsetzung der Strafe findet Beschwerde nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung statt. Eine Vertretung beteiligter Personen durch deren allgemeine Stell­ vertreter (§ 45 der Gewerbeordnung), Prokuristen oder Betriebsleiter, ist zulässig. § 67. Das Gewerbegericht, welches als Einigungsamt tätig wird, besteht neben dem Vorsitzenden aus Bertrauensmännem der Arbeitgeber und der Arbeiter in gleicher Zahl. Die Vertrauensmänner sind von den Beteiligten zu bezeichnen. Er­ folgt die Bezeichnung nicht, so werden die Vertrauensmänner durch den Vorsitzenden ernannt. Einigen sich die ^Beteiligten über die Zahl der zuzuziehenden Ver­ trauensmänner nicht, so ist die Zahl derselben von dem Vorsitzenden auf mindestens zwei für jeden Teil zu bestimmen. Die Vertrauensmänner dürfen nicht zu den Beteiligten gehören. Der Vorsitzende ist befugt, eine oder zwei unbeteiligte Personen als Beisitzer mit beratender Stimme zuzuziehen; vorr der Zuziehung sind die beiden Teile zu hören.

§ 68. Das Einigungsamt hat durch Vemehmung der Vertreter beider Teile die Streitpunkte und die für die Beurteilung derselben in Betracht kommenden Verhältnisse festzustellen. Das Einigungsamt oder, im Falle des § 64, der Vorsitzende des Ge­ werbegerichts ist befugt, zur Aufllärung der in Betracht kommenden Ver­ hältnisse Auskunftspersonen vorzuladen und zu vernehmend Jedem Beisitzer und Bertrauensmanne steht das Recht zu, durch den Vorsitzenden Fragen an die Vertreter und Auskunftspersonen zu richten.

§ 69. Nach erfolgter Klarstellung der Verhältnisse ist in gemeinsamer Verhandlung jedem Teile Gelegenheit zu geben, sich über das Vorbringen des anderen Teiles sowie über die vorliegenden Aussagen der Auskunfts­ personen zu äußern. Demnächst findet ein Einigungsversuch zwischen den streitenden Teilen statt.

§ 70. Kommt eine Vereinbarung zustande, so ist der Inhalt derselben durch eine von sämtlichen Mitgliedern des Einigungsamts und von den Vertretern beider Teile zu unterzeichnende Bekanntmachung zu veröffent­ lichen. Bedeutung eines vor dem Einigungsamte geschlossenen Vergleichs. Kann der einzelne Arbeiter daraus Rechte herleiten, obwohl der Arbeitgeber mit ihm abweichende Bedingungen nachträglich vereinbart hat? 8. 105. § 71. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so hat das Einigungs­ amt einen Schiedsspmch abzugeben, welcher sich auf alle zwischen den Par­ teien streitigen Fragen zu erstrecken hat. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Au-gabe neu aufgenommenen.

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1. Gewerbegerichtsgesetz.

Die Beschlußfassung über den Schiedsspmch erfolgt mit einfacher Stimmenmehrheit. Stehen bei der Beschlußfassung über den Schieds­ spmch die Stimmen sämtlicher für die Arbeitgeber zugezogenen Vertrauens­ männer denjenigen sämtlicher für die Arbeiter zugezogenen gegenüber, so kann der Vorsitzende sich seiner Stimme enthalten und feststellen, daß ein Schiedsspmch nicht zustande gekommen ist '

§ 72. Ist ein Schiedsspmch zustande gekommen, so ist derselbe den Bertretem beider Telle mit der Auffordemng zu eröffnen, sich binnen einer zu bestimmenden Frist darüber zu erllären, ob sie sich dem Schieds­ spmch unterwerfen. Die Mchtabgabe der Erllämng binnen der bestimmten Frist gilt als Ablehnung der Unterwerfung. Nach Ablauf der Frist hat das Einigungsamt eine von sämtlichen Mtgliedem desselben unterzeichnete öffentliche Bekanntmachung zu erlassen, welche den abgegebenen Schiedsspmch und die darauf abgegebenen ErNämngen der Parteien enthält. § 73. Ist weder eine Bereinbamng (§ 70) noch ein Schiedsspmch zustande gekommen, so ist dies von dem Vorsitzenden des Einigungsamts öffentlich bekanntzumachen. § 74. Das Gewerbegericht als Einigungsamt ist nicht zuständig, wenn bei der Streitigkeit ausschließlich Jnnungsmitglieder und deren Arbeiter beteiligt sind und für die Innung zur Erfüllung der im § 81 a Nr. 2 der Gewerbeordnung bezeichneten Aufgabe ein besonderes Einigungs­ amt besteht, dessen Zusammensetzung und Tätigkeit durch das Statut entsprechend den Bestimmungen Der §§ 63 bis 73 dieses Gesetzes geregelt sind. Rufen beide Teile das Gewerbegericht als Gnigungsamt an, so ist dieses auch bei solchen Streitigkeiten zuständig.

Vierter Abschnitt. Gutachten und Anträge der Gewerbegerichte. § 75. Das Gewerbegericht ist verpflichtet, auf Ansuchen von Staats­ behörden oder des Vorstandes des Kommunalverbandes, für welchen es errichtet ist, Gutachten über gewerbliche Fragen abzugeben. Das Gewerbegericht ist berechtigt, in gewerblichen Fragen Anträge an Behörden, an Vertretungen von Kommunalverbänden und an die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesstaaten oder des Reichs zu richten. Zur Vorbereitung oder Abgabe von Gutachten sowie zur Vorbereitung von Anträgen können Ausschüsse aus der Mtte des Gewerbegerichts ge­ bildet werden. Diese Ausschüsse müssen, sofern es sich um Fragen handelt, welche die Interessen beider Teile berühren, zu gleichen Tellen aus Arbeitgebem und Arbeitern zusammengesetzt sein. Das Nähere bestimmt das Statut. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen. Baum, Gewerbegerichte.

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XXXIV

1. GewerbegkrichtSgesetz. Fünfter Abschnitt. Verfahren vor dem Gemeindevorsteher.

§ 76. Ist ein zuständiges Gewerbegericht nicht vorhanden, so kann bei Stteitigkeiten der im §4 Abs. 19k. 1 und 5 bezeichneten Art jede Partei die vorläufige Entscheidung durch den Vorsteher der Gemeinde (Bürger­ meister, Schultheiß, Ottsvorsteher usw.) nachsuchen. Zuständig ist der Vorsteher der Gemeinde, in deren Bezirke die streitige Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnisse zu erfüllen ist oder sich die gewerbliche Niederlassung des Arbeitgebers befindet, oder beide Parteien ihren Wohnsitz haben. Den Patteien ist Gelegenheit zu geben, ihre Ausführungen und Be­ weismittel in einem Termine vorzubringen. Eine Beweisaufnahme durch Ersuchen anderer Behörden findet nicht statt; Vereidigungen sind nicht zulässig. Kommt ein Vergleich zustande, so ist ein Protokoll darüber aufzuneh­ men und von den Parteien und dem Gemeindevorsteher zu unterschreiben. § 77. Die Entscheidung des Gemeindevorstehers ist schriftlich abzu­ fassen; sie geht in Rechtskraft über, wenn nicht binnen einer Notfrist von zehn Tagen von einer der Patteien Klage bei dem ordentlichen Gettcht erhoben wird. Die Fttst beginnt mit der Verkündung, gegen eine bei der Verkündung nicht anwesende Partei mit der Behändigung der Ent­ scheidung. Die Entscheidungen des Gemeindevorstehers sind von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht auszusprechen, wenn glaub­ haft gemacht wird, daß die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde; auch kann sie von einer vorgängigen Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Ist rechtzeittg Klage erhoben, so findet der § 707 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung. § 78. Die vor dem Gemeindevorsteher geschlossenen Vergleiche sowie die rechtskräftigen oder vollstreckbaren Ättscheidungen desselben sind, sofern die Partei es beanttagt, auf Ersuchen des Gemeindevorstehers durch die Ortspolizeibehörde nach den Vorschriften über das Verwaltungs­ zwangsverfahren zu vollstrecken. Ein unmittelbarer Zwang zur Vor­ nahme einer Handlung ist nur im Falle des § 127 d der Gewerbeordnung zulässig; die Leistung von Diensten aus einem Dienstverträge kann durch Geldstrafen nicht erzwungen werden. Wo ein Berwaltungszwangsverfahren nicht besteht, finden die Bestimmungen über die Zwangsvollstteckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

§ 79. Der Gemeindevorsteher kann die Wahrnehmung der ihm nach den §§ 76 bis 78 obliegenden Geschäfte mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde einem Stellvertreter übertragen. Derselbe muß aus der Mitte der Gemeindeverwaltung oder Gemeindevertretung aus mindestens ein Jahr berufen werden. Die Berufung ist öffentlich bekannt­ zumachen. Lateinischer Druck bezeichnet dle Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Dmck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

1. Gewerbegerichtsgesetz.

XXXV

§ 80. Durch Anordnung der Landes-Zentralbehörde kann an Stelle des Gemeindevorstehers ein zur Vornahme von Sühneverhandlungen über streitige Rechtsangelegenheiten staatlich bestelltes Organ mit Wahr­ nehmung der in den §§ 76 bis 78 aufgeführten Geschäfte beauftragt werden. Die Anordnung ist öffentlich bekanntzumachen.

Sechster Abschnitt. Schlußbestimmungen. § 81. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken und Handelsgeschäften sowie auf Arbeiter, welche in den unter der Militär- oder Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen beschäftigt sind. Wird durch die Abrede, daß das Arbeitsverhältnis nach Handelsrecht beurteilt werden soll, dis Zuständigkeit des GG. beseitigt? 8. 70. Ist das GG. für kaufmännische Gehilfen in gewerblichen Betrieben zuständig? 8. 105. Ist auch derjenige Handlungsgehilfe, der in einem kaufmännischen Geschäft lediglich Handlangerdienste leistet? 8. 106. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Stenograph und Maschinenschreiber als Handlungsgehilfe anzusehen? S. 144. Ist die Stenographin und Maschinenschreiberin im kaufmännischen Betriebe Gewerbegehilfin? 8. 106. Ist der Registrator Handlungsgehilfe oder gewerblicher Arbeiter? S. 144. Ist ein mit der Führung von Lohnlisten und der Berechnung der Kranken- und Jnvalidenversicherungsbeiträge beschäftigter Angestellter im Abrechnungsbureau einer Fabrik Handlungs- oder Gewerbegehilfe? S. 145. Ist der Werkstattschreiber Gewerbe- oder Handlungsgehilfe? S. 106. Ist ein „Volontär" in der Konfeküonsbranche Gewerbegehilfe, auch wenn er vorübergehend zur Ausbildung als Einrichter arbeitet? S. 107. Ist der Berichterstatter einer Zeitung Gewerbegehilfe? 8. 107. Ist der Korrektor einer Tageszeitung Handlungsgehilfe ? 8. 107. Ist der Kolporteur Gewerbegehilfe oder Handlungsgehilfe ? 8. 108. Ist die Direktrice eines Putzgeschäfts Handlungs- oder Ge­ werbegehilfin? S. 108. Ist der Schaufensterdekorateur Handlungsgehilfe ? 8. 109. Ist die Schlächtermamsell Handlungsgehilsin? Kommen die Bestimmungen über Hand­ lungsgehilfen auch auf Angestellte von Minderkaufleuten zur Anwendung? S. 141. Ist die Verkäuferin eines Bäckers Gewerbe- oder Handlungsgehilfin? S. 109. Ist ein Bierfahrer Handlungsgehilfe? 8. 109. Ist ein Milchkutscher Handlungsgehilfe? 8. 112. Ist der Verkäufer in einer Trinkhalle Gewerbe- oder Handlungsgehilfe ? 8. 112. Ist der Hotelsekretär Handlungsgehilfe? 8. 114. Ist der Kellner Gewerbegehilfe? 8. 114. Ist der Geschäftsführer eines Schankwirtes (Aschingers Bierquelle) Handlungs- oder Gewerbegehilfe? 8. 114. Ist der von einer Brauerei eingesetzte Leiter einer Gastwirt­ schaft Handlungsgehilfe? S. 139. Ist die Wechselkassiererin im Automatenrestaurant Handels- oder Gewerbegehilfin? S. 140. Ist ein bayrischer Straßenbahnschaffner Handlungsgehilfe? 8. 114. Ist der Omnibusschaffner Handlungsgehilfe? 8. 114. Ist der Platzanweis auf dem Stätteplatz Handlungsgehilfe ? 8.114. Ist das GG. zuständig für Angestellte eines Detektivbureaus? 8. 114. Sind Packerinnen in Warenhäusern Handlungsgehilfinnen? S. 142. Ist das KG. zuständig für den Hausmeister in einem Kaufhause? S. 143.

§ 82. Auf Streitigkeiten der in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs­ anstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen und Gruben beschäftigten Arbeiter mit ihren Arbeitgebem finden die Bestimmungen dieses Gesetzes mit der Maßgabe Anwendung, daß die Errichtung von Gewerbegerichten, deren Zuständigkeit auf die vorbezeichneten Betriebe beschränkt wird, unabhängig von den Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 durch Anordnung der Landes-Zentralbehörde erfolgen kann. Für die auf Grund der letzteren Bestimmung errichteten Gewerbe­ gerichte gelten nachstehende besondere Vorschriften: Lateinischer Dmck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen. C*

XXXVI

1. Gewerbegerichtsgesetz.

1. Die Bestimmung des letzten Satzes im Ws. 2 des § 7 findet keine Anwendung. 2. Durch die Zuständigkeit eines solchen Gerichts wird die Zuständig­ keit anderer innerhalb seines Bezirkes bestehender oder später errichteter Gewerbegerichte ausgeschlossen. 3. Die Kosten der Gewerbegerichte werden, soweit sie in deren Ein­ nahmen nicht Deckung finden, vom Staate getragen. 4. Der Vorsitzende und dessen Stellvertreter werden von der LandesZentralbehörde ernannt. Zur Bewirkung der Zustellungen können an Stelle der Gerichtsvollzieher oder Gemeindebeamten (§ 25 Abs. 2) andere Beamte verwendet werden. 5. Inwieweit den Arbeitgebern im Sinne der §§ 12 bis 14 die mit der Leitung eines Betriebs oder eines bestimmten Zweiges des­ selben betrauten Stellvertreter der selbständigen Gewerbetreibenden gleichstehen, wird durch Anordnung der Landes-Zentralbehörde bestimmt. 6. Die Bestimmung des § 67 Abs. 4 findet, soweit sie sich auf Beisitzer bezieht, keine Anwendung. § 83. Soweit nach den Vorschriften des Krankenversicherungsgesetzes die Entscheidung von Streitigkeiten über die Berechnung und Anrechnung von Bersichemngsbeiträgen und Eintrittsgeldern in Gemäßheit dieses Gesetzes zu erfolgen hat, finden die Vorschriften der §§ 76 bis 80 auch dann Anwendung, wenn es sich um Versicherungsbeiträge anderer als der im § 3 bezeichneten Arbeiter handelt. Die Zuständigkeit des Gemeindevor­ stehers wird in diesem Falle nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Gewerbe­ gericht für die Gemeinde errichtet ist. .§ 84. Die Zuständigkeit der Innungen zur Entscheidung von Streitig­ keiten zwischen Arbeitgebern und ihren Lehrlingen (Gewerbeordnung § 81 a 9k. 4, § 81 b Nr. 4) sowie die Zuständigkeit der Jnnungsschiedsgerichte (Gewerbeordnung §§ 91 bis 91 b) erleiden durch dieses Gesetz keine Einschränkung. Durch die Zuständigkeit einer Innung oder eines Jnnungsschiedsgerichts wird die Zuständigkeit eines für den Bezirk der Innung bestehenden oder später errichteten Gewerbegerichts ausgeschlossen. Hat das GG. zu prüfen, ob ein Innungs-Schiedsgericht zu Recht besteht? 8.115. Wird durch die Zuständigkeit eines Innungsschiedsgerichts auch der Rechtsweg im Gerichtsstand des Erfüllungsorts vor einem außerhalb des Innungsbezirks zuständigen GG. ausgeschlossen? 8.115. Kann das Urteil eines GG. durch Klage beim Amtsgencht als nichtig angefochten werden, wenn der Arbeitgeber einer Innung mit Jnnungsschiedsgericht angehört, aber vor dem GG. verhandelt hat? S. 115. Ist für die Lohnllage das GG. des Arbeitsortes neben dem Jnnungsschiedsgericht am Wohnsitz des Arbeitgebers zuständig, wenn die Lohnzahlung in der Wohnung des Arbeitgebers erfolgt? S. 116. Kann eine offene Handelsgesellschaft als solche Innungsmitglied sein? Ist das Innungs­ schiedsgericht zuständig, wenn nicht sämtliche Gesellschafter Mitglied der Innung sind? S. 116. Ist bei einer Zwangsinnung das Innungsschiedsgericht ohne weiteres zuständig oder bedarf es eines besonderen Beitritts des Arbeitgeders zur Innung? 8.116. Ist das Innungsschiedsgericht zuständig, wenn ein Fabrikant der Zwangsinnung frei­ willig beigetreten ist? 8. 116. Ist das GG. zuständig für einen Fabrikbetrieb, dessen Besitzer emer freien Innung mit Jnnungsschiedsgericht angehört? S. 117. Wird die Zuständigkeit des GG. begründet, wenn der Vorsitzende des Innungsschiedsgerichti Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweite« Ausgabe neu aufgenommenen.

1. Gewerbegerichtsgesetz.

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innerhalb der achttägigen Frist einen Sühnetermin abhält, aber die Einberufung eines Gerichts ablehnt? 8. 118. Ist das Jnnungsschiedsgericht auch ausschließlich zuständig für Arbeiter eines Jnnungsnreisters, die in einer anderen Branche tätig sind? S. 118. Ist für Streitigleiten von Arbeitern desselben Arbeitgebers untereinander das GG. zu­ ständig, wenn der Arbeitgeber einem Jnnungsschiedsgericht untersteht? S. 118. Klage auf Aufhebung eines verurteilenden Spruchs des Jnnungsschiedsgerichts. Kann da­ ordentliche Gericht materiell verurteilen, wenn das Urteil des Jnnungsschiedsgerichts wegen Unzuständigkeit aufgehoben werden muß? S. 119. Sind die Innungsschieds­ gerichte zuständig für Streitigkeiten zwischen dem Innungsmeister und dem Rechts­ nachfolger des Gehilfen? 8. 121. Ist das GG. oder der Jnnungsausschuß für Lehrlingswesen zuständig, wenn nach Ablauf der Lehrzeit der bisherige Lehrling auf Ausstellung eines Zeugnisses und Heraus­ gabe des Arbeitsbuchs klagt? S. 121. Wird das GG. in dem Rechtsstreite eines Lehrlings gegen seinen Lehrherm wegen Auflösung des Lehrverhältnisses zuständig, wenn die an sich zuständige Innung die Sache an das GG. verweist? 8. 122.

§ 85. Die nach § 14 Nr. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes zugelassenen, auf Grund der Landesgesetze zur Entscheidung gewerblicher Streitigkeiten berufenen Gewerbegerichte werden mit dem 1. April 1892 aufgehoben, sofern nicht bis zu diesem Zeitpunkt ihre Zusammensetzung den Bestimmun­ gen des § 13 Ws. 1 und 2 entspricht. Auf die Vertretung der Parteien vor den bezeichneten Gerichten finden die Bestimmungen des § 31 An­ wendung. Sofern diese Gerichte den vorbezeichneten Erfordernissen entsprechen, erleidet ihre ZuständiFeit durch dieses Gesetz keine Einschränkung. § 86. In dem Verhältnisse der Innungen, der Jnnungsschiedsgerichte und der im § 85 bezeichneten Gewerbegerichte zu den ordentlichen Ge­ richten und zu den gemäß § 1 errichteten Gewerbegerichten finden die Vor­ schriften des § 28 entsprechende Anwendung. § 87. Streitigkeiten, welche, bevor ein für dieselben zuständiges Gewerbegericht bestand, anhängig geworden sind, werden von den bis dahin zuständig gewesenen Behörden erledigt. § 88. Die Zentralbehörden der Bundesstaaten bestimmen, welche Verbände als weitere Kommunalverbände im Sinne dieses Gesetzes an­ zusehen, von welchen Organen der Gemeinden und weiteren Kommunal­ verbände die Statuten über Errichtung von Gewerbegerichten zu be­ schließen, und von welchen Staats- oder Gemeindeorganen die übrigen in diesem Gesetze den Staats- oder Gemeindebehörden sowie den Ver­ tretungen der Gemeinden und weiteren Kommunalverbände zugewiesenen Verrichtungen wahrzunehmen sind. Mit bett von der höheren Verwaltungsbehörde wahrzunehmenden Geschäften können jedoch nur diejenigen höheren Verwaltungsbehörden betraut werden, welche nach Landesrecht die Aufsicht oder Oberaufsicht in Gemeindeangelegenheiten wahrzunehmen haben; auf die in Gemäßheit des § 82 errichteten Gewerbegerichte findet diese Bestimmung keine An­ wendung. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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2. Kaufmannsgerichtsgesetz.

2. Kaufmannsgerichtsgesetz. Errichtung und Zusammensetzung der Kaufmannsgerichte.

§ 1. Zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst- oder Lehrverhältnisse zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen andererseits können bei vorhandenem Bedürf­ nisse Kaufmannsgerichte errichtet werden. Die lÄrichtung erfolgt für den Bezirk einer Gemeinde durch Orts­ statut nach Maßgabe des § 142 der Gewerbeordnung. Die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde über die Genehmigung des Statuts ist binnen sechs Monaten zu erteilen. Die Entscheidung, durch welche die Genehmigung versagt wird, muß mit Gründen versehen sein. Mehrere Gemeinden können sich durch übereinstimmende Ortsstatuten zur Errichtung eines gemeinsamen Kaufmannsgerichts für ihre Bezirke vereinigen. Für die Genehmigung der übereinstimmenden Ortsstatute ist die höhere Verwaltungsbehörde zuständig, in deren Bezirke das Kauf­ mannsgericht seinen Sitz haben soll. Auch für den Bezirk eines weiteren Kommunalverbandes kann ein Kaufmannsgericht errichtet werden. Die Errichtung erfolgt in diesem Falle nach Maßgabe der Vorschriften, nach welchen Angelegenheiten des Verbandes statutarisch geregelt werden. Die Zuständigkeit eines solchen Gerichts ist ausgeschlossen, soweit die Zuständigkeit eines für eine oder mehrere Gemeinden des Bezirkes bestehenden oder später errichteten Kauf­ mannsgerichts begründet ist. Die Landes-Zentralbehörde kann auf Antrag beteiligter Kaufleute oder Handlungsgehilfen die Errichtung anordnen, wenn ungeachtet einer von ihr an die beteiligten Gemeinden oder den weiteren Kommunalverband ergangenen Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist die Errichtung auf dem in Abs. 2 bis 4 vorgesehenen Wege nicht erfolgt ist. Alle Bestimmungen, welche dieses Gesetz dem Statute vorbehält, erfolgen in diesem Falle durch Anordnung der Landes-Zentralbehörde. Vor der Errichtung sind sowohl Kaufleute als Handlungsgehilfen des Bezirkes in entsprechender Anzahl zu hören. Ist das KG. zuständig, wenn der Anspruch des Angestellten infolge Abtretung von einem Dritten geltend gemacht wird? S. 122. Ist das KG. zuständig für den Pfändungsgläubiger des Angestellten? S. 123. Ist das KG. zuständig, wenn der Streit der Parteien lediglich die Zulässigkeit der Pfändung betrifft? S. 123. Ist das KG. zuständig für die Klage gegen den Konkursverwalter über die Rechtmäßigkeit der Entlassung? S. 124. Ist das KG. zuständig für die Klage gegen den Konkurs­ verwalter auf Feststellung der Gehaltsforderung zur Tabelle? S. 124. Kann der Handlungsgehilfe vor dem KG. gegen die Konkursmasse auf Feststellung des Vor­ rechts der Gehaltsforderung klagen? S. 126. Ist das KG. zuständig für den Konkurs­ verwalter wegen Ansprüchen, die nach Eröffnung des Konkurses entstehen? S. 128. Ist für Ansprüche aus der Konkurrenzklausel gegen den Bürgen des Handlungsgehilfen das KG. zuständig? S. 128. Ist das KG. zuständig für Klagen zwischen einer Gesellschaft m. b. H. und ihrem Geschäftsführer? S. 130. Ist der Vorsteher der Zweigniederlassung einer Gesellschaft m. b. H. Handlungsgehilfe oder Geschäftsführer? S. 130. Sind die KG. für Versiche­ rungsvereine auf Gegenseitigkeit zuständig? S. 131. Ist das KG. zuständig für (Streitig* Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

2. Kaufmannsgerichtsgesetz.

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keilen der kaufmännischen Angestellten von Konsumgenossenschaften? S. 133. Ist das KG. zuständig für Gehilfen eines Pfandleihers? S. 133. Unter welchen Voraussetzungen ist eine Waschanstalt und chemische Färberei kaufmännischer Betrieb? S. 134. Ist das KG. zuständig für Angestellte des Inhabers der Buchstelle einer Landwirtschaftskammer? S. 134. Ist ein Verlagsbuchhändler, der als Kassierer eines Mietervereins eine Aus­ stellung veranstaltet, auch in dieser Eigenschaft Kaufmann? Sind die von ihm für die Ausstellung angenommenen Personen Handlungs- oder Gewerbegehilfen? S. 135. Unter welcher Voraussetzung ist das KG. für „Volontäre" zuständig? S. 136. Ist das KG. zuständig für Zeitungsredakteure? S. 137. Handlungsgehilfen oder Gewerbegehilfen? Ist das GG. für kaufmännische Gehilfen in gewerblichen Betrieben zuständig? 8. 105. Ist auch derjenige Handlungsgehilfe, der in einem kaufmännischen Geschäft lediglich Hand­ langerdienste leistet? 8. 106. Ist die Stenographin und Maschinenschreiberin im kaufmännischen Betriebe Gewerbegehilfin? 8. 106. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Stenograph und Maschinenschreiber als Handlungsgehilfe anzusehen? S. 144. Ist der Registrator Handlungsgehilfe oder gewerblicher Arbeiter? S. 144. Ist ein mit der Führung von Lohnlisten und der Berechnung der Kranken- und Invalidenversicherungs­ beiträge beschäftigter Angestellter im Abrechnungsbureau einer Fabrik Handlungs- oder Gewerbegehilfe? S. 145. Ist der Werkstattschreiber Gewerbe- oder Handlungsgehilfe? S. 106. Ist ein „Volontär" in der Konfektionsbranche Gewerbegehilfe, auch wenn er vorübergehend zur Ausbildung als Einrichter arbeitet? S. 107. Ist der Berichterstatter einer Zeitung Gewerbegehilfe? 8. 107. Ist der Korrektor einer Tageszeitung Hand­ lungsgehilfe? 8.107. Ist der Kolporteur Gewerbegehilfe oder Handlungsgehilfe? 8.108. Ist die Direktrice eines Putzgeschäftes Handlungs- oder Gewerbegehilfin? S. 108. Ist der Schaufensterdekorateur Handlungsgehilfe? 8. 109. Ist die Verkäuferin eines Bäckers Gewerbe- oder Handlungsgehilfin ? S. 109. Ist die Schlächtermamsell Hc.ndlungsgehilfin? Kommen die Bestimmungen über Handlungsgehilfen auch auf Angestellte von Minderkaufleuten zur Anwendung? S. 141. Ist ein Bierfahrer Handlungsgehilfe? 8. 109. Ist ein Milchkutscher Handlungsgehilfe ? 8. 112. Ist der Verkäufer m einer Trinkhalle Gewerbe- oder Handlungsgehilfe? 8. 112. Ist der Hotelsekretär Handlungs­ gehilfe? 8. 114. Ist der Kellner Gewerbegehilfe? 8. 114. Ist der Geschäftsführer eines Schankwirts (Aschingers Bierquelle) Handlungs- oder Gewerbegehilfe? 8. 114. Ist der von einer Brauerei eingesetzte Leiter einer Gastwirtschaft Handlungsgehilfe? S. 139. Ist die Wechselkassiererin im Automatenrestaurant Handels- oder Gewerbegehilfin? S. 140. Ist ein bayrischer Straßenbahnschaffner Handlungsgehilfe? 8. 114. Ist der Omnibusschaffner Handlungsgehilfe ? 8. 114. Ist der Platzanweiser auf dem Stätte­ platz Handlungsgehilfe? 8. 114. Ist das GG. zuständig für Angestellte eines Detektiv­ bureaus? 8. 114. Sind Packerinnen in Warenhäusern Handlungsgehilsinnen? S. 142. Ist das KG. zuständig für den Hausmeister in einem Kaffeehause? S. 143. Handlungsgehilfen oder Unternehmer? Ist das KG. zu­ ständig für die Klage eines Buchhalters, der als Nebenbeschfätigung einem Molkereibesitzer die Bücher führt? S. 146. Ist ein Buchhalter, der die Instandsetzung von Geschäfts­ büchern gegen einen bestimmten Preis übernimmt, Handlungsgehilfe oder selbständiger Unternehmer? S. 146. Ist ein Bücherrevisor Handlungsgehilfe? S. 147. Wodurch unterscheiden sich Handlungsogent und Handlungsreisender? S. 147. Ist das KG. zu­ ständig für die „Agenten" der Singer-Kompanie? S. 152. Ist das KG. zuständig für die Klage eines von einem Kaufmann angenommenen Hausierers, dessen Entlohnung ledig­ lich in einer Quote des Erlöses besteht? S. 155. Ist ein Versicherungsinspektor, dem ein Minimaleinkommen garantiert ist, Handlungsgehilfe oder Agent? S. 156.

Berechnung der Zuständigkeitsgrenze. Werden Naturalbezüge (Wohnung, Heizung) zur Zuständigkeitssumme gerechnet? S. 51. Sind bei Be­ rechnung der Zuständigkeitssumme für höhere Angestellte auch der Höhe nach wechselnde Nebenbezüge (Ortszulagen) mitzurechnen? 8. 51. Sind bei Berechnung der Zuständigkeitsgrenzen die Einküntfe aus mehreren gleichzeitigen Dienstverhältnissen zusammenzurechnen? S. 158. Ist für die Zuständigkeit des KG. der Jahres­ arbeitsverdienst maßgebend, den der Gehilfe in dem streitigen Dienstverhältnis bezog, oder der, den er zur Zeit der Klageerhebung bezieht? S. 159. Inwieweit sind Reisespesen bei der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes für die Zuständig­ keit des KG. zu berücksichtigen? S. 159. Inwieweit sind bei Prüfung der ZuständigkeitsLatetntscher Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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2. Kaufmannsgerichtsgesetz.

grenze Provisionen und Reisespesen dem Gehalte zuzurechnen? S. 160. Ist bei Berechnung der Zuständigkeitsgrenze ein Gewinnanteil in Ansatz zu bringen, dessen ziffernmäßige Höhe sich nicht schützen läßt? S. 161. Inwieweit sind bei Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes für die Zuständigkeit Nebeneinnahmen mitzurechnen? S. 161. Ist das KG. zuständig für einen im Ausland tätig gewesenen Handlungsgehilfen, dessen Gehalt nach dem Vertrage zwar weniger als 6000 Mark beträgt, diesen Betrag aber in­ folge vereinbarter Auszahlung in ausländischer Währung überstiegen hat? S. 162. In. welchem Umfang ist zur Prüfung der Zuständigkeit in eine Beweisaufnahme über die Gehaltshöhe einzutreten? S. 167.

§ 2. Für Gemeinden, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung mehr als zwanzigtausend Einwohner haben, muß ein Kaufmannsgericht errichtet werden. Die Landes-Zentralbehörde hat erforderlichenfalls die Errichtung nach Maßgabe der Vorschriften des § 1 Abs. 5 anzuordnen, ohne daß es eines Antrags beteüigter Kaufleute oder Handlungsgehilfen bedarf. § 3. Die Landes-Zentralbehörde kann die örtliche Zuständigkeit eines auf ihre Anordnung errichteten Kaufmannsgerichts ausdehnen. Die beteiligten Ortsbehörden sind zuvor zu hören. § 4. Auf Handlungsgehilfen, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt den Betrag von fünftausend Maä übersteigt, sowie auf die in Apotheken beschäftigten Gehilfen und Lehrlinge finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung. § 6. Die Kaufmannsgerichte sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig für Streitigkeiten der im 8 1 Abs. 1 bezeich­ neten Art, wenn die Streitigkeiten betreffen: 1. den Antritt, die Fortsetzung oder die Auflösung des -Dienst- oder Lehrverhältnisses sowie die Aushändigung oder den Inhalt des Zeug­ nisses; 2. die Leistungen aus dem Dienst- oder Lehrverhältnisse; 3. die Rückgabe von Sicherheiten, Zeugnissen, Legitimationspapieren oder anderen Gegenständen, welche aus Anlaß des Dienst- oder Lehrverhältnisses übergeben worden sind; 4. die Ansprüche auf Schadensersatz oder Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Nichterfüllung oder nicht gehöriger (Erfüllung der Verpflich­ tungen, welche die unter Nr. 1 bis 3 bezeichneten Gegenstände be­ treffen, sowie wegen gesetzwidriger oder unrichtiger Eintragungen in Zeugnisse, Krankenkassenbücher oder Quittungskarten der Jnvalidenversicherung; 5. die Berechnung und Anrechnung der von den Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen zu leistenden KrankenveHcherungsbeiträge und Gntrittsgelder (tz§ 63 a, 65 des Krankenversicherungsgesetzes); *) 6. die Ansprüche aus einer Vereinbarung, durch welche der Handlungs­ gehilfe oder Handlungslehrling für die Zeit nach Beendigung des Menst- oder Lehrverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit be­ schränkt wird. Ist das KG. zuständig für den Anspruch des Handlungsgehilfen, der sich auf Ver­ langen vorgestellt hat, ohne daß das Engagement zustande gekommen ist? S. 163. Ist das *) § 6 9Zr. 5 fällt gemäß Art. 88 Einf.-Ges. z. RVO. mit dem Inkrafttreten des § 435 RVO. weg.

Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten «ubgabe, deutscher Druck die in der -wetten Au-gabe neu aufgenommenen.

2. Kaufmannsgerichtsgesetz.

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KG. zuständig, wenn der Prinzipal seinen Anspruch auf ein auf Gmnd einer Abrechnung abgegebenes Schuldanerkenntnis stützt? S. 164. Ist für Schadenansprüche wegen Ver­ sagung der gesetzlichen Ruhepause das KG. oder das ordentliche Gericht zuständig? S. 166. Ist für die Schadenersatzklage des Handlungsgehilfen gegen den Prinzipal wegen Ver­ letzung der Fürsorgepslicht das KG. zuständig? S. 167. Ist das KG. zuständig für den Anspruch des Gehilfen gegen den früheren Prinzipal wegen Erteilung einer unrichtigen Auskunft? S. 168. Ist das KG. zuständig zur Entscheidung über Zahlung einer Ver­ tragsstrafe für den Fall des Bruchs von Fabrikgeheimnissen nach dem Austritt? S. 171. Ist das KG. zuständig für den Anspruch auf Rückzahlung von Pensionsbeiträgen? S. 171.

§ 6. Durch die Zuständigkeit eines Kaufmannsgerichts wird die Zu­ ständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen. Bereinbamngen, durch welche der Entscheidung des Kaufmanns­ gerichts künftige Streitigkeiten, welche zu seiner Zuständigkeit gehören, entzogen werden, sind nichtig. Ist die Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts noch in zweiter Instanz von Amts wegen zu berücksichtigen? S. 173. Können die Parteien statt des zuständigen KG. still­ schweigend die Zuständigkeit des GG. vereinbaren? S. 174. Kann mit dem auswärts beschäftigten Angestellten die ausschließliche Zuständigkeit des KG. am Wohnsitz des Prinzipals vereinbart werden? S. 175. Unter welchen Umständen ist die Vereinbarung der Zuständigkeit eines örtlich unzuständigen GG. nichtig? S. 175. Ist eine Abrede rechtsgültig, durch die Parteien vor dem Inkrafttreten des KGG. die Zuständigkeit des ordentlichen Gerichts vereinbart haben? S. 176.

§ 7. Die Zusammensetzung des Gerichts nach Maßgabe der Vor­ schriften dieses Gesetzes ist durch das Statut zu regeln. § 8. Die Kosten der Einrichtung und der Unterhaltung des Gerichts sind, soweit sie in dessen Einnahmen ihre Deckung nicht finden, von der Gemeinde oder dem weiteren Kommunalverbande zu tragen. Soll das Gericht nicht ausschließlich für eine Gemeinde oder einen weiteren Kommunalverband zuständig sein, so ist bei Festsetzung der Zuständigkeit zugleich zu bestimmen, zu welchen Anteilen die einzelnen Bezirke an der Deckung der Kosten teilnehmen. Gebühren, Kosten und Strafen, welche in Gemäßheit dieses Gesetzes zur Hebung gelangen, bilden Einnahmen des Gerichts. § 9. Für jedes Kaufmannsgericht sind ein Vorsitzender und minbestens ein Stellvertreter desselben sowie die erforderliche Zahl von Beisitzern zu berufen. Die Zahl der Beisitzer soll mindestens vier betragen. Bei Kaufmannsgerichten, welche aus mehreren Abteilungen (Kammem) bestehen, können mehrere Vorsitzende bestellt werden. Besteht am Sitze des Kaufmannsgerichts ein auf Gmnd des § 1 oder des § 2 des Gewerbegerichtsgesetzes errichtetes Gewerbegericht, so sind in der Regel dessen Vorsitzender und seine Stellvertreter, sofern auf sie die im § 11 Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen zutreffen, zugleich zum Vor­ sitzenden und zu stellvertretenden Vorsitzenden des Kaufmannsgerichts zu bestellen, auch gemeinsame Einrichtungen für die Gerichtsschreiberei, den Bureaudienst, die Sitzungs- und Bureauräumlichkeiten und dergleichen zu treffen. § 10. Zum Mitglied eines Kaufmannsgerichts können nicht bemfen werden: 1. Personen weiblichen Geschlechts; 2. Ausländer; Sateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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2. Kaufmannsgerichtsgesetz.

3. Personen, welche die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter infolge strafgerichtlicher Verurteilung verloren haben; 4. Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens eröffnet ist, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann; 5. Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.

Zum Mitglied eines Kaufmannsgerichts soll nur berufen werden, wer das dreißigste Lebensjahr vollendet und in dem der Wahl vorange­ gangenen Jahre für sich oder seine Familie Armenunterstützung aus öffent­ lichen Mitteln nicht empfangen oder die empfangene Armenunterstützung erstattet hat. Zum Beisitzer soll nur berufen werden, wer im Bezirke des Gerichts seit mindestens zwei Jahren seine Handelsniederlassung hat oder beschäf­ tigt ist.

§ 11. Als Vorsitzender und dessen Stellvertreter sollen Personen gewählt werden, welche die Fähigkeit zum Richteramt erlangt haben; auch können Personen gewählt werden, welche die Fähigkeit zum höheren Ver­ waltungsdienste besitzen. Ausnahmen kann die höhere Verwaltungsbehörde zulassen. Der Vorsitzende und seine Stellvertreter dürfen weder Kaufleute noch Handlungsgehilfen sein. Sie werden durch den Magistrat und, wo ein solcher nicht vorhanden ist oder das Statut dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung, in weiteren Kommunalverbänden durch die Vertretung des Verbandes auf mindestens ein Jahr gewählt. Ihre Wahl bedarf der Bestätigung der höheren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke das Kaufmannsgericht seinen Sitz hat. Diese Bestimmung findet auf Staats- oder Gemeindebeamte, welche ihr Amt kraft staatlicher Ernennung oder Bestätigung verwalten, keine Anwendung, solange sie dieses Amt bekleiden. Einer Bestätigung bedarf es ferner nicht, wenn im Falle des § 9 Abs. 3 der Vorsitzende des Gewerbegerichts oder sein Stell­ vertreter zum Vorsitzenden oder zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kaufmannsgerichts gewählt werden. § 12. Die Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Kaufleuten, welche mindestens einen Handlungsgehilfen oder Handlungslehrling regelmäßig das Jahr hindurch oder zu gewissen Zeiten des Jahres beschäftigen, zur Hälfte aus den Handlungsgehilfen entnommen werden.

Die ersteren Beisitzer werden mittels Wahl der im Abs. 1 bezeichneten Kaufleute, die letzteren mittels Wahl der Handlungsgehilfen bestellt. Die Wahl der Beisitzer ist unmittelbar und geheim; sie findet nach den Gmndsätzen der Verhältniswahl statt derart, daß neben den Mehrheitsgruppen auch die Minderheitsgruppen entsprechend ihrer Zahl vertreten sind. Hier­ bei kann die Stimmabgabe auf Vorschlagslisten beschränk* werden, die bis zu einem im Statute festgesetzten Zeitpunkte vor der Wahl einzureichen sind. Lateinischer Druck be-eichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Au-gabe neu aufgenommenen»

2. Kaufmannsgerichtsgesetz.

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Die Wahl erfolgt auf mindestens ein Jahr und höchstens sechs Jahre. Eine Wiederwahl ist zulässig. § 13. Zur Teilnahme an den Wahlen ist berechtigt, wer das fünf­ undzwanzigste Lebensjahr vollendet hat und in dem Bezirke des Kauf­ mannsgerichts seine Handelsniederlassung hal oder beschäftigt ist. Zur Teilnahme an den Wahlen sind nicht berechtigt die im § 10 Abs. 1 bezeichneten Personen. § 14. Den Kaufleuten im Sinne der §§ 11 bis 13 stehen gleich die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft oder einer als Kaufmann geltenden juristischen Person sowie die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Vor­ steher oder Mitglieder eines verwaltenden oder beschließenden Organs einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes können zum Vorsitzenden eines Kaufmannsgerichts (§ 11 Abs. 1) auch dann gewählt werden, wenn die Gemeinde oder der weitere Kommunalverband ein Handelsgewerbe betreibt. § 15. Im übrigen finden auf die Wahlen die Vorschriften des § 15, § 17 Abs. 1, § 18 des Gewerbegerichtsgesetzes entsprechende Anwendung. Ebenso sind die Vorschriften der §§ 19, 20, § 21 Abs. 1, 3, §§ 22 bis 25, 88 des Gewerbegerichtsgesetzes sinngemäß anzuwenden. Aus den Handlungsgehilfen entnommene Beisitzer, deren Jahres­ arbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt erst nach der Wahl den Betrag von fünftausend Mark übersteigt, bleiben bis zur nächsten Wahl im Amte. Verfahren.

§ 16. Auf das Verfahren vor den Kaufmannsgerichten finden die Vorschriften der §§ 26 bis 61 des Gewerbegerichtsgesetzes mit der Maß­ gabe entsprechende Anwendung, daß die Berufung gegen die Urteile der Kaufmannsgerickste nur zulässig ist, wenn der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von dreihundert Mark übersteigt. Die Vorschrift im § 11 der Zivilprozeßordnung über die bindende Wirkung der rechtskräftigen Entscheidung, durch welche ein Gericht sich für sachlich unzuständig erklärt hat, findet auch in dem Verhältnisse der Kaufmannsgerichte und der Gewerbegerichte Anwendung. Wird bei dem Kaufmannsgericht eine vor das Gewerbegericht gehörige Klage erhoben, so hat das Kaufmannsgericht, sofern für die Verhandlung und Entscheidung derselben ein Gewerbegericht besteht, durch Beschluß seine Unzuständigkeit auszusprechen und den Rechtsstreit an das Gewerbe­ gericht zu verweisen. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt; mit der Verkündung des Beschlusses gilt der Rechtsstreit als bei dem Ge­ werbegericht anhängig. Die in dem Verfahren vor dem Kaufmanns­ gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der bei dem Gewerbegericht erwachsenen Kosten behandelt. Diese Vorschriften finden entsprechende Anwendung, wenn bei dem Gewerbegericht eine vor das Kaufmannsgericht gehörige Klage erhoben wird. Kann das GG, an das der Rechtsstreit vom KG. verwiesen ist, sich für unzuständig erklären, weil das ordentliche Gericht zuständig sei? S. 176. Entscheidet die Überweisung

Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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2. Kaufmannsgerichtsgesetz.

eines Rechtsstreites vom KG. an das GG. auch die materielle Frage, ob der Angestellte als Handlungsgehilfe oder Gewerbegehilfe anzusehen ist? S. 177. Ist in KÄ-Sachen ein Mahnverfahren Zulässig? Kann das Amtsgericht nach Erlaß eines Zahlungsbefehls das Verfahren an das KG. verweisen? S. 178. Ist das KG. am Orte der gewerblichen Niederlassung zuständig, wenn der Prinzipal diese Niederlassung erst nach Auflösung des Dienstvertrages begründet hat? S. 179. Ist eine Feststellungswiderklage zulässig, die lediglich zu dem Zweck erhoben wird, um das Urteil des KG. bemfungssähig zu machen? S. 180. Ist für die Zulässigkeit der Berufung der Wert des Streitgegenstandes bei Erhebung der Klage oder bei der Urteils­ verkündung maßgebend? S. 181. Kann durch Erhöhung des Streitgegenstandes in der Berufungsinstanz das Urteil bemfungssähig gemacht werden? S. 99. Hat das Berufungs­ gericht die Wertfestsetzung 1. Instanz nachzuprüfen? 8. 99. Ist gegen die Fest­ setzung des Wertes des Streitgegenstandes Beschwerde zulässig? Wert des Streit­ gegenstandes bei Streitigkeiten über Arbeitszeugnisse. 8. 99. Darf das Berufungs­ gericht vor Einlegung der Bemfung einem Anträge auf Festsetzung des Streitwertes stattgeben? S. 99.

§ 17. Das Kaufmannsgericht kann bei Streitigkeiten zwischen Kauf­ leuten und Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen über die Be­ dingungen der Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Dienst- oder Lehr­ verhältnisses als Einigungsamt angemfen werden. Auf die Zusammen­ setzung und das Verfahren des Einigungsamts finden die Bestimmungen der §§ 63 bis 73 des Gewerbegerichtsgesetzes entsprechende Anwendung. Gutachten und Anträge der Kaufmannsgerichte.

§ 18. Das Kaufmannsgericht ist verpflichtet, auf Ansuchen von Staatsbehörden oder des Vorstandes des Kommunalverbandes, für welchen es errichtet ist, Gutachten über Fragen abzugeben, welche das kaufmännische Dienst- oder Lehrverhältnis Betreffen. Das Kaufmannsgericht ist berechtigt, in den bezeichneten Fragen An­ träge an Behörden, an Vertretungen von Kommunalverbänden und an die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesstaaten oder des Reichs zu richten. Zur Vorbereitung oder Wgabe von Gutachten sowie zur Vorbereitung von Anträgen können Ausschüsse aus der Mtte des Kaufmannsgericht­ gebildet werden. Diese Ausschüsse müssen, sofern es sich um Fragen handelt, welche die Interessen beider Telle berühren, zu gleichen Teilen aus Kaufleuten (§ 14) und Handlungsgehilfen zusammengesetzt sein. Das Nähere bestimmt das Statut.

Verfahren vor dem Gemeindevorsteher. § 19. Ist ein zuständiges Kaufmannsgericht nicht vorhanden, so kann bei Streitigkeiten der im § b Abs. 1 Nr. 1 und 5 bezeichneten Art jede Partei die vorläufige Entscheidung durch den Vorsteher der Gemeinde (Bürgermeister, Schultheiß, Ortsvorsteher usw.) nachsuchen. Zuständig ist der Vorsteher der Gemeinde, in deren Bezirke die streitige Verpflichtung all­ dem Dienst- oder Lehrverhältnisse zu erfüllen ist oder sich die Handels­ niederlassung des Kaufmanns befindet oder beide Parteien ihren Wohn­ sitz haben. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -wetten Ausgabe neu aufgenommenen.

3. Konkurs-Ordnung.

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Die Vorschriften des § 76 Ws. 2,3 und der §§ 77 bis 80 des Gewerbe­ gerichtsgesetzes finden sinngemäße Anwendung. Schlußbestimmungen.

§ 20. Die Landes-Zentralbehörde kann anordnen, daß in Bezirken, für welche zur Entscheidung gewerblicher Streitigkeiten auf Gmnd der Lan­ desgesetze Gewerbegerichte bestehen (§ 85 des Gewerbegerichtsgesetzes), die für diese Gewerbegerichte geltenden besonderen Vorschriften über die Bildung von Bergleichskammern oder Bergleichsämtem und über das Verfahren vor denselben auch auf die Kaufmannsgerichte Anwendung finden. § 21. Streitigkeiten, welche anhängig geworden sind, bevor ein für sie zuständiges Kaufmannsgericht bestand, werden von den bis dahin zuständig gewesenen Behörden erledigt. § 22. Die vorstehenden Bestimmungen treten, soweit sie sich auf die Herstellung der zu ihrer Durchführung erforderlichen Einrichtungen be­ ziehen, mit dem Tage der Verkündung, im übrigen mit dem 1. Januar 1905 in Kraft.

3. Auszug aus -er Äontmrs-Or-rmng. Erster Titel. Allgemeine Bestimmungen. Prozesse über die Teilungsmasse.

§ 10. Rechtsstreitigkeiten über das zur Konkursmasse gehörige Ver­ mögen, welche zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens für den Gemeinschüldner anhängig sind, können in der Lage, in welcher sie sich befinden, von dem Konkursverwalter ausgenommen werden. Mrd die Aufnahme verzögert, so kommen die Bestimmungen des 8 239 der ZPO. zur ent­ sprechenden Anwendung. Lehnt der Verwalter die Aufnahme des Rechtsstreits ab, so kann sowohl der Gemeinschuldner als der Gegner denselben aufnehmen. § 11. Rechtsstreitigkeilen, welche gegen den Gemeinschuldner an­ hängig und auf Aussonderung eines Gegenstandes aus'der Konkursmasse oder auf abgesonderte Befriedigung gerichtet sind, oder einen Anspmch betreffen, welcher als Masseschuld zu erachten ist, können sowohl von dem Konkursverwalter als von dem Gegner ausgenommen werden. Erkennt der Verwalter den Anspmch sofort an, so fallen ihm die Prozeßkosten nicht zur Last.

Prozesse über die Schuldenmasse. § 12. Konkursgläubiger können ihre Forderungen auf Sicherstellung oder Befriedigung aus der Konkursmasse nur nach Maßgabe der Vor­ schriften für das Konkursverfahren verfolgen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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3. Konkurs-Ordnung.

Zweiter Titel.

Erfüllung der Rechtsgeschäfte. Zweiseitige Verträge im allgemeinen.

§ 17. Wenn ein zweiseitiger Vertrag zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens von dem Gemeinschuldner und von dem anderen Teile nicht oder nicht vollständig erMlt ist, so kann der Konkursverwalter an Stelle des Gemeinschuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung von dem anderen Teile verlangen. Der Verwalter muß auf Erfordern des anderen Teiles, auch wenn die Erfüllungszeit noch nicht eingetreten ist, demselben ohne Verzug erllären, ob er die Erfüllung verlangen will. Unterläßt er dies, so kann er auf der Erfüllung nicht bestehen. D i e n st m i e t e. § 22. Ein in dem Haushalte, Wirtschaftsbetriebe oder Erwerbs­ geschäfte des Gemeinschuldners eingetretenes Dienstverhältnis kann von jedem Teile gekündigt werden. Die Kündigungsfrist ist, falls nicht eine kürzere Frist bedungen war, die gesetzliche. Kündigt der Verwalter, so ist der andere Teil berechtigt, Ersatz des ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstandenen Schadens zu verlangen.

Siebenter Titel. Maffegläubiger. Masseschulden.

§ 59. Masseschulden sind: 1. die Ansprüche, welche aus Geschäften oder Handlungen des Konkurs­ verwalters entstehen, 2. die Ansprüche aus zweiseitigen Verträgen, deren Erfüllung zur Kon­ kursmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens erfolgen muß, 3. die Ansprüche aus einer rechtlosen Bereicherung der Masse. Kann der vom Konkursverwalter gekündigte Werkmeister seinen Lohn von der Konkurseröffnung bis zumMlauf der Kündigungsfrist als Masseschuld verlangen? S. 182. Ist der Gehaltsanspruch des Handlungsgehilfen von der Konkurseröffnung ab bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Masseschuld, auch wenn der Gehilfe vorher vom Verwalter entlassen wird? S. 183. Sind Provisionsansprüche des Handlungsgehilfen für die Zeit nach Konkurseröffnung Masseschulden? S. 184. Ist das GG. zuständig für die Klage gegen den Konkursverwalter des Arbeit­ gebers? 8. 6. Ist das GG. zuständig für den Konkursverwalter, der nach der Konkurs­ eröffnung die Dienste eines vom Gemeinschuldner eingestellten Arbeiters stillschweigend angenommen hat? S. 7. Ist das KG. zuständig für die Klage gegen den Konkursverwalter über die Rechtmäßigkeit der Entlassung? S. 124. Ist das KG. zuständig für die Klage gegen den Konkursverwalter auf Feststellung der Gehaltsforderung zur Tabelle? S. 124. Kann der Handlungsgehilfe vor dem KG. gegen die Konkursmasse auf Feststellung des Vorrechts der Gehaltsforderung klagen? S. 126. Ist das KG. zuständig für den Konkurs­ verwalter wegen Ansprüchen, die nach Eröffnung des Konkurses entstehen? S. 128. Lateinischer Dmck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Dmck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

3. Konkurs-Ordnung.

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§ 60. Sobald sich herausstellt, daß die Konkursmasse zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger nicht ausreicht, tritt eine verhältnismäßige Befriedigung derselben in der Weise ein, daß zunächst die Masse­ schulden, dann die Massekosten, von diesen zuerst die baren Auslagen und zuletzt die dem Gemeinschuldner und dessen Familie bewilligte Unter­ stützung zu berichtigen sind. Achter Titel. Konkursgläubiger. Rangordnung.

§ 61. Die Konkursforderungen werden nach folgender Rangordnung, bei gleichem Range nach Berhälmis ihrer Beträge berichtigt: 1. die für das letzte Jahr vor der Eröffnung des Verfahrens oder dem Ableben des Gemeinschuldners rückständigen Fordemngen an Lohn, Kostgeld oder anderen Dienstbezügen der Personen, welche sich dem Gemeinschuldner für dessen Haushalt, Wirtschaftsbetrieb oder Er­ werbsgeschäft zur Leistung von Diensten verdungen hatten; 2. die Forderungen der Reichskasse, der Staatskassen und der Gemeinden, sowie der Amts-, Kreis- und Provinzialverbände wegen öffentlicher Abgaben, welche im letzten Jahre vor der Eröffnung des Verfahrens fällig geworden sind, oder nach § 65 als fällig gelten; es macht hierbei keinen Unterschied, ob der Steuererheber die Abgabe bereits bot« ichußweise zur Kasse entrichtet hat; 3. die Forderungen der Kirchen und Schulen, der öffentlichen Verbände und der öffentlichen zur Annahme der Versicherung verpflichteten Feuerversicherungsanstalten wegen der nach Gesetz oder Verfassung zu entrichtenden Abgaben und Leistungen aus dem letzten Jahre vor der Eröffnung des Verfahrens; 4. die Forderungen der Ärzte, Wundärzte, Tierärzte, Apotheker, Heb­ ammen und Krankenpfleger wegen Kur- und Pflegekosten aus dem letzten Jahre vor der Eröffnung des Verfahrens, insoweit der Be­ trag der Forderungen den Betrag der taxmäßigen Gebührnisse nicht übersteigt; 5. die Forderungen der Kinder, der Mündel und der Pflegebefohlenen des Gemeinschuldners in Ansehung ihres gesetzlich der Verwaltung desselben unterworfenen Vermögens; das Vorrecht steht ihnen nicht zu, wenn die Forderung nicht binnen zwei Jahren nach Beendigung der Vermögensverwaltung gerichtlich geltend gemacht und bis zur Eröffnung des Verfahrens verfolgt worden ist; 6. alle übrigen Konkursforderungen. Gilt eine Kautionsforderung im Konkurse als bevorrechtigt? S. 185. Ist die Lohnsorderung eines Hausgewerbetreibenden bevorrechtigte Konkursforderung? S. 186. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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4. Lohnbeschlagnahmegesetz.

4. Lohnbeschlagnahmegesetz. § 1. Die Vergütung (Lohn, Gehalt, Honorar usw.) für Arbeiten oder Dienste, welche auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses ge­ leistet werden, darf, sofern dieses Verhältnis die Erwerbstätigkeit des Ver­ gütungsberechtigten vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nimmt, zum Zwecke der Sicherstellung oder Befriedigung eines Gläubigers erst dann mit Beschlag belegt werden, nachdem die Leistung der Arbeiten oder Dienste erfolgt und nachdem der Tag, an welchem die Vergütung gesetz­ lich, Vertrags- oder gewohnheitsmäßig zu entrichten war, abgelaufen ist, ohne daß der Vergütungsberechtigte dieselbe eingefordert hat. Unterliegt das dem vorzeitig entlassenen Handlungsgehilfen zugesprochene Gehalt für ein ferneres Vierteljahr der Pfändung? S. 187. Ist die Pfändung einer Akkordlohnforderung schon zulässig, wenn die Mordarbeit noch nicht geleistet ist? Gelten Lohn­ forderungen von auf täglicher Kündigung stehenden Arbeitern als fortlaufende Bezüge? S. 187. Hat der Arbeitgeber als Drittschuldner zu prüfen, ob die Pfändung von Arbeits­ lohn und dessen Überweisung zur Einziehung gesetzlich zulässig ist? S. 189. Darf das GG. nachprüfen, ob eine Pfändung des Arbeitsverdienstes berechtigt ist? Mrd der Arbeit­ geber durch Zahlung an den Pfandgläubiger befreit? S. 189. Kann der Arbeiter, dessen Lohn für einen Gläubiger gepfändet und überwiesen ist, noch Feststellungsklage vor dem GG. erheben? S. 190. Muß der Arbeiter, der die Lohnforderung vor Fälligkeit abgetreten hat, sich die Zahlung an den Zessionar gefallen lassen? S. 191. Gehaltspfändung wegen Steuersorderungen. Ist das KG. zuständig, wenn der Streit der Parteien lediglich die Zulässigkeit der Pfändung betrifft? S. 123. Abrede, nach der der Angestellte 1500 Mk. Jahresgehalt, dessen Ehefrau weitere Beträge erhält. Kann die Ehefrau von den Gläubi­ gern des Ehemannes gepfändet werden? S. 191.

§ 2. Die Bestimmungen des § 1 können nicht mit rechtlicher Mrkung durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Soweit nach diesen Bestimmungen die Beschlagnahme unzulässig ist, ist auch jede Verfügung durch Zession, Anweisung, Verpfändung oder durch ein anderes Rechtsgeschäft ohne rechtliche Wirkung. § 8. Als Vergütung ist jeder dem Berechtigten gebührende Ver­ mögensvorteil anzusehen. Auch macht es keinen Unterschied, ob dieselbe nach Zeit oder Stück berechnet wird. Ist die Vergütung mit dem Preise oder Wert für Material oder mit dem Ersatz anderer Auslagen in ungetrennter Summe bedungen, so gilt als Vergütung im Sinne dieses Gesetzes der Betrag, welcher nach Abzug des Preises oder des Wertes der Materialien und nach Abzug der Auslagen übrig bleibt. § 4. Das gegenwärtige Gesetz findet keine Anwendung: 1. auf den Gehalt und die Dienstbezüge der öffentlichen Beamten, 2. auf die Beitreibung der direkten persönlichen Staatssteuern und Kommunalabgaben (die derartigen Abgaben an Kreis-, Kirchen-, Schul- und sonstige Kommunalverbände mit eingeschlossen), sofern diese ©teuern und Abgaben nicht seit länger als 3 Monaten fällig geworden sind, 3. auf die Beitreibung der den Verwandten, dem Ehegatten und dem früheren Ehegatten für die Zeit nach Erhebung der Klage und für das diesem Zeitpunkte vorausgehende letzte Vierteljahr kraft Gesetzes zu entrichtenden Unterhaltsbeiträge, Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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4. insoweit der Gesamtbetrag der Vergütung (§§ 1, 3) die Summe von 1500 Mark für das Jahr übersteigt. § 4 a. Auf die Beitreibung der zugunsten eines unehelichen Kindes von dem Vater für den im § 4 Nr. 3 bezeichneten Zeitraum kraft Gesetzes zu entrichtenden Unterhaltsbeiträge findet dieses Gesetz nur insoweit An­ wendung, als der Schuldner zur Bestreitung seines notdürftigen Unter­ halts und zur Erfüllung der ihm seinen Verwandten, seiner Ehefrau oder seiner früheren Ehefrau gegenüber gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht der Vergütung (§§ 1, 3) bedarf. Hierbei werden ausschließlich die Leistun­ gen berücksichtigt, welche vermöge einer solchen Unterhaltspflicht für den nämlichen Zeitraum oder, falls die Klage zugunsten des unehelichen Kindes nach der Klage eines Unterhaltsberechtigten erhoben ist, für die Zeit von dem Beginne des der Klage dieses Berechtigten vorausgehenden letzten Vierteljahrs ab zu entrichten sind.

|5. Auszug aus der Gewerbeordnung. Titel I.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 6. Das gegenwärtige Gesetz findet keine Anwendung auf die Fischerei, die Errichtung und Verlegung von Apotheken, die Erziehung von Kindern gegen Entgelt, das Unterrichtswesen, die advokatorische und NotariatsPraxis, den Gewerbebetrieb der Auswanderungsunternehmer und Aus­ wanderungsagenten, der Bersicherungsunternehmer und der Eisenbahn­ unternehmungen, die Befugnis zum Halten öffentlicher Fähren und die Rechtsverhältnisse der Schiffsmannschaften auf den Seeschiffen. — Auf das Bergwesen, die Ausübung der Heilkunde, den Verkauf von Arzneimitteln, den Vertrieb von Lotterielosen und die Viehzucht findet das gegenwärtige Gesetz nur insoweit Anwendung, als dasselbe ausdrückliche Bestimmungen darüber enthält. Durch Kaiserliche Verordnung wird bestimmt, welche Apothekerwaren dem freien Verkehre zu überlassen sind. Ti>el VI.

Innungen, Jnnungsausschüsse, Handwerkskammern, Innungs­ verbände. I. Innungen. a) Allgemeine Vorschriften.

§ 81. Diejenigen, welche ein Gewerbe selbständig betreiben, können zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen zu einer Innung zusammentreten. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen, Baum, Gewerbegerichte.

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5. Gewerbeordnung.

§ 81 a. Aufgabe der Innungen ist: 1. die Pflege des Gemeingeistes sowie die Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehre unter den Jnnungsmitgliedern; 2. die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistem und Gesellen (Gchilfen) sowie die Fürsorge für das Herbergswesen und den Arbeitsnachweis; 3. die nähere Regelung des Lehrlingswesens und die Fürsorge für die technische, gewerbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge, vor­ behaltlich der Bestimmungen der §§ 103 e, 126 bis 132 a; 4. die Entscheidung von Streitigkeiten der im § 3 des Gewerbegerichts, gesetzes vom 29. Juli 1890 (RGBl. 141) und int § 53 a des Kranken­ versicherungsgesetzes (RGBl. 1892 379) bezeichneten Art zwischen den Jnnungsmitgliedem und chren Lehrlingen. Ist das GG. oder der JnnungsauSschuß für Lehrlingswesen zuständig, wenn nach Ablauf der Lehrzeit der bisherige Lehrling auf Ausstellung eines Zeugnisses und Heraus­ gabe des Arbeitsbuchs klagt? S. 121. Wird das GG. in dem Rechtsstreite eines Lehrlings gegen seinen Lehrhern wegen Auflösung des Lehrverhältnisses zuständig, wenn die an sich zuständige Innung die Sache an das GG. verweist? 8.122. § 81 b. Die Innungen sind befugt, ihre Wirksamkeit auf andere, den Jnnungsmitgliedern gemeinsame gewerbliche Interessen als die im § 81 a bezeichneten auszudehnen. Insbesondere steht ihnen zu: 1. Veranstaltungen zur Förderung der gewerblichen, technischen und sittlichen Ausbildung der Meister, Gesellen (Gehilfen) und Lehr­ linge zu treffen, insbesondere Schulen zu unterstützen, zu errichten und zu leiten, sowie über die Benutzung und den Besuch der von ihnen errichteten Schulen Vorschriften zu erlassen; 2. Gesellen- und Meisterprüfungen zu veranstalten und über die Prüfungen Zeugnisse auszustellen; 3. zur Unterstützung ihrer Mitglieder und deren Angehörigen, ihrer Gesellen (Gehilfen), Lehrlinge und Arbeiter in Fällen der Krank­ heit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Bedürftig, leit Kassen zu errichten; 4. Schiedsgerichte zu errichten, welche berufen sind, Streitigkeiten der int § 3 des Gewerbegerichtsgesetzes und int § 53 a des Kranken­ versicherungsgesetzes bezeichneten Art zwischen den Jnnungs­ mitgliedem und ihren Gesellen (Gehilfen) und Arbeitem an Stelle der sonst zuständigen Behörden zu entscheiden; 5. zur Förderung des Gewerbetriebes der Jnnungsmitglieder einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb einzurichten. § 91. Die auf Gmnd des § 81 b Ziffer 4 errichteten Jnnungsschiedsgerichte müssen mindestens aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern bestehen. Die Beisitzer und deren Stellvertreter sind zur Hälfte aus den Innungs­ mitgliedern, zur Hälfte aus den bei ihnen beschäftigten Gesellen (Gehilfen) und Arbeitern zu entnehmen. Die ersteren sind von der Jnnungsversammlüng, die letzteren von den Gesellen (Gehilfen) und Arbeitem zu wählen. Auf das Wahlrecht finden die Vorschriften der §§ 10,13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 des Gewerbegerichtsgesetzes Anwendung. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Der Vorsitzende wird von der Aufsichtsbehörde bestimmt; er braucht der Innung nicht anzugehören. Die Beisitzer erhalten für jede Sitzung, welcher sie beigewohnt haben, Vergütung der baren Auslagen und eine Entschädigung für Zeitversäumnis; die Höhe der letzteren und der Betrag der dem Borsitzendm zu gewährenden Vergütung sind im Nebenstatute festzusetzen. Sind Wahlen nicht zustande gekommen, oder verweigem die Ge­ wählten die Dienstleistung, so hat die Aufsichtsbehörde die Beisitzer aus der Zahl der wählbaren Jnnungsmitglieder, Gesellen (Gehilfen) und Ar­ beiter zu ernennen. Die Anberaumung des ersten Termins soll innerhalb acht Tagen nach Eingang der Klage erfolgen und die Entscheidung nach Möglichkeit beschleunigt werden. Wird die achttägige Frist nicht innegehalten, so kann der Kläger verlangen, daß statt des Jnnungsschiedsgerichts an den Orten, wo Gewerbegerichte bestehen, diese, und wo solche nicht bestehen, die ordentlichen Gerichte entscheiden. Dies Verlangen ist dem danach zu­ ständigen Gewerbegericht oder ordentlichen Gericht und dem Innungs­ schiedsgerichte schriftlich mitzuteilen. Hat das GG. zu prüfen, ob ein Innungs-Schiedsgericht zu Recht besteht? 8.116. Wird durch die Zuständigkeit eines Innungsschiedsgerichts auch der Rechtsweg, im Gerichtsstand des Erfüllungsorts vor einem außerhalb des Innungsbezirks zuständigen GG. ausgeschlossen? S. 116, Kann das Urteil eines GG. durch Klage beim Amtsgericht als nichtig angefochten werden, wenn der Arbeitgeber einer Innung mit JnnunMchiedsgericht angehört, aber vor dem GG. verhandelt hat? S. 116. Ist für die Lohnllage das GG. des Arbeitsortes neben dem Jnnungsschiedsgericht am Wohnsitz des Arbeitgebers zuständig, wenn die Lohnzahlung in der Wohnung des Arbeitgebers erfolat? S. 116. Kann eine offene Handelsgesellschaft als solche Innungsmitglied sein ? Ist das Innungs­ schiedsgericht zuständig, wenn nicht sämtliche Gesellschafter Mitglied der Innung sind? 8. 116. Ist bei einer Zwangsinnung das Innungsschiedsgericht ohne weiteres zuständig oder bedarf es eines besonderen Beitritts des Arbeitgebers zur Innung ? S. 116. Ist das Innungsschiedsgericht zuständig, wenn ein Fabrikant der Zwangsinnung frei­ willig beigetreten ist? S. 116. Ist das GG. zuständig für einen Fabritbetrieb, dessen Besitzer einer freien Innung mit Jnnungsschiedsgericht angehört? S. 117. Wird die Zuständigkeit des GG. begründet, wenn der Vorsitzende des Innungsschiedsgerichts innerhalb der achtägigen Frist einen Sühnetermin abhält, aber die Einberufung eines Gerichts ablehnt? 8.118, Ist das Jnnungsschiedsgericht auch ausschließlich zuständig für Arbeiter eines Jnnungsmeisters, die in einer anderen Branche tätig lind? S. 118. Ist für Streitigkeiten von Arbeitern desselben Arbeitgebers untereinander das GG. zu­ ständig, wenn der Arbeitgeber einem Jnnungsschiedsgericht untersteht? S. 118. Klage auf Aushebung eines vemrteilenden Spruchs des Jnnungsschiedsgerichts. Kann das ordentliche Gericht materiell vemrteilen, wenn das Urteil des Jnnungsschiedsgerichts wegen Unzuständigkeit aufgehoben werden muß? S. 119. Sind die Innungsschieds­ gerichte zuständig für Streitigkeiten zwischen dem Innungsmeister und dem Rechts­ nachfolger des Gehilfen? 8. 121. § 91a. Erfolgt durch das Jnnungsschiedsgericht eine Verurteilung auf Vornahme einer Handlung, so ist der Beklagte zugleich auf Antrag des Klägers für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer zu bestimmenden Frist vorgenommen wird, zur Zahlung einer nach dem Ermessen des Ge­ richts festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. In diesem Falle ist die Zwangsvollstreckung gemäß §§ 887 und 888 der Zivilprozeßordnung ausgeschlossen. § 91 b. Die Entscheidungen der Innung (§ 81 a Ziffer 4) und der Jnnungsschiedsgerichte (§ 81 b Ziffer 4) sind schriftlich abzufassen; sie gehen Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

in Rechtskraft über, wenn nicht binnen einer Notfrist von einem Monat eine Partei Klage bei dem ordentlichen Gerichte erhebt. Die Frist beginnt gegen eine bei der Verkündigung nicht anwesende Partei mit der Be­ händigung der Entscheidung. Aus Vergleichen, welche nach Erhebung der Klage vor der Innung oder dem Jnnungsschiedsgerichte geschlossen sind, findet die Zwangsvoll, streckung statt. Die Entscheidungen können von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden, wenn sie die im § 3 Ziffer 1 des Gewerbegerichtsgesetzes bezeichneten Streitigkeiten betreffen, oder der Gegenstand der Verur­ teilung an Geld oder Geldeswert die Summe von einhundert Mark nicht übersteigt. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht auszusprechen, wenn glaub­ haft gemacht wird, daß die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde; auch kann sie von einer vorläufigen Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Vollstreckung erfolgt, sofern die Partei dies beantragt, auf Ersuchen der Innung oder des Jnnungsschiedsgerichts durch die Polizeibehörde nach Maßgabe der Vorschriften über das Berwaltungszwangsverfahren; wo ein solches Verfahren nicht besteht, finden die Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung. Ein unmittelbarer Zwang zur Bomahme einer Handlung ist nur im Falle des § 127 d zulässig. Ist rechtzeitig Klage erhoben, so findet der § 707 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung.

Titel VII. Gewerbliche Arbeiter (Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Betriebs­ beamte, Werkmeister, Techniker, Fabrikarbeiter). st. Allgemeine Verhältnisse. § 105. Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern ist, vorbehaltlich der durch Reichsgesetz begründeten Beschränkungen, Gegenstand freier Über­

einkunft. 1. Begriff deS gewerbliche« Arbeiters.

Bahnangestellte S. 12 ff. Gärtner S. 16 ff. Landwirtschaftliche Nebenbetriebe 8.19. Binnenschiffer 8.19. Fährbetrieb 8.19. Fischer 8.19. Fahrradlehrer 8. 20. Patentanwaltsgehilfen S. 20. Rechtsanwaltsgehilfen 8. 20. Zahntechniker 8. 20. Angestellte von Konsumvereinen S. 20, von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit 8/20, von Künstlern S. 20. Portier im Mietshaus S. 24. Artisten S. 25 ff. Technisches Theaterpersonal 8. 27. Küchen- und Hauspersonal in Restaurants 8.27. Kommunale Angestellte S. 27. Arbeiter oder Unternehmer? S. 37. Restaurationsgeschäftsführer S. 40. Buffetiers S. 41. Garderobiers S. 38. Toillettenwärter S. 44. KaffeehausKapellmeister S. 46. Ziegelmeister S. 47. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu ausgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Abgrenzung zwischen Handlungsgehilfen und Gewerbe­ gehilfen. Wird durch die Abrede, daß das Arbeitsverhältnis nach Handelsrecht beurteilt werden soll, die Zuständigkeit des GG. beseitigt? 8. 70. Kaufmännische Gehilfen in gewerblichen Betrieben. 8.105. Ist auch derjenige Handlungsgehilfe, der in einem kaufmännischen Geschäft lediglich Handlangerdienste leistet? 8. 106. Ist die Stenographin und Maschinenschreiberin im kaufmännischen Betriebe Gewerbe­ gehilfin? 8.106. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Stenograph und Maschinen­ schreiber als Handlungsgehilfe anzusehen? S. 144. Ist ein mit der Führung von Lohn­ listen und der Berechnung der Kranken- und Jnvalidenversicherungsbeiträge beschäftigter Angestellter im Abrechnungsbureau einer Fabrik Handlungs- oder Gewerbegehilfe? S. 145. Registrator S. 144. Werkstattschreiber S. 106. Ist ein „Volontär" in der Kon­ sektionsbranche Gewerbegehilfe, auch wenn er vorübergehend zur Ausbildung als Ein­ richter arbeitet? S. 107. Berichterstatter einer Zeitung. 8.107. Korrektor einer Tages­ zeitung 8.107. Redakteur 137. Kolporteur 8.108. Direktrice eines Putzgeschästes S. 108. Schaufensterdekorateur 8.109. Verkäuferin bei einem Bäcker 8.109. Schlächtermamsell S. 141. Bierfahrer 8.109. Milchkutscher 8.112. Verkäufer in einer Trinkhalle 8.112. Hotelsekretär 8.114. Kellner 8.114. Geschäftsführer eines Schank­ wirtes (Aschinger sBierquelle) 8.114. Von einer Brauerei eingesetzter Leiter einer Gastwirtschaft S. 139. Wechselkassiererin im Automatenrestaurant S. 140. Bayerischer Straßenbahnschaffner 8.114. Omnibusschaffner 8.114. Platzanweiser auf dem Stätte­ platz 8.114. Angestellte eines Detektivbureaus 8.114. Packerinnen in Warenhäusern S. 142. Hausmeister in einem Kaufhause S. 143.

2. Akkordarbeit. Ist der Akkordvertrag Werkvertrag oder Dienstvertrag? 8.194. Enthält die Abrede, daß bei Innehaltung einer gewissen Maximalarbeitszeit ein Lohnzuschlag ge­ zahlt wird, einen Akkord vertrag? 8.194. Kann ein Akkordvertrag durch stillschwei­ gende Einwilligung des bisher in Stundenlohn beschäftigten Arbeiters zustande kom­ men? 8.195. Ist Akkordlohn als „fester Bezug“ anzusehen? 8. 430. Ist ein an der Arbeitsstelle ausgehängter Akkordtarif ohne weitere Vereinbarung wirksam? 8.230. Muß der Akkordarbeiter die Arbeit persönlich ausführen? 8.195. Muß der Akkord­ arbeiter pünktlich zur Arbeit erscheinen? 8.195. Darf der Arbeitgeber einseitig den Akkordsatz herabsetzen? 8.195. Ist die einseitige Herabsetzung des vereinbarten Akkordlohnes zulässig, wenn der Arbeiter infolge veränderter Betriebsweise durch die Herabsetzung des Lohnes keinen Schaden erleidet? 8.195. Inwieweit bat der Akkordarbeiter für den Erfolg seiner Arbeit einzustehen? S. 195. Muß der Akkordlohn auch für mangelhafte Arbeit gezahlt werden? 8.197. Kann der Arbeitgeber wegen mangelhafter Arbeit den Akkordlohn kürzen? S. 197. Ist der Akkord­ arbeiter verpflichtet, Mehrarbeit erfordernde Änderungen an der ihm übergebenen Arbeit ohne besondere Entschädigung vorzunehmen? S. 200. Ist der Akkordarbeiter zur unentgeltlichen Reinigung der Arbeitsräume verpflichtet, wenn dies im Betriebe üblich, ihm aber beim Abschluß des Arbeitsvertrages nicht eröffnet worden ist? S. 200. Hat der Akkordarbeiter Anspruch auf Entschädigung für die Zeit, während er wegen Materialmangels nicht arbeiten kann? 8. 200. Können Akkordarbeiter Ent­ schädigung wegen Nichtbeschäftigung verlangen, ohne daß sie vorher das Arbeits­ verhältnis gelöst haben? 8.383. Tritt das Recht der Akkordarbeiter, die Arbeit bei Beschäftigungslosigkeit einzustellen, bei vorübergehender oder erst bei dauernder bzw. wiederholter Stockung ein? Muß der Arbeiter eine Beschäftigungslosigkeit einem Vertreter des Arbeitgebers melden oder genügt die Meldung beim Werkführer? 8.380. Kann der Akkordarbeiter austreten, wenn ihm mangelhaftes Arbeitsmaterial geliefert wird? 8.380. Kann der Akkordarbeiter, dem nachträglich zur Vollendung der Akkordarbeit ein anderer Arbeiter mit seinem Einverständnis beigegeben wird, trotzdem Zahlung des vollen Akkordlohnes fordern? 8.203. Kann ein Arbeiter, dem nach einem Tarif­ verträge bei Akkordarbeiten Mindestabschlagszahlungen zustehen, Fortzahlung dieser Zahlungen bis zur Beendigung der Arbeiten auch dann verlangen, wenn das Mordgeld bereits verbraucht ist? S. 204. Kann der Akkordarbeiter austreten, wenn der Arbeit­ geber wider seinen Willen noch neue Arbeiter in den Akkord einstellt? 8. 207. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

Abrede daß der Arbeiter bei schuldhaft nicht fertiggestelltem Akkord „nur" durchschnitt­ lichen Tagelohn erhält. Ist der Tagelohn auch zu zahlen, wenn er höher ist als der Mordlohn? S. 207. Ist die Klausel gültig, daß der Akkordarbeiter, welcher den Akkord (freiwillig oder gezwungen) nicht fertigstellt, nur Stundenlohn erhalten soll? 8.208. Inwieweit ist die Abrede gültig, daß Attordarbeitern, welche vor Ablauf einer KalenderWoche aufhören, nur der übliche Abschlagslohn ausgezahlt wird? S. 208. Kann beim Akkordlohn neben der Vereinbarung des Kündigungsausschlusses vereinbart werden, daß der Arbeiter den Akkordüberschuß verliert, wenn er vor Vollendung ausscheidet? 8.209. Entlassung vor Vollendung einer Akkordarbeit. Kann der Arbeiter den vollen Lohn für die vor Ablauf der Kündigungsfrist noch nicht beendete Akkordarbeit ver­ langen? 8.211. Hat der Arbeiter Anspmch auf den Akkordüberschuß, wenn der Arbeitgebet die Akkordarbeit vor Beendigung des Akkordes einstellen läßt und der Arbeiter zu­ gleich seine Entlassung nimmt? S. 211. Kann vereinbart werden, daß mehrere selbstän­ dige Arbeiten als einheitliche Akkordarbeit behandelt werden sollen? Kann der Arbeiter, der vor Vollendung der gesamten Arbeit ausscheidet, den Wert der fertiggestellten Teilleistung vrlangen? S. 212. Kann der Arbeitgeber zuviel bezahlten Lohn für einen früheren Akkorde dem Arbeiter auf einen späteren Akkord anrechnen? S. 214. Tägliche Kündigung bei Akkordarbeiten!. Kann der Arbeiter vor Fertigstellung des Akkords entlassen werden? 8.215. Kann der Akkordarbeiter bei Kündigungsausschluß auch während des Akkordes austreten? Hat er Anspruch auf anteilsmäßige Be­ zahlung der geleisteten Arbeit oder nur auf üblichen Stundenlohn? S. 217. Wie ist der Akkordüberschuß unter die Teilnehmer einer Putzerkolonne au verteilen? Haben die vor Beendigung Ausgeschiedenen Anspmch auf einen Teil des Überschusses? S. 219. Hat der im Gruppenakkord beschäftigte Arbeiter, der bisher eine tägliche Ab­ schlagszahlung erhielt, Anspruch auf Weitergewährung, wenn bei der Schlußabrech­ nung sich zeigt, daß nicht mehr genug Akkordgeld vorhanden ist? 8. 220. Kann der Kl. Versäumniskosten beanspruchen, wenn er unter Kündigungsaus­ schluß im Akkord arbeitet? 8.653. Hat der Akkordarbeiter Anspruch auf Zeugen­ gebühren? S. 653. 3. Lohn im allgemeinen.

Liegt ein Arbeitsvertrag vor, wenn kein fester Lohn, sondern nur Gewinnanteil gewährt wird? S. 41. Ist der Dienstvertrag, durch den auffällig niedriger Lohn gezahlt wird, nichtig? 8.600. Kann für gesetzliche Feiertage ein Lohnabzug gemacht werden? 8.220. Kann ein Werkmeister für einen gesetzlichen Feiertag, au dem die Arbeit ruht, Lohn bean­ spruchen? 8. 414. Hat der Arbeiter Anspruch auf Bezahlung von Überstunden? 8. 221 (vgl. auch über Überstunden beim Handlungsgehilfen S. 442 ff.). Hat der Arbeiter Anspruch auf Reisekosten und Lohn für die Fahrt zur Arbeitsstätte? S. 222. Können Weihnachts­ geschenke auf den Lohn angerechnet werden? 8.223. Können Weihnachtsgeschenke zurückgefordert werden? 8.223. Kann der Arbeiter, der im Laufe des Jahres aus­ scheidet, einen entsprechenden Teil der Neujahrsgratifikation beanspruchen? S. 223. (Uber Gratifikationen bei Handlungsgehilfen s. S. 698 ff.) Trinkgeld. Muß der Arbeiter dem Arbeitgeber die gegen dessen Anweisung einkassierten Trinkgelder herausgeben? 8.223. Sind bei Kellnerinnen die Trinkgelder als Teil des Lohnes zu betrachten? 8.224. Darf ein Hoteldiener, der lediglich auf Trink­ gelder angewiesen ist, einen Gast darauf aufmerksam machen, daß das gezahlte Trinkgeld zu niedrig sei? S. 224. Ist die Vereinbarung gültig, daß der Kellner einen Teil des Trinkgelbes als Vergütung für „Bmch" abzuliefern hat? S. 226. 608. Ist für Streitigkeiten darüber, ob das Trinkgeld dem Gehilfen oder dem Arbeitgeber zusteht, das GG. zu­ ständig? 8.58. Gilt der „Haustmnk" der Brauereiarbeit^r als Lohn? S. 228. Kann ein Gewerbegehilfe, der am Reingewinn der unter seiner Leitung ausge­ führten Arbeiten beteiligt ist, Änsichtnahme in die Geschäftsbücher und Lohnzettel for­ dern? S. 229, vgl. auch über Provisionsansprüche und Büchereinsicht bei Handlungs­ gehilfen S. 469 ff. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Ist ein an der Arbeitsstelle ausgehängter Akkordtarif ohne weiteres Vereinbarung wirksam? 8. 230. Lohnabrede „nach der Leistungsfähigkeit11. Kann der unter dieser Abrede einge­ stellte Arbeiter den bei der ersten Lohnzahlung gewährten Stundenlohn fernerhin als vereinbarten Lohn fordern? 8. 230. Ist bei Bemessung der Vergütung für die Probe­ dienstzeit mangels besonderer Abrede der gleichzeitig für das spätere feste Arbeits­ verhältnis vereinbarte Lohn zugrunde zu legen? 8. 230. Ist die Abrede gültig, daß ein Teil des Lohnes erst gezahlt wird, wenn der Arbeiter ein Jahr im Dienst bleibt? 8. 230. Verstößt eine Mrede, daß der Arbeiter für die Probewoche nur dann Lohn erhalten soll, wenn er ein Jahr bleibt, gegen die guten Sitten? S. 230. Zahlung des Lohnes durch Hingabe verschlossener Düten. Wer hat zu beweisen, daß die Düte vollzählig war? 8. 321. Kann der Arbeiter, der nach Beendigung der Arbeitszeit einige Stunden auf die Auszahlung seines Lohnes gewartet hat, für die gewartete Zeit Weiterzahlung seines Lohnes beanspruchen? 8. 232. Lohnvorschuß und Darlehen. Kann ein Vorschuß an der Lohn­ zahlung gekürzt werden? 8. 621. Wird Lohnvorschuß, der nicht rechtzeitig auf den verdienten Lohn angerechnet, sondern auf Grund besonderer Abrede gestundet wird, zum Darlehen? 8.621.

4. Urunternehmer und Zwischenunternehmer. Ist die Vereinbarung zulässig, daß die Arbeiter ihren Lohn nicht von dem Arbeit­ geber, sondern von einem „Zwischenmeister" zu fordern haben? S. 232. Verstößt ein Abkommen zwischen einem Hotelier und einem Angestellten, wonach letzterer sich wegen seiner Lohnansprüche nur an seine Mitangestellten halten kann, gegen die guten Sitten? S. 234. Ist der Ziegelmeister Arbeiter oder selbständiger Unternehmer? 8. 47. Ist der Ziegeleibesitzer Arbeitgeber der vom Ziegelmeister angenommenenen Arbeiter? 8. 235. Kann der vom Setzschiffer angenommene Bootsmann von dem Schiffseigner Lohn verlangen? 8. 235. Berttag zwischen einem Zimmermeister und einem Bauunternehmer, nach dem ersterer die Arbeiter zu stellen hat und für jeden Arbeiter einen bestimmten Stundenlohn erhält. Wer ist Arbeitgeber für die angenommenen Arbeiter? S. 235. Können die Bauarbeiter den Lohn gegen den eigentlichen Bauherrn einklagen, wenn sie von einem Strohmann angenommen sind? 8. 236. Haftet derjenige, der sich als Bauherr geriert, für den Lohn der Bauarbeiter? 8. 238.

5. Kolouueuvertrag. Wird der Bauunternehmer durch den vom Kolonnenführer geschlossenen Ver­ trag unmittelbar den Arbeitern gegenüber verpflichtet? 8.238. Wo liegt die Grenze zwischen Kolonnenführer und selbständigem Unternehmer? S. 239. Haben beim Gruppen­ akkord die einzelnen Akkordteilnehmer einen direkten Anspruch gegen den Bauherrn oder können sie sich nur an den Kolonnenführer halten? S. 241, 251. Befreit die Zahlung an den Kolonnenführer den Arbeitgeber von allen Ansprüchen der Arbeiter? S. 244, 251. Wie ist der Akkordüberschuß unter die Mitglieder einer Putzerkolonne zu verteilen? Haben die vor Beendigung Ausgeschiedenen Anspruch auf einen Teil des Überschusses? S. 219. Hat der im Gruppenakkord beschäftigte Arbeiter Anspruch auf Weitergewährung der täglichen Abschlagszahlungen, wenn nicht mehr genug Akkordgeld vorhanden ist? S. 220. Gesamtübernahme einer Akkordarbeit durch eine Mehrheit von Kolonnen unter einem gemeinschaftlichen Hauptkolonnenführer. Hat die einzelne Unterkolonne direkte Ansprüche an den Arbeitgeber auf abgesonderte Berechnung und Entlohnung? S. 245. Kann ein einzelnes Kolonnenmitglied gegen den Arbeitgeber auf Zahlung seines Lohnanteils klagen? S. 246. Ist der Kolonnenführer als Vertreter der Kolonnenmitglieder berechtigt, den Anspruch auf den gesamten Nachschußlohn ohne besondere Vollmacht im Prozeß geltend zu machen? S. 247. Kann ein einzelner Arbeiter die Vollmacht des Kolonnenführers widerrufen? S. 244. Haftet der Kolonnenführer für fahrlässig falsche Verteilung des Lohnes? S. 248. Kann ein persönlicher Gläubiger des Kolonnenführers die Lohnforderung pfänden? S. 248. Hat ein vorzeitig ausgeschiedenes Kolonnenmitglied Anspruch Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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auf den bei seinem Ausscheiden noch nicht verdienten Nachschub? S. 248. Wie ist der Lohn zu bemessen, wenn die Kolonne vor Vollendung der Arbeit aufhört? S. 249. Rechts­ stellung des Trägers einer Putzerkolonne. Kann er Lohn vom Kolonnenführer verlangen, wenn er nach Arbeitsniederlegung der Kolonne noch weiter gearbeitet hat? S. 250.

6. Tarifvertrag. Bedeutung eines vor dem Einigungsamt geschlossenen Vergleichs. Kann der einzelne Arbeiter daraus Rechte herleiten, obwohl der Arbeitgeber mit ihm abweichende Bedingungen nachträglich vereinbart hat? 8.105. Ist der Tarifvertrag eine Vereini­ gung zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen? S. 251. Können aus einem zwischen zwei Verbänden geschlossenen Tarifvertrag die einzelnen Mitglieder direkt Ansprüche geltend machen? S. 253. Sind gegenüber dem Tarif­ vertrag entgegenstehende Einzelverträge rechtswirksam? S. 255. Kann nach Abschluß eines Tarifvertrages ein schon vorher bestehendes Arbeitsverhältnis unter den alten Be­ dingungen fortgesetzt werden? S. 258. Schließen Sonderabreden über Einzelpunkte den ganzen Kollektivvertrag aus? S. 258. Kann der Arbeiter, der sich mit der Zahlung eines vereinbarten niedrigeren Lohnes begnügt hat, Nachzahlung des tarifmäßigen Lohnes verlangen? S. 259. Darf ein Arbeitgeber, nachdem er aus der tarifschließenden Organi­ sation ausgetreten ist, tarifwidrige Sonderabreden treffen? S. 259. Wird ein Drriivertrag durch vertragswidrige Arbeitseinstellung aufgehoben? S. 260. Ist ein Tarifver­ trag auch für denjenigen bindend, welcher bei seinem Abschluß nicht beteiligt war? 8. 261. Gilt der Tarifvertrag auch gegenüber dem erst später zugezogenen Gehilfen? S. 261. Gilt der Tarifvertrag auch für unorganisierte Arbeiter? S. 262. Kann ein mit einer Arbeiterorganisation geschlossener Tarifvertrag zum Ortsgebrauch und damit auch für Nichtorganisierte verbindlich werden? S. 263. Gilt der mit einem bestimmten Ver­ bände geschlossene Tarifvertrag für die Angehörigen anderer Verbände ohne weiteres als Ortsgebrauch? S. 264. Gilt der im Tarifverträge normierte Kündigungsausschluß als ortsüblich, wenn die beteiligte Arbeitgebervereinigung nur etwa 50 Proz. sämtlicher Arbeitgeber umfaßt? S. 264. Gilt der im Tarifvertrag für ein Gewerbe normierte Kündigungsausschluß als ortsüblich bei einem Vertrag mit einem Arbeitgeber, der weder dem Gewerbe noch der tarifschließenden Bereinigung angehört? S. 265. Wirken Bestimmun, den eines Tarifs über Außenarbeit auch zwischen solchen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die keiner der Tarifvertragskorporationen angehören? S. 266. Anwendbarkeit des deut­ schen Buchdruckertarifs. Ist er bindend, wenn er nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist? 8. 267. Kann Ausschluß der Kündigungsfrist durch Kollektivvertrag vereinbart werden? 8. 267. Kündigungsfrist im Kollektivarbeitsvertrage. Gilt sie, wenn im Einzelarbeitsvertrage nichts Abweichendes festgesetzt ist? 8.267. Bindet der Kündigungsausschluß im Kollektivvertrage Mitglieder der beteiligten Organisationen, die den Kollektivvertrag nicht ausdrücklich anerkannt haben? S. 267. Bindet der Kündigungsausschluß im Berliner Bauarbeitertarif ohne besondere Abrede auch einen von einer Baufirma angenommenen Schlosser? S. 269. Bindet der Kündigungsausschluß durch Kollektivvertrag auch den erst später zugezogenenen Arbeiter? 8. 270. Gilt der im Tarifvertrag normierte Kündigungsausschluß auch dann weiter, wenn ein unter Geltung des Tarifvertrages abgeschlossener Arbeitsvertrag nach Ablauf des Tarifvertrages fortgesetzt wird? S. 270. Wirkt der im Tarifvertrag normierte Kündigungsausschluß auch auf schon vorher be­ stehende Verträge? S. 271. Sind die Bestimmungen des Kollektivarbeitsvertrages verbindlich, wenn der Arbeiter bei seiner Annahme nicht auf ihn hingewiesen worden ist und der Kollektiv­ vertrag auch nicht auf der Arbeitsstelle ausgehängt hat? 8. 272. Ist mangels abweichender Vereinbarung der tarifmäßige oder der angemessene Lohn zu zahlen? 8.272. Sind die tarifmäßigen Löhne im Bauhandwerk auch bei Not­ standsarbeiten zu bezahlen? S. 272. Gilt, wenn die Majorität der Arbeitgeber sich einem Tarifverträge unterworfen hat, der tarifmäßige Lohn als „übliche" Vergütung? S. 273. Kann eine Arbeitsordnung durch Tarifvertrag außer Kraft gesetzt werden? S. 274. Unter welchen Umständen verpflichtet Verletzung der dem Tarifverträge beigefügten Werkstattordnung zum Schadensersatz? S. 276. Tarifvertrag mit Organisationszwang. Ist der Arbeitsvertrag anfechtbar, wenn der Gehilfe verschwiegen hat, daß er nicht organisiert ist? Verstößt der Organisationszwanq Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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gegen die guten Sitten? S. 277. Berechtigt die Verletzung eines im Kolleltivvertrage ausgesprochenen Maßregelungsverbots alle beteiligten Arbeiter zur Arbeitsniederlegung? S. 368. Verstößt eine Bestimmung eines Tarifvertrages, wonach nur der letzteingestellte Arbeiter entlassen werden darf, gegen die Bestimmung über Gleichheit der Kündigungs­ fristen? S.354. 7. Arbeitsvermittlung.

Fällt dem Arbeitsnachweis nur die Aufgabe zu, Arbeiter dem Arbeitgeber nach­ zuweisen, oder hat er auch den Abschluß des Vertrages zu vermitteln? 8.280. Müssen die Parteien die vom Vermittler vereinbarte Kündigungsfrist gegen sich selbst gelten lassen? 8.282. Ist der vom Arbeitsnachweise ausgestellte und vom Arbeiter dem Arbeitgeber ausgehändigte Stellenschein bindend? 8.282. Ist der Arbeitgeber schaden­ ersatzpflichtig, wenn er die ihm vom Arbeiter übergebene Arbeitsnachweiskarte t>ediert? S. 282. Ist der Arbeitsnachweis eines Unternehmerverbandes schadenersatzpflichtig wegen Nichteinstellung eines Arbeiters? Ist für die Klage das GG. zuständig? S. 283. Haftung für Manko S. 623 ff. Haftung des Arbeitgebers für Verlust von Sachen des Angestellten S. 655 ff.

§ 105 a. Zum Arbeiten an Sonn- und Festtagen können die Ge­ werbetreibenden die Arbeiter nicht verpflichten. Arbeiten, welche nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auch an Sonn- und Festtagen vorge­ nommen werden dürfen, fallen unter die vorstehende Bestimmung nicht. Welche Tage als Festtage gelten, bestimmen unter Berücksichtigung der örtlichen und konfessionellen Verhältnisse die Landesregierungen. Kann ein gegen Wochenlohn beschäftigter Barbiergehilfe für die durchgearbeitete gesetzliche Ruhezeit Extralohn beanspnichen? S. 284. Kann ein Photographengehilfe nachträglich» Bezahlung verbotener Sonntagsarbeit verlangen? 8.286. Kann Auf­ lösung des Lehrvertrages verlangt werden, wenn der Lehrling zu verbotenen Sonn­ tagsarbeiten herangezogen wird? 8. 395. § 105 b. Im Betriebe von Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs­ anstalten, Brüchen und Gruben, von Hüttenwerken, Fabriken und Werk­ stätten, von Zimmerplätzen und anderen Bauhöfen, von Wersten und Ziegeleien sowie bei Bauten aller Art dürfen Arbeiter an Sonn- und Fest­ tagen nicht beschäftigt werden. Die den Arbeitem zu gewährende Ruhe hat mindestens für jeden Sonn- und Festtag vierundzwanzig, für zwei auf einander folgende Sonn- und Festtage sechsunddreißig, für das Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest achtundvierzig Stunden zu bauern. Die Ruhezeit ist von zwölf Uhr nachts zu rechnen und muß bei zwei auf­ einander folgenden Sonn- und Festtagen bis sechs Uhr abends des zweiten Tages dauern. In Betrieben mit regelmäßiger Tag- und Nachtschicht kann die Ruhezeit frühestens um sechs Uhr abends des vorhergehenden Werttags, spätestens um sechs Uhr morgens des Sonn- oder Festtags be­ ginnen, wenn für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden vierund­ zwanzig Stunden der Betrieb ruht. Im Handelsgewerbe dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttag überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nicht länger als fünf Stunden beschäftigt werden. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes (§ 142) kann diese Beschäftigung für alle oder einzelne Zweige des Handelsgewerbes auf kürzere Zeit eingeschränkt oder ganz untersagt werden. Für die letzten vier Wochen vor Weihnachten sowie für einzelne Sonn- und Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erLateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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weiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, kann die Polizeibehörde eine Bermehmng der Stunden, während welcher die Beschäftigung statt­ finden darf, bis auf zehn Stunden zulassen. Die Stunden, während welcher die Beschäftigung stattfinden darf, werden unter Berücksichtigung der für den öffentlichen Gottesdienst bestimmten Zeit, sofern die Beschäftigungs­ zeit durch statutarische Bestimmungen eingeschräntt worden ist, durch letztere, int übrigen von der Polizeibehörde festgestellt. Die Feststellung kann für verschiedene Zweige des Handelsgewerbes verschieden erfolgen. Die Bestimmungen des Abs. 2 finden auf die Beschäftigung von Ge­ hilfen, Lehrlingen und Arbeitem int Geschäftsbetriebe von Konsum- und anderen Vereinen entsprechende Anwendung.

§ 105 c. Die Bestimmungen des § 105 b finden keine Anwendung: 1. auf Arbeiten, welche in Notfällen oder int öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen; 2. für einen Sonntag auf Arbeiten zur Durchführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Inventur; 3. auf die Bewachung der Betriebsanlagen, auf Arbeiten zur Reini­ gung und Instandhaltung, durch welche der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebs bedingt ist, sowie auf Arbeiten, von welchen die Wiederaufnahme des vollen werk­ tägigen Betriebs abhängig ist, sofern nicht diese Arbeiten an Werk­ tagen vorgenommen werden können; 4. auf Arbeiten, welche zur Verhütung des Verderbens von Roh­ stoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen erforderlich sind, sofern nicht diese Arbeiten an Werktagen voraenommen werden können; 5. auf die Beaufsichtigung des Betriebs, soweit er nach^Ziffer 1 bis 4 an Sonn- und Festtagen stattfindet. Gewerbetreibende, welche Arbeiter an Sonn- und Festtagen mit Arbeiten der unter Ziffer 1 bis 5 erwähnten Art beschäfttgen, sind ver­ pflichtet, ein Verzeichnis anzulegen, in welches für jeden einzelnen Sonnund Festtag die Zahl der beschäfttgten Arbeiter, die Dauer ihrer Beschäf­ tigung sowie die Art der vorgenommenen Arbeiten einzutragen sind. Das Verzeichnis ist auf Erfordern der Ortspolizeibehörde sowie dem int § 139 b bezeichneten Beamten jederzeit zur Einsicht vorzulegen.

Bei den unter Ziffer 3 und 4 bezeichneten Arbeiten, sofern dieselben länger als drei Stunden dauern, oder die Arbeiter am Besuche des Gottes­ dienstes hindern, sind die Gewerbetreibenden verpflichtet, jeden Arbeiter entweder an jedem dritten Sonntage volle sechsunddreißig Stunden, oder an jedem zweiten Sonntage mindestens in der Zeit von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends von der Arbeit freizulassen. Ausnahmen von den Vorschriften des vorstehenden Absatzes darf die untere Verwaltungsbehörde gestatten, wenn die Arbeiter am Besuche des sonntäglichen Gottesdienstes nicht gehindert werden und ihnen an Stelle des Sonntags eine vierundzwanzigstündige Ruhezeit an einem Wochentage gewährt wird. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Au-gabe neu aufgenommenen.

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§ 105 d. Für bestimmte Gewerbe, insbesondere für Betriebe, in denen Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatten, sowie für Betriebe, welche ihrer Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt sind, oder welche in gewissen Zeiten des Jahres zu einer außergewöhnlich verstärkten Tätigkeit genötigt sind, können durch Beschluß des Bundesrats Ausnahmen von der Bestimmung des § 105 b Ms. 1 zugelassen werden.

Die Regelung der an Sonn- und Festtagen in diesen Betrieben gestat­ teten Arbeiten und der Bedingungen, unter welchen sie gestattet sind, erfolgt für alle Betriebe derselben Art gleichmäßig und unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 105 c Abs. 3. Die vom Bundesrate getroffenen Bestimmungen sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme vorzulegen. § 105 e. Für Gewerbe, deren vollständige oder teilweise Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, sowie für Betriebe, welche ausschließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregelmäßige Wasserkraft bewegten Triebwerken arbeiten, können durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde Ausnahmen von den im § 105b getroffenen Bestimmungen zugelassen werden. Die Rege­ lung dieser Ausnahmen hat unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 105 c Abs. 3 zu erfolgen. Der Bundesrat trifft über die Voraussetzungen und Bedingungen der Zulassung von Ausnahmen nähere Bestimmungen; dieselben sind dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme mit­ zuteilen. Das Verfahren auf Anttäge wegen Zulassung von Ausnahmen für Betriebe, welche ausschließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder un­ regelmäßige Wasserkraft bewegten Triebwerken arbeiten, unterliegt den Vorschriften der §§ 20 und 21. § 105 f. Wenn zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens ein nicht vorherzusehendes Bedürfnis der Beschäftigung von Arbeitem an Sonn- und Festtagen eintritt, so können durch die untere Verwaltungs­ behörde Ausnahmen von der Bestimmung des § 105 b Ms. 1 für bestimmte Zeit zugelassen werden.

Die Verfügung der unteren Verwaltungsbehörde ist schriftlich zu er­ lassen und muß von dem Untemehmer auf Erfordem dem für die Revision zuständigen Beamten an der Betriebsstelle zur Einsicht vorgelegt werden. Eine Abschrift der Verfügung ist innerhalb der Betriebsstätte an einer den Arbeitem leicht zugänglichen Stelle auszuhängen. Die untere Verwaltungsbehörde hat über die von ihr gestatteten Aus­ nahmen ein Verzeichnis zu führen, in welchem die Betriebsstätte, die ge­ statteten Arbeiten, die Zahl der in dem Betriebe beschäftigten und der an den betreffenden Sonn- und Festtagen tätig gewesenen Arbeiter, die Dauer ihrer Beschäftigung sowie die Dauer und die Gründe der Erlaubnis ein« zutragen sind. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Dmck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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§ 105g. Das Verbot der Beschäftigung von Arbeitern an Sonn- und Festtagen kann durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundes­ rats auf andere Gewerbe ausgedehnt werden. Diese Verordnungen sind dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme vor­ zulegen. Auf die von dem Verbote zuzulassenden Ausnahmen finden die Bestimmungen der §§ 105 c bis 105 f entsprechende Anwendung.

105 h. Die Bestimmungen der §§ 105 a bis 105 g stehen weiter­ gehenden landesgesetzlichen Beschränkungen der Arbeit an Sonn- und Festtagen nicht entgegen. Den Landes-Zentralbehörden bleibt Vorbehalten, für einzelne Fest­ tage, welche nicht auf einen Sonntag fallen, Abweichungen von der Vor­ schrift des § 105 b Abs. 1 zu gestatten. Auf das Weihnachts-, Neujahrs-, Oster-, Himmelfahrts- und Pfingstfest findet diese Bestimmung keine An­ wendung. § 105 i. Der § 105 a Abs. 1 und die §§ 105 b bis 105 g finden auf Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe, Musikaufführungen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten sowie auf Verkehrs­ gewerbe keine Anwendung. Die Gewerbetreibenden können die Arbeiter in diesen Gewerben nur zu solchen Arbeiten an Sonn- und Festtagen verpflichten, welche nach der Natur des Gewerbebetriebs einen Aufschub oder eine Unterbrechung nicht gestatten.

§ 106. Gewerbetreibende, welchen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, dürfen, solange ihnen diese Rechte entzogen bleiben, mit der Anleitung von Arbeitern unter achtzehn Jahren sich nicht befassen. Die Entlassung der dem vorstehenden Verbote zuwider beschäftigten Arbeiter kann polizeilich erzwungen werden. § 107. Minderjährige Personen dürfen, soweit reichsgesetzlich nicht ein anderes zugelassen ist, als Arbeiter nur beschäftigt werden, wenn sie mit einem Arbeitsbuche versehen sind. Bei der Annahme solcher Arbeiter hat der Arbeitgeber das Arbeitsbuch einzufordern. Er ist verpflichtet, das­ selbe zu verwahren, auf amtliches Verlangen vorzulegen und nach recht­ mäßiger Lösung des Arbeitsverhältnisses wieder auszuhändigen. Die Aushändigung erfolgt an den gesetzlichen Vertreter, sofern dieser es ver­ langt, oder der Arbeiter das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, anderenfalls an den Arbeiter selbst. Mit Genehmigung der Gemeinde­ behörde des im § 108 bezeichneten Ortes kann die Aushändigung des Ar­ beitsbuches auch an die zur gesetzlichen Vertretung nicht berechtigte Mutter oder einen sonstigen Angehörigen oder unmittelbar an den Arbeiter er­ folgen. Auf Kinder, welche zum Besuche der Volksschule verpflichtet sind, finden vorstehende Bestimmungen keine Anwendung. Ist der Lehrvertrag gültig, wenn der Lehrling kein Arbeitsbuch hat? 8. 286. Kann der minderjährige Arbeiter sofort entlassen werden, wenn er kein Arbeitsbuch beibringt? 8. 286. Kann der Lehrling die Aushändigung des Arbeitsbuches verlangen, auch wenn keine „rechtmäßige Lösung des Arbeitsverhältnisses“ vor liegt? 8. 286. Darf der Lehrherr das Arbeitsbuch des Lehrlings, welcher die Lehre unbefugt verlassen hat, zurückhalten, sofern ein schriftlicher Lehrvertrag nicht geschlossen war? 8. 287.

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Kann das Arbeitsbuch noch zurückbehalten werden, wenn der kontraktbrüchige Ar­ beiter sich bereit erklärt, die für den Fall des Kontraktbruches festgesetzte Strafe zu bezahlen? 8. 287. Kann der Arbeitgeber dar Arbeitsbuch zurückbehalten, bis der kon­ traktbrüchige Arbeiter, der zum Schadenersatz verurteilt ist, die zugesprochene Summe gezahlt hat? S. 287. Muß der Arbeiter nach Beendigung der Arbeit das Arbeitsbuch abholen, oder kann er die Zusendung verlangen? 8. 288. § 108. Das Arbeitsbuch wird dem Arbeiter durch die Polizeibehörde desjenigen Ortes, an welchem er zuletzt seinen dauernden Aufenthalt gehabt hat, wenn aber ein solcher im Gebiete des Deutschen Reichs nicht stattgefunden hat, von der Polizeibehörde des von ihm zuerst erwählten deutschen Arbeitsorts kosten- und stempelfrei ausgestellt. Die Ausstellung erfolgt auf Antrag oder mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Ist die Erklärung des gesetzlichen Vertreters nicht zu beschaffen oder verweigert dieser die Zustimmung ohne genügenden Grund und zum Nachteile des Arbeiters, so kann die Gemeindebehörde die Zustimmung ergänzen. Vor der Ausstellung ist nachzuweisen, daß der Arbeiter zum Besuche der Volks­ schule nicht mehr verpflichtet ist, und glaubhaft zu machen, daß bisher ein Arbeitsbuch für ihn noch nicht ausgestellt war. § 109. Wenn das Arbeitsbuch vollständig ausgefüllt oder nicht mehr brauchbar, oder wenn es verloren gegangen oder vernichtet ist, so wird an Stelle desselben ein neues Arbeitsbuch ausgestellt. Die Ausstellung er­ folgt durch die Polizeibehörde desjenigen Ortes, an welchem der Inhaber des Arbeitsbuchs zuletzt seinen dauernden Aufenthalt gehabt hat. Das ausgefüllte oder nicht mehr brauchbare Arbeitsbuch ist durch einen amt­ lichen Vermerk zu schließen. Wird das neue Arbeitsbuch an Stelle eines nicht mehr brauchbaren, eines verloren gegangenen oder vernichteten Arbeitsbuchs ausgestellt, so ist dies darin zu vermerken. Für die Ausstellung kann in diesem Falle eine Gebühr bis zu fünfzig Pfennig erhoben werden. § 110. Das Arbeitsbuch (§ 108) muß den Namen des Arbeiters, Ort, Jahr und Tag seiner Geburt, Namen und letzten Wohnort seines gesetzlichen Vertreters und die Unterschrift des Arbeiters enthalten. Die Ausstellung erfolgt unter dem Siegel und der Unterschrift der Behörde. Letztere hat über die von ihr ausgestellten Arbeitsbücher ein Verzeichnis zu sichren. Die Einrichtung der Arbeitsbücher wird durch den Reichskanzler bestimmt. § 111. Bei dem Eintritte des Arbeiters in das Arbeitsverhältnis hat der Arbeitgeber an der dafür bestimmten Stelle des Arbeitsbuchs die Zeit des Eintritts und die Art der Beschäftigung, am Ende des Arbeitsverhält­ nisses die Zeit des Austritts und, wenn die Beschäftigung Änderungen erfahren hat, die Art der letzten Beschäftigung des Arbeiters einzutragen Die Eintragungen sind mit Tinte zu bewirken und von dem Arbeit­ geber oder dem dazu bevollmächtigten Betriebsleiter zu unterzeichnen. Die Eintragungen dürfen nicht mit einem Merkmale versehen sein, welches den Inhaber des Arbeitsbuchs günstig oder nachteilig zu kennzeichnen bezweckt. Die Eintragung eines Urteils über die Führung oder die Leistungen des Arbeiters und sonstige durch dieses Gesetz nicht vorgesehene Eintra­ gungen oder Vermerke in oder an dem Arbeitsbuche sind unzulässig. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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§ 112. Ist das Arbeitsbuch bei dem Arbeitgeber unbrauchbar ge­ worden, verloren gegangen oder vernichtet, oder sind von dem Arbeitgeber unzulässige Merkmale, Eintragungen oder Vermerke in oder an dem Ar­ beitsbuche gemacht, oder wird von dem Arbeitgeber ohne rechtmäßigen Grund die Aushändigung des Arbeitsbuchs verweigert, so kann die Aus­ stellung eines neuen Arbeitsbuchs auf Kosten des Arbeitgebers beansprucht werden. Ein Arbeitgeber, welcher das Arbeitsbuch seiner gesetzlichen Ver­ pflichtung zuwider nicht rechtzeitig ausgehändigt oder die vorschriftsmäßigen (Eintragungen zu machen unterlassen oder unzulässige Merkmale, Gntragungen oder Vermerke gemacht hat, ist dem Arbeiter entschädigungs­ pflichtig. Der Anspruch auf Entschädigung erlischt, wenn er nicht innerhalb vier Wochen nach seiner Entstehung im Wege der Klage oder Einrede geltend gemacht ist.

§ 113. Beim Abgänge können die Arbeiter ein Zeugnis über die Art und Dauer ihrer Beschäftigung fordem. Dieses Zeugnis ist auf Verlangen der Arbeiter auch auf ihre Fühmng and ihre Leistungen auszudehnen. Den Arbeitgebern ist untersagt, die Zeugnisse mit Merkmalen zu versehen, welche den Zweck haben, den Arbeiter in einer aus dem Wortlaute des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu kennzeichnen. Ist der Arbeiter minderjährig, so kann das Zeugnis von dem gesetzlichen Vertreter gefordert werden. Dieser kann verlangen, daß das Zeugnis an ihn, nicht an den Minderjährigen aus gehändigt werde. Mit Genehmigung der Gemeindebehörde des im § 108 bezeichneten Ortes kann auch gegen den Willen des gesetzlichen Vertreters die Aushändigung unmittelbar an den Arbeiter erfolgen. Urteilsformel bei Klage auf Berichtigung des Zeugnisses. Hat das Gericht die Berichtigung selbst vorzunehmen oder ist der Arbeitgeber zur Berichtigung zu verurteilen? S. 288. Kann der rechtswidrig ausgetretene Arbeiter ein Zeugnis verlangen? S. 289. Muß der Arbeiter auch einem vorzeitig ausgeschiedenen Lehrling ein Arbeitszeugnis ausstellen? 8.289. Wie lange nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeiter die Ausstellung eines Zeugnisses verlangen? S. 289. Kann der Arbeiter zwei Monate nach der Entlassung noch ein Zeugnis über Fühmng und Leistung beanspruchen, wenn er beim Abgauge ein solches über Art und Dauer der Beschäftigung erhalten und weiter nichts verlangt hat? S. 289. Ist der Anspmch auf ein Zeugnis berechtigt, wenn der Arbeiter es erst einen Monat nach Austritt fordert? Kann die Verweigerung damit begründet werden, daß das Zeugnis dem Arbeiter nur Nachteile bringen würde? S. 292 Muß der Arbeiter, der nur ein Zeugnis über seine Führung verlangt hat, ein Zeug­ nis annehmen, das sich auch über die Leistungen ausspricht? 8.293. Kann der Dienende ein Zeugnis nur über Leistungen oder nur über Fühmng allein verlangen? S. 674. Kann der Arbeiter, dessen Zeugnis auf sein Verlangen auf Führung und Leistungen ausgedehnt ist, die Streichung beanspruchen, auch wenn er die Unrichtigkeit nicht behauptet?

Darf der Arbeitgeber das Zeugnis als „Entlassungsschein" bezeichnen? Ist er ver­ pflichtet, zu bescheinigen, daß der Arbeiter „auf eigenen Wunsch" austritt? S. 293. Ist es unzulässig, wenn der Arbeitgeber in dem Zeugnis die Bemerkung „auf Wunsch aus­ gestellt“ hinzufügt? 8. 293. Darf der Arbeitgeber im Zeugnis bemerken, daß er zur Ausstellung desselben verurteilt worden ist? Darf er die gute Führung lediglich „auf Grund der Zeugenaussagen im Prozeß“ bescheinigen? 8.294. Hat ein Bautechniker in Lateinischer Druck bezeichnet di« Entscheidungen der ersten Ausgabe, deu tscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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unselbständiger Stellung und ohne akademische Vorbildung Anspruch, daß ihm im Zeug­ nis der Titel „Architekt" beigelegt wird? S. 294. Hat das GG. Arbeitszeugnisse auf ihren materiellen Inhalt zu prüfen? 8.294. Kann der Arbeiter, dem ein ungünstiges Zeugnis über Führung und Leistung ausge­ stellt ist, Änderung verlangen, weil der Sachverhalt weniger ungünstig war? 8.294. Kann Berichtigung eines Zeugnisses verlangt werden, das der Arbeitgeber nach bestem Wissen ausgestellt hat? S. 295. Begriff der „Führung11. Darf der Kündigungsgrund in das Zeugnis ausgenommen werden? 8. 297. Muß sich der Arbeiter im Zeugnis die Bemerkung gellafen lassen, daß er wegen Streiks entlassen sei? S. 297. Darf im (nicht gewerblichen) Zeugnis der außer­ halb des Dienstes liegende Entlassungsgrund angegeben werden? S. 674. Kann ein Schlächtergeselle Eintragung eines Zeugnisses in das Innungs-Ver­ bandsbuch verlangen? S. 298. Ist ein Bäckerinnungsvorstand zur Entziehung des Berbandsarbeitsbuches „auf unbestimmte Zeit" berechtigt? S. 298. Kann der Arbeiter Aus­ stellung des Zeugnisses nach eineH bestimmten, im Gewerbe üblichen Formular for­ dern? 8.299. Hat der Arbeiter Anspruch auf ein Duplikat des Zeugnisses? Kann er noch auf Abänderung klagen, wenn er das Zeugnis ohne Widerspruch angenommen hat? S. 301. Geheime Merkmale in Arbeiterzeugnissen. Kann nach gütlicher Beendigung von Aussperrungen und Streiks der Arbeitgeber genötigt werden, ein einheitliches Zeugnis auszustellen, aus dem die Unterbrechung nicht ersichtlich ist? 8.302. Kann auch in Merkmalen negativer Art eine unzulässige Kennzeichnung liegen? 8.302. Arbeitsnachweisschein der Unternehmer-Arbeitsnachweise. Ist die Weglassung eines empfehlenden Zusatzes zum Zwecke der Kennzeichnung des Arbeiters ein verbotenes „ Merkmal“ im Sinne des § 113 GO. S. 302. Gehört ein Zeugnis, welches ein Kunde dem Monteur erteilt, dem Arbeitgeber? Kann dieser wegen Unrichtigkeit das Zeugnis zurückbehalten? S. 302. Vgl. auch über Zeugnisse der Handlungsgehilfen S. 803 ff.

§ 114. Auf Antrag des Arbeiters hat die Ortspolizeibehörde die Ein­ tragung in das Arbeitsbuch und das dem Arbeiter etwa ausgestellte Zeugnis kosten- und stempelftei zu beglaubigen. § 114 a. Für bestimmte Gewerbe kann der Bundesrat Lohnbücher oder Arbeitszettel vorschreiben und die zur Ausführung erforderlichen Bestimnrungen erlassen. In die Lohnbücher der Arbeitszettel sind von den: Arbeitgeber oder eitlem dazu bevollmächttgten Betriebsbeamten einzu­ tragen: 1. der Zeitpunkt der Übertragung von Arbiet, Att und Umfang der Arbeit, bei Akkordarbeit die Stückzahl, 2. die Lohnsätze, 3. die Bedingungen für die Lieferung von Werkzeugen und Stoffen zu den Arbeiten, 4. der Zeitpunkt der Ablieferung sowie Art und Umfang der abge­ lieferten Arbeit, 5. der Lohnbetrag unter Angabe der etwa vorgenommenen Abzüge, 6. der Tag der Lohnzahlung. Der Bundesrat kann bestimmen, daß in die Lohnbücher oder Arbeits­ zettel auch die Bedingungen für die Gewährung von Kost und Wohnung eingetragen werden, sofern Kost oder Wohnung als Lohn oder Teil des Lohnes gewährt werden soll. Im übrigen sind noch solche Eintragungen zulässig, welche sich auf Namen, Firma und Niederlassungsort des Arbeitgebers, Namen und Wohn­ ort des Arbeiters, die übertragenen Arbeiten und die dafür Vereinbatten oder gezahlten Löhne beziehen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -wetten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Für die Eintragungen gelten entsprechend § 111 Abs. 3, 4, § 113 Abs. 3. Ist das Lohnbuch Eigentum des Arbeiters? S. 304.

§ 114 b. Das Lohnbuch oder der Arbeitszettel ist von dem Arbeit­ geber auf seine Kosten zu beschaffen und dem Arbeiter sofort nach Voll­ ziehung der vorgeschriebenen Eintragungen kostenfrei auszuhändigen. Die Eintragungen sind von dem Arbeitgeber oder einem dazu bevollmächtigten Betriebsbeamten zu unterzeichnen. Der Bundesrat kann bestimmen, daß die Lohnbücher in der Betriebsstätte verbleiben, wenn die Arbeitgeber glaubhaft machen, daß die Wahrung von Fabrikattonsgeheimnissen diese Maßnahme erheischt. Den beteiligten Arbeitern ist Gelegenheit zu geben, sich vor Erlaß dieser Bestimmung zu äußem. Sofern nicht der Bundesrat anders bestimmt, sind die Eintragungen gemäß § 114a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 vor oder bei der Übergabe der Arbeit, die gemäß § 114 a Abs. 1 Nr. 4 bei der Abnahme der Arbeit, die gemäß § 114a Abs. 1 Nr. 5, 6 bei der Lohnzahlung mit Tinte zu bewirken und zu unter­ zeichnen. In den Lohnbüchern sind die §§ 115 bis 119 a Abs. 1, § 119 b abzu­ drucken. § 114 c. Soweit der Bundesrat Bestimmungen auf Gmnd des § 114a Abs. 1, 2 nicht erläßt, kann die Landeszentralbehörde oder nach Anhören beteiligter Gewerbetreibender und Arbeiter die zuständige Polizeibehörde durch Polizeiverordnung sie erlassen. Für diesen Fall kann die Landes­ zentralbehörde oder die zuständige Polizeibehörde auch Bestimmungen auf Grund des § 114 b Abs. 2 erlassen. § 114 d. Bundesrat und Landeszentralbehörde können die Besttmmungen auf Gmnd der §§ 114 a bis 114 c auch für einzelne Bezirke er­ lassen. § 114 e. Für die Bestimmungen des Bundesrats gilt § 120 ent­ sprechend. § 115. Die Gewerbetreibenden sind verpflichtet, die Löhne ihrer Arbeiter in Reichswährung zu berechnen und bar auszuzahlen. Sie dürfen den Arbeitern keine Waren kreditieren. Doch ist es ge­ stattet, den Arbeitern Lebensmittel für den Betrag der Anschaffungs­ kosten, Wohnung und Landnutzung gegen die ortsüblichen Miet- und Pachtpreise, Feuerung, Beleuchtung, regelmäßige Beköstigung, Arzneien und ärztliche Hilfe sowie Werkzeuge und Stoffe zu den ihnen übertragenen Arbeiten für den Betrag der durchschnittlichen Selbstkosten unter Anrech­ nung bei der Lohnzahlung zu verabfolgen. Zu einem höheren Preise ist die Verabfolgung von Werkzeugen und Stoffen für Akkordarbeiten zu­ lässig, wenn derselbe den ortsüblichen nicht übersteigt und im voraus ver­ einbart ist. Dürfen den Droschkenkutschern für die Livree Lohnabzüge gemacht werden? 8. 304. Begriff des Lebensmittels. Darf den Arbeitern Branntwein kreditiert werden? 8.304. Bezieht sich § 115 GO. auch auf die Gagenforderung des Schauspielers? 8. 304. Ist eine „Vollmacht“ zur Erhebung des Lohnes rechtswirksam, die der Arbeiter einem Konsumverein ausstellt, bei dem er Waren auf Kredit entnommen hat? Darf auf Grund derselben Lohn an den Verein ausgezahlt werden? 8. 304. Lateinischer Truck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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Ist die Lohnzahlung rechtswirksam, wenn ein Gläubiger des Arbeiters den auf den Tisch gezählten Lohn wegnimmt, ehe ihn der Arbeiter an sich nehmen kann? S. 305. Kann der Arbeiter den Teil seines Lohnes, der mit seiner Genehmigung direkt an einen Schankwirt für entnommene Waren abgeführt ist, nochmals in bar verlangen? 8.306.

§ 115 a. Lohn- und Abschlagszahlungen dürfen in Gast- und Schank­ wirtschaften oder Verkaufsstellen nicht ohne Genehmigung der unteren Verwaltungsbehörde erfolgen; sie dürfen an Dritte nicht erfolgen auf Grund von Rechtsgeschäften oder Urkunden über Rechtsgeschäfte, welche nach § 2 des Gesetzes, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- oder Dienst­ lohns, vom 21. Juni 1869 (Bundes-Gesetzbl. S. 242) rechtlich unwirk­ sam sind. § 116. Arbeiter, deren Forderungen in einer dem § 115 zuwiderlaufenden Weise berichtigt worden sind, können zu jeder Zeit Zahlung nach Maß­ gabe des § 115 verlangen, ohne daß ihnen eine Einrede aus dem an Zah­ lungsstatt Gegebenen entgegengesetzt werden kann. Letzteres fällt, soweit es noch bei dem Empfänger vorhanden oder dieser daraus bereichert ist, derjenigen Hilfskasse zu, welcher der Arbeiter angehört, in Ermangelung einer solchen einer anderen zum Besten der Arbeiter an dem Orte bestehen­ den, von der Gemeindebehörde zu bestimmenden Kasse und in deren Er­ mangelung der Ortsarmenkasse.

§ 117. Verträge, welche dem § 115 zuwiderlaufen, sind nichtig. Dasselbe gilt von Verabredungen zwischen den Gewerbetreibenden und den von ihnen beschäftigten Arbeitem über die Entnahme der Bedürf­ nisse der letzteren aus gewissen Verkaufsstellen sowie überhaupt über die Verwendung des Verdienstes derselben zu einem andern Zwecke als zur Beteiligung an Einrichtungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter oder ihrer Familien. Kann der Beitrag für einen „gelben" Arbeiterverein vom Lohn abgezogen werden? S. 306. Ist eine Vereinbarung über die Einbehaltung eines Teiles des Lohns als Beitrag zu einer ArbeiterunterstützunOkasse rechtsgültig? S. 307. Ist eine Zwangssparlasse als Wohlsahrtseinrichtung anzusehen, wenn bei Aufgabe der Arbeit die Spareinlagen nur unter gewissen Bedingungen zurückgezahlt werden? S. 310. Ist eine Arbeiterpensions­ lasse noch als „Wohlfahrtseinrichtung" anzusehen, wenn eine Rückzahlung gezahlter Bei­ träge in keinem Fall erfolgt? Verstößt der Arbeitsvertrag, welcher zum Beitritt zu einer solchen Kasse verpflichtet, gegen die guten Sitten? S. 312. Können bei Auflösung eines Unternehmens die Arbeiter Verteilung einer Kasse verlangen, die der Wohlfahrt gewidmet, aber nicht Eigentum eines Arbeitervereins war? S. 324. Ist die Bestimmung im Statut einer obligatorischen Pensionskasse gültig, nach der ein Teil der Beiträge ver­ fällt, wenn der Angestellte die Stellung verläßt? S. 326. Dürfen Beiträge zu einer Zwangs­ pensionskasse vom Lohn abgezogen werden? 8. 329. Lohneinhaltung zur Deckung eines dem Arbeiter zum Selbstkostenpreis überlassenen Fahrrades. Ist die Überlassung eine „Einrichtung zur Verbesserung der Lage des Arbeiters“ im Sinne des § 117 der GO.? S.329.

§ 118. Forderungen für Waren, welche dem § 115 zuwider kreditiert worden sind, können von dem Gläubiger weder eingeklagt, noch durch Anrechnung oder sonst geltend gemacht werden, ohne Unterschied, ob sie zwischen den Beteiligten unmittelbar entstanden oder mittelbar erworben sind. Dagegen fallen dergleichen Fordemngen der im § 116 bezeichneten Kasse zu. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen. Baum, Gewerbegerichte.

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Ist die Bestimmung des § 118 GO., betreffend das Kreditieren von Waren, von Amts wegen zu berücksichtigen, ohne daß es einer Geltendmachung seitens der Par­ teien bedarf? S. 329.

§ 119. Den Gewerbetreibenden im Sinne der §§ 115 bis 118 sind gleichzuachten deren Familienglieder, Gehilfen, Beauftragte, Geschäfts­ führer, Aufseher und Faktoren sowie andere Gewerbetreibende, bei deren Geschäft eine der hier erwähnten Personen unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist.

§ 119 a. Lohneinbehaltungen, welche von Gewerbeunternehmern zur Sicherung des Ersatzes eines ihnen aus der widerrechtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses erwachsenden Schadens oder einer für diesen Fall verabredeten Strafe ausbedungen werden, dürfen bei den einzelnen Lohn­ zahlungen ein Viertel des fälligen Lohnes, im Gesamtbeträge den Betrag eines durchschnittlichen Wochenlohns nicht übersteigen. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes (§ 142) kann für alle Gewerbetriebe oder gewisse Arten derselben festgesetzt werden: 1. daß Lohn- und Abschlagszahlungen in festen Fristen erfolgen müssen, welche nicht länger als einen Monat und nicht kürzer als eine Woche sein dürfen; 2. daß der von minderjährigen Arbeitern verdiente Lohn an die Eltern oder Vormünder und nur mit deren schriftlicher Zusttmmung oder nach deren Bescheinigung über den Empfang der letzten Lohnzahlung unmittelbar an die Minderjährigen gezahlt wird; 3. daß die Gewerbetreibenden den Eltem oder Vormündern innerhalb gewisser Fristen Mitteilung von den an minderjährige Arbeiter gezahlten Lohnbeträgen zu machen haben. „Prämien“ für erhöhte Arbeitsleistung neben dem festen Lohn. Ist eine Bestim­ mung der Arbeitsordnung, wonach solche Prämien nur zur Auszahlung kommen, wenn der Arbeiter bis zu einem gewissen Zeitpunkt in dem Arbeitsverhältnis verbleibt, rechts­ gültig? 8. 329. Kann gegenüber dem Anspruch auf Auszahlung des über den gesetzlich zulässigen Betrag einbehaltenen Lohnes ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden? S. 330. Ist auch bei der Lohnverwirkung die Einbehaltung auf ein Viertel des fälligen Lohnes beschränkt? S. 427. Ist trotz des Aufrechnunasverbotes im BGB. noch die Aufrechnung gegen die einbehaltene Kaution zulässig? S. 619. Kann verdienter Lohn als Sicherheit des Arbeitgebers für Schädigungen durch schlechte Geschäftsführung seitens des Ar­ beiters zurückbehalten werden? S. 330. Ist die Abrede gültig, daß ein Teil des Lohnes erst gezahlt wird, wenn der Arbeiter ein Jahr im Dienst bleibt? 8. 230. Ist eine Lohneinbehaltung noch zulässig, wenn das Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einver­ ständnis gelöst ist? S. 331.

§ 119 b. Unter den in §§ 114 a bis 119 a bezeichneten Arbeitern werden auch diejenigen Personen verstanden, welche für bestimmte Ge­ werbetreibende außerhalb der Arbeitsstätten der letzteren mit der An­ fertigung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt sind, und zwar auch dann, wenn sie die Roh- und Hilfsstoffe selbst beschaffen. Begriff des Heimarbeiters und Hausgewerbetreibenden S. 67 ff. Zuständigkeit des GG. für Heimarbeiter S. 67 ff. Kündigung der Heimarbeiter 8. 338. Kann ein Heimarbeiter Entschädigung verlangen, wenn der Arbeitgeber nicht für genügende Beschäftigung sorgt? 8. 383. Gilt die Arbeitsordnung auch für Heimarbeiter? 8. 432. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Ist Aufrechnug zulässig, wenn der Arbeiter (Heimarbeiter) bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt ist? S. 623. Ist die Lohnforderung eines Hausgewerbetreibenden bevor­ rechtigte Konlursforderung? S. 186. § 120. Die Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, ihren Arbeitem unter achtzehn Jahren, welche eine von der Gemeindebehörde oder vom Staate als Fortbildungsschule anerkannte Unterrichtsanstalt besuchen, hierzu die erforderlichen Falles von der zuständigen Behörde festzusetzende Zeit zu gewähren. Am Sonntage darf der Unterricht nur stattfinden, wenn die Unterrichtsstunden so gelegt werden, daß die Schüler nicht gehindert werden, den Hauptgottesdienst oder einen mit Genehmigung der kirch­ lichen Behörden für sie eingerichteten besonderen Gottesdienst ihrer Kon­ fession zu besuchen. Ausnahmen von dieser Bestimmung kann die Zentral­ behörde für bestehende Fortbildungsschulen, zu deren Besuche keine Ver­ pflichtung besteht, bis zum 1. Oktober 1894 gestatten. Als Fortbildungsschulen im Sinne dieser Bestimmung gelten auch Anstalten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand- und Hausarbeiten erteilt wird. Die Pflicht zum Besuch einer Fortbildungsschule kann, soweit sie nicht nach Landesgesetz besteht, durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes (§ 142) für die im Abs. 1 be­ zeichneten Arbeiter eingeführt werden. Diese Pflicht besteht dann auch für die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit. Auf demselben Wege können die zur Durchführung dieser Verpflichtung erforderlichen Bestimmungen getroffen werden. Insbesondere können durch statutarische Bestimmung die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuchs den Schulpflichtigen, sowie deren Eltem, Vormündern und Arbeitgebern obliegenden Verpflichtungen bestimmt und diejenigen Vorschriften erlassen werden, durch welche die Ordnung in der Fortbildungsschule und ein gebührliches Verhalten der Schüler gesichert wird. Von der durch statutarische Bestimmung begrün­ deten Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule sind diejenigen befreit, welche eine Jnnungs- oder andere Fortbildungs- oder Fachschule besuchen, sofern der Unterricht dieser Schule von der höheren Verwaltungs­ behörde als ein ausreichender Ersatz des allgemeinen Fortbildungsschul­ unterrichts anerkannt wird. Die im Abs. 3 Satz 1 ausgesprochene Pflicht kann für eine Gemeinde oder weiteren Kommunalverband durch Anordnung der höheren Ver­ waltungsbehörde eingeführt werden, wenn ungeachtet einer von ihr auf Antrag beteiligter Arbeitgeber oder Arbeiter an die Gemeinde oder den weiteren Kommunalverband erlassenen Aufforderung innerhalb der ge­ setzten Frist das Statut nicht erlassen worden ist. Die im Abs. 3 vorgesehenen Bestimmungen werden in diesem Falle von der höheren Verwaltungs­ behörde getroffen. Gegen die Aufforderung und die Anordnungen der höheren Verwaltungsbehörde ist Beschwerde an die Landeszentralbehörde zulässig. Die Unterrichtszeiten werden von der hierfür nach Landesrecht zustän­ digen Behörde festgesetzt und bekanntgemacht. § 120 a. Die Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, die Arbeits­ räume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzuLateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen,

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richten und zu unterhalten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebs gestattet. Insbesondere ist für genügendes Licht, ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, ».Beseitigung des bei dem Betrieb entstehenden Staubes, der dabei entwickelten Dünste und Gase sowie der dabei entstehenden Ab­ fälle Sorge zu tragen. Ebenso sind diejenigen Vorrichtungen herzustellen, welche zum Schutze der Arbeiter gegen gefährliche Berührungen mit Maschinen oder Maschinen­ teilen oder gegen andere in der Natur der Betriebsstätte oder des Betriebs liegende Gefahren, namentlich auch gegen die Gefahren, welche aus Fabrik­ bränden erwachsen können, erforderlich sind.

Endlich sind diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter zu erlassen, welche zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs erforderlich sind. Ist für [die Klagen wegen Unterlassung von Sicherheitsvorrichtungen des GG. zuständig? 8. 53. § 120 b. Die Gewerbeuntemehmer sind verpflichtet, diejenigen Einrich­ tungen zu treffen und zu unterhalten und diejenigen Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter int Betriebe zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Auftechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes zu sichern. Insbesondere muß, soweit es die Natur des Betriebs zuläßt, bei der Arbeit der Trennung der Geschlechter durchgeführt werden, sofern nicht die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Ein­ richtung des Betriebs ohnehin gesichert ist. In Anlagen, deren Betrieb es mit sich bringt, daß die Arbeiter sich umkleiden und nach der Arbeit sich reinigen, müssen ausreichende, nach Geschlecktem getrennte Ankleide- und Waschräume vorhanden sein. Die Bedürfnisanstalten müssen so eingerichtet sein, daß sie für die Zahl der Arbeiter ausreichen, daß den Anforderungen der Gesundheitspflege entsprochen wird und daß ihre Benutzung ohne Verletzung von Sitte und Anstand erfolgen kann. § 120 v. Gewerbeuntemehmer, welche Arbeiter unter achtzehn Jahren beschäftigen, sind verpflichtet, bei der Einrichtung der Betriebsstätte und bei der Regelung des Betriebs diejenigen besonderen Mcksichten auf Gesund­ heit und Sittlichkeit zu nebmen, welche durck das Alter dieser Arbeiter geboten sind. § 120 d. Die zuständigen Polizeibehörden sind befugt, im Wege der Verfügung für einzelne Anlagen die Ausführung derjenigen Maßnahmen anzuordnen, welche zur Durchführung der in §§ 120 a bis 120 c enthaltenen Grundsätze erforderlich und nach der Beschaffenheit der Anlage ausführbar erscheinen. Sie können anordnen, daß den Arbeitern zur Einnahme von Mahlzeiten außerhalb der Arbeitsräume angemessene, in der kalten Jahres­ zeit geheizte Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Soweit die angeordneten Maßregeln nicht die Beseitigung einer dringenden, das Leben oder die Gesundheit bedrohenden Gefahr bezwecken, muß für die Ausführung eine angemessene Frist gelassen werden. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Au-gabe neu aufgenommenen.

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Den bei Erlaß dieses Gesetzes bereits bestehenden Anlagen gegenüber können, solange nicht eine Erweiterung oder ein Umbau eintritt, nur Anforderungen gestellt werden, welche zur Beseitigung erheblicher, das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Arbeiter gefährdender Mißstände erforderlich oder ohne unverhältnismäßige Aufwendungen ausführbar erscheinen. Gegen die Verfügung der Polizeibehörde steht dem Gewerbeunter­ nehmer binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungs­ behörde zu. Gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde ist binnen vier Wochen die Beschwerde an die Zentralbehörde zulässig; diese entscheidet endgültig. Widerspricht die Verfügung den von der zu­ ständigen Berufsgenossenschaft erlassenen Vorschriften zur Verhütung von Unfällen, so ist zur Einlegung der vorstehend bezeichneten Rechtsmittel binnen der dem Gewerbeunternehmer zustehenden Frist auch der Vorstand der Berufsgenossenschaft befugt. § 120 e. Durch Beschluß des Bundesrats können Vorschriften darüber erlassen werden, welchen Anforderungen in bestimmten Arten von An­ lagen zur Durchführung der in den §§ 120 a bis 120 c enthaltenen Grund­ sätze zu genügen ist. In diese Bestimmungen können auch Anordnungen über das Verhalten der Arbeiter im Betriebe zum Schutze von Leben und Gesundheit ausgenommen werden. Eine Mschrist oder ein Abdruck der An­ ordnungen ist an geeigneter, allen beteiligten Arbeitem zugänglicher Stelle auszuhängen und in lesbarem Zustand zu erhalten. Soweit solche Vorschriften durch Beschluß des BundesrarS nicht er­ lassen sind, können dieselben durch Anordnung der Landeszentralbehörden oder durch Polizeiverordnungen der zuständigm Polizeibehörden erlassen werden. Bor dem Erlasse solcher Anordnungen und Polizeiverordnungen ist den Vorständen der beteiligten Berufsgenossenschaften oder Berufs­ genossenschafts-Sektionen Gelegenheit zu einer gutachtlichen Äußerung zu geben. Auf diese finden die Bestimmungen des § 113 Abs. 2, 4 und des § 115 Ms. 4 Satz 1 des Gewerbe-Unfallversicherungsgesetzes (ReichsGesetzbl. 1900 S. 585) Anwendung. Unter welchen Umständen ist der Bäckergeselle zur Verweigerung der Arbeit unter Berufung auf die Verordnung des Bundesrats, betr. den Betrieb von Bäckereien, berechtigt? 8. 331. Bundesratsverordnung vom 23. Januar 1902. Verläßt der Kellner unbefugt den Dienst, wenn er sich die ihm auf Grund der Bundesratsverordnung zu­ stehende Ruhezeit eigenmächtig nimmt? Wie ist die Ruhezeit zu berechnen? 8. 331. § 120 f. Für solche Gewerbe, in welchen durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, kann der Bundesrat und, soweit er nicht Bestimmungen erläßt, die Landes­ zentralbehörde oder nach Anhören beteiligter Gewerbetreibender und Arbeiter die zuständige Polizeibehörde durch Polizeiverordnung Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen regeln und die zur Durchführung erforderlichen Anordnungen er­ lassen. Soweit solche Bestimmungen nicht erlassen sind, kann auf Antrag oder nach Anhören des Gewerbeaussichtsbeamten (§ 139 b) und nach An­ hören beteiligter Gewerbetreibender und Arbeiter die zuständige PolizeiLateinischer Druck be-eichuet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -wetten Ausgabe neu ausgenommenen.

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behörde für einzelne Betriebe, in denen durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, im Wege der Verfügung Bestimmungen und Anordnungen dieser Art erlassen. § 120 d Abs. 4 gilt entsprechend. § 120 g. Die Bestimmungen des Bundesrats auf Grund der §§ 120 e, 120 f sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstag zur Kenntnisnahme vorzulegen. 11. Verhältnisse der Gesellen und Gehilfen.

§ 121. Gesellen und Gehilfen sind verpflichtet, den Anordnungen der Arbeitgeber in Beziehung auf die ihnen übertragenen Arbeiten und auf die häuslichen Einrichtungen Folge zu leisten; zu häuslichen Arbeiten sind sie nicht verbunden. § 122. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Gesellen oder Gehilfen und ihren Arbeitgebern kann, wenn nicht ein anderes verabredet ist, durck eine jedem Teil freistehende, vierzehn Tage vorher erklärte Aufkündigung gelöst werden. Werden andere Aufkündigungsfristen vereinbart, so müssen sie für beide Teile gleich sein. Vereinbarungen, welche dieser Bestimmung zuwiderlaufen, sind nichtig. Form und Zeit der Kündigung. Muß bei der Kündigung der Grund angegeben werden? 8. 332. Ist eine Kündigung vor Beginn der Kündigungsfrist wirk­ sam? 8. 332. Muß sich der Arbeitgeber Kollektivkündigung durch einen in einer Ar­ beiterversammlung gewählten Bevollmächtigten gefallen lassen? Ist bedingte Kündi­ gung zulässig? S. 332. Vereinbarung schriftlicher Kündigung. Ist mündliche Kündi­ gung gültig, wenn der Arbeiter sie annimmt? 8. 336. Wird eine verspätete Kündigung gültig, wenn der Gehilfe sie widerspruchslos annimmt? S. 476. Wird eine nicht ordnungs­ gemäß erfolgte Kündigung gültig, wenn der Gehilfe sie widerspruchslos annimmt? S. 476. Gilt eine achttägige Kündigung als genehmigt, wenn der Arbeiter sie ohne Wider­ spruch annimmt und nach acht Tagen die Arbeit aufgibt? 8. 336. Ist Kündigung am Sonntage zulässig? S. 477. Liegt eine gültige Kündigung vor, wenn das Kündigungs­ schreiben in die Gehaltsdüte gepackt wird? S. 474. Ist die Kündigung rechtswirksam, wenn das Kündigungsschreiben nach der Wohnung des Gekündigten geschickt wird und dort dessen Mutter die Annahme ablehnt? S. 475. Wird das Arbeitsverhältnis durch eine längere Abwesenheit des Arbeiters (Er­ krankung usw.) von selbst gelöst? 8. 336. Wird durch Untersuchungshaft des Ar­ beiters das Arbeitsverhältnis aufgelöst oder nur unterbrochen? 8. 336. Wird bei Kün­ digungsausschluß das Arbeitsverhältnis gelöst, wenn der Arbeiter ohne weitere Erklärung fortbleibt? S. 336. Kündigung beim Probe- undAushilfs en ga gement. Besteht der Anspruch auf vierzehntägige Kündigung auch bei probeweisem Engagement? 8.337. Kann ein Aushilfskellner jederzeit entlassen werden? 8. 337. Kann ein nur am Sonntagnach­ mittag beschäftigter Tanzmeister Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungsfrist bean­ spruchen? S. 337. Hat ein in der Umzugszeit aushilfsweise angenommener Möbel­ transportarbeiter Anspruch auf zweiwöchentliche Kündigungsfrist? 8.338. Kami sich ein Probeengagement stillschweigend in ein festes Arbeitsverhältnis umwandeln? 8. 338. Einstellung auf Probe. Ist der Arbeitgeber im Zweifel berechtigt, den Arbeiter zu entlassen, falls ihm dessen Leistungen nicht genügend erscheinen? 8. 338. Kann ein auf Probe angenommener Werkmeister ohne Kündigung entlassen werden? S. 415. Vgl. auch über Probe- und Aushilfsengagement bei Handlungsgehilfen S. 492 ff. Kündigung der Heimarbeiter. Hat ein Heimarbeiter Anspruch auf Kündigung? 8. 338. Hat ein Heimarbeiter (Flickschneider), der dem Arbeitgeber nur einen Teil seiner Arbeitszeit widmet, Anspruch auf Kündigung? 8. 338. Kündigung sabred e und Kündigungsausschluß. Wer hat die Beweislast bezüglich der Kündigungsarbede? 8. 339. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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Ortsüblicher Kündigungsausschluß für Bauarbeiter. Ist derselbe stillschweigend vereinbart, wenn nichts anderes vereinbart ist? 8.339. Unter welchen Umständen ist als festgestellt anzusehen, daß Kündigungsausschluß ortsüblich ist? S. 339. Bindet ein Ortsgebrauch hinsichtlich der Kündigungsfrist auch den eben erst zugezogenen Gesellen, der den Ortsgebrauch nicht kennt? S. 340. Gilt die von einer Zwangsinnung beschlossene Werkstattordnung mangels anderweitiger Vereinbarung als Bestandteil des Einzelarbeits­ vertrages hinsichtlich der Kündigungsfrist? S. 340. Gilt Kündigungsausschluß als still­ schweigend vereinbart, wenn er in der Branche üblich ist und zwischen den Parteien bereits bei zwei früheren Arbeitsverträgen in demselben Jahr vereinbart war? 8. 341. Gilt Kündigungsausschluß als vereinbart, wenn in dem betr. Handwerksbetrieb eine dahingehende „Werkstattordnung“ angeschlagen war, dem Arbeiter aber ihre Kennt­ nis nicht nachgewiesen werden kann? 8.341. Ist Kündigungsausschluß vereinbart, wenn ihn der Arbeitgeber durch Anschlag und mündliche Äußerung festsetzt und die Arbeiter dazu schweigen? S. 341. Kann Kündigungsausschluß durch den Arbeitsnachweis ver­ einbart werden? 8. 341. Ist der Arbeitgeber haftbar, wenn er einen Vertreter bevoll­ mächtigt hat, Arbeiter mit Beschränkung der gesetzlichen Kündigungsfrist anzunehmen, der Bevollmächtigte aber ohne solche Beschränkung engagiert hat? 8. 342. Kann der Arbeitgeber die Vereinbarung des Kündigungsausschlusses durch Wegnahme des betr. Plakates einseitig aufheben? 8.342. Kann Ausschluß der Kündigungsfrist durch Kollektivvertrag vereinbart werden? 8. 267. Gilt die Kündigungsfrist des Kollektivvertrages, wenn im Einzelarbeitsvertrage nichts Abweichendes festgesetzt ist? 8. 267. Bindet Kündigungsausschluß im Kollektivvertrage die Mitglieder der beteiligten Organisationen, die den Kollektivvertrag nicht ausdrücklich anerkannt haben? S. 267. Bindet der Kündigungsausschluß im Ber­ liner Bauarbeitertarif ohne besondere Abrede auch einen von einer Bausirma angenom­ menen Schlosser? S. 269. Bindet Kündigungsausschluß durch Kollektivvertrag auch den erst später zugezogenen Arbeiter? 8. 270. Gilt der im Tarifvertrag normierte Kündigungsausschluß auch dann weiter, wenn ein unter Geltung des Tarifvertrages abge­ schlossener Arbeitsvertrag nach Ablauf des Tarifvertrages fortgesetzt wird? S. 270. Wirkt der im Tarifvertrag normierte Kündigungsausschluß auch auf schon vorher bestehende Verträge? S. 271. Ist die vereinbarte Kündigungsfrist mangels anderweiter Abrede auch für den Rechtsnachfolger des Arbeitgebers bindend ? 8. 342. Ist eine Vereinbarung, wonach auch für zukünftig abzuschließende Arbeitsverträge Kündigung ausgeschlossen sein soll, rechtlich wirksam? 8. 342. Gelten bei Wiedereinstellung eines Arbeiters die alten Kündigungsbedingungen als stillschweigend vereinbart? 8. 342. Kann stündliche Lösung des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden? 8. 343. Kündigung zu jeder Tages­ stunde. Ist der Arbeitgeber schadenersatzpflichtig, wenn er am Montagmorgen kündigt, obwohl er schon am Sonnabendabend hätte kündigen können? S. 343. Kann bei Kün­ digungsausschluß der Arbeiter innerhalb des Arbeitstages jederzeit entlassen werden? 8. 345. Kann bei Kündigungsausschluß der Arbeiter, welcher mitten im Tage die Arbeit niederlegt, Schadenersatz verlangen, weil ihm seine Papiere nicht sofort ausgehändigt worden sind? S. 345. Hat ein mit Kündigungsausschluß gegen Wochenlohn beschäftigter Arbeiter, der am Morgen des Ostersonnabends entlassen wurde, Anspruch auf Lohn für den Karfreitag und den Ostersonnabend? S. 346. Ist bei Annahme eines Arbeiters auf Stundenlohn Ausschluß der Kündigungsfrist als vereinbart anzusehen? 8. 347. Wann läuft die Kündigungsfrist ab, falls eintägige Kündigung vereinbart ist und am Samstag (abends) gekündigt wird? S. 347. Kann beim Akkordlohn neben der Vereinbarung des Kündigungsausschlusses vereinbart werden, daß der Arbeiter den Akkordüberschuß verliert, wenn er vor Voll­ endung ausscheidet? 8. 209. Entlassung vor Vollendung einer Akkordarbeit. Kann der Arbeiter den vollen Lohn für die vor Ablauf der Kündigungsfrist noch nicht beendete Akkordarbeit verlangen? 8. 211. Hat der Arbeiter Anspruch auf den Akkordüberschuß, wenn der Arbeitgeber die Akkordarbeit vor Beendigung des Akkordes einstellen läßt und der Arbeiter zugleich seine Entlassung nimmt? S. 211. Betriebseinschränkung auf fünftägige Arbeitswoche. Hat der gekündigte Arbeiter Anspruch darauf, daß er noch zwölf Arbeitstage beschäftigt werde? S. 348. Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und seinen Arbeitern über die Beschränkung der Arbeits­ zeit zum Zweck der Vermeidung von Arbeiterentlassungen. Können trotzdem Ar-

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beiter entlassen werden? 8.349. Hat der Arbeiter, dem der Arbeitgeber beim Engage­ ment erklärt hat, es werde mit der Arbeit nicht lange dauern, Anspruch auf vierzehn­ tägige Kündigung? 8.349. Kann aus Redewendungen allgemeiner Art, wie: „Bei mir haben Sie Arbeit für den ganzen Winter“, ein Schluß auf die vereinbarte Dauer des Arbeitsverhältnisses gezogen werden? 8.349. Inwieweit ist eine Abrede bindend, in der sich beide Teile versprechen, daß das Arbeitsverhältnis dauernd sein solle? 8.349. Maßregelung. Maßregelungsverbot im Tarifvertrag. Darf der Arbeitgeber trotzdem einen Arbeiter mit gesetzlicher Kündigung entlassen? S. 350. Verbot von Maß­ regelungen wegen der Maifeier. Können Arbeiter, die trotzdem ausgesperrt sind, Schadenersatz verlangen, wenn sie unter Kündigungsausschluß arbeiten? S. 351. Ist eine Kündigung ohne Angabe des Grundes als Maßregelung anzusehen? S. 368. Be­ rechtigt die Verletzung eines im Kolleltivvertrage ausgesprochenen Maßregelungsverbotes alle Beteiligten zur Arbeitsniederlegung? S. 368. Vgl. auch über Kündigungsabreden bei Handlungsgehilfen S. 477 ff. Gleichheit der Kündigungsfrist. Welche Folge tritt ein, wenn ungleiche Fristen bedungen sind? 8.355. Ist eine ungleiche Kündigungsfrist auch nichtig, wenn die Ungleichheit zugunsten des Angestellten normiert ist? S. 352. Ist bei verabredeter Kündigungsfrist die Vereinbarung zulässig, daß der Arbeitgeber sofort kündigen kann, wenn er „die Arbeiten nicht im bisherigen Umfange fortführen" kann? Welche Wirksamkeit hat die Ungültigkeit der Kündigungsabrede auf den Arbeitsvertrag? S. 353. Verstößt eine Bestimmung des Tarifvertrages, wonach nur der letzteingestellte Arbeiter entlassen werden darf, gegen die Bestimmungen über die Gleichheit der Kündigungs­ fristen? S. 354. Ist die Vereinbarung gültig, daß bei Kündigungsausschluß der Akkord­ arbeiter zur Fertigstellung der Arbeit zwar verpflichtet, aber nicht berechtigt sein soll? 8. 355. Tägliche Kündigung bei Akkordarbeiten!. Kann der Arbeiter vor Fertig­ stellung des Akkordes entlassen werden? 8. 215. Kann der Akkordarbeiter bei Kündrgungsausschluß auch wahrend des Akkordes austreten? Hat er Anspruch auf anteilmäßige Bezahlung der geleisteten Arbeit oder nur auf üblichen Stundenlohn? S. 217. Ist ein Arbeitsvertrag gültig, der zwar auf eine bestimmte Zeit geschlossen, in dem aber der Arbeitgeber sich allein eine vierzehntägige Kündigungsfrist vorbehalten hat? 8. 355. Ist eine Abrede gültig, wonach die Kündigungsfrist ausgeschlossen, der Arbeiter aber zu einer „vorherigen Mitteilung“ verpflichtet wird? 8.355. Ist eine Zusage gültig, daß der Arbeiter nach beendeter Lehrzeit noch eine bestimmte Zeit beim Lehrmeister bleibe? 8.355. Über ungleiche Kündigungsfristen bei Werkmeistern vgl. S. 416 ff., bei HandlungsgehilfenS.478 ff. § 123. Vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Aufkündigung können Gesellen und Gehilfen entlassen werden: 1. wenn sie bei Abschluß des Arbeitsvertrags den Arbeitgeber durch Vorzeigung falscher oder verfälschter Arbeitsbücher oder Zeugnisse hintergangen oder ihn über das Bestehen eines anderen, sie gleich­ zeitig verpflichtenden Arbeitsverhältnisses in einen Irrtum ver­ setzt haben; 2. wenn sie eines Diebstahls, einer Entwendung, einer Unterschlagung, eines Betrugs oder eines liederlichen Lebenswandels sich schuldig machen; 3. wenn sie die Arbeit unbefugt verlassen haben oder sonst den nach dem Arbeitsvertrag ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzu­ kommen beharrlich verweigern; 4. wenn sie der Verwarnung ungeachtet mit Feuer und Licht unvor­ sichtig umgehen; 5. wenn sie sich Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen der Arbeitgeber oder seine Vertreter oder gegen die Familienangehörigen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter zuschulden komme» lassen; Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiter Ausgabe neu aufgenommenen.

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6. wenn sie einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Sachbeschädigung zum Nachteile des Arbeitgebers oder eines Mitarbeiters sich schuldig machen; 7. wenn sie Familienangehörige des Arbeitgebers oder seiner Ver­ treter oder Mitarbeiter zu Handlungen verleiten oder zu verleiten versuchen oder mit Familienangehörigen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter Handlungen begehen, welche wider die Gesetze oder die guten Sitten verstoßen; 8. wenn sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig oder mit einer ab­ schreckenden Krankheit behaftet sind. In den unter Ziffer 1 bis 7 gedachten Fällen ist die Entlassung nicht mehr zulässig, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen dem Arbeitgeber länger als eine Woche bekannt sind. Inwiefern die unter Ziff. 8 gedachten Fällen dem Entlassenen ein Anspruch auf Entschädigung zustehe, ist nach dem Inhalte des Vertrags und nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zu beurteilen.

Nr. 1. Gilt ein Zeugnis, das der frühere Dienstherr wissentlich unrichtig aus­ gestellt hat, als falsch oder verfälscht? 8.358. Sind Arbeitsproben als „Zeugnisse" anzusehen? S. 358. Kann ein Arbeiter sofort entlassen werden, weil er sich fälschlich für leistungsfähig und tüchtig ausgegeben hat? 8.359. Nr. 2. Kann ein Arbeiter, der irrtümlich die Einwilligung des Arbeitgebers in die Zueignung einer Sache annimmt, wegen Diebstahls sofort entlassen werden? 8.359. Ist Diebstahl bei einem früheren Arbeitgeber Entlassungsgrund? 8.360. Ist versuchter Diebstahl Entlassungsgrund ? 8.361. Berechtigt Forstdiebstahl zur sofortigen Entlassung? 8.361. Ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeiter ohne Kündigung zu entlassen, weil er Muster, welche Geheimnis einer Fabrik sind, zu seinem Privatgebrauch abgezeichnet und verwendet hat? 8.361. Kann der Arbeiter wegen „Betruges“ entlassen werden, wenn er heimlich für fremde Arbeitgeber arbeitet? 8.360. Ist ein Betrug, durch den der Arbeiter den Arbeit­ geber zum Abschluß des Arbeitsvertrages veranlaßt hat, Entlassungsgrund? S. 360. Ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeiter wegen einer gegen seinen Vorgänger begangenen Unterschlagung sofort zu entlassen? 8.361. „Unterschlagung“ als Ent­ lassungsgrund. Kann der Friseurgehilfe den Betrag als Trinkgeld behalten, den der Kunde ohne nähere Angabe über den geforderten Preis hinaus zahlt? 8.361. Bewußt­ sein der Rechtswidrigkeit bei Unterschlagung. Können Buchdruckerei-Einlegerinnen sofort entlassen werden, weil sie etwas Putzwolle mitgenommen haben? 8.361. Begründet Trunkenheit an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Entlassung wegen liederlichen Lebenswandels? 8.361. Ist der Hang zum Trunk Entlassungsgrund ? 8.362. Liederlicher Lebenswandel. Kann ein Hotelportier entlassen werden, wenn er Hotel­ gästen unsittliche Zumutungen macht? 8.362. Nr. 3. Ist einmaliges Verlassen der Arbeit Entlassungsgrund? 8.362. Bleibt der Arbeitnehmer der Arbeit unbefugt fern, wenn er von seiner Erkrankung keine Meldung macht? S. 362. Liegt unbefugtes Verlassen des Dienstes vor, wenn der Arbeiter sich über seine Berechtigung im guten Glauben befindet? 8.362. Ist die Entlassung des Arbeiters gerechtfertigt, der wegen einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe einige Tage von der Arbeit fortbleibt? 8.362. Ist es als „Verlassen der Arbeit“ oder als „beharrliche Verweigerung“ anzusehen, wenn der gekündigte Arbeiter zwecks Aufsuchung anderer Arbeitsgelegenheit einen halben Tag fortbleibt? 8.363. Ist einmaliges Verweigern der Arbeit Grund zur so­ fortigen Entlassung? 8. 363. Ist lässiges Arbeiten Entlassungsgrund? 8.363. Gibt öfteres Zuspätkommen trotz vorhergegangener wiederholter Verwarnung ein Recht zur Entlassung? 8.363. Ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeiter nicht einzustellen, weil derselbe nicht zu der festgesetzten Stunde, sondern zwei Stunden später zur Ar­ beit erscheint? 8.363. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

Kann der Arbeiter entlassen werden, weil er den Anordnungen des Arbeitgebers in bezug auf die häuslichen Einrichtungen nicht nachgekommen ist? S. 363. Liegt be­ harrliche Arbeitsverweigerung vor, wenn der Anordarbeiter eine Arbeit wegen zu nie­ drigen Akkordpreises ablehnt? S. 364. Ist die Entlassung von Arbeitern gerechtfertigt, wenn sie Überstunden verweigern? 8. 364. Liegt beharrliche Arbeitsverweigerung vor, wenn der Arbeiter ablehnt, über Mittag hinaus Arbeiten zu verrichten? S. 365. Kann ein Photograph sofort entlassen werden, wenn er sich weigert, am Sonntag Bilder auf­ zuziehen? 8.366. Muß sich der Arbeiter notwendige kurze Verschiebungen der Arbeits­ pausen gefallen lassen? S. 366. Sind Fabrikarbeiter verpflichtet, Abbruchsarbeiten auszuführen, die infolge eines Fabrikbrandes nötig werden? 8. 367. Ist ein Putzer, dem die übertragene Arbeit vertragswidrig entzogen wird, verpflichtet, statt dessen Maurer­ arbeiten zu übernehmen? S. 367. Kann der Arbeiter sofort entlassen werden, wenn er trotz Verbotes Privatarbeiten für sich fertigt? S. 368. Kann der Arbeiter, der wegen der Maifeier die Arbeit ^versäumt, sofort ent­ lassen werden? 8. 369. Hat der wegen Arbeitsversäumnis am 1. Mai entlassene Arbeiter den infolge seiner Entlassung entstandenen Schaden zu ersetzen? Haften sämtliche Be­ teiligte als Gesamtschuldner? S. 369. Darf dem Arbeiter wegen Teilnahme an der Mai­ feier die Arbeit auf einen Tag zur Strafe entzogen werden? S. 372. Berechtigt die Weigerung, „Streikarbeit" zu machen, den Prinzipal zur Entlassung? S. 373. Ist der Arbeiter auf Verlangen des Arbeitgebers verpflichtet, für eine andere Fabrik, über die die Sperre verhängt ist, Arbeiten auszuführen, die der Arbeitgeber sonst in seiner Fabrik nicht ausführen läßt? 8.375. Ist beharrliche Verweigerung einer von einem Arbeiter verlangten Auskunft Grund zur Entlassung? 8. 375. Kann der Arbeiter entlassen werden, wenn er sich weigert, dem Arbeitgeber auf Befragen zu sagen, unter welchem Werkmeister er ar­ beitet? 8. 375. Ist Singen und Pfeifen in der Werkstatt trotz mehrmaligen Verbotes Grund zur sofortigen Entlassung? 8. 375. Ist eine weibliche Angestellte verpflichtet, sich vom Arzte des Atbeitgebers unter­ suchen zu lassen, wenn sie wegen Krankheit fortbleiben will? 8. 375. Ist der Arbeiter, dem für die Zeit von der Kündigung bis zur Entlassung die Fortarbeit verweigert wird, auf Verlangen verpflichtet, sich zu bloßen Kontrollmeldungen zu stellen? 8. 376. Nr. 4. Unvorsichtiges Umgehen mit Feuer als Entlassungsgrund. Ist der Ab­ druck der Bestimmungen auf dem Arbeitszettel als ausreichende Verwarnung an­ zusehen? 8. 376. Nr. 5. Ist ein Werkmeister ,»Vertreter“ des Arbeitgebers? 8. 376. Ist der Keller­ meister „Vertreter“ des Arbeitgebers? 8. 376. Ist es eine grobe Beleidigung im Sinne des § 123 Nr. 4, wenn ein Arbeiter einen Vertreter des Arbeitgebers als „Streikbrecher“ bezeichnet? 8. 376. Kann der Arbeiter sofort entlassen werden, weil er eine Beschwerde an die Gewerbeinspektion gerichtet hat? S. 376. Nr. 6. Kann der Arbeiter wegen Sachbeschädigung entlassen werden, wenn ihm das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit fehlt? 8. 377. Nr. 7. Kann der Arbeiter sofort entlassen werden, der seinen Mitarbeiter zu ver­ leiten sucht, nicht eifrig und intensiv zu arbeiten? 8.377. Verstößt Verleitung des Mitarbeiters zum Schnapstrinken gegen die guten Sitten? S. 377. Nr. 8. Löst Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis ohne besondere Willens­ erklärung? 8.378. Ist die Entlassung wegen Arbeitsunfähigkeit nur bei dauernder Verhinderung zulässig? S. 378. Hat sid) der Arbeiter zu entschuldigen, wenn er infolge Krankheit arbeitsunfähig wird? Berechtigt die Unterlassung der Entschuldigung zur sofortigen Entlassung? S. 379. Kann der Arbeiter, der wegen Arankheit von der Ar­ beit fortgeblieben ist, entlassen werden, wenn er sich zur Fortsetzung der Arbeit meldet? 8.380. Vermeintliche Entlassungsgründe. Kann ein Gewerbegehilfe auch aus anderen als den im § 123 der GO. angegebenen Gründen vorzeitig entlassen werden? 8.355. Ist grobe Fahrlässigkeit Entlassungsgrund? S. 356. Kann ein gewöhn­ licher i zur Aushilfe angenommener Arbeiter, nachdem er schon längere Zeit beschäftigt worden, noch wegen Unfähigkeit plötzlich entlassen werden? 8.356. Kann ein Ar­ beiter sofort entlassen werden, wenn er seine Mitarbeiter „tribuliert“ ? 8.356. Kann der Arbeiter wegen Mißhandlung eines Arbeitsgenossen sofort entlassen werden? 8.356. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

6. Gewerbeordnung.

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Ist eine Entlassung gerechtfertigt, weil der Arbeiter dem revidierenden Polizeibeamten unrichtige Angaben über den Betrieb gemacht hat? 8.357. Über Anfechtung des Ar­ beitsvertrages wegen Betruges und Irrtum vgl. S. 593 ff. Muß bei der Entlassung der Grund angegeben werden? S. 357. Muß der Arbeit­ geber beweisen, daß ihm der Entlassungsgrund nicht früher als eine Woche vor der Entlassung bekannt geworden ist? 8.357. Kann der Arbeitgeber aus verziehene Ent­ lassungsgründe zurückkommen, wenn der gekündigte Gehilfe auf Zahlung des fälligen Wochenlohnes klagt? S. 357. Wann beginnt die Frist für die Geltendmachung der Ent­ lassungsgründe des § 123 GO ? S. 358.

§ 124. Vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Aufkündigung können Gesellen und Gehilfen die Arbeit verlassen: 1. wenn sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig werden; 2. wenn der Arbeitgeber oder seine Vertreter sich Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen die Arbeiter oder gegen ihre Familien­ angehörigen zuschulden kommen lassen; 3. wenn der Arbeitgeber oder seine Vertreter oder Familienangehörige derselben die Arbeiter oder deren Familienangehörige zu Hand­ lungen verleiten oder zu verleiten versuchen oder mit den Fa­ milienangehörigen der Arbeiter Handlungen begehen, welche wider die Gesetze oder die guten Sitten laufen; 4. wenn der Arbeitgeber den Arbeitern den schuldigen Lohn nicht in der bedungenen Weise auszahlt, bei Stücklohn nicht für ihre aus­ reichende Beschäftigung sorgt, oder wenn er sich widerrechtlicher Übervorteilungen gegen sie schuldig macht;

5. wenn bei Fortsetzung der Arbeit das Leben oder die Gesundheit der Arbeiter einer erweislichen Gefahr ausgesetzt sein würde, welche bei Eingehung des Arbeitsvertrags nicht zu erkennen war. In den unter Ziff. 2 gedachten Fällen ist der Austritt aus der Arbeit nicht mehr zulässig, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen dem Arbeiter länger als eine Woche bekannt sind. Darf ein Mädchen den Dienst verlassen, wenn in das ihr angewiesene Schlafzimmer zu einem andern Mädchen ein Mann eingelassen wird? S. 380. Tritt das Recht der Akkordarbeiter, die Arbeit bei Beschäftigungslosigkeit ein­ zustellen, bei vorübergehender oder erst bei dauernder bzw. wiederholter Stockung ein? Muß der Arbeiter eine Beschäftigungslosigkeit einem Vertreter des Arbeitgebers melden, oder genügt die Meldung beim Werkführer? 8. 380. Kann der Akkordarbeiter austreten, wenn ihm mangelhaftes Arbeitsmaterial geliefert wird? 8. 380. Darf der Arbeiter auf die bloße Ankündigung des Arbeitgebers, daß er künftighin weniger Wochen­ lohn zahle, sofort die Arbeit niederlegen und Lohnentschädigung fordern? 8. 380. Darf der Arbeiter die Arbeit niederlegen, wenn ihm der Werkmeister zu wenig Lohn auszahlt, jedoch ein höherer Beamter sofort erklärt, die Lohnberechnung solle nochmals nachgeprüft werden? S. 380. Kann der Arbeiter austreten, wenn der Arbeitgeber un­ zulässigerweise gegen die Lohnforderung aufrechnen will? S. 381. Darf ein Geselle die Arbeit niederlegen, wenn ein bestimmter Stundenlohn nicht vereinbart ist und der Arbeit­ geber die Zahlung des vom Gesellen geforderten Lohnsatzes verweigert? S. 582. Können Akkordarbeiter Entschädigung wegen Nichtbeschäftigung verlangen, ohne daß sie vorher das Arbeitsverhältnis gelöst haben? 8.383. Kann ein Heimarbeiter Entschädi­ gung verlangen, wenn der Arbeitgeber nicht für genügende Beschäftigung sorgt? 8.383. Kann der Arbeiter nach Vermehrung der Arbeit sofort austreten, weil sonst seine Gesundheit gefährdet wäre? 8. 383. Ist die Vertragsauflösung zulässig, wenn eine Gesundheitsschädigung durch die Arbeit noch nicht eingetreten ist, sondern nur in Aussicht steht? 8.383. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung-

Muß der Arbeiter, der aus einem der Gründe des § 124 GO. die Arbeit niederlegt, auf eine innerhalb der Kündigungsfrist ergangene Aufforderung die Arbeit wieder aufnehmen? 8. 652.

§ 124 a. Außer den in §§ 123 und 124 bezeichneten Fällen kann jeder der beiden Teile aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Innehaltung einer Mndigungsfrist die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses verlangen, wenn dasselbe mindestens auf vier Wochen oder wenn eine längere als vierzehntägige Kündigungsfrist vereinbart ist. Ist es bei mehr als zweiwöchentlicher Kündigungsfrist als „wichtiger Grund" zum Verlassen der Arbeit anzusehen, wenn dem Akkordweber vorübergehend eine übermäßig schwierige Arbeit zugemutet wird? 8. 383. Ist die unerlaubte Anfertigung von Zeichnungskopien ein „wichtiger Grund" zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses? Kann auch ein Verhalten, das in der Fabrikordnung nicht ausdrücklich als Grund zur sofortigen Entlassung bezeichnet ist, als wichtiger Grund im Sinne des § 124 a GO. an­ gesehen werden? Ist es ein wichtiger Grund zur Entlassung, wenn der erkrankte Ar­ beiter den Tanzboden besucht? S. 384. Über wichtige Gründe siehe ferner S. 418 ff. und 505 ff.

§ 124 b. Hat ein Geselle oder Gehilfe rechtswidrig die Arbeit ver­ lassen, so kann der Arbeitgeber als Entschädigung für den Tag des Ver­ tragsbruchs und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für eine Woche, den Betrag des ortsüblichen Tagelohns (§ 8 des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883, Reichs-Gesetzbl. S. 73) fordern. Diese Forderung ist an den Nachweis eines Schadens nicht gebunden. Durch ihre Geltendmachung wird der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags und auf weiteren Schadensersatz ausgeschlossen. Dasselbe Recht steht dem Gesellen oder Gehilfen gegen den Arbeitgeber zu, wenn er von diesem vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses entlassen worden ist. Ist der Pauschalschadenanspruch des § 124 b GO. durch das BGB. aufgehoben? 8. 385. Wird der Anspruch auf die Pauschalentschädigung durch den Nachweis be­ seitigt, daß ein Schaden nicht entstanden ist? 8. 385. Kann vertraglich eine höhere Konventionalstrafe für Vertragsbruch ausbedungen werden als ein Wochenlohn? 8. 386. Wird die Klage auf Buße aus § 124 b durch Abweisung der Schadenklage aus­ geschlossen? 8. 386. Beseitigt die den Arbeitern durch § 152 GO. gewährte Koalitionsfreiheit den wegen Vertragsbruchs vom Arbeitgeber aus § 124 b hergeleiteten Entschädigungs­ anspruch? 8. 386. Hasten die Arbeiter, die in einen Sympathiestreik treten, ihrem Arbeit­ geber für den Schaden als Gesamtschuldner? S. 386. Hat der wegen Arbeitsversäumnis am 1. Mai entlassene Arbeiter, dem Arbeitgeber den entstandenen Schaden zu ersetzen? Haften alle Beklagten als Gesamtschuldner? S. 369. Gilt die Aufforderung ,,auszusetzen“, wenn hierbei das Krankenkassenbuch usw. ausgehändigt wird, als Entlassung? 8. 387. Ist die Abmeldung des Arbeiters bei der Krankenkasse seitens des Arbeitgebers als Einwilligung in die Lösung des Ar­ beitsverhältnisses anzusehen? 8. 387. Steht die Erklärung, der Geselle möge noch 14 Tage im Geschäft bleiben, aber zu arbeiten bekomme er nicht mehr, der Entlassung gleich? 8. 387. Liegt in einer Kündigung mit dem Hinzufügen: „Sie können aber auch gleich gehen!“ eine sofortige Entlassung? 8. 387. Ist „rechtswidriges Verlassen“ der Arbeit schon vor dem Beginn der Arbeit möglich? 8. 387. Kann der Pauschal­ schadenanspruch auch bei bloßer Unterbrechung der Arbeit geltend gemacht werden? 8. 387. Ist der Gastwirt zur Entschädigung aus § 124 GO. verpflichtet, wenn er dem Kellner seine Haupttätigkeit und damit die Trinkgelder entzieht? 8. 388. Ist der Arbeitgeber zur Entschädigung des Arbeiters verpflichtet, der wegen Beleidigung die Arbeit verlassen hat? 8. 388. Kann der Prinzipal gegenüber der Schaden­ ersatzklage des Gehilfen, der wegen Mißhandlung die Stelle verlassen hat, geltend machen, daß er zur sofortigen Entlassung berechtigt war? S. 388. Kann das Verhalten nach Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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der Entlassung gegenüber der Entschädigungsklage in Betracht gezogen werden? 8.389. Ist bei Berechnung der Kontraktbruchsentschädigung konkurrierendes Verschulden des Arbeitgebers mit zu berücksichtigen? S. 389. Kann der Arbeiter Entschädigung wegen kündigungsloser Entlassung fordern, wenn der Arbeitgeber sich zur Weiterbeschäftigung erbietet? S. 651. Muß der Arbeiter, der aus einem Grunde des § 124 GO. die Arbeit niederlegt, auf eine innerhalb der Kün­ digungsfrist ergangene Aufforderung die Arbeit wieder aufnehmen? 8.652. § 125. Ein Arbeitgeber, welcher einen Gesellen oder Gehilfen verleitet, vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Arbeit zu ver­ lassen, ist dem früheren Arbeitgeber für den entstandenen Schaden oder den nach § 124 b an die Stelle des Schadensersatzes tretenden Betrag als Selbstschuldner mitverhaftet. In gleicher Weise haftet ein Arbeitgeber, welcher einen Gesellen oder Gehilfen annimmt, von dem er weiß, daß derselbe einem anderen Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet ist. In dem im vorstehenden Absätze bezeichneten Umfang ist auch der­ jenige Arbeitgeber mitverhaftet, welcher einen Gesellen oder Gehilfen, von dem er weiß, daß derselbe einem anderen Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet ist, während der Dauer dieser Verpflichtung in der Beschäftigung behält, sofern nicht seit der unrechtmäßigen Lösung des Arbeitsverhältnisses bereits vierzehn Tage verflossen sind. Den Gesellen und Gehilfen stehen im Sinne der vorstehenden Bestim­ mungen die im § 119 b bezeichneten Personen gleich. Erwirbt der bisherige Arbeitgeber schon durch die bloße unbeglaubigte Mittel­ ung an den neuen Arbeitgeber, daß der Arbeitnehmer kontraktbrüchig sei, den Schadens­ anspruch aus § 125 00 ? S. 391.

m. Lrhrltngsvrrhältntffe. A. Allgemeine Bestimmungen. § 126. Die Befugnis zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen steht Personen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, nicht zu. Begriff des Lehrherm. Kann ein Portefeuillearbeiter einen Lehrling, den er mit­ gebracht hat, beim Ausscheiden wieder mitnehmen? 8.391. Ist die Lehrlingseigen­ schaft auf ein bestimmtes Lebensalter beschränkt? 8.391. Lehrvertrag zwischen Vater und Sohn. Ist zum Abschluß Bestellung eines Pflegers erforderlich? S. 391. Vgl. über kaufmännischen Lehrvertrag S. 587 ff. § 126 a. Die Befugnis zum Halten und zur Anleitung von Lehrlingen kann solchen Personen ganz oder auf Zeit entzogen werden, welche sich wiederholt grober Pflichtverletzungen gegen die ihnen anvertrauten Lehrlinge schuldig gemacht haben, oder gegen welche Tatsachen vorliegen, die sie in sittlicher Beziehung zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen ungeeignet erscheinen lassen. Die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen kann ferner solchen Personen entzogen werden, welche wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen zur sachgemäßen Anleitung eines Lehrlings nicht geeignet sind. Die Entziehung erfolgt durch Verfügung der unteren Berwaltungsbehörde; gegen die Verfügung findet der Rekurs statt. Wegen des Ver­ fahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der §§ 20 und 21, soweit nicht landesgesetzlich das Verfahren in streitigen Verwaltungssachen Platz greift. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

Durch die höhere Verwaltungsbehörde kann die entzogene Befugnis nach Ablauf eines Jahres wieder eingeräumt werden.

§ 126 b. Der Lehrvertrag ist binnen vier Wochen nach Beginn der Lehre schriftlich abzuschließen. Derselbe muß enthalten: 1. die Bezeichnung des Gewerbes oder des Zweiges der gewerb­ lichen Tätigkeit, in welchem die Ausbildung erfolgen soll; 2. die Angabe der Dauer der Lehrzeit; 3. die Angabe der gegenseitigen Leistungen; 4. die gesetzlichen und sonstigen Voraussetzungen, unter welche die einseitige Auflösung des Vertrags zulässig ist. Der Lehrvertrag ist von dem Gewerbetreibenden oder seinem Stell­ vertreter, dem Lehrling und dem gesetzlichen Vertreter des Lehrlings zu unterschreiben und in einem Exemplare dem gesetzlichen Vertreter des Lehrlings auszuhändigen. Der Lehrherr ist verpflichtet, der Ortspolizei­ behörde auf Erfordern den Lehrvertrag einzureichen. Auf Lehrlinge in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten finden diese Bestimmungen keine Anwendung. Das gleiche gilt für Lehrverhältnisse zwischen Eltern und Kindern, falls der Handwerkskammer das Bestehen des Lehrverhältnisses, der Tag seines Beginns, das Gewerbe oder der Zweig der gewerblichen Tätigkeit, in welchem die Ausbildung erfolgen soll, und die Dauer der Lehrzeit schriftlich angezeigt wird. Der Lehrvertrag ist kosten- und stempelfrei. Was ist ein „schriftlicher Lehrvertrag“ im Sinne der GO? 8.396. Wird ein Lehr­ vertrag durch unordentliche Ausfüllung des Vertragsformulars ungültig? 8. 396. Ist ein Lehrvertrag „schriftlich“, wenn er vom Lehrherrm nur unterstempelt ist? 8. 397. Kann der Lehrherr gegen den Lehrling auf Entschädigung klagen, wenn der Lehr­ vertrag vom Lehrling nicht mitunterschrieben ist? 8. 397. Kann der Lehrherr einen Anspruch auf Entschädigung gegen den Vater des Lehrlings geltend machen, wenn der Lehrling den Lehrvertrag nicht mitunterschrieben hat? 8. 397. Ist der Lehrvertrag gültig, wenn der Lehrling kein Arbeitsbuch hat? 8. 286. § 127. Der Lehrherr ist verpflichtet, den Lehrling in den bei seinem Betriebe vorkommenden Arbeiten des Gewerbes dem Zwecke der Aus­ bildung entsprechend zu unterweisen, ihn zum Besuche der Fortbildungs­ oder Fachschule anzuhalten und den Schulbesuch zu überwachen. Er muß entweder selbst oder durch einen geeigneten, ausdrücklich dazu bestimmten Vertreter die Ausbildung des Lehrlings leiten, den Lehrling zur Arbeit­ samkeit und zu guten Sitten anhalten und vor Ausschweifungen bewahren, er hat ihn gegen Mißhandlungen seitens der Arbeits- und Hausgenossen zu schützen und dafür Sorge zu tragen, daß dem Lehrlinge nicht ArbeitsVerrichtungen zugewiesen werden, welche seinen körperlichen Kräften nicht angemessen sind. Er darf dem Lehrlinge die zu seiner Ausbildung und zum Besuche des Gottesdienstes an Sonn- und Festtagen erforderliche Zeit und Gelegenheit nicht entziehen. Zu häuslichen Dienstleistungen dürfen Lehrlinge, welche im Hause des Lehrherm weder Kost noch Wohnung erhal ten, nicht heran­ gezogen werden. Ist der Lehrmeister verpflichtet, bei Abschluß des Lehrvertrages es zu erwähnen, wenn bei ihm einzelne Zweige des zu erlernenden Handwerks nicht betrieben werden? 8.392. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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„Ausdrücklich bestimmter Vertreter des Meisters.“ Genügt Überweisung an einen Gesellen für alle vorkommenden Arbeiten? 8. 392. Unter welchen Umständen hastet der Lehrherr für Mängel der Ausbildung? S. 392. Haftet der Meister, der den Lehr­ ling zu vertragswidriger Arbeit verwendet, für den letzterem hierbei entstandenen Schaden? S. 392. Pflicht, den Lehrling zum Besuch der Fortbildungsschule anzuhalten. Muß der Meister sich persönlich davon überzeugen, daß der Lehrling rechtzeitig aufsteht? Darf er ohne Nachprüfung die Angabe des Lehrlings glauben, daß dieser nicht mehr fort­ bildungsschulpflichtig sei? S. 393. Darf der Lehrherr den Lehrling wegen eiliger Ar­ beiten zurückhalten? S. 393. Muß der Lehrherr den Vater des Lehrlings benachrichtigen, wenn sich dessen Betragen verschlechtert? Verliert der Lehrherr andernfalls seine Schadenansprüche? 8. 393.

§ 127 a. Der Lehrling ist der väterlichen Zucht des Lehrherrn unter­ worfen und dem Lehrherrn sowie demjenigen, welcher an Stelle des Lehr­ herm die Ausbildung zu leiten hat, zur Folgsamkeit und Treue, zu Fleiß und anständigem Betragen verpflichtet. Uebermäßige und unanständige Züchtigungen sowie jede die Gesund­ heit des Lehrlings gefährdende Behandlung sind verboten. Züchtigung des Lehrlings gegen Ende der Lehrzeit. Wann ist das Recht der väter­ lichen Zucht gemißbraucht? S. 393. Sind Ohrfeigen Mißbrauch des Züchtigungsrechts? 8. 394. Wann verjähren Schadenansprüche wegen Mißbrauchs des Züchtigungsrechts? 8. 394.

§ 127 b. Das Lehrverhältnis kann, wenn eine längere Frist nicht vereinbart ist, während der ersten vier Wochen nach Beginn der Lehrzeit durch einsetigen Mcktritt ausgelöst werden. Eine Vereinbarung, wonach diese Probezeit mehr als drei Monate betragen soll, ist nichtig. Nach Ablauf der Probezeit kann der Lehrling vor Beendigung der verabredeten Lehrzeit entlassen werden, wenn einer der im § 123 vorge­ sehenen Fälle auf ihn Anwendung findet oder wenn er die ihm im § 127 a auferlegten Pflichten wiederholt verletzt oder den Besuch der Fortbildungs­ oder Fachschule vernachlässigt. Von feiten des Lehrlings kann das Lehrverhältnis nach Ablauf der Probezeit aufgelöst werden, wenn: 1. einer der im § 124 unter Ziff. 1, 3 bis 5 vorgesehenen Fälle vorliegt; 2. der Lehrherr seine gesetzlichen Verpflichtungen gegen den Lehrling in einer die Gesundheit, die Sittlichkeit oder die Ausbildung des Lehrlinges gefährdenden Weise vernachlässigt, oder das Recht der väterlichen Zucht mißbraucht, oder zur Erfüllung der ihm vertrags­ mäßig obliegenden Verpflichtungen unfähig wird. Der Lehrvertrag wird durch den Tod des Lehrlings aufgehoben. Durch den Tod des Lehrherrn gilt der Lehrvertrag als aufgehoben, sofern die Aufhebung binnen vier Wochen geltend gemacht wird. Können noch andere als die gesetzlichen Gründe für die Lösung des Lehrverträges vereinbart werden? S. 394. Klage auf Auflösung des Lehrvertrages wegen nicht gehöriger Erfüllung der Pflichten des Lehrherrn. Muß der Lehrling die Nichterfüllung oder der Lehrherr die Erfüllung beweisen? 8. 394. Darf ein Barbierlehrling die Lehre verlassen, weil er zur Bedienung von Prosti­ tuierten verwendet wird? 8. 395. Kann ein Buchdruckerlehrling, der zum Setzen und Drucken unzüchtiger Schriften von dem Lehrherm verwendet wird, sofortige Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

Aufhebung des Lehrverhältnisses verlangen? 8.395. Kann Auflösung des Lehrver­ trages verlangt werden, wenn der Lehrling zu verbotenen Sonntagsarbeiten und häus­ lichen Arbeiten herangezogen wird, aber nicht protestiert? 8.395. Darf ein Lehrling wegen Unfähigkeit entlassen werden? 8.395. Gibt mangelhafter Fleiß und mangeln­ des Interesse des Lehrlings dem Meister das Recht zur sofortigen Auflösung des Lehr­ verhältnisses? 8.395. Kann der Lehrherr Entschädigung verlangen, wenn der Lehrling zu einem andern Berufe übergeht? S. 395. Über Auflösungsgründe siehe auch S. 355 ff.

Ist das GG. zuständig für Klagen aus Lehrverträgen, bei denen der Vater oder Vormund des Lehrlings als Kläger auftritt? 8.5. Ist für die Klage des Lehrherm gegen den Vater, Mutter oder Vormund des Lehrlings das GG. zuständig? 8. 6.

§ 127 c. Bei Beendigung des Lehrverhältnisses hat der Lehrherr dein Lehrling unter Angabe des Gewerbes, in welchem der Lehrling unter­ wiesen worden ist, über die Dauer der Lehrzeit und die während derselben erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie über sein Betragen ein Zeugnis auszustellen, welches von der Gemeindebehörde kosten- und stempelfrei zu beglaubigen ist. An Stelle dieser Zeugnisse treten, wo Innungen oder andere Ver­ tretungen der Gewerbetreibenden bestehen, die von diesen ausgestellten Lehrbriefe. Muß der Arbeitgeber auch einem vorzeitig ausgeschiedenen Lehrling ein Arbeits­ zeugnis ausstellen? 8. 289. § 127 d. Verläßt der Lehrling in einem durch dies Gesetz nicht vor­ gesehenen Falle ohne Zustimmung des Lehrherm die Lehre, so kann letzterer den Anspruch auf Mckkehr des Lehrlings nur geltend machen, wenn der Lehrvertrag schriftlich geschlossen ist. Die Polizeibehörde kann in diesem Falle auf Antrag des Lehrherrn den Lehrling anhalten, so lange in der Lehre zu verbleiben, als durch gerichtliches Urteil das Lehrverhältnis nicht für aufgelöst erklärt ist, oder dem Lehrlinge durch einstweilige Verfügung des Gerichts gestattet ist, der Lehre fernzubleiben. Der Antrag ist nur zu­ lässig, wenn er binnen einer Woche nach dem Austritte des Lehrlings gestellt ist. Im Falle unbegründeter Weigerung der Mckkehr hat die Polizei­ behörde den Lehrling zwangsweise zurückführen zu lassen oder durch An­ drohung von Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder Haft bis zu fünf Tagen zur Mckkehr anzuhalten. Was ist ein „schriftlicher Lehrvertrag“ im Sinne der GO.? 8. 396. Wird ein Lehrvertrag durch unordentliche Ausfüllung des Vertragsformulars ungültig? 8.396. Ist ein Lehrvertrag „schriftlich“, wenn er vom Lehrherm nur unterstempelt ist? 8.397. Kann der Lehrherr gegen den Lehrling auf Entschädigung klagen, wenn der Lehrvertrag vom Lehrling nicht mitunterschrieben ist? 8.397. Kann der Lehrherr einen Anspruch auf Entschädigung gegen den Vater des Lehrlings geltend machen, wenn der Lehrling den Lehrvertrag nicht mitunterschrieben hat? 8.397. Kann auf Aufhebung des Lehrverhältnisses geklagt werden, wenn kein gesetzmäßiger Lehrver­ trag geschlossen ist? 8.397. Darf der Lehrherr das Arbeitsbuch zurückhalten, wem die gesetzlichen Mittel, um den Lehrling zur Rückkehr in die Lehre zu zwingen, erfolg­ los erschöpft sind? 8. 397. Darf der Lehrherr das Arbeitsbuch des Lehrlings, welcher die Lehre unbefugt verlassen hat, zurückhalten, sofern ein schriftlicher Lehrvertrag nicht geschlossen war? 8. 287. § 127e. Wird von dem gesetzlichen Vertreter für den Lehrling oder, sofern der letztere volljährig ist, von ihm selbst dem Lehrherrn die schriftliche Erklärung abgegeben, daß der Lehrling zu einem anderen Gewerbe oder anderen Bemf übergehen werde, so gilt das Lehwerhältnis, wenn der Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiter Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Lehrling nicht früher entlassen wird, nach Ablauf von vier Wochen als aufgelöst. Den Gmnd der Auflösung hat der Lehrherr in dem Arbeits­ buche zu vermerken. Binnen neun Monaten nach der Auflösung darf der Lehrling in dem­ selben Gewerbe von einem anderen Arbeitgeber ohne Zustimmung des früheren Lehrherr nnicht beschäftigt werden. Kann der Lehrherr Entschädigung verlangen, wenn der Lehrling zu einem anderen Berufe übergeht? S. 395. § 127 f. Erreicht das Lehrverhältnis vor Ablauf der verabredeten Lehrzeit fein Ende, so kann von dem Lehrherrn oder von dem Lehrling ein Anspruch auf Entschädigung nur geltend gemacht werden, wenn der Lehrvertrag schriftlich geschlossen ist. In den Fällen des § 127 b Ms. 1, 4 kann der Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn dieses in dem Lehr­ vertrag unter Festsetzung der Art und Höhe der Entschädigung vereinbart ist. Der Anspruch der Entschädigung erlischt, wenn er nicht innerhalb vier Wochen nach Auflösung des Lehrverhältnisses im Wege der Klage oder Einrede geltend gemacht ist. Was ist ein „schriftlicher Lehrvertrag“ im Sinne der GO.? 8. 396. Wird ein Lehr­ vertrag durch unordentliche Ausfüllung des Vertragsformulars ungültig? 8.396. Ist ein Lehrvertrag „schriftlich“, wenn er vom Lehrherm nur unterstempelt ist? 8.397. Kann der Lehrherr gegen den Lehrling auf Entschädigung klagen, wenn der Lehr­ vertrag vom Lehrling nicht mitunterschrieben ist? 8.397. 398. Kann der Lehrherr einen Anspruch auf Entschädigung gegen den Vater des Lehrlings geltend machen, wenn der Lehrling den Lehrvertrag nicht mitunterschrieben hat? 8. 397. Besteht eine Entschädigungspflicht des Lehrlings bei Auflösung des Lehrvertrages infolge Unfähigkeit? S. 397. Wann beginnt die vierwöchentliche Frist zur Geltend­ machung der Schadensansprüche? 8.398. Wird die Frist für die Schadensersatzklage wegen Auflösung des Lehrverhältnisses durch Klageerhebung bei dem unzuständigen GG. gewahrt? S. 398. § 127 g. Ist von dem Lehrherrn das Lehrverhältnis aufgelöst worden, weil der Lehrling die Lehre unbefugt verlassen hat, so ist die von dem Lehrherrn beanspruchte Entschädigung, wenn in dem Lehrvertrage nicht ein geringerer Betrag ausbedungen ist, auf einen Betrag festzusetzen, welcher für jeden auf den Tag des Vertragsbruchs folgenden Tag der Lehrzeit, höchstens aber für sechs Monate, bis auf die Höhe des in dem Gewerbe des Lehrherrn den Gesellen oder Gehilfen ortsüblich gezahlten Lohnes sich eblaufen darf. Für die Zahlung der Entschädigung sind als Selbstschuldner mit­ verhaftet der Vater des Lehrlings, sofern er die Sorge für die Person des Lehrlinges hat, sowie derjenige Arbeitgeber, welcher den Lehrling zum Verlassen der Lehre verleitet oder welcher ihn in Arbeit genommen hat, obwohl er wußte, daß der Lehrling zur Fortsetzung eines Lehrverhältnisses noch verpflichtet war. Hat der Entschädigungsberechtigte erst nach Auf­ lösung des Lehrverhältnisses von der Person des Arbeitgebers, welcher den Lehrling verleitet oder in Arbeit genommen hat, Kenntnis erhalten, so erlischt gegen diese der Entschädigungsanspruch erst, wenn derselbe nicht innerhalb vier Wochen nach erhaltener Kenntnis geltend gemacht ist. 8 128. Wenn der Lehrherr eine im Mißverhältnisse zu dem Umfang oder der Art seines Gewerbebetriebs stehende Zahl von Lehrlingen hält und dadurch die Ausbildung der Lehrlinge gefährdet erscheint, so kann dem Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen. Saum, lvewerbegerichte. f

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5. Gewerbeordnung.

Lehrherrn von der unteren Verwaltungsbehörde die Entlassung eines entsprechenden Teiles der Lehrlinge auferlegt und die Annahme von Lehr­ lingen über eine bestimmte Zahl hinaus untersagt werden. Die Be­ stimmungen des § 126 a Abs. 3 finden hierbei entsprechende Anwendung. Unbeschadet der vorstehenden Bestimmung können durch Beschluß des Bundesrats für einzelne Gewerbszweige Vorschriften über die höchste Zahl der Lehrlinge erlassen werden, welche in Betrieben dieser Gewerbs­ zweige gehalten werden darf. Soweit solche Vorschriften nicht erlassen sind, können sie durch Anordnung der Landes-Zentralbehörde erlassen werden. B. Besondere Bestimmungen für Handwerker.

§ 129. In Handwerksbetrieben steht die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen nur denjenigen Personen zu, welche das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und eine Meisterprüfung (§ 133) bestanden haben. Haben solche Personen die Meisterprüfung nicht für dasjenige Gewerbe oder denjenigen Zweig des Gewerbes bestanden, in welchem die An­ leitung der Lehrlinge erfolgen soll, so haben sie die Befugnis dann, wenn sie in diesem Gewerbe oder Gewerbszweige entweder die Lehrzeit (§ 130 a) zurückgelegt und die Gesellenprüfung bestanden haben, oder fünf Jahre hindurch persönlich das Handwerk selbständig aus­ geübt haben oder während einer gleich langen Zeit als Werk­ meister oder in ähnlicher Stellung tätig gewesen sind. Die höhere Verwaltungsbehörde kann Personen, welche diesen An­ forderungen nicht entsprechen, die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen widerruflich verleihen. Bor der Entscheidung über die Grteilung der Be­ fugnis oder den Widerruf ist die Handwerkskammer und, wenn die Person einer Innung angehört oder an ihrem Wohnorte für ihren Gewerbszweig eine Innung besteht, außerdem die Innung zu hören. In Handwerksbetrieben, welche nach dem Tode des Gewerbetreibenden für Rechnung der Witwe oder minderjähriger Erben fortgesetzt werden, sind bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Lehrherm als Bertreter (§ 127 Abs. 1) zur Anleitung von Lehrlingen auch Personen befugt, welche eine Meisterprüfung nicht bestanden haben, sofern sie im übrigen den Anforderungen des Abs. 1 Satz 2 entsprechen. Die untere Verwaltungs­ behörde kann solchen Personen als Vertretern des Lehrherm auch in anderen Fällen bis zur Dauer eines Jahres die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen erteilen. Die hiemach zulässige Dauer der Vertretung kann von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Handwerks­ kammer entsprechend dem Bedürfnisse des einzelnen Falles verlängert werden. Die Unterweisung des Lehrlings in einzelnen technischen Hand­ griffen und Fertigkeiten durch einen Gesellen fällt nicht unter die im Abs. 1 vorgesehenen Bestimmungen. Die Zurücklegung der Lehrzeit kann auch in einem dem Gewerbe angehörenden Großbetrieb erfolgen und durch den Besuch einer staatlichen, Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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staatlich unterstützten oder vom Staate anerkannten Lehrwerkstätte oder sonstigen gewerblichen Unterrichtsanstalt ersetzt werden. Bor der An­ erkennung einer sonstigen gewerblichen Unterrichtsanstalt soll der zu­ ständigen Handwerkskammer Gelegenheit gegeben werden, sich gutachtlich zu äußern. Die Landes-Zentralbehörden können den Prüfungszeugnissen von Lehrwerkstätten, gewerblichen Unterrichtsanstalten oder von Prüfungs­ behörden, welche vom Staate für einzelne Gewerbe oder zum Nachweise der Befähigung zur Anstellung in staatlichen Betrieben eingesetzt sind, die Wirkung der Verleihung der im Abs. 1 bezeichneten Befugnis für be­ stimmte Gewerbszweige beilegen. Der Eintritt dieser Wirkung ist davon abhängig zu machen, daß der Besitzer des Prüfungszeugnisses in dem Ge­ werbe oder in dem Zweige des Gewerbes, in welchem die Anleitung der Lehrlinge erfolgen soll, eine bestimmte, auf nicht mehr als drei Jahre fest­ zusetzende Zeit hindurch persönlich tätig gewesen ist. Der Bundesrat ist befugt, für einzelne Gewerbe nach Anhörung der Handwerkskammer Ausnahmen von den Bestimmungen im Abs. 1 zu­ zulassen. Liegt ein Arbeitsvertrag vor, wenn der Arbeitgeber einem ehemaligen Lehrling gestattet, nachträglich in seiner Werkstatt das Gesellenstück zu fertigen? S. 400.

§ 129 a. Wer für einen gesondert betriebenen Zweig eines Gewerbes den Voraussetzungen des § 129 entspricht, ist berechtigt, auch in den übrigen Zweigen dieses Gewerbes Lehrlinge anzuleiten. Wer für ein Gewerbe den Voraussetzungen des § 129 entspricht, ist berechtigt, auch in den diesem verwandten Gewerben Lehrlinge anzuleiten. Welche Gewerbe als verwandte Gewerbe im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind, bestimmt die Handwerkskammer. Dem Unternehmer eines Betriebs, in welchem mehrere Gewerbe ver­ einigt sind, kann die untere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Hand­ werkskammer die Befugnis erteilen, in allen zu dem Betriebe vereinigten Gewerben oder in mehreren dieser Gewerbe Lehrlinge anzuleiten, wenn er für eines der Gewerbe den Voraussetzungen des § 129 entspricht. Zu Arbeiten in denjenigen Gewerben seines Betriebs, für welche er zur An­ leitung von Lehrlingen nicht befugt ist, darf er die Lehrlinge nur insoweit heranziehen, als es dem Zwecke der Ausbildung in ihrem Gewerbe nicht widerspricht. § 129 b. Gehört der Lehrherr einer Innung an, so ist er verpflichtet, eine Abschrift des Lehrvertrags binnen vierzehn Tagen nach Abschluß desselben der Innung einzureichen; er kann hierzu durch die Ortspolizei­ behörde angehalten werden. Die Innungen können bestimmen, daß der Abschluß des Lehrvertrags vor der Innung erfolgen soll. In diesem Falle ist dem Lehrherrn und dem Vater oder Vormunde des Lehrlings eine Abschrift des Lehrvertrags auszuhändigen. § 130. Soweit durch den Bundesrat oder die Landes-Zentralbehörde auf Grund des § 128 Abs. 2 Vorschriften über die zulässige Zahl von Lehr­ lingen nicht erlassen sind, ist die Handwerkskammer und die Innung zum Erlasse solcher Vorschriften befugt. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen, f*

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§ 130 a. Die Lehrzeit soll in der Regel drei Jahre dauern, sie darf den Zeitraum von vier Jahren nicht übersteigen. Bon der Handwerkskammer kann mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde die Dauer der Lehrzeit für die einzelnen Gewerbe oder Gewerbszweige nach Anhörung der beteiligten Innungen und der im § 103 a Abs. 3 Ziff. 2 bezeichneten Bereinigungen festgesetzt werden. Die Handwerkskammer ist befugt, Lehrlinge in Einzelfällen von der Innehaltung der festgesetzten Lehrzeit zu entbinden. § 131. Den Lehrlingen ist Gelegenheit zu geben, sich nach Ablauf der Lehrzeit der Gesellenprüfung (§ 129 Abs. 1) zu unterziehen. Die Landes-Zentralbehörden können den Prüfungszeugnissen von Lehrwerkstätten, gewerblichen Unterrichtsanstalten oder von Prüfungs­ behörden, welche vom Staate fiir einzelne Gewerbe oder zum Nachweise der Befähigung zur Anstellung in staatlichen Betrieben eingesetzt sind, die Wirkung der Zeugnisse über das Bestehen der Gesellenprüfung beilegen. Ae Abnahme der Gesellenprüfungen (Abs. 1) erfolgt durch Prüfungs­ ausschüsse. Bei jeder Zwangsinnung wird ein Prüfungsausschuß gebildet, bei anderen Innungen nur dann, wenn ihnen die Ermächtigung zur Ab­ nahme der Prüfungen von der Handwerkskammer erteilt ist. Soweit für die Abnahme der Prüfungen für die einzelnen Gewerbe nicht durch Prü­ fungsausschüsse der Innungen und die im § 129 Abs. 6 bezeichneten Lehr­ werkstätten, gewerblichen Unterrichtsanstalten und Prüfungsbehörden ge­ sorgt ist, hat die Handwerkskammer die erforderlichen Prüfungsausschüsse zu errichten. § 131 a. Die Prüfungsausschüsse bestehen aus einem Vorsitzenden und mindestens zwei Beisitzern. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses wird von der Handwerks­ kammer bestellt. Bon den Beisitzern wird bei dem Prüfungsausschuß einer Innung die Hälfte durch diese, die andere Hälfte aus der Zahl der Gesellen, welche eine Gesellenprüfung bestanden haben, durch den Gesellenausschuß bestellt. Bei den von der Handwerkskammer errichteten Prüfungsaus­ schüssen werden auch die Beisitzer von der Handwerkskammer bestellt; die

Hälfte der Beisitzer muß aus Gesellen bestehen. Die Bestellung der Mitglieder der Prüfungsausschüsse erfolgt in der Regel auf drei Jahre. Während der ersten sechs Jahre nach dem Jnkraftreten dieser Bestim­ mungen können auch Gesellen (Gehilfen), welche die Gesellenprüfung nicht abgelegt haben, gewählt werden, wenn sie eine Lehrzeit von mindestens zwei Jahren zurückgelegt haben. § 131 b. Die Prüfung hat den Nachweis zu erbringen, daß der Lehr­ ling die in seinem Gewerbe gebräuchlichen Handgriffe und Fertigkeiten mit genügender Sicherheit ausübt und sowohl über den Wert, die Beschaffung, Ausbewahrung und Behandlung der zu verarbeitenden Rohmaterialien, als auch über die Kennzeichen ihrer guten oder schlechten Beschaffenheit unterrichtet ist. Im übrigen werden das Verfahren vor dem Prüfungsausschüsse, der Gang der Prüfung und die Höhe der Prüfungsgebühren durch eine Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der zweiten Au-gabe neu aufgenommenen.

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Prüfungsordnung geregelt, welche von der höheren Verwaltungsbehörde im Gnvernehmen mit der Handwerkskammer erlassen wird. Kommt ein Einvemehmen nicht zustande, so entscheidet die Landes-Zentralbehörde. Durch die Prüfungsordnung kann bestimmt werden, daß die Prüfung auch in der Buch- und Rechnungsführung zu erfolgen hat. In diesem Falle ist der Prüfungsausschuß befugt, einen besonderen Sachverständigen zu­ zuziehen, welcher an der Prüfung mit vollem Stimmrechte teilnimmt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Die Kosten der Prüfung werden, sofern diese von dem Prüfungsaus­ schuß einer Innung abgehalten wird, von letzterer, im übrigen von der Handwerkskammer getragen. Diesen fließen die Prüfungsgebühren zu. § 131 e. Der Lehrling soll sich nach Ablauf der Lehrzeit der Gesellen­ prüfung unterziehen. Die Innung und der Lehrherr sollen ihn dazu an­ halten. Das Gesuch um Zulassung zur Prüfung hat der Lehrling an den Prüfungsausschuß zu richten. Dem Gesuche sind das Lehrzeugnis (§ 127 c) und, sofern der Prüfling während der Lehrzeit zum Besuch einer Fort­ bildungs- oder Fachschule verpflichtet war, die Zeugnisse über den Schul­ besuch beizufügen. Der Prüfungsausschuß hat das Ergebnis der Prüfung auf dem Lehr­ zeugnis oder Lehrbriefe zu beurkunden. Wird die Prüfung nicht bestanden, so hat der Prüfungsausschuß den Zeitraum zu bestimmen, vor dessen Ablauf die Prüfung nicht wiederholt werden darf. Die Prüfungszeugnisse sind kosten- und stempelfrei. § 132. Der Vorsitzende ist berechtigt, Beschlüsse des Prüfungsaus­ schusses mit aufschiebender Wirkung zu beanstanden. Über die Beanstandung

entscheidet die HandwerEkammer (§ 103 e Ziffer 6). § 132 a. Die Landes-Zentralbehörden sind befugt, die Bestellung der Prüfungsausschüsse, das Verfahren bei der Prüfung, die Gegenstände der Prüfung sowie die Prüfungsgebühren abweichend von den Vorschriften der §§ 131 bis 132 zu regeln, dabei darf jedoch hinsichtlich der bei der Prüfung zu stellenden Anforderungen nicht unter das im § 131 b Abs. 1 bestimmte Maß herabgegangen werden. Illa. MrtstrrMrl.

§ 133. Den Meistertitel in Verbindung mit der Bezeichnung eines Handwerks dürfen nur Handwerker sichren, welche für dieses Handwerk die Meisterprüfung bestanden und das vierundzwanzigste Lebensjahr zu­ rückgelegt haben. Die Befugnis zur Führung des Meistertitels in Verbindung mit einer anderen Bezeichnung, die auf eine Tätigkeit im Baugewerbe hinweist, insbesondere des Titels Baumeister und Baugewerksmeister, wird durch den Bundesrat geregelt. Bis zum Inkrafttreten des Bundesratsbeschlusses darf ein solcher Titel nur dann geführt werden, wenn die Landesregierung über die Befugnis zur Führung Vorschriften erlassen hat, und nur von denjenigen Personen, welche diesen Vorschriften entsprechen. Der Bundes­ rat kann ferner Vorschriften über die Führung des Meistertitels in BerLateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

bindung mit sonstigen Bezeichnungen erlassen, die auf eine Tätigkeit im Handwerke Hinweisen. Zur Meisterprüfung (Abs. 1) sind in der Regel nur solche Personen zuzulassen, welche eine Gesellenprüfung bestanden haben und in dem Gewerbe, für welches sie die Meisterprüfung ablegen wollen, mindestens drei Jahre als Geselle (Gehilfe) tätig gewesen, oder welche nach § 129 Abs. 6 zur Anleitung von Lehrlingen in diesem Gewerbe befugt sind. Die Abnahme der Prüfung erfolgt durch Prüfungskommissionen, welche aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern bestehen. Die Entscheidung der Prüfungskommission, welche die Zulassung der Meisterprüfung (Abs. 1) ablehnt, kann binnen zwei Wochen durch Beschwerde bei der höheren Verwaltungsbehörde angefochten werden. Diese hat, bevor sie der Beschwerde stattgibt, die Handwerkskammer zu hören. Die Errichtung der Prüfungskommissionen erfolgt nach Anhörung der Handwerkskammer durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde, welche auch die Mitglieder ernennt; die Ernennung erfolgt auf drei Jahre. Die Prüfung hat den Nachweis der Befähigung zur selbständigen Ausführung und Kostenberechnung der gewöhnlichen Arbeiten des Ge­ werbes sowie der zu dem selbständigen Betriebe desselben sonst notwen­ digen Kenntnisse, insbesondere auch der Buch- und Rechnungsführung, zu erbringen. Das Verfahren vor der Prüfungskommission, der Gang der Prüfung und die Höhe der Prüfungsgebühren werden durch eine von der Hand­ werkskammer mit Genehmigung der Landes-Zentralbehörde zu erlassende Prüfungsordnung geregelt. Die Kosten der Prüfungskommissionen fallen der Handwerkskammer zur Last, welcher die Prüfungsgebühren zufließen. Die Prüfungszeugnisse sind kosten- und stempelfrei.

Der Meisterprüfung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen können von der Landes-Zentralbehörde die Prüfungen bei Lehrwerkstätten, ge­ werblichen Unterrichtsanstalten oder bei Prüfungsbehörden, welche vom Staate für einzelne Gewerbe oder zum Nachweise der Befähigung zur An­ stellung in staatlichen Betrieben eingesetzt sind, gleichgestellt werden, sofern bei denselben mindestens die gleichen Anforderungen gestellt werden wie bei den im Ms. 1 vorgesehenen Prüfungen.

nib. Verhältnisse der Betrkebsbramten, Werkmeister, Techniker.

§ 133 a. Das Dienstverhältnis der von Gewerbeunternehmern gegen feste Bezüge beschäftigten Personen, welche nicht ledidlich voriibergehend mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs oder einer Abteilung desselben beauftragt (Betriebsbeamte, Werkmeister und ähnliche Ange­ stellte) oder mit höheren technischen Dienstleistungen betraut sind (Maschinen­ techniker, Bautechniker, Chemiker, Zeichner und dergleichen), kann, wenn nicht etwas anderes verabredet ist, von jedem Teile mit Ablauf jedes Kalender­ vierteljahrs nach sechs Wochen vorher erklärter Wndigung aufgehoben werden. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Ist für die Werkmeistereigenschaft die vertraglich vorgesehene oder die tatsächliche Beschäftigungsart entscheidend? S. 401. Ist Wochenlohn ein fester Bezug? 8. 402. Ist Tagelohn ein „fester Bezug"? S. 402. Ist Akkordlohn als „fester Bezug“ anzusehen? 8. 403. Schließt die Verabredung von Provision die Annahme von festen Bezügen aus? S. 410. Hat der Angestellte eines Schankwirts feste Bezüge, wenn sein Verdienst wesentlich darin besteht, daß er zu festen Preisen entnommene Getränke zu erhöhtem Preise an die Gäste weiterverkauft? 8.403. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Zuschneider als Betriebsbeamter oder Werkmeister anzusehen? 8. 403, 419. Ist der Faktor einer Druckerei Werkmeister? 8. 404. Ist der Küchenchef Betriebsbeamter bzw. Werkmeister? 8.404. Ist der Brenn meister auf einem Rittergut Betriebsbeamter? 8. 405. Ist der Lokomotivführer Be­ triebsbeamter? S. 405. Unter welchen Voraussetzungen sind „Maurerpoliere" Be­ triebsbeamte? S. 405. Ist der Steinmetzpolier Werkmeister? S. 407. Ist ein Platz­ anweiser und Lagerverwalter Betriebsbeamter? S. 410. Ist ein Buchbinder, dem in einer Fabrik eine Abteilung von zehn Arbeitern unterstellt ist, Werkmeister oder Vorar­ beiter? S. 411. Ist der Stuhlmeister in einer mechanischen Weberei Werkmeister? 8. 412. Ist der Zählkellner Betriebsbeamter? 8. 412. Ist der Oberkellner Betriebsbe­ amter? 8. 412. Ist der Oberkellner im Speisewagen Betriebsbeamter? S. 412. Gilt als „Zeichner" auch ein Musterzeichner für Stickereimuster? S. 413. Kann ein Werkmeister für einen gesetzlichen Feiertag, an dem die Arbeit ruht, Lohn beanspruchen? 8. 414. Darf der Arbeitgeber den Werkmeister aus betriebstechnischen Gründen zeitweilig auf einen minderwertigen Posten versetzen? S. 414.

§ 133 aa. Wktd durch Vertrag eine kürzere oder längere Kündigungssrist bedungen, so muß sie für beide Teile gleich sein; sie darf nicht weniger als einen Monat betragen. Die Kündigung kann nur für den Schluß eines Kalendermonats zu­ gelassen werden. Die Vorschriften des Abs. 1 finden auch in dem Falle Anwendung, wenn das Dienstverhältnis für bestimmte Zeit mit der Vereinbarung ein­ gegangen wird, daß es in Ermangelung einer vor dem Mlaufe der Ber­ tragszeit erfolgten Kündigung als verlängert gelten soll. Eine Vereinbarung, die diesen Vorschriften zuwiderläust, ist nichtig. Kann die bei Betriebsbeamten, Werkmeistern usw. erforderliche sechswöchent­ liche Kündigung auch schon vor Antritt des Arbeitsverhältnisses erfolgen? 8. 415. Ist bei Betriebsbeamten die Vereinbarung einer vierwöchentlichen Kündigung der Bereinbarung einer monatlichen gleichzuachten? S. 416. Sind ungleiche Kündigungsfristen auch nichtig, wenn die Ungleichheit zugunsten des Angestellten normiert ist? S. 416. Können neben der Mindestkündigungsfrist besondere Entlassungsgründe vereinbart werden? S. 417. Kann ein auf Probe angenommener Werkmeister ohne Kündigung entlassen werden? S. 415. Kann ein Laborant in einer Schokoladenfabrik auf unbestimmte Zeit zur Probe mit täglicher Kündigung angestellt werden? 8. 418. Vgl. auch Kündigungsabrede bei Handlungsgehilfen S. 477 ff.

§ 133 a b. Die Vorschriften des § 133aa finden keine Anwendung, wenn der Angeklagte ein Gehalt von mindestens fünftausend Mark für das Jahr bezieht. Sie bleiben ferner außer Anwendung, wenn der Angestellte für eine außereuropäische Niederlassung angenommen ist und nach dem Vertrage der Arbeitgeber für den Fall, daß er das Dienstverhältnis kündigt, die Kosten der Mckreise des Angestellten zu tragen hat.

§ 133 a c. Wird ein Angestellter nur zur vorübergehenden Aushilfe an­ genommen, so finden die Vorschriften des § 133 aa keine Anwendung, es Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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sei denn, daß das Dienstverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird. Die Mndigungsfrist muß jedoch auch in einem solchen Falle für beide Teile gleich sein. Kann ein auf Probe angenommener Werkmeister ohne Kündigung entlassen werden? S. 415. Kann ein Laborant in einer Schokoladenfabrik auf unbestimmte Zeit zur Probe mit täglicher Kündigung angestellt werden? 8.418.

§ 133 b. Jeder der beiden Teile kann vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Innehaltung einer Mndigungsfrist die Aufhebung des Dienstverhältnisses verlangen, wenn ein wichtiger, nach den Umständen des Falles die Aufhebung rechtfertigender Grund vorliegt. Kann vereinbart werden, daß das Recht zur sofortigen Entlassung nur im Fall des Verschuldens geltend gemacht werden darf? 8.418. Geht das Entlassungsrecht verloren, wenn der Arbeitgeber den Entlassungsgrund längere Zeit kennt, aber nicht geltend macht? 8.418. Kann der Werkmeister Lohn für die gesetzliche Mndigungsfrist verlangen, wenn der Arbeitgeber, der Grund zur sofortigen Entlassung hat, ihm mit zweiwöchiger Frist kündigt? S. 418. Unter welchen Umständen berechtigt Unfähigkeit zur sofortigen Entlassung eines Werkmeisters, Zeichners usw.? 8. 418. Kann ein Maßzuschneider sofort entlassen werden, weil er einzelne Kleidungsstücke verschnitten hat? 8. 419. Ist Diebstahlsverdacht und Diebstahl bei einem früheren Arbeitgeber ein wich­ tiger Grund zur Lösung des Arbeitsverhältnisses des Werkmeisters? 8. 419. Ist Schlä­ gerei unter Technikern desselben Arbeitgebers Grund zur Entlassung? S. 419. Kann ein bauleitender Architekt sofort entlassen werden, wenn er sich von den an dem Baue beschäf­ tigten Unternehmern Darlehen geben läßt? S. 419. Kann ein Oberkellner wegen Be­ leidigung von Gästen entlassen werden? 8.412. Kann ein Werkmeister sofort entlassen werden, wenn er auf freiwillige Meldung zu einer sechswöchentlichen Übung eingezogen wird? S. 420. Über „wichtige Gründe" zur sofortigen Auslösung des Dienstverhältnisses vgl. auch S. 383 ff. und 505 ff.

§ 133 e. Gegenüber den im § 133 a bezeichneten Personen kann die Aufhebung des Dienstverhältnisses insbesondere verlangt werden: 1. wenn sie beinr Abschlüsse des Dienstvertrags den Arbeitgeber durch Vorbringen falscher oder verfälschter Zeugnisse hintergangen oder ihn über das Bestehen eines anderen, sie gleichzeitig verpflichtenden Dienstverhältnisses in einen Irrtum versetzt haben; 2. wenn sie im Dienste untreu sind oder das Vertrauen mißbrauchen; 3. wenn sie ihren Dienst unbefugt verlassen oder den nach dem Dienst­ vertrag ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzukommen beharrlich verweigem; 4. wenn sie durch anhaltende Krankheit oder durch eine längere Frei­ heitsstrafe oder Abwesenheit an der Verrichtung ihrer Dienste ver­ hindert werden; 5. wenn sie sich Tätlichkeiten oder Ehrverletzungen gegen den Arbeitgeber oder seinen Vertreter zuschulden kommen lassen; 6. wenn sie sich einem unsittlichen Lebenswandel ergeben. In dem Falle zu 4 bleibt der Anspruch auf die vertragsmäßigen Lei­ stungen des Arbeitgebers für die Dauer von sechs Wochen in Kraft, wenn die Verrichtung der Dienste durch unverschuldetes Unglück verhindert worden ist. Jedoch mindem sich die Ansprüche in diesem Falle um den­ jenigen Betrag, welcher dem Berechtigten aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Krankenversicherung oder Unfallversicherung zukommt. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

ö. Gewerbeordnung.

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Vgl. auch die Entscheidungen zu § 123 GO. und §§ 70, 72 HGB. Darf das Gericht nachprüfen, ob die im § 133 c GO. aufgeführten Entlassungs­ gründe im konkreten Fall einen „wichtigen Grund“ darstellen? 8. 421. Kann es als „wichtiger Grund“ zur Entlassung eines Technikers gelten, wenn dieser verhindert, daß der Arbeitgeber einen Auftrag erhält? 8. 421. Kann der Faktor einer Zuckerfabrik sofort entlassen werden, wenn er sich weigert, zweckwidrige An­ ordnungen des nicht sachverständigen Dienstherm auszuführen? 8. 421. Darf der Spinnmeister einer Lohnspinnerei ohne Erlaubnis des Arbeitgebers die Arbeit verlassen? Kann er deshalb sofort entlassen werden? 8. 421. Auf wie lange hat der unverschuldet verhinderte Werkmeister usw. Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes? Einfluß des § 616 BGB. auf § 133 c GO. 8. 421. Kann der Werkmeister Gehalt für die Zeit einer freiwilligen sechswöchentlichen Übung verlangen? S. 420. § 133 d. Die im § 133 a bezeichneten Personen können die Auflösung des Dienstverhältnisses insbesondere verlangen: 1. wenn der Arbeitgeber oder seine Vertreter sich Tätlichkeiten oder Ehrverletzungen gegen sie zuschulden kommen lassen; 2. wenn der Arbeitgeber die vertragsmäßigen Leistungen nicht ge­ währt; 3. wenn bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses ihr Leben oder ihre Gesundheit einer erweislichen Gefahr ausgesetzt sein würde, welche bei Eingehung des Dienstverhältnisses nicht zu erkennen war. Vgl. auch die Entscheidungen zu § 124 GO. §§ 70, 71 HGB. Kann der Betriebsbeamte Aufhebung des Dienstverhältnisses verlangen, wenn der Arbeitgeber die fällige Gehaltsforderung wegen drohenden Vertragsbruchs zurück­ hält? S.421. § 133 e. Auf die im § 133 a bezeichneten Personen finden die Be­ stimmungen der §§ 124 b und 125 Anwendung, dagegen nicht die Be­ stimmungen des § 119 a. § 133 f. Eine Vereinbamng zwischen dem Gewerbeuntemehmer und einem der im § 133 a bezeichneten Angestellten, durch die der Angestellte für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerb­ lichen Tätigkeit beschränkt wird, ist für den Angestellten nur insoweit ver­ bindlich, als die Beschränkung nach Zeit, Ort und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet, durch welche eine unbillige Erschwerung seines Fort­ kommens ausgeschlossen wird. Die Vereinbamng ist nichtig, wenn der Angestellte zur Zeit des Ab­ schlusses minderjährig ist. Hat der mit dem 1. Januar 1900 in Kraft getretene § 133 f. GO. rückwirkende Kraft? Gehört die Höhe der Konventionalstrafe zu den bei Beurteilung des Rechts­ bestandes der Konkurrenzklausel in Betracht zu ziehenden übermäßigen, verstoßenden Beschränkungen? 8. 422. Gilt das Wettbewerbsverbot auch noch, wenn der Prinzipal berechtigten Anlaß zur Kündigung gegeben hat? S. 422. Unter welchen Umständen darf der Richter eine unverhältnismäßig hohe Konkurrenzstrafe für nichtig erklären? S. 422. Verstößt ein Wettbewerbsverbot mit unverhältnismäßig hoher Vertragsstrafe in Ver­ bindung mit einer Versichemng auf Ehrenwort gegen die guten Sitten? S. 424. Vgl. auch über Konkurrenzklausel bei Handlungsgehilfen S. 547 ff.

IV. Besondere Bestimmungen für Betriebe, in denen in der Leget mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden. § 133 g. Die Bestimmungen der §§ 133 h bis 139 aa finden Anwen­ dung auf Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge und sonstige gewerbliche Arbeiter mit Ausnahme der Betriebsbeamten, Werkmeister, Techniker (§§ 133a bis 133 f). Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

A. Bestimmungen für Betriebe, in denen in der Regel mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden.

§ 133 h. Auf Betriebe, in denen in der Regel mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden, finden die nachfolgenden Bestimmungen der §§ 134 bis 134 h Anwendung. Dies gilt für Betriebe, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, schon dann, wenn zu diesen Zeiten mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden. § 134. Den Unternehmern ist untersagt, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter die Verwirkung des rückständigen Lohnes über den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohns hinaus auszubedingen. Auf die Arbeitgeber und Arbeiter in solchen Betrieben finden die Bestimmungen des § 124 b keine Anwendung. Den Arbeitem ist bei der regelmäßigen Lohnzahlung ein schriftlicher Beleg (Lohnzettel, Lohntüte, Lohnbuch usw.) über den Betrag des ver­ dienten Lohnes und der einzelnen Arten der vorgenommenen Abzüge auszuhändigen. Ist die Vereinbarung der Verwirkung des rückständigen Lohnes auch für eineit Betrieb von unter 20 Arbeitern zulässig? S. 426. Darf auch im Falle der LohnVerwirkung nicht mehr als ein Viertel des fälligen Lohnes einbehalten werden? 8.427. Kann der minderjährige Arbeiter nach Aufhebung des Arbeitsverhältnisses auf Herausgabe des Lohnzahlungsbuches klagen? 8. 427. Wer hat die Beweislast bei Streit über die Vollzähligkeit der Lohndüte? 8. 23L

§ 134 a. Für jeden Betrieb ist innerhalb vier Wochen nach Inkraft­ treten dieses Gesetzes oder nach der Eröffnung des Betriebs eine Arbeits ­ ordnung zu erlassen. Für die einzelnen Abteilungen des Betriebs oder für die einzelnen Gruppen der Arbeiter können besondere Arbeitsordnungen erlassen werden. Der Erlaß erfolgt durch Aushang (§ 134 e Abs. 2). Die Arbeitsordnung muß den Zeitpunkt, mit welchem sie in Wirk­ samkeit treten soll, angeben und von demjenigen, welcher sie erläßt, unter Angabe des Datums unterzeichnet sein. Abänderungen ihres Inhalts können nur durch den Erlaß von Nach­ trägen oder in der Weise erfolgen, daß an Stelle der bestehenden eine neue Arbeitsordnung erlassen wird. Die Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben treten frühestens zwei Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung. Gilt die Arbeitsordnung auch für Heimarbeiter? 8. 432. Ist die Gültigkeit der Arbeitsordnung von der Aushändigung an den Arbeiter oder von der Kenntnisnahme desselben abhängig, oder genügt der Aushang? 8. 427. Ist das Inkrafttreten der durch Aushang erlassenen Arbeitsordnung von der bezirksamt­ lichen Genehmigung oder von der Zustimmung des Asbeiterausschusses abhängig? S. 428. Welche Wirkung hat die zeitweilige Entfernung des Aushangs? S. 428. Wird die bereits erlassene Arbeitsordnung mit dem Eintritt des neuen Arbeiters oder erst mit der Be­ kanntgabe bekannt? 8.429. Ist die Arbeitsordnung auch für zur Arbeit angenommene, jedoch noch nicht eingestellte Arbeiter verbindlich? S. 429. Kann die Arbeitsordnung durch einseitige mündliche Erklärungen des Arbeitgebers abgeändert werden? 8.430. Können Abänderungen der Arbeitsordnung durch schriftliche Vereinbarung mit sämt­ lichen Arbeitem erfolgen? S. 430. Sind Vereinbarungen mit einzelnen Arbeitem ab­ weichend von den Bestimmungen der Arbeitsordnung hinsichtlich der Kündigungs­ frist zulässig? 8. 430.

Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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§ 134 b. Die Arbeitsordnung muß Bestimmungen enthalten: 1. über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit so­ wie der für die erwachsenen Arbeiter vorgesehenen Pausen; 2. über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung mit der Maß­ gabe, daß die regelmäßige Lohnzahlung nicht am Sonntage statt­ finden darf. Ausnahmen können von der unteren Verwaltungs­ behörde zugelassen werden; 3. sofern es nicht bei den gesetzlichen Bestimmungen bewenden soll, über die Frist der zulässigen Aufkündigung sowie über die Gründe, aus welchen die Gttlassung und der Austritt aus der Arbeit ohne Aufkündigung erfolgen darf; 4. sofern Strafen vorgesehen werden, über die Att und Höhe derselben, über die Att chrer Festsetzung und, wenn sie in Geld bestehen, über deren Einziehung und über den Zweck, für welchen sie verwendet werden sollen; 5. sofern die Verwirkung von Lohnbeträgen nach Maßgabe der Be­ stimmung des § 134 Abs. 1 durch Arbeitsordnung oder Arbeits­ vertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der verwirkten Beträge. Strafbestimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in die Arbeitsordnung nicht ausgenommen werden. Geld­ strafen dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes nicht übersteigen; jedoch können Tätlichkeiten gegen Mtarbeiter, erhebliche Verstöße gegen die guten Sitten sowie gegen die zur Aufrechthaltung der Ordnung des Betttebs, zur Sicherung eines gefahrlosen Betttebs oder zur Durchführung derBesttmmungen derGewerbeordnung erlassenenBorschttften mit Geldstrafen bis zum vollen Bettage des durchschnittlichen Tagesarbeits­ verdienstes belegt werden. Alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter des Betttebs verwendet werden. Das Recht des Arbeitgebers, Schadens­ ersatz zu fordern, wird durch diese Bestimmung nicht berühtt. Dem Betttebsinhaber bleibt überlassen, neben den im Abs. 1 unter 1 bis 5 bezeichneten, noch weitere die Ordnung des Betttebs und das Ver­ halten der Arbeiter im Betttebe betreffende Bestimmungen in die Arbeits­ ordnung aufzunehmen. Mit Zustimmung eines ständigen Arbeiteraus­ schusses können in die Arbeitsordnung Borschttften über das Verhalten der Arbeiter bei Benutzung der zu ihrem Besten getroffenen, mit dem Betttebe verbundenen Einttchtungen, sowie Borschttften über das Verhalten der minderjähttgen Arbeiter außerhalb des Betttebs ausgenommen werden. Sind Vereinbarungen mit einzelnen Arbeitern abweichend von den Bestimmungen der Arbeitsordnung hinsichtlich der Kündigungsfrist zulässig? 8. 430. Ist die Bestim­ mung der Lohnverwirkung auf Grund der Arbeitsordnung trotz des Aufrechnungs­ verbotes im BGB. gültig? 8. 619. Kann der Abzug von Geldstrafen im Sinne des § 134 b Ziff. 4 GO. unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung am verdienten Lohn statt­ finden, wenn dies in der Arbeitsordnung nicht vorgesehen ist? 8. 430. Ist Zuspätkommen Entlassungsgrund, wenn in der Arbeitsordnung nur Geldstrafe angedroht ist? 8. 430. Strafe für den Fall, daß der Arbeiter die Arbeit verläßt. Ist die Strafe auch anwendbar, wenn erwiesen ist, daß er darauf ausgeht, die Entlassung herbeizuführen? 8. 431. Kann mangels gesetzmäßiger Verwendung der Strafgelder der Arbeiter ihre Herauszahlung verlangen? S. 431. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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5. Gewerbeordnung.

§ 134 c. Der Inhalt der Arbeitsordnung ist, soweit er den Gesetzen nicht zuwiderläuft, für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich.

Andere als die in der Arbeitsordnung oder in den §§ 123 und 124 vorgesehenen Gründe der Entlassung und des Austritts aus der Arbeit dürfen im Arbeitsvertrage nicht vereinbart werden. Andere als die in der Arbeitsordnung vorgesehenen Strafen dürfen über den Arbeiter nicht ver­ hängt werden. Die Strafen müssen ohne Verzug festgesetzt und dem Arbeiter zur Kenntnis gebracht werden. Die verhängten Geldstrafen sind in ein Verzeichnis einzutragen, welches den Namen des Bestraften, den Tag der Bestrafung sowie den Grund und die Höhe der Strafe ergeben und auf Erfordem dem im § 139 b bezeichneten Beamten jederzeit zur Einsicht vorgelegt werden muß. Ist die Gültigkeit der Arbeitsordnung von der Aushändigung an den Arbeiter oder von der Kenntnisnahme desselben abhängig, oder genügt der Aushang? 8. 427. Ist das Inkrafttreten der durch Aushang erlassenen Arbeitsordnung von der behördlichen Ge­ nehmigung oder von der Zustimmung des Arbeiterausschusses abhängig? S. 428. Wird die bereits erlassene Arbeitsordnung mit dem Eintritt des neuen Arbeiters oder erst mit der Bekanntgabe bekannt? 8. 429. Ist die Arbeitsordnung auch für zur Arbeit angenom­ mene, jedoch noch nicht eingestellte Arbeiter verbindlich? S. 429. Gilt die Arbeitsordnung auch für Heimarbeiter? 8. 432. Ist die Arbeitsordnung für Lesensunkundige verbind­ lich? 8. 432. Verstößt eine Bestimmung der Arbeitsordnung wider die guten Sitten, nach der der Arbeiter die durch sein Verschulden verwirkten Geldstrafen wegen Gewerbever­ gehens ersetzen soll? 8. 432. Bestimmung über Zahlung des Lohnes durch Hingabe verschlossener Düten. Wer hat zu beweisen, ob die Düte vollzählig war? 8.231. Kann durch die Arbeitsordnung dem Arbeitgeber das Recht gegeben werden, Schadensersatz­ forderungen gegen den Arbeitslohn aufzurechnen? 8. 618. Kann beim Akkordlohn neben Vereinbarung Kündigungsausschluß in der Arbeits­ ordnung bestimmt werden, daß der Arbeiter den Akkordüberschuß verliert, wenn er vor Vollendung ausscheidet? 8. 209. „Prämien“ für erhöhte Arbeitsleistung neben dem festen Lohn. Ist eine Bestimmung der Arbeitsordnung, wonach solche Prämien nur zur Auszahlung kommen, wenn der Arbeiter bis zu einem gewissen Zeitpunkt in dem Arbeitsverhältnis verbleibt, rechtsgültig? 8. 329. Kann eine Klage aus Ansprüchen gegen die Fabrikunterstützungskasse gegen den Fabrikbesitzer gerichtet werden? S. 432. Ist eine Bestimmung der Arbeitsordnung gültig, wonach Strafen vom Lohn abgezogen werden dürfen? 8.619. Lohnverwirkung und Aufrechnungsverbot. Ist die Bestimmung der Arbeitsordnung rechtsgültig, nach der der Arbeitgeber die verwirkten Beträge zu seinen Gunsten verwenden darf? S. 619.

§ 134 d. Vor dem Erlasse der Arbeitsordnung oder eines Nachtrags zu derselben ist den in dem Betrieb oder in den betreffenden Betriebs­ abteilungen beschäftigten großjährigen Arbeitem Gelegenheit zu geben, sich über den Inhalt derselben zu äußern. Für Betriebe, für welche ein ständiger Arbeiterausschuß besteht, wird dieser Vorschrift durch Anhörung des Ausschusses über den Inhalt der Arbeitsordnung genügt.

§ 134 e. Die Arbeitsordnung sowie jeder Nachtrag zu derselben ist unter Mitteilung der seitens der Arbeiter geäußerten Bedenken, soweit die Außmngen schriftlich oder zu Protokoll erfolgt sind, binnen drei Tagen nach dem Erlaß in zwei Ausfertigungen unter Beifügung der Erklärung, daß und in welcher Weise der Vorschrift des § 134 ä genügt ist, der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Au-gabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Die Arbeitsordnung ist an geeigneter, allen beteiligten Arbeitern zu­ gänglicher Stelle auszuhängen. Der Aushang muß stets in lesbarem Zu­ stande erhalten werden. Die Arbeitsordnung ist jedem Arbeiter bei seinem Eintritt in die Beschäftigung zu behändigen. Ist die Gültigkeit der Arbeitsordnung von der Aushändigung an den Arbeiter oder von der Kenntnisnahme desselben abhängig, oder genügt der Aushang? 8. 427. Welche Wirkung hat die zeitweilige Entfernung des Aushangs? S. 428. Was gilt, wenn die Arbeitsordnung in einer besonderen Abteilung des Betriebes nicht ausgehängt und auch deren Arbeitern nicht behändigt worden ist? 8.433. Ist die Arbeitsordnung „behändigt“, wenn sie dem Arbeiter nur zum Durchlesen übergeben und sodann zurückverlangt wird? 8. 433. Welche Arbeitsordnung gilt, wenn das vom Arbeiter unterschriebene Exemplar einen andern Inhalt hat, als das ihm ausgehändigte? 8. 433.

§ 134 k. Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben, welche nicht vorschriftsmäßig erlassen sind, oder deren Inhalt den gesetzlichen Bestim­ mungen zuwiderläuft, sind auf Anordnung der unteren Verwaltungsbehörde durch gesetzmäßige Arbeitsordnungen zu ersetzen oder den gesetzlichen Vor­ schriften entsprechend abzuändem. Gegen diese Anordnung findet binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde statt. § 134 g. Arbeitsordnungen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Ge­ setzes erlassen worden sind, unterliegen den Bestimmungen der §§ 134 a bis 134 c, 134 e Abs. 2 und des § 134 f und sind binnen vier Wochen der unteren Verwaltungsbehörde in zwei Ausfertigungen einzureichen. Auf spätere Abänderungen dieser Arbeitsordnungen und auf die seit dem 1. Januar 1891 erstmalig erlassenen Arbeitsordnungen finden die §§ 134 d und 134 e Abs. 1 Anwendung.

§ 134 h. Als selbständige Arbeiterausschüsse im Sinne des § 134 b Ms. 3 und des § 134 d gelten nur:

1. diejenigen Vorstände der Betriebs-lFabrik-jKrankenkassen oder an­ derer für die Arbeiter des Betriebs bestehender Kasseneinrichtungen, deren Mitglieder in ihrer Mehrheit von den Arbeitern aus ihrer Mtte zu wählen sind, sofern sie als ständige Arbeiterausschüsse bestellt werden; 2. die Knappschaftsältesten von Knappschaftsvereinen, welche die nicht dm Bestimmungen der Berggesetze unterstehenden Betriebe eines Unternehmers umfassen, sofern sie als ständige Arbeiteraus­ schüsse bestellt werden;

3. die bereits vor dem 1. Januar 1891 errichteten ständigen Arbeiter­ ausschüsse, deren Mitglieder in ihrer Mehrzahl von den Arbeitern aus ihrer Mitte gewählt werden;

4. solche Vertretungen, deren Mitglieder in ihrer Mehrzahl von den volljährigen Arbeitern des Betriebs oder der betreffenden Betriebs­ abteilung aus ihrer Mtte in unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt werden. Die Wahl der Vertreter kann auch nach ArbeiterNassen oder nach besonderen Abteilungen des Betriebs erfolgen. Lateinischer Dmck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

XCIV

6. Gewerbeordnung.

B. Bestimmungen für alle Set riebe, in denen in der Regel mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden. § 134 i. Auf Betriebe, in denen in der Regel mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden, finden, unbeschadet des § 133 h, die nachfolgenden Be­ stimmungen der §§ 135 bis 139 a a Anwendung. Dies gilt für Betriebe, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeits­ bedürfnis eintritt, schon dann, wenn zu diesen Zeiten mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden. § 135. Kinder unter dreizehn Jahren dürfen nicht beschäftigt werden. Kinder über dreizehn Jahre dürfen nur beschäftigt werden, wenn sie nicht mehr zum Besuche der Volksschule verpflichtet sind. De Beschäftigung von Kindern unter vierzehn Jahren darf die Dauer von sechs Stunden täglich nicht überschreiten. Junge Leute zwischen vierzehn und sechzehn Jahren dürfen nicht länger als zehn Stunden täglich beschäftigt werden. § 136. Die Arbeitsstunden der jugendlichen Arbeiter (§ 135) dürfen nicht vor sechs Uhr morgens beginnen und nicht über acht Uhr abends dauern. Zwischen den Arbeitsstunden müssen an jedem Arbeitstage regelmäßige Pausen gewährt werden. Für jugendliche Arbeiter, welche nur sechs Stunden täglich beschäftigt werden, muß die Pause mindestens eine halbe Stunde betragen. Den übrigen jugendlichen Arbeitem muß mindestens mittags eine einstündige sowie vormittags und nachmittags je eine halbstündige Pause gewährt werden. Eine Bor- und Nachmittagspause braucht nicht gewährt zu werden, sofern die jugendlichen Arbeiter täglich nicht länger als acht Stunden beschäftigt werden, und die Dauer ihrer durch eine Pause nicht unterbrochenen Arbeitszeit am Bor- und Nachmittage je vier Stunden nicht übersteigt. Während der Pausen darf den jugendlichen Arbeitern eine Beschäf­ tigung im Betrieb überhaupt nicht und der Aufenthalt in den Arbeits­ räumen nur dann gestattet werden, wenn in denselben diejenigen Teile des Betriebs, in welchen jugendliche Arbeiter beschäfttgt sind, für die Zeit der Pausen völlig eingestellt werden oder wenn der Aufenthalt im Freien nicht tunlich und andere geeignete Aufenthaltsräume ohne unverhältnis­ mäßige Schwierigkeiten nicht beschafft werden können. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist den jugendlichen Arbeitem eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren. An Sonn- und Festtagen sowie während der von dem ordentlichen Seelsorger für den Katechumenen- und Konfirmanden-, Beicht- und Kom­ munionunterricht bestimmten Stunden dürfen jugendliche Arbeiter nicht beschäftigt werden. § 137. Arbeiterinnen dürfen nicht in der Nachtzeit von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens und am Sonnabend sowie an Vorabenden der Festtage nicht nach fünf Uhr nachmittags beschäfttgt werden. Die Beschäftigung von Arbeiterinnen darf die Dauer von zehn Stunden täglich, an den Vorabenden der Sonn- und Festtage von acht Stunden, nicht überschreiten. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Zwischen den Arbeitsstunden muß den Arbeiterinnen eine mindestens einstündige Mittagspause gewährt werden. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist den Arbeiterinnen eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren. Arbeiterinnen, welche ein Hauswesen zu besorgen haben, sind auf ihren Antrag eine halbe Stunde "vor der Mittagspause zu entlassen, sofern diese nicht mindestens ein und eine halbe Stunde beträgt. Arbeiterinnen dürfen vor und nach ihrer Niederkunft im ganzen während acht Wochen nicht beschäftigt werden. Ihr Wiedereintritt ist an den Aus­ weis geknüpft, daß seit ihrer Niederkunft wenigstens sechs Wochen ver­ flossen sind. Arbeiterinnen dürfen nicht in Kokereien und nicht zum Transporte von Materialien bei Bauten aller Art verwendet werden.

§ 137 a. Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern darf für die Tage, an welchen sie in dem Betriebe die gesetzlich zulässige Arbeitszeit hindurch beschäftigt waren, Arbeit zur Verrichtung außerhalb des Betriebs vom Arbeitgeber überhaupt nicht übertragen oder für Rechnung Dritter über­ wiesen werden. Für die Tage, an welchen die Arbeiterinnen oder jugendlichen Arbeiter in dem Betriebe kürzere Zeit beschäftigt waren, ist diese Übertragung oder Überweisung nur in dem Umfange zulässig, in welchem Durchschnittsarbeiter ihrer Art die Arbeit voraussichtlich in dem Betriebe während des Restes der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit würden herstellen können, und für Sonnund Festtage überhaupt nicht. Bei Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des Abs. 2 kann die zuständige Polizeibehörde auf Antrag oder nach Anhörung des zu­ ständigen Gewerbeaufsichtsbeamten (§ 139 b) im Wege der Verfügung für einzelne Betriebe die Übertragung oder Überweisung solcher Arbeit entsprechend den Bestimmungen des Abs. 2 beschränken oder von beson­ deren Bedingungen abhängig machen. Bor Maß solcher Verfügungen hat der Gewerbeaufsichtsbeamte beteiligten Arbeitgebern und Arbeitern, wo ständige Arbeiterausschüsse (§ 134 h) bestehen, diesen Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Gegen die Verfügung der Polizeibehörde steht dem Gewerbeunter­ nehmer binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungs­ behörde zu. Gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde ist binnen vier Wochen die Beschwerde an die Zentralbehörde zulässig; diese entscheidet endgültig.

§ 138. Sollen Arbeiterinnen oder jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, so hat der Arbeitgeber vor dem Beginne der Beschäftigung der Ortspolizeibehörde eine schriftliche Anzeige zu machen. In der Anzeige sind der Betrieb, die Wochentage, an welchen die Beschäftigung stattfinden soll, Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen sowie die Art der Beschäftigung anzugeben. Eine Änderung hierin darf, abgesehen von Ver­ schiebungen, welche durch Ersetzung behinderter Arbeiter für einzelne Ar­ beitsschichten notwendig werden, nicht erfolgen, bevor eine entsprechende weitere Anzeige der Behörde gemacht ist. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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6. Gewerbeordnung.

In jedem Betriebe hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, daß in den» jenigen Räumen, in welchen jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, an einer in die Augen fallenden Stelle ein Verzeichnis der jugendlichen Ar­ beiter unter Angabe ihrer Arbeitstage sowie des Beginns und Endes ihrer Arbeitszeit und der Pausen ausgehängt ist. Ebenso hat er dafür zu sorgen, daß in den betreffenden Räumen eine Tafel ausgehängt ist, welche in der von der Zentralbehörde zu bestimmenden Fassung und in deutlicher Schrift einen Auszug aus den Bestimmungen über die Beschäftigung der Ar­ beiterinnen und jugendlichen Arbeiter enthält. § 138 a. Wegen außergewöhnlicher Häufung der Arbeit kann auf Antrag des Arbeitgebers die untere Verwaltungsbehörde auf die Dauer von zwei Wochen die Beschäftigung von Arbeiterinnen über sechzehn Jahre bis neun Uhr abends an den Wochentagen außer Sonnabend unter der Voraussetzung gestatten, daß die tägliche Arbeitszeit zwölf Stunden nicht überschreitet und die zu gewährende ununterbrochene Ruhezeit nicht weniger als zehn Stunden beträgt. Innerhalb eines Kalenderjahrs darf die Er­ laubnis einem Arbeitgeber fiir seinen Betrieb oder für eine Abteilung seines Betriebs für mehr als vierzig Tage nicht erteilt werden. Für eine zwei Wochen übersteigende Dauer kann die gleiche Erlaubnis nur von der höheren Verwaltungsbehörde und auch von dieser für mehr als vierzig Tage, jedoch nicht für mehr als fünfzig Tage im Jahre nur dann erteilt werden, wenn die Arbeitszeit für den Betrieb oder die be­ treffende Abteilung des Betriebs so geregelt wird, daß die tägliche Dauer im Durchschnitte der Betriebstage des Jahres die regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit nicht überschreitet. Der Antrag ist schriftlich zu stellen und muß den Grund, aus welchem die Erlaubnis beantragt wird, die Zahl der in Betracht kommenden Ar­ beiterinnen, das Maß der längeren Beschäftigung sowie den Zeitraum angeben, für welchen dieselbe stattfinden soll. Der Bescheid der unteren Verwaltungsbehörde auf den Antrag ist binnen drei Tagen schriftlich zu erteilen. Gegen die Versagung der Erlaubnis steht die Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zu. Die untere Verwaltungsbehörde hat über die Fälle, in welchen die Erlaubnis etreilt worden ist, ein Verzeichnis zu führen, in welches der Name des Arbeitgebers und die für den schriftlichen Antrag vorgeschriebenen Angaben einzutragen sind. Die untere Verwaltungsbehörde kann die Beschäftigung von Ar­ beiterinnen über sechzehn Jahre, welche kein Hauswesen zu besorgen haben, und eine Fortbildungsschule nicht besuchen, bei den im § 105 c Abs. 1 unter Ziff. 3 und 4 bezeichneten Arbeiten an Sonnabenden und Vorabenden von Festtagen nachmittags nach fünf Uhr, jedoch nicht über acht Uhr abends hinaus, unter der Voraussetzung gestatten, daß diese Arbeiterinnen am folgenden Sonn- oder Festtage arbeitsfrei bleiben. Die Erlaubnis ist schriftlich zu erteilen. Eine Abschrift derselben ist in denjenigen Räumen, in welchen die Arbeiterinnen beschäftigt werden, an einer in die Augen fallenden Stelle auszuhängen. § 139. Wenn Naturereignisse oder Unglücksfälle den regelmäßigen Be­ trieb einer Anlage unterbrochen haben, so können Ausnahmen von den im Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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§ 135 Abs. 2, 3, in § 136, § 137 Abs. 1 bis 4 vorgesehenen Beschränkungen auf die Dauer von vier Wochen durch die höhere Verwaltungsbehörde, auf längere Zeit durch den Reichskanzler zugelassen werden. In dringenden Fällen solcher Art sowie zur Verhütung von Unglücksfällen kann die untere Verwaltungsbehörde, jedoch höchstens auf die Dauer von vierzehn Tagen, solche Ausnahmen gestatten. Wenn die Natur des Betriebs oder Rücksichten auf die Arbeiter in einzelnen Anlagen es erwünscht erscheinen lassen, daß die Arbeitszeit der Arbeiterinnen oder jugendlichen Arbeiter in einer anderen als der durch § 136 Abs. 1,2,4, § 137 Abs. 1,3 vorgesehenen Weise geregelt wird, so kann auf besonderen Antrag eine anderweite Regelung hinsichtlich der Pausen durch die höhere Verwaltungsbehörde, im übrigen durch den Reichskanzler gestattet werden. Jedoch dürfen in solchen Fällen die jugendlichen Arbeiter nicht länger als sechs Stunden beschäftigt werden, wenn zwischen den Ar­ beitsstunden nicht Pausen von zusammen mindestens einstündiger Dauer gewährt werden. Die auf Grund vorstehender Bestimmungen zu treffenden Verfügungen müssen schriftlich erlassen werden. Vor Erlaß von Verfügungen auf Gmnd des Ms. 2 ist den Arbeitem, und, wo ständige Arbeiterausschüsse auf Gmnd reichsgesetzlicher oder landesgesetzlicher Vorschriften bestehen, diesen Ge­ legenheit zu geben, sich gutachtlich zu äußern. § 139 a. Der Bundesrat ist ermächtigt: 1. die Verwendung von Arbeiterinnen sowie von jugendlichen Arbeitem für gewisse Gewerbezweige, die mit besonderen Gefahren für Ge­ sundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich zu untersagen, oder von besonderen Bedingungen abhängig zu machen; 2. für Anlagen, die mit ununterbrochenem Feuer betrieben werden oder die sonst durch die Art des Betriebs auf eine regelmäßige Tagund Nachtarbeit angewiesen sind, sowie für solche Anlagen, deren Betrieb eine Einteilung in regelmäßige Arbeitsschichten von gleicher Dauer nicht gestattet oder seiner Natur nach auf bestimmte Jahres­ zeiten beschränkt ist, Ausnahmen von den im § 135 Abs. 2, 3, § 136, § 137 Abs. 1 bis 3 vorgesehenen Bestimmungen zuzulassen, soweit § 136 Abs. 3 in Betracht kommt, jedoch nur für männliche jugend­ liche Arbeiter; 3. für gewisse Gewerbezweige, soweit die Natur des Betriebs oder die Rücksicht auf die Arbeiter es erwünscht erscheinen lassen, die Abkürzung oder den Wegfall der für jugendliche Arbeiter vorgeschrie­ benen Pansen zu gestatten; 4. für Gewerbezweige, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, auf höchstens vierzig Tage im Kalenderjahr Ausnahmen von den Bestimmungen des § 137 Abs. 1, 2, 4 mit der Maßgabe zuzulassen, daß die tägliche Arbeitszeit zwölf Stunden, an Sonnabenden acht Stunden nicht überschreitet und die zu gewährende ununterbrochene Ruhezeit nicht weniger als zehn Stunden beträgt. In der ununterbrochenen Ruhezeit müssen die Stunden zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr morgens liegen; Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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6. Gewerbeordnung.

5. für Gewerbezweige, in denen die Verrichtung der Nachtarbeit zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen dringend erforderlich erscheint, Ausnahmen von den Bestimmungen des § 137 Abs. 1 bis 4 mit der Maßgabe zuzulassen, daß die ununterbrochene Ruhezeit an höchstens sechzig Tagen im Kalenderjahre bis auf achteinhalb Stunden täglich herab­ gesetzt werden darf. In den Fällen zu 2 darf tote Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit für Kinder sechsunddreißig Stunden, für junge Leute sechzig, für Arbeiterinnen achtundfünfzig Stunden nicht überschreiten. Die Nachtarbeit darf in vier­ undzwanzig Stunden die Dauer von zehn Stunden nicht überschreiten und muß in jeder Schicht durch eine oder mehrere Pausen in der Gesamtdauer von mindestens einer Stunde unterbrochen sein. Die Tagschichten und Nachtschichten müssen wöchentlich wechseln. In den Fällen zu 3 dürfen die jugendlichen Arbeiter nicht länger als sechs Stunden beschäftigt werden wenn zwischen den Arbeitsstunden nicht eine oder mehrere Pausen von zusammen mindestens einstündiger Dauer gewährt werden. In den Fällen zu 4 darf die Erlaubnis zur Überarbeit für mehr als vierzig Tage, jedoch nicht für mehr als fünfzig Tage dann erteilt werden, wenn die Arbeitszeit in der Weise geregelt wird, daß ihre tägliche Dauer im Durchschnitte der Betriebstage des Jahres die regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit nicht überschreitet.

Die durch Beschluß des Bundesrats getroffenen Bestimmungen sind zeitlich zu begrenzen und können auch für bestimmte Bezirke erlassen werden. Sie sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichs­ tage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme vorzulegen.

§ 139 a a. Auf die Arbeiter in den unter Abschnitt IV fallenden Be­ trieben finden im übrigen die Bestimmungen der §§121 bis 125 oder, wenn sie als Lehrlinge anzusehen sind, die Bestimmungen der §§ 126 6iM28 Anwendung. V. Aufsicht.

§ 139 d. ^Die Aufsicht über die Ausführung der Bestimmungen der §§ 105 a, 105 d Abs. 1, der §§ 105 c bis h, 120 a bis 120 f, 133 g bis 139 a a ist ausschließlich oder neben den ordentlichen Polizeibehörden besonderen von den Landesregierungen zu ernennenden Beamten zu übertragen. Denselben stehen bei Ausübung dieser Aufsicht alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht zur jederzeitigen Revision der Anlagen zu. Sie sind, vorbehaltlich der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, zur Geheimhaltung der amtlich zu ihrer Kenntnis gelangenden Geschäfts­ und Betriebsverhälnisse der ihrer Revision unterliegenden Anlagen zu verpflichten. Die Ordnung der Zuständigkeitsverhältnisse zwischen diesen Beamten und den ordentlichen Polizeibehörden bleibt der verfassungsmäßigen Re­ gelung in den einzelnen Bundesstaaten Vorbehalten. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweite« Ausgabe neu aufgenommenen.

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6. Gewerbeordnung.

Die erwähnten Beamten haben Jahresberichte über chre amtliche Tätigkeit zu erstatten. Diese Jahresberichte oder Auszüge aus denselben sind dem Bundesrat und dem Reichstage vorzulegen. Die auf Grund der Bestimmungen der §§ 105 a bis 105 h, 120 a bis 120 f, 133 g bis 139 aa auszuführenden amtlichen Revisionen müssen die Arbeitgeber zu jeder Zeit, namentlich auch in der Nacht, während des Betriebs gestatten. Die Arbeitgeber sind ferner verpflichtet, den genannten Beamten oder der Polizeibehörde diejenigen statistischen Mitteilungen über die Verhält­ nisse ihrer Arbeiter zu machen, welche vom Bundesrat oder von der LandesZentralbehörde unter Festsetzung der dabei zu beobachtenden Fristen und Formen vorgeschrieben werden.

VL Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in offenen Verkaufsstellen. § 139 c. In offenen Verkaufsstellen und den dazu gehörenden Schreibstuben (Kontore) und Lagerräumen ist den Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitem nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununter­ brochene Ruhezeit von mindestens zehn Stunden zu gewähren. In Gemeinden, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung mehr als zwanzigtausend Einwohner haben, muß die Ruhezeit in offenen Ver­ kaufsstellen, in denen zwei oder mehr Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt werden, für diese mindestens elf Stunden betragen: für kleinere Ortschaften kann diese Ruhezeit durch Ortsstatut vorgeschrieben werden. Innerhalb der Arbeitszeit muß den Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitem eine angemessene Mttagspause gewährt werden. Für Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter, die ihre Hauptmahlzeit außerhalb des die Verkaufsstelle ent­ haltenden Gebäudes einnehmen, muß diese Pause mindestens ein und eine halbe Stunde betragen. Kann eine Angestellte in einem Warenhause sofort entlassen werden, wenn sie sich weigert, Dienststunden innezuhalten, durch die die gesetzliche Mindestruhezeit verletzt wird? S. 433.

§ 139 d. Die Bestimmungen des § 139 c finden keine Anwendung 1. auf Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von Waren un­ verzüglich vorgenommen werden müssen, 2. für die Aufnahme der gesetzlich vorgeschriebenen Inventur sowie bei Neueinrichtungen und Umzügen, 3. außerdem an jährlich höchstens dreißig von der Ortsbolizeibehörde allgemein oder für einzelne Geschäftszweige zu bestimmenden Tagen.

§ 139 e. Von neun Uhr abends bis fünf Uhr morgens müssen offene Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein. Die beim Ladenschluß im Laden schon anwesenden Kunden dürfen noch bedient werden. Über neun Uhr abends dürfen Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr geöffnet sein 1. für unvorhergesehene Notfälle, 2. an höchstens vierzig von der Ortspolizeibehörde zu bestimmenden Tagen, jedoch bis spätestens zehn Uhr abends, Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen,

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5. Gewerbeordnung.

3. nach näherer Bestimmung der höheren Verwaltungsbehörde in Städten, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung weniger als zweitausend Einwohner haben, sowie in ländlichen Gemeinden, sofern in denselben der Geschäftsverkehr sich vornehmlich auf einzelne Tage der Woche oder auf einzelne Stunden des Tages beschränkt. Die Bestimmungen der §§ 139 c und 139 d werden durch die vor­ stehenden Bestimmungen nicht berührt. Während der Zeit, wo die Verkaufsstellen geschlossen sein müssen, ist das Feilbieten von Waren auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorherige Bestellung von Haus zu Haus im stehenden Gewerbebetriebe (§ 42 b Abs. 1 Ziff. 1) sowie im Gewerbebetrieb im Umherziehen (§ 55 Abs. 1 Ziff. 1) verboten. Ausnahmen können von der Ortspolizeibehörde zugelassen werden. Die Besümmung des § 55 a Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. § 139 k. Auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der beteiligten Geschäftsinhaber kann für eine Gemeinde oder mehrere örtlich unmittelbar zusammenhängende Gemeinden durch Anordnung der höheren Verwaltungs­ behörde nach Anhörung der Gemeindebehörden für alle oder einzelne Ge­ schäftszweige angeordnet werden, daß die offenen Verkaufsstellen während bestimmter Zeiträume oder während des ganzen Jahres auch in der Zeit zwischen acht und neun Uhr abends und zwischen fünf und sieben Uhr morgens für den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein müssen. Die Be­ stimmungen der §§ 139 c und 139 d werden hierdurch nicht berührt. Auf Antrag von mindestens einem Drittel der beteiligten Geschäfts­ inhaber hat die höhere Verwaltungsbehörde die beteiligten Geschäftsinhaber durch ortsübliche Bekanntmachung oder besondere Mitteilung zu einer Äußerung für oder gegen die Einführung des Ladenschlusses im Sinne des vorstehenden Absatzes aufzufordern. Erklären sich zwei Drittel der Ab­ stimmenden für die Einführung, so kann die höhere Verwaltungsbehörde die entsprechende Anordnung treffen. Der Bundesrat ist befugt, Bestimmungen darüber zu erlassen, in welchem Verfahren die erforderliche Zahl von Geschäftsinhabern festzu­ stellen ist. Während der Zeit, wo Verkaufsstellen auf Grund des Abs. 1 geschlossen sein müssen, ist der Verkauf von Waren der in diesen Verkaufsstellen ge­ führten Art sowie das Feilbieten von solchen Waren auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorherige Bestellung von Haus zu Haus im stehenden Gewerbebetriebe (§ 42 b Abs. 1 Ziff. 1) sowie im Gewerbebetrieb im Umherziehen (§ 55 Abs. 1 Ziff. 1) verboten. Ausnahmen können von der Ortspolizeibehörde zugelassen werden. Die Bestimmung des § 55 a Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. § 139 g. Die Polizeibehörden sind befugt, im Wege der Verfügung für einzelne offene Verkaufsstellen diejenigen Maßnahmen anzuordnen, welche zur Durchführung der im § 62 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs ent­ haltenen Grundsätze in Ansehung der Einrichtung und Unterhaltung der Geschäftsräume und der für den Geschäftsbetrieb bestimmten Vorrichtungen und Gerätschaften sowie in Ansehung der Regelung des Geschäftsbetriebs erforderlich und nach der Beschaffenheit der Anlage ausführbar erscheinen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu ausgenommenen.

5. Gewerbeordnung.

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Die Bestimmungen int § 120 d Abs. 2 bis 4 finden entsprechende An­ wendung. § 139 h. Durch Beschluß des Bundesrats können Vorschriften darüber erlassen werden, welchen Anforderungen die Laden-, Arbeits- und Lager­ räume und deren Einrichtung sowie die Maschinen und Gerätschaften zum Zwecke der Durchführung der im § 62 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs ent» haltenen Grundsätze zu genügen haben. Die Bestimmungen im § 120 g finden Anwendung. Soweit solche Vorschriften durch Beschluß des Bundesrats nicht er­ lassen sind, können sie durch Anordnung der im § 120 e Abs. 2 bezeichneten Behörden erlassen werden. § 139 i. Die durch § 76 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs sowie durck § 120 Abs. 1 begründete Verpflichtung des Geschäftsinhabers findet an Orten, wo eine vom Staate oder der Gemeindebehörde anerkannte Fach­ schule besteht, hinsichtlich des Besuchs dieser Schule entsprechende An­ wendung. Der Geschäftsinhaber hat die Gehilfen und Lehrlinge unter achtzehn Jahren zum Besuche derFortbildungs- und Fachschule anzuhalten und den Schulbesuch zu überwachen. § 139 k. Für jede offene Verkaufsstelle, in welcher in der Regel min­ destens zwanzig Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt werden, ist innerhalb vier Wochen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes oder nach der Eröffnung des Betriebs eine Arbeitsordnung zu erlassen. Auf die Arbeitsordnung finden die Vorschriften der §§ 134 a, 134 b Abs. 1 Ziff. 1 bis 4, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, des § 134 c Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und 3, des § 134 d Abs. 1 und der §§ 134 e, 134 f entsprechende Anwendung. Andere als die in der Arbeitsordnung oder in den §§ 71 und 72 des Handelsgesetzbuchs vorgesehenen Gründe der Entlassung und des Aus­ tritts aus der Arbeit dürfen im Arbeitsvertrage nicht vereinbart werden. Die verhängten Geldstrafen sind in ein Verzeichnis einzutragen, welches den Namen des Bestraften, den Tag der Bestrafung sowie den Grund und die Höhe der Strafe ergeben und auf Erfordern der Ortspolizeibehörde jederzeit zur Einsicht vorgelegt werden muß. Auf Arbeitsordnungen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen worden sind, finden die Bestimmungen der §§ 134 a, 134 d Abs. 1 Ziff. 1 bis 4, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, des § 134 c Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und 3, des § 134 e Abs. 2 und des § 134 f entsprechende Anwendung. Dieselben sind binnen vier Wochen der unteren Verwaltungsbehörde in zwei Aus­ fertigungen einzureichen. Auf spätere Abänderungen dieser Arbeits­ ordnungen und auf die seit dem 1. Oktober 1899 erstmalig erlassenen Arbeitsordnungen finden der § 134 d Ms. 1 und der § 134 d Abs. 1 ent­ sprechende Anwendung. Wird eine Vereinbarung, durch welche Gehaltszahlung für den Krankheitsfall des Angestellten ausgeschlossen werden soll, durch eine Arbeitsordnung aufgehoben, die vor dieser Vereinbarung erlassen, aber erst später in Kraft getreten ist? S. 434.

§ 1391. Auf das Halten von Lehrlingen in offenen Verkaufsstellen sowie in anderen Betrieben des Handelsgewerbes findet die Bestimmung des § 128 Anwendung. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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6. Handelsgesetzbuch.

§ 139 m. Die Bestimmungen der §§ 139 c bis 139 i finden auf den Geschäftsbetrieb der Konsum- und anderer Vereine entsprechende An­ wendung.

Titel X. Strafbestimmungen. § 152. Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Ar­ beitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Ent­ lassung der Arbeiter, werden aufgehoben. Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus letzteren weder Klage noch Ein­ rede statt. Ist der Tarifvertrag eine Koalition 8. 2)1. Beseitigt die den Arbeitern durch § 152 GO. gewährte Koalitionsfreiheit den wegen Vertragsbruchs vom Arbeitgeber aus § 124 b hergeleiteten Entschädigungsanspruch ? 8. 386. Ist die Vereinbarung des Austritts aus einer Koalition ein Verstoß gegen die guten Sitten? S. 435. Vertragsmäßiges Koalitionsverbot. Kann der Arbeiter sofort entlassen werden, weil er bei seiner Einstellung verschwiegen hat, daß er Mitglied einer Gewerkschaft ist? S. 436. Ist eine Vereinbarung rechtsgültig, nach der sich der Arbeiter verpflichtet, keinem Arbeiterverbande beizutreten? S. 438. Darf dem Arbeiter gekündigt werden, weil er sich weigert, aus einer Organisation auszutreten? S. 441. Kann der Arbeiter den Arbeitsvertrag anfechten, weil ihm verschwiegen ist, daß er Streikarbeit leisten soll? Verstößt der Streikbruch gegen die guten Sitten? S. 599. Können Handlungsgehilfen sofort entlassen werden, wenn sie unter Androhung der Kollektivkündigung höheres Gehalt fordern? S. 517,

6. Auszug aus dem Handelsgesetzbuch. Erstes Buch Handrlsstand. Erster Abschnitt.

Kaufleute. § 1. Kaufmann im Sinne dieses Gesetzbuchs ist, wer ein Handels­ gewerbe betreibt. Als Handelsgewerbe gilt jeder Gewerbebetrieb, der eine der nach­ stehend bezeichneten Arten von Geschäften zum Gegenstände hat: 1. die Anschaffung und Weiterveräußerung von beweglichen Sachen (Waren) oder Wertpapieren, ohne Unterschied, ob die Waren un­ verändert oder nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung weiter veräußert werden; 2. die Übernahme der Bearbeitung oder Verarbeitung von Waren für andere, sofern der Betrieb über den Umfang des Handwerks hinausgeht; 3. die Übernahme von Bersichemngen gegen Prämie; 4. die Banker- und Geldwechslergeschäfte; Lateinischer Dmck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Dmck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

6. Handelsgesetzbuch.

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5. die Übernahme der Beförderung von Gütem oder Reisenden zur See, die Geschäfte der Frachtführer oder der zur Beförderung von Personen zu Lande oder auf Binnengewässern bestimmten An­ stalten sowie die Geschäfte der Schleppschiffahrtsunternehmer; 6. die Geschäfte der Kommissionäre, der Spediteure oder der LagerHalter; 7. die Geschäfte der Handlungsagenten oder der Handelsmäkler; 8. die Verlagsgeschäfte sowie die sonstigen Geschäfte des Buch- oder Kunsthandels: 9. die Geschäfte der Druckereien, sofern ihr Betrieb über den Umfang des Handwerks hinausgeht. § 2. Ein gewerbliches Unternehmen, das nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, gilt, auch wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 nicht vorliegen, als Handelsgewerbe im Sinne dieses Gesetzbuchs, sofern die Firma des Unter­ nehmers in das Handelsregister eingetragen worden ist. Der Unternehmer ist verpflichtet, die Eintragung nach den für die Eintragung kaufmännischer Firmen geltenden Vorschriften herbeizuführen. § 3. Auf den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft finden die Vor­ schriften der §§ 1, 2 keine Anwendung. Ist mit dem Betriebe der Land- oder Forstwirtschaft ein Unternehmen verbunden, das nur ein Nebengewerbe des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs darstellt, so findet auf dieses der § 2 mit der Maßgabe Anwendung, daß der Unternehmer berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, die Eintragung in das Handelsregister herbeizufl'chren; werden in dem Nebengewerbe Ge­ schäfte der im § 1 bezeichneten Art geschlossen, so gilt der Betrieb dessen­ ungeachtet nur dann als Handelsgewerbe, wenn der Unternehmer von der Befugnis, seine Firma gemäß §2 in das Handelsregister eintragen zu lassen, Gebrauch gemacht hat. Ist die Eintragung erfolgt, so findet eine Löschung der Firma nur nach den allgemeinen Vorschriften statt, welche für die Löschung kaufmännischer Firmen gelten. § 4. Die Vorschriften über die Firmen, die Handelsbücher und die Prokura finden auf Handwerker sowie auf Personen, deren Gewerbebetrieb nicht über den Umfang des Kleingewerbes hinausgeht, keine Anwendung. Durch eine Vereinigung zum Betrieb eines Gewerbes, auf welches die bezeichneten Vorschriften keine Anwendung finden, kann eine offene Handelsgesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft nicht begründet werden. Die Landesregierungen sind befugt, Bestimmungen zu erlassen, durch welche die Grenze des Kleingewerbes auf der Grundlage der nach dem Geschäftsumfange bemessenen Steuerpflicht oder in Ermangelung einer solchen Besteuerung nach anderen Merkmalen näher festgesetzt wird. § 5. Ist eine Firma im Handelsregister eingetragen, so kann gegen­ über demjenigen, welcher sich auf die Eintragung beruft, nicht geltend gemacht werden, daß das unter der Firma betriebene Gewerbe kein Handelsgewerbe sei oder daß es zu den im § 4 Ms. 1 bezeichneten Betrieben gehöre. § 6. Die in betreff der Kaufleute gegebenen Vorschriften finden auch auf die Handelsgesellschaften Anwendung. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Die Rechte und Pflichten eines Vereins, dem das Gesetz ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Unternehmens die Eigenschaft eines Kauf­ manns beilegt, werden durch die Vorschrift des § 4 Abs. 1 nicht berührt. § 7. Durch die Vorschriften des öffentlichen Rechtes, nach welchen die Befugnis zum Gewerbebetrieb ausgeschlossen oder von gewissen Vor­ aussetzungen abhängig gemacht ist, wird die Anwendung der die Kaufleute betreffenden Vorschriften dieses Gesetzbuchs nicht berührt.

Sechster Abschnitt. Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge. § 59. Wer in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste gegen Entgelt angestellt ist (Handlungsgehilfe), hat, soweit nicht besondere Vereinbarungen über die Art und den Umfang seiner Dienst­ leistungen oder über die ihm zukommende Vergütung getroffen sind, die dem Ortsgebrauch entsprechenden Dienste zu leisten sowie die dem Orts­ gebrauch entsprechende Vergütung zu beanspruchen. In Ermangelung eines Ortsgebrauchs gelten die den Umständen nach angemessenen Seiftungen als vereinbart. Handlungsgehilfe oder Gewerbegehilfe? Ist auch derjenige Handlungsgehilfe, der in einem kaufmännischen Geschäft lediglich Handlangerdienste leistet? 8. 106. Stenograph - Maschinenschreiber. S. 106. Registrator S. 144. Mit der Führung von Lohnlisten und der Berechnung der Kranken- und Jnvalidenverficherungsbeiträge beschäftigter Angestellter im Abrechnungsbureau einer Fabrik S. 145. Werkstattschreiber. S. 106. „Volontär" in der Konfektionsbranche, der zur Ausbildung als Änrichter arbeitet S. 107. Zeitungsredakteur S. 137. Berichterstatter einer Zei­ tung S. 107. Korrektor einer Tageszeitung 8.107. Kolporteur 8.108. Direktrice eines Putzgeschäftes S. 108. Schaufensterdekorateur 8. 109. Verkäuferin bei einem Bäcker 8. 109. Schlächtermamsell S. 141. Bierfahrer 8. 109. Milchkutscher 8. 112. Verkäufer in einer Trinkhalle 8. 112. Hotelsekretär 8. 114. Kellner 8. 114. Ge­ schäftsführer eines Schankwirts (Aschingers Bierquelle) 8. 114. Von einer Brauerei eingesetzter Leiter einer Gastwirtschaft 139. Wechselkassiererin im Automatenrestau­ rant S. 140. Bayrischer Straßenbahnschaffner 8. 114. Omnibusschaffner 8. 114. Platzanweiser auf dem Stätteplatz 8. 114. Angestellter eines Detektivbureaus 8. 114. Packerin im Warenhause S. 142. Hausmeister in einem Kaufhause S. 143. Handlungsgehilfen oder Unternehmer? Stundenbuchhalter und Bücherrevisoren S. 146, 147. Wodurch unterscheiden sich Handlungsagent und Hand­ lungsreisender S. 147. „Agenten" der Singer-Kompanie S. 152. Von einem Kauf­ mann angenommener Hausierer, dessen Entlohnung lediglich in einer Quote des Er­ löses besteht S. 155. Versicherungsinspektor, dem ein Minimaleinkommen garantiert ist S. 156. Ist der Volontär Handlungsgehilfe? S. 136. Geschäftsführer einer G. m. b. H. S. 130. Vorsteher einer Zweigniederlassung und G. m. b. H. S. 130. Angestellte der Versicherungsvereine a. G. S. 131, einer Kon­ sumgenossenschaft S. 133, eines Pfandleihers S. 133, der Buchstelle einer Landwirt­ schaftskammer S. 134. Überstunden. Kann der Handlungsgehilfe Bezahlung von Überstunden ver­ langen? S. 442. Kann der Handlungsgehilfe Bezahlung von Überstunden verlangen, in denen er zu Dienstleistungen verwendet wird, die nicht zu seinen Vertragspflichten gehören? S. 443. Gratifikationen. Unter welchen Umständen besteht ein Rechtsanspruch auf Gratifikation? S. 444. Ist die Weihnachtsgratifikation anteilig zu zahlen, wenn der Handlungsgehilfe vor Weihnachten ausscheidet? S. 445. Ist die Jahresgratifikation an­ teilig zu zahlen, wenn der Angestellte im Laufe des Jahres ausscheidet? S. 446. Besteht ein Recht auf Weihnachtsgratifikation, wenn der Gehilfe zur Weihnachtszeit nicht mehr

Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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im Geschäft tätig war? S. 447. Erwirbt der Angestellte einen Rechtsanspruch auf die Weihnachtsgratifikation, wenn ihm eine solche regelmäßig jahrelang gezahlt worden ist? S. 447. Ist eine zugesicherte Weihnachtsgratifikation auch zu zahlen, wenn der Prin­ zipal seine Zahlungen eingestellt hat? S. 448. Ist eine zugesicherte Gratifikation anteilig zu leisten, wenn der Gehilfe während des Geschäftsjahres aus dem Dienst ausscheidet? S. 449. Ist eine vertragsmäßig „beim Bücherabschluß" zu zahlende Jahresgratifikation auch anteilig zu leisten? — Darf der Prinzipal die Gratifikation unter die Höhe der schon einmal gewährten herabzusetzen? S. 450. Spesen. Hat der Handlungsreisende, der nicht auf die Reise geschickt wird, Anspruch auf Ersatz entgangener Spesen? S. 450. Kann ein vorzeitig entlassener Reisender Spesenentschädigung verlangen? S. 451. Hat der „Saisonreisende" nach Kündigung Anspruch darauf, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auf eine neue Reise ausgeschickt zu werden? Hastet der Prinzipal für den Schaden, der dem Reisenden durch Verlust der Spesen entsteht? S. 452. Hat der Handlungsreisende ein Zurückbehaltungsrecht an der Mustersammlung des Prinzipals? S. 454.

§ 60. Der Handlungsgehilfe darf ohne Einwilligung des Prinzipals weder ein Handelsgewerbe betreiben noch in dem Handelszweige des Prizipals für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen. Die Einwilligung zum Betrieb eines Handelsgewerbes gilt als erteilt, wenn dem Prinzipal bei der Anstellung des Gehilfen bekannt ist, daß er das Gewerbe betreibt, und der Prinzipal die Aufgabe des Betriebs nicht ausdrücklich vereinbart. Bezieht sich das Verbot des Betriebes eines eigenen Handelsgewerbes auch auf Vorbereitungen für einen erst vach der Entlassung zu eröffnenden Betrieb? S. 454. Steht dem Prinzipal gegen den Handlungsgehilfen ein gesetzlicher Anspruch auf Unter­ lassung von Diensten bei einem andern Prinzipal zu? S. 455.

§ 61. Verletzt der Handlungsgehilfe die ihm nach § 60 obliegende Verpflichtung, so kann der Prinzipal Schadensersatz fordern; er kann statt dessen verlangen, daß der Handlungsgehilfe die für eigene Rechnung ge­ machten Geschäfte als für Rechnung des Prinzipals eingegangen gelten lasse und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgebe oder seinen Anspruch auf die Vergütung abtrete. Die Ansprüche verjähren in drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in welchem der Prinzipal Kenntnis von dem Abschlüsse des Geschäfts erlangt; sie verjähren ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in fünf Jahren von dem Abschlüsse des Geschäfts an. § 62. Der Prinzipal ist verpflichtet, die Geschäftsräume und die für deir Geschäftsbetrieb bestimmten Vorrichtungen und Gerätschaften so ein­ zurichten und zu unterhalten, auch den Geschäftsbetrieb und die Arbeitszeit so zu regeln, daß der Handlungsgehilfe gegen eine Gefährdung seiner Ge­ sundheit, soweit die Natur des Betriebs es gestattet, geschützt und die Auf­ rechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes gesichert ist. Ist der Handlungsgehilfe in die häusliche Gemeinschaft ausgenommen, so hat der Prinzipal in Ansehung des Wohn- und Schlafraums, der Ver­ pflegung sowie der Arbeits- und Erholungszeit diejenigen Einrichtungen und Anordnungen zu treffen, welche mit Rücksicht auf die Gesundheit, die Sittlichkeit und die Religion des Handlungsgehilfen erforderlich sind. Erfüllt der Prinzipal die chm in Ansehung des Lebens und der Ge­ sundheit des Handlungsgehilfen obliegenden Verpflichtungen nicht, so finden auf seine Verpflichtung zum Schadensersätze die für unerlaubte Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Handlungen geltenden Vorschriften der §§ 842 bis 846 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung. Die dem Prinzipal hiernach obliegenden Verpflichtungen können im voraus durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden. § 63. Wird der Handlungsgehilfe durch unverschuldetes Unglück an der Leistung der Dienste verhindert, so behält er seinen Anspruch auf Gehalt und Unterhalt, jedoch nicht über die Dauer von sechs Wochen hinaus. Der Handlungsgehilfe ist nicht verpflichtet, sich den Betrag anrechnen zu lassen, der ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer Kranken- oder Unfallversicherung zukommt. Eine Vereinbarung, welche dieser Vorschrift zuwiderläuft, ist nichtig. Kann mit einem Handlungsgehilfen vereinbart werden, daß er für die Zeit seiner Erkrankung kein Gehalt bekommen soll? S. 456. Ist eine Vereinbarung zulässig, daß dem Handlungsgehilfen nur für die Tage Gehalt gezahlt wird, an denen er im Geschäft tätig ist? S. 459. Wird eine Vereinbarung, durch welche Gehaltszahlung für den Krank­ heitsfall des Angestellten ausgeschlossen werden soll, durch eine Arbeitsordnung aufge­ hoben, die vor dieser Vereinbarung erlassen, aber erst später in Kraft getreten ist? S. 434. Berechtigt Krankheit bei oder unmittelbar nach Diensteintritt zur Anfechtung des Ver­ trags wegen Irrtums? S. 460. Muß sich der erkrankte Handlungsgehilfe die Kranken­ unterstützung kürzen lassen, wenn der Prinzipal statt des gesetzlichen Drittels die vollen Versicherungsbeiträge aus eigenen Mitteln entrichtet hat? S. 460. Hat der Handlungs­ gehilfe, der ohne Gehalt beurlaubt ist, Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts, wenn er während des Urlaubs erkrankt? S. 462. Hat der erkrankte Handlungsgehilfe, der sonst im Hause seines Prinzipals Unterhalt erhält, Ersatz des Unterhalts zu beanspruchen, wenn ihn die Krankenkasse dem Krankenhaule überweist? S. 463. Ist eine durch außerehelichen Geschlechtsverkehr entstandene Krankheit als unver­ schuldetes Unglück anzusehen? S. 463. Ist gesundheitswidriges Verhalten im Krank­ heitsfälle Entlassungsgrund? S. 465. Rechnet die sechswöchentliche Frist, während deren dem wegen Krankheit entlassenen Handlungsgehilfen das Gehalt fortzuzahlen ist, von der Erkrankung oder von der Ent­ lassung ab? S. 465. Ist der Angestellte verpflichtet, sich im Krankheitsfälle vom Vertrauensarzt des Chefs untersuchen zu lassen? S. 521. Bildet die Weigerung einen Entlassungsgrund? S. 622. Ist der erkrankte Handlungsgehilfe verpflichtet, sich zu entschuldigen? Berechtigt die Unterlassung der Entschuldigung zur sofortigen Entlassung? S. 523. Kann der Rei­ sende sofort entlassen werden, wenn er weaen Erkrankung die Tour unterbricht und die Unterbrechung nicht sofort anzeigt? S. 522.

§ 64. Die Zahlung des dem Handlungsgehilfen zukomnrenden Ge­ halts hat am Schluffe jedes Monats zu erfolgen. Eine Vereinbarung, nach der die Zahlung des Gehalts später erfolgen soll, ist nichtig.

§ 65. Ist bedungen, daß der Handlungsgehilfe für Geschäfte, die von ihm geschlossen oder vermittelt werden, Provision erhalten solle, so finden die für die Handlungsagenten geltenden Vorschriften des § 88 und des § 91 Satz 1 Anwendung. Hat ein Versicherungsagent auf Grund seines Anstellungsvertrages Anspmch aus Provision von solchen durch ihn vermittelten Versicherungen, in denen die Police inner­ halb der Respektfrist nicht eingelöst ist? S. 466. Hat ein Angestellter einer Feuerver­ sicherungsgesellschaft, der nebenher Versicherungen gegen Provision abschließt, nach seinem Abgänge Anspmch auf Provision von den weiterhin eingehenden Jahresprämien? S. 468. Erhält der Bezirksagent Provision für Geschäfte in Exklaven, die zwar politisch nicht zu seinem Bertretungsbezirk gehören, aber innerhalb desselben liegen? S. 469. Wie ist der Gewinnanteil eines vorzeitig entlassenen Angestellten zu berechnen? S. 469. Sind bei Provisionsberechnung nach dem „Jahresumsatz" auch die Eingänge provisionspflichtig, welche innerhalb des Geschäftsjahres aus vorher abgeschlossenen GeLateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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schäften eingehen? S. 470. Kann der commis inter6ss6 Tantieme von abgeschriebenen aber nachträglich eingegangenen Forderungen nachfordern? S. 470. Wie verhält sich die Beweislast bei Retouren? S. 471. Kann der mit Umsatzprovision angesteNte Handlungsgehilfe einen Buchauszug über alle provisionspflichtigen Geschäfte von seinem Prinzipal verlangen? S. 472. Kann zum Beweise der Provisionsforderung die Vorlegung der Handelsbücher verlangt werden? S. 473. Darf der commis inter6ss6 die Handelsbücher nur in Person einsehen? S. 473. Hat der inter4ss6 commis ein Recht auf Bilanzziehung seitens des Prinzipals auf dessen Kosten? S. 473.

§ 66. Das Dienstverhältnis zwischen dem Prinzipal und dem Hand­ lungsgehülfen kann, wenn es für unbestimmte Zeit eingegangen ist, von jedem Teile für den Schluß eines Kalendervierteljahrs unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen gekündigt werden. Liegt eine gültige Kündigung vor, wenn das Kündigungsschreiben in die Gehalts­ düte gepackt wird? S. 474. Ist die Kündigung rechtswirlsam, wenn das Kündigungs­ schreiben nach der Wohnung des Gekündigten geschickt wird und dort dessen Mutter die Annahme ablehnt? S. 475. Wird eine verspätete oder nicht ordnungsmäßige Sünbigung gültig, wenn der Gehilfe sie widerspruchslos annimmt? S. 476. Ist Kündigung am Sonntage zulässig? S. 477. Vgl. über Mndigung auch zu § 122 GO.

§ 67. Wird durch Vertrag eine kürzere oder längere Kündigungsfrist bedungen, so muß sie für beide Teile gleich sein; sie darf nicht weniger als einen Monat betragen. Die Mndigung kann nur für den Schluß eines Kalendermonate zuge­ lassen werden. Die Vorschriften des Abs. 1 finden auch in dem Falle Anwendung, wenn das Dienswerhältnis für bestimmte Zeit mit der Vereinbarung ein­ gegangen wird, daß es in Ermangelung einer vor dem Mlaufe der Ber­ tragszeit erfolgten Mndigung als verlängert gelten soll. Sine Vereinbarung, die diesen Vorschriften zuwiderläuft, ist nichtig. Nichtige Kündigungsabrede. Kann der Prinzipal, der mit zu kurzer Frist kündigt, sich darauf berufen, daß er zur sofortigen Entlassung berechtigt war? S. 477. Ist die Abrede einer zu kurzen Kündigungsfrist als auf die gesetzliche Mindestkündigungsfrist gerichtet anzusehen? S. 478. Gilt die mit einem Werkmeister getroffene Kündigungsabrede weiter, wenn er in den kaufmännischen Betrieb übernommen wird? S. 479. Ist die Abrede giltig, nach der der Angestellte während der Kündigungsfrist nur einen Bruchteil seines bisherigen Gehaltes erhalten soll? S. 479. Ist eine Vereinbarung rechts­ gültig, daß der Handlungsgehilfe sich das für die Urlaubszeit gewährte Gehalt wieder ab­ ziehen lassen muß, wenn er vor einem bestimmten Termin die Stellung verläßt? S. 482. Ist die Abmachung zulässig, der Reisende dürfte sofort entlassen werden, wenn seine Resultate nicht befriedigen? S. 486. Sind auch Kündigungsabreden nichtig, welche den Handlungsgehilfen gegenüber dem Prinzipal günstiger stellen? S. 487. Darf der deutsche Richter ausländisches Recht anwenden, das die deutschen Minimalkündigungsfristen nicht kennt? S. 489. Vgl. auch die Entscheidungen zu § 133 a a GO.

§ 68. Die Vorschriften des § 67 finden keine Anwendung, wenn der Handlungsgehilfe einen Gehalt von mindestens fünftausend Mark für das Jahr bezieht. Sie bleiben ferner außer Anwendung, wenn der Handlungsgehilfe für eine außereuropäische Handelsniederlassung angenommen ist und nach dem Vertrage der Prinzipal für den Fall, daß er das Dienstverhältnis kündigt, die Kosten der Rückreise des Handlungsgehilfen zu tragen hat. Ist bei Berechnung des „Gehalts" die Ilmsatzprovision, Kost und Wohnung mitzu­ rechnen? S. 490. Gilt ein Dienstverhältnis, in dem der Handlungsgehilfe auf drei Jahre Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weilen Ausgabe neu aufgenommenen.

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gebunden ist, der Prinzipal aber mit eintägiger Frist kündigen darf, als auf bestimmte oder als auf unbestimmte Zeit eingegangen? Ist eine solche Vereinbarung zulässig bei einem Handlungsgehilfen, der im Jnlande für eine überseeische Niederlassung ange­ nommen ist, wenn der Prinzipal verpflichtet ist, die Kosten der Rückreise zu tragen, den Gehilfen aber im Falle der vorzeitigen Rückkehr mit den Kosten der Ausreise belasten kann? S. 490.

§ 69. Wird ein Handlungsgehilfe nur zu vorübergehender Aushilfe angenommen, so finden die Vorschriften des § 67 keine Anwendung, es sei denn, daß das Dienstverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird. Die Kündigungsfrist muß jedoch auch in einem solchen Falle für beide Teile gleich sein. Ist der Ausschluß der Kündigungsfrist zulässig, wenn der Handlungsgehilfe nach dem schriftlichen Vertrage zwar „zur vorübergehenden Aushilfe" engagiert, aber tat­ sächlich probeweise beschäftigt worden ist? S. 494. Verlängert sich ein Probeengagement auf unbestimmte Zeit, wenn der Angestellte noch zwei Tage über die Probezeit hinaus beschäftigt wird? S. 492. Kann vereinbart werden, daß ein Probeengagement täglich kündbar sein soll? S. 493. Gilt bei einem Probeengagement ohne weiteres eine sechs­ wöchentliche Kündigungsfrist als vereinbart? S. 494. Vorübergehende Aushilfe oder Saisonstellung? Kann bei Dienswerträgen von bestimmter Dauer eine Kündigungsfrist vereinbart werden? S. 497 Hat der Angestellte, dem bei der Kündigung vom Prinzipal zugesichert wird, er könne bleiben, bis er eine andere Stelle gefunden habe, einen Anspruch, über den Kündigungstermin hinaus beschäftigt zu werden? Liegt, wenn der Angestellte tatsächlich über den Kündigungstermin hinaus beschäftigt wird, darin eine Verlängerung des Dienstverhältnisses auf unbestimmte Zeit? S. 498. Muß bei bittweiser Weiterbeschäftigung die gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten werden? S. 499. Vgl. auch die Entscheidungen zu § 133 a c GO.

§ 70. Das Dienstverhältnis kann von jedem Teile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, toenn ein wichtiger Grund vorliegt. Wird die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles veranlaßt, so ist dieser zum Ersätze des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet. Ist die Klage auf Feststellung des Rechtes des Prinzipals zur Entlassung seines Handlungsgehilfen zulässig? S. 501. Kann die Entlassung des Handlungsgehilfen auch auf Gründe gestützt werden, die vor dem Dienstantritt liegen? S. 503. Kann die Ent­ lassung mit rückwirkender Kraft erklärt werden? S. 507. Besteht eine Verpflichtung des Handlungsgehilfen, sofort von einem angeblichen Kündigungsgrunde Gebrauch zu machen? S. 504. Kann der Prinzipal den Entlassungsgrund noch geltend machen, wenn er trotz Kenntnis desselben den Gehilfen weiter beschäftigt hat? S. 504. Kann der Handlungs­ gehilfe, der wegen Beleidigung das Bertragsverhältnis gelöst hat, Schadensers^ansprüche geltend machen, wenn dem Prinzipal gleichfalls ein Grund zur sofortigen Entlassung zur Verfügung steht? S. 513. Ist vertragsbrüchiges Verhalten eines Angestellten gegenüber dem früheren Geschäftsherrn Entlassungsgrund für den späteren?' S. 505. Ist die Gehaltspfändung Ent­ lassungsgrund? S. 505. Darf ein Auskunfts- und Jnkassobureau einen Angestellten sofort entlassen, wenn die Polizeibehörde die Entlassung verlangt? S. 506. Darf der Prinzipal einen Angestellten wegen Verdachts des Diebstahls entlassen? S. 507. Ist die nachträgliche Weigerung, eine Bestimmung des Dienstvertrags anzuerkennen, Grund zur so­ fortigen Entlassung? S. 508. Kann eine Anfangskontoristin sofort entlassen werden, wenn sie nicht orthographisch richtig schreibt? S. 509.

Ist auch das außerdienstliche Verhalten „wichtiger Grund" zur Entlassung? S. 509. Kann eine Verkäuferin sofort entlassen werden, weil sie sich von einem Mann „aushalten" läßt? S. 511. Ist außereheliche Schwangerschaft Grund zur sofortigen Entlassung einer Verkäuferin? S. 511. Kann der Handlungsgehilfe in einem Delikateßwarengeschäft wegen einer geschlechtlichen Erkrankung sofort entlassen werden? S. 512. Darf ein jüdischer Prinzipal einen Handlungsgehilfen wegen antisemitischer Äußerungen sofort entlassen? S. 513. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu ausgenommenen.

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Über „wichtigen Grund" zur sofortigen Auslösung des Vertrages vgl. auch zu §§ 124 a, 133 b GO-, über Anfechtung wegen Betruges und Irrtums S. 593 sf.

§ 71. Als ein wichtiger Grund, der den Handlungsgehilfen zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt, ist es, so* fern nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen, namentlich anzusehen: 1. wenn der Handlungsgehilfe zur Fortsetzung seiner Dienste unfähig wird; 2. wenn der Prinzipal den Gehalt oder den gebührenden Unterhalt nicht gewährt; 3. wenn der Prinzipal den ihm nach § 62 obliegenden Verpflichtungen nachzukommen verweigert; 4. wenn sich der Prinzipal Tätlichkeiten, erhebliche Ehrverletzungen oder unsittliche Zumutungen gegen den Handlungsgehilfen zu­ schulden kommen läßt oder es verweigert, den Handlungsgehilfen gegen solche Handlungen eines anderen Angestellten oder eines Familienangehörigen des Prinzipals zu schützen. Kann der Handlungsgehilfe, der wegen Beleidigung das Bertragsverhältnis gelöst hat, Schadenersatzansprüche geltend machen, wenn dem Prinzipal gleichfalls ein Grund zur sofortigen Entlassung zur Verfügung steht? S. 513. Ist für die Prüfung, ob „erhebliche Ehrverletzung" vorliegt, die Stimmung des Prinzipals und das Verhalten des Gehilfen zu berücksichtigen? S. 514. Berechtigt eine unbegründete Strafanzeige des Prinzipals den Gehilfen zum sofortigen Austritt? Ist der Prinzipal auch schadensersatzpflichtig, wenn er die Anzeige in gutem Glauben erstattet hat? S. 515.

Ist der Prinzipal verpflichtet, seine Handlungsgehilfen ohne vorherige Aufforderung gegen Tätlichkeiten von Mitangestellten zu schützen? S. 516. Vgl. auch zu § 133 d GO.

§ 72. Als ein wichtiger Grund, der den Prinzipal zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt, ist es, sofern nicht be­ sondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen, namentlich an­ zusehen: 1. wenn der Handlungsgehilfe im Dienste untreu ist oder das Ver­ trauen mißbraucht ober die ihm nach § 60 obliegende Verpflichtung verletzt; 2. wenn er seinen Dienst während einer den Umständen nach erheblichenZeit unbefugt verläßt oder sich beharrlich weigert, seinen Dienst­ verpflichtungen nachzukommen; 3. wenn er durch anhaltende Krankheit, durch eine längere Freiheits­ strafe oder Abwesenheit oder durch eine die Zeit von acht Wochen übersteigende militärische Dienstleistung an der Verrichtung seiner Dienste verhindert wird; 4. wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Prinzipal oder dessen Stellvertreter zu Schulden kommen läßt. Erfolgt die Kündigung, weil der Handlungsgehilfe durch unverschuldetes Unglück längere Zeit an der Verrichtung seiner Dienste verhindert ist, so wird dadurch der im § 63 bezeichnete Anspruch des Gehilfen nicht berührt. Gehört zum Begriff der „Untreue" eine Bermögensbeschädigung? S. 517. Können Handlungsgehilfen sofort entlassen werden, wenn sie unter Androhung der Kollektiv« fünbtgung günstigere Lohnbedingungen fordern? S. 517. Ist Unredlichkeit bei der Be­ rechnung von Bertrauensspesen ein Grund zur sofortigen Entlassung des Reisenden? S. 518. Kann der Rayonchef eines Warenhauses wegen Annahme von Schmiergeldern

Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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sofort entlassen werden? S. 518. Ist es Grund zur sofortigen Entlassung des Handlungs­ gehilfen, wenn er über die finanzielle Lage des Prinzipals ungünstige Mitteilungen macht? S. 519. Kann der Handlungsgehilfe sofort entlassen werden, wenn er Konkurs­ eröffnung über das Vermögen des Prinzipals beantragt? S. 519. Kann ein Buchhalter sofort entlassen werden, wenn er einem Angestellten zum Konkraktbruch behilflich ist? S. 520. Ist der Angestellte verpflichtet, sich im Krankheitsfälle vom Vertrauensarzt des Chefs untersuchen zu lassen? Bildet die Weigerung einen Entlassungsgrund? S. 521,522. Kann der Reisende sofort entlassen werden, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit seine Tour unter­ bricht und die Unterbrechung nicht sofort anzeigt? S. 522. Ist der erkrankte Handlungs­ gehilfe verpflichtet, sich zu entschuldigen? Berechtigt die Unterlassung der Entschuldigung zur sofortigen Entlassung? S. 523. Ist der Handlungsgehilfe zur Verrichtung kleinerer Handleistungen, die nicht ver­ traglich vereinbart sind, verpflichtet? S. 524. Ist die Verkäuferin verpflichtet, ein größeres Paket fortzutragen? S. 524. Kann ein Korrespondent sofort entlassen werden, wenn er sich weigert, nach Schluß der Geschäftsstunden noch einen wichtigen Brief zu schreiben? S. 525. Ist eine Stenographin und Maschinenschreiberin verpflichtet, die von ihr abgeschriebnen Fakturenbeträge zusammenzurechnen? S. 525. Kann ein Expedient sofort entlassen werden, weil er eine Sortierarbeit verweigert? S. 526. Muß der Handlungs­ reisende während der Inventur auch anderweitige Dienste leisten? S. 526. Muß sich der Leiter einer Filiale gefallen lassen, daß er als Kassierer in das Hauptgeschäft verseht wird? S. 527. Ist die als Filialleiterin angestellte Verkäuferin verpflichtet, in einer mit der Fabrik verbundenen Verkaufsstelle Dienste zu tun? S. 528. Muß es sich ein Korre­ spondent, der Jahre lang selbständig gearbeitet hat, gefallen lassen, daß ihm statt dessen nur untergeordnete Arbeiten übertragen werden? S. 528. Muß sich der Reisende, der ohne jeden Erfolg gearbeitet hat, anderweitige Beschäftigung gefallen lassen? S. 529. Kann dem gekündigten Handlungsgehilfen während der Kündigungsfrist jede Be­ schäftigung entzogen und nur eine „Meldepflicht" auferlegt werden? S. 530. Kann ein Reisender sofort entlassen werden, wenn er an einem Nachmittag nicht im Geschäft erscheint? S. 531. Kann eine Verkäuferin in einem Ladengeschäft wegen unentschuldigten Ausbleibens am Sonntage vor Weihnachten entlassen werden? S. 531. Darf ein Handlungsgehilfe sofort entlassen werden, weil er an seinem Hochzeitstage gegen den Willen seines Prinzipals nicht ins Geschäft gekommen ist? S. 532. Darf eine Hand­ lungsgehilfin wegen schwerer Erkrankung ihres Vaters vom Dienst fernbleiben? S. 533. Ist eine Krankheit, die länger als sechs Wochen andauert, eine anhaltende? S. 533. Ist für den Begriff „anhaltende Krankheit" die tatsächliche Dauer oder die mutmaßliche Dauer zur Zeit der Entlassung entscheidend? S. 535. Gilt eine Krankheit als „anhaltende", wenn sie kurz nach der Kündigung aufhört? S. 535. Ist es Entlassungsgrund wegen Ehrverletzung, wenn der Gehilfe dem Prinzipal leichtfertige Eidesleistung vorwirft? S. 536. Vgl. auch zu § 133 o GO.

§ 73. Bei der Beendigung des Dienstverhältnisses kann der Handlungs­ gehilfe ein schriftliches Zeugnis über die Art und Dauer der Beschäftigung fordern. Das Zeugnis ist auf Verlangen des Handlungsgehilfen auch auf die Führung und die Leistungen auszudehnen. Auf Antrag des Handlungsgehilfen hat die Ortspolizeibehörde das Zeugnis kosten- und stempelfrei zu beglaubigen. Ist der Prokurist zur Ausstellung des Zeugnisses für Handlungsgehilfen befugt? S. 536. Kann der Handlungsgehilfe schon mit der Kündiqnug oder erst mit der Beendi­ gung des Dienstverhältnisses ein Zeugnis verlangen? S. 536. Klage auf Ausstellung eines Zeugnisses. Kann der Gehilfe in der Klage den Wortlaut des Zeugnisses vorschreiben? S. 537. Ist der Prinzipal verpflichtet, im Zeugnisse den Zusatz zu machen, daß der Ge­ hilfe die Stellung auf eigenen Wunsch verlasse? S. 537. Ist dem Handlungsgehilfen im Zmgnis die Ehrlichkeit zu bescheinigen, wenn er in Verdacht des Diebstahls gekommen, das Verfahren aber wegen nicht ausreichender Beweise eingestellt? S. 538. Kann ein Handlungsgehilfe die Angabe im Zeugnis verlangen, daß er als „erster Verkäufer" tätig war? S. 539. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweite« Ausgabe neu aufgenommenen.

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Kann der Handlungsgehilfe nach 12 Jahren noch Ausdehnung des Zeugnisses auf die Führung verlangen? S. 540. Darf der Prinzipal, wenn der Gehilfe Ergänzung des Zeugnisses betr. Art der Beschäftigung und Führung verlangt, diese- auch hinsichtlich der Leistungen zuungunsten des Gehilfen ändern? S. 541. Unter welchen Umständen hat der Handlungsgehilfe Anspmch auf Abänderung eines im Zeugnisse enthaltenen Urteils? S. 542. Kann die Abänderung eines im Zeugnis enthaltenen Urteils über die Führung verlangt werden, weil das Urteil, wenn auch nicht wider besseres Wissen, aber unrichtig sei? S. 544. Schadensersatz wegen Unrichtigkeit eines Zeugnisses. Hat der Prinzipal die Beweislast dafür, daß die Äußerungen über Führung und Leistungen zutreffend sind? S. 545. Haftet der Prinzipal wegen wissentlich unrichtigen Zeugnisses dem späteren Dienst­ herrn? S. 546. Vgl. auch zu § 113 GO. und § 630 BGB.

§ 74. Eine Vereinbarung zwischen dem Prinzipal und dem Hand­ lungsgehilfen, durch welche dieser für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt wird, ist für den Hadnlungsgehilfen nur insoweit verbindlich, als die Beschränkung nach Zeit, Ort und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet, durch welche eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Handlungsgehilfen aus­ geschlossen wird. Die Beschränkung kann nicht auf einen Zeitraum von mehr als drei Jahren von der Beendigung des Dienstverhältnisses an erstreckt werden. Die Vereinbarung ist nichtig, wenn der Handlungsgehilfe zur Zeit des Abschlusses minderjährig ist. Finden die Beschränkungen der Konkurrenzklausel bei Handlungsgehilfen auch An­ wendung, wenn das Dienstverhältnis gleichzeitig mit der Verabredung der Konkurrenz, klausel aufgelöst wird? S. 547. Gehen bei Veräußerung des Geschäfts die Ansprüche gegen Angestellte durch die Konkurrenzklausel auf den (Anwerber über? S. 549. Gilt die bei einem Probeengagement vereinbarte Konkurrenzklausel auch ohne besondere Ab­ rede für das definitive Engagement? S. 552. Inwiefern sind ein Warenhaus und ein Spezialgeschäft Konkurrenzgeschäfte? Ist die Konkurrenzklausel wirksam, wenn durch ihre Verletzung dem Prinzipal kein Dermögensschaden entsteht? S. 553. Sind ein Bargeschäft und ein Abzahlungsgeschäft als Konkurrenzgeschäfte anzusehen? S. 554. Verletzt ein bisher im Detailgeschäft tätiger Ver­ käufer die Konkurrenzklausel, wenn er in der neuen Stellung nur im Engrosgeschäft tätig ist, die Firma nebenbei aber auch Detailgeschäft betreibt? S. 556. Verstößt der Reisende eines Schokoladen. undZuckerwaren-Spezialgeschäfts gegen die Konkurrenzklausel, wenn er in eine Kolonialwarenhandlung eintritt, die nebenbei auch Zucker- und Schokoladen­ waren führt? S. 556. Unter welchen Umständen ist die Konkurrenzklausel einzuschränken oder für unwirksam zu erklären? S. 657. Wird die mit einem Minderjährigen vereinbarte Konkurrenzklausel gültig, wenn der Vertrag nach Volljährigkeit verlängert wird? S. 578. Ist die Vereinbarung gültig, nach der sich ein Münchener Warenhausangestellter verpflichtet, binnen Jahresfrist nach seinem Austritt keine Stellung in einem Warenhaus in München oder Berlin anzunehmen? S. 578. Ist eine Vertragsstrafe nichtig, die der Vater für den Fall verspricht, daß sein minderjähriger Sohn in ein Konkurrenzgeschäft eintritt? S. 579. Kann die unbillige Konkurrenzklausel für nichtig erklärt oder darf sie nur ermäßigt werden? S. 580. Vgl. auch zu § 133 k GO.

§ 75. Gibt der Prinzipal durch vertragswidriges Verhalten dem Handlungsgehilfen Grund, das Dienstverhältnis gemäß den Vorschriften der §§ 70, 71 aufzulösen, so kann er aus einer Vereinbarung der im § 74 bezeichneten Art Ansprüche nicht geltend machen. Das Gleiche gilt, wenn der Prinzipal das Dienstverhältnis kündigt, es sei denn, daß für die Kündigung ein erheblicher Anlaß vorliegt, den er nicht verschuldet hat, oder Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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6. Handelsgesetzbuch.

daß während der Dauer der Beschränkung dem Handlungsgehilfen das zu­ letzt von ihm bezogene Gehalt fortgezahlt wird. Hat der Handlungsgehilfe für den Fall, daß er die in der Vereinbarung übernommene Verpflichtung nicht erfüllt, eine Strafe versprochen, so kann der Prinzipal nur die verwirkte Strafe verlangen; der Anspruch auf Erfüllung oder auf Ersatz eines weiteren Schadens ist ausgeschlossen. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herabsetzung einer un­ verhältnismäßig hohen Vertragsstrafe bleiben unberührt. Vereinbarungen, welche diesen Vorschriften zuwiderlaufen, sind nichtig. Wird der Handlungsreisende von dem Konkurrenzverbot befreit, wenn er zwar einen Gmnd zum sofortigen Austritt hat, diesen aber nicht geltend macht, vielmehr vom Prinzipal entlassen wird? S. 582. Verliert der Prinzipal den Anspruch aus der Kon­ kurrenzklausel, wenn er dem Handlungsgehilfen einen Gmnd zur sofortigen Kündigung gibt, der Handlungsgehilfe aber die Kündigungsfrist einhält? S. 584. Ist die Kündigung durch den Konkursverwalter ein erheblicher nicht verschuldeter Anlaß? S. 585. Muß der kündigende Prinzipal zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbsverbots die Fortzahlung des Gehalts sofort bei der Kündigung anbieten? S. 586.

§ 76. Die Vorschriften der §§ 60 bis 63, 74, 75 finden auch auf Hand­ lungslehrlinge Anwendung. Der Lehrherr ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß der Lehrling in den bei dem Betriebe des Geschäfts vorkommenden kaufmännischen Arbeiten unterwiesen wird; er hat die Ausbildung des Lehrlings entweder selbst oder durch einen geeigneten, ausdrücklich dazu bestimmten Vertreter zu leiten. Die Unterweisung hat in der durch den Zweck der Ausbildung gebotenen Reihenfolge und Ausdehnung zu geschehen. Der Lehrherr darf dem Lehrling die zu seiner Ausbildung erforder­ liche Zeit und Gelegenheit durch Verwendung zu anderen Dienstleistungen nicht entziehen; auch hat er ihm die zum Besuche des Gottesdienstes an Sonntagen und Festtagen erforderliche Zeit und Gelegenheit zu gewähren. Er hat den Lehrling zur Arbeitsamkeit und zu guten Sitten anzuhalten. In betreff der Verpflichtung des Lehrherrn, dem Lehrlinge die zum Besuch einer Fortbildungsschule erforderliche Zeit zu gewähren, bewendet es bei den Vorschriften des § 120 der Gewerbeordnung. Kann der Kaufmannslehrling eines Fabrikgeschäftes bei Verlegung des Betriebes in eine weit entlegene Straße die Gestellung einer Straßenbahnkarte verlangen? S. 587. Ist ein fünfzehnjähriger Angestellter, der gegen 30 Mk. Monatsgehalt mit untergeordneten Diensten beschäftigt ist, als Lehrling anzusehen, auch wenn mit ihm kein Lehrvertrag geschlossen ist? S. 590. Vgl. auch zu § 126 ff. GO.

§ 77. Die Dauer der Lehrzeit bestimmt sich nach dem Lehrvertrag, in Ermangelung vertragsmäßiger Festsetzung nach den örtlichen Verord­ nungen oder dem Ortsgebrauche. Das Lehrverhältnis kann, sofern nicht eine längere Probezeit verein­ bart ist, während des ersten Monats nach dem Beginne der Lehrzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Eine Vereinbarung, nach der die Probezeit mehr als drei Monate betragen soll, ist nichtig. Nach dem Ablaufe der Probezeit finden auf die Kündigung des Lehr­ verhältnisses die Vorschriften der §§ 70 bis 72 Anwendung. Als ein wich­ tiger Grund zur Kündigung durch den Lehrling ist es insbesondere auch anzusehen, wenn der Lehrherr seine Verpflichtungen gegen den Lehrling Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

5. Handelsgesetzbuch.

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in einer dessen Gesundheit, Sittlichkeit oder Ausbildung gefährdenden Weise vernachlässigt. Im Falle des Todes des Lehrherrn kann das Lehrverhältnis innerhalb eines Monats ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Ist dringender Berdacht.der Untreue ein „wichtiger Grund" zur Lösung des LehrVerhältnisses? S. 588.

§ 78. Wird von dem gesetzlichen Vertreter des Lehrlings oder, sofern dieser volljährig ist, von ihm selbst dem Lehrherrn die schriftliche Erklärung abgegeben, daß der Lehrling zu einem anderen Gewerbe oder zu einem anderen Beruf übergehen werde, so endigt, wenn nicht der Lehrling früher entlassen wird, das Lehrverhältnis nach dem Ablauf eines Monats. Tritt der Lehrling der abgegebenen Erklärung zuwider vor dem Ab­ laufe von neun Monaten nach der Beendigung des Lehrverhältnisses in ein anderes Geschäft als Handlungslehrling oder als Handlungsgehilfe ein, so ist er dem Lehrherrn zum Ersätze des diesem durch die Beendigung des Lehrverhältnisses entstandenen Schadens verpflichtet. Mit ihm haftet als Gesamtschuldenr der neue Lehrherr oder Prinzipal, sofern er von dem Sachverhalte Kenntnis hatte. Übergang des Handlungslehrlings zu einem andern Gewerbe oder Berufe. Fällt hierunter auch eine andere Branche? S. 589.

§ 79. Ansprüche wegen unbefugten Austritts aus der Lehre kann der Lehrherr gegen den Lehrling nur geltend machen, wenn der Lehrvertrag schriftlich geschlossen ist. Wird ein kaufmännischer Lehrvertrag durch Briefwechsel ordnungsmäßig abgeschlossen? S. 591. Kann gegen den Vater eines Lehrlings auf dessen Zurückbringung in die Lehre geklagt werden? S. 591 Vgl. auch zu § 127 d GL.

§ 80. Bei der Beendigung des Lehrverhältnisses hat der Lehrherr dem Lehrling ein schriftliches Zeugnis über die Dauer der Lehrzeit und die während dieser erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie über sein Betragen auszustellen. Auf Antrag des Lehrlings hat die Ortspolizeibehörde das Zeugnis kosten- und stempelfrei zu beglaubigen. § 81. Personen, die nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind, dürfen Handlungslehrlinge weder halten noch sich mit der Anleitung von Handlungslehrlingen befassen. Der Lehrherr darf solche Personen zur Anleitung von Handlungslehrlingen nicht verwenden. Die Entlassung von Handlungslehrlingen, welche diesem Verbote zu­ wider beschäftigt werden, kann von der Polizeibehörde erzwungen werden.

§ 82. Wer die ihm nach § 62 Abs. 1, 2 oder nach § 76 Abs. 2, 3 dem Lehrlinge gegenüber obliegenden Pflichten in einer dessen Gesundheit, Sittlichkeit oder Ausbildung gefährdenden Weise verletzt, wird mit Geld­ strafe bis zu einhundertfünfzig Mark bestraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher entgegen der Vorschrift des § 81 Handlungslehrlinge hält, ausbildet oder ausbilden läßt. § 83. Hinsichtlich der Personen, welche in dem Betrieb eines Handelsgewerbes andere als kaufmännische Dienste leisten, bewendet es bei den für das Arbeitsverhältnis dieser Personen geltenden Vorschriften. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der -weiten Ausgabe neu ausgenommenen, h Baum, Sewerbegertchte.

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7. Bürgerliches Gesetzbuch.

(Siebenter Abschnitt. Handlungsagenten. § 88. Soweit nicht über die dem Handlungsagenten zu gewährende Vergütung ein anderes vereinbart ist, gebührt ihm eine Provision für jedes zur Ausführung gelangte Geschäft, welches durch seine Tätigkeit zustande gekommen ist. Besteht die Tätigkeit des Handlungsagenten in der Ver­ mittelung oder Abschließung von Verkäufen, so ist im Zweifel der Anspruch auf die Provision erst nach dem Eingänge der Zahlung und nur nach dem Verhältnisse des eingegangenen Betrags erworben. Ist die Ausführung eines Geschäfts infolge des Verhaltens des Ge­ schäftsherrn ganz oder teilweise unterblieben, ohne daß hierfür wichtige Gründe in der Person desjenigen vorlagen, mit welchem das Geschäft abgeschlossen ist, so hat der Handlungsagent die volle Provision zu bean­ spruchen. Ist die Höhe der Provision nicht bestimmt, so ist die übliche Provision zu entrichten. Die Abrechnung über die zu zahlenden Provisionen findet, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, am Schlüsse eiens jeden Kalenderhalb­ jahrs statt. § 91. Der Handlungsagent kann bei der Abrechnung mit dem Ge­ schäftsherrn die Mitteilung eines Buchauszugs über die durch seine Tätig­ keit zustande gekommenen Geschäfte fordern. Das gleiche Recht steht ihm in Ansehung solcher Geschäfte zu, für die ihm nach § 89 die Provision gebührt.

7. Auszug aus -em Bürgerlichen Gesetzbuch. § 119. Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren In­ halt im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. ' - Ms Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesent­ lich angesehen werden. Kann der Anstellungsvertrag angefochten werden, weil der Kontorist stottert? S. 693. Darf der Prinzipal von dem Engagementsvertrage zurücktreten, wenn er erfährt, daß der Gehilfe überschuldet ist? S. 593. Kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen Irrtums anfechten, wenn der Arbeiter verschwiegen hat, daß er aus einer andern SteNe wegen Unehrlichkeit entlassen ist? S. 594. Kann der Gehilfe der Vereinbarung, daß nur die Hälfte des Fahrgeldes zur Arbeitsstätte zu ersetzen ist, anfechten, weil nach dem Tarif das volle Fahrgeld zu zahlen ist und ihm falsche Vorspiegelungen gemacht sind? S. 595. Kann der Arbeitgeber den Arbeit-vertrag wegen Irrtums über die Leistungsfähigkeit des Arbeiters anfechten? S. 595. Kann der Arbeiter den Arbeitsvertrag anfechten, weil ihm verschwiegen ist, daß er Streiürrbeit leisten soll? S. 599. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

7. Bürgerliches Gesetzbuch.

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§ 120. Eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittelung verwendete Person oder Anstalt unrichtig übermittelt worden ist, kann unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden wie nach § 119 eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung. § 121. Die Anfechtung muß in den Fällen der §§ 119,120 ohne schuld­ haftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit derAbgabe der Willenserklärung dreißig Jahre verstrichen sind. § 122. Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig, oder auf Gmnd der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andererenfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, daß er auf die Giltigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat. Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Beschädigte den Gmnd der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen mußte). § 123. Wer zur Abgabe einer Mllenstäuschung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten. Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklämng, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen mußte. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklämng abzugeben war, aus der Erklämng un­ mittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklämng ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen mußte. § 124. Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Auf den Lauf der Frist finden die für die Berjähmng geltenden Vorschriften des § 203 Abs. 2 und der §§ 206, 207 entsprechende Anwendung. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklämng dreißig Jahre verstrichen sind. § 138. Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Bermögensvorteile ver­ sprechen oder gewähren läßt, welche den Wert der Leistung dergestalt über­ steigen, daß den Umständen nach die Bermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Au-gabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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7. Bürgerliches Gesetzbuch.

Ist der Dienstvertrag, durch den auffällig niedriger Lohn gezahlt wird, nichtig? 8. 600. Ist die Abrede gültig, daß der Handlungsgehilfe kein Gehalt erhält und zur Hälfte am Gewinn und Verlust teilnimmt? S. 601. Verstößt eine Abmachung, wonach eine Ver­ käuferin für jegliches Manko ohne Rücksicht auf die Ursache haften soll, wider die guten Sitten? S. 626. Ist die Abrede gültig, daß der Filialleiter für Manko auch haftet, wenn e r abwesend oder ihm eine Hilfskraft beigegeben ist? S. 627. Verstößt ein Vertrag gegen die guten Sitten, wonach ein erheblicher Teil der Vergütung als Tantieme am Jahresschluß nur dann zu zahlen ist, wenn der Angestellte dann noch im Geschäft ist? S. 602. Wider­ spricht die Vereinbarung, daß der Angestellte die Provision für das ganze Vorjahr ver­ liert, wenn er am 1. Januar kündigt oder gekündigt wird, den guten Sitten? S. 601. Verstößt eine Abrede gegen die guten Sitten, nach der die Arbeiter für die Probewoche nur dann Lohn erhält, wenn er ein Jahr bleibt? S. 230. Ist die Bestimmung rechtsgiltig, daß der Reisende einer Versicherungsgesellschaft im Probemonat ein bestimmtes Pensum von Versicherungsabschlüssen zu erzielen hat und daß sich andernfalls das Gehalt entsprechend (ohne Minimalgrenze) mindert? S. 604. Ist die Abrede gültig, daß ein Versicherungsinspektor nur dann das Gehalt für einen be­ stimmten Monat erhalten soll, wenn er die unbrauchbaren Abschlüsse des vorigen Monats durch bessere ausgleicht? S. 605. Ist die Abrede gültig, daß ein Bersicherungsbeamter sofort entlassen werden kann, wenn er in einem Monat nicht ein bestimmtes Mindest­ quantum von Abschlüssen erzielt? S. 605. Verstößt die Abrede, daß der Provisionsreisende sich eine Preisminderung in voller Höhe an der Provision kürzen lassen soll, gegen die guten Sitten? S. 607. Ist die Klausel gültig, daß der Akkordarbeiter, der den Akkord freiwillig oder gezwungen nicht fertigstellt, nur Stundenlohn erhalten soll? 8. 208. Kann beim Akkordlohn neben Kündigungsausschluß vereinbart werden, daß der Arbeiter den Akkordüberschuß verliert, wenn er vor Vollendung ausscheidet? S. 209. Ist die Vereinbarung zulässig, daß die Arbeiter ihren Lohn nicht vom Arbeitgeber, sondern von einem Zwischenmeister zu fordern haben? S. 232. Verstößt ein Abkommen zwischen einem Hotelier und einem Angestellten, wonach letzterer sich wegen seiner Lohn­ ansprüche nur an seine Mitangestellten halten kann, gegen die guten Sitten? S. 234. Inwieweit widerspricht die Abrede den guten Sitten, daß der Kellner ein Pauschquantum für Bruchschaden zu zahlen hat? S. 608. Verstößt eine Vereinbarung wider die guten Sitten, nach der der ständige Kellner für einen Ausgangstag den Lohn des Aushilfs­ kellners zu tragen hat? S. 608. Verstößt eine Bestimmung eines Tarifvertrages, wo­ nach nur der letzteingestellte Arbeiter entlassen werden darf, gegen die guten Sitten? S. 354. Ist die Bestimmung im Statut einer obligatorischen Pensionskasse gültig, nach der ein Teil der Beiträge verfällt, wenn der Angestellte die Stellung verläßt? S. 326.

Verstößt eine Bestimmung der Arbeitsordnung wider die guten Sitten, nach der der Arbeiter die durch sein Verschulden verwirkten Geldstrafen wegen Gewerbevergehens ersetzen soll? S. 432. „Prämien“ für erhöhte Arbeitsleistung neben dem festen Lohn. Ist eine Bestimmung der Arbeitsordnung, wonach solche Prämien nur zur Auszahlung kommen, wenn der Arbeiter bis zu einem gewissen Zeitpunkt in dem ArbeitsVerhältnis verbleibt, rechtsgültig? 8. 329. Ist die Vereinbarung des Austritts aus einer Arbeitervereinigung ein Verstoß gegen die guten Sitten? S. 435. Kann der Arbeiter den Arbeitsvertrag anfechten, weil ihm verschwiegen ist, daß er Streikarbeit leisten soll? Verstößt der Streikbruch gegen die guten Sitten? S. 599.

§ 273. Hat der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläu­ biger, so kann er, sofern nicht aus dem Schuldverhältnisse sich ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (Zurückbehaltungsrecht).

Wer zur Herausgabe eines Gegenstandes verpflichtet ist, hat das gleiche Recht, wenn ihm ein fälliger Anspruch wegen Verwendungen auf den Gegen­ stand oder wegen eines ihm durch diesen verursachten Schadens zusteht, Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

7. Bürgerliches Gesetzbuch.

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es sei denn, daß er den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene uner­ laubte Handlung erlangt hat. Der Gläubiger kann die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung abwenden. Die Sicherheitsleistung durch Bürgen ist ausgeschlossen. Darf der Arbeitgeber den Lohn zurückhalten, wenn der Arbeiter nicht seine Quittungs­ karte zum Einkleben von Marken vorlegt? S. 609. Hat der Arbeitgeber ein Zurückbehal­ tungsrecht am Krankenkassenbuch? S. 610. Ist der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeits­ gerät wegen Vertragsbruchs zurückzuhalten? S. 610. Kann der Arbeitgeber den Akkord­ überschuß zurückhalten, weil der Arbeiter einem anderen Akkorde schadensersatzpflichtig ist? S. 611. Hat trotz des Aufrechnungsverbotes der Arbeitgeber ein Zurückbehaltungs­ recht am Arbeitslohn für Schadensforderungen aus dem Arbeitsvertrag? 8. 612.

§ 274. Gegenüber der Klage des Gläubigers hat die Geltendmachung des Zuriickbehaltungsrechts nur die Wirkung, daß der Schuldner zur Leistung gegen Empfang der ihm gebührenden Leistung (Erfüllung Zug um Zug) zu verurteilen ist. Auf Grund einer solchen Verurteilung kann der Gläubiger seinen An­ spruch ohne Bewirkung der ihm obliegenden Leistung im Wege der Zwangs­ vollstreckung verfolgen, wenn der Schuldner im Verzüge der Annahme ist. § 394. Soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, findet die Aufrechnung gegen die Fordemng nicht statt. Gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knappschaftskassen und' Kassen der Knappschaftsvereine, zu beziehenden Hebungen können jedoch geschuldete Beiträge aufgerechnet werden. Hat trotz des Aufrechnungsverbotes der Arbeitgeber ein Zurückbehaltungs­ recht am Arbeitslohn für Schadensforderung aus dem Arbeitsvertrag? 8. 612. Wird durch § 394 BGB. der Einwand der mangelnden Vorleistung ausgeschlossen? Kann der Arbeiter Lohn beanspruchen, wenn er durch Fahrlässigkeit die Arbeit verdorben hat? 8. 618. Ist die Aufrechnung gegen Lohnforderungen auch bei Gegenforderung wegen Diebstahls ausgeschlossen? 8. 618. Kann durch die Arbeitsordnung dem Arbeit­ geber das Recht gegeben werden, Schadensersatzforderungen gegen den Arbeitslohn aufzurechen ? 8. 618. Ist eine Bestimmung der Arbeitsordnung gültig, wonach Strafen vom Lohn abgezogen werden dürfen ? 8. 619. Lohnverwirkung auf Grund der ord­ nungsmäßig erlassenen Arbeitsordnung. Ist die Bestimmung trotz des Aufrechnungsverbotes im BGB. gültig? 8. 611. Lohnverwirkung und Aufrechnungsverbot. Ist die Bestimmung der Arbeitsordnung rechtsgültig, nach der der Arbeitgeber die verwirkten Beträge zu seinen Gunsten verwenden darf? S. 619. Ist Aufrechnung mit der aus Lohnrückständen gebildeten Kaution zulässig? F. 620, Ist die Vereinbarung rechts­ gültig, daß das Gehalt für die Urlaubszeit wieder abgezoaen wird, wenn der Angestellte vor dem 31. Dez. ausscheidet? S. 620. Kann ein Vorschuß an der Lohnzahlung gekürzt werden ? 8 621. Wird Lohnvorschuß, der nicht rechtzeitig auf den verdienten Lohn angerechnet, sondern auf Grund besonderer Abrede gestundet wird, zum Darlehen ? 8. 621. Kann irrtümlich zuviel gezahlter Lohn gegen die Lohnforderung aufgerechnet werden? S. 622. Aufrechnungsverbot Nimmt bei einem Aushilfsarbeiter das Dienst­ verhältnis die Erwerbstätigkeit hauptsächlich in Anspruch ? 8. 623. Ist Aufrechnung zulässig, wenn der Arbeiter (Heimarbeiter) bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt ist? 8 623.

Dienstvertrag. § 611. Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Ge­ währung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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7. Bürgerliches Gesetzbuch.

Akkordarbeit S. 194 ff, Tarifvertrag S. 251 ff, Urunternehmer und Zwischenunter* nehmer S.233fk, Kolonnenvertrag S.238Ü, Uber Pflichten des Arbeitnehmers siehe zu §§ 123-, 133 c Nr. 3 GO., § 72- HGB., Pflichten des Arbeitgebers §§ 124, 133 d GO., §71 HGB. HaftungfürManko. Haftung für Kassenmanko in einem Zigarrengeschäft. Hat der Verkäufer mangels besonderer Abrede eine Verwahrungspflicht? S. 623. Ver­ stößt die Abmachung, wonach eine Verkäuferin für jegliches Manko, ohne Rücksicht auf seine Ursachen, haften solle, gegen die guten Sitten? S. 626. Ist die Abrede gültig, daß der Filialleiter für Manko auch haftet, wenn er krankheitshalber abwesend oder ihm eine vom Prinzipal ausgewählte Hilfskraft beigegeben ist? S. 627. Vertragsmäßige Haltung des Filialleiters für Kassenmanko. Inwieweit ist Nachweis des Verschuldens nötig? S. 629. Wen trifft die Beweislast für Verschulden, wenn der Lagerhalter wegen eines Über­ mankos in Anspruch genommen wird? S. 631. Inwieweit haftet ein mit der Bedienung von Warenautomaten beauftragter Angestellter für Manko? S. 635. Inwieweit haftet der Bierkutscher für fehlende Flaschen? S. 636. Haftet der Kellner, wenn ein Gast mit der Zeche durchgeht? S. 637.

§ 612. Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die übliche Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Lohn im allgemeinen, Trinkgelder, Tarifvertrag siehe zu § 105 GO., Gratifikationen zu § 59 HGB.

§ 613. Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat die Dienste im Zweifel in Person zu leisten. Der Anspruch auf die Dienste ist im Zweifel nicht übertragbar. Muß der Akkordarbeiter die Arbeit persönlich ausführen? 8. 195.

Die Vergütung ist nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablaufe der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten.

§ 614.

Muß der Akkordlohn auch für mangelhafte Arbeit gezahlt werden? 8. 197. Kann der Arbeitgeber wegen mangelhafter Arbeit den Akkordlohn kürzen? S. 197. Wird durch § 394 BGB. der Einwand der mangelnden Vorleistung ausgeschlossen? Kann der Ar­ beiter Lohn beanspruchen, wenn er durch Fahrlässigkeit die Arbeit verdorben hat? 8. 618. Berechtigt mangelhafte Arbeitsleistung zur Lohnminderung oder nur zur Ent­ lassung? S. 638.

§ 615. Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht ge­ leisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muß sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben bös­ willig unterläßt. Ist ein wörtliches Dienstangebot nötig, um den Arbeitgeber in Verzug zu setzen? S. 639. Muß der zu Unrecht entlassene Gehilfe sich zur Wahrung seines Gehaltsanspruchs dem Prinzipal noch besonders zur Verfügung stellen? S. 646. Kann der mit Kündigungsausschluß beschäftigte Arbeiter Lohn für die Zeit des „Aussetzens" verlangen? S. 639. Befreit Aussetzen wegen Materialmangels von der Lohnzahlung? 8. 642. Muß der Arbeitgeber dem Arbeiter Lohn für die Zeit zahlen, während welcher er wegen Geldmangels die Arbeit ruhen läßt, ohne die Arbeiter zu entlassen? 8. 643. Ist der Stundenlohn auch für die Zeit zu zahlen, während deren keine Arbeit vorliegt? 8. 643. Kann der Lohnanspruch auch für die Zeit geltend gemacht werden, da die Beschäftigung wegen Betriebsstörung unmöglich war? S. 643. Kommt der Arbeitgeber mit Annahme der Dienste in Verzug, wenn der Dienst­ verpflichtete wegen Landestrauer die vertragsmäßigen Dienste nicht leisten kann? S. 644. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe nm aufgenommenen.

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Kann der Arbeiter Lohn für die Tage verlangen, an denen er wegen Inventur nicht arbeiten kann? 8. 645. Muß der Arbeitgeber den Arbeitern für die Zeit Lohn zahlen, während deren sie durch Schuld anderer Arbeiter nicht arbeiten können? 8. 645. Liegt Annahmeverzug des Arbeitgebers vor, wenn er die Majorität seiner Arbeiter auf ihren Wunsch mit der Arbeit aussetzen läßt und das Arbeitsangebot der Minorität nicht annimmt, trotzdem er seinen Betrieb nicht ganz schließt? 8. 645. Hat bei Schiffs­ verspätung infolge Nebels der Arbeiter, der für einen bestimmten Zeitpunkt zur Arbeit auf dem Schiffe angenommen war, Anspruch auf die Lohnzahlung, ohne zur Nach­ leistung verpflichtet zu sein? 8. 646. Kommt durch Verlegung des Gewerbebetriebes nach einem andern Ort der Arbeitgeber in Annahmeverzug gegenüder den Arbeitern? Behalten diese die Lohnansprüche, ohne zur Weiterarbeit an dem neuen Ort verpflichtet zu sein? 8. 646. Muß sich der entlassene Angestellte den anderweitigen Erwerb, welchen er inner­ halb eines kurzen Teils der Vertragsdauer gemacht hat, auf die gesamte noch restierende Vertragszeit, oder nur auf den betr. Zeitabschnitt anrechnen lassen? S. 647. Kann der Arbeitgeber den Lohn, welchen er auf Grund rechtskräftiger Verurteilung gezahlt hat, zurückfordern, wenn er nachträglich erfährt, daß der Arbeiter in der betreffenden Zeit anderweit beschäftigt gewesen ist? S. 649. Muß sich der entlassene Angestellte das „Wartegeld" anrechnen lassen, welches ihm von einem andern Arbeitgeber ohne Berpflichtung zu Gegendiensten gewährt wird? S. 651. Muß der unrechtmäßig entlassene Arbeiter sich die als Mitglied des Reichsversicherungsamtes bezogene Vergütung auf die Lohnentschädigung anrechnen lassen? 8. 652. Kann der zu Unrecht entlassene Arbeiter auch dann für 14 Tage Vergütung verlangen, wenn er nach der Entlassung arbeits­ unfähig wird? 8. 652. Kann der unrechtmäßig entlassene Arbeiter Lohnzahlung für Feiertage verlangen, die in die Kündigungsfrist fallen? 8. 653. Kann der Arbeiter Entschädigung wegen kündigungsloser Entlassung fordern, wenn der Arbeitgeber sich zur Weiterbeschäftigung erbietet? 8. 651. Muß der Arbeiter, der aus einem der Gründe des § 124 GO. die Arbeit niederlegt, auf eine innerhalb der Kündigungsfrist ergangene Aufforderung die Arbeit wieder aufnehmen? 8. 652. Ist der Pauschalschadenanspruch des § 124 b GO. durch das BGB. aufgehoben? 8. 385. Muß der entlassene Arbeiter beweisen, daß er während der Kündigungsfrist keine andere Arbeit gefunden hat, oder ist der Arbeitgeber für das Gegenteil beweispflichtig? 8. 652. § 616. Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, daß er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Ver­ schulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muß sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Un­ fallversicherung zukommt. Hat der Arbeiter Anspruch auf Lohn für die Urlaubszeit? 8. 653. Wie verhält sich der Anspruch an die Staatskasse auf Zeugengebühren zu dem Anspruch an den Arbeitgeber auf unverkürzten Lohn gemäß § 616 BGB. ? 8. 653. Kann der Kläger Versäumniskosten beanspruchen, wenn er unter Kündigungsausschluß im Akkord arbeitet? 8. 653. Hat der Akkordarbeiter Anspruch auf Zeugengebühren? 8. 653. Kann der Arbeiter Lohn für die Zeit verlangen, während deren er eine Klage gegen den Arbeitgeber bei der Gerichtsschreiberei zu Protokall erklärt? S. 653. Arbeits­ versäumnis wegen Wahrnehmung eines Termins als Angeklagter. Kann der Arbeit­ geber die Lohnzahlung für den Terminstag wegen Betruges anfechten, weil der Arbeiter ihm vorgespiegelt hat, er sei in einer Vormundssache vorgeladen? 8. 655. Kann der Arbeiter während einer vierzehntägigen militärischen Übung die Fortzahlung des Lohnes beanspruchen? Muß er sich Sold und Naturalverpflegung anrechnen lassen? 8. 655. Kann der Gehilfe einer kleinen Druckerei für eine zwölftägige Übung Weiter­ zahlung des Lohnes beanspruchen? 8. 657. Ist eine vierzehntägige Übung eine „ver­ hältnismäßig nicht erhebliche Zeit“, wenn es sich um den Gesellen in einer kleinen Bäckerei handelt, für den eine Aushilfe gestellt werden muß? 8. 657. Kann ein mit täglicher Kündigung engagierter Brauereiarbeiter während der Dauer einer vierzehnLateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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tägigen militärischen Übung die Weiterzahlung seines Lohnes beanspruchen? 8. 657. Ist der Arbeitgeber verpflichtet, seinem Gehilfen während einer zwölftägigen militäri­ schen Übung den Lohn weiterzuzahlen, auch wenn dieser erst einen Tag vor der Ein­ berufung Mitteilung gemacht hat? 8. 657. Kann der Arbeiter, der zwanzig Tage zu einer militärischen Übung eingezogen war, Vergütung für diese Zeit fordern? S. 657. Kann der Korrektor einer großen Druckerei Fortzahlung des Lohnes für eine achtwöchige Übung verlangen? S. 659. Kann der Buchhalter für eine 33tägige militärische Übung Fortzahlung des Gehaltes beanspruchen, wenn er während dieser Zeit — allerdings in geringem Umfange — im Geschäft tätig war? S. 661. Kann ein Lokalreporter Fort­ zahlung des Gehalts während einer Krankheit verlangen, die länger als einen Monat andauert? S. 662. Hat der Arbeiter Anspruch auf Vergütung für die zum Aufsuchen eines andern Dienstes gewährte Zeit? 8. 673. Findet § 616 BGB. auch Anwendung, wenn Kündigung ausgeschlossen war? Was ist eine „verhältsnismäßig nicht erhebliche Zeit“ bei Stundenlohn-Vereinbarung? 8. 662. Kann der wegen Krankheit entlassene Arbeiter die Differenz zwischen Lohn und Krankengeld auch für die nach seiner Entlassung belegene Zeit von seinem bisherigen Arbeitgeber fordern? S. 662. Kann der wegen Arbeitsunfähigkeit entlassene Arbeiter Lohnentschädigung verlangen, weil die Arbeitsunfähigkeit nur vorübergehend war? S. 664.

§ 617. Ist bei einem dauernden Dienstverhältnisse, welches die Er­ werbstätigkeit des Verpflichteten vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nimmt, der Verpflichtete in die häusliche Gemeinschaft ausgenommen, so hat der Dienstberechtigte ihm im Falle der Erkrankung die erforderliche Verpflegung und ärztliche Behandlung bis zur Dauer von sechs Wochen, jedoch nicht über die Beendigung des Dienstverhältnisses hinaus, zu gewähren, sofern nicht die Erkrankung von dem Verpflichteten vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt worden ist. Die Verpflegung und ärzt­ liche Behandlung kann durch Aufnahme des Verpflichteten in eine Kranken­ anstalt gewährt werden. Die Kosten können auf die für die Zeit der Er­ krankung geschuldete Vergütung angerechnet werden. Wird das Dienst­ verhältnis wegen der Erkrankung von dem Dienstberechtigten nach § 626 gekündigt, so bleibt die dadurch herbeigeführte Beendigung des Dienstver­ hältnisses außer Betracht. Die Verpflichtung des Dienstberechtigten tritt nicht ein, wenn für die Verpflegung und ärztliche Behandlung durch eine Versicherung oder durch eine Einrichtung der öffentlichen Krankenpflege Vorsorge getroffen ist. § 618. Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen oder Gerät­ schaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, daß der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet. Ist der Verpflichtete in die häusliche Gemeinschaft ausgenommen, so hat der Dienstberechtigte in Ansehung des Wohn- und Schlafraums, der Verpflegung sowie der Arbeits- und Erholungszeit diejenigen Ein­ richtungen und Anordnungen zu treffen, welche mit Rücksicht auf die Ge­ sundheit, die Sittlichkeit und die Religion des Verpflichteten erforderlich sind. Erfüllt der Dienstberechtigte die ihm in Ansehung des Lebens und der Gesundheit des Verpflichteten obliegenden Verpflichtungen nicht, so finden auf seine Verpflichtung zum Schadensersätze die für unerlaubte Handlungen geltenden Vorschriften der §§ 842 bis 846sentsprechende Anwendung. Lateinischer DruckKezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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Kann der Gehilfe, der beim Prinzipal wohnt, Ersah für gestohlene Sachen bean­ spruchen? S. 665. Ist der Prinzipal ersatzpflichtig für Garderobe, die einem Angestellten aus dem Garderobenschranl gestohlen wird? S. 667. Kann der Angestellte für Garderobe­ stücke Schadensersatz verlangen, wenn ihm nur ein unverschließbarer Raum zur Ver­ fügung gestellt ist? S. 668. Kästet eine Fremdenpension, wenn einer Angestellten Gegen­ stände abhanden kommen, die diese im Hinterkorridor aufgehangen hat? S. 668. Haftet der Arbeitgeber für den durch Brand der Baubude entstandenen Schaden? S. 669. Hastet der Besitzer einer Faktorei für Sachen, die der Angestellte bei einem Aufstand von Ein­ geborenen im Stich lassen mußte? S. 670.

§ 619. Die dem Dienstberechtigten nach den §§ 617, 618 obliegenden Verpflichtungen können nicht im voraus durch Vertrag aufgehoben oder be­ schränkt werden. § 620. Das Dienstverhältnis enoigi mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist. Ist die Dauer des Dienstverhältnisses weder bestimmt noch aus der Be­ schaffenheit oder dem Zwecke der Dienste zu entnehmen, so kann jeder Teil das Dienstverhältnis nach Maßgabe der §§ 621 bis 623 kündigen. § 621. Ist die Vergütung nach Tagen bemessen, so ist die Kündigung an jedem Tage für den folgenden Tag zulässig.

Ist die Vergütung nach Wochen bemessen, so ist die Kündigung nur für den Schluß einer Kalenderwoche zulässig; sie hat spätestens am ersten Werk­ tage der Woche zu erfolgen. Ist die Vergütung nach Monaten bemessen, so ist die Kündigung nur für den Schluß eines Kalendermonats zulässig; sie hat spätestens am fünf« zehntel: des Monats zu erfolgen. Ist die Vergütung nach Vierteljahren oder längeren Zeitabschnitten bemessen, so ist die Kündigung nur für den Schluß eines Kalenderviertel­ jahrs und nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zulässig. Ist eine Kündigung vor Beginn der Kündigungsfrist wirksam? 8. 332. Kann stündliche Lösung des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden? 8. 343. Kündigung zu jeder Tagesstunde. Ist der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig, wenn er am Montag­ morgen kündigt, obwohl er schon am Sonnabend hätte kündigen können? S. 343. Kann bei Kündigungsausschluß der Arbeiter innerhalb des Arbeitstages jederzeit entlassen werden? 8. 345. Kündigungsausschluß bei Stundenlohn. Kann der Arbeiter inner­ halb eines Arbeitstages zu jeder Zeit die Arbeit verlassen? 8 671. Vgl. auch zu § 122 GO. und § 66 HGB.

§ 622. Das Dienstverhältnis der mit festen Bezügen zur Leistung von Diensten höherer Art Angestellten, deren Erwerbstätigkeit durch das Dienstverhältnis vollständig oder hauptsächlich in Anspruch genommen wird, insbesondere der Lehrer, Erzieher, Privatbeamten, Gesellschafterinnen, kann nur für den Schluß eines Kalendervierteljahres und nur unter Ein­ haltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen gekündigt werden, auch wenn die Vergütung nach kürzeren Zeitabschnitten als Vierteljahren be­ messen ist. § 623. Ist die Vergütung nicht nach Zeitabschnitten bemessen, so kann das Dienstverhältnis jederzeit gekündigt werden; bei einem die Er­ werbstätigkeit des Verpflichteten vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nehmenden Dienstverhältnis ist jedoch eine Kündigungsfrist von zwei Wochen einzuhalten. Lateinischer Druck

bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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§ 624. Ist das Dienstverhältnis für die Lebenszeit einer Person oder für längere Zeit als fünf Jahre eingegangen, so kann es von dem Ver­ pflichteten nach dem Ablaufe von fünf Jahren gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Monate. § 625. Wird das Dienstverhältnis nach dem Ablaufe der Dienstzeit von dem Verpflichteten mit Wissen des anderen Teiles fortgesetzt, so gilt es als auf unbestimmte Zeit verlängert, sofern nicht der andere Teil unver­ züglich widerspricht. § 626. Das Dienstverhältnis kann von jedem Teile ohne Einhaltung einer Mndigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. § 627. Hat der zur Dienstleistung Verpflichtete, ohne in einem dauernden Dienstverhältnisse mit festen Beziigen zu stehen, Dienste höherer Art zu leisten, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen, so ist die Kündigung auch ohne die im § 626 bezeichnete Voraus­ setzung zulässig. Der Verpflichtete darf nur in der Art kündigen, daß sich der Dienst­ berechtigte die Dienste anderweit beschaffen kann, es sei denn, daß ein wichtiger Grund für die unzeitige Wndigung vorliegt. Kündigt er ohne solchen Gmnd zur Unzeit, so hat er dem Dienstberechtigten den daraus ent­ stehenden Schaden zu ersetzen. § 628. Wird nach dem Beginne der Dienstleistung das Dienstverhält­ nis auf Gmnd des § 626 oder des § 627 gekündigt, so kann der Verpflichtete einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles dazu veranlaßt zu sein, oder veranlaßt er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teiles, so steht ihm ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Wndigung für den anderen Teil kein Interesse haben. Ist die Ver­ gütung für eine spätere Zeit im voraus entrichtet, so hat der Verpflichtete sie nach Maßgabe des § 347 oder, wenn die Kündigung wegen eines Um­ standes erfolgt, den er nicht zu vertreten hat, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuerstatten. Wird die Wndigung durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles veranlaßt, so ist dieser zum Ersätze des durch die Aufhebung des Dienst­ verhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet. Kann ein wegen Arbeitsversäumnis am 1. Mai entlassener Arbeiter den Lohn für den 2. Mai fordern, wenn er au diesem Tage bis 11 Uhr vormittags auf Ablehnung warten mußte ? S. 672. Ist der Arbeitgeber zur Entschädigung des Arbeiters verpflichtet, derf wegen Beleidigung die Arbeit verlassen hat? 8. 388. Kann der Prinzipal gegenüber der Schadensersatzklage des Gehilfen, der wegen Mißhandlung die Stelle verlassen hat, geltend machen, daß er zur sofortigen Entlassung berechtigt war? S. 388. Kann das Verhalten nach der Entlassung gegenüber der Entschädigungsklage in Betracht ge­ zogen werden? 8. 389. Ist bei Berechnung der Konkraktbruchsentschädigung konkurrieren­ des Verschulden des Arbeitgebers mit zu berücksichtigen? S. 389.

§ 629. Nach der Kündigung eines dauernden Dienstverhältnisses hat der Dienstberechtigte dem Verpflichteten auf Verlangen angemessene Zeit zum Aufsuchen eines anderen Dienstverhältnisses zu gewähren. Ist es als „Verlassen der Arbeit“ oder als „beharrliche Verweigerung“ anzusehen, wenn der gekündigte Arbeiter zwecks Aufsuchung anderer Arbeitsgelegenheit einen halben Tag fortbleibt? 8. 363. Darf der Arbeiter gegen das Verbot des Arbeitgebers Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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die Arbeit zwecks Aufsuchen einer neuen Stellung entlassen werden? 8. 672. Muß dem Arbeiter nach der Kündigung gerade diejenige Zeit zum Aufsuchen eines andern Dienstverhältnisses freigegeben werden, die er wünscht? 8. 672. Hat der Arbeiter Anspruch auf Vergütung für die zum Aufsuchen eines andern Dienstes gewährte Zeit? 8. 673. Kann Lohnentschädigung für die Zeit zum Aufsuchen neuer Arbeit verlangt werden, wenn nach der Arbeitsordnung für versäumte Arbeit ein Lohnabzug statt­ findet? 8. 674. Dauerndes Dienstverhältnis im Sinne von § 629 BGB. Ist die Kün­ digungsfrist oder die tatsächliche Dauer entscheidend? 8. 673. § 630. Bei der Beendigung eines dauemden Dienstverhältnisses kann der Verpflichtete von dem anderen Teile ein schriftliches Zeugnis über das Dienstverhältnis und dessen Dauer fordern. Das Zeugnis ist auf Verlangen auf die Leistungen und die Führung im Dienste zu erstrecken. Darf im (nicht gewerblichen) Zeugnis der außerhalb des Dienstes liegende Ent­ lassungsgrund angegeben werden? S. 674. Kann der Dienende ein Zeugnis nur über Leistungen oder nur über Führung allein verlangen? S. 674. S. auch zu § 113 GO., § 73 HGB.

Auftrag. § 662. Durch die Annahme eines Auftrags verpflichtet sich der Be­ auftragte, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besoregn. § 663. Wer zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich bestellt ist oder sich öffentlich erboten hat, ist, wenn er einen auf solche Geschäfte ge­ richteten Auftrag nicht annimmt, verpflichtet, die Ablehnung dem Auftrag­ geber unverzüglich anzuzeigen. Das Gleiche gilt, wenn sich jemand dem Auftraggeber gegenüber zur Besorgung gewisser Geschäfte erboten hat. § 664. Der Beauftragte darf im Zweifel die Ausführung des Auf­ trags nicht einem Dritten übertragen. Ist die Übertragung gestattet, so hat er nur ein ihm bei der Übertragung zur Last fallendes Verschulden zu vertreten. Für das Verschulden eines Gehilfen ist er nach § 278 verant­ wortlich. Der Anspruch auf Ausführung des Auftrages ist im Zweifel nicht über­ tragbar. § 665. Der Beauftragte ist berechtigt, von den Weisuungen des Auf­ traggebers abzuweichen, wenn er den Umständen nach annehmen darf, daß der Auftraggeber bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde. Der Beauftragte hat vor der Abweichung dem Auftraggeber Anzeige zu machen und dessen Entschließung abzuwarten, wenn nicht mit dem Auf­ schübe Gefahr verbunden ist. § 666. Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber die er­ forderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Ge­ schäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechen­ schaft abzulegen. § 667. Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbcsorgung erlangt, herauszugeben. § 668. Verwendet der Beauftragte Geld für sich, das er dem Auf­ traggeber herauszugeben oder für ihn zu verwenden hat, so ist er verpflichtet, es von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druck die in der zweiten Ausgabe neu aufgenommenen.

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§ 669. Für die zur Ausführung des Auftrags erforderlichen Auf­ wendungen hat der Auftraggeber dem Beauftragten auf Verlangen Vor­ schuß zu leisten. § 670. Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auf­ trags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersätze verpflichtet. § 671. Der Auftrag kann von dem Auftraggeber jederzeit widerrufen, von dem Beauftragten jederzeit gekündigt werden. Der Beauftragte darf nur in der Art kündigen, daß der Auftraggeber für die Besorgung des Geschäfts anderweit Fürsorge treffen kann, es sei denn, daß ein wichtiger Grund für die unzeitige Mndigung vorliegt. Kündigt er ohne solchen Grund zur Unzeit, so hat er dem Auftraggeber den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Liegt ein wichtiger Grund vor, so ist der Beauftragte zur Mndigung auch dann berechtigt, wenn er auf das Mndigungsrecht verzichtet hat. § 672. Der Auftrag erlischt im Zweifel nicht durch den Tod oder den Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Auftraggebers. Erlischt der Auftrag, so hat der Beauftragte, wenn mit dem Aufschübe Gefahr verbunden ist, die Besorgung des übertragenen Geschäfts fortzusetzen, bis der Erbe oder der gesetzliche Vertreter des Auftraggebers anderweit Fürsorge treffen kann; der Auftrag gilt insoweit als fortbestehend. § 673. Der Auftrag erlischt im Zweifel durch den Tod des Beauf­ tragten. Erlischt der Auftrag, so hat der Erbe des Beauftragten den Tod dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen und, wenn mit dem Aufschübe Gefahr verbunden ist, die Besorgung des übertragenen Geschäfts fortzusetzen, bis der Auftraggeber anderweit Fürsorge treffen kann; der Auftrag gilt insoweit als fortbestehend. § 674. Erlischt der Auftrag in anderer Weise als durch Widerruf, so gilt er zugunsten des Beauftragten gleichwohl als fortbestehend, bis der Beauftragte von dem Erlöschen Kenntnis erlangt oder das Erlöschen kennen muß. § 675. Auf einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag, der eine Geschästsbesorgung zum Gegenstände hat, finden die Vorschriften der §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 und, wenn dem Verpflichteten das Recht zusteht, ohne Einhaltung einer Mndigungsfrist zu kündigen, auch die Vor­ schriften des § 671 Abs. 2 entsprechende Anwendung. Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgung. Ist der Milchausträger zur Rechnungs­ legung und zur namentlichen Angabe der Kunden verpflichtet? 8. 676. Lateinischer Druck bezeichnet die Entscheidungen der ersten Ausgabe, deutscher Druchdie in der zwenen Ausgabe neu aufgenommenen.

Zweiter Teil.

Entscheidungen.

Zum Gewerbegerichtögesetz. 1. (1.) Ist das GG. für die Klage der Erben des Arbeiters znstündig? ■) Urteil desKgl. OberlandesgerichtsDresden vom 8. Nov. 1901.

Das GG. ist für zuständig erklärt worden. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 126.)

b) Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsenat, vom 15. April 1902. Das OberlandesgerichtDresden hat den ordentlichen Rechts­ weg für unzulässig erklärt. Auf die Berufung ist das Urteil aufgehoben. (RG-Entsch. Bd. 51 S. 193; Jur. Wochenschr. 1902 S. 317 Nr. 30.)

2. (2.) Kann der Gläubiger eines Arbeiters dessen von ihm gepfändete Lohnforderung vor dem GG. einklagen? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 12. September 1901.**) Die Klage auf Zahlung des gepfändeten Betrages ist wegen sachlicher Unzu­ ständigkeit des GG. abgewiesen.

b) Urteil des Amtsgerichts Barmen vom 21. Februar 1902. Das Amtsgericht hat die Klage wegen Unzuständigkeit abgewiesen und das GG. für zuständig erachtet. 3. (3.)

Kann der Zessionar eines Arbeiters die zedierte Lohnforderung vor dem GG. einklagen? a) Urteil des GG. Berlin vom 30. Oktober 1895.*)

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt.

(Unger Nr. 192.)

b) Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M. vom 13. März 1906. Das GG. hatte sich für unzuständig erklärt. Auf die Berufung des Kl. ist die Einrede der Unzuständigkeit verworfen und der Rechtsstreit an das GG. zurückverwiesen. Aus den Gründen: Nach dem Erlaß des GGG. haben sich Theorie und Praxis mehr und mehr der Ansicht zugeneigt, daß das GG. ein Personen­ gericht der im § 1 bezeichneten Kategorien sei, also unzuständig würde, wenn auf einer Seite die Parteiqualität als Arbeitgeber bzw. Arbeiter im Sinne dieser Bestimnmng wegfiele. Allerdings enthalten die Worte des § 1 des GGG. „zwischen Arbeitem einer­ seits und ihren Arbeitgebern andereiseits sowie zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers" eine subjektive Einschränkung der den GG. zugewiesenen gewerb­ lichen Streitigkeiten auf diesen Personenkreis. Die im § 1 Äbs. 1 an die Spitze gestellte Zweckbestimmung der GG. bezeichnet indes nur den Ursprung der Streitig­ keiten, zu deren Schlichtung diese Sondergerichte dienen sollen, ohne eine pro­ zessuale Zuständigkeitsnorm zu schassen. Dem entspricht durchaus die in der Be') Siche auch Nr. 206. 207. *) Siehe auch Nr. 205.

Baum, Gewerbegerichte.

2 gründung zu dem Gesetz gegebene Erläuterung, daß für die Streitigkeiten, welche im gewerblichen Verkehr aus dem Verhältnis zwischen Arbeitgebem und Ar­ beitern entstehen, eine im besonderen Maße des Vertrauens der Beteiligten versicherte und besonders schleunige Rechtspflege geschaffen werden sollte. Die prozessuale sachliche Zuständigkeit ist hingegen entsprechend den von dem Reichs­ gericht in seiner erwähnten Entscheidung Bd. 51S. 196') hervorgehobenen Prinzip der modemen Prozeßgesetzgebung — nach § 4 des Gesetzes lediglich danach zu be­ stimmen, ob aus einer unter § 1 fallenden Streitigkeit einer der im §4 aufgeführten — Ansprüche erwachsen ist und klagend geltend gemacht wird. Die Fassung des § 4 ist die gleiche, wie sie in dem GVG. allgemein bei der Regelung sachlicher Zuständigkeit gewählt worden ist (§ 23, 70 GVG.) die Notwendigkeit, daß der Klageanariff eine bestimmte persönliche Richtung haben müsse, ist im § 4

aber nicht hervorgehoben, im Gegensatz z. B. gegen § 101 Ziff. 1 GVG. Daß der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 1 Abs. 1 des GGG. nicht beabsich­ tigte, ein Personengericht im prozessualen Sinne zu schaffen, ergeben die Materialien und das Gesetz über die Schaffung der den GG. in ihrem Zweck und ihrer Organisation sehr ähnlichen KG. An dem § 1 dieses Gesetzes vom 6. Juli 1904 hat der Gesetzgeber die Worte „Streitigkeiten aus dem Dienst oder Lehrverhältnisse" mit der Begründung (Reichstagsdrucksachen 1903/1905 Anl. Bd. 1 Nr. 43 S. 9) eingeschoben, daß dadurch zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß die Zu­ ständigkeit des KG. auch dann gegeben ist, wenn der erhobene Anspruch vor oder nach Erhebung der Klage auf einen Rechtsnachfolger übergeganaen ist. Wie schon in diesen Worten erklärt der Gesetzgeber noch an mehreren anderen Stellen — z. B. Erläutemng zu § 5 — daß durch diese Änderung kein Gegensatz zu dem

GGG. geschaffen werden sollte. Die ganze Begründung des KGG. geht davon aus, daß die Bestimmungen des GGG., welches für die gewerblichen Arbeiter besondere Gerichte zur Entscheidung der aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Streitigkeiten geschaffen hat, auf die Gehilfen und Lehrlinge in Handelsgeschäften ausgedehnt werden sollten. Da der § 1 des GGG., wie auch das Reichsgericht anerkannt hat, eine die Auslegung in der einen oder anderen Richtung unbedingt bindende Fassung nicht hat, so können auch die bei Gelegenheit der Einrichtung der KG. von dem Gesetzgeber gegebenen nachträglichen Erläuterungen über die Zweckbestimmung der GG. für die von dem Berufungsgericht vertretene Auf­ fassung herangezogen werden (vgl. Bewer in der Deutschen Juristenzeitung 1904 S. 1110 ff. und das Gewerbegericht 1905 S. 345). Die Folgerungen, welche sich aus dieser weiteren Bestimmung der gewerbe­ gerichtlichen Kompetenz ergeben, widersprechen den praktischen Bedürfnissen nichf. Das Berufungsgericht ist allerdings der Ansicht, daß die Streitfrage für alle Fälle der Rechtsnachfolge einheitlich entschieden werden muß. Gerade in dem Falle der Universalsukzession, für den das Reichsgericht die Zuständigkeit der GG. ablehnte, wird es meist im dringenden Interesse der Erben liegen, die Ansprüche aus dem Lohnvertrage ihres Erblassers von dem mit den Verhältnissen vertrauten Gericht in gleich beschleunigter Weise zum Austrage zu bringen, wie es der Erb­ lasser gekonnt hätte. Die daraus sich ergebende Notwendigkeit, daß die GG. bei Prüfung derRechtsnachfolge über häufig schwierigeRechtsfragen zu befinden haben, erkennt auch die Gegenansicht für den Fall an, daß der Erbfall erst nach Rechts­ hängigkeit einkitt. Die Möglichkeit, daß bei Zulassung von Zessionaren vor das GG. dessen Geschäftsgang dadurch eine Erschwerung erleiden kann, daß auf dem Wege der Anspmchsabketung Prozeßagenten die Möglichkeit zum Auftteten vor dem GG. erhalten, da sie als KI. im eigenen Namen nicht nach § 31 GGG. zurück­ gewiesen werden können, ist zuzugeben. Es ist hier nicht zu erörtern, in welcher

') Vgl. oben Nr. 1.

Weise einem Mißbrauch dieses Rechtes entgegenzutreten ist, ob nicht z. B., wenn lediglich eine verschleierte Prozeßvollmacht vorliegt, der Kl. im eigenen Namen gemäß § 117 Abs. 2 BGB. mangels Aktivlegitimation abgewiesen werden kann. Andereckeits würde bei Anerkennung der Unzuständigkeit des GG. für zedierte Ansprüche jederzeit die Möglichkeit gegeben sein, die dem Gläubiger im Einzelfalle z. B. wegen des beschleunigten Verfahrens, wegen der Zusammensetzung des Richterkollegiums oder wegen der Rechtsmittelbeschränkung des § 65 GGG. lästige Tätigkeit des GG. auszuschalten. Diese Folgemng steht mit dem Geiste des Gesetzes (§ 6) zweifellos im Widerspruch und muß verhindert werden. In den Fällen, in welchen die Zession nicht zur Umgehung des Gesetzes stattgefunden hat, wird sie die Tätigkeit des GG. nicht unbillig behindern; im entgegengesetzten Falle muß aber der Erreichung des gesetzwidrigen Zweckes entgegengetreten werden. (Gewerbe- u. Kaufmannsgericht Jg. 12 Sp. 179.)

4. Ist das Amtsgericht für den Zessionar zuständig, dem ein vor das GG. gehöriger Anspruch nur abgetreten ist, «m die Zuständigkeit deS GG. auszuschließen? Urteile des Amtsgerichts I zu Berlin, Abteilung 45, vom 16. Oktober 1903 und des Landgerichts I zu Berlin, Zivilkammer 11, vom 19. Januar 1904. Kl. beantragt die Verurteilung des Bell, zur Zahlung von 300 ölt, indem er behauptet hat, Bell. habe bis Juli 1901 eine Dampfschneidemühle und Fabrik für Holz­ bearbeitung betrieben. Anfang Januar 1900 habe der Ausbruch eines Streiks zwecks Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit gedroht. Am 8. Januar 1900 seien etwa 30 Arbeiter ausgetreten. Darauf habe der Veit am 9. Januar, um die Arbeiter vom Streik abzuhalten, eine Versammlung einberufen, zu der sämtliche noch im Dienste befindliche Arbeiter erschienen seien. Dort habe der Bell, eine Rede des Inhalts ge­ halten, er sei längst willens gewesen, für seine Leute etwas zu tun, jetzt sei dazu die beste Gelegenheit. Er bestimme deshalb mit dem heutigen Tage für alle anwesenden Arbeiter folgendes: Jeder Arbeiter, der in seinem Geschäfte tätig sei, erhalte außer seinem Lohne jährlich 40 Mk. gutgeschrieben für treue Dienste. Ausgezahlt werde der ausgelaufene Betrag, wenn der Arbeiter 20 Jahre im Dienste sei, oder beim Tode des Bell, oder des Arbeiters und beim Verkaufe des Geschäftes. Auch für die folgenden 5 Jahre lege er die 40 Mk. zu, so daß nach 2Sjähriger Dienstzeit jeder Arbeiter noch 1000 Mk. bekomme. Einige Arbeiter haben hierauf Dankreden gehalten und im Namen der anderen versichert, daß sie in Treue weiter arbeiten wollten. Die sämtlichen anwesenden etwa 120 A> beiter seien im Dienste geblieben. Anfang Juli 1901 habe Bell, sein Geschäft verkauft, und damit seien die versprochenen Gratifikationen für alle Arbeiter fällig geworden, Fünf Arbeiter haben ihre Ansprüche am 7. August 1903 an den Kl. abgetreten. Bell, wendet ein, daß das GG. zuständig sei. Kl. hat nicht behauptet, daß er Valuta an die Zedenten gezahlt habe. Am 16. Oll. 1903 haben noch 14 andere gleichartige Prozesse gegen den Bell, zur Verhandlung ge­ standen. Kl. ist bei dem Bell, ebenfalls in Arbeit gewesen bis znm Verkaufe des Geschäftes. Das Amtsgericht hat sich für unzuständig erklärt.

Aus den Gründen des Amtsgerichts: Nach § 1 des GGG. sind für die Entscheidungen von gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitem und Arbeitgebern die GG. zuständig. Um einen solchen Anspruch handelt es sich hier: Kl. ist beim Bekl. bis zum Verkaufe von dessen Geschäft als gewerblicher Arbeiter — § 3 des Gesetzes — tätig gewesen und macht im gewerblichen Betriebe des Bell, entstandene Ansprüche — § 4 Nr. 2 ebenda — geltend. (Dahingestellt kann vorläufig bleiben, ob es sich um eine im Gewerbebetriebe vom Bell, ver­ sprochene Lohnzulage oder gemachte reine Schenkung handelt. Ferner werden die Angaben der Klage der Erörtemng zugrunde gelegt.) Sonach würde die Zuständigkeit des Berliner GG. für diesen Rechtsstreit keinem Bedenken unter-



4 liegen, wenn Kl. von ihm selbst im Gewerbebetriebe des Bell, erworbene An­ sprüche erhöbe, er tritt nun aber nur als Zessionar für fünf seiner Mitarbeiter auf, die von diesen erworbenen gewerblichen Ansprüche von je 60 Mk. gegen den Bell, ausllagend. Nach dieser Richtung hat sich die Praxis dahin befestigt, daß für solche Streitigkeiten, die zwar objektiv ihren Ursprung in einem gewerb­ lichen Arbeitsverhältnis haben, aber nicht zwischen den im § 1 des GGG. aus­ drücklich bezeichneten Personen zum Austrag gebracht werden, weil die aus dem Arbeitsverhältnisse entsprungene Forderung auf dritte Personen im Wege der Gesamt- oder Sondernachfolge übergegangen ist, die Tätigkeit des GG. in Er­ mangelung der maßgebenden Parteienqualität als ausgeschlossen gelten muß.— (Vgl. auch Blätter für Rechtspflege, 1902, S. 35—36 ’).) Somit wäre, rein formell betrachtet, für vorliegende Klage das Amtsgericht und nicht das GG. zuständig, weil Kl. ja, wenn er auch Arbeiter des Bell, war, doch jetzt nicht als solcher, sondem als Zessionar llagt. Trotzdem muß aber die Zuständigkeit des GG. und infolgedessen die Unzuständigkeit des Amtsgerichts für vorliegend erachtet werden. Eine wirlliche materielle Rechtsnachfolge hat gar nicht stattgesunden; Kl. ist nicht Eigentümer der Klageforderungen, sondem nur mit dem Scheine des Eigentümers umlleideter Vertreter der Zedenten, ihr Jnkassomandatar. Tatsächliche Kläger sind also die Zedenten, und für deren Rechts­ streit mit dem Bell, ist, wie eingangs ausgeführt, das GG. zuständig. Diese Aus­ legung der Zession ergibt sich aus folgenden Umständen: Einmal hat Kl. nicht behaupten wollen, daß er Valuta für die zedierten Fordemngen gezahlt hat, sodann spricht dafür die große Zahl der gleichzeitig anhängigen gleichartigen Sachen,

ferner die Tatsache, daß einzelne Kl. in anderen Sachen als Zedenten auftreten, aber keiner der Kl. seine eigene Fordemng geltend macht. Es ist offenbar nur die Form der Zession gewählt worden, um die Zuständigkeit des GG., welche das-Gesetz ausdrücklich für derartige Fordemngen statuiert hat, zu umgehen. Ein anderer überzeugender Grund ist aus dem Vorbringen des Kl. nicht ersichtlich; die Absicht, die Zahl der Prozesse durch Zessionen zu verringern, kann als Grund nicht angesehen werden. Auf diese Weise könnte das GG. im wesentlichen aus­ geschaltet werden, indem immer ein Arbeiter für den anderen dessen Anspruch einllaat, wie das hier geschehen ist. Ist also durch die Zession eine Rechtsnach­ folge in die Klagefordemngen nicht begründet, und Kl. nur als Vertreter der Zedenten anzusehen, so ist auch nur die Zuständigkeit des GG. gegeben. Die Bemfung des Kl. ist zurückgewiesen.

Aus den Gründen des Landgerichts: Auch das Bemfungsaericht nimmt aus den von dem Vorderrichter dargelegten Gründen an,,daß die fünf in der Klage benannten früheren Arbeiter der Bell, noch Eigentümer der hier geltend gemachten Forderung sind, während der Kl. nur unter der Form der Zession den Auftrag erhalten hat, den Klageanspruch gerichtlich geltend zu machen. Diese Feststellung erscheint um so unbedenklicher, als Kl. auch in der Bemfungsinstanz weder vorgetragen hat, daß irgendeine Zessionsvaluta bezahlt worden, noch daß es überhaupt die Absicht des Kl. und seiner Hintermänner gewesen sei, den Kl. zum materiellen Eigentümer des eingellagten Anspmchs zu machen. Die gesamten umfangreichen Ausfühmngen der Berufungsbeantwortung laufen vielmehr darauf hinaus, daß auch die nur formelle Zession zum Zwecke des Inkasso, ja, daß allein schon die Behauptung der Zession genügen müsse, um die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu begründen. Diese Anschauung ist jedoch verfehlt. Allerdings hat das Reichsgericht in den vom Kl. herangezogenen Entscheidungen Bd. 51 S. 173, J.W. Nr. 1902, S. 125 und namentlich Bd. 29 S. 37 I ff. dahin entschieden, daß dann die bloße Behauptung

*) Siehe auch Gewerbegericht, 8. Jg. Sp. 81.

der Kompetenz begründeten Tatsachen genüge, wenn diese Tatsachen auch zu­ gleich den Klageanspruch begründen, so daß eine Änderung im Laufe des Pro­ zesses eine Klageänderung begründen würde. Dann steht und fällt die Zuständig­ keit mit dem Anspruch selbst. Dies bezieht sich jedoch, wie die Entscheidung Bd. 29 unzweifelhaft ergibt, nur auf Klagen über Ansprüche aus einem Vertrage, bei denen die Existenz des Vertrages bzw. des Vertragsanspruches zugleich auch die Zuständigkeit gemäß § 296 ZPO. begründet. In solchen Fällen, so führt das Reichsgericht aus, müsse die Zuständigkeit zunächst auf die bloße Behauptung der Existenz des Vertrages hin unterstellt werden, weil die Prüfung der Zu­ ständigkeit zusaminenfalle mit der Prüfung des Vertrages überhaupt und weil, wie mit der Existenz des Anspruchs auch die Zuständigkeit des Erfüllungsortes gegeben sei, es umgekehrt auch ausgeschlossen sei, daß der Bell, etwa durch ein nicht zuständiges Gericht verurteilt werden könne, da ja bei der Unzuständigkeit auch das Urteil in der Sache selbst immer nur auf Abweisung lauten könnte. Es leuchtet nun aber ohne weiteres ein, daß im vorliegenden Falle die kompetenz­ begründende Tatsache der Zession mit der Existenz des geltend gemachten Anspruchs nichts zu tun hat, sondem lediglich noch mit der Frage der Aktiv­ legitimation des Kl. Die Frage, ob eine materiell wirksame Zession stattgefunden hat, so daß sich nicht mehr Arbeiter einerseits und Arbeitgeber andererseits, für deren Streitig­ keiten allein das GG. zuständig wäre, gegenübersteht, muß also vorweg geprüft werden, und diese Prüfung führt zu dem obigen festgestellten Ergebnis, daß die fünf Auftraggeber des Kl. nach wie vor dem Bell, als eigentlich Bell, gegenüber­ stehen und daß Kl. nur als Jnkassomandatar ihre Rechte wahrnimmt. Es kann sich daher nur noch fragen, ob nicht auch diese Jnkassozession genügt, um die Zu­ ständigkeit des GG. auszuschalten. Dies hat jedoch schon der Vorderrichter mit der zutreffenden Erwägung widerlegt, daß als eigentliche Kl. die sogenannten Zedenten des Kl. dem Bekl. gegenüderstehen, also Arbeiter ihrem Arbeitgeber. Ihnen will das Gesetz über die GG. die Wohltat einer Beschleunigung des Ver­ fahrens zuwenden, und deshalb ist für ihre Streitigkeiten das GG. zuständig. Diese Zuständigkeit beruht auf Bestimmungen des öffentlichen Rechts, und es ist deshalb unerheblich, ob die sogenannten Zedenten des Kl. vielleicht auf die Wohltat des Gesetzes verzichten und mit der Erteilung des Jnkassomandats gerade die Zuständigkeit des GG. ausschalten wollten'). (Gewerbegericht Jg.9 Sp. 172.),

6. (4.) Ist das GG. zuständig für Klagen auS Lehrverträgen, bei denen der Baier oder Vormund deS Lehrlings als Kläger ««stritt? a) Urteil des GG. zu Berlin (Nr. 1186/97 K. 1). Das GG. erklärte sich für unzuständig. (Gewerbegericht Jg. 4. Sp. 61.) b) Urteil des Kgl. Landgerich'tsFrankfurt a. M. vom 28. Okt. 1901.

Das Berufungsgericht hält das GG. für unzuständig.

6. (5.) Ist das GG. znständlg für die Klage deS Balers auf nochmalige Zahlung des Lohnes, welcher entgegen einem OrtSstatut direkt an den Sohn gezahlt ist? Urteil des Kgl. GG. zu Krefeld vom 2. Oktober 1902. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. ') Ebenso Kammergericht, 8. Zivilsen., v. 21. Dezember 1907 (ROLG. 19 Nr. 2).

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7. (6.) Ist für die Klage des Lehrherrn gegen den Vater, Mutter oder Vormund des LehrNngS daS GG. zuständig? a) Urteil des GG. Stettin. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 353.)

b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 2, vom 16. Mai 1898. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. c) Urteil des Kgl. Landgerichts Bielefeld vom 21. Februar 1901. Das Amtsgericht Bielefeld hatte die gegen den Vater des Lehrlings er­ hobene Klage auf Zahlung des Lehrgeldes wegen Zuständigkeit des GG. ab­ gewiesen. — Das Landgericht hat auf die Berusimg des Lehrherrn das Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. 8. (7.)

Ist das GG. zuständig für die Klage gegen den Konkurs­ verwalter des Arbeitgebers?

a) Urteil des Landgerichts! Berlin, Zivilkammer 8, vom 28. Dez. 1894. *) Die Frage ist bejaht.

(Blätter für Rechtspflege Jg. 1895 S. 15.)

b) Urteil des GG. zu Berlin, Kammer 4, vom 27. September 1901. Die vom Konkursverwalter erhobene prozeßhindernde Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des GG. ist verworfen. c) Urteil des GG. Zittau vom 12. März 1904. Der Kl. war vom März 1901 ab bei dem Töpfermeister L. in Zittau als Ofensetzer in Arbeit. Am 26. Februar 1904 wurde über das Vermögen seines Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet und der Bekl. zum Konkursverwalter bestellt. Dieser kündigte am folgenden Morgen dem Kl. ebenso wie allen andern Arbeitern des Gemeinschuldners und beschäftigte ihn, da der Geschäftsbetrieb wegen mangelnder Arbeit eingestellt werden mußte, überhaupt nicht. Der Kl. verlangt Lohnvergütung auf zwei Wochen. Der Bekl. wendet Unzuständigkeit des GG. ein, weil infolge der Konkurseröffnung das Amts­ gericht zuständig geworden sei.

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus denGründen: Eine gewerbliche Streitigkeit wird der Gerichts­ barkeit des GG. nicht schon dann unterworfen, wenn sie in einem Arbeitsverhält­ nisse eines Arbeiters, auf den der siebente Titel der GO. Anwendung findet, wurzelt, sondern erst dann, wenn sie zwischen einem Arbeiter und seinem Arbeit­ geber besteht, d. h. die Zuständigkeit must objektiv in der Art des Streitgegenstands gemäß GGG. § 4 und zugleich subjektiv in der Person der Parteien begründet sein, GGG. § 1. Eine Person, die nicht Arbeiter oder Arbeitgeber ist, der Gerichts­ barkeit des GG. unterwerfen wollen, heißt sie ihrem ordentlichen Richter entziehen, was gemäß GBG. § 13 unzulässig ist. Während das GGG. den Begriff des Ar­ beiters in § 3 bestimmt, unterläßt es — abgesehen von den hier nicht einschlagenden Vorschriften über die Zusammensetzung des Gerichtes — eine Festlegung des Begriffes Arbeitgeber. Sprachlich bedeutet zwar Arbeitgeber eine jede Person, pie einer anderen Arbeit gibt. Im Sinne des GGG. § 1 muß der Begriff aber enger gefaßt werden, wie sich aus dem geschichtlichen Zusammenhänge des Ge­ setzes mit der GO. ergibt. Rach § 120 a bet GO. in der Fassung des Gesetzes vom 7. IM 1878, der die Grundlage des GGG. bildet, war ein besonderes Verfahren für gewerbliche Streitigkeiten der selbständigen Gewerbetreibenden mit ihren Arbeitern vorgesehen. An Stelle des Begriffes „selbständiger Gewerbe­ treibender" ist im Gesetze der des Arbeitgebers getreten, ohne daß damit eine Verschiedenheit hätte ausgedrückt werden sollen. Auch die GO. gebraucht beide Ausdrücke in derselben Bedeutung. Es fragt sich nun, ob der Bell, als Konkurs>) Vgl. auch Nr. 208, 209,

Verwalter als Arbeitgeber im Sinne von selbständigen Gewerbetreibenden anzu­ sehen ist. Diese Frage ist zu verneinen. Mit der Eröffnung des Konkurses hört ein bis dahin selbständiger Gewerbetreibender gemäß Konkursordnung § 6 auf, selbständiger Gewerbetreibender zu sein. Auch wenn man den Konkursverwalter als den Vertreter des Gemeinschuldners auffaßt, so ist er doch nicht der Vertreter in dessen Eigenschaft als selbständiger Gewerbetreibender, denn Vermögen des Gemeinschuldners wird nicht auf seinen Namen und seine Gefahr verwaltet, was zum Begriffe eines selbständigen Gewerbetreibenden erforderlich wäre. Faßt man den Konkursverwalter als Vertreter der Gläubiger oder einer Bermögensmasse auf, so kann ihm ebenfalls nicht die Eigenschaft eines selbständigen Gewerbetreibenden zugelegt werden. Die Konkursverwaltung ist überhaupt kein Gewerbebetrieb. Diese Verwaltung dient lediglich dem Zwecke der Ver­ wertung des Vermögens des Gemeinschuldners und der Verteilung dieses Ver­ mögens unter die Konkursgläubiger. Es fehlt daher die zum Begriffe des Ge­ werbebetriebes notwendige Absicht der Gewinnerzielung, mindestens fehlt sie im vorliegenden Falle, wo der Konkursverwalter gemäß Konkursordnung § 129 Abs. 2 das Handwerksgeschäft sofort schließt. Belanglos ist hierbei der Umstand, daß der Konkursverwalter zur Erfüllung der Arbeitsverträge verpflichtet ist; dieser Umstand hat nur für den objektiven Grund der Zuständigkeit des GG. Bedeutung, nicht für den subjektiven. (Gewerbegericht Jg. 8 Sp. 222.)

9. Ist das GG. zuständig für den Konkursverwalter, der nach der Kon­ kurseröffnung die Dienste eines vom Gemeinschuldner eingestellten Arbeiters stillschweigend angenommen hat? Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsenat, v. 10. Juli 1903.T)

Das Reichsgericht hält das GG. nicht für zuständig. Aus den Gründen: Die Zuständigkeit des GG. ist nicht schon dann begründet, wenn der erhobene Anspruch auf einem gewerblichen Arbeitsvertrage beruht; es ist vielmehr auch weiter erforderlich, daß der Rechtsstreit zwischen dem Arbertgeber und dem Arbeiter, bzw. deren gesetzlichen Vertretern selbst (nicht deren Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolgern) anhängig ist. Nach dem Klagevortrag ist die Klage auf den von der Gemeinschuldnerin mit dem Kl. abgeschlossenen Vertrag gestützt, also auf einen gewerblichen Arbeitsvertrag; Bell, ist aber der Konkursverwalter. Die Zuständigkeit des GG. ist also nach dem Ausgeführten nur dann begründet, wenn der Konkursverwalter Vertreter des Gemeinschuldners ist oder in den Vertrag eingetreten ist oder als eingetreten zu gelten hat. Der erkennende Senat hat nun aber keinen Anstand genommen, an dem vom Reichs­ gerichte in der auch vom Berufungsgericht angezogenen Entscheidung v. 20. April 1895 (Entsch. d. Reichsgerichts in Zivils. Bd. 29 S. 29; vgl. Bd. 35 S. 31) aus­ gesprochenen Grundsätzen festzuhalten, wonach der Konkursverwalter bei Ver­ waltung der Masse nicht als Vertreter des Gemeinschuldners, sondem in Aus­ übung eines ihm gesetzlich übertragenen selbständigen Amtes in Tätigkeit tritt, und sonach ist der Konkursverwalter nicht ohne weiteres als Arbeitgeber anzu­ sehen. Es kann aber auch der Revision nicht darin beigetreten werden, daß der Konkursverwalter in das Vertragsverhältnis der Gemeinschuldnerin zum Kl. eingetreten ist. Mlerdings hat letzterer auch nach der Konkurseröffnung Dienste geleistet und für dieselben aus der Masse Zahlung erhalten. Mlem er hat seine Tätigkeit lediglich auf Grund des von der Gemeinschuldnerin abgeschlossenen und von chm angetretenen Vertrages zu den daselbst vereinbarten Bedingungen ge­ leistet. Ein ausdrücklicher Eintritt des Beu. in dieses Verhältnis gemäß § 17 K.-O. ist nicht behauptet. Es fatttt aber auch aus der Abnahme der Dienste und der *) Vgl. auch Nr. 211.

8

Lohnzahlung aus der Masse nicht auf eine stillschweigende Eintrittserkläruna geschlossen werden; denn es ist selbstverständlich, daß der Konkursverwalter sich nicht im Augenblick der Übernahme der Verwaltung über den Eintritt in die vom Gemeinschuldner eingegangenen Berttäge schlüssig machen kann (vgl. auch § 17 Abs. 2 K.-O.), und er muß gemäß § 22 KO. das vom Gemeinschuldner abge­ schlossene und vom Bediensteten angettetene Dienstverhältnis erfüllen, d. h. den Lohn bis zum Llblaufe der Kündigungsfrist bezahlen, gleichgülttg, ob er die Dienste abnehmen wlll und kann, oder nicht. Die Verwertung der Dienste zur Masse ist daher für den Eintritt des Verwalters nicht schlüssig. Auch die Tatsache, daß der Ben. die Mndigung auf § 133b GO. gestützt hat, spricht mehr gegen als für den Stillen desselben, in das Dienstverhältnis einzutteten; denn seit dem angeblichen Eintritte war eine Ändemng der Verhältnisse, die zur Mndigung wegen eines wichtigen Gmndes Veranlassung gegeben hätte, jedenfalls nicht eingetteten. Zweifelhaft kann nur sein, ob mcht § 22 KO. einen Eintritt des Konkursverwalters in das angettetene Dienstverhältnis krast Gesetzes bestimmt; aber auch dies ist nicht anzunehmen. Dagegen spricht, daß die Lohnforderungen auf Gmnd der Mndigung als (teils bevorzugte, teils unbevorzugte) Konkursfordemngen gelten, weiter aber vor allem die Tatsache, daß die Bezahlung der Löhne auf Grund des § 22 weder zu den Massenverwaltungskosten (§ 58 Ms. 2 KO.), noch zu den Ansprüchen aus Verttägen, deren Erfüllung zur Konkursmasse verlangt wird (§ 59 Ziff.2 KO. erster Fall) gerechnet wird, sondem, wie die Motive zu § 52 Ziff. 2 des Entwurfs (jetzt § 59 Ziff. 2) ausdrücklich hervorheben (vgl. Beil. Nr. 200 zu den Reichstagsverhandlungen von 1874/75 S. 1470), zu den­ jenigen, welche der Konkursverwalter ttaft Gesetzes (§ 58 Ws. 2 zweiter Fall) auch „für die Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens bezahlen muß", d. h. ohne in das Berttagsverhältnis eingetteten zu sein. Der Wortlaut des § 22 spricht auch von einem Eintritt in das Dienstverhältnis nicht, und das daselbst zugelassene Mndigungsrecht bezieht sich eben auf den vom Gemeinschuldner abgeschlossenen und vom Bediensteten angettetenen Verttag. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 241.)

10. (8.) Ist das GG. zuständig für die Klage eines Bauarbeiters gegen den Bauherrn, der in eigener Regie baut? Urteil des GG. Offenbach.

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 163.1

11. Ist das GG. zuständig für Streitigkeiten zwischen Produktivgenossen­ schaften und deren Mttgliedem? Die Bell, ist eine eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht. Gegen­ stand des Unternehmens ist die Herstellung von Möbeln nach Zeichnung, Innenarchi­ tektur und anderer Tischlerarbeiten sowie Verkauf derselben auf gemeinschaftliche Rechnunz der Genossen. Die drei Kl. sind unbestritten Mitglieder der Genoffenschaft. Sie forderi durch ihre Klagen von derselben Löhne für Arbeiten, welche sie der Bell, geleistet haben. Urteil des GG. Berlin, Kammer 4, vom 8. Ottober 1909. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt.

Aus den Gründen: Die GO. steht ersichtlich auf dem Standpunkt, daß, während bet einem Gewerbebetrieb es stch um Erzielung von Gewinn fü: den Untemehmer handelt, der Geschäftsbetrieb einer Genossenschaft als Unternehmerin regelmäßig nur Besserung des Erwerbs und der Wirtschaft der Mit­ glieder bezweckt, so daß die GO. in ihrem Sinne Genossenschaften nicht aß Arbeitgeber betrachtet. Es wäre sonst unverständlich, daß genanntes Gesetz vor einem stehenden Gewerbebetrieb und von einem Gewerbebetrieb im Umherziehen spricht, aber bei Konsum- „und anderen Vereinen" nicht eine» „Gewerbebetrieb", sondem — ausdrücklich unterscheidend — einen „Geschäfts-

betrieb" kennt (§ 33 Abs. 5, 41a Ms. 1, 105b Abs. 3 und 139mGO.). Der Zusätze in den eben genannten Paragraphen bedurfte es, um die Betriebe der Genossenschaften und anderer Vereine, welche allgemein als gewerbliche Betriebe im Sinne der GO. nicht angesehen werden, diesem Gesetz zu unterstellen. Die Bestimmungen über die Konsumvereine usw. sind in die GO. hineingebracht, weil nach den Motiven der in Frage kommenden Novellen von 1896 und 1900 solche Vereine und ihre Geschäftsbetriebe bisher den Gewerbebetrieben anderer Untemehmer gegenüber durch Befreiung von einzelnen Beschränkungen der GO., welchen die Gewerbebetriebe unterlagen, im Vorteil waren und eine solche Bevorzugung als ein Unrecht empfunden wurde. Der Gesetzgeber hatte keineswegs die Absicht, die Konsum- und anderen Vereine durch die besagten Novellen zu Gewerbetreibenden und die von ihnen beschäftigten Arbeiter zu Arbeitern im Sinne der GO. zu machen. Dieses trifft auch zu in dem Falle, in welchem, wie hier, Mtglieder in einer Produktivaenossenschaft als Arbeiter der­ selben in Bettacht kommen. Die Beziehungen solcher arbeitenden Mtglieder zu ihrem Verein aus dem Arbeitsverttage gestalten sich allerdings auch anders, als die Arbeitsverhältnisse dritter Personen zur Genossenschaft und zu sonstigen Unter­ nehmen. Die Bell. — eine Produktivgenossenschaft verhältnismäßig weniger Handwerker — muß beispielsweise auf die Mitarbeit ihrer Mtglieder rechnen und berechtigt sein, in Gemäßheit des Genossenschaftsverttages diese Arbeit zu fordem. Denn es ist nicht bloß Sache der Genossenschaft selbst, sich um Steigemng des Erwerbs ihrer Mtglieder zu bemühen, auch die einzelnen Genossen haben, so lange sie Mtglieder sind, zur Fördemng des Erwerbs aller durch ihre hand­ werkliche Tätigkeit beizuttagen. Jnsofem besteht für die Mtglieder der bell. Produktivgenossenschaft eine Gebundenheit, von welcher der GO. unterstehende Arbeiter frei sind. Nach alledem können Kl. als Arbeiter im Sinne der GO. und des GGG. nicht angespwchen werden. Daran ändert nichts § 17 Abs. 2 des Reichs­ gesetzes bett. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Wenn es dort heißt: „Genossenschaften gelten als Kaufleute im SinnedesHGB., soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschnften enthält", so sind danach Genossenschaften wohl im Sinne des HGB., nicht aber im Sinne der GO. als Kaufleute zu be­ handeln, ganz abgesehen davon, daß auf die Genossenschaften als Kaufleute das HGB. nur soweit Anwendung findet, als das Gesetz bett. Erwerbs- und Wirt­ schaftsgenossenschaft nicht vom HGB. abweichende Vorschriften trifft. Der § 17 hätte, wie dies nicht geschehen, den Genossenschaften die Eigenschaft der Arbeit­ geber im Sinne der GO. ausdrücklich verleihen müssen. Ebenso fehlt für die arbeitenden Mtglieder der Genossenschaften und die übrigen Arbeiter derselben die Bestimmung im Gesetz, daß ihnen die Qualität der Arbeiter im Sinne der GO. beigelegt sei. (Reichsarbeitsbl. Jg. 7 Nr. 12 S. 945.)

12. (9.)

Ist das GG. zuständig für Ansprüche gegen unselbständige Arbeitgeber? rU

a) Urteile des Amtsgerichts Plettenberg vom 27. Juni 1901 und des Landgerichts Hagen vom 20. Dezember 1901. Das Amtsgericht hat sich unter Bemeinung der Zuständigkeit des GG. für zuständig erklärt.

Die Berufung des Bell, ist zurückgewiesen.

b) Urteil des GG. Plauen i. B. Ein Bäckergehilfe war von dem Backmeister eines Konsumsvereins für eigene Rechnung angenommen. Das GG. hat sich für den Rechtsstreit zwischen beiden für zuständig erllärt.

§1 GGG.

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Aus den Gründen: Der Meinung, daß unter Arbeitgebern im Sinne des § 1 GGG. nur selbständige Gewerbetreibende, die über eigene Be­ triebsstätten verfügten und für eigene Rechnung arbeiteten, zu verstehen seien, kann nicht beigepslichtet werden. Die Beweisführung der Vertreter dieser An­ sicht — (vgl. das Urterl des LG. Hagen v. 20. Dezember 1901, Jg. 1903 Sp. 83)') — geht dahin, daß, da sich nach § 3 GGG. der Begriff des Arbeiters im Sinne der §§ 1 und 3 GGG. mit dem des gewerblichen Arbeiters im Sinne des Tit. VII GO. abgesehen von der bereits erwähnten Ausnahme, decke, der Begriff des Arbeit­ gebers im Sinne des § 1 GGG. sich ebenfalls aus Tit. VII GO. bestimme und daß daher, da Tit. VII von dem Verhältnis zwischen selbständigen Gewerbetrei­ benden und gewerblichen Arbeitern handle, auch als Arbeitgeber im Sinne des § 1 GGG. nur selbständige Gewerbetreibende in Betracht kommen könnten. Dieser Schluß ist irrig. Zwar ist zuzugeben, daß, da § 3 GGG. sich bei Abgrenzung des Kreises der der Rechtsprechung der GG. unterstehenden Arbeiter an Tit. VII GO. anlehnt, auch der Kreis der Arbeitgeber, die unter das GGG. fallen, durch Tit. VII GO. insofern bestimmt wird, als Arbeitgeber im Sinne des § 1 GGG. immer nur solche Personen sein können, welche unter Tit. VII GO. fallenden ge­ werblichen Arbeitern in ihrem Gewerbebetriebe Arbeit geben. Allein damit ist für die hier bekämpfte Ansicht noch nichts gewonnen; denn soweit in Tit. VII GO. in Verb, mit der Abgrenzung der Rechte und Pflichten der gewerblichen Arbeiter zugleich Vorschriften über die Rechte und Pflichten derjenigen Personen erlassen werden, welche solche Arbeiter beschäftigen, beziehen sich diese Vorschriften keines­ wegs bloß auf solche Gewerbetreibenden, die über eigene Betriebsstätten ver­ fügen und ihr Gewerbe für eigene Rechnung und Gefahr und unter eigener Ver­ antwortlichkeit ausüben, sondern auf alle Gewerbetreibenden, die, mögen sie auch von einer anderen Person wirtschaftlich und persönlich abhängig sein, ge­ werbliche Arbeiter der in der Überschrift des Tit. VII GO. bezeichneten Art in eigenem Namen und für eigene Rechnung beschäftigen. Das geht insbesondere

aus den über Arbeitsbücher und Arbeitszeugnisse Bestimmung treffenden Vor­ schriften der §§ 107 bis 113 GO. hervor, die für alle Arbeitgeber gelten, welche Arbeitern in eigenem Namen und auf eigene Rechnung gewerbliche Beschäftigung gewähren. Wenn § 105 GO., abweichend von den folgenden Paragraphen, die immer nur von Gewerbeunternehmern, Gewerbetreibenden und Arbeitgebern reden, von selbständigen Gewerbetreibenden spricht, so steht dies mit dem soeben Gesagten nicht in Widerspruch. Durch das Beiwort „selbständig" hat dort nur der Gegensatz zum Ausdruck gebracht werden sollen, der zwischen denen, die andere als Arbeitern beschäftigen, und denen, die bei anderen als Arbeiter in Arbeit treten, insofern besteht, als jene diesen gegenüber ihre wirtschaftliche und persönliche Selbständigkeit behalten, während diese durch Abschluß des Arbeitsvertrages dieser Selbständigkeit verlustig gehen. Daß diejenigen, welche in diesem Sinne gewerb­ lichen Arbeitern selbständig, nicht bloß als Stellvertreter, Geschäftsführer oder Beauftragte anderer, Beschäftigung geben, ihrerseits vielleicht ebenfalls wieder von Dritten mehr oder weniger abhängig sind, ist für ihr Verhältnis zu den von ihnen beschäftigten Personen ohne Belang. Die hier vertretene Auffassung findet auch durch die Motive zum GGG. insofern chre Bestätigung, als diese es für selbstverständlich erklären, daß Streitig­ keiten der Hausgewerbetreibenden mit ihren Arbeitem, obwohl entere als selbständige Gewerbetreibende in dem hier bekämpften Sinne sicher nicht bezeichnet werden können, der Zuständigkeit des GG. unterliegen. Ebenso läßt Landmann in seinem Kommentar zur GO. in der Anm. 2a zu § 14 sich dahin aus, daß, um einen selbständigen Gewerbebetrieb im Sinne der GO. anzu-

') Siehe zu a.

nehmen, nicht unbedingt erforderlich sei, daß der Betrieb auf Rechnung des Aus­ übenden erfolge; auch wenn Gewmn und Verlust infolge Vertrags eine dritte Person träfen, auch wenn der Gewerbetreibende keinen Untemehmergewinn oder bloß oder doch in der Hauptsache nur Arbeitslohn bezöge, könne derselbe unter Umständen als selbständiger Gewerbetreibender anzusehen sein, vorausge­ setzt, daß er dasGewerbe in eigenemNamen betreibe. Wenn von gegnerischer Seite auf § 16 GGG. hingewiesen wird, wo aus­ drücklich die Bezeichnung „selbständige Gewerbetreibende" für „Arbeitgeber" gebraucht sei, so ist zu erwidern, daß es sich in § 16 nicht um die Feststellung des

Begriffes des Arbeitgebers im Sinne des § 1, sondern, wie das Gesetz scharf her­ vorhebt, nur im Sinne der das W a h l r e ch t regelnden §§ 12 und 14 handelt, wie ja auch die Frage, ob jemand, der zwar anderen Arbeit gibt, zugleich aber selbst bei einem anderen in Arbeit steht, als Arbeiweber oder als Arbeitnehmer wahlberechtigt und wählbar sei, nach anderen Gesichtspunkten zu entscheiden ist, als die Frage, ob er bei Streitigkeiten mit seinen Arbeitem als Arbeitgeber im Sinne des § 1 GGG. zu betrachten sei. et hiernach die Meinung der Gegner der hier vertretenen Ansicht weder . selbst, noch in der GO. eine ausreichende Stütze, so erscheint es um so bedenllicher, in Fällen der hier vorliegenden Art die Zuständigkeit des GG. anzunehmen, als sich sachliche Gründe hiergegen überhaupt nicht ins Feld

Ä

führen lassen. Warum das Verhältnis eines gewerblichen Arbeiters zu seinem Arbeitgeber nach verschiedenen Grundsätzen und Gesetzen beurteilt werden soll, je nachdem der Arbeitgeber selbständig oder selbst wieder von einem Dritten abhängig ist, ist in der Tat nicht einzusehen, zumal wenn der Arbeiter von dem Abhängigkeitsverhältnisse, in welchem sich sein Arbeitgeber zu dem Dritten befindet, wie dies sehr häufig der Fall sein wird, gar keine Kenntnis hat. — Wäre die geg­ nerische Meinung richtig, so würden, nebenbei erwähnt, damit auch von den in der hiesigen Industrie beschäftigten Arbeitem gwße Kreise der gewerbeaerichtlichen Rechtsprechung entzogen werden, wie z. B. die Putzer der für Ma­ schinenfabriken tätigen Monteure und die Fädlerinnen der in Fabriken arbeitenden Handmaschinensticker. (Gewerbegericht Jg. 8 Sp. 204.)

13. Ist das GG zuständig für Ansprüche gegen eine Unterstützungskasse, die der Arbeitgeber allein ohne jede Mitwirkung der Arbeiter unterhält? Urteil des Reichsgerichts, 2. Zivilsenat, vom 2. November 1909.

Das Reichsgericht erachtet das GG. für unzuständig. AusdenGründen: Das Oberlandesgericht ist unter Berücksichtigung der Art und Weise, wie den Arbeitem der Bell, ihre Zugehörigkeit zu der von der Bell, gegründeten Unterstützungs- und Jnvalidensparkasse kundgegeben wird und den Kl. kundgegeben worden ist, sowie des Inhalts des Kassenstatuts, wonach die Gründung, Einrichtung und Unterhaltung der Kasse sich als eine reine Wohltätigkeit der Bell, ohne jegliches Zutun und Mtwirken der Arbeiter darstellt, und dem Ermessen der Bell, der weiteste Spielraum eingeräumt ist, zu dem Ergebnisse gelangt, daß die zwischen den Kl. als Kassenmitguedem und der Bell, entstandenen Beziehungen und etwaige daraus abzuleitende Ansprüche nicht in dem durch den Arbeitsvertrag geschaffenen Rechtsverhältnisse wurzeln und diesem ihre Entstehung verdanken, vielmehr nur in oem Arbeitsverhältnis ihren Anlaß haben, daher es sich nicht um Leistungen aus dem Arbeitsverhältnisse handüe, über die zu entscheiden das GG. ausschließlich zuständig wäre, §§ 4 Abs. 1 Hiss. 2 und § 6 GGG. Diese Begründung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für den gegenwärtigen Rechtsstreit ist rechtlich bedenkenfrei.

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§§ 1, 3 GGG. (Bahnangestellte.)

14. (10.) Ist das GB. zuständig für Ansprüche gegen die FabrikpensionSkafse? Urteil des G G. Mainz. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 27.)')

Zuständigkeit für Lahnangestellte (15—29). 16. (11.) Ist für die Lohnklage eines Wagenführers einer elektrifchen Straßenbahn daS GG. zuständig? Urteil des GG. Hamburg vom 23. August 1897 und des Landgerichts daselbst vom 29. November 1898. Das GG. wies die Klage wegen Unzuständigkett ab. Das Bemfungsgericht wies die hiergegen eingelegte Berufung zurück. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 123.)2)

16. (12.) Ist das GG. zuständig für die Klage eines Pferdebahnschaffners? Urteil des Kgl. GG. zu Köln. Das GG. wies den Kl. wegen Unzuständigkeit ab. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 72.)

17. (13.) Untersteht ein bei dem Gütertransport einer Eisenbahn be­ schäftigter Arbeiter? Urteil des GG. zu Hamburg. Die Klage ist wegen Unzuständigkeit abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 136.)

18. (14.) Ist das GG. zuständig für Betriebswächter einer Kleinbahn? (Berliner Hochbahn.) Urteil des GG. Berlin, Kammer 6, vom 10. März 1902. Das GG. hat sich für zuständig erachtet.

19. Unterstehen die Kraftstation und die Werkstätten der Hoch- und Untergrundbahn zu Berlin der Gewerbeordnung? Urteil des Kammergerichts, 2. Straffenat, vom 18. Okt. 1904.

Die Frage ist verneint. AusdenGründen: Die Gesellschaft für elektrische Hoch- und Unter» grundbahnen zu Berlin unterhält daselbst Warschauerstraße, Hochbahnbogen 20—26, eine Betriebswerkstatt und in der Trebbinerstraße eine Kmftstation. Das Unter­ nehmen der genannten Gesellschaft besteht im wesentlichen darin, in auf einem fest» gefügten Schienenwege dahinlaufenden Wagen, die durch elektrische Kraft bewegt werden, innerhalb der Stadtgebiete von Berlin, Schöneberg und Charlottenburg Personen gegen Entgelt zu befördem. Der zur Bewegung und Erleuchtung der Wagen erforderliche elektrische Strom wird in der in der Trebbinerstraße belegenen Kraftstation erzeugt. Die in der Warschauerstraße befindliche Werkstätte, mit *) Vgl. auch Nr. 95. •) Ebenso Unger Nr. 166. — GG. Berlin v. 10. September 1907 (Reichsarbeitsbl. Jg. 1 S. 224); GG. Offenbach a. M. v. 4. August 1909 (Gewerbe» u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 40.).

§ 3 GGG. (BahnangesteNte.)

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welcher zugleich Wagenschuppen verbunden sind, dient aber dazu, die Gangbarkeit und Betriebssicherheit der zur Personenbeförderung verwendeten Wagen zu prüfen und zu erhalten. Dort werden täglich diese Wagen während der kurzen Dauer des Ruhens des Betriebes untersucht, gereinigt und erforderlichenfalls auch ausgebessert. Sowohl die Kraftstation als auch die Werkstätte in der Warschauerstraße dienen lediglich dem Zwecke und der Fördemng des Eisenbahn unternehmens der Gesellschaft und sind so wesentliche Bestandteile desselben, daß ohne sie der Betrieb des Eifenbahnunternehmens selbst nicht mit der erforderlichen Sicherheit und Ungestörtheit durchgeführt werden könnte. Wenn daraufhm vom Berufungsgerichte weder die Kraftstation in der Trebbinerstraße, noch die Werkstätte in der Warschauerstraße als besonderer selb­ ständiger Bewirb angesehen worden ist, vielmehr angenommen ist, daß sie als Bestandtelle des Eisenbahnunternehmens selbst gemäß § 6 der GO. den Borschriften dieses Gesetzes mcht unterliegen, so ist hierin ein Rechtsirrtum nicht zu erblicken. Der Borderrichter befindet sich damit in Übereinstimmung mit der im Kom­ mentar von v. Rohrscheidt verwetenen Ansicht, daß von den Vorschriften der GO. z. B. nicht betroffen wird eine Maschinenwerkstatt, die die Eisenoahnverwaltung lediglich zur Fördemng ihrer Eisenbahnuntemehmung eingenchtet hat, und die also ein von letzterem getrenntes besonderes Gewerbe mcht darstellt (v. Rohrscheidt, Die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich 30, 31 Anm. 11 Abs. 3 zu § 6 GO.). Dem scheint auch von Landmann in seinem Kommentar und das Reichsgericht in dem Urteile vom 30. Dezember 1882, in welchem die Frage allerdings nur bei­ läufig berührt wird, zuzustimmen (vgl. von Landmann-Rohmer, Kommentar zur Gewerbeordnung für das Deutsche Reich 4,1, 67, 68, Anm. 3, Abs. 4 zu § 6 GO. und RG. 8,149,150,151). Auch bei Stenglein, Die strafrechllichen Nebengesetze des Deutschen Reiches, 3, 750, ist in Note 6 zu § 6 der GO. die Ansicht verweten, daß der Gewerbebettieb der Eisenbahnbetriebsunternehmungen von der GO. ausgeschlossen ist, auch bezüglich ihrer Werkstätten, welche lediglich zur Fördemng des Betriebes errichtet sind und betrieben werden. Die gleiche Auffassung liegt endlich auch dem Urteile des Kammergerichts vom 26. März 1903 (nntgeteilt m dem Gewerbearchiv für das Deutsche Reich 2, 555 ff.) zugrunde, in welchem ange­ nommen ist, daß der Automatenbetrieb auf Bahnhöfen einen Teil des Gewerbebewiebes der Eisenbahnunternehmungen bildet und deshalb den Vorschriften der RGO. nicht unterworfen ist (vgl. auch die Urteile des OL.G Köln vom 28. Dez. 1901, des OLG. Frankfurt a. M. vom 4. IM 1902 und vom 6. Febmar 1903, des OLG. Naumburg vom 7. März 1903 und des OLG. Stuttgart vom 26. Jan. 1903, Gewerbearchiv für das Deutsche Reich 2,92, 373 ; 3,3; 2,553 ; 3,5). Im übrigen kaim auch noch auf die im wesentlichen für zuwef fend erachteten Ansfühmngen von Oesterlen in dem Beiwage zur Auslegung des § 6 GO. (Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen, Jg. 41 von 1901, 485 ff.) hingewiesen werden. Demgegenüber vermag das Revisionsgericht sich der abweichenden Auf­ fassung der preußischen Staats-Eisenbahnverwaltung, soweit dieselbe die Werkstätten der Eisenbahnverwaltungen durchweg unter die Bestimmungen der GO. gestellt wissen will, nicht anzuschließen. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 223.)

20. Ist das GG. zuständig für Werkstattarbeiter einer Straßenbahn? Urteil des GG. Bielefeld vom 15. März 1905. Das GG. hat die Klage eines Reparaturschlossers wegen Unzuständigkeit abgewiesen *). *) Ebenso GG. Danzig v. 24. April 1907 (Gewerbe- u. Kaufmannsgericht Jg. 12 Sp. 233).

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§3 GGG. (Bahnangestellte.)

Aus den Gründen: Für den Begriff der Eisenbahnunternehmungen ist das Wesenlliche und Erhebliche der feste Spurweg. Ein solcher ist bei der elek­ trischen Straßenbahn in Bielefeld vorhanden. Sie zählt also im Sinne des § der GO. zu den Eisenbahnuntemehmungen (vgl. Sinnt. 10 zu § 6 der GO. im Kommen­ tar von v. Landmann, Ausl. 4 S. 66 und die dort angeführten Zitate, Entsch. d. Reichsgerichts Bd. VI S. 289). Nach anderer Richtung wirft sich die Frage auf, ob eine Reparaturwerkstätte zum Gewerbebetriebe einer Eisenbahnunternehmung, hier also zur elektrischen Straßenbahnunternehmung, gehört oder nicht. Es ist nicht zu verkennen, daß diese Frage vielfach widersprechend beantwortet ist. Nach Auffassung des er­ kennenden Gerichts gehört aber zum Betriebe einer elektrischen Straßenbahn, wie einer jeden Eisenbahnuntemehmung, notwendig die lediglich für die Unter­ haltung der Bahn dienende Reparaturwerkstatt. Ohne eine solche ist der Betrieb und die Unternehmung nicht denkbar, da andauernd für den Fährbetrieb die Unterhaltung sowohl der Bahnanlagen als des Betriebsmaterials jederzeit durch die zugehörige Reparaturwerkstatt erforderlich ist. Es sind immerfort Reparaturen und Ergänzungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich. So wie also der Betrieb der Eisenbahnunternehmungen nicht ohne die Fahrbeamten, Streckenusw. Arbeiter aufrecht zu erhalten ist, ebensowenig ist er aufrecht zu erhalten ohne Revaraturwerkstätte und ohne Reparaturwerkstättenarbeiter, wie Kl. es ist. — Andererseits läßt sich aber auch eine Reparaturwerkstätte, wie die hier fragliche, nicht als ein von dem Eisenbahnunternehmen der elektrischen Straßenbahn ge­ trenntes besonderes Gewerbe betreiben. Bei der Trennung verlöre sie ihren Charakter, verlöre ihre Betriebsmöglichkeit, weil die Arbeitsaufträge fehlen würden, da ja in Bielefeld eine zweite elektrische Eisenbahnuntemehmung, auf die alle Einrichtungen des Betriebs der Reparaturwerkstätte zugeschnitten sind, nicht existiert. Die Zugehörigkeit zur elektrischen Eisenbahnuntemehmung zeigt sich auch darin, daß Bahnbetrieb und Werkstättenbetrieb ein und derselben Leitung unterstellt sind. Der Wortlaut des 8 6 der GO. macht ja auch keinen Unterschieb zwischen Haupt- und Hilfsgewerbe der Eisenbahnuntemehmungen. Mso findet auch auf deren Hilfsgewerbe die GO. keine Anwendung. (Gewerbegericht Jg. 10 SP. 137.)

21. (15.) Ist daS GG. zuständig für Klagen von Streckenarbeitern bei der Gleislegnng einer Dampfstraßenbahn? (§ 6 GO.) Urteil des GG. Frankfurt a. M. vom 2. April 1901. Das GG. hat sich für zuständig erllärt.

22. (16.) Gehört ein in einer Haupteifenbahn-Reparaturwerkstatt bzw. Wagenbananstalt beschäftigter Arbeiter (Stellmacher) zu den gewerb­ lichen Arbeitern?

a) Urteil des GG. Berlin vom 14. September 1894. Das GG. hat sich für zuständig erllätt. (Unger Nr. 167.)

b) Urteil des GG. Duisburg-Meiderich vom 8. November 1907. Kl. hat gegen die Bell, eine Lohnfordemng von 45,60 Mk. abzüglich des Kranken­ geldes; er beantragte, die Bell, zur Zahlung zu verurteilen.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Die Prüfung der Zuständigkeit nach § 14 des GVG. hat ergeben, daß in dem vorliegenden Streitfälle das GG. nicht zuständig ist. Nach § 6 der RGO. findet diese keine Anwendung auf den Gewerbebettieb der

§3 GGG. (Bahnangestellte.)

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Eisenbahnunternehmungen. Hierzu zählen auch die elektrischen Bahnen (von Landmann VI. Ausl. Bd. IS. 66). Nun ist in der Rechtsprechung mehrfach angenommen worden, unter dem Gewerbebetrieb der Eisenbahnunternehmungen der stehe man nur den äußeren Eisenbahnbetrieb und nicht den Betrieb der Eisenbahn­ werkstätten. Deshalb falle der letztgenannte Betrieb unter die Bestimmungen der RGO. Es finde also der VII. Teil der RGO. auf die Arbeiter in EisenbahnWerkstätten Anwendung. Demzufolge würden diese Arbeiter nach § 3 des GGG. der Zuständigkeit des GG. unterliegen. Diese Auffassung ist von anderen^Gerichten aber nicht geteilt worden; es liegen Urteile vor vom OLG. Frankfurt a. M. (v. 4. Juli 1902), OLG. Marienwerder (v. 19. November 1904) und dem Kammer­ gericht (v. 18. Okt. 1904), worin die Rechtsauffassung zum Ausdmck gebracht wird, daß die Arbeiter der Eisenbahnunternehmungen — und zwar nicht allein die im äußeren Eisenbahnbetriebe beschäftigten, sondem auch diejenigen, welche in den lediglich dem Zweck und der Förderung des Bahnbetriebes dienenden Werk­ stätten der Eisenbahnunternehmung beschäftigt werden — nicht als gewerbliche Arbeiter im Sinne des VII. Titels der GO. zu gelten hätten. Auf diese Rechts­ auffassung haben auch die Herren Minister für Handel und Gewerbe und der Justiz in den Erlassen vom 18. Februar und 7. Dezember 1905 (Ministerialblatt der Handels- und Gewerbeverwaltung 1905 S. 44 und 350) Bezug genommen. In dem erstgenannten Erlaß ist ausgeführt, es erscheine geboten, daß bei dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung auch die Gewerbeaufsichtsbeamten und Polizeibehörden nicht mehr versuchen, die Bestimmungen des Titels VII der GO. in Eisenbahn-Reparaturwerkstätten zwangsweise zur Durchführung zu bringen und daß die Gewerbeaufsichtsbeamten überhaupt in ihnen keine Zuständigkeit mehr in Anspruch nehmen. In dem anderen Erlaß ist die Wahlberechtigung und Beittagspflicht einer Kleinbahn-Aktiengesellschaft zu einem Kgl. GG. verneint worden. Der Bezirksausschuß in Köln hat in einem Beschluß vom 19. März 1907 ausgeführt, gegenüber dem Wortlaut des § 6 der RGO., der ohne Unterscheidung S'ischen Haupt- und Hilfsgewerbe die Eisenbahnunternehmungen schlechthin aus­ ließe, erscheine die abweichende Behandlung einerseits der im Fahrdienste, andererseits der im Sttecken- und Werkstättendienste beschäftigten Arbeiter eine künstliche, als Wille des Gesetzgebers nicht ohne weiteres erkennbare. Der Be­ zirksausschuß ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen des RG. in seinem Urteil vom 30. Dezember 1882 (Entscheidung i. I. S. Bd. 8 S. 151) der Ansicht, daß — so lange der 8 6 a. a. O. keine andere Fassung erhält — die GO. auch auf die Werkstätten- und Stteckenarbeiter der Eisenbahnunternehmungen keine An­ wendung finde. Endlich ist in dem Erlaß des Herm Ministers für Handel und Ge­ werbe vom 12. August 1907 (Min.-Bl. der Handels- und Gewerbeverwaltung 1907, S. 326) folgendes ausgesührt: „Nachdem in mehreren Urtellen von Oberlandesgerichten dahin erkannt worden ist, daß Werkstätten, die lediglich dem Zwecke und der Fördemng eines Eisenbahnuntemehmens dienen, als dessen wesenüiche Bestandtelle gemäß § 6 der GO. den gesamten Vorschriften der GO. nicht unterworfen seien, ordne ich im Einverständnis mit dem Herm Minister der öffenüichen Arbeiten in Ergänzung des Erlasses vom 18. Februar 1905 und in Abände­ rung der Erlasse vom 25. Mai und 15. Juni 1892 hierdurch an, daß sich die Gewerbeauffichtsbeamten in den staallichen wie in den nichfltaatlichen Eisen­ bahnwerkstätten jeder Tättgkeit enthalten und diese Werkstätten auch in den Jahresberichten und den dazu gehörigen stattstischen Nachweisungen nicht mehr berücksichtigen." Durch den letztgenannten Erlaß ist die Gewerbeauflicht in den Eisenbahn­ werkstätten im preußischen Staate vollständig beseittgt. Bei dieser Sachlage hat das GG. sich der Auffassung angeschlossen, daß nach § 6 der RGO., deren Äe-

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§3 GGG. (Bahnangestellte, Gärtner.)

Stimmungen auf Eisenbahmmtemehmungen gemeinhin, also auch auf die Eisen­ bahnwerkstätten, keine Anwendung finden. Die Eisenbahnwerfftättenarbeiter gehören danach nicht zu den Arbeitern, auf die der VII. Titel der RGO. An­ wendung findet und unterliegen deshalb gemäß § 3 des GG. der ZustäMgkeit der Gewerbegerichte nicht. (Gewerbe- u. Kaufmannsgericht Jg. 13 Sp. 182.)

23. Ist das GG. zuständig für Kellner einer Eisen-ahn-SchlafwagenGesellschaft? Urteil des GG. München vom 22. März 1907. Das GG. hat sich für zuständig erllärt. Aus den Gründen: In Theorie und Praxis besteht Streit über den Umfang der in § 6 GO. statuierten Ausnahme (vgl. Landmann, Kommentar z. GO. 4. Ausl. S. 66 ff.; Reger-Stössel, Handausgabe der GO. 4. Aust. Anm. 9 zu § 6 a. a. O.). Das Gericht glaubt sich in dieser Streitfrage den Meinungen an­ schließen zu sollen, die eine einengende Auslegung des Begriffes „Eisenbahn­ unternehmungen" vertreten. Dies erscheint schon dadurch geboten, daß der § 6 der GO. eine Ausnahmevorschrift gegenüber dem allgemeinen Begriff des Ge­ werbes im Sinne der GO. darstellt, die bezüglich der Eisenbahnbetriebe im Interesse des öffentlichen Verkehrs getroffen wurde. Damach muß die Ausnahme sich beschränken auf die Eisenbahnen als Transportuntemehmungen und darf sich nicht erstrecken auf alle sonstigen Annexe (vgl. Reger-Stössel a. a. O.). Dies muß insbesondere gelten für die sog. Nebenbetriebe, die sich nicht unmittelbar als Transportuntemehmungen darstellen, sondem diesen nur mittelbar dienen. Ein Gmnd, auch sie als Eisenbahnuntemehmungen im Sinne der GO. anzusehen, ist nicht ersichtlich. Ms solcher Nebenbetrieb ist auch der Wirtschaftsbetrieb der Bekl. in den Zügen anzusehen, denn damit wird in erster Linie nicht die Befördemng. sondem die Verpflegung der Reisenden während der Fahrt bezweckt. Die Haupt­ sache ist hier der Verkauf von Speisen und Getränken. Ist ein solcher Wirtschaftsbetrieb aber als Gewerbebetrieb im Sinne der GO. anzusehen, dann erscheint auch das hierbei von der Bekl. verwendete Personal als gewerblich im Sinne des Tit. VII der GO. mit der Folge, daß Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 1 ff. des GGG. in die Zuständigkeit des GG. fallen. (Gewerbe- und Kaufmannsgericht Jg. 14 Sp. 242.)'

Zuständigkeit für Gärtner (24—30).

24. Unter welchen Umständen ist das GG. für Gärtner zuständig? a) Urteil des GG. Dortmund vom 15. Mai 1908. Der bekl. Besitzer einer Kunst- und Handelsgärtnerei erhebt den Einwand der Un­ zuständigkeit des GG.

Das GG. erklärt sich für zuständig. AusdenGründen: Die Ansicht des Bekl., daß Gärtnergehilfen aus­ nahmslos als landwirtschaftliche Arbeiter zu gelten hätten, ist irrig. Sie trifft nur zu auf Gehilfen, die in der landwirtschaftlichen Gärtnerei (eigentlichem Garten­ bau) und der Landschastsgärtnerei beschäftigt werden. Andere Gmndsätze gelten jedoch für die Kunst- und Handelsgärtnerei, bei welcher die Behandlung der dem Boden abgewonnenen Erzeugnisse, z. B. in Gewächshäusern, Topsbuden, und der Vertrieb derselben die Hauptsache ist. In solchen Gärtnereien sind diejenigen Angestellten Gewerbegehilfen, welche die in der Gärtnerei gewonnenen Erzeug­ nisse (Samen und Pflanzen) zum gewerblichen Absatz weiter be- und verarbeiten.

§3 GGG. (Gärtner.)

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Nach dem Ergebnisse der Verhandlungen tarnt es keinem Zweifel unterliegen, daß der Kl. als Topfgärtner bei dem Bell, vomehmlich eine Tätigkeit der voran­ gegebenen Art verrichtet hat, zumal zu erwägen ist, daß der Bell, sechs Gewächs­ häuser und einen offenen Laden mit Gärtnereiprodukten unterhält. Die Zuständigkeit des GG. erscheint daher begründet. d) Urteil des GG. Braunschweig vom 15. September 1905.

Das GG. hat sich für zuständig erllärt.

Aus den Gründen: Der Bell, betreibt vorwiegend die Kultur von Topfpflanzen. Er selbst hält keinen Laden, vielmehr verkauft er den größten Teil seiner Blumen usw. an seine Frau, die em Ladengeschäft betreibt und Sträuße und Kränze bindet. Nach Ansicht des Gerichts kann m der Tätigkeit des Bell, eine „Gewinnung von Rohprodukten durch Bodenbearbeitung", also landwirtschaft­ liches Unternehmen, nicht mehr gesehen werden. Bei der G e w i n n u n g u n d Aufzucht der Topfpflanzen spielt die Pflege, das Umpflanzen, Ver­ wendung von besonderer Erde, von Gewächshäusern und Mstbeeten, die ständige aufmerksame Wartung, mit einem Wort: die menschliche Tätigkeit und gärtnerische Kunstfertigkeit die größte Rolle. Mso kann man die Topsblumen überhaupt nicht mehr als „Roherzeugnisse" ansehen. Die Zucht der Topfpflanzen bildet vielmehr eine ausgesprochene „Umformung" oder „Verarbeitung" der Pflanzen, die ohne die gärtnerische Kunstfertigkeit nur unvollkommen, im natürlichen Erdreich und (z. B. bei tropischen Pflanzen) ohne künstliche Wärme überhaupt nicht gedeihen würden. Demnach ist die Gärtnerei des Bell, als ein gewerblicher Betrieb an­ zusehen, und damit die Zuständigkeit des GG. begründet. c) Urteil des GG. der StadtDresden vom 6. August 1907.

Das GG. hat sich für zuständig erllärt. Aus den Gründen: Daß der Betrieb des Bell, bei der Berufszählung zur Landwirtschaft gerechnet worden ist, bzw. daß er zu Beiträgen für die land« wirtschafüiche Berussgenossenschaft herangezogen wird, ist ohne Einfluß auf die Frage, ob er im Sinne der GO. als Gewerbebetrieb anzusehen ist. Mit Rück­ sicht darauf, daß er sich als Gärtnereibetrieb der intensivsten Art mit zahlreichen Gewächshäusem und Frühbeeten, verhältnismäßig großer Gehilfenzahl oarstellt, daß der Bell, einen Teck seiner Pflanzen selbst erst einkaust und daß er zum Absatz seiner Erzeugnisse einen eigenen Stand in der Markthalle unterhält, hat das Gericht diese Frage bejaht. Seine Zuständigkeit für die Mage ist daher begründet (Gewerbe- u. Kaufmannsgericht Jg. 15 Sp. 13.) ,

25. (17.) Ist das GG. für Kunst- und Handelsgärtnereien zuständig? Urteil des GG. Mainz vom 10. Juli 1902. Das GG. hat sich für zuständig erllärt.

26. (18.) Ist das GG. für Freiland-Gemüsegärtnereien zuständig? Urteile des Kgl. Amtsgerichts II zu Berlin vom 19. Februar 1901 und des Kgl. Landgerichts II zu Berlin vom 1. Juli 1901. Das Amtsgericht hat die Klage wegen Zuständigkeit des GG. abgewiesen. Die Berufung ist zurückgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 33.) *) *) Vgl. auch LG. Leipzig, Strafkammer, v. 14. Juli 1909 (bett. Blumengärtnerei) (Gewerbe- u. Kaufmannsgericht Jg. 15 Sp. 19). Baum, Gerverbegertchte.

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§3 GGG. (Gärtner.)

27. (19.) Ist das GG. zuständig für Gehilfen in Kunst- und Landfchaftsgärtnereien?

a) Urteil des Kgl. Landgerichts Düsseldorf vom 10. Oktober 1899. Das Amtsgericht Ziersen hat sich für unzuständig erklärt. Auf die Berufung des Kl. hat das Landgericht das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Amtsgericht zurückverwiesen, da dieses zuständig sei. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 228.) b) Urteil des GG. München vom 30. Januar 1901. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 123.)

28. Ist das GG. zuständig für Angestellte einer Champignonzüchterei? Urteil des GG. München vom 12. Februar 1903. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Aus den Gründen: Auf Grund der Beweisaufnahme und sonst ge­ pflogenen Erhebungen, namenüich auch des eigenen Parteivorbringens, gelangte das Gericht zu der Überzeugung, daß hier em Gewerbebetrieb im Sinne des Titels VH der GO. vorliege, woraus die Zuständigleit des GG. folgt. Denn das Gutachten des einen landwirtschaftlichen Betrieb annehmenden Sachverständigen B. schlägt sich selbst, indem derselbe die Anwendung künstlicher Hilfsmittel für die Champignonzüchterei, sofern sie den gewünschten Erfolg haben soll, in noch höherem Maße für erforderlich hält, als dies selbst m dem Gewerbebetrieb der Kunst- und Handelsgärtnereien der Fall ist. Auch ist die unbestrittene Angabe hervorzuheben, daß der zur Chainpignonzucht in hervorragendem Maße benötigte Pferdedünger umgearbeitet, zubereitet, „präpariert" werden muß, bevor er den geeigneten Faktor zur Champignonerzeugung abgibt. Es ist also ein eventuell im landwirtschaftlichen Betrieb (hier aus der Artilleriekaserne) gewonnenes Produkt vor seiner Verwendung und Widmung für den bestimmten Zweck noch weiter zu ver- oder bearbeiten (Menzinger-Prenner, GGG. S. 18 zu § 35 o. Sprachgebrauch). Was aber die verwendete Erde anlangt, so ist dieses — übrigens auch einer vorherigen Bearbeitung zu unterziehende — Naturprodukt so minimal (eine Schicht von 1 */2—2 cm), daß aus diesem übrigens untergeordneten Gesichtspunkt allein ein landwirtschaftlicher Betrieb nicht gefolgert werden kann, woraus zugleich die Künstlichkeit und geringe Beeinflussung durch Naturkräfte hinsichtlich der Cham­ pignonerzeugung erhellt. (Gewerbegericht Jg. 8 Sp. 206.)

29. (20.) Ist das GG. zuständig für Angestellte einer Gartenbauausstellung? Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 4. Februar 1898. Das OLG. hält den ordentlichen Rechtsweg für zulässig. (Seufferts Archiv Bd. 53 S. 769.)

30. (21.) Ist das GG. zuständig für Gartenarbeiter der städtischen Friedhofsverwaltung? Urteil des GG. für den Stadtbezirk Stettin vom 21. Juni 1901. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 193.)*) *) Ebenso GG. Geestemünde v. 18. Januar 1908 bezügl. der Gehilfen des von der Kirchengemeinde angestellten Friedhofsgärtners (Gewerbe- u. Kaufmannsgericht. Jg. 14 Sp. 176).

§ 3 GGG.

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31. (22.) Zuständigkeit des GG. für landwirtschaftliche Rebenbetriebe? Findet die GO. auch ans diese Anwendung? Urteil des Reichsgerichts, 1. Hilfssenat, vom 11. Mai 1880. Die Frage ist vemeint. (Entsch. d. Reichsgerichts Bd. 1 S. 265.)

32. (23.) Ist das GG. zuständig für Klagen des Binnenschiffers (SchiffSführers) ? a) Urteil des Reichsgerichts, 1. Zivilsenat, vom 28. April 1888. Das Reichsgericht hält die GO. für anwendbar. (Reichsgerichtsentsch. in Zivils. Bd. 22 S. 3.) b) Urteil des Landgerichts Stettin. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Die Bemfung ist zurückgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 125.) *

33. Ist das GÄ. zuständig für die Schiffsmannschaft ans Kttstenmotorbooten? Urteil des GG. Stettin vom 27. Sept. 1904. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. AusdenGründen: Wäre dem Kl. gesagt worden, daß er von Anfang August ab hier dauernd fahren solle, so wäre er von diesem Zeitpunkt ab cmerdings als Binnenschiffsmann anzusehen gewesen. Da dies aber nicht geschehen ist, auch eine Abmusterung nicht erfolgt ist, so wurde an seinem bisherigen Arbe(ts» Verhältnisse nichts geändert. Die Anmusterung ist auch zu Recht erfolgt. Nach § 1 des Gesetzes bett, das Flaagenrecht der Kauffahrteischiffe vom 22. Juni 1899 haben die zum Erwerb durch die Seefahrt bestimmten Schiffe mit Einschluß der Schleppfahrzeuge die Reichsslagge zu führen. Nach § 16 gedachten Gesetzes haben das Recht zur Fühmng der Reichsflagge auch ohne Eintragung in das Schiffsregister und Erteilung des Schiffszertifikats Schiffe von nicht mehr als 50 cbm Raumgehalt. Die „Loreley" hat diesen Raum§ehalt nicht. Als Seeschifsahrt gilt aber bei Rügen oie Seefahrt außerhalb der Insel Rüden und dem Thiessower Höft. Nach § 1 der Seemannsordnung vom 2. Juni 1902 endlich findet diese Anwendung auf alle Kauffahrteischiffe, welche das Recht, die Reichsflagge zu führen, ausüben dürfen. Das Arbeitsverhältnis des Kl. untersteht mithin der Seemannsordnung. Die Klage war deshalb wegen Unzuständigkeit des GG. abzuweisen. (GGG. § 3, GO. § 6.) (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 84.)

34. (24.) Fährbetrieb. Ist das GG. zuständig für die Klage eines Kon­ trolleurs der Hamburger Alster-Dampfschiffahrt gegen deren Unter­ nehmer? Urteile des GG. Hamburg vom 14. April 1901 und des Landgerichts Hamburg vom 15. Juli 1901. Das GG. hat die Einrede der Unzuständigkeit verworfen. Die Bemfung ist zurückgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 13.)

35. (25.) Ist das GG. für Gehilfen eines Fischers zuständig? Urteil des GG. Stettin. Das GG. erklärte sich für unzuständig. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 57.) 2»

20 36. (26.) Ist für Fahrradlehrer das GG. zuständig? Urteil des Kgl. Landgerichts I zu Berlin, 8. Zivilkammer, öont 14. Dezember 1897. Das GG. hat sich für zuständig erachtet. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 116.)

37. Ist für die Klage eiueS Ingenieurs gegen einen Patentanwalt daS GG. zuständig? Urteil des Landgerichts Karlsruhe, 1. Zivilkammer, vom 12. Dezember 1905. Das Landgericht hat sich wegen Zuständigkeit des GG. für unzuständig erklärt. Aus den Gründen: Der Bell, ist Patentanwalt und Zivilingenieur; seine Tätigkeit umfaßt einmal die für eigene Rechnung berufsmäßig ausgeübte Vertretung anderer in Angelegenheiten, die zum Geschäftskreise des Patentamtes gehören, auf Grund des Gesetzes bett, die Patentanwälte vom 21. Mai 1900 (RG.-Bl. S. 233 ff.), weiter aber auch das Vermittlungsgeschäft in Patent- und Gebrauchsmuster- usw. Angelegenheiten im In- und Auslande, sowie schließlich lediglich in das technische Gebiet fallende Arbeiten. Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Tättgkeit des Bell., auch soweit sie sich nicht in der Verttetung vor dem Patentamt erschöpft, keine rein wissenschafüiche ist, sondem einen Gewerbebetrieb im Sinne der RGO. (insbes. § 1) darstellt. (Vgl. Landmann-Rohmer Bd. I S. 28b, 32« u. 309, Schicker GO. Bd. I S. 1 Sinnt. 1 letzter Abs., abweichend anscheinend Schenkel GO. I S. 33 bz. des Zivilingenieurs). Es ist aber auch anzunehmen, oaß die Tättgkeit des Patent­ anwalts im Sinne des Gesetzes vom 21. Mai 1900, also das sogenannte B e r tretungsgeschäft, die Anwendbarkeit der Bestimmungen der GO. auf den Patentanwalt nicht misschließi. Nach der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes bett, die Patentanwälte (vgl. Stenogr. Berichte über die Reichstagsverhandl. IV. Anlageband 1898/1900, 10. Legisl.-Periode, I. Session, Aktenstück Nr. 519, S. 2855 ff.) mache die bestehende Gesetzgebung den Betrieb des Vertretungsgeschäftes in Patentsachen von besonderen formellen oder materiellen Voraussetzungen nicht abhängig, was zur Folge habe, daß dieses Geschäft vielfach in den Händen von Persönlichkeiten liege, welche weder in be­ zug auf die moralische Haltung, noch in bezug auf ihre allgemeine und fachliche Vorbildung den zu stylenden Anforderungen genügten. Zurzeit fänden auf die Patentagenten die Bestimmungen der §§ 35 Abs. 3,4,10 Abs. 2 GO. Anwendung. Nach diesen Vorschriften hätten die Patentagenten bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebes der zuständigen Behörde davon Anzeige zu machen. Es werden alsdann die Gründe erörtert, welche zu einem Einschreiten der Gesetz­ gebung geführt haben und die verschiedenen in Bettacht kommenden SBcgc be­ leuchtet, um Wandel zu schaffen. Der Entwurf (S. 2857) habe sich für das System des Befähigungsnachweises entschieden: wer den Vertte ungsberuf ausüben wolle, müsse, um sich vor der Zurückwetsung zu sichern, seine Einwägung in eine patent­ amtliche Liste nachsuchen. Zu § 1 wird bemerkt, daß die vorgeschlagene Organiiation nur diejenigen Personen umfasse, welche Interessenten ... im Ver­ mehr mit dem Patentamte berufsmäßig vertreten. Zu §19 (S. 2860) erklärt die Begründung ausdrücklich: „In bezug auf nicht eingetragene Vertreter, sowie auf Vermittler, Agenten in Patent- usw. Angelegenheiten bleiben die Befugnisse der Polizeibehörde unverändert bestehen. Ebenso kann die Polizei­ behörde eingetragenen Patentanwälten die Ausübung einer Vermittlertättgkeit untersagen. Bon der im Abs. 4 des §35 GO. vorgeschriebenen Anzeige über den Beginn des Gewerbetriebes die in die

Liste eingetragenen Patentanwälte zu entbinden, ist kein Grund vorhanden. Auch die Kommission (vgl. V.Anlageband, Aktenstück Nr. 640, S. 3833/4) stellte sich auf diesen Standpunkt, wenn m dem Bericht ausgeführt ist: „93et der Beratung des § 1 fand eine Reihe wichtiger in­ zidenter Auslegungsfragen eingehende Erörtemng und Klarstellung, deren Medergäbe in diesem Berichte im Interesse richtiger Interpretation des Gesetzes förder­ lich erscheint... Was die anderweitige Tätigkeit der Patentanwälte angeht, die sichnichtvordemPatentamte vollzieht, so bleiben bezüglich dieser, wie wiederholt festgestellt, die Bestimmungen der GO. und sonstigen Reichs- oder Landesgesetze ebenso bestehen, wie bezüglich der nicht in die Liste eingetragenen „Patentagenten" und anderer Personen, die die Vertretung von Patentsachen vor dem Patentamte berufsmäßig betreiben. Zu § 19 des Entwurfs, § 18 des Gesetzes war beantragt worden (ebenda S. 3839 f.), die Worte der RegiemngsVorlage „im § 35 Abs. 3" zu streichen mit der Absicht, damit die PatentanwÄte von der Gleichstellung mit den in § 35 GO. bezeichneten Vermittelungspersonen zu befreien, und sie von der Anmädung ihres Betriebes bei der Polizei zu ent­ binden. Hiergegen wandte sich der Regierunasvertreter unter Hinweis auf die event, für den Stand und das Publikum großen Gefahren der Vermittelungs­ tätigkeit der Patentanwälte; die Untersagung dieser Tätigkeit durch die Po­ lizeibehörde müsse ermöglicht bleiben. Die Kommission nahm dann den § 19 nach dem Regierungsentwurf unverändert an, der demnächst als § 18 auch Gesetz wurde. Hiernach ist das Ergebnis folgendes: Vor dem Gesetz vom 21. Mai 1900, d. h. bis 1. Olt. 1900 (vgl. § 22), unterstand der Betrieb der Patentagenten (damals schon meist „Patentanwälte" genannt) den Bestimmungen der GO., insbesondere konnte ihnen von der Polizeibehörde gemäß § 35 Abs. 1 und 3 bei nachgewiesener Unzuverlässigkeit der ganze Gewerbebetrieb, also Vertretungs- und Vermittelungs­ geschäft, untersagt werden. Das Gesetz vom 21. Mai 1900 verfolgt den Zweck, ungeeignete Elemente von der Bertretungstätigkeit vor dem Patentamt fernzuhalten durch die Einführung des Befähigungsnachweises und des ehrengericht­ lichen Verfahrens. Damit bedurfte es der fenteren Möglichkeit polizeilichen Ent­ schreitens gemäß § 35 Abs. 3 GO. nicht mehr; an dessen Stäle traten die anderen Hilfsmittel. Insoweit, aber auch nur in diesem Umfang erfolgte eine Änderung in der Rechtsstellung der „Patentanwälte"; im vorigen blieb es bei der früheren Rechtsordnung, d. h. bei der Anwendbarkeit der GO. Keines­ falls wurden die Patentanwälte durch das erwähnte Gesetz den Rechtsanwältm gleichgestellt. Nur aus die letzteren bezieht sich § 6 GO., wonach die GO. auf die „advokatorische Praxis" keine Anwendung finden solle (ebenso LandmannRohmer Bd. I, S. 65, Anm. 7 zu § 6 u. besonders Bd. I S. 309; anscheinend abweichend ohne Begründung Schicker I S. 176). Der Betrieb des Bell, ist sosonach seinem ganzen Umfang nach, d. h. sowohl die Vertretungs-, wie Vermitt­ ler-, wie Jngenieurtätigkeit mit der sich aus § 18 des Gesetzes vom 21. Mai 1900 ergebenden Einschränkung den Bestimmungen der GO. unterworfen, ein „Gewerbe" im Sinne dieses Gesetzes. Auch die weitere Frage war zu bejahen, ob der Kl. nach seinem Vertrag als „Arbeiter" im Sinne des §3 GGG. anzusehen ist; denn er war ein mit „höheren technischen Dienstleistungen betrauter Angestellter, dessen JahresarbeitsverdieM an Gehalt 2000 Mk. nicht überstieg. Der Kl. ist als Ingenieur eingestM und mit solchen Dienstleistungen betraut... Daß Hochschulbildung allein von der beziehung unter die mit höheren technischen Äenstletstungen betrauten Angestellten mcht ausschließt, ergibt sich aus § 133 a GO., welcher hierunter auch Che­ miker ausdrücklich nennt. Daß dieser Begriff des §3 GGG. inhMich von dem wesenüich gleichlautenden in §133 a GO. verschieden ist, kann nicht angenommen werden. (Gewerbe- und Kaufmannsgericht Jahrg. 11 Sp. 337.)

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38. (27.) Ist das GG. zuständig für Gehilfen eines Rechtsanwalts? Urteil des Landgerichts I zu Berlin vom 8. September 1899. Das Amtsgericht I hatte sich für unzuständig erklärt. Auf die ^Berufung ist das Urteil aufgehoben.

39. (28.) Sind die GG. für Streitigkeiten zwifchen einem Zahntechniker und dem Zahnarzt, bei dem er arbeitet, zuständig? Urteile des GG. und des LandgerichtsFrankfurt a. M. Das GG. hat die Frage bejaht, das LG. hat sie verneint. (Gewerbegericht Jg. 3 SP. 56.)')

40. Ist die Backwarenträgerin, die von einem Konsumverein beschäftigt wird, gewerbliche Arbeiterin? Ist für sie daS GG. zuständig? Urteil des Kgl. Oberlandesgerichts Celle, 3. Zivilsenat, vom 13. März 1906. Die Einrede, daß der Rechtsstreit vor das GG. gehöre, ist für begründet erachtet. AusdenGründen: Der verkl. Konsumverein, der eine Bäckerei und den Berkaus der darin hergestellten Backwaren betreibt, hat mit der Kl. einen Vertrag dahin abgeschlossen, daß sie für den Bell. Backwaren austragen und dafür eme prozentuale Vergütung erhalten sollte. Damit trat die Kl. in ein ver­ tragsmäßiges Arbeitsverhältnis zu dem Bell., demzufolge sie Dienstleistungen im wesenüichen mechanischer Art im Geschäftsbetrieb des bell. Konsumvereins zu verrichten hatte. Auf die vom Bell, aus diesem Arbeitsverhältnis angeblich noch geschuldeten Leistungen ist die Klage gerichtet. Die dagegen vorgeschützte Einrede, daß das GG. zuständig sei, ist begründet. — Nach § 3 GGG. gelten als Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes diejenigen Gehilfen, auf welche der VII. Titel der GO. Anwendung findet. Die Beschaffenheit der vertragsmäßigen Dienstleiswngen der Kl. entspricht derjenigen gewerblicher Arbeiter im engeren Sinn; sie bestehen im wesentlichen nicht in Verrichtung kaufmännischer Dienste, da ihre Haupttätigkeit im Austragen von Backwaren bestanden hat. Der Anwendbarkeit des GGG. steht auch der Umstand nicht entgegen, daß der Bell, als Konsum­ verein, falls er seine Backwaren lediglich an seine Mitglieder absetzt, als Gewerbe­ treibender im Sinne der GO. nicht anzusehen ist. Denn auf die in seinem Betrieb beschäftigten Arbeiter findet § 105b der GO., also eine im VII. Titel derselben enthaltene Bestimmung Anwendung und sie gelten danach als gewerbliche Arbeiter im Sinne des 8 3 GGG. (Haas, Kommentar z. GGG. 8 3 Nr. 15, Mlhelmi-Bewer GGG. 8 3 Nr. 4.) (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 243.)

41. (29.) Ist für die Angestellten einer Hagelversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit daS GG. zuständig? Urteil des GG. für den Stadtbezirk Stettin vom 19. Februar 1901. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 114.)

42. Ist daS GG. zuständig für die Klage eines Bautechnikers gegen einen Architekten, dessen Tätigkeit hauptsächlich auf künstlerischem Gebiet liegt? Urteil des Landgerichts Oppeln vom 20. September 1902. Der Einwand der Unzuständigkeit des GG. Oppeln ist in der Berufungs­ instanz zurückgewiesen. ') Für die Unzuständigkeit des GG. auch GG. Hamburg (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 180); GG. Glogau (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 106).

Aus den Gründen: Der Begriff des Arbeitgebers ist int GGG. nicht näher bestimmt, wohl aber in § 3 desselben der Begriff des Arbeiters. Die Frage, ob im Hinblick auf die Person der Streitenden die GG. zuständig sind, ist also nach dem Sinne des Gesetzes aus der Person des A r b e i t e r s zu ent­ scheiden. Zu den „Arbeitern" gehören aber nach dem erwähnten § 3 auch die „mit höheren technischen Dienstleistungen betrauten Angestellten, deren Jahres­ arbeitsverdienst 2000 Mk. nicht übersteigt", mithin auch der beim Bell, als Bau­ techniker gegen ein Monatsgehalt von 160 Mk. angestellt gewesene Kl. Diesem gegenüber ist der Bell., mag auch seine Tätigkeit vorwiegend auf baukünstlerischem Gebiete liegen, „Arbeitgeber" im Sinne des § 1 des Gesetzes und somit ist auch das GG. für die Entscheidung des aus dem zwischen den Parteien bestandenen Arbeitsverhältnisse entstandenen Rechtsstreits zuständig. (Gewerbegericht Jg. 8 Sp. 189.)

43. Welches Gericht ist zuständig für den Taxator in einem Psandleihgeschäft? Urteil des GG. zu Plauen.*) Das GG. vertritt den Standpunkt, daß weder das GG. noch das KG., sondem das ordentliche Gericht zuständig ist.

Aus d e n G r ü n d e n: Die Zuständigkeit des GG. ist nicht schon dann gegeben, wenn die eine Partei, der Arbeitgeber, ein Gewerbetreibender und die zur Entscheidung stehende Streitigkeit eine gewerbliche ist, sondern es muß auch die weitere Voraussetzung erfüllt sein, daß die andere Partei zu den Gesellen, Ge­ hilfen, Fabrikarbettern oder Lehrlingen, auf welche der VII. Titel der GO. An­ wendung findet, oder aber zu den Betriebsbeamten, Werkmeistem oder mit höheren technischen Dienstleistungen betrauten Angestellten gehört. An dieser Voraussetzung aber mangelt es im vorliegenden Falle. Das Pfandleihgeschäft, in dem der Kl. beschäftigt war, ist zwar ein gewerblicher Betrieb, und der Bell, als Besitzer dieses Geschäftes ist zwar, solange der Kl. darin angestellt war, dessen Arbeitgeber gewesen; daraus aber folgt noch keineswegs, daß der Kl. nun auch zur Kategorie der Arbeiter im Sinne oes § 3 des GGG. zu rechnen sei. Daß er nicht als Geselle oder als Fabrikarbeiter oder als Lehrling angesehen werden kann, liegt aus der Hand. Ebensowenig kann er in die Gruppe der Betriebsbeamten, Werkmeister und mit höheren technischen Dienstleistungen betrauten Angestellten eingereiht werden, da er weder mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Ge­ werbebetriebes des Bell, noch mit höheren technischen Dienstleistungen in diesem Betriebe beauftragt war. Wenn der Kl. sich anscheinend der letztgenannten Gruppe von Angestellten zugerechnet sehen möchte, so mag es richtig sein, daß die Festsetzung der Grenze, bis zu der Kletdungsstücke oder sonstige Gegenstände gegen Ver­ pfändung ohne Risiko beliehen werden können, längere Übung und besondere Kenntnisse erfordert und auch je nach dem Werte des zu beleihenden Gegenstandes mit einer mehr oder minder großen Verantwortung verbunden ist, allem oeshalb kann diese im übrigen mit keinerlei geistiger oder körperlicher Anstrengung ver­ knüpfte Ditigkeit noch nicht auf eine Stufe mit den höheren technischen Dienst­ leistungen gestellt werden, die der Gesetzgeber bei der Regelung des rechüichen Verhältnisses des in § 133a der GO. ausgeführten Personenkreise zu ihren Arbeitgebem im Auge gehabt hat. Wer auch tn die Kategorie der Gehilfen, die hiernach allein noch in Frage kommt, kann der Kl. nicht eingereiht werden. Soweit auch die Grenzen bei der Auslegung des Begriffs des Gehilfen tm Sinne des VII. Titels der GO. zu ziehen sind, so ist doch nicht schon derjenige „Gehilfe" im Sinne dieses

i) Vgl. Nr. 217.

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Titels VII und demgemäß auch im Sinne des § 3 Ms. 1 des GGG-, welcher gegen Entgelt in einem Gewerbebetriebe beschäftigt ist, sondem es muß noch das weitere Erfordernis hinzukommen, daß er ms gewerblicher Arbeiter gewerb­ liche Dienste verrichtet. Unter „gewerblicher Arbeiter" im Sinne der obenge­ nannten Gesetzesbestimmungen aber sind nicht, wie Schicker in seinem Kommentar zur GO. in Zrff. 1 der Vormerkung zu Titel VII in zu weit gehender Auslegung annimmt, alle Arbeiter zu verstehen, welche Arbeiten verrichten, die den Zwecken eines Gewerbes dienen, sondem der Sprachgebrauch, dessen Berücksichtigung bei Auslegung des Begriffs des gewerblichen Arbeiters vom Reichsgericht (Entsch. des Reichsgerichts in Zivilsachen, Bd. 17 S. 91) ausdrücklich für zulässig erllärt worden ist, begreift damnter nur diejenigen Arbeiter, deren Tätigkeit mehr oder minder unmittelbar auf Herstellung eines Gewerbserzeugnisses ge­ richtet ist. (Vgl. Staub, Kommentar zum HGB. § 59 Anm. 13 Abs. 3 und die eben zitierte Entscheidung des Reichsgerichts.) Ob diese Tätigkeit untergeordneter Natur ist, oder besondere technische Kenntnisse und Fertigkeiten erfordert, ist dabei ohne Belang, immer aber muß das unmittelbare oder mittelbare Ziel ein Ge­ werbserzeugnis sein, mag diese Tätigkeit nun bei der Herstellung oder bei der Ver­ arbeitung oder auch bei der Verpackung oder beim Transport oder Msatz in irgend­ einer Form — man denke an die Arbeit der Packer, der Kutscher, der Markthelfer — zur Geltung kommen. Nun kann aber bei einem Pfandleihgeschäft überhaupt keine Rede davon sein, daß es auf die Herstellung von Gewerbserzeug­ nissen, auch wenn man diesem Begriffe die allerweitgehendste Deutung gibt, gerichtet sei, und demgemäß kann auch die Tätigkeit des Taxawrs in einem Pfandleibgeschäst als die eines gewerblichen Arbeiters int Sinne des Titels VII der GO. und ebenso des § 3 des GGG. nicht aufgefaßt werden. Daraus aber ergibt sich, daß das GG. zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites nicht zuständig ist, sondem daß der Kl. seine Ansprüche, da auch die Unzuständigkeit des KG. außer Zweifel steht, vor dem ordentlichen Gericht geltend zu machen hat. (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 37.)

44. Ist das GG. zuständig für den Portier, Hetzer und Fahrstuhlführer eines Mietshauses? Urteil des GG. Charlottenburg vom 26. März 1907.

Das GG. hat sich für unzuständig erllärt.

Aus den Gründen: Gewerbliche Arbeiter sind nur solche Personen, welche in einem Gewerbebetriebe für Zwecke des Gewerbetriebes aus Grund eines Dienstvertrages beschäftigt werden. (Hoffmann, GO. 4. Aust. 1904 S. 270.) Es kam sonach darauf an, ob der Betrieb, in welchem der Kl. beim Bell, beschäfttgt war, ein Gewerbebetrieb ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Bell, ist Eigentümer eines Hauses, dessen Wohnungen er vermietet. Zur Verrichtung der Portier-, Ser- und Fahrstuhlsübrerdienste für dieses Haus war der Kl. angenommen. Besitzen eines Hauses und das Vermieten der in demselben vorhandenen Wohnungen stellt keinen Gewerbebetrieb im Sinne der GO. dar. Die Hausbesitzer als solche sind keine Gewerbetreibenden. Sie haben ihren Betrieb nicht anzu­ melden und werden zur Gewerbesteuer nicht veranlagt. Die lediglich als Pförtner beschäftigte Person unterliegt auch nicht der Krankenversicherungspflicht. (§ 1 Nr. 2 KVG.) Da hiernach der Kl. nicht tn einem Gewerbebetriebe beschäfttgt war, fehlte ihm die Eigenschaft eines gewerblichen Arbeiters und dem Bell, die eines gewerblichen Arbeitgebers. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 198.)

§3 GGG. (Artisten.)

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Zuständigkeit für Artisten (45—55). 45. (30.) Ist daS GG. für Tierbändiger zuständig? Urteil des R e i ch's g e r i ch t s, 6. Zivilsenat, vom 21. Mai 1896. . Der ordentliche Rechtsweg ist für zulässig erllärt und der Einwand der Zu­ ständigkeit des GG. verworfen. (Entsch. des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 37 S. 66.)

46. (31.) Ist das GG. für Schauspieler und Sänger in Varietes zuständig? a) Urteil des Reichsgerichts, 6. Zivilsenat, vom 6. Mai 1901. Tas Reichsgericht hat die Frage vemeint. (Jur. Wochenschr. 1901 S. 410 Nr. 34.)

b) Urteil des GG. Stuttgart vom 26. September 1900. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt.

47. (32.) Ist das GG. zuständig für Ansprüche eines Humoristen" ans einem Rauchtheater? Urteil des GG. Posen vom 22. Januar 1900. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt.

48. Ist das GG. zuständig für Theaterfänger an einem herumreisenden „Ausstattungsensemble" ? Urteil des GG. Essen vom 12. September 1907. Das GG. hat sich für zuständig erllärt. Aus den Gründen: Das von dem Bell, geleitete „Berliner ApolloEnsemble", das ungefähr seit dem Jahre 1903 besteht, ist eine herumreisende Truppe, die aus ungefähr 50 Mitgliedern besteht und fast ausschließlich in BariätäTheatern auftritt. Der Zweck des Untemehmens ist die Aufführung von „Ausstattungs-Burlesken", das sind nach der Angabe des Bell, auf Ausstattung be­ rechnete Stücke mit Musik und Balletts. Insbesondere führt der Bell, auf: „Die Liebesfestung" von Bogumll Zepler, „Kadettenstreiche" von Bivor Holländer, „Frau Luna", „Venus auf Erden", „üysistrata", „Im Reiche des Indra", die letzteren sämtlich von Paul Linke. Die Solisten des Ensemble beziehen Gagen im Bettage von 250 Mk. bis 1200 Mk. Während der Vorstellung ist das Rauchen Ä, ebenso werden Getränke verabreicht. Der Bell, gehört dem deutschen ^verein nicht an. Die Entscheidung betrifft die Stteitfrage, ob und unter welchen Voraus­ setzungen Künstler — den Begriff hier im weitesten Sinne gefaßt — als gewerb­ liche Arbeiter zu gelten haben. Für die Beantwortung dieser Frage ist nicht maß­ gebend, daß der Bell, selbst gemäß §§ 32, 33a GO.gewerblicher Unternehmer ist. Denn hierdurch wird nicht gleichzeitig festgelegt, daß die von chm beschäftigten Personen gewerbliche Hufsarberter seines Unternehmens sind. Während nun über einzelne Punkte der genannten Stteitfrage noch mannigfache Meinungs­ verschiedenheiten bestehen, haben sich die Anschauungen jetzt bis zu einem gewifsen Grade gellätt, und zwar kann man das Ergebnis dahin zusammenfassem daß Künstler jedenfalls dann nicht gewerbliche Arbeiter sind, wenn das Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind, sich auf dem Gebiete der höheren Kunst bewegt. (Vgl. RG. v. 14. März 1898 bei Reger, Entsch. Bd. 19 S. 186; GG. IV Sp. 142;

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§3 GGG. (Artisten.)

X. Sp.45; Landmann; Kommentar zur GO. 5. Ausl. S. 30.) Von der gleichen Auffassung läßt sich die Rechtsprechung auch da leiten, wo die Versichemngspflicht von Mnstlern in Frage steht. (Vgl. Preuß. OVG. vom 16. Mai 1900 bei Reger Bd. 20 S. 434; Anleitung bett, den Kreis der nach dem JVG. versicherten Per­ sonen vom 6. September 1905 Ziff. 25.) Wird der erwähnte Gmndsatz auf den vorliegenden Fall angewendet, so muß die Zuständigkeit des GG. bejaht werden, weil ein höheres Kunstinteresse fehlt. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind einmal der Gegenstand der vom Bekl. dargebotenen Aufführungen und sodann die Umstände, unter denen die Darstellung erfolgt. Während die Operette zweifellos eine höhere Kunstform darstellt, kann dies von reinen Ausstattungs­ stücken, wie sie der Bell, vorführt, nicht gesagt werden. Das Ausstattungsstück will lediglich das Unterhaltungsbedürfnis und die Schaulust des Publikums be­ friedigen, erstrebt dagegen nicht die Verfolgung wirllich künstlerischer Ziele und Absichten. Gewiß läßt sich im einzelnen oft darüber streiten, wo die Grenze zu zieyen ist, welche die wirlliche Kunst von Schaustellungen niederen Charakters trennt. Auch kann zugegeben werden, daß im einzelnen Falle ein Ausstattungsstück künsüerischen Charakter tragen kann. Allein es kommt, wie das OVG. in feinet angezogenen Entscheidung zutreffend hervorhebt, auf das gesamte Wesen des Unternehmens an, und hier gewinnen ferner die Umstände, unter denen die AufSrangen stattfinden, wesentliche Bedeutung. Zunächst ist zu berücksichtigen, die Tmppe des Bell, fast ausschließlich im Variätä-Theater auftritt, das sich schon in seiner gesamten Erscheinung als eine Einrichtung charakterisiert, bei der ein höheres Kunstinteresse fehlt. Außerdem kommt hinzu, daß während der Vorstellung das Rauchen gestattet ist und Getränke verabreicht werden. — Endlich verdient noch ein Punkt Beachtung. Es ist gesagt worden, daß ein Künstler nicht „Gehilfe" sei, well seiner Tätigkeit das Merkmal der Unselbständigkeit fehle. Prüft man daraufhin den von der Kl. eingegangenen Vertrag, so muß gesagt werden, daß er sich seinem Inhalte nach kaum wesentlich von dem eines gewerblichen Arbeiters unterscheidet und von einer Selbständigkeit der Kl., wie sie für den „Künstler" Voraussetzung ist, nicht mehr die Rede sein kann. Überhaupt darf bei der Beurtellung der vorliegenden Frage die soziale Stellung und das dienstliche Verhältnis des Künstlers zum Unternehmer nicht außer acht gelassen werden. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 55.)

49. (33.) Ist das GG. zuständig für die Klage eines Clowns mit dres­ sierten Hunden? Urteil desLandgerichtsKölnals Berufungsgericht vom 30. März 1891. Das GG. ist für zuständig erllärt. (Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 43.)

50. (34.) Ist das GG. zuständig für Klagen von Musikern und Künstlern niederer Gattung gegen Untemehmer von sog. Spezialitäten-Borstellungen? Urteil des GG. Hamburg. Das GG. hat sich für zuständig erllärt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 142.)

51. (35.) Ist das GG. zuständig für Ansprüche einer Drahtseiltänzerin? Urteil des GG. Dortmund vom 11. November 1896 und des Kgl. Land­ gerichts daselbst vom 17. Februar 1897. Das GG. hat sich für zuständig erllärt. Die Bemfung des Bell, ist zurück­ gewiesen. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 137.)') ') Die Bemfung des Bell, ist durch Urteil des LG. Dortmund v. 17. Febmar 1897 zurückgewicsen.

52. (36.) Ist das GG. zuständig für Charakterkomiker, Bauchredner, Zauber- und Fesselkünstlerinnen? Urteil des GG. Würzburg vom 5. Februar 1902 und des Landgerichts W ü r z b u r g vom 5. Juli 1902. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Die Berufung ist zurückgewiesen.

SS. (37.) Ist ein Theatermeister Betriebsbeamter? Urteil des GG. Stettin. Das GG. erklärt sich für zuständig.

54. (38.) Ist der Theater-Maschinist Gewerbegehilfe? Urteil des Amtsgerichts Stettin. Das Amtsgericht erklärt sich für unzuständig. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 79.)

55. (39.) Ist das GG. zuständig für die Klage eines Theaterkassierers, der ein Monatsgehalt von 200 Mk. bezieht? Urteil des Amtsgerichts Königsberg i. Pr. vom 29. März 1901. Das Amtsgericht hat sich für unzuständig erklärt.

56. (40.) Ist das GG. für Angestellte in Fabrikkantinen zuständig? Urteil des Landgerichts I zu Berlin. Das GG. hatte sich für unzuständig erachtet. Auf Berufung der Kl. hob das Landgericht die Entscheidung des GG. auf und wies die Sache in die Vorinstanz zurück. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 59.)

57. (41.) Unterstehen Hausdiener der GO.? Urteil des Landgerichts I zu Berlin, 4. Zivilkammer, vom 14. Dezember 1892. Das Landgericht hält den Hausdiener für zum Gesinde gehörig, obwohl derselbe behauptet hatte, er sei auch für das Weingeschäft des Bekl. engagiert worden.

58. (42.) Ist das GG. zuständig für das Küchenmädchen eines Restaurants? Urteil des GG. zu Frankfurt a. M. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 5.)

59. (43.) Ist die Büsfetmamsell Gewerbegehilfin? Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. März 1901. Die Frage ist bejaht.

(Annalen Bd. 22, S. 170.)

Zuständigkeit für kommunale Angestellte (60—66). 60. (44.) Ist das GG. zuständig für Klagen von Arbeitem gegen die Verwaltung städtischer, zur Befriedigung öffentlicher Aufgaben dienender Betriebe? a) Urteil desLandgerichtsFrankfurta. M. vom 27. September 1899. Das GG. hat sich für Angestellte des Wasserwerks als zuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 75.)

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§3 GGG. (Kommunale Angestellte.)

b) Urteil des GG. Berlin vom 7. Juni 1894. Das GG. hat sich für Angestellte der Desinfektionsanstalt für unzuständig erllärt. (Unger Nr. 157.)

61. Ist das GG. zuständig für Angestellte im städtischen «olksbad? Urteil des GG. Kiel vom 29. Juni 1904. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Gewerbe ist eine dauemde Tätigkeit, die zum Zwecke des Erwerbes betrieben wird. Maßgebend ist also, ob die Absicht vornegt, Gewinn zu erzielen. In den Fällen, in denen ein Untemehmen nicht in der Ab­ sicht der Gewinnerzielung begonnen ist, kann von einem Gewerbe nicht gesprochen werden. Dies ist in erster Linie zu berücksichtigen, wenn es sich um die Frage handelt, ob ein städtisches Untemehmen als Gewerbebetrieb aufzufassen ist. Das städtische Bolksbad in Kiel, in dessen Betrieb die Kl. als Waschfrau beschäftigt worden ist, entbehrt dieser Eigenschaft. Mcht in der Absicht der Gewinnerzielung, sondem aus hygienischen und sanitären Gründen hat die Stadt seinerzeit das Volksbad errichtet. Hinzu kommt, daß die Stadt aus dem Volksbad mcht nur keinen Uberschuß erzielt, sondem sogar zu den Unterhaltungskosten einen nicht unerheblichen Zuschuß zahlt. Hiemach kann nicht anerkannt werden, daß das städtische Volksbad ein Gewerbe im Sinne der GO. darstellt. Es fehlt somit auch eine Voraussetzung für den Begriff „gewerbliche Streitigkeit" im Sinne des § 1 GGG. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 9 Sp. 293.)

62. Ist das GG. zuständig für Arbeiter eines städtifchen Gaswerks? Urteil des GG. Kiel vom 23. September 1903. Das GG. hat sich für zuständig erllärt. AusdenGründen: Als entscheidendes Merkmal für die Qualifikation als gewerblicher Arbeiter wird gemeinhin die Beschäftigung in einem Gewerbe­ betriebe angesehen; und als wesentlich für den Begriff des Gewerbebetriebes wiedemm wird die Absicht einer Gewinnerzielung bezeichnet. Für die GO. mag diese Begriffsbestimmung zutreffen. Für das GGG. ist sie nicht ausschlaggebend. Wäre sie es, so müßten sämlliche staaüichen und kommunalen Betrieve als Unter­ nehmungen, die auf Gewinnerzielung nicht abzielen, der Zuständigkeit der GG. entzogen werden. Daß dies aber nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen ist, ergibt sich mit Sicherheit aus der Entstehungsgeschichte des GGG. Seit den ersten Phasen dieser Entstehungsgeschichte bis zur Verabschiedung des Gesetzes vom 29. Juli 1890 trat das Bestreben der Regiemng hemor, sämlliche unter öffentlicher Verwaltung stehenden Betriebe oder möglichst viel derselben der Zuständig, keit der GG. zu entziehen. Die Regiemngsvorlage von 1878, die zur Verab­ schiedung nicht gelangte, enthielt im § 21 die Vorschrift: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf die Streitigkeiten der unter öffenllicher Verwaltung stehenden Betriebsanlagen mit den m den letzteren beschäfttgten Arbeitem" (Stenographische Berichte des Reichstags, II. Session 1878, Anlagen Bd. IIS. 515). Die Motive zu § 21 begründeten diese Bestimmung mit der Be­ merkung, die hier gedachten Verwaltungen seien im Sinne des Entwurfs als Gewerbetreibende nicht anzusehen, sie wirkten bei der Konstituiemng des GG. nicht mit, seien auch in demselben nicht vertreten (a. a. O. S. 521). Die Bestimmung wurde gegen den Widerspruch der Bundesratsvertreter von der Kommission ge­ strichen. Die Kommisiion ging davon aus, daß eine unbedingte Ausschließung der unter öffenllicher Verwaltung stehenden Betriebsanlagen weder notwendig noch zweckmäßig sey obgleich von den Regierungskommissionen bewnt wurde, daß

§3 GGG. (Kommunale Angestellte.)

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wenigstens ein Teil der öffentlichen Betriebsanlagen, z. B. die mllitärischen Etablissements zur Fabrikation von Schießmaterial, die Staatsdruckereien u. dgl., nach ihrer Bestimmung wie nach chrer ganzen inneren Einrichtung von gewerblichen Anlagen im allgemeinen wesentlich verschieden seien und ohne schwere Unzuträglichkeiten nicht wohl unter ein vornehmlich aus Gewerbetreibenden geblldetes Gericht gestellt werden könnten. (Kommissionsbericht a. a. O. S. 881.) Von dem Plenum des Reichstages wurde an der Streichung der fraglichen Vor­ schrift in der ausgesprochenen Absicht festgehalten, die Arbeiter auch der unter öffentlicher Verwaltung stehenden Betriebe der Wohltat einer eigenen Gerichts­ barkeit teilhaftig zu machen. Bei den Verhandlungen räumte der Bundes­ kommissar Meberding der Mehrheit ein, daß die Fassung der Vorschrift in der Regiemngsvorlage zu weit sei. Dabei führte er aus: Die Fassung sei gewählt worden, toeil es schwierig sei, eine Grenze zu finden zwischen den verschiedenen An­ lagen, für die eine besondere Exemtion geschaffen werden müsse, und denjenigen An­ lagen, für die das Bedürfnis einer solchen Hemtion nicht hervortrete. Es würde im Sinne der Vorlage zuträglich sein, beispielsweise Anlagen der Gemeinde­ verwaltung unter die Kompetenz der GG. zu bringen; ebenso könnten manche Staatsanlagen, wie eine Porzellanfabrik, eine Gasanstalt oder eine Wasserleitung, die der Staat betreibt, unbedenklich der Zuständigkeit des GG. unterstellt werden. (Sitzung am 3. Mai 1878, II. Session 1878, Bd. II S. 1026.) Die im Entwurf des Jahres 1878 fehlende Abgrenzung ist — offenbar in Konsequenz der Nieberdingschen Ausfühmngen und m Anlehnung an oiese — in der Regiemngsvorlage des Jahres 1890 gefunden worden. Deren § 69 besagte: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf Stteitigkeiten der Vorstände der Reichs­ und Staatsdmckereien, der staatlichen Münzanstalten sowie der unter der Militär­ oder Marineverwaltung oder der Staatseisenbahnverwaltung stehenden Betriebs­ anlagen mit den in diesen Betrieben beschäftigten Arbeitern." Die Beratungen in der Kommission führten wiedemm zu erheblichen Streichungen, so daß der § 69 der Regiemngsvorlage als § 76 des Gesetzes von 1890 schließlich nur noch die unter der Militär- oder Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen als der Zuständigkeit des GG. entzogen aufführte. Der § 76 des Gesetzes von 1890 ist als § 81 unverändert in das Gesetz von 1901 übergegangen. Diese Entstehungs­ geschichte läßt unzweifelhaft erkennen, daß es der Wille des Gesetzgebers gewesen ist, die unter kommunaler Verwaltung stehenden Betriebe der Zuständigkeit des GG. zu unterstellen. Und daß dieses nicht etwa nur bezüglich derjenigen kommu­ nalen Betriebsanlagen der Fall sein sollte, die sich als Gewerbebetriebe im tech­ nischen Sinne qualifizieren, muß daraus gefolgert werden, daß der Standpunkt der Regiemngsvorlage von 1878, diese Anlagen seien keine Gewerbebetriebe, von keiner Serte bemängelt worden ist, und daß man trotzdem diese Anlagen von der Zuständigkeit des GG. nicht ausgeschlossen hat. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 101.)

63. Ist das GG. zuständig für Arbeiter städtischer Wasserwerke? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 8, vom 18. März 1909. Das GG. hat sich für zuständig erklärt.

AusdenGründen: Cs ist anzuerkennen, daß die Gründe, aus denen die Wasserwerke errichtet wurden, im wesenüichen hygienischer und humanitärer Natur waren. Die Stadt B. wollte chre Bürger mit einwandfreiem Trinkwasser versorgen. Der Betrieb der Wasserwerke erfolgt aber nach kaufmännischen Gmndsätzen und geschieht auch in der Weise, daß daraus jährlich ein ziemlich erheblicher Gewinn erzielt wird. Die Mehrheit des Gerichts ist infolgedessen der Ansicht, daß, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß die Wasserwerke mit allgemein

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hygienische Zwecke haben, doch ihr Betrieb im wesentlichen gewerblicher Natur ist. Daraus folgt, daß auf das Arbeitsverhältnis des Kl. die GO. Anwendung findet,

b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 21. April 19.9. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. AusdenGründen: Die Bedenken des Bekl. gegen die Zuständigkeit des GG. waren nicht anzuerkennen. Die B.er Wasserwerke sind ein auf ständtgen Erwerb gerichteter Semeb — sie werfen bei einer Einnahme von 9 bis 10 Mill. Mk. jährlich gegen 3Mill.Mk. Überschüsse ab —und mithin ein Gewerbebetrieb*). (Reichsarbeitsbl. Jg. 8 Sp. 224.) 64. Ist das GG. zuständig für Arbeiter der hamburgischen Baudeputation ? a) Urteil des GG. Hamburg vom 9. Oktober 1905. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen des GG.: Das GG. ist nur zuständig für die Entscheidung von gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitem und Arbeitgebetn usw.; gewerblich ist eine Streitigkeit aber nur, wenn der Arbeitgeber ein Gewerbe betreibt und der mit ihm streitende Arbeiter in diesem Gewerbe be­ schäftigt ist oder war. Der Baudeputation liegt die Verwaltung des öffentlichen Bauwesens ob, d. h. sie sorgt für die Ausfühmng und Instandhaltung der staat­ lichen Bauten. Ein Erwerb wird mit dieser Tätigkeit weder erzielt noch auch beabsichtigt, sie dient gemeinhin nur öffentlichen Interessen. Insbesondere ist dies der Fall bei der Verwaltung des Strom- und Hafenbaus und namentlich bei der Staatsbaagerei; die hierfür alljährlich bewilligten Mittel werden im Interesse der Schiffahrt, also des öffentlichen Verkehrs, verausgabt, und zwar ohne daß direkte Einnahmen den Ausgaben gegenüberstehen. Der Staat erscheint hier also zweifellos nicht als Gewerbetreibender, und die Streitigkeiten zwischen der Sektion für Strom- und Hafenbau und ihren Arbeitem sind keine gewerbliche,

b) Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 31. Okwber 1905 und des Landgerichts Hamburg vom 5. Dezember 1905. Kl. hat beim Amtsgericht die Gewähmng des Armenrechts für die Klage gegen die Baudeputation beantragt. Der Antrag ist zurückgewiesen. Aus den Gründen des Amtsgerichts: Zwar ist unzweifelhaft richtig und zutreffend, daß die Baudeputation eine Erwerbsabsicht bei der Aus­ fühmng der ihr obliegenden Arbeiten regelmäßig nicht hat, sondern in Erfüllung öffentlichrechtlicher Funktionen handelt, und auch die Ausfühmng ist mcht zu beanstanden, daß ein ohne Gewinnabsicht geführter Betrieb begrifflich ein Ge­ werbebetrieb im Sinne der GO. nicht ist. Es drängt sich aber ohne weiteres der Gedanke auf, daß dieses Moment für die Begrenzung der Zuständigkeit der GG. unmöglich für die Gesetzgebung bestimmend gewesen sein kann. Das GG. ist gedacht als ein Sach- urü> Standesgericht zur Entscheidung von Streitigkeiten auf dem Gebiete des Arbeitsvertrages, zwischen Arbeitgebem und Arbeitnehmem nach der heute eingebürgerten Terminologie, und es müßte aufs höchste wunder­ nehmen, wenn die in Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter eben deshalb, well sie den besonderen Vorzug haben, den Staat als Arbeitgeber sich gegenüber zu sehen, die Wohltaten der GG.-Gesetzgebung nicht genießen sollten, als da sind beschleunigter Rechtsgang, spezielle Sachkenntnis des Gerichtes, größere Billigkeit. Denn für die Fragen, welche Gegenstand vor dem GG. sich abspielender Prozesse sind, ist es offensichtlich ganz gleichgültig, aus welchen Gründen und zur Erfüllung *) Vgl. auch 60 a.

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welcher Aufgaben der Unternehmer seinen Betrieb unterhält. Es macht nicht den mindesten Unterschied, ob der Staat oder ein Privatmann es ist, der dem Antragsteller seinen Lohn nicht zahlen will; die zu entscheidende Rechtsfrage bleibt in beiden Fällen dieselbe. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß der Wortlaut des GGG. für die Unzuständigkeit des GG. zu sprechen scheint. Denn nach ihm sind „Arbeiter" solche Personen, auf welche der 7. Titel der GO. Anwendung findet und die ganze GO. findet nur Anwendung auf das Gewerbe. Ein Gewerbe wird aber von der Baudeputation nach der feststehenden Begriffsbestimmung, nach welcher zum Betrieb eines Gewerbes die Gewinnabsicht gehört, nicht betrieben. Schon der Wortlaut des §1 a. a. O. jedoch läßt erkennen, daß diese Argumen­ tation nicht zutrifst. Er braucht nicht den Ausdruck Gewerbetreibender, sondern Arbeitgeber. Werter zeigt § 81, a. a. O., daß das Gesetz die Grenzen der Zu­ ständigkeit nicht so eng ziehen will. Er eximiert von dem Geltungsbereich des Gesetzes die Arbeiter, welche in den unter der Militär- oder Marineverwaltung

stehenden Betriebsanlagen beschäftigt sind. Diese Betriebe arbeiten samt und sonders ebensowenig auf Verdienst wie die Baudeputation. Auch sie haben ledig­ lich Ausgaben, keine Einnahmen, denn sie fabrizieren nur für den Bedarf von Armee und Marine, und wenn etwa budgetmäßig Einnahmen dieser Betriebe scheinbar vorhanden sind, so sind dies doch nur zur Übersicht über das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen rein rechnungsmäßig vorgenommene Buchungen. War es nötig, diese Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen, so folgt daraus, daß nach dem Willen des Gesetzes ohne das Bestehen der Ausnahmebestimmung auch jene Kategorien von Arbeitem vor dem GG. Recht zu nehmen haben würden daß also die Interpretation des hamburgischen GG. zu eng sein muß. Dasselbe ergibt die Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 29. Juli 1890. Die Regierungsvorlage lautete in dem jetzigen § 81 (Nr. 5 der Drucksachen des Reichstages 1890/91. Anlagenband I S. 31 ff.) entsprechend §69: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf Streitigkeiten der Vorstände der Reichs- und Staatsdmckereien, der staat­ lichen Münzanstalten, sowie der unter der Militär- und Marineverwattung oder der Staatseisenbahnverwaltung stehenden Be riebsanlagen mit den in diesen Betrieben beschäftigten Arbeitem." Man wollte also auch die Münzen und die Staatsdmckereien der Zuständigkeit der GG. entziehen und hielt diese ausdrückliche Bestimmung für erforderlich, obwohl die Münzanstalten sicher nicht für den Fiskus erwerben sollen, sondem der Sichemng der Wähmng und anderen ähnlichen Zwecken dienen. In der vom Reichs­ tag zur Beratung der Vorlage eingesetzten Kommission hat man dem §69 oie jetzige Fassung gegeben, und der Kommissionsbericht hierzu — Drucksachen des Reichstages Nr. 51 1890/91 Anlagenband I S. 520 — sagt klar und deullich, daß durch die Streichung der auf die Münzanstalten, Eisenbahnverwaltungen, Staats­ dmckereien bezüglichen Sondervorschrift die Zuständigkeit der GG. für diese Be­ triebe beibehalten werde. Die Frage ist im Plenum des Reichstages für die eben erwähnten Betriebe nicht weiter erörtert worden. Dagegen hat ein An­ trag Auer und Genossen, den ganzen § 69 zu streichen.—Nr. 75'sub. 6 der Druck­ sachen des Reichstages a. a. O. S. 584 — Anlaß gegeben, daß über die gleichlie­ gende Frage eine längere Debatte entstand, ob die unter der Armee- und Marine­ verwaltung stehenden Betriebe den GG. unterstehen sollten. Bon keiner Seite ist in Zweifel gezogen worden, daß der Wegfall des § 69 diese Betriebe der Juris­ diktion der GG. unterwerfen würde, auch nicht von den Bertretem der Regiemng, obwohl man sich vollkommen klar darüber war, daß jene Betriebe Gewerbebetriebe im Sinne des Gesetzes nicht seien (vgl. Stenographische Berichte 1890/91 Band I Seite 517—524). Letzteres ergibt zur Evidenz folgender Satz aus der Rede des Bundesratskommissars Majors Bahn (a. a. O. S. 519):

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„Die Frage, ob die militärischen Fabriken Gewerbebetriebe im Sinne des Gesetzes sind, ist bereits gelegentlich eines Antrages aus Heranziehung der militärischen Fabriken zu den Gemeindelasten im vememenden Sinne entschieden, weil diese Fabriken aus Erwerb nicht arbeiten." Trotzdem hat auch der Major Bahn keinen Aweifel darüber gelassen, daß nach der Auffassung der von chm vertretenen Regierung die Streichung des §69 a. a. O. die Zuständigkeit der GG. begründet haben würde. Es muß demnach angenommen werden, daß auch dann, wenn Arbeiter in Reichs-, Staats- oder kommunalen Betrieben beschäftigt siiü», die nicht den Charakter gewerblicher Betriebe haben, §3 des Gesetzes betreffend die GG. Platz greift (ebenso Haas, Kommentar zum GGG., 2. Aust., Anmerkung 13 Absatz 4 zu §3). Das angerufene Gericht erachtet sich daher für unzuständig und die Klage des Antragstellers vor dem ordenüichen Gerichte für aussichtslos. Auf die Beschwerde des Antragstellers ist der Beschluß aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, das Armenrecht zu erteilen. Aus den Gründen des Landgerichts: Der Beschwerde war stattzugeben. Die beigebrachte Entscheidung des GG. in der sich dieses für einen gleichliegenden Fall für unzuständig erklärt hat, beruht auf zutreffenden Gründen. Entscheidend ist, daß die Baudeputation Sektion für Strom- und Hafenbau, die hier die Arbeitgeberin ist, keinen Gewerbebetrieb hat, da sie nicht mit Gewinn­ absicht arbeitet. Daß eine solche Gewinnabsicht wesentlich ist, bestreitet auch die Begründung des Amtsgerichts nicht. Es ist deshalb unrichtig, wenn das Amtsgencht trotzdem die Zuständigkeit des GG. aus dem Gesichtspunkte herleiten will, daß es „aufs höchste wundemehmen müßte, wenn die m den Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter eben deshalb, weil sie den besonderen Vorzug haben, den Staat als Arbeitgeber sich gegenüber zu sehen, der Wohltaten der Gewerbegerichts­ gesetzgebung nicht gemeßen sollten." Denn es kann bei der Auslegung von Ge­ setzen nicht darauf ankommen, zu untersuchen, was das Zweckmäßigste und An­ gemessenste wäre, sondem nur daraus, was das Gesetz wirklich anordnet, nicht, was das Gesetz hätte sagen wollen, sondem was es wirklich sagt, ist entscheidend. — Das Amtsgencht will ferner aus dem Wortlaut des § 81 GGG. den Schluß ziehen, daß in der hier fraglichen Streitigkeit das GG. zuständig ist. Auch das ,st nicht als richtig anzuerkennen. Der §9 der Regierungsvorlage dieses Gesetzes wollte auch die Streitigkeiten der Vorstände der Reichs- und Staatsdruckereien, der staatlichen Münzanstalten^ sowie der unter der Staatseisenbahnverwaltung stehenden Betriebsanlagen mit den in diesen Betrieben beschäftigten Arbeitem von den Bestimmungen des Gesetzes ausnehmen, während der § 81 des Gesetzes, der daraus hervorgegangen ist, von Arbeitem dieser Art nur die Arbeiter aus­ schließt, die in den unter der Militär« und Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen beschäftigt sind. Gewiß ist nun durch die Streichung bet weitergehenden Ausnahme der Regierungsvorlage die Zuständigkeit der GG. für die Streitig­ keiten der Arbeiter der gestrichenen Betriebe beibehalten worden, aber nicht schlechthin, wie das Amtsgencht anzunehmen scheint, sondem nur dann sind die GG. zuständig, wenn der Betrieb ein Gewerbebetrieb im Sinne der GO. ist. Dem­ entsprechend würde auch, wenn der ganze Paragraph gestrichen worden wäre, nicht die Zuständigkeit der GG. für die Streitigketten der Arbeiter der unter der Militär- und Manneverwaltung stehenden Betriebsanlagen schlechthin begründet worden sein, sondem nur soweit sie sich wirllich als Gewerbebetriebe charakteri!ieren. Man braucht deshcub noch nicht einmal mit der Beschwerde anzunehmen, >aß diese Ausnahmen des § 81 selbstverständlich und daher überflüssig sind. Denn daraus, daß nach der tatsächlichen augenblicklichen Lage diese Betriebe so gut wie niemals Gewerbebetriebe sind, und daß infolgedessen Diese Ausnahmebe­ stimmungen des § 81 tatsächlich augenblicklich wohl kaum zur Anwendung kommen,

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ist noch nicht zu folgern, daß sie überflüssig ist. Es ist immerhin möglich, daß die Militär- oder Marineverwaltung irgendwelche Betriebe als Gewerbebetriebe ein­ richtet, und hat man durch die Bestimmung des § 81 von vornherein jeden Zweifel ausgeschlossen und aus politischen Gründen die Zuständigkeit des GG. ein für allemal beseitigt, selbst wenn sich ein Betrieb der Militär- oder Marineverwaltung als Gewerbebetrieb darstellen sollte. Man denke z. B. an die von der Militär« Verwaltung betriebene Eisenbahnstrecke Berlin—Zossen, die auch als Gewerbe­ betrieb ausgenutzt wird. (Gewerbe- und Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 304.)

65. Ist das GG. zuständig für bei der städtischen Kanalisation beschäf­ tigte Arbeiter? Urteil des Kreis - GG. Moers vom 12. Februar 1908. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. AusdenGründen: Das GG. hat den Ausdruck „gewerbliche Streitig­ keiten" im §1 des GGG. dahin aufgefaßt, das damit diejenigen Streitigkeiten bezeichnet werden sollen, die aus der jeweiligen Erwerbstätigkeit des Arbeiters herrühren, im Gegensatz zu solchen anderer zivilrechtlicher Natur, z. B. aus Pacht oder Miete, Darlehn, Kauf und dergl. Daß diese Erwerbstätigkeit unbedingt in einem Gewerbebetrieb, also in einem auf Erzielung von Gewinn gerichteten Betrieb stattfinden müsse, hat das Gericht aus den gesetzlichen Bestimmungen nicht folgern können. Es würde sich sonst das sonderbare Resultat ergeben, daß der Arbeiter der städtischen Gasanstalt dem GG. unterstände, sein Kollege von der Kanalisation aber nicht, obgleich beide bei demselben Arbeitgeber unter den gleichen Bedingungen ihre Tätigkeit ausüben! Ein solcher Unterschied wird dem Arbeiter niemals klar zu machen sein, besonders dann nicht, wenn es einmal den gleichen Arbeiter betrifft, der etwa aus dem einen Zweig der städtischen Verwaltung in einen anderen übertritt. Wenn alle diejenigen staatlichen oder kommunalen wirtschaftlichen Unternehmungen, die nur zur Fördemng öffentlicher Interessen, aber nicht zur Gewinnerzielung bestimmt sind, der Rechtsprechung der GG. entzogen werden sollten, so wäre die Bestimmung des § 81 des GGG. überflüssig, weiche die Arbeiter der unter der Militär- oder Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen von der Anwendung des GGG. ausschließt; denn diese wären dann ja ohnehin ausgeschlossen, weil die bett. Betriebe nicht auf Er­ werb hinarbeiten. — Bevor die Stadt die Kanalisation eingeführt hatte, war die Fortschaffung der Fäkalien usw. einem Unternehmer gegen Bezahlung übertragen und stellte sich als ein Gewerbebetrieb dar, wobei es unerheblich blieb, ob dieser Unternehmer einen Gewinn erzielte oder mit Schaden arbeitete. Die beklagte Verwaltung hat dieses Unternehmen lediglich fortgesetzt; nur die technischen Gnrichtungen sind andere geworden. Sie läßt sich für ihre bezügl. Tätigkeit eben­ falls bezahlen, indem sie von den angeschlossenen Hausbesitzem Gebühren erhebt. Wenn diese die Aufwendungen nicht decken, so ist dies für die Beurteilung der Zuständigkeit des GG. ohne Belang, denn auch ein privater Gewerbebetrieb, der mit Unterbilanz arbeitet, bleibt deshalb doch bei Streitigkeiten mit seinen Arbeitern der Rechtsprechung der GG. unterstellt. Es ist auch nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber irgendeinen Grund gehabt haben könnte, den Arbeiter dann, wenn sein Arbeitgeber einen Gewinn aus seinem Gewerbe nicht beabsichtigt oder erzielt, von den Vorteilen des gewerbegerichtlichen Verfahrens auszuschließen, während er derselben teilhaftig wird, sobald derselbe Arbeitgeber Überschüsse er­ strebt oder doch erzielt. Für den Arbeiter ist dieses Moment völlig gleichgültig; er muß hier wie dort für seinen Lebensunterhalt arbeiten, und es würde eine durch nichts zu rechtfertigende Härte bedeuten, ihn diese Unterschiede in sofern ent­ gelten zu lassen, daß man ihn in dem einen Falle dem GG. unterstellt, im anderen Baum, Sewerbegerichte.

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an die ordentlichen Gerichte verweist. Aus den Verhandlungen des Reichstages geht aber auch hervor, daß der Gesetzgeber diese Absicht nicht gehabt hat. Das Bestreben der Regierungsvorlage, möglichst viele unter öffentlicher Verwaltung stehende Betriebsarten der Zuständigkeit der GG. zu entziehen, ist beim Reichs­ tag stets aus starken Widerstand gestoßen, und es sind schließlich nur, abgesehen von solchen Betrieben, die ohnehin schon ausgeschieden waren, die Betnebsanlagen der Militär- und Marineverwaltung übrig geblieben, was sich aus Gründen politischer und disziplinärer Natur erklären läßt. (Gewerbe- und Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 205.)

66. Ist das GG. zuständig für städtische Straßenunterhaltungsarbeiter? Urteil des GG. Duisburg-Meiderich vom 10.Dezember 1909. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen: Der Kl. ist mit Arbeiten zur Instandhaltung und Instandsetzung von Straßen (Abschlammen der chauffierten Straßen, Rinnen­ legung, Planiemng) beschäftigt worden, Arbeiten, die im öffentlichen Interesse ausgesührt werden und keinen Gewerbebetrieb mit der Absicht, auch nicht mit der Möglichkeit einer Gewinnerzielung darstellen; der Straßenunterhaltungs­ betrieb ist auch den Arbeiterschutzvorschristen des Titels VII der RGO. nicht unter­ worfen, wie weiter unten näher ausgeführt wird. Nun ist in mehreren Urteilen angenommen worden, daß Kommunalbetriebe, z. B. Gasanstalten, Wasserwerke, Kanalisationen, ebenso wie gewisse Staatsbetriebe der Zuständigkeit des GG. unterlägen, und es wurde dies mit der Entstehungsgeschichte des GGG. begründet. Aus der Entstehungsgeschichte des GGG. (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, II. Session 1878 Bd. III S. 513, 515, 521, 881, Bd. II S. 978, 1026, I. Session 1890/91 Anlagenband I S. 31 (524), 37, 520, Bd. I S. 517—524) ergibt sich folgendes: Nach dem § 1 Abs. 1 des Entwurfs vom Jahre 1878 sollten GG. eingesetzt werden für die Streitigkeiten zwischen Gesellen, Gehilfen, Fabrikarbeitern oder Lehrlingen einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits; eine Beschränkung im Sinne des heutigen §3 Abs. 1 des GGG. fehlte; im §21 waren die Streitig­ keiten der Vorstände der unter öffentlicher Verwaltung stehenden Betriebsanlagen mit den in den letzteren beschäftigten Arbeitem von der Anwendung des Gesetzes ausgenommen. In den Motiven ist zu diesem §21 gesagt: „Die hier gedachten Verwaltungen sind im Sinne des Entwurfs als Gewerbetreibende nicht anzu­ sehen; sie wirken bei der Konstituiemng desGG. nicht mit, sind auch in demselben nicht vertreten." Die Bestimmung des §21 ist bei der Kommissionsberatung gegen den Widerspmch der Vertreter des Bundesrats gestrichen worden. Bei der Beratung des Gesetzes im Plenum des Reichstages äußerte ein Abgeordneter (Hirsch), ohne Widerspmch zu finden, er habe in der Kommission den Streichungs­ antrag damit motiviert, daß unter keinen Umständen die im Kommunalbetriebe beschäftigten Arbeiter von der Beteiligung an dem GG. ausgeschlossen werden dürften und ein Kommissar der Bundesrats (Meberding) erllärte, daß es im Sinne der Vorlage zuträglich sein würde, Anlagen der Gemeindeverwaltung unter die Kompetenz der GG. zu bringen. Diese Vorlage ist aber nicht Gesetz geworden, und der Entwurf vom Jahre 1890 enthielt wesentliche Änderungen, insofern als darin die Zuständigkeit im § 2 beschränkt wurde auf „Gesellen, Ge­ hilfen, Fabrikarbeiter und Lehrlinge, auf welche der siebente Titel der GO. An­ wendung findet", und nach § 69 die Ausschließung von der Zuständigkeit sich auf bestimmt bezeichnete Reichs- und Staatsbetriebe erstrecken sollte (Reichs- und Staatsdmckereien, staaüiche Münzanstalten, Betriebsanlagen der Militär- oder Marineverwaltung oder der Staatseisenbahnverwaltung). Auch bei Beratung

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dieses Entwurfs in der Kommission wurde gegen den Widerspruch der Regierungs­ vertreter die Ausschließung der im § 69 bezeichneten Betriebsanlagen von der Zuständigkeit der GG. mit Ausnahme derjenigen, die unter der Militär« oder Marineverwaltung stehen, gestrichen. Bei der Beratung im Plenum wurde der §69 in der Fassung des Kommissionsbeschlusses (jetzt §81) angenommen. Die Kommunalbetriebe sind bei der Beratung des Gesetzes im Jahre 1890 nicht erörtert worden.

Soweit die Entstehungsgeschichte. Zieht man die nicht Gesetz gewordene Vorlage aus dem Jahre 1878 in Betracht, so ist zuzugeben, daß es die Msicht war, die Kommunalbetriebe der Zuständigkeit der GG. zu unterstellen, und auch die Fassung des Gesetzentwurfs dem nicht entgegenstand. Anders verhält es sich aber, wenn man die Vorlage von 1890 und das daraus entstandene Gesetz berück­ sichtigt. Diese Vorlage schränkte durch ihren § 2 (jetzt Gesetz § 3 Abs. 1) die Zu­ ständigkeit der GG. gegen die frühere Vorlage wesentlich em. Sie brachte eine genaue Begriffsbestimmung für die Arbeiter, hinsichtlich deren das GGG. Geltung haben sollte. Und diese Begriffsbestimmung muß nach der Auffassung des GG. maßgebend sein für die Beurteilung der Zuständigkeit der GG., ohne Rücksicht auf die Verhandlungen, die sich aus die Ausschließung gewisser Staatsbetriebe (§69 der Vorlage) bezogen. Der Beschluß des Reichstages, die Ausschließung der Reichs- und Staatsdruckereien, staatlichen Münzanstalten und der Staats­ eisenbahnverwaltung abzulehnen und demzufolge diese Ausschließung aus dem § 69 zu streichen, kann nicht die Bedeutung haben, daß diese Betriebe nun ohne weiteres der Zuständigkeit der GG. unterständen; sie unterstehen vielmehr nur insoweit dieser Zuständigkeit, als sie in den Anwendungslreis des Titels VII der RGO. fallen, also wenn sie Arbeiter beschäftigen, auf die der VII. Titel der RGO. Anwendung findet. (Derselben Ansicht Wilhelmi-Bewer 2. Anst. S. 406 Abs. 2), Es ergibt sich dies auch aus folgendem Beispiel: Unter den Betrieben, deren Aus­ schließung von der Zuständigkeit der GG. im Jahre 1890 abgelehnt worden ist, befindet sich auch die Staatseisenbahnverwaltung, und es handelte sich dabei um die Gsenbahnwerkstätten. Die Bestimmungen der RGO. finden auf die Eisenbahnunternehmungen gemäß §6 der RGO. keine Anwendung und zwar nach mehreren Entscheidungen höherer Gerichte sowohl für den äußeren (Fahrund Streckendienst) wie für den inneren (Werkstättenbetrieb). Die Folge der Rechtsprechung auf diesem Gebiete war Die Beseitigung der Gewerbeaufsicht in den Eisenbahnwerkstätten durch ministeriellen Erlaß vom 12. August 1907. (Siehe Zeitschrift „Gewerbe- und Kaufmannsgericht" 1907 /OB Sp. 182 u. 183.) Da hiernach die Staatseisenbahnverwaltung der RGO. nicht untersteht, daher auch der Titel VII auf sie keine Anwendung finden kann, ist das GG. für Arbeiter der Staatseisenbahnverwaltung, wie überhaupt der Eisenbahnunternehmungen, nach § 3 Abs. 1 des GGG. nicht zuständig, obgleich die Reichstagsmehrheit im Jahre 1890 durch die Streichung der Ausschließung von der Zuständigkeit wohl beabsichtigt hatte, die Zuständigkeit zum Gesetz zu machen. Das ist aber in Wirk­ lichkeit nicht eingetreten, weil der § 2 (jetzt § 3 Abs. 1) des Gesetzes unverändert blieb, woraus sich in Verbindung mit §6 RGO. die Unzuständigkeit der GG. für die Eisenbahnuntemehmungen ergibt. Die Auffassung des GG. über die Tragweite der Streichung der beabsichtigt gewesenen Ausschließung der oben bezeichneten Staatsbetriebe von der Zuständigkeit der GG. wird unterstützt durch die Ausführungen des Beschlusses des Landgerichts Hamburg vom 5. Dezember 1905, das ebenso wie das GG. Hamburg die Zuständigkeit der GG. für die Streitig­ keiten zwischen der Hamburgischen Baudeputation und ihren Arbeitern vemeint hat. (Zeitschrift Gewerbe- und Kaufmannsgericht 1905/06 Sp. 303 u. 307.) 0

') Vgl. Nr. 64. 3*

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Wenn nun in mehreren von den eingangs angeführten Urteilen ausgeführt wird, es könnten den Arbeitem in Kommunalbetrieben die Wohltaten des GGG. nicht versagt werden, die den Arbeitem in manchen Staatsbetrieben gewährt sei, ferner, daß es nicht angebracht erscheine, Arbeiter eines Arbeitgebers, die auf verschiedenen Arbeitsgebieten tätig sind, in bezug auf ihre Zuständigkeit bei gewerblichen Streitigkeiten verschieden zu behandeln, ja wenn man so weit geht, überhaupt jede Strertigkeit aus der Arbeitstätigkeit eines Arbeiters im Gegensatz zu Streitigkeiten anderer zivilrechtlicher Natur, z. B. aus Pacht oder Mete, Dar­ ehen, Kauf und dgl. als der Zuständigkeit des GG. unterstehend zu betrachten, io kann dem nur gegenüber gehalten werden, was in dem vorerwähnten Beichlusse des Landgerichts Hamburg ausgeführt ist, „daß es bei der Auslegung von Gesetzen nicht darauf ankommen kann, zu untersuchen, was das Zweckmäßigste und Angenehmste wäre, sondem nur darauf, was das Gesetz wirmch anordnet; nicht was das Gesetz hätte sagen wollen, sondem was es wirmch sagt, ist entschei­ dend". Das GG. teilt diese Meinung und kann in dieser Hinsicht auch noch auf die Abhandlung vom Obertribunalsrat G. F. H. Meyer I, Berlin, über Inter­ pretation der Gesetze mit besonderer Mcksicht auf die Benutzung chrer Materialien »ot, Beiträge zur Erläutemng des Deutschen Rechts, Jg. XXIIIS. 1 u. f.), sen, deren Ausführungen gerade auch mit Rücksicht auf die hier in Frage stehende Gesetzesauslegung als sehr beachtenswert erscheinen.

Muß man hiemach zu dem Ergebnis kommen, daß §3 Abs. 1 des GGG. eine bestimmte Grenze für die sachliche Zuständigkeit der GG. zieht, so kann es nicht zulässig sein, diese Grenze durch Erwägungen zu überschreiten, die dahin

führen müssen, den Kreis der unter das GG. fallenden Personen über den Wort­ laut des Gesetzes hinaus zu erweitem, was besonders von dem GG. als Sonder­ gericht vermieden werden muß. Nach den vorstehend entwickelten Gesichtspunkten ist also die Zuständigkeit des GG. für Arbeiter in Kommunalbetrieben lediglich von dem § 3 Abs. 1 GGG. ausgehend zu beurteilen. Es bedarf der Prüfung, ob auf den Arbeiter eines Kommunalbetriebes der Titel VII der RGO. Anwendung findet, und diese Frage läßt sich erst beantworten, wenn weiter festgestellt ist, ob der Kommunalbetneb unter den Anwendungskreis des Titels VII der RGO. fällt und infolgedessen zu den eingangs erwähnten Betrieben gehört, also ent­ weder ein eigentlicher Gewerbebetrieb mit Gewinnabsicht oder em Betrieb ist, auf den die Arbeiterschutzvorschriften des Titels VII der RGO. Anwendung finden. Das GG. nimmt an, daß die Arbeiterschutznovelle für die nicht mit Gewinnabsicht, ausschließlich oder vorwiegend im öffentlichen Interesse eingerichteten Kommunal­ betriebe nicht gilt, indem es sich den Ausfühmngen im vorerwähnten Kommen­ tar von Landmann anschließt, wo S. 17 erwähnt ist, man müsse die Fordemng aufstellen oder es im Verwaltungswege anstreben, daß die Arbeiterschutzvorschriften auch auf die technischen Anlagen von Gemeinden und anderen öffenüichen Körperschäften ausgedehnt werden. Es bleiben also nur solche Kommunalbetriebe für die Zuständigkeit des GG. übrig, die mit der Absicht auf Erzielung eines Ge­ winnes eingerichtet sind; diejenigen, die ausschließlich oder vorwiegend im öffent­ lichen Interesse betrieben werden, unterstehen nach der Auffassung des GG. nicht der Zuständigkeit der GG., auch dann nicht, wenn sie etwa einen Überschuß aowerfen. Da Kl. kein Arbeiter ist, auf den der Titel VII der RGO. Anwendung findet, well der städtische Betrieb, in dem «beschäftigt war, kein Gewerbebetrieb im Sinne dieses Titels ist — weder ein Gewerbebetrieb mit Gewinnabsicht noch ein den Arbeiterschutzvorschriften unterstehender Betrieb —, hat das GG. sich für unzuständig erachtet und die Klage abgewiesen. (Gewerbe- u. Kaufmanns­ ger. Jg. 15 Sp. 105.)

§3 GGG. (Arbeiter oder Untemehmer?)

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Abgrenzung zwischen Arbeitern und selbständigen Unternehmern. (67—79). 67. (45.) Wird die ArbeiterqualitSt dadurch beseitigt, daß der Arbeit­ nehmer gegen Entschädigung das Werkzeug stellt? Urteil des GG. Frankfurt a.M. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Das Urteil ist in der Berufungsinstanz bestätigt worden. (Gewerbegericht Jg. 4 Ep. 95.)

68. Ist das GG. zuständig für „Rheinarbeiter", die aus eigene Hand das Be- und Entladen von Schiffen übernehmen? Urteil des Kreis-GG. Moers, Kammer Homberg a.Rh. vom 14. Dezember 1905. Die Klage ist wegen Unzuständigkeit des GG. abgewiesen. Aus den Gründen: Bei der eigenartigen sozialen Stellung des Kl. hat das Gericht die Frage der Zuständigkeit von Amts wegen geprüft. Wenn sie es vemeinte, so ging es von nachstehenden Erwägungen aus: Zunächst hat es sich nicht auf den Standpunkt des Landgerichts Potsdam stellen können, das in seinem Erkenntnis vom 18. Febmar 1902 ausspricht, gewöhnliche Tagelöhner, auch wenn sie dauernd in einem gewerblichen Betrieb arbeiten, z. B. mit der Überführung des ausgebaggerten Bodens aus Prähmen in Lories beschäftigt werden, seien nicht als gewerbliche Arbeiter zu betrachten, unterständen dem­ nach nicht dem GGG. — Das Gericht ist vielmehr der Ansicht, daß auch gewöhn­ liche Tagelöhner, ohne Rücksicht auf die Art ihrer Tätigkeit, sofern sie in einem gewerblichen Unternehmen für Zwecke des Gewerbebetriebes auf Grund eines Arbeitsvertrages beschäftigt werden, zu den gewerblichen Arbeitern zu rechnen sind und als solche unter Titel VII der GO. fallen daher gemäß § 3 Abs. 1 des GGG. vor den GG. Recht zu nehmen haben. Maßgebend für die Beurteilung des einzelnen Falles ist, daß die Beschäftigung auf Grund eines Arbeitsvertrages erfolgt, und daß eine soziale Abhängigkeit des Arbeiters von einem bestimmten Arbeitgeber besteht (vgl. Sigel, Der gewerbliche Arbeitsvertrag). Unter Bertragsverhältnis ist zu verstehen, daß die Vertragschließenden gegenseitig die Ab­ sicht haben, zueinander in ein Arbeitsverhältnis von einer gewissen Dauer zu treten, nicht aber nur zur Erledigung einer bestimmten Arbeit, die vielleicht nur einen oder wenige Tage in Anspruch nimmt. — Die soziale Abhängig­ ist darin zu erblicken, daß der Arbeiter während des Vertrag­ keit verhältnisses sich den Einrichtungen und Eigentümlichkeiten des Betriebes anpassen, z. B. eine bestimmte Arbeitszeit einhalten, seine Tätigkeit überhaupt nach den Anordnungen des jeweiligen Arbeitgebers einrichten muß und daß er femer aus diesem Verhältnis sein hauptsächliches Einkommen bezieht, soweit dies aus der Verwertung seiner Arbeitskraft herrührt. Wie diese Merkmale find bei dem Kl. nicht vorhanden. Er gehört zu der Kategorie der sog. Rheinarbeiter, Gelegenheitsarbeiter, die ihren Erwerb hauptsächlich bei dem Be- und Enlladen der Schiffe finden, ohne sich an einen bestimmten Arbeitgeber zu binden. Sie arbeiten — einzeln oder gemeinschaftlich — heute für diesen, morgen für jenen Untemehmer, ohne daß beiderseits die Absicht bestände, ein bestimmtes Ver­ tragsverhältnis einzugehen. Es sind völlig selbständige Leute, die Arbeit nach Gefallen und Gelegenheit übemehmen, ohne sich bezüglich der Arbeitszeit und Arbeitsweise Beschränkungen auferlegen zu lassen, und ohne mit dem eigent­ lichen Betriebe des betr. Untemehmers in nähere Beziehung zu treten, die also

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§3 GGG. (Arbeiter oder Unternehmer?)

von ihrem jeweiligen Arbeitgeber sozial völlig unabhängig sind; besonders, da sie nicht bloß auf den Arbeitsverdienst aus einem bestimmten Arbeitsverhältnisse angewiesen, sondern meistens für gemeinschaftliche Rechnung für verschiedene Unternehmer tätig sind. (Kl. war z. B. während derselben Zeit, in der er das Entladen des bellagtischen Schiffes besorgen wollte, noch an der Löschung eines Basaltkahnes für einen anderen Unternehmer beteiligt). Ihre Tätigkeit erfolgt auf Grund eines reinen Werkvertrages, dessen Gegenstand die Veränderung einer Sache, oder ein anderer, durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg ist. (§ 631 EGE.) Sie würden sich auch, wie aus den Erklärungen des Kl. deutlich hervorging, selbst sehr dagegen verwahren, wenn man sie als Arbeiter eines bestimmten gewerblichen Unternehmers bezeichnen wollte, wie sie denn auch niemals ihre sog. Arbeitspapiere bei dem jeweiligen Auftraggeber abgeben. Dieser bezahlt wohl den Versicherungsbeitrag für bie betreffende Woche; die Quittungskarte jedoch ist bei irgendeinem der an der Schiffahrt beteiligten Unter­ nehmer hinterlegt, der die Marken einklebt und gelegentlich mit den anderen in Betracht kommenden Unternehmern abrechnet. Von Einfluß auf die Entscheidung war noch der besondere Umstand, daß Kl. auch die Ausfühmng von Taucherund Leichterarbeiten für eigene Rechnung übemimmt. Auf Gmnd aller dieser Tatsachen kam das GG. übereinstimmend zu der Ansicht, daß der Kl. nicht zu den gewerblichen Arbeitem im Sinne des § 3 GGG. bzw. des Titels VII der GO. gerechnet werden könne; er ist vielmehr als selbständiger Unternehmer, wenn auch besonderer Art, zu betrachten. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 199.)

69. (46.) M daS GG. zuständig für den Garderobier eines Schankwirts? a) Urteil des Landgerichts I zu Berlin, Zivilkammer 8, vom 21. März 1899. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Die Berufung des Bell, ist zurückgewiesen. Jg. 1899, S. 37.)

(Blätter für Rechtspflege

b) Urteil des Oberlandesgerichts Marienwerder vom 20. März 1899. Das Landgericht hatte die Klage der Garderobiere, welche die Garderobe des Saalbesitzers für 1500 Mk. gepachtet hatte, wegen Zuständigkeit des GG. abgewiesen. Die Berufung der Kl. ist zurückgewiesen1).

70. (47.) Ist das GG. für Streitigkeiten zwischen dem Inhaber eines DienstmannSinstitnts und den einzelnen Dienstmännem zuständig? Urteil des GG. Frankfurt a. M. vom 7. Mai 1896. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 29.)

71. (48.) Ist ein Schachtmeister Arbeiter, Werkmeister oder selbständiger Unternehmer? Zwischenurteil des GG. zu Dortmund vom 23. Dezember 1896 und Entsch. des Kgl. Landgerichts daselbst vom 10. April 1897. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Auf die Bemfung des Bell, ist das Urteil aufgehoben und die Kl. wegen Unzuständigkeit abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 21.) *) Vgl. auch GG. Berlin v. 24. Juni 1904 (Reichsarbeitsbl. Jg. 3 S. 444).

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72. (49.) Ist ein Schlosseranfchlägcr Arbeiter oder selbständiger Unter» nehmer? Urteil des GG. Frankfurts. M. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 25.)

73. Ist der Geschäftsführer eines Restaurants, der die Leitung gegen Prozente der Einnahmen übernommen hat, Gewerbegehilfe? a) Urteil des Kgl. Landgerichts Elberfeld vom 5. Jan. 1903. Der KI., welcher Eigentümer eines Theaters ist und die Konzession zum Wirtschafts' betriebe in demselben besitzt, hat mit dem Bell, einen als „Dienstvertrag" bezeichneten Vertrag abgeschlossen. Nach diesem tritt Bell. in die Dienste des Kl. und hat „die wirt­ schaftliche Bedienung der Gäste und des Publikums nach jeder Richtung hin und am Busset zu besorgen, wozu namentlich auch die Reinhaltung des Hauses gehört". Kl. liefert ausschließlich die Getränke, wie Wein, Bier und Spirituosen. Bekl. hat die Gelder einzunehmen und täglich, sowie auf jederzeitiges Verlangen des Kl., unverkürzt abzu­ liefern. Essen, Zigarren und kohlensaure Getränke darf er auf eigene Rechnung ver­ kaufen. Bekl. erhält als Lohn für seine und seiner ihn unterstützenden Ehefrau Dienste 5% vom verkauften Wein, und vom Bier, das Hektoliter zu 60 Mk. berechnet, den Über­ schuß des Erlöses aus demselben, ferner vom Champagner 1 Mk. Kl. ist berechtigt, den Vertrag sofort aufzulösen, wenn Bekl. heimlich andere Getränke als die vom Kl. gelieferten unterschiebt. Die Dauer des Vertrages ist aus ein Jahr vom 1. Mai 1902 an festgesetzt mit der ortsüblichen gegenseitigen Kündigungsfrist von 14 Tagen. Bekl. erhält für die Dauer des Vertrags zwei Zimmer im Hause unentgeltlich. Er verpflichtet sich zur ord­ nungsmäßigen Benutzung und Aufbewahrung des Inventars. In einem Nachtrage ist der Bierpreis auf 56 Mk. pro Hektoliter herabgesetzt und bestimmt, daß Kl. den Lohn für das Dienstmädchen und die Kellner bezahlt. Am 18. August 1902 wurde Bekl. vom Kl. entlassen. Kl. hat beim Kgl. GG. Elberfeld auf Zahlung von 638,65 Mk. geklagt, die Bekl. für Wein, Bier und Spirituosen während der Vertragsdauer vereinnahmt und nicht abgeliefert habe. Bekl. erhebt die Einrede der Unzuständigkeit des GG., da er in keinem Dienstverhältnis zum Kl. gestanden, sondern selbständiger Gewerbetreibender gewesen sei.

Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Auf die Berufung des Bekl. ist das Urteil aufgehoben und die Klage wegen Unzuständigkeit des GG. abgewiesen. AusdenGründen: Es kommt darauf an, was Bekl. seiner Beschäf­ tigung nach gewesen ist. In dieser Beziehung bestehen drei Möglichkeiten; der Bekl. kann Gewerbegehilfe oder selbständiger Gewerbetreibender (d. h. Pächter des klägerischen Wirtschaftsbetriebes), er kann aber auch drittens, was die Parteien unerörtert gelassen haben, Stellvertreter im Sinne des § 45 GO. gewesen sein. Die Unterscheidung liegt in folgendem: GewerblicherArbeiterist der­ jenige, welcher im Gewerbebetriebe eines selbständigen Gewerbetreibenden tätig ist, unter Aufsicht und Leitung des Gewerbeinhabers das Gewerbe oder einzelne Zweige desselben verwaltet und im gleichen Umfang für Rechnung des Geschäfts­ inhabers Gewerbehandlungen vornimmt. Stellvertreter ist, wer das Gewerbe im Namen und für Rechnung des sich mit der Geschäftsführung nicht befassenden Geschäftsinhabers selbständig verwaltet, d. h. alle Rechtsgeschäfte schließt, welche den Umfang des ihm übertragenen Gewerbes umfassen. Der Pächter endlich betreibt das Gewerbe auf fremden Namen, aber auf eigene Rechnung und VerantworÜichkeit (vgl. Kayser-Steiniger GO. Art. 4 u. 2 zu 8 45, v. Landmann, GO. § 45, 2a, Stenglein, Strafrechü. Nebenges. zu § 45 GO.). Die unterscheidenden Merkmale liegen sonach darin, daß der gewerbliche Arbeiter unselbständig, Stellvertreter und Pächter aber selbständig das Gewerbe des Inhabers betreiben, und zwar der Stälvertreter auf ftemde, des Geschäftsinhabers, Rechnung, der Pächter auf eigene. Unwesenllich ist dagegen die Bezeichnung des

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Vertrags zwischen dem Gewerbeinhaber und dem Dritten, wie denn z. B. durch einen Dienstvertrag ebensowohl ein gewerbliches Arbeitsverhältnis, wie eine Stellvertretung im Sinne des § 45 GO. begründet werden kann (vgl. Steiniger, a. a. O. A. 5 zu 45) und auch die Einkleidung eines Pachwertrages in einen solchen nicht abgeschlossen erscheint. Betrachtet man hiernach das durch den Vertrag vom 1. Mar 1902 gegebene Verhältnis der Parteien zueinander, so unterliegt es deinem Zweifel, daß Bell, jedenfalls gewerblicher Arbeiter des Kl. nicht gewesen st. Bell, hat den Wirtschaftsbetrieb des Kl. nicht unter dessen Aufsicht und Leitung, ondern in jeder Beziehung selbständig geführt. Kl. hat sich um die Geschäftsührung in keiner Weise gekümmert, er stellte lediglich das Lokal mit dem Inventar und lieferte die Getränke, alle mit dem Gewerbebetrieb in Beziehung stehende Rechtsgeschäfte, die mit Dritten abzuschließen waren, z. B. wie Kl. nicht bestritten hat, das Engagement des Dienstpersonals, besorgte der Bell. Auch schon der Umstand, daß seine Entschädigung in einem bestimmten Prozentsatz von der Ein­ nahme aus den Getränken bestand, und daß er Essen, Zigarren und MineralÖit auf eigene Rechnung verkaufen durfte, spricht dagegen, daß Bell, unselbiger Gewerbegehilfe gewesen ist. Es kann hiernach nur in Frage kommen, ob Bell. Stellvertreter oder Pächter war, dies bedarf aber nicht der Entscheidung. Denn da sowohl der Stellvertreter wie der Pächter selbständig das Gewerbe verwalten, sind sie nicht als Gewerbegehilfen anzusehen und fallen daher nicht unter Titel VII der GO. b) Urteil des Landgerichts München I vom 26. April 1903. Kl., welche sich in der Klage als „Geschäftsführerin" bezeichnet, klagt vor dem LandSericht gegen einen Restaurateur auf Rückgabe einer Kaution, die sie bei ihm als Wirt­ haftsführerin einer Gastwirtschaft geleistet habe. Bell, wendet ein, daß der Rechtsstreit vor das GG. gehöre, da Kl. Gewerbegehilfin sei. Kl. erwidert, sie sei Wirtschaftspächterin gewesen, es liege demnach kein Arbeitsverhältnis, sondern ein Pachtverhältnis vor, für welches die Zuständigkeit des Landgerichts bestehe; in dem von den Parteien am 10. Olt. 1901 geschlossenen Vertrage werde die Kl. allerdings als „Geschäftsführerin" aufgeführt, maßgebend sei aber nicht die Bezeichnung, sondern das Wesen der Stellung, welche die Kl. innegehabt habe.

Das Landgericht hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Inhaltlich des anerkannten Vertrages ist die Kl. bei dem Bell, als Geschäftsführerin in dessen Weinwirtschaft angestellt worden. Nach § 2 hatte Kl. sämtliche Weine von dem Bell, zu beziehen. Der Bell, be­ stimmte jedoch den Preis, zu dem die Weine an die Gäste abzuaeben waren. Bon Diesem Verkaufspreise bezog die Kl. nach § 6 des Vertrages 25%. Die Anstellung des Personals oblag der Kl., jedoch vorbehaltlich der Genehmigung des Bell. Die Kl. behauptet nun, nach dem Inhalte ihres Vertrages vom 10. Oft 1901 sei das Bertragsverhältnis zwischen den Streitsteilen ein Pachwerhältnis gewesen. Gemäß § 581 des BGB. liegt em Pachwerhältnis dann vor, wenn der Verpächter

gegen Entrichtung des Pachtzinses dem Pächter die Benützung und Nutzung des Pachtgegenstandes gewährt. WesenÜich und zum gesetzlichen Begriffe der Pacht gehörig ist sonach die Entrichwng eines Pachtzinses und die ausdrückliche Ver­ einbarung eines solchen. Kl. erhielt nun zwar von dem Bell, das Wirtschaftslokal nebst Zubehör überlassen, zahlte jedoch an den Bell, weder einen Zins, noch leistete dieselbe irgendwelche andere Gegenleistung. Vielmehr erhielt die Kl. von dem Bell, einen Lohn in der Form eines prozentualen Anteiles an dem Weinverkaussertrage. Schon aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß im gegebenen Falle von einem Pachtverhältnisse nicht die Rede sein kann. Daß aber auch die Parteien einen Pachwertrag nicht abschließen wollten, geht aus dem Inhalte des Vertrages selbst zur Evidenz hervor. Denn in dem Verwöge ist ausdrücklich hervorgehoben, daß die Kl. von dem Bell, als „Geschäftsführerin" engagiert sein

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wollte. Der Einwand der Kl., bei einer Stellung sei nicht der Name, sondem das Wesen der Stellung maßgebend, ist zwar in dieser Mgemeinheit richtig. Mein im gegebenen Falle besteht zwischen Name und Wesen kein Widerspruch und ist infolgedessen dieser Einwand auch ohne Belang. Es wollten die Parteien offenbar Vereinbarung dahin treffen, daß die Kl., nicht selbständige Betriebsuntemehmerin, sondern lediglich Angestellte, Wirtschastsführerin, sein sollte, deren Lohn nicht in einer fixen Geldsumme, sondem in einer Gewinnquote zu bestehen habe. Diese Form des Lohnes findet sich namentlich häufig in Betrieben, in welchen dem Arbeitgeber daran gelegen ist, daß auch der Angestellte ein erhöhtes Interesse an der Rentabilität und dem Gedeihen des Untemehmens habe und wird nament­ lich gewählt, um die Kontrolle und die Bestimmung der Lohnhöhe zu erleichtem. Für die Auffassung, daß die Kl. lediglich Wirtschaftsführerin und zwar mit ziemlich eingeschränkten Befugnissen gewesen ist, spricht aber auch der Umstand, daß die Kl. die Weine nur nach den vom Bell, festgesetzten Preisen verkaufen durfte, und daß sie in dieser Richtung vollkommen an die Anordnungen ihres Prinzipals gebunden war. Die Kl. bezeichnet sich in der Klageschrift auch selbst als „Wirtschaftsführerin" und gab dieser Auffassung noch dadurch besonderen Ausdmck, daß sie in einem Rechtsstreit gegen den Bell, auf Gmnd desselben Bertragsverhältnisses die Entscheidung des GG. München angemfen hat. Mit Recht hat auch das GG. in der Sache seine Zuständigkeit angenommen und ent­ schieden. Daß die Kl. vereinbamngsgemäß Mineralwasser, Zigarren und Ziga­ retten auf eigene Rechnung verkaufen durfte, dienert die Stellung der Kl. als gewerbliche Arbeiterin nicht. Solche Abmachungen werden häufig zwischen Wirt und Wirtschaftspersonal getroffen und sind insbesondere in größeren Wirtschaften gang und gäbe. — Endlich vermag auch die Bevollmächtigung der Kl. zur An­ stellung, Entlassung und Bezahlung des erforderlichen Personals die Auffassung nicht zu hindem, daß ein Arbeitsverhältnis vorliege. Denn zweifellos kann ein Bediensteter auf seine Rechnung Unterbedienstete anstellen, wie dies sehr häufig in größeren Wirtschaftsbetrieben auch geschieht. Übrigens ist diese Machtbefugnis der Kl. durch die weitere Bestimmung des Vertrages, daß bei Anstellung des Dienstpersonals die Zustimmung des Bell, zu erholen ist, wieder sehr beschmtten. Nach alledem kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Kl. nicht nur nomi­ nell, sondem auch tatsächlich lediglich die Stellung einer Wirtschaftsführerin ein­ nahm. Als solche ist sie aber als „gewerbliche Arbeiterin" im Sinne des § 1 des GGG. zu betrachten. (Gewerbegericht Jg. 8 Sp. 269.)

74. (50.) Ist ein in einem Restaurant in sogen. Tonnenpacht stehender Bnsfetier Gewerbegehilfe? a) Urteil des GG. Berlin vom 23. Februar 1892.

Das GG. hat sich für unzuständig erllärt.

(Unger Nr. 172.)')

b) Urteil des Kgl. Landgerichts zu Naumburg a. S. vom 30. Mai 1905.

Das Amtsgericht Naumburg erachtet das GG. für zuständig und hat sich deshalb für unzuständig erllärt. Die Berufung des Kl. ist zurückgewiesen. AusdenGründen: Es könnte zweifelhaft fein (vgl. die Reichsgerichtsentsch. in der Jur. Wochenschr. 1899 S. 773), ob ein Arbeitsverhältnis, ein Dienstvertragsverhältnis (§§ 611 ff. des BGB.) vorliegt, oder ein Kaufvertrag. Die GO. gibt keine gesetzliche Erllämng. Nach herrschender Ansicht (vgl. Schicker, GO. 4. Aust. S. 578 zu Titel VII) liegt ein Arbeitsverhältnis im Sinne des VII. Titels der GO. dann vor, wenn „gegen Lohn Dienste verrichtet werden".

') Ebenso GG. Eberswalde (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 136).

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Was nun den Begriff „Lohn" betrifft, so ist allerdings den Entscheidungen der GG. Berlin und Weimar (Baum a. a. O. Nr. 76) insoweit zmustimmen, daß nach der GO. (vgl. §§ 115, 124) daselbst die Zahlung eines Lohnes, und zwar eines Barlohnes für den Begriff des Arbeitsverhältnisses wichtig ist. Aber es ist damit doch nicht gesagt, daß dann kein Arbeitsverhältnis vorliegt, wenn der Arbeitgeber nicht selbst einen baren Lohn tatsächlich auszahlt. Vielmehr ist es herrschende Ansicht, daß darunter auch das Arbeitsverhältnis des Gastwirtes mit dem Kellner fällt, der auf die Trinkgelder der Gäste angewiesen ist (vgl. Haas, GGG. 2. Aufl. S. 33 Anm. 32 und v. Woedtke, KVG.). Es k a n n also auch hier, wo der Kl. durch Weiterverkauf des Bieres usw. etwas verdient, ein solches Ar­ beitsverhältnis vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn er zu dem Bell, in ein Abhängigkeitsverhältnis getreten ist, wenn er verpflichtet gewesen ist, an einem bestimmten, zum Betriebe des Bell, gehörigen Orte zu bestimmten Zeiten das Bier usw. weiter zu verkaufen, wenn er insbesondere auch hat bedienen müssen. Es ist nun aber gerichtsbekannt, daß die Stellung eines Bierausgebers in einer Wirtschaft wie der des Bell, hierzulande derartig ist. Die Parteien haben auch nichts vorgebracht, was dem widerspräche. Ihre Behauptungen in erster Instanz über Entlassung usw. lassen auch erkennen, daß ihr Rechtsverhältnis ein solches gewesen ist. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 187.) c) Urteil

der

V.

Zivilkammer des Kgl. Landgerichts Chemnitz vom 25. März 1908.

Der Kl. war in der Zeit vom 20. März 1907 bis 14. Januar 1908 in der Schankwirtschast des Bell. als Bierausgeber tätig. Er hat bei dem GG. der Stadt Chemnitz ein Guthaben von 160 Mk. 6 Pf. eingeNagt. Der Bell, hat Einrede der fachlichen Unzu­ ständigkeit geltend gemacht mit der Begründung, daß der Kl. nicht als Arbeitnehmer, sondern als selbständiger Unternehmer anzusehen sei. Parteien sind über folgendes einig. Der Kl. hatte die Gäste der Schankwirtschast zu bedienen, von ihnen Geld zu kas­ sieren und daneben zugleich die Obliegenheiten eines Bierausgebers zu versehen. Mit der Küche hatte er nichts zu tun. Das hierfür Erforderliche besorgte die Ehefrau des Bell., die den Kl. bei seiner Tätigkeit auch mit überwachte. Als Gegenleistung für seine Dienste erhielt der Kl. vom Bell, freie Kost und freie Wohnung; ein fester Lohn in Geld wurde ihm nicht gewährt, vielmehr war er auf seine Einnahmen an Trinkgeldern sowie den Verdienst an Getränken angewiesen. Er hatte nämlich alle für den Schankbetrieb erforderlichen Biere und sonstigen Spirituosen ebenso wie Zigarren und Zigaretten vom Bell, zu bestimmten Einheitspreisen zu kaufen und durfte diese Waren nur zu den von dem Bell, festgesetzten Preisen an die Gäste verabreichen. Die zwischen Ein- und Ver­ kaufspreis sich ergebende Differenz verblieb ihm als Gewinn, von dem er allerdings noch für die zum Bierdruckapparat benötigte Kohlensäure aufzukommen hatte. Es wurde täglich die Menge der an dem betreffenden Tage verabfolgten Biere und sonstigen Spiri­ tuosen sowie Zigarren und Zigaretten überschlagen, woraus der Kl. aus seinen Tages­ einnahmen einen den vereinbarten Einheitspreisen entsprechenden Betrag an den Bell, als Abschlagszahlung auf die diesem entnommenen Waren abzuführen hatte. Allmonat­ lich fand eine genaue Abrechnung statt, wobei vor allem festgestellt wurde, ob die vom Kl. jeden Tag geleisteten Zahlungen dem innerhalb eines Monats verbrauchten Teile der ihm kreditweise überlassenen Waren entsprächen. Der Preis der noch nicht bezahlten Waren wurde dem Kl. auf den nächsten Monat in seinem Abrechnungskonto als Schuld vorgetragen.

Das GG. hat die Unzuständigkeitseinrede verworfen. Die vom Bell, einge­ legte Berufung ist zurückgewiesen. AusdenGründen: Der Ansicht des Vorderrichters, daß der Kl. kein selbständiger Unternehmer, sondem ein gewerblicher Gehilfe im Gewerbebetriebe des Bell, gewesen sei, ist beizutreten. Die Tätigkeit des Kl. war, wie die erste Instanz zutreffend ausführt, der eines Kellners und Bierausgebers, der gegen festen Lohn angestellt ist, gleichartig und seine Dienste waren untergeordneter Art, auch ent­ behrte er jeglicher Selbständigkeit. Was der Kl. im Schankbetriebe als Überschuß

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erzielte, war nichts anderes als der Lohn für seine Arbeitsleistung, nicht etwa der Gewinn eines selbständigen Unternehmens. Denn für den Begriff des ge­ werblichen Arbeiters im Sinne des Titels VII der GO. kommt es nicht auf die Art der Lohnzahlung an. Ein gewerblicher Arbeiter kann ebenso in barem Gelde als durch Naturallerstungen entlohnt werden. Den gegenteiligen Ausführungen in den Gründen des Urteils des GG. Berlin vom 23. Februar 1892 (Baums Hand­ buch Nr. 74»,76), daß begriffsmäßig ein gewerbliches Arbeitsverhältnis ohne Lohn­ zahlung in Reichswähmng nicht denkbar sei, vermag sich das Berufungsgericht nicht anzuschließen. Es trägt insbesondere Bedenken, ein solches Erfordemis, das auch praktisch ganz unbefriedigende Resultate zeitigen würde, aus § 115 der GO. herzuleiten (vgl. hierzu Landmann, GO. 3. Aust. II. Bd., Vormerkung zu Titel VII S. 9). Überdies erhielt im vorliegenden Falle der Kl. als Entgelt für seine Tätigkeit, von der ihm gewährten freien Kost und freien Wohnung sowie den ihm zukommenden Trinkgeldem, die sich nur als Nebenleistungen darftellten, abgesehen, nicht Naturalleistungen, sondem Geld, nämlich in Form von Gewinn­ beteiligung. Diese Art der Vergütung ist offenbar gewählt worden, um den Kl. der fortgesetzten störenden Kontrollierung seitens des Bell, zu entheben, und gleichzeitig, um ihn an einem guten Geschäftsgänge zu interessieren. Daß aber die Höhe dieses Lohnes von vomherein sich nicht fest bestimmen ließ, sondem davon abhing, wie der Geschäftsgang war, kann nicht erheblich sein. An dieser Auf­ fassung wird nach Ansicht des Bemfungsgerichts auch durch die getroffene Vereinbamng nichts geändert, daß der Kl. alle für den Schankbetrieb erforderlichen Biere, Weine, Spirituosen, Zigarren und Zigaretten zu bestimmten Einkaufs­ preisen zu kaufen hatte. Denn damit war augenscheinlich keine käufliche Über­ lassung dieser Waren, keine Übertragung derselben zu freiem Eigenttime des KI. bezweckt, sondem vielmehr sollte dies nur die Form sein, unter der die Ab­ rechnung zwischen den Parteien zu erfolgen hatte. Dafür spricht schon die Er­ wägung, daß die Waren offenbar nur zur Verwendung im Geschäftsbetriebe des Bell, bestimmt waren und daß dieser sicherlich nicht daran gedacht hat, sich über das durch diese Zweckbestimmung begrenzte Maß hinaus der Versügungsmacht darüber zugunsten des Kl. völlig zu entäußem. Daß der Kl. die letztere Auffassung geteilt hat, ergibt sich daraus, daß bei seinem Ausscheiden aus seiner Stellunadie vorhandenen Getränke und Zigarren vom Bell, ohne weiteres zur weiteren Ver­ wendung zurückbehalten wowen sind und lediglich ihr Wert dem Kl. wieder gut­ geschrieben worden ist und daß der Kl. durch nichts zu erkennen gegeben hat, daß dies dem Bertragsverhältnisse nicht entspreche. Ist hiemach davon auszugehen, daß das Verhältnis, in dem der Kl. zum Bell, gestanden hat, ein gewerbliches Arbeitsverhältnis gewesen, so erhebt sich die für die Zuständigkeit des GG. weiter wesenüiche Frage, ob der Klageanspmch Lei­ stungen aus diesem Arbeitsverhältnisse zum Gegenstände habe (§ 4 Ziff. 2 des GGG ). Der Bell, bestreitet das, da die Klagforderung lediglich davon abhänge, ob er verpflichtet sei, dem Kl. die von diesem bezahlte Biersteuer und die Kosten der Aushüfsbedienung zu vergüten, der Klageanspmch also in Wahrheit nur aus Ersatz von Verlägen aus auftragloser Geschäftsfühmng gerichtet sei und deshalb außer Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältmsse stehe. Dem kann nicht beige­ treten werden. Zur Feststellung, ob ein Anspruch als auf Leistungen aus dem Arbeitsverhältnisse gerichtet anzusehen ist, kommt es nicht sowohl aus den zivilrechtlichen Charakter des Anspruchs — z. B. ob er zivllrechllich auf Auftrag oder Geschäftsfühmng ohne Auftrag bemht —, sondem vielmehr darauf an, ob und wieweit sein Entstehen mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängt. Die Ziffer 2 des § 4 des GGG. umfaßt alle Ansprüche, die ihren Rechtsgmnd in dem oas be­ treffende Arbeitsverhältnis regelnden Arbeitsvertrage haben (vgl. dazu Bemewitz, GGG. 2. Aufl. Anm. 4 zu § 4 und Fischer, Zeitschr. f. Verwaltung Bd. 23 S. 185).

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Dieser Zusammenhang kann dem Klageanspruche nicht abgesprochen werden. Denn die Entscheidung über ihn hängt in erster Linie davon ab, ob nach dem Arbeitsvertrage der Bell, für die Biersteuer und die Beschaffung von Aushilfsbedienung zu sorgen, oder ob für beides der Kl. aus seinen Mitteln aufzukommen hatte. Diese Frage aber betrifft Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrage. (Ge­ werbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 196.)

75. Ist der Totlettenwärter in einem Restaurant, der einen Teil seiner Trinkgelder dem Wirte abführen mutz, Pächter oder gewerblicher Arbeiter? Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. Dezember 1909. Das Amtsgericht hat die Klage wegen Zuständigkeit des GG. abgewiesen. Die Berufung des Bell, ist zurückgewiesen. Aus den Gründen: Mit Recht hat das Amtsgericht die Frage der Zuständigkeit vemeint, da es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrage nicht um einen Pachtvertrag, sonoern um die Anstellung des Kl. als Gewerbegehilfen im Gewerbebetriebe des Bell, handelt. Für die Streitigkeiten aus derartigen Bertragsverhältnissen ist aber das GG. ausschließlich zuständig. Ähnliche Rechtsbeziehungen wie hier liegen den Vertragsveryältnissen zwischen Wirt und Kellner oder Portier und Hotelwirt zugmnde. Auch hier würde in den meisten Fällen für das Recht der Ausübung ihres Bemfes von den Angestellten eine Summe bezahlt, ohne daß es sich deshalb um einen Pachwertrag im Sinne des bürgerlichen Rechts handelt. Sie sind ebenso wie der Toilettenwärter für die Zwecke des Gastwirtschafts., bzw. Hotelbetriebsgewerbes als Gehllfen angestM. Sie nehmen eine unselbständige Stellung ein, da sie den Anordnungen des Be­ triebsunternehmers Folge zu leisten haben.

76. (51.) Ist ein Lohndiener, der an einem bestimmten Tage für einen Gastwirt den Bierverschleitz als sog. Bnffetier übernimmt, gewerb­ licher Arbeiter? Urteil des GG. Weimar. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 115.)

77. Ist das GG. zuständig für die Klage eines Lohnfchlächters gegen die Schlachthausverwaltung, die ihm die weitere Tätigkeit im SchlachthauS untersagt hat? Urteil des Kreis-GG. Zabrze vom 4. November 1907. Die Gemeinden Zabrze und Zaborze haben die Einführung des Schlachthaus­ zwanges auf Grund des Gesetzes vom 18. März 1868/29. Mai 1902 beschlossen und den bell. Schlachthausverband miteinander gegründet, dessen Vorsitzender der Bürgermeister H. zu Zabrze ist. Der Verband hat ein öffentliches Schlachthaus in Zabrze errichtet, und müssen die in beiden Gemeinden vorzunehmenden Schlachtungen in diesem Schlacht­ haus erfolgen. Für jede Schlachtung wird von dem Verbände eine Gebühr erhoben. Dem Kl. ist durch den von dem Bell, angestellten Direktor des Schlachthauses gestattet worden, im Schlachthause zu schlachten. Auf Grund dieser Erlaubnis hat Kl. auch für Schlächter und andere Privatpersonen gegen Lohn seitens des jedesmaligen Auftrag­ gebers Schlachtungen ausgeführt und hat dadurch täglich 5 Ml. verdient. Am 22. April 1907 wurde dem Kl. die weitere Arbeit im Schlachthaus untersagt. Er ist der Ansicht, daß der Bell, sein Arbeitgeber sei, das Arbeitsverhältnis einer 14tägigen Kündigung unter­ legen habe und Bell., da ein Grund zur kündigungslosen Entlassung nicht vorgelegen habe, zur Zahlung des entgangenen Schlachtlohnes für weitere 12 Tage mit 60 Mk.

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ihm gegenüber verpflichtet sei. Er Beantragt, den Bell, zur Zahlung von 60 Mk. zu bet« urteilen.

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. AusdenGründen: Der Schlachthausbetrieb des Bekl. ist ein gewerb­ liches Unternehmen, da dasselbe auf Erzielung eines Gewinns ausgeht, wobei es gleichgültig ist, welchem Zwecke der Gewinn bestimmt ist. Es sind daher die Per­ sonen, welche in diesem Untemehmen für die Zwecke dieses Betriebes als Arbeiter beschäftigt sind, gewerbliche Arbeiter im Sinne des VII. Titels der GO., so daß der Bell, als Arbeitgeber einerseits und die erwähnten Arbeiter als Arbeitnehmer andererseits anzusehen sind. Voraussetzung dieses Begriffes ist jedoch das Vor­ handensein eines Arbeitsvertrages zwischen diesen beiden Parteien. Ein solches Arbeitsverhältnis liegt zwischen den Parteien jedoch nicht vor. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 9 S. 265 ist „unter einen gewerblichen Arbeiter jeder Arbeiter zu verstehen, welcher in einem ver­ tragsmäßigen Dienstverhältnisse zu einem selbständigen Gewerbetreibenden steht, infolge dieses Vertragsverhältnisses dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zu Gebote stellt und Dienstleistungen verrichtet, welche in Arbeiten des Gewerbebetriebes bestehen". Die Tätigkeit des Kl. ledoch liegt außerhalb des Gewerbebetriebes des Bell. Der Gewerbebetrieb des Bell, besteht keineswegs in Übernahme von Schlachtungen, sondern darin, daß sie die dazu erforderlichen Räume hergibt und die Untersuchung der Schlachttiere übernimmt. Kl. nimmt nur derartige Schlach­ tungen und die dazu erforderlichen Arbeiten vor, so daß seine Arbeit keine gewerb­ liche Dienstleistung gegenüber dem Bell. ist. Er stellt sodann seine Arbeitskraft nicht dem Bell., sondern den Personen zu Gebote, welche ihm den Auftrag der Schlachtung erteilen, und wird auch von diesen gelohnt. Mit diesen hat er auch den Lohn zu vereinbaren. Seine wirtschaftliche Lage ist gänzlich von dem Bell, unabhängig. Kl. ist zu Arbeitsverrichtungen für den Bell, ferner gar nicht ver­ pflichtet, und steht es in seinem Belieben, Aufträge anderer anzunehmen. Wenn auch in dem vom Kl. herangezogenen Urteil des Schiedsgerichts die Ansicht ver­ treten ist, daß der dort angeführte Kl. K. als unselbständiger Arbeiter des Bell, anzusehen sei, so geht das Schiedsgericht davon aus, daß ein Arbeitsvertrag zwischen Bell, und K. vorlieat, obwohl nicht angegeben ist, welchen Inhalt dieser Vertrag hatte. Abgesehen hiervon ist das GG. an diese Entscheidung nicht gebunden. Das vom Bell, überreichte Urteil des Reichsversicherungsamts bestätigt die An­ sicht, daß Kl. als Arbeitnehmer nicht aufzufassen sei, wenn es auch nur sich auf das hier nicht in Betracht kommende Verhältnis der Lohnschlächter gegenüber dem jedesmaligen Auftraggeber bezieht, und erachtet die Lohnschlächter als selbständige Gewerbetreibende. Endlich ist zu erwägen, daß die Erlaubnis des Direktors des Schlachthauses, daß Kl. im Schlachthause schlachten durfte, einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis in dem oben angegebenen Sinne nicht begründet. Einmal muß der Schlachthausverwaltung das Recht eingeräumt werden, über den Zutritt der Personen, welche nicht selbständige Fleischer sind, Bestimmung zu treffen, sodann ist der Verkehr der Personen, im Schlachthause gemäß der Polizeiverordnung vom 1. Februar 1898 geregelt und hat die Schlacht­ hausverwaltung zu prüfen, ob die dort schlachtenden Personen zu den zugelassenen Personen gehören. Da nach der Polizeiverordnung ohne besondere Eckaubnis der Schlachthausverwaltung nur den Fleischern und deren nachweislich bei ihnen in Arbeit stehenden Gesellen sowie Lehrlingen der Zutritt erlaubt ist, Kl. Geselle eines einzelnen Fleischers nicht war, so bedurfte er der Erlaubnis des Leiters des Schlachthauses zum Betreten des Schlachthauses. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 104.)

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§ 3 GGG. (Arbeiter oder Unternehmer?)

78. Ist der Kapellmeister einer ungarischen Kaffeehauskapelle selb­ ständiger Unternehmer oder Gewerbegchilse des Kaffcehausbefitzers? Urteil des GG. Charlottenburg vom 16. Juni 1908. Der Kl., Kapellmeister einer ungarischen Kapelle, war mit seiner aus sechs Mann bestehenden Kapelle bei dem Bell, für dessen Cafä nach einem schriftlichen Vertrage gegen einen verabredeten Lohn von 55 Mk. täglich zur Veranstaltung von Konzerten be­ schäftigt. Am 31. Mai 1908 wurde der Kl. mit seiner Kapelle vom Bell, entlassen. Dec Kl. hielt diese Entlassung für ungerechtfertigt und verlangt neben Lohnentschädigung für 6 Tage mit 333 Mk. nach § 5 des Vertrages eine Konventionalstrafe von 1000 Mk. Der Bell, beantragt Abweisung der Klage wegen Unzuständigkeit des GG.

Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Aus den Gründen: Unter den Begriff „gewerbliche Arbeiter" fallen nun nach der allgemein herrschenden Auffassung nicht nur diejenigen Personen, welche im praktischen Leben einen der zur Überschrift des Titel VII aufgeführten Bezeichnungen zu führen pflegen (Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Betriebsbeamte, Werkmeister, technische Fabrikarbeiter), sondem auch alle in ähnlichen Stellungen für die Zwecke eines Gewerbebetriebes beschäftigten Personen (vgl. Landmann, Kommentar zur GO. Bd. 2, Vorbemerkung zu Titel VII unter 6). Es kommt also wesentlich darauf an, daß es sich um einen Gewerbebetrieb handelt, und daß die Betreffenden dem selbständigen Gewerbetreibenden in irgendeiner Weise mittels ihrer Arbeitskraft behilflich sind, das Gewerbe zu betreiben. Der Bell, betreibt ein großstädtisches Cafs in Charlottenburg; wie in anderen Großstädten hat sich seit einigen Jahren auch hier die Sitte herausgebildet, daß in solchen Casäs zu gewissen Tages- und Nachtstunden kleinere Musikkapellen musikalische Auffühmngen veranstalten. Diese Auffühmngen werden veranstaltet, weil das Publikum derartige Cafss, in denen es Speisen und Getränke erhalten und dabei unentgelüich Musik hören kann, bevorzugt. Die musikalischen Aufführungen dienne mithin dazu, das Gewerbe des Bell, mit zu betreiben. Die Ausübung einer solchen künstlerischen Tätigkeit im weiteren Sinn kann sich als Gewerbe im Sinne der GO. unzweifelhaft darstellen. § 33 a der GO. schreibt nämlich für die Veranstaltung von Singspielen, Gesangs- und deklamawrischen Vorträgen, Schaustellungen von Personen oder theatralischen Vorstellungen eine gewerbepolizeiliche Erlaubnis vor, vorausgesetzt nur, daß die Veranstaltung gewerbsmäßig geschieht und daß dabei ein Interesse der Kun st oder Mssenschaft nicht ob­ waltet. Der Bell., der in seinem Cafö derartige musikalische Aufführungen veranstaltet und die Gäste, die bei einem Glase Bier oder bei einer Tasse Kaffee derartigen Konzerten zuhören, wollen der Natur der Sache nach, ganz abgesehen davon, daß derartige Kapellen oft recht Treffliches leisten, nicht ein höheres Interesse der Kunst fördern, sondem sich nur unterhalten. Ebenso wie der Bierausgeber, der Cafskoch und die Kellner dienen die Mitglieder einer solchen Kaffeehaus­ kapelle lediglich dem Gewerbe des Kaffeehausbesitzers. Dementsprechend ist kein Gmnd vorhanden, diese Künstler, welche sich tatsächlich als Gehilfen des Ge­ werbebetriebes des Bell, darstellen, anders zu behandeln als die Gehilfen anderer Gewerbebetriebe. Übrigens ist auch die soziale Stellung der Künstler dieser Art in der Regel nicht besser als diejenige besser gestellter anderer Gewerbegehilfen. Dies geht aus dem schriftlichen Vertrage vom 26./28. April wegen der darin bestimmt vorgeschriebenen Arbeitszeit, der Kündigungsbedingungen, des Arbeits­ lohnes mit Sicherheit hervor. Auch der Umstand, daß der Kl. der Kapellmeister dieser Kapelle ist, beseitigt nicht die Zuständigkeit des GG. Dieser Umstand kann bei dem Nichworliegen hierfür besonders geltend zu machender Tatumstände nicht dazu führen, ihn als selbständigen Untemehmer anzusehen. Unbestritten hat der Kl. keinen Gewerbebetrieb angemeldet, ist zur Gewerbesteuer nicht veranlagt und hat auch keinen Gewerbeschein für sein Musikuntemehmen. Auch bei anderen

§3 GGG. (Arbeiter oder Unternehmer?)

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Gewerbebetrieben kommt es vor, daß einer der Gewerbegehilfen eine in gewissen Hinsichten leitende und bevorzugte Stellung den anderen gegenüber einnimmt und auch eine besondere Bezeichnung „Vorarbeiter" führt. Eine der hier streitigen ähnliche wirtschaftliche und rechtliche Erscheinungsform findet sich auch im Bau­ gewerbe bei der sogenannten Kolonne, wo der Führer der Kolonne als geschäfts­ führender Gesellschafter im Sinne des BGB. § 705 ff. zu gelten hat. Dement­ sprechend wird das Rechtsverhältnis zwischen dem Kl. und seiner Musikkapelle rechtlich zu beurteilen sein, da unstreitig die Kapelle alle Aufwendungen, wie Notenankauf usw. gemeinsam macht und den Lohn teilt (vgl. hierzu Bail, „Das Rechtsverhältnis der Arbeitgeber und Arbeitnehmer", S. 22; Baum, Handbuch für Gewerbegerichte zu § 3 GGG. Nr. 34 (jetzt 50); Das Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 13 Nr. 5; Entscheidung des GG. Frankfurt a. M. vom 1. De­ zember 1907 Sp. 107; Urteil des Kgl. LG. III, Zivilkammer 3 zu Berlin, vom 9. Januar 1908, Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Nr. 8 Sp. 182) *) (Ge­ werbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 401.)

79. (52.) Ist der Ziegekmeister Arbeiter oder selbständiger Unternehmer?^>

a) Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsenat, vom 12. Juni 1885. Das Landgericht erachtete den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtsweges für begründet, das Oberlandesgericht verwarf dagegen den Einwand. Die hier­ gegen eingelegte Revision ist zurückgewiesen. (Entsch. des Reichsgerichts in Zivil­ sachen Bd. 13 S. 58.) b) Urteil des Landgerichts Elberfeld vom 14. Dezember 1905. Der Kl. hat bei dem Kgl. GG. in Solingen Klage auf Zahlung von 2889,17 Mk. erhoben und zur Begründung ausgesührt, er habe mit dem Bell, am 6. Dezember 1899 einen Arbeitsvertrag über den Betrieb der Ziegelei des BeN. im Jahre 1900 abgeschlossen; infolge der mangelhaften Einrichtung der Ziegelei habe er nichts verdienen können, sondern an gezahlten Löhnen 1189,17 Ml., für Fütterung der Pferde und deren Ab­ nutzung 700 Mk. zugesetzt; der BeN. habe ihm versprochen, er solle ebensogut bestehen können wie die übrigen Meister. Der Verdienst eines Ziegelmeisters sei aus 1000 Mk. zu veranschlagen. Der BeN. hat eingewendet, daß das GG. unzuständig sei, Kl. sei nicht gewerblicher Arbeiter, sondern selbständiger Unternehmer gewesen.

Durch Urteil vom 27. April 1905 hat das GG. sich für zuständig erklärt, indem cs ausführte, daß der Vertrag vom 6. Dezember 1899 als Akkord (Dienst-) Vertrag, und nicht als Werkverdingungsvertrag anzusehen sei, ergebe sich zunächst daraus, daß dem Kl. laut Vertrag nur die „Praktische Leitung" des Ziegeleibetriebes des Bell, übertragen sei; femer daraus, daß der Bekl. nicht die Herstellung einer be­ stimmten Zahl Steine übernommen habe; die im Vertrage angegebene Zahl habe nur einen Maßstab für die einzustellende Anzahl von Ziegelarbeitem abgeben sollen, auch sei im Vertrage anerkannt, daß das Ergebnis von der Wittemng ab?)ängig sei. Auch sei keine Vergütung für die Gesamtzahl, sondern ein Stücklohn ür je 1000 Stück vereinbart. Jedenfalls aber sei der Kl. kein selbständiger Unter­ nehmer gewesen. Denn er sei durch den Vertrag in vielen Beziehungen den An­ ordnungen des Bekl. unterworfen, sei in bezug auf Arbeitsort, Arbeitseinrichtungen, Disziplin vom Bekl. abhängig gewesen, habe nicht die Möglichkeit selbständiger Verwertung der Produkte seiner Arbeit, endlich keinen Unternehmergewinn, sondem Akkordlohn gehabt. Er sei vom Bekl. sozial abhängig, seine Stellung entsprechend der eines Werkmeisters, sein Einkommen unter 2000 Mk. pro Jahr gewesen; er sei daher als gewerblicher Arbeiter im Sinne der §§ 1, 3 des GGG. und des VII. Titels der GO. anzusehen. *) Vgl. auch GG. Berlin, S. 961.

Kammer 6, v. 12. Mürz 1906 (Reichsarbeitsbl. Jg. 4

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§3 GGG. (Arbeiter oder Untemehmer?)

Aus die Berufung des Bell, ist das Urteil des GG. aufgehoben und die Klage wegen Unzuständigkeit des GG. abgewiesen.

Aus den Gründen: Nicht ausschlaggebend ist, ob der Ziegelmeister die Ziegelarbeiter anzustellen hat, und diesen gegenüber eine selbständige Stellung einmmmt; denn auch diesfalls kann seine Stellung, dem Ziegeleibesitzer gegen» über, diejenige eines Gewerbegehllfen sein. Ebensowenig fällt ins Gewicht, ob der Ziegelmerster Arbeitslohn nach der Zahl der gefertigten Steine erhält. (Entsch. des RG. Bd. 37 S. 277). Unzweifelhaft ist dagegen der Ziegelmeister dann als Gewerbegehilfe des Ziegeleibesitzers anzusehen, wenn er sich in keiner Weise ver­ pflichtet, für ein bestimmtes Ergebnis der von ihm übernommenen Arbeiten auf­ zukommen, und also nur seine Arbeitskraft, ohne Versprechen eines bestimmten Werks, zur Verfügung stellt (vgl. RG. 37 S. 277 ff., KG. Urteil vom 27. Juli 1900, in der Zeitschrift des „Gewerbegericht" Jg. 6 S. 26); wenn er aus der Tätigkeit der von ihm angestellten Arbeiter für sich keine besonderen Vorteile zieht, sondem aus dem mit ihm bedungenen Satze für das Tausend gefertigter Ziegel, unter Teilung des ganzen Verdienstes, mit Vorbehalt eines bestimmten Voraus für den Mann, die Arbeiter enllohnt (Pr. OVG., Urteil v. 28. Febmar 1901, in der „D. Jur.-Ztg." Jg. 7 S. 80). Als selbständiger Untemehmer ist dagegen der Ziegelmeister anzusehen, wenn er das Risiko des aus der Differenz zwischen den Herstellungskosten aus dem Ziegelpreise sich ergebenden Gewinnes und Verlustes zu tragen hat (,,D. Jur.-Ztg." Jg. 7 S. 80). Diese Differenz ist sein „Untemehmergewinn" (Rh. Archiv 91 S. 228 ff.). Keine Anwendung findet der Begriff „gewerbliche Arbeiter" auf solche Werkmeister, die außerhalb des Gewerbebetriebes des Gewerbeuntemehmers diesem selbständig gegenüberstehen, und nur durch besondere Verträge bestimmte Handlungen oder Leistungen zu den Zwecken des Gewerbebetriebs übernommen haben; vielmehr setzt die Stellung eines Fabrikarbeiters oder gewerblichen Arbeiters stets eine Beschäftigung im Gewerbebetriebe des Untemehmers mit einem gewissen Maße der Unterordnung und Unselbständigkeit voraus (RG. 37 S. 277 ff.). Im vorliegenden Fall hat nun der Bell, dem Kl., durch Vertrag vom 6. De­ zember 1899, für das Jahr 1900 die „praktische Leitung des Ringofenbetriebs, bestehend in Anfertigen und Brennen von Ziegeln, Auskarren und Verladen derselben an die Fuhrleute" unter folgenden wesentlichen Bedingungen über­ tragen: Bell, stellt dem Kl. und seinen Leuten Wohnung, Betten, Eßgeschirr und Arbeitsgeräte. Kl. hat die Pferde für die Tonmühlen zu stellen und zu unter­ halten, er hat die Ziegelei mit einer solchen Zahl Arbeiter zu besetzen, als für den Betrieb mit zwei Tischen, den Tisch mit zwei Streichem bestellt, erfordert werden, mindestens ein und eine halbe Million für den Ringofen im Jahre 1900 fertig zu machen." Die Arbeit muß spätestens bis zum 15. April begonnen und darf nicht vor Ablauf des 15. Oktober eingestellt werden... „Es ist selbstverständlich der Ziegeleibetrieb von den Witterungsverhältnissen abhängig, und wiro sich in dieser Hinsicht D. (Bell.) allen billigen Anforderungen des Ziegelmeisters gern unterordnen und nachzukommen suchen, wie es das beiderseitige Interesse erheischt." Bell, bezahlt folgende Arbeitslöhne: per Tausend gutgearbeiteter und gut ge­ brannter Ziegelsteine 8,30 Mk., pro Tausend Formsteine 8,80 Mk., auf jeden Arbeiter wöchentlich 10 Mk. Vorschuß gegen spätere Abrechnung. Diese endgültige Abrechnung findet im Herbst auf Grund des Verkaufsjournals und des Lager­ buchs statt. Hiernach ist festzustellen: Der Kl. erhielt Stücklohn, berechnet auf das Tausend gefertigter Steine; er hatte die Ziegelarbeiter selbst zu stellen — beides Umstände, welche, nach dem Borangeführten, für die Beurteuung der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit seiner Stellung dem Bell, gegenüber nicht ins Gewicht fallen. Er hatte für das Jahr 1900 die praktische Leitung des Rmgofenbetriebes über«

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iwmmen und mindestens ly2 Millionen Ziegel fertigzustellen und dem Bell, abzuliefem. Der Bell, stellte seinerseits Arbeitsgerät, Materialien, Unterkunft. Der Kl. war bei der Leitung des Betriebs nur an die vertragsmäßig festgelegten Bestimmungen gebunden; ein Eingreifen des Bell, in den Betrieb war ausge­ schlossen, vielmehr versprach der Ziegeleibesitzer, allen billigen Anforderungen des Ziegelmeisters „sich gerne unterzuordenen und nachzukommen". Bon einer Unterordnung und Unselbständigkeit des Kl. kann hiemach keine Rede sein, seine Stellung war vielmehr, dem Bell, gegenüber, eine völlig selbständige. Was der Bell, von ihm zu verlangen hatte, war lediglich die Lieferung von mindestens 1 Yz Millionen Ziegeln gegen Zahlung eines bestimmten Satzes von 1000 Stück. Im übrigen hatte der Kl. in seiner Tätigkeit völlig freie Hand. Auch war Kl. nicht gegen Kündigung angestellt, sondem hatte für die Ziegeleikampagne 1900 den Ringofenbetneb übernommen. Das Verhältnis zwischen den Parteien kennzeich­ nete sich hiemach nicht als Dienst- sondem als Werkvertrag. Es kommt hinzu, daß der vom Kl. aus dem Vertrage zu erwartende Verdienst aus der Differenz zwischen dem ihm für die Ziegel gezahlten Preise und dem von chm an ine Ar­ beiter zu zahlenden Lohne bestand, sich mithin als Untemehmergewinn im Sinne der vorangeführten Entscheidungen darstellt, wie denn auch mit gegenwärtiger Klage eben der dem Kl. entgangene Gewinn geltend gemacht wird. Nach all dem ist der Kl. nicht als Gewerbegehüfe des Bell, im Sinne der §§ 1, 2 GGG., sondern als selbständiger Untemehmer anzusehen *).

c) Urteil des Oberlandesgerichts Dresden, 3.Zivllsenat, vom 2. Mai 1906.

Das OLG. erachtet den Vertrag als Dienstvertrag. Aus den Gründen: Ist auch der wirtschaftliche Zweck des Vertrages im wesentlichen auf den durch die Bemühungen des Dienstleistenden zu erzielenden Arbeitsersolg, das Fertigstellen von Ziegeln gerichtet, so handelt es sich doch bei der Vertragspflicht des Kl. nicht um ine Vollbringung eines einheitlichen Erfolges, sondem um eine Reihe selbständiger Einzelleistungen. Daß der Kl. eine Mindest­ zahl Ziegel zu brennen und zu streichen verpflichtet war, steht nicht entgegen, da auch bei einem auf einzelne Dienste gerichteten Vertrage deren vorausstchtlicher Gesamtumfang im voraus bestimmt werden kann. Auch die Tatsache, daß ein Akkordlohn vereinbart ist und der Kl. eine größere Anzahl von Arbeitem an­ zunehmen hat, denen er seinerseits als Arbeitgeber gilt, ist ebenso unerheblich, wie die Bestimmung, daß ihm wegen seiner Lohnforderung ein Pfandrecht an den im Lager stehenden Ziegeln zu stehen soll... Endlich nahmen die Dienste, die er zu leisten hatte, voraussetzlich seine ganze Arbeitskraft in Anspmch und ließen ihn in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zu A. treten. (Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Bd. XV Nr. 3 a G.) b) Urteil des Reichsgerichts, 7.Zivilsenat, vom 14.Dezember 1909 Zwischen der Gesellschaft m. b. H. Ziegelei H. und dem Kl. wurde am 8. November1903 ein Bertrag geschlossen, inhalts dessen der Kl. aus die Dauer des Betriebsjahres 1904 für eigene Rechnung die Herstellung von Ziegelsteinen auf der Ziegelei der Gesell­ schaft für diese übernehmen sollte. Im Dezember 1904 schlossen die Vertragsparteien miteinander einen neuen Vertrag. Darin heißt es: „Herr O. — der Kl. — wird von der Ziegelei H. als Ziegleimeister engagiert und übernimmt auf der Ziegelei zu nachstehenden Akkordlöhnen die Herstellung der dort in der nächsten Kampagne zu fabrizierenden Hinter­ mauersteine." Aus Grund eines dieser beiden Verträge hat der Kl. aus der Ziegelei 635 900 Stück gebrannte Mauersteine angesertigt. Diese hat die Betl. am 26. Januar 1906 wegen einer gegen die Gesellschaft erstrittenen vollstreckbaren Forderung aus der

') Vgl. auch RG. Bd. 13 S. 58 (Hdb. 1. Ausl. Nr. 52a).

Baum, Sewerbegerlcht«.

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§ 3 GGG. (Arbeiter oder Unternehmer?)

Ziegelei pfänden lassen. Der Kl. behauptet, daß ihm aus der Anfertigung der Ziegelsteine gegen die Schuldnerin eine Fordemng erwachsen sei und daß ihm, da die von ihm mit der Schuldnerin geschlossenen Verträge als Werkverträge anzusehen seien, ein Pfand­ recht an diesen Steinen wegen der genannten Forderung erwachsen sei. Er hat dies Pfand­ recht gegen die Bekl. gemäß § 805 ZPO. geltend gemacht und Zahlung des hinterlegten Erlöses gefordert.

Bell, wurde verurteilt, Berufung und Revision wurde zurückgewiesen. Aus den Gründen: Das vom Kl. aus §647 BGB. beanspruchte Pfandrecht besteht nur, wenn die Forderung, für die es der Kl. geltend macht, aus einem Werkvertrag, nicht aber aus einem Dienstvertrag erwachsen ist und die als Gegenstand des Pfandrechts bezeichneten, vom Kl. hergestellten Mauer­ steine bei der Herstellung in seinen Besitz gelangt sind. Der erste der beiden vom Kl. geschlossenen Verträge hat die Statut eines Werkvertrags. Seinen unmittel­ baren Gegenstand bilden nicht bloß vom Kl. zu leistende Dienste, insbesondere Arbeitsleistungen in der Ziegelei, sondem ein durch Arbeit herbeizufüyrender Erfolg, nämlich die Herstellung von mindestens fünf Millionen Hintermauersteinen zu einem bestimmten Preise für tausend Steine. Die Herstellung soll für „eigene Rechnung" des Kl. erfolgen, was nur dahin verstanden werden kann, daß der Kl. bis zur Ablieferung der Steine die Gefahr trägt. Damit stimmt es auch überein, daß der Kl. verpflichtet ist, 90 von H. erstklassiger Steine und nur 10 v. H. Steine zweiter Klasse zu tiefem, daß ein Mehr von Steinen zweiter Klasse sowie un­ brauchbare Steine, Bruch und kmmme Klinker von der Ziegelei nicht bezahlt werden sollen, und daß der Kl. für allen aus der Verladung unbrauchbarer Steine entstandenen Schaden verantwortlich sein soll. Gerade der Umstand aber, daß der zur Herstellung Verpflichtete die Gefahr bis zur Abnahme des Werks ohne Mcksicht auf sein etwaiges Verschulden trägt, ist ein besonderes Merkmal des Werk­ vertrages (§644 BGB.) gegenüber dem Dienstverträge, bei dem die Gefahr den Besteller der Arbeit trifft. Ebenso spricht für die Annahme, daß ein Werk­ vertrag vorliegt, die Verpflichtung des Kl., daß er und nicht die Ziegeleigesell­ schaft die zur Fabrikation der Ziegel nötigen Arbeiter zu stellen und die gesetz­ lichen Beiträge für die Kranken- und Jnvalidenkasse zur Hälfte zu tragen hat. Der Umstand, daß die Herstellung der Steine auf dem Grundstück der Ziegelei­ gesellschaft mit den dieser gehörigen Maschinen und sonstigen Betriebsmitteln zu erfolgen hat, ist mit der Annahme eines Werkvertrages vereinbar, da das Gesetz in diesem Punkt keine einschränkenden Bestimmungen enthält. Wenn Inhalts des Vertrages der Kl. der Ziegeleigesellschaft gegenüber „die Stelle des Betriebsleiters im Sinne des GG. übernimmt, so läßt sich auch dies nicht zugunsten der Annahme, daß ein Dienstvertrag vorliege, verwerten. Denn der Bemfungsrichter legt diese Bertragsbestimmung in nicht zu beanstandender Weise dahin aus, oaß durch sie der Kl. unbeschadet der rechtlichen Natur des Vertrages, mit Mcksicht auf § 151 GO. die Verantwortung habe dafür übernehmen sollen, daß bei der Herstellung der Ziegel die gewerbepolizeilichen Vorschriften nicht übertreten würden. Der zweite, im Dezember 1904 geschlossene Vertrag enthält im wesenllichen dieselben Bestimmungen über die Herstellung der Ziegel, und das Entgelt dafür wie der erste Vertrag. Mr in zwei Punkten weist er Abändemngen auf, die für den Abschluß eines Dienstvertrages sprechen könnten. Im Eingang des Vertrages ist bestimmt, daß der Kl. von der Ziegeleigesellschaft als „Ziegel­ meistes engagiert wird und zu bestimmten Akkordlöhnen die Herstellung der auf der Ziegelei in der nächsten Kampagne zu fabrizierenden Hintermauersteme über­ nimmt. Ferner ist vereinbart, daß die Gesellschaft einen streitigen Betrag von 4000 Mk., den der Kl. für die Herstellung der Ziegel im Fahre 1904 noch ver­ dient zu haben behauptete, ihm zahlen sollte, falls er die „Leitung der Ziegelei" im nächsten Jahre übernimmt und zu Ende führt. Ohne Rechtsirrtum führt aber der Bemfungsrichter aus, daß auch dieser Vertrag als Werkvertrag an;u-

§§ 3, 4 GGG.

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sehen sei. Maßgebend für die rechtliche Natur eines Vertrages ist nicht die BvZeichnung, die ihm oder den einzelnen Beteiligten die Vertragschließenden geben, sondern die Gesamtheit der im Vertrage eingeräumten Rechte unb auferlegten Pflichten. Diese lassen hier die Annahme nicht zu, daß der Kl. als bloßer Ange­ stellter der Gesellschaft unter deren Aufsicht ihr Arbeiten zu leisten hatte. Viel­ mehr hatte er auf Grund dieses Berttages die Eigenschaft eines sübständigen, die Herstellung der Ziegel unter eigener Gefahr bekeibenden Untemehmers. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 135.)

80. Zuständigkeit des GG. für Werkmeister. Werden Raturalberüge (Wohnung, Heizung) zur Zuständigkeitsfumme gerechnet? Urteil des Amtsgerichts Castrop vom 29.März 1902. Der Bell, steht als Schmiedemeister in Diensten der Kl. (Kohlenzeche) gegen ein monatliches Gehalt v on 150 Mk., freie Wohnung und freien Kohlenbrand. Kl. hat dem Bell, am 15. März 1902 zum 1. April 1902 gekündigt. Sie klagt auf Räumung der Dienstwohnung.

Das Amtsgericht hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Nach §2 des Statuts des Berg-GG. Dortmund und §3 Abs.2 GGG. unterliegen Werkmeister, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt 2000 Mk. nicht übersteigt, der Zuständigkeit jenes Gerichts, Sils sie (§1 des Statuts) auf einem Bergwerk oder dessen Zubehörungen beäfttgt sind. Als solcher Werkmeister ist der Bell, anzusehen. Sein gesamter Jahresarbeitsverdienst umfaßt auch den Wert der freien Wohnung und des steten Brandes, welcher Wert unstreitig über 200 Mk. beträgt; das oben erwähnte Ge­ setz und Statut sagt aber ausdrücklich: „Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt" und will daher offenbar im Interesse llarerer Übersichtlichkeit des Rechtszustandes nur den Bar verdienst ohne Nebenbezüge berücksichtigt wissen, wollte es dies nicht, so hätte es offenbar viel näher gelegen, den Zusatz „an Lohn oder Gehalt fortzulassen. (Gewerbegericht Jg. 8 Sp. 166.)

81. (53.) Sind bei Berechnung der Zuständigkeitsfumme für höhere Angestellte auch der Höhe nach wechselnde Rebenbezüge (Ortszulagen) mitzurechnen? Urteil des Amtsgerichts Berlin I vom 16.Okwber 1896. Das Amtsgericht hat die Ortszulage mitgerechnet.L)

82. Ist das GG. zuständig für den Bereicherungsanspruch des Arbeiters, wenn der Arbeitsdertrag nichtig war? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 11. November 1903. Der geisteskranke Kl. hat beim Bell, bis 5. Juli 1902 als Maurer in Arbeit gestanden. Er fordert, vertreten durch feinen Vormund, mit der Klage den Lohn für die letzte Arbeits­ woche. Bell, hat den fraglichen Lohn, weil Kl. wegen seiner Krankheit am Löhnungstage ausblieb, einer dies anzeigenden Frauensperson eingehändigt, welche vom Kl. als seine Ehefrau bezeichnet worden war.

Das GG. hat seine Zuständigkeit angenommen und den Bell, zur noch­ maligen Zahlung verurtellt. AusdenGründenrDaKl. schon zur Zeit der Einstellung beim Bell, wegen Geistesttankheit entmündigt, also geschäftsunfähig war (§105 BGB.), so ist ein gütiger Arbeitsvertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Es fragt nch daher zunächst, ob das GG. auch bei nichttgem Arbeitsverttage für die Entscheidung über die etwaigen Ansprüche des Arbeiters auf Grund feiner tatsächlichen Arbeitsleistung zuständig ist. Das Gericht hat diese Frage in Über!) Vgl. Nr. 245.

§4 GGG.

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einstünmung mit dem Bell, nach Inhalt wie Zweck der in Frage kommenden Gesetze bejaht. Nach §1, 3 und 4 GGG. sind dem GG. zugewiesen die Ansprüche der (int Sinne des Titel VII der GO.) gewerblichen Arbeiter aus ihrem Ar­ beitsverhältnisse. Dagegen ist nicht verlangt, daß sich dieses Arbeits­ verhältnis gerade auf einen gültigen Vertrag stützen müsse. Die GO. spricht allerdings in § 105 von einer „Übereinkunft" der Gewerbetreibenden und ihrer Arbeiter über ihre „Verhältnisse" und im § 117 erklärt sie „Verträge", die gegen das Verbot der Barzahlung des Lohnes verstoßen, für nichtig. Sie tut jenes aber nur, um die Freiheit des Arbeitsverhältnisses von landesgesetzlichen Einschränkungen hervorzuheben, und letzteres nur, um dem Arbeiter fernen Lohn zu sichern. Nicht aber will sie damit die Rechtsgültigkeit der Übereinkunft zur

unbedingten Voraussetzung eines gewerblichen Arbeitsverhältnisses machen. Auch derjenige Arbeiter, dessen Abmachungen aus irgendeinem Gmnde sich als nichtig erweisen, der aber tatsächlich so beschäsitigt wird, als ob ein gütiger Ver­ trag vorliegt, steht daher in einem Arbeitsverhältnisse. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, daß dann auch die Angehörigen eines Unternehmers, die ihm m seinem Betriebe helfen, als gewerbliche Arbeiter anzusehen feien. Denn diese Personen sind nur auf Gmnd ihrer Verwandtschaft tätig und des­ halb nicht zu den gewerblichen Arbeitem des Titels VH zu rechnen. Auch das GGG. spricht nur von Arbeitsverhältnissen, nicht von Verträgen. Nun ist aller­ dings zuzugeben, daß man unter Arbeitsverhältnissen biejemgen Rechts­ verhältnisse verstehen kann, die sich auf Grund des Arbeits Vertrages ergeben. Es ist aber nirgends geboten, nur diese Rechtsverhältnisse bäumtet zu be­ greifen. Zum mindesten die GO. und das GGG. haben auchdie tatsäch­ lichen Verhältnisse im Auge. Denn offenbar soll der Arbeiter des Schutzes dieser Gesetze nicht dadurch verlustig gehen, daß sein Arbeitsvertrag rechtsungülüg ist. Insbesondere ist dem Arbeitnehmer das besondere schleunige Ver­ fahren vor den GG. nicht deshalb gewährt, weil er einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, sondern weil er „Arbeitnehmer", d. h. auf den Verdienst von seiner Hände Arbeit angewiesen ist. Am übrigen entstehen auch auf Gmnd von nur tatsächlichen Arbeiten in Fällen, wie dem vorliegenden, Rechts beziehungen. Wenn diese sich naturgemäß nicht auf die Bestimmungen über den Arbeits- und Dienstver­ trag stützen können, sondern auf die Vorschriften über ungerechtfertigte Bereichemng, so gehören doch die Ansprüche, welche aus Gmnd dieser Vorschriften erhoben werden, nach dem Vorstehenden insoweit vor die GG., als sie auf einem tatsächlichen gewerblichen Arbeiten bemhen. Das aber ist hier der Fall. Der Anspmch des Kl. auf Vergütung für seine Arbeitsleistung ist zivilrechtlich nicht als Lohn, sondern nur als Anspmch aus ungerechtfertigter Bereichemng zu begründen. Als solcher i st er aber begründet. Bekl. hat die Arbeitsleistungen ohne rechüichen Gmnd erlangt (§ 812 BGB.). Er muß deshalb den Wert des Geleisteten — soweit dieses, also hier das Produkt der Arbett, noch vorhanden — ersetzen (§818 Abs. 2, BGB.). Das Vorhandensein des Arbeitsproduktes und die angegebene Höhe des Wertes sind nicht bestritten. (Reichsarbeits­

blatt 1. Jg. S. 854.)

83. Ist das GG. zuständig bei Anfechtung eines gewerbegerichtlichen Vergleichs? Urteü des GG. Berlin, Kammer 2, vom 7. September 1907.

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen: Wenn selbst der durch den Vergleich erledigte Rechtsstreit an sich der sachlichen Zuständigkeit des GG. unterworfen gewesen

§ 4 GGG.

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sein mag, so ist doch die Anfechtung des Vergleichs wegen Irrtums (gemäß §§ 119 ff. BGB.) und der auf ihr bemhende Rückerstattungs- bzw. Ersatzanspruch nicht mehr zu den Ansprüchen des §4 des GGG. gehörig, sondem allgemein bürgerlichrechtlicher Natur *). (Reichs-Arbeitsblatt 7. Jg. S. 225.)

84. (54.) Ist das GG. zustündig sür den Anspruch eines Lehrlings auf Entschädigung wegen Unterlassung von Sicherheitsvorrichtungen? Urteil des Reichsgerichts, 3.Zivilsenat, vom 1.Juli 1898. Auf die Revision des Kl. ist das Urteil des Oberlandesgerichts zu Breslau, das sich für unzuständig erklärt hatte, aufgehoben und die Sache in die 2. Instanz zurückverwiesen. (Gruchot Bd. 42 S. 1150.)2)

85. Ist das GG. zuständig für die Schadenersatzklage gegen einen Ar­ beiter, der Waren beschädigt hat, aus die sich der Arbeitsvertrag nicht bezieht? Urteil des Landgerichts Mainz, 1.Zivilkammer, vom 1.April 1903. Bell, war als Arbeiter in der Schokoladesabrik der Kl. beschäftigt. Er soll dieser durch Verbrennen von Kakao und Vermengen derselben mit guter Ware, sowie dadurch verschuldeter Unbrauchbarmachung des ganzen Kakaos einen höheren Schaden zugesügt haben. Der Anspruch auf Ersatz dieses Schadens wurde auf fahrlässige Handlungsweise des Bekl., auf allgemeine Rechtsgrundsätze und auf § 26 der Fabrikordnung der Kl. gestützt. Bekl. hatte die Einrede der Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts geltend gemacht.

Das Landgericht hält das ordenüiche Gericht für zuständig. Aus den Gründen: Die Einrede der Unzuständigkeit wird gestützt auf § 4 Abs. 4 GGG., welcher bestimmt, daß die GG. ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig sind für Ansprüche auf Schadenersatz, welche die unter 1—3 angeführten Gegenstände betreffen, also insbesondere die Leistungen aus dem Arbeitsverhältnisse. Es fragt sich, ob ein solcher Schaden, wie ihn das Gesetz hier vorsieht, in Frage steht. Nimmt man an, daß es sich hier um die Verletzung von Pflichten handele, tue unmittelbar auf dem Arbeitsver­ hältnis beruhen, dann dürfte kein Zweifel obwalten, daß die Zuständigkeit der GG. gegeben sei. Anders aber würde die Sache liegen, wenn es sich nicht um eine solche Verletzung von Vertragspflichten handelte, sondem um eme Verletzung von Pflichten, ine unabhängig von dem Arbeitsvertrag, auf allgemeinen Rechts­ grundsätzen und allgemeinen gesetzlichen Vorschriften bemhen. Für Ansprüche auf Ersatz von Schaden wegen Verletzung solcher Pflichten sind ausschließlich die ordentlichen Gerichte zuständig. Dieses ist ausgesprochen in einem Urteil des Reichs­ gerichts, 3. Zivilsenat, vom 1. Juli 1898 (tÄitsch. Bd. 41 S. 136 ff.)®), woselbst ausgeführt ist, daß nicht vor die GG. gehören die Entschädigungsansprüche, welche nicht unmittelbar durch den Arbeits- oder Lehrvertrag, sondem durch allgemeine gesetzliche Vorschriften begründet sind. Es zählt das Reichsgericht zu diesen all­ gemeinen gesetzlichen Vorschriften z. B. die Vorschriften des Haftpflichtgesetzes über Vernachlässigung der Schutzvorrichtungen, über das Züchtigungsrecht usw.; daß dahin aber auch überhaupt unerlaubte Handlungen gehören und insbesondere die im § 823 BGB. aufgeführten unerlaubten Handlungen, steht außer Zweifel (vgl. Haas, Kommentar zum GGG., Anm. 12 zu § 4 Nr. 4). Vergleicht man ') Altere Urteile des Gewerbegerichts Berlin haben die Zuständigkeit des Gewerbegerichts verneint. Vgl. von Schulz und Schalhom, Das Gewerbegericht Berlin. Entscheidungen Nr. 170 f. ') Vgl. Nr. 250. ’) Abgedruckt unter Nr. 54 der ersten Auflage.

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nun mit dieser Entscheidung des Reichsgerichts und dieser Auslegung des Ge­ setzes die Klage, so unterliegt es keinem Zweifel, daß dem Bell, mcht etwa eine Zuwiderhandlung gegen den Arbeitsvertrag zur Last gelegt wird, sondern ein fahrlässiges Handeln, welches auf Verletzung allgemeiner Rechtsgrundsätze be­ ruht. In dieser Hinsicht ist insbesondere noch auf die Klagebehauptungen zu ver­ weisen, die dahin gehen, daß der Bell, nicht etwa bloß in unvorsichtiger Weise den zu bearbeitenden Kakao verdorben habe, sondern durch Beimischung dieses verdorbenen Kakaos zu guter Ware diese verdorben und entwertet habe. Bon letzterer Handlung kann gewiß nicht gesagt werden, daß sie lediglich vom Stand­ punkt des Arbeitsvertrages zu beurteilen sei, sondern em solches Handeln fällt unzweifelhaft unter den Gesichtspunkt des § 823 BGB. (Gewerbegericht Jg- 9 Sp.156.) 86. (55.) Ist das GG. zuständig für den Schadenanfpruch des Arbeiters gegen den Arbeitgeber wegen unrichtiger Meldung bei der Krankenkasse? Urteil des Kgl. Landgerichts Dresden vom 16.Mai 1902. Der ordentliche Rechtsweg ist für unzulässig erachtet.

87. (56.) Ist das GG. zuständig für Ansprüche wegen Richtabschlusses eines Arbeitsvertrages? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 22. Dezember 1900.

Die Klage ist wegen Unzuständigkeit des GG. abgewiesen. *) 88. Ist das GG. zuständig für den Schadenanspruch des Arbeiters, der infotze einer Mitteilung seines früheren Arbeitgebers von einem ver­ übten Vertragsbruch feine neue Stellung verloren hat? Urteil des GG. S t u t t g a r t vom 13. April 1905.

Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Der Kl. stand beim Bell. (Möbelfabrikanten) als Schreiner in Arbeit; gegenseitig war keine Kündigungsfrist einzuhalten, je­ doch besteht im Geschäft des Bell, für den Arbeiter Recht und Pflicht, begonnene Akkordarbeit festzustellen. Am 14. März 1905 hat er die Arbeit verlassen, nach­ dem er an einer Akkordarbeit (drei Schreibtischen) 14 Stunden gearbeitet hatte. Am 16. März ist er in eine andere Möbelfabrik eingetreten. Der Bell, hat den neuen Arbeitgeber von dem Vertragsbruch in Kenntnis gesetzt. Am 4. Aprll 1905 hat dieser den Kl. entlassen und erst vom 8. April mittags an weiterbeschäftigt, nachdem der Bell, an diesem Tag aus Entgegenkommen die Erllärung abgegeben hatte, das Arbeitsverhältnis, das zwischen ihm und dem Kl. bestanden habe, sei nunmehr rechtsmäßig gelöst. Der Bell, stellte sich im übrigen auf den Standpunll, oer Kl. sei ihm bis zum 8. Aprll zur Arbeit verpflichtet gewesen, da die Schreibüsche bis jetzt noch nicht ganz haben fertig gestellt werden können. Dem Kl. ist in der Zeit vom 4. bis 8. Aprll ein Verdienst von 18 Mark entgangen. Er fordert mit der Klage vorn Bell. Schadensersatz in Höhe von 18 Mark. Das Ge­ richt hat ihn wegen Unzuständigkeit mit der Klage abgewiesen. Die sachliche Zuständigkeit der GG. ist in § 4 GGG. abschließend geregelt. Der vom Kl. geltend gemachte Schadenersatzanspmch läßt sich unter keine der Ziffern des §4 unter­ bringen, insbesondere nicht unter die Ziffer 4. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 131.) -) Bgl. Nr. 247.

89. (57.) Begriff des Arbeitsverhältnisses. Ist daS GG. zuständig für Ansprüche der nnr zum Löschen eines bestimmten Schiffes angenommenen Schauerleute? Urteil des Reichsgerichts, 6.Zivilsenat, vom 25.September 1890.

Der ordentliche Rechtsweg ist für unzulässig erachtet. Bd. 46 Nr. 120 S. 648.)

(Seufferts Archiv

90. Ist das GG. zuständig, wenn Kl. für Dienste Vergütung verlangt, die sie, um sich für ihre spätere Stellung als Frau eines Geschäfts­ mannes vorzubereiten, ihrem früheren Verlobten geleistet hat? Urteil des GG. der Stadt Chemnitz vom 27. März 1908. Kl. behauptet, der Bekl. habe sie in seinem Gewerbebetriebe beschäftigt. Sie habe die schriftlichen Arbeiten erledigt, den Fernsprecher bedient und auch einzelne Verrich­ tungen im elektrotechnischen Betriebe, z. B. das Spulen von Kabeln, Bohren von Marmor­ tafeln usw. mit besorgt, auch nebenbei die häuslichen Arbeiten verrichtet. Für ihre Dienste habe ihr der Bekl. einen Wochenlohn von 10 Mk. zugesagt und sür die ersten vier Wochen auch bezahlt. Schon vor ihrem Antritt beim Bekl. habe sie mit diesem ein Verhältnis gehabt. Der Bekl. habe sie heiraten wollen, sobald es die Umstände gestatten würden. Das Arbeits­ verhältnis habe im wesentlichen dazu dienen sollen, sie, die Kl., für das Geschäft gehörig einzurichten. Im Jahre 1905 habe es dem Bekl. bei den Lohnzahlungen manchmal an Gew gefehlt. Er habe ihr deshalb vorgeschlagen, ihr nur das zu geben, was sie an ihre Mutter abgeben müsse, nämlich 4 Mk. wöchentlich, und habe dazu bemerkt, es sei ja doch gleichgültig, was sie bekäme, in einem Vierteljahre würden sie doch heiraten. Sie sei damit einverstanden gewesen, daß der Bekl. bezügl. der Heirat Wort halten würde. Der Bekl. habe sie jedoch unter den mannigfaltigsten Ausreden fortgesetzt hingehalten. Nach­ dem sie erfahren habe, daß er ein Verhältnis mit einem anderen Mädchen begonnen habe, sei sie ausgetreten. Da der Bekl. sie nicht geheiratet habe, also die Bedingung, unter der sie mit einem Wochenlohn von 4 Mk. zufrieden gewesen sei, nicht gehalten habe, sei er verpflichtet, ihr für die gesamte Zeit ihrer Tätigkeit den ursprünglich vereinbarten Lohn von 10 Mk. wöchentlich zu gewähren. Die Kl. beantragt hiernach, den Bekl. kostenpflichtig zur Zahlung dieser Beträge zu verurteilen.

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen: Selbst wenn man von der Annahme ausgeht, daß zwischen den Parteien ein eigentliches Arbeitsverhältnis bestanden hat und nicht vielmehr das entscheidende Gewicht darauf legt, daß sich die Kl. nach der übereinstimmenden Angabe beider Parteien durch chre Tätigkeit beim Bekl. in der Hauptsache in dessen Geschäft einrichten und für ihre spätere Stellung als !Ehefrau eines Geschäftsmannes, die im Geschäft mit tätig zu sein hat, vorbereiten oute, so ist doch die vorliegende streitige Forderung jedenfalls nicht als eine For­ derung aus einem Arbeitsvertrage anzusehen. Die Kl. gibt selbst zu, daß sie mit dem ihr vom Bell, bewllligten Entgelt regelmäßig einverstanden gewesen ist. Sie behauptet lediglich, daß dieses Einverständnis mit dem chr gezahlten niedri­ geren Lohn nichtig und der Bell, zur Nachzahlung des ursprünglich versprochenen höheren Lohnes deswillen verpflichtet sei, weil er sein Versprechen der Heirat nicht gehalten habe. Ihre Forderung stellt sich somit nicht als Forderung aus einem bestehenden Arbeitsvertrag dar, denn bezüglich des Lohnes hat sich ja die Kl. nach ihrer eigenen Darstellung für befriedigt erklärt; der Klageanspruch ist vielmehr anzusehen als ein Anspruch auf Schadenersatz, ein Anspruch auf Entschädigung wegen gebrochenen Eheversprechens. Zur Entscheidung hierüber ist aber das GG. nicht zuständig.

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91. (58.) Ist das GG. zuständig für Ansprüche des Arbeiters aus dem Versprechen des Gewerbetreibenden, daß er zeitlebens in der Fabrik sein Brot haben werde? Urteil des Reichsgerichts, 3.Senat, vom 16.November 1886. Das Reichsgericht erachtet (vor Inkrafttreten des GGG.) den ordentlichen Rechtsweg für zulässig. (Seufferts Archiv Bd. 42 S. 1246.)

92. (59.) Ist das GG. zuständig für eine Klage des Arbeitgebers aus Rückzahlung irrtümlich zuviel gezahlten Lohnes?

a) Urteil des GG. Frankfurt a.M. vom 23.August 1900. Das GG. hat sich für zuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 160.)

b) Urteil des GG. Berlin vom 27.April 1896. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Unger Nr. 208.) c) Urteil des GG. Berlin vom 5. August 1895. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Unger Nr. 208.)

93. Ist das GG. zuständig sür die Klage auf Rückzahlung eines noch nicht abverdienten LohnvorschusfeS? Urteil des LG. Köln vom 24. Februar 1906. Das AG. Köln hatte die Klage wegen Zuständigkeit des GG. abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufungist zurückgewiesen. Aus den Gründen: Wie der Vorderrichter zutreffend ausgeführt, steht im vorliegenden Fall eine Streitigkeit in Frage, die in dem Arbeitsverhält­ nis zwischen dem Bekl. als Arbeiter — Bekl. war in der Fabrik des Kl. als „Werk­ meister" angestellt — und dem Kl. als Arbeitgeber chre unmittelbare Entstehung, ihren Klagegmnd hat. Es ist nämlich geklagt auf Zurückzahlung eines Betrages von 170 Mk., den der Bekl. nach Angabe des Kl. als „Borschutz auf seinen Lohn" während der Dauer des Arbeitsverhältnisfes erhcuten, aber zur Zeit seiner Ende Oktober 1904 erfolgten Entlassung aus der Arbeit noch nicht „abverdient" hatte. Hiernach steht ein Anspmch in Frage, welcher ohne das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zur Entstehung gelangt wäre, m. a. W. eine aus dem Arbeitsverhältnis sich ergebende, nicht nur aus Anlaß des Arbeits­ verhältnisses entstandene Leistung. In rechtlicher Beziehung beurteilt sich der Anspruch, wie Bekl. richtig hervorgehoben, da es sich um eine angeblich ohne Rechtsgrund gemachte Leistung handelt, nach den Vorschriften über die unge­ rechtfertigte Bereicherung (§§ 543‘, 628 BGB.). Die Anführung des Kl., daß es sich vorliegend um ein „Darlehn" handele, hat bereits der Vorderrichter mit zutreffender Begründung zurückgewiefen; sie widerlegt sich im übrigen auch durch die vom Kl. seiner Klage gegebene ausdrückliche Begründung. Derartige Streitigkeiten, wie in Frage stehend, gehören gemäß § 4 Ziff. 2 GGG. zur Zu­ ständigkeit der GG. Vgl. auch Komm. z. GGG. v. Wilhelnn-Bewer S. 15, 47,52. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 87.)

94. (60.) Ist das GG. zuständig für Klagen auf Herausgabe von Spar­ büchern und Spargeldern?

a) Urteil des GG. Karlsruhe i.B. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. (Gewerbegericht Jg. 5, Sp. 161.)

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§4 GGG.

b) Urteil des GG. Dresden. Das GG. hat sich für zuständig erklärt.

sGewerbegericht Jg. 5, Sp. 161.)

e) Urteil des Landgerichts Naumburga.S.vom30. Mai 1905. Ein Bierausgeber, der einen Bierausschank in Tonnenpacht übernommen hat, klagt auf Rückgabe eines dem Besitzer des Gasthofs als Kaution übergebenen Sparkassen­ buches.

Das Amtsgericht Naumburg hat sich für unzuständig erklärt. Die Bemfung des Kl. ist zurückgewiesen. Aus den Gründen: 1. Der Kl. hat den Anspmch auf Herausgabe des Sparkassenbuchs darauf gestützt, daß er es dem Bell, in Verwahrung gegeben habe. Es ist gleichgültig, ob dies wahr ist, es fragt sich nur, ob ein darauf ge­ stützter Anspmch unter § 4 Nr. 3 des GGG. vom 29. September 1901 fällt. Dieser lautet: „Die GG. sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zu­ ständig für Streitigkeiten: ... über die Rückgabe von ... Büchem ..welche aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses übergeben worden sind." Der Ausdruck „aus Anlaß" ist ein sehr unbestimmter, weitgehender. Er verlangt nur einen lockeren Zusammenhang der Buchübergabe mit dem Arbeitsverhältnis, nicht etwa einen „rechüichen" Zusammenhang, nicht eine Vertragsbestimmung (z. B. Kaution, die besonders weiterhin genannt ist) als Grundlage. Es ist nur nötig, daß ohne das Arbeitsverhältnis eine Übergabe des Buches nicht erfolgt wäre. Dies ist hier zweifellos der Fall, so daß es gleichgültig ist, ob, was noch mehr für diese Entscheidung sprechen würde, die Übergabe „auf Verlangen des Bell." geschehen ist, wie der Kl. in 1. Instanz selbst behauptet hat. Das Bemfungsgericht hält daher ebenfalls den § 4 Nr. 3 für anwendbar.

95. Ist das GG. zuständig für Klagen auf Rückforderung von Beiträgen zur FabrikpenfionSkafse?*) Urteil des GG. Moers, Kammer Friemersheim, vom 16. Jicki 1907. Kl. war im Betriebe der Kruppschen Friedrich-Alfred-Hütte als Isolierer beschäftigt. Er klagt aus Herauszahlung von 29,12 Mk., die ihm nach seiner Ansicht in rechtswidriger Weise vom Arbeitslohn einbehalten sind in der Form von Eintrittsgeld und laufenden Beiträgen zu einer von der Bekl. für ihre Arbeiter errichteten Pensionskasse. Kl. erklärt, daß er gegen seinen Willen dieser Kasse zwangsweise beitreten mußte und ebenso gegen seinen Willen von der Firma entlassen wurde, wodurch er aller Ansprüche an die Kasse verlustig gegangen sei. — Bell, bestreitet zunächst die Zuständigkeit des GG., da die Klage nur gegen die Pensionskasse gerichtet werden könne und Streitigkeiten zwischen derselben und ihren Mitgliedern im Aufsichtswege zu erledigen seien (§ 27 des Kassenstatuts). Eventuell beantragt sie Abweisung der Klage, da die Lohnabzüge in völlig rechtmäßiger Weise entsprechend den Bestimmungen der Arbeitsordnung und des Pensionsstatuts erfolgt seien.

Bell, ist vemrteilt. AusdenGründen: Der Ansicht der Bell., daß es sich im vorliegenden Falle um eine Klage handelt, die eigenllich nur gegen die Pensionskasse gerichtet werden konnte, der die einbehaltenen Lohnbeträge zuflossen, ist das Gericht nicht beigetreten. Der Kl. ist der Ansicht, daß ihm die eingellagten Lohnabzüge ent­ gegen der Vorschrift des § 115 der GO. in rechtswidriger Weise gemacht worden seien, und er richtet daher folgerichtig seine Klage gegen die Firma Friedr. Krupp, Akt.-Ges., die ihm diese Abzüge vom Lohn gemacht hat. Nach § 116 der GO. können Arbeiter, deren Lohnfordemngen in einer dem § 115 zuwiderlaufenden Weise berichtigt worden sind, zu jeder Zeit Zahlung nach Maßgabe des § 115 *) Vgl. auch Nr. 13, 14, 253.

58 verlangen, d. h. also Barzahlung, ohne daß ihnen eine Einrede des an Zahlungsstatt Gegebenen entgegengesetzt werden kann. Es handelt sich in der vorliegenden Klage gar nicht um Ansprüche an die Pensionskasse, sondem lediglich um Rücksorderung einbehaltenen Lohnes, also um Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis, und für diese Klagen ist gemäß § 4 Ziff. 2 des GGG. das GG. zuständig. (Ge­ werbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 11.)

96. (61.) Sind die GG. zuständig für die Frage, ob Trinkgelder dem Lehrlinge oder dem Meister zustehen? Wird die Zuständigkeit durch Auflösung des Arbeitsverhältnisfes beriihrt? Urteil des Reichsgerichts, 1. Zivilsenat, vom 30. Juni 1900. Die Klage ist wegen Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts abgewiesen. Berufung und Revision sind zurückgewiesen. (Gruchot Bd. 45 S. 1080.)

97. (62.) Ist das GG. zuständig für Streitigkeiten über abhanden ge­ kommene, dem Arbeitgeber aber vorher nicht übergebene Kleidungsstücke? Urteil des GG. Weimar vom 11. dlpril 1902. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. *)

98. Ist das GG. zuständig für den Anspruch von Kellnern auf Ersatz der Auslagen für Beschaffung von Aushilfskellnern an den gesetzlichen Ruhetagen? Urteil des GG. Hildesheim vom 16. Februar 1903. Die Kläger haben im Arbeitsverhältnisse bei den, Beklagten gestanden gegen freie Station und den Bezug von Trinkgeldem der Gäste, haben angeblich für die Annahme von Ersatzkellnern an den gesetzlichen Ruhetagen 48,60 M. bezw. 34 M. verauslagt und beantragen, den Beklagten zur Erstattung dieser Beiträge zu verurteilen. Es war den Kläger bekannt, daß die Stellung der Ersatzkellner im Geschäfte des Klägers vor ihren Dienstantritt Sache der Kellner war, welche feiern wollten, sie meinen aber, daß die Vorschrift der Ruhetage, welche mit dem 1. April 1902 in Kraft getreten ist, die Er­ stattungspflicht des Beklagten zur Folge gehabt habe. Sie haben auf Befragen ihre Klage ausdrücklich auf einen Auftrag des Beklagten gestützt.

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen: Sollte der Aufttag zum Mschluß von Rechts!Geschäften und Verauslagung der zu vereinbarenden Vergütungen erfolgt sein, o würde neben dem Dienstverttage der Parteien ein weiterer Verttag vorliegen, dessen Ansprüche von denen des Dienstvertrages (Leistung von gewerblicher Arbeit und Zahlung der vereinbarten Vergütung für diese) völlig verschieden und der Beurteüung durch das GG. vom Gesetze nicht unterworfen sind. (Gewerbe­ gericht Jg. 8 Sp. 166.)

99. Ist das GG. zuständig für Streitigkeiten über das Recht an Er­ findungen Angestellter? Urteil des Oberlande s^gerichts München, 1. Zivilsenat, vom 16. Dezember 1908. Der als Vorarbeiter in der Rolladenfabrik der Kl. angestellte Bell, ließ für sich ein Gebrauchsmuster für Rolladenstäbchen eintragen. Die Kl. beansprucht die Übertragung dieser in den Bereich seiner dienstlichen Obliegenheiten fallenden Erfindung.

Das OLG. erachtet das ordenlliche Gericht, nicht das GG. für zuständig. ’) Ebenso GG. Berlin v. 14. März 1907 fReichsarbeitsbl. Jg. 5 S. 898).

§ 4 GGG.

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Aus den Gründen: Nach § 4 Nr. 2 GO. sind unter „Leistungen aus dem Arbeitsverhältnisse" solche Leistungen zu verstehen, welche aus dem Arbeits­ verhältnisse unmittelbar herrühren, d. h. welche ihre tatsächliche und rechtliche Begründung ausschließlich in dem Arbeitsvertragsverhältnis haben, im Gegen­ satze zu solchen Streitigkeiten, welche zwar aus Anlaß eines Arbeitsvertrags­ verhältnisses entstehen, jedoch auf andere Tatsachen begründet sind. Für die Frage, ob die vorliegende Streitigkeit zur Zuständigkeit der GG. gehört, ist davon auszugehen, was Gegenstand oder Bestandteil des Arbeitsvertrages ist, denn nur auf der sich hiernach ergebenden Grundlage kann richtig beurteilt werden, ob eine Leistung in Frage steht, die unmittelbar auf das vertragsmäßige Arbeitsverhältnis zurüchuführen ist, oder ob die Streitigkeit lediglich aus Anlaß desselben Hervor­ gemsen worden ist (Drucksachen des Reichstags 1900/02, III. Anlageband S. 2084). Die KI. hat allerdings behauptet, daß die zur Herstellung des Gebrauchsmusters aufgewendete Tätigkeit in den Rahmen der Aufgaben des Bell, falle; allein hierunter kann nur verstanden werden, daß er bereits vorliegende Gebrauchs­ muster anzuwenden habe, und hierauf kommt es bei der Prüfung der Zuständig­ keit des GG. im oben erwähnten Sinne nicht an. Sie hat — worauf es hier an­ kommt — nicht behauptet, daß die Erfindung von Gebrauchsmustem zur ver­ tragsmäßigen Tätigkeit des Bell, gehörte, daß Bell, vertragsmäßig verpflichtet und zu dem Zwecke angestellt gewesen sei, auf dem Gebiete der Rolladenfabrikation, bei deren Herstellung und Zusammenstellung er tätig zu sein hatte, Verbesserungen und Neuerungen zu erfinden, demnach Gebrauchsmuster selbst zu schaffen. Letztere Tätigkeit war nicht Gegenstand, nicht Bestandtefl des Arbeitsverhältnisses, und Streitigkeiten hierüber sind deshalb dem GG., das nur für Streitigkeiten über die Leitung aus dem Arbeitsverhältnisse zuständig ist, entrückt. (Rechtspr. der Ober­ landesgerichte Bd. XIX Nr. 2a b.)

100. Ist das GG. zuständig für Klagen auf Schadenersatz wegen Er­ teilung wahrheitswidriger Auslunft über den Arbeiter nach Lösung deS Dienstverhältnisses? Urteil des GG. Leipzig vom 9. Oktober 1908. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Die Kompetenz des GG. ist durch Aufzählung der Rechtsstreitigkeiten in § 4 GGG. genau bestimmt. Damach handelt es sich, wie die Ziffern 1—6 erweisen, um Ansprüche über Leistungen aus dem Arbeits­ verhältnis. Ansprüche, die lediglich anläßlich des Arbeitsverhältnisies ent­ standen sind, werden in seine Kompetenz nur insoweit eingezogen, als diese Fälle besonders normiert sind. Das ist der Fall in § 4 Ziff. 4 GGG. Darnach gehört zur Kompetenz des GG. nur der Anspmch aus Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung der Verpflichtung zur Aushändigung, über den Inhalt oder die Rückgabe von Zeugnissen oder wegen gesetzwidriger oder unrichtiger Eintragungen in Zeugnisse. (Vgl. § 4 Ziff. 4 Verb, mit §§ 1, 3 GGG.) Im vorliegenden Falle handelt es sich aber lediglich um einen Schadenersatzanspmch, der n a ch Beendigung des Dienstverhältnisses durch eine angeblich nicht richtig erteilte Auskunft entstanden sein soll. Den Zeugnissen stehen aber Auskünfte nicht gleich, die nach Erlöschen des Dienstverhältnisses ertellt worden sind. Mt der Aushändigung des Zeugnisses hat das Dienstverhältnis seinen endgültigen Abschluß gefunden und die Erteilung der Auskunft stellt sich bar als etwas nachträglich nur m mittelbarem Zusammenhänge mit dem Dienst­ verhältnis Geschehenes. Solche Ansprüche gehören in Ermangelung einer Be-

i) Vgl. Nr. 251.

60 stimmung nicht zur Zuständigkeit des GG. Das ist in der Judikatur bereits anerkannt. (Vgl. Jahrbuch des KG. Berlin 1908 S. 320, 321.)

101. (63.) Ist das GG. für Klagen aus einem vertragsmäßigen Kon­ kurrenzverbot zuständig, die nicht auf Konventionalstrafe gerichtet sind? a) Urteil des Reichsgerichts, 2. Zivilsenat, vom 19. November 1895. Die Revision ist zurückgewiesen.

(Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 36.) *)

b) Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 13. März 1900. Das ordentliche Gericht ist für zuständig erklärt. Sp. 201.)

(Gewerbegericht Jg. 6

102. (64.) Kann vor dem GG. die Aufrechnung von Forderungen geltend gemacht werden, für die das GG. unzuständig ist?

a) Urteil des GG. Bremen. Das GG. hat den Bell, ohne Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Aufrechnung verurteilt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 134.)

b) Urteil des GG. Zittau vom 21. August 1902. Der Bell, ist ohne Berüchichtigung der Aufrechnung verurteilt3).

103. (65.) Können Ansprüche, welche vor die GG. gehören, mit solchen, für welche die ordentlichen Gerichte zuständig sind, verbunden werden? Urteil des Amtsgerichts!, Abt. 40, zu Berlin vom 18. Dezember 1896.

Das Amtsgericht hat die Frage vemeint. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 43.)

104. Ist das ordentliche Gericht zuständig, wenn die Klage außer auf den Arbeitsvertrag noch auf ein Anerkenntnis gestützt wird? Urteil des Oberlandesgerichts in Marienwerder vom 21. Sept. 1906 3).

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts, das sich für unzuständig erllärt hatte, ist zurückgewiesen. Aus den Gründen: Was das vom Bell, angeblich abgegebene An­ erkenntnis anlangt, so ist zunächst zu berücksichtigen, daß Kl. aus dem ursprüng­ lichen von ihm genau substantiierten Schuldverhältnis gellagt und das Anerkenntnis nur als Beweismittel herangezogen hat. Aber selbst wenn man das klägerischerseits behauptete Anerkenntnis als selbständigen Klagegrund gelten lassen wollte, so würde es doch immer nur abgegeben sein vom Bell, als Arbeitnehmer gegen­ über dem Kl. als Arbeitgeber zur Beilegung von Stteittgkeiten aus dem Arbeits­ verhältnisse. Durch das Anerkenntnis wiirde kein völlig neues Schuldverhältnis geschaffen, sondem das bisherige nur derartig bindend festgesetzt sein, daß die

Die eingellagte Fordemng würde also auch durch das Anerkenntnis nicht auf» ’) Ebenso GG. Berlin v. 21. Mai 1907 (Reichsarbeitsbl. Jg. 7 S. 66). *) Ebenso GG. Bremen (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 134) (1. Ausl. 64a). -) Vgl. auch Nr. 248.

§5 GGG.

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gehört haben, eine solche aus dem Arbeitsverhältnis zu sein und die ZustäMgkeit des Gerichts für die auf Anerkenntnis (§§ 781, 782 BGB.) gestützte Klage keine Änderung erfahren. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 137.)

105. (66.) Begriff des Heimarbeiters und des Hausgewerbetreibenden.

a)

Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts I Berlin vom 9. Juni 1899.

Der Kl. ist als Heimarbeiter angesehen. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1899 S. 58.)

b) Urteil des Kgl. Landgerichts I, Zivilkammer 16, zu Berlin, vom 10. März 1899. Der Kl. ist als Heimarbeiter angesehen. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1899 S. 38.)

106. (67.) Unter welchen Umständen ist das GG. für Hausschneider zuständig? a) Urteil des Landgerichts I, 5. Zivilkammer, vom 4. April 1895. Das Amtsgericht hat die Klage wegen ZustäMgkeit des GG. abgewiesen. — Aus die Bemfung des Kl. ist das Urteil ausgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1896 S. 26.)

b) Urteil des Landgerichts I, 23. Zivilkammer zu B e r l i n, vom 1. Juli 1895. Die Klage ist wegen Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichts abgewiesen. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1896 S. 26.) *)

107. Worin liegt der Unterschied zwischen Hausgewerbetreibenden und selbständigen Unternehmern?

a) Urteil des GG.' B e r l i n, Kammer 1, vom 23. September 1907. Aus den Gründen: Nach § 5 des GGG. gehören zur ZustäMgkeit des GG. die Streitigkeiten zwischen Hausgewerbetreibenden und chren Arbeit­ gebern, sofern die Beschäftigung für bestimmte Gewerbetreibende stattfindet und sich auf die Bearbeitung oder Verarbeitung der von den Arbeitgebern ge­ lieferten Rohstoffe beschränkt. Es müssen hiernach zwei Momente vorliegen, einmal die Verarbeitung gelieferter Rohstoffe und sodann die Beschäftigung für bestimmte Arbeitgeber. Daß das Gesetz auf das Wort bestimmt ein entscheldendes Gewicht legen wollte, beweist der Ws. 2, nach welchem es zulässig erscheint, die ZustäMgkeit auf die Hausgewerbetreibenden, welche die Rohstoffe und die Halbfabrikate selbst beschaffen, auszudehnen. Würde hier nicht die Grenze darin zu finden sein, daß die Arbeit für einen ganz bestimmt begrenzten Kreis von Arbeitgebern geleistet werden muß, so würde ja die Zuständigkeit des GG. ortsstatutansch auf die größten Betriebe ausgedehnt werden können. Der Ausdmck „bestimmt" hat in der Rechtsprechung des GG. eine verschiedene Auffassung erfahren (vgl. v. Schulz-Schalhorn, Das GG. Berlin S. 294). Es würde zu eng sein, wollte man chn so auslegen, daß ein festes Arbeitsverhältnis ') Ebenso AG. I Berlin, Abt. 43 (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 226).

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§5 GGG.

zwischen den Arbeitgebern und dem Hausgewerbetreibenden vielleicht mit ver­ einbarten Kündigungsfristen bestehen muß, andererseits wäre es zu weitgehend, wenn erst darin die Grenze gesehen werden sollte, daß der Hausgewerbetreibende Sachen auf Lager arbeitet und sein Produkt dann an andere Gewerbetreibende nach bestem Vorteil verkauft (Mugdan-Cuno, Anm. 2 zu § 5 GG.). Das Unter­ scheidungsmerkmal ist vielmehr die Abhängigkeit des Betriebes des Arbeitnehmers von bestimmten Arbeitgebern. Im kleinsten Hausgewerbebetrieb zeigt sich dies darin, daß der Heimarbeiter sich zunächst die Arbeit von dem Arbeitgeber holt und dann je nach dem Umfange der Arbeitsleistung Gehilfen annimmt, mit denen er die Arbeit vollendet, und seinen Betrieb wieder verringert oder auflöst, wenn die Arbeit aufhört, es sei denn, daß es ihm gelingt, aus einem anderen Betriebe wieder Arbeit zu bekommen. Wenngleich bei einem anderen etwas größeren Be­ triebe schon die Abhängigkeit des Umfanges der Arbeitseinrichtungen des Haus­ gewerbetreibenden von dem einzelnen Arbeitsauftrage weniger fühlbar wird, hört doch jedenfalls diese enge Abhängigkeit dann ganz auf, wenn die Art des Hausgewerbebetriebes derart ist, daß sein Zuschnitt im wesentlichen konstant bleibt und es für den Arbeitnehmer keine Rolle mehr spielt, ob dieser oder jener Arbeitgeber ihm keine Arbeit mehr gibt, oder statt des einen Arbeitgebers ein belie­ biger anderer tritt. Alsdann erscheint der Arbeitnehmer nicht sowohl als Heim­ arbeiter dieses oder jenes Arbeitgebers, als vielmehr als selbständiger Unter­ nehmer, der keine „Arbeitgeber", sondern ^Kunden" hat. Im vorliegenden Fall sind die Parteien sich darüber einig, daß der Bell, für etwa zwanzig verschiedene Geschäfte, die einem Wechsel unterworfen sind, arbeitet, daß er auch, wenn auch in geringerem Umfange, Privatarbeit über­ nimmt. Er beschäftigt 2 Buchhalterinnen, 35 Arbeiter in seiner Werkstatt und etwa 100 Heimarbeiter. Der ganze Zuschnitt des Betriebes ist ein berartiger, wie er oben als der Betrieb eines selbständigen Hausindustriellen festgestellt ist. Die Klage war daher bei dem Mangel der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts abzuweisen. (Reichsarbeitsbl. Jg. 6 •§. 605.) b) Urteil des Kammergerichts, 16. Zivilsenat, vom 10. Februar 1908.

Das Kammergericht erachtet die Zuständigkeit des GG. für gegeben. Aus den Gründen: Der Kl. hat sich vertragsmäßig verpflichtet, alles, was in seiner Werkstätte an Schneiderarbeiten fertig wird, nur der Bell, zu liefern, diese dagegen, den Kl. genügend zu beschäftigen und ihm einen jährlichen Wohnungszuschuß von 1000 Mk. zu zahlen. Diese jetzt eingellagten 1000 Mk. sind begrifflich eine besondere Vergütung, die dem Kl. für seine Arbeitstätigkeit zugesagt ist. Es ist gleichgültig, welche Bezeichnung die Parteien dafür gewählt haben oder in welcher Form sie zu zahlen war: immer ist in ihr eine Leistung zu sehen, die der Bell, aus dem zwischen ihr und dem Kl. entstandenen Arbeits­ verhältnisse auferlegt war. Es handelt sich daher hier um „Streitigkeiten über die Leistungen aus dem Arbeitsverhältnisse" gemäß § 4 Nr. 2 GGG. Insoweit ferner die Klage auf Schadenersatz gestützt wird, handelt es sich um eine Streitig­ keit gemäß § 4 Nr. 4, nämlich um einen Anspruch auf „Schadenersatz" wegen Nichterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung der Verpflichtungen, welche sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben. Auch die Voraussetzungen des § 5 liegen vor. Der Kl. ist mit Anfertigung gewerblicher Erzeugnisse «Damenmäntel) be­ schäftigt gewesen. Er hat sodann „für bestimmte Gewerbetreibende", nämlich fürldie bell. Konfektionsfirma, ausschließlich gearbeitet. Selbst wenn er für mehrere bestimmte Gewerbetreibende gearbeitet hätte, wie die Bell, behauptet, wäre die Anwendbarkeit des § 5 nicht ausgeschlossen. Er arbeitete ferner auch außerhalb der Arbeitsstätte der Bell.; ob diese überhaupt eine Arbeitsstätte hatte, ist unerheblich. Die Beschäfttgung war schließlich auf die Bearbeitung der ihm

von der Arbeitgeberin gelieferten Halbfabrikate beschränkt; denn seine Tätigkeit bestand nur darin, daß er die ihm von der Bell, „eingerichteten", d.h. zugemessenen, Stoffe und Zutaten zu fertigen Kleidungsstücken verarbeitete, und zwar nach den Weisungen oder den Mustern der Bell. Textllstoffe und Zutaten sind fraglos Halb-, nicht Fertigfabrikate, denn sie erlangen erst nach weiterer Bearbeitung Verbrauchswert. Der § 5 wird nun nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kl. ein selbständiger Gewerbetreibender ist. Im Gegentell gehört es zum Begriff der „Hausgewerbe­ treibenden" im Gegensatz zum wirtschaftlich und rechtlich abhängigen „Heim­ arbeiter", daß er rechtlich selbständig ist und nach seinem eigenen Ermessen Beginn und Ende, Umfang und Reihenfolge der Arbeit bestimmt und der Leitung, Disziplin und Beaufsichtigung des Fabrikanten nicht unterworfen ist. Er hat auch die Möglichkeit und die Befugnis, sich selber wieder unselbständiger Arbeits­ kräfte zu bedienen, denen gegenüber er dann einerseits als Arbeitgeber gilt (vgl. Wilhelmi-Bewer zu § 53, Schulz zu § 5 Nr. 1, Cuno zu § 51). Wirtschaftlich ist allerdings der Hausgewerbetreibende vom Arbeitgeber (Fabrikanten) mehr oder weniger vollständig abhängig (vgl. auch Woedtke, JVG. 1900 zu § 24). Nur wenn auch von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht die Rede sein kann, ist der § 5 nicht anwendbar, denn in diesem ist gefordert, daß der Hausgewerbetreibende für einen Arbeitgeber beschäftigt ist. Von einer „Beschäftigung für einen Arbeit­ geber" kann aber stets nur dann die Rede sein, wenn eine wirtschaflliche Abhängigkeit vorhanden ist. Eine solche ist aber hier zweifellos gegeben, denn nach der Vereinbarung ist der Kl. an sich vollständig auf das angewiesen, was ihm die Bell, an Beschäftigung zuweist. Es ist ihm ferner die Möglichkeit genommen, seine Erzeugnisse durch Absatz an den Verbraucher zu verwerten und damit einen Unternehmergewinn zu erzielen. Ihm ist vielmehr außer dem Wohnungszuschuß eine nach dem Stück bemessene Vergütung zu zahlen, die sich wirtschasllich ebenso wie der Wohnungszuschuß als Arbeitsentgelt darstellt. Auch war die Bell, die Art der Herstellung und die Lieferzeit einseitig vorznschreiben in der Lage (vgl. hierzu die Anleitung betr. den Äeis der nach dem JVG. versicherten Personen vom 6. Dezember 1905 S. 32 f., Amtl. Nachr. des Reichsversicherungsamts 1891 S. 181, 133; 1892 S. 45). Daß der § 5 gerade auf Meister, wie es der Kl. ist, Anwendung findet, lehrt schließlich auch die Entstehungsgeschichte (Wilhelmi a. a. O.). Man wollte gerade die „Streitigkeiten der Meister der Hausindustrie mit ihren Arbeitgebern" den GG. überweisen, weil man davon ausging, oaß auch sie meist rein gewerblich technischer Art seien (vgl. auch Schulz zu § 5l). Es wurde in der 2. Lesung der Kommission lediglich die aus § 5* ersichtliche Einschränkung bezüglich der obliga­ torischen Einbeziehung dieser Streitigkeiten beschwssen; hierbei blieb es dann auch bei der endgültigen Gestaltung des Gesetzes. Der Wortlaut des § 5 läßt übrigens keinen Raum für die Frage nach dem Umfang des Lägerischen Betriebs übrig; es ist im Prinzip gleichgültig, ob der Hausgewerbetreibende niemanden, drei oder hundert Arbeiter seinerseits beschäftigt. (Rechtspr. der Oberlandes­ gerichte Bd. XVII Nr. 5a.) c) Urteil des Reichsgerichts, 7. Zivilsenat, vom 4. Novemberl910. Durch den mit der Kl. geschlossenen schriftlichen Vertrag vom 6. Mai 1908 hatten sich die Bell, unter den dort angegebenen Vereinbarungen aus die Dauer von 3 Jahren vom 1. Mai 1908,ab verpflichtet, „ausschließlich" für die ein Konfektionsgeschäft be­ treibende klagendes,Firma" zu arbeiten, für ein anderes Geschäft dieser Branche weder direkt noch indirekt tätig zu sein oder sich an Konfektion zu „beteiligen". Jedoch hatten die Bell, sich das Recht Vorbehalten, „ihre Privatdetailkundschaft nach deren Wünschen zu bedienen". Die Kl. hat beantragt: sestzustellen, daß den Bell. Ansprüche auf Aus­ zahlung von Arbeitslohn und Vergütung gegen die Kl. nicht mehr zustehen. Die Bell.

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haben, unter Verweigerung der Verhandlung zur Hauptsache, die Einrede der Unzu­ ständigkeit des Gerichts erhoben, indem sie die Zuständigkeit des KG. behaupten.

Das LG. hat durch Urteil vom 3. Juni 1909 die Einrede verworfen. Die Berufung der Bell, ist zurückgewiesen worden. Auf die Revision der Bell, ist das Urteil des Kammergerichts aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. AusdenGründen: Im § 5 GGG. ist, soweit sein Inhalt hier in Be­ tracht kommt, was folgt bestimmt: Zur Zuständigkeit der GG. gehören ferner Streitigkeiten der im § 4 Abs. 1 Nr. 1—5 bezeichneten Art zwischen Personen, welche für bestimmte Gewerbe­ treibende außerhalb der Arbeitsstätte der letzteren mit Anfertigung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt sind (Heimarbeiter, Hausgewerbetreibende), und ihren Arbeitgebern, sofern die Beschäftigung auf die Bearbeitung oder Verarbeitung der den ersteren von den Arbeitgebern gelieferten Rohstoffe oder Halbfabrikate beschränkt ist.

Ob im Rahmen dieser Bestimmung zwischen Heimarbeitern und Haus­ gewerbetreibenden mit dem Bemfungsgericht ein Unterschied zu machen ist, kann Zweifeln begegnen. In dem Berichte der Reichstagskommission, von der die geltende Fassung des § 5 herrührt (Reichstagsdrucksachen 1890 Nr. 61 S. 5), ist darauf hingewiesen, daß die Hausgewerbetreibenden in Süddeutschland Heim­ arbeiter genannt werden, und daraus kann vielleicht geschlossen werden, daß man, um dieser Verschiedenheit des Sprachgebrauchs Rechnung zu tragen, beide Aus­ drücke nebeneinandergestellt hat, ohne damit im Sinne § 5 Verschiedenes be­ zeichnen zu wollen. Indes kommt es hierauf nicht an. Auch wenn man annimmt, daß der § 5 unter Heimarbeitern etwas anderes versteht als unter Hausgewerbe­ treibenden, so ist doch für die hier zu treffende Entscheidung nur zu fragen, ob auf die Bell, und ihr Verhältnis zur Kl. diejenigen Merkmale zutreffen, welche der § 5 für Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende gemeinsam aufstellt. Das Berufungsgericht hat dies zutreffend insoweit bejaht, als feststeht, daß die Bell, für die (unstreitig zu den Gewerbetreibenden gehörende) Kl. gewerbliche Er­ zeugnisse angefertigt haben, daß dies geschehen ist, indem sie die ihnen von der Kl. hierzu gelieferten „Einrichtungen", gleichviel ob man hiemnter nur Rohswffe oder schon Halbfabrikate zu verstehen hat, durch Be- oder Verarbeitung, „aus­ führten" (Nr. 2 des Vertrages), und endlich, daß es außerhalb der Arbeitsstätte der Kl. geschehen ist. Gleichviel vemeint das Berufungsgericht die Anwendbarkeit des § 5, inoem es annimmt, daß es an einem weiteren gemeinsamen Begriffs­ merkmale der Heimarbeiter und der Hausgewerbetreibende bei den Bell, fehle, nämlich an der „wirtschaftlichen Abhängigkeit", daß man es bei den Bell, vielmehr mit einem „wirtschaftlich unabhängigen Gewerbebetriebe" zu tun habe. Zugegeben ist, daß der § 5 für die von ihm bezeichneten Personen eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit voraussetzt. Das ist schon aus ihrer im Bereiche dieser Vorschrift erfolgten Gleichstellung mit den „Arbeitern" im Sinne der §§ 1 und 3 zu schließen. Aber die Merkmale dieser Abhängigkeit können eben auch nur dem § 5 entnommen werden. Sie bestehen darin, daß es sich handeln muß um Per­ sonen, die „für bestimmte Gewerbetreibende in der angegebenen Weise be­ schäftigt" sind, daß diese Beschäftigung auf die Bearbeitung oder Verarbeitung der von dem andern gelieferten Rohstoffe oder Halbfabrikate „beschränk" sein, und daß der andere dabei als der „Arbeitgeber" erscheinen muß. Legt man den hieraus sich ergebenden Maßstab an, so kann in den Erwägungen des Berufungsgerichts eine rechtlich ausreichende Begründung für die Ver­ neinung der Anwendbarkeit des § 5 nicht gefunden werden. Nicht ganz ohne Einfluß auf die Beurteilung, die das Berufungsgericht dem Verhältnisse hat zuteil werden lassen, war vielleicht schon der Umstand, daß, während das Gesetz von einer Beschäftigung „für" bestimmte Gewerbetreibende spricht, das Be-

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rufungsgericht fortgesetzt an die Stelle dieses „für" ein „von" oder „bei" treten äßt. Diese beiden Ausdrücke sind immerhin geeignet, den durch § 5 vorausgeetzten Tatbestand in einem etwas andem Lichte erscheinen zu lassen, vielleicht ogar der vorausgesetzten Abhängigkeit ein größeres Maß zu verleihen. Indes würde diesem Umstand allein ein entscheidendes Bedenken gegen das angefochtene Urteil nicht zu entnehmen sein, wenn die Ausführungen des Bemfungsgerichts im übrigen eine schlüssige Begründung für die Verneinung des erforderlichen Abhängigkeitsverhältnisses enthielten. Das ist aber ebenfalls nicht anzuerkennen. Zunächst ist nicht einzusehen, inwiefern hierfür die Tatsache rechtlich von Bedeutung sein sollte, daß das jetzige „Geschäft" der Bell., wie das Berufungsgericht annimmt, aus einer offenen Handelsgesellschaft entstanden ist, in der sie früher mit einem jetzigen Angestellten der Kl. vereint waren. Der § 5 legt den früheren geschäftlichen oder gewerblichen Verhältnissen der von ihm bezeichneten Per­ sonen keinerlei Einfluß auf die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage bei. Daß die Bell, früher ein völlig selbständiges Geschäft in einer offenen Handelsgesell­ schaft betrieben haben, schließt nicht aus, daß sie nach Auflösung dieser Gesellschaft, §leichviel aus welchem Grunde die Auflösung erfolgt sein mag, es vorgezogen aben, durch den Vertrag vom 6. Mai 1908 in ein wirtschaftlich abhängiges Ver­ hältnis zur Kl. zu treten, weil das ihnen vielleicht vorteilhaftere Aussichten zu eröffnen schien.

Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Bell. F. H., der sich in der früheren Klage bei dem GG. als Kaufmann bezeichnet habe, „der eigent­ liche Leiter des Unternehmens" sei, der „zur Leitung des technischen Betriebes in seinem Geschäfte" den im Urteile des GG. als Schneidermeister bezeichneten Mitbell. H. H. bemfen habe, hat die Revision prozessuale Angriffe gerichtet, auf die aber nicht eingegangen zu werden braucht. Die nach den Merkmalen des § o zu bestimmende Abhängigkeit, wenn sie an sich vorhanden ist, wird nicht dadurch beseitigt, daß der Betrieb einen so bedeutenden Umfang annimmt, daß es zweck­ mäßig erscheint, ihn kaufmännischer Leitung zu unterstellen, und ebensowenig dadurch, daß der Betrieb sogar für Rechnung und unter dem Namen eines Kauf­ manns oder einer sich als Kaufmann bezeichnenden Person stattfindet. Bei der Beratung des GGG. ist es zur Sprache gekommen (Kommissionsbericht a. a. £).), daß es Hausgewerbetreibende, insbesondere von der in § 5 Abs. 2 bezeichneten Art, gibt, die mit bis zu 60 bis 80 Gesellen arbeiten. Daß Hausgewerbetreibende, die die Rohstoffe oder Halbfabrikate selbst anschaffen (§ 5 Abs. 2), deren Betrieb also notwendig in der Weiterveräußerung der angeschafften Waren nach Beoder Verarbeitung besteht, zugleich Kaufleute sind, kann nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 des HGB. nicht zweifelhaft sein. Gleichwohl hat das Gesetz auch für sie die Zu­ ständigkeit des GG. nicht schlechthin ausgeschlossen. Es bemht hiernach auf einer rechtsirrigen Anschauung^ wenn das Berufungsgericht in der als festgestellt ange­ nommenen Kaufmannseigenschaft des Bell. F. H. „einen sehr erheblichen Gegen­ grund gegen die Unterstellung der Bell, unter den Begriff der Hausgewerbe­ treibenden im Sinne des § 5 erblickt. Inwieweit die persönliche Tätigkeit des F. H. für die Kl. von Wert war, ist für die hier in Frage stehende Beurteilung des Verhältnisses ebenfalls ohne rechtliche Bedeutung; ein Hausgewerbebetrieb des vorhin erwähnten größeren Umfangs verliert nicht dadurch den Charakter als Hausgewerbebetrieb, daß der Inhaber sich auf die Aussicht und Oberleitung oder auf die geschäftliche Seite des Betriebes (Buchführung, Abrechnung u. dgl.) be­ schränkt, bei der eigentlichen Herstellung der gewerblichen Erzeugnisse selbst aber nicht mit Hand anleat. Welche Folgerungen sich aus den erwähnten Feststellungen des Berufungsgerichts etwa für die Passivlegitimation des Mitbell. H. H. zu ergeben haben würden, ist int gegenwärtigen Abschnitte des Verfahrens, wo es sich nur um die Zuständigkeitsfrage handett, nicht zu erörtern. Baum, Bewerbegertchte.

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66 Aus dem Inhalte des Vertrages selbst schließt das Berufungsgericht, daß der mehr als den Bell, an dem Abschlüsse gelegen habe, die Bell, seien es gewesen, die ihre Bedingungen für den Abschluß stellten. Auch hierdurch wird aber die Abhängigleit im Sinne des § 5, die, wie die Revision mit Recht hervorhebt, erst durch den Vertragsabschluß entsteht, nicht ausgeschlossen. Selbst ein gewöhnlicher Fabrikarbeiter oder Geselle (§ 3) kann für besondere im Betrieb erforderliche Verrichtungen so ausnehmend geschickt sein, daß der Arbeitgeber Wert darauf legt und auch Besonderes dafür aufwendet, gerade ihn für seinen Betrieb zu gewinnen, ohne daß dadurch das Verhältnis aufhört, das gewerbliche Arbeitsverhältnis zu sein. Für das Bestehen jener Abhängigkeit spricht jedenfalls der Umstand, daß die Bell, für andere Konfektionsfirmen als die Kl. nach dem Vertrage (Nr. 1) Arbeit nicht übernehmen durften, daß sie also die Leistungsfähigkeit ihres Be­ triebes, abgesehen von der noch zu erwähnenden Arbeit für Privatkunden, aus­ schließlich in den Dienst der Kl. gestellt hatten. Bei der Annahme, von den Bekl. sei eine Verpflichtung zur Ausführung der ihnen von der Kl. zuzuteilenden Arbeits­ aufträge überhaupt nicht übemommen worden, läßt das Bemfungsgericht, wie die Revision mit Recht rügt, unter Verletzung des § 286 der ZPO. die Bestimmung Nr. 2 des Vertrages außer Betracht, wo jene Verpflichtung ausdrücklich ausge­ sprochen ist. Nicht dem Interesse der Bekl., sondern dem der Kl. soll es dienen, wenn unter Nr. 3 hinzugefügt ist, daß die Bekl. „verpflichtet seien", Einrichtungen, bei Eingang (d. h. sofort) abzulehnen, falls sie voraussichtlich die Lieferzeit nicht einhalten können. Bei der Herstellung der Erzeugnisse waren die Bekl. auch, was ebenfalls ein Anzeichen für die Abhängigkeit im Sinne des § 5 ist, an die Gestaltung der von der Kl. vorbereiteten „Einrichtungen" gebunden, wobei es nichts verschlägt, daß „kleine" Veränderungen an den Mustern dem H. H., in dessen besondere Sachkunde und Geschmack offenbar Vertrauen bestand, freigestellt blieben. In dem Vertrage (Nr. 5, 6) ist die gemeinsame Festsetzung der „Arbeitslöhne pro Piöce" auf einer näher angegebenen Grundlage vorbehalten. Der hier ange­ wendete Ausdmck „Arbeitslöhne" spricht sicherlich eher dafür als dagegen, daß die Vertragschließenden selbst in ein gewerbliches Arbeitsverhältnis, nicht in das Verhältnis eines freien Werkvertrags oder in ein anderes Bertragsverhältnis ähnlicher Art, zueinander zu treten glaubten und gewillt waren. Jedenfalls aber ergibt sich aus dem Umstande, daß der Stücklohn nicht ein für allemal von vomherein vereinbart, sondem späterer gemeinsamer Festsetzung „während der Muster­ zeit" überlassen worden ist nicht der zwingende Schluß gegen ein Verhältnis der in § 5 angegebenen Art. Gesetzlich (§105 der GO.) ist die Festsetzung des gewerb­ lichen Lohnes Gegenstand freier Übereinkunft der Beteiligten; ob diese im vorn-

hinein bei Antritt des Arbeitsverhältnisses oder erst später von Fall zu Fall erfolgt, ist für die rechtliche Natur des Verhältnisses ohne Bedeutung. Das Bemfungsgericht hat es endlich auch als nicht unerheblich bezeichnet, daß die Bekl. „in belebter Geschäftsgegend ein teures Geschäftslokal gemietet haben, also auch nach außen hin als Unternehmer, die auf Erwerb von Kunden ausgehen, auftreten". Auch hier bedarf es nicht des Eingehens auf den prozessualen Angriff, den die Revision gegen die in dieser Bemerkung enthaltene tatsächliche Feststellung gerichtet hat. Die festgestellte Tatsache würde in dem vertragsgemäß den Bekl. vorbehaltenen Weiterbetriebe des Privatkundengeschäfts hinreichende Erklämng finden, ohne daß daraus Schlüsse auf die rechtliche Natur ihres Verhältnisses zur Kl. zu ziehen wären. Haben die Bekl., des Kundengeschäfts halber, kost­ spielige Räume in belebter Geschäftsgegend gemietet, so versteht es sich schon aus Gründen der Sparsamkeit beinahe von selbst, daß sie diese Räume nach Möglich­ keit zugleich zu den Arbeiten für die Kl. benutzen; einen andem rechtlichen Cha­ rakter könnte dämm das Verhältnis zur Kl. nicht einnehmen.

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Zweifel werden aber in die Beurteilung allerdings durch den auf das Kundengeschätt bezüglichen Vorbehalt hineingetragen. Wenn ein und derselbe einheitliche Betrieb einem selbständigen Kundengeschäft und zugleich den Zwecken eines Hausgewerbebetriebs im Sinne des § 5 a. a. O. dient, so muß sich die rechtliche Charakterisierung des Ganzen nach demjenigen Betriebsteile richten, welcher nach Umfang, Ertrag und sonstigen für die wirtschaftliche Bedeutung maßgebenden Umständen der überwiegende ist. Kann festgestellt werden, daß das Kunden­ geschäft in diesem Sinne den Gesamtbetrieb der Bell, beherrscht hat, so wird auf diesen, als Ganzes betrachtet, also einschließlich des Verhältnisses zur Kl., der § 5 nicht anzuwenden sein. Klare und bestimmte Feststellungen hat aber das Be­ rufungsgericht in dieser Hinsicht nicht getroffen. Daß neben dem Kundengeschäft die Beschäftigung für die Kl. geringfügig gewesen und in den Hintergrund ge­ treten sein sollte, ist audi nicht recht wahrscheinlich, wenn man erwägt, daß die Kl. außer den eigentlichen „Arbeitslöhnen" (Nr. 5, 6 des Vertrages) dem Bell. F. H. noch eine jährliche „Extravergütung" von 4500 Mk. zu zahlen hatte (Nr. 7). Jeden­ falls bedarf es hiernach näherer Feststellungen in der erwähnten Richtung. Auf Gmnd dieser Feststellungen wird, unter Berücksichtigung des gesamten sonstigen Vertragsinhaltes, die Anwendbarkeit des § 5 des GGG. von neuem zu prüfen sein. Dabei wird gegebenenfalls auch in Betracht zu ziehen sein, welchen Charakter die erwähnte „Extravergütung" hat, ob sie etwa als ein Anstellungsverhältnis voraussetzendes Gehalt anzusehen ist, und was in diesem Falle sich bei Berück­ sichtigung des § 3 Abs. 2 a. a. O. für die Beurteilung ergibt.

108. (68.) Ist daS GG. zuständig für Hausgewerbetreibende, die für eine große Zahl von Geschäften arbeiten? Urteil des GG. Berlin, Kammer 1, vom 1. Juli 1901. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt.

109. (69.) Fahrrad-Industrie. Ist das GG. zuständig für Klagen wegen Bergebung einzelner Bestandteile an unabhängige Arbeiter?. Urteil des GG. Karlsruhe i. B.

Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. SP. 108.)

(Gewerbegericht Jg. 5 Nr.^5

HO. (70.) Selbständiger Gewerbetreibender oder Heimarbeiter bzw. Hausindustrieller? Wird die Zuständigkeit des GG. dadurch begründet, daß Kl. nur auf Bestellung arbeitet? Urteil des GG. Berlin, Kammer 8, vom 11. Dezember 1897. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 88.)

111. (71.) Statutarische Zuständigkeit des GG. für Hausgewerbetreibende, welche sich Rohstoffe und Halbfabrikate selbst beschaffen. Wird die Zuständigkeit ausgeschlossen, wenn der Heimarbeiter für mehrere Arbeitgeber arbeitet? Urteil des GG. zu Solingen vom 1. April 1897.

Das GG. hat sich für zuständig erllärt.

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112. (72.) Muß das ordentliche Gericht von Amts wegen prüfen, ob ein zuständiges GG. vorhanden ist? Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsenat, vom 24. September 1880.

Das Reichsgericht hat die Frage bejaht. (Entsch. des Reichsgerichts in Zivils. Bd. 2 S. 63.) 113. (73.) Ist der Einwand, daß ein Rechtsstreit vor die GG. gehöre, noch in zweiter Instanz zulässig?

a) Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 25. September 1901.l)

Die Frage ist verneint.

(Blätter f. Rechtspflege 1901, S. 106.)

b) Urteil des LandgerichtsRo stock vom 9. Mai 1902.

Die Frage ist verneint. c) Urteil des Landgerichts Beuthen (Ober-Schl.) vom 7. Mai 1901.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 28.)

d) Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsenat, vom 10. Juli 1903. Das Reichsgericht hält die Einrede in zweiter Instanz für noch zulässig. AusdenGründen: Die eingelegte Revision ist gemäß § 275 Abs. 2 und § 547 Nr. 1 der ZPO. zulässig. Der § 528 Abs. 1 der ZPO. stellt keine Prozeß­ voraussetzungen für die Einlegung der Revision fest. Seine Bestimmungen könnten äußerstenfalls, wenn die Revision im übrigen für begründet zu erachten wäre, dahin führen, das Berufungsurteil wegen der UnzMssigkeit der Erhebung der geltend gemachten Einrede in der Berufungsinstanz aufrecht zu erhalten, hindert aber die Einlegung der Revision in keiner Weise. Es kann aber auch nicht anerkannt werden, daß § 528 Ms. 1 der ZPO. vom Berufungsgerichte anzuwenden gewesen wäre. Es handelt sich im vorliegenden Falle weder um eine verzichtbare prozeß­ hindernde Einrede (§ 528 Abs. 1 Satz 1), noch liegt der Fall des Abs. 1 Satz 2 vor, denn ein solcher ist, wie in der Reichstagskommisswn, welche diese Gesetzesbestim­ mung eingeschaltet hat, ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. Kommissionsbericht zur Novelle der ZPO. zu § 40 S. 30; Hahn, Materialien Bd. VIII S. 285), nur dann gegeben, wenn die Einrede der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit vorliegt, nicht auch, wenn die sachliche Zuständigkeit oder die Zulässigkeit des ordent­ lichen Rechtsweges in Frage kommt. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 222.)

e) Urteil des Reichsgerichts, 1. Zivilsenat, vom 6. November 1909. Das Reichsgericht hat die Frage bejaht. Schon in der Entscheidung des dritten Senats vom 10. Juli 19032) wird darauf hingewiesen, daß bei der Beratung der Abänderung der ZPO. von 1898 in der Reichstagskommission ausdrücklich hervorgehoben sei, das Gesetz wolle nur die Einrede der örtlichen Zuständigkeit treffen (vgl. 1. Kommissionsbericht zu §40 S. 30; Hahn, Materialien Bd. 8 S. 285). Bon den Anhängern der Ansicht, § 528 erstrecke sich auch auf die sachliche Zuständigkeit, wird es abgelehnt, auf bte Äuße*) Vgl. Nr. 254. 2) Vgl. oben zu d.

rangen der Kommission, welche deren Rechtsaussassung klarstellten, Wert zu legen. Der Umstand, daß „ein Mgeordneter bei der Beratung das (Segenteil geäußert" habe, soll nicht ins Gewicht fallen, da dies eine ganz unmaßgebliche Privatmeinung fei. Es kann aber nicht anerkannt werden, daß dadurch der Vor­ gang in der Reichstagskommission ausreichend gewürdigt werde. Die streitige Brmchrift beruht auf einem Anträge, der in dieser Kommisiion gestellt wurde. Nach dem Kommissionsberichte a. a. O. „wandte ein Vertreter der verbündeten Regierungen gegen den Antrag ein, er durchbreche ohne ausreichenden Grand das Prinzip der ZPO., wonach in Fällen des ausschließlichen Gerichtsstandes die Unzuständigkeit ohne Rücksicht auf eine entsprechende Vereinbarung der Par­ teien in jedem Prozeßstadium von Amts wegen zu berücksichtigen sei, und ließe sich mit dem Zwecke, den das Gesetz mit der Bestimmung ausschließlicher Gerichts­ stände verfolge, nicht vereinigen". Darauf wurde „von verschiedenen Mitgliedern der Kommission erwidert: wenn die stritte Durchführung der grundlegenden Prinzipien der ZPO. in der Praxis zu erheblichen Unzuträglichkeiten führe, wie dies hier zutreffe, so dürfe man vor einer Durchbrechung der Prinzipien nicht zurückschrecken. Da der Antrag sich nur auf den örtlichen Gerichtsstand, nicht auch auf bte Fälle der ausschließlichen sachlichen Zuständigkeit beziehe, seien begründete Bedenkendagegennichtzuerhebe n." Demnächst wurde der Antrag, nach welchem die neue Bestimmung als Abs. 3 des § 40 ZPO. eingestellt werden sollte, von der Kommission in erster Lesung angenommen. In der zweiten Lesung beschloß die Kommission auf Vorschlag der Redaktionskommission, die Vorschrift dem § 490 Abs. 1 (jetzt § 528 Abi. 1) einzufüaen. Das Ergebnis ist auch bei den späteren Beschlußfassungen im Reichstage selbst festgehalten worden. Im ihm» blick auf diesen Hergang darf nicht von einer „ganz unmaßgeblichen Privat­ meinung" gesprochen werden. Die Reichstagskommission ist es gewesen, welche die erörterte Gesetzesvorschrift geschaffen hat. Die in der Kommission über die Tragweite der Vorschrift ohne Widersprach abgegebenen Erllärangen haben daher eine Bedeutung, die dem Werte der einem Gesetzentwürfe beigegebenen Begründung im wesenllichen gleich zu achten ist. Jene Erllärangen betrafen ein in der Entstehung begriffenes Gesetz, sie waren „Zeugnis über Geschehenes, nicht belanglose Reflexionen über Geschehenes" (vgl. Wach, Handbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts 22 Nr. IV 3, 4, S. 283/4); sie verdienen aus diesem Grande für die Emüttlung des Gesetzeswillens gebührende Beachtung. Wenn der Ein­ wand erhoben worden ist, der auf die örtliche Zuständigkeit sich beschränkende Gesetzeswille habe in der „allgemeinen Fassung des Gesetzes" keinen Ausdruck gefunden, so kann dem nicht beigepstichtet werden. Mit Recht wird u. a. von Seuffert (Kommentar z. ZPO., Anm. 3 zu § 528) betont, daß das Wort „Gerichtsstand" auf die örtliche Zuständigkeit hinweist. Ganz unhaltbar wäre es, aus dem Umstande, daß die neue Vorschrift nach der ursprünglichen Absicht der Kommission dem § 40 ZPO., in welchem der Ausdruck „Gerichtsstand" aus­ nahmsweise auch die sachliche Zuständigkeit begreift, angefügt werden sollte, einen Grand für den weiteren Sinn des § 528 Abs. 1 Satz 2 herleiten zu wollen. Es geht nicht an, auf unsichere Schlußfolgerung aus dieser von der Kommission selbst in der zweiten Lesung aufgegebenen Absicht mehr Gewicht zu legen, als auf die allem Mßverständmsse entzogenen ausdrücklichen Erllärangen der Kom­ mission. Finden sich hiernach Wme und Ausdruck des Gesetzes und Gesetzes­ urhebers im Einvange, so stellt sich § 528 Abs. 1 Satz 2 ZPO. als eine Rechtsnorm dar, welche nur die vom Berufungsgerichte seiner Entscheidung zugrunde gelegte Auslegung zuläßt. Im Hinblicke auf das gewonnene zweifelsfreie (Ägebnis bedarf es keiner Erörterung darüber, ob nicht auch die öffenlliche rechüiche Bedeutung der ausschließlichen sachlichen Zuständigkeit, namentlich in Ansehung der be»

70 sonderen Gerichte, dafür angerufen werden könnte, daß das Gesetz sich nur auf die örtliche Zuständigkeit erstrecke >). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 114.)

114. (74.) Wird durch die Abrede, daß das Arbeitsverhältnis nach Handelsrecht beurteilt werden soll, die Zuständigkeit des GG. beseitigt? Urteil des GG. Görlitz vom 11. April 1901.

Das GG. hat sich für zuständig erklärt.

115. Ist das ordentliche Gericht am Wohnsitze des Bekl. zuständig, wenn zwar für den Erfüllungsort, nicht aber für den Wohnsitz ein GG. besteht? Urteil des Landgerichts Ratibor vom 12. November 1904. Ein Steinsetzer klagt gegen seinen Meister 59,22 Mk. Restlohn vor dem Amtsgericht Gnadenseld ein, in dessen Bezirk der Bell, seine gewerbliche Niederlassung hat. Die Steinsetzarbeiten selbst sind aus der Chaussee bei Schoppinitz geleistet und an Ort und Stelle bezahlt. Schoppinitz liegt im Bezirk des GG. Beuthen-Kreis. Im Gerichtsbezirk Gnadenfew besteht kein GG. Das Amtsgericht hatte sich für zuständig erachtet. Das Landgericht ist dieser Ausfassung beigetreten.

AusdenGründen: Nach § 27 GGG. hat der Kl., der, wie hier, einen Anspruch der in §4 Nr. 2 a.a. O. bezeichneten Art geltend macht, die Wahl zwischen dem GG. des Erfüllungsorts, dem der gewerblichen Niederlassung des Arbeit­ gebers und dem des gemeinsamen Wohnsitzes der Parteien. Nach § 6 Abs. 1 a. a. O. wird durch die Zuständigkeit eines GG. die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen. Wenn die letztere Vorschrift so zu verstehen ist: „Durch die Zuständigkeit auchnureines GG.", so würde allerdings jedes GG., das nach § 27 Abs. 1 a. a. O. für den Rechtsstreit örllich zuständig wäre, die Zuständig­ keit der ordentlichen Gerichte allerorts ausschließen. In der Tat wird diese An­ sicht in der Literatur vertreten (Wilhelmi-Bewer, Gewerbegerichtsgesetz 2. Ausl. Sinnt. 3 zu § 6; Haas, Kommentar zum GGG., 2. Ausl. Sinnt. 1 zu § 6.) Das Gericht hält sie indessen nicht für zutreffend. Der jetzige § 27 lautete in der Fassung des Gesetzes vom 29. Juli 1890 als § 25 wie folgt:

„Zuständig ist dasjenige GG., in dessen Bezirk die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist."

Der Gesetzgeber wollte damit von mehreren in Betracht kommenden GG. dasjenige auswählen, das mit den für die Beurteilung des streitigen Arbeits­ verhältnisses maßgebenden örtlichen Zuständen am meisten vertraut sei, und wählte als solches das GG. im Gerichtsstände des Erfüllungsortes. Die Beschränkung auf einen einzelnen Gerichtsstand erwies sich indessen in der Praxis als ungeeig­ net. Deshalb ließ die Reichstagskommission von 1901 in der ersten Lesung zu­ nächst als weiteren Gerichtsstand den der gewerblichen Niederlassung zu. In der zweiten Lesung wurde endlich auch das GG., in dessen Bezirk beide Parteien thren Wohnsitz haben, für zuständig erllärt. In den Beratungen der Kommission wurde hierbei hervorgehoben, daß diese Bestimmung einem Mißstande abhelfen solle, „welcher namenütch für die Ziegeleiarbeiter in Lippe hervorgetreten sei. Diese gingen im Frühjahr über Sommer auswärts auf ihre Arbeitsstätten. Das ganze Arbeitsverhältnis finde dort seine Erfüllung; im Herbst kehrten sie in die Heimat zurück und rechneten nun erst miteinander ab, es entstünden alsdann mitunter Streitigkeiten aus den Arbeitsverträgen, eine Einreichung der Klage bei dem heimischen GG. sei indessen nicht mögltch, trotzdem Arbeitgeber und Ari) Ebenso OLG. Dresden 25. Okt. 1907, R. OLG. Bd. 27 Nr. 6°, LG. Beuthen 7. Mi 1901, Gewerbegericht Jg. 2, Sp. 28 (1. Aust. Nr. 71°).

§6 GGG.

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beiter denselben Wohnort hätten, weil aber die Zuständigkeit dieses GG. nicht gegeben wäre". iWilhelmi-Bewer Anm. 1 zu § 27.) Diese Begründung zeigt, daß man bei der Beratung des § 27 lediglich beabsichtigt hat, die Zahl der Ge­ richtsstände von GG. zu erhöhen, keineswegs ist aber die Tendenz erkennbar, beim Bestehen der M ö g l i ch k e i t, ein GG. anzugehen, die nach den Bestim­ mungen der ZPO. vorhandene Zuständigkeit eines ordentlichen Gericht aus­ zuschließen. Eine solche Tendenz würde mit der Absicht des Gesetzgebers, den Rechtsschutz des gewerblichen Arbeiters zu erleichtem und zu veremfachen, im Widerspruch stehen. Denn es käme z. B. für einen schlesischen Arbeiter, dessen Arbeitsverhältnis am Rhein am Sitze eines GG. bestanden hat, und der in sein Dorf zurückgekehrt ist, in dem auch sein Arbeitgeber — wohnt, und seine gewerb­ liche Niederlassung hat, ein GG. aber nicht besteht, einer Rechtsverweigerung gleich, wenn man ihn nötigen wollte, seine Klage bei dem rheinischen GG., statt bei dem ihm zunächst gelegenen Amtsgerichte anzubringen. Ebensowenig ist der Umstand beweisend, das in der Kommission das Bedenken angeregt worden ist, „die ordentlichen Gerichte müßten, wenn sie in einer gewerblichen Streitigkeit angegangen werden, von Amts wegen prüfen, ob nicht ein GG. örtlich zuständig sei; je mehr Gerichtsstände man für die GG. zulasse, um so schwieriger werde die Prüfung werden". Denn einen Ausdruck im Gesetze hat diese Äußemng nicht gefunden; sie läßt aber auch die Deutung zu, daß das Amtsgericht prüfen müsse, ob nicht das an seinem Amtssitz bestehende GG. entweder als Gericht des Erfüllungsortes, oder als das der gewerblichen Niederlassung des Arbeitgebers oder als das des Wohnsitzes beider Parteien zuständig sei. In diesem Sinne ist jene Äußemng zweifellos zuttesfend. — Endlich fällt ins Gewicht, daß § 6 Abs. 1 a. a. O. (als § 5) schon Bestandteil des Gesetzes vom 29. Juli 1890 gewesen ist, als § 25 (jetzt § 27) nur den Gerichtsstand des Erfüllungsortes zuließ. Es ist deshalb nicht angängig, den § 6 dahin zu interpretteren, daß die Zuständig­ keit der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen sei, sobald irgendwo für den streitigen Anspruch ein Gewerbegerichtsstand gemäß §27 begründet fei. Der §6 besagt vielmehr, nur daß a n d e m O r t e, wo ein zuständiges GG. bestehe, das ordent­ liche Gericht unzuständig sei. — Auch Zastrow (Gewerbegericht Bd. 7 S. 5) ist der Meinung, daß eine wörtliche Auffassung des § 6 a. a. O. (Zuständigkeit „eines" GG.) nicht geboten sei, und empfiehlt, den § 27 Abs. 2 a. a. O. so an­ zuwenden, als wenn er lautete: „Unter mehreren zuständigen Gewerbe- und ordentlichen Gerichten hat der Kl. die Wahl." (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 73.)

116. (75.) Tarif- und Schiedsvertrag. Kann vereinbart werden, daß an Stelle des GG. die Achtzehnerkommission des Verbandes der Berliner Baugeschäfte entscheiden soll? Urteil des GG. Charlottenburg vom 10.Oktober 1902.

Der Einwand des Schiedsgerichts ist verworfen.

117. Ist die Tarifüberwachungskommission ein Schiedsgericht? vor dem GG. geklagt werden, ehe sie angerltfen ist?

Kann

Urteil des GG. Augsburg vom 19.Mai 1909. Der Kl. verlangt mit seiner Klage vom BeN. Bezahlung rückständigen Lohnes im Betrag von 5,61 Mk. und stützt sich bei Berechnung dieses Lohnrückstandes ausdrücklich aus den für das Maler-, Anstreicher- und Lackierergewerbe geltenden Tarifvertrag. Der Bell, anerkennt diesen Tarifvertrag, bestreitet aber, daß das GG. zurzeit zuständig sei, da § 7 des Tarifvertrages zur Entscheidung von Memungsverschiedenheiten und zur Schlichtung von Differenzen, die sich aus der Anwendung des Tarifvertrages ergeben.

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eine Tarisüberwachungskommission eingesetzt habe. Der Kl. hat diese Kommission bisher nicht angerufen. Die Klage ist abgewiesen.

Aus den Gründen: Maßgebend für die Beurteilung ist die Bestim­ mung in §6 Abs. 2 GGG., wonach Schiedsverträge, durch welche die Zuständig­ keit der GG. für künftige Streitigkeiten ausgeschlossen wird, nur dann rechtswirksam sind, wenn nach dem Schiedsvertrage bei der Entscheidung von Streitigkeiten Arbeitgeber und Arbeiter unter einem Vorsitzenden mitzuwirken haben, welcher weder Arbeitgeber oder Angestellter eines beteiligten Arbeitgebers noch Arbeiter ist. Entspricht die in dem fraglichen Tarifvertrag eingesetzte Kommission diesen Erfordernissen, so ist der Einwand des Bell, berechtigt. Nun setzt sich diese Kommission aber bestimmungsgemäß zusammen aus der gleichen Zahl von Meistem und Gehilfen, dieausihrerMitte einen Meister zum Vorsitzenden wählen. Sie erfüllt also die Bedingungen der oben angeführten gesetzlichen Bestimmung nicht und ist daher zweifellos auch nicht in der Lage, die Zuständigkeit des GG. auszuschließen. Der Bell, hat nun den Einwand gebracht, das sei auch gar nicht beabsichtigt. Es müsse nur im Interesse der Aufrechterhaltung der tariflichen Bestimmungen darauf gedmngen werden, daß in erster Linie die im Tarif festgesetzte Instanz angemfen werde — gelinge es dieser nicht, die Streitigkeiten auszugleichen oder eine die Streitstelle befriedigende Entscheidung zu treffen, so stehe dem Kl. als­ dann jederzeit die Möglichkeit offen, das GG. anzumfen. Es werde also nicht die Zuständigkeit des GG. schlechthin, sondem nur im gegebenen Augenblick 6csiritten. Das GG. konnte mcht umhin, diesem Standpunkt beizutreten. Es ist m dem Tarifvertrag keine Bestimmung zu finden, die darauf schließen läßt, daß das GG. durch die Überwachungskommsssion ersetzt werden soll — es sollen nur die Streitstelle, in ihrem eigenen Interesse, veranlaßt werden, i n e r st e r Linie die Streitpunkte einem aus Fachgenossen gebildeten Forum vorzutragen. Das GG. steht auf dem Standpunkt, daß die auf tarifliche Regelung gerichtete Bewegung tunlichste Fördemng verdient und daß daher auch die GG. alles tun sollen, den bereits bestehenden Tarifverträgen Geltung zu verschaffen. Es konnte Diesen Standpunkt im vorliegenden Falle um so eher einnehmen, als dadurch dem Rechte des Kl. in keiner Weise Abbmch geschieht. Aus diesen Erwägungen heraus kam das GG. dazu, dem Einspmch des Bell, folgend seine Zuständigkeit im gegebenen Zeitpunkt zu ver­ neinen und die Klage daher als verfrüht abzuweisen. (Gewerbe- u. Kaufmanns­ gericht Jg. 15 Sp. 36.)

118. Kann die Lehrlingskommissio» der Deutschen Gesellschaft für Mechanik «nd Optik in GG.-Sachen als Schiedsgericht eingesetzt werden? Urteil des GG. für den Stadtbezirk Stettin vom 2. Oktober 1906. § 17 des geschlossenen Lehrvertrages lautet:

„Beide Parteien verpflichten sich, bei etwaigen aus dem Lehrverhältnis sich er­ gebenden Streitigkeiten die Kommission für das Lehrlingswesen anzumfen und sich der Entscheidung derselben zu unterwerfen. Für den Fall, daß an dem betreffenden Orte eine solche Kommission der Deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik nicht besteht, finden dieselben Bestimmungen wie bei §6a statt." Die vom Bell, hieraus hergeleitete Einrede der Unzuständigkeit des GG. ist verworfen. Aus den Gründen: Der geschlossene Schiedsvertrag entspricht dem § 6 GGG. nicht. § 9 der Bestimmungen über die Regelung des Lehrlingswesens bei den Mtgliedem der Deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik lautet:

§§ 6, 12 GGG.

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„Zur Durchführung vorstehender Bestimmungen wird möglichst in jedem Handwerkskammerbezirk eine Kontrollkommission aus zwei Mitgliedern der Gesellschaft, zwei Gehilfen und einem von diesen vier Mitgliedern zu wählenden Obmann eingesetzt. Wo ein Einigungsamt (§§ 14 bis 16 der Satzungen der D. G. f. M. u. O.) bereits besteht, übernimmt dieses die Funktionen der Kontrollkommission. Die Wahlen zur Kontrollkommission erfolgen unter sinngemäßer Anwendung des $ 15 der Satzungen und des § 95 a der GO. Sämtliche derartige Bczirkskontrollkommissionen haben über ihre Tätigkeit an eine vom Vorstande der Gesellschaft aus seinen Mitgliedern zu er­ wählende, aus drei Personen bestehende Hauptkontrollkommission zu berichten."

Diese Bestimmung und die sonst zitierten Vorschriften sehen nur vor, daß die vier Mitglieder der Kontrollkommission, d. h. zwei Arbeitgeber und zwei Arbeitnehmer, einen Obmann zu wählen haben. Sie enthalten aber nicht die Bestimmung, daß dieser Obmann weder Arbeitgeber noch Arbeiter sein dürfe. Durch den Schiedsvertrag wird deshalb die Zuständigkeit des GG. nicht ausgeschlossen. (Gewerbe- und Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 105.)

119. Hat ein GG.-Borfitzender, der als Magistratsasfeffor Besoldung erhält, aber aus dieser Dienststellung vor Ablaus seiner Wahlperiode ausscheidet, Anspruch auf weitere Tätigkeit als Borsitzender und auf Vergütung, bis die Wahlzeit abgelaufen ist? Urteil des Kammergerichts vom 19.April 1907 und des Reichsge­ richts vom 7. Januar 1908. Kl. ist bei der bell. Stadtgemeinde als juristischer Hilfsarbeiter mittels Privatdienst­ vertrages bei 300 Mk. Monatsdiäten und vierteljährlicher Kündigung angestellt und wenige Tage nach seinem Dienstantritt zum stellvertretenden Vorsitzenden des GG. gewählt worden. Ms solcher übte er den tatsächlichen Vorsitz regelmäßig aus, bis sein Dienst­ verhältnis nach etwa 1 Jahr infolge Kündigung seitens der bell. Stadtgemeinde endete. Gleichzeitig mit der Kündigung wurde ihm mitgeteilt, daß er zum Vorsitz nicht mehr werde herangezogen werden. Er verlangt mit der Klage Fortzahlung seiner Monatsdiäten bis zum Maus seiner Wahlperiode als GG.-Vorsitzender.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Kammeraericht nach Be­ weiserhebung darüber, zu welchem Anteil die Tätigkeit des Kl. auf den GG.Borsitz entfallen sei, ihm 100 Mk. Monatsdiäten für die Zeit bis zum Ablauf der dreijährigen Wahlperiode zugesprochen. Aus den Gründen des Kammergerichts : Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt wesentlich davon ab, welche rechtliche Stellung der Kl. der Bell, gegenüber erlangt hat. Trotz des Wortlauts des Privatdienstvertrages ist die tatsächlich dem Kl. übertragene Stellung nicht eine nur rein privatrechüiche. Der Kl. ist, soweit er die Funktionen des Vorsitzenden des GG. übertragen erhalten und übernommen hat, Gemeinde b e a m t e r der Bell, geworden. Wie die § 1,9, 11,12,17, 21, 22 des GGG. (in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Sep­ tember 1901) ergeben, ist die Stellung des Vorsitzenden dieser Gerichte die eines Gemeinde b e a m t e n. Die Gememden sind nach Maßgabe dieses Gesetzes verpflichtet, GG. zu errichten. Es ist dies seitens der Bell, auch zur Ausführung gebracht und das nach dem § 1 zu erlassende Statut ergangen und in Kraft gesetzt. Dieses Statut hat als Ausführungsverordnung gesetzlicher Vorschriften die Eigen­ schaft gesetzlicher Rechtsnormen (vgl. Amdt, Verordnungsrecht Seite 16 ff.). Nach dem § 7 des Statuts werden die Vorsitzenden des GG. und deren Stell­ vertreter vom Magistrat auf 3 Jahre gewählt. Der Kl. ist als stellvertretender Borsitzender dem Statut gemäß gewählt und vom Regierungspräsidenten be­ stätigt worden. Unstreitig endet seine Dienstzeit als Vorsitzender erst am 1. April 1908. Durch die Wahl des Kl. zum stellvertretenden Vorsitzenden und die regiemngsseitig erfolgte Bestätigung und durch die Annahme des Amtes seitens

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§ 12 GGG.

des Kl. ist dieser daher Beamter der Gemeinde geworden, und zwar für die Zeit bis zum 1. April 1908. Die in dem Privatdienstvertrag enthaltene Kündigungsllausel und die tatsächlich erfolgte Kündigung sind der A m t s st e l l u n g des Kl. gegenüber ohne Bedeutung. Die Normen über das Beamtenrecht bemhen auf öffentlichem zwingendem Recht; die Vereinbamng einer Kündigung steht mit den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften in Widerspruch und ist deshalb rechtsunwirksam. (Vgl. Entscheidung des Reichsgerichts in Zivilsachen 83b. 37 S.235.) Stand dem Kl. in seiner Stellung als Beamter der Bell, ein D i e n st e i n k o m m e n zu, so hat er dasselbe trotz der geschehenen Aufkündigung nicht verloren, daß, abgesehen von der Kündigung, das Amtsverhältnis des Kl. aus irgendeinem anderen gesetzlichen Grunde sein Ende erreicht habe, be­ hauptet die Bekl. nicht. Es wird demnach zu prüfen sein, ob der Kl. durch den mit der Bekl. ge­ schlossenen Vertrag einen Anspmch auf Diensteinkommen für seine richterliche

Amtsstellung erlangt hat. Denn eine gesetzliche Vorschrift, wonach mit der richterlichen Stellung des Vorsitzenden des GG. ein Anspmch auf Gehalt oder sonstiges Diensteinkommen begründet ist, besteht nicht. Das GGG. regelt die Entschädigung des Vorsitzenden nicht; es überläßt dies vielmehr der Bestimmung der betreffenden Gemeinden. Die Bekl. hat im Statut eine Vorschrift über diesen Punkt nicht getroffen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß — wenn die Stellung eines Beamten an sich auch eine öffentlich-rechtliche ist — mit dem Beamten

über das ihm für seine amtliche Tätigkeit zu gewährende Diensteinkommen ver­ tragliche Vereinbamngen mit privatrechtlicher Wirkung getroffen worden. Ob in dem Vertrage vom 2. Januar 1905 die Zusicherung eines Diensteinkommens für die richterliche Tätigkeit des Kl. enthalten ist, hängt davon ab, welche Be­ deutung der in §1 des Vertrages als Gegenstand der Parteivereinbarung an­ gegebenen „Beschäftigung als juristischen Hilfsarbeiter in der städtischen Ver­ waltung" beizulegen ist. — In tatsächlicher Beziehung ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, daß die von dem Bekl. übernommene Beschäftigung als juristischer Hilfsarbeiter nach dem beiderseitigen Willen der Par­ teien speziell auch die Tätigkeit des Vorsitzenden des GG. umfassen sollte und daß die Übertragung bzw. Übemahme dieser Tätigkeit in der „Beschäftigung des Kl. als juristischen Hilfsarbeiters" mit ausgedrückt sein sollte.

Es entsteht nun die weitere Frage: Ist das dem Kl. in §4 des Vertrages vom 2. Januar 1905 zugesicherte „Gehalt von 3600 Mk. jährlich, zahlbar monat­ lich nachher auch für die richterliche Tätigkeit des Kl. bewilligt? Die Bell, be­ streitet dies, während der Kl. es behauptet. Die Bell, meint, daß die richterliche Tätigkeit des Kl. nur eine Neben tätigtest von untergeordneter Bedeutung im Verhältnis zu seiner sonstigen Tätigkeit enthalte, und daß der Kl. für diese Tätig­ keit eine Gehaltsfordemng auch deshalb nicht erheben könne, well er einen Ans p r u ch auf Beschäftigung als Richter nicht habe. Diese Gründe sind jedoch nicht zutreffend. Die Tätigkeit des Kl. (ebenso wie die seines Vorgängers) im richterlichen Amt war keine unerhebliche, so daß sie als

Nebentätigkeit nicht angesehen werden kann. Aus der Beweisaufnahme läßt sich schließen, daß die richterliche Tätigkeit im Verhältnis zur Gesamttätigkeit

in der Tat ein Drittel betragen hat, also als eine nebensächliche Beschäftigung nicht angesehen werden kann. Daß der Kl. eine verhältnismäßig so umfangreiche Tätigkeit unentgelllich und ehrenamüich habe übemehmen wollen, dafür fehlt es an jedem Anhalt. Durch die Übemahme der richterlichen Ämter wurde er auf 3 Jahre, bis 1. April 1908, fest gebunden. Er ist verpflichtet, sein Amt während dieser Zeit zu wahren, und hat alle aus dem Amtsverhältnis folgende Verpflich­ tungen zu erfüllen. Dadurch, daß die Bell, ihn seit Ende März 1906 nicht mehr beschäftigt hat und ervärt hat, auch nicht zu beabsichtigen, ihn weiter zu beschäf-

Ligen, werden die aus dem Amt des Kl. sich ergebenden Pflichten an sich nicht beseitigt. Wenn nun auch, wie bereits oben bemerkt worden ist, die Parteien bei Abschluß ihrer Vereinbamng sich über deren rechtliche Bedeu­ tung nicht klar gewesen sein mögen, so kann doch darüber kein Zweifel bestehen, daß sie wußten, Kl. übernehme mit den richterlichen Funktionen eine Beamtenstellung auf die D a u e r v o n 3 I a h r e n. Das ergibt sich aus dem von der Bell, selbst entworfenen und demnächst in Kraft getretenen Statut. Danach ist die Annahme völlig ausgeschlossen, daß der Kl., indem er sich bezüglich seiner son­ stigen Tätigkeit einer dreimonatlichen Kündigung unterwarf, also gezwungen werden konnte, nach Ablauf von 3 Monaten insoweit seine Stellung aufzugeben, daneben unentgeltlich eine ihn auf 3 Jahre bindende Verpflichtung als Beamter hätte übernehmen wollen. Ob der erste und zweite Stellvertreter im Vorsitz des GG. Gehalt oder Entschädigung erhielten oper nicht, ist belang­ los; denn der Kl., der Gerichtsassessor ist, suchte offensichtlich eine Stellung, in der er sofort ein Einkommen erhielt — auf das er als Gerichtsassessor zunächst mit Sicherheit nicht rechnen konnte — und es ist kein Gmnd ersichtlich, toarunt e r eine unentgeltliche Tätigkeit hätte übernehmen sollen. Das Gericht ist aus Gmnd des Sachverhältnisses deshalb zu der Überzeugung gelangt, daß der Wille der Parteien bei der das Engagement des Kl. betreffenden Vereinbamng dahin ging, daß das dem Kl. bewilligte Gehalt von jährlich 3600 Mk. seine gesamte Tätigkeit abgelten sollte, und daß dabei nicht nur die Hilfstätigkeit im eigentlichen städtischen Verwaltungsdienst, sondem im besonderen zugleich diejenige im gewerbegerichtlichen honoriert werden sollte. Es ist anzunehmen, wenn dies auch nicht zum besonderen Ausdmck gebracht worden ist, daß die Par­ teien bei ihrer Vereinbamng davon ausgingen, daß auf die privatrechtliche und amüiche Tätigkeit dem Umfang derselben entsprechende Verhältnisbeträge zu berechnen seien, und daß man bei Bemessung des Umfanges die Lage der Sache zugmnde legte, wie sie um die Zeit der Vereinbamng gestaltet war. Es ist als Wüle der Parteien erwiesen zu erachten, daß die vom Kl. auszuübende richter­ liche Tätigkeit mit einem Drittel des Gehalts, d. h. mit 1200 Mk. jährlich, be­ soldet werden sollte. Wenn man aber selbst annehmen würde, daß der Wille der Parteien nicht ausdrücklich auf diesen Teilungs m a ß st a b gerichtet war, so würde man doch auf Gmnd richterlicher Erwägung zu demselben Resultat gelangen, da dann in Ermangelung einer besonderen Willenseimgung der Beteiligten der Umfang der Tätigkeit als naturgemäßer Maßstab zugmnde zu legen wäre. Die Bell, glaubt, schlechtweg jeder Zahlungspflicht enthoben zu sein, weil sie nach Beendigung des privatrechtlichen Dienstverhältnisses die richterliche Tätigkeit des Kl. nicht mehr in Anspmch genommen habe und nicht mehr in An­ spruch nehmen wolle, und weil der Kl. einen Anspruch auf die richterliche Tätigkeit nicht habe und Entschädigung für eine nicht ausgeübte Tätigkeit nicht verlangen könne. Es ist bereits ausgeführt worden, daß der Kl. nicht deshalb aufgehört hat und aufhört, Beamter zu sein, weil die Bell, amtliche Dienstleistun­ gen von ihm nicht fordert und fordern will. Das Gehalt steht aber dem Beamten auf Gmnd seines Beamtenverhältnisses zu; es ist begrifflich von einer Gegenleistung des Beamten unabhängig und die Fordemng auf das Gehalt ist nicht bedingt durch wirlliche Leistung der Dienste. (Vgl. Laband, Staatsrecht 3. Aufl. Bd. 1, S. 456; Entscheidung des Reichsgerichts vom 9. Juni 1898, Juristische Wochen­ schrift 1898 S. 468, Nr. 28.) Daß der Beamte einen Anspruch auf Dienst­ leistung nicht hat, ist zwar zutreffend, aber nach Vorstehendem belanglos. Der Kl. glaubt andererseits nicht bloß den dem Umfange seiner richterlichen Tätigkeit entsprechenden Teil des Jahresbetrages der 3600 Mk., sondem diesen Betrag ganz/fordem zu können. Er meint, daß die zwischen chm und der Bell, vereinbarte Vergütung, da er Beamteneigenschaft erlangt habe, ihm in vollem

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§12 GGG.

Umfange zustehe, weil diese vereinbarte Vergütung dem öffentlichen Zwange der Beamtenstellung unterliege und den Charakter der Mmentation habe, diese Mimentation aber in der getroffenen Vereinbarung und in der städtischen Etats» Position II Mgemeine Verwaltung, Titel 2, Nr. 1, wo sie auf 3600 Mk. festge­ setzt sei, ihre Stütze finde. Diese Begründung ist nicht haltbar. Sie übersieht die Hauptsache, daß der Kl. doppelte Funktionen zu übernehmen hatte, nämlich privatrechtliche Dienste und eine amlliche Tätigkeit, daß die ersteren Dienste den weitaus überwiegenden Teil seiner Beschäftigung bildeten uno die Bewilligung des „Gehalts" für beide Arten der Tätigkeiten, nicht aber für die amlliche allein erfolgt war, wie denn auch die Etatsposition in gleicher Weise das Ge­ halt nur für die Stelle eines juristischen Hilfsarbeiters — nicht aber für die des stellvertretenden Vorsitzenden des GG. — ausweist. Die An­ sicht des Kl., daß die Städte verpflichtet seien, ihren Beamten standesgemäßen Unterhalt zu gewähren und daß der Kl. auch deshalb das zugesicherte Gehalt in voller Höhe fordem dürfe, ist unzutreffend. Einen Grundsatz des vom Kl. an­ genommenen Inhalts kennen die Gesetze nicht; ein solcher Gmndsatz wird auch in der Praxis nicht durchgesührt; es gibt z. B. Beamtenstellungen, die völlig unbesoldet sind oder deren Einkommen mit dem Umfange der Dienstleistungen in keinem Verhältnis steht, solche, bei welchen die einzelnen Dienste honoriert werden, auch solche, bei denen die Entschädigung sich nach der Zahl der Tage der Dienstleistungen (Tagegelder) richtet, aber auch solche, bei denen das Gehalt das zum standesgemäßen Lebensunterhalt Nöllge überschreitet.

Danach kann der Kl. nur das für seine Amtsstellung vertraglich zugebilligte Gehalt, das, wie dargelegt, nach der der Bereinbamng der Parteien zu gebenden Auslegung auf ein Drittel des festgesetzten Betrages, nämlich auf 1200 Mk. für das Jahr, zu bemessen ist, fordem. Das Reichsgericht hat die Revision des Kl. zurückgewiesen und auf die An­ schlußrevision der Bell, das Kammergerichtsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Aus den Gründen des Reichsgerichts: Der vom 2.Januar 1905 datierte, als Privatdienstvertrag ausdrücllich benannte Vertrag, durch den der Magistrat der Bell, dem Kl. eine Beschäftigung als juristischer Hilfsarbeiter in der städllschen Verwaltung nach näherer Bestimmung durch den Oberbürger­ meister gegen ein Jahresgehalt von 3600 Mk. überträgt, enthält keine Bestimmung, die ihn dem Rahmen eines Priavtdienstvertrages entzieht, und den Vermerk, nach dem durch die Beschäftigung Beamteneigenschaft nicht erworben wird, oder den Vorbehalt, nach dem jedem Teil unter Einhaltung dreimonattger Kündigungsfrist die Kündigung des Vertrages freisteht, unwirksam macht. Die auf Gmnd der Wahl des Magistrats erfolgte Bestellung des Kl. zum dritten stell­ vertretenden Vorsitzenden un GG., welche kurz nach Abschluß jenes Vertrages sich vollzogen hat, ändert dessen Wirksamkeit nicht, wenn schon eine weitere Be­ soldung mit diesem Amt nicht verbunden ist. Richtig ist nach dem festgestellten Sachverhältnis zwar, daß der Vertrag, wenn er auch nicht die Grundlage des Beamtenverhältnisses, in das der Kl. durch die Wahl und ihre Beställgung auf die Dauer von drei Jahren eingetreten ist, in dem Sinn blldet, daß letzteres mit seiner Erlöschung hinfällt, doch Voraussetzung der Wahl und deren Annahme m dem Maße gewesen ist, daß ohne sein Dasem sowenig die Wahl wie ihre An­ nahme erfolgt sein würde. Allein diese Beziehung zwischen dem Privatdienst­ vertrag und dem Beamtenverhältnis vermag bei ihrer rein äußerlichen Natur die Rechtswirksamkeit der in ersterem getroffenen Bestimmungen nicht zu schmälem, und zwar dies auch nicht, twtzdem bei oem Vertragsabschluß, wie festgestellt, beiderseits die Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden ins Auge gefaßt war und Kl. sich zur Annahme der Wahl verbindlich gemacht hat. Daran ändert der

§§ 12, 23, 24 GGG.

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Umstand nichts, daß das nach dem Vertrage zu zahlende Gehalt mit Rücksicht darauf, daß für die Ausübung der amtlichen Tätigkeit in den Gerichten eine weitere Vergütung nicht ausaeworfen ist, entsprechend höher bemessen ward. Mag immerhin, tote das Berufungsgericht unterstellt, bei Abschluß des Berttages der Wlle der Parteien dahin gegangen sein, daß das Gehalt von 3600 Mk. des Kl. gesamte Tätigkeit abgelten und daß dabei nicht nur die Hilfstätigkeit im Ver­ waltungsdienst, sondem im besonderen zugleich die richterliche Tättgkeit hono­ riert werden solle, sowie weiter dahin, daß die letztere mit einem Drittel des Ge­ halts, also mit 1200 Mk., besoldet werden solle; entscheidend bleibt, daß der Wille tatsächlich in der Weise zur Ausführung gebracht ist, daß die Vergütung für die in dem Vertrage bezeichnete Beschäftigung des Kl-, d. h. das Prwatgehalt ent­ sprechend erhöht, für die richterliche Tättgkeit eine besondere Entschädigung nicht ausgesetzt ist. Der Kl. kann demnach nur durch Berufung auf den Dienstvertrag seinen Gehaltsanspruch rechtfertigen. Der Berttag hat infolge zulässiger Auf­ kündigung mit dem 31. März 1906 sein Ende gefunden. Der Klage auf Zahlung des Gehalts für die folgende Zeit fehlt mithin in ihrem vollen Umfang der Rechtsarund. Allerdings endigt die Auflösung des Dienstverttages das Beamtenver­ hältnis des Kl. nicht; dies aber ist um so weniger von Belang, weil Kl., abgesehen davon, daß ihm bei der Aufkündigung des BerKages seitens des Magistrats er­ öffnet ward, er werde zur Stellverttetung im Vorsitz vom 31. März 1906 ab nicht mehr herangezogen werden, bei Wegfall seiner privattechüichen Dienststellung zum Anspruch auf EnÜassung aus dem Amte seinerseits augenscheinlich berechttgt war. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 318.)

120. (76.) Kann ein Beisitzer auch wegen unentschuldigten Ausbleibens aus Plenar- und Ausschußsitzungen in Strafe genommen werden? Beschlüsse des GG. und des Landgerichts Frankfurt a.M.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 2 Zp. 44.)

121. War das Gericht vorschriftsmäßig besetzt, wenn statutengemäß vier Beisitzer einzuladen sind, aber nur zwei an der Entscheidung teil­ genommen haben? Urteil des Landgerichts Köln vom 23.Februar 1906.

Der Einwand der unvorschriftsmäßigen Besetzung des KG. Mühlheint ist zurückgewiesen. Aus den Gründen: Was den vom Kl. erhobenen Einwand betrifft, das KG. sei in dem Verhandlungstermin vom 2. Okwber 1905, der zum Er­ lasse des angegriffenen Urteils geführt, nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, insofern, als oas Gericht anstatt in der Besetzung von fünf Mtgliedem, einschlreßlich des Vorsitzenden, in der Besetzung von drei Mtgliedem mit Einschluß des Vorsitzenden verhandelt und entschieden habe, so ist diesbezüglich auf folgendes hinzuweisen: Das KGG. hat bezüglich der Besetzung der KG. keine direkte Bestimmung getroffen. Es findet nach §15 Abs. 2 des Gesetzes der § 24 des GGG. „sinngemäße" Anwendung. In letzterer Gesetzesbestimmung ist nun als die Regel aufgestellt, daß das Gehicht in der Besetzung von drei Mtgliedem mit Anschluß des Vorsitzenden verstandelt und entscheidet. Nach §24 Abs.2 kann aber durch Ortsstatut bezimmt werden, daß allgemein oder für gewisse Streitigkeiten eine größere Anlahl von Beisitzern zuzuziehen ist. Im vorliegenden Falle bestimmt nun in wört­ licher Übereinstimmung mit §29 des vom Minister für Handel und Gewerbe

78

§§ 24, 26 GGG.

aufgestellten Musterstatutes der §29 des Ortsstatutes für die Stadt Mühlheim a.RH. betr. das GK. zu Mühlheim a. Rh. in Abs. 1: „Für jede Spruchsitzung des KG. sind vier Beisitzer, zwei Kaufleute und zwei Handlungsgehilfen, ein« z u l a d e n." Ms. 2 des Statutes lautet: „Zur Beschlußfassung g e n ü g t die Anwesenheit des Vorsitzenden und zweier Beisitzer, von denen der eine Kauf­ mann, der andere Handlungsgehilfe ist." Abs. 3: Wenn drei Beisitzer erscheinen, wird der eine der doppelt besetzten Klasse entlassen. Hiernach ist in dem Orts« statut nicht vorgeschrieben, daß das KG. in Mühlheim nur in der Besetzung von fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden verhandeln und entscheiden soll. In Abs. 1 § 29 des Statuts ist nur bestimmt, daß für jede Spmchsitzung

vier Beisitzer „einzuladen" sind. Gemäß der amtlich erteilten Aus­ kunft des Vorsitzenden des KG. in Mühlheim a. Rh. werden nun gmndsätzlich und tatsächlich zu jeder Spmchsitzung des Gerichtes vier Beisitzer zugezogen, so daß in der Regel das KG. in der Besetzung von fünf Mtgliedem einschlieHich des Vorsitzenden verhandelt und entscheidet. Nur wenn ein Beisitzer ausbleibt, wird nach Auskunft der genannten Stelle gemäß Abs. 3 des § 29 des Ortsstatuts „der eine der doppelt besetzten Klasse entlassen", und findet in diesem statutarisch vorgesehenen Falle die Spmchsitzung in der Besetzung von drei Mtgliedem mit Einschluß des Vorsitzenden statt. Der letztere Fall stellt sich somit gegenüber der durch die erwähnte Auskunft festgestellten Regel bei dem KG. in Mühlheim a.Rh. als Ausnahmefall dar. Es kann auf diese Weise sich nun allerdings ereignen, daß das KG. in der einen Spmchsitzung in der Besetzung von fünf, in der a n d e r n in einer solchen von drei Mtgliedem einschließlich des Vorsitzenden verhandelt und entscheidet. Zweifellos liegt hier eine gewisse Willkür vor, die durch Zufälligkeit, nämlich das Nichterscheinen eines der zur Spmchsitzung geladenen Beisitzer, hervorgemfen wird. Dieser an sich nicht wünschenswerte Zustand kann jedoch gegenüber der int Gesetze für die Gerichtsbesetzung aufgestellten „Regel" n i ch t als ein unbedingt ungesetzlicher bezeichnet werden. Auch enthält das Statut, indem es keine bindenden Regeln für die Besetzung des KG. aufstellt, deshalb noch keine Ungesetzmäßigkeit. Die Kommentare zum Gesetz betr. KG. bzw. zum GGG. bezeichnen auch sämtlich die Bestimmung in Abs. 3 des § 29 des Ortsstatutes und die hiernach befolgte Übung des Vorsitzenden des KG. in Mülheim am Rhein als z u l ä s s i g und mit dem Gesetze vereinbar. In diesem Sinne sprechen sich von Schulz S. 138, Menzinger-Prenner S. 61, Wilhelmi-Bewer in Anm. 8 und 10 zu § 24 GGG. dahin aus: „Sollen auf Gmnd des Statuts mehr als zwei Beisitzer zugezogen werden, ist jedoch im Statut außerdem die z u l ä s s i g e Bestimmung getroffen, daß auch beim Erscheinen einer geringeren Anzahl verhandelt und entschieden werden kann, so ist zur Herstellung der Gleichheit beider Teile Vorkehmng zu treffen, daß der stärker besetzte Teil der Beisitzer bis zur Zahl der geringer besetzten vermindert wird. Vgl. auch Cuno, GGG. S. 114, Kulka, KGG. S. 60. Dem von Cuno (§ 24 Anm. 3) gemachten Vorschläge entsprechend, wird beim Aus« bleiben eines Beisitzers die Gleichheit der beiden Beisitzerkategorien bei dem KG. in Mülheim a. Rhein gemäß dessen mehrbezogener Auskunft in der Weise ge­ schaffen, daß der jüngste Beisitzer der stärker besetzten Klasse vom Gerichts­ vorsitzenden enüassen wird. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 11 Sp. 288.)

122. (77.) Kann für den minderjährigen Sohn von dem Baier eine wirk­ same Prozeßvollmacht erteilt werden? Beschluß des Landgerichts Dresden.

Die Frage ist bejaht.

§27 GGG.

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128. (78.) Ist der Gerichtsstand der Niederlassung gegenüber einem Karmsselbesitzer begründet, der sich am Sitze deS GG. nur wahrend der Dauer einer Messe aushült?

Urteil des GG. Karlsruhe vom 31. Oktober 1902.

Das GG. hat sich für örtlich unzuständig erklärt. 124. Ist für die Klage des Matrosen gegen den Schiffer das GG. örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Schiff zur Zeit der Entlassung lag? Urteil des GG. Mannheim vom 16. Dezember 1907. Der Bell, ist Kapitän des Schisses „Gloria patriae". Der Heimathafen des Schisses ist Zundors bei Köln; ebendort ist der Wohnsitz des Bell. Der Kl. ist im Juli 1907 als Matrose in Mannheim eingestellt und am 11. d. Mts., ebenfalls in Mannheim, kündigungs­ los wieder entlassen worden. Er verlangt unter Jnanspmchnahme 14tägiger Kündigung Entschädigung in Höhe von 66 Mk. Der Bell, hat die Unzuständigkeit des Mannheimer GG. geltend gemacht.

Das Gericht hat sich für unzuständig erklärt. AusdenGründen: Ob auch für Streitigkeiten zwischen Schiffer und Matrose der Gerichtsstand des Heimathafens (§ 6 des BSG.) gegeben ist — eine umstrittene Frage (vgl. den Komm, zum GGG. von Wilhelnn-Bewer Note 4 zu § 27 GGG.) —, kann vorliegenden Falles unerörtert bleiben, da das Schiff seinen Heimathafen außerhalb des GG.-Bezirks Mannheim hat. Es kommt somit in Ansehung der örtlichen Zuständigkeit des GG. Mannheim nur der § 27 GGG. in Betracht. Von den drei Zuständigkeitsmöglichkeiten dieses Paragraphen fallen die beiden letztgenannten weg, da weder der Wohnsitz, noch eine gewerbliche Niederlassung des Bell, im GG.-Bezirke Mannheim sich befindet. Es kann sich also nur fragen, ob die streitige Verpflichtung in Mannheim zu erfüllen ist. Eingeklagt ist ein Geldanspruch. Er­ füllungsort für denselben ist nach § 269 Abs. 1 in Verbindung mit § 270 Abs. 4 BGB. der Ort, wo der Bekl. zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz gehabt hat; E r f ü l l u n g s o r t für den Klageanspruch i st a l s o ZundorfbeiKöln. Es entfällt mithin auch die letzte Möglichkeit der Zu­ ständigkeit des GG. Mannheim. Man kann nicht einwenden, daß sich ein von dem angegebenen gesetzlichen Erfüllungsort abweichender aus der Natur der Sache etwa ergebe; denn es läßt sich zwar sagen, daß, solange das Dienstverhältnis zwischen den beiden Parteien tatsächlich bestand, das Schiff der natürliche Erfüllungsort für beide Teile gewesen ist; mit dem Augenblicke aber, in welchem das Dienstverhältnis durch die Entlassung sein tatsächliches Ende erreicht hat, ist auch dieser etwa zu konstruierende Erfüllungsort in Wegfall gekommen, so daß er zur Zeit der Klageerhebung (vgl. den Wortlaut des § 27 GGG.: „ die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist") nicht mehr in Betracht kommen konnte. Übrigens wäre der Konstmktion dieses Erfüllungsortes weiterhin entgegenzu­ halten, daß das Schiff seiner Zweckbestimmung nach ständig den Aufenthaltsort wechseln muß; würde man also aus der Tatsache, daß das Schiff natürlicher Erfüllungsort sei, die örlliche Zuständigkeit im Sinne des § 27 GGG. folgern wollen, so wäre die Konsequenz die, daß schließliche jedes am Rhein gelegene GG., dessen Bezirk von dem Schiffe auf seinen Fahrten gestreift würde, für Klagen der Matrosen gegen den Schiffer zuständig werden könnte. Daß dies eine absolut unannehmbare Konsequenz ist, bedarf keiner Erläutemng. — Bemerkt sei noch, daß die Entscheidung nicht anders hätte lauten können, wenn die Klage nicht auf Geldzahlung oder nur in zweiter Linie auf Geldzahlung, in erster Linie aber auf Weiterbeschäftigung erhoben worden wäre, — die Frage, ob ein solcher Anspruch

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§27 GGG.

materiell-rechtlich lonstruierbar wäre, außer Betracht gelassen —. Der Erfüllungs­ ort für die streitige Verpflichtung wäre in diesem Falle zwar ohne weiteres das Schiss gewesen; aber nach dem oben Angeführten hätte sich daraus die Zuständigkeit eines bestimmten GG. eben nicht herleiten fassen1). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 SP. 129.)

125. Welches Gericht ist zuständig, wenn eS zwar für den Ort der Handels­ niederlassung des Arbeitgebers, nicht aber für den Ort des Gewerbe­ betriebes ein GG. gibt? Urteil des Landgerichts Leipzig vom 19. November 1905. Der Kl. war im Steinbmch der Bell, zu B. im Bezirke des Amtsgerichts Grimma als Steinmetz beschäftigt. Er wurde entlassen und klagte auf Lohn für die Kündigungsfrist. Das Amtsgericht Grimma, in dessen gesamtem Sprengel es kein GG. gibt, erklärte sich für unzuständig. Die Sache gehöre vor das GG. zu Leipzig. Der Kl. focht das Urteil an.

Das LG. Leipzig hob das Urteil des Amtsgerichts Grimma auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück. Aus den Gründen: Die Bell., die ihre kaufmännische Niederlassung in Leipzig hat, betreibt einen Steinbmch in B., in welchem der Kl. bis 1. August 1905 beschäftigt war. Sie unterhält ein Kontor im Steinbmch und beschäftigt in diesem eine Anzahl Arbeiter, denen der Lohn an Ort und Stelle ausgezahlt wird. Der Kl. wohnt in B. Der Kl. behauptet, die Arbeiter würden jeweus nicht in Leipzig, sondem am Steinbmch angenommen, im dortigen Kontor würden die Lohnlisten und Listen zur Versichemng geführt, die technischen Maßarbeiten besorgt und die Maßwerkzeuge aufbewahrt. Die Bekl. bemerkt, das Kontor in B. sei nur eine Werkzeugbude, die zugleich zur Lohnauszahlung diene. Auch wenn man mit der Darstellung der Bekl. davon ausgeht, daß sie in B. keine gewerbliche Mederlassung hat, die einen Gerichtsstand dort nach § 21 ZPO. begründet, mutz nach ihrer Darstellung B. als aus der Natur des Schuldverhält­ nisses hervoraehender Leistungsort für den streitigen Lohnanspmch angesehen werden. Datz der Kl. die ihm vertraglich obliegenden Leistungen am Ort seiner Arbeitsbeschäftigung auszuführen hat, ist von der Bekl. nicht in Abrede gestellt. Die chr aus dem Vertrag zur Last fallenden Pflichten erschöpfen sich aber nicht in der Lohnzahlung, sondem enthalten weiter noch Obliegenheiten, die sie lediglich in B. erfüllen kann. Dort hat sie die Arbeiten zu überwachen und abzunehmen, dort die Unfallverhütungsvorschriften zu erfüllen (§§ 1,112 GUVG.). Am Arbeits­ ort allein läßt sich der Umfang der Beschäftigung der Arbeiter feststellen und die Verteilung der Arbeit vomehmen, es ist maßgebend für die durch die Bell, zu vermittelnden Versichemngsansprüche des Kl. (§§ 4, 5a, 16, 59 KVG., § 41 Abs. 3 JVG ). Ist aber so der Kreis der beiderseitigen Rechte und Pflichten nicht im Gebiet der eigenllichen kaufmännischen Leitung des Untemehmens befindlich, so kann der Ort der kaufmännischen Niederlassung nicht bestimmend sein für den Sitz des gewerblichen Arbeitsverhältnisses, für die aus diesem sich ergebenden Vertrags­ beziehungen ist dämm B. Erfüllungsort. Beim Amtsgericht G. ist deshalb ein Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO. gegeben. — Der Ansicht des ersten Richters, daß, wenn auch für den Bezirk des Erfüllungsorts kein GG. errichtet ist, die Zu­ ständigkeit des ordenüichen Gerichts um deswillen ausgeschlossen ist, weil auch in L. ein Gerichtsstand nach § 21 ZPO. gegeben ist und dort ein GG. besteht, kann nicht beigetreten werden. Sie wird zwar von Kommentatoren des GGG. vertreten (Wilhelmi-Berger . stand bei dem Bell, bis zum 11. Juni 1902 als Maschinist mit 30 Mk. die Woche in Arbeit. Durch Urteil v o m 26. I u n i wurde Bekl. verurteilt, dem Kl. ein Zeugnis innerhalb 3 Tagen bei Meldung einer an den Kl. zu zahlenden Entschädigung von 50 Mk. auszustellen. Die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil wurde vom Landgericht auf Antrag der Bekl. eingestellt, da dieser Bemsung eingelegt hatte. Die Bemsung mußte Bekl. jedoch zurücknehmen, da der Streitwert auf 50 Mk. festgesetzt wurde, und wurde sie vom Landgericht am 15. O k t o b e r in die Kosten der Berufung verurteilt. Kl. »er­ langte nunmehr von der Bekl. ein Zeugnis, gemäß dem Urteil des GG., welches er auch im Dezember erhielt. Hierauf beauftragte er einen Gerichtsvollzieher mit der Voll­ streckung wegen der 50 Mk. Entschädigung. Dieser weigerte sich zu vollstrecken, da die Angelegenheit durch die Ausstellung des Zeugnisses erledigt sei. Kl. hat daraufhin beim GG. eine neue Klage auf 50 Mk. Schadenersatz eingereicht, mit der Begründung, daß ihm die frühere Zwangsvollstreckung gegen Bell, durch die vom Landgericht angeordnete Einstellung der Zwangsvollstreckung unmöglich gemacht sei und er durch diese Verzögerung und die vielen Gänge zu den Gerichten einen erheblichen Schaden gehabt habe. Bell, beantragt Abweisung, da durch die Ausstellung des Zeug­ nisses das Verfahren erledigt sei.

Bell, ist vemrteikt.

Aus den Gründen: Durch das Urteil des GG. vom 26.Juni v.I. war Bell, vemrteilt, dem Kl. ein Zeugnis auszustellen oder, wenn dies nicht innerhalb 3 Tagen geschehen sein sollte, dem Kl. 50 Mk. Entschädigung zu zahlen. Danach war Bell, innerhalb der ersten drei Tage nur zur Ausstellung des Zeug­ nisses von da an nach Wahl des Kl. zur Ausstellung des Zeugnisses, oder zur Zahlung von 50 Mk. Entschädigung verpflichtet, wenn auch die erstere Verpflich­ tung gemäß § 51 Abs. 2 des GGG. nicht mehr im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß §§887, 888 ZPO. durchzusetzen war. Nachdem Kl. auch noch bis zuletzt die Ausstellung des Zeugnisses verlangt und diese durch Bell, erfolgt ist, finb alle Ansprüche des Kl. aus dem Urteü vom 26. Juni v. I. erledigt, da Bekl. den von ihm gemäß seinem Wahlrecht ausgewählten Anspruch befriedigt hat. Es bleibt aber die Frage zu prüfen, ob nicht dem Kl. die Möglichkeit ge­ geben ist, noch einen neuen selbstänoigen Entschädigungsanspruch geltend zu

§§ 52, 54 GGG.

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machen. Dies mußte unbedingt bejaht werden. Die Bestimmung des § 51 des GGG. hat nur den Sinn, dem Kl., der auf Ausstellung des Zeugnisses keinen Wert legt, die Notwendigkeit einer zweiten Klage zu ersparen. Fällt die Vor­ aussetzung, daß die Ausstellung des Zeugnisses nicht erreicht werden kann, weg, so fällt auch der an die Stelle dieser Handlung tretende Schadenersatz, und es liegt gerade so, wie wenn von vomherein die Bell, lediglich zur Ausstellung des Zeugnisses vemrteilt wäre. In diesem Fall würde nicht bestritten werden können, daß der Kl. einen Anspruch auf Schadenersatz wegen nicht rechtzeitiger Ausstellung des Zeugnisses hat. Erscheint sonach eine Schadenersatzklage des Kl. Mässig, so war dieselbe auch des weiteren für begründet zu erachten. Bell, hat gegen das Urteil, das bei einem Streitwert von 50 M. der Berufung nicht unterlag, Berufung einge­ legt und die Einstellung der Zwangsvollstreckung erwirkt. Da diese Einstellung unzMssig war, ist der dem Kl. durch die nicht rechtzeitige Ausstellung erwachsene Schaden durch Verschulden der Bell, entstanden, diese somit für denselben haft­ bar. Zudem hat Bell, das Zeugnis auch noch nicht nach Aufhebung dieses Be­ schlusses ausgestellt, sondern erst zwei Monate später auf weitere Mahnung hin. (Gewerbegencht Jg. 9 Sp. 197.)

147. (87.) Kann dem obsiegenden Arbeiter die Entschädigung für die Zeitversäumnis vor Gericht zugesprochen werden, obwohl ihm nach BGB. § 616 der Lohn nicht gekürzt werden darf? Urteil des GG. Charlottenburg vom 9.März 1900.

Die Entschädigung ist zugesprochen.

(Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 152.)

148. Kann das GG. im ersten Termine ohne Beisitzer entscheiden, wenn eine Beweisaufnahme stattgefunden hat? Urteil des Landgerichts Kiel vom 2.November 1903.

Auf die Berufung des Kl. ist das Urteil des GG. Kiel aufgehoben. AusdenGründen:Jnder Verhandlung vom 27. Mai 1903 hat der Vorsitzende des GG. ohne Zuziehung von Beisitzem nach streitiger Verhandlung einen Beweisbeschluß erlassen, dann den Zeugen vernommen und das Urteil gefällt. Dies widerspricht der Vorschrift des § 54 Abs. 4 des GGG. vom 29. Juli 1890. Danach kann die Entscheidung ohne Zuziehung von Beisitzern nur erlassen werden, wenn sie sofort erfolgen kann und beide Parteien sie beantragen. Ist aber eine Beweisaufnahme erforderlich, so muß hierzu stets ein neuer Termin, zu welchem Beisitzer zuzuziehen sind, angesetzt werden. Vorliegend ist auch nicht einmal ersichtlich, daß die Parteien mit der Entscheidung ohne Zuziehung von Beisitzem einverstanden waren. — Diese Ordnungswidrigkeit des erstinstanz­ lichen Verfahrens verletzt Vorschriften, welche im öffentlichen Interesse erlassen sind und auf welche die Parteien nicht wirksam verzichten können. Ihre Be­ folgung ist auch in der Bemfungsinstanz von Amts wegen zu beachten. Da die gesamte Verhandlung und Entscheidung erster Instanz durch diese Ordnungs­ widrigkeit beeinflußt wird, so ist es für angemessen erachtet, ohne Eingehen auf den sachlichen Streit der Parteien gemäß §539 ZPO., soweit das Urteil an­ gefochten ist, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, wie oben geschehen, an das GG. zurückzuverweisen *). (Gewerbe- u. Kaufmanns­ ger. Jg. 11 Sp. 241.) *) Ebenso LG. Kiel v. 14. Dezember 1895 (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 8).

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§ 55 GGG.

149. (88.) Ist die Berufung zulässig, wenn bei unechter Streitgenossenschast, bei Zusammenrechnung der Einzelansprüche sich ein Gesamt­ objekt von über 100 Mk. ergibt, Berufung aber nur seitens einzelner Streitgenossen «nd nur wegen eines Objektes von unter 100 Mk. ein­ gelegt ist? Urteil desLandgerichtsIBerlin,8. Zivilkammer, vom 19. Juni 1900.

Die Berufung ist als unzulässig verworfen worden. 150. (89.) Ist Berufung zulässig, wenn der Streitwert von mehr als 100 Mk. durch Verbindung mehrerer Prozesse hergestellt war? a) Urteil des Landgerichts I Berlin, 8.Zivilkammer, vom 28. Dezember 1894.

Die Berufung ist für zulässig erachtet. S. 15.)

(Blätter für Rechtspflege 1895

b) Urteil des Landgerichts Kiel vom 14.Dezember 1895.

Die Berufung ist für zulässig erachtet.

(Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 8.) **)

c) Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. Oktober 1897.

Die Berufung wurde als unzulässig verworfen. SP. 46.)

(Gewerbegericht Jg. 3

d) Urteil der 8.Zivilkammer des Kgl. Landgerichts I Berlin vom 11. Oktober 1901.

Die Berufung ist als unzulässig verworfen.2) e) Urteil des Landgerichts München I, als Bemfungsinstanz, über das Urteil des GG. München vom 26. April 1899.

Die Berufung ist als unzulässig verworfen. (Gewerbegericht. Jg. 5 Sp. 54.) 151. Ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung der jeweilige Befchwerdegegenstand oder der gesamte Streitgegenstand maßgebend? Urteil des Landgerichts Beuthen O.-S. vom 3.Mai 1909. Kl. hat vor dem KG. Klage aus einem ihm angeblich in Höhe von 1300 Mk. zu­ stehenden Anspruch erhoben, einen Klageantrag aber zunächst nur in Höhe von 300 Mk. gestellt. Der Bell, hat Abweisung wegen Unzuständigkeit des KG. beantragt. Das KG. hat durch Zwischenurteil gemäß § 275 ZPO. die Einrede der Unzuständigkeit zurück­ gewiesen. Im nächsten Termin vor dem KG. hat Kl. den Klageantrag in Höhe von 1300 Mk. gestellt, der BeN. Abweisung beantragt. Unterdessen hatte der Bekl. gegen das Zwischenurteil Berufung eingelegt, welche vor dem Landgericht erst nach der münd­ lichen Verhandlung des KG., in der der Klageantrag erweitert worden war, verhandelt wurde.

Das Landgericht hat die Berufung für zulässig erachtet. Aus den Gründen: Maßgebend ist nicht der Wert des Beschwerdegegenstandes, sondern der des Streitgegenstandes. Es wird deshalb allgemein und mit Recht angenommen, daß, wenn beispielsweise über einen Klageantrag *) Ebenso LG. Mainz v. 30. Dez. 1904 (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 218). *) Ebenso LG. München v. 26. April 1899 (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 54).

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von 1000 Mk. ein Teilurteil in Höhe von 100 Mk. ergeht, hiergegen Bemfung zulässig ist. Anders liegt aber der vorliegende Fall auch nicht, da das Zwischenurteil bei der gegenwärtigen Prozeßlage nur über einen Teil des Llnspmches entscheidet. Selbswerständlich erledigt das Urteil des Berufungsgerichts (welches die Klage wegen Unzuständigkeit des KG. abweist) auch nur den Anspruch m Höhe von 300 Mk. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 372.)

152. Ist Berufung zulässig, wenn der Streitwert zur Zett der Slageerhebung mehr, zur Zelt des Urtettserlaffes weniger als 100 Mk. betriP? Urteil des Kgl. Landgerichts Köln, 5.Zivilkammer, vom 17. Februar 1904 *). Die Berufung ist als unzulässig verworfen.

Aus den Gründen: Wenn bei der Prüfung der Zulässigkeit der Be­ rufung für die Wertberechnung der Zeitpunkt der Klageerhebung in Betracht käme, so wäre es in jedem Falle der Parteiwillkür überlassen, sich durch einen Klageantrag von mehr als 100 Mk. das Rechtsmittel der Bemfung zu sichern; die Bemfung müßte als zulässig erachtet werden, auch wenn das Urten über einen Betrag unter 100 Mk. lautet. Eine Parteiwillkür wollte aber der Gesetzgeber offenbar ausschließen, wenn er die ZMssigkeit der Bemfung von einer bestimmten Höhe des Streitgegenstandes abhängig machte. Andererseits müßte, wollte man den Zeitpunkt der Klageerhebung als für die Wertberechnung maßgebend an­ sehen, in dem Falle, wo ein ursprünglicher Klageantrag unter 100 Mk. im Laufe des Rechtsstreites auf 100 Mk. erhöht, und ein Urteil über den erhöhten Betrag erlassen würde, der Bemfung die Zulässigkeit versagt werden. Dieser Widerspruch läßt sich nur dann beseitigen, wenn man der auch in der Literatur- (vgl. bes. Franz Burchardt, Die Rechtsverhältnisse der gewerblichen Arbeiter S. 99) vertretenen Ansicht beitritt, daß es auf den Wert des Streitgegenstandes zur Zeit der Urteilsfällung ankommt. Demnach war, nachdem im vorliegenden Falle der Kl. seinen ursprünglichen Klageantrag von 120 Mk. im Laufe des Rechtsstreites auf 90 Mk. ermäßigt hat und über diesen Betrag das Urteil erlassen ist, wie ge­ schehen, die Bemfung als unzulässig zu verwerfen. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 257.)

153. Ist bei Prüfung der Zulässigkeit der Berufung ein Betrag mitzmechnen, welchen der Bett, sofort anerkannt hat, wegen dessen aber kein besonderes Anerkenntnisnrteil ergangen ist? Urteil des LG. zu Köln vom 19. Januar 1909. Das LG. hat die von der Bell, eingelegte Bemfung als unzulässig verworfen. AusdenGründen: Nach dem Inhalt der Akten hat die Bell, aner­ kannt, daß sie dem Kl. das Gehalt bis zum 25. November 1908 bezahlen müsse, und zwar bedingungslos. So steht in dem Sitzungsprotokolle vom 27. November 1908: „Die Bell, erkennt das Gehalt bis zum 25. November 1908 an". Ebenso heißt es im Tatbestand des angefochtenen Urteils: „Daß die Bell, auch vor Er­ hebung der Klage chre Zahlungspflicht dem Kl. gegenüber anerkannt hat, geht aus ihrer, von ihr zu den Men gegebenen Unterredung mit dem Kl. vom 25. Nov. 1908 hervor, wenn es dort am Schlusie heißt: „Auf seine (des Kl.) Frage, ob er denn kein Gehalt haben sollte, antwortete ich: Ja bis heute." Bon irgendeiner *) Ebenso LG. Cöln (Gewerbegericht Jg. 12 Sp. 127); LG. Kiel (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 140); LG. Duisburg (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 165). — Vgl. auch Nr. 265.

Baum, «»werbe,«richt«.

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§ 55 GGG.

Bedingung ist nirgends die Rede. Die Klage des Kl. bezieht sich auf das Gehalt für November und Dezember 1908 mit je 200 Mk. Da die Bell, wie ausgeführt, ihre Pflicht zur Zahlung des Gehalts bis zum 25. November 1908 anerkannt hat, so war streitig zwischen den Parteien lediglich das Gehalt vom 26. November bis 31. Dezember 1908, also ein Betrag von weniger als 300 Mk. Hinsichtlich des anerkannten Betrages hätte das KG. auf Antrag sofort Anerkenntnisurteil ergehen lassen können. Daß dies nicht geschehen, vielmehr in einem Urtelle über den ganzen Klageanspruch entschieden worden ist, kann die Tatsache nicht ändem, daß die Verurteilung zur Zahlung des Gehalts bie zum 25. November 1908 lediglich auf Grund des Anerkenntnisses der Bekl. erfolgte, wies dies unzweideutig aus den Gründen des Urteils hervorgeht. War aber der Betrag, über den die Parteien stritten, weniger wie 300 Mn, so ist die Bemfung gegen das Urteil des KG. nach § 16 MG. unzulässig. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 345.)

154. (90.) Ist die Beschwerde gegen ein Kostenurteil zulässig, wenn ein in der Hauptsache ergehendes Urteil unanfechtbar sein würde? Urteil des Reichsgerichts, 5. Zivilsenat, vom 31. März 1900.

Die Beschwerde ist als unzulässig verworfen. Bezirk des Kammergerichts 1900 S. 37).

(Blätter für Rechtspflege im

155. Ist Beschwerde gegen einen Beschluß des KG. zulässig, der die Berpflichtung der unterliegenden Partei zur Erstattung der Kosten des gegnerischen Prozeßbevollmächtigten verneint? Beschluß des Landgerichts Kassel vom 20. September 1909.

Die Beschwerde ist als unzulässig verworfen. AusdenGründen: In einem an dem KG. Kassel anhängig gewesenen Rechtsstreite war die Bekl. (Auwmatengesellschaft) durch den Beschwerdeführer als Prozeßbevollmächttgten vertreten. Nachdem die Klage auf Kosten des Kl. abgewiesen worden und die Rechtskraft des Urteils eingetreten ist, hat der Be­ schwerdeführer beim KG. den Antrag gestellt, die der Bekl. für ihre Vertretung erwachsenen, vom Kl. zu erstattenden Kosten auf 70,40 Mk. festzusetzen. Das KG. hat diesen Antrag abgelehnt mit der Begründung, daß im vorliegenden Falle be­ sondere Umstände nicht vorhanden seien, die die Zuziehung eines Prozeßbevoll­ mächtigten erfordert hätten, daß daher die durch die Zuziehung entstandenen Kosten gemäß § 52 GGG. von der unterliegenden Partei nicht erstattet zn werden brauchten. Gegen diese am 21. August 1909 zugestellte Entscheidung hat der

Beschwerdeführer durch Einreichung eines Schriftsatzes beim KG. — dort ein­ gegangen am 23. August 1909 — eine näher begründete sofortige Beschwerde eingelegt. Die an sich form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Nach § 16 KGG. finden auf das Verfahren vor den KG. die §§ 26—61 GGG. entsprechende Anwendung. § 55 Abs. 1 Satz 3 dieses Gesetzes erklärt „Entschei­ dungen über die Festsetzung der Kosten einschließlich der gemäß § 52 GGG. er­ gangenen" für unanfechtbar. Gemäß § 52 a. a. O. sind nun die der obsiegenden Partei durch die Zuziehung eines Prozeßbevollmächttgten entstandenen Aus­ lagen nur unter der Voraussetzung zu erstatten, daß die Zuziehung durch besondere Umstände gerechtfezttgt war, und nur in Ansehung des Bettages, welchen das Gettcht für angemessen erachtet. Eine „Entscheidung über die Festsetzung der Kosten gemäß § 52" liegt also nicht nur dann vor, wenn über die Höhe der zu erstattenden Kosten entschieden wird, sondern auch dann, wenn das Gericht auf

§55 GGG.

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Grund des § 52 a. a. O. die Erstattungspflicht der unterliegenden Partei vemeint. Dies ist im vorliegendenFall geschehen. Die angegriffene Entscheioung unterliegt daher nicht der Anfechtung durch ein Rechtsmittel. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 93.)

156. Kann durch Erhöhung des Streitgegenstandes in der Berufungs­ instanz das Urteil berufungssähig gemacht werden? Urteil des Landgerichts Stettin vom 8. Juni 1909. Die Bemfung gegen das Urteil des GG. Stettin ist als unzulässig verworfen. AusdenGründen: Wie der Tatbestand des Urteils des GG. ergibt, hat der Kl. „zunächst das Gehalt pro Februar 1909 mit 40 Mk. eingellagt". Der Wert des Streitgegenstandes beträgt demnach weniger denn 100 Mk. Der Kl. hat zwar in seinem Berusungsantraae seinen Klageanspruch auf 120 Mk. erhöht, indes erscheint es nicht statthaft, durch nachträgliche Erhöhung der Klagesorderung die Zulässigkeit des. Rechtsmittels der Bemfung zu erwirken. (Gewerbe» u.

Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 13.)

157. (91.) Hat das Berufungsgericht die Wertfestsetzung des GG. nach» znprüfen? a) Zwischenurteil des Landgerichts Kiel vom 4. Januar 1900.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 159.)

b) Urteil des LandgerichtsFrankfurta. M.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 124.)

c) Urteil des Landgerichts Berlin I, Zivilkammer 8. Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 124.)x)

158. (92.) Ist gegen die durch das GG. erfolgte Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes Beschwerde zulässig? Wert des Streitgegen­ standes bei Streitigkeiten über Arbeitszeugnifse. a) Beschluß der 5. Zivilkammer des Kgl. LandgerichtsDresden vom 17. Februar 1897.

Das GG. Dresden hatte den Wert des Streitgegenstandes aus unter 100 Mk. angenommen. Auf Beschwerde setzt das Landgericht den Streitwert auf 120 Mk. fest. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 57.)

d) Beschluß des Landgerichts I Berlin, 8. Zivilkammer.

Die Beschwerde ist als unzulässig verworfen (abweichend von vorstehender Entscheidung). (Gewerbegericht Jg. 3, Sp. 9.)

159. Darf das Berufungsgericht vor Einlegung der Berufung einem Anträge ans Festsetzung des Streitwertes stattgeben? Beschluß des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 4. Januar 1908.

Das GG. hat seine Entscheidung über den Klageanspruch und über die Kosten des Rechtsstreits für rechtskräftig erklärt und in Begründung auf den § 55 GGG. hingex) Ebenso LG. Kiel v. 4. Januar 1900 (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 159); LG. Frankfurt a. M. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 124).

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wiesen, wonach die Berufung gegen Urteile der GG. nur zulässig ist, wenn der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von 100 Mk. übersteigt. Die Bell, haben demgegen­ über in ihrer Eingabe vom 18. November 1907 erklärt, daß sie „gegen die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes auf 100 Mk." „das Rechtsmittel der Beschwerde" ein­ legen. Darauf hat das Kgl. LG. I in Berlin durch Beschluß den Wert des Streitgegen­ standes „zum Zwecke der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung gemäß §§ 535, 3 ZPO." auf 200 Mk. festgelegt. Hiergegen hat der Kl. „weitere Beschwerde" mit dem Anträge eingelegt, den Beschluß auf Kosten der Bekl. aufzuheben.

Der Beschwerde ist stattgegeben. Aus den Gründen: Gegenüber der in einem Endurteil getroffenen Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes war eine Beschwerde nicht zulässig, mag damit die Herbeiführung einer anderen Gmndlage für die Ent­ scheidung über die Zulässigkeit der Bemfung oder die Schaffung eines anderen Maßstabes für die Kostenberechnung bezweckt gewesen sein, da weder die Voraus­ setzungen des § 567 ZPO. noch diejenigen des § 16 Abs. 2 des GKG. gegeben waren. Das Landgericht hat diesem Umstande Rechnung getragen, indem es die Eingabe der Bekl. nicht als Beschwerde, sondern als selbständigen Antrag auf Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes behandelt und demgemäß diesen Wert, ohne auf die Entscheidung des GG. Bezug zu nehmen, festgesetzt hat. Auch für diese Entscheidung fehlt es jedoch an einer Grundlage im Gesetz. An dem Beschlusse des LG. ist unter Bezugnahme auf § 535 ZPO. gesagt, daß die Fest­ setzung zum Zwecke der Entscheidung über die Zulässigkeit der Bemfung er­ folge. Die Frage aber, ob die Bemfung zulässig ist, ist gemäß § 535 ZPO. nach Einlegung der Berufung vom Berufungsgericht zu prüfen, das demgemäß entweder die Bemfung als unzulässig zu verwerfen oder — im Falle der Zulässigkeit — sachlich über sie zu entscheiden hat. Beide Entschei­ dungen erfolgen durch Urteil, und lediglich in den Gründen dieses Urteils ist der Wert des Streitgegenstandes, soweit die Zulässigkeit der Bemfung von seiner Höhe abhängig ist, festzustellen. Eine Vorentscheidung über den Wert des Streit­ gegenstandes „zum Zwecke der Entscheidung über die Zulässigkeit der Bemfung" durch das Gericht, das nach Einlegung der Bemfung über diese zu befinden hätte, kennt die ZPO. so wenig wie eine Vorentscheidung über die sonstigen Voraus­ setzungen für die Statthaftigkeit der Bemfung. Durch Beschluß ist überhaupt nur dann die Frage, ob der Wert des Streitgegenstandes die für die Zulässigkeit der Bemfung erforderliche Höhe erreicht, zu entscheiden, wenn es sich dämm handelt, ob eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des GG. vom Gerichts­ schreiber mit Recht erteilt oder verweigert worden ist. Um einen solchen Fall aber handelt es sich hier nicht. Wenn die Bekl. die in der Sache selbst gegen sie ergangene Entscheidung des GG. anfechten wollen, so ist der ihnen hierfür vom Gesetz gegebene Weg die Einlegung der Bemfung gegen das Urteil, über deren Zulässigkeit das Berufungsgericht ohne Rücksicht aus den — im Gesetz nicht begründeten und deshalb rechtlich bedeutungslosen — Ausspmch des gewerbegörichtlichen Urteils, daß seine Entscheidung rechtskräftig sei, zu entscheiden hat. Dagegen ist gegenüber einem solchen Ausspmch weder eine Beschwerde noch ein Antrag auf Festsetzung des Streitwerts zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Bemfung gegeben. Auch wenn von dem, nicht ausgesprochenen, Zweck der Eingabe der Bell., eine Entscheidung über das Vorliegen einer der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Bemfung herbeizuführen und demgemäß von dem Zusatz »zum Zwecke der Entscheidung über die Zulässigkeit der Bemfung" in dem Be­ schluß des Landgerichts abgesehen wird, findet dieser Beschluß int Gesetz keine Stütze. Denn nach dem in diesem Fall in Betracht kommenden § 16 GKG. hätte die Festsetzung des Streitwertes — ihre Zuläfsigkeit neben dem Urteil vom 16. Nov.

1907 vorausgesetzt — durch das Gericht erster Instanz zu erfolgen.

Daß eine „Beschwerde" auch vom Gesichtspunkte der Kostenberechnung unzulässig sein.

§§ 55, 56 GGG.

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würde, ist bereits oben ausgesprochen. Unter diesen Umständen war der angefoch­ tene Beschluß des Landgerichts aufzuheben und die „Beschwerde" der Bell, vom 18. November 1907 als unzulässig zu verwerfen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 SP. 130.)

160. (93.) Wird die Berufungsfrist durch die im Parteibetrieb geschehene Zustellung deS Urteils in Lauf gesetzt? Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. Mai 1896.

Die Frage ist verneint.

161. Ast das KG. oder das Amtsgericht Bollstreckungsgericht? Beschluß des Landgerichts Danzig vom 21. März 1906.

Das Amtsgericht hat dem Antrag des Gläubigers auf Erlaß eines Pfändungs­ und llberweisungsbeschlusses auf Grund eines Urteils des Danziger KG. zurück­ gewiesen. Es erachtet sich für den Erlaß des beantragten Beschlusses für nicht zu­ ständig und hält das KG. für die dafür zuständige Behörde. Auf die sofortige Beschwerde des Gl. ist das Amtsgericht für zuständig erllärt. AusdenGründen: § 56 GGG. bestimmt, daß bezüglich der Zwangsvollstreckung die Vorschriften des achten Buches der ZPO. Anwendung finden sollen. Es fragt sich, ob damit lediglich zum Ausdmck gebracht ist, daß die KG. bzw. GG. als Vollstreckungsgerichte die Bestimmungen der ZPO. in Anwendung zu bringen haben, oder ob jene Bestimmung dahin aufzufassen ist, daß die Volkstreckung der Urteile ganz nach den Vorschriften der ZPO. stattzufinden hat und daß mithin gemäß § 764,828 der ZPO. die Amtsgerichtes Bollstreckungs­ gerichte zu fungieren haben. Das Beschwerdegericht hat nicht verkannt, daß nach dem Wortlaut des GGG. manches für die oben wiedergegebene Auffassung des Amtsgerichts spricht. In gleicher Weise wie im § 56 ist das Verfahren vor den Sonder gerichten ander­ weit auch in der Weise erfolgt, daß lediglich die Bestimmungen der ZPO. für anwendbar erllärt sind. Gegen die Richtigkeit der amtsgerichtlichen Auslegung des § 56 cit. lex sprechen jedoch die Motive zu jenem Gesetz, der Umstand, daß nach § 1 des Gesetzes über die KG. diese Sondergerichte nur zur Entscheidung von Streitigkeiten geschaffen sind und schließlich auch die Erwägung, daß die Sondergerichte lediglich Kollegial -Gerichte sind. In den Motiven heißt es: „Das Verfahren bet der Vollstreckung selbst folgt lediglich den für die gerichtliche Zwangsvollstreckung geltenden Grundsätzen. Eine genügende Veranlassung, dieselben anderen als den hiernach zuständigen Behörden zu übertragen, liegt nicht vor. Als Bollstreckungsgericht im Sinne des § 764 der ZPO. ist daher nicht das GG., sondem oas Amtsgericht zuständig." Ein Hauptpunkt der Einrichtung der Sondergerichte ist die Beschleunigung der Realisierung der vor ihr Forum gehörigen Ansprüche. Zur Erreichung dieses Zweckes ist das Verfahren von ihnen in Abweichung von den amtsgerichtlichen Berfahrungsvorschriften geregelt. Wollte man die Zwangsvollstreckunasvorschriften der ZPO. unverändert auf eine etwaige Zwangsvollstreckungstätiakeit der Sondergerichte übertragen, dann würde dies nicht eine Beschleunigung, sondern geradezu eine Verlangsamung des Vollstreckungsverfahrens bedeuten. Das aus Einzelrichtem bestehende Amts­ gericht ist in der Lage, die Vollstreckungsanträge schleuniger zu erledigen, als die nur an bestimmten Sitzungstagen zusammentretenden Kollegial-Soiwergerichte. — Nach alledem muß das A m t s g e r i ch t für den von dem Beschwerdeführer gestellten Vollstreckungsantrag für zuständig erachtet werden, weshalb, tote ge­ schehen, zu beschließen war. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 261.)

102

§§ 57, 58, 61 GGG.

162. (94.) Kann das Amtsgericht in dringenden Fällen eine einstweilige Verfügung erlassen, wenn für die Hauptsache das GS. zuständig ist? Einstwellige Verfügung des Kgl. Amtsgerichts Plettenberg vom 22. November 1900. Das Amtsgericht hat sich für zuständig erklärt. Sp. 161.)

(Gewerbegericht Jg. 7

163. (95.) Sind GG.-Urteile auch für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nur auf „Feststellung" lauten? Entscheidung des GG. Leipzig vom 30. September 1898. Der Antrag, das Urteil für vollstreckbar zu erklären, wurde abgelehnt. werbegericht Jg. 4 Sp. 73.)

(Ge­

164. (96.) Sind die in gewerbegerichtlichen Streitigkeiten dem ersuchten Gericht entstandenen Schrei-gebühren zu erstatten? Beschluß des Landgerichts Guben.

Die Frage ist verneint.

165. Findet die zwischen den einzelnen Bundesstaaten abgeschlossene Vereinbarung über die Nichterstattung von Rechtshilfekosten auch auf die GG. Anwendung? Beschluß desOberlandesgerichtsNaumburg a.S. vom 29. Mai 1907.

Die Frage ist bejaht. Aus den Gründen: Von dem GG. in Hamburg ist das Amtsgericht in Halle a. S. um Rechtshilfe, bestehend in der Vernehmung von Zeugen, ersucht worden. Die Zeugen sind vernommen. Durch die geleistete Rechtshilfe sind an Schreibgebühren und Portoauslagen 1 Mk., an Zeugengebühren 4,30 Mk. Aus­ lagen entstanden. Durch Beschluß des Amtsgerichts in Halle a. S. sind diese 5,30 Mk. dem GG. in Hamburg in Rechnung gestellt. Aus eine Erinnerung des GG. in Hamburg sind durch Beschluß des Amtsgerichts in Halle a. S. vom 26. April 1907 von diesen 5,30 Mk. 1 Mk. Schreibgebühren und Portoauslagen nieder­ geschlagen, die Erinnerung gegen den Ansatz der 4,30 Mk. Zeugengebühren ist zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtete sich die vorliegende Beschwerde. Das angerufene Oberlandesgericht in Naumburg a. S. ist zur Entscheidung zu­ ständig, weil es sich um eine Beschwerde wegen Ablehnung eines Rechtshilfe­ ersuchens handelt und das ersuchte Gericht, das Amtsgericht in Halle a. S., tnt Bezirk des Oberlandesgerichts in Naumburg a. S. liegt. Gemäß der zwischen den Regierungen sämtlicher Bundesstaaten getroffenen Bereinbamng, J.-M.-Bl. 1904 S. 255,256 (vgl. auch Delius Handbuch des Rechtshilseverfahrens 2. Ausl. S. 169, 170) sind mit Ausnahme der baren Auslagen, die ourch eine Ablieferung oder Strafvollstreckung entstehen, bare Auslagen, die durch Erledigung des Ersuchens um Rechtshilfe erwachsen, nicht zu erstatten. Das vom GG. m Hamburg an das Amtsgericht in Halle a. S. gerichtete Ersuchen hatte daher die kostenfreie Erledigung des ^suchens zum Inhalte. Wenn demnächst das ersuchte Gericht die Kostentra­ gung seinerseits verweigerte, so lag und liegt darin die Ablehnung des Ersuchens, Wender Ausdruck „Ablehnung" nach dem Wortlaut der Motive zu § 160 des GVG.

§61 GGG.

103

auch den Fall umfaßt, wenn über die Ausführung des Ersuchens Streit entsteht, da lebe dem Ersuchen nicht völlig entsprechende Ausführung eine teilweise Wlehnung enthält (vgl. Entsch. des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 24 S. 2). — Was die Gründe des ablehnenden Beschlusses des Amtsgerichts in Halle a. S. an­ langt, so war ihnen nicht beizutreten. Die Vereinbamng der Bundesstaaten bezieht sich Allerdings nur auf staalliche Behörden. Das GG. in Hamburg ist aber eine staalliche Behörde. Nach der übereinstimmenden Ansicht der Literatur sind GG. staalliche Behörden (vgl. Gewerbegerichtsgesetz Mugdan u. Cuno S. 60; Haas 2. Aufl. S. 17, 116; Schier S. XIV, S. 26, 27 und die in Gewerbe- u. Kaufmannsger. Ja. 12 Nr. 5 S. 102 angeführten: Wilhelmi-Bewer Gewerbegerichtsaesetz § 1 Anm., Leidig S. 349, Ledermann Städteordnung § 561S. 216). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 63.)

166. Sind die im Rechtshilfeverkehr erwachsenen Kosten dem Amts­ gericht auch dann z« erstatten, wenn beide Gerichte demselben Bundes­ staate angehören? Entscheidung des OberlandesgerichtsDarmstadt, 1. Zivilsenat, vom 1. Mai 1908. Ein hessisches Amtsgericht forderte von dem KG. Mainz den Ersatz der durch Er­ ledigung eines Ersuchens dieses Gerichts erwachsenen Zeugengebühren, Porti und Schreib­ gebühren im Betrage von 6,25 Mk. Das KG. Mainz führte, nachdem das Amtsgericht es abgelehnt hatte, vom Ersatz der berechneten Kosten abzusehen, gemäß § 160 GBG. bei dem Großh. OLG. Darmstadt Beschwerde.

Das Oberlandesgericht entschied, daß die Schreibgebühren nicht, Zeugen­ gebühren und Portt dagegen zu erstatten seien. Aus den Gründen: Bezüglich der Schreibgebühren ist nach der be­ stimmten Vorschrift des § 58 Ms. 5 des GGG. eine Unterscheidung zwischen Schreibgebühren, die beim KG. selbst und solchen, die bei einem ersuchten Gericht entstanden sind, nicht zu machen sei, ihr Ersatz kann also nicht gefordert werden. Zeugengebühren und Porti gehören zu denjenigen Auslagen, welche nach § 58 Abs. 5 GGG. (§ 79 Ziff. 2 und 4 KGG.) die KG. von den Zahlungspflichtigen zu erheben haben. Es unterliegt also zunächst keinem Zweifel, daß keinessculs die zahlungspflichtige Partei von Zahlung dieser Auslagen befreit ist und daß das KG. dieselben von ihr zu erheben hat. Fraglich ist aber, ob diese Auslagen, wenn sie im Falle der Rechtshilfe bei einem hessischen Amtsgericht entstanden sind, in die Kommunalkasse (§ 8 KGG.) oder in die Staatskasse zu fließen haben. Die an sich notwendige Regelung dieser Frage ist weder im Reichsgesetz, noch in landes­ rechtlichen Gesetzes- oder Ausführungsbestimmungen enthalten. Der § 165 GVG. kann keine Anwendung finden, da es sich um Gerichte desselben Bundesstaates handelt (auch die KG. sind zweifellos Staatsgerichte). Aus demselben Gmnd hat auch die Vereinbamng der Bundesstaaten vom 24. Oktober 1904 (bzw. neuer­ dings vom 1. Aprll 1907, s. Abl. 19/04 und 5/07), auf welche sich die in der Be­ schwerde angezogene Entscheidung des OLG. Naumburg vom 29. Mai 1907 s. Gewerbe- u. Kaufmannsger. 1907 Nr. 3) und die Abhandlung des Amts­ richters Boysen daselbst stützen, hier außer Betracht zu bleiben. Auch § 8 des KGG. gibt über die streitige Frage keinen Aufschluß. Die fraglichen Auslagen bilden zwar insofem Einnahmen im Sinne dieser Bestimmung, als sie allerdings in Gemäßheit des KGG. zur Hebung gelangen, da in § 16 KGG., 58 Abs. 5 GGG. die Erhebung von Auslagen nach Maßgabe des GKG. vorgeschrieben ist. Mein wenn auch der § 8 die Einnahme an Kosten den Kommunalkassen überweist, so schließt dies jedenfalls die Frage nicht aus, ob ausnahmslos alle Einnahmen end-

§61 GGG.

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gültig den Kommunalkassen zu verbleiben haben, oder ob nicht die Staatskasse m gälten der Rechtshilfe Anspmch auf die vereinnahmten Bettäge hat. Unter jenen Einnahmen können aber nun zweifellos nur solche verstanden sein, welche die Kommunalkassen m i t R e ch t zu beanspruchen haben, allgemeinen Rechts­ grundsätzen würde es aber zweifellos Widerstreiten, wenn die Kommunalkassen Vorlagen, die sie nicht selbst, sondern die Staatskasse gemacht hat, sich vom Zahlungs-

pflichngen erstatten ließe, und ohne jede Gegenleistung behalten würde. Zeugen­ gebühren und Porte sind Vorlagen, welche die Kassen für Rechnung des Zahlungspslichtigen leisten, und chren Ersatz kann nur diejenige Kasse beanspmchen, welche bte Vorlage gemacht hat. Sind beide Kassen Staatskaffen, so fällt der Natm der Sache nach em Ersatz von Kasse zu Kasse weg. Kommen aber, wie hier, Staats­ kaffe und Kommunalkasse in Betracht, so muß jener allgemeine Rechtsgrundsatz Anwendung finden, und es liegt kein Grund vor, davon deshalb abzusehen, well auch die KG. Staatsgerichte seien: ausschlaggebend ist die Verschiedenheit der Kassenverhältnisse. Es ist hiemach davon auszugehen, daß das die Staatskasse vertretende ersuchte Gericht nicht bloß beanspmchen kann, daß die fraglichen Kosten von dem Zahlungs­ pflichtigen erhoben werden, sondern auch, daß die erhobenen Beträge in die Staatskasse ersetzt werden. Ob dieser Anspmch auch dann besteht, wenn der Zahlungspflichtige zahlungsunfähig oder zum Armenrecht zu­ gelassen ist, kann hier dahingestellt bleiben, da nicht gätend gemacht ist, daß ein solcher Fall vorliegt. Jndeffen wurde auch in diesen Fällen die Frage zu bejahen sein, da es dem Smne des § 8 KGG., wie nicht minder allgemeinen Rechtsgrundsätzen Widerstreiten würde, wenn die Gerichtskassen der Sondergerichte die sie betreffenden Ausfälle auf die Staatskasse abwälzen wollten. Für uneinbringliche

Haftwsten ist dies auch in dem Amtsblatt des Ministeriums des Jnnem vom 21. Januar 1899 (Amtsblatt I. M1 /1899) anerkannt; ein Gmnd, die sonstigen Auslagen anders zu behandeln, ist nicht ersichtlich. Was das P o r t o anlangt, so wird dasselbe von der Staatskasse im Aversum vorgelegt und liegt Ersatz den Zahlungspflichttgen ob (vgl. für den Verkehr der Gerichte verschiedener Bundesstaaten untereinander Abl. 20/1884, 16/1903). Ist es von dem Sondergericht gemäß § 58 GGG. eingezogen, so gehört auch hier rechllich Ersatz nicht der Kommunalkaffe, die eine Vorlage nicht gemacht, sondem der Staatskasse.

Es erhebt sich nun die weitere Frage, in welchem Verfahren der An­ spmch der Staatskasse zu befriedigen ist. Auch hierfür fehlen die notwendigen Anweisungen für die Sondergerichte. Der § 2 der BO. vom 17. März 1903, bett. Ansatz, Erhebung usw. der Gerichtskosten, kann nach Vorstehendem nicht in Betracht kommen, da es sich hier nicht um Ersatz von Staatskasse zur Staatskasse handelt. Es liegt vielmehr em ähnliches Verhältnis wie bei Rechtshilfe zwischen einem hessischen und einem außerhessischen Gericht vor, und beim Mangä ausdrücklicher Bestimmungen unterliegt es keinem Bedenken, die für dieses Verhältnis besteheiwe »des Amtsb. 8/1903 Pos. 13d enffprechend anzuwenden, wonach der reibet des ersuchten Amtsgerichts die fraglichen Kosten von der er­ suchenden Behörde einzuziehen und an die Staatskasse abzuliefern hat. (Gewerbeu. Kaufmanirsger. Jg. 13 Sp. 240.)

167. (97.) Sind die ordentlichen Gerichte im Bezirk des GG. selbst zur Rechtshilfe verpflichtet? Beschluß des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Febmar 1899.

Die Frage ist verneint.

(Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 264.)

§§ 70, 81 GGG.

105

168. (98.) Bedeutung eines vor dem EinigungSamt geschlossenen Ver­ gleichs. Kann der einzelne Arbetter daraus Rechte herleiten, obwohl der Arbeitgeber mit ihm abweichende Bedingungen nachträglich ver­ einbart hat? Urteil des GG. Berlin, Kammer I.

Die auf dem Vergleich vor dem Einigungsamt gestützte Klage wurde abge­ wiesen. (Gewerbegericht Jg. 2 SP. 14.)

169.

(99.)

Ist

daS GG. für kaufmännische Gehilsen in gewerb­ lichen Betrieben zuständig?

a) Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 15. April 1896. Das Gericht hat die Frage bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 37.)

b) Urteil des Reichsgerichts, 7. Zivilsenat, vom 24. Mai 1906.

Die Klage eines Buchhalters gegen einen Dekorationsmaler auf Bezahlung von Gehalt ist vom OLG. Karlsruhe abgewiesen worden, weil das GG. zuständig sei. Die Revision des Kl. ist zurückgewiesen. Aus den Gründen: Darauf, daß Kl. im wesentlichen kaufmännische Dienste geleistet hat, kommt es entscheidend nicht an: es steht in der Rechtsprechung fest, daß, wer in einem Nichthandelsgewerbe kaufmännische Dienste leistet, gleich­ wohl nur Gewerbegehilfe ist. Es ist ferner zweifellos, daß, wie jemand zugleich ein Handelsgeschäft und daneben ein von diesem unabhängiges anderes Gewerbe betreiben kann, so auch jemand gleichzeitig in zwei Geschäften, z. B. vormittags in dem Handelsgeschäft eines Kaufmanns, nachmittags in dem Gewerbebetrieb eines Nichtkaufmanns Dienste leisten kann. In letzterem Geschäft ist er Gewerbe­ gehilfe, in ersterem Handlungsgehilfe. In Rechtsstreitigkeiten, die zu seiner Stel­ lung im HaMunsggeschäft in Beziehung stehen, untersteht er (jetzt den KG., damals) den ordentlichen Gerichten, in Rechtsstreiügkeiten aus seiner Stellungn als Gewerbegehllfe den GG. Darin kann es natlirlich keinen Unterschied machen, wenn die beiden Gewerbe von einer und derselben Person betrieben werden. Läge im vorliegenden Falle die Sache so, daß der geringe Handelsbetrieb mit Farben und Ölen in einem besonderen Laven von einem eigens hierzu angestellten Gehüfen ohne Mitwirkung des Kl. betrieben wäre, dann könnte nicht zweifelhaft sein, daß Kl. lediglich als Gewerbegehllfe angesehen werden müßte. Nun liegt die Sache aber so, daß Kl. auch für den Deinen Handelsbetrieb mitbeschäftigt ist, er ist daher Gewerbegehllfe und Handlungshgehllfe, sein Prinzipal ist in der Hauptsache Gewerbetreibender (Dekorationsmaler), nebenbei aber auch Kauf­ mann; der Rechtsstreit betrifft die Stellung des Kl. in beiden Geschäften. Wenn nun nicht eine Gesetzesvorschrift besteht, wonach die Eigenschaft eines Kaufmanns und, was hier in Frage steht, eines Handlungsgehüfen der gleichzeitigen Eigen­ schaft eines Gewerbeaehllfen vorgeht, dann kann als maßgebend nut erachtet werden, welche Eigenschaft nach den Anschauungen des Lebens die Haupteigen­ schaft ist. Eine solche gesetzliche Vorschrift, wonach die Eigenschaft eines Handlunasgehüfen vorgeht, liegt aber nicht vor. § 81 GGG. bestimmt nur, daß das Gesetz auf Gehllfen in Haiwelsaeschäften keine Anweisung findet. Das sagt aber nicht, daß das Gesetz auf Gehllfen in anderen Gewerben keine Anwendung findet, wenn sie zufällig auch nebenbei in einem Handelsgeschäft beschäftigt sind. (Gewerbeu. Kaufmannsgericht Jg. 11 Sp. 336.) ') Vgl. auch OLG. Düsseldorf v. 5. April 1907 (ROLG. 15 Nr. 3a).

106

§81 GGG.

170. (100.) Ist auch derjenige Handlungsgehilfe, der in einem kauf­ männischen Geschäft lediglich Handlangerdienste leistet? Urteil des Amtsgerichts I Berlin vom 24. November 1898 und des Landgerichts I Berlin vom 17. Januar 1899. Das Amtsgericht hat die Frage verneint. Die Berufung ist zurückgewiesen. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1899 S. 38.)

171. (101.) Ist die Stenographin und Maschinenschreiberin im kauf­ männischen Betriebe Gewerbegehilfin? Urteil des Amtsgerichts I Berlin vom 10. Februar 1898. Kl. wurde vom Amtsgericht wegen Unzuständigkeit abgewiesen. (Gewerbe­ gericht Jg. 3 Sp. 113.)»)

172. Ist der Werkstattschreiber Gewerbe- oder Handlungsgehilfe? Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 17. August 1905. Der Kl. war bei der bekl. Elektrizitätsgesellschast als Werkstattschreiber gegen Wochen­ lohn von 19,50 Mk. beschäftigt. Seine Tätigkeit bestand darin, daß er Schreibarbeiten für einen Obermeister der Bekl. verrichtete; u. a. hat er Tagebücher übertragen, Mit­ teilungen des Obermeisters an andere Wteilungen entworfen, die zum Teil im kauf­ männischen Bureau für Mitteilungen an die Kundschaft verwendet worden sind. Der Kl. sieht seine Tätigkeit als die eines Handlungsgehilfen an und nimmt daher die für Handlungsgehilfen vorgeschriebene sechswöchige Kündigungsfrist für sich in Anspruch. Durch Beschluß des KG. Berlin wurde seine Klage wegen Unzuständigkeit des KG. an das GG. verwiesen.

Das GG. erachtete sich für zuständig und wies den Kl. sachlich ab. Aus den Gründen: Handlungsgehilfen eines Kaufmanns sind die­ jenigen Gehilfen, welche ihm kaufmännische Dienste leisten. Dazu gehört außer dem Abschluß von Rechtsgeschäften jede auf den Umsatz der Waren oder seine Vorbereitung gerichtete Tätigkeit. Die Buchführung wird in der Regel zu dieser Tätigkeit gehören, nicht aber notwendig jede Art von Schreibwerk. Dieses kann vielmehr auch ein Teil des technischen Gewerbebetriebes sein, eine Nebentätigkeit desselben. Darum handelt es sich im vorliegenden Falle. Der Kl. hatte Schreib­ arbeiten zu besorgen, die im Geschäftsbereich eines Obermeisters der Bekl. lag. Die Täügkeit eines Obermeisters in einem so großen Betriebe, wie es gerichts­ kundig der der Bekl. ist, Pflegt sich lediglich auf technische Dinge zu beschränken, während die kaufmännischen Geschäfte in den Händen von kaufmännischen Direkwren und den ihnen untergeordneten Bureaus liegen. Als Hilfstätigkeit zu der technischen Täügkeit des Obermeisters, die mit der kaufmännischen Täügkeit des Bekl. in keiner Beziehung steht, ist die Täügkeit des Kl. gleichfalls als eine gewerb­ liche in engerem Sinne aufzufassen, wenngleich eine gleichartige Schreibtätigkeit unter anderen Umständen als eine kaufmännische aufgefaßt werden könnte. Das Maß der Intelligenz, welches für die Tätigkeit des Kl. erforderlich war, ist für die Beurteilung der Frage, ob er Handlungsgehilfe war, nicht wesenüich, denn für dieTäügkeit eines Gewerbegehilfen braucht durchaus keine geringere geistige Fähigkeit erforderlich zu sein, als für einen Handlungsgehilfen. Es gibt viel­ mehr auf beiden Gebieten Täügkeiten, die mehr oder weniger geistige Tätigkeit erfordern. So steht dem ungelernten Heimarbeiter der Ingenieur, dem Kontor­ schreiber der Handlungsbevollmächtigte gegenüber. Gewicht ist auch daraus zu legen, ob die Täügkeit des bett. Angestellten diejenige Signatur trägt, welche man als kaufmännische in herkömmlichem Sinne bezeichnen muß, und ob sie *) Vgl. Nr. 229.

§81 GGG.

107

eine kaufmännische Schulung voraussetzt. Beides ist bei dem Kl. nicht der Fall. Die Tätigkeit emes Werkstattschreibers wird herkömmlich zur gewerblichen in engerem Sinne gerechnet. Sie wird auch meist von schreibgewandten Arbeitem der Fabrik, zum Teil neben ihrer mechanischen Tätigkeit, ausgeübt. Mes das spricht dafür, den Kl. als Gewerbegehilfen anzusehen. Als solcher steht er, da er nn Betriebe einer Fabrik der Bell, beschäftigt war, den Fabrikarbeitern gleich, denn die Fabrikarbeiter sind eben die Gewerbegehilfen eines Gewerbebetriebes, soweit sie nicht zu den im § 133a GO. aufgeführten leitenden Betriebsbeamten oder höheren technischen Angestellten zu rechnen sind. (Reichsarbeitsbl. Jg.3 S. 1092.)

173. Ist ein „Volontär" in der Konfektionsbranche Gewerbegehilfe, auch wenn er vorübergehend znr Ausbildung als Einrichter arbeitet? Urteil des GG. Berlin, Kammer 1, vom 22. August 1904. Der Kl. war vom 1. Mai bis 7. Juli 1904 in der Damenmäntelfabrik des Bell, als „Volontär" gegen einen Monatslohn von 35 Ml. beschäftigt. Er will ohne gesetzlichen Grund und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist entlassen sein, hat vor dem GG. eine lätägige Lohnentschädigung von 16.50 Mk. eingeklagt und vorgetragen, daß seine Hauptbeschäftigung Tag sür Tag das Einkäufen von Zutaten und das Einrichten der Arbeit für die vom Bell, beschäftigten Hausgewerbetreibenden gewesen sei. Er hat aber zugegeben, daß der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag dem beiderseits ausdrück­ lich gewollten Zwecke dienen sollte, ihn, den Kl., in allen Seiten des bell. Betriebes, insbesondere auch gerade in den kaufmännischen Angelegenheiten zu instruieren, so daß er, Kl., späterhin einmal selbst einen solchen Betrieb leiten, oder sich doch an der Leitung eines solchen beteiligen könnte.

Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Es kann dahingestellt bleiben, ob die Täsigkeit eines Einrichters in der Art, wie sie dem Kl. beim Bell, zurzeit obgelegen hatte, als gewerbliche oder kaufmännische Gehilfentätigkeit anzusehen ist. Es kann im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidendes Gewicht auf die Art bet tatsächlichen, jeweiligen Beschäftigung gelegt werden, denn sie ist nur ein Teil der ins Auge ge­ faßten gesamten Beschäftigung und zeigt auch ihrer Dauer nach keine mißbräuch­ liche Ausdehnung entgegen dem Vertragszweck. Dieser aber ging unstreitig auf die Ausbildung des Kl. in der betreffenden Branche mehr nach der leitenden kaufmännischen Seite ihn. Demnach muß die Beschäftigung des Kl. als eine Station in der Erlernung des kaufmännischen Betriebes eines Damenmäntelgeschäfts angesehen werden und unterliegt somit nicht selbständiger Beurteilung. Dann aber ist für den vorliegend eingellagten Anspruch nicht das GG. zuständig *). (Reichsarbeitsbl. Jg. 3 S. 70.) l2)

174. (102.) Ist der Berichterstatter einer Zeitung Gewerbegehilfe?^ Urteil des Reichsoberhandelsgerichts vom 19. Mai 1874.

Die Frage ist bejaht.

(Entsch. des ROHG. Bd. 14 S. 23.)

175. (103.) Ist der Korrektor einer Tageszeitung Handlungsgehilfe? 4) Urteil des GG. Stettin.

Das GG. hat die Frage vemeint. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 142.) l) Vgl. das Urteil der 8. Kammer vom 1. Juli 1905 Reichsarbeitsblatt, November 1905, S. 991/2. Reichsarbeitsblatt III. Jahrgang, S. 1092. 2) Vgl. Nr. 221. 3) Vgl. Nr. 222. ver als Handlungs- und wer als Gewerbegehilfe anzusehen ist, häufig erhebliche Schwierigkeiten. Das Reichsgericht hat am 25. Juni 1890 (Jur. Wochenschr. S. 295) die Bierfahrer den Handlungsgehilfen zugezählt, indem es Gewicht auf die Art der Dienste und besonders auf die Tatsache legt, daß der Bierfahrer rechts­ geschäftlich tätig sei. Mlein dieser Umstand kann für sich allein nicht entscheidend sein. Die Rechtsprechung und die Literatur zählen übereinstimmend die „Provi­ soren in den Apotheken" und die „Oberkellner" nicht zu den Handlungsgehilfen, und doch liegt in ihrer Hand ganz überwiegend der Verkauf der Waren oder die Einkassierung; bei den Straßenbahnen sind es ausschließlich die Schaffner, die durch Ausgabe der Fahrkarten und Einkassierung des Fahrgeldes rechtsgeschäft­ lich mit den Fahrgästen in Verbindung treten, und doch besteht darin volle Über­ einstimmung, daß auch die Schaffner nicht zu den Handlungsgehilfen zählen. Der Grund liegt hier in der Einfachheit der Verrichtungen und m der niederen Stellung der Schaffner, dort in der Tatsache, daß der eigenüiche Bemf der Pro­ visoren und der Oberkellner auf dem gewerblichen Gebiete, d. i. der Herstellung der Waren oder der Bedienung liegt (ROHG. 24 S. 271). Der Begriff der Hand­ lungsgehilfen kann deshalb nicht bestimmt werden ohne gleichzeitige Mcksicht auch auf die Verkehrsauffassung, wie sie im Laufe der Zeit für bestimmte Klassen von Angestellten im Hinblick auf ihre gesamte Dienststellung sich gebildet hat. Ein allgemein gültiger Satz (ROHG. 17 S. 312) läßt sich nicht aufstellen. Dies ist auch bei der Beratung des alten HGB. nicht verkannt. Man vermied es, eine bestimmte Definition zu geben, weil „jedermann wisse, was Handlungsgehilfe sei", und weil man eine Abweichung von den hergebrachten Anschauungen nicht beabsichtigte. Die gleiche Auffassung teilt auch die Denllchrift zum HGB., welche für den Begriff des Handlungsgehllfen ebenfalls (Makower zu § 59 Anm. lc) die Verkehrsauffassung als maßgebend erllärt. Dies erkennt auch Cosack an, der (6. Aufl. S. 903) ausführt, daß der Begriff der Handlungsgehllfen zwar der festen gesetzlichen Prägung entbehre, aber doch genau mit dem zusammenfalle, was die Berkehrssitte als kaufmännisch bezeichne. Dies ist die „kaufmännische Signatur", *) 33 jl. hierzu: das Gewerbegericht Berlin, S. 290, Anmerkung 1, und S. 390.

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§81 GGG.

von der das ROHG. 17 S. 307 spricht, und von der Staub (Anm. 11 zu § 59) sagt, nach dem historischen und herkömmlichen Sinne gehöre dazu diejenige Schu­ lung und Fertigkeit, oie man in chrer Vollendung die kaufmännische Tüchtigkeit nenne. Kaufmännische Dienste setzen (Landmann, GO. 4. Ausl. S. Hä) „kauf­ männische Fachkenntnisse" voraus, d. h. „merkantil technische Kenntnisse". Hieran fehlt es völlig beim Bierfahrer, dieser wird ebenso wie der Milchfahrer dem Kreise der Arbeiter entnommen, ohne daß er die geringsten kauf­ männischen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt oder zu besitzen braucht. Sein äußeres Auftreten bleibt das des Arbeiters, er wird von den Arbeitem, aber nicht auch von den kaufmännischen Angestellten als Berufsgenosse betrachtet, und auch ihnsselbst liegt fern, sich dem Kreise der letzteren zuzurechnen. Der Bier-, wie der Milchfahrer werden nur nach einzelnen Richtungen hin rechtsgeschäftlich tätig, aber erfüllen sonst nach keiner Richtung hin die Vorbedingungen, die nach der Auffassung des Verkehrs an jeden Handlungsgehilfen gestellt werden. In der Literatur werden denn auch die Bierfahrer nicht zu den Handlungsgehilfen gezählt (Goldmann; Lehmann-Ring zu § 59; Horwitz, Recht der Hanolungsgehilfen S. 21). Wenn der Magistratskommissar und die LandesveHicherungsanstalten bisher die gegenteilige Ansicht vertreten haben, so ist dies, soweit ersicht­ lich, nur im Anschluß an die reichsgerichtliche Rechtsprechung geschehen. Vor­ liegend kommt noch besonders in Betracht, daß nach Inhalt oer Anstellungs­ verträge die gewerbliche Tätigkeit der Bierfahrer bei weitem überwiegt. Der Bierfahrer hat beim Füllen des Bieres und beim Beladen der Wagen, auch der Wagen anderer Fahrer, tätig zu sein, er hat die Fässer zu spülen und zu dämpfen, die Pferde zu warten, Wagen und Geschirr (§ 12) zu schmieren und sauber zu halten usw. Im übrigen haben die Bierfahrer zwar die Einkassierungen zu besorgen, aber sie haben nicht einmal allgemein das Recht, Bier zu verkaufen, sondem nur die Pflicht, Bestellungen entgegenzunehmen und auszuführen und auch dies nur „bei den ihnen besonders mitgeteilten Kunden". Dies alles sind mehr oder minder ausschließlich die Verrichtungen von Boten, Kutschern und Arbeitem, aber nicht von kaufmännisch geschulten und tätigen Angestellten. Unerheblich ist, ob die Bierfahrer ähnlich, wie die Milchfahrer, vielfach sich eines Mitfahrers be­ dienen, und ob dieser einen Teil der niedem Dienste besorgt; nach den Anstellungs­ verträgen haben sich die Fahrer selbst zu jenen Arbeiten verdungen und dies in der Verbindung mit der Berkehrsauffassung muß für die Beurteilung der Rechts­ stellung entscheiden *). (Rechtspr. der Oberlandesgerichte Bd. X Nr. 10e.)

181. (108.) Ist ein Milchkutscher Handlungsgehilfe?

a) Urteil des GG. H e i d e l b e r g vom 31. März 1895 und des L a n d g e r i ch t s Mannheim vom 1. Oktober 1898.

Das GG. erklärte sich für sachlich unzuständig. Sp. 129.)

(Gewerbegericht Jg. 4

b) Urteil des GG. Berlin vom 24. September 1896. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt.

(Unger Nr. 178.)

182. (109.) Ist der Verkäufer in einer Trinkhalle Gewerbegehilfe oder Handlungsgehilfe? a) Urteil des GG. Weimar. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 102.)2)

') Ebenso OLG. Kiel v. 26. April 1909 (ROLG. Bd. 20 Nr. 13). ’) Ebenso KG. Plauen (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 168).

§81 GGG.

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b) Beschluß des KG. Altenburg vom 14. Juli 1905. Tas KG. hat sich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das GG. verwiesen. AusdenGründen: Die Kl. ist vom 2. Mai bis 10. Juni 1905 in der der Bell, gehörigen Trinkhalle in der Kanalstraße zu Mtenburg als Verkäuferin beschäftigt gewesen. Nach dem schrifüichen Dienstvertrag ist sie verpflichtet, die Halle von morgens 6 bis abends 10 Uhr ununterbrochen geöffnet zu halten, und hat die ihr von der Firma gelieferten Waren, Selters, Limonade und Zigarren, zu bestimmten Preisen an das Publikum zu verkaufen; sie hat die von den Kutschern der Firma gebrachten vollen Flaschen und die Zigarren in Empfang zu nehmen und die leeren Flaschen zurüchugeben und hierbei das Auspacken der vollen Flaschen und Einlegen in die Eiskästen und das Einpacken der leeren in die Transportkästen selbst zu besorgen; es ist ihr ferner vorgeschrieben, in welcher Weise sie bei der Aufbewahrung und dem Ausschänken der Getränke an das Publikum zu verfahren hat; sie hat die Reinigung der Gläser zu besorgen, persönlich die Halle jeden Morgen zu reinigen, die Messmgteile blank zu putzen u. a. Jede Woche wird nach dem Dienstvertrag das eingenommene Geld nach Abrechnung von der Firma eingezogen. $)re Vergütung hat die Kl., während der Vertrag vorschreibt, daß die „Lohnzahlung jeden Donnerstag "erfolgt, etwa alle zwei Wochen in ent­ sprechenden Teilen gezahlt erhalten. Der Dienstvertrag bestimmt eMich für beide Teile eine dreitägige Kündigungsfrist, eine Vereinbarung, deren Nichtigkeit gemäß § 67 HGB. die Kl. behauptet. Was „kaufmännische Dienste" sind, beurteilt sich nicht nach dem gesetzlichen Begriffe des Kaufmanns, wie er in den §§ 1—3 des HGB. festgesetzt ist, sondem nach der geschichtlichen und herkömmlichen Bedeutung des Kaufmannsbegriffs; die Dienste müssen die Eigenschaften haben, die die Verkehrssitte als kaufmännisch ansieht. (Cosack, Handelsrecht, 6. Ausl. S. 90.) „Es müssen Dienste sein, zu denen diejenige Schulung und Fertigkeit gehört, die man in ihrer Vollendung die kauf­ männische Tüchtigkeit nennt." (Staub, Kommentar zu § 59.) Wenn endlich eine Person sowohl kaufmännische als gewerbliche Arbeiten verrichtet, so verleihen ihr die vorwiegend zu leistenden Arbeiten den Charakter entweder als Handlungs­ gehilfe oder als Gewerbegehilfe (Cosack, a. a. O. S. 91.) Die Kl. schließt zwar Handelsgeschäfte für die bell. Firma ab, indem sie in ihrem Namen die Waren verkauft; sie ist also Handlungsbevollmächtigte. Aber die Arbeit, die sie in dieser Beziehung leistet, einschließlich der Abrechnungen dabei, ist so mechanischer und einfacher Art, daß dazu keinerlei kaufmännische Fertigkeit gehört, und was sie im übrigen zu leisten hat — das Aus- und Einpacken der Flaschen, das Berfchänken der Getränke, die Reinhaltung der Gegenstände — trägt auch nicht einmal äußerlich die Signatur kaufmännischer Tätigkeit, sondern es ist die Arbeit des Gewerbe­ gehilfen in jedem Schankbetrieb. Als ein solcher im Sinne des § 33 GO. stellt sich die Unterhaltung der Trinkhallen dar, und sie unterliegt deshalb auch der Ausnahmebestimmung des § 105i der RGO. in betreff der Sonntagsmhe im Handelsaewerbe; sie bleibt auch Schankbetrieb, wenn die Vorschrif en über eine polizeiliche Erlaubniserteilung nicht beobachtet worden sind, melleicht well die Verwaltungsbehörde eine andere Rechtsauffassung hatte, was deshalb hier unervrtert bleiben kann. Wenn man zugeben will, daß die Kl. sich, insoweit sie als Handlungsbevollmächtigte tätig wird, in einer einzelnen Richtung mit kauf­ männischer Arbeit befaßt, so überwiegen doch deullich erkennbar b;e Arbeiten, die dem Schankbetrieb in seiner technischen Seite dienen. Die Dienste der Kl. in ihrer Gesamtheit sind daher nicht kaufmännische Dienste, sondem gewerbliche im engeren Sinne. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 221.) Daum, Gewerbegerichle.

8

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§81 GGG.

183. (110.) Ist der Hotelsekretär Handlungsgehilfe? Urteil des GG. Berlin vom 9. Mai 1894.

Das GG. hat jich für unzuständig erklärt. (Unger Nr. 173.)

184. (111.) Ist der Kellner Gewerbegehilfe? Urteil des Reichsoberhandelsgerichts vom 18. September 1878.

Die Frage ist bejaht.

(ROHG.-Entsch. Bd. 24 S. 271.)

185. (112.) Ist der Geschäftsführer eines Schankwirtes (Afchingers Bier­ quelle) Handlungsgehilfe oder Gewerbegehilfe? a) Urteil des Landgerichts I, Zivilkammer 8azuBerlin, vom 27. Mai 1899. Der Kl. ist als Gewerbegehilse angesehen. pflege Jg. 1899 S. 65.)

(Blätter für Rechts­

b) Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 1. November 1899. Der Kl. ist als Handlungsgehilfe angesehen. pflege Jg. 1900 S. 21.)')

(Blätter für Rechts­

186. (113.) Ist ein bayrischer Straßenbahnschaffner Handlungsgehilfe? Urteil des Landgerichts München I.

Das Amtsgericht hatte sich für zuständig erklärt, da der Schaffner Hand-

Das Landgericht hat das Urteil wegen Unzuständigleit aufgehoben. werbegericht Jg. 5 Sp. 76.)

(Ge­

187. (114.) Ist der Omnibusschaffner Handlungsgehilfe? Urteil des Landgerichts I zu B.'erlin vom 6. Dezember 1900.

Die Frage ist verneint. (Blätter für Rechtspflege im Bezirke des Kammer­ gerichts Jg. 2 S. 63.)

188. (115.) Ist der Platzanweiser ans dem Stättchlatz Handlungsgehilfe? Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 25. September 1901.

Die Frage ist bejaht. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1901 S. 106.)

189. (116.) Ist das GG. zuständig für Angestellte eines Detektidbnreaus?

a) Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 6. IM 1898. Es ist angenommen, daß der Rechtsstreit vor das GG. gehört. Rechtspflege Jg. 1898 S. 66.)

(Blätter für

") Ebenso Kammergericht, 8. Zivilsen., v. 5. Mai 1900 (RALG. Bd. 1 S. 7). Vgl, ferner Nr. 223.

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§§ 81, 84 GGG.

b) Urteil des GG. München vom 16. Juli 1902. Das GG. hat sich für unzuständig erklärt.

190. (117.) Hat das GG. zu prüfen, ob ein Innungs-Schiedsgericht zu Recht besteht? Urteil des GG. Berlin, Kammer 4, vom 9. März 1900.

Das GG. wies die Klage wegen Unzuständigkeit ab.

(Soziale Praxis.)

191. (118.) Wird durch die Zuständigkeit eines JnnungSschiedsgerichtS auch der Rechtsweg im Gerichtsstand des Erfüllungsorts vor einem außerhalb deS Jnnungsbezirks zuständigen GG. ausgeschlossen? Urteil des GG. Berlin vom 15. April 1903.

Das Berliner GG. hat sich für zuständig erachtet, obwohl Bell, einer NichtBerliner Innung angehört. (Soziale Praxis.)

192. Kann das Urteil eines GG. durch Klage beim Amtsgericht als nichtig angefochten werden, wenn der Arbeitgeber einer Innung mtt JnnungSschiedsgericht angehört, aber vor dem GG. verhandelt hat? Urteil des Aintsgerichts I Berlin vom 29. April 1905. Die jetzige Bell, hatte vor dem GG. zu Schöneberg gegen den jetzigen Kl. (Bäcker» meister) ein Urteil erstritten, wonach er verurtellt worden ist, an sie 24,16 Ml. zu zahlen. Gegen dieses Urteil hat der Bell, die Klage vor dem Amtsgericht erhoben mit dem Anträge, die Bell, -kostenpflichtig zu verurteilen, anzuerkennen, daß ihr aus dem Urteil des GG. Rechte nicht zustehen. Er macht geltend^ die Verurteilung sei erfolgt, obwohl der jetzige Kl. bei der GG.-Verhandlung darauf hingewiesen habe, daß er Mitglied der Berliner Bäckerinnung sei, der Streit zwischen den Parteien demnach vor dem Innungs­ schiedsgericht zu entscheiden gewesen sei. Da das GG. ein Urteil gefällt habe über einem Anspruch, der seiner Kompetenz entzogen sei, so liege ein nichtiger Akt vor. — Die jetzige Bell, bestreitet diese Rechtsauffassung. Kl. habe sich damals widerspruchslos auf die GG.-Berhandlling eingelassen, er müsse das Urteil gegen sich gelten lassen.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Nach § 84, 2 des GGG. ist allerdings die Verein­ barung der Parteien über die Zuständigkeit eines nach diesem Paragraphen aus­ geschlossenen — für den Bezirk der Innung bestehenden — GG. unwirksam. Nun aber ist die Vorschrift des § 27 a. a. O. über örlliche Zuständigkeit der GG. nicht unter allen Umständen zwingend, der Gerichtsstand lein ausschließlicher. Hieraus ergibt sich, daß die Parteien in der Lage sind, auf Grund der zufolge § 26 auch im vorliegenden Falle anwendbaren, überdies in den Motiven erörterten Bestimmungen des § 38 ZPO. über die Vereinbarung und über die Zuständigkeit der Gerichte, der lautet:

„Ein an sich unzuständiges Gericht I. Instanz wird durch ausdrück­ liche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig" kraft ausdrücklicher oder stillschweigender Übereinkunft der Entscheidung des Streits durch ein anderes im § 27 Abs. 1 des GGG. nicht bezeichnetes GG. — nicht durch das ordentliche Gericht vgl. §6 — he: beizuführen. Vgl. Mo. S. 27. Sten. Ber. 1890 S. 438. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 155.) 8*

§84 GGG.

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193. Ist für die Lohnklage daS GG. des Arbeitsortes neben dem Innungs­ schiedsgericht am Wohnsitz des Arbeitgebers zuständig, wenn die Lohnzahlnng in der Wohnnng des Arbeitgebers erfolgt? Urteil des GG. R i x d o r f vom 19. Juli 1904.

Das GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen: Die Berliner Tischlerinnung ist dem Innungs­ ausschuß der vereinigten Berliner Innungen, der auf Gmnd des § 81b Abs. 1 Ziff. 4 der GO. ein Jnnungsschiedsgericht errichtet hat, angegliedert. Bell, ist Mitglied der Berliner Tischlerinnung. Mithin ist nach § 84 Abs. 2 GGG. die Zuständigkeit eines GG., soweitesfürdenBezirkeinerJnnung errichtetist, ausgeschlossen. Da aber die Berliner Tischlerinnung ihren Be­ zirk nicht au> Rixdorf erstreckt, so wäre das GG. Rixdorf über die vorliegende (Streitigfeit zu entscheiden berufen, wenn die streitige Verpflichtung in Rixdorf also außerhalb des Bezirks der Innung, von dem Bell, zu erfüllen wäre. Letzteres muß jedoch verneint werden. Dem Kl. zwar ob, in Rixdorf zu arbeiten, sein Er­ füllungsort war demnach Rixdorf, wo aber der Bell, seiner Verpflichtung zur Bewirkung der Gegenleistung (Lohnzahlung) zu genügen hatte, darüber ist bei Abschluß des Arbeitsvertrages unstreitig nicht gesprochen worden. Auch sonstige Umstände, insbesondere die Natur des Schuldverhältnisses lassen nicht erkennen, daß Bell. den Lohn in Rixdorf zu zahlen habe. Kl. hat vielmehr die Abschlags­ zahlungen auf den Akkord nicht in Rixdorf auf der Arbeitsstätte, sondem stets in Berlin in der Wohnung des Bell, erhalten. Es ist daher lediglich § 269 des BGB. entscheidend. Damach hat Bell, die in seinem Gewerbebetriebe entstandene Ver­ bindlichkeit an dem Orte seiner gewerblichen Niederlassung zu erfüllen. Dies ist Berlin. Kl. kann infolgedessen seine Fordemng nur bei dem in Berlin zuständigen Gericht, also bei dem erwähnten Jnnungsschiedsgericht, da die Zuständigkeit des GG. Berlin durch dieses ausgeschlossen wird, einllagen. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 4.)

194. (119.) Kann eine offene Handelsgesellschaft als solche Innungs­ mitglied sein? Ist das Jnnungsschiedsgericht zuständig, wenn nicht sämtliche Gesellschafter Mitglied der Innung sind? Urteil des GG. Berlin vom 15. Mai 1903.

Das GG. hat die Einrede der Zuständigleit des Jnnungsschiedsgerichts ver­ worfen.

195. (120.) Ist bei einer Zwangsinnung das Jnnungsschiedsgericht ohne weiteres zuständig oder bedarf es eines besonderen Beitritts des Arbeit­ gebers zur Jnnung? Urteil des GG. Berlin vom 8. Juni 1903.

Das GG. erachtet das Jnnungsschiedsgericht ohne weiteres für zuständig.

196.

(121.)

Ist das Jnnungsschiedsgericht zuständig, wenn ein Fabrikant der Zwangsinnung freiwillig beigetreten ist? Urteil des GG. Stettin vom 26. Februar 1901.

Das GG. hat das Jnnungsschiedsgericht nicht für zuständig erachtet. werbegericht Jg. 6 Sp. 166.)

(Ge­

§84 GGG.

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197. Ist das GG. zuständig für einen Fabrikbetrieb, dessen Besitzer einer freien Innung mit Jnnungsschiedsgericht angehört? Urteil des GG. Charlottenburg vom 11. Juli 1905 und des Land­ gerichts II Berlin vom 27. September 1905. Die Kl. haben für die Bell, als Schlofser Akkordarbeiten ausgesührt und verlangen dafür einen Betrag von 165 Mk. Bekl. erhebt den Einwand der Unzuständigkeit des GG. Ihr Inhaber, Schlossermeister P., gehöre mit seinem Betriebe der Kunstschlosserei B-, der in B. ihren Sitz habenden Schlosser-, Sporer-, Büchsen- und Wmdenmacher-Jnnung an. Diese Innung sei keine Zwangsinnung, sondern eine freie. Der Bezirk der Innung sei durch Erlaß des Ministers für Handel und Gewerbe vom 2. Juni 1899 ausgedehnt auf die im Umkreise von 7 km um Berlin belegenen Ortschaften. Für die Innung bestehe ein Jnnungsschiedsgericht, so daß das GG. nicht zuständig sei. Die Kl. behaupten dem­ gegenüber, daß die fraglichen Bestimmungen aus dem Grunde nicht anwendbar seien, weil der Betrieb der Bekl. ein fabrikmäßiger sei und der Inhaber der Bekl. nicht mit 'einem Betriebe, sondern nur für seine Person der Innung angehöre.

Tas GG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen des GG.: Die Zuständigkeit des CH. GG. zur Entscheidung des vorliegenden Prozesses ist dann nicht gegeben, wenn der Bezirk der Innung, welcher der Inhaber der Bekl. angehört, sich auf den Bezirk des GG. erstreckt (§ 84 Abs. 2 GGG.). Die Schlosser- usw. Innung zu B. ist nun, wie aus dem Statut hervorgeht, eine freie. Der Bezirk ist nach § 82 GO. ausge­ dehnt auf die 7 km um B. herumliegenden Ortschaften, zu denen auch CH. gehört. Der Bezirk der Innung umfaßt also auch den Bezirk des angerufenen GG. Des­ wegen mangelt dem GG. nach § 84 Abs. 2 GGG. die Zuständigkeit. Unstreitig besteht für die Innung ein Jnnungsschiedsgericht. Nach § 81b Nr. 4 GO. ist dieses dann zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites berufen. Der von den Kl. hiergegen geltend gemachte Einwand ist verfehlt. Es ist unerheblich, ob der Be­ trieb der Bekl. ein fabrikmäßiger ist oder nicht, da dies nur sür Zwangsinnungen von Bedeutung ist. (§ 100f. Nr. 1 GO.); ebenso ist auch die Ausführung, der Inhaber der Bekl. gehöre nur für s eine Pers on der Innung an, so daß seine Mitgliedschaft für die von ihm beschäftigten Personen keine Folge habe (§ 100 GO ), verfehlt. Alle diese Bestimmungen gelten nur sür Zwangs innungen. Der vorliegende Rechtsstreit gehört zur Zuständigkeit des Jnnungsschiedsgerichts. Es hatte daher die Abweisung der Klage wegen Unzuständigkeit des Gerichts zu erfolgen. Die von den Kl. eingelegte Berufung ist zurückgewiesen. AusdenGründendesLandgerichts: Den Ausführungen des angefochtenen Urteils konnte lediglich beigetreten werden. Nach § 84 Abs. 2 GGG. wird durch die Zuständigkeit eines Jnnungsschiedsgerichts die Zuständigkeit eines für den Bezirk der Innung bestehenden GG. ausgeschlossen. Em solches Schiedsgericht, das nach § 81b Nr. 4 GO. für Streitigkeiten der im § 4 GGG. vorgesehenen Art zwischen Jnnungsmitgliedern und Gesellen (Gehilfen) zu­ ständig ist, hat die Schlosser-, Sporen-, Büchsen- und Windemacher-Jnnung, eine freie Innung. Nach § 1 des genehmigten Statuts umfaßt der Bezirk der Innung den Bezirk der Gemeinde B. und die im Umkreise von 7 km um B. be­ legenen Ortschaften also auch den Wohnsitz der Bekl. CH.; diese Ausdehnung des Bezirks ist von dem Mniister für handel und Gewerbe genehmigt. Nach § 4a des Statuts ist zum Eintritt m die Innung jeder Volljährige berechtigt, der das Schlosser- oder ein verwandtes Gewerbe innerhalb des Jnnungbezirks sselbftändig betreibt. Das trifft aus die Bell. zu. Ob das Gewerbe fabrik­ mäßig betrieben wird, ist gleichgültig. Der § 4a a. a. O. schließt sich an § 87 GO. an, der ebenfalls nur einen selbständigen Gewerbebetrieb verlangt. Ein fabrikmäßiger Betrieb hindert nur die Mltgliedschaft in einer Zwangsinnung, wie

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$84 GGG.

eine Vergleichung des Wortlauts des § 87 GO. mit dem des § 100 f. Nr. 11. c. deutlich beweist. Wollte das Statut Fabrikanten von der Jnnungsmitgliedschaft ausschließen, so hätte es dies sicherlich ebenso klar zum Ausdruck gebracht, wie es die GO. für die Zwangsinnung tut. (Gewerbe- u. Kaufmannsgericht Jg. 11 Sp. 174.)

198. (122.) Wird die Zuständigkeit des GG. begründet, wenn der Vor­ sitzende des Jnnungsschiedsgerichts innerhalb der achttägigen Frist einen Sühnetermin abhält, aber die Einberufung deS Gerichts ablehnt? Urteil des GG. Weimar vom 27. Juni 1902.

Das GG. hat sich für zuständig erklärt.

199. Ist das JnnungSschiedsgericht auch ausschließlich zuständig für Arbeiter eines JnnungsmeisterS, die in einer anderen Branche tätig sind? Urteil des GG. Zwickau vom 7. November 1905.

Das GG. hat sich wegen Zuständigkeit des Jnnungsschiedsgerichts für unzu­ ständig erklärt. AusdenGründen: Nach § 81b der GO. sind die von den Innungen errichteten Schiedsgerichte an Stelle der sonst zuständige,» Behörden berufen zur Entscheidung von Streitigkeiten der in § 3 (jetzt § 4) des GGG. bezeichneten Art zwischen den Jnnungsmitgliedern und ihren Gesellen (Gehilfen) und Arbeitern. Damit ist mit ausreichender Klarheit zum Ausdruck gebracht, daß für Streitigkeiten nach § 4 des GGG. zwischen den Jnnungsmitgliedem, als Arbeitgebern, und sämtlichen in ihrem Be­ triebe beschäftigten Arbeitnehmern — soweit auf diese überSt die GO. Anwendung findet — das Schiedsgericht derjenigen Innung zuig ist, zu welcher derArbeitgeberals Jnnungsmitglied gehört. Dies wird um so klarer durch den Umstand, daß die Worte „und Arbeitern" in den vorbezeichneten Zusammenhang bei einer gesetzgeberischen Neuredaktion der GO. durch die Novelle vom 26. Juli 1897 neu eingefügt worden sind. Ab­ gesehen davon, daß in dem § 81b der GO. eine Bestimmung fehlt, wonach nur diejenigen Gehilfen, welche die für den Betrieb des betreffenden Gewerbes wesentlichen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, zu den Gehilfen im Sinne dieser Gesetzesbestimmung gehören, und daß auch sonst aus dem von den gewerb­ lichen Aroeltem handelnden Titel VII der GO. eine solche Beschränkung sich nicht ohne weiteres ergibt, so erstreckt sich in dem Zusammenhangs des § 81b der GO. die allgemeine Bezeichnung Arbeiter (obgleich sie in erster Linie die unge­ lernten Arbeiter betreffen mag) auf alle in einem Gewerbebetriebe beschäftigten Arbeitnehmer, bzw. soweit sie nicht der speziellen Bezeichnung Gesellen (Gehilfen) unterfallen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 146.)

200. Ist für Streitigkeiten von Arbeitem desselben Arbeitgebers unter­ einander das GG. zuständig, wenn der Arbeitgeber einem Innungs­ schiedsgericht untersteht? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 27. Januar 1904.

Das GG. hat sich für zuständig erklärt. Aus den Gründen: Die Zuständigkeit des Jnnungsschiedsgerichts ist ausgeschlossen, obwohl der Arbeitgeber der Parteien ihm untersteht. Denn in

dem die Zuständigkeit der Jnnungsschiedsgerichte abgrenzenden § 81b Nr. 4 GO. werden zwar diesen Schiedsgerichten die Streitigkeiten der im § 4 (früher 3) des GGG. bezeichneten Art zugewiesen; und zu diesen gehören auch bte Ansprüche, welche aus einer gemeinsam übernommenen Arbeit von Arbeitem desselben Arbeitgebers gegeneinander erhoben werden (Nr. 6 das.). Aber gleichzeitig ver­ langt § 81b Nr. 4, daß es sich um Streittgkeiten genannter Art „zwischen den Jnnungsmitgliedem und ihren Gesellen und Arbeitem" handeln müsse, erwähnt also nicht die Streitigkeiten der Gesellen usw. untereinander (das GGG. dagegen nennt die Streittgkeiten im § 1 besonders). Da ferner die Innungsschiedsgerichte als Ausnahmegerichte erscheinen, so darf die Vorschrift über ihre Zuständigkeit auch nicht ausdehnend ausgelegt werden. Es verbleibt mithin für die Ansprüche der Gesellen untereinander bei der Zuständigkeit der ordenllichen, im vorliegenden Fall also der GG. (Reichsarbeitsbl. Jg. 3 S. 349.)

201. Klage auf Aufhebung eines verurteilenden Spruchs des JnnungSfchiedsgerichtS. Kann das ordentliche Gericht materiell verurteilen, wenn das Urteil deS Jnnungsschiedsgerichts wegen Unzuständigkeit aufgehoben werden muß? Urteil des R e i ch s g e r i ch t s, 7. Zivilsenat, vom 15. März 1910.

Der Bell, hatte im Jahre 1907 mit dem Kl. einen Vertrag abgeschlossen, wonach dieser mit der von ihm geführten Putzerkolonne an einem dem Bell, gehörigen in Berlin gelegenen Neubau ausführen sollte. Am 22. April 1907 begann der Kl. und seine Kolonne mit den Putzarbeiten. Am 1. Juni 1907 legte die Kolonne, am 15. Juni 1907 der Kl. selbst die Arbeit nieder, ohne daß die Arbeiten zu Ende geführt worden waren. Der Bell, erhob aus diesem Anlaß bei dem Jnnungsschiedsgericht in Berlin Klage gegen den jetzigen Kl. auf Zahlung eines Schadenersatzbetrages von 3000 Mk. mit der Be­ hauptung, daß ihm durch die verspätete Fertigstellung seines Neubaues, die infolge der ungerechtfertigten Arbeitsniederlegung des Kl. und seiner Kolonne eingetreten sei, ein Schaden in der angegebenen Höhe entstanden wäre. Das Jnnungsschiedsgericht erkannte dem Klageantrage gemäß. Der Kl. stellte hierauf gegen den Bell, eine Klage bei dem LG. III Berlin mit dem Anträge an, das Urteil des Jnnungsschiedsgerichts auf» zu heben. Der Bell, beantragte, die Klage abzuweisen und das Urteil des JnnungsschiedsgenchtS aufrechtzuerhalten. Das LG. entsprach dem Klageantrage. Auf die Bemfung des Bell, hob das Berufungsgericht das Urteil des Jnnungsschiedsgerichts ebenfalls auf, erllärte aber den Anfpmch des Bell, dem Grunde nach für gerechtfertigt. Auf die Revision des Kl. ist unter Aufhebung des Urteils des Berufungs­ gerichts die Bemfung gegen das Landgerichtsurteil zurückgewiesen. AusdenGründen: Der Bemfungsrichter gelangt zu seiner Entschei­ dung auf folgendem Wege. Er nimmt auf Gmnd tatsächlicher und rcchllicher Er­ wägungen an, daß der Kl. nicht als Bertreter der von ihm geführten Putzer­ kolonne, sondem selbständig als Untemehmer den fraglichen Vertrag mit dem Bell, abgeschlossen habe. Damach war, wie der Bemfungsrichter weiter aus­ führt, das Jnnungsschiedsgericht zum Erlaß der von ihm getroffenen Entscheidung nicht zuständig, und dieses Urteil daher auszuheben. Die weitere Entscheidung, daß der Anfpmch des Bell, dem Gmnde nach gerechtfertigt sei, begründet der Bemfungsrichter mit nachstehender Erwägung: Es könne mcht verlangt werden, das der auf Aufhebung des Urteils des Jnnungsschiedsgerichts Berll. noch formell die jedenfalls zulässige Widervage in der Hauptsache erheben müsse, um eine Entscheidung in der Sache selbst zu ermöglichen. Indem der Bell, die Abweisung der auf Aufhebung der Vorentscheidung gerichteten Klage beantrage und damit, wie das hier in erster Instanz ausdrücklichgeschehen sei, den Anttag auf Aufrecht­ erhaltung der Vorentscheidung verbinde, begehre er in der Sache selbst eben dieselbe Entscheidung, um deren Aufrechterhaltung oder Aufhebung gestritten

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§84 GGG.

werde, er übernehme also die Stelle des Kl., sofern sie ihm in der Sache selbst zufalle. Es bestehe daher auch kein prozessuales Bedenken, sofern sch zwar das Urteil des Jnnungsschiedsgerichts als formell unzulässig, der Anspmch des Bell,

in der Sache selbst aber als begründet erweise, ihm den ihm gebührenden Bettag zuzusprechen und auf seinen Anspmch § 304 der ZPO. zur Anwendung zu bringen. — Dieser Auffassung kann jedenfalls für einen Fall der vorliegenden Art nicht beigetteten werden. Der Kl. kann, abgesehen von dem Kostenpunkte und dem Falle des judicium duplex, nicht zu einer Leistung an den Bell, verurteilt werden, dies ergibt sich aus der passiven Stellung des Bell. Die Klage, die nach § 91b der GO. binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem ordentlichen Gericht zu erheben ist, widrigenfalls die Entscheidung des Jnnungsschiedsgerichts (§ 81b Nr. 4 der GO.) rechtskräftig wird, begründet kein judicium duplex. Das erhellt schon aus der Lage der Dinge, wenn derjenige, der bei dem Jnnungsschiedsgericht als Kl. aufgetteten ist, mit seiner Klage von diesem Gericht abgewiesen ist. Die Klage, die er alsdann bei dem ordentlichen Gericht anzustellen hat, ist die gewöhn­ liche, ihm nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts zustehende Zivilklage, die auf Beurteilung des Bell, zu richten ist. Dafür, daß dem durch diese Klage einge­ leiteten Rechtsstreit der Charakter des judicium duplex beiwohne,gebricht es an jedem Anhalt. Nicht anders liegt es, wenn von dem Jnnungsschiedsgericht der Bell, vemrteilt worden ist. Welche Klage dieser zu erheben hat, um die Ent­ scheidung des Jnnungsschiedsgerichts hinfällig zu machen, kann zweifelhaft sein; das Gesetz spricht sich hierüber nicht aus. Nimmt man an, daß in den Fällen, in denen das Schiedsgericht zuständig ist, nicht die bloße Klage auf Aufhebung des schiedsgerichüichen Urteils genüge, sondem daß eine besondere Zivilklage erhoben

werden müsse, so konnte, wenn der Bell, selbst keine Ansprüche gegen den Kl. hat und erhebt, nur allein die negative Feststellungsllage in Bettacht kommen, und zwar des Inhalts, daß dem Kl. die Ansprüche, die er vor dem Innungs­ schiedsgericht gegen den damaligen Bell, und jetzigen Kl. erhoben hat, nicht zu­ ständen. Auch diese Kl. kann mcht zu einer Verurteilung des Kl. führen. Mrd dem Anttage des Bell, auf Abweisung dieser Klage gemäß erkannt, so kann damit rechtskräfttg festgestellt sein, daß dem Bell, der behauptete Anspmch gegen den Kl. zustehe; allein ein Urteil auf Leistung des Kl. an den Bell, ist damit nicht ge­ fällt. Will in allen diesen Fällen der Bell, eine Berurtellung des Kl. zur Leistung an ihn herbeiführen, so muß er aus seiner passiven Bellagtenrolle heraustteten und attiv als Kl. d. h. also als Widerlläger die entsprechenden Klageanträge stellen. Nichts von dem ist hier geschehen. Der Bell, ist nicht als Widerlläger aufgetteten, sondem hat sich auf den Anttag beschränkt, die Klage abzuweisen. Mlerdings hat er in erster Instanz noch den Anttag gestellt, das Urteil des Jnnungsschiedsgerichts aufrechtzuerhalten und hierauf legt der Bemfungsrichter Gewicht. Allein in zweiter Instanz hat der Bell, diesen Antrag nicht wiederholt; hier hat er ledigüch Abweisung der Klage beanttagt und der Bemfungsrichter hatte allein auf Gmnd dieses Anttages zu entscheiden. In diesen Anttag läßt schi aber ein Widerllageanttag nicht hineindeuten. Wollte der Bell, wirklich aktiv als Kl. auftreten, so mußte er dies auch formell zum Ausdmck bringen, was in der einfachsten Weise durch Stellung eines Widerllageanttages geschehen konnte. Tat er dies nicht, so muß es für den Bell, bei den Folgen seiner passiven Rolle verbleiben. Übrigens bestehen die erheblichsten Bedenken auch gegen die Annahme, daß in dem Anttage auf Aufrechterhaltung des Urteils des Jnnungsschiedsgerichts ein Mehreres zu finden sei, als was in dem Anttage aus Klageabweisung enthalten ist. Wie der Bemfungsrichter mit Recht selbst ausgeführt hat, verliert die Entscheidung des jnnungsschiedsgerichts mit der Beschreitung des ordenllichen Rechtsweges durch eine der Parteien jede Bedeutung; sie fällt völlig hinweg. Daher kann von einer Aufrechterhaltung des Urteils des Schiedsgerichts keine Rede sein; ein hierauf

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gerichteter Anspruch ist inhalts- und gegenstandslos. Unter allen Umständen gilt das Vorstehende für einen Fall der vorliegenden Art, in welchem das Innungs­ schiedsgericht nach der Feststellung des Berufungsrichters der Zuständigkeit zur Entscheidung über den bei ihm angebrachten Anspruch ermangelte. Hier kann von einer besonderen Zivilllage nicht die Rede sein, sondem die Klage, die hier allein am Platze ist, ist die Klage auf Aufhebung des Urteils des Schiedsgerichts. Einer solchen Klage gegenüber muß jedenfalls gefordert werden, daß, wenn der Bell, in diesem nunmehr vor dem ordentlichen Gericht stattfindenden Rechtsstreit eine Verurteilung des Kl. zur Leistung an ihn erzielen will, er auch formell die Rolle des Kl. übernehme, was hier nicht geschehen ist. Die Revision des Kl. war hiernach für begründet zu erachten und so, wie geschehen, zu erkennen. Die gänz­ liche Aufhebung des Berufungsurtells ist lediglich der einfacheren Formulierung halber erfolgt; sachlich ist durch Zurückweisung der Berufung des Bell, gegen das erstinstanzliche Urteil, durch das das Utteü des Schiedsgerichts aufgehoben wurde, der dieses ebenfalls aufhebende Teil der Bemfungsentscheidung erhalten geblieben.

202. (123.) Sind die JnnungSschiedsgerichte zustündig für Streitigkeiten zwischen dem Jnnungsmeister und dem Rechtsnachfolger des Gehilfen? Urteil des LG. I zu B e r l i n, 25. Zivilkammer, vom 28. Oktober 1899. Die Zuständigkeit ist vemeint.

203. Ist daS GG. oder der JmmngSauSschutz für Lehrlingswesen zuständig, wenn nach Ablauf der Lehrzeit der bisherige Lehrling auf Ausstellung eines Zeugnisses und Herausgabe des Arbeitsbuchs klagt? Urteil des GG. Lehe vom 3. Juni 1904. Tas GG. hat sich für unzuständig erllärt.

AusdenGründen: Der Kl. will als L e h r l i n g beim Bell, beschäftigt gewesen sein und verlangt nach Beendigung seiner Lehrzeit ein Zeugnis über seine Fähigkeiten und über die Dauer seiner Lehrzeit, Gelegenheit zur Anfertigung seines Gesellenstückes und schließlich Entschädigung wegen Vorenthaltung des Zeugnisses und des Arbeitsbuches. Zweifelsohne unterstehen diese Ansprüche an sich der sachlichen Zuständigkeit des GG. Es bestimmt aber § 84 des GGG., daß die Zuständigkeit der Innungen zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebem und ihren Lehrlingen (GO. § 81a Nr. 4, § 81b Nr. 4) durch dieses Gesetz keine Einschränkung erleidet, und nach § 81a Nr. 4 der GO. gehört zur Auf­ gabe der Innungen die Entscheidung von Streitigkeiten der im §3 — jetzt § 4 — des GGG. bezeichneten Art zwischen den Jnnungsmitgliedem und ihren Lehr­ lingen. Die Parteien sind darüber einig, daß der Bell. Mitglied der Innung „Bauhütte an der Unterweser" zu Geestemünde ist, welche die Maurer- und Zimmermeister von Lehe und Geestemünde vereinigt. Es bleibt daher nur noch die vom Kl. aufgeworfene Frage zu prüfen, ob er als Lehrling oder, wie er will, als Geselle anzusehen sei. Die Behauptung des Kl., daß er mit Ablauf der Lehrzeit ohne weiteres Geselle geworden sei, kann als stichhaltig nicht angesehen werden. Die GO. hat von einer gesetzlichen Bestimmung des Begriffs „Lehrling" zwar abgesehen, hat auch die Ablegung der Gesellenprüfung nicht als zwingend vorgeschrieben, gleich­ wohl ist aber aus den Bestimmungen der GO. über die Lehrlingsverhältnisse §§ 126 bis 132 in ihrer Gesamtheit zu folgern, daß erst mit der Ablegung der Gesellenprüfung und nicht schon mit dem Ablauf des letzten Tages der Lehrzeit das Lehrlingsverhältnis sein Ende findet, d. h. aus dem Lehrlinge ein Geselle

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§84 GGG.

§ 1 KGG.

wird. Aber auch wenn diese Ansicht nicht zutrefsen sollte, ist weiter zu erwägen, daß das Verhol nis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Vertrag beruht Dieser Vertrag erlischt mit dem Ablauf der Zeit, für welche er eingegangen ist. Da im vorliegenden Falle der Kl. mit dem Bell, lediglich einen Lehrvertrag bis zum 21. Mai 1904 geschlossen haben will, so war dieser Vertrag am 22. Mai 1904 abgelaufen. Mit dem Ablauf wurde aber der Kl. als bisheriger Lehrling des Bell, nicht ohne weiteres Geselle desselben. Hierzu war vielmehr ein neuer Vertrag zwischen den Parteien erforderlich. Wenn man endlich auch, was übrigens nirgends ausgesprochen ist, als eine gesetzliche Folge der beendigten Lehrzeit den Charakter als „Geselle" annehmen wollte, so wäre der Kl. doch nicht ohne weiteres „Geselle des Bell." geworden und doch nur für diesen Fall würde die Zuständigkeit des GG. sich begründen lassen, da nach § 1 des GGG. die GG. für die Entscheidung von gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitern und ihren Ar­ beitgebern errichtet sind. Das GG. ist deshalb der Überzeugung, daß Kl. als L e h r l i n g des Bell, von diesem die Gelegenheit zur Ablegung der Gesellenprüfung (§ 131 der GO., die Ausstellung eines Zeugnisses und die Aushändigung seines Arbeitsbuches verlangt. Zur Entscheidung über diese Ansprüche ist aber das GG. nach § 84 des GGG., § 81a Nr. 4 der GO. und § 4 Ziff. 2a des Ortsstatuts der Gemeinde Lehe betr. das GG. daselbst, sachlich nicht zuständig. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 41.) 204. (124.) Wird das GG. in dem Rechtsstreite eines Lehrlings gegen seinen Lehrherrn wegen Auflösung des LehrverhLltnisseS zuständig, wenn die an sich zuständige Innung die Sache an das GG. verweist? Urteil des GG. Hamburg vom 20. Oktober 1896.

Tas GG. erklärte sich für unzuständig.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 30.)

Zum Kaufmamlsgerichtsgesetz. 205. Ist das KG. zuständig, wenn der Anspruch des Angestellten infolge Abtretung von einem Dritten geltend gemacht tottb?1) Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsenat, vom 19. November 1907. Die Kl. klagt aus Zahlung einer Gehaltsforderung, die ihrem Schuldner, dem BuchHalter A., gegen die verklagte Firma zustehen soll und ihr im Wege der Pfändung und Überweisung übertragen worden ist.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.2) Berufung und Revision wurden zurückgewiesen. AusdenGründen: Der § 1 Abs. 1 GGG. bestimmt: „Aür die Ent­ scheidung von gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits, sowie zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers können GG. errichtet werden." Der § 1 Abs. 1 KGG. vom 6. Juli 1904 lautet dagegen: „Zur Enttcheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst- oder Lehrverhältnisse zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungs­ lehrlingen andererseits können bei vorhandenem Bedürfnisse KG. errichtet werden." Während also dort als Voraussetzung für die Zuständigkeit des GG. angegeben ‘) Siehe auch Nr. 3. ?) Ebenso OLG. Dresden vom 26. Oktober 1907. Jg. 13 Sp. 212.)

(Gewerbe- u. Kaufmannsger.

wird, daß der Arbeiter und Arbeitgeber Parteien des Rechtsstreites sind, spricht hier die Wortfassung dafür, daß das KG. in allen Fällen zuständig sein soll, in denen die Streitigkeit aus dem Dienst- oder Lebrverhältnis herrrührt. Hiernach ist nicht Voraussetzung der Zuständigkeit, daß der Rechtsstreit gerade zwischen den bezeichneten Personen geführt wird. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 113.)

206. Ist das KG. zuständig für den Pfändnngsglänbiger des Angestellten? *) Beschluß des Kammergerichts, 8. Zivils., vom 29. Nov. 1905. Die Kl. hat mit der Behauptung, daß wegen eines ihr gegen ihren Mann zustehenden Anspruchs aus Zahlung von Unterhaltungsgeld und Auslagen durch Beschluß des Amts­ gerichts die Gehaltsforderung ihres Mannes gegen den Bekl., in dessen Handelsgewerbe er zur Leistung kaufmännischer Dienste gegen ein monatliches Gehalt von mehr als 126 Mk. angestellt sei, gepfändet und ihr zur Einziehung überwiesen sei, bei dem Landgericht be­ antragt, den Bell, zu vemrteilen, an sie am 30. September 1905 und weiter an jedem letzten des Monats je 125 Mk. zu zahlen, solange ihr Mann bei ihm in Stellung sei.

Die Klage ist wegen Unzuständigkeit des ordenllichen Gerichts abgewiesen worden. Auch die beantragte Bewilligung des Armenrechts für die Berufungs­ instanz wurde abgewiesen. AusdenGründen: Nach § 1 sind die KG. zuständig für die Entschei­ dung von „Streitigkeiten aus dem Dienst- und Lehrverhältnisse zwischen Kauf­ leuten einerseits und ihren Gehilfen und Lehrlingen andererseits". Durch diesen Wortlaut, mit dem der Gesetzgeber bewußt von der Fassung der entsprechenden Bestimmung des GGG. abgewiesen ist, welche die Zuständigkeit der GG. für „Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern" ausspricht, ist zum Ausdruck gebracht — wie auch die Begründung zum KGG. hervorhebt —, daß das KG. auch dann zuständig sein soll, wenn der geltend gemachte Anspmch vor oder nach Erhebung der Klage auf einen Rechtsnachfolger Übergängen ist. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Gehaltsforderung gegen die Bell, beruht auf dem „Dienstverhältnis zwischen Kaufmann einerseits und seinem Handlungsgehilfen andererseits", und die Kl. macht sie geltend auf Gmnd einer durch die behauptete Pfändung und Überweisung eingetretenen Rechtsnachfolge. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 223.)

207. Gehaltspfändung wegen Steuerforderungen. Ist das KG. zuständig, wenn der Streit der Parteien lediglich die Zulässigkeit der Pfändung betrifft? *) Urteil des KG. Berlin vom 4. Februar 1908. Der Handlungsgehilfe A., welcher bei dem Bell, gegen ein monatliches Gehalt von 90 Mk. beschäftigt ist, verschuldet der Kl. (Stadtgemeinde D.-W.) Steuer- und Ge­ bührenbeträge aus dem Quartal Juli-September 1907 im Gesamtbeträge von 5,25 Mk. Durch überweisungsbeschluß ist das Gehalt des A. in Höhe der Schuld von 5,25 Mk. gepfändet und der Kl. zur Einziehung überwiesen worden. Kl. beantragt daher, Bekl. zu vemrteilen, an sie 5,25 Mk. zu zahlen. Bekl. hat Abweisung der Klage beantragt. Er macht geltend, daß ein Gehaltsbetrag von 90 Mk. der Pfändung nicht unterliegen könne, da er nicht einmal zur Erhaltung des Schuldners und seiner Familie hinreiche.

Bell, ist verurteilt. Aus den Gründen: Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts konnte, da der Rechtsstreit eine Forderung aus dem Dienstverhältnis zwischen einem Handlungsgehilfen und einem Kaufmann zum Gegenstände hat, nach *) Siehe auch Nr. 2.

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§ 1 KGG.

dem Wortlaut des § 1 des Gesetzes vom 6. Juli 1904 und der herrschenden Praxis einem Bedenken nicht unterliegen; wenngleich im vorliegenden Falle lediglich die Zulässigkeit der Pfändung, also des Übergangs der Forderung auf die Kl., strittig war. (Vgl. Entsch. d. Reichsgerichts v. 19. Nov. 1907 im „Recht" Jg. 12 Sp. 33.) — Aber auch in sachlicher Beziehung erschien der Anspruch begründet. Die die Gehaltspfändung einschränkenden Bestimmungen des Lohnbeschlag­ nahmegesetzes finden auf die Beitreibung der direkten persönlichen Staatssteuern und Kommunalabgaben keine Anwendung, sofern diese Steuern und Abgaben nicht seit länger als drei Monaten fällig geworden sind (§ 4 Ziff. 2 Ges. v. 21. Juni 1869). Da andererseits § 46 der Verordnung über das Verwaltungszwangs­ verfahren vom 15. November 1899 den Anspruch auf Arbeits- und Dienstlohn unter den der Pfändung nicht unterworfenen Forderungen nicht aufzählt, sondem lediglich auf die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juni 1869 ver­ weist, so mußte im vorliegenden Falle, wo es sich um ©teuern handelt, welche gemäß § 67 des Einkommensteuergesetzes mit dem Ablauf der ersten Hälfte des Monats August 1907 fällig geworden und am 21. Oktober 1907, also innerhalb der dreimonatigen Frist des § 4 Lohnbeschlagnahmegesetzes, der Kl. überwiesen waren, dem Klageanträge stattgegeben werden. Der Einwand, daß bei Schmä­ lerung eines monatlichen Einkommens von 90 Mk. die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährdet werde, konnte von dem erkennenden Gericht nicht berüchichtigt werden, da die Befugnis der Niederschlagung in derartigen Fällen gemäß § 69 Einkommensteuergesetzes der Verwaltungsbehörde zusteht. (Gewerbe- u. Kaustnannsger. Jg. 13 Sp. 218.)

208. Ist das KG. zuständig für die Klage gegen den Konkursverwalter über die Rechtmäßigkeit der Entlassung? Urteil des KG. München vom 2. Mai 1907.l) Das KG. hat sich für zuständig erklärt. Aus den Gründen: Seitens des Bell, wird gegen die Klage der Ein­ wand der Unzuständigkeit des KG. erhoben und damit begründet, daß in erster Linie der Bell, nicht Kaufmann sei, derselbe sei vielmehr in seiner Eigenschaft als Konkursverwalter Beamter. Es mag hier die Streitfrage, als was der Kon­ kursverwalter anzusehen ist, unerörtert bleiben; soviel steht fest, daß er, wenn er das Geschäft des Gemeinschuldners fortführt, als dessen Nachfolger anzusehen ist. Das allein aber genügt schon, um die Zuständigkeit des KG. zu begründen. Das geht aus der Fassung des Gesetzes vom 6. Juli 1904 klar hervor, insofern als § 1 a. a. O. die Worte enthält: „Aus dem Dienst- und Lehrverhältnis". Diese Fassung wurde gerade um deswülen gewählt, um anzudeuten, daß es für bte Frage der Zuständigkeit vor allem auf das Dienstverhältnis ankomme; die RechtsNachfolge auf Seite des Kaufmanns oder des Gehilfen aber irrelevant sei. Auch die Begründung des Gesetzes läßt nach dieser Richtung hin keinen Zweifel auf­ kommen. So auch die herrschende Ansicht tn Theorie und Praxis. (Vgl. Urteil d. K. LGR. München I vom 17 .Nov. 1905 Bei. Reg. Nr. F. 516/05 und die dort angeführte Literatur. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 15.)

209. Ist das KG. zuständig für die Klage gegen den Konkursverwalter auf Feststellung der Gehaltsforderung zur Tabelle? Urteil des KG. Köln vom 27. August 1907.v) Ein Reisender hatte, als sein Prinzipal in Konkurs geriet, eine Salärsorderung für das letzte Jahr, vor Eröffnung des Konkurses in Höhe von 1800 Mk., als bevorrechtigte Forderung, und eine weitere Salärforderung von 3797 Mk. für die frühere Zeit als ein-

*) Vgl. auch Nr. 8, 9.

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fache Konkurssordemng angemeldet. Der Konkursverwalter erkannte die Fordemng für das letzte Jahr vor der Konkurseröffnung als bevorrechtigt an und zahlte den Betrag von 1800 Mk-, bestritt aber im übrigen die weiter angemeldeten Fordemngen. Der Reifende erhob deshalb gegen den Konkursverwalter Klage beim KG. mit dem Anträge, festzustellen, daß ihm gegen den Konkurs eine Gehaltsforderung von 3797 Mk. zustehe. Der Bell, beantragte Abweisung wegen Unzuständigkeit des KG., indem er geltend machte, daß er nicht Kaufmann, sondern Vertreter einer Bermögensmasse sei; außerdem handle es sich um Ansprüche des Kl-, die vor der Konkurseröffnung liegen, endlich sei das KG. nur zuständig, menn die Streitigkeiten die Leistungen aus dem Dienst- oder Lehr­ verhältnis beträfen, hier sei aber die Klage nicht als Leistungsklage, sondern als Fest­ stellungsklage gegeben und gehöre als solche vor die ordentlichen Gerichte.

Das KG. verwarf die Einrede der Unzuständigkeit.

AusdenGründen: Der § 146 KO. bestimmt in Abs. 1, daß es den Gläubigem streitig gebliebener Fordemngen überlassen bleibt, die Feststellung derselben gegen die bestreitenden zu betreiben. Diese Feststellung hat gemäß Abs. 2 a. a. O. im Wege der Klage, und zwar im ordentlichen Verfahren aus­ schließlich bei dem Amtsgericht zu erfolgen, bei welchem das Konkursverfahren anhängig ist, und wenn der Streitgegenstand zur Zuständigkeit der Amtsgerichte nicht gehört, bei dem Landgericht, zu dessen Bezirk der Bezirk des Konkursgerichtes gehört. Diese Bestimmung enthält lediglich Vorschriften über die für die Fest­ stellungsklage zu wählenden Prozeßarten und die örtliche Zuständigkeit des anzumfenden Gerichts. Daß die sachliche Zuständigkeit durch diese Vorschrift nicht be­ rührt wird, ergibt sich aus Abs. 5 des § 146 KO., welcher bestimmt, daß die Vor­ schriften der Abs. 1, 3, 4 entsprechende Anwendung finden, wenn es sich um For­ demngen handelt, für deren Feststellung besondere Gerichte zuständig sind. Ist also für die Entscheidung über eine Fordemng ein besonderes Gericht ausschließlich für zuständig erklärt, so bleibt dasselbe auch zuständig für die Feststellung der betreffenden Fordemng im Konkursverfahren. Da nun gemäß 8 6 Abs. 1KGG. durch die Zuständigkeit eines KG. die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen wird, und zwar so, daß gemäß Abs. 2 Bereinbamngen, durch welche der Entscheidung des KG. Streitigkeiten, die zu seiner sachlichen Zuständigkeit gehören, entzogen werden, nichtig sind, so bleibt nach § 146 Abs. 5 KO. das KG. auch für die Feststellung bestrittener Ansprüche in Konkursverfahrenzuständig, vorausge­ setzt natürlich, daß diese Ansprüche selbst sonst der Zuständigkeit des KG. unter­ liegen (vgl. Jäger KO. S. 553). Die Ansicht des Bekl., daß durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Gemeinschuldners die Entscheidung der Sache der Zuständigkeit des KG. entzogen sei, ist somit nicht haltbar. Ebenso unbegründet ist aber auch der Standpunkt des Bekl., das KG. sei nicht zuständig, weil es sich um Ansprüche handele, die vor Eröffnung des Konkursverfahrens liegen und Bekl. nicht Kaufmann sei. Nach § 1 Abs. 1 KGG. sind tue KG. zuständig zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen anderseits. Während § 1 des GGG. die Zuständigkeit der GG. enger begrenzt, indem er diese als zuständig Aur Entscheidung gewerblicher Streitigkeiten zwischen Arbeitem einerseits uno ihren Arbeitgebem anderseits bezeichnet, geht das KGG. weiter, und aus der Wortfassung des § 1 geht hervor, daß die Zuständigkeit des KG. dann immer gegeben ist, wenn es sich um eine aus dem Dienstverhältnis zwischen Kaufleuten uno ihren Handlungsgehilfen entspringende Streitigkeit handelt; es ist also nicht notwendig, daß der Rechtsstreit zwischen dem Prinzipal und seinem Angestellten geführt wird, das KG. bleibt auch zuständig, wenn der aus dem kaufmännischen Dienstverhältnis entstandene Anspruch vor oder nach Erhebung der Klage auf einen Rechtsnachfolger übergegangen ist oder gegen die Konkursmasse des Ver­ pflichteten, falls der Konkursverwalter bestreitet, festgestellt werden muß (vgl. v. Schulz Komm. z. KGG. 8. 18, Mot. z. KGG. S. 9, Dtsch. Jur.-Ztg. VIII

126 S. 545, v. Schulz u. Schalhorn S. 295, Ztschr. f. Soz. Pr. XIII S. 898, Apt. Komm. z. KGG. S. 11 Nr. 6.) Dabei ist es auch ganz gleichgültig, wann der An» spruch entstanden ist, und ob die rechtsuchenden Parteien selbst die Eigenschaft als Arbeitgeber und Arbeitnehmer besitzen oder Kaufleute sind. Wenn endlich der Bell, die Zuständigkeit des KG. unter Berufung auf § 5 Nr. 2 KGG. bestreitet, weil dre vorliegende Klage nicht als Leistungsklage, sondem als Fest­ stellungsklage gegeben fet, so erscheint auch dieser Einwand hinfällig. Die erwähnte Gesetzesbestimmung besagt, daß das KG. zuständig sei für Strertigkeiten der in § 1 Abs. 1 a. a. O. bezeichneten Art, falls sie die Leistungen aus dem Dienst­ verhältnisse betrefjen, aber damit soll keineswegs gesagt sein, daß nur für den Fall einer Leistungsllage die Zuständigkeit des KG. gegeben ist, sondern es soll heißen, daß der Rechtsstreit Leistungen aus dem Dienstverhältnis, wie sie in § 59 ff. HGB. näher bezeichnet sind, zum Gegenstände haben muß; es macht aber keinen Unter­ schied, ob Leistungs- oder Feststellungsvage gegeben ist, auch für den letztem Fall, wo wie untergebens der llägerische Anspruch nur durch Feststellungsvage geltend gemacht werden kann, bleibt das KG. zuständig. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 SP. 237.)

210. Kann der Handlungsgehilfe vor dem KG. gegen die Konkursmasse auf Feststellung des Borrechts der Gehaltsforderung klagen? Urteil des KG. Braunschweig vom 11. Oktober 1909. Das KG. hat sich für zuständig ervärt.

Aus den Gründen: § 146 KO. besagt zunächst, daß die Feststellung streitig gebliebener Fordemngen nicht im Rahmen des Konkurses, sondem außer­ halb desselben „im ordentlichen Verfahren" zu erfolgen habe. Daß lediglich dieordentlichenGerichtezur Feststellung bemfen sein sollen, bestimmt der § 146 KO. aber nirgends. Sein Abs. 5 läßt vielmehr deutlich erkennen, daß in solchen Streitfällen, deren Entscheidung den ordentlichen Gerichten nicht zu­ steht, die zur Feststellung der Fordemng bemfenen „besonderen Gerichte, Ver­ waltungsbehörden oder Verwaltungsgerichte" anzugehen sind. In derartigen Fällen sollen die Abs. 1, 3 und 4 entsprechende Anwendung finden. Das heißt: das Feststellungsverfahren ist nur auf Betreiben des Gläubigers gegen die Bestreitenden einzuleiten. War ein Rechtsstreit schon vor der Kon­ kurseröffnung anhängig, so ist kein neues Verfahren einzuleiten, sondem das bereits anhängige aufzunehmen. Der Streitgegenstand ist nach Gmnd und Be­ trag genau festgelegt. — Die Bestimmungen des Abs. 2 sind nicht für entsprechend anwendbar erklärt. Wie der Bell, hieraus folgern kann, daß dre Zuständigkeit von Sondergerichten stets ausgeschlossen sei, ist nicht verständlich. Es ist doch nichts weiter gesagt, als daß die nur auf das Verfahren vor den ordenllichen Gerichten zugeschnittenen Vorschriften des Abs. 2 (Ausschluß der besonderen Prozeßarten, wie Urkunden- und Wechselprozeß und Mahnverfahren, örlliche Zuständigkeit des dem Sitze des Konkursgerichts nächst belegenen Gerichtes), welche für den Rechtsgang vor den Sonder- und Verwaltungsgerichten sowie den Verwaltungsbehörden gar nicht passen, für diese Behörden nicht gelten sollen. Es herrscht denn auch in Literatur und Rechtsprechung durchaus die Meinung, daß die Sondergerichte usw., die r e g e l m ä ß i g zur Entscheidung über strittige Fordemngen berufen sind, auch im Konkursfalle nicht durch die ordent­ lichen Gerichte verdrängt werden sollen *). Unter Berufung auf den Kommentar von Petersen u. Kleinfeller (4. Ausl. Anm. 16 zu § 146 KO.) macht nun Bell, in zweiter Linie geltend: Selbst wenn nicht allgemein die Entscheidung über Konkursfordemngen den Sondergerichten entzogen sei, so seien sie ledenfmls dann nicht zuständig, wenn eine Konkursfor-

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derung an sich unbestritten fei und nur das geltend gemachte Vorrecht der­ selben den Streitgegenstand bilde. Auch dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. Die KO. macht im § 146 keinen Unterschied zwischen den Streitfällen, welche sich um das B e st e h e n oder den Betrag einer Forderung, um deren Eigenschaft als Konkursforderung und um ihre Bevorrechtigung vor anderen Ansprüchen drehen. Die Zuständigkeit für diese verschiedenen Arten von Streitfällen regelt sich daher nach einheitlichen Grundsätzen. Soweit eine Behörde nach allgemeinen Rechtsregeln befugt ist, nicht nur über den Betrag, sondern auch über die rechtlichen Eigenschaften einer Forderung die Entscheidung zu fällen, wird sie auch dazu berufen sein, festzustellen, ob ein Anspruch zu den Konkurs fordemngen zu rechnen ist und ob er int Konkurse ein Vorrecht genießt. Es mag zugegeben werden, daß vielleicht eine Ver waltungsehörde, welche über die zur Konkursmasse angemeldete Beitragsforderung einer Krankenkasse gegen den Gemeinschuldner ihre Entscheidung zu fällen hat, oder ein Verwaltungsgericht, das über die strittige Heranziehung des Gemeinschuldners zu öffenllichen Abgaben u. dgl. (z. B. zu Straßenbaukosten) sein Urteil abgeben muß, nach allgemeinen Rechtsregeln überhaupt nicht dazu befugt ist, sich auch über die Eigenschaft des Anspruches als gewöhnliche oder bevorrechtigte Konkursforderung anszusprechen. In solchen Fällen wird es also wohl nicht zu vermeiden sein, wenn sowohl Bestand oder Betrag einer For­ derung als auch (eventuell) ihr Vorrecht oder ihre Eigenschaft als Konkursforderung bestritten sind, zwei Verfahren nebeneinander — das eine vor der Verwaltungs­ behörde oder dem Berwaltungsgerichte, das andere vor dem ordenllichen Gerichte — durchzuführen. Daß aber auch die S o n d e r g e r i ch t e an der Entscheidung über die Rechtsstellung einer Forderung int Konkurse verhindert seien, ist aus den Gesetzen nicht zu entnehmen. Dies gilt insbesondere auch für die Kauf­ manns geeichte. Wenn sie über Bestehen oder Umfang einer im Konkurse bestrittenen Forderung zu entscheiden haben, so müssen sie dabei stets diejenigen Umstände prüfen, welche die Voraussetzungen für den Vorrang im Konkurse (§ 61 Ziss. 1 KO.) bilden. Sie haben zunächst festzustellen, ob es sich um eine Forderung aus einem kaufmännischen Dienstverhältnisse handelt; denn nur im Bejahungsfälle dürfen sie sich für zuständig erklären. Die KG. müssen sich ferner darüber aussprechen, ob der Klageanspruch auf „Lohn, Kostgeld ober andere Dienstbezüge" gerichtet ist oder ob er andere (im Konkurse nicht bevorrechtigte) Forderungen, z. B. auf Schadenersatz, Vertrags­ strafe, zum Gegenstände hat. Schließlich haben sie, wenn es sich um Dienstbezüge handelt, auch sestzustellen, für welche Zeit vor der^Konkurserösfnung sie gefordert werden können. Es würde zu höchst sonderbaren Ergeb­ nissen führen, wenn die KG. bei der Entscheidung über eine strittige Konkurs­ forderung zwar alle diese Feststellungen zu treffen Hätten, die rechtliche Folgerung hinsichtlich des Vorranges aber den ordenllichen Gerichten überlassen müßten. Die letzteren sind an die Entscheidungen der KG. nicht gebunden. Sie wären also in der Lage, den Vorrang, der nach den Feststellungen des KG. ohne weiteres anzuerkennen sein würde, zu verneinen. So könnten über dieselbe Forderung zwei rechtskrästtge, untereinander in unlösbarem Widersprüche stehende Urteile zustande kommen! Das würde aber dem auf das Vernünftige gerichteten Sinne des Gesetzgebers zweifellos nicht gerecht werden. Ist nach dem Vorstehenden die Zuständigkeit des KG. dann gegeben, wenn sowohl Bestehen oder Umfang als auch das Vorrecht einer aus kaufmännischem Dienstverhältnisse stammenden Konkursforderung bestritten wird, so darf sie selbstverständlich dann nicht üemeint werden, wenn lediglich der Vorrang, nicht aber die Forderung selbst streitig ist Denn eine verschiedenartige Behandlung der beiden Fälle läßt sich weder aus posittven Gesetzesbestimmungen noch aus inneren Gründen rechtfertigen. (Ge­ werbe-u. Kaufmannsger. Jg. 15SP.89.)

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211. Ist das KG. zuständig für den Konkursverwalter wegen Ansprüchen, die nach Eröffnung des Konkurses entstehen? Urteil des KG. Ludwigsburg vom 19. April 1906 und desLandgerichts Stuttgart vom 1. Dezember 1906. Der Kl. ist bei der Firma Schn., deren Inhaber sein Vater war, angestellt gewesen. Am 28. Februar 1906 wurde über die Firma das Konkursverfahren eröffnet. Der bekl. Konkursverwalter vereinbarte mit dem Kl., daß er weiterhin mit geringerem Gehalt für das Geschäft tätig fein solle, das für die Masse vorläufig weiterbetrieben wird. Ende März ist der Kl. entlassen worden und verlangt nunmehr Gehalt und Entschädigung wegen Entlassung. Der Bekl. erhebt den Einwand der Unzuständigkeit des Geichts. Der Konkursverwalter sei nicht allein Vertreter des Gemeinschuldners, sondern auch der Gläubiger, sei sonach nicht Kaufmann.

Die Einrede der Unzuständigkeit wurde durch Zwischenurteil verworfen. AusdenGründendesKG.: Es ist zuzugeben, daß der Konkurs­ verwalter auch Vertreter der Gläubiger ist. Dies ist aber unerheblich. Maß­ gebend ist bloß, ob er ein Handelsgewerbe betreibt. Der Betrieb der Druckerei geht auch heute noch über den Umfang des Handwerks weit hinaus: die ver­ wendete bedeutende mowrische Kraft, die ausschließliche Benützung von Arbeits­ maschinen, aber auch die Zahl der Arbeiter und der Umstand, daß ein technischer Betriebsleiter vorhanden ist, machen dies zweifellos. Damit steht aber geniäß § 1 Abs. 1 und Abs 2 Ziff. 9 HGB. die Kaufmannseigenschaft desjenigen fest, der dieses Geschäft „betreibt", und das ist der Bekl. Die Bemfung gegen dieses Urteil wurde zurückgewiesen. Aus den Gründen des Landgerichts: Es mag dahin stehen, ob dem Bekl. deshalb die Kaufmannseigenschaft abzusprechen ist, weil seine Ge­ schäftsführung keinen Erwerb bezweckt. Denn es ist nicht Voraussetzung des Gesetzes, daß ein Rechtsstreit zwischen einem Kaufmann und Handlungsgehilfen anhängig ist, wie dies nach RG. 55 S. 265 für oie Zuständigkeit des GG. er­ fordert wird; es genügt vielmehr, daß das den Klageanspruch begründende Dienst­ verhältnis zwischen einem Kaufmann und Handlungsgehilfen errichtet wurde (vgl. Motive zum G., Stenogr. Reichst.-Ber. 1903/05 Anl. B. 1 Nr. 143). Daraus, daß nun die Forderung gegenüber dem Konkursverwalter geltend gemacht wird, ist kein Anstand zu entnehmen; das Dienstverhältnis, aus dem geklagt wird, bleibt vor wie nach der Konkurseröffnung dasselbe, selbst wenn eine Reduktion des Gehalts stattgefunden hat (vgl. Menzinger KGG. S. 21, v. Schulz das. S. 18). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 SP. 111.) 212. Ist für Ansprüche ans der Konknrrenzklansel gegen den Bürgen des Handlungsgehilfen das KG. zuständig? Urteil des Reichsgerichts, 6. Zivilsenat, vom 3. Mai 1909. Eine bei der Kl. angestellte Verkäuferin hat sich für den Fall einer Verletzung der Konkurrenzllausel einer Vertragsstrafe von 1000 Mk. unterworfen. Für ihre Verpflich­ tungen hat der Bekl. zu 1 (ihr Ehemann) die solidarische Haftbarkeit, der Bell, zu 2 die selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Gegenüber der Klage aus Zahlung der Vertragsstrafe haben die Bell, die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts vorgeschützt, da die Sache der ausschließlicken Zuständigkeit des KG. unterstehe.

Die Einrede ist von allen Instanzen verworfen worden. Ausden Gründen: Das Berufungsgericht hat vor allen darin recht, daß das Sondergesetz gegenüber der Regelnorm der ordentlichen streitigen Ge­ richtsbarkeit und Zuständigkeit der ordenmchen Gerichte sich als Ausnahmegesetz darstellt — vgl. §§ 12,13,14 GVG. — und daß deshalb der § 1 KGG. eine aus*) Vgl. Nr. 9.

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dehnende Interpretation nicht zuläßt. Aus dem Wortlaute dieser Gesetzesbestim­ mung ist die Zuständigkeit des KG. für die Streitigkeit zwischen dem Gläubiger und dem außerhalb des Dienst- oder Lehrverhältnisses stehenden Mrgen nicht zu begründen; und aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes läßt sich für eine Absicht des Gesetzgebers, auch solche Streitigkeiten der Sondergerichtsbarkeit zu unterstellen, nichts entnehmen. Die Worte des § 1 KGG. „Streitigkeiten aus dem Dienst- oder Lehrverhältnisse zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Hand­ lungsgehilfen oder Handlungslehrlingen andererseits" bringen zum Ausdruck, daß das KG. zuständig sein soll für die aus dem kaufmännischen Dienst oder Lehr­ verhältnisse herrührenden Streitigkeiten; in diesem Rechtsverhältnisse also muß die tatsächliche und rechtliche Gmndlage des streitigen Anspruches beruhen. Mt der von § 1 Abs. 1 GO. vom 29. Juli 1890/29. September 1901 abweichenden Wortfassung wurde bezweckt, für die Kaufmannsgerichtsbarkeit jeden Zweifel darüber zu beseitigen, daß das Sondergericht auch dann zuständig sein soll, wenn der Anspruch vor oder nach der Erhebung der Klage auf einen Rechtsnachfolger übergegangen ist — was für die GG. streitig und von der Rechtsprechung iso in RG. 51,193; vgl. 55, 265) vemeint worden war. Wenn insofern nicht die Rück­ sicht auf die Person der prozessierenden Parteien, sondem der sachliche Inhalt des Rechtsverhältnisses für die Zuständigkeit maßgebend ist, so darf doch auch in sachlicher Richtung die Grenzlinie nicht weiter gezogen werden, als es die posi­ tiven Vorschriften der §§ 1, 5 des Gesetzes erlauben. — Bei der Rechtsnachfolge in den streitigen Anspruch verhält es sich wesenüich anders als bei der Bürgschaft. Im ersteren Falle ist und bleibt der Anspruch ein solcher „aus" dem Dienst- oder Lehrverhältnisse, und es tritt nur der die Rechtsnachfolge begründende Vorgang hinzu, der das Wesen der übergehenden Forderung nicht berührt und keine neue Obligation schafft. Die Bürgschaftsverpflichtung dagegen wird nach § 765 BGB. erst begründe: durch einen zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen abgeschlos­ senen Vertrag, der vom Gesetze nach Form und Inhalt besonders geregelt ist, seine eigene tatsächliche und rechtliche Grundlage hat und insoweit selbständige Verpflichtungen erzeugt. — Freilich ist die Verpflichtung des Bürgen im Ver­ hältnisse zu derjenigen des Hauptschuldners von akzessorischer Natur; es ist für

jene der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit maßgebend, § 767 BGB. Gleichwohl ist die Verpflichtung des Bürgen mit der Verbindlichkeit des Dritten, für deren Erfüllung er einzustehen übernimmt (§ 765 BGB ), nicht identisch; sie besteht neben der Hauptschuld und 'ann nach mehrfacher Richtung einer anderen Beurteilung, als die letztere, unterstehen. So ist für die Verpflichtungen des Bürgen aus dem Bürgschaftsvertrage selbst, die Frage, unter welchen Voraus­ setzungen er dem Gläubiger für die Hauptschuld einzustehen hat, das eigene ört­ liche Recht der Bürgschaftsverpflichtung maßgebend (RG. Bd. 54 Nr. 82 S. 315 f.). Der Gerichtsstand kann für den Hauptschuldner und für den Bürgen ein verschie­ dener sein (nach der bisher herrschenden Ansicht selbst der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes, § 29 ZPO., ein verschiedener). Die Rechtskraft eines Urtells, das im Rechtsstreite zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner oder dem Bürgen ergeht, wirkt nicht gegenüber dem Bürgen bzw. Hauptschuldner, außer soweit § 768 BGB. eingreift (vgl. RG. Bd. 56 Nr. 27 S. 110). — Das Bedenken der Revision, daß der Richter in dem Rechtsstreite zwischen Gläubiger und Bürgen auch — bei darüber bestehendem Streite — über den Bestand der Hauptschuld zu urteilen hätte, würde keinesfalls durchschlagen. Es liegt durchaus in der Regel, daß der ordentliche Zivllrichter über präjudizielle Rechtsverhältnisse, über privatrechlliche (wie selbst über öffenllich-rechüiche) Fragen, soweit diese sein Urteil

über den Streitgegenstand bedingen, auch dann zu befinden hat, wenn zur selb­ ständigen Entscheidung hierüber ein anderer Richter zuständig wäre. Umgekehrt aber wäre zu fragen, ob der Gesetzgeber beabsichtigt habenlönne, dem Sondergericht

Baum, «ewerberertchte.

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die Entscheidung über Fragen des Bürgschaftsrechtes zuzuweisen, einer Rechts­ materie, die mit dem Dienst- oder Lehrverhältnisse an sich nichts zu tun hat, und für deren Beurteilung es mcht auf kaufmännische Sachkunde, sondern auf Rechts­ und Gesetzeskunde des Richters ankommen wird. Auch der sozialpolitische oder wirtschaftliche Zweck, der für die Einrichtung dieser Sondergerichtsbarkeit be­ stimmend gewesen ist, würde es nicht rechtfertigen, der Zuständigkeit des KG. einen Streitgegenstand zu unterstellen, der, wie die Bürgschaft, offenbar außerhalb des in § 1 des Gesetzes umschriebenen Rahmen gelegen ist. — Die Zuständigkeit des KG. für Klagen gegen den Bürgen wird denn auch in der bezüglichen Literatur vorwiegend verneint: (Haas, KGG. zu § 1, Bem. a. a. O. S. 8; Menzinger und Prenner, KGG. zu 8 1 Nr. 4 S. 21; Kulka, KGG. zu § 1, Bem. 2v S. 5 — vgl. noch Wilhelmi und Bewer, GGG. § 1 Anm. 21, 2A S. 22). (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 14 Sp. 346.)

213. Ist das KG. zuständig für Klagen zwischen einer Gesellschaft m. 6. H. und ihrem Geschäftsführer? Urteil des KG. Hamburg vom 24. Januar 1905.

Das KG. hat sich für unzuständig erklärt. •) Aus den Gründen: Das KG. ist nur zuständig zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst- oder Lehrverhältnisse zwischen Kaufleuten einer­ seits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen andererseits. Ein solches Verhältnis hat zwischen den Parteien nicht bestanden. Die Bell., als Gesellschaft mit beschränkter Haftung, gllt zwar als Kaufmann; Kl. aber, als Ge­ schäftsführer und somit Vorstandsmitglied der Gesellschaft, hatte nicht die Stellung eines Handlungsgehilfen. Das Verhältnis der Vorstandsmitglieder zu der Ge­ sellschaft m. b. H. bestimmt sich lediglich nach den Vorschriften des BGB. über den Dienstvertrag. Dementsprechend nehmen auch die Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft m. b. H. an den Beisitzerwahlen zum KG. nicht etwa als Hand­ lungsgehilfen, sondern als Kaufleute teil (§ 14 KGG ). '(Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 116.)

214. Ist der Borsteher der Zweigniederlassung einer Gesellschaft m. b.H. Handlungsgehilfe oder Geschäftsführer? Urteil des Landgerichts zu Rostock, Zivilkammer I.

Das Landgericht hat die Klage wegen Unzuständigkeit abgewiesen. AusdenGründen: Im § 1 des Vertrages vom 29. Dezember 1905, welcher zwischen dem Kl. einerseits und dem ... als Geschäftsführer der ..., G. m. b. H., andererseits abgeschlossen worden ist, hat der Kl. für Rostock die Ver­ tretung, Geschäftsführung und Buchhaltung der vorgenannten Firma kn der Weise übernommen, daß er bei sich eine öffentliche Geschäftsstelle errichtet, sämt­ liche kaufmännischen Arbeiten und Abschlüsse erledigt und die Firma nach außen vertritt, außerdem den Betrieb in ... mit seinen technischen Kenntnissen unter­ stützt und, soweit sich solches erforderlich zeigen sollte, beaufsichtigt und die Angaben der täglichen Berichte kontrolliert. Durch diesen Vertrag, auf welchen die Klage gestützt ist, war der Kl. nicht zum Geschäftsführer der Bell, bestellt und nicht da­ durch ein Organ der Bell, geworden. Eine solche Bestellung mußte nach §§ 6 und Nr. 46 5 des Gesetzes bett, die Gesellsch. m. b. H. im Gesellschaftsvertrage oder durch Bestimmung der Gesellschafter geschehen. Dagegen ist der Kl. durch •) Ebenso KG. Stettin. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 10.)

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einen Geschäftsführer der Bekl. angenommen und als Vorsteher einer Zweig­ niederlassung mit eingeräumten umfassenden Befugnissen angestellt worden. Die letzteren stehen seiner Eigenschaft als Handlungsgehilfe im Sinne des § 59 des HGB. nicht entgegen (vgl. Staub, Kommentar zum HBG., 6. u. 7. Auf!., § 59 S. 242 Anm. 5; S. 243 Anm. 12). Zur Entscheidung von Streitigkeiten über Leistungen aus dem Dienstverträge zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen andererseits sind die KG. ausschließlich zuständig. (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 407.)

215. Sind die KG. für Bersicheruugsvereine auf Gegenseitigkeit zu­ ständig? a) Urteil des Kgl. Landgerichts Stuttgart, 2. Zivilkammer, vom 28. Oktober 1905. Ter Kl. war als Bersicherungsinspektor bei der Bekl. in Stellung. Diese ist eine reine Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit, doch macht sie auch Bankgeschäfte. In der beim Kgl. Amtsgericht Stuttgart-Stadt erhobenen Klage hat der Kl. Berichtigung des ihm von der Bell. ausgestellten Zeugnisses begehrt. Wegen Unzuständigkeit des Gerichts wurde er mit der Klage abgewiesen.

Die vom Kl. eingelegte Berufung ist zurückgewiesen.

Aus den Gründen: Die Kaufmannseigenschaft im Sinne des KGG. kommt demjenigen zu, der nach den bestehenden Gesetzen Kaufmann ist oder als solcher gilt. Mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht zunächst aus­ geführt, daß die Bekl. als eine Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit weder im Sinne des § 1 noch § 2 des HGB. Kaufmann ist und daß ihr im vorliegenden Falle diese Eigenschaft auch nicht deshalb zuzusprechen ist, weil sie neben den Versicherungen auf Gegenseitigkeit andere Handelsgmndaeschäfte gewerbsmäßig betreibt. Das Amtsgericht hat aber seine die Zuständigkeit des M). bejahende Entscheidung auf das Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901, insbesondere den § 16 gestützt, und zwar mit Recht. Der Kl. macht geltend, daß mit dieser Bestimmung nichts weiter gesagt sein wolle, als daß eine bestimmte Anzahl von Gesetzesbestimmungen, die für Kaufleute gelten, anch für die Versicherungsgesellschaften, soweit deren Natur es zuläßt, Geltung haben sollen, daß aber mit § 16 den letzteren weder Kaufmannseigenschaft ver­ liehen, noch auch daß sie den Kaufleuten haben gleichgestellt werden sollen. Diese weitere Tragweite des Gesetzes ergibt sich jedoch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Schon die Denkschrift zur Novelle des HGB. hat ausgeführt (S. 10), daß das Bedürfnis bestehe, die für die Kaufleute bestehenden Vorschriften auch für die Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit auszudehnen; die Ein­ rechnung der letzteren unter die Kaufleute solle aber der Regelung des Ver­ sicherungswesens vorbehalten sein. Im Einklang hiermit erklärt die Begründung des Entwurfs des erwähnten Versicherungsgesetzes von 1901 (vgl. Bericht über die Verhandlungen des Reichstags 1900/02 Aul. Bd. I S. 183/84), daß der Entwurf diesen Vorbehalt eingelöst habe: „Der Umstand, daß den reinen Gegenseitigkeitsvereinen nicht der Charakter gewerblicher Unternehmungen innewohne und daß sie deshalb namentlich in steuerlicher Beziehung nicht auf eine Stufe mit den Kaufleuten gestellt werden können, biete kein Hindernis, sie in den hier fraglichen privatrechtlichen Beziehungen ebenso zu behandeln, wie die Aktien­ gesellschaften und die Genossenschaften. Aus § 16 ergebe sich zugleich die Zuständig­ keit der Kammer für Handelssachen bei Rechtsstreitigkeiten, in denen ein Anspruch gegen Gegenseitigkeitsvereine gemäß § 101 Ziff. 1, 101 Ziff. 3b, c des GBG. geltend gemacht werde." Da bei der Beratung des Gesetzes nirgends eine andere Auffassung zutage trat, so war es zweifellos der Wille des Gesetzgebers, nicht 9*

132 bloß die in § 16 erwähnten handelsrechtlichen Bestimmungen auf die Gegen« seitigkeitsvereine anzuwenden, sondem diese insbesondere auch in prozessualer Beziehung den Kaufleuten gleichzustellen. Dieser Wille des Gesetzgebers hat aber in § 16 einen genügenden Ausdruck gefunden, wenn man den weiten Um­ fang der zur Anwendung zu bringenden handelsrechtlichen Bestimmungen ins Auge faßt. Der gesetzgebensche Grund, der zur Zuständigkeit der Kammem für Handelssachen und der KG. geführt hat, trifft auch auf die ganz nach kaufmännischer Art eingerichteten Gegenseitigkeitsvereine zu. *) (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 SP. 179.) b) Urteil desLandgerichtsDresden,8. Zivilkammer, vom 6. April 1910.

Das Landgericht erachtet das KG. für sachlich unzuständig. Aus den Gründen: Die Vorinstanz erkennt zwar an, daß die Bell, als reiner Versichemngsverein auf Geaenseit gkeit nicht Kaufmann im Sinne der §§1,2 des HGB. ist, folgert jedoch die Zuständigkeit des KG. aus § 16 des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901, wonach „die in betreff der Kaufleute im ersten und dritten Buch des HGB. gegebenen Vorschriften, mit Ausnahme der §§ 1—7 auf die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit entsprechende Anwendung finden, soweit dieses Gesetz nicht ein anderes bestimmt." Diese Vorschrift legt die erste Instanz dahin aus, daß nicht nur die in § 16 erwähnten handelsrechllichen Bestimmungen auf die G e g e n s e i t i g keitsvereine anzuwenden seien, sondem diese insbesondere auch in pro­ zessualer Beziehung den Kaufleuten gleich zu stellen seien. Dem war aber nicht beizutreten. Dafür sprechen zwar die Ausführungen zu §§ 15,16 der Begründung des Entwurfs des Gesetzes über die privaten Versichemngsuntemehmungen, insbesondere die dort vertretene Ansicht, daß „sich aus § 16 zugleich die Zuständigkeit der Kammem für Handelssachen bei Rechts­ streitigkeiten, in denen ein Anspmch gegen Gegenseitigkeitsvereine aus beider­ seitigen Handelsgeschäften (§ 101GVG.) oder aus den in § 101 Nr. 3 b und ein a. a. O. bezeichneten Rechtsverhältnissen geltend gemacht wird," ergäbe. Eine derartig weite Auslegung des § 16 erscheint aber mangels jeden Anhalts im Gesetze selbst doch bedenllich. Das KGG. (§ 1) bestimmt, daß die KG. zuständig sein sollen „zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst« oder Lehrverhältnisse zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungs­ lehrlingen andererseits". Dieses Gesetz selbst legt den Begriff der „Kaufleute" nicht fest. Dieser ist vielmehr dem Handelsgesetzbuche zu entnehmen, das in den §§ 1—2 bestimmt, wer Kaufmann ist. Nicht hiemnter fallen Bersichemngs« vereine auf Gegenseitigkeit, die ja überhaupt kein Gewerbe, geschweige denn ein Handelsgewerbe treiben (vgl. auch Kulka, KGG. zu § 1 und S. 14 Nr. 3). Wenn nun auf solche Versichemngsvereine nach § 16 des Gesetzes über die privaten Bersichemngsuntemehmungen gewisse Bestimmungen des HGB. entsprechende Anwendung finden sollen, so kann hiernach die Anwendung nur insosem statt­ haben, als nicht die Natur des Bersicherungsvereins als eines Nichtkaufmanns die Anwendung der handelsrechllichen Vorschriften ausschließt. Demgemäß hat auch der Gesetzgeber die §§ 1—7 des HGB. von der entsprechenden Anwendung

auf die Gegenseillgkeitsvereine ausgeschlossen. Der Ausdmck in § 16 „entsprechende Anwendung" ist deshalb dahin auszulegen, daß dadurch der Versichemngsverein auf Gegenseitigkeit niemals seine Eigenschaft als Nichtkaufmann verlieren darf. Auf wen aber, trotzdem er Nichtkaufmann ist, bestimmte Vorschriften über Kaufleute zur entsprechenden Anwendung kommen, der gilt deshalb nicht über*) Ebenso LG. Hamburg vom 15. Juni 1907. Jg. 14 SP. 179.)

(Gewerbe- u. Kaufmannsger.

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Haupt im Sinne des Gesetzes als Kaufmann. Bei dieser engeren Auslegung des § 16 ergibt sich aber ohne weiteres, daß dann andere, in § 16 nicht genannte Vorschriften nur dann zur Anwendung gebracht werden dürfen, wenn dies die Anwendung der genannten Vorschriften notwendig in sich schließt. Zur Annahme der Zuständigkeit der KG. zwingt aber jene Bestimmung nicht. Wenn die Begründung zum Entwurf des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen (§ 15, 16) erklärt, der Entwurf habe dem seinerzeit in der Denkschrift zum HGB. S. 10 hervorgehobenen Bedürfnis, die für Kauf­ leute geltenden handelsrechtlichen Vorschriften auf die Bersicherungsvereine auszudehnen, Rechnung getragen und den in der Denkschrift gemachten Vorbe­ halt eingelöst, so hat der Entwurf dieses Versprechen auch erfüllt, indem nach § 16 des Gesetzes sich jetzt Rechtsverhältnisse, wie das vorliegende, nach handelsrechtlichen Vorschriften regeln. Hieraus folgt aber noch nicht, daß deshalb die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit wegen etwaiger Streittgkeiten auf diesen Rechtsverhältnissen den durch das spätere KGG. vom 6. IM 1904 begründeten Gerichten unterstellt sind (vgl. hierzu auch Müller in „Jur. Wochenschr." 1905 S. 711). War nach alledem das KG. sachlich unzuständig, so bedurfte es einer Prüfung der örllichen Zustän­ digkeit nicht. Die Berufung des Kl. war deshalb als unbegründet zu verwerfen.

216.

Ist daS KG. zuständig für Streitigkeiten der kaufmännischen Angestellten von Konsumgenossenschaften?

Urteil des Landgerichts!, Zivllkammer 12, zu Berlin vom 29. März 1908.

Das Landgericht hält das KG. für zuständig. Aus den Gründen: Die Zuständigkeit des KG. wird von der Bell, mit Unrecht bestritten. Nach § 1 des KGG. ist das KG. zuständig für Streittgkeiten aus dem sienstverhältnis zwischen Kaufleuten und ihren Handlungsgehilfen. Nach § 7 des Gen.-Ges. gelten die Genossenschaften als Kaufleute im Sinne des HGB., Handlungsgehilfen sind nach § 59 des HGB. diejenigen, die in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste gegen Entgelt angestellt sind. Da der Kl. kaufmännische Dienste bei der Bell, geleistet hat, so hängt die Frage, ob er Handlungsgehufe war, davon ab, ob der Betrieb der Bell, ein Handelsgewerbe ist. Es kann zugegeben werden, daß die Konsumvereine keine Gewerbetreibende im gewöhMchen Sinne sind. Da sie aber Kaufleute kraft gesetzlicher besonderer Vorschrift sind, auch wenn sie kein kaufmmänisches Gewerbe betreiben, so müssen sie als Personen gelten, die ein Handelsgewerbe betreiben; denn nach § 1 Abs. 1 des HGB. ist Kaufmann im Sinne des HGB. nur derjenige, der ein Handelsgewerbe betreibt. Die in einem solchen fingierten Handelsgewerbe angestellten Personen sind alsHandlungsgehilfen anzusehen, wenn sie kaufmännische Dienste leisten. Hiemach ist das KG. zuständig. Daß dahin die Absicht des Gesetzes geht, ergibt sich auch aus § 14, wonach die Vorstandsmitglieder der Genossen­ schaften Wahlrecht für die Beisitzer des KG. haben, ohne daß dabei ein Unter­ schied zwischen gewerbetreibenden und nichtgewerbetteibenden Genossenschaften gemacht ist.

217. Ist das KG. zuständig für Gehilfen eines Pfandleihers? Beschluß des KG. Hamburg. Das KG. hat sich für unzuständig erllärt und den Rechtsstreit an das GG. verwiesen.

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AusdenGründen: Kl. verlangt vom Bell, die Zahlung von 26,68 SRI, die Ausstellung eines Zeugnisses und die Leistung eines Schadenersatzes von 2 SRI. für jeden Tag der rechtswidrigen Vorenthaltung des Zeugnisses. Bell, erllärte, daß er als Pfandleiher kein Kaufmann sei; dem Bell, ist darin recht zu geben, daß er nicht als Kaufmann anzusehen ist, da die Pfandleiher, also Personen, welche gegen Verpfändung von Kleidungsstücken, Möbeln und Schmuckgegen­ ständen Geld ausleihen, keine Kaufmannseigenschaft besitzen und demgemäß ihre Streitigkeiten mit ihrem Personal nicht durch das KG. zu entscheiden sind. Demgemäß hatte das Gericht seine Unzuständigkeit auszusprechen. Andererseits war der Rechtsstreit an das hiesige GG. zu verweisen (KGG. § 16), da dieses zur Verhandlung und Entscheidung desselben zuständig ist. Wenn Kl. auch nicht Kaufmann ist, so ist er doch jedenfalls Gewerbetreibender im Sinne der GO-, da er ein in der GO. geregeltes Gewerbe ausübt (GO. §§ 34, 38, 54) und ist des­ halb der vorliegende Prozeß als eine gewerbliche Streitigkeit zwischen Arbeiter und Arbeitgeber anzusehen (GGG. §§ 1 u. 3). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 177.) i)

218. Unter welchen Voraussetzungen ist eine Waschanstalt nnd chemische Färberei ein kaufmännischer Betrieb? Urteil des KG. Breslau vom 31. Okwber 1906. Die Kl. war bei den Bell., welche eine Dampf-Waschanstalt und chemische Färberei betreiben, vom 23. August bis zum 15. Oktober 1906 in Stellung; ihre Tätigkeit bestand darin, in einer Annahmestelle der Bell, die von Kunden zum Waschen und Färben über­ gebenen Gegenstände anzunehmen, einzutragen, wieder auszugeben und die Bezahlung entgegenzunehmen. Das KG. hat sich für zuständig erllärt.

Aus den Gründen: Als Handelsgewerbe gilt nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 des HGB. ein Gewerbebetrieb, der die Übernahme der Bearbeitung oder Verarbeitung von Waren für andere zum Gegenstand hat, sofern der Betrieb über den Umfang des Handwerks hinausgeht. In dem Betriebe der Bell, findet eine Bearbeitung der zu reinigenden und färbenden Sachen statt. Der Begriff der Bearbeitung setzt nicht eine Veränderung der Substanz voraus. „Vielmehr ist unter Bearbeitung eines Gegenstandes die durch die Arbeit erfolgende beab­ sichtigte Herstellung eines bestimmten Zustandes, indem der Gegenstand dadurch insbesondere zu einem gewissen Gebrauch mehr geeignet gemacht wird, zu ver­ stehen" (Entscheidung des Reichsger. in Strass. Bo. 22 S. 271—3). Es ist ferner erforderlich, daß der Betrieb über den Umfang des Handwerks hinausgeht, d. h. eine kaufmännische Einrichtung erfordert. Das Gericht hat aus der erheblichen Zahl von Annahmestellen und der in ihnen beschäftigten Personen, sowie aus der Größe des Umsatzes geschlossen, daß der Betrieb der Bell, über den Umfang des Handwerks hinausgeht, sie smd sonach als Kaufleute anzusehen. Die Dienst­ leistungen der Kl. waren kaufmännische, nicht gewerbliche; es finden sonach auf die Rechtsbeziehungen der Parteien die §§ 59 ff. des HGB. Anwendung. (Ge­ werbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 14.)

219. Ist das KG. zuständig für Angestellte des Inhabers der Buchstelle einer Landwirtfchastskammer? Urteil des KG. Danzig vom 24. Febmar 1910. Der Kl. ist bei der Buchstelle der Landwirschastskammer für die Provinz Westpreußen in Danzig als Registrator gegen ein Monatsgehalt von 60 Mk. tätig gewesen und am 1. Februar ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist plötzlich entlassen. Der Bell, war ') Vgl. auch 9k. 43.

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Inhaber der Buchstelle, bezüglich deren er mit der Landwirtschaftskammer einen Vertrag vom 27. November 1907 geschlossen hat. Der Zweck der Buchstelle ist in der Hauptsache die Führung von Büchern und die Anfertigung von Steuererklärungen für Landwirte gegen bestimmte Gebühren. Der Kl. hält seine, ohne Einhaltung der vereinbarten vierzehn­ tägigen Kündigungsfrist erfolgte Entlassung für ungerechtfertigt und die Vereinbarung der Istägigen Kündigungsfrist für ungesetzlich. Er beansprucht daher das Gehalt für den Monat Februar mit 60 Mk. Der Bell, hält das KG. für sachlich unzuständig. Die Parteien erklärten übereinstimmend, daß die Firma des Bekl. im Handelsregister nicht eingetragen ist.

Das KG. hat sich für unzuständig erklärt. Aus den Gründen: Nach § 1 des KGG. ist das KG. zustäMg zur Entscheidung von Streitigkeiten der im § 5 bezeichneten Art zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen andererseits. Der Bell, ist zwar, worüber die Parteien einig sind und was auch aus dem vom Bekl. mit der Landwirtschaftskammer geschlossenen Vertrage hervorgeht, Arbeit­ geber des Kl. und daher passiv legitimiert. Der Bekl. ist aber nicht Kaufmann im Sinne des HGB. Weder betreibt er einen der im § 1 Zifs. 1—9 HGB. auf­ geführten Gewerbebetriebe, noch auch ein Unternehmen der in § 3 des HGB. bezeichneten Art. Der Bell, könnte allenfalls Kaufmann nach § 2 des HGB. sein, da das von ihm betriebene gewerbliche Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise einger chteten Geschäftsbetrieb erfordert. Er ist aber auch im Sinne des § 2 des HGB. nicht Kaufmann, da die im 8 2 aufgestellte fernere Voraussetzung, nämlich die Eintragung einer Firma des Bell, in das Handelsregister nicht erfolgt ist. Das zwischen den Parteien bestehende Dienst­ vertragsverhältnis ist daher lediglich nach den Vorschriften des BGB. über den Dienstvertrag zu beurteilen. Da der Bell, nicht Kaufmann ist, ist das KG. unzu­ ständig.

220. Ist ein Berlagsbuchhündler, der als Kassierer eines Mietervereins eine Ausstellung veranstaltet, auch in dieser Eigenschaft Kaufmann? Sind die von ihm für die Ausstellung angenommenen Personen Handlungs- oder Gewerbegehilfen? Beschluß des KG. Leipzig vom 25. August 1909. Der Bell, ist der Kassierer des Verbandes Deutscher Mietervereine. In Görlitz sand eine Ausstellung des dortigen Mietervereins statt. Als Leiter derselben wurde der Bell, bestellt. Zur Durchführung dieser Absicht mietete der genannte Verein, der juristische Persönlichkeit nicht besitzt, einen Saal, in dem von den einzelnen Interessenten die Aus­ stellung bewerkstelligt werden sollte. Aufgabe des jetzigen Bell, war es, diesen Saal an die einzelnen Interessenten weiter zu vermieten, sowie Rellame für das Unternehmen zu machen. Für seine Tätigkeit erhielt er Vergütung, die in Form von Provision für den Erfolg seiner Tätigkeit gewährt wurde. Zur Durchführung seiner Obliegenheiten stellte er den Kl. an.

Auf den Antrag des Bell, hat das KG. zu Leipzig den Rechtsstreit an das GG. verwiesen. AusdenGründen: Wenn der Bell, die Einrede der sachlichen Unzu­ ständigkeit des KG. vor Eintritt in die Sachverhandlung vorschützt, so ist dieser Einwand berechtigt nach § 1 KGG. Das KG. ist zur Entscheidung von Streitig­ keiten aus dem Dienstverhältnis zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehüfen andererseits zuständig. Dem Bell, f e h l t dre Kaufmanns­ qualität. Daß der Bell, kein Soll- und Kann-Kaufmann im Sinne der §§ 2 und 3 des HGB. ist, ist Dar. Aber er fällt auch nicht unter § 1 des HGB. Seine son­ stige Eigenschaft als Berlagsbuchhündler kommt im Verhältnis zwischen

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ihm und dem Kläger nicht in Frage. In seiner Eigenschaft als Ausstellungs­ leiter stand er offenbar in einem Dienstverträge im Sinne von § 611 BGB. oder in einem Mällervertrage im Sinne des § 652 BGB. zum Görlitzer Mietervereine; denn, was das letztere angeht, so lag ihm der Nachweis der Gelegenheit zum Vertragsabschluß und die Vermittlung von Verträgen ob. Insoweit würde er daher rechüich anzusehen sein als Zivilmäller im Sinne der eben angezogenen Bestimmung des BGB. Eine Kaufmannseigenschaft entfällt aber solchenfalls, da seine Tätigkeit sich auf Vermittlung von Immobilien bezog, im Hinblick auf die ausdrückliche Bestimmung des § 93 Abs. 2 HGB. Aber selbst wenn er unmittelbar solche Metverträge über Grundstücke abgeschlossen hätte, so ließe er sich nicht als Handlungsagent tm Sinne von § 84 HGB. ansehen, denn das Gör­ litzer Vereinsuntemehmen vermag nicht als Handelsgewerbe im Sinne des HGB. angesehen zu werden. Bei dieser Sachlage steht fest, daß der Bell, nicht Kauf­ mann ist im Verhältnis zum Kl. Dementsprechend entfällt auch auf feiten des Kl. in Diesem Rechtsstreite die Eigenschaft desselben als Handlungsgehilfe, denn es fehlt die Beschäftigung in einem Handelsgewerbe. — §59 HGB. — Das aber hat zur Folge, daß das KG. sachlich unzuständig ist. Wenn der Kl. die Verweisung an das GG. beantragt, so war zu prüfen, ob dessen Kompetenz gegeben sei. Diese Frage war zu bejahen. Die Tätigkeit des Bell, war, wie schon ausgeführt, gerichtet auf Erzielung eines Gewinnes. Tatsächlich wurde er ja auch, seiner eigenen Erklärung nach, nach dem Erfolge entlohnt. Er bezog Provision. Gleichviel, ob man ihn ansehen will, wie schon ausgeführt, als in einem Dienswertrage stehend zu dem mehrgenannten Vereine, oder ob man chn als Zivilmäller im Sinne von § 652 BGB. rechüich ansehen will. Bei ihm war ver Kl. unstreitig auf Grund eines Anstellungsvertrages mit Schreiben von Briefen, Ausmessung der zu vermietenden Saatflächen usw., also gewerblichen Leistungen geringerer Natur, gegen Entgelt tätig. Damit sind die Requisite des Gewerbetreibenden und seines Arbeiters i mSinne von § 1GGG. gegeben. Daß, wie der Bell, darlegt, der Görlitzer Verein selbst mehr ideale Tendenzen verfolgt, ist für das VerhAtnis der jetzigen Prozeßparteien irrelevant. Dementsprechend war, ohne daß es eines Antrages des Kl. bedurft hätte, die Un­ zuständigkeit des KG. auszusvrechen und der Rechtsstreit an das GG. Leipzig zu verweisen, gemäß § 16 Abs. 3 KGG., da die räumliche Zuständigkeit von den Parteien nicht bestritten wird. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 43.)

221. Unter welcher Voraussetzung ist das KG. für „Volontäre" zuständig? Urteil des KG. München vom 13. Oktober 1906. *) Kl. trägt vor, er sei am 4. September bei der Bell, als Volontär gegen eine monat­ liche Vergütung von 20 Mk. in Stellung getreten, wobei das Ende der Volontärreit auf 1. Januar 1907 festgesetzt worden sei. Am 9. September sei er nun ohne rechtfertigenden Grund entlassen worden. Er sei bei der bell. Firma eingetreten, um sich in das Geschäft einzuarbeiten und sich die für einen Handlungsgehilfen erforderlichen Fähigkeiten an­ zueignen.

Das KG. hat sich für zuständig erllärt. Aus den Gründen: Nach den übereinstimmenden in Praxis wie in der Theorie betretenen Anschauungen (vgl. Staub, HGB. I S. 242; DüringerHachenseld HGB. I S. 92; Horwitz, Recht der Handmngsgehilfen S. 26) zählen die Volontäre im Kaufmannsstande weder zu den Handlungsgehilfen noch zu den Handlungslehrlingen; denn der Volontär erfüllt nicht die begrifflichen Vor­ aussetzungen eines Handlungsgehilfen im Sinne des § 59 HGB., vor allem des­ halb, weil er nicht gegen Entgelt und auch nicht zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellt ist. Der Volontär zählt aber auch nicht zu den Handlungslehr') Vgl. Nr. 173.

lingen im Sinne des HGB.; denn der Handlungslehrling tritt in ein Geschäft mit der bestimmten Absicht ein, die für einen Handlungsgehilfen er­ forderlichen Fähigkeiten zu erlemen, um später selbst Handlungsgehilfe zu werden. Dies trifft bei Volontären regelmäßig nicht zu. Wäre Kl. tatsächlich als Volontär eingestellt gewesen, so würde das KG. unzuständig sein. Nach der gegebenen Sachlage ist jedoch der Kl. nicht als Bolontär, sondem alsHandlungslehrlintz zu erachten. Nach seinen eigenen Ausführungen trat der Kl. bei der bekl. Firma gegen ein monatliches Entgelt von 20 Mk. ein in der Absicht, das Geschäft zu erlemen und später Handlungsgehilfe zu wer­ den ; auch er war zur Einhaltung der Geschäftsstunden und zur Erfüllung der sonstigen Obliegenheiten genau wie das übrige Personal verpflichtet. Daß dem Kl. der Name Volontär beigelegt wurde, hat hier keine rechtliche Bedeutung; es kommt aufdieinnerlicheNaturdesVertragsverhältnisses an. Im gegenwärtigen Falle wurde die Bezeichnung „Volontär" nur als Um­ schreibung des Wortes Lehrling mit Rücksicht auf das vorgeschrittene Mer des Kl., der bereits volljährig ist, gewählt. Auch der Umstand endlich, daß Kl. eine Vergütung von monatlich 20 Mk. bezog, widerspricht nicht dem Begriffe des Lehrlingsvertrages, denn derartige kleine Geldbeträge tragen nicht den Charakter eines Entgeltes, sondern einer Remuneration an sich und sind in dieser Art bei dem Handlungslehrling vielfach üblich. Es besteht somit kein Aweifel, daß Kl. als Handlungslehrling im Sinne des § 76 HBG. zu erachten ist. Denn Hand­ lungslehrling ist derjenige, der in einem Handelsgewerbe zum Zwecke seiner kauf­ männischen Ausbildung und zur Leistung der erlernten Dienste durch Vertrag angeflellt worden ist (Staub, Kommentar zum HGB. Anm. 1 zu § 76 S. 296). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 64.)

222. Ist das KG. zuständig für Zeitungsredakteure? *) Urteile des KG. Meerane vom 8. Oktober 1908 und des Landgerichts Zwickau vom 5. Dezember 1908. In dem Berlage des Bell., der in Meerane eine Buchdmckerei besitzt und betreibt, erscheint die „Meeraner Zeitung". In die Dienste des Bell, trat im Februar 1908 der Kl. als Redakteur ein. Ihm lag die Redaktion dieser Zeitung mit Ausnahme des Jnseratenteils ob. Er zeichnete auch als verantwortlich für die Redaktion, für den Inseraten­ teil aber tat dies ein Sohn des Bell.

Das KG. hat sich für die Ansprüche des Kl. aus dem Anstellungsvertrage für unzuständig erklärt. Aus den Gründen des KG.: Voraussetzung für die Zuständigkeit des angemfenen Gerichts ist, daß es sich bei dem Dienstverpflichteten um einen kaufmännischen Angestellten im Sinne des HGB. handelt (§ 5 des Gesetzes, bett, die KG ). Kaufmännische Angestellte aber sind nur solche Personen, die in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellt sind. Der Bell, besitzt unzweifelhaft Kaufmannseigenschaft. Aber nicht alle Angestlelten eines Kaufmanns sind Angestellte in der BedeuMng von Handlungsgehilfen. Sie sind dies vielmehr nur, wenn sich ihre Tätigkeit auf Umsatz von Waren bezieht. Das kann man aber von der Tätigkeit des Kl. nicht behaupten. Mag sie auch dazu dienen, der Zeitung erst Inhalt zu geben, so hat sie doch an sich mit den zur Ver­ vielfältigung und zur Verwertung des vom Bell, herausgegebenen Blattes erforderlichen Rechtsgeschäften und Handlungen, also mit der wirllchafüichen, der kaufmännischen Tätigkeit des Bell, nichts zu tun (vgl. Staub, Kommentar zum HGB. 6. u. 7. Ausl. § 59 Anm. 12 S. 244 oben). Das KG. ist deshalb zu der Ansicht gelangt, daß auf den zwischen den Parteien abgeschlossenen Dienstverttag nicht § 59 ff. des HGB., sondem § 611 ff. des BGB. anzuwenden sind. l) Vgl. Nr. 174, 175.

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Die Entscheidung über derartige, dem „bürgerlichen Rechte" angehörende Streitig­ keiten entzieht sich der Zuständigkeit der KG. Die Berufung des Kl. ist zurückgewiesen. Aus den Gründen des Berufungsgerichts: Für die Ab­ grenzung des Kreises der dem KG. zu unterstellenden kaufmännischen Ange­ stellten sind die Bestimmungen im 6. Abschn. des 1. Buches des HGB. maß­ gebend. Handlungsgehilfe ist darnach, wer in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste gegen Entgelt verpflichtet ist (§ 59 HGB). Leistet der Gehilfe kaufmännische und gewerbliche oder andere Dienste, so ent­ scheidet das Übergewicht. Nicht alle Gehilfen des Kaufmanns leisten kaufmännische Dienste. Nach der verschiedenen Natur der geleisteten Dienste kann man drei Gruppen von Gehilfen des Kaufmanns, abgesehen von den Handlungslehrlingen und dem Gesinde, unterscheiden: 1. Die Handlungsgehilfen, die kaufmännische Dienste leisten. „Kaufmännisch" ist gleichbedeutend mit dem, was die Verkehrssitte im herkömmlichen Sinne als kaufmännisch ansieht. Es müssen Dienste sein, zu denen diejenige Schulung und Fertigkeit gehören, die man in ihrer Vollendung die kaufmännische Tüchtigkeit nennt. Die kaufmännische Signatur seiner Tätigkeit ist es, die den Gehilfen zum Handlungsgehilfen macht. Dazu gehören nicht nur und nicht notwendig der Abschluß von Rechtsgeschäften, sondern alle Tätigkeiten, die sich auf den Umsatz von Waren beziehen, einschließlich der Kontorgeschäfte (der Verkauf, der Einkauf, die Buchführung, die Korrespondenz, die Kassen­ führung, das Reisen). 2. Gie Gewerbegehilfen, das sind diejenigen Hilfspersonen, die gewerbliche Dienste leisten, die also mit der Bearbeitung, Verarbeitung, Herstellung der Waren durch technische Dienstleistungen beschäftigt sind. Dabei fällt ins Gewicht, daß die Gewerbegehilsen in der GO. eine Unterart der ge­ werblichen Arbeiter bilden, so daß vor allem die Merkmale dieses Begriffes vor­ handen sein müssen. 3. Die s o n st i g e n G e h i l f e n des Kaufmanns. Dazu gehören die Per­ sonen, die höhere, nach eigenem Ermessen ausgeübte Dienste leisten; sie befinden sich in einer freieren Stellung und haben eine gewisse Selbständigkeit in der Ausübung ihrer Dienste. Im vorl egenden Falle ist nur die Frage zu prüfen, ob der Kl. unter die erste dieser drei Gehilfengmppen fällt. Nur dann, wenn der Kl. als Handlungsgehilfe anzusehen ist, ist nach § 5 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Gesetzes, bett. KG. vom 6. Juli 1904 für den anhängigen Rechtsstreit die Zuständigkeit des KG. Meerane begründet. Die rechtliche Stellung der Redakteure ist nicht unbestritten. Von manchen Seiten wird der Redakteur als Handlungsgehilfe bezeichnet. Auch das Bemfungsgericht hat in einer früheren Entscheidung, auf die der Kl. Bezug genommen hat, diese Auffassung vertteten. Nach anderweiter Prüfung aber hat das Gericht der Ansicht derjenigen, die den Redakteur nicht für einen Handlungs­ gehilfen ansehen, den Vorzug gegeben. Der Charakter des Zeitungsverlages zeigt sich in der technischen Herstellung und dem Vertriebe des Dmckwerkes, er besteht also in der Vornahme der Tättgkeiten, die erforderlich sind, um die Zeitung herzu­ stellen und um die hergestellten Zeitungsnummem in die Öffentlichkeit zu bringen. Hierzu aber trügt die Tätigkeit des Redakteurs, wenigstens im Zweifel, nichts bei. Me persönlichen Obliegenheiten des Redakteurs bestehen nicht in der Leistung von kaufmännischen Diensten; seine Tätigkeit, bei der er sich in einer gewissen Selbstäiwigkeit und Unabhängigkeit befindet, erstreckt sich vielmehr auf die Be­ schaffung, Sichtung und Anordnung des geistigen Materials, das in der Zeitung veröffentlicht werden soll, mit anoeren Worten, seine diensüichen Legtungen bestehen in einer literarischen Tätigkeit, der die für einen Handlungsgehilfen

notwendige kaufmännische Signatur vollkommen fehlt (vgl. hierzu auch Staub, Kommentar zum HGB. 8. Auflage § 59 Anm. 22 und die dort zitierten Entfcheidungen). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 17.)

223. Ist der von einer Brauerei eingesetzte Leiter einer Gastwirtschaft Handlungsgehilfe? Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsenat, vom 16. Oktober 1908.

Durch Vertrag vom 17. April 1906 hat die Kl. (Brauerei) den Bell, „die Führung und Vertretung" einer ihr gehörigen Gastwirtschaft übertragen. Die Bell, waren nach dem Vertrage verpflichtet, in diesem Betriebe nur Waren zu verkaufen, die ihnen die Kl. lieferte, insbesondere Biere, Weine und Spirituosen, Zigarren und Mineralwässer. Die Waren blieben bis zum Verkauf Eigentum der Kl. und mußten zu den Preisen und nach den Maßen abgegeben werden, die die Kl. vorschrieb. Die Bell, hatten auch Bier in Flaschen und kleinen Fässem auf Bestellung frei ins Haus zu liefern und über die Ge­ schäftskunden ein genaues Verzeichnis zu führen, das sie bei Auslösung des Vertrages der Kl. auszuhändigen hatten. Etwaige Kreditgewährung ging auf Gefahr der Bell. Soweit es die monatliche Abrechnung mit der Kl. erforderte, halten sie Buch zu führen. Als Gegenleistung erhielten sie eine monatliche Zahlung von 30 Mk. und eine von der Kl. festzusetzende Provision neben freier Wobnnng. Kl. hat aus einem Wettbewerbsverbot Klage beim ordentlichen Gericht erhoben, ist aber in beiden Instanzen wegen Zuständigkeit des KG. abgewiesen. Auch ihre Revision ist zurückgewiesen. Aus den Gründen: Aus demAnstellungsvertrage folgert das Berufungs­ gericht zunächst, daß die Bell, nicht selbständige Gewerbetreibende, sondem An­ gestellte im Dienste der Kl. gewesen sind. Diese Annahme ist rechtlich zutreffend und von der Revision auch nicht beanstandet worden. Sodann prüft das Gericht die gesamte Tätigkeit der Bell., die ihnen nach dem Vertrag oblag, nach der Richtung hin, ob sie als Leistung kaufmännischer Dienste im Sinne von § 59 HGB. zu erachten sei. Diese Prüfung erfolgt auf der zu­ treffenden rechtlichen Grundlage, daß „kaufmännische Dienste" dann vorliegen, wenn die Tätigkeit des im Handelsgewerbe eines andern angestellten Gehilfen nach der Verkehrsauffassung, nach dem historischen und her­ kömmlichen Sinne des Wortes eine kaufmännische Signatur an sich trägt (ROHG. 17, 309; 24, 270; RG. 1, 268). Das Berufungsgericht hat ange­ nommen, daß das Wesenüiche der Tätigkeit des Bell, kaufmännischer Art war. wobei auf das Delkredere, das Kundenverzeichnis, die Buchführung, das Wett­ bewerbsverbot besonders hingewiesen wird. Dem Umstande, daß die Bell, da­ neben auch niedere technische Dienste, die der Betrieb einer solchen Schankwirt­ schaft mit sich bringt, zu verrichten hatten, wird ein Einfluß auf die Beurteilung nicht zugemessen, weil die hauptsächlichsten und wesentlichen Seiten ihrer Tätig­ keit für die Frage ausschlaggebend sein müßten. Die Angriffe der Revision gegen diese Ausführungen des Berufungsgerichts können keinen Erfolg haben. Die Revision meint, daß die von der Kl. betriebene Gastwirtschaft zwar ein Handelsgewerbe, aber ein solches sei, bei dem die gewerb­ liche Tätigkeit den Handelsbetneb überwiege, und daß die Bell, ihre Dienste in dem gewerblichen Betriebe der Kl. geleistet hätten, der nicht kaufmännisch eingerichtet gewesen sei. Diese Unterscheidung ist nicht berechtigt. Die Kl. be­ treibt sowohl mit ihrer Brauerei als auch mit ihrer Schankwirtschaft ein Handels­ gewerbe (§ 1 Abs. 2 Ziff. 1 HGB.). Die Bell, waren in der Schankwrrtschaft, älso in einem Handelsgewerbe angestellt. Sie hatten gerade den Verkauf der Grundartikel dieses Handelsgewerbes zu besorgen, eine Tätigkeit, die recht eigenüich als eine kaufmännische erscheint. Wenn bei gewissen Arten von Angestellten, die auch den Verkauf von Waren zu besorgen haben,

"Ö'SBgURr. 185.

140 wie z. B. bei den Kellnern, die Praxis die Handelsgehilfeneigenschaft verneint hat (ROHG. 24, 270), so beruht dies darauf, daß diese Angestellten nach der B e r. kehrsauffassung nicht als Handelsgehilfen betrachtet werden, daß diese Dienste im herkömmlichen Sinne nicht als kaufmännische gelten. Anders liegt es bei dem selbständigen Verwalter einer Schankwirtschaftsfiliale; dieser übt den gesamten, ein Handelsgewerbe darstellenden Betrieb anStelledes Prinzipals aus. Er hat den Verkauf der Waren im ganzen Bereiche der Filiale selbständig zu besorgen, hat darüber Buch zu führen und abzurechnen. Eine solche Tätigkeit gilt auch im Verkehr als eine kaufmännische. Daher sind die Bell, mit Recht vom Berufungsgericht als Handlungsgehllfen angesehen worden. Die Revision hat noch geltend gemacht, daß in so zweifelhaften Fällen die Frage der Gerichtszuständigkeit nicht von der schließlichen Entscheidung im Prozeß abhängig gemacht werden dürfe, sondem der Kl. die Wahl des Gerichts haben müsse. Diese Auffassung hat keinen Boden im Rechte. Die Zuständigkeit des KG. schließt die des ordentlichen Gerichts aus (§ 6 KGG ). Der Streit über die Voraussetzungen der Zuständigkeit muß ebenso entschieden werden wie der über andere Prozeßvoraussetzungen, und von der Entscheidung des Streites, nicht von der Wahl des Kl. hängt es ab, ob dieses oder jenes Gericht zum Urteil in der Sache selbst berufen ist. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 323.)

224. Ist die Wechselkassiererin im Automatenrestaurant Handels- oder Gewerbegehilfin? Urteil des KG. Liegnitz. Die Kl. war bei der bell. G. m. b. H. als Wechselkassiererin gegen ein monatliches Gehalt von 25 Mk. bei freier Station außer der Wohnung angestellt. Die Tätigkeit der Kl. bestand darin, daß sie den Gästen des Automatenrestaurants Zehnpfennigstücke gegen größere Geldstücke einwechselte. Zu diesem Zwecke war ihr gegen Quittung ein Geldbetrag von 300 Mk. in Zehnpfennigstücken von dem Geschäftsführer eingehändigt worden. So ost Kl. größere Beträge des erhaltenen Kleingeldes ausgewechselt hatte, erhielt sie von dem Geschäftsführer für das größere Geld neues Wechselgeld, so daß der Betrag von 300 Mk. stets vorhanden sein mußte. Außer dem Wechselgelde hatte die Kl. noch eine Summe von 100 Mk. zur Verfügung, mit der sie die laufenden Heinen Geschäftsausgaben zu bestreiten hatte. Diese Ausgaben hatte sie in einem sogenannten Haushaltungsbuche zu buchen. Endlich waren ihr unter Anrechnung des Verkaufspreises verschiedene Heinere Berkaufsgegenstände, wie Zigarren, Zigaretten, Wein in Flaschen, Schokoladentafeln usw. zum Verkaufe übergeben. Diese Gegenstände hielt die Kl. in einem Glasschrank unter ihrem Verschluß. Am Schlüsse eines jeden Monats wurde zwischen der Kl. und dem Geschäftsführer Abrechnung gehalten. Die Bell, hat die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des KG. erhoben, weil die Kl. gewerbliche Arbeiterin sei. Das KG. hat sich für zuständig erllärt.

Aus den Gründen: Handlungsgehilfe ist nach § 59 HGB., wer in einem Handeksgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste gegen Entgelt anaestellt ist. Kl. ist in dem Handelsgewerbe der Bell, gegen ein Gehalt von 25 Mk. monatlich bei freier Statwn angestellt. Es bleibt demnach nur zu prüfen, ob sie zur Leistung „kaufmännischer Dienste" angestellt ist. Die Tätigkeit der Kl. besteht nur im Geldwechseln, in der Verwaltung der Hanshaltungskasse unb in dem Verkaufe von Gegenständen. Wenn auch diese Tätigkeit keine längere fach­ männische Ausbildung erfordert, so ist doch diese Tätigkeit nicht so einfacher, mechanischer Natur, daß sie als gewerbliche Tätigkeit anzusehen ist. Im Gegen­ teil trägt gerade das Geldwechseln und die auf Warenumsatz gerichtete Tätigkeit schon äußerlich die Signatur kaufmännischer Dienste an sich (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 242.)

§1 KGG.

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225. Ist der Verläufer in einer Kasernenkanttne Handlungsgehilfe? Urtell des KG. für den Stadtbezirk Stettin vom 16. März 1905. Das KG. hat die Frage bejaht. A u s d e n G r ü n d e n: Kl. ist in der Kantine des Bekl. in der L-Kaseme als Verkäufer tätig gewesen. Er verlangt von demselben zunächst 7,60 Mk. rück­ ständiges Gehalt für den Monat Februar 1905. Bell, erkennt den Betrag an sich an, bestreitet aber die Zuständigkeit des KG. Nach einem Reskript des Herrn Kriegsministers finde die Bekanntmachung vom 23. Januar 1902 betr. die Be­ schäftigung von Gehilfen und Lehrlingen in Gast- und Schankwirtschaften (RGBl. 1902 S. 33) auch auf die Äontinen Anwendung. Kl. sei somit Gewerbegehüfe. Zuständig sei deshalb das Jnnunasschiedsgericht der Gastwirtsinnung, da er Mitglied letzterer Innung sei. Nach Prüfung des Sachverhalts hat das Gericht iden Kl. indessen als Handlungsgehilfen angesehen; die gedachte Verordnung ist für die Frage, ob Kl. als Handlungsgehilfe oder Gewerbegehilfe anzusehen, nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr § 59 HGB. Nun gibt Bell, selbst zu, daß «er außer Speisen und Getränken auch andere Artikel an die Soldaten verlliufe: 'Putzartikel, Briefpapier usw. Sein Hauptverdienst resultiere allerdings aus oer «Schankwirtschaft, für die er auch den Schankkonsens besitze. Weiter stellt er nicht in Abrede, daß Kl. gelemter Materialist ist, daß in Kantinen mit Vorliebe ge« lernte Materialisten beschäftigt werden, weil deren Warenkenntnisse bei dem Einkauf von Waren (Schmalz usw.) von Nutzen sind, und daß mit dem Kl. nicht eine vierzehntägige, sondem eine monatliche Kündigung vereinbart ist. Hiernach hat das Gericht den Kl., der somit tätsächlich auch musmännische Dienste geleistet hat, einem Kellner oder Bierzapfer nicht gleichstellen zu können geglaubt. Gin solcher, der dem Bell, dann auch beim Einkäufe von Waren nicht behilflich sein könne, würde allerdings als Gewerbegehilfe anzusehen sein. (Gewerbegericht Jg. 10 SP. 169.)

226. Ist die Schlächtermamsell Handkungsgehilfin? Kommen die Be­ stimmungen über Handlungsgehilfen auch auf Angestellte von Minder­ kaufleuten zur Anwendung?') Urtell des KG. Lichtenberg vom 26. Juni 1905. Das KG. hat sich für zuständig erllärt. AusdenGründen: Nach § 1, Abs. 1 des HGB. ist Kaufmann im Sinne dieses Gesetzbuches, wer ein Handelsgewerbe betreibt. Nach Abs. 2 ebenda gilt jeder Gewerbetrieb als Handelsgewerbe, der eine der nachstehend bezeichneten Arten von Geschäften zum Gegenstand hat: die Anschaffung und Weiterveräußemng von beweglichen Sachen (Waren) oder Wertpapieren, ohne Unterschied, ob die Waren unverändert oder nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung weiter veräußert werden.......... Unverändert oder in bearbeitetem oder verarbeitetem Zustande kann die Veräußerung beabsichtigt sein. Die zahlreichen Anschaffungs­ geschäfte der Handwerker, welche eigenes, d. h. von ihnen angeschafftes, nicht ihnen übergebenes, Material bearbeiten oder verarbeiten, werden zu Handelsgrundgeschäften, die Handwerker selbst zu Kaufleuten, wenn auch unter Um­ ständen nur zu Minderkaufleuten; so die Fleischer. (Staub, Kommentar zum HGB. 6. und 7. Aufl., 1. Bd., S. 51, 59. - Apt, Kaufmannsgerichte S. 31, 33). Nach § 4 HGB. finden die Vorschriften über die Firma, die Handelsbücher und die Prokura auf Handwerker, sowie auf Personen, deren Gewerbebetrieb nicht über den Umfang des Kleingewerbes hinausgeht, keine Anwendung. Das Gesetz steift sonach zwei Klassen von Mindertaufleuten auf: Handwerker und diejenigen

') Bgl Nr. 179.

142 Personen, deren Gewerbebetrieb nicht über den Umfang des Kleingewerbes hinausgeht. (Staub, a. a. O. S. 70.) Nur die in § 4 HGB. ausgenommenen Vorschriften finden sonach auf Handwerker keine Anwendung. Mle übrigen Vorschriften des HGB. dagegen finden auf Minderkaufleute Anwendung. Letztere sind im übrigen Kaufleute mit allen Rechten und Pflichten derselben. Es greifen insbesondere die Vorschriften über Handelsvollmacht und Handelsgehilfen Platz. (Staub a. a. O. S. 77.) Die Umstände des einzelnen Falles müssen ergeben, ob kaufmännische oder gewerbliche Dienste vorliegen. Erstere werden in der Regel auf Umsatz von Waren gerichtete Dienste sein, letztere werden mehr in der Mittätigkeit bei der Bearbeitung oder Verarbeitung der Waren bestehende tech­ nische Dienstleistungen sein. Handelsgehilfen sind auch die Ladenmädchen. (Staub a. a. O. S. 77, 243 und Apt a. a. O. S. 34.) Die Kl. hat lediglich im Laden beim Verkauf der Fleischwaren mitgewirkt. Es haben somit die Bestim­ mungen des HGB. über Handlungsgehilfen Anwendung zu finden. (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 14.)

227. Sind Packerinnen in Warenhäusern Handlungsgehilfinnen? Urteil des KG. Charlottenburg vom 19. Januar 1909. Die Kl. war im Warenhaus der Bell, auf Gmnd des Engagementsvertrages vom 12. November 1908 als Packerin gegen ein Monatsgehalt von 60 Mk. seit dem 13. Nov. 1908 tätig. Die Parteien sind darüber einig, daß die Kl. außer mit dem Einpacken der getauften Waren auch damit beschäftigt war, die Kassenzettel daraushin zu prüfen, ob der einge­ packte Gegenstand mit dem auf dem Kassenzettel vermerkten übereinstimme, und falls mehrere Gegenstände getauft und einzupacken sind, der Kassenzettel den Einzelbeträgen und dem Gesamtbeträge nach rechnerisch keine Fehler ausweise. Die Parteien sind ferner darüber einig, daß die im Betriebe der BeN. angestellte Packerin 5 Pf. erhalte, wenn wenn sie einen Fehler in einem Kassenzettel bemerke. Gegenüber der Gehaltsklage wendet die Bell. Unzuständigkeit des KG. ein. Sie weist darauf hin, daß da für Ent­ deckung von Fehlern eine Extravergütung von 6 Pf. gezahlt werde, die Nachprüfung der Kassenzettel nicht zu der vertragsmäßigen Arbeit der Packerin gehöre, weil für sie eine Extravergütung gezahlt werde.

Das KG. hat sich für zuständig erklärt. Aus den Gründen: Der Anstellungsvertrag zwischen den Parteien ist auf Gmnd der GO. geschlossen, und bie Kl. rst als Packerin bezeichnet. Diese vertragliche Kennzeichnung der Dienste der Kl. ist aber nicht entscheidend dafür, ob siea ls Handlungsgehilfin oder Gewerbegehüsin rechtlich anzusehen ist. Rach § 59 HGB. ist Handlungsgehilfe, wer in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste gegen Entgelt angestellt ist. Es kommt deshalb nicht allein darauf an, welche Bezeichnung für die Dienste der Kl. der Anstellungsvertrag trägt, und welches Gesetz die Parteien ihrem Vertrage zugmnde legen wollten, vielmehr sind für die rechtliche Beurteilung ihrer Stellung allein maßgebend die Dienste, welche die Kl. bei der Bell, geleistet hat. Je nachdem diese Dienste kauf­ männische oder gewerbliche waren, ist unabhängig von der Parteiabrede die Kl. Handlungs- oder Gewerbegehilfin und dementsprechend das KG. oder GG. zuständig (vgl. Baum, Handbuch für GG. Nr. 104 u. 108, Urteil des GG. Kiel und Landgerichts Kiel, sowie des GG. Heidelberg und des Landgerichts Mannheim). Es würde keinem Bedenken unterliegen, die Kl. als Gewerbegehüsin anzusprechen, wenn ihre Dienste sich mit der in ihrer Bezeichnung ausgedrückten Beschäftigung, nämlich dem Einpacken der gekauften Waren, erschöpften. Dies ist aber unstreitig nicht der Fall. Die Kl. hatte ferner unstreitig zu prüfen, ob die von ihr einzu­ packenden Waren mit den im Kassenzettel vermerkten übereinstimmten und ob die im Kassenzettel vermertten Bettäge, insbesondere falls mehrere Gegenstände

§1 KGG.

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gelaust waren, im Gesamtbeträge rechnerisch stimmten. — Der Kl. war außer ihrem Gehalt eine Extravergütung für Entdecken von Fehlern in den Kassen­ zetteln versprochen. Durch eine Sondervergütung für entdeckte Fehler in den Kassenzetteln wollte die Bell, die Kl. anspomen, die Kassenzettel auf Fehler hin recht genau zu prüfen. Damit übertmg die Bell, der Kl. ausdrücklich die Nachprüfung der Zettel. Keineswegs kann die Bell, aus der Zubilligung der Sonder­ vergütung für entdeckte Fehler herleiten, daß diese Prüfung nicht zu den vertrags­ mäßig zu leistenden Diensten der Kl. deshalb gehörte, weil sie besonders vergütet wurden. Die Dienste der Kl. zusammengenommen beweisen, daß sie kaufmän­ nische sind, weil von der Kl. eine sonst nur von Handlungsgehilfen im Handels­ gewerbe ausgeübte Nachprüfung der Kassenzettel dem Gegenstände und dem Rechnungsbeträge nach verlangt wurde. Damit erhielt die Tätigkeit der Kl. ihre kaufmännische Signatur (vgl. ROHG. Bd. XVII S. 309). Ihre Dienste waren solche, zu denen diejenige Schulung und Fertigkeit gehört, die man in ihrer Vollendung „kaufmännische Tüchtigkeit" nennt (vgl. Staub, Kommentar zum HGB. Anm. 11 zu § 59). Hierzu kommt, daß die Kl. im Verkaufslokal der Bell, ihren Platz hatte, also als „Ladenfräulein", wenngleich nicht als Verkäuferin tätig war (vgl. Landgericht I Berlin, Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammer­ gerichts Jg. 1891 S. 63 und Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Bd. 42 S. 513). Wäre die Kl. bei der Bell, ohne mit Prüfung der Kassenzettel beauftragt zu sein, in einem besonderen von dem Berkaufslokal getrennten Packraum beschäftigt gewesen, so würde sie unbedenllich als Gewerbegehilfin anzusehen sein. Mit dieser Auf­ fassung völlig übereinstimmend besteht nach einem Gutachten der Handels­ kammer zu Berlin, deren Wirkungskreis sich auch auf Charlottenburg erstreckt, wie in ihrem Jahresbericht für 1908 S. 131 Nr. 10 nachzulesen ist, der Handels­ brauch, wonach die Paketkontrolle in Detailgeschäften als eine überwiegend kaufmännische Tätigkeit anzusehen ist, wenn damit die Prüfung der auf den Verkaufsnoten vermerkten Preise und die rechnerische Prüfung des Kassenzettels zu erfolgen hat. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 14 Sp. 247.)

228. Ist das KG. zuständig für den Hausmeister in einem Kaufhause? Urteil des Landgerichts I zu Berlin vom 27. Mai 1907. Auf die Berufung des Bell, ist das Urteil des KG. Berlin dahin abgeändert, daß die Klage abgewiesen wird, und ist gleichzeitig auf Antrag des Kl. der Rechts­ streit an das GG. Berlin verwiesen. Aus den Gründen: Die Bell, hat angeführt, daß das angerufene KG. für die Entscheidung des Rechtsstreites nicht zuständig gewesen sei, da der Kl. in ihrem Betriebe nicht kaufmännische, sondern gewerbliche Dienste verrichtet habe; ihm habe als Hausmeister lediglich die Kontrolle der aus- und eingehenden Personen im Hausflur obgelegen, außerdem habe er die von den Rollkutschern abgelieferten Pakete abnehmen und über die Stückzahl quittieren müssen. Der Kl. hat erwidert, er sei bei der Bell, als Handlungsgehilfe angestellt worden. Er sei mit der Expedition und Prüfung der Wareneingänge und Waren­ ausgänge beschäftigt worden, habe die Qualität der abgelieferten Waren und deren Stückzahl prüfen, über den Empfang der Waren für die Bell, quittieren und die Lieferungen in die Lieferungsbücher eintragen müssen; er sei bevollmächtigt ge­ wesen, für die Bell. Waren abzunehmen oder nach seinem Befinden zurüctzusenden, keine Rechnung der gelieferten Waren sei bezahlt worden, die er nicht geprüft und ordnungsmäßig befunden hätte. Er habe für die Bell. Einkäufe be­ sorgt und Waren verkauft. Er sei als Handlungsgehilfe ausgebildet worden und auch immer nur als solcher angestellt gewesen. Die Aufsicht über das Personal habe er nur nebenher besorgt.

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Durch das eidliche Zeugnis des Lagerverwalters Sch. ist erwiesen, daß der Kl. in seiner Stellung als Hausmeister bei der Bell, weder mit der Expedition der Wareneingänge und Warenausgänge, noch mit der Prüfung der gelieferten Waren, noch mit kaufmännischer Kassen» und Buchführung beschäftigt uno ins­ besondere niemals als Verkäufer tätig gewesen ist. Ihm lag lediglich eine rein mechanische Kontrolle ob. Er war Hausverwalter. @r hatte als solcher mit dem Betriebe des Handelsgeschäftes der Bell, nichts zu tun, sondern hatte das Haus, in welchem Bell, ihr Geschäft betreibt, zu verwalten. Dies ergibt sich insbesondere auch noch aus dem Engagementsschreiben vom 15. Mai 1906. Der Kl. hat somit der Bell, nicht kaufmännische, sondern gewerbliche Dienste geleistet. Da die KG. für Streitigkeiten zwischen Handlungsgehllfen und ihren Prin­ zipalen ausschließlich zuständig sind, war das angefochtene Urteil wegen sachlicher Unzuständigkeit des Gerichts erster Instanz dahin abzuändern, daß der Kl. mit seiner Klage abgewiesen wurde. Auf Antrag des Kl. war der Rechtsstreit an das GG. Berlin zu verweisen, da es sich vorliegend um Ansprüche aus dem gewerblichen Arbeitsverhältnis handelt. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 343.)

229. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Stenograph und Maschinen­ schreiber als Handlungsgehilfe anzusehen? *) Urteil des GG. Waltershausen vom 24. März 1909. Das GG. hat sich für unzuständig erllärt. AusdenGründen: Wenn auch der Kl. von der Bell, als „Stenograph und Maschinenschreiber" angestellt worden ist und dies an sich auf eine überwiegend mechanische Tätigkeit des Kl. im Äontot der Bell, schließen läßt, so hat das Gericht doch in der vom Zeugen St. glaubhaft geschllderten Tätigkeit des Kl. die Leistung kaufmännischer Dienste erkannt, den Kl. deshalb als Handlungsgehllfen angesehen, sich folgerichtig als sachlich unzuständig zu erllären und mithin die Klage abzu­ weisen gehabt. Denn der Kl. hat nicht bloß stenographiert und mit Schreib­ maschine geschrieben, sondern er hat nach Vortrag aufgenommene Stenogramme selbständig mit Schreibmaschinenschrift in zur Absendung fertige Geschäftsbriefe umzuformen gehabt. Da aber Stenogramme meist Lücken oder Unstimmigkeiten enthalten, hat darin nicht nur eine mechanische Tätigkeit gelegen, sondern eine folche, die eine gewisse kaufmännische Vorbildung voraussetzte. Bei dem Grundsätze der Arbeitsteilung in größeren kaufmännischen Geschäften ist es ver­ ständlich, daß zu solchen Arbeitsleistungen jüngere Gehilfen Verwendung finden, und es wird der Bell. Behauptung Glauben geschenkt, daß des Kl. Tätigkeit sich nach und nach mit dem Wachsen seiner Geschäftskenntnisse auch auf die selb­ ständige Abfassung leichterer Geschäftsbriefe erstreckt hätte, wie auch der andere, schon etwa ein Jahr bei der Bell, beschäftigte „Stenograph und Maschinen­ schreiber" der Bell, bereits seit längerer Zeit derartig mit tätig ist. Daß die Bell, den erst 18 Jahre alten Kl. aber nicht zu einer mehr als seinen jewelligen^Geschäftskenntnissen angemessenen Arbeit herangezogen hat, kann den Kl. nicht Pom Handlungsgehilfen zu einem gewöhnlichen Schreiber herabdrücken. (Ge­ werbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 289.)

230. Ist der Registrator Handlungsgehilfe oder gewerblicher Arbeiter? Urteil des Landgerichts Mainz, 1. Zivil!., vom 29. März 1909. Das KG. Mainz hatte sich für zuständig erllärt. Auf die Berufung des Bell hat das Landgericht die Klage wegen Unzuständigkeit des KG. abgewiesen.

•) Vgl. Nr. 171.

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Aus den Gründen des Landgerichts: Das KG. war nicht zu­ ständig, über den in dem Rechtsstreit geltend gemachten Anspruch zu entscheiden, denn es handelt sich nicht um Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen andererseits. Der Berufungsbekl., der als „Registrawr" in dem Betriebe des Handelsgewerbes der Berufungskl. angestellt war, ist kein Handlungsgehllfe oder Handlungslehrling im Sinne des HGB-, da seine Dienste keine kaufmännische sind. Seine Tätigkeit erfordert keine besonderen kaufmännischen Kenntnisse und besteht vielmehr in untergeordneten Hilfsdiensten, wie die eines Bureaudieners es sind. Die Dienste des Berufungsbell. sind technischer Natur und unterscheiden sich eben dadurch von den kaufmännischen Diensten eines Handlungsgehilfen. Die Bezeichnung des Berufungsbell. als „Registrawr" steht dieser Ausfassung nicht entgegen, bedeutet vielmehr in gewisser Beziehung einen Gegensatz zu einem Kommis oder Korrespondenten, welche die Eigenschaft von kaufmännischen Angestellten haben. Die Tätigkeit des Berufungsbell. bestand, was nicht bestritten ist, darin, die abgehenden Briefe der Handelsfirma mittels der Kopier­ maschine zu wpieren, und femer darin, die eingegangenen Briefe und Kopien der abgesandten Briefe in Sammelmappen zu ordnen. Auch daraus, daß diese mechanische Arbeit in dem Gewerbetrieb der Firma vor dem Eintritt des Be­ rufungsbell. nicht durch besondere Beamte, sondem durch besonders geschulte Bureaudiener versehen wurde, ergibt sich, daß es sich nicht um kaufmännische Dienste im Sinne des § 59 HGB. handelt. Es wurde auch Wochenwhn vereinbart. Auch die Bezahlung eines Wochenlohnes in Höhe von 23,50 Mk. entspricht nicht für eine Entlohnung von kaufmännischen Diensten, sondem dafür, daß es sich um einen gewerblichen Arbeiter handelt. Sp. 317.)

(Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14

231. Ist ein mit der Führung von Lohnlisten und der Berechnung der Kranken- und Jnvalidenversicherungsbeiträge beschäftigter Angestellter einer Fabrik Handlnngs- oder Gewerbegehilse? Urteil des KG. für den Swdtbezirk Stettin vom 28. IM 1905. Bell, wendet ein, Kl. sei lediglich als Schreiber engagiert, somit überhaupt nicht Handlungsgehilfe. Die Bell, ist vemrteilt. Aus den Gründen: Der Einwand, Kl. sei lediglich als Schreiber, also als Gewerbegehilfe angenommen, war zu verwerfen. Die Annonce der Bell, lautet: „Für das Lohnbureau eines größeren Fabrikwntors wird per sofort oder bald ein Schreiber gesucht; selbiger muß perfekter Rechner sein und eine gute Handschrift haben. Offerten usw." Bell, behauptet nun, ihr Rechnungsbureau habe vier Abteilungen. In demselben seien mehrere Beamte, darunter der Prozeßbevollmächtigte A. täüg, Kl. habe in der einen Abteilung nur die Namen aus der Stammrolle in die Lohn­ berechnungsliste übertragen sollen; das Berechnen sei dann Sache des N. gewesen. Die Tätigkeit des Kl. sei also eine rein mechanische gewesen, bzw. sie habe eine rein mechanische sein sollen. Diese Behauptung wird jedoch durch der Inhalt der Annonce widerlegt. Sollte Kl. tatsächlich nur abschreiben, soübrauchte B.Nj keinen „perfekten Rechner" zu suchen. Durch die Vernehmung des Zeugen N., den der Prozeßbevollmächtigte der Bell, im ersten Termine selbst als „Kontoristen" bezeichnet hat, steht aber fest, daß N. ebenfalls die Abrechnung selbst besorgt hat. Bell, hat auch nicht bestreiten können, daß der Vorgänger dieses N., ein Kaufmann, dasselbe getan hat. Bell, behauptet nun alleroings, diese Baum, Gewerbegerichte.

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Personen hätten die Berechnung nur besorgt, weil sie zufällig Kaufleute gewesen seien. Mein es unterliegt für das Gericht keinem Zwerfel, daß die Bell, nur des­ halb den Kl. engagiert hat, weil er mit solchen Abrechnungsarbeiten vertraut war. Denn er hat nach den vorgelegten Zeugnissen 1891—98 im Abrechnungsbureau der großen Schiffswerft Y und 1898 bis 1901 in dem der Schiffswerft Z als „Abrechnungsbeamter" gearbeitet. Daß es gleichgültig ist, welche Bezeichnung einem Angestellten gegeben wird, daß es vielmehr für die rechlliche Beurteilung lediglich darauf ankommt, in welcher Weise der Angestellte beschäftigt werden soll bzw. tatsächlich beschäftigt wird, bedarf keiner weiteren Ausführung. Ebenso ist es vollständig unerheblich, wenn der Kl. an den ersten Wochentagen (der 17. Juli war ein Montag) nur die Namen übertragen hat, denn das Ab­ rechnungsgeschäft konnte natürlich erst am Schluffe der Woche erfolgen. Auch war der Zeuge N., der vor seinem Abgänge den Kl. informieren sollte, noch an­ wesend und besorgte die wichtigeren Angelegenheiten noch selbst. Die Tätigkeit des Kl. war somit eine kaufmännische. Er war nicht lediglich Abschreiber. Er war mithin Handlungsgehilfe und hatte eine Kündigung von sechs Wochen vor Quartalsschluß zu beanspruchen, da er ausdrücklich weder auf Probe noch zur Aushilfe angenommen, mit ihm auch eine monatliche Kündigung zum Monatsende nicht vereinbart war. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 366.)

232. Ist daS KG. zuständig für die Klage eines Buchhalters, der als Nebenbeschäftigung einem Molkereibesitzer die Bücher führt? Urteil des KG. Leipzig vom 4. Januar 1905. Das KG. hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Die KG. sind zuständig zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnisse zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen andererseits, d. h. zwischen Kaufleuten und den in ihrem Handelsbetriebe angestellten Handlungsgehilfen. Nach dem Dafürhalten des erkennenden Gerichts liegt ein solches Anstellungsverhältnis zwischen dem Bell, und Kl. nicht vor; letzterer stand bei ersterem in keinem Abhängigkeits­ verhältnisse; weder war ein fester Lohn vereinbart, noch war die Tätigkeit des Kl. beim Bell, an eine Kündigung gebunden. Der Kl. war vielmehr bis zum 15. August als Handlungsgehilfe bei der Firma S. Sch. später als Handlungs-, oder, was dahingestellt bleiben kann, als Gewerbegehilfe in der Ausllmftei von I. M. u. Co., in Stellung; die Einrichtung der Bücher dagegen, zu der er sich während seiner freien Stunden dem Bell, gegenüber unter dessen Annahme bereit erllärte, war für ihn eine Nebenbeschäftigung, kraft deren er nicht „Hand­ lungsgehilfe" des Bell, im Sinne von § 59 HGB. wurde. Das zwischen beiden bestehende Vertragsverhältnis charakterisiert sich nicht als ein Arbeitsvertrag zwischen einem Kaufmann und einem Handlungsgehilfen im Sinne des HGB., sondern als ein Werk- oder Dienstvertrag im Sinne des BGB., wofür nach wie vor das Zivilgericht, im vorliegenden Falle also das Amtsgericht, zuständig ist. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 170.)

233. Ist ein Buchhalter, der die Instandsetzung von Geschäftsbüchern gegen einen bestimmten Preis übernimmt, Handlungsgehilfe oder selb­ ständiger Unternehmer? Urteil des KG. Hamburg. Kl. ist Buchhalter und arbeitet als solcher bei den Firmen Gr. u. Co. und L. u. W. gegen stundenweise Bezahlung. Da im bell. Geschäfte die Buchhaltung im Rückstände

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war, wandte sich Bell, an Kl. und übertrug ihm die Nachtragung der fehlenden Monate für den Preis von 20 Mk.; eine stundenweise Bezahlung war ausdrücklich abgelehnt worden abfeiten der Bell. Kl. behauptet, seine Arbeit erledigt zu haben, und beantragt llagend, die Bell, kostenpflichtig zur Zahlung von 20 Mk. zu verurteilen.

Das KG. hat sich für unzuständig erllärt. AusdenGründen: Mit dem Kl. war die Herstellung eines bestimmten Werkes vereinbart worden und war somit ein Werkvertrag abgeschlossen (BGB. § 631). Hieraus ergibt sich, daß Kl. kein Untergebener, kein Kommis im bell. Kontore war, sondem ein selbständiger Unternehmer, der nicht seine Tätigkeit selbst vermietet, sondem die Herbeifühmng eines bestimmten Erfolges verspricht (Horrwitz 2. Ausl. S. 25; GG. und KG. 1906 Sp. 241) und daß deshalb von einem „Dienstverhältnisse" zwischen Kaufmann und Gehilfen (KGG. § 1) hier nicht gesprochen werden kann. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 246.)

234. Ist ein Bücherrevisor Handlungsgehilfe? Urteil des KG. Charlottenburg vom 21. November 1905.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Das Gericht hat das Beschäftigungsverhältnis des Kl. bei der Bell, nicht als das eines Handlungsgehilfen erachten können. Ws solcher ist nur derjenige anzusehen, welcher zur Leistung kaufmännischer Dienste in einem Handelsgewerbe gegen Entgelt angestellt ist (§ 59 HGB.). feine solche Anstellung ist im vorliegenden Falle jedoch nicht gegeben. Aus der glaub­ würdigen Bekundung der Zeugin geht hervor, daß Kl. nur nach Bedarf von Fall zu Fall auf jedesmalige vorherige Aufforderung, sei es durch Telephon oder Post­ karten bestellt worden ist, und daß nur für alle Fälle der Beschäftigung ein Stunden­ lohn von 1 Mk. vereinbart worden ist. Hierin hat das Gericht das Tatbestandsmerk­ mal der „Anstellung" nicht erblicken können. Berücksichtigt man femer, oaß Kl.selbst angibt, die Buchführungsarbeiten geschäftsmäßig für eine unbeschränkte Anzahl von Kaufleuten zu betreiben nud sich mit Vermittlungsgeschäften zu befassen, so ergibt auch dies, daß Kl. nicht in der unselbständigen und abhängigen Stellung, wie sie mit der eines Handlungsgehilfen unbedingt verbunden ist (vgl. Horrwitz, Das Recht der Handlungsgehilfen, 2. Aufl. 1905, S. 23) sich bet seiner Tätigkeit bei den Bell, befunden hat. In welcher Weise Kl. selbst schließlich seine Stellung aufgefaßt hat, ergibt sich aus seinen Briefen vom 26. und 29. Juni 1905, in welchen es u. a. heißt: „Ihnen gegenüber stehe ich als Kommissionär, nicht als Angestellter, wie Sie dies vom juristischen Standpunkte zugeben müssen" und „denn ich bin nicht angestellter Buchhalter bei Ihnen, sondem betreibe in Art eines Geschäftes Buchführungen und Revisionen in und außer dem Hause." Aus alledem folgt, daß der Nachweis nicht erbracht worden ist, daß Kl. bei seiner Beschäftigung bei den Bell. Handlungsgehilfeneigenschaft gehabt hat (vgl. Honwitz, Das Recht der Handlungsgehilfen usw., 2. Aufl. 1905, S. 25 unter d). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 241.)

235. Wodurch unterscheiden sich Handlungsagent und Handlungsreisender? a) Urteil des KG. Hamburg vom 8. April 1905.

Das KG. hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Kl., von Bemf Tischlergeselle, hat in der Zeit vom 27. November bis 8. Dezember 1904 im Auftrage der Bell, versucht, einige Bücher derselben hier in der Stadt zu verkaufen. Er hat dabei die zu verkaufenden 10'

148 Bücher nicht mitgenommen, sondern nur die Muster davon. Er hatte nicht die Verpflichtung, sich zu bestimmten Zeiten bei der Bell. $u melden, sondern nur dann, wenn er Bestellungen aufzugeben hatte. Eine besttmmte Anleitung, wann und wo er Kunden suchen sollte, bekam er nicht, wenn ihm auch die Stadtteile benannt wurden, wo er die besten Geschäfte machen könne. Unstreittg ist auch, daß Kl. für den Verkauf jeden Buches eine bestimmte Provision zu verlangen hatte. Es steht fest, daß Kl. nicht gegen Entgelt, sondem nur gegen Provision angenommen worden ist. Aus diesem Umstand, verbunden mit den unbestrittenen Tatsachen, daß Kl. kein gelernter Kaufmann ist, daß er nicht verpflichtet war, sich zu bestimmten Zeiten bei der Bell, zu melden und sich ihren Anord­ nungen in bezug auf Ausübung seiner Funkttonen zu fügen, also nicht in einem Subordinationsverhältnis zur Bell, stand, sondern unabhängig und selbständig in seinen Handlungen war, und überdies nicht einmal Spesen erhielt, sondem auf eigene Rechnung die Stadt bereiste, folgt, daß er nicht die Stellung eines Handlungsgehilfen bei der Bell, hatte, sondern selbständiger Handlungsagent im Sinne des § 84 des HGB. war. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 10.) b) Urteil des KG. Mainz vom 3. August 1905.

Das KG. hat sich für unzuständig erllärt. AusdenGründen: Der Ansicht des Kl., daß der Bell, als Provisions­ reisender und demnach als Handlungsgehilfe für ihn tättg gewesen sei, konnte nicht beigetreten werden. Wohl schließt der Umstand, daß em kaufmännischer An­ gestellter für seine Tättgkeit kein Gehalt, sondem nur Provisionen von den Ge­ schäftsabschlüssen bezieht, die Eigenschaft eines Handlungsgehilfen nicht notwendig aus. Im vorliegenden Falle ist jedoch zu beachten, daß Bell, nicht nur für den Kl. allein, sondem nach seiner unbestritten gebliebenen Angabe noch für bestimmte andere Handlungshäuser in ähnlicher Weise wie für den Kl. tätig war. Schon aus dieser Tatsache erhellt, daß Bell, nicht in dem Abhängigkeits­ verhältnisse zu dem Kl. stand, das für die Eigenschaft eines Handlungsgehilfen Bedingung und Voraussetzung ist. Der Handlunasagent nimmt eine Mittel­ stellung ein zwischen dem Handlungsgehilfen und dem Handelsmaller. Seine Rechtsstellung ist durch § 84 HGB. gekennzeichnet. Danach ist Handlungsagent, wer ohne als Handlungsagent angestellt zu sein, ständig damit betaut ist, für das Handelsgewerbe eines anderen Geschäfte zu vermitteln oder im Namen des andern abzuschließen. Während die Grenze zwischen dem Handlungsagenten und dem Handelsmäller leicht zu ziehen ist, läßt sich die Grenze zwischen dem Handlungsagent und dem Handlungsgehilfen durch bestimmte äußere Merkmale im Gesetze selbst nicht feststellen. Wesentlich ist nach den Motiven zum HGB., daß der Agent nicht ein unselbständiges Glied im Geschästsorganismus des Hand­ lungshauses bildet, sondem als selbständiger Gewerbetteibender tätig wird. Hier!ür kommt aber eine Reihe tatsächlicher Momente in Betacht, die hauptsächlich in ihrem Zusammenhänge Bedeutung gewinnen. So erhält der Agent regelmäßig nur Provision, der Handlungsgehilfe dagegen festes Gehalt, daneben freilich auch ost Provision oder Tantieme; der Agent dient häufig mehreren Firmen, während dies beim Gehilfen nur selten vorkommt; der Agent ist meist an fremedn Orten tätig, er tagt seine Geschäftsunkosten selbst, wird insbesondere die Mete für seine Geschäftsräume in der Regel aus eigenen Mtteln entrichten, während sich dies alles beim Handlungsgehufen anders verhält. — Diese Voraussetzungen treffen auf den Bell. zu. Daß er ein unselbständiges Glied im Geschäftsorganismus des Kl. gebildet habe, davon kann keine Rede sein. Er stand vielmehr völlig außer­ halb dieses Organismus, hatte nicht seine ganze Arbeitskraft dem Kl. zu widmen, sondem es stand ihm völlig ftei, seine Tättgkeit nach eigenem Belieben zu regeln. Ein festes Gehalt bezog Bell, nicht, auch war er nicht ausschließlich für den Kl.^

sondern noch für andere bestimmte Geschäfte tätig. Die Aufwendungen für die Reise, den Transport von Koffem u. dgl. bestritt nicht der Kl., sondem diese Unkosten mußten von dem Bell, getragen werden. Bell, zählt mithin zu den Handlungsagenten, den selbständigen Kaufleuten, für deren Streitigkeiten mit anderen Kaufleuten dem KG. die Zuständigkeit mangelt *)• (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 11 Sp. 11.)

c) Urteil des KG. für den Stadtbezirk Stettin vom 9. Juni 1905. Das KG. hat sich für zuständig erllärt.

AusdenGründen: Kl. behauptet, daß er bei der bell, offenen Handels­ gesellschaft, einer Wurstfabrik, als Statdreisender tätig gewesen sei, und zwar gegen 5% Provision vom Umsätze. Er verlangt von der Bell, aus der Zeit vom 1. September 1904 bis 12. Mai 1905 noch 111.30 Ml. rückständige Provision und außerdem für 24 Sonnabende, an denen er den Wagen, der die Waren ausge­ fahren, begleitet habe, um dem Kutscher Bescheid zu sagen und die Gelder emzukassieren, an denen er also nicht habe seiner sonstigen Tätigkeit nachgehen können, 120 Mk., zusammen also 230 Mk. und Zinsen. Bell, wendet zunächst ein, daß das KG. nicht zuständig sei. Kl. sei nicht Reisender, sondem Agent. Er habe für sie Wurst verkauft, außerdem für einen ihrer Gesellschafter eine andere Sorte Wurst und zwar mit ihrer Erlaubnis; ohne ihre Erlaubnis aber noch für eine dritte Firma Dauerwurst. Auch habe er Verkäufe von Butter und Sauerkohl für andere vermittelt. Es seien deshalb für den Kl. auch keine Jnvalidenmarken gellebt, er auch nicht zur Krankenkasse gemeldet. Kl. erllärt, daß er seine Haupt­ tätigkeit für die Bell, entwickelt habe. Er habe täglich bei ihr erscheinen und das Kommissionsbuch vorleaen müssen. Für den einen Sozius habe er nur nebenher Heine Abschlüsse gemacht, ebenso für eine andere Firma in Dauerwurst, die Bell, nicht geführt habe. Was die Butter anlange, so sei er einmal von einem Ver­ wandten, der ein Gut habe, ersucht, ihm einen Abnehmer von Butter zu besorgen, und einem Kunden der Bell., der eine Partie Sauerkohl habe kaufen wollen, habe er einmal eine solche ebenfalls von einem Verwandten besorgt. In diesen beiden Fällen habe er lediglich aus Gefälligkeit gehandelt. Er habe die Bell, selbst gefragt, ob sie als Abnehmerin der Butterlieferung auftreten wolle. Bei dieser Sachlage hat das Gericht angenommen, daß Kl. tatsächlich in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Bell, gestanden hat, also kein selb­ ständiger Agent gewesen ist. Dafür spricht, daß er täglich bei der Bell, erschemen und sein Kommissionsbuch vorlegen, daß er Sonnabend den Wagen begleiten und die Gelder emkassieren mußte, daß Bell, ihm nicht erlaubt haben würde, für Dritte Wurstwaren zu verkaufen und daß sie seine Haupttätigkeit in Anspruch nahm. Die gelegenllichen Abschlüsse von Butter und Sauerkohl aus Gefälligkeit sind ohne Belang. (Gewerbe-u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 11.) d) Urteil des KG. Augsburg vom 11. Mai 1905.

Das KG. hat sich für unzuständig erllärt. Aus den Gründen: Nach dem schriftlichen Vertrag vom 1. Januar 1901 hat Kl. Verkaufsprovisionen und Inkassoprovisionen „sowie eine Vergütung von Geschäftsspesen von 15 Mk. pro Woche" zu beanspmchen. Von Zahlung eines Salairs ist nirgends die Rede. Kl. hatte auch eine Kaution von 300 Mk. zur Sicherung der Ansprüche des bell. Geschäftes zu bestellen. Kl. verpflichtete sich, während des Agenturverhältnisses weder Nähmaschinen noch

*) Vgl. auch KG. Chemnitz vom 24. Juni 1909. Jg. 15 SP. 88.)

(Gewerbe- u. Kaufmannsger.

150 sonstige Fabrikate der Branche der bell. Firma zu kaufen oder zu verkaufen. Das Agenturverhältnis konnte von beiden Seiten ohne Einhalten einer Kündigung jederzeit gelöst werden. Kl. erllärt, daß die einzelnen Bestimmungen des Bei­ trages wohl nur in der Absicht im Formulare Aufnahme gefunden hätten, damit er, der Kl., um die Rechte der §§ 63 und 67 des HGB. gebracht werde, während der Statut der Sache nach das zwischen ihm und der Bell, bestehende Rechtsver­ hältnis das eines Handlungsgehilfen sei. Der von dem Kl. versuchte Beweis, daß seine Stellung tatsächlich nicht die eines Agenten, sondern die eines Hand­ lungsgehilfen gewesen sei, ist aber nicht gelungen. Nach den Erllämngen des Kl. wäre die wöchenlliche Geschäftsspesenvergütung von 15 Mk. als Gehalt aufzu­ fassen, allein diese Vergütung ist ausdrücklich als Ersatzleistung für Auslagen bezeichnet und übrigens würde die Gewährung eines Gehaltes der rechtlichen Qualifikation des beiderseitigen Verhältnisses als eines Agenturverhältnisses nicht entgegenstehen. Entscheidend ist der Inhalt des anerkannten Vertrages in seiner Gesamtheit und die Tatsache, daß Kl. auch während der ganzen Zeit der Dienstdauer eine Tätigkeit ausgeübt und Gegenleistungen empfangen hat, wie sie in dem Vertrage vom 1. Januar 1901 aufgeführt sind. Die dienstliche Tätigkeit des Kl. stand auch durchaus nicht im Widerspruch mit der Bezeichnung als Verkaufs- und Jnkassoagent. Auch die — von bell. Seite bestrittene — Be­ hauptung, daß Kl. nur für das bell. Geschäft tätig sein durfte, steht der An­ nahme eines Agenturverhältnisses nicht entgegen; die Vertragsbestimmung in § 11 verbietet jedoch lediglich Konkurrenztätigkeit in der Nähmaschinenbranche. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. 3g. 11 Sp. 12.) e) Urteil des KG. Hamburg vom 8. April 1905.

Das KG. hat sich für zuständig erachtet. Aus den Gründen: Kl. war durch schriftlichen Engagementsvertrag bei der Bell, als „Verkaufsagent" angestellt, und zwar gegen 15% Provision vom Umsatz und eine Vergütung von Geschäftsspesen in Höhe von 12 Mk. wöchent­ lich; das Verhältnis sollte beiderseits jederzeit ohne vorherige Kündigung gelöst werden können. Kl. behauptet, in Wirklichkeit sei er nicht Agent, sondern Hand­ lungsgehilfe der Bell, gewesen. Zwar nicht ausschlaggebend, aber von ganz er­ heblichem Übergewicht nach der Seite des Gehilfenverhältnisses erscheint der Umstand, daß Kl. ein wöchentliches Fixum bezog. Hält man hiermit zusammen, daß Kl. selbst kein Geschäftslokal besaß, sondern sich jeden Morgen in den Ge­ schäftsräumen der Bell, einzufinden hatte, umAnweisungenzu erhalten, und jeden Abend dortseits zu erscheinen hatte, um seine Berichte anzufertigen und abzustatten, ferner, daß Kl. alles Material (Empfehlungskarten, Druch'achen, Bücher) von der Bell, geliefert erhielt, und daß dieses Material Eigentum der Bell, blieb, so muß sich jedem Unbefangenen zunächst wenigstens der V e r d a ch t aufdrängen, daß die Bezeichnung „Verkaufsagent" nur gewählt ist, um das wirk­ liche Verhältnis zwischen den Parteien zu verschleiern. Denn es widerspricht direkt der Berkehrsanschauung, einen Mann in der abhängigen Stellung, wie sie nach obigem der Kl. gegenüber der Bell, hatte, als „Agenten" zu bezeichnen und anzusehen. Unter einem Agenten versteht man im praktischen Leben einen Mann in unabhängiger, wirtschasllich selbständiger Stellung. Solche Stellung hatte Kl. ganz offenbar nicht, er war nur ein unselbständiges Glied im Geschäftsorganismus der Bell. Der Hinweis der Bell, darauf, daß nach der Fassung des § 10, Abs. 1, Kl. während seines Bertragsverhältnisses berechtigt gewesen sein würde, in anderen Branchen Geschäfte zu machen, erscheint durchaus verfehlt. Ein­ mal würde Kl. hierzu auch als Handlunsggehllfe ohne Existenz der fraglichen Vertragsbestimmung theoretisch befugt gewesen sein; der § 60 des HGB. steht dem nicht entgegen. Überdies würde sich aber in der Praxis die Sache doch wohl

so gestaltet haben, daß Bell, keine Neigung dazu gezeigt haben würde, dem Kl. sein Fixum von 12 Mk. pro Woche weiter zu zahlen, wenn Kl. tatsächlich seine Zeit nicht ausschließlich in ihrem Interesse aufgewandt hätte; Bell, würde eintretenden­ falls zweifellos den Kl. sofort ohne Kündigung entlassen haben, wozu sie ja bei Auffassung des Vertragsverhältnisses als Agenturverhältnis berechtigt gewesen wäre. Die fragliche Bestimmung stand also nur auf dem Papier. Die Absicht oes Gesetzgebers ist, diejenigen Organe im Handelsgewerbe, welche wirtschaftlich abhängig und unselbständig sind, davor zu schützen, daß sie bei regelmäßigem Verlauf der Dinge von heute aus morgen ihre Unterhaltungsquelle verlieren können; deshalb ist hinsichllich der Kündigungsfristen der Handlungsgehilfen die Vertraasfreiheit beschränkt worden. Versuchen, diese Absicht des Gesetzgebers durch Wahl falscher Bezeichnungen zu vereiteln, muß seitens der Gerichte entgegen­ getreten werden. Das KG. ist der Meinung, daß in Fällen der vorliegenden Art ohne Rücksicht auf die gewählte Bezeichnung die Beweislast demjenigen obliegt welcher behauptet, daß ein mit Vermittlung und Abschließung von Geschäften für sein Handelsgewerbe Betrauter nicht sein Gehilfe, sondern ein selbständiger Agent sei. Für solche Beweiserteilung spricht auch die Fassung des § 84 des HGB. Danach ist derjenige Agent, „wer ohne als Handlungsgehilfe angestellt zu sein, ständig damit betraut ist, für das Handelsgewerbe eines anderen Geschäfte zu vermitteln oder im Namen des anderen abzuschließen". Daß Kl. ständig damit betraut war, für das bell. Handelsgewerbe Geschäfte zu vermitteln bzw. abzuschließen, steht fest, nicht aber, daß er dies war, „ohne als Handlungsgehilfe angestellt zu sein". Durch die bloße Bezeichnung des Kl. als Verkaufsagent kann dieses Gericht nicht als erwiesen ansehen, daß Kl. das­ jenige war, was das praktische Leben sowohl wie das HGB. unter einem Agenten versteht. Auch die ursprüngliche Absicht beider Parteien, ihr Verhältnis als ein Agenturverhältnis betrachtet zu wissen, ist nicht maßgebend. Über dem Willen der Parteien steht der Wille des Gesetzgebers, daß em Verhältnis, bei welchem der mit Vermittlung und Abschluß von Geschäften Betraute erweislich nicht die Eigenschaft eines selbständigen Agenten hat, rechtlich als ein Dienstverhältnis zwischen Prinzipal und Gehilfen aufzufassen ist. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 13.) f) Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 24. November 1906.

Die Einrede der Zuständigkeit des KG. ist für begründet erachtet. Aus den Gründen: Die Stellung des Kl. war nicht die eines selb­ ständigen, der Bell, gegenüber gleichberechtigten Kaufmanns, welche die §§ 84 ff. dem Handlungsagenten deutlich zuweisen (Denkschrift S. 67ff.; Rechtspr. 7 S. 318, 8 S. 388,12 S. 423). Denn der Kl. hat den selbständigen Betrieb eines Gewerbes als Handlungsagent weder bei der Polizei noch bei der Steuerbehörde angemeldet, dagegen sich wiederholt der Bell, gegenüber als deren Angestellten bezeichnet. Freilich hat er in seiner Wohnung, die vom Geschäftslokale der Bell, weit entfernt ist, für die geschäftlichen Besuche eine besondere Sprechzeit bestimmt, dorthin auch Fernsprechverkehr eingerichtet, sogar auf seiner Visitenkarte ohne Anführung der Bell, sich lediglich als „Generalvertreter der Zigarettenfabrik X.“ bezeichnet, auch sämtliche durch ihn veranlaßte Bestellungen von Kunden an sich, nicht an die Bell, richten lassen. Allein alle diese Umstände sind ebensowenig entscheidend, wie die Bezeichnung des Kl. als „Generalvertreter" auf den ihm gelieferten Bestellungsformularen oder „Erstklassiger Vertreter bei fast sämtlichen Berliner Zigarettengeschäften", wie sich der Kl. bei Aufgabe seiner früheren Stellung in einer Zeitungsnummer bezeichnet. Denn diese Umstände entsprechen der Eigentümlichkeit des Handels mit Zigaretten als einem Fabrikat, das zur

152 Erzielung eines lohnenderen Absatzes eine möglichst bekannt gewordene „Marke" führen muß, deren Vertreter den Händlern leichter zugänglich ist als der Fabrikant, damit über die Ausstattung, den Aufdruck und die Verpackung je nach Wunsch der einzelnen Kunden verschiedene Vereinbarungen getroffen und der Rabatt nach der Kreditwürdigkeit oder sonstigen Umständen verschieden bemessen werden kann. Darüber, daß der Gegenkontrahent des Kunden nicht der Kl., sondern die durch ihn vertretene Fabrik sei, konnte der Kunde nicht im Zweifel sein, erfuhr er jedenfalls durch die von der Fabrik aus erfolgende Zusendung der Ware und Rechnung. Unteragenten zu hmten, würde allerdings mit der Stellung eines Handlungsgehilfen nicht vereinbar sein, allein der Kl. hat solche nicht gehalten, überhaupt ist die Bertragsbestimmung besonders zu beachten, die dem Kl. ein lOjähriges Weiterengagement zusicherte, wenn er im Probejahr einen bestimmten Umsatz erzielen werde. Gute Behandlung und Rücksichtnahme auf die Wünsche des Kl. waren bei Aussicht auf ein Zusammenarbeiten von so langer Dauer ebenso natürlich wie auf beiden Seiten des Kl. möglichste Anstrengung und selbst Tragung von Geschästsunkosten (für Droschken, Auwmoblle usw.), denn es handelt sich auf beiden Seiten um Erzielung beträchtlicher Gewinne in der Zukunft. Ausschlaggebend für die Streitfrage ist hiernach außer dem Mangel der Selbständigkeit des Kl. die Festsetzung emes festen Monatsgehalts. Zwar ergibt sich aus dem Eingang des § 88, daß solche Vereinbarung mcht ausgeschlossen ist, allein sie wird im § 88 als Ausnahme von der Regel behandelt, nach welcher die Vergütung für dessen Tätigkeit in der Form einer Provision für jedes einzelne jut Ausführung gelangte Geschäft gezahlt zu werden pflegt, und dem Gericht ist auch aus seiner Praxis die fast ausschließliche Herrschaft dieser Regel im Berliner Geschäflsleben ebenso bekannt, wie die Tatsache, daß umgekehrt Handlungsgehilfen nur selten allein gegen Provision, regelmäßig dagegen gegen festes Gehalt (ohne oder mit einer geringeren Provision) angestellt zu werden pflegen. (Rechtspr. der Oberlandesgerichte Bd. 14.) g) Urteil des Oberlandesgerichts Kiel, 2. Zivilsenat, vom 21. Febr. 1908.

Das OLG. erachtet den Bell, als Agenten. AusdenGründen: Der Bell, hatte allerdings nach dem Anstellungs­ verträge die Verpflichtung, seine gesamte Zeit den Interessen der Kl. zu widmen und sich jederzeit eine Prüfung seiner Geschäftsführung gefallen zu lassen. Dagegen bezog er kein Gehalt, sondern war lediglich auf Provisionen angewiesen, deren Sätze die Kl. jederzeit ändem konnte; er bekam keine Reisespesen und wurde für die an die Kundschaft gerichteten Briefe mit dem Porto belastet. Es wurde ihm ein bestimmter Bezirk für die Vertretung der Kl., einer Fabrik zur Herstellung von Zahlkassen, angewiesen und er durfte in dem Bezirk Untervertreter beschäf­ tigen, sich auch der Vermittlung Dritter zu Auftragsabschlüssen bedienen. Mies dies widerspricht der Stellung eines Handlungsgehilfen und ergibt, daß der Bell, ausschließlich Handlungsagent der Kl. sein sollte. (Rechtspr. der Oberlandesgerichte Bd. 19.)

236. Ist das KG. zuständig für die „Agenten" der Singer-Kompanie? a) Urteil des KG. Dresden vom 14. Dezember 1905. Bei seinem Antritt hat der Kl. eine von der Bell, nach oem bei ihr üblichen Ver­ kaufsagentenformular vorgeschriebene schriftliche Erllärung vollzogen, worin er als „Agent" bezeichnet wird. Der Kl. hatte sich täglich 8 Uhr im Geschäftslokal der Bell, einzufinden und in zwei Bücher Eintragungen zu bewirken. Zunächst hatte er sich in das Präsenzbuch einzuschreiben. In dieses wurde kurz nach 8 Uhr ein roter Strich gemacht;

die Agenten, die später erschienen, sich also unter diesem Strich eintrugen, hatten im Wiederholungsfall die Entlassung zu gewärtigen. In ein zweites, das Reflektantenbuch, waren die tags zuvor besuchten Kunden einzutragen. Auch war die Straße zu vermerken, die Kl. an dem jeweiligen Tage zu besuchen beabsichtigte. Nach diesen Eintragungen und etwaigen geschäftlichen Besprechungen ging Kl. aus seine Tour. Freitags früh war außer­ dem im Geschästslokal ein sormularmäßiger Wochenbericht anzufertigen und der Kas­ siererin zu übergeben, worauf Freitags abends die Auszahlung des Wochenfixums und der Provision erfolgte. — Für die vom Kl. bestrittene Behauptung, daß er noch andere Waren mitvertrieben hätte, hat die Bell, keinen Beweis geführt. Der Kl. gibt nur zu. daß er vertragswidrig zwei Nähmasckinen der Konkurrenz verkauft habe. Kl. llagt auf Zahlung von 34 Mk. Provision. Bell, erhebt den Einwand der Unzuständigkeit des KG. Das KG. hat sich für zuständig erklärt.

Aus den Gründen: Der Bell, ist es zwar unbenommen, innerhalb der Grenzen von Gesetz und guter Sitte das Verhältnis zu ihren Angestellten nach ihrem Belieben zu gestalten. Ob deren Stellung aber im Rechtssinne als die eines „Agenten" oder eines „Handlungsgehilfen" anzusehen ist, ist eine Rechts­ frage, für welche die von den Parteien gewählte Bezeichnung nur eine untergeordnete Bedeutung besitzt, schon deshalb, weil die Begriffe „Agent" und „Handlungsgehilfe" greifbarer und deutlicher Unterscheidungsmerkmale entbehren und diese Ausdrücke erfahrungsgemäß im Geschäftsleben oft durcheinander ge­ braucht werden. Für die rechtliche Beurteilung ist nicht die gewählte Bezeichnung, sondern der Parteiwille maßgebend, der aber nicht bloß aus dem Wortlaut der Vertragsbestimmungen, sondern in erster Linie aus deren tatsächlicher Durchführuna und Verwirklichung zu entnehmen ist. Wie die Bell, den Vertrag in der praktischen Anwendung selbst ausgelegt hat, — das muß sie auch als gewollten Zweck und Inhalt des Vertrages gegen sich gelten lassen. Bei einer unbefangenen, die kaufmännische Sitte berücksichtigenden Prüfung der tatsächlichen Partei­ beziehungen drängt sich nun durchaus der Eindruck auf, daß der Kl. der Bell, nicht als selbständiger Kaufmann, sondern in der den Handlungsgehilfen kenn­ zeichnenden Abhängigkeit und Unterordnung gegenüber gestanden hat. Daß der Kl. wirtschaftlich und sozial keineswegs zu den selbständigen Existenzen gehört, daß er für sich keinerlei Geschäftseinrichtungen besaß, sondern ausschließlich mit denen der Bell, arbeitete und sogar die schrifüichen Arbeiten nur ttn Geschäfts­ lokal der Bell, erledigte, daß er zu täglicher Meldung und Berichterstattung dort erscheinen mußte, daß durch die geforderten Eintragungen über Beginn um» Art der täglichen Dienste eine genaue Kontrolle stattfand, daß Kl. einen wöchent­ lichen Betrag als Existenzminimum fest bezog, daß er sogar — für einen Agenten ganz ungewöhnlich — einer Konkurrenzllausel unterworfen war usw. — Me diese Umstände beweisen in ihrer Gesamtheit und nach der Art ihres Zusammen­ treffens, daß der Kl. als unselbständiges Glied dem Geschäftsbetrieb der Bell, ein- und untergeordnet sein sollte. Gegen die Auffassung des Kl. als Agenten wäre mit Recht die Frage aufzuwerfen, wie die Stellung gewesen sein müßte, wenn die Bell, selbst den Kl. als Handlungsgehilfen angesehen wissen wollte. Und die Antwort müßte lauten, daß sie sachnch das Verhältnis gar nicht anders hätte einrichten können. Der Hinweis der Bell., daß dem Kl. andere Beschäftigung nebenher freistand, ist nicht stichhaltig. Wenn die Bell, schon auf den pünktlichen Anfang der täglichen Dienste solches Gewicht legte, so beweist dies, daß sie für das wöchenlliche Fixum auch eine volle Arbeitsleistung für ihre Interessen haben wollte und eine Nebenbeschäftigung während der täglichen Arbeitszeit nie ge­ duldet hätte. Die Vertragsfreiheit geht nicht so weit, daß die Bell, den Angestellten, soweit es seine Pflichten anbetrifft, als Handlungsgehüfen behandeln, hin­ hinsichtlich ihrer Pflichten aber die Bestimmungen über die Handlungsgehüfen ausschließen und die ihr günstigeren über die Agenten antoenben kann. Nach Ansicht des Gerichts hat der Kl. tatsächlich und dem Willen der Parteien ent-

154 sprechend eine Stellung innegehabt, die rechllich als die eines angestellten Hand­ lungsgehilfen zu beurteilen ist. Nach § 1 KGG. ist die Zuständigkeit des KG. daher begründet. b) Urteil des Landgerichts Hamburg vom 4. Oktober 1905.

Das Urteil des KG. Hamburg ist aufgehoben und die Klage wegen Unzustän­ digkeit des KG. abgewiesen.

Aus den Gründen: Das Wesenüiche der rechtlichen Stellung eines Agenten ist, daß er als selbständiger Kaufmann, indem er nicht in dienstlicher Stellung gewerbsmäßig Handelsgeschäfte vermittelt, zu einem Kaufmanne dauernd, ser es auf bestimmte, sei es auf unbestimmte Zeit, in ein Bertragsverhältnis tritt, um Geschäfte für diesen zu vermitteln und im Verkehr mit den Kunden die Interessen desselben zu wahren. Dadurch, daß er nicht in ein Dienstverhältnis zu dem Kaufmann tritt, unterscheidet sich der Agent von dem Handlungsgehilfen. Entscheidend für die Frage, ob zwischen den Parteien ein Dienstvertrag oder ein Agenturvertrag bestanden hat, ist in erster Linie der schriftliche Vertrag vom 13. Dezember 1904. Dieser Vertrag verpflichtet aber den Kl. nicht zu Diensten, vielmehr steht es dem Kl. nach dem Vertrage frei, in welchem Umfange er seine Arbeitskraft auf Verkaufsabschlüsse für die Bell, verwenden will. Des Kl. Wille bleibt nach dem Vertrage dafür maßgebend, ob er seine Tätigkeit in erster Linie oder ausschließlich dem Verkaufe von Fabrikaten der Bell, widmen will, oder ob er daneben Verkäufe für Handlungshäuser anderer Branchen vermitteln will. Gewiß ist der Kl. durch den Vertrag insoweit gebunden, als es ihm nicht freisteht, für die Bell, überhaupt nicht tätig zu werden, sondem daß er sich darum bemühen muß, für die Bell. Geschäfte zu vermitteln. Das ist aber die Pflicht eines Agenten, die sich aus den Beziehungen ergibt, in welche er zu dem Handlungs­ hause getreten ist. Well diese Beziehungen im Gegensatze zu denjenigen des Maklers und des Augenblicksvermittlers dauernder Natur sind, muß der Agent auch die Interessen des Hauses wahren, sich also insbesondere auch mit der Sorg­ falt eines ordentlichen Kaufmanns der BermitÜung von Geschäften für sein Haus hingeben. Da diese Pflicht dem Agenten nach dem Agenturverträge obliegt, war es der Bell, auch unbenommen, die Tätigkeit des Kl. daraufhin zu kontrollieren, ob er mit der pflichtgemäßen Sorgfalt für sie tätig war. Eine solche Kontrolle versetzt den Kl. nicht, wie er meint, in eine dienstliche Stellung, sondern sie recht­ fertigt sich aus dem Agenturvertragsverhältnis. Daß in dem Vertrage vom 13. Dezember 1904 eine Vergütung von Geschäftsspesen im Betrage von 12 Mk. pro Woche festgesetzt ist, charakterisiert den Vertrag keineswegs als Dienstvertrag. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, daß einer die Verkäufe in der Stadt Hamburg vermittelnden Person keine Geschäftsspesen im engeren Sinne er­ wüchsen, so würde die Stipulation einer Spesenvergütung von 12 Mk. wöchent­ lich, kein Anhaltspunkt dafür sein, daß keine Agentur, sondem ein Dienstverhältnis beabsichtigt sei. Einen solchen Anhaltspunkt würde vielmehr eine derartige Stipu­ lation nur bieten, wenn der als Spesenvergütung bezeichnete Betrag sehr hoch, die Provisionsbeträge dagegen sehr niedrig bemessen wären. Alsdann könnte man sagen, es sei in der Tat ein festes Gehalt stipuliert und die Provisionsvergütung sei nur eine Zulage zwecks (Ermunterung zu angestrengter Tätigkeit, das feste Gehalt deute aber au fden Willen, einen Dienstvertrag abzuschließen. Bei einer Spesenvergütung in Höhe von 12 Mk. und den Provisionssätzen, die in dem Ver­ trage vom 13. Dezember 1904 festgesetzt sind, kann jedoch hiervon keine Rede sein. Wenn der Kl. schließlich hervorgehoben hat, daß er sich keinen Gewerbeschein gelöst und die Bell, ihn bei der Ortskrankenkasse angemeldet habe, so folgt hieraus für die Rechtsstellung, welche er nach dem Vertrage hatte, nichts. Ersteres kann aus einer kulpösen Unterlassung bemhen, letzteres bemht nach der glaubhaften

§1 KGG.

155

Angabe des Zeugen H. auf einer von der Bekl. geübten Vorsicht. Für den Mllen der Parteien bei dem Verttagsschlusse können also aus den beiden Tatsachen keine Folgerungen gezogen werden. Ebensowenig kommt in Bettacht, ob der Kl. Anfordemngen abseiten Angestellter der Bekl. nachgekommen ist, deren er nicht nachzukommen brauchte, weil er durch sein Verttagsverhältnis sich nicht in dienstlicher Stellung der Bekl. gegenüber befand. Auf seine Rechtsstellung als Agent blieben solche Anforderungen und das Sichfügen in solche Anforderungen ohne Einfluß. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg« 11 Sp. 112.)

237. Ist das KG. zuständig für die Klage eines von einem Kaufmann angenommenen Hausierers, dessen Entlohnung lediglich in einer Quote des Erlöses besteht? Urteil des KG. M a n n h e i m vom 23. August 1907. Der Bekl. ist Inhaber der Bretzelverkaussbude im Vergnügungspark der Mann­ heimer Jubiläumsausstelluna. Der Kl. — seines Zeichens Humorist — ist von ihm zürn Vertrieb von Bretzeln, Salzstangen und dgl. durch Hausieren im Ausstellungsgelände engagiert worden. Nach dem Vertrage hat Kl. während der Dauer der Ausstellung den Berkaus der oben genannten Gegenstände durch Hausieren zu übernehmen, eine Kaution von 100 Mk. zu stellen und stets unbedingt nüchtern zu arbeiten. Seine Vergütung besteht nicht in festem Gehalt oder Lohn, sondern in 20% der Emnähme, wozu nach Beendigung des Bertragsverhältnisses noch 1% seines Umsatzes kommen soll. Dem Bekl. ist das Recht der vorzeitigen Auflösung des Bertragsverhält­ nisses — unter Verlust der Kaution — vorbehalten für den Fall, daß Kl. seine Pflichten durch Trunkenheit vernachlässigen sollte oder sich eines „störenden Verhaltens" schuldig machen sollte. Mit Eröffnung der Ausstellung am 1. Mai 1907 hat Kl. seine Tätigkeit begonnen. Mit einer beim GG. Mannheim unterm 27. Mai angebrachten Klage hat er für die Zeit vom 27. Mai bis 20. Oktober Schadenersatz in Höhe von 882 Mk. beansprucht mit der Begründung, daß sein nach Maßgabe des Vertrages berechneter Verdienst aus dem Bretzel- und Salzstangenverkauf so gering sei, daß er unter diesen Umständen nicht weiter arbeiten könne; der Bekl. sei dafür haftbar, daß er (Kl.) zu einem entsprechenden Ver­ dienste komme; denn es sei ihm (Kl.) vor Abschluß des Vertrages eine tägliche Einnahme von 10 bis 20 Mk. in bestimmte Aussicht gestellt worden; wäre das nicht geschehen, so würde er sich niemals auf die Sache eingelassen haben. Das GG. hat die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit durch Urteil vom 6. Juni abgewiesen. In den Urteilsgründen wurde damals ausgesührt, der Kl. habe nicht die Rechtsstellung eines gewerblichen Arbeiters, sondern diejenige eines selbständigen Unter­ nehmers dem Bekl. gegenüber; dies ergebe sich einmal daraus, daß er nur gegen Pro­ vision arbeite, sodann daraus, daß er in seinen Arbeitsleistungen durchaus unabhängig sei und es in seinem Belieben stehe, ob er verkaufen wolle oder nicht. Ein Rechtsmittel ist von Kl. gegen dieses Urteil des GG. nicht eingelegt worden. Kl. hat in der Zwischenzeit seine vertragliche Tätigkeit fortgesetzt, ist aber von dem Bekl. mit Schreiben vom 5. Juli entlassen worden. Nunmehr hat Kl. Klage beim KG. Mannheim erhoben. Zur Begründung der sachlichen Zuständigkeit des KG. hat Kl., unter Bekämpfung der Ausführungen in dem gewerbegerichtlichen Urteile, vorgetragen: er sei dem Bekl. gegenüber durchaus nicht selbständiger Unternehmer gewesen, sondern habe in einem Dienstverttagsverhältnis zu ihm gestanden; es sei durchaus falsch, wenn das GG. angenommen habe, daß er in seinen Arbeitsleistungen vom Bekl. unabhängig gewesen sei, daß es ins­ besondere in seinem Belieben gestanden habe, ob er verkaufen wollte oder nicht. Nach dem schriftlichen Vertrage sei er verpflichtet gewesen, zu verkaufen, und es sei in Ergänzung des schriftlichen Vertrages mündlich festgelegt worden, daß er täglich mindestens drei Stunden am Abend hausieren mußte.

Das KG. hat sich für unzuständig erklärt. AusdenGründen: Die Annahme des GG., daß Kl. in seiner Arbeits­ leistung vom Bekl. vollständig unabhängig gewesen sei, daß er ledlich berechtigt,

156 aber nicht verpflichtet war, für den Bell, in der Ausstellung zu hausieren, muß nach dem heutigen Vorbringen der Parteien als unrichtig gelten. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ein Dien st vertrag gewesen ist. Gegen die Annahme eines Dienstvertrages spricht der Umstand, daß Kl. nicht eine feste Vergütung bekommen, sondem an der Gnnahme aus dem Bretzel« und Salzstangenverkauf zu einem bestimmten Pro­ zentsätze partizipieren sollte. Aus dieser Feststellung ergibt sich, daß nicht sowohl die Hausiertätigkeit des Kl. als solche, sondern der Erfolg dieser Tätigkeit Gegenstand des Vertrages sein sollte; denn andernfalls wäre in dem Vertrage ein täglicher Mindestverdienst garantiert und auf diese Weise wenigstens indirekt eine feste Vergütung ausgemacht worden Kl. behauptet zwar, es sei ihm in den Vertrags vor Verhandlungen eine tägliche Einnahme von 10 bis 20 Mk. in Aussicht gestellt worden; aber — abgesehen davon, daß diese Angabe dem Betrage nach zu unbestimmt ist, um als die Garantiemng eines Fixums gelten zu können — für die rechlliche Beurteilung des Vertrags­ verhältnisses kann nur die endgültige Fixierung der Vereinbarungen, wie sie in dem schrifüichen Vertrage niedergelegt ist, in Betracht kommen. Nach diesem schrift­ lichen Vertrage aber ist kein Zweifel, daß Kl. lediglich auf den Erfolg seiner Tätig­ keit angewiesen war — daß er also ganzaufeigenesRisiko arbeitete — und daß nur dieser Erfolg der Tätigkeit des Kl. Vertragsgegenstand wurde. Hiernach ist das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht als ein Dienstvertrag, sondem als ein Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff. BGB. zu betrachten. Damit fällt ohne weiteres die Möglichkeit, den Kl. als Handlungsgehilfen des Bell, anzusehen; denn nach § 59 HGB. setzt die Handlungsgehllfenqualität ein Dien st Vertrags Verhältnis zu einem Kaufmann voraus (vgl. hierzu den Kommentar von Staub, 6. u. 7. Ausl, Anm. 5 zu § 59). Die KG. sind aber nur für Streitigkeiten zwischen Handlungsgehllfen einerseits und ihren Prinzipalen andererseits bzw. für Streitigkeiten aus einem Hanolungsgehllfenvertragsverhältnisse zuständig. Zu dem gleichen Resultate kommt man nebenbei bemerkt, wenn man das Vertragsverhclltnis zwischen den Parteien als einen Gefellschaftsvertrag im Sinne des § 705 BGB. bewachtet; auch diese Konstmktion läßt sich sehr wohl vertreten, eben mit Rücksicht darauf, daß die Vergütung des Kl. für seine Tätigkeit in einem Antell an dem Erlöse der zu vertreibenden Waren bestand; der gemeinsame Zweck, auf dessen Fördemng der Vertrag gerichtet war, wäre in dem Vertrieb der Bretzeln Sw. im Wege des Hausierhandel in der Ausstellung zu erblicken; die Einlage des ell. bestünde in der Beschaffung der zu verkaufenden Waren, die Einlage des in der Leistung seiner Dienste zum Zweck des Verkaufs. Schließlich könnte man den Kl. auch noch als Handlungsagenten des Bell, qualifizieren; auch das käme auf die sachliche Unzuständigkeit des KG. hinaus, da die Handlungsagenten (§ 84ff. HGB.) als selbständige Kaufleute gelten (§ 1 Abs. 2 Ziff. 7 HGB.). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 219.)

238. Ist ein Bersicherungsinspektor, dem ein Minimaleinkommen garan­ tiert ist, Handlungsgehilfe oder Agent? a) Urteil des KG. Mannheim vom 6. Februar 1905.

Das KG. hat sich für zuständig erllärt. Aus den Gründen: Das Gericht war der Ansicht, daß Kl. rechüich als Handlungsgehilfe und nicht als Handlungsagent bewachtet werden muß. Dafür spricht die Art und Weise, unter der sich die Anstellungsverhandlungen abgespielt haben und bei denen der Kl., wie von der Bell, nicht bestritten wurde,

§§ 1, 4 KGG.

157

nachdrücklichst daraufgehoben hat, er wolle keine Stellung als „besserer Agent" haben; femer die unbestrittene Tatsache, daß Kl. zu der Kranken- und Jnvalwenversichemng angemeldet wurde, was sicherlich unterlassen worden wäre, falls er als Handlungsagent selbständiger Gewerbetreibender gewesen wäre, endlich die ausdrückliche Bestimmung des Dienstvertrags zwischen den Parteien, wonach dem Kl. die feste Summe von Mk. 2000 jährlich „garantiert" wird. Mag auch der Ausdruck „Garantie" ein ungenauer sein, und gewöhnlich in der Sprache der Bersicherungsbranche die Auffassung der Bell, zum Ausdruck bringen, so konnte doch, bei Berücksichtigung sämtlicher Tatbestnndsmerkmale des vorliegenden Falles, das Gericht den Standpunkt der bell. Firma nicht annehmen und erblickte in der Festsetzung der „Garantiesumme" von 2000 Mk. lediglich die Bereinbamng der Partelen über einen Gehalt von Mk. 2000. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 144.)

b) Urteil des Oberlandgerichts Colmar, 1. Zivilsenat, vom 13. Mai 1904.

Der Kl. ist als Handlungsgehilfe erachtet. Aus den Gründen: Die Parteien haben 1901 formlos vereinbart, daß der Kl. gegen ein garantiertes Provisionseinkommen von monallich min­ destens 175 Mk. als,,Versicherungsinspektor" in den Dienst der Bell. trat. Bei der ihm hiernach zugewiesenen Stellung ist das Rechtsverhältnis nicht als dasjenige zweier selbständigen Gewerbetreibenden, insbesondere nicht als das eines Agenten zu seinem Auftraggeber, sondern als das des Untergebenen zu seinem DienstHenn, d. h. hier des Handlungsgehllfen zu seinem Prinzipal, aufzufassen. Es geht dies besonders aus dem allgemeinen Formular der Bell, für die Verträge mit ihren „Inspektoren" in Verbindung mit der Tatsache hervor, daß Kl. ein festes Mindesteinkommen bezog (vgl. Staub Anm. 5, 20 zu § 59 mit Anm. 5 zu § 84; Rechtspr. 7 S. 318). (Rechtspr. der OLG. Bd. 9 Nr. 21.)

239. In welchem Umfang ist zur Priifung der Zuständigkeit in eine Beweisaufnahme über die Gehaltshöhe einzutreten? Urteil des Kammergerichts, 12. Zivilsenat, vom 18. Dezember 1909.

Das Kammergericht erachtet eine summarische Prüfung für ausreichend. Aus den Gründen: Die Frage, wie hoch sich der Arbeitsverdienst des Bell, im letzten Jahre vor seiner Entlassung belaufen hat, ist streitig und nur durch eine umfangreiche Beweisaufnahme zu erklären. Der Senat hat aber bereits am 6. Oktober 1909 (KGBl. 111) dargelegt, daß eine weitläufige, unter Um­ ständen den gesamten Streitstoff erschöpfende Beweiserhebung lediglich zu dem Zwecke, die Zuständigkeit des Gerichts festzustellen, dem Sinne und Zwecke des Gesetzes nicht entsprechen könne. Hieran ist festzuhalten. Die Auffassung, daß Beweiserhebung über den gesamten Streitstoff unzulässig sei, wenn es nur die Zuständigkeitsfrage gilt, ist bereits in einem anderen Falle dahin anerkannt, daß bei dem Gerichtsstände des Erfüllungsorts die Behauptung der den Klaganspruch und die Zuständigkeit in gleicher Weise begründenden Tatsachen genüge. Eine unmittelbare Anwendung dieses Grundsatzes auf den vorliegenden Streit ist zwar nicht angängig, well hier die Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen ist. Indes wird eine entsprechende Übertragung dann unbedenklich sein, wenn sich keinerlei Anhaltspunkte dafür darbieten, daß die Behauptung eines höheren Einkommens lediglich zu dem Zwecke aufgestellt ist, um die Zuständigkeit des KG. zu umgehen. fJn weiterer Entwicklung der zugrunde liegenden Gedanken wird man dazu kommen müssen, eine umfangreiche Beweisaufnahme auch dann zu vermeiden, wenn die zur Begründung des Gerichtsstandes aufgestellten Be-

158 Hauptungen sich mit den Nagbegründenden Tatsachen nicht decken. Denn es erscheint nicht angängig, einen langwierigen Prozeß durch alle Stadien und In­ stanzen hindurchzuführen, um die vorher bestehenden Zweifel über die GerichtsZuständigkeit zu beheben, die Sachentscheidung aber unter Umständen einem ganz neuen Verfahren mit dem gleichen Inhalte vorzubehalten. Der Kl. war nach alledem abzuweisen. Ob dies auch dann hätte geschehen müssen, wenn er erst nach der (mit Freitag abend endenden) Abrechnungsperiode,

aber vor Ablauf des darauf folgenden Sonnabends aufgehört hätte, kann also dahingestellt bleiben. Doch sei bemerkt, daß dann die Arbeitsleistung der ein» heiüichen am Freitag geschlossenen Arbeitsperiode vom Kl. nicht gestört worden wäre. Es wird deshalb der Lohn für diese Periode schon mit Ablauf des Freitag als verdient gelten müssen. Denn es fallen die Gründe fort, die bei Ausscheiden vor Beendigung der Akkordperiode den Lohn als nicht verdient erscheinen lassen. Insoweit stellt sich daher die Vereinbarung, daß der betreffende Arbeiter vom Akkordlohn höchstens 40 Pfg. pro Stunde erhalten sollte, als die Verabredung eine Vertragsstrafe dar; der an sich voll verdiente Lohn der einen Akkordperiode soll wegen einer in die nächste Akkordperiode fallenden Berttagsverletzung gekürzt werden? Derartige Verabredungen aber sind nach § 2 des Lohnbeschlagnahme­ gesetzes nichtig. Dieser Paragraph verbietet in Verbindung mit § 1 daselbst alle Abreden, durch welche der Arbeiter vor Fälligkeit des jeweiligen Lohnes über ihn in irgendeiner Weise verfügt. Auch das Versprechen, sich den an sich ver­ dienten Lohn kürzen zu lassen, wenn man nicht noch den Sonnabend durcharbeite ist solche „Verfügung". Mithin wird der Arbeitgeber dem Arbeiter gegenüber, welcher verdienten Lohn rechtzeitig, d. h. am Fälligkeitstage fordert, die fragliche Bestimmung seiner Arbeitsordnung nicht geltend machen können. Wer also im Laufe des Sonnabends aufhört, wird sich nur bezüglich dieses Tages, nicht aber bezüglich der am Freitag abgeschlossenen Periode eine Beschränkung seines Lohnes gefallen lassen müssen. (Reichsarbeitsbl. Jg. 3 S. 348.)

296. (138.) Kann beim Akkordlohn neben der Vereinbarung des KündignngsansschlnsseS vereinbart werden, daß der Arbeiter den ANordiiberfchutz verliert, wenn er vor Vollendung ausscheidet? a) Urteil des GG. Hamburg vom 1. November 1897.

Die Abrede ist für gütig erachtet.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 67) ').

b) Urteil des GG. Hamburg vom 15.Juni 1906'). Kl. hat von der Bell. Auszahlung des auf ihn entfallenden Überschusses auf den Ak­ kord Nr. 28 623 mit zunächst 36,78 Mk. gefordert, hat aber seinen Anspruch auf 31,78 Mk. ermäßigt und dementsprechende Verurteilung der Bell, beantragt. Bell, hat Abweisung der Klage beantragt und geltend gemacht: Kl. fei vor Vollendung des Akkords aus der Arbeit ausgeschieden,'somit stehe ihm nach Slbschn. IV, Abs. 3 ihrer Arbeitsordnung ein Anspmch ans Akkordüberschuß nicht zu. Kl. hat cingewandt, als er abging, sei er bei einer anderen ') Ebenso GG. Hamburg v. 21. Januar 1905 (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 203); GG. Stettin (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 125, Jg. 15 Sp. 361). Baum, Gewerbegerichte.

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210

GO. Tit. VII (Akkordarbeit).

Arbeit beschäftigt gewesen, nicht bei der Akkordarbeit. Da BeN. ihn aus der Akkordarbeit wiederholt herausgenommen habe, müsse sie ihm auch den bis zu seinem Abgang ver­ dienten Lohn voll auszahlen. Die von der Bell, in bezug genommene Bestimmung der Arbeitsordnung sei nichtig. Bell, hat erwidert, die wiederholte Versetzung des Kl. an andere Arbeiten sei notwendig gewesen, einmal wegen der besonderen Art der Akkord­ arbeit, und ferner aus betriebstechnischen Gründen. Kl. habe auf gerichtsseitiges Befragen erklärt, nicht behaupten zu wollen, daß er von der BeN. lediglich aus Schikane wiederholt aus seinem Akkord hcrausgenommen worden sei. Ob die Unterbrechung seiner Akkord­ arbeit immer auf die notwendigste Zeit beschränkt worden oder unnötig verlängert worden sei, darüber wolle er sich nicht erNären, sondern dies eventuell der Beurteilung des Gerichts überlassen.

Die Klage ist abgewiesen.

Aus den Gründen: Die Bestimmung der bell. Arbeitsordnung, auf welche Bell, sich beruft, welche aber Kl. als nichtig ansehen will, stimmt inhaltlich und fast wörtlich überein mit derjenigen Bestimmung in der Arbeitsordnung von B. u. B., welche durch Urteil des GG. in Sachen W. gegen B., vom 27. März 1902 (Nr. 19, 1902), für unter allen Umständen nichtig erklärt worden ist. Das Gericht in der heutigen Besetzung schließt sich jener Entscheidung nicht ganz an. Zunächst soll der Standpunkt, daß eine Bestimmung der fraglichen Art mit dem Lohnbeschlagnahmegesetz kollidiere, nicht ausrechterhalten werden; diese Ansicht erscheint widerlegt durch die Ausführungen in der Deutschen Juristen­ zeitung 1903, S. 271. Daß die Bestimmung gegen die guten Sitten verstoße, wird insoweit aufrechterhalten, als dieselbe nach ihrem Wortlaut auch diejenigen Fälle trifft, wo der ausscheidende Arbeiter vorher definitiv aus der Arbeit arbeit herausgenommen worden ist (sei es, weil die Arbeit überhaupt nicht zu Ende geführt, sei es, weil sie einem anderen Arbeiter übertragen werden sollte), sowie wo die Akkordarbeit ohne hinreichenden Grund oder länger, als die Betriebsverhältnisie es erfordern, unterbrochen worden ist (sei es aus Schikane, sei es aus Nachlässigkeit seitens der Werkmeister). Insofern die Bestimmung aber nur die­ jenigen Fälle treffen soll, wo ein Arbeiter das Arbeitsverhältnis löst, während er nur v o r ü b e r g e h e n d aus der Akkordarbeit herausgenommen war, und zwar deshalb, weil eine zeitweilige Unterbrechung des Akkordes aus betriebstechnischen Gründen erforderlich erschien, ist dieselbe n i ch t als gegen die guten Sitten ver­ stoßend anzusehen. Die Bestimmung ist zwar auch solchenfalls recht hart für den Arbeiter, da sie ihn viel fester als den Arbeitgeber an das Arbeitsverhältnis bindet. Direkt verboten ist aber eine solche festere Bindung des einen Vertragskontra­ henten nicht (eine analoge Anwendung des Verbots ungleicher Kündigungsfrist erscheint nicht angängig, s. Landmann, Kommentar zu § 122 der GO ), und sie kommt sehr häufig vor, ohne Widerspruch zu finden, scheint also doch in weiten Kreisen der Beteiligten nicht als den guten Sitten widerstreitend empfunden zu werden. Worauf sich die diesseitige Entscheidung in Sachen Wichmann gegen Blohm u. Boß in betreff des Verstoßes gegen die guten Sitten stützte, war die Auffassung, daß es sich bei den Akkordüberschüssen um schon verdienten Lohn handele, daß also der Auszahlungsanspruch nur ein befristeter sei. Diese Auffassung kann nicht aufrechterhalten werden. Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB ). Daß der wirkliche Wille der Bell, dahin ging, daß der Lohnanspruch ein durch die Vollendung der Akkordarbeiten bedingter sein solle, läßt sich aus der fraglichen Bestimmung ebenso wohl herauslesen wie ein Wille des Inhalts, daß der Lohn eigentlich schon als verdient anzusehen sei, aber beim freiwilligen Fortgang des Arbeiters zugunsten der Bell, verfallen solle. Daß die Bestimmung sehr ungeschickt abgefaßt ist, darf nicht dazu führen, sie gerade in einem der Verfasserin ungünstigen Sinne auszulegen, wenn sie bei einer ihr günstigen Auslegung als gültig ausrechterhalten werden

211

GO. Tit. VII (Akkordarbeit).

kann (vgl. § 140 BGB ). Wollte man so verfahren, müßten gerichtsseitig manche arbeiterseitig niedergeschriebene Willenserklärungen für nichtig erllärt werden, weil sie, buchstäblich ausgelegt, Unsinn enthalten. Selbstredend sind alle Willenserklärungen tunlichst als gütig aufrechtzuerhalten. Stellt man sich also auf den Standpunkt, daß es sich um nur bedingt verdienten Lohn handelt, so entfällt damit die ganze Begründung des Urteils in Sachen Wichmann in der Richtung, daß die Bestimmung unterallenUmständenals nichtig anzu­ sehen sei. — Es kann hier nun dahingestellt bleiben, wie weit oder wie eng die Bell, die fragliche Bestimmung ihrer Arbeitsordnung ausgelegt wissen will. Denn Kl. ist tatsächlich nicht definitiv aus der Akkordarbeit herausgenommen

worden; so lange Kl. bei der Bekl. war, sind andere Arbeiter an seinem Akkord nicht ebschäftigt worden. Auch ist nicht dargetan, daß die Akkordarbeit ohne

hinreichenden Gmnd oder länger, als die Betriebsverhältnisse es erforderten, unterbrochen worden sei. Kl. hat erllärt, in dieser Hinsicht selbst ein Urteil nicht abgeben zu wollen, und das in seiner Mehrheit mit sachverständigen Mitgliedern

besetzte Gericht hat die Begründung der Bell, für die Unterbrechung der Akkordarbeit als hinreichend anerkennen müssen. Daß insbesondere keine Schikane Vor­ gelegen habe, hat Kl. selbst zugegeben. Und wäre Kl. nur noch einige Tage ge­ blieben, so hätte er seine Akkordarbeit selbst vollenden können, wie Bell, glaubhaft behauptet und näher begründet hat, ohne daß Kl. imstande war, das Gegenteil zu beweisen. Nach alledem mußte hier auf Grund des Abschnitts IV, Abs. 3, der bell. Arbeitsordnung festgestellt werden, daß dem Kl. ein Anspruch auf Uber­ schuß auf den Akkord Nr. 28623 nicht zustehe, und somit erkannt werden, wie geschehen.

(Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 347.) c) Urteil des GG. Stettin.

Die Abrede ist für gütig erachtet.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sv. 125.)

297. (139.) Entlassung vor Vollendung einer Akkordarbeit. Kann der Arbeiter den vollen Lohn für die vor Ablauf der Kündigungsfrist noch nicht beendete Akkordarbeit verlangen? Urteil des GG. Köln vom 22. September 1897.

Das GG. hat eine angemessene Vergütung bis zum Ablauf der Kündigungs­ frist zugesprochen, im übrigen aber die Kl. abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp.5.)

298. Hat der Arbeiter Anspruch auf den Akkordüberschutz, wenn der Arbeitgeber die Akkordarbeit vor Beendigung des Akkordes einstellen lätzt und der Arbeiter zugleich seine Entlassung nimmt? Urteil des GG. Charlottenburg vom 30.März 1909. Die Klage ist abgewiesen.

AusdenGründen: Die über den Akkord Nr. 1283 von den Parteien verabredeten Vertragsbedingungen sind in dem Akkordzettel vom 4. Januar 1909 enthalten. Danach hat der Arbeiter, wenn er vor Beendigung des Akkordes seine Entlassung nimmt, keinen Anspruch auf den Anteil an dem etwaigen Überschuß. Durch das glaubwürdige Zeugnis des Meisters R. ist nachgewiesen, daß Kl. am 23. März 1909 seinerseits den Dienstvertrag mit der Erllämng aufgelöst hat, er könne sich verbessern und möchte austreten. Der Kl. hat also nicht den Dienst­ vertrag, wie er behauptet, gelöst, weil ihm die Bell, die Beendigung des Akkordes entzogen hatte, sondern weil er eine lohnbringendere Beschäftigung an anderer 14»

212

GO- Tit. VII (Akkordarbeit).

Stelle zu finden glaubte. Die Bestimmung des Akkordzettels, daß der Arbeiter, der vor der Beendigung des Akkordes seine Entlassung nimmt, nicht seinen Anteil an dem Überschuß, sondem nur den gewöhnlichen Tagelohn für die geleistete Akkordarbeit erhält, ist ortsgebräuchlich; unstreitig hat Kl. diesen Lohn erhalten. Dieser Ortsgebrauch stimmt auch mit dem Wesen des Mkordvertrages dahin über­ ein, daß grundsätzlich der Akkordlohn erst mit Beendigung der G e s a m t -akkordarbeit verdient ist (vgl. Reichsarbeitsbl. Jg. 7 S. 223). Demgegenüber kann der Kl. sich nicht auf die weitere Bestimmung des Wkordzettels bemfen, wonach der Arbeiter, wenn es sich als notwendig erweist,

einen bereits begonnenen Akkord einzu st eilen, Anspmch auf den bis zur Unterbrechung des Akkordes von ihm erzielten Überschuß hat, falls er an der späteren Vollendung des Akkords nicht beteiligt ist. Dieser Anspmch ist eben nur dann gegeben, falls der Arbeiter im Dienste der Bell, verbleibt, aber an der späteren Vollendung des Akkordes nicht beteiligt wird. Wenn diese Bestimmung auf vorliegenden Fall Anwendung finden könnte, so wäre der Anspmch des Kl. zunächst noch nicht fällig und deshalb abzuweisen, denn den Anspmch aus den Überschuß, bei Einstellung der Akkordarbeit durch den Arbeitgeber, hat der Arbeiter erst nach Vollendung des Akkordes. Vorliegend ist der Akkord unstreitig

noch nicht vollendet. Dies liegt ebenfalls im Wesen des Akkordvertraas, wonach erst bei Vollendung des Akkordes übersehen werden kann, ob für die Arbeiter beim Akkorde ein Überschuß verbleibt; dies um so mehr, wenn der Akkord von dem einen Arbeiter begonnen und von einem oder mehreren anderen vollendet worden ist, so daß möglicherweise beide verschieden schnell oder langsam arbeiten. Durch seinen freiwilligen Austritt aus der Beschäftigung bei der Bell, hat aber der Kl. den ihm nach dem Mkordvertrage aus der Einstellung des bereits begonnenen Akkordes vielleicht für die Zukunft erwachsenden Anspmch auf den bis zur Unter­ brechung des Akkordes von ihm erzielten Überschuß selb st aufgegeben. Deshalb kann hier von einer Konkurrenz der beiden anaezogenen Bestimmungen des Mkordvertrages der Parteien dahingehend, daß infolge Einstellung des Ak­ kordes durch Bell, dem Kl. der bis dahin erzielte Überschuß gebühre, nicht die Rede sein. Für diese Entscheidung sind vorliegend auch die schon erwähnten tat­ sächlichen Gründe maßgebend, wonach nicht die Einstellung der Akkordarbeit den

Kl., sondem nachgewiesenermaßen das Auffinden einer besseren Stellung zur Arbeitsniederlegung veranlaßt hat. Keine Rede kann davon sein, daß die Bell, etwa, um dem Kl. den bis dahin von ihm erzielten Überschuß zu entziehen, die bereits begonnene Akkordarbeit eingestellt hat, vielmehr lagen, wie Meister R. als Zeuge glaubhaft bekundet hat, eilige Arbeiten vor, die mit erledigt werden mußten, während die Akkordarbeiten, wie Kl. bekannt, Arbeiten auf Vorrat waren. Außerdem hatte Meister R. dem Kl. noch ausdrücklich erllärt, daß die Mkordarbeiten mit zwischendurch gemacht werden könnten. Nach alledem war der Anspmch des Kl. auf den Äkkordüberschuß unbegründet. (Gewerbe-

u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 339.)

299. Kann vereinbart werden, daß mehrere selbständige Akkordarbeiten als einheitliche Arbeit behandelt werden sollen? Kann der Arbeiter, der vor Bollendung der gesamten Arbeit ausscheidet, den Wert der fertiggestellten Teilleistungen verlangen? Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 21. Oktober 1909. Der Kl. war von Mtte November 1906 bis 8. Mai 1909 im Betriebe des Bell, gegen Akkordlohn als Mechaniker beschäftigt. Am 8. Mai 1909 wurde er krank und arbeits­ unfähig und legte deshalb die Arbeit nieder. Er hatte damals eine ganze Reihe von Akkord­ arbeiten zu vereinbarten Preisen übernommen, die sämtlich auf einen Zettel vermerkt

GO. Tit. VII (Akkordarbeit).

213

waren. Die einzelnen Akkordarbeiten hatte er bis auf zwei Stück „B. 4 Drehstrom kom­ plett zusammensetzen", ä 6 Mk., und einen Apparat „N. W. 3 komplett anfertigen", Preis 6,25 Mk., fertiggestellt. Am 14. Mai meldete er sich beim Bell., um seinen Lohn in Empfang zu nehmen. Es wurde ihm darauf gesagt, er solle erst sämtliche von ihm über­ nommenen, auf einem und demselben Zettel vermerkten Akkordarbeiten fertigstellen. Dies lehnte der Kl. wegen seiner Krankheit ab. Er verlangt 42 Mk. als Bezahlung der fertiggestellten Akkordarbeiten, indem er ausführt, daß jede Einzelarbeit eine vollständig selbständige war, wenngleich sämtliche Arbeiten auf einem Zettel vermerkt waren. Er behauptet im übrigen, daß er noch am 14. Mai und zwar bis zum 27. Mai krank und deshalb berechtigt gewesen sei, die Arbeit vor Fertigstellung der Akkordarbeiten niederzulegen. Der Bekl. wendet ein, die sämtlichen Akkorde seien als eine einheitliche Arbeit anzu­ sehen. Dies hätten die Parteien ausdrücklich vereinbart und zwar aus Wunsch des Kl., welcher dadurch verhindern wollte, daß die aus die einzelnen Arbeiten verwendete Arbeits­ zeit vom Bekl. festgestellt werden konnte. Der Kl. hätte deshalb die Pflicht gehabt, sämt­ liche Einzelarbeiten erst fertigzustellen, bevor er die Arbeit niederlegte. Ter Bekl. bestreitet auch, daß der Kl. vom 14. Mai ab krank gewesen sei.

Nach Beweisaufnahme ist der Bekl. zur Zahlung von 19 Mk. vemrteilt, im übrigen ist die Klage abgewiesen. Aus den Gründen: Da auch der Akkordvertrag im allgemeinen von dem Grundsatz der Vertragsfreiheit beherrscht ist, so können die Parteien ver­ einbaren, daß sie an sich selbständige Akkordarbeiten als eine einheitliche Arbeit ansehen wollen, so daß, wenn nur ein Teil der durch Vertrag zu einem einheit­ lichen Ganzen zusammengefaßten Arbeiten fertiggestellt ist, die Akkordarbeit als nicht vollendet, sondern nur als teilweis vollendet anzusehen ist, wenngleich die einzelnen Teilarbeiten wirtschaftlich ohne die besondere Parteiabrede als selb­ ständige Arbeiten anzusehen gewesen wären. Für eine teilweis fertiggestellte Akkordarbeit kann aber nicht der ganze Akkordpreis verlangt werden. Wenn nun im vorliegenden Falle für die einzelnen Teilarbeiten besondere Preise ausge­ worfen sind, so kann der Akkordarbeiter unter Voraussetzung der von der Bell, behaupteten Vereinbarung an sich auch nicht die einzelnen Teilarbeiten ausge­ worfenen Preise für die fertiggestellten Teilarbeiten verlangen, sondern nur den Wert der Teilleistung für den Bell, im Verhältnis zu dem vereinbarten Gesamt­ preis, der gewöhnlich in der Weise berechnet wird, daß man von dem Gesamtpreis den Betrag der für die Fertigstellung der ganzen Arbeit verauslagten Löhne in Abzug bringt (siehe Wölbling, Akkordtarifvertrag 1908, S. 164 f.; derselbe, Grund­ sätze des Akkordvertrages, Berlin bei Guttentag, 1909, S. 16). Durch die Zeugenaussagen ist nun erwiesen, daß die Parteien übereinge­ kommen sind, die sämtlichen auf einem Zettel vermerken Akkordarbeiten als eine einheitliche Arbeit anzuseben und zwar ist dies auf den Wunsch des Kl. geschehen, der verhindem wollte, daß ihm die auf die einzelnen Stücke verwendete Zeit vom Arbeitgeber nachgerechnet werden konnte, ein Wunsch, der von vielen Arbeitern aus wirtschaftlichen Gründen geteilt wird. Der Kl. hat nun nach der Auskunft der Krankenkasse die Arbeit nicht willkürlich niedergelegt, sondern er ist dazu durch lange Krankheit und Arbeitsnnfähigkeit gezwungen worden. Damit ist der Fall einer in der Person des Arbeiters liegenden Unmöglichkeit der Erfüllung gegeben. Diese Unmöglichkeit war ferner keine absolute, denn der Kl. war nicht unheilbar krank und hätte deshalb nach seiner Genesung die Arbeit vollenden können. Der Arbeiter ist aber zum Leben und zum Unterhalt seiner Familie auf den laufenden Arbeitsverdienst angewiesen. Die Krankenunterstützung gibt dafür keinen aus­ gleichenden Ersatz, namentlich was die Familie des Arbeiters anbetrifft. Dem Arbeiter muß deshalb bei einer verhältnismäßig langen Krankheit und Arbeits­ unfähigkeit das Recht gegeben werden, den bis zum Beginn seiner Krankheit verdienten Lohn zu fordern, wenngleich dieser vereinbarungsgemäß erst später fällig sein würde.

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GO. Tit. VII (Akkordarbeit).

Was die Höhe des dem Kl. zustehenden Teiles des vereinbarten Akkordes anbetrifft, so kann zu seiner Berechnung die sonst übliche Methode nicht angewendet werden, weil der Bell. nicht angegeben hat, welche Lohnbeträge er auf die Fertig­ stellung der Akkordarbeiten verwendet hat, ja es ist überhaupt fraglich, ob er sie hat fertigstellen lassen. Deshalb blieb weiter nichts übrig, als die ausgeworfenen Preise für die fertiggestellten Teilarbeiten als Wert der Teilleistung dem Kl. zuzusprechen. Danach ergibt sich unter Weglassung der Preise für die mangelhaften Kontakte, deren Mangelhaftigkeit und teilweise Unbrauchabrkeit durch die Beweis­ ausnahme erwiesen ist, ein dem Kl. zuzusprechender Lohnbetrag von 19 MI. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 56.)

300. Kan» der Arbeitgeber zuviel bezahlten Lohn für einen früheren Akkord dem Arbeiter auf einen späteren Akkord anrechnen? Urteil des GG. Charlottenburg vom 24. November 1908.

Die Frage ist vemeint. Aus den Gründen: Die Bell, macht der Lohnforderung der Kl. F. und Kl. aus dem Akkorde 302 gegenüber das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB. wegen Ansprüchen aus den Akkorden 2, 467, 576, 583 geltend. Nach der Bestimmung des BGB. kann der Schuldner die geschuldete Leistung verweigem, wenn er aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruyt, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat. Hat vorliegend die Bell, einen fälligenAnspruch, gegen die Kl. aus den Akkorden 2, 467, 576, 583 und bilden die eben angeführten Akkorde mit dem Akkord 302 dasselbe rechtliche Verhältnis? Nach dem Zugeständ­ nis der Bell, sind die Akkorde 2, 467, 567, 583 von ihr nach Ausfühmng durch die Kl. F. und Kl. geprüft, abgenommen, gebilligt und bezahlt worden. Daher kann die Bell, jetzt nicht mehr damit gehört werden, daß sie durch unrichtige Einwägungen in die Stundenbücher von den Kl. argliflig getäuscht worden sei. Diese nach­ trägliche Erkürung der Bell. — nach Abnahme und Billigung der Akkorde — ist mit ihrem Zugeständnis, daß )ie die Morde geprüft, gebilligt, abgenommen und anerkannt habe, nicht in Einllang zu bringen. Durch Anerkenntnis der von ihr ordnungsmäßig geprüften Akkorde hat die Bell, sich der nachträglichen Anfechtung ihrer Erllärung auch wegen arglistiger Täuschung begeben. (§ 123,141,144 BGB.) Sache der Bell, wäre es gewesen, Einrichtungen zu treffen, daß bei ihrer Prüfung der Akkorde, vor Billigung, Abnahme und Anerkennung, die angeblich wider­ rechtliche Stundenverschiebung zutage getreten wäre. Jnsofem kann der Bell, gegen die Kl. überhaupt kein zivilrechtlicher Anspmch mehr wegen des Schadens den die Kl. ihr bei Ausfühmng der Akkorde 2, 467, 576, 583 verursacht haben sollen, zugebilligt werden. Der Bell, steht aber auch aus einem weiteren Gmnde das Zurückbehaltungs­ recht des § 273 BGB. vorliegend nicht zu. Nach dieser Bestimmung des BGB. muß der Anspmch des Schuldners gegen den Gläubiger aus demselben rechtlichen Verhältnis herrühren. Wenn auch der Akkordvertrag als Dienstvertrag anzusehen ist, so muß doch jedem einzelnen Akkordabkommen inner­ halb des Dienstvertrages eine derartige Selbständigkeit zugesprochen werden, daß, falls der Arbeitnehmer den Akkord ausgeführt und der Arbeitgeber ihn geprüft, abgenommen, gebilligt und bezahlt hat, die gegenseitigen Rechtsbeziehungen aus diesem Akkordabkommen beendet und ihre Ansprüche hieraus erloschen sind (vgl. Wölbling, Der Akkord- und Tarifvertrag S. 92—93, 137), und bei Beginn eines neuen Akkordes dasselbe rechtliche Verhältnis im Sinne des § 273 BGB. nicht mehr vorliegt. Ties liegt in der Natur des Akkordabkommens, in der Ver-

GO. Tit. VII (Akkordarbeit).

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einbarung nach einem Anschläge, in der Bedeutung, welche bei ihm die Beziehung der Vergütung zu dem Erfolge hat (Wölbling a. a. O. S. 96), in der Abrechnung Art der Vergütung. Die Übertragung von Ansprüchen aus einem derge­ stalt beendeten Mkordrechtsverhältnis auf einen anderen Akkord kann daher auch während der Dauer eines aus lauter Einzelakkorden bestehenden Dienstvertrag­ mangels Vorliegens desselben rechtlichen Verhältnisses nicht als julöffig angesehen werden. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 218.)

301. (140.) Tägliche Kündigung bei Akkordarbeitern. Kann der Arbeiter vor Fertigsten««- des Akkords entlassen werden?

a) Urteil des GG. Berlin, bestätigt vom Landgericht I, Zivilkammer 8 Die Entlassung ist als berechtigt angesehen. (Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 34.) b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 19. Nov. 1903. Die Bekl. waren bei der Kl. als Klempnergesellen gegen Akkordlohn beschäftigt. Sie haben, ohne die von ihnen übernommenen Arbeiten zu vollenden, die Arbeit plötz­ lich niedergelegt. Sie halten sich hierzu nach den Bestimmungen der für den Betrieb der Kl. bestehenden Arbeitsordnung für berechtigt: Diese Bestimmungen lauten: § 11. Gegenseitige Kündigung findet nicht statt. Akkordarbeiter haben nur Anspruch ans Auszahlung des betreffenden Akkordes, wenn die Arbeit vollständig und ordentlich brauchbar abgeliefert ist. Verläßt ein Akkordarbeiter während der Dauer eines Akkordes die Arbeit, so hat er keinen Anspruch ans irgendeine Ent­ schädigung. § 12. Wird ein Arbeiter während der Dauer eines Akkordes wegen eines Verstoßes gegen diese Fabrikordnung entlassen, so mird ihm für den angefangenen Akkord soviel bezahlt, als die geleistete Arbeit nach Schätzung des Werlführers wert ist.

Das Gericht hat die Bekl. für kontraktbrüchig erachtet und zum Schadens­ ersatz vemrteilt. AusdenGründen: Die Vereinbarung eines Akkordes, das heißt die Übernahme eines bestimmten Arbeitsstückes für einen bestimmten Preis oder einer bestimmten Anzahl von Stücken für einen bestimmten besonders verab­ redeten Preis, hat int Zweifel die Bedeutung, daß das Arbeitsverhältnis nur nach Beendigung der Akkordarbeit aufgelöst werden kann, gleichviel welche Kündigungsbedingunaen sonst für das Arbeitsverhältnis ausbedungen sind, in dessen Verlaufe die Arwrdarbeit vergeben und übemommen wurde. Dies folgt aus der als Regel anzunehmenden beiderseitigen Parteiabsicht, welche sich wiederum aus den nut der Akkordarbeit angestrebten wirtschaftlichen Zwecken ergibt. Dieser wirtschaftliche Zweck besteht auf Seiten des Untemehmers darin, für den im vorausberechneten Lohn ausschließlich der sonstigen im allgemeinen feststehenden Herstellungskosten ein seinen Herstellungskosten itach im Voraus feststehendes Arbeitsergebnis zu bekommen, während eine derartige Berechnung des auf das einzelne Stück entfallenden Lohnes bei Zahlung eines Zeitlohnes wegen der ungleichen Leistungen der einzelnen Arbeiter besonders bei solchen Waren, welche in kleineren Partien hergestellt werden, äußerst erschwert ist. Dazu kommt, daß der Arbeiter durch die Möglichkeit entsvrechend größeren Verdienstes zu höherer Leistung angespornt wird, daß dadurch dem Arbeitgeber eine Ersparung an der Zahl der Arbeiter und somit an Arbeitsräumen, Maschinen und Aufsichtspersonal erwächst. Dem Arbeiter wird dagegen die Möglichkeit gegeben, seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten auch in seinem Interesse mehr auszunutzen, besonders dadurch, daß er, und dies kommt besonders in Frage, wenn ihm eine größere Anzahl von Stücken zur Anfertigung übertragen wird, gleichmäßige Operationen,

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GO. Tit. VII (Akkordarbeit).

nämlich feilen, schleifen, polieren, löten u. a. hintereinander vorzunehmen, sich einen Helfer für billiges Geld anzunehmen, oft auch in Einzelheiten ein ver­ bessertes, von ihm selbst unter Aufwand von Zeit ausgeprobtes Verfahren an­ wenden kann. Diese beiden wirtschaftlichen Zwecke erfordern mtf beiden Seiten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur vollstänoigen Herstellung der ver­ einbarten Arbeit oder der vereinbarten Stüctzahl. Eine Unterbrechung der ver­ einbarten Arbeit würde immer den einen oder den anderen Teil schädigen, schon wegen der Schwierigkeit, eine geleistete Teilarbeit richtig abzuschätzen, wobei zu berüchichtigen wäre, daß die Herstellung der ersten Stücke erheblich mehr Zeit erfordert, wie die Herstellung der folgenden, und wegen der Schwierigkeit für den Arbeitgeber, einen anderen Arbeiter zu finden, der geschickt und gewillt ist, die angefangene Arbeit zu einem angemessenen Preis fortzusetzen. Wenn sonach die Akkordarbeit nach der vermutlichen Parteiabsicht eine Unter­ brechung durch Lösung des Arbeitsverhältnisses nicht zuläßt, so ist die Vereinbamng einer kürzeren oder Ausschließung jeder Kündigungsfrist gleichwohl nicht bedeutungslos oder geeignet, ohne weiteres eine abweichende Parteiabsicht auch für die Akkordarbeit anzunehmen. Die Übernahme einer Akkordarbeit bedeutet nicht lediglich eine besondere Berechnung des Lohnes, wie dies beim reinen Stücklohn angenommen werden kann, wenn keine bestimmte Zahl der zu fertigenden Gegenstände festgesetzt ist, sondern sie hat etwas mit dem Werkvertrag Ver­ wandtes, wenngleich sie insofern kein Werkvertrag ist, als der Untemehmer Herr der Arbeitsaussührung bleibt, da er meist Besitzer der Arbeitsräume, Maschinen und Materialien ist, auch die Arbeitszeiten bestimmen kann, so daß die Akkord­ abrede nur als eine Modifizierung des Dienstvertrages anzusehen ist, bei der aus der einen Seite die Arbeitskraft für eine gewisse Zeit dem Dienstberechtigten zur Verfügung gestellt wird, während der andere Teil die vereinbarte Vergütung nach erfolgter Ärbeitsleistung zu zahlen hat, nicht etwa nur nach Maßgabe des erzielten Ergebnisses. Immerhin zeigt die Mkordabrede aber ein ganz anderes Wesen, wie der gewöhnliche Dienstvertrag. Auch dieser in ihrem Wesen liegende Gmnd schließt die ausnahmsweise Anwendung der für das über die Dauer der einzelnen Akkordarbeit fortwährende Dienstverhältnis getroffenen allgemeinen Abreden aus. Die Parteiabsicht über die Lösung des Dienstvertrages muß daher in erster Linie aus dem Wesen und wirtschaftlichen Zweck des eine Spezialabrede bildenden Akkordes hergeleitet werden, daneben find aber die generellen Ab­ reden für das dauernde Dienstverhältnis zu berüchichtigen und möglichst in Ein­ klang zu bringen mit den besonderen Erfordernissen des speziellen Akkordes. Ist nun im allgemeinen eine Kündigungsfrist verabredet, so läuft sie frühestens mit der Beendigung des Akkordes ab. Ist die Kündigung ausgeschlossen, so kann die Entlassung zwar sonst jederzeit — nach der gewöhnlichen Annahme mit Tages­ ablauf — erfolgen, nicht aber während der Dauer einer Akkordarbeit, sondem gleichfalls nur mit deren Beendigung, es sei denn ausdrücklich etwas anderes verabredet. Im vorliegenden Falle erhellt aber im Gegenteil aus der den Inhalt des Arbeitsvertrages bildenden Arbeitsordnung, daß die oben auseinandergesetzte Regel, nämlich Ausschluß der Lösung des Arbeitsvertrages während des Akkordes, ausdrücklich beabsichtigt war, denn die Bestimmung des § 11, daß der Arbeiter jeden Entschädigungsanspruch verliert, wenn er die Arbeit während der Tauer einer Akkordarbeit verläßt, hat die Bedeutung einer — soweit ihre Geltend­ machung im Wege der nach § 394 des BGB. verbotenen Aufrechnung erfolgen soll, unzulässigen — Vertragsstrafe. Die Vertragsstrafe setzt aber einen Vertragsbruch voraus, so daß also in der Unterbrechung der Akkordarbeit ein Vertragsbmch liegt. Auch will der § 12 der Arbeitsordnung eine Entlassung der Arbeiter während des Akkordes, trotz des im § 11 vorgesehenen Kündigungsausschlusses nur im Falle eines Verstoßes gegen die Arbeitsordnung zulassen.

GO. Tit. VII (Mordarbcit).

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Beide Bestimmungen sind zwar in ihren Konsequenzen sehr geeignet, Zweifel herbeizuführen, aber es erhellt deutlich und zweifellos aus ihnen die Absicht, daß der Kündigungsausschluß während der Dauer einer Akkordarbeit nicht An­ wendung finden soll. Die Kl. waren also vertragsbrüchig und daher zu der auf Grund von § 124 b der GO. geforderten, der Höhe nach nicht bemängelten Ent­ schädigung zu verurteilen. (Reichsarbeitsbl. Jg. 2 S. 639.)

302. Kann der Akkordarbeiter bet Kündigungsausschluß auch während des Akkordes austreten? Hat er Anspruch auf anteilsmäßige Bezahlung der geleisteten Arbeit oder nur auf üblichen Stundenlohn? Urteil des GG. Mannheim vom 30. September 1909.

Die Klage des ausgeschiedenen Arbeiters ist abgewiesen. AusdenGründen: 1. Zunächst ist die Frage zu beantworten: Kann die beiderseitige ordnungsmäßige Lösung des Arbeitsverhältnisses — auf Gmnd der gesetzlichen Kündigungsfrist, oder einer etwa vereinbarten anderen Kündigungs­ frist bzw. auf Grund des vereinbarten oder tariflichen oder ortsüblichen Kündigungs­ ausschlusses — auch während der Dauer einer Akkordarbeit erfolgen, oder muß mit dem Austritt bzw. mit der Entlassung bis zur Beendigung der Akkordarbeit gewartet werden? Handelt es sich darum, daß ein Arbeiter oder eine Gmppe von Arbeiten: für eine ganz bestimmte Akkordarbeit angenommen worden ist, so ist die Antwort leicht; denn in diesem Falle liegt ein zu einem ganz bestimmten Zwecke eingegangenes Ärbeitsverhältnis vor, das mit der Erreichung des Zwecks — d. h. mit der Vollendung der verakkordierten Arbeit — ohne weiteres, aber auch erst mit diesem Zeitpunkte sein Ende erreicht, bei dem also eine Kündigung mit oder ohne Kündigungsfrist (abgesehen von den Fällen der §§ 123, 124 und 124a der GO.) gar nicht in Frage kommt, da die Kündigung nur bei Arbeitsverhält­ nissen, die auf unbestimmte Zeit eingegangen find, in Frage kommen kann. In solchen Fällen ist es also zweifellos, daß — mit der angegebenen Ausnahme — Austritt und Entlassung erst nach Beendigung der Akkordarbeit stattfinden kann. Um einen solchen Fall handelt es sich aber im vorliegenden Rechtsstreite nicht. Vielmehr ist der Kl. beim Bell, auf unbestimmte Zeit als Glasergehilfe eingetreten, und lediglich im Verlaufe dieses auf unbestimmte Zeit eingegangenen Arbeits­ verhältnisses ist es zur Übertragung der streitigen Akkordarbeit gekommen. I n derTheorie kann man nun darüber streiten, ob der für die Lösung eines auf unbestimmte Zeit eingegangenen Arbeitsverhältnistes vorgesehene Modus der Kündigung (Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist bzw. — bei Vereinbarung des Kündigungsausschlusses — der Kündigung ohne Kündigungsfrist) uneingeschränkt auch dann zur Anwendung kommen kann, wenn oer Arbeiter im Akkordlohn arbeitet. Es läßt sich die Auffassung vertreten, daß es in der Natur der Arbeitsübertragung gegen Akkordlohn liege, und deshalb als beiderseits stillschweigend gewollt, anzusehen sei, daß die Akkordarbeit zu Ende geführt werden solle und keine Unterbrechung durch die, wenn auch im übrigen ordnungsmäßige, Lösung des Arbeitsverhältnisses erfahren dürfe. Ebensogut läßt sich auch die gegenteilige Auffassung vertreten, daß es für oie Lösung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung des gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsmodus keinen Unterschied ausmachen könne, ob der Arbeiter im Zeit­ oder im Mkordlohn tätig sei. In der Rechtsprechung haben denn auch beide Auf­ fassungen ihre Vertretung gesunden. Praktisch unbedingt durchführbar ist wohl nur die letztere Auffassung. Man braucht nur an den gar nicht seltenen Fall zu denken, daß ein Arbeiter zu gleicher Zeit an mehreren verschiedenen Mkorden arbeitet, deren Beendigung nur zu verschiedenen Zeiten erfolgen kann; in diesem

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GO. Tit. VII (Akkordarbeit).

Falle führt die Auffassung, daß während der Dauer einer Akkordarbeit Austritt und Entlassung nicht stattfinden dürfe, unter Umständen zu unlösbaren Schwierig­ keiten. Das GG. Mannheim hat aus dieser Erwägung heraus bisher stets die Auffassung vertreten, daß die ordnungsmäßige Lösung des Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeiters oder seitens des Arbeitgebers auch während der Dauer einer Akkordarbeit — unter Nichtbeendigung derselben — stattfinden dürfe, und daß dies insbesondere auch gelte, wenn durch Vereinbarung oder durch Tarifvertrag oder durch Ortsübung der Kündigungsausschluß festgelegt ist. Das Gericht sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Natürlich steht nichts im Wege, daß die Parteien etwas anderes vereinbaren, und es steht insbesondere nichts im Wege, daß durch die Fabrikordnung die Verpflichtung zur Fertigstellung der laufenden Akkorde vor dem Austritt des Arbeiters festgelegt wird, sofern nur die Gegenseitigkeit gewahrt ist, d. h. auch die Entlassung des Arbeiters erst nach fertiggestelltem Akkorde soll erfolgen dürfen. Im vorliegenden Falle ist je­ doch eine solche Vereinbamng nicht behauptet. —

2. Wenn also hiernach der Auffassung des Bekl., daß der Kl. rechtswidrig die Arbeit verlassen habe, nicht zugestimmt werden kann, so ist dennoch die Klagefordemng als unbegründet abzulehnen. Denn mit der Bejahung der Frage, ob die ordnungsmäßige Lösung eines Arbeitsverhältnisses auch während der Dauer einer Akkordarbeit erfolgen dürfe, ist noch nicht die weitere Frage erledigt, ob der vorzeitig — d. h. vor Beendigung des Akkordes — austretende oder ent­ lassene Arbeiter Anspmch auf die anteilmäßige — d. h. der im Akkord geleisteten Teilarbeit entsprechende — Bezahlung nach Akkordsatz oder lediglich Anspruch aus Bezahlung im vereinbarten oder tarifmäßigen oder ortsüblichen Stunden­ lohnsatze hat. Tie Praxis bei der Ausführung der Akkordarbeiten geht dahin, daß der Arbeiter zunächst nur diesen Stundenlohn als „Vorschuß", d. h. als Ab­ schlagszahlung, erhält, und erst nach Fertigstellung des ganzen Akkordes die Aus­ rechnung des Lohnes nach dem zugrundegetegten Akkordsätze und die Auszahlung des etwaigen Überschusses über den Stundenlohn stattsindet. Aus dieser Praxis läßt sich unschwer der Schluß ziehen, daß nach beiderseitiger stillschweigender Bertraasabsicht die Fertigstellung des Akkordes die Voraussetzung der Anwendung des Akwrdlohnsatzes sein soll. Es würde indessen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. die §§ 157 u. 242 BGB.) verstoßen, wenn der Arbeitgeber dadurch, daß er das Arbeitsverhältnis seinerseits löst, den Arbeiter um den Mehr­ verdienst gegenüber dem Stundenlohn bringen würde, auf welchen dieser durch die Vereinbamng der Arbeitsausfühmng im Akkorde bereits einen vertraglichen Anspmch erworben hat. Man kann daher unbedenklich aussprechen, daß der während der Dauer eines Akkordes entlassene Arbeiter durch die Entlassung seines Anspruches auf anteilmäißge Bezahlung im Akkordlöhne nicht verlustig geht (vgl. hierzu den § 162 Abs. 1 BGB., der mindestens analog anwendbar sein dürste). Dagegen enthält es durchaus keine Unbilligkeit, entspricht vielmehr durchaus der oben angegebenen Natur der Sache, wenn man dem Arbeiter, der seinerseits während der Dauer eines Akkordes, wenn auch rechtmäßig, seinen Austritt genommen hat, lediglich den Anspmch auf Bezahlung seiner auf den Akkord verwendeten Tätigkeit im Stundenlohne zubilligt. Es ist dieses Vorgehen auch praktisch deswegen empfehlenswert, weil damit die häufig sehr schwere Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter darüber, welcher Akkord­ lohnanteil auf den ausscheidenden Ärbeiter entfallen würde, abgeschnitten wird,

eine Auseinandersetzung, der sich der Arbeitgeber mit Fug und Recht unter­ ziehen muß, wenn er selbst die Lösung des Arbeitsverhältnisses herbeigeführt hat, die aber unter Umständen eine durchaus unbillige Zumutung wäre, wenn der Arbeiter seinerseits vor Beendigung des Akkordes seinen Austritt genommen hat. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 83.)

GO. Zit. VII ^Akkordarbeit).

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303. Wie ist der Akkordüberichutz unter die Teilnehmer einer Putzer­ kolonne z« verteilen? Haben die vor Beendigung Ausgeschiedencn An­ spruch ans einen Teil deS Überschusses? Urteil des GG. Breslau vom 19. Januar 1906. Der Bekl. hat den Fassadenputz eines Neubaues von dem bauleitenden Architekten gegen eine Vergütung von 1900 Mk. übernommen. Die Arbeit ist in der Zeit vom 2. November bis 30. Dezember 1905 fertiggestellt worden. Es wurde im ganzen 281 Tage gearbeitet, beschäftigt waren durchschnittlich 8 Mann. Die beiden Kl. haben vom 2. November bis zum 9. Dezember mitgearbeitet. Bei Beendigung der Arbeit verblieb ein Überschuß von 208,50 Mk. Die Kl. beanspruchen den nach Verhältnis der Arbeits­ tage auf sie entfallenden Überschuß. Der Bekl. hat geltend gemacht, daß die Kl. gegen seinen Willen vor Beendigung der Arbeit ausgeschieden seien, und daß sie ausdrücklich darauf hingewiesen worden seien, daß sie im Fall eines Austritts keinen Teil an dem etwaigen Überschuß hätten. Die Kl. erwidern, daß der Bekl. zu dieser Androhung nicht befugt gewesen sei. Kl. zu 1 habe dem Bekl. vor Beginn der Arbeit mitgeteilt, daß er die Übernahme eines anderen Akkordes in Aussicht habe. BeN. habe daraus erwidert, er solle nur den Akkord übernehmen und sich bis zum Beginn der Arbeit an seinen Akkord beteiligen. Kl. zu 2 hat angegeben, daß er ausgeschieden sei, um eine besser bezahlte Arbeit zu übernehmen. Es ist ein Gutachten des Ausschusses des GG. über folgende Fragen eingeholt worden: 1. Nach welchem Maßstabe wird bei einem Werkverträge, welcher die Übernahme des Putzes eines Hauses betrifft, der Akkordüberschuß verteilt? 2. Welchen Lohn erhält ein Arbeiter, der v o r Fertigstellung der Arbeit ausscheidet? Hat er insbesondere Anspruch auf einen verhältnismäßigen Teil des Akkordüberschusses? Der Ausschußsitzung haben die Beisitzer des Schiedsgerichts der Maurer- und Steinhauer-Jnnung beigewohnt und sind über die vorstehenden Fragen gleichfalls gehört worden. Der Ausschuß gab sein Gutachten einstimmig dahin ab: Der Akkordüberschuß wird unter die Arbeiter nach Verhältnis der Zahl der von ihnen geleisteten Arbeitstage geteilt. — Ein Arbeiter, der ohne Zustimmung der anderen ausscheidet oder aus erheblichen Gründen ausgeschlossen wird, hat keinen Anspruch auf einen Teil des Akkordüberschusses.

Der Klage des Kl. zu 1 ist stattgegeben, die des Kl. zu 2 abgewiesen. Aus den Gründen: Der Vertrag betreffend die Übernahme des Fassadenputzes ist nur zwischen dem Bauleiter und dem Bekl. geschlossen, das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis regelt sich nach den Bestimmungen über den Werkvertrag. Der Bekl. hat die Kl. und andere Putzer zur Arbeit ange­ nommen, um die Putzarbeiten mit ihnen gemeinsam auszuführen. In den Werk­ vertrag sind die Kl. nicht eingetreten, Rechtsbeziehungen zwischen ihnen und dem Unternehmer bestehen nicht. Sie stehen lediglich in einem Vertragsverhältnis zum BeN. Der zwischen den Parteien bestehende Vertrag ist ein Dienstvertrag: Die Kl. sind zur Leistung von Arbeit, die BeN. zur Gewährung der vereinbarten, bzw. üblichen Vergütung verpflichtet (§§ 611, 612 des BGB.). Der zwischen den Parteien bestehende Vertrag ist kein Gesellschaftsvertrag (§§ 705 ff. a. a. £).), wie das GG. Berlin in der Entscheidung vom 10. Februar 1902 ch. Schulz und Schalhorn, Das GG. Berlin S. 209) annimmt. Zum Begriff des Gesellschafts­ vertrages gehört, daß die Gesellschafter in eine Vermögensgemeinschaft gelangen (§ 718 a. a. £).). Der Beitrag eines Gesellschafters kann in der Leistung von Diensten bestehen (§ 706 Abs. 3 a. a. £).), aber nicht der Beitrag aller Gesellschafter (Lotmar, Der Arbeitsvertrag Bd. 1 S. 40 Anm. 4). Der Zweck der Gesellschaft ist die Schaffung eines gemeinsamen Vermögens; ein solches wird von Personen, die sich zur Herstellung einer Arbeit vereinigen, nicht geschaffen. Das Ziel der Teilnehmer an einer gemeinsamen Arbeit ist nicht Schaffung eines gemeinsamen Vermögens, sondern Teilung des bei Beendigung

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GO- Tit. VII (Akkordarbeit. Lohn).

der Arbeit sich ergebenden Arbeitsverdienstes. Die Lehre vom Gesellschaftsvertrag scheidet auch scharf zwischen dem Gesellschaftsvermögen (§§ 718 ff.) und dem bei Auflösung der Gesellschaft verbleibenden Überschuß (§§ 734, 735). Die Bestim­ mungen des BGB. find sonach unandwendbar; es würden auch die Gmndsätze über die Gewinnbeteiligung und die jederzeit zulässige Kündigung (§§ 722, 723) dem Willen der Parteien nicht entsprechen. Es fragt sich nun, welche Verhütung den einzelnen Mitarbeitern nach dem Dienstverträge zusteht. Da eine bestimmte Bereinbamng nicht vorliegt, ist durch Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens festgestellt worden, welche Vergütung üblich ist. Das Gutachten ist dahin abgegeben worden, daß der Überschuß nach Verhältnis der Zahl der Arbeitstage geteilt wird. Ein Arbeiter, der ohne wichtigen Gmnd ausscheidet, erhält nur den Tagelohn. Dieser Ortsgebrauch erscheint durchaus sachgemäß, da der Aus­ scheidende den Weiterarbeitenden das Risiko überläßt, welches darin besteht, daß sie mit der Akkordsumme nicht auskommen und für den letzten Teil der Zeit weniger Lohn bekommen, als der Ausgeschiedene bei Beginn der Arbeit erhalten hat. Der Kl. zu 2, welcher gegen den Widerspruch der Bell, ausgeschieden ist, um eine besser bezahlte Arbeit zu erhalten, hat somit keinen Anspmch auf den Akkord­ überschuß. Seine Klage unterlag daher der Abweisung. Der Kl. zu 1 hatte dem Bell, vor Beginn der Arbeit mitgeteilt, daß er eine andere Arbeit in Aussicht habe. Bell, hat ihn trotz dieser Kenntnis an seiner Akkordarbeit teilnehmen lassen, er mußte mit dem vorzeitigen Austritt des Kl. rechnen und kann sein ursprünglich ervärtes Einverständnis nicht nachträglich widerrufen. Der Kl. zu 1 hat daher Anspruch auf einen verhältnismäßigen Teil des Überschusses. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 331.)

304. (141.) Hat der im Gruppenakkord beschäftigte Arbeiter, der bisher eine tägliche Abschlagszahlung erhielt, Anspruch auf Wettergewährung, wenn bei der Schlußabrechnung sich zeigt, daß nicht mehr genug Akkord­ geld vorhanden ist? Urteil des GG. Berlin vom 29. Januar 1894. Die Klage auf Weitergewähmng der Abschlagszahlungen -ist abgewiesen. (Unger Nr. 8.)

2. Kohn im Allgemeinen.

(304—324.)

305. (142.) Kann für gesetzliche Feiertage ein Lohnabzug gemacht werden? a) Urteile des GG. Berlin, Kammer 4, vom 24. April 1896 und des L a n d gerichts I Berlin vom 18.September 1896.

Die Klage auf Nachzahlung des Lohnes für die Feiertage ist abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Rechtspflege Jg. 1897, S. 6.)

(Blätter für

b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 11. Juni 1900.

Die Klage auf Nachzahlung ist abgewiesen.

(Soziale Praxis.)

c) Urteil des GG. Offenbach vom 27. April 1900. Der Klage auf Nachzahlung ist stattgegeben. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 175.)

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GO. Tit. VII (Lohn).

306. (143.) Darf ein jüdischer Arbeitgeber, der an den großen jüdischen Feiertagen die Arbeit ruhen läßt, dafür einen Abzug machen? Urteil des GG. Berlin vom 18. Oktober 1893. Der Lohnabzug ist für unberechtigt erklärt.

(Unger Nr. 26.)

307. (144.) Hat der Arbeiter Anspruch auf Bezahlung von Überstunden? a) Urteil des GG. Königsberg.

Die Klage auf Bezahlung der Überstunden wurde abgewiesen. gericht Jg. 2 Sp. 99.) *)

(Gewerbe­

b) Urteil des GG. Witten vom 26. April 1904.

Der Bell. (Bäckermeister) ist zur Bezahlung von 152 Überstunden ä 26 Pfg. vemrteilt. Aus den Gründen: Was die von dem Kl. erhobene Forderung für Überstunden betrifft, so steht zunächst fest, daß zwischen den Parteien eine Vereinbarung weder über die von dem Kl. täglich zu leistende Arbeitszeit (Stunden­ zahl), noch über eine Vergütung über etwaige Mehrarbeit getroffen ist. Bei der Entscheidung der Frage über die Länge der täglichen Arbeitszeit und über eine Vergütung für Mehrarbeit sind daher zunächst etwa bestehende gesetzliche Be­ stimmungen, sodann der Bertragswille der Parteien ausschlaggebend. Der Gewerbebetrieb des Bell, gehört unstreitig zu den sogenannten gemischten Be­ trieben, in denen neben den Kondiwrwaren auch Bäckerwaren hergestellt werden. Der Kl. ist anerkanntermaßen von dem Bell, ü b e r 8!4 Uhr abends hinaus mit der Herstellung nicht leicht verderblicher Waren beschäftigt worden. Er fällt aus diesen Gründen unter die Bekanntmachung des Bundesrats bett, den Betrieb der Bäckereien und Kondiwreien vom 4. März 1986, in der die Arbeitszeit der Gehilfen in den genannten Betrieben insofern geregelt wird, als der Dauer nach oben hin bestimmte Grenzen gezogen sino. Mangels ausdrücklicher anderer Ver­ einbarung, die selbstverständlich nur eine geringere Arbeitszeit hätte Vorleben können, muß als zwischen den Parteien stillschwelgend vereinbart gelten, daß der Kl. iür den ihm gewährten festen Monatslohn alle diejenigen Arbeiten zu leisten hatte, die der Bell, innerhalb des Rahmens der genannten Bekanntmachung von ihm zu fordem berechtigt war, daß er aber zu einer weitergehenden Leistung schon deshalb nicht verpflichtet war, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hätte. Arbeitete der Kl. nun dennoch über diese Zeit hinaus, sei es, daß der Bell, es von ihm verlangte oder sei es, daß der flott gehende Betrieb es mit sich brachte, so hat er auch angemessene Vergütung für die Überstunden zu beanspruchen (§§ 611 u. 612 BGB ). Das GG. hat sich gmndsätzlich auf den vorstehend ausgeführten Standpunkt gestellt, obschon es wußte und obschon dies auch der vernommene Sachverständige bekundet hat, daß die Bestimmungen der Bekanntmachung des Bundesrats von einer großen Anzahl Gewerbetreibender nicht innegehcuten und daß Überstunden im allgemeinen nicht besonders vergütet werden. Tas Gericht kann nicht die Absicht vertreten und nicht zugeben, daß ein den Gesetzen zuwider­ laufender Brauch zu einem ortsüblichen, für den Kl. maßgebenden wird. (Ge­ werbegericht Jg. 9 Sp. 257.)

c) Urteil des GG. Magdeburg vom 7.Februar 1898. Bell, ist verurteilt, an den Kl. 35,83 Mk. für Überstunden zu zahlen. werbegericht Jg. 3 Sp. 68.)

(Ge­

*) Ebenso GG. Luckenwalde v. 20. Juli 1906 (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 199).

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GO. Tit. VII (Lohn).

d) Urteil des GG. Mannheim vom 2. April 1906. Tas GG. hat die Frage bejaht. Aus den Gründen: Über die Frage, ob der in Wochenlohn be­ schäftigte Kl. einen gesetzlichen Anspruch auf besondere Bezahlung der Über­ stunden hat, gehen die Ansichten der GG. auseinander. Die einen sind der Auf­ fassung, daß der Wochenlohn ebenso wie mutatis mutandis der Monatslohn usw., wenn das Gegenteil nicht ausdrücklich bedungen, das Entgeld für bie ge­ samte Tätigkeit des Arbeiters während der Woche darstelle und daher eine Extrabezahlung von „Überstunden" ebensowenig verlangt werden könne, wie andererseits der Arbeitgeber dem Wochenlöhner einen Lohnabzug deswegen machen könne, weil wegen gesetzlichen Feiertages die Arbeit an einzelnen Tagen ausgesetzt werden mußte; vgl. dazu das Urteil des GG. Königsberg in Baums Handbuch S. 135") und die Urteile des GG. Berlin vom 15. Juni und 15. Aug. 1895 in Unger Nr. 22. Die anderen argumentieren, daß auch der Wochenlohn nichts sei, als die Vergütung für die r e g e l m ä ß i g e Arbeitszeit in dem oben angegebenen Sinne und daß daher für eine Überschreitung dieser regelmäßigen Arbeitszeit durch Überstunden auch besondere Vergütung erfolgen müsse; vgl. dazu das Urteil des GG. Magdeburg in Baums Handbuch a. a. D.2). Das erkennende Gericht hält diese beiden Auffassungen für richtig, und es scheint ihm demgemäß auch, daß dieselben sich keineswegs widersprechen, — sondem sich sehr wohl mit einander vereinigen lassen, in dem Sinne nämlich, daß zwar imallgemeinender Wochenlohn die gesamte Tätigkeit während der Woche, der Monatslohn die gesamte Tätigkeit während des Monats usw. vergütet, für ausnahmsweise Überarbeit also besondere Bezahlung nicht verlangt werden kann, daß dagegen andererseits der Monats- und Wochenlohn immerhin ebensogut wie der Taglohn in Korrelation zur regelmäßigenArbeitszeitsteht und daher, wenn die regelmäßige Arbeits­ zeit längere Zeit andauernd überschritten wird, auch Extrabezahlung dieser Überarbeit erfolgen muß. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 11 Sp. 287.)

308. Hat der Arbeiter Anspruch auf Reisekosten und Lohn für die Fahrt zur Arbeitsstätte? Urteil des GG. München vom 23. Juli 1903. Kl. (Monteur) klagt auf Zaylung von 22,30 Ml.; diesen Betrag schulde ihm die Bell, und zwar 4,60 Mk. für die Fahrt von München nach Kelheim, 7,70 Mk. für die Fahrt von Reichenschwand nach München, außerdem 10 Mk. Lohn für die zwei durch die Fahrten versäumten Tage. Dem Kl. sind die Reisekosten zugesprochen. Im übrigen ist die Klage ab­ gewiesen.

Aus den Gründen: Die rechtliche Würdigung des Streitfalles hat folgendes ergeben. Aus der Tatsache, daß die best. Firma ihren Sitz in München und an den Arbeitsstätten Kelheim und Reichenschwand keinerlei Niederlassungen hat, ferner aus dem weiteren Umstande, daß der schriftliche Engagementsvertrag mit dem Kl. in München abgeschlossen wurde, folgerte das Gericht, daß das Ver­ tragsverhältnis mit dem Abschluß des Arbeitsvertrags in München beginnen und auch ebenda endigen sollte. Über den Umfang der hieraus entspringenden gegen­ seitigen Verpflichtungen entscheidet mangels ausdrücklicher Vereinbarung der Bertragswille und die Verkehrssitte (§ 157 BGB.). *) Siehe unter a. i) Siehe unter c.

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Der Vertragswille des Kl. ging nun insbesondere angesichts der Höhe des Fahrgeldes und der Gewähmng des auch in München üblichen regelmäßigen Lohnes unzweiselhaft dahin, daß er das Fahrgeld nicht selbst bestreiten wollte. Diesem einseitigen Vertragswillen kommt anch Hinsichtlich der bell. Firma eine rechtsverbindliche Mrkung zu, da dieser Vertragswille auch der Verkehrssitte ent­ spricht. Somit war die bell. Firma zum Ersatz des Fahrgeldes zu verurteilen. Zu einem anderen Resultate gelangte jedoch das Gericht bezüglich der Be­ zahlung des „Lohnes" für die zwei durch die Fahrten versäumten Tage. Faßt man diesen Klageanspruch wörtlich, somit als „Lohn" auf, so ist er schon deshalb unbegründet, da Lohn nur fürgeleistete Arbeit gefordert werden kann, ein Arbeitsversäumnis aber keine Arbeitsleistung ist. Erbilckt man aber, was wohl richtiger ist, in diesem Klageanspruch einen Entschädigungsanspmch in der Höhe des Lohnes, so ist die Klage deshalb unbegründet, weil nach dem unstreitbaren, beiderseitigen Vertragswillen die Arbeitsleistung nicht in München, sondem aus­ wärts beginnen und endigen sollte. Bei dieser Sachlage ist die bell. Firma mit der Annahme der Dienste des Kl. nicht im Verzug (§ 615 BGB.) gekommen und kann deshalb auch nicht schadensersatzpflichtig sein. (Gewerbegericht Jg. 9 SP. 154.)

309. (145.) Können Weihnachtsgeschenke ans den Lohn angerechnet werden? Urteil des GG. Berlin, Kammer 6, vom 14. Januar 1898.

Das GG hält die Anrechnung nicht für zulässig. Sp. 78.)

(Gewerbegericht Jg. 3

310. (146.) Können Weihnachtsgeschenke zurückgefordert werden?

Urteil des GG. Berlin, Kammer 6, vom 15. Februar 1900.

Die Rückforderung ist nicht für berechtigt erllärt.

(Soziale Praxis.)

311. (147.) Muß der Arbeiter dem Arbeitgeber die gegen dessen An­ weisung einkassierten Trinkgelder heransgeben? Urteil des GG. Berlin vom 19. März 1895.

Die Bell. ^Gehilfin einer Zeitungsträgerin) ist zur Herausgabe der Trink­ gelder vemrteilt. (Unger Nr. 19.) 312. Kann der Arbeiter, der im Lause des Jahres ansscheidet, einen entsprechenden Teil der Renjahrsgratisikation beanspruchen? a) Urteil des GG. München vom 20.Juni 1903. Kl. hat seit mehreren Jahren bei beklagter Firma als Vorarbeiter und Maschinist gearbeitet und einem von jeher bestehenden Brauch entsprechend, jeweils an Neujahr einen außerordentlichen Lohnzuschuß in der Höhe von 50 Mk. erhalten; bei seinem am 8. Juni 1903 erfolgten Austritt hat er den auf die Zeit von Neujahr 1903 bis zum 8. Juli entfallende Teil dieses Lohnzuschusses im Betrage von 20,40 Mk. verlangt und klagt auf Zahlung dieses Betrages.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Bi Würdigung des Sachverhalts war in Be­ tracht zu ziehen, daß derartige Neujahrsprämien ihrem ganzen Wesen nach nur den Zweck verfolgen, die Arbeiter zu längerem Verbleiben bei dem jeweiligen

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Arbeitgeber zu veranlassen, und nur für den Fall versprochen werden, daß der bett. Arbeiter sich am Fälligkeitstermin — Neujahr — auch noch bei demjenigen Arbeitgeber befindet, von welchem er diese Gratifikation beansprucht. Eine teilweise Zahlung dieser Prämie im Verhältnis zur Dauer des Arbeitsvertrags bei früher erfolgtem Austritt würde dem ganzen Zweck dieser Einrichtung zuwider­ laufen und dem beiderseitigen Vertragswillen nicht entsprechen. (Gewerbe­ gericht Jg. 10 Sp. 26.) b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 7, vom 12. Juli 1907. Der Kl. war bei der Bell, von Februar 1904 bis Mai 1907 als Hausdiener in Stel­ lung gegen Wochenlohn von 24 Mk. Das Arbeitsverhältnis ist ordnungsmäßig gelöst worden. Zu Weihnachten 1904 erhielt Kl. 20 Mk., zu Weihnachten 1905 30Mk. und zu Weihnachten 1906 40 Mk. Gratifikation, ohne daß ein besonderes Versprechen erfolgt war. Die Bell, hat die Beträge auf Anfrage der Steuerbehörde als steuerpflichtiges Einkommen des Kl. angegeben. Der Kl. verlangt für Januar 1907 einen entsprechenden Teil einer Weihnachtsgratifikation für 1907 mit 13 Mk.

Die Bekl. ist verurteilt. AusdenGründen: Das Gericht ist mit Stimmenmehrheit der Ansicht, daß die sogenannten Weihnachtsgeschenke für Hausdiener und ähnliche gewerb­ liche Angestellte in Wahrheit schon nicht mehr das sind, als was sie bezeichnet werden, liberale Zuwendungen des Chefs an den Angestellten, sondern eine Art Entschädigung für im Jahre geleistete Überarbeit. Diesem Umstand trägt auch die Steuerbehörde Rechnung, indem sie die sogenannten Geschenke als steuer­ pflichtiges Einkommen heranzieht. Sind aber derartige Zuwendungen lediglich Entschädigungen für geleistete Überarbeit, so hat der Angestellte darauf einen Anspruch und es folgt daraus, daß, wenn ein Hausdiener einen erheblichen Teil eines Jahres im Dienste eines Chefs war, er für die Monate, die er beschäftigt war, anteilig die Jahresentschädigung für geleistete Überarbeit, das heißt einen Anteil des sogenannten Weihnachtsgeschenkes fordern kann'). (Reichsarbeitsbl. Jg. 6 S. 1117.) 313. (148.) Sind hei Kellnerinnen die Trinkgelder als Teil des Lohnes z« betrachten? Urteil des GG. Mannheim vom 26.Januar 1900.

Das GG. hat die Frage bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 9.)

314. Darf ein Hoteldiener, der lediglich auf Trinkgelder angewiesen ist, einen Gast darauf aufmerksam machen, daß daS gezahlte Trinkgeld zu niedrig sei? Urteil des Landgerichts I Zivilkammer 8 zu Berlin vom 17. Juni 1904. Kl. war im S.-Hotel vom 24. April 1899 bis zum 26. Sept. 1903 ohne Lohn und gegen freie Station als Hausdiener tätig. Er ist zur Entlassung gekommen, weil er einen mehrwöchigen Gast des Hotels, den Konsul B., bei seiner Abreise, und zwar als er schon in der Droschke saß, darauf aufmerksam gemacht hat, daß von ihm dessen Gepäck zur Bahn befördert worden sei. B. hatte dem Kl. vorher ein Trinkgeld von 3 Mk. gegeben. Bell, will dem K>. folgendes Zeugnis ausstellen: *) Vgl. auch GG. Berlin, Kammer 8,1. Feb. 1908. RAM. 6. Jg. S. 1117. Vom KG. Berlin ist ein Recht aus die Gratifikation nur für den zu Weihnachten noch in Stel­ lung befindlichen Arbeitnehmer anerkannt worden. (Vgl. v. Schulz u. a., Jahrbuch des KG. Berlin, Berlin 1908, Nr. 119 aber auch Nr. 118.)

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Wir bescheinigen hiermit, daß der Hausdiener A. F. vom........... bis in unserem Hause tätig war. Seine Leistungen waren zufriedenstellend, auch seine Führung war genügend bis auf den Umstand, daß er von einem vor­ nehmen Gaste auf ungehörige Weise Erhöhung des ihm verabreichten Trink­ geldes verlangte. Kl. begehrt jedoch ein Zeugnis über Fühmng und Leistungen, ohne daß etwas von dem Vorfall mit dem Konsul B. darin erwähnt wird. Er verlangt ferner 545 MI. Schadensersatz von der Bell, mit der Motivierung, daß er mangel- des von ihm gewünsch­ ten Zeugnisses 109 Tage arbeitslos gewesen sei, trotzdem er sich verschiedentlich durch den Arbeitsnachweis seiner Gewerkschaft bemüht habe, ein Unterkommen zu finden. — Bekl. hält das Benehmen des Kl. bei der Abreise des B. als ein durchaus ungehöriges und erachtet sich nicht für berechtigt, sondern sogar für verpflichtet, dies Verhalten in dem verlangten Zeugnis zu erwähnen. Das GG. hat den Bekl. zur Ausstellung folgenden Zeugnisses vemrteilt. Herr A. F. mir vom 24. April 1899 bis zum 26. Sept. 1903 in unserem Hause als Hausdiener tätig. Seine Leistungen und seine Fühmng waren im allgemeinen zufriedenstellend. Mit seiner Mehrfordemng ist der Kl. abgewiesen.

Beide Parteien haben Bemfung eingelegt. — Die Berufung des Kl. ist zurückgewiesen. Auf die Bemfung des Befl. ist die Klage gänzlich abgewiesen. AusdenGründen: Unzweifelhaft war das Verhalten des Kl., der beim Abreisen des Konsuls B. diesem zu verstehen gab, daß er mit dem erhaltenen Trinkgelde nicht zufrieden sei, sondem noch ein weiteres wünsche, ein durchaus ungehöriges und verstieß gegen die guten Sitten, deren Beobachtung die Inhaber vomehmer Hotels von ihrem Personal unter allen Umständen fordem müssen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, daß ihre Hotels in Verruf kommen und vom guten Publikum, das derartige Belästigungen unangenehm empfindet, gemieden werden. Der Kl. kann sich auch nicht damit entschuldigen, daß er auf Trinkgelder anJgewiesen war. Denn nach dem Vortrage der Best, erhielt er freie Wohnung und reie Kost und war im übrigen lediglich aus diejenigen Trinkgelder angewiesen, welche die Gäste gutwillig gaben. Er muß es sich nach seinem Vertrage also gefallen lassen, wenn ihm ein Gast auch einmal kein Trinkgeld gab. Im vorliegenden Falle hatte der Kl. aber sogar ein Trinkgeld von 3 Mk. erhalten, wie er selbst zugibt. Deshalb war es erst recht ungehörig, wenn der Kl. dem Gast beim Abreisen zu verstehen gab, daß er mit dem Trinkgelde nicht zufrieden sei, sondem ein höheres wünschte. Bei dieser Sachlage kann der Ansicht des GG., die das beanstandete Zeugnis als von unnatürlicher Färbung bezeichnet, nicht beigetreten werden. Das Zeug­ nis entspricht vielmehr vollkommen der Wahrheit und es ist lediglich die Frage, ob durch den § 113 der GO. die Angabe des Entlassungsgmndes im Zeugnis verboten ist. In dieser Hinsicht treffen die vom Borderrichter herangezogenen Entscheidungen (Soziale Praxis vom 25. Febr. 1904 und Bornschem contra Stadtgemeinde Berlin Nr. 205 1904 Kammer 3) den vorliegenden Fall nicht. Das GG. beruft sich darauf auch nur für seine Ansicht, daß ein Zeugnis, welches ein Urteil über den Dienstverpflichteten enthält, nicht lediglich einzelne Berlehungen der Pflichten des Arbeiters angeben dürfe, vielmehr ein Urteil über seine gesamte Fühmng und seine gesamten Leistungen enthalten müsse. Diesen Anfordemngen genügte aber das beanstandete Zeugnis vollkommen. Es be­ schränkt sich nicht auf die Angabe einer einzelnen Pflichtverletzung, sondem es bescheinigt, daß die Leistungen des Kl. zufriedenstellend und seine Fühmng ge­ nügend waren bis aus den Umstand, daß er von einem vomehmen Gaste auf unge­ hörige Weise Erhöhung des ihm verabreichten Trinkgeldes verlangt hat. Die Hervorhebung dieses besonderen Borkommniffes war um deshalb angebracht, weil es ein zutreffendes Licht auf die Fühmng des Kl. wirst und sein Verhalten charakterisiert. Die Fühmng des Arbeiters zu charakterisieren wird aber gerade Baum, Gewerbegertchte. ,.t 15

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vom Arbeitgeber nach § 113 Abs. 2 GO. verlangt. Und das läßt sich in Fällen, wo eine besonders grobe Pflichtverletzung vorgekommen ist, ost gar nicht besser tun, als daß man das Borwmmnis im Zeugnis angibt. Jedenfalls war es dem Bell, durch § 113 GO. nicht verwehrt, des Vorfalls, der zur sofortigen Entlassung des Kl. führte, Erwähnung zu tun, wie es überhaupt dem pflichtmäßigen Ermessen des Arbeitgebers überlassen bleiben muß, in welchem Umfange er sich in dem Zeugnis über die Fühmng aussprechen will (vgl. Urteil des LG. I Berlin vom 13. Mai 1891 in den Blättern für Rechtspflege Nr. 12 Jg. 1891 S. 114). Hat sich ein Arbeitnehmer eine grobe Ungehörigkeit zuschulden kommen lassen, so muß er sich, wenn er ein Fühmngsattest haben will, auch gefallen lasten, daß sie darin erwähnt wird, und er hat keinen Anspruch darauf, daß sie durch ein all8«meines Urteil bemäntelt wird. Das vom GG. vorgeschlagene Zeugnis, daß ie Führung des Kl. im allgemeinen zufriedenstellend gewesen sei, entspricht auch gar nicht der wahren Sachlage. Der Ausdruck „im allgemeinen zufrieden­ stellend" läßt den Schluß zu, daß oie Führung nicht nur einmal, sondem mehrfach nicht den Anforderungen des Arbeitgebers entsprochen habe. Das entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Die Führung war bis auf einen tadelnswerten Fall genügend. In einem solchen Falle ist es das Recht des Arbeitgebers, den einzelnen Vorgang, der zum Tadel gerechtfertigte Beranlastung gegeben hat, besonders zu bezeichnen. Das hat die Bell, getan und die Fühmng des Kl. so geschildert, wie sie in Wrllichkeit war, nämlich dauemd genügend bis auf den einen näher bezeichneten tadelnswerten Fall. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 161.)

315. Ist die Vereinbarung gültig, daß der Kellner einen Teil deS Trink­ geldes als Vergütung für „Bruch" abzuliefem hat? Urteil des GG. Mannheim vom 17. April 1907. p1 Der Kl. hatte an sieben Tagen im Caft des Bell, als Aushilfskellner gearbeitet. Löhn hat er nicht erhalten. Bon der „Tageslosung", d. h. von der Gesamtsumme des Wertes der Speisen und Getränke, die er an den einzelnen Tagen an die Gäste abgesetzt hatte, mußte er jeweils 2% an den Bell, zahlen; es geschah dies in der Weise, daß bei der allabendlichen Abrechnung über die am Büfett ihm abgegebenen Speisen und Ge­ tränke zu der sich ergebenden Gesamtsumme ein Zuschlag von 2% hinzugerechnet wurde und der hieraus sich ergebende Betrag von dem Kl. an den Bekl. abgeliesert wurde. Kl. verlangt die Rückzahlung der nach obigem an den Bekl. gezahlten 2% der Tageslosung.

Es ist auf einen Eid für den Bell, dahin erkannt, daß die 2% der Tageslosung erforderlich sind — etwa im Jahresdurchschnitt — um den von den Kellnem durch Bmch vemrsachten Schaden zu decken. AusdenGründen: Es entsteht die Frage, ob die Vereinbamng der Zahlung dieser 2% zulässig ist, mit anderen Worten, ob eine Vereinbamng zu­ lässig ist, durch welche ein Wirt in irgendwelcher Form den Kellner oder die Kell­ nerin verpflichtet — einen Teil ihres Trinkgeldewerdienstes an ihn abzuführen. Das Gutachten des Gastwirtsgehilfenverbandes, Ortsverwaltung Mannheim, vemeint diese Frage; das Gutachten der Wirteinnung Mannheim bejaht die Zulässigkeit, indem es ausführt, daß die Zahlung von 2% für „Bmch" in den Mannheimer Cafss allgemein üblich sei; nur die Zulässigkeit der Vereinbamng bei einem Aushilfskellner wird von oer Wirteinnung angezweifelt. Das GG. München hat in seinem Urteile vom 9. November 1906 in Sachen M. contra W. mit der aufgeworfenen Frage sich beschäftigt und ist — im Gegensatz zu der Rechtsauffassung des Kgl. LG. München als Berufungsgericht — zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Vereinbamng, durch welche der Mrt einen Anteil an den Trinkgeldereinnahmen seiner Kellner und Kellnerinnen sich sichem will, aus zwei Gesichtspunllen heraus für nichtig zu halten sei: einmal nämlich verstoße eine

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solche Vereinbarung gegen die §§ 115 ff. GO., welche — soweit die Natur der Sache es zulasse, — auch aus den Trinkgelderverdienst als Surrogat der Ver­ gütung im Sinne des § 611 BGB. Anwendung zu finden hätten; sodann aber verstoße die fragliche Vereinbarung gegen die guten Sitten und sei daher nach § 138 Abs. 1 BGB. ungültig. Das GG. Mannheim kann sich dieser Auffassung in ihrem ersten Teile nicht anschließen. Die §§ 115ff. GO. können seiner Ansicht nach auf den Trinkgelderverdienst überhaupt keine Anwendung finden; die Trinkgelder versehen zwar wirtschaftlich und rechtlich die Funktion der Vergütung im Sinne des § 611 BGB ; die §§ 115 ff. GO. setzen aber, wie sich aus § 115 Abs. 1 unzweideutig ergibt, voraus, daß der Lohn dem Arbeiter vom Arbeitgeber, nicht, wie es bei den Trinkgeldern der Fall, von einem Dritten an Stelle des Arbeitgebers, bezahlt wird. Die §§ 115 bis 119 GO. stehen auch unter einander in derart engem Zusammenhang, daß es nicht angeht, einzelne davon herauszugreifen und auf den Trinkgelderverdienst der Kellner und Kellnerinnen für anwendbar zu erklären, andere dagegen nicht. Wohl aber teilt das GG. an sich durchaus die von dem GG. München ver­ tretene Auffassung, daß die Vereinbarung der Antellnahme des Wirtes an den Trinkgeldern der Kellner usw. gegen die guten Sitten verstößt, und aus diesem Gmnde nichtig ist. Boraussetzungistaberdabei — und das dürfte wohl auch die Meinung des GG. München sein —, daßderSinnderVereinbarung dahin geht, den Wirt durch die Anteilnahme an den Trinkgeldern zu bereichern, ihm dadurch eine Nebeneinnahmequelle zu verschaffen. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, ein Verstoß gegen die guten Sitten kann also nicht konstatiert werden, wenn die Vereinbarung lediglich bezweckt, Ausgaben, die der Wirt machen muß und diederKellnerverschuldethat.zu bestreiten. Denn für den Schaden, der dem Wirt durch Verschulden des Kellners entsteht, hat der Kellner aufzukommen, und er muß, wenn er keine anderen Mttel hat, die Mttel dazu eben aus seinem Trinkgelderverdienst entnehmen. Wenn es also richtig ist, wie der Bekl. im letzten Verhandlungstermine geltend gemacht hat, daß die 2% der Tageslosung, welche er sich von seinen Kellnern vereinbarungsgemäß zahlen läßt, keinen anderen Zweck haben, als ihn (den Wirt) für den von den Kellnern verursachten „Bruch", d. h. für den Schaden an zerbrochenem Geschirr usw., zu entschädigen, und wenn es wahr ist, daß zur Deckung dieses Schadens etwa im Jahresdurchschnitt berechnet die 2% erforderlich sind, dann verstößt die Vereinbamng ihrer Zahlung seitens des Kellners an den Wirt, auch wenn die Zahlung aus den Trinkgeldern erfolgen muß, nicht gegen die guten Sitten; denn die Ver­ einbarung bezweckt dann nichts anderes, als was der Wirt ohnedies gemäß § 276 BGB. von dem Kellner verlangen könnte. Die Vereinbamng ist dann eben nur eine Pauschalisierung der gesetzlichen Haftpflicht des Kellners aus dem Dienst­ verträge, eine Pauschalisierung auch insofern, als der Wirt im einzelnen Falle das Verschulden des Kellners nicht nachzuweisen braucht, ein Beweis, von dem man zugeben muß, daß er in den meisten Fällen überhaupt nicht klar und unzwei­ deutig zu erbringen wäre. Die Frage nun, ob in dem Betriebe des Bekl. die 2% lediglich die eben angegebene Bedeutung haben, kann von dem Gerichte auf Grund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung ziffernmäßig nicht nach­ geprüft werden; der Bekl. würde auch kaum in der Lage sein, jetzt noch den bei ihm in Stellung gewesenen Kellnern den ziffernmäßigen Nachweis zu erbringen, daß sie mit den 2% nicht mehr an ihn bezahlt haben, als was sie nach § 276 BGB. ohnehin zu zahlen verpflichtet gewesen wären. Der Bekl. muß dagegen imstande sein, anzugeben, ob, im Jahresdurchschnitt gerechnet, an Geschirr usw. von seinen Kellnern so viel zerbrochen wird, daß die 2% erforderlich sind, um den Schaden

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zu decken. Das Gericht hält es daher für angemessen, ihm den richterlichen Eid darüber aufzuerlegen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 108.)

316. Gilt der „HauStrunk" der Brauereiarbeiter als LohnUrteil des GG. Aschaffenburg vom 3. September 1908.

Die bell. Brauerei ist verurteilt, als Vergütung für den Haustmnk 88 Pf. zu zahlen. AusdenGründen: Es ist von der Bell, anerkannt und steht außerdem nach § 6 des Tarifvertrages, der in Ausführung des § 616 BGB. erging, un­ zweifelhaft fest, daß Kl. einen Rechtsanspruch auf die Bezahlung des Lohnes für die unverschuldete und entschuldigte Versäumnis des einen Arbeitstages hat. Sstreit besteht unter den Parteien nur noch darüber: Zählt der „Haustmnk" zum Lohn, ist er insbesondere unter den Lohnbegrisf des § 6 mit einbezogen oder nicht? Über Löhne handelt der § 2 des Tarifes. Doch ist daselbst eine abstrakte Lohndefinition für den Tarifvertrag nicht gegeben. Es ist dort nur über die Höhe des Lohnes nach Arbeiterllassen, über den Zahltag und über außerordentliche Leistungen und deren Vergütung die Rede. § 5 des Tarifs „Haustmnk" enthält hierüber gar nichts und § 6 bestimmt lediglich, daß in den daselbst genannten Fällen ein L o h n a b z u g nicht stattfindet. Es ist also auch hier nicht ausdrück» uch gesagt, ob unter den Begriff Lohn auch der sogenannte Haustmnk fällt oder ob er davon ausgeschlossen ist. Die Lösung der Frage ist also unabhängig vom Tarifvertrag in der allgemein rechtlichen Bedeutung von „Lohn" zu suchen. Der Begriff „Lohn" umfaßt nun alle Bezüge, welche auf Gmnd des Arbeits­ vertrages als Gegenleistung für die Arbeitsleistung geschuldet werden, insbe­ sondere auch Naturalbezüge jeder Art. Diesen Begriff auf den Haustmnk ange­ wendet ergibt folgendes. Der Haustmnk wird auf Gmnd des Arbeitsvertrages geschuldet. Diese Verpflichtung zur Leistung desselben ist im §5 des Tarifvertrages ausdrücklich sestgelegt. Nur Arbeiter haben einen Anspmch aus Denselben. Er ist ein Teil der Gegenleistung für ihre Arbeitsleistung. Der Arbeiter hat auf ihn einen Rechtsanspruch. Er ist keine freiwillige Leistung der Aktien­ gesellschaft, kein Geschenk, dessen Weitergewähmng eben auf Gmnd der Frei­ willigkeit jederzeit willkürlich verweigert werden könnte. Der Ausdmck „Frei­ bier" im Tarif ist dämm ein durchaus schiefer, der sich nur noch geschichtsich er» llären läßt und mit dem landläufigen Begriffe „Freibier" ganz und gar nicht mehr übereinstimmt. Denn bei diesem letzteren ist gerade die Freiwilligkeit der Leistung, der Schenkungscharalter, Merkmal des Begriffs. Der Haustmnk ist Lohn, Lohn in Naturalform. Aber er ist nicht einmal reiner Naturallohn. Sein Begriff, wie er uns hier beschäftigt, ist schon viel weiter­ fortgebildet, nähert sich schon sehr am Barlohn, denn jeder nicht getmnkene Liter Bier wird mit 14 Pf. in bar vergütet. Ein Arbeiter, der in der Brauerei kein Bier trinkt, kann den Anspmch sich vollkommen zum Barlohn umbilden. Der Umstand, daß das Bier nur in der Brauerei geturnten werden darf, die Ver­ pflichtung zum täglichen Genuß, die Ausgabe von Marken, sind sämtlich Ein­ richtungen, die nur der Kontrolle dienen. Auf die rechtliche Natur oes Begriffes haben sie keinen Einfluß. Geht man von der geschichtlichen Entwicklung dieses uralten Herkommens, den Haustmnk in der Brauerei zu nehmen, aus, so kommt man zu einem wo­ möglich noch bestimmten Resultat. Ursprünglich hatte der Haustmnk zweifellos nicht die Bedeutung von Lohn. Es war nur ein selbstverständliches Recht des Gehilfen, von dem geschaffenen Produkte mitzugenießen. Daß dies nicht in einem den Untemehmer schädigenden Umfange geschah, dagegen schützte schließlich

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die menschliche Natur. Anders wurde es dagegen, als bei größer werdenden Betrieben sich das Bedürfnis einer Kontrolle herausstellte, und deshalb der Genuß auf ein Höchstmaß beschränkt wurde. Damit war ein Rechtsanspmch auf dieses Höchstmaß entstanden. Deutlicher wird dies noch, als man aus Gründen der aus­ gleichenden Billigkeit und vielleicht auch der Hygiene dazu kam, diesen Rechts­ anspruch auf Wunsch ablösbar zu machen, wie es hier in Aschaffenburg der Fall ist. Ja, in manchen Orten hat sich der Prozeß schon viel weiter fortgebudet, man hat dort den Naturalbezug gänzlich abgelöst. Der Anspmch ist dort zum tat­ sächlichen Barlohn umgebildet. Daß der Haustrunk Lohn im Rechtssinne ist, ist auch sonst in der Gesetzgebung anerkannt, und von dieser sind die Folgerungen daraus gezogen. Mit Rücksicht auf die Arbeiterversicherungsgesetze wird derselbe als Naturallohn auf den Lohn angerechnet, um eine höhere Rente für den Be­ darfsfall zu erzielen. Insbesondere aber wird er als Lohn auch zur Versteuerung in der Einkommensteuer herangezogen. Ms Lohn im allgemeinen Rechtssinne hat also der Haustmnk zu gelten. Somit ist er auch für den Tarifvertrag überall da, wo der Begriff „Lohn" vorkommt, falls nicht für den Einzelfall abweichende Bestimmungen getroffen sind. Wohl hätte es der Aktiengesellschaft beim Vertrags­ abschluß sretgestanden, an Haustrunk von dem „fortzuzahlenden Lohne des § 6" ausdrücklich auszunehmen; allein sie mußte es auch, wenn sie diesen Zweck erreichen wollte. Dies ist aber nicht geschehen. Es ist dies um so beweiskräftiger, als in allen anderen Fällen von Lohnfortgewährung in § 6 des Tarifs festbestimmte Beträge eingesetzt sind, die einen Zweifel nicht aufkommen lassen.

317. Kann ein Gewerbegehilfe, der am Reingewinn der unter feiner Leitung auSgeführten Arbeiten beteiligt ist, Einsichtnahme in die GeschästSbücher und Lohnzettel fordern? Urteil des GG. Hamburg vom 16. Febr. 1905.

Die Frage ist bejaht. AusdenGründen: Daß zwischen den Parteien ein Vertrag bestand, nach welchem Kl. 10% vom Reingewinne der unter seiner Leitung hergestellten Arbeiter» erhalten sollte, ist nicht bestritten, und ist demgemäß Bell, verpflichtet, dem Kl. seine Bücher und Belege vorzulegen. Das Rechtsverhältnis des mit Anspmch auf einen Teil des Reingewinnes angestellten Gewerbegehilfen ist nach den Gmndsätzen des bürgerlichen Rechts über Gesellschaft zu beurteilen. Nach­ dem die Rechtsprechung dieses allgemein bei den „commis int6ress6“ des Handels­ rechts anerkannt (ROHG. Bd. 17 S. 276, Staub § 65 Sinnt. 5; Hahn § 235) und demselben das Recht auf Vorlegung einer Bilanz und Prüfung derselben an der Hand der Bücher zugesprochen hat, ist es nur konsequent, wenn dieser Rechtssatz ebenfalls dem gewerblichen Kollegen des „commis int6ress6“ zugute kommt, da auch ihm in gleicher Weise diejenigen Befugnisse zuzugestehen sind, welche erforderlich sind, um seinen Anteil am Gewinne geltend zu machen. Im § 716 BGB. wird dem Gesellschafter das Recht gegeben, sich von den Angelegenheiten der Gesellschaft persönlich zu unterrichten, die Geschäftsbücher und Papiere ein­ zusehen und sich aus ihnen eine Übersicht über den Stand des Gesellschaftsver­ mögens anzufertigen: die Vorlegung einer Bilanz kann also nicht verlangt werden, vielmehr muß jeder Gesellschafter sich an der Hand der Bücher das ihn Inter­ essierende selbst zusammenstellen. Da also das Verhältnis des Kl. zum Bell, nach Analogie des Gesellschaftsrechts zu beurteilen ist, müssen ihm die erwähnten Befugnisse zugesprochen werden. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 361.)

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GO. Tit. VII (Lohn).

818. (149.) Ist ein an der Arbeitsstelle ausgehängter Akkordtartf ohne weitere Vereinbarung wirksam? Urteil des GG. Zjwickau?vom 10.Mai 1898.

Das GG. hat die Frage vemeint und ven Bell, zur Zahlung des ange­ messenen Lohnes vemrteilt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 6.) 319. (150.) Lohnabrede „nach der Leistungsfähigkeit". Kann der unter dieser Abrede eingestellte Arbeiter den bei der ersten Lohnzahlung gewährten Stundenlohn fernerhin als vereinbarten Lohn fordem? Urteil des Kgl. AmtsgesrichtNeuß vom 24.Mai 1901.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 15.)

320. (151.) Ist bei Bemessung der Vergütung für die ProbedienstzeU mangels besonderer Abrede der gleichzeitig für daS spätere feste Arbeits­ verhältnis vereinbarte Lohn zugrunde zu legen? Urteil des GG. Leipzig vom 14. Oktober 1898.

Die Frage ist bejabt.

(Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 83.)

321. (152.) Ist die Abrede gültig, daß ein Teil des Lohnes erst gezahlt wird, wenn der Arbeiter ein Jahr im Dienst bleibt? Urteil des GG. Würzburg vom 30.April 1902.

Die Abrede ist als gültig angesehen.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 193.}]

322. Verstößt eine Abrede, daß der Arbeiter für die Probewoche nur dann Lohn erhalten fall, wenn er ein Jahr bleibt, gegen die guten Sitten? Urteil des GG. der Stadt C h^e m n i tz vom 10. Juni 1908.

Das GG. hält die Abrede für nichtig. Aus den Gründen: Der von den Parteien abgeschlossene Vertrag enthält die Bestimmung, daß der Kl. während der Probezeit von einer Woche einen Anspmch auf Lohn nicht haben soll, ihm aber für den Fall, daß er ein Jahr bei der Bell, verbleiben sollte, eine als Entschädigung für die Probewoche anzu­ sehende Vergütung von 20 Mk. zu zahlen sei. Diese Bestimmung ist dahin auszulegen, daß dem Kl. eine Vergütung von 20 Mk. für die Probewoche unter der Bedingung zugesichert wird, daß er ein Jahr bei ihr in Diensten bleibe. Diese Bestimmung verstößt gegen die guten Sitten. Es ist hierbei von der Erwägung auszugehen, daß es nach den Anschauungen der heutigen Gesellschaft der Moral widerstreitet, einen Arbeiter, der einer Vorbildung nicht bedarf, uno regelmäßig über Vermögen nicht verfügt, eine längere Zeit ohne jeden Lohn zu beschäftigen. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß derÄrbeiter, der in den meistenFällen nicht bloß für sich, sondem auch für seine Familie zu sorgen hat, eines wenn auch noch so geringen Arbeitsverdienstes zum Unterhalt dringend bedarf. Zumal im vorliegenden Falle kann davon ausgegangen werden, daß die bei der Bell, einttetenden Angestellten mittellos sind, da die Leute nach der eigenen Erklärung der Bell, gerade häufig zu Zeiten von Arbeitslosigkeit in ihre Dienste gehen. Demgegenüber läßt sich auch nicht einhalten, daß die Angestellten bei der Bell.jeiner besonderen Ausbildung bedürften und der Bell, in der ersten Zeit

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keinen Nutzen brächten. Die Ausbildung im Dienste der Bell., deren gewerbliche Tätigkeit allgemein bekannt ist, kann nicht so kostspielig und zeitrauberw sein, daß sich die Nichtbezahlung der Angestellten während der ersten Woche rechtfertigte. Wenn die Bell, weiter anführt, daß die in Frage stehende Bestimmung notwendig sei, um die Angestellten zum Aushalten im Dienste zu veranlassen, so ist dem entgegenzuhalten, daß der Bell, zur Erreichung dieses Zwecks noch andere Mittel zu Gebote stehen. Es ist hiernach der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag, mindestens insoweit er sich auf die festgesetzte Probezeit von einer Woche bezieht, für nichtig zu erllären (§ 138 Abs. 1 BGB ). Die auf Grund der nichtigen Bestimmungen gewährten Leistungen sind daher ohne rechtlichen Gmnd erlangt worden und es sind deshalb die Parteien gemäß § 812 Abs. 1 BGB. zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Erlangt hat nur die Bell, die vom KI. während der Probezeit ge­ leisteten Dienste, für die eine Vergütung nicht gewährt worden ist. Gemäß § 818 Abs. 2 BGB. hat die Bell, dem Kl. den Wert dieser Dienste zu ersetzen. Indem man davon ausgeht, daß der dem Kl, für seine Dienste gewährte monatliche Lohn von 80 Mk. den gemeinen Wert der von ihm geleisteten Dienste darstellt, erscheint die vom Kl. geltend gemachte Fordemng von 18,67 Mk. begründet. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob anzunehmen ist, daß die übrigen Bestimmungen des Dienstvertrags auch ohne den nichtigen, die Probezeit be­ treffenden Teil, getroffen sein würden oder nicht (§ 139 BGB.) und ob daher nur der die Probezeit betreffende Teil oder ob der Vertrag in seinem gesamten Umfange nichtig ist; denn auch im letzteren Falle ist die Bell, um den vom Kl. geforderten Wert der Dienste während der Probezeit bereichert.

323. (153.) Zahlung des Lohnes durch Hingabe verschlossener Alten. Wer hat z« beweisen, ob die Alte vollzählig war? a) Urteil des GG. Dortmund.

Der Arbeitgeber ist als beweispflichtig erachtet. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 97.) b) Urteil des GG. Danzig vom 21. November 1905. Kl. behauptet, daß ihm der Bell, bei der Lohnzahlung am 4. Nov. 1906 einen Be­ trag von 10 Mk. zu wenig gezahlt habe. Der Bell, behauptet dagegen: der Lohn sei jedem Gesellen in einem verschlossenen Kuvert behändigt worden, auf dem der Betrag des inliegenden Lohnes vermerkt gestanden habe. Auch Kl. habe den Lohn sür die letzte Woche mit 18,50 Mk. in der Werkstätte in einem solchen verschlossenen Briefumschlag erhalten, und obwohl er aufgesordert sei, sogleich den Inhalt des Kuverts aus seine Richtigkeit zu prüfen, sich, ohne dies zu tun, sofort in seine eine Treppe höher belegen« Wohnung begeben. Mehrere Minuten nach Empfang des Geldes sei Kl. wieder in der Werkstätte erschienen und habe behauptet, daß an dem Inhalt des Kuverts ein Betrag von 10 Mk. gefehlt habe. Kl. behauptet, das Kuvert sei an einer Ecke eingerissen gewesen. Beweisen könne er dies freilich nicht, da das Kuvert nicht mehr vorhanden sei. Ferner seien vor der Aus­ zahlung des Lohnes drei Kuverts an die Erde gefallen, dabei sei möglicherweise Geld herausgerollt.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: § 363 BGB. bestimmt: „Hat der Gläubiger eine ihm als Erfüllung angebotene Leistung als Erfüllung angenommen, so trifft ihn die Beweislast, wenn er die Erfüllung deshalb nicht als Erfüllung gelten lassen will, weil sie eine andere als die geschuldete Leistung oder weil sie unvollständig gewesen sei." Unstreitig hat Kl. vom Bell, bei der Lohnzahlung am 4. November 1905 ein verschlossenes Kuvert mit der Aufschrift „inliegend 18,50 Mk." als Er«

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füllung des ihm in Höhe von 18,50 Mk. zustehenden Lohnanspruchs angenommen. Es hätte ihm freigestanden, das verschlossene Kuvert zurückzuweisen, oder es, der Aufforderung des Bekl. gemäß, in dessen Gegenwart zu öffnen und seinen Inhalt zu prüfen. Da er dies nicht getan, sich vielmehr mit dem uneröffneten Kuvert sofort in seine Wohnung begeben hat, trifft ihn auch gemäß obiger Bestim­ mung des BGB. die Beweislast dafür, daß das Kuvert nicht volle 18,50 Mk. enthalten habe. Den Beweis hierfür hat Kl. aber nicht erbracht. Es muß daher angenommen werden, daß Kl. den vollen Bettag von 18,50 Mk. erhalten hat. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 217.)

324. (154.) Kann der Arbeiter, der nach Beendigung der Arbeitszeit einige Stunden auf die Auszahlung feines Lohnes gewartet hat, für die gewartete Zeit Weiterzahlung feines Lohnes beanspruchen? Urteil des GG. Hamburg vom 23. August 1902. Die Klage auf Lohnzahlung für die Wartezeit ist abgewiesen.

3. Uruuteruehmer und Zwischenunternehmer.

(324-331.)') 325. Ist die Vereinbarung zulässig, daß die Arbeiter ihren Lohn nicht von dem Arbeitgeber, sondern von einem „Zwischenmeister" zu fordern haben? Urteil des GG. Hamburg vom 12. Oktober 1903. Die Kläger haben von der Bekl. verdienten Arbeitslohn gefordert. Bekl. hat Abweisung der Klage beantragt und sich aus ein sogenanntes „Vertragsbuch" berufen, in welchem die Kläger durch ihre Unterschrift „sich hiermit voll und ganz einverstanden erklären, daß sie ihren Lohn nicht von der Firma F., sondern von dem Zwischcnmeister Herrn H. zu verlangen haben."

Die Bell, ist verurteilt. Ans den Gründen: Zur Lohnzahlung an einen Arbeiter ist ver­ pflichtet der A r b e i t g e b e r, d. h. derjenige, welchem die Arbeitsdienste zu­ gesagt und geleistet worden sind. Eine Vereinbamng zwischen Arbeitgeber und Arbeiter des Inhalts, daß letzterer seinen Lohn nicht vom Arbeitgeber, sondem von einem dritten zu beanspruchen habe, erscheint unzulässig, weil sie erstens widersinnig ist und zweitens — zumal wenn die dritte Person vermögenslos ist — gegen die guten Sitten verstößt. Widersinnig ist solche Vereinbamng, weil der Dienstvertrag des BGB., unter welchen der gewerbliche Arbeitsverttag gemeinhin zu subsumieren ist, gerade begrifflich darin besteht, daß der eine Teil zur Dienst­ leistung und der andere Teil, d. h. derjenige, der die Dienste empfängt, zur Ver­ gütung für diese Dienste verpflichtet ist. Gegen die guten Sitten verstößt solche Vereinbamng, weil, nachdem die heutige Gesetzgebung mit allen erdenllichen Mitteln bestrebt ist, den Arbeitem die Zahlung des von ihnen durch ordnungs­ mäßige Arbeib verdienten Lohnes durch den Arbeitgeber zu sichem (vgl. Lohnbeschlagnahmegesetz, Aufrechnungsverbot des § 394 BGB., Barzahlungsvorschrift in § 115 der GO. usw.), es dem allgemeinen Rechtsbewußtsein geradezu ins Gesicht schlagen würde, wenn ein Arbeitgeber sich der ihm durch besonders strenge •) Vgl. Nr. 67—79.

GO. Tit. VII (Uruntemehmer).

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Vorschriften zur Pflicht gemachten Sorge dafür, daß seine Arbeiter ihren Lohn ungeschmälert und bar erhalten, einfach dadurch sollte entschlagen dürfen, daß er die Arbeiter wegen des Empfangs des Lohnes an einen Dritten verwiese, welchem durch die geleisteten Arbeiten keine Werte geschaffen worden sind.

Es fragt sich daher im vorliegenden Falle: Wer war der wirkliche Ar­ beitgeber? War es die Bell., so werden Kl. trotz ihrer Unterschrift im soge­ nannten Vertragsbuch von der Bell, ihren Lohn zu beanspmchen haben. War der von der Bell, als „Zwischenmeister" betitelte Zeuge H. der wirkliche Arbeit­ geber der Kl., so müßten Kl. sich wegen ihres Lohnes an H. halten. Es ist nun nicht zu verkennen, daß manche Gesichtspunkte dafür zu sprechen scheinen, den H. als den Arbeitgeber der Kl. anzusehen. Die Bell, sowohl wie der Zeuge H. haben sich sa die größte Mühe gegeben, die Verhältnisse so zu ordnen, daß nicht die Bell., sondem H. rechtlich als Arbeitgeber der Kl. erscheine. Abgesehen davon, daß H.

schon früher den Kl. einen losen Schein zur Unterschrift vorgelegt hatte, der den gleichen Inhalt hatte, wie das Bertragsbuch, und daß Kl. sowohl jenen Schein wie auch später das Vertraasbuch unterzeichnet haben, kommt gewiß auch mit in Betracht, daß H. von der Bell, die Fertigstellung von Arbeiten gegen bestimmte Stücklöhne übemahm und sich verpflichtete, von den verdienten Stücklohnbeträgen, bzw. von den ihm darauf geleisteten Vorschüssen, die Kl. in Stundenlohn zu bezahlen, daß er ferner zugegebenermaßen einen Anspruch auf Leistung von Vorschüssen gegen Bell, nur haben wollte, wenn die betreffenden Arbeiten ent­ sprechend weit gefördert waren, sowie endlich, daß er sich auch damit einverstanden erli tte, daß Kl. zur Invalidenversicherung auf seinen, des H. Namen angemeldet würden. Allein, ausgenommen den letzteren Punkt, der allerdings prima facie sehr zugunsten der Bell, spricht, handelt es sich sonst um Abmachungen, wie sie oes öfteren zwischen Arbeitgebem und Borarbeitem getroffen werden, ohne daß deshalb der Vorarbeiter als selbständiger Unternehmer und Arbeitgeber der übrigen Arbeiter von den Beteiligten angesehen wird. Es können nämlich die Abmachungen, wenn man einmal die schriftliche Erüämng im Vertragsbuch übersieht, auch lediglich dahin verlanden werden, daß die Höhe des vom Vor­ arbeiter verdienten Lohnes sür seine eigene Arbeit und für die Aufsicht über die übrigen Arbeiter in der Art bemessen werden solle, daß von den festgesetzten Preisen die Stundenlöhne rechnerisch in Abzug zu bringen seien, daß zwar der Arbeitgeber sich tatsächlich nicht des näheren um die Bezahlung der Arbeiter kümmern wolle, daß über doch die Bezahlung als im Namen und auf Rechnung desselben erfolgt angesehen werden solle. Was nun aber direkt dagegen spricht, den Zeugen als den wirllichen Arbeitgeber der Kl. zu betrachten, ist einmal schon der Umstand, daß die auf den Arbeitgeber entfallenden Hälften der Jnvalidenversicherungsbeiträge für die Kl. tatsächlich doch nicht von H., sondem von der Bell, gezahlt worden sind.

Ob die Behauptung der Bell, zutreffend ist, daß diese Zahlung auf besonderen Wunsch des H. geschehen sei, „weil die Akkordpreise so niedrig seien", ist ziemlich gleichgültig. Zwischen zwei selbständigen Unternehmern kommt es nicht vor, daß der eine die Versicherungsbeiträge für die Arbeiter des anderen bezahlt. Von größerer Bedeutung ist jedoch, daß die Ausfühmng der Arbeiten innerhalb der Fabrik der Bell., und ausschlaggebend, daß sie auch an deren Material geschah. Hieraus, in Verbindung mit der Entrichtung der Versichemngsbeiträge durch die Bell., erhellt zur Genüge, daß die Bell, diejenige war, welche die wirtschaftlichen Vorteile aus den llägerischen Arbeitsdiensten hatte, also derjenige Teil, welchem die Dienste geleistet wurden. Denn das von den Kl. umgearbertete Material ist Eigentum der Bell, geblieben; diese hat also die durch die Arbeit geschaffenen Werte empfangen. Hiemach braucht aus die übrigen, mehr nebensächlich in Be­ tracht kommenden Punkte, daß H. anfänglich als gewöhnlicher Arbeiter bei der Bell, eingetreten, daß er später nicht auch für andere Gewerbetreibende, sondem

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GO. Tit. VII (Urunternehmer).

nur in der bell. Fabrik arbeitete, daß er keinen Gewerbeschein besaß, daß jedenfalls der eine Kl., Sch., zunächst vom bell. Werkmeister E. namens der Bekl. in die Arbeit eingestellt worden ist und eine förmliche Entlassung aus diesem Arbeitsverhältnis überhaupt nicht vor sich gegangen ist, nicht näher eingegangen S werden. Nur auf eines, was auch besonders charakteristisch ist, mag hier noch ließlich hingewiesen werden. Die Kl. haben, ehe sie unter H. arbeiteten, unter dessen Borgänger, einem gewissen K-, gearbeitet. Bell, hat die Ansicht geäußert, daß auch K. der Arbeitgeber der Kl. gewesen sei, wenn auch damals ein s ch r i f t lichesAbkommenmit dem Kl. über die Lohnzahlung noch nicht vorgelegen habe, sondem nur ein mündliches desselben Inhalts. Bell, hat aber andererseits zugegeben, daß die Kl. seinerzeit zur Bersichemng nicht auf den Namen von K., solidem auf ihren, der Firma, Namen angemeldet gewesen seien. Hieraus im

Zusammenhalt damit, daß die Bersichemngsbeiträge tatsächlich auch später von der Bell, weitergezahlt worden sind, hat das Gericht die Überzeugung gewonnen,

daß die Abmachung zwischen der Bell, und H. dahin, daß H. der zur Zahlung der Beiträge Verpflichtete sein solle, ledliglich ein auf die Täuschung der Kl. berechnetes Scheingeschäft, also nichtig war (vgl. § 117 BGB ). Nach alledem war die Bell.,

als die wirkliche Arbeitgeberin der Kl., für schuldig zu erachten, die von den Kl. verdienten Löhne an diese auszubezahlen, obwohl sie behauptet und vom Zeugen H. anerkannt ist, daß in den an diesen bezahlten Vorschüssen die Löhne der Kl. bereits enthalten gewesen seien, denn Kl. haben ihre Löhne bisher nicht von H. erhalten. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 64.)

326. Verstößt ein Abkommen zwischen einem Hotelier «nd einem Ange» stellten, wonach letzterer sich wegen seiner Lohnansprüche nur an seine Mitangestellten halten kann, gegen die gnten Sitten? Urteil des GG. Hamburg vom 21. Oktober 1908. Dem Kl. ist von dem beklagten Hotelbesitzer milgeteilt worden, daß er für die jm bell. Geschäft zu leistenden Dienste monatlich 40 Mk. Lohn erhalten werde; von diesen 40 Mk. werde Bekl. 5 Mk. aus seiner Tasche bezahlen, die übrigen 35 Mk. würden verabredetermaßen zwei andere Hausdiener von den von ihnen vereinnahmten Trink­ geldern je zur Halste tragen. Einer von diesen beiden Hausdienern ist nun beim BeN. kürzlich ausgeschieden, ohne die von ihm an den Kl. für den Monat Septbr. d. I. zu zahlenden 17,50 Mk. zu zahlen, sodaß Kl. für Septbr. nur die 17,50 Mk. vom anderen Hausdiener und 5 Mk. vom BeN. erhalten hat. Er beantragt daher, Verurteilung des BeN. zur Zahlung seines restierenden Lohnes in Höhe von 17,50 Mk.

Bell, ist verurteilt. Aus den Gründen: Wenn das Abkommen zwischen dem Bell., dem Kl. und den beiden anderen Hausdienern in dem Sinne zu verstehen gewesen wäre, wie Bell, jetzt meint, daß nämlich Kl. sich wegen seiner Lohnansprüche zur Höhe von 30 M. ledliglich an seine beiden Mitarbeiter halten könne, so müßte dieses Abkommen als gegen die guten Sitten verstoßend und daher als ungültig betrachtet werden. Denn Kl. hat seine Arbeitsdienste nicht seinen Mitarbeitern, sondern dem Bell, als seinem Arbeitgeber versprochen und geleistet, und dieser ist also auch auf alle FAle dafür verantwortlich, daß Kl. die von ihm verdiente Gegenleistung erhält. Das fragliche Abkommen kann nach Treu und Glauben nur so ausgelegt werden, daß Kl. berechtigt sein sollte, sich wegen seiner ganzen Lohnansvrüche an seinen Arbeitgeber, den Bell., zu halten, und daß es reine Privatsache des Bell, wäre, sich einen Teil des llägerischen Lohnbetrages von den anderen Hausdienern, die auf Trinkgelder angewiesen waren, ersetzen zu lassen. Wenn Kl. tatsächlich bisher 30 Mk. seines Monatslohnes stets direkt von seinen Mitarbeitern ausbezahlt erhalten hat so brauchte er diese Auszahlungsart nur

GO. Tit. VII (Urunternehmer).

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als um der Beschleunigung und Vereinfachung halber gewählt anzusehen'). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 219.)

827. (155.) Ist der Ziegeleibesitzer Arbeitgeber der vom Ztegelmelfter

angenommenen Arbeiter? Urteile des Kgl. GG. Solingen vom 14. Februar 1901 und des Landgerichts Elberfeld (1. Zivilkammer) vom 25. November 1901.

Der Ziegeleibesitzer ist als Arbeitgeber anzusehen und zur Lohnzahlung an den kl. Arbeiter vemrteilt. AufdieBemfung des Bell. ist oasUrteil de->GG. aögeänderr und Vie Klagej abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 225.)

828. (156.) Kann der vom Letzschiffer angenommene Bootsmann von dem Schiffseigner Lohn verlangen? Urteil oes GG. Stettin vom 9. Dezember 1902.

Der Bell. (Schiffseigner)

st zur Lohnzahlung verurteilt.

829. Vertrag zwischen einem Ztmmermeister und einem Bauunternehmer, nach dem ersterer die Arbeiter zu stellen hat «nd für jeden Arbeiter einen bestimmten Stundenlohn erhält. Wer ist Arbeitgeber für die angenommenen Arbeiter? Urteil des GG. R i x d o r f vom 29. Juni 1905.

jtl. behaupten, daß sie bis 24. resp. 27. Mai 1905 bei dem Bell, auf dem Neubau Rixdors, Friedelstraße 30, gegen einen verabredeten Stundenlohn von 73 Pfg. als Zimmer­ leute beschäftigt gewesen seien. Sie beantragen, den Bell. zu verurteilen, an sie je 26,28 Mk. resp. 29,56 Mk. zu zahlen. Bekl. beantragt Klageabweisung, da nicht er, sondern der Ingenieur O. Arbeitgeber der Kl. gewesen sei. Er selbst sei ebenso wie die Kl. nur Arbeiter bei O. gewesen. Der Bell, ist verurteilt. AusdenGründen: Bell, ist unbestrittenermaßen von Bemf Zimmer­ meister und betreibt ein auch zur Gewerbesteuer angemeldetes Zimmereigeschäft. Er hat von dem Zeugen O-, der den Neubau Friedelstraße 30 hier aufführte, die Fertigstellung der bereits begonnenen Zimmerarbeiten übernommen mit der Abrede, daß ihm bis auf weiteres für jeden Zimmermann und jede Arbeitsstunde 85 Pf. und daneben noch ein sogenannter Wochenlohn von 50 Mk. gezahlt, und daß später ein Akkord vereinbart werben sollte. Bell, hat die Kl. selbständig, ohne des Zeugen Zutun und ohne sich nach außen als dessen Beauftragter zu gerieren, angenommen, sie selbst mit 73 Pf. die Stunde entlohnt, oie Invaliden- und Krankenversicherung übernommen, sich der Berufsgenossenschaft gegenüber als Unternehmer bezeichnet, über die Zimmerleute unbeschränkt selbständig verfügt und sie ohne Widerspruch des Zeugen zu Arbeiten auf anderen Bauten verwendet. Dem Zeugen O. stand in bezug auf die Zimmerarbeiten keinerlei dienstherrliche Anordnung und keinerlei Verfügung über die Zimmerleute zu. Danach liegen im Verhältnis des Bell, zum Zeugen O. alle Merkmale des Werkvertrages nach BGB. § 631 (Herstellung eines Werks gegen Vergütung) und im Verhältnis zu den Kl. alle Merkmale des Dienstvertrages nach BGB. § 611 (Leistung von Diensten l) Vgl. auch GG. München v. 22. März 1907, GG. u. KG. 14. Jg. Sp. 242. — GG. Darmstadt v. 1. Nov. 1907, GG. u. KG. 13. Jg. Sp. 183.

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GO. Tit. VII (Urunternefjmcr).

gegen Vergütung) vor und der Bell, war selbständiger Untemehmer der Zimmer­ arbeiten auf dem fraglichen Neubau und Arbeitgeber der Kl. Insbesondere braucht nicht aus der der Art zwischen dem Zeugen und dem Bell, vereinbarten Vergütung auf ein Dienstverhältnis zwischen beiden geschlossen zu werden; denn die Ver­ gütung braucht auch beim Werkvertrag nicht als Pauschalsumme fixiert zu sein. Stundenlohnvergütung zwischen Bauherren und Werkuntemehmem ist ganz üblich; der Untemehmergewinn besteht dann in der Differenz der erhaltenen und ausgezahlten Stundenlöhne. Sie findet insbesondere dann Platz, wenn nach Lage des Falles sich eine andere Gmndlage für die Berechnung und Abschätzung der Werkvergütung nicht finden läßt, wie hier, wo die fraglichen Arbeiten bereits ein Stück gefördert waren. Auch die weitere Vereinbarung eines „Wochenlohnes" für Bekl. selbst hat unter dem gleichen Gesichtspunkt keine andere Bedeutung als einer weiteren Werkteilvergütung, die nach dem Maß der persönlichen Arbeits­ leistung des Bekl. an dem Werk bemessen ist. Andererseits muß prinzipiell daran festgehalten werden, daß nur derjenige Arbeitgeber ist, der die Dienste vergeben und sich zur Zahlung der Vergütung verpflichtet hat, oder derjenige, mit dessen Mssen und Willen er dabei in äußerlich erkennbarer Weise gehandelt hat. (Ge­ werbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 286.)

336. (157.) Sönnen die Bauarbeiter den Lohn gegen den eigentlichen Bauherrn einNagen, wenn sie von einem Strohmann angenommen sind? «er ist in diesem Falle Arbeitgeber?

a) Urteil des GG. München vom 9. Oktober 1901.

Der bekl. Bauherr ist zur Lohnzahlung verurteilt. Sp. 140.)

(Gewerbegericht Jg. 7

b) Urteil des GG. Magdeburg vom 10. November 1902.

Die Bekl. (Bauunternehmerin) ist zur Lohnzahlung vemrteilt'). c) Urteile des GG. für den Stadtbezirk Stettin vom 15. Juni 1903 und Landgerichts Stettin vom 15. Juni 1904. Der Bekl., ein Zimmermeister, steht seit einer Reihe von Jahren mit dem Maurer­ meister N. N. in geschäftlicher Verbindung. N. N. hat in den vom Bekl. errichteten Bauten die Maurerarbeiten ausgeführt. Es wird in diesen Fällen gewöhnlich für den Quadrat­ meter bebauter Fläche ein bestimmter Preis vereinbart. Das Material liefert gewöhnlich der Bauherr. Der Bauherr hat je nach dem Fortschreiten der Arbeit bestimmte Ab­ schlagszahlungen zu leisten. Der Bekl. hat nun u. a. die Grundstücke L-Straße Nr. 1 und 2 bebaut. Die Maurerarbeiten hat er ebenfalls N. N. übertragen. Die Übertragung ist nach Angabe des Bekl. im Juni 1902 erfolgt. Bereits vorher geriet N. N. in Vermögens­ verfall. Er hat am 12. Februar 1902 den Ossenbarungseid geleistet. Nach Angabe des Bekl. ist weiter im Herbst 1902 eine dem N. N. gehörige Baustelle unter Zwangsver­ steigerung gekommen. BeN. gibt zu, daß er letzteres gewußt hat, er bestreitet aber, daß ihm bekannt gewesen, daß N. N. manifestiert habe. Während nun der BeN. sonst dem N. N., wie gesagt, Abschlagszahlungen, je nach dem Fortschritte des Baues, gewährte, wurde bei D-Straße Nr. 1 vereinbart, daß der BeN. wöchentliche Lohnzahlungen zu leisten habe, d. h. er sollte den Maurern zu Händen des Poliers die Wochenlöhne aus­ zahlen. BeN. hat diese Änderung nicht weiter aufgeklärt, sondern nur angegeben, N. N. habe es so haben wollen. Am 7. März 1903 erhielten nun Kl. vom BeN. die verdienten Wochenlöhne mit 167,96 Mk. nicht ausgezahlt, weil N. N. bereits zu viel erhalten hatte. *) Vgl. ferner die Urteile in der Verbaiidslagsschrist des Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 13 Sp. 362.

GO. Tit. VII (Urunternehmer).

237

Kl. verlangen vom Bell, diese 167.96 Mk. nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung. Sie halten einmal den Bell, für den eigentlichen Arbeitgeber, den N. N. dagegen nur für den nominellen Arbeitgeber. N. N. sei lediglich Bevollmächtigter gewesen. Sodann aber behaupten sie, Bell, habe ihnen die Putzarbeiten an dem Hause T-Straße Nr. 2 direkt übertragen. Bei Bergebung dieser Putzarbeiten an sie habe er ihnen ausdrücklich auch die Zahlung der Restforderung für L-Straße Nr. 1 versprochen. Dies Versprechen 5abe er verschiedentlich wiederholt. Schließlich aber habe er, als die Arbeit an dem Hause !«Stmße Nr. 2 fertig gewesen sei, erklärt, sie sollten sich nur an N. N. halten, der habe noch eine Taschenuhr im Werte von 300 Mk. Ms sie gegen N. N. hätten vorgehen wollen, hätte jedoch Bell, geäußert, „nur nicht so hitzig". Bell, habe sich also auch für den Lohn verbürgt, sie auch durch sein Versprechen von der Klage gegen N. N. abgehalten und sie dadurch geschädigt. Aus letzterem Grunde sei er mindestens moralisch zur Zahlung ver­ pflichtet. Bell, erllärt, er wisse nicht genau, was er gesagt habe. Er Habe sich aber nur dahin geäußert, er wolle sich bemühen, daß die Kl. von N. N. ihr Geld erhielten.

Das GG. hat den Bell, verurteilt.

AusdenGründendesGG.: Das Gericht hat bei der ganzen Sach­ lage angenommen, daß der Bell, auch bei L-Straße Nr. 1 der wahre Arbeit­ geber der Kl. gewesen ist. N. N. war vermögenslos. Das war minoestens seit dem Herbst 1902 den Kl. und dem Bell, bekannt. N. N. würde für seine Rechnung Maurer nicht erhalten haben. Kl. arbeiteten eben nur, weil sie wußten, daß der Bell, wöchentlich die Löhne auszahlte. Derartige nominelle Arbeitgeber sind im Baugewerbe nicht selten. Von ihnen können oft weder die Arbeiter, noch die Krankenkassen, noch die Berufsaenossenschaften Geld erhalten. N. N. war im März d. Js. jedenfalls nur noch Mittelsperson, nicht mehr selbständiger Unter­ nehmer. Der Überschuß über die Arbeiterlöhne war die Vergütung für die von ihm als Architekt dem Bell, geleistete Dienste Ob er bereits im Kataster der Nordöstlichen Bauaewerksberussgenossenschaft gelöscht ist, ist dem Gericht nicht bekannt. Es kann hiernach dahingestellt bleiben, ob Bell. Garantie für die Klagefordemng übernommen bzw. noch deren Zahlung besonders versprochen hat.

Auf die Berufung des Bell, ist das Urteil des GG. abgeändert und die Klage abgewiesen. AusdenGründendesLandgerichts: Was in erster Linie das Verhältnis des Bell, zu den Kl. betreffend den Bau L-Straße Nr. 1 anbelangt, so ist der Bell, nicht als Arbeitgeber derselben anzusehen; sondem Arbeitgeber ist der Maurermeister N. N. Bei der Beurteilung der Frage, in welchen Rechts­ beziehungen der Bell, zu den M. überhaupt gestanden hat, muß man die Bauten L-Straße Nr. 1 und Nr. 2, sowie die Zeit von und nach dem 21. März 1903 aus­ einanderhalten. Nach den eigenen Anfühmngen der Kl. handelt es sich um den rüchländigen Lohn bei dem Bau T-Straße Nr. 1. Bis zum 7. März 1903 haben sie ihren Lohn pünktlich von N. N. erhalten, der nach ihrem eigenen Vorbringen seinerseits jeden Sonnabend seit Herbst 1901 bis Frühjahr 1903 Abschlagszahlungen von dem Bell, erhalten hat. Am 7. März blieb N. N. ihnen dann den Lohn in Höhe der eingellagten Forderung schuldig. Nach vergeblichen Versuchen, von N. N. das Geld zu bekommen, wenden sie sich schließlich an den Bell., der bis zu dieser Zeit in keinen Rechtsbeziehungen zu den Kl. gestanden hatte. Vielmehr erschien er ihnen selbst nur als Bauunternehmer, während N. N. der eigentliche Arbeitgeber war. Ob Bell, hierbei die Vermögenslosigkeit des N. N. gekannt hat, ist belanglos; er hat N. N. wöchentlich mindestens Abschlagszahlungen in Höhe der Löhne gemacht, und N. N. konnte die Löhne an die von ihm angenommenen Arbeiter auszahlen. Auch N. N. und der Bell, sind der Ansicht gewesen, daß N. N. Arbeitgeber gewesen sei; dies geh aus der schriftlichen Ermächtigung des N. N. an Bell, hervor, wonach Bell, die Lohnzahlungen übernimmt. Änderen Beweis, insbesondere, daß Bell, sie angenommen hat, und etwa die Jnvalidenmarken für sie bereits auf dem Bau L-Sttaße Nr. 1 geklebt hat, können Kl. nicht erbringen.

238

GO- Tit. VII (Urunteinehmer. Kolonnenvertrag).

Eine Bürgschaft liegt aber nicht vor, da dieselbe zur Gültigkeit der Schriftform bedarf. Somit kann nur noch eine Verpflichtung des Bell, aus der behaupteten Schuldübemahme in Betracht kommen. Kl. haben diesen Beweis zu erbringen gesucht. Durch die Beweisaufnahme ist aber das Gegenteil erwiesen. Der von dem Bell, benannte Zeuge D. hat eidlich bekundet, daß der Bell., als er von dem Mitll. B- einmal gefragt worden sei, ob sie den rückständigen Lohn erhalten würden, Seantwortet hat: „Den würden sie wohl bekommen." Ferner hat Bell, nach lngabe des D. dem Polier C. gegenüber erllärt, als dieser mehrfach auf die Lohn» zettel für L-Straße 2 den rückständigen Lohn vonLStraßel setzte: „Das ginge ihn nichts an, das wäre N. N.s Sache". Der Zeuge E. hat die Äußerung des Bell, gehört, als er wegen des rückständigen Lohnes von dem Mitll. B. angegangen wurde: „Arbeitet man mhig weiter, Ihr werdet Euer Geld schon kriegen". Ms Zeuge E. sich an den Bell, wendete, um gleichfalls rückständigen Lohn für Ar­ beiten am Hause DStraße 1 von ihm zu bekommen, hat Bell, ihn abgewiesen, da N. N. von ihm schon viel zu viel erhalten habe, und er ihm nichts mehr geben könne. Der Zeuge Polier C., Vater des Kl. C., kann die Behauptung der Kl. gleichfalls nicht bestätigen. Mch seiner Aussage hat Bell, nur gesagt: „Fangen Sie an, das Geld bekommen Sie auch"; nicht ist aber der Zusatz bestätigt worden: „Ich zahle es Ihnen". Nur aber wenn der Bell, erllärt hätte: „Ich zahle es Ihnen", läge eine Schuldübernahme vor. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 42.)

331. (158.) Haftet derjenige, der sich als Bauherr geriert, für den Lohn der Banarbeiter? Urteil des Landgerichts Mün’d)en vom 19. Januar 1897.

Bell, ist vom GG. zur Lohnzahlung verurteilt. gewiesen. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 72.)

4. Kolouneuvertrag.

Seine Berufung ist zurück­

(832—344.)

332. (159.) Wird der Bauunternehmer durch den vom Kolonnenfilhrer geschlossenen Bertrag unmittelbar den Arbeitern gegenüber verpflichtet?

a) Urteil des GG. und des Landgerichts Stettin. Der Bell. (Bauherr) ist zur Lohnzahlung an die vom Kolonnenführer ange­ nommenen Arbeiter verurteilt. Die eingelegte Berufung ist durch Urteil des Kgl. Landgerichts zu Stettin, 4. Zivilkammer, vom 29. September 1896 zurückgewiesen. /Gewerbe­ gericht Jg. 2 Sp. 30.)

b) Urteil des GG. Königsberg i. Pr. Der bell. Bauunternehmer ist vemrteüt. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 22.) c) Urteil des GG. Hamburg.

Dre Bell. (Kieslieferanten) sind zur Lohnzahlung vemrteilt. gericht Jg. 5 Sp. 50.

(Gewerbe­

4) Urteil des GG. Charlottenburg vom 31 Januar 1902. Die Bell. (Baufirma) ist vemrteilt.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 224.)

GO. Tit. VII (Kolonnenvertrag).

239

e) Urteil des GG. Berlin vom 12. März 1894. Der Bell. (Bauunternehmer) ist zur Lohnzahlung an die vom Kolonnenführer angenommenen Arbeiter vemrteilt. (Unger Nr. 18.)

f) Urteil des Landgerichts I, 8. Zivilkammer, vom 23. Januar 1896. Die Klage gegen den Bauuntemehmer ist abgewiesen.

g) Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 17. März 1900. Die Klage gegen den Bauunternehmer ist abgewiesen. (Blätter f. Rechtspfl. im Bez. des Kammerger. Jg. 1900 Nr. 6 S. 61.)

333. Wo liegt die Grenze zwischen Kolonnenführer und selbständigen Unternehmer? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 28. August 1901. Die Kl. haben auf Veranlassung des Bell, die Jnncnputzarbeiten aus einem Neben­ bau in Gemeinschaft ausgesührt. Sie nehmen den Bell., der ihnen bereits etwa 700 Ml. gezahlt hat, wegen eines Restverdienstes von 600 Mk. in Anspruch. BeN. will nicht Arbeit­ geber, sondem nur erster Mitarbeiter gewesen sein und beantragt deshalb Wweisung, indem er die Kl. an den Bauherrn verweist, der seinerseits nock mit der Restzahlung im Rückstände sei.

Der Klage ist stattgegeben. Aus den Gründen: Das Gericht hat die Überzeugung erlangt, daß Bell, der Arbeitgeber gewesen ist. Denn Bekl. hat die Arbeiten von dem Unter­ nehmer des Neubaues im ganzen übertragen erhalten. Er ist in dem betreffenden Vertrage als Putzmeister bezeichnet, hat auch geständlich bis vor wenigen Monaten das selbständige Gewerbe als Maurermeister betrieben und sich als solchen im Berliner Adreßbuch vermerken lassen, 6r hat ferner selbst die Kl. eingestellt. Wenn er einwendet, daß es sich hier um einen sogenannten Kolonnenvertrag handele, dergestalt, daß er selbst nur Kolonnenführer gewesen sei und die Kl. in Gemeinschaft mit ihm die Arbeit übernommen hätten, so kann ihm dies nur zugegeben werden, daß allerdings sehr häufig ein solches Gemeinschaftsverhältnis anzunehmen ist, und zwar auch dann, wenn der Führer im Vertrag als „Meister" bzw. als „Putzuntemehmer" bezeichnet ist. Aber für solche Annahme ist Voraus­ setzung, daß einmal der sogenannte „Putzuntemehmer" selbst mitarbeitet und

nicht besser gestellt ist als seine Kollegen, und daß andererseits der Bauunter­ nehmer sich eine gewisse Verfügungsgewalt über die Putzer vorbehält. Im vor­ liegenden Falle aber ist weder ein solcher Vorbehalt gemacht, noch hat der Bell. — wie er selbst zugibt — auf dem Bau auch nur die Kelle angerührt; dagegen hat er unstreitig mehrere ähnliche Putzausführungen gleichzeitig übernommen; endlich hat er inhalts des Vertrages besondem Nutzen gezogen; er hat mit den Kl. einen Satz von 22 Pf. pro Meter verabredet, sich selbst aber 23 Pf. ausbe­ dungen und außerdem die Liefemng von Mstungen gegen Entgelt übernommen. Zwar hat er die Bersichemng der Kl. nicht selbst besorgt, sondem dem Bauunter­ nehmer überlassen. Aber dieser eine Umstand allein vermochte die Überzeugung des Gerichts nicht zu beeinflussen, und zwar um so weniger, als für den Bell, selbst nach dessen Geständnis eine Bersichemng überhaupt nicht erfolgt ist»). (Reichsarbeitsbl. Jg. 1 S. 138.)

*) Vgl. auch Nr. 79 und 334.

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GO. Tit. VII (Kolonnenvertrag).

b) Urteil des GG. Hamburg vom 25. Mai 1908. Kl. hat in Gemeinschaft mit einem Maurer P. im Gewerbebetriebe der Bell, den Deckenputz in der Badeanstalt B. ausgeführt, und zwar gegen einen Mordsatz von 80 Ps. pro Quadratmeter. Kl. behauptet, die Stundenlöhne seien von der Bell. ausgezahlt worden, auch einige Vorschüsse auf den Überschuß, es restiere aber noch ein Gesamtüberschuß von 99,98 Ml-, wovon sein Mitarbeiter P. 10 Mk. und Kl. das übrige zu fordern habe. Kl. verlangt Zahlung von 89,98 Mk. Die Bell, beruft sich auf einen zwischen ihr und ihrem Polier K. abgeschlossenen schriftlichen Vertrag, wonach sie nur mit K-, aber nichts mit den übrigen Mitgliedern der Putzerlolonne zu tun habe. K. habe nun noch einen zweiten Akkordvertrag, nämlich über Ausführung eines Hallengewölbes, mit der Bell, abgeschlossen. Bei diesem zweiten Akkord habe sich ein Defizit von 2097,30 Mk. ergeben, daher werde Bell, den sich aus dem Decken­ putzakkord ergebenden Überschuß weder an Kl. noch an K. auszahlen.

Die Bell, ist verurteilt. AusdenGründen: Die Auffassung der Bell., daß sie es nur mit K. zu tun habe, ist eine rechtsirrtümliche. K. ist kein selbständiger Gewerbetreibender, sondem nur Polier bei der Bell. Der zwischen ihm und der Bell, abgeschlossene Akkordvertrag über den Deckenputz darf daher nach Treu und Glauben mit Rück­ sicht auf die Verkehrssitte nicht so ausgelegt werden, als ob K. die Ausführung der fraglichen Arbeiten auf eigenes und alleiniges Risiko selbständig übernommen hätte mit der Maßgabe, daß die anzunehmenden Putzer ihn als ihren Arbeitgeber anzusehen und von ihm ihre Löhne und Überschüsse zu erhalten hätten. Vielmehr muß der Vertrag, wie viele ähnliche im Baugewerbe vorkommende Verträge, so aufgefaßt werden, daß K. als sogenannter Akkordant oder Kolonnenführer namens der weiter hinzuzuziehenden Mkordputzer (Kolonnenmitglieder) mit der Bell, die Bedingungen vereinbarte, unter denen die Putzarbeiten abfeiten der Putzerkolonne (Gesellschaft i. S. §§ 705 ff. BGB.) auszuführen seien. Dieser Auffassung entspricht auch, daß die sogenannten Stundenlöhne, richtiger Ab­ schlagszahlungen auf das Akkordgeld in Höhe der üblichen Stundenlöhne, von der Bell ausbezahlt uno daß auch die hinzugezogenen Putzer und Arbeiter nicht auf den Namen des Poliers K-, sondem auf den Namen der Bell, zur Jnvalidenversichemng angemeldet worden sind. Denn nur die Bell, ist Arbeitgeberin der Putzerkolonnenmitglieder geworden, ihr waren die Dienste seitens der Putzer­ dlonne zu leisten, und sie haftet daher auch zunächst den Kolonnenmitgliedem gegenüber für sämtliche Löhne, also auch für die sogenannten Überschüsse. Eine Vereinbarung, wonach gewerbliche Arbeiter ihre Löhne (Zeit- oder Akkordlöhne) nicht von dem wirllichen Arbeitgeber (Dienstberechtigten), sondem nur von einem Dritten, der wirtschaftlich unselbständig und vermögenslos ist, zu fordem haben, ist schon wiederholt als gegen die guten Sitten verstoßend erklärt worden. Wenn nun K. Kolonnenführer der Deckenputzkolonne geblieben wäre, so würde er als Geschäftsführer der Akkordgesellschaft anzusehen sein, und dann würde allerdings die Bell, durch Zahlung des Überschusses an ihn von ihrer Schuld an die übrigen Gesellschafter befreit sein. Tatsächlich ist aber K. aus der Akkord­ gesellschaft überhaupt ausgetreten, denn er hat selber an dem Deckenputzakkord gar nicht mitgearbeitet, sondem diese Arbeiten sind nur von dem Kl. und dem Maurer P. unter Beihilfe eines Maurerarbeitsmannes ausgeführt worden. K. dagegen hat mit 24 anderen Putzern nur am Hallenaewölbe gearbeitet. Deshalb kann Bell, sich hier nicht darauf berufen, daß sie an K. 2097,30 Mk. zuviel bezahlt habe. Wie sich aus der von ihr selbst beigebrachten Abrechnung über das Hallen­ gewölbe ergibt, hat sie ja auch die 2097 30 Mk. speziell für die letztgenannte Arbeit ausbezahlt, nicht etwa als Gesamtsumme für beide Akkorde. Und der Umstand, daß sie überhaupt so viel mehr bezahlt hat, als das Akkordgeld für das Hallenge­ wölbe betrug, beweist zur Genüge, daß sie selber den K. gar nicht als selbständigen Übemehmer ansah, daß sie vielmehr den Vertrag über den Hallenbau, der Ver-

GO. Tit. VII (Kolonnenvertrag).

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kehrssitte entsprechend, als einen Akkordvertrag zwischen sich und der allmählich sich bildenden Akkordgesellschaft betrachtete. Auf zwei Punkte mag noch hingewiesen werden, um die Bell, genügend über die Rechtsverhältnisse in Fällen der vorliegenden Art aufzuklären. Darüber, ob K. tatsächlich seinem Vorgesetzten, dem Bautechniker B-, Mtteilung davon gemacht hat, daß er aus dem Deckenakkordverhältnis ausgetreten sei, und diese Arbeiten weiter gegeben habe an den Kl. und P., brauchten keine Beweiserhebungen stattzufinden, da es ja seitens der bell. Bauaufseher gemerkt werden mußte, daß K. am Deckenplatz tatsächlich gar nicht tätig war. Wenn aber wirllich mangels be­ sonderer Anzeige an B. die Bell, berechtigt gewesen wäre, den Polier K. vor­ läufig weiter als Geschäftsführer auch der Deckenputzkolonne anzusehen, so käme doch immer in Betracht, daß die Bell, die 2097,30 M. dem K. tatsächlich auf das Hallengewölbe bezahlt hat. Sie kann aber nicht, was sie mit der einen Hand freiwillig gegeben, mit der andem Hand wieder zurücknehmen. Es wäre auch im, höchsten Grade unbillig, wenn die am Deckenputz beschäftigt gewesenen Putzer, welche offenbar sehr fleißig gearbeitet haben, den von ihnen erarbeiteten Uberschuß deshalb verlieren sollten, weil die Mitglieder der Hallengewölbekolonne nicht fleißig gearbeitet haben. Nur wenn es sich bei beiden Arbeiten um einen

einzigen, einheitlichen Akkord gehandelt hätte, müßten alle Mitglieder als Gesamt­ schuldner haften (§ 427 BGB.) und die gemachten Abschlagszahlungen (Stunden­ löhne und Äkkordgeldvorschüsse) sich gemeinschaftlich auf die Akkordsumme ver­ rechnen lassen. Nach Sachlage brauchen sich die Mitglieder der Deckenputzkolonne nicht die an die Hallengewölbekolonne ausbezahlten Vorschüsse anrechnen zu

lassen *)•

(Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 192.)

334. Werkvertrag oder Gruppenakkord? Haben beim Gruppenakkord die einzelnen Akkordteilnehmer einen direkten Anspruch gegen den Bau­ herrn oder können sie sich nur an den Kolonnenführer halten? Urteil des GG. Posen vom 12. März 1909. Die Kl. haben auf dem Neubau des Bell, den Innen- und Außenputz ausgeführt. Der Kl. K. hat mit dem Bekl. über diese Arbeiten den als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrag vom 19. Nov. 1907 geschlossen, in dem K. als Unternehmer ausgesührt ist. Nach § 1 überträgt der Bekl. dem Kl. die Ausführung sämtlicher Putzarbeiten, nach § 3 ist K. verpflichtet,' allen von der Bauleitung aus irgendwelchem Grunde beanstandeten Putz auf seine Rechnung kostenlos zu verbessern und zu erneuern, nach § 4 liefert der Bekl. Rüstmaterial und Gerätschaften, dagegen hat K. sämtliche Rüstungen selbst herzustellen. Als Bezahlung erhält K. für 1 qm Rabitzwände in der Ebene gemessen 4 Mk., für die gesamte Fassadenarbeit insgesamt 8000 Mk. Nach § 6 soll jeden Freitag die in der Woche geleistete Arbeit aufgemessen werden, und der sich ergebende Betrag unter Einhaltung einer Kaution von 6% am Sonnabend ausgezahlt werden. Die Kautionen sind nach erfolgter Abnahme durch die Bauleitung zurückzuzahlen. Nach § 7 ist K. verpflichtet, für die bei den Putzarbeiten beschäftigten Putzer und Arbeiter Krankenkassen- und Jnvalidenversicherungsbeiträge selbst zu tragen, doch sind diese als im Betriebe des Bell, beschäftigt anzumelden. K. ist ferner verpflichtet, sämtliche unter ihm arbeitenden Putzer und Arbeiter daraufhin kontraktlich zu verpflichten, daß sie bei etwa vorkommenden Lohn­ disserenzen gegen den Bekl. keine Ansprüche geltend machen können. Nach § 8 steht dem Bell, das Recht zu, Arbeiter, die sich ungebührlich benehmen, sofort von der Baustelle zu verweisen, und darf K. solche auf keinen Fall weiter beschäftigen. Die Kl. erblicken in diesem Vertrag einen Gruppenakkordvertrag und verlangen durch K., dem sie Vollmacht erteilt haben, Bezahlung der aus dem Vertrage noch rückständigen Summe. Der Bekl. hat die Einrede der Unzuständigkeit des GG. erhoben und eingewendet, daß der vorliegende !) Vgl. auch GG. Kassel vom 9. Februar 1901. Jg. 15 Sp. 353.) Baum, Gewerbegerichte.

(Gewerbe- u. Kaufmannsger. 16

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GO. Tit. VII (Kolonnenvertrag).

Vertrag kein Gruppenakkord-, sondern ein Werkvertrag sei, aus dem lediglich K. legi» timiert sei. Für diese Ansprüche sei aber das ordentliche Gericht zuständig.

Der Bekl. ist vemrteilt. Aus den Gründen: Bor der Entscheidung in der Sache selbst ist über die beiden von dem Bekl. mit seiner Unzuständigkeitsrede aufgeworfenen Fragen zu entscheiden: 1. Ist der Bekl. Arbeitgeber des Mitklägers K. oder ist dieser letztere selbständiger Unternehmer? 2. Ist der Bekl. Arbeitgeber der übrigen Kl. oder ist dies der Mitbell. K.? Ist also für die Klage der übrigen Putzer der Bekl. oder der Mitkl.K. passiv legitimiert? Die beiden Fragen stehen insofern in Zusammenhang miteinander, als für den Fall, daß man bei Frage 1 die Ggenschaft K.s als selbständigen Untemehmers annimmt, und damit soweit seine Klage gegen den Bekl. in Betracht kommt, die Einrede der Unzuständigkeit des GG. für begründet erklärt, damit von selbst die Passivlegitimation des Bekl. gegenüber der Klage der übrigen Putzer entfällt und diese ihre Lohnansprüche nur gegen ihren Arbeitgeber, den selbständigen Unternehmet K., in einer neuen Klage geltend machen können. Nach genauer Prüfung aller in Betracht kommenden Verhältnisse hat das Gericht die Einrede der Unzuständigkeit des GG. verworfen und damit des Mitkl. K. Unternehmerseigenschaft vemeint. Es ist im Baugewerbe üblich, daß Putzarbeiten im Gmppenakkord hergestellt werden, wie diese ganz besonders gearteten Verhältnisse der Akkordarbeiter ins­ besondere die Verhältnisse des Gruppenakkordes und der Lohnabrede nur mit einem Akkordanten, dem die Auswahl der Arbeiter überlassen wird, ein Ergebnis der neueren Entwicklung auf dem Gebiete des gewerblichen Arbeitsmarktes sind. Diese Übung schließt aber nicht aus, daß im einzelnen Falle ein Werkverdingungs­ vertrag vorliegen kann (vgl. die Darlegungen in der Entsch. des GG. Berlin vom 12. März 1894 bei Baum, Nr. 159)1). Alsdann muß aber auch zu erkennen sein, daß der mit dem Bauherrn abschließende tatsächlich seiner ganzen Stellung nach als ein Unternehmer anzusehen ist. Hierbei sind das ganze Verhältnis zu dem Arbeitgeber, die Art der Arbeit, die soziale Stellung der betreffenden Person mit heranzuziehen. Als selbständiger Unternehmer kann nur derjenige gelten, auf dessen Rechnung der Betrieb geführt wird, und der das wirtschaftliche Risiko des Betriebes trägt. Eine wirtschafllich unselbständige Person, die sich wirtschafllich und sozial über die angenommenen Leute nicht erhebt, die mitarbeitet, die mittel­ los utto leistungsunfähig und deshalb wirtschaftlich nicht imstande ist, das Risiko

eines Unternehmens zu tragen, wird selbst bei entgegengesetzt lautenden Vertragsbestimmungen als Unternehmer und damit Arbeitgeber ihrer „Leute" nicht be­ trachtet werden dürfen. Dabei darf auch die im Baugewerbe vielfach hervortretende Tendenz der Untemehmer, bei der Ausführung von Bauten durch An­ nahme von Subuntemehmern sich alle Streitigkeiten mit den Putzern vom Halse zu schaffen und durch geschickte Vertragsabfassung ihr Vermögen vor Zugnffen der auf dem Bau Arbeitenden wegen ihrer Lohn- oder sonstigen Kontraktsorderungen zu sichern, nicht übersehen werden. Im vorliegenden Falle hat der Mitll. K. zu dem Bell, in einem Abhängigkeits­ verhältnis gestanden, das über die zwischen selbständigen Untemehmem bestehenden Beziehungen weit hinausgreifend, in vielen Punkten derartig war, wie es regel­ mäßig zwischen Arbeitem und Arbeitgebern besteht. Er hatte schon vor dem Ab­ schluß des Vertrages vom 19. November 1907 bei dem Bell, als Polier, d. h. als Arbeiter gearbeitet. Dem Bell, war seine Mittellosigkeit bekannt. Aus diesem Grunde war im § 6 des Vertrages ausgemacht, daß alle Woche eine Ausmessung ') Jetzt Nr. 332.

GO. Zit. VII (Kolonnenvertrag).

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der geleisteten Akkordarbeit und eine dementsprechende Auszahlung zu erfolgen hatte, weil auf andere Weise, wie auch der Bekl. wissen mußte, dem Mitll. K. die Auslöhnung der von ihm angenommenen Putzer unmöglich gewesen wäre. Daß die Auszahlung des Lohnes nicht vom Bekl. an die Putzer direkt erfolgte, verschlägt demgegenüber nichts. K. hat weiter, wie der Bekl. nicht bestritten hat, dauernd unter der Kontrolle des Hauptpoliers des Bekl. gestanden, der ihn mit den übrigen Putzern im Lohnbuch und auch bei etwaigen Ausbleiben die Stunden notierte. K. hat weder eine eigne Werkstätte, noch eigenes Mstmaterial und Gerätschaften gehabt, beides letztere vielmehr vom Bekl. unter bestimmten, seine Bewegungsfreiheit einschränkenden Bedingungen geliefert erhalten (§ 4 des Vertrages). Er hat weiter weder ein Gewerbe zur Steuer angemeldet, noch ist er Mitglied der Berufsgenossenschaft gewesen. Die Beittäge zur Berussgenossenschaft auch für diesen Bau hat vielmehr der Bekl. bezahlt. Endlich — und das ist wohl das wichtigste Moment — hat der Bekl. sich im §8 ein Entlassungsrecht für die auf dem Neubau ich ungebührlich benehmenden oder betrunkenen Arbeiter vorbehalten. Einen olchen schweren Eingriff in seine wichtigsten Rechte kann sich kein selbständiger Unternehmer von dem ihm im Werkverdingungsvertrage gegenüberstehenden Kontrahenten gefallen lassen. Auch die Art der von dem Mitkl. K. geleisteten Arbeit — er ist mit den übrigen Putzem ins Teil gegangen — spricht gegen seine Unternehmerstellung, ebenso seine äußere Erscheinung, die die eines Vorarbeiters ist, der nicht imstande erscheint, eine größere Summe selbständig zu zahlen. Er gehört seiner ganzen Stellung nach zu den von ihm angenommenen Putzem. Stilen diesen Momenten gegenüber konnten diejenigen Vertragsbestimmungen, auf die sich der Bekl. beruft, als erheblich nicht angesehen werden. Daß K. in dem­ selben Vertrage, der als Arbeitsvertraa bezeichnet wird, dauemd Unternehmer genannt wird, beweist gar nichts, ebensowenig wie der Umstand, daß der Bell, die Mitll. gar nicht in Arbeit genommen, noch sie außer M. gekannt hat. Gerade derartige Verhältnisse sind, wie noch darzulegen ist, im Gruppenakkord üblich. Die Bestimmungen des § 7, die allerdings für den Bell, sprechen, müssen nach Ansicht des Gerichts als Ausfluß der schon erwähnten Tendenz, das Vermögen des Bell, gegen Zugriffen der bei ihm angestellten Arbeiter zu sichem, gewürdigt werden. Die Bestimmung insbesondere, wonach die Arbeiter von K. vertraglich verpflichtet werden sollen, sich wegen ihrer Lohnansprüche keinesfalls an den Bell, zu halten, muß als Scheingeschäft gelten und ist deshalb nichtig. Daß in dieser Bestimmung diese unter K. arbeitenden Putzer und Arbeiter gleich darauf Helfer genannt werden und der Bell, als Auftraggeber (wessen?) bezeichnet roiro, sei nebenbei hervorgehoben, um das juristische Ungeschick, mit dem jene Tendenz zu verwirllichen versucht wird, zu kennzeichnen. Der Mitll. K. hat allerdings nach dem Vertrage die Verpflichtung übernommen, für die beschäftigten Putzer und Arbeiter die Krankenkassenbeiträge und Jnvalidenmarken selbst, d. b. soweit sie auf den Bell, entfallen könnten, zu tragen. Es kann dahingestellt bleiben, ob nicht auch diese Bestimmung nichtig ist. Keinesfalls kann sie den zahlreichen ange­ führten Momenten, die des Mitll. K. Unselbständigkeit dartun, gegenüber die Entscheidung ändern. Da diese Bestimmung nur tendenziös gemeint ist, dafür spricht, daß schon nach bem § 7 alle Arbeiter in dem Betriebe des Bell, angemeldet wurden und daß außerdem durch eine vom Bell, gestellte Hilfe sämtliche Marken stirb ie Putzer im Bureau des Bell, geliebt und dann K. bei der nächsten wöchent­ lichen Zahlung abgezogen worden sind. Der K. im § 5 Nr. 11 bewilligte Pauschal­ betrag von 8000 Mk. endlich für die Fassadenarbeit kann möglicherweise einen Reinen Unternehmergewinn für ihn involvieren. Aber auch dies Moment für sich allein würde seine Arbeitereigenschaft nicht notwendig ausschließen. Unter­ nehmervorteile kommen auch sonst bei Arbeitem vor (Polier, Ziegelmeister, Vor­ arbeiter).

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GO. Zit. VII (Kolonnenvertrag).

Hat somit das Gericht in Abwägung aller Umstände den Mitll. K. als Unter­ nehmer nicht ansehen und damit die Einrede der Unzuständigkeit des GG. als begründet nicht anerkennen können, so ergab sich damit von selbst die Passiv­ legitimation des Bell, gegenüber der Klage der übrigen Putzer. Der Bauunter­ nehmer wird durch den vom Kolonnensührer geschlossenen Vertrag auch den ange­ nommenen Arbeitern gegenüber unmittelbar verpflichtet. Wie die Urteile bei Baum a. a. O. Nr. 159 erkennen lassen, ist ein solcher Vertrag rechtlich dadurch zu konstruieren, daß K. den Vertrag vom 19. November 1907 für seine Person und zugleich als Vertreter der noch anzunehmenden Mitll. unterschrieben hat. Der Bell, wußte, daß K. die Arbeit nicht allein ausführen wollte, sondem daß noch andere Arbeiter hinzuziehen seien. Trotzdem hat er auch hier, wie beim Gruppenalkord allgemein üblich, der Bequemlichkeit wegen nur mit dem Kolonnen­ führer verhandelt, der die einzelnen Putzer kennt und an der Hand hat. Deren Auswahl hat er deshalb stillschweigend dem Kolonnenführer überlassen. K. schloß also den Vertrag vom 19. November 1907 sowohl für sich wie auch als Geschäftsführer der erst noch anzustellenden Leute mit dem Bell. ab. Spätestens durch Eintritt in die Arbeit unter den im Vertrage festgesetzten und ihnen bekannt ge­ gebenen Bedingungen traten die übrigen Kl., die bei oer ersten Verhandlung mit K. noch nicht zugegen waren, dem Vertrage bei und machten ihn damit zu einem auch für sie verbindlichen. Ist aber ein solches Vertragsverhältnis zwischen den Parteien gegeben, so ist die Passivlegitimation des Bell, nicht zu bezweifeln. Die abweichende, mehr formaljuristische Auffassung, wie sie noch in den bei Baum Nr. 159 f u. g (jetzt 332) zitierten Urteilen des LG. 1 Berlin und des Kammer­ gerichtes vertreten wird, kann heute als überwunden gelten *)• (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 14 Sp. 367.)

335. BertretungSmacht des Kolonnenführers. Befreit die Zahlung an ihn den Arbeitzeber von allen Ansprüchen der Arbeiter? Kann ein einzelner Arbeiter die Vollmacht widerrufen? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 10. Juni 1903. Der Kl. hat beim Bell, in einer Steinträgerlolonne gearbeitet. Er will bei Teilung des gemeinschastlich verdienten Akkordlohnes um 6,85 Mk. zu kurz gekommen sein und verlangt Zahlung der Differenz.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Der Ansicht des Kl., daß der Kolonnenführer nur Vertreter des Arbeitgebers sei, konnte nicht beigepflichtet werden. Der Kolonnen­ führer mag vielleicht in gewißen Punrten als Vertreter des Arbeitgebers er­ scheinen, wenngleich regelmäßig Vertreter des Arbeitgebers der von diesem be­ stellte Polier ist. Jedenfalls ist der Kolonnenführer hinsichllich der Empfang­ nahme des von der Kolonne verdienten Lohnes nach der bisher im Berliner Bau­ wesen unter den Kolonnenarbeitem bestehenden Übung nicht Beauftragter des Arbeitgebers, sondem Geschäftsführer und insbesondere Zahlungsbevoümächtigter der Gesamtheit (Gesellschaft) der Arbeitnehmer. Letztere erarbeiten sich den Lohn nicht als einzelne, sondem gemeinschaftlich, die Verteilung des verdienten Gesamt­ betrages untereinander ist ihre Sache, nicht solche des Ärbeitzebers. Wenn also der Kolonnenführer aus der ihm vom Arbeitgeber für die Gesamtheit gezahlten Summe Beträge an die einzelnen Mitarbeiter abführt, so tut er dies nicht namens des Arbeitzebers, sondem namens der Kolonne. Hieraus ergibt sich, daß schon l) Vgl. auch LG. Leipzig vom 25. Oktober 1894. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 358.)

GO. Tit. VII (Kolonnenvertrag).

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mit Zahlung des Gesamtwhnes an den Bevollmächtigten der Kolonne der Arbeit« geber seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt und mangels besonderer Abrede nicht verpflichtet ist, über die Art und Weise der Verteilung zu wachen. Im vor­ liegenden Falle kann mithin, da unstreitig der ganze verdiente Lohn an den Kownnenführer gezahlt ist, der Kl. Ansprüche auf seinen Anteil an den bell. Arbeitgeber nicht stellen'). Nach dem neuen allgemeinen Tarif der Bauarbeiter soll allerdings der Ar­ beitgeber in Zukunft — abweichend von dem bisherigen Brauch — die Auszahlung des Lohnes gegen Quittung jedes einzelnen Kolonnenarbeiters bewirken. Es mag auch diese Bestimmung so auszulegen sein, daß der Arbeitgeber nunmehr die Sorge und die Garantie dafür übernimmt, daß der Kolonnenführer jedem Arbeiter seinen Lohnanteil richtig auszahlt. Aber dieser neue Tarif, der am 15. Mai in Kraft getreten ist, findet auf diejenigen Arbeitsverhältnifse noch keine Anwendung, welche — wie das der Parteien — an diesem Tage schon bestanden: es ist gerade

von der Arbeitnehmerseite erklärt, daß der Tarif erst für die neueinzugehenden Verträge Geltung haben solle. Wenn Kl. endlich einwendet,- daß er im Laufe der letzten Woche zu dem Bekl. oder doch zu dessen Polier ausdrücklich erklärt habe, er wünsche seinen Lohn direkt und nicht mehr durch den Kolonnenführer zu erhalten, so würde auch dieser Umstand die Gültigkeit der trotzdem an den Kolonnenführer erfolgten Zahlung nicht beeinflussen. Denn da die Vertretungsmacht dem Kolonnenführer von der Gesamtheit der Kolonnenmitglieder erteilt ist (sei es ausdrücklich, sei es durch schlüssige Handlungen, wie z. B. durch wochenlange Duldung der Jmempfangnahme und Verteilung des Lohnes seitens des Kolonnenführers), so kann sie — wenn überhaupt ein Grund dazu vorliegt — nicht von einem einzelnen Mitgliede widermsen werden, sondem nur auf Grund eines Beschlusses der ganzen Kolonnen, für den mindestens die einfache Mehrheit der Mitarbeiter gestimmt haben muß (§§ 712, 709 Abs. 2, auch § 715 BGB.). (Reichsarbeitsbl. Jg. 1 Nr. 8 S. 677.)

336. Gesamtübernahme einer Akkordarbeit durch eine Mehrheit von Kolonnen unter einem gemeinschaftlichen Hauptkolonnenführer. Hat die einzelne Unterkolonne direkte Ansprüche an den Arbeitgeber ans abgesonderte Berechnung und Entlohnung? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 12. Februar 1906.

Die Kl. wollen für den Bell, die in der Klagerechnung anfgesührten Putzarbeiten ausgesührt, darauf nur 724 Mk. erhalten und noch 187,44 Mk. zu fordern haben. Ihre auf Zahlung dieses Betrages gerichtete Klage hat der Bell, abzuweisen beantragt. Er behauptet, die Gesamtinnenputzarbeitcn an den Kolonnensührer $. vergeben zu haben. Dieser habe 4 bis 5 Unterkolonnen, darunter die der Kl., unter sich gehabt; habe bin gesamten Akkordlohn für alle Putzer in Empfang zu nehmen gehabt, habe ihn auch gezahlt erhalten. Die Kl. haben eingeräumt, ihr Geld allwöchentlich durch $. erhalten zu haben. Sie fühlen sich aber beschwert, weil dieser ihnen am Schluß der letzten Arbeitswoche kein Geld mehr abgegeben, sondern den Restbetrag nur unter die übrigen Kolonnen verteilt habe. Der Bell. hat entgegnet, daß $. hierzu befugt gewesen sei, da die Kl. als eine sogenannte Saufkolonne, insgesamt schon mehr ausgezahlt erhalten hätten, als ihnen nach ihrem wirklichen Arbeitsquantum zukäme; das Ausmaß der Kl. müsse er bestreiten; auch seien nur 24% Pf., nicht 25 Pf. pro m versprochen, außer­ dem von $. an die Kl. schon 853 Mk. gezahlt. Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Einen Beweis für die Richtigkeit ihres Ausmaßes haben die Kl. nicht angetreten, im Gegenteil erklärt, einen Kostenvorschuß *) Vgl. auch GG. Berlin vom 3. November 1893. (Unger Nr. 8.) 1. Ausl. Nr. 160.

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GO. Tn. VII (Kolonnenvertrag).

für einen etwaigen Sachverständigen nicht leisten zu wollen. Es kam jedoch hierauf auch gar nicht an. Nach dem vom Bell, vorgelegten Putzvertrage hat er in der Tat die ganzen Putzarbeiten an T. vergeben. Es erscheint nach den dem Gericht bekannten Gewohnheiten im Putzergewerbe ausge­ schloffen, daß er daneben eine Unterkolonne als selbständige Gmppe habe beschäftigen wollen. Die Kl. haben denn auch einen besonderen Vertrag nicht beibringen können. Im übrigen spricht die Tatsache, daß auch den Kl. der ihnen gebührende Lohnanteil von X. ausgezahlt wurde, genügend dafür, daß auch die Kl. nur eine Unter kolonne unter T.scher Leitung und Geschäftsfühmng bildeten. Folglich braucht Bell, nicht mit ihnen besonders abzurechnen, er hat sich lediglich mit der Gesamtkolonne zu verrechnen; er hat das auch unstceitig'getan. Glauben die Kl. von ihren Mitkolonnen bzw. dem Hauptkolonnen­ führer übervorteilt zu sein, so mögen sie sich an diese halten. Für die Geschäftssühmng dieser hat der Bell, nicht einzustehen. (Reichsarbeitsbl. Jg. 4 S. 860.)

337. Kann ein einzelnes Kolonnenmitglied gegen den Arbeitgeber auf Zahlung seines Lohnanteils klagen? Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 23. Juni 1910.

Die Klage ist abgewiesen. Ausden Gründen: Das Gericht sieht das Verhältnis der Kolonnen­ arbeiter, welche eine Akkordarbeit gemeinsam für einen Gesamtpreis übernommen haben, für die Regel in Übereinstimmung mit Schalhom, Soz. Praxis XIV, Sp. 1065 ff., Lotmar, Arbeitsvertrag Bd. II S. 518 f., Wölbling, Akkordvertrag und Tarifvertrag S. 203—207, auch wohl Bail, Rechtsverhältnis der Arbeitgeber und Arbeitnehmer S. 154, u. a. sowie auch mit der Mehrzahl der GG. und ver­ schiedener LG. in ständiger Rechtsprechung als ein Gesellschaftsverhältnis gemäß § 705 ff. BGB. an. Auch Staudinger, Komm. z. BGB., der den Kolonnenvertrag lediglich einmal erwähnt (und zwar Bd. II S. 1121 unter IV 1 b), indem er das im Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 9 S. 258 abgedruckte Erkenntnis ohne weitere Bemerkung zitiert, steht offenbar auf demselben Standpunkt, denn das vorbehalt­ los von ihm zitierte Erkenntnis sieht ausdrücklich die Kolonne als eine Gesellschaft im Sinne des BGB. an. Wenn das LG. Berlin I, Zivilk. 8, im Gegensatz zu seinem früheren Standpunkt jetzt in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 1910 i. S. Berliner Maschinenfabrik Aktiengesellschaft vormals Schwarzkopf gegen Buffe (Aktz. 23. S. 31/10.) annimmt, Staudinger verneine das Vorliegen eines Gesell­ schaftsverhältnisses mit der Begründung, daß es an einem gemeinschaftlichen Vermögen fehle, so beruht diese Annahme anscheinend auf einem Mißverständnis einer Ausführung von Staudinger, die sich auf das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezieht.............. Auch andere Gesellschafter haben oft kein anderes gemeinsames Vermögen, als einen gemeinschaftlichen Anspruch. Beweint man den gemeinsamen Anspruch, so muß man auch die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Übernahme von Akkordarbeit vemeinen.... Alles das hat zur Folge, daß der Lohnanspwch ein gemeinschaftlicher ist, der dem einzelnen gegenüber nicht ohne Zuziehung der anderen zum Nachteil derselben festgestellt werden kann. Das würde aber der Fall sein, wenn man die Einzelklage auf Zahlung zuließe. Diese hat einmal zur Konsequenz, daß auch eine rechtskräftige Abweisung der Einzelansprüche erfolgen könnte, die nicht aus den Gründen mangelnder Klage­ legitimation erfolgte. Äus der Abweisung des Anspmches müßte konsequent in vielen Fällen auch die Abweisung der Ansprüche der anderen Arbeiter erfolgen. Gleichwohl kann der Ausgang vor ihnen angestrengter Prozesse infolge richtiger Vertretung ihrer Ansprüche ein anderer sein. Andererseits würde die Zuerkennung

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eines Lohnanteils an einen Kolonnenarbeiter die Minderung der Ansprüche der übrigen zur Holge haben, ohne daß diese gehört zu werden brauchten. Denn die Gesamwerpflichtung des Arbeitgebers geht nicht über den vereinbarten Gesamt­ lohn hinaus. Konsequent hat auch die Bell. — gestützt auf ein gegen einen Arbeiter der Bell, ergangenes Urteil des LG. I Berlin, Kammer 8, i. S. Berliner Maschinen­ fabrik Aktiengesellschaft vorm. Schwarzkopf ca. Plötz (GG. 773/04 Ks.) den Standpunkt vertreten, daß die Arbeiter nicht allein llaaen können, obwohl der Bell., wie aus den vielfachen Verhandlungen gerichtsbemnnt geworden ist, nicht unbewußt geblieben ist, daß dadurch auch für sie Unbequemlichkeiten entstehen. Das Gericht ist daher der Überzeugung, daß die Bell, grundsätzlich an der Gemein­ schaftlichkeit der Lohnforderungen festhält und Verstöße hiergegen gegen den Willen der Bell, ohne ihren Auftrag und ihre wissentliche Duldung erfolgen. Somit war der von dem entscheidenden Gericht ständig festgehaltene Grundsatz auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden, so daß die Gnzelklage des Kl. auf Zahlung seines Anteils abzuweisen war, da es sich unstreitig bei allen seinen geltend gemachten Ansprüchen nur um Forderung aus Kolonnenakkord handelt. Das schließt nicht aus, daß der einzelne Arbeiter seine Rechte wahrt. Er kann auf Hinter­ legung, Zahlung an die ganze Kolonne und auf Feststellung des Gesamtanspruches llagen. Die Auseinandersetzung mit seinen Kollegen begegnet auch keinen außer­ gewöhnlichen, tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten. Der Standpuntt des erkennenden Gerichts schließt auch nicht weitergehende Einzelansprüche, z. B. Zahlung von nach Stunden bemessenen Abschlägen, aus, sofern solche vereinbart oder üblich sind. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 349.)

338. Ist der Kolonnenführer als Vertreter der Kolonnenmitglieder berechtigt, den Anspruch auf den gesamten Nachfchutzlohn ohne besondere Vollmacht im Prozeß geltend zu machen? Urteil des Landgerichts III Berlin, Zivilkammer 3, vom 9. Jan. 1908. Der Kl. als Führer einer Maurerkolonne verlangt den der Gesamtkolonne zu­ stehenden sogen. Nachschußlohn, d. h. den nach den Akkordsätzen sich ergebenden Mehrbetrag über die erhaltenen Abschlagszahlungen.

Das GG. vemrteilte den Bell, zur Zahlung des Nachschußlohnes an den Kl. „für ihn und seine Kolonne". Das Bemfungsgericht erllärt dies für zulässig. AusdenGründen: Der Kolonnenführer bleibt, wenn er auch Arbeiter einstellt und bei Empfang und Auszahlung des Lohnes, den er erst vom Arbeitgeber erhält, Vertreter der Arbeitnehmer; die von ihm angenommenen Leute treten lediglich durch ihn in ein Dienstvertragsverhältnis zum Untemehmer. Weiterhin hat das Gericht die Aktivlegitimation des Kl. für gegeben erachtet. Die Kolonne ist als Gesellschaft im Sinne des BGB. §§ 705 ff., der Kolonnenführer als geschäftsführender Gesellschafter anzusehen. Letzterer hat bezüglich der Lohn­ ansprüche seine Leute dem Arbeitgeber gegenüber zu vertreten, derart, daß dieser durch die Zahlung des Lohnes an ihn von seiner Verbindlichkeit den einzelnen Gesellschaftem gegenüber befreit wird. Dies ist die in der einschlägigen Recht­ sprechung herrschende Auffassung. Jene eigenartige, das Schicksal der Lohnsorderuna völlig in feine Hand legende Bertreterstellung läßt den Kolonnenführer auch als berechtigt erscheinen, ähnlich wie ein Jnkassomandawr in eigenem Namen die gesamte Forderung der Kolonnenmitglieder für deren Rechnung dem Arbeit­ geber gegenüber im Prozeßwege zu verfolgen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 181.)

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339. Hastet der Kolonnenführer für fahrlässig falsche Berteilang deS Lohns?

a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 2. Oktober 1903. Das GG. hat die Frage be>aht. Aus den Gründen: Der Kolonnenführer hat für ordnungsmäßige Berteilung der von ihm in Empfang genommenen Löhne aufzukommen. Er durfte daher nicht das ganze Geld den Putzem aushändigen, sondem hätte den Betrag für den Putzerträger — wie in der ersten Woche — zurückhalten sollen. Er hat also fahrlässig gehandelt und haftet deshalb dem Träger für dessen Ausfall neben den Putzem, welche letztere wiedemm ihm haften'). (Reichsarbeitsbl. Jg. 1, S. 945.)

340. Kann ein persönlicher Gläubiger des KolonnenfiihrerS die Lohn­ forderung pfänden? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 9. Oktober 1905.

Die Kl. haben in Gemeinschaft mit dem Putzer I., der den Kolonnensührer machte, für den Bekl. gegen Akkordlohn Putzerarbeit ausgesührt. Zur Zeit der Klage war I. nicht mehr Geschäftsführer der Putzer, auch wegen seiner Ansprüche aus ihrer Arbeitsgemeinschast abgefunden. Der Kolonne stand noch ein gemeinschaftlicher Restlohn zu. Der Bell, verweigerte die Bezahlung dieser Lohnforderung, weil durch Beschluß des Amtsgerichts für die Ehefrau des I. dessen angebliche Forderung aus Lohn, Gehalt, Tantiemen an Bekl. in gleicher Höhe gepfändet und der Frau zur Einziehung Über­ wiesen worden war. Der Lohnklage wurde stattgegeben. AusdenGründen: Der Pfändungsbeschluß kann die Zahlungspflicht des Bekl. nicht beseitigen. Er betrifft nur eine Lohnfordemng speziell des I. Eine solche hat aber überhaupt nicht bestanden. Es bestand bzw. besteht nur eine gemeinschaftliche Lohnfordemng der Putzerkolonne zur gesamten Land; d. h. der Lohn steht allen Putzem gemeinschaftlich zu; keineswegs hat jeder einzelne Putzer einen bestimmten Anteil des Lohnes vom Arbeitgeber zu fordern. Dies hat auch Best, insofern bestätigt, als er dem damaligen Geschäftsführer der Putzer Gesamtlohnbeträge eingehändigt hat, damit dieser und seine Mitarbeiter unter­ einander Teilung hielten. Daß etwa die Putzer schon zur Zeit des Erlasses des Pfändungsbeschlusses ihre gemeinsame Lohnfordemng geteilt gehabt und dem I. einen bestimmten Betrag davon zugewiesen hätten, ist nicht behauptet. Unter diesen Umständen hätte sich der Pfändungsbeschluß, um wirksam zu werden, gegen die Putzergemeinschaft richten müssen (vgl. § 725 BGB. § 859 Abs. 1 ZPO.). (Reichsarbeitsbl. Jg. 5 S. 899.)

341. Hat ein vorzeitig ausgeschiedenes Kolonnenmitglied Anspruch auf den bei feinem Ausscheiden noch nicht verdienten Nachschub? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 29. Februar 1903. Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Es konnte dahingestellt bleiben, ob es — wie in früheren Urtellen mehrfach angenommen ist —, unter den Berliner Putzem Brauch ist, die vertragswidrig Ausgeschiedenen am Überschüsse nicht teilnehmen

•) Ebenso Urteile vom 27. November 1903 und 15. Januar 1904 (Nr. 1286 und 1452, Kammer 3).

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zu lassen. Denn im vorliegenden Falle hat Kl. auch nach dem Gesetze keinen Anspruch auf Beteiligung. Denn bis zu seinem Weggänge hatte die Arbeit der Kolonne unstreitig einen Überschuß über den bekannten Abschlag von 8 Mk. pro Mann und Tag nicht abgeworfen. Und aus § 738 BGB. Satz 2 a. E. ergibt sich, daß selbst einem befugterweise Ausscheidenden nur dasjenige zu zahlen ist, was ihm zukommen würde, wenn zu gleicher Zeit die ganze Gesellschaft (hier die Kolonne) sich auflöste. Im übrigen ist Kl. vertragswidrig ausgetreten. Denn der von ihm anerkannte Kündigungsausschluß bestand nur im Verhältnis zum gemeinschaftlichen Arbeitgeber. Die Putzer unter sich waren nach dem Zweck der von ihnen gemeinschaftlich übernommenen Arbeit (Herstellung der gesamten Putzarbeiten) verpflichtet, diese Arbeit bis zu ihrer Beendigung gleichmäßig zu fördem (vgl. den Abschnitt des BGB. über „Gesellschaften", §§ 705 ff., der auf die Beziehungen der Kolonnenmitglieder untereinander mindestens ent­ sprechende Anwendung findet). (Reichsarbeitsbl. Jg. 1 S. 945.)

342. Wie ist der Lohn zu bemessen, wenn die Kolonne vor Vollendung der Arbeit aushört? Urteile des GG. Berlin, Kammer 3, vom 16. Oktober 1907 und des Landgerichts I Berlin, Zivilkammer 8, vom 2. Juni 1908.

Der Kl. hat als Führer einer Putzerkolonne bei dem bell. Baugewerbetreibenden gegen Akkordlohn in Arbeit gestanden. Es war der Kolonne des Kl. die Ausführung der Außenputzarbeiten aus einem Neubau übertragen worden nach näherer Maßgabe eines in den wesentlichen Punkten mit den in Berlin üblichen Akkordputzverträgen über­ einstimmenden schriftlichen Vertrages. ES sind in üblicher Weise 8 Mk. Abschlagslohn pro Tag und Mann gezahlt worden. Der Kl. hat mit seiner Kolonne die Arbeit nicht ganz vollendet. Der Bell, will ihn deshalb wiederholt gemahnt haben und schließlich vom Vertrage zurückgetreten sein. Der Kl. seinerseits behauptet, daß der von ihm zur Nachholung der Restarbeiten geschickte Putzer vom Bau gewiesen sei. Für den fettiggestellten Teil der Arbeit beträgt der Gesamtlohn rechnungsmäßig nach den einzelnen Akkordsätzen berechnet so viel, daß noch ein sogenannter Nachschuß von rund 400 Mk. verbleiben würde. Aus Zahlung dieses Betrages ist Klage erhoben. Das GG. hat die Klage abgewiesen. AusdenGründen des GG.: Die Beweisaufnahme hat in durchaus glaubwürdiger Weise ergeben, daß die Kolonne des Kl. die von ihr übemommenen Putzarbeiten wegen des Streiks der Maurer, Zimmerer und Bauarbeiter unfertig liegen gelassen hat. Der Kl. war nach seiner eigenen Angabe verpflichtet, die Außenputzarbeiten mit seiner Kolonne zu Ende zu führen. Er hat dies ohne jeglichen Grund nicht ge­ tan; er hat sich beharrlich geweigert, die ihm obliegenden Vertragspflichten zu erfüllen, verharrte also im Verzüge; der Mcktritt des Bell, vom Vertrage war danach gerechtfertigt (§ 326 BGB ). Die geleistete Teilarbeit aber braucht nur dann nach den für die ganze Arbeit bewilligten Durchschnittssätzen bezahlt zu werden, wenn der Kl. nachweist, daß sie für den Bell, auch wirllich so viel wert ist. Solcher Nachweis ist nicht erbracht, wird sich auch nicht gut erbringen lassen, da in der Regel Teilarbeit verhältnismäßig weniger wert ist, so daß als selbstverstäMich angenommen werden kann, daß der Einheits-(Durchschnitts-) Lohnsatz nur unter der Voraussetzung der Vollendung der ganzen Arbeit versprochen ist (vgl. § 628 BGB., der bei Entlassung des Arbeiters wegen vertragswidrigen Ver­ haltens eine Vergütung für Teilarbeit nur insoweit vorsieht, als sie für den Ar­ beitgeber von Interesse ist). Da die üblichen Abschlagszahlungen pro Mann und Tag 8 Mk. gezahlt sind, rechtfertigt sich nach alledem die getroffene Entscheidung.

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GO. Tit. VII (Kolonnenvertrag).

Auf die Bemfung des Kl. ist Bell, nach dem Klageantrag Verurteilt, nachdem Kl. einen ihm zugeschobenen Eid geleistet hatte.

Aus den Gründen des LG.: Durch die Eidesleistung des Kl. steht fest, daß die im schriftlichen Vertrage versprochenen Lohnsätze nicht nur unter der Bedingung, daß der Kl. die Putzarbeiten ununterbrochen zu Ende führt, sondem allgemein auf jeden Fall bewilligt sind. Der Bell, muß daher den vom Kl. geleisteten Teil der Putzarbeiten nach den Lohnsätzen des schriftlichen Ver­ trages bezahlen. Nur dann ist er von dieser Verpflichtung befreit, wenn die Teil­ leistungen des Kl. für ihn kein Interesse haben. Daß letzteres der Fall ist, hat, wie die Fassung des § 628 BGB. klar ergibt, der Bell, zu beweisen. Die ent­ gegengesetzte Ansicht des Vorderrichters ist rechtsirrtümlich. Der Bell, hat nun den Beweis nicht erbracht, daß die vom Kl. hergestellten Arbeiten für ihn kein oder nur ein unerhebliches Interesse haben. Der Zeuge hat eidlich und einwand­ frei bekundet, daß der Kl. die Vorderfassade vollständig und auch die Hinterfassade, soweit sie überhaupt zu putzen war, mit Ausnahme von vier oder fünf Fenster­ bögen, geputzt und nur die Fugenarbeit am Erd- und Parterregeschoß nicht aus­ geführt hat. Diese Fugenarbeit ist außer einem Teile heute noch nicht ausgeführt. Trotzdem sind aber die Wohnungen im Hause jetzt vermietet. Hiemach fehlte es an jedem Anhalt dafür, daß die geleisteten Teilarbeiten des Kl. für den Bell, kein Interesse oder wenigstens kein solches Interesse haben, daß der Bell, den eingeklagten Betrag ganz oder zum Teil dem Kl. in Abzug bringen könnte. (Reichsarbeitsbl. Jg. 7 S. 223.)

343. Rechtsstellung des Trägers einer Putzerkolonne. Kann er Lohn vom Kolonnenführer verlangen, wenn er nach Arbeitsniederlegung der Kolonne noch weitergearbeitet hat? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 3. November 1909. Der Kl. stand mit dem Bell, und vier weiteren Putzern in Arbeitsgemeinschaft; er trug ihnen das Material zu und erhielt dafür von ihnen pro Tag 8 Mk. aus dem gemeinschastlichen Alkordverdienst. Am 18. Oktober beschlossen die Putzer infolge von Differenzen mit dem Arbeitgeber, vom folgenden Tage ab einstweilen nicht weiter zu arbeiten. Der Kl. will von diesem Beschluß nicht rechtzeitig unterrichtet worden sein und daher am 19. Oktober vormittags noch weiter gearbeitet haben. Er verlangt deshalb Bezahlung für diesen Tag mit 8 Mk. und hat hierauf den Bell, (als den Kolonnenführer) in Anspruch genommen. Der Bell, hat Abweisung beantragt. Er bestreitet jedes Ver­ schulden und macht geltend, daß schon am Abend über das Ruhenlassen der Arbeit ge­ nügend gesprochen worden sei. Der Kl. hält diese Gespräche, weil beim Glase Bier ge­ fallen, für unbeachtlich.

Die Klage ist abgewiesen.

Aus den Gründen: Nach der ganzen Sachlage war der Kl. bereits am Abend vorher über die vorgefallenen Differenzen genügend unterrichtet. Außerdem mußte er am folgenden Morgen bemerken, daß die Putzer nicht arbei­ teten. Er hatte deshalb keinen Anlaß, seinerseits noch weiter zu arbeiten. Ein Anteil am Akkordarbeitslohn steht ihm daher für diesen Tag nicht zu. Ebenso­ wenig kann er — wie er meint — Schadenersatz dafür beanspruchen, daß die Putzer ihm nicht schon am Abend vorher direkt erllärt haben, er möge sich nach anderer Arbeit umsehen. Das Arbeitsverhältnis zwischen einem Kolonnenträger und seinen Putzern kann nicht als ein reines Arbeitsverhältnis angesehen werden, bei dem der Träger nur Dienstverpflichteter, die Putzer nur Dienstberechtigte (Arbeitgeber) int Sinne des § 611 ff. BGB. wären — sonst wäre auch das GG. unzuständig. Sondem es ist im wesentlichen ein Gemeinschafts- bzw. Gesell­ schaftsverhältnis, bei dem die Teilnehmer — einschl. des Trägers — gegenseitig

GO. Tit. VII (Kolonnenvertrag. Tarifvertrag).

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verpflichtet sind, bei der von den Putzem übernommenen Akkordarbeit einander in die Hände zu arbeiten. Daher hat der Kl. nicht schon Ansprüche auf Vergütung, wenn er zur Weiterarbeit bereit und imstande ist, ohne daß die Putzer seine Dienste annehmen, sondem nur dann, wenn die Putzer ihre Pflicht zum Einander in die Hände arbeiten schuldhafterweise nicht erfüllen, im übrigen aber teilt er mangels besonderer Abrede Gedeih und Verderb mit den Putzem. Der Kl. hat nun im vorliegenden Falle nicht zu behaupten vermocht, daß die Putzer aus nichtigen Gründen zur Arbeitseinstellung gekommen sind, im Gegen­ teil hat er die Angemessenheit der Schritte der Putzer nicht bemängelt. Folglich war er auch gebunden, mit ihnen auszusetzen. Er kann deshalb keine Entschä­ digung fordern. (Reichsarbeitsbl. Jg. 7 S. 945.)

344. (160.) Kann der im Gruppenakkord beschäftigt gewesene Arbeiter von dem Arbettgeber den auf ihn entfallenden Anteil des Akkordlohnes fordcm, wenn der Arbeitgeber den vollen Akkordlohn bereits an den Kolonnenführer ansgezahlt hat? Urteil des GG. Berlin vom 3. November 1893.

Die Klage des Putzers gegen den Bauunternehmer ist abgewiesen. (Unger Nr. 9*».)

5. Tarifvertrag. (344—375.) 345. Ist der Tarifvertrag eine Bereinigung zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen? ä) Urteil desOberlandesgerichtsKiel, Strafsenat, vom 29. Aug. 1905. Das OLG. hat die Frage vemeint. Ausden Gründe n: Zunächst verkennt der Vorderrichter den Begriff und das Wesen des Tarifvertrages, wenn er annimmt, der von den Friseurgehilfen unter Anerkennung seitens der Mehrheit der Meister aufgestellte neue Lohntarif sei eine schriftlich fixierte Verabredung im Sinne des § 152 der GO. Dieser Para­ graph redet nur von Verabredungen „ zumBehufe " der Erlangung günstiger Lohnbedingungen. Die tatsächlichen Feststellungen des Vorderrichters ergeben aber folgenden Sachverhalt. Die Friseurgehilfen erstrebten günstigere Lohn­ bedingungen, wie sie in dem von ihnen aufgestellten Lohntarif näher bezeichnet waren. Während ein Teil der Meister die geforderten Löhne bewilligte, verwei­ gerten andere Meister — unter ihnen X. — die Erfüllung der gestellten Fordemngen. Um nun die erstrebten günstigen Lohnverhältnisse auch bei dem Meister X. zu erlangen, verabredeten die Gehilfen, bei ihm nicht eher zu arbeiten, als er die geforderten Löhne zahle, verhängten m. a. W. über ihn die Sperre — und die Angeklagten veröffentlichten diese Verabredung in der Schlesw.-Holst. Volkszeitung. Hiemach war der Abschluß des Tarifvertrages nicht das M i t t e l zur Erlangung der erstrebten günstigen Lohnbedingungen, sondem er war das erstrebte Z i e l der Koalition. Das Mittel, um dies Ziel zu erreichen, war die Verabredung, bei X. nicht in Arbeit zu treten, solange er nicht die Löhne des Tarifs zahle und sich im übrigen dem Tarif unterwerfe. Die Verhängung der Sperre also, nicht der Tarifvertrag, war im vorliegenden Falle die Verabredung im Sinne des § 152 der GO. An dieser Verabredung aber teilzunehmen oder ihr Folge zu leisten, haben die Angeklagten nach den Fest­ stellungen des Borderrichters den X nicht bestimmen wollen. Es wäre ja auch *) Vgl. auch Nr. 335.

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widersinnig, wenn jemand bestimmt werden sollte, an der Sperre seines eigenen Geschäfts teilzunehmen. — Der Borderrichter irrt aber auch insofern, als er annimmt, daß unter „andere" im Sinne des § 153 der GO. auch solche Personen zu verstehen seien, die in einer Lohnbewegung auf der gegnerischen Seite stehen. Das Revisionsgericht hält daran fest, daß Zusammenhang und Zweck der Vorschrift sowie ihre Fassung im übrigen, ferner die Ärtstehungsgeschichte der beiden Koali­ tionsparagraphen zu der Auslegung nötigen, daß der Schutz des § 153, von ge­ wissen Grenzfällen abgesehen, nur für die Zugehörigen der Lohnkampfpartei bestimmt ist, die zu einer Verabredung oder Bereinigung des § 152 zusammentritt. Im einzelnen wird — soweit die Entstehungsgeschichte in Frage kommt — auf das Urteil des Kammergerichts vom 8. Dezember 1898 fi. Goldammers Archiv Bd. 46 S. 373) verwiesen. Wenn aber hiemach hiemach ein Tarifvertrag keine Verab­ redung im Sinne des § 152 der GO. ist, und unter „andere" im Sinne des § 153 der GO. nur die in einer Lohnbewegung auf derselben Seite stehenden Personen zu verstehen sind, so hat der Vorderrichter zu Unrecht den Tatbestand des § 153 der GO. als verletzt angesehen. — Die Angeklagten haben auch nicht gegen ein anderes Strafgesetz verstoßen, weil die Verhängung der Sperre ein nach § 152 der GO. zulässiges Kampfmittel in einer Lohnbewegung ist. Für den Tatbestand einer Nötigung oder einer Erpressung fehlt es somit an dem Momente der Widerrechüichkeit. Grober Unfug ist zu verneinen, weil nichts dafür vorliegt, daß eine Belästigung des Publikums oder eine (Störung der öffentlichen Ordnung statt­ gefunden hat. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 134.) b) Urteil des Reichsgerichts, 6. Zivils., vom 20. Dez. 1909.

Das Reichsgericht hat die Frage verneint. AusdenGründen: Die Revision hat geltend gemacht, der geschlossene Vertrag (Tarifvertrag in der Hamburger Tischlereibranche) falle unter die Bestim­ mungen in § 152 der GO., danach habe jedem Beteiligten der Rücktritt von den getroffenen Vereinbarungen freigestanden, und es finde aus diesen weder Klage noch Gnrede statt. Dieser Angriff ist unbegründet. Unrichtig ist es zunächst, wenn die Revision meint, die Annahme der B o r instanz, daß durch einen Tarifvertrag der in Rede stehenden Art klagbare Rechte auf dessen Erfüllung oder der Anspmch auf Schadenersatz wegen Nicht­ erfüllung des Vertrages begründet werden könnten, stehen in Widerspruch mit der von mehreren Strafsenaten des Reichsgerichts vertretenen Rechtsauffassung. In den insoweit in Bezug genommenen Urteilen (Entsch. in Strass. Bd. 36 S. 236ff., Bd. 40 S. 226 ff., Bd. 41 S. 367 ff.) ist lediglich angenommen worden, ein von einer Vereinigung von Arbeitgebem und Arbeitnehmern geschlossener Tarifvertrag könne dazu bestimmt und geeignet sein, auf dritte, der Bereinigung nicht ange­ hörende Personen einen Zwang, sich der Bereinigung anzuschließen oder sich doch den von ihr festgesetzten Arbeitsbedingungen zu unterwerfen, auszuüben, und es habe, wo dies geschehe, die Vorschrift in § 153 der GO. Platz zu greifen. Die Auffassung, daß jeder Tarifvertrag eine unter § 152 GO. fallende Ver­ abredung sei, ist in jenen Urteilen weder ausdrücklich ausgesprochen, noch ergibt sie sich mittelbar aus den dort dargelegten Erwägungen. In der Literatur hat sie ebenfalls nur ganz vereinzelt Vertretung gefunden, sie kann auch nicht als be­ gründet erachtet werden. Allerdings werden die Tarifverträge zu dem Zwecke abgeschlossen, eine für die Arbeitgeber und für die Arbeitnehmer erwünschte Gestaltung der Arbeits- und Lohnverhältnisse oder doch einen Zustand herbeizu­ führen, der den beiderseitigen Wünschen so weit gerecht wird, daß er von ihnen als erträglich angesehen wird. Daraus folgt aber noch keineswegs die Richtigkeit der vorstehend bezeichneten Auffassung.

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Wenn in § 152 Abs. 1 der GO. durch Aufhebung aller entgegenstehenden Verbote bestimmt worden ist, es solle im Gebiet des Gewerberechts sowohl den Arbeitgebem als den Arbeitnehmem erlaubt sein, sich zur Erlangung günstiger Arbeitsbedingungen zusammenzutun, um gemeinsam ihre Wünsche betreffs dieser Bedingungen durchzusetzen, und wenn weiter zugelassen worden ist, daß jeder Teil, um den Widerstand der Gegenpartei zu überwinden, auch die im Schlußsatz des Abs. 1 gekennzeichneten Kampfmittel anwenden dürfe, so haben diese Boychriften überall nur die Frage zum Gegenstände, in welcher Weise beim Widerstreit der gegenseitigen Interessen der Kamps geführt werden darf. Danach kann auch die Vorschrift in Abs. 2 nur auf Bereinigungen, die zum Zwecke des Kampfes geschlossen, und auf Verabredungen, die über den Kampf und seine Führung getroffen sind, bezogen werden. Ein Tarifvertrag ist aber an sich kein Kampfmittel, dessen sich die streitenden Parteien zur Erreichung des von ihnen angestrebten Zieles bedienen; der Abschluß des Tarifvertrags stellt vielmehr, wenn ihm ein Kampf vorangegeangen ist, entweder selbst das Ziel, das durch diesen erreicht werden sollte, dar, oder ist doch dessen Ergebnis, ganz ebenso, wie dann, wenn eine Partei in dem Streite völlig unterlegen ist, ihre Unterwerfung

unter die Forderungen des obsiegenden Teils keine dessen Bekämpfung be­ zweckende Maßgabe, sondern der den Kampf beendende Friedensschluß ist. Kommt aber der Tarifvertrag zustande, ohne daß bereits zur Brechung des vom Gegner geleisteten Widerstandes bestimmte Maßregeln ergriffen worden waren, so ist der Vertrag ein Akt, der zur Abwendung des Kampfes vorgenommen wird. Der Meinung, daß auf die Tarifverträge die Bestimmung in § 152 Abs. 2 der GO. Anwendung zu finden habe, steht übrigens auch die Erwägung entgegen, daß es nicht als die Absicht des Gesetzgebers angesehen werden kann, Einigungen zwischen Gmppen von Arbeitgebem und Arbeitnehmem über Lohn und sonstige Arbeitsbedingungen durch Versagung jeden Rechtsschutzes für die hierauf ab­ zielenden Bereinbamngen zu entwerten und damit mittelbar zu verhindem. Auch sonst liegt kein Gmnd vor, solchen Bereinbamngen abweichend von den allgemeinen über die Klagbarkeit der Verträge bestehenden Rechtsgmndsätzen diese abzusprechen. Das Berufungsgericht hat weiter in eingehender Weise erörtert, in welchem Umfange privatrechtliche Verpflichtungen durch den Vertrag vom 16. Mai 1905 haben begründet werden sollen, und ist zu dem Ergebnis gelangt, nach dem überein­ stimmenden Willen der bei dem Vertragsabschluß tätig gewordenen Personen habe jeder der von ihnen vertretenen Vereine zum mindesten dazu verpstichtet werden sollen, seinerseits jede Handlung zu unterlassen, durch welche in den ge­ troffenen Bereinbamngen zuwiderlausendes Verhalten seiner Mitglieder ver­ anlaßt oder begünstigt würde. Gegen diese Feststellung sind keine Einwendungen erhoben worden.

346. Können aus einem zwischen zwei Verbänden geschlossenen Tarif­ vertrag die einzelnen Mitglieder direkt Ansprüche geltend machen? a)

Urteil des GG. Berlin, Kammer 7, vom 24. Januar 1908.

Das GG. hat die Frage bejaht.

AusdenGründen: In dem Vertrage werden seitens der bell. Firma I. den bei ihr beschäftigten Dienem keine allgemeinen Versprechungen, sondem im einzelnen genau fixierte Zusicherungen gemacht. Es ist nicht einzusehen, in wie fern ein solcher Vertrag keinerlei Rechtswirksamkeit haben sollte. Rechllich ist ein solcher Vertrag als Vertrag zugunsten eines Dritten anzusehen. Bei Ver­ trügen zugunsten Dritter kommt es nun darauf an, ob es in der Absicht der^Par-

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leien lag, daß der Dritte aus dem Vertrage unmittelbar Rechte und Pflichten erwerben sollte. Lag eine solche Absicht vor, so hat der Dritte ein Klagerecht aus dem Verttage, lag sie nicht vor, so ist ein solches Recht nicht gegeben. Im vor« liegenden Fälle lag es nun offenbar in der Absicht der vertragschließenden Teile, daß die einzelnen Diener berechtigt sein sollten, die in dem Tarifverträge näher spezifizierten Aufbesfemngen zu' verlangen. Anderen Falles hätte der Berttag überhaupt keinen praktischen Wert gehabt. Es ist deshalb unbedenklich, daß sämtliche Kl. aus dem abgeschlossenen Tarifverträge ein selbständiges Klagerecht hatten, insbesondere daß sie berechtigt waren, gemäß dem Verttage eine ein­ wöchentliche Kündigungsfrist zu fordem, sobald sie ein Vierteljahr bei der bekl. Firma in Stellung waren. (Reichsarbeitsbl. Jg. 6 Nr. 7 S. 707.)

b) Urteil des Reichsgerichts, 6. Zivilsenat, vom 20. Dezember 1909. Das Reichsgericht hat die Frage bejaht.

AusdenGründen: Verttäge der hier in Frage stehenden Art werden von feiten der Arbeitgeberverbände regelmäßig zu dem Zwecke geschlossen, für die ihnen angehörenden einzelnen Arbeitgeber eine Gewähr dafür zu erlangen, daß sie während der Dauer des Verttags bezüglich der darin geregelten Verhält­ nisse keinen über die gettoffenen Bereinbamngen hinausgehenoen Anforderungen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerverbände ausgesetzt und vor den Nachteilen etwaiger durch solche Ansordemngen veranlaßter Stteiks und Arbeiteraussper­ rungen bewahrt sein würden. Merdings soll durch solche Verttäge das Interesse gewahrt werden, das die Arbeitgeberverbände als solche an der Vermeidung solcher Stteiks und Arbeitsausspermngen deshalb haben, weil sie nach den bei ihnen bestehenden Einrichtungen meist ihren von diesen Vorgängen betroffenen Mitgliedern eine gewisse Entschädigung zu leisten haben. Mein die Wahmng dieses Interesses ist eben nur einer der Zwecke, dem die Verttäge dienen sollen, als der Hauptzweck wird, zumal diese Ensschädigungen nicht einmal zur voll­ ständigen Ausgleichung des den betteffenden Verbandsmitgliedem entstehenden unmittelbaren Schadens auszureichen Pflegen, regelmäßig der oben an erster Stelle angegebene anzusehen sein. Daß dies der Fall sei, bedarf auch im einzelnen Falle keiner besonderen Hervorhebung, da dieser Zweck sich aus den nicht bloß in den Kreisen der gewerblichen Unternehmer, sondern auch in denen der Arbeitnehmer und insbesondere der mit der Leitung von Arbeitnehmerverbänden betrauten Personen allgemein bekannten Verhältnissen von selbst ergibt. Bei dieser Sachlage erscheint es gerechtfertigt, bet Verträgen der hier vor­ liegenden Art gemäß § 328 Abs. 2 BGB. im Zweifel davon auszugehen, daß durch die darin gettoffenen, zur Wahmng der Interessen der einzelnen Arbeit­ geber bestimmten Bereinbamngen auch für diese ein unmittelbares Recht auf Erfüllung der darin von den Gegenkonttahenten übernommenen Verpflichtungen auf Schadenersatz bei deren Verletzung begründet werden sollte. Im vorliegenden Falle sind Umstände, welche eine andere Auffassung zu begründen geeignet wären, von dem Berufungsgericht nicht festgestellt, von dem Bell. N. auch nicht behauptet worden, auch die ganze besondere Sachlage ergibt dafür keinen Anhalt. Dem Berttag vom 16. Mai 1905 ist deshalb die Bedeutung beizumessen, daß die Zahlstelle Hamburg-Altona damit auch gegenüber den ein­ zelnen dem klagenden Verbände zur Zeit des Vertragsabschlusses angehörenden Arbeitgebern hat verpflichtet werden sollen, während der Verttagsdauer alles zu unterlassen, was geeignet sei, die zur Zahlstelle gehörigen, bei diesem Arbeit­ geber beschäftigten Arbeiter zur Nichtbefolgung der in dem Berttage aufgestellten Verabredungen zu veranlassen.

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347. Sind gegenüber dem Tarifvertrag entgegenstehende Einzelverträge rechtswirksam?

a) Urteil des GG. Hannover vom 23.September 1908. Das GG. hat die Frage vemeint. Aus den Gründen: Der Einwand des Bell., er habe im Gegensatze zu dem Tarifverträge mit dem Kl. die Nichtzahlung eines Lohnzuschlages für Über­ stunden vereinbart, vermag den Bell, ebenfalls nicht von der Innehaltung der Bestimmungen des Tarifvertrages zu befreien. Das Gericht verkitt den in der Literatur mehr und mehr zur Anerkennung kommenden, zuerst von Lotmar ver­ fochtenen Standpunkt, daß sowohl der kollettive Tarifverkag, bei dem die Mehrheit Vie den Berkag auf Seite der Arbeiter schließt, nicht organisiert und nur zum Zwecke des Vertragsabschlusses zusammengeketen ist, wie auch der korporative Tarifverkag, bei dem die Arbeitnehmer wie im vorliegenden Falle eine Organisation sind, die einen rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen Verein bildet, nicht durch Jndividualverkäge abgeändert werden können. Die entgegengesetzte An­ sicht würde dazu führen, daß es der Arbeitgeber völlig in der Hand hätte, die ihm unbequemen Bestimmungen eines Tarifverkages durch eine Anzahl Individual­ verträge mit den einzelnen Arbeitern auszuheben und den Tarifverkag dadurch zu entwerten. Dies würde aber gänzlich dem Wesen und Zweck der Tarifverkäge widersprechen, die dazu dienen, die Stellung der Arbeiter als Vertragspartei zu verbessern, sowie durch Festlegung der Arbeitsbedingungen für einen längeren Zeikaum eine Verminderung der Lohnkämpfe und hiermit eine Sicherung des Wirtschaftslebens herbeizuführen. (Gewerbe-u.Kaufmannsger.Jg. 14Sp. 173) *).

b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 10. Dezember 1908. Die auf den Tarifverkag gestützte Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Was die Forderung eines Anteils an dem Akkord­ lohn mit 35 Mk. anbekifft, so stützt sie sich auf den Tarifvertrag vom 5. August 1905. Die Bestimmungen eines Tarifverkages, soweit sie sich auf den Inhalt der Arbeitsverkäge beziehen, sind zwar nicht unabdingbar, d. h. es besteht die Möglichkeit abweichender Vereinbamngen zwischen den durch den Tarifverkag gebundenen Personen (f. u. a. Oertmann, Zeitschrift für Sozialw. 1907 XS. 8 f.; Wölbling, Akkord-Tarifvertrag 1908 S. 388 f.; derselbe, Deutsche Wirtschaftsztg. September 1908; derselbe, Werkstattstechnik Januar 1909; Sinzheimer, Der korporative ArbeitsnormverKag IIS. 547; Rosenthal, Festschrift für Laband 1908 S. 175; Köppe, Arbeitstarifverkag 1908 S. 104 f.; Lanomann-Rohmer, Komm, z. GO. II190; Zeitler, Arbeitstarisverkäge 1908, S. 125; Siegel, Der gewerb­ liche Arbeitsverkag 1903 S. 20; Brogsitter, Tarifverkag 1906 S. 19,127; Schall, Das Privatrecht der Arbeitstarisverkäge 1907 S. 150 f.; Burchardt, Die Rechts­ verhältnisse der gewerblichen Arbeiter 1901 S. 186; Kaiser!. Statistisches Amt, Beikäge zur Ärbeiterstatistik Nr. 8 S. 63; s. v. Schulz, Etttnger, Kobatsch, Jungk, Tänzler, Berh. des 29. Deutschen Juristentages Bd. II S. 268 f., Bd. IV S. 42, 182, Bd. V S. 32, 49, 78; Schalhorn, bei v. Schulz-Schalhorn, Das Gewerbe­ gericht Berlin S. 21; Stadthagen, Arbeiterrecht S. 149,150). Geßler, Verhandl. des 29. Deutschen Juristentages Bd.V S. 81, bestätigt, daß das GG. München mit der Unabdingbarkeit keine guten Erfahrungen gehabt habe, und daß es deshalb einen Verzicht auf die Bestimmungen des Tarifverkages zulasse. Wenn Dernburg in seinem Deutschen Privakecht verlangt, daß die Tarifverkäge nicht durch Einzel« verkäge abgeändert werden dürfen, so bedeutet das nicht die Unabdingbarkeit, welche ausspricht, daß Tarifverkäge durch Einzelverkäge nicht abgeändert werden „können ". S. auch Eneccerus, Bürger!. R. I 932; Abel, D. Gew.- u. Kauf*) Bgl. auch Nr. 352.

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mannsger. XIV 137; Baum bei Gruchot, 49. Jg. S. 159, 162. Daß die Ansicht eines in Gewerbe-u. Kaufmannsger. XIV ©p.1731) abgedruckten GG.-Erkenntnisses, daß der „kollektive Tarifvertrag" (?) nicht durch Jndividualverträge abge­ ändert werden „könn e", in der Literatur mehr und mehr zur Anerkennung komme, ist nach dem Vorstehenden nicht zutreffend, es dürfte im Gegenteil kaum eine der vielen namhaften Erscheinungen der Literatur in der letzten Zeit de lege lata für diesen Gedanken eingetreten fein2). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 240.)

c) Urteil des GG. Hamburg vom 11. Dezember 1908. Das GG. hat die Frage bejaht. Aus den Gründen: Daß der Abschluß eines Lohntarifvertrages zwischen einer Arbeitgeber- und einer Arbeiterkorporation die Wirkung habe, daß die einzelnen Mitglieder der Korporationen nicht mehr das Recht hätten, im Einzelfalle besondere Arbeitsbedingungen, welche von den Tarifbestimmungen abweichen, miteinander ausdrücklich zu vereinbaren, und daß etwa doch getroffene Vereinbarungen solcher Art als nichtig anzusehen seien, ist bisher in der Literatur und der Rechtsprechung nur ganz vereinzelt angenommen worden. Die angeführten Gründe sind für das Gericht nicht überzeugend. In der von den Kl. in bezug genommenen Entscheidung des GG. Hannover (Gewerbe- u. Kaufmannsger." Jg. 14 SP. 173 ff.) *) wird gesagt, dem Wesen und Zweck der Tarifverträge, die dazu dienen, die Stellung der Arbeiterpartei zu verbessern und eine Vermindemng der Lohnkämpfe und eine Sichemng des Wirtschaftslebens herbeizuführen, würde es widersprechen, wenn es der einzelne Arbeitgeber völlig in der Hand hätte, durch Einzelverträge die ihm unbequemen Bestimmungen des Tarifvertrages aufzuheben. Dies ist aber nicht zutreffend. Dadurch, daß hier und dort einige vom Tarifinhalt abweichende Einzelverträge abgeschlossen werden, wird der Hauptzweck der Tarifverträge nicht vereitelt. Der Hauptzweck der Tarifverträge kann nämlich nach dem geltenden Recht nur der sein, daß die Vertragsparteien, d. h. die Korporationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, bzw. ihre Vor­ stände, rechtlich verpflichtet werden sollen, ihrerseits mit allen zulässigen Mitteln dahin zu wirken, daß auch die Mitglieder der Korporationen die im Tarif sestgelegten Arbeitsbedingungen in den von ihnen eingegangenen Arbeitsverhält­ nissen als gültig ansehen. Tun die Korporationen bzw. chre Vorstände dies nicht, oder veranlassen sie selbst sogar die Nichtbefolgung der tarifvertraglichen Bestim­ mungen, so machen sie sich des Tarifbruchs schuldig. Da aber in der Regel die Korporationen die Tarifvereinbamngen respektieren und da in der Regel auch die einzelnen Mtglieder der Korporationen beim Abschluß ihrer Arbeitsverträge die Tarifbestimmungen zum Inhalt ihrer Verträge machen, sei es ausdrücklich oder stillschweigend, sei es nur unter moralischem Druck der Tarifgemeinschast, sei es, weil sie sich dazu ihrer Korporation gegenüber verpflichtet fühlen, so wird dadurch der weitere Zweck der Tarifverträge, die Vermindemng der Lohn-, kämpfe und die Sichemng einer tunlichsten Stetigkeit im Wirtschaftsleben, in einem hohen Maße erreicht. Und das Bestehen von Tarifvertragsverhältnissen zwischen Korporationen, denen ein größerer Teil der Arbeitgeber und Arbeiter eines bestimmten Gewerbes angehört, hat überdies den großen Vorteil, daß die Gerichte auch bei Arbeitsverhältnissen zwischen Nichtmitgliedern der be*) Abgedruckt zu a. ’) Vgl. auch GG. Berlin, Kammer 3, vom 25. März 1903 (Soz. Praxis XII Sp. 1124) und vom 21. August 1903 (Reichsarbeitsbl. Jg. 2 S. 63), Kammer 7 vom 24. Januar 1908 (Reichsarbeitsbl. Jg. 6 S. 707); dagegen in einem Einzelsall GG. Berlin, Kammer 8, vom 11. Januar 1908 (Reichsarbeitsbl. Jg. 6 S. 707) (bezüglich einer Firma, die den Buchdruckertarif anerkannt hatte).

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treffenden Korporation die in dem Tarif enthaltenen L o h n s ä tz e in der Regel ohne weiteres als übliche im Sinne des § 612 des BGB. ansehen können. (Die sogenannte Femwirkung der Tarifverträge, wie Dr. Sinzheimer es nennt.) Gegen­ über diesem gewaltigen Vorteil wirtschaftlicher Art erscheint es von ganz unter­ geordneter Bedeutung und deshalb dem Wesen und Aweck der Tarifverträge durchaus nicht widersprechend, wenn hier und da ein einzelner Arbeitgeber mit einzelnen Arbeitern besondere, von den tariflichen Bestimmungen abweichende Arbeitsbedingungen vereinbart. Der eigentliche juristische Grund aber, welcher es unmöglich macht, die Einzel­ arbeitsverträge, welche gegen Tarifbestimmungen verstoßen, als ungültig anzu­ sehen, ist der, daß es im geltenden Recht keine einzige Gesetzesbestimmung gibt, mit welcher man solche Ungültigkeit begründen könnte. Selbst wenn der Stand­ punkt der Kl. richtig sein sollte, daß nicht nur die betreffenden Korporationen, sondern auch förmliche Mitglieder dieser Korvorationen als Mitkontrahenten des Tarifvertrags anzusehen seien (eine sehr bestrittene Frage), so ist doch noch nicht ersichtlich, weshalb nicht einzelne Mtglieder ihre frühere tarifliche Bereinbamng (trotz der im Tarif vorgesehenen Kündigungsfrist) jederzeit im gegenseitigen Einverständnis wieder aufheben und einen besonderen, vom Tarif abweichenden Arbeitsvertrag sollten schließen können. Zugegeben einmal, daß die dadurch tarifbrüchig werdenden Arbeitgeber und Arbeiter vielleicht auch persönlich im Wege des ordentlichen Gerichtsverfahrens von den ü b r i g e n Mitgliedern der Tarifkorporationen bzw. von diesen selbst auf Schadenersatz belangt werden können, so können doch nicht gerade die selber tarifbrüchig gewordenen Arbeiter persönlich ihren Gegenkontrahenten, den Arbeitgeber, verantwortlich machen und ihm seinen Tarifbruch vorwerfen. Das würde denn doch aller Treu und Glauben Hohn sprechen. Es kann hier ganz dahingestellt bleiben, ob bei einer späteren gesetz­ lichen Regelung des Tarifvertrages es möglich und wünschenswert erscheint, allen oder einigen Bestimmungen festgelegter Tarife derart zwingende Kraft beizu­ legen, daß die ihm widersprechenden Bestimmungen der Emzelarbeitsverträge nml und nichtig sein sollen, den Tarifverträgen also eine größere Kraft zu ver­ leihen als die meisten gesetzlichen Bestimmungen gewerbrechtlicher Art haben. Aus dem letzt geltenden Recht läßt sich jedenfalls eine solche zwingende Kraft der Tarifverträge nicht herleiten; die wenigen Schriftsteller, die die ent­ gegengesetzte Ansicht vertreten, haben überzeugende Gründe nicht beigebracht, aus die Einzelheiten ihrer Ausführungen kann hier natürlich nicht eingegangen werden. Nach dem geltenden Recht ist die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitem, vorbehalt­ lich der durch Reichsgesetz begründeten Beschränkungen, Gegenstand freier Übereinkunft^ 105 der GO.). In den Reichsgesetzen sind bisher Bestim­ mungen, welche die Vertragsfreiheit der einzelnen zugunsten der Tarifverträge einschränken, nicht enthalten. Wenn auch der zitierte § 105 von einer Mehrheit von Gewerbetreibenden und Arbeitern redet, so kann sich derselbe doch immer nur auf Einzelarbeitsverträge beziehen, denn er stammt in seiner jetzigen Fassung aus einer Zeit, wo man noch gar keine Tarifverträge kannte (Novelle vom 15. Julr 1878). Ihn trotzdem jetzt auf Tarifverträge anwenden nur deshalb, weil sein Wort­ laut auch darauf paßt, heißt nichts anderes, als den ursprünglichen Sinn dieses Paragraphen in den direkt gegenteiligen Sinn verwandeln, was ja allerdings einige Schriftsteller fertig bringen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Fg.14Sp.261.)

Baum, Bewerbegertchte.

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848. Kann nach Abschluß eines Tarifvertrages ein schon vorher be­ stehendes ArbeUSVerhSltntS unter den alten Bedingungen fortgesetzt werden? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 4. September 1903. Der Kl. war bei der Bell. alS Putzerträger gegen einen verabredeten Stundenlohn von 45 Pf. beschäftigt. Während dieses Arbeitsverhältnisses wurde unter dem 15. Mai 1903 vor dem Einigungsamte ein Vertrag über die Lohnbedingunyen verschiedener Kategorien von Bauarbeitern geschlossen, demzufolge Putzerträger, wie der Kl., einen Stundenlohn von 65 Pf. erhalten sollten. Daraufhin wurde der Kl. wiederholt wegen Erhöhung seines Lohnes auf 65 Pf. vorstellig, ward aber abschlägig beschieden und hat bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses stets nur einen Stundenlohn von 45 berechnet erhalten und angenommen. Er fordert nunmehr die Differenz für 499 Stunden mit 99,80 Mk.

Die Klage ist abgewiesen.

Aus den Gründen: Ein zwischen Gruppen von Arbeitgebem und Arbeitnehmem vor dem Einigungsamt abgeschlossener Vertrag über die Lohnbedingungen der Arbeiter des betreffenden Gewerbes hat nicht die Wirkung, dast bereits früher verabredete und stillschweigend aufrecht erhaltene, abweichende Lohnbedingungen für die Zukunft nichtig oder von feiten der Kontrahenten an­ fechtbar werden, da die Bertragsfreiheit durch derartige einigungsamüiche Ver­ träge nicht aufgehoben werden kann. Es stand daher der stillschweigenden tat­ sächlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter den alten Lohnbedingungen nn vorliegenden Falle nichts im Wege. Diese ist erfolgt, indem der Kl. den nach dem alten Lohnsätze berechneten Lohn Monate hindurch annahm, ohne Widerspmch zu erheben. Sonach war der Kl. abzuweisen. Es soll aber der Hinweis nicht unterlassen werden, daß die Vereinbarung von Lohnsätzen, welche einem vor dem Einigungsamte verabredeten Tarife wider­ sprechen, die Gefahr in sich birgt, daß wieder allgemeine Lohnstreitigkeiten mit ihrem Gefolge von Arbeitseinstellungen entstehen, weil dadurch das Vertrauen der Parteien, insbesondere der Arbeiter, zu der erfolgten Regelung der Arbeits­ verhältnisse erschüttert wird. Die Arbeiter werden zu der inigen Auffassung ver­ leitet, daß die Tarifverträge gar keine wesentliche Bedeutung haben, wenn sie in jedem einzelnen Falle durch Sonderabmachungen durchbrochen werden können, zumal, da der einzelne leicht das Gefühl hat, daß er auf ungünstigere Sonder­ abreden nicht freiwillig eingegangen sei, sondern einem gewissen wirtschaftlichen — wenn auch rechtlich unerheblichen — Zwange nachgegeben habe. (Reichsarbeitsbl. Jg. 2 S. 64.)

349. Schließen Sonderabreden über Einzelpunkte den ganzen Kollektiv­ vertrag aus? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 21. Oktober 1903.

Das GG. hat die Frage vemeint. AusdenGründen: Der Anspruch auf 14tägiae Lohnvergütung, den Kl. — ein Maurer — erhebt, weil er ohne Kündigung entlassen ist, kann schon um deswillen nicht als gerechtfertigt erachtet werden, weil in Berlin auf Gmnd desbekannten, allgemein Anwendung findenden Tarifvertrages der Ortsgebrauch des Kündigungsausschlusses besteht, der daher für alle Maurer maßgebend ist, sofern nichts Besonderes vereinbart ist. Das gilt auch, wenn — wie hier — ein höherer Lohn als der tarifmäßige gezahlt wird; denn der tarifliche Satz ist im

Zweifel nur als Mindestlohn gedacht; es kann daher aus dem höheren Lohnsätze unmöglich — wie Kl. will — gefolgert werden, daß die Parteien den allgemeinen

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Tarif als im ganzen nicht für sie maßgebend haben ansehen wollen. (Reichsarbeitsbl. Jg. 2 S. 64.)

850. Kann der Arbeiter, der sich mit der Zahlung eines vereinbarten niedrigeren Lohnes begnügt hat, Nachzahlung des tarifmäßigen Lohnes verlangen? Urteil des GG. München vom 15. Februar 1907. Die Klage ist abgewiesen.

Aus den Gründen: Der Kl. stützt seinen Anspruch darauf, daß der Bell, für die vom Kl. gelieferten Arbeiten nicht den tarifmäßigen Stück­ lohn, sondern niedrigere Löhne bezahlt habe. Durch die glaubwürdige Aussage des Zeugen W. ist aber für das Gericht erwiesen, daß der Kl. die Einhaltung des Tarifes vom Bell, weder verlangte noch selbst tarifmäßige Arbeiten geliefert hat, daß vielmehr zwischen den Parteien niedrigere Löhne vereinbart wurden. Der Kl. hat dem Zeugen W. selbst erllärt, er beanspruche nicht den tarifmäßigen Stücklohn, sondem begnüge sich mit einem niedrigeren Lohn, da ihm dies lieber sei, wenn er dafür ständige Arbeit habe. Der Kl., war es also selbst, der dem Taris untreu geworden ist, indem er freiwillig dem Bell, wochenlang Arbeiten zu tarifividrigen Löhnen lieferte. Es geht daher nicht an, daß der Kl. nachträglich vom Bell, den tarifmäßigen Lohn fordert. Denn nach Ansicht des Gerichtes ist es zwar nicht möglich, daß die Bestimmungen eines Lohntarifes durch Sondervereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abbedungen werden. Wenn jedoch Der Arbeitnehmer bei der einzelnen jeweiligen Lohnzahlung nicht auf Zahlung des tarifmäßigen Lohnes besteht, sondem sich mit einem niedrigeren Lohn zufrieden gibt, so muß in diesem Verhalten ein zulässiger Verzicht auf die Differenz zwischen dem gezahlten und tarifmäßigen Lohn erblickt werden, welcher es verbietet, daß der Arbeiter die Differenz zwischen dem tarifmäßigen und dem bezahlten niedri­

geren Lohne nachträglich zu fordem berechtigt ist. So hat auch der Kl. sich mit dem niedrigen Lohne zufrieden gegeben und damit auf den tarifmäßigen Lohn ver­ zichtet, so daß für eine nachträgliche Fordemng der Differenzen kein Raum bleibt'). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 234.)

351. Darf ein Arbeitgeber, nachdem er aus der tarisschließenden Orga­ nisation ausgetreten ist, taristoidrige Sonderabreden treffen? Urteil des GG. Mannheim vom 2. September 1909. Die Kl. sind bei dem Bell, als Schneidergehilsen tätig. In der letzten Zeit wurden ihnen für im Akkord ausgesührte Arbeiten Löhne bezahlt, welche geringer sind, als die durch den Tarifvertrag im Mannheimer Schneidergewerbe festgesetzten Akkordsätze. Die Disferenz zwischen den tatsächlich gezahlten und den tarifmäßigen Akkordpreifen ist Gegen­ stand der vorliegenden Klage. Der Bell, hat der Schneidermeistervereinigung zur Zeit des Tarisvertragsabschlusses angehört, ist aber inzwischen aus dieser Bereinigung ausge­ schieden. Eine Mitteilung an den vertragschließenden Arbeiterverband, daß er sich an den Tarifvertrag nicht mehr gebunden halte, hat der Bell, bis jetzt nicht gelangen lasse; er hat auch tatsächlich die tarifmäßigen Lohnsätze weiterbczahlt und davon nur für die Dauer des aus Anlaß der Verlegung des Geschäfts vor kurzem veranstalteten Räumungs­ ausverkaufs eine Ausnahme gemacht. Für die Dauer des Ausverkaufs behauptet Bell, mit seinen Arbeitern eine Einigung dahin getroffen zu haben, daß sie zu geringeren als den tarifmäßigen Sätzen arbeiten würden; er habe denselben freigestellt, entweder dies zu tun oder überhaupt nicht beschäftigt zu werden; sämtliche Gehilfen hätten dann ersteres vorgezogen. Demgegenüber behaupten die Kl., daß sie nur unter der ausdrücklichen Bedingung mit den reduzierten Akkordsätzen sich einverstanden erllärt hätten, daß ihre Organisation, ') Ebenso GG. Augsburg („Gewerbe- u. Kausmannsger." Jg. 14 Sp. 537). 17*

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GO- Tit. VII (Tarifvertrag).

an die Bell, fich habe wenden fallen, die Zustimmung gebe; diese Zustimmung sei nicht erfolgt, infolgedessen sei auch die Vereinbarung auf die reduzierten Akkordsätze nicht in Kraft getreten. Fürsorglich machen die Kl. geltend, daß die getroffene Bereinbamng überhaupt rechtsunwirlsam sei, weil sie gegen die Festsetzungen des Tarifvertrages ver­ stoße; an diesen Tarifvertrag sei der Bell, trotz seines Austritts aus der ArbeitgeberVereinigung nach wie vor gebunden, da er von der in dem Tarifverträge vorgesehenen dreimonatigen Kündigung bisher keinen Gebrauch gemacht habe, ja nicht einmal von der Tatsache seines Austritts aus der Arbeitgebervereingung den Arbeitnehmerverband benachrichtigt habe. Unbestritten ist, daß der Bell, den Tarifvertrag seinerzeit nicht speziell unterschristlich anerkannt hat, sondern lediglich als Mitglied der Arbeitgebervereinigung der Tarifgemeinschaft angeschlossen worden ist.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Nach der Beweisaufnahme ist kein Zweifel, daß die Kl. zwar die Zustimmung zu ihrem Verhalten seitens ihresjVerbandes wünschten, aber das Arbeiten zu den reduzierten Akkordsätzen keineswegs formell davon ab­ hängig machten, weil sie es eben vorzogen, zu reduzierten Sätzen zu arbeiten, als beschäftigungslos zu sein. Es kommt daher nur noch daraus an, ob die Ver­ einbarung zwischen den Parteien auf Reduzierung der tarifmäßigen Akkordsätze rechtswirffam war oder nicht. Das GG. Mannheim teilt nach seiner ständigen Praxis an sich durchaus die Auffassung, der Kl., daß Bestimmungen der TarisVerträge nicht durch spezielle Abmachungen zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeiter durchbrochen werden dürfenl). Aber dieser—bekannt­ lich durchaus nicht unangefochtene — Grundsatz der „Unabdingbarkeit" der Tarif­ verträge kann im vorliegenden Falle nicht zur Anwendung kommen. Mlerdings ist der Bell, nicht schon dadurch, daß er aus der Arbeitgebervereinigung, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat, ausgetreten ist, von der Wirksamkeit des Tarif­ vertrages frei geworden; vielmehr unterstand er auch nach dem Austritte diesem Tarifverträge, solange er dem vertragschließenden Arbeitnehmerverbande nicht die formelle Mitteilung zugehen ließ, daß er sich an den Tansverttag nicht mehr ge­ bunden halten wolle. Zu dieser Mitteilung aber war und ist der Bell, seit seinem Austtitte aus der Arbeitgebervereinigung jederzeit berechtigt; denn er hat den Tansverttag nicht als Einzelperson resp. Einzelfirma konttahiett, sondern ist dem­ selben lediglich durch die Tatsache seiner Zugehörigkeit zum Arbeitgeberverbande unterstellt worden; mit dieser Zugehörigkeit ist demnach auch die Bindung an den Tansverttag erloschen, wenn auch nur — wie bereits bemerkt — in dem Sinne, daß es einer formellen Rückttittserllärung dem Arbeitnehmerverbande gegenüber — jedoch ohne die Verpflichtung zur Mnhaltung der int Tarifverträge vorge­ sehenen dreimonatlichen Kündigung — bedurfte. Wenn nun aber der Bell, das Recht hatte und hat, jederzeit durch eine dementsprechende Mitteilung an den Arbeitnehmerverband von der Herrschaft des Tarifvertrages überhaupt sich frei zu machen, so muß ihm logtscherweise erst recht die Befugnis zustehen, durch Bereinbamng mit seinen Arbeitem die Mrksamkeit des Tarifvertrages zeitWeise oder für einzelneFälle auszuschließen; denn letzteres ist doch ersterem gegenüber das weniger Weitgehende; wer aber das Weitergehende tun darf, dem kann das weniger Weitgehende nicht wohl verwehtt sein. Hiemach muß das Gericht zur kostenfälligen Abweisung der Klage kommen. (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 11.)

352. Wird ein Tarifvertrag durch vertragswidrige Arbeitseinstellung aufgehoben? Urteil des GG. Hannover vom 23. Sept. 1908. Unter dem 27. März 1907 wurde zwischen dem Zentralverband der Handels«, ') Vgl. dagegen Nr. 347 b.

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Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands, Ortsverwaltung Hannover, Sektion der Gerüstbauer einerseits und der Firma des Bekl. wie der Firma I. W. hier andererseits, ein Lohn- und Arbeilstarif abgeschlossen, wonach u. a. für Überstunden ein Lohnaufschlag von 10 Pf. für jeden Mann und Stunde zu bezahlen ist. Der Tarif war für die Zeit vom 1. April 1907 bis 31. März 1908 abgeschlossen und verlängerte sich um ein weiteres Jahr, falls er nicht mindestens einen Monat vorher von einer der beiden Parteien gekündigt wurde. Eine Kündigung des Tarifes hat von keiner Seite stattgefunden. Im Herbst v. I. streikten die Gerüstbauer des Bell., da dieser einen Arbeiter entließ, der sich beim Auf­ stellen eines Gerüstes als höchst unzuverlässig erwiesen hatte. Seit dem 21. Mai 1908 wurde der Kl., welcher ebenfalls dem obengenannten Zentralverbande als Mitglied angehört, bei dem Bekl. gegen einen Stundenlohn von 45 Pf. beschäftigt. Vom 29. Mai bis 24. Juli hatte der Kl. insgesamt 80 Überstunden geleistet, hierfür aber keinen besonderen Lohnausschlag erhalten. Kl. verlangt Nachzahlung des tarifmäßigen Aufschlages. Der Bekl. meint, der Tarifvertrag vom 27. März 1907 sei für ihn nicht mehr bindend, da seine Gerüstbauarbeiter im Herbst 1907 gestreikt hätten und somit vertragsbrüchig geworden seien. Nach Beendigung des Streiks sei die Arbeit unter ganz neuen Bedingungen wieder ausgenommen, dabei ein Lohnaufschlag für Überstunden aber nicht vereinbart.

Bekl. ist verurteilt. Aus den Gründen: Als die im Zentralverbande organisierten Gerüstbauarbeiter des Bekl. im Herbst 1907 die Arbeit rechtswidrig verließen, stand es dem Bekl. offen, nach § 124b der GO. als Entschädigung für den Tag des Vertragsbruches und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetz­ lichen Arbeitszeit — bis zu einer Woche — den Betrag des ortsüblichen Tage­ lohnes zu fordern, ohne an den Nachweis eines Schadens gebunden zu sein. Diesen Weg hat der Bekl. nicht eingeschlagen. Eine Befreiung des Bekl. von dem Tarifverträge ist jedoch durch den Streik seiner Arbeiter schon deshalb nicht eingetreten, weil nicht etwa die Streikenden, sondern der Zentralverband der Berkehrsarbeiter usw. Vertragspartei bei dem Tarifverträge war. Aber auch eine etwaige Unterstützung der Streikenden durch die Verbandskasse kommt nicht in Betracht, denn der Verband hat lediglich die Pflicht, auf die Innehaltungen der Tarifbestimmungen durch die einzelnen Verbanosmitglieder nut den Mitteln der Organisation hinzuwirken. Der in Frage stehende Streik hatte jedoch mit den Tarifbestimmungen nichts zu tun, sondern war wegen hiermit in keiner Weise zusammenhängenden Differenzen entstanden. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. 14. Jg. Sp. 173.)

363. (161.) Ist ein Tarifvertrag auch für denjenigen bindend, welcher bei seinem Abschluß nicht beteiligt war? Urteil des GG. Stuttgart vom 28.November 1901.

Die auf den Tarifvertrag gestützte Klage ist abgewiesen. 354. Gilt der Tarifvertrag auch gegenüber dem erst später zugezogenen Gehilfen? Urteil des GG. Hannover vom 29. September 1906. «en der Zwangsinnung für das Schmiedehandwerk zu Hannover, der der itglied angehört, und den Schmiedegesellen Hannovers ist ein Tarifvertrag abgeschlossen worden, dessen § 4 die Bestimmung enthält, daß Gesellen für Stock und Beschlag im ersten Jahre nach vollendeter Lehrzeit nicht unter 33 Pf. pro Stunde erhalten sollen. Als dieser Tarifvertrag zustande kam, gehörte der Kl. noch nicht zu den Schmiede­ gesellen Hannovers. Er war damals außerhalb. Erst am 6. August 1906 trat er hier in Arbeit, und zwar bei dem BeN. Dieser erklärte ihm nach 8 Tagen bei der ersten Lohn­ zahlung, daß er ihm nur einen Stundenlohn von 30 Pf. geben könne. Kl., der den Tarif-

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vertrag nicht kannte, war damit einverstanden. Zwei Wochen später wurde er vom Gesellenausschuß darauf aufmerksam gemacht, daß er unter dem tarifmäßigen Lohn nicht zu arbeiten brauche, worauf er das Arbeitsverhältnis aufhob. Kl. hat die Nachzahlung bei Differenz zwischen dem Stundenlohn von 33 Pf. und 30 Pf. verlangt.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Wenn eine Mehrheit von Arbeitgebern und Ar­ beitnehmern einen Tarifvertrag abschließt, so unterliegt es allerdings keinem Zweifel, daß beide Teile an den Vertrag gebunden sind. Der Tarifvertrag ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, das die Bedingungen regelt, unter denen mnftige Arbeitsverträge abgeschlossen werden sollen. Die Parteien binden sich damit bezüglich gewisser Bestimmungen der später abzuschließenden Arbeitsverträge im voraus, das ist gerade Ziel und Zweck des Tarifvertrages. Die zwischen dem Kl. und dem Bell, getroffene Vereinbamng auf einen Stundenlohn von 30 Pf. würde hiernach also nichtig sein, Kl. könnte den tarifmäßigen Lohn von 33 Pf. beanspruchen, wenn er zu den Personen gehörte, die den Tarifvertrag abge­ schlossen haben oder ihm etwa später beigetreten sind. Daß die Bestimmungen eines Tarifvertrages nicht ohne weiteres auch denjenigen Personen zugute kommen, die außerhalb der Kategorien der vertrag­ schließenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen, unterliegt keinem Zweifel, wenn zwischen diesen Personen Arbeitsverträge anderen Inhalts abgeschlossen werden. @8 steht fest, daß Kl. bei dem Abschlüsse des Tarifvertrages nicht be­ teiligt gewesen ist, da er derzeit gar nicht in Hannover war. Sonstige Willenserllämngen, aus denen sich folgern ließe, daß der Tarifvertrag auch auf den Kl. solle Anwendung finden, liegen nicht vor. Im Gegenteil, Kl. hat selbst zugegeben, daß er den Tarifvertrag gar nicht gekannt und einen mit den Bestimmungen des Tarifvertrages nicht in Einklang stehenden Lohn vereinbart hat. Beide Tat­ sachen beweisen zur Genüge, daß Kl. weder ausdrücklich, noch stillschweigend dem Tarifverträge beigetreten ist. Hieraus folgt, daß der Tarifvertrag auf den Kl. keine Anwendung finden, vielmehr die Vereinbamng, daß er pro Stunde nur 30 Pf. erhalten sollte, als rechtsverbindlich angesehen werden muß. (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 61.)

355. Gilt der Tarifvertrag auch für unorganisierte Arbeiter? Urteil des GG. H a n n o v e r 'vom 23. November 1905. Kl. (Malergehilse) ist ohne Innehaltung einer Kündigungsfrist entlassen worden. Er behauptet, daß das Arbeitsverhältnis, da nichts anderes vereinbart worden sei, gemäß 122 RGO. einer Istägigen Kündigung unterlegen habe, und verlangt die Weiterzahlung eines Lohnes für 2 Wochen. Bell, beruft sich auf den zwischen dem Arbeitgeberverbande für das Maler« und Lackierergewerbe in Hannover-Linden und der Bereinigung der Maler, Lackierer, Anstreicher usw., Filiale Hannover-Linden, abgeschlossenen Tarifvertrag, wo­ nach das Arbeitsverhältnis beim Mangel einer anderen Vereinbamng am Schluffe eines jeden Arbeitstages von jedem Teile ohne Kündigung aufgelöst werden könne. Diese Bestimmung gelte auch für den Kl., welcher den im Malergewerbe üblichen Wochenzettel, auf dessen Rückseite der Tarifvertrag abgedmckt sei, mit seiner Unterschrift versehen habe. Kl. meint, daß der Tarifvertrag für ihn nicht in Frage kommen könne. Er habe weder die Bestimmungen gelesen, noch gehöre er dem Verbände der Arbeitnehmer im Maler­ gewerbe als Mitglied an.

Die Klage ist abgewiesen worden. Aus den Gründen: Das Gericht ist davon ausgegangen, daß der zwischen den Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Malergewerbe abgeschlossene Tarifvertrag ohne weiteres für jeden Gehilfen Gültigkeit hat, der bei einem dem Arbeitgebewerbande als Mitglied angehörenden Mmermeister in Beschäftigung tritt, vorausgesetzt natürlich, daß nicht etwas anderes vereinbart

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wird. Kl. kann sich daher nicht auf das Gesetz berufen, sondern muß sich den Be­ stimmungen des Tarifvertrages unterwerfen, die er übrigens auch insofern selbst anerkannt hat, als er den im Malergewerbe üblichen Wochenzettel, der einen Ab­ druck des Vertrages auf der Rückseite enthält, mit seiner Unterschrift versehen hat. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 173.)

356. Tarifvertrag und Ortsgebrauch. Kann ein mit einer Ar-eiterorganifation geschlossener Tarifvertrag anch für Nichtorganisierte verbindlich werden? Urteil des GG. R i x d o r f vom 2. Mai 1905. Kl. ist vom Februar bis 6. März 1905 bei dem Bell, als Rabitzputzer beschäftigt gewesen. Am letztgenannten Tage ist er ohne Kündigung entlassen worden. Indem er behauptet, daß bei seiner Annahme über Kündigung nichts vereinbart worden sei, die gesetzliche Istägige Kündigungsfrist daher gegolten habe und daß er infolge der plötz­ lichen Entlassung einen Lohnausfall für 14 Tage — 108 Stunden & 85 Pf. gehabt habe, beantragt er, den Bekl. zu verurteilen, an ihn 91,80 Mk. zu zahlen. Bell. beantragt Klageabweisung, weil nach dem zwischen dem Verbände der Gips-, Zement- und Deckenbaugeschäste der Maurer Deutschlands (Sektion der Gips- und Zementbranche) abge­ schlossenen Tarifvertrag (§ 5) für Rabitzputzer die Einhaltung einer Kündigungsfrist ganz allgemein gültig ausgeschlossen ist. Kl. bestreitet die Gültigkeit dieser Bereinbamng für ihn, da er nicht organisiert fei und dem Zentralverbande der Maurer nicht angehöre. Bekl. wendet demgegenüber ein, daß Kl. sonst die Vereinbarung für sich habe gelten lassen, indem er den Lohn von 85 Pf. die Stunde ohne besondere Lohnabrede nach dem Tarif­ vertrag erhalten und angenommen und auch im übrigen nach den Tarifbestimmungen bezüglich der Arbeitszeit und Arbeitseinteilung gearbeitet habe.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Unstreitig ist Kl., ein nicht organisierter Rabitz­ putzer, vom Bell., einem Mitglied des Verbandes der Gips-, Zement- und Decken» baugeschäste für Berlin und die Vororte, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist entlassen worden. Unstreitig haben die Parteien über die Dauer der Kündigungsfrist keine ausdrückliche Abrede getroffen. Es würde danach die gesetzliche 14tägige Kündigungsfrist des § 122 GO. Platz greifen, wie Kl. meint, wenn nicht, wie Bell, behauptet, Kündigungsausschluß kraft stillschweigender Bereinbamng gelten würde. Dies aber ist vorliegend der Fall. Wie gerichtsbekannt, hat sich im Groß­ berliner Baugewerbe ans Gmnd der vor dem Berliner Einigungsamt geschlossenen Tarifverträge die Arbeitsvertragslösung ohne jede Kündigungsfrist ganz allgemein eingebürgert und es hat sich speziell auch auf Gmnd des vorgelegten Tarifver­ trages die feste und durchgängige Übung entwickelt, daß Rabitzputzer usw. ohne jede Kündigung aufhören und entlassen werden können. Diese Übung besteht zunächst bei den fraglichen Arbeiweber- und Arbeitnehmerorganisationen. Aber auch die Unorganisierten halten sich, da ihnen beim Übergewicht der Organisierten nichts anderes übrig bleibt, überwiegend daran, und im Streitfall nehmen beide Teile die ihnen günstigen Tarifbestimmungen besonders gem und regelmäßig für sich in Anspruch. So muß der Kündigungsausschluß im Baugewerbe geradezu als ortsüblich und als Berkehrssitte bezeichnet werden, die als stillschweigend ver­ einbart gilt, bis das Gegenteil von ihr durch ausdrückliche entgegengesetzte Abrede nachgewiesen ist. Denn nach § 157 BGB. sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Berkehrssitte es erfordern. Soweit also die in den Verträgen festgelegten Bestimmungen regelmäßige und ottsübliche ge­ worden und anderweite Abreden zwischen den Parteien nicht getroffen sind, binden die Verttäge auch die beim Abschluß nicht Beteiligten, bei den zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisattonen abgeschlossenen Tarifverträgen also auch die Nichwrganisierten. Mangels einer solchen entgegengesetzren ausdrück-

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liessen Abrede, die nicht behauptet worden ist, ist also auch Kl. an den Kündigungsausschluß gebunden. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Berkehrssttte hätte der Kl., wenn er den Kündigungsausschluß für sich nicht gelten lassen wollte, den Bell., ein Organisattonsmrtglied, ausdrücklich daraus aufmerksam machen müssen. Das aber hat Kl. nicht nur nicht getan, son­ dern er wollte auch gar nicht den Tarifverttag für sich ausschließen, da er ohne viel Worte in die Arbeit ttat, den Lohn von 85 Pfg. die Stunde, wie er im Tarif­ verttag normiert ist, stillschweigend annahm und auch sonst nach den Tarifbe­ stimmungen arbeitete. Nach Tren und Glauben mußte der Bell, auch nach diesem ganzen Verhalten annehmen, daß Kl. unter den allgemein üblichen Bedingungen arbeite. Nach dieser Rechtsauffassung, die der ständigen Praxis des Berliner GG. folgt, ist der Anspruch des Kl. unbegründet. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 363.)

357. Gilt der mit einem bestimmten Verbände geschlossene Tarifvertrag für die Angehörigen anderer Verbände ohne weiteres als Ortsgebrauch? Urteil des Schiedsgerichts der Bauinnung zu D a n z i g vom 10. September 1906.

Der Bell, ist zur Zahlung einer Lohnentschädigung von 45,36 Ml. verurteilt. Aus den Gründen: Der Kl. ist am 24. Februar 1906 von dem Polier B. auf dem Neubau des Bell, in Zoppot zur Arbeit eingestellt. Am nächsten Tage ist er auch zur Arbeitsstelle erschienen, aber nicht zur Arbeit zugelassen worden. Er beantragt, daher, mit der Behauptung, daß über Kündigung nichts vereinbart worden sei, den Bell, zur Zahlung einer Entschädigung für 12 Arbeits­ tage zu verurteilen. Der Bell, wendet ein, in Zoppot sei es ortsüblich, daß die Kündigung im Baugewerbe ausgeschlossen sei. Kl. erwidert, daß wenn ein solcher Ortsgebrauch tatsächlich existieren sollte, er sich jedenfalls nur auf die dem ch r i st lichen Verbände angehörigen Maurer beschränke, da die Zoppoter BauScbetreibenben mit diesen einen Taris abgeschlossen hätten, nach welchem die igung ausgeschlossen sei, während sie es ausdrücklich abgelehnt hätten, mit den anderen Verbänden angehörigen Arbeitern zu verhandeln. Der Einwand des Bell, ist nicht für erwiesen erachtet. Der mit dem christlichen Arbeiterverband abgeschlossene Vertrag genügt in dieser Hinsicht nicht. Vielmehr ist das Gericht der Ansicht, daß, wenn die Zoppoter Bauaewerbetteibenden allgemein jede Kündigung ausgeschlossen haben wollten, sie nicht nur mit dem christlichen Arbeiter­ verband, sondem auch mit den übrigen Arbeitewerbänden einen diesbezüglichen Berttag abschließen mußten. Da dem Kl., der, wie unbestritten ist, dem christ­ lichen Verbände nicht angehört, über Kündigung nichts vereinbart ist, galt für ihn die gesetzliche 14tägige Mndigung'). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 68.)

358. Gilt der im Tarifverträge normierte KündigungsauSschluß alS ortsüblich, wenn die beteiligte Arbeitgebervereinigung mit etwa 50% sämtlicher Arbeitgeber umfaßt? Urteil des GG. Mannheim vom 17. August 1906.

Das GG. hat die Frage vemeint. *) Vgl. auch GG. Berlin vom 12. November 1907 (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 13 Sp. 209; Reichsarbeitsbl. Jg. 6 S. 864), dagegen GG. Berlin, Kammer 3, vom 6. November 1903 (Reichsarbeitsbl. Jg. 2 S. 651), das mit Rücksicht darauf, daß der Verband, dem die Kl. angehören, verhältnismäßig Nein ist, den vom Zentralverband der Maurer geschlossenen Taris als Ortsgebrauch ansieht.

GO. Tit. VII < Tarifvertrag).

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Aus den Gründen: Es ist gerichtskundig, daß von den baugewerblichen Hilfsarbeitern Mannheims über 80% dem Zentralverbande angehören, daß da­ gegen die Bereinigung der Bau- und Maurermeister nur etwa % bis die Hälfte der baugewerblichen Arbeitgeber Mannheims, nämlich nur zirka 50 Baugeschäfte, umfaßt. Unter diesen Umständen kann davon, daß durch den Abschluß des ge­ nannten Tarifvertrages der Kündigungsausschluß in Mannheim schlechtweg orts­ üblich geworden sei für die baugewerblichen Hüfsarbeiter, keine Rede sein; es kann vielmehr nur eine relative Üblichkeit in dem Sinne angenommen werden, daß Hülfsarbeiter, welche bei einem der Arbeitgebervereinigung angehörenden Arbeitgeber beschäftigt sind, dem Kündigungsausschluß auch dann unterworfen sind, wenn sie dem genannten Arbeiterverbande nicht angehören; denn bei dem großen Überwiegen der organisierten Arbeiter kann dem Arbeitgeber, welcher den Tarifvertrag anerkannt hat, nicht zugemutet werden, im einzelnen Falle bei der Einstellung von Arbeitem immer festzustellen, ob der Einzustellende der Or­ ganisation angehört oder nicht; es wird vielmehr Sache des eintretenden Arbeiters fein, falls er den Kündigungsausschluß nicht wünscht, dem Arbeitgeber dies ausorücklich zu sagen. Dagegen kann ein Arbeitgeber, welcher der genannten Arbeit­ gebervereinigung nicht angehört, dem Tarifverträge nicht ohne weiteres (d. h. ohne daß er ihn sonstwie anerkannt hat) unterstellt werden. (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 12 Sp. 156.)

859. Gilt der im Tarifvertrag für ein Gewerbe normierte KündigungSausfchlutz als ortsüblich bei einem Bertrag mit einem Arbeitgeber, der weder dem Gewerbe noch der tariffchlietzenden Bereinigung angehört? Urteil des GG. Mannheim vom 15. Mai 1907. Der Kl. ist Orgelbauer. Im Oktober 1906 ist der Bell, auf eine Zeitungsannonce des Kl., in welcher dieser Schreiner suchte, beim Kl. vorstellig geworden und als Arbeiter eingestellt worden. Am 3. April 1907 verließ der Bell, ohne Kündigung seine Stelle, Kl. verlangt Entschädigung wegen Kontraktbruchs gemäß § 124 GO. Er behauptet, daß bei der Einstellung des Bell. über die Kündigungsfrist nichts vereinbart worden sei, und nimmt demgemäß die gesetzliche Kündigung des § 122 GO. in Anspruch. Der Bell, berust sich daraus, daß durch den Tarifvertrag, den die Schreinermeistervereinigung hier mit dem Deutschen Holzarbeiterverbande, Verwaltungsstelle Mannheim, abgeschlossen habe, der Kündigungsausschluß in Mannheim ortsüblich geworden sei. Das Gericht hat beschlossen, eine gutachtliche Äußerung der Schreinermeister­ vereinigung Mannheim einerseits und der Verwaltungsstelle Mannheim des Deutschen Holzarbeiterverbandes andererseits darüber zu erheben, ob der durch den genannten Tarifvertrag festgelegte Kündigungsausschluß für Mannheim derart ortsüblich geworden sei, daß er auch für Schreinergehilfen im Betriebe des Kl. — der weder eigentlicher Schrcinermeister, noch Mitglied der Schreinermeistervereinigung ist — Anwendung zu finden habe. Die gestellte Frage wird in beiden Gutachten bejaht.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Auf Grund der übereinstimmenden Gutachten darf angenommen werden, daß in Mannheim der Kündigungsausschluß für Schreinergehilfen tatsächlich ortsüblich geworden ist, also, wenn nichts Gegen­ teiliges ausdrücklich festgelegt ist, durchweg für alle Betriebe, welche Schreiner beschäftigen, zu gelten hat. Hiemach kann es nur noch darauf ankommen, ob der Bekl. sich mit Recht als Schreinergehilfen des Kl.s bezeichnet. Daß er gelemter Schreiner ist, wird ihm vom Kl. nicht bestritten. Dies zusammengehalten mit der Tatsache, daß der Bekl. auf eine Zeitungsannonce hin, in welcher Schreiner gesucht waren, beim Kl. einaetreten ist, gibt dem Bekl. nach Ansicht des Gerichts das Recht zu verlangen, daß er als Schreinergehilfe des Kl.s angesehen werde; es ändert daran nichts, wenn der Bell, vom Kl. nicht ausschließlich, vielleicht

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sogar nicht überwiegend mit Schreinerarbeiten beschäftigt worden sein sollte. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 257.)

360. Wirken Bestimmungen eines Tarifs über Außenarbcit auch zwischen solchen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die keiner der Tarisvertragskorporationen angehören? Urteil des GG. Hamburg vom 16. Dezember 1907. Kl. ist in der Zeit vom 21. bis 26. Oktober bei der Bell, als Tischlergeselle gegen einen vereinbarten Stundenlohn von 62 Pf. in Stellung gewesen. Er hat während dieser Zeit mehrere Tage, nämlich 55 Stunden, außerhalb der bell. Werkstätte gearbeitet, dafür aber nicht den nach seiner Meinung ihm zustehenden Lohnaufschlag von 5 Pf. pro Stunde in Gemäßheit Punkt 3 des Hamburger Tischlertarifs ausbezahlt erhalten, weil Bell, den Tarif nicht anerkennen will. Kl. hat beantragt, die Bell, zur Zahlung von 2,75 Mk. zu verurteilen: Bell, hat beantragt, die Klage abzuweifen. Über die zwischen den Par­ teien streitige Frage, ob der Arbeitsnachweis des Deutschen Holzarbeiterverbandes, durch welchen die Bell, den Kl. bekommen hat, nur solchen Arbeitgebern Gesellen zuschickt, welche den Taris anerkennen, sowie ob solches der Bell, bekannt gewesen sei, sind der Vorsteher des Arbeitsnachweises und der bell. Buchhalter als Zeugen vernommen worden.

Bell, ist vemrteilt. AusdenGründen: Aus der Aussage des Zeugen M. ergibt sich zwar, daß der Deutsche Holzarbeiter-Berband das Prinzip» hat, durch seinen Arbeits­ nachweis nur solchen Arbeitgebern Gesellen zuzuschicken, welche den Tarif an­ erkennen. Es ist aber nicht erwiesen, daß dieses Prinzip immer beobachtet worden und ob es der Bell, bekannt gewesen ist. Folglich kann sich Kl. auf das Prinzip des Holzarbeiter-Verbandes zur Begründung seiner Fordemng nicht berufen. — Die vom Zeugen M. geäußerte Meinung, daß der zwischen den Hamburger und Altonaer Tischlerinnungen, dem Arbeitgeberschutzverband der Holzindustrie von Hamburg und Nachbarstädten, sowie endlich dem Verein Hamburger Tischler­ meister einerseits und dem Deutschen Holzarbeiter Verband, Verwaltungsstelle Hamburg-Altona, andrerseits abgeschlossenenen Tarifvertrag ohne weiteres auch für Nichtmitglieder der genannten Korporationen, also auch für die Bell, bindend sei, ist allerdings nicht ganz zutreffend. Der angeführten Entscheidung eines süd­ deutschen GG. kann diesseits nicht beigetreten werden; durch die Tarifverträge werden an sich nur die Mitglieder der vertragschließenden Korporationen ver­ pflichtet und berechtigt. Immerhin können aber die Bestimmungen eines Tarifs auf die Rechtsbeziehungen auch zwischen solchen Arbeitgebem und Arbeitnehmem, welche keiner der Tarifvertrags-Korporationen angehören, von indirektem Ein­ fluß sein. Wenn nämlich über die Höhe des Lohnes nichts oder nichts Detaillier­ teres vereinbart ist, auch eine Taxe am Ort nicht besteht, so ist dem Arbeitnehmer der am Orte übliche Lohn zuzusprechen (§ 612 BGB ), und als ü b l i ch wird sehr oft derjenige Lohn anzusehen sein, welcher in einem am Orte geltenden Taris festgesetzt ist, namenllich dann, wenn solcher Taris nicht nur von einer veinen Anzahl von Arbeitgebem und Arbeitnehmem, sondem von der Mehrzahl der­ selben abgeschloffen, bzw. anerkannt ist. Bell, hat nun zwar mit dem Kl. einen Stundenlohn von 62 Pfg. ausdrücklich vereinbart, es ist aber nichts Spezielles darüber vereinbart worden, in welcher Weise Überstunden und Arbeitsstunden außerhalb der Werkstätte bezahlt werden sollten. Und in dem Tarifverttage, welcher von der großen Mehrheit der hiesigen Tischergeschäfte abgeschlossen, bzw. anerkannt ist, wird ohne Rücksicht auf die sonstige Höhe des Stundenlohns be­ stimmt, daß für Arbeitsstunden außerhalb der Werkstätte sowie für Überstunden Lohnaufschläge zu bezahlen sind. Hiernach sieht das Gericht es für hier am Orte

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üblich an, daß für Tischlerarbeiten, welche außerhalb der Werlstätte verrichtet werden, ein Aufschlag von 5 Pfg. pro Stunde bezaylt wird. Darauf, daß der ver­ einbarte regelmäßige Stundenlohn ein verhältnismäßig hoher gewesen sei, kann Bell, sich nicht berufen. Wollte sie sich dadurch von Zahlung von Lohnaufschlägen für Arbeiten außerhalb der Werkstätte befreien, so hätte sie dieses zum Ausdruck bringen müssen. Übrigens geht aus dem Umstande, daß Bell, unbestrittenermaßen für Überstunden tatsächlich den tarifmäßigen und üblichen Lohnaufschlag bezablt hat, klar hewor, daß durch die Vereinbarung des Stundenlohnes von 62 Mg. nicht die ganze Lohnfrage zwischen den Parteien geregelt werden sollte. Auf den von der Bell, angebotenen Beweis dafür, daß manche hiesige Geschäfte, namenüich solche wie das bell., keinen Aufschlag der hier fraglichen Art bezahlen, daß es also jedenfalls nicht ganz allgemein üblich sei, solchen Aufschlag zu zahlen, brauchte nicht eingegangen zu werden. Denn das Gesetz (§ 612 BGB.) erfordert keine Allgemeinüblichkeit, sondern nur Üblichkeit, und damnter ist die Praxis der Mehrheit der Geschäfte zu verstehen. Bemerk mag noch werden, daß Bell, sich auch nicht darauf berufen rann, daß sie keine handwerlsmätzige Tischlerei, sondem ein kaufmännisches Möbelgeschäft habe. Nicht auf die Art des Betriebes des Arbeitgebers, sondem auf die Art der Leistung des Arbeitnehmers kommt es in erster Linie an. Wenn ein gelernter Tischlergeselle angenommen wird, um Tischlerarbeiten zu leisten, so kann und darf er mangels ausdrücklicher ander­ weitiger Beredung erwarten, daß er für seine Leistungen die dafür üblichen Gegen­ leistungen erhalten würde. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 13 Sp. 165.)

361. (162.) Anwendbarkeit des Deutschen Buchdruüertarifs. bindend, wenn er nicht ausdrücklich abgeschlossen ist?

Ist er

Entscheidung des GG. Stuttgart. Der Bell, ist unter Zugmndelegung des Tarifs vemrteilt. Jg. 1 Sp. 36.)

(Gewerbegericht

862. (163.) Kann Ausschluß der Kündigungsfrist durch Kollektivvertrag vereinbart werden? Urteil des GG. Breslau vom 3. Ollober 1901.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 109.)

363. (164.) Kündigungsfrist im Kollektiv-Arbeitsvertrage. Gilt sie, wenn im Einzel-Ar-eitsvertrage nichts Abweichendes festgesetzt ist? Urteil des GG. Frankfurt a.M. vom 2.Mai 1901.

Das GG. erachtet mangels entgegenstehender Sonderabrede die Kündigungs­ frist des Kollellivvertrages für bindend. (Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 195.) *)

364. Kündigungsausschluß im Kollektivvertrage. Bindet er Mitglieder der beteiligten Organisationen, die den Kollektivvertrag nicht ausdrück­ lich anerkannt haben? Urteil des Abteilungs-GG. zu Alten-Essen vom 27. September 1905.

Kl. ist am 6. September bei dem Bekl. als Maurer in Arbeit getreten, hat jedoch schon am 12. September das Arbeitsverhältnis ohne gesetzlichen Grund und Kündigung ') Ebenso GG. Zittau v. 20. August 1908 (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 14 vp. 9).

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gelöst, weshalb ihm der Bell, den verdienten Lohn im Betrage von 42,31 Ml. als Schaden» ersah für Nichtinnehaltung der Istögigen Kündigung vorenthalten hat. Kl. flogt auf Zahlung dieses Betrages. Bell, ist verurteilt.

Aus den Gründen: Zwischen dem Arbeitgeberbund, dessen Mitglied Bell, ist, und der Organisation der Maurer, deren Mitglied Kl. ist, wurde durch die hierzu bestimmten Bevollmächtigten unterm 31. August v. M. ein Arbeits­ vertrag abgeschlossen, welcher int § 7 bestimmt, daß in den ersten 6 Tagen nach Arbeitsantritt (Probezeit) das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber wie vom Ar­ beiter jederzeit ohne Kündigung sofort gelöst werden könne. Der Tarifvertrag ist wie jeder andere Vertrag ein nach den Grundsätzen des Zivilrechts zu beurteilender Vertrag und ist der Inhalt desselben für diejenigen Personen bindend, wellte ihn abgeschlossen haben, sei es in Person oder durch Vermittelung von Bevollmächtigten, sowie für diejenigen, welche ihm nachträglich beigetreten sind oder ihn anerkannt haben. Da die Parteien zugestandenermaßen zur Zeit des Vertragsabschlusses — 31. Aug. 1905 — Mitglieder der vertragschließenden Verbände waren, darf bei Beurteilung der Rechtsfrage die in Betracht kommende Bestimmung des Ver­ trages nicht unbeachtet bleiben. Der Umstand, daß Bell., obwohl er Mitglied des Arbeitgeberbundes für das Baugewerbe ist, trotzdem den Vertrag nicht anerkannt haben will, sondem die gesetzliche Kündigungsfrist von 14 Tagen in seinem Betriebe handhabt, entbindet ihn nicht, solange denjenigen Verpflichtungen nachzukommen, deren Festsetzung er als Mitglied des betreffenden Arbeitgeberbundes durch rechtsgültige Mitgliederschaftserllämng diesem gegenüber in die Hände der Bevollmächtigten bzw. Ver­ treter desselben gelegt hat. Dem Kl. war vor Eingehung des Arbeitsverhältnisses bekannt, daß Bell. Mitglied des Arbeitgeberbundes für das Baugewerbe sei und ist er deshalb in dem sichern Glauben, daß der erst wenige Tage vorher abgeschlossene und dem Bell, von dem Verbände zugesandte Tarifvertrag auf sein Arbeitsver­ hältnis Anwendung finde. Es war daher zum mindesten schon eine moralische Pflicht des Bell., den Kl. auf das Gegenteil hinzuweisen. Dadurch würde die durch den Vertrag bestehende stillschweigende Vereinbamng aufgehoben worden sein. Da solches aber nicht geschehen ist, so muß der Tarifvertrag m Ermangelung entgegenstehender Vereinbarungen der Entscheidung des Gerichts zugmnde gelegt werden. Dies bezieht sich nicht nur auf solche Arbeitsbedingungen, für welche gesetzliche Dispositivvorschriften nicht bestehen, sondem auch auf die Kündi­ gungsfrist, denn wenn auch die gesetzliche Dispositivvorschrifr des § 122 GO. besteht, so ist doch nach allgemeiner Ansicht eine stülschweigende Vereinbamng anderer Kündigungsfristen nicht ausgeschlossen und muß für die Beurteilung der Rechts­ frage nicht nur allein die nackte gesetzliche Bestimmung, sondem auch, besonders aber im vorliegenden Falle, das moralische Rechtsgefühl mitsprechen, welches die gänzliche Auseinanderreißung bzw. Verwerfung solcher Kollektivverträge nicht billigen kann. Wird also von den Verbänden für bestimmte Orte ein sogenannter Kollektivarbeitsvertrag abgeschlossen, so muß nach den Grundsätzen von Treu und Glauben angenommen werden, daß sich wenigstens die Mitglieder dieser Ver­ bände solange dresen Normalbedingungen unterwerfen, als nicht von der einen oder anderen Partei (untergebens also Kl. und Bell.) das Gegenteilige deutlich zu erkennen gegeben ist. Diese juristische Konsequenz, die sich aus § 157 BGB. mit Notwendigkeit ergibt, nach dem alle Verträge nach Treu und Glauben auszulegen sind, erscheint auch völlig unbedenllich, zumal untergebens sowohl Arbeit8eber wie Arbeitnehmer nach eigener Angabe ganz genau über diese Vereinamngen unterrichtet waren, somit der Schluß aus ihrem Stillschweigen keinerlei Fiktion ist, sondem eine durchaus begründete Vermutung für sich har. Es müssen daher über Streitfälle zwischen Mitgliedem vertragschließender Verbände im Falle

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einer Unterlassung anderweitiger Bereinbamngen die Bestimmungen eines von ihren Bevollmächtigten abgeschlossenen Vertrags in der Hauptsache als rechts­ verbindlich angesehen werden. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 197.)

365. Bindet der Kündigungsausschluß im Berliner Banarbeitertarif ohne besondere Abrede auch einen von einer Banfirma angenommenen Schlosser? Urteil des GG. Berlin Kammer 5 vom 30. Dezember 1908. Der Kl. nimmt die gesetzliche Kündigungsfrist in Anspruch. Die Bell, wendet ein, daß ihre Firma als Baugeschäft dem Tarifverträge der Bauarbeiter unterstehe, und daß nach diesem Tarifverträge die Kündigungsfrist bei den Einzeldienstverträgen ausge­ schlossen sei. Der Kl. bestreitet, daß er dem Bauarbeiter-Tarifvertrag unterstehe, er sei als Schlosser eingestellt und lediglich durch den Tarifvertrag der Schlosser gebunden.

Die Bell, ist verurteilt. Aus den Gründen: Durch einen Tarifvertrag wird, wie durch jeden anderen Vertrag, nur derjenige gebunden, der in diesem Vertrage Pflichten über­ nommen hat (Lotmar, Arbeitsvertrag 1789; Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag II 31 f., 100 f.; Wölbling, Akkordtarifvertrag 370). Allerdings wird der Tarifvertrag regelmäßig mit der Maßgabe geschlossen, daß auch andere ihm beitreten können, d. h. die aus dem Tarifverträge sich ergebenden Pflichten übernehmen und damit Rechte aus dem Vertrage erwerben können (Lotmar, Arbeitsvertrag 1795; Sinz­ heimer, Arbeitsnormenvertrag II100 f.; Wölbling, Akkordtarifvertrag 386). Ein derartiger Beitritt braucht zwar nicht ausdrücklich erklärt zu werden, er genügt aber nicht ohne weiteres für die Annahme des Beitritts, daß eine dritte Person bei einem tarifvertraglich gebundenen Arbeitgeber in Arbeit tritt, daß er den Arbeitsnachweis der Tarifgemeinschaft benutzt, auch nicht, daß einem Arbeiter bei der Einstellung bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber gesagt wird, er werde als Arbeiter derjenigen Kategone eingestellt, für welche der Tarifverttag geschlossen wurde (Sinzheimer a. a. 0.23; Wölbling a. a. 0.386; Schall, Arbeitstarifverttäge 93 f.; Zeitler, Arbeitstarifverttag 100). Freilich können die ange­ gebenen Rechtshandlungen in Verbindung mit anderen Umständen den Beitritt zum Tarifvertrag begründen. Mer solche anderen Umstände werden im streittgen Falle nicht behauptet. — Als ein den Kl. bindender Vertrag kann sonach der Tarif­ verttag der Bauarbeiter nickt in Frage kommen. Der Tarifverttag kann aber unter Umständen als eine durch Übung entstandene allgemeine Regel für die Auslegung von Dicnstverttägen angesehen werden. Das ist zwar häufig für solche Dienstverttäge angenommen worden, welche zwischen den Parteien der Berliner Bau­ tarife geschlossen worden sind. Daß eine solche Übung aber auch für Dienstverttäge mit dritten Personen besteht, ist dem Gericht nicht bekannt. Die Bestimmungen der Bauarbetter-Tarifverttäge können also nur im vorliegenden Falle angewendet werden, wenn ihre Anwendung im Dienstverttäge vereinbart ist. Da es unter den Arbeitern Berlins im allgemeinen bekannt ist, daß die Bauarbeiter in ihren Tarifverträgen Ausschluß der Kündigungsfrist für ihre Dienstverttäge vereinbart haben, so würde der Wille der Prozeßpartecen, die Kündigungsfrist auszuschließen, genügend zum Ausdruck gebracht sein, wenn sie vereinbaren, daß die Bedingungen der Bauarbeiter gelten sollen. Das ist aber durch die Beweisaufnahme mcht bestätigt worden, auch nicht, daß ausdrücklich tägliche Kündigung vereinbart worden wäre. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 338.)

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366. (165.) Kündigungsausschluß durch Kollektivvertrag. auch den erst später zugezogenen Arbeiter?

Bindet er

Urteil des GG. Weimar vom 26. Juni 1902.

Das GG. erachtet den auf den Kollektivvertrag gestützten Einwand nicht als begründet **).

367. Gilt der im Tarifvertrag normierte Kündigungsausschlntz auch dann weiter, wenn ein unter Geltung des Tarifvertrages abgeschlossener Arbeitsvertrag nach Ablauf deS Tarifvertrages fortgesetzt wird? Urteil des GG. Würzburg vom 20. April 1910’).

Das GG. hat die Frage bejaht. Aus den Gründen: Kläger ist anfangs Februar 1910, sohin noch unter der Herrschaft des Tarifvertrags bei der Beklagten als Erd- und Bau­ hilfsarbeiter in Arbeit getreten; der Tarif sah gegenseitigen Kündigungsausschluß vor. Besondere Vereinbarungen sind mit dem Kläger bei dem Arbeitseintritt nicht getroffen worden, derselbe ist wie der Beklagte Mitglied einer der tarif­ gebundenen Organisationen. Die Bestimmungen des Arbeitsvertrages sind daher für beide Teile durch stillschweigenoe Bezugnahme auf den Tarifvertrag fest­ gesetzt worden. Tarifvertrag und Arbeitsvertrag sind aber verschiedene Begriffe und sind scharf auseinander zu halten. Nach Lotmar, der Arbeitsvertrag, I. Band, Seite 768, Leipzig 1902, versprechen sich im Tarifvertrag die Vertragschließen­ den einander weder Arbeit noch Vergütung, sie setzen vielmehr gemeinsam fest, daß, wenn es künftig zum Abschluß von Arbeitsverträaen kommt, diese Arbeits­ verträge den im Tarifvertrag vereinbarten Inhalt haben, z. B. die Vergütung von gewissem Betrag, die Arbeitszeit von gewissem Umfang, die Kündigung von sofortiger Wirkung. Durch den Tarifvertrag für sich wird weder ein Arbeit­ nehmer zur Arbeit, noch ein Arbeitgeber zur Vergütung verpflichtet, vielmehr muß die Zusage beider Leistungen erteilt, d. h. zwischen den Einzelindividuen, im Gegensatz zu den Organisationen, auch noch ein Arbeitsvertrag abgeschlossen worden sein. Der Arbeitsvertrag endet — soweit er nicht von vomeherein auf eine bestimmte Dauer abgeschlossen ist — mit Ablauf der für ihn geltenden Kündigungsfrist. Hat der Tarifvertrag wie hier keine Kündigung vorgeschrieben, so ist durch Abschluß des Arbeitsvertrags diese Bestimmung des Tarifvertrags als vertragliche Bestimmung über Kündigung in den Arbeitsvertrag ausgenommen worden. Endet nun der Tarifvertrag, so bedeutet das für die Kündigung nur, daß die Mitglieder der tarifgebundenen Organisationen beim Abschluß künftiger Arbeitsverträge nicht mehr verpflichtet sind, in diese den im bisherigen Tarif­ vertrag vorgesehenen Kündigungsausschluß aufzunehmen. Für die Kündigung des auf Grund des Tarifvertrages abgeschlossenen Arbeitsvertrages aber wird damit gar nichts geändert. Die Bestimmung über die Kündigung bleibt im einzelnen Arbeitsvertrag so lange enthalten, bis dieser selbst sein Erwe erreicht. Ist der Zeitpunkt seines Endes von vomeherein nicht bestimmt, so endet er erst mit dem Ablauf der in ihm enthaltenen Kündigungsfrist. Von dem Recht der Kündigung ist am 31. März, dem angeblichen Tage des Ablaufs des Tarif') Vgl. auch Nr. 354. *) Ebenso GG. Hamburg vom 29. Januar 1906 (Gewerbe- u. Kausmannsger. I-11 Sp. 240); GG. Mannheim vom 14. Februar 1909 (Gewerbe- u. Kaufmannsger. 1- 14 SP. 285).

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Vertrags, weder vom Kläger noch von der Bellagten Gebrauch gemacht worden und dämm ist der Arbeitsvertrag ohne Rücksicht auf das Fortbestehen oder Erlöschen des Tarifvertrages von den Streitstellen fortgesetzt worden, und zwar — mangels einer anderweitigen Abrede — unter selbstverständlicher Zugrundelegung der noch aus dem Tarifvertrag herrührenden Bedingungen, also auch die des gegenseitigen Kündigungsausschlusses. Der Tarifvertrag ist es zwar gewesen, der wie Lotmar sagt, den Arbeitsvertrag mit der Kündigungs­ frist „ausgestattet hat". Aber der Arbeitsvertrag hat durch seinen Abschluß ein selbständiges Dasein erlangt und führt dieses unabhängig von seinem Mutterboden, dem Tarifvertrag, fort. Das GG. Würzburg kommt daher aus den nämlichen Gründen wie das GG. Mannheim in seiner Entscheidung vom 14. Februar 1909 (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 285) zu dem Schluß, daß der im Tarifvertrag normierte Kündigungsausschluß auch dann weiter gilt, wenn ein unter Geltung des Tarifvertrages abgeschlossener Arbeitsvertrag nach Ablauf des Tarifvertrages fortgesetzt wird. Es war daher die Beklagte im vorliegenden Fall zur Auflösung des Arbeits­ vertrags ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist am 15. April berechtigt und Kläger kann die 14 tägige Kündigungsftist für sich nicht in Anspmch nehmen.

368. Wirkt der im Tarifvertrag normierte KündigungsauSschluß auch auf schon vorher bestehende Verträge? Urteil des Schiedsgerichts der Bauinnung zu D a n z i g vom 10. September 1906. Der Kl. ist vom 30. Mai bis zum 3. August 1906 im Baubetriebe des Bell. gegen einen Stundenlohn von 33 Ps. tätig gewesen und an diesem Tage ohne Kündigung ent­ lassen. Mit dem 20. Juli 1906 ist ein Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband für das Baugewerbe in Danzig und verschiedenen Arbeiterorganisationen in Kraft ge­ treten, nach welchem die Kündigung ausgeschlossen ist. Der Kl. ist Mitglied der an dem Kollektivvertrage beteiligten Arbeiterorganisationen, und es ist ihm seinerzeit der Vertrag von seiner Organisation übersandt. Er bestreitet jedoch, daß der Vertrag bezüglich der Kündigung aus ihn Anwendung finden könne, da er vor Inkrafttreten dieses Vertrages bei dem Bell, in Arbeit getreten sei. Damals hätte lätägige Kündigung bestanden, da Abweichendes nicht vereinbart gewesen sei. Die Klage auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. A u s d e n G r ü d e n : Es muß angenommen werden, daß nach dem mut­ maßlichen Willen der Parteien — auch für das zwischen ihnen bestehende Arbeits­ verhältnis — die bisher in Geltung befindliche Kündigungsfrist mit dem Inkraft­ treten des Kollektivvertrages aufgehoben ist. Jedenfalls wird man dies annehmen müssen, wenn wie vorliegend bis zum Ablauf der bisher geltenden Mndigungs­ frist nach Inkrafttreten des Kollektivvertrages von keiner Seite etwas Gegen­ teiliges erllärt ist. Denn wenn auch der Abschluß des Kollektivvertrages an den bestehenden Arbeitsverträgen an sich nichts ändem kann, so erfordert doch Treu und Glauben, daß diejenigen Mitglieder der beteiligten Organisationen, die sich für ihre Person der neuen Arbeitsbewegungen vor der Hand nicht unterwerfen wollen, dies deutlich zum Ausdruck bringen. Es liegt hier anders wie bei Erlaß eines neuen Gesetzes, das grundsätzlich die bestehenden Rechtsverhältnisse unberührt läßt, weil das neue Gesetz^nicht wie der Kollektivvertrag ohne weiteres als dem mutmaßlichen Willen der Parteien entsprechend angesehen werden kann. Hiernach konnte Kl. ohne vorherige Mndigung entlassen werden. (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 12 Sp. 114.)

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369. (166.) Sind die Bestimmungen deS Kollektiv-Ardeitsvertrages ver­ bindlich, wenn der Arbeiter bei seiner Annahme nicht auf ihn hinge­ wiesen worden ist und der Kollektivvertrag auch nicht auf der Arbeits­ stelle ausgehängt hat? Urteil des GG. Breslau vom 3. Juli 1901.

Das GG. erachtet den auf den Kollektivvertrag gestützten Einwand nicht als begründet.

370. (167.)

Ist mangels abweichender Bereinbarung der tarifmäßige oder der angemessene Lohn zu zahlen? Urteil des GG. Kiel vom 24. September 1902.

Der Beklagte ist zur Zahlung des tarifmäßigen Lohnes verurteilt *).

371. Sind die tarifmäßigen Löhne im Bauhandwerk auch bei Notstandsarbeiten zu bezahlen? Urteil des GG. Nürnberg vom 14.März 1910. Die Stadtgemeinde Nürnberg hat in den letzten Jahren mit großem Kostenaufwand Maßnahmen getroffen, um während des Mnters arbeitslose Personen gegen ent­ sprechenden Lohn zu beschästigen. Zu diesem Zwecke läßt die Stadtgemeinde Erdarbeiten, Kanäle usw. aussühren und schließt mit größeren Baugeschäften, an welche die Arbeiten vergeben werden, bezüglich der Einstellung und Verwendung der Arbeiter Verträge in der Weise ab, daß der Unternehmer verpflichtet ist, „Leute, die ihm vom städtischen Ar­ beitsamt zugewiesen werden, aufzunehmen und nach Leistung zu entlohnen". In der Zeit vom 15. Januar bis 5. Februar lsd. Jahres war der Kl., seinem Berus nach Schreiner und auch Mitglied des Deutschen Holzarbeiterverbandes, beim Mangel änderweiter Be­ schäftigung in seinem eigentlichen Beruf als Taglöhner bei den von der hiesigen Stadt­ gemeinde der Bell, übertragenen Winter- oder Notstandsarbeiten tätig. Der für 156 Ar­ beitsstunden an den Kl. ausbezahlte Lohn von 62,01 Mk., die Stunde teilweise zu 38 Pf., teilweise zu 40 Ps. berechnet, erscheint dem Kl. zu gering; er glaubt vielmehr auf den int Tarifvertrag für das Baugewerbe in Nürnberg-Fürth vom 1. April 1909 ab auf 45 Pf. für Bauhilfsarbeiter festgesetzten Stundenlohn Anspruch erheben zu dürfen und stellt beim GG. Klage gegen die Bell, auf Bezahlung des ihm hiernach zukommenden Rest­ betrages von 8,19 Mk. Die Bell, wendet ein, daß der Tarifvertrag für das Baugewerbe auf Notstands- (Winterarbeiten) nicht zur Anwendung kommen könne. Die Klage ist abgewiesen.

AusdenGründen: Das Gericht hat die Frage, ob an die bei Notstands­ oder Mnterarbeiten der Stadtgemeinde beschäftigten Arbeiter die in dem Tarifvertrag für das Mmberg- und Fürther Baugewerbe, gültig vom 1. April 1907 bis 31. März 1910, festgesetzten Stundenlöhne (Ziffer 2 des Vertrages) zu zahlen sind, vemeint; denn der Arbeitsvertrag, der im einzelnen Falle zwischen dem Arbeiter und dem Bauuntemehmer, der die Notstandsarbeiten ausführt, abgeschlossen wird, ist ein ganz anderer als er sonst unter den Beteiligten bei normalen Verhältnissen zustande zu kommen pflegt. Bei den Mnterarbeiten hat der Untemehmer die ihm von der Stadtgemeinde zugewiesenen arbeitslosen Personen zu beschäftigen; eine Auswahl unter chnen zu treffen und Personen zurückzuwetsen, ist dem Untemehmer nicht gestattet; er ist demzufolge m seiner Bewegungsfreiheit wesenüich behindert; er kann mcht einstellen, wen er will und mag, roiej dies sonst eine wesenüiche Voraussetzung beim

*) Ebenso GG. Berlin, Kammer 3, v. 23. Dezember 1903 (Reichsarbeitsbl. Jg. 2. S. 64). Vgl. auch Rr. 356, 372.

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Abschluß eines gewerblichen Arbeitsvertrages bildet. Gerade aber aus diesem Grunde, weil es sich bei den Winterarbeiten auf Seiten des Arbeitgebers um keinen auf der freien Vereinbarung beruhenden Vertrag handelt, kann der Arbeitgeber auch nicht für verpflichtet erachtet werden, die im Tarifvertrag fest­ gesetzten Löhne zu bezahlen; er hat weiter keine Verpflichtung, als die ihm nach dem Vertrag mit der Stadtgemeinde obliegende: die Arbeiter nach Leistung zu entlohnen. War dem Kl. daher bekannt, was nach dem Gange der Verhandlung feststeht, daß ihm vom städtischen Arbeitsamt eine Winter- (Notstands-) Arbeit angewiesen bzw. vermittelt wird, so konnte er bei der Bell, eine Entlohnung nach dem obenerwähnten Tarifvertrag nicht erwarten. War ihm der Lohn zu gering und hat er es auch, wie er behauptet, trotz Rellamation beim Bauführer nicht zu einem höheren Lohn bringen können, so hätte er das Arbeitsverhältnis lösen können, was ihm wegen beiderseitigen Ausschlusses der Kündigungfrist jederzeit freistand. Bei Notstands- (Winter-) Arbeiten, die tarifmäßigen Löhne zu Grunde zu legen, erscheint dem GG. aber umsoweniger angängig, als es sich hierbei um eine Tätigkeit sozialer Fürsorge handelt, die für die beteiligten Stadt­ gemeinden schon bedeutende Kosten verursacht, die aber durch Bezahlung tarif­ mäßiger Arbeitslöhne nicht auch noch wesenllich erhöht werden dürfen.

372. Gilt, wenn die Majorität der Arbeitgeber sich einem Tarifverträge unterworfen hat, der tarifmäßige Lohn als „übliche" Vergütung? a) Urteil des GG. Dortmund vom 24. Januar 1906. Der Kl. war bei der Bell, als Maurer beschäftigt. Ein Lohn ist zwischen den Par­ teien nicht vereinbart worden. Ms Kl. die Arbeit bei der Bell, verließ, zahlte ihm diese nur einen Stundenlohn von 48 Pf. aus. Indem der Kl. behauptet, daß er als üblichen und tarifmäßigen Lohn 53 Pf. zu beanspruchen habe, hat er auf Zahlung der Differenz Klage erhoben. Die Bell, macht geltend, daß sie sich dem Tarife nicht unterworfen habe. Der Höchstlohn, den sie an der hier fraglichen Baustelle bezahlt habe, betrage nur 50 Pf. pro Stunde. Da die Leistungen des Kl. erheblich gegen diejenigen der übrigen Maurer zurückgeblieben seien, halte sie den gezahlten Lohn von 48 Pf. für die Stunde angemessen.

Die Bell, ist verurteilt. AusdeuGründen: Wie unstrittig unter den Parteien ist, ist zwischen ihnen ein Preis für die Arbeitsleistung des Kl. nicht vereinbart worden. Gemäß § 612 Abs. 2 BGB. war somit, da eine „Taxe" für die hier in Frage kommende Arbeit nicht besteht, die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Als üblich aber muß diejenige Vergütung gelten, welche im allgemeinen für eine derartige Arbeit bezahlt zu werden pflegt. Nach dem Gutachten des Sach­ verständigen H. haben sich nun wohl zwei Drittel aller Arbeitgeber in Dort­ mund dem hier in Rede stehenden Tarife unterworfen. Es ist daher der in diesen Tarif festgesetzte Lohn als die übliche Vergütung zu betrachten. Der angemessene Lohn, den die Bell, zahlen will, würde erst dann in Frage kommen, wenn es an einem Maßstabe für die Feststellung der üblichen Vergütung fehle, indem in diesem Falle der Kl. gemäß § 316 BGB. die Höhe des Lohnes zu bestimmen, diese Be­ stimmung aber gemäß § 315 BGB. nach billigem Ermessen zu treffen hätte. Da nun unbestritten der Tarif ohne Rücksicht auf die Güte der Arbeitsleistung für Maurer einen Stundenlohn von 53 Pf. festgesetzt, so war dieser Betrag dem Kl. als übliche Vergütung zuzubilligen, ohne daß es darauf ankam, ob seine Leistungen erheblich gegen diejenigen der übrigen auf der Baustelle beschäftigten Maurer zurückgeblieben sind. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 218.)

b) Urteil des GG. Augsburg vom 19. August 1908. Zwischen dem Verbände der Arbeitgeber des Baugewerbes für Augsburg und Umgebung einerseits und den Zentralverbänden der Maurer und Bauhilfsarbeiter

Baum, ®eroetbegeitd)te.

18

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GO- Tit. VII (Tarifvertrag).

Deutschlands, Zweigverein Augsburg, andererseits wurde mit Gültigkeit vom 18. Juli d. I. ein Tarisvertrag für das Baugewerbe in Augsburg und den umliegenden Orten abgeschlossen. In diesem Vertrage ist als Stundenlohn für die Bauhilfsarbeiter ein Mindestbetrag von 35 Pf. festgesetzt. Aus Grund dieser Bestimmung klagt der Tagelöhner K. gegen den Maurermeister G. mit der Begründung, er sei vom 3. bis 8. August beschäftigt gewesen, eine Vereinbarung über die Lohnhöhe sei nicht getroffen worden, also gelte die tarifmäßige von 35 Pf. in der Stunde, demnach habe er noch 1,37 Mk. für 45 y2 Arbeits­ stunden zu fordern, da er nur 32 Pf. pro Stunde erhalten habe. Der Bell., der dem Arbeitgeberverbande nicht angehört, verweigert die Nachzahlung mit der Begründung, der Tarisvertrag habe für ihn, da er an dessen Abschluß nicht beteiligt gewesen sei, keine Geltung.

Der Bell, ist vemrteilt. Aus den Gründen: Rechtlich ist zu prüfen, ob der erwähnte Tarif­ vertrag auch für solche Arbeitgeber Geltung hat, die nicht Mitglieder des Verbandes der Arbeitgeber sind. Nach der bisherigen Rechtsprechung der GG. gelten die Bestimmungen der Tarifverträge dann als ortsübliche Arbeitsbedingungen für das ganze betreffende Gewerbe, wenn die Mehrzahl der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in dem betr. Bezirk dem Tarifvertrag sich unterworfen haben. Das ist hier der Fall, indem fast alle hiesigen Bau­ gewerbetreibenden und Bauhilfsarbeiter und Maurer den eingangs erwähnten Berufsverbänden angehören. Nach dieser Auffassung, der auch das erkennende Gericht beigetreten ist, gilt der Tarifvertrag daher für alle Baugewerbetreibende und alle Maurer und Bauhilfsarbeiter in Augsburg und Umgebung, gleichgültig, ob sie den vertragschließenden Organisationen angebören oder nicht. Es kann daher nicht in das Belieben einzelner Arbeitgeber gestellt werden, dadurch sich der Wirkung des genannten Tarifvertrages zu entziehen, daß sie demselben einfach nicht beitreten. Es steht ja dem Arbeitgeber jederzeit offen, durch Sondervereinbarung mit dem Arbeiter die Wirksamkeit der Tarif­ vertragsbestimmungen außer Kraft zu setzen. Hat er aber, wie es hier unbestritten der Fall ist, solche Vereinbarungen nicht getroffen, so ist auf die tarifmäßige Be­ stimmung zurückzugreifen *). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 191.)

373. Kann eine Arbeitsordnung durch Tarifvertrag außer Kraft gesetzt werden? Urteil des Kreis-GG. Moers, Kammer Homberg vom 19. April 1906.

Das GG. hat die Frage vemeint und die Klage auf Entschädigung wegen kündigungsloser Entlassung abgewiesen. Aus den Gründen: Zwischen dem Arbeitgeberbund für das Bau­ gewerbe in den rheinisch-westfälischen Industriegebieten und den dort bestehenden Arbeiterorganisationen des Baugewerbes ist am 31. August 1905 nach langen und mühevollen Verhandlungen in Essen ein Tarifvertrag (korporativer Arbeits­ vertrag) abgeschlossen worden. — Parteien erllären sich als Mitglieder der be­ treffenden Organisationen. — Dieser Tarifvertrag bestimmt in § 7 („Auflösung des Arbeitsverhältnisses"): „In den ersten sechs Tagen nach Arbeitsantritt (Probe­ zeit) kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber wie vom Arbeiter jederzeit ohne Kündigung sofort, gelöst werden. Nach Beendigung dieser Zeit beträgt die gegenseitige Kündigungsfrist eine Woche. Den örtlichen Organisationen der Arbeitgeber und Arbeiter bleibt es freigestellt, durch gegenseitige Vereinbarung *) Ebenso GG. Augsburg vom 19. August 1908 (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 361). (Geltung eines Tarifvertrages für das gesamte Baugewerbe, auch für den Tiefbau, wenn nur mindestens die Hälfte der gesamten Arbeitgeber im ganzen Baugewerbe sich angeschlossen haben.)

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die Kündigungsfrist zu verkürzen oder aufzuheben." In § 11 ist vereinbart: „A r beitsordnungen, welche gegen die Bestimmungen dieses Vertrages verstoßen, sind in allen abweichenden S’est,immungen ungülti g". — In der Arbeitsordnung der Bell., die vor dem Abschluß des Tarifvertrages vorschriftsmäßig erlassen ist, heißt es nun in § 3: „Kündigungen finden beiderseits nicht statt." — Diese Bestimmung weicht also von den Vereinbarungen des Tarifvertrages ab, und die Kl. sind daher der Ansicht, daß dieselbe gemäß dem oben angezogenen § 11 dieses Vertrages ungültig sei und daß ihnen daher, da sie schon mehrere Wochen bei der Bell, in Arbeit stehen, Anspmch auf die sechstägige Kündigung zustehe. Diese Ansicht ist aber irrig; denn nach dem klaren Wortlaut des § 134 c der GO. ist der Inhalt der vorschriftsmäßig erlassenen Arbeitsordnung für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich und dies kann durch keinerlei Vereinbamng, auch nicht durch Tarifverträge, aufgehoben werden. Denn wie der § 134 a Absatz 3 bestimmt, können Abänderungen des Inhalts der Arbeitsordnungen nur durch Erlaß von Nachträgen oder in der Weise erfolgen, daß an Stelle der bestehenden eine neue Arbeitsordnung erlassen wird. Beides ist hier nicht geschehen und daher ist die bestehende Arbeitsordnung nach wie vor rechtsverbindlich. Die Kl. mußten wissen, daß gemäß § 134 a der GO. in dem Betriebe der Bell, eine Arbeitsordnung vorhanden und daß diese gemäß § 134 c für sie rechtsverbindlich war, denn gesetzliche Bestimmungen werden als bekannt vorausgesetzt. Wenn sie das Arbeitsverhältnis nun nicht auf Grund dieser Arbeitsordnung eingehen wollten, sondem nur auf Gmnd des Tarifvertrages, so hätten sie dies bei Abschluß des Arbeitsvertrages erllären müssen. Da sie dies, allerdings in gutem Glauben, unterlassen haben, ist ihr Arbeitsvertrag mit der bellagten Firma tatsächlich nicht auf Gmnd des Tarifvertrages, sondem der noch rechtsverbindlichen Arbeitsordnung abgeschlossen. Es muß zugestanden werden, daß die Kl. wohl des Glaubens sein konnten, daß in dem Betriebe der Bell., die als Mitglied des kontrahierenden Arbeitgeberbundes den Tarifvertrag nicht nur akzeptiert hat, sondem auch selbst in dem vereinbarten Einigungsamt vertreten ist, die Bestimmungen dieses Vertrages uneingeschränkt gelten würden und es ist zu bedauern, daß die bellagte Firma den förmlich übernommenen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Sie hat weder ihre Arbeitsordnung den Bestimmungen des Vertrages angepaßt, noch ein Exemplar des Tarifarbeitsvertrages nebst ört«. licher Lohnliste in ihren Arbeitsstätten ausgehängt, wie dies in § 10 desselben vereinbart war. Ihre Behauptung, der Kündigungsausschluß sei auf Gmnd einer Vereinbamng der Hornberger örtlichen Organisationen erfolgt bzw. aufrecht er­ halten, gemäß § 7 des Vertrages, bemht auf einer irrtümlichen Auslegung dieses Paragraphen. Es ist lediglich im Schoß der Arbeitgeber Vereinigung ein entsprechender Beschluß gefaßt worden, der die V e r e i n b a r u n g nicht ersetzen kann. Zur Entschuldigung für die Bell, muß angeführt werden, daß ihr von einer örtlichen Organisation der Bauarbeiter nichts bekannt war. Nach Aussage der Kl. soll eine solche bestehen. Ist dieses der Fall, so wäre es Pflicht dieser Organisation gewesen, mit derjenigen der Arbeitgeber entsprechende Fühlung zu nehmen. Auch ist zu berücksichtigen die äußerst schwierige Lage der Untemehmer gegenüber ihren Ärbeitem mangels jeder festen Organisation, die den überwiegenden Teil der Arbeitnebmer in sich schließt, da ein großer, vielleicht der größere Teil der Bau­ arbeiter eine längere tägliche Arbeitsdauer verlangt, um die Zeit bis zum Winter gehörig auszunutzen und keine Kündigung wünscht, um jederzeit in die Heimat abreisen zu können; während ein anderer Teil auf Einhaltung der vereinbarten kürzeren Arbeitszeit und der Kündigungsfrist besteht. — An der Tatsache, daß die Bell, es versäumt hat, ihre Arbeitsordnung dem Tarifvertrag der ja eben einheit­ liche Verhältnisse schaffen wül, entsprechend umzugestalten, wird allerdings dadurch nichts geändert. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 284.)

GO- Tit. VII (Tarifvertrag).

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374.

Unter welchen Umständen verpflichtet Verletzung der dem Tarif­ verträge beigefügten Werkstattordnung zum Schadenersatz? Urteil des GG. Mannheim vom 11. November 1907.

Kl. arbeitete vom 5. bis 25. Oktober 1907 bei dem Bell, als Spenglergehilfe. § 3 des unterm 23. Juni 1905 zwischen dem Deutschen Metallarbeiterverband und der Freien Bereinigung selbständiger Spengler und Installateure Mannheims auf die Dauer von 3 Jahren abgeschlossenen, auch sür den Bell, maßgebenden Tarifvertrages bestimmt, daß der Lohn für einen Tag, nämlich für den Freitag, jeweils als Einhaltsgeld stehen bleibt, d. h., immer erst am Freitag der nächsten Woche zur Auszahlung gelangt. Aus diese Weise hatte auch Kl. beim Austritt 4 Ml. Einhaltsgeld stehen. Diese 4 Mk. sind dem Kl. verweigert worden und daher Gegenstand vorliegender Klage. Der Bell, begründet seine Zahlungsweigerung wie folgt: Kl. habe zusammen mit einem weiteren Spenglergehilfen am Neubau des zum neuen Landesgefängnis gehörigen Krankenhauses gearbeitet; die beiden hätten über die Mittagspause das Lötseuer auf dem Gerüst in der Nähe einer zu diesem gehörenden Gerüstleiter stehen lassen; infolge­ dessen sei an dieser Leiter der erste Leiterbaum vollständig durchgebrannt; für den Schaden sei er (Bell.) von der Eigentümerin des Gerüstes, der Firma M. u. E., in Höhe von 8 Mk. haftbar gemacht worden.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: 1. Es ist, wenn auch anzunehmen, so doch nicht bewiesen, daß Kl. und sein Mitarbeiter den Löwfen in solcher Nähe der Gerüstleiter haben stehen lassen, daß diese durch den Ofen gefährdet werden mußte; es ist mit der Möglichkeit (als einer nicht zu entfernt liegenden) zu rechnen, daß erst während der Abwesenheit der beiden von unbefugter Hand, etwa durch einen der von einem Zeugen erwähnten Gipser, der Ofen mit oder ohne Absicht, an die Gerüst­ leiter hingestellt wurde. Aus solcher Annahme würde sich aber noch nicht die Schuld­ losigkeit des Kl. und seines Mitarbeiters an dem entstandenen Schaden ergeben. Ein Verschulden — wenn auch nur ein mittelbares — bliebe vielmehr auch in diesem Falle insofern, als die beiden, entgegen der Vorschrift der Ziffer 3, Abs. 3 ihrer Werfftatwrdnung, den Löwfen überhaupt auf dem Gerüst haben stehen lassen. Die Werfftatwrdnung ist als „ergänzende Bestimmung" seitens der Arbeitervereinigung dem Tarifverträge hinzugefügt worden; dieser Zusatz zu dem Tarifverträge wurde bei dessen Abschluß vor dem Gewerbegerichtsvor­ sitzenden unter Zustimmung der Arbeitnehmervertreter ausdrücklich Vorbehalten; die Werfftatwrdnung ist demnach für die Arbeiter verbindlich. Nach der klaren und nachdrücklichen Bestimmung dieser Werfftatwrdnung (an der oben zitierten Stelle) hätten nun Kl. und sein Mitarbeiter den Löwfen während der Mittagspause vom Gerüst herabnehmen und entfernt von demselben („isoliert") aufstellen müssen; wäre dies geschehen, dann hätte die Gerüstleiter nicht beschädigt werden können; denn die Erwägung, daß ja auch dann ein Dritter den Ofen wieder von dem Boden aus das Gerüst an die Leiter hin hätte stellen können, liegt so weit ab, daß mit ihr praktisch nicht gerechnet zu werden braucht. — Die beiden haben also, wenn nicht unmittelbar, so jedenfalls mittelbar den Schaden des Bell, dadurch verschuldet, daß sie der ihnen durch die Werfftatwrdnunb auferlegten Verpflichtung fahr­ lässigerweise nicht nachgekommen sind; für dieses, wenn auch nur mittelbare, Verschludert haben sie nach § 276 BGB. aufzukommen. Es mag fein, daß die fragliche Bestimmung der Werfftatwrdnung fast nie beachtet wird; sie ist dadurch nicht beseitigt, und der Arbeiter, der sie nicht beachtet, tut dies auf eigenes Risiko. — Die Demmg des Schadens seitens des Bell, durch Aufrechnung ist, da es sich um stehengebliebenen Lohn (Einhaltsgeld) handelt, zulässig. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 13 Sp. 57.)

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375. Tarifvertrag mit Organisationszwang. Ist der Arbeitsvertrag anfechtbar, wenn der Gehilfe verschwiegen hat, daß er nicht organisiert ist? Verstößt der Organisationszwang gegen die guten Sitten? Urteil des GG. Magdeburg vom 9.Juli 1908. Der Kl. ist auf Grund schriftlich geführter Verhandlungen am 1. Juli 1908 bei der Bekl. als Chemigraph in Arbeit getreten ohne Abrede einer vom Gesetz abweichenden Kündigungsfrist. Die Bekl. ist Mitglied des Bundes der chemigraphischen Anstalten Deutschlands; der Kl. gehört der Arbeitnehmerorganisation des chemigraphischen Gewerbes nicht an. Im chemigraphischen Gewerbe besteht zwischen der Prinzipals- und der Ge­ hilfenorganisation ein Tarifvertrag, zu dessen Ergänzung am 14. September 1903 fol­ gender Beschluß — Nr. 1 der „Weiteren Beschlüsse und Resolutionen" vom 14. Sept. 1903 — gefaßt worden ist:

„Die organisierten Chemigraphen im Verein der Lithographen, Stein­ drucker und verwandten Berufsgenossen Deutschlands erklären, daß sie nur in anstalten Beschäftigung nehmen, die dem Bunde der chemigraphischen Anstalten Deutschlands ängehören, und andererseits werden die Bundesprinzipale nur solche Gehilfen beschäftigen, welche Mitglieder der obengenannten Organisation sind." Nachdem der Kl. am 1. Juli einige Stunden bei der Bekl. gearbeitet hatte, wurde er von einem Mitgehilfen nach seinem Verbandsbuch befragt. Da so festgestellt wurde, daß er nicht Mitglied der Gehilfenorganisation war, erklärte ihm die BeN., daß sie ihn, wofern er nicht sofort Mitglied der Organisation würde, nicht beschäftigen könne; er soNe sich nach anderer Arbeit umsehen. Als Vergütung für die geleistete Arbeit hat ihm die Bekl. 2,50 Mk. bezahlt, der vereinbarte Tagesarbeitslohn betrug 5 Mk. Der Kl. hat sich daraufhin nach anderer Arbeit umgesehen und noch am 1. Juli mit der Firma S. in M. einen Arbeitsvertrag zum 2. Juli früh abgeschlossen, die Arbeit dort aber nicht angetreten. Der Kl. behauptet, daß es ihm bei der Firma S. ebenso gegangen sein würde wie bei der Bekl., und glaubt, deshalb zum Antritt der Arbeit bei S. der BeN. gegenüber nicht verpflichtet gewesen zu sein. Er beansprucht Lohn für 2 Wochen mit 60 Mk. abzüglich der empfangenen 2,50 Mk. und, da er nun mit Rücksicht auf die in Aus­ sicht stehend dauernde Stellung von Berlin nach Magedeburg gekommen sei, Ersatz der Reisekosten. Die Bekl. hält den Anspruch des Kl. mit Rücksicht auf die Tarisbestimmung für unbegründet. Sie behauptet, der Kl. habe sowohl diese Tarisbestimmung gekannt wie auch gewußt, daß sie dem Bunde der chemigraphischen Anstalten Deutschlands angehöre, er sei früher selbst organisiert gewesen. Sowohl die Prinzipals- wie die Gehilsenorganisation umfaßten fast das gesamte Gewerbe in Deutschland. Sie behauptet ferner, die Firma S. beschäftige Nichtorganisierte Gehilfen.

Die Bekl. ist zur Zahlung von 2,50 M. verurteilt worden; im übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Aus den Gründen: Der Arbeitsverttag zwischen dem Kl. und der Bekl. ist rechtsgiltig. Es ist zunächst ausgeschlossen, daß durch den Beschluß vom 14. September 1903 alle dieser Tarifvereinbarung widersprechenden Arbeitsverträge unmittelbar zu nichtigen geworden wären. Die Rechtsgiltigkeit von Arbeitsverträgen beruht auf allgemeinen gesetzlichen Vorschriften; entgegen­ stehende Abmachungen können, da sie nur Verttäge, aber keine Gesetze sind, nur die Verttagsparteien, also die Angehörigen der Prinzipal- und Gehilfenorgani­ sation, nicht aber außerhalb des Bertragsbandes stehende Dritte verpflichten. Da nun aber, wie dem Gericht bekannt ist, die vertragschließenden Organisationen im chemigraphischen Gewerbe fast das gesamte Gewerbe Deutschlands umfassen, so war zu prüfen, ob nicht etwa mittelbar als Gewerbebrauch der Inhalt des Tarifverttages auch für Nicht-Organisierte von Rechtsbedeutung ist. In gleicher Weise gelten Handelsgebräuche gemäß § 346 Handelsgesetzbuches unter Kaufleuten zwar nicht als Gesetz oder (Gewohnheitsrecht, wohl aber als vermuteter

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Parteiwitte; wer einen Vertrag nicht entsprechend dem Handelsbrauch abschließen will, muß den abweichenden Willen erkennbar machen. Ebenso nimmt das Gericht an, daß der Inhalt von Tarifverträgen, wofern er tatsächlich in einem bestimmten Bezirk zum Älgemeinen Gewerbebrauch geworden ist, in diesem Bezirk auch den

Nichtparteien des Tarifvertrages gegenüber als Gewerbebrauch von Rechts­ bedeutung sein kann. Es bedurfte indessen keiner weiteren Prüfung, ob im all­ gemeinen der Inhalt des Tarifvertrages als Gewerbebrauch für das chemigraphische Gewerbe Magdeburgs anzusehen ist. Denn der Beschluß vom 14. Sep­ tember 1903 kann seinem eigenen Inhalt nach nicht als Gewerbebrauch gelten. Da er sich in seiner Wirkung gegen die außerhalb der Organisation stehenden Gewerbezugehörigen richtet, so kann er nicht für das ganze Gewerbe maßgebend werden; es kann kein Parteiwille dahin vermutet werden, daß die Vertragschließen­ den die Nichtigkeit des Vertrages gewollt daben: Dieses aber wäre die Folge für Nichtorganisierte, wenn die Bestimmung als Gewerbebrauch gelten würde. Wenn weiter die Bell, behauptet, der Kl. habe die fragliche Bestimmung des Tarifvertrages gekannt und auch gewußt, daß sie organisiert sei, so war zu prüfen, ob er sie durch das Verschweigen seiner Nichtzugehöriakeit zur Organisation nicht arglistig getäuscht hat; es wären alsdann, falls die Behauptungen der Bell, nachgewiesen würden, die Voraussetzung der Anfechtung wegen arglistiger Täu­ schung oder die Anwendbarkeit der Einrede aus der unerlaubten Handlung (§ 853 BGB.) zu untersuchen gewesen. Zunächst erhob sich der Zweifel, ob überhaupt durch Schweigen eine arglistige Täuschung verübt werden kann. Wofern der Kl. die vertragliche Verpflichtung der Bell, gekannt hat, konnte die Frage nicht grund­ sätzlich verneint werden; Treu und Glauben hätten im Regelfall erfordert, daß der Kl. seine Nichtzugehörigkeit zur Organisation mitteilte. Dieser Regelfall aber liegt im zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit darum nicht vor, weil, wie das Gericht annimmt und weiter unten begründet wird, die fragliche Tarifvertrags­ bestimmung am 14. September 1903 gegen die Gmndlagen unserer Kultur und damit nach der Sprache des Gesetzes gegen die guten Sitten verstößt. Es kann von niemanden verlangt werden, daß er einem anderen ungefragt über solche Tatsachen Mitteilung macht, die auch für den andern, weil sie vor der Rechts­ ordnung nicht bestehen, von rechtlicher Erheblichkeit nicht sind, oder nicht sein dürfen. Es kann insbesondere eine derartige Mitteilung ohne vorherige Frage solchen Personen billiger Weise nicht zugemutet werden, gegen die sich die nichtige Vertragsbestimmung, wenn auch wohl nicht ihrem Zweck, so doch ihrer Wirkung nach richtet. Für streng juristische Betrachtung stellt sich die Rechtslage folgender­ maßen: Wenn sich die eine Anfechtung begründende arglistige Täuschung auch grundsätzlich nicht auf solche Umstände zu beziehen braucht, die einer objek­ tiven Prüfung ihrer Wesentlichkeit standhalten, so kann sich doch die Täuschung nicht auf einen solchen Umstand beziehen, den der Getäuschte selbst nicht berM sichtigen darf, ohne gegen die von der Rechtsordnung und den guten Sitten ge­ schützten Güter zu verstoßen. Der im § 817 Absatz II BGB. in einem Sonderfall ausgesprochene Grundsatz, daß die Rechtsordnung nicht den 511 schützen hat, der durch seine, eigene gegen das Recht oder die guten Sitten verstoßende Handlung Schaden erleidet, beherrscht das gesamte Recht. ^»Das Gericht geht, wie schon erwähnt, von der Annahme aus, daß die oben wiedergegebene Tarifbestimmung vom-14. September 1903 gegen die Gmndlagen unserer Kultur, die die persönliche Freiheit gewährleisten, und somit nach dem Ausdmck des Gesetzes gegen die guten Sitten verstößt. Sobald, wie dies im chemigraphischen Gewerbe der Fall ist, die tarifvereinbarenden Organisationen fast das gesamte Gewerbe Deutschlands umspannen, stellt eine Bestimmung des Tarifverttages wie die oben wiedergegebene, die Nichtorganisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Regelfall durch stärksten wirtschaftlichen Zwang vor die

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Notwendigkeit, den Organisationen beizutreten. Diese Wirkung mag nicht be­ zweckt sein; es kommt aber darauf nicht an, wofem sie tatsächlich mit Notwenoigkeit eintreten mußte, und daher auch vorherzusehen war. Es ist hier nicht die Stelle, zu erörtern, ob das Mrken der Organisation überhaupt und die Schaffung von Tarifverträgen insbesondere segensreich ist. Jedenfalls kann keinem Zweifel unterliegen, daß Tarifverträge zwischen Organisationen im allgemeinen recht­ lich Mässig sind. Die hier in Betracht kommende Einzelbestimmung aber verletzt den an der Basis unserer Kultur stehenden Gmndsatz der Freiheit des einzelnen, well sie geeignet ist, den einzelnen gegen seinen Willen durch wirtschaftliche Not zum Eintritt in eine Organisation, zur Eingliederung seiner Persönlichkeit in eine Gesamtpersönlichkeit, wie sie jede Organisation darstellt, zu zwingen, und verstößt damit gegen die guten Sitten. Die Rechtsordnung selbst bringt den Gmndsatz von der Freiheit des einzelnen im gewerblichen Leben in den §§ 152,153 RGO. an Sonderfällen zu gesetzlichem Ausdmck. Das Gericht ist nicht etwa der Ansicht, daß auch Vertragsbestimmungen, die den einzelnen im wirtschaftlichen Leben nötigen, nach festgelegten objektiven Gmndsätzen zu verfahren, gegen die Grundlagen der Kultur verstoßen; die Festlegung solcher objektiver Gmndlagen, die der Bekämpfung sogenannter Schmutzkonkurrenz und anderen be­ rechtigten Zwecken des Gewerbes zu dienen bestimmt sind, ist sicherlich zulässig. Der Verstoß gegen die von der Kultur und der Rechtsordnung gewährleistete Freiheit des einzelnen beginnt aber in dem Augenblick, wo der Zwang sich nicht nur auf die Befolgung objektiver Gmndsätze richtet, sondem den einzelnen nötigt, durch Eintritt in die Organisation mit seiner Person für die Sache einzutreten. Jeder Eintritt in eine Organisation oder einen Verein irgend welcher Art nötigt den einzelnen, wofem er ein ehrlicher Mann sein wlll, mit seiner Person voll für die Sache der Organisation oder des Vereins einzutreten. Ein Zwang zum Eintritt aber ist, wofem die vertragschließenden Organisationen eine erheb­ liche Mehrheit im Gewerbe umfassen, durch eine Bestimmung gleich der vom 14. September 1903 mit Notwendigkeit gegeben. Der Unterschied zwischen dem, was das Gericht für zulässig hält, und dem, was als Verstoß gegen die Gmnd­ lagen der Kultur keine Anerkennung finden kann, tritt mit großer Klarheit in den verschiedenen Fassungen hervor, die der vielumstrittene § 4 des Vertrages, be­ treffend die Tarifgemeinschaft der deutschen Buchdmcker vom 18. Juni 1906, gesunden hat. Die ursprüngliche Fassung nöügte ganz analog der hier behandelten Bestimmung (außer einigen aoschwächenden Nebenbestimmungen) die Mitglieder der Prinzipalsorganisatton, nur Mitglieder der Gehilfenorganisatton einzustellen, und die Mitglieder der Gehilfenorganisation, nur bei den Mitgliedern der Prin­ zipalsorganisatton in Arbeit zu treten. Die abgeänderte Fassung vom 10. Dezem­ ber 1907 beschränkt die Verpflichtung der Mitglieder der Prinzipalsorganisatton darauf, nur taristreue Gehilfen zu beschäfttgen, und die Verpflichtung der Mit­ glieder der Gehilfenorganisatton darauf, nur in tariftteuen Buchdmckereien in Arbeit zu treten. Während von der ursprünglichen Fassung mit Mcksicht auf die Ausdehnung der vertragschließenden Organisationen das Gleiche gilt, was über die Bestimmung des Tarifverttages der Chemigraphen vom 14. September 1903 gesagt ist, verpflichtet die nunmehr geltende Fassung die Mitglieder beider Organi­ sationen nur zur Befolgung objektiver Gmndsätze. Die Tarifverttagsbestimmung vom 14. September 1903 verstößt somit gegen § 138 BGB. und ist also nichttg. Es bedarf noch einer weiteren die Ansicht des Gerichts genau abgrenzenden Feststellung. Es steht selbstverständlich im Belieben jedes einzelnen Arbeitgebers, nur Angehörige bestimmter Gehilfenorganisattonen zu beschäfttgen, und jedes Arbeitnehmers, nur bei Angehörigen bestimmter Prinzipalsorganisattonen in Arbeit zu treten; das ist ebenfalls eine Folge der persönlichen Handlungsfreiheit

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jedes einzelnen. Infolgedessen kann jeder Arbeitgeber vor Abschluß des Arbeits­ vertrages sich erkundigen, ob der stellungsuchende Arbeitnehmer einer bestimmten Organisation angehört. Gibt der Arbeitnehmer eine unrichtige Antwort auf solche Frage, so kann der Arbeitgeber den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten. So liegt der zur Entscheidung stehende Streitfall aber nicht; denn die Bekl. hat den Kl. nicht gefragt. Die Bell, stützt ihre Einrede vielmehr darauf, daß dem Kl. ihre vertragliche Verpflichtung, nur Organisierte einzustellen, bekannt gewesen sei. Diese vertragliche Verpflichtung aber ist ein Gegensatz zu dem auf freien Willen bemhenden Entschluß, irgend einen Arbeiter nur einzustellen, wenn er organisiert ist, aus den oben dargestellten Gründen nichtig. Es besteht ja nun allerdings (wofern man einen psychischen Vorgang so zerreißen kann) die Mög­ lichkeit, daß der Wille der Bell., nur Organisierte einzustellen, nicht nur auf der nichtigen Vertragsverpflichtung, sondem auch auf freiem Entschluß beruht hat. Soweit aber dann der auf freiem Entschluß bemhende Wille in Frage kommt, kann keinesfalls in dem Schweigen des Kl. eine arglistige Täuschung erblickt werden. Denn ein auf freiem Entschluß beruhender Wille ist jeden Augenblick abänderbar, wird eigentlich für jeden einzelnen Fall neu gebildet. Der Kl. konnte daher, selbst wenn ihm bekannt war, daß die Bell, früher nur Organisierte eingestellt hat, unmöglich wissen, soweit der freie Entschluß der Bell, in Frage kam, ob sie auch seine Einstellung von der Zugehörigkeit zur Organisation abhängig machen würde, und hatte sonach für den Fall, daß es sich nur um den freien Willen der Bell, handelte, nach den Grundsätzen von Treu und Glauben keine Veranlassung, un­ gefragt mitzuteilen, daß er der Organisation nicht angehörte. Nach alledem war der Arbeitsvertrag zwischen dem Kl. und der Bell, nicht anfechtbar und also auch die Einrede aus 8 853 BGB. nicht gegeben. Sondem der Arbeitsvertrag war rechtsgiltig. Gleichwohl konnte der Anspruch des Kl. nur wegen des Tagelohns für den 1. Juli, von dem die Hälfte überdies bereits bezahlt war, als begründet anerkannt werden. Denn der Kl. war gemäß §324 BGB. ver­ pflichtet, in das von ihm abgeschlossene neue Arbeitsverhältnis bei der Firma S. einzutreten, und zwar gleichgültig, ob die Firma S. zur Organisation gehört oder nicht, denn gehört sie zur Organisation, so war der neue Arbeitsvertrag des Kl. mit ihr aus den gleichen Gründen rechtsgültig, aus denen es der Vertrag mit der Bell. war. Der Kl. konnte also, wenn er die Arbeit bei S. antrat, in jedem Fall für die in Bewacht kommenden 14 Tage seinen Lohn von S. fordem. Der Anspruch auf Erstattung der Reisekosten ist nicht hinreichend begründet, ihm steht auch der Umstand entgegen, daß der Kl. Gelegenheit gehabt hat, in Magdeburg weiter zu arbeiten.

6. Arbeitsvermittlung. (376—380). 376. (168.) Fällt dem Arbeitsnachweis nur die Aufgabe zu, Arbeiter dem Arbeitgeber nachzuweifen, oder hat er auch den Abschluß des Ver­ trages zu vermitteln? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 6. Bell, ist zur Lohnzahlung an den ihm vom Arbeitsnachweis zugesandten, von ihm aber nicht eingestellten Schlächtergesellen vemrteilt.

b) Urteil des GG. Charlottenburg vom 26. Januar 1904. Der Bell, hatte bei dem paritätischen Facharbeitsnachweis für das Dachdecker- und Leitergerüstbaugewerbe zu Berlin am 31. Oktober 1903 Dachdeckergesellen bestellt. Am 3. November wurde ihm vom Nachweis der Kl. zugeschickt. Dieser meldete sich beim

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Bell, vormittags zwischen 11 und 12 Uhr, traf jedoch Bell, nicht an und meldete sich dann nochmals gegen 4 Uhr nachmittags. Nunmehr erklärte ihm der Bell., er habe leinen Bedarf mehr an Dachdeckergesellen, da er bereits am Tage vorher drei eingestellt habe. Darauf beanspruchte der Kl. Entschädigung für die verloren gegangene Arbeitszeit, welche jedoch vom Bell, verweigert wurde. Daraus versah der Bell, den ihm vom Kl. vorgelegten Kontrollschein des Arbeitsnachweises mit dem Vermerk: „Ich konnte bis dato nicht warten, denn ich habe am Montag bereits drei Mann eingestellt. Ich bitte, mir vorläufig niemand niehr zu stellen, da alles besetzt ist." Der Kl. beansprucht nun mit der Behauptung, daß der Arbeitsvertrag durch die Zuweisung seitens des Arbeitsnachweises zustandegekommen sei, wegen seiner Nichteinstellung eine Entschädigung von 5,40 Mk.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Es handelt sich um die Frage, ob der Arbeits­ nachweis als Bevollmächtigter beider Parteien, des Arbeitgebers wie des Arbeiters, den Arbeitsvertrag abschließt, oder ob er nur dem Arbeitsuchenden eine Stelle nachweist, wo er um Arbeit anfragen kann, sodaß erst durch die Nachfrage zwischen Arbeitsuchendem und Arbeitgeber und die dabei erfolgende Einigung über das Arbeitsverhältnis der Arbeitsvertrag zustande kommt. In der Regel ist davon auszugehen, daß der Arbeitsnachweis nur das ist, was sein Name besagt, nämlich ein Ort, wo sich Angebot und Nachfrage begegnen und wo dem Arbeitslosen die­ jenigen Stellen nachgewiesen werden, wo er sich um Arbeit bemühen kann. Die Frage, ob abweichend von dieser Reste! der Nachweis den Arbeitsvertrag für beide Parteien abschließt, ist in jedem einzelnen Fall nach der Geschäftsordnung und den übrigen Verhältnissen des Nachweises zu entscheiden. Wenn ein Arbeitsnachweis mit dem Wschluß des Arbeitsvertrastes beauftragt wäre, so würde der Bertrast gemäß § 122 GO. auf 14 Tage abgeschlossen sein und es hätte nunmehr der Arbeitgeber nicht die Möglichkeit, vor Ablauf von 14 Tagen mit dem Arbeiter eine andere Kündigungsfrist zu vereinbaren und der Arbeiter ?ätte bei Verwewemng der Einstellung Anspruch auf Zahlung des Lohnes für 4 Tage und ebenso hätte der Arbeitgeber, wenn dem Arbeiter die Arbeitsverhält­ nisse oder seine Mitarbeiter nicht gefielen und er die Arbeit nicht aufnähme, mmbestens Anspruch auf den ortsüblichen Tagelohn für eine Woche. Das würde zu ganz unhaltbaren Zuständen führen und erstibt sich daraus, daß es eines besonderen Auftrages in jedem Falle oder einer dahingehenden Festsetzung in dem Statut oder der Geschäftsordnung eines Nachweises bedarf, um ihn zum Wschluß der Arbeitsverträge zu bevollmächtigen. Im vorliegenden Fall ist zunächst die vom Kl. überreichte Geschäftsordnung des paritätischen Arbeitsnachweises maß­ gebend. Dieselbe sagt in Nr. 5: „Hat ein Arbeitsloser die ausgeschriebene Stelle angetreten, dann ist der Nachweis mittels eines vom Nachweis gestellten Formulars davon zu be­ nachrichtigen, um die Streichung aus der Liste der Arbeitslosen vorzunehmen." Diese Bestimmung ergibt, daß der Arbeitsvertraa erst durch die Rücksprache des Arbeiters mit dem Arbeitgeber geschlossen wird. Denn sonst bedürfte es einer Mtteilunst an den Nachweis über die erfolgte Einstellung nicht mehr, weil ja durch die Mitteilung an den Arbeiter, daß der ihm benannte Arbeitgeber einen Arbeiter des betreffenden Gewerbes brauchte, schon zustande gekommen wäre. Daß diese Ansicht auch bei der Wfassung der Geschäftsordnung seitens der beteiligten Kreise vorgelegen hat, ergibt ferner die Nr. 10, in welcher es heißt: „Die Arbeitgeber übemehmen die Verpflichtung, ihren Bedarf an Kräften nur durch Vermittlung des Nachweises einzustellen." Wäre der Nachweis zum Wschluß des Arbeitsvertrastes bevollmächtigt, so hätte diese Nr. 10 dahin lauten müssen, daß die Arbeitgeber die Annahme von Arbeitern dem Arbeitsnachweis übertragen bzw. daß sie ihn zum Wschluß ihrer Arbeitsverträge bevollmächtigen.

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GO. Tit. VII (Arbeitsvermittlung).

Somit ist auch im vorliegenden Falle zwischen den Parteien ein Arbeitsvertrag überhaupt nicht zustande gekommen und kann daher der Kl. auf Gmnd dieser seiner Behauptung die Bezahlung für einen Tag nicht verlangen. Ebensowenig kann er Schadensersatz wegen seiner Nichteinstellung verlangen, denn da der Bell, nicht verpflichtet war, ihn einzustellen, ist auch ein Schaden durch die Schuld des Bell, glicht entstanden x). (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 169.)

377. (169.) Müssen die Parteien die vom Bermittler vereinbarte Kün­ digungsfrist gegen sich selbst gelten lassen? Urteil des GG. Berlin, Kammer 6, vom 24. April 1903.

Das GG. hat die Frage bejaht. (Soziale Praxis)^).

378. (170.) Ist der vom Arbeitsnachweise ausgestellte und vom Arbeiter dem Arbeitgeber ausgehandigte Stellenschein bindend? Urteil des GG. Berlin, Kammer 6, vom 3. März 1903.

Das GG. erachtet die auf den Stellenschein gegründeten Einwendungen für begründete.

379. Ist der Arbeitgeber schadenersatzpflichtig, wenn er die ihm vom Arbeiter übergebene ArbeitSnachwetSkarte verliert. Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 15.Juni 1905.

Der Bell, hatte den Kl. als Klempnergesellen durch Bermittelung des Arbeits­ nachweises der Berliner Metallindustriellen engagiert und erhielt infolgedessen vom Kl. beim Dienstantritt eine Arbeitsnachweiskarte übergeben, auf der sich ein aufgedruckter Vermerk befand, inhaltsdessen der Arbeitgeber, der einen Arbeiter durch Bermittelung des Nachweises engagiert, ersucht wird, die Nachweiskarte dem Arbeitsnachweis zurück­ zusenden. Der Bekl. hat die Karte aber nicht an den Nachweis gesandt, sie vielmehr verloren; Anzeige davon hat er vier Tage nach Entlassung des Kl. dem Arbeitsnachweis erstattet. Der Kl. behauptet, daß er ohne die Karte keine andere Arbeit habe finden können, während er sonst solche sofort gesunden hätte, und verlangt daher eine Entschädi­ gung in Höhe des ihm entgangenen Lohnes von 21,60 Mk. Das Gericht vemahm den Generalsekretär des Arbeitgeberverbandes als Zeugen und verurteilte den Bellagten. Aus den Gründen: Dadurch, daß der bell. Arbeitgeber die ihm von dem Arbeiter übergebene Arbeitsnachweiskarte stillschweigend behielt, etklärte er sich damit einverstanden, gemäß der aufgedruckten Vorschrift des Arbeits­ nachweises zu verfahren. Andernfalls mußte er die Karte dem Arbeiter zurück­ geben, statt ihn in dem Glauben zu lassen, daß er der aufgedmckten Vorschrift entsprechend verfahren würde. Ob der Arbeitgeber dem Verbände der Metall­ industriellen angehört oder sonst in einem rechüichen Verhältnis zu dem Arbeits­ nachweis steht oder nicht, ist in dieser Hinsicht gleichgültig, da er lediglich durch das Behalten der Karte eine Verpflichtung gegenüber dem Arbeiter eingeht. Daher ist die Frage erheblich, ob der Arbeiter, im vorliegenden Falle der Kl., ohne den Besitz der Karte nicht wieder beim Arbeitsnachweis eingestellt werden konnte. Nach der Zeugenaussage begnügt sich der Arbeitsnachweis allerdings mit der Vorlegung eines Enllassungsscheines, um den Arbeiter wieder einzuschreiben,

*) Ebenso GG. Berlin vom 6.- Januar 1903 und 14. November 1902 (Reichsarbeitsbl. Jg. 1 S. 137). ’) Bgl. auch Nr. 462.

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wenn dem Arbeiter die Karte abhanden gekommen ist. Auch im vorliegenden Falle ist so verfahren worden. Der Mchweis, daß die Karte verloren gegangen war, ist aber erst 4 Tage nach der Meldung des Kl. bei dem Zeugen dem Arbeits­ nachweis zugegangen. Bei diesem Sachverhalt nimmt das Gericht an, daß dem Bell, eine von ihm zu vertretende Fahrlässigkeit zur Last fällt. Der Bell, hätte, nachdem die Karte verloren gegangen war, von sich aus Schritte untemehmen müssen, um einen dem Kl. etwa aus dem Verlust der Karte entstehenden Schaden zu verhüten. Das Gericht nimmt ferner an, daß dem Kl. durch die Nichtzulassung zum Arbeitsnachweis an 4 Tagen ein Schaden insoweit entstanden ist, als er an diesen 4 Tagen keine Arbeit erlangen konnte, während er als gelernter Klempner zu der fraglichen Zeit durch Bermittelung des genannten Nachweises sofort hätte Arbeit finden können. Dies folgert das Gericht aus der großen Zahl insbesondere großer Untemehmer, welche dem Verbände der Industriellen in Berlin angehören, und welche sich verpflichtet haben, nur durch die Bermittelung des Nachweises Arbeiter zu beziehen. Der Mchweis der Unmöglichkeit bei Nichtverbandsmitgliedem Arbeit zu finden, kann dem Kl. mit den bestehenden Verhältnissen nicht zugemutet werden. Im übrigen hat auch der Bell, die Tatsache des Schadens an sich nicht bestritten, sondem nur die Zurückführbarkeit desselben auf seine Schuld. (Reichsarbeitsbl. Jg. 5 S. 276.)

380. Ist der Arbeitsnachweis eines Unternehmerderbandes schaden­ ersatzpflichtig wegen Nichteinstellung eines Arbeiters? Ist für die Klage das GG. zuständig? Urteil des GG. Magdeburg voni 11.März 1907. Am 14. Februar 1907 suchte der Kl. bei der einen Bell. (Maschinenfabrik) um Arbeit nach. Der dort in der Modelltischlerei angestellte Meister R. erklärte dem Kl., daß er am folgenden Montag antreten könne, er müsse aber zuvor zu dem Arbeitsnachweis und zum Arzt gehen. Zugleich händigte er dem Kl. einen gedruckten Schein mit folgendem Inhalt aus: „Überbringer dieses, der Modelltischler Sch. hier, hat bei uns um Arbeit' nachgesucht." Mit diesem Schein begab sich der Kl. zu dem Arbeitsnachweis, dem andem Bell., hier wurde ihm aber erllärt, daß er die Bestätigung nicht erhalte. Am 18. Februar erhielt der Kl. aus Anfrage den Bescheid von dem Direktor S., dem Vorsitzenden des Verbandes der Metallindustriellen Magdeburgs, daß eine Bestätigung nicht erteilt werde. Kl. behaupte der Metallindustriellen Magdeburgs, daß eine Bestätigung nicht erteilt werde. Kl. be­ hauptet, er sei in der Zeit vom 14. bis 18. Februar nicht in der Lage gewesen, sich nach anderer Arbeit umzusehen, die Bell, seien deshalb verpflichtet, ihn für den entgangenen Arbeitsverdienst zu entschädigen. Er sei bereits von dem Meister R. fest angenommen, dieser habe nur erst das Werkzeug zurecht machen lassen und ihn für den kommenden Montag bestellt. Der Kl. beantragt, die Bell, unter Gesamthastbarkeit zu verurteilen, an ihn 12 Mk. zu bezahlen. Die Bell, beantragen Abweisung der Klage. Der bell. Arbeitsnachweis erhebt in erster Linie den Einwand, daß das GG. unzuständig sei, weil der Arbeitsnachweis keine Gebühren erhebe und daher ein gewerbliches Untemehmen nicht vorliege. Die bell. Fabrik behauptet: Der Meister R. sei zur Annahme von Arbeitem ohne den von dem Arbeitsnachweis auszustellenden Ausweis überhaupt nicht berechtigt. Es sei auch dem Kl. bekannt gewesen, daß er bei ihr nur Arbeit erhalte, wenn er den Schein vom Arbeitsnachweis bringe. Die Einstellung eines Arbeiters hänge auch noch von der ärztlichen Untersuchung ab.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Das Gericht hat seine Zuständigkeit auch gegen den Arbeitsnachweis für gegeben angesehen. Es ist zwar richtig, daß im allgemeinen

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GO. Tit. VII (Arbeitsvermittlung). § 105 a.

ein Arbeitsnachweis, der für seine Tätigkeit keine Gebühren erhebt, der Zuständig­ keit des Gewerbegerichts nicht unterliegt. Mein die Sachlage ist hier doch eine wesentlich andere, als wenn es sich um einen lediglich gemeinnützigen Arbeits­ nachweis handelt. Der Verband der Metallindustriellen hat den Arbeitsnachweis doch nur im Interesse sämllicher beteiligten Fabriken eingerichtet, der Arbeits­ nachweis bildet einen integrierenden Bestandteil des Gewerbebetriebes, dessen Zwecken er dienen soll. Es kommt deshalb hier nicht in Betracht, daß Gebühren nicht erhoben werden. — Die Klage ist aber an sich nicht begründet. Es fehlt an der wesenüichsten Voraussetzung, daß bereits ein gültiger Vertrag zustande gekommen ist. Wie der Kl. selbst zugibt, war ihm bekannt, daß er die Bestätigung des Arbeits­ nachweises einzuholen hatte. Es ist also das Zustandekommen des Vertrages in beiderseitigem Einverständnis davon abhängig gemacht, daß die Bestätigung durch den Arbeitsnachweis erfolgte. Da diese Bedingung nicht erfüllt ist, so liegt kein Vertrag vor. Es kann deshalb auch gegen keinen der Bell, ein Schadenersatz­ anspruch wegen Nichterfüllung geltend gemacht werden. Welche Gründe der bell. Arbeitsnachweis hatte, die Bestätigung zu versagen, kommt nicht in Be­ tracht. Es liegt in seinem freien Willen, ob er den Verttagsschluß herbeiführen will oder nicht. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 225.) Titel VII rm einzelnen.

381. Kann ein gegen Wochenlohn beschäftigter Barbiergehilfe für die dnrchgearbeitete gesetzliche Ruhezeit Extralohn beanspruchen? Urteil des GG. Hamburg vom 15. April 1909. Kl. war bis zum 22. März 1909 bei dem Bell, als Barbiergehilfe in Stellung. Er behauptet, Bell, habe während 15 Wochen den ihm wöchentlich zustehenden freien halben Tag nicht gewährt, sondern ihn im Geschäft arbeiten lassen, hierfür schulde er gemäß Jnnungsbeschluß je 2 Ml. Kl. beantragt, den Bell, zur Zahlung von 30 Mk. zu ver­ urteilen.

Bell, ist verurteilt. Aus den Gründen: Unstreitig ist zwischen den Parteien, daß dem Kl. während 15 Wochen der ihm nach der Bekanntmachung des Senats vom 27. März 1895 und dem Erlaß der Polizeibehörde vom 1. April 1895 zukommende freie halbe Tag nicht gewährt worden ist, und daß der Kl. während dieser Zeit im Ge­ werbebetrieb des Bell, als Gehilfe gearbeitet hat. Der Bell, hat sich damit gegen die §§ 105e und 146a der GO. vergangen und strafbar gemacht. Es ist davon auszuaehen, daß der Kl. gegen einen Wochenlohn von 17 Mk. beschäftigt war, ohne daß eine besondere Nebenabrede bestand. Für diese 17 Mk. ist Kl. lediglich verpflichtet, höchstens die gesetzlich erlaubte Arbeitszeit in der Woche zu arbeiten. Die an den fraglichen halben freien Tagen geleistete Arbeit hat Bell, dem Kl. also nicht vergütet. Auf diese Dienstleistungen kann die Fiktion des § 612 BGB. keine Anwendung finden, da diese nur in Bettacht kommt, wenn über die Dienstleistung ein Berttag geschlossen ist. Es würde allerdings durch die Leistung und Annahme der Dienste an den freien Tagen stillschweigend ein Verttag zustande kommen können; dieses ist aber nur dann angängig, wenn rechllich die Möglichkeit besteht, hierüber einen gültigen Verttag abzuschließen. Das Gericht hat diese Frage vemeint. Denn da dem Arbeitgeber auf Grund der oben erwähnten Bestimmungen bei Sttafe verboten ist, an den freien halben Tagen den Gehilfen zu beschäftigen, ist ein stillschweigender oder ausdrücklicher Berttag gemäß § 134 des BGB. nichttg. Wenn auch oie Leistung des Kl. nicht verboten ist, so verstößt doch die Annahme seiner Dienste gegen § 105e der GO. Da die Annahme der Dienste für das Vorhandensein des Verttages ein not-

GO. § 105 a.

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wendiger unzertrennbarer Teil desselben ist, so verstößt dieser selbst gegen das Berbotsgesetz. Nichtigkeit des Vertrages tritt in jedem Fall dann ein, wenn eine der Willenserklärungen gesetzlich unzulässig ist. Der Ansicht von Sigel, Arbeits­ vertrag, S. 42 ff., daß ein solcher Vertrag gültig ist, weil das Gesetz, nämlich die GO., etwas anderes ergibt, kann nicht beigetreten werden. Denn lediglich daraus, daß die GO. durch die Bestimmungen die Arbeiter schützen will und sie nicht für strafbar erllärt, wenn sie zur gesetzlich verbotenen Zeit arbeiten, folgt nicht, daß die GO. dem Arbeiter einen vertraglichen Anspmch in diesem Fall geben will. Wenn ein Vertrag über Arbeitsleistungen in der gesetzlich verbotenen Zeit gültig wäre, so müßte man dem Arbeiter auch einen llagbaren Anspmch auf Erfüllung, d. h. darauf geben, während dieser Zeit beschäftigt zu werden. Dann würde der Schutz der Arbeiter wiedemm illusorisch werden. Es ist aber nicht denkbar, daß dasselbe Gesetz einerseits zivilrechllich eine vertragliche Verpflichtung des Arbeit­ gebers zulassen und andererseits strafrechtlich die Erfüllung dieser Verpflichtung verbieten will (vgl. RG. Bd. 51 S. 401, Bd. 66 S. 43ff.; Lotmar, Arbeitsver­ trag II S. 377; Berger-Wilhelmi, Kom. zu § 105a GO.). Trotz Nichtigkeit des jedesmal stillschweigenden abgeschlossenen Vertrages hat das Gericht den Anspmch des Kl. für rechtlich begründet erllärt. Allerdings ist ein Schadenersatzanspruch, weil der Bell, ein den Schutz eines anderen be­ zweckendes Gesetz verletzt hat (§ 823 Abs. 2 BGB.) oder weil er auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hatte (§§ 309,307 BGB ), nicht gegeben, da der Kl. durch die Verrichtung der Arbeit keinen Schaden erlitten hat, es sei denn, daß er nach­ weisen würde, daß er zur selben Zeit andere Arbeit gehabt und diese versäumt hat. Dagegen ist der Anspmch aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereichemng berechtigt. Da eine Verpflichtung zur Leistung an den freien halben Tag nicht bestand, hat der Bell, durch die llägerische Arbeitsleistung einen Vorteil erlangt, auf den er rechtlich keinen Anspmch hatte. Zweifellos recht­ fertigt die Leistung von Diensten in Ermangelung eines Rechtsgmndes eine Klage auf Herausgabe des Erlangten. Denn es genügt, daß die Bereichemng des Bell, auf K o st e n des Kl. geschehen ist, ohne daß diesem ein positiver Ver­ mögensbestandteil entzogen zu sein braucht. Der Ausdmck „auf Kosten" ist gerade mit Rücksicht auf die Fälle, in denen es sich nicht um die Entziehung eines wirk­ lichen Bermögensbestandteiles handelt, an die Stelle des im ersten Entwurf zum BGB. enthaltenen Worte „aus dem Vermögen" gesetzt worden (vgl. Jur. Wochen­ schrift 1903 Bbl. S. 142; Sachs. Archiv Bd. 14, S. 390; Staudinger, Oertmann, Komm, zu § 812 ff.; Lotmar, Arbeitsvertrag Bd. I S. 82 ff.).

Gerade für Fälle vorliegender Art hat das BGB. die Vorschrift des § 817 aufgestellt. Grund der Vorschrift ist nach den Motiven (II, S. 849) der auf feiten des Empfängers der Leistung in der Annahme liegende Verstoß und die darin sich osfenbarende Auflehnung gegen die guten Sitten und die öffentliche Ordnung. Um im Volksleben den Sinn für gute Sitten und das Interesse der öffentlichen Ordnung zu stärken, ist überall, wo der Empfänger der Leistung mit den guten Sitten uno der öffentlichen Ordnung sich in Widerspruch setzt, die Pflicht zur

Herausgabe vorgeschrieben. Der Bell, hat im vorliegenden Rechtsstreit durch die Annahme der an sich erlaubten Dienste des Kl. zu einer gesetzlich unerlaubten Zeit gegen ein Berbotsgesetz verstoßen; Zweck der llägerischen Leistung war also, dem Bell. Dienste zu leisten, deren Annahme dem Bell, zurzeit ihres Angebots verboten war. Damit sind die Voraussetzungen des § 817 des BGB. gegeben, dessen Anwendung Lotmar (Arbeitsvertrag II, S. 379, Anm. 1) mit Unrecht vemeint. Merdings hat der Kl. die Möglichkeit, seinen Anspmch auch auf § 812 des BGB. zu stützen; dies schließt aber die Anwendung des § 817 BGB. nicht aus, da beide Ansprüche dann konkurrieren. Bei Zugrundelegung des § 817

286

GO. §§105a, 107.

hat Kl. noch rechtlich den Vorteil, daß ihm der § 814 des BGB. nicht entgegen­ gehalten werden kann, daß er gewußt hat, daß er zur Leistung nicht verpflichtet war. Trotzdem also dem noch streitigen Klaganspruch ein Arbeits vertrag nicht zugrunde liegt, hat das Gericht seine Zuständigkeit bejaht; denn die dem Bell, als Arbeitsgeber obliegende Leistung war als „Leistung aus dem Arbeitsverhältnis" zu bezeichnen, so daß das GG. nach § 4 des GGG. über den Rechtsstreit zu ent­ scheiden hat. Weiter hat das Gericht die Frage geprüft, ob darin, daß Kl. 15 Wochen lang seinen Lohn für die an den freien Tagen geleistete Arbeit vor seiner Entlassung nicht gefordert hat, ein Verzicht zu erblicken ist. Die Behauptung des Kl., daß er bereits nach 5 Wochen Lohn für diese halben Tage verlangt, aber nicht erhalten habe, ist mangels Beweisantretung und bei dem Bestreiten des Bell, unbeachtlich. Das Gericht ist zur Bemeinung der obigen Frage gekommen. Daraus, daß er nichts verlangt hat, kann allein ein Verzicht nicht gefolgert werden. Verzichte

können nicht vermutet werden. Gmnd des Schweigens kann nämlich auch darin bestanden haben, daß der Kl. dem Nachteil der vielleicht drohenden Entlassung entgehen wollte und deshalb seine Forderung verschob, bis seine Stellung bei dem Bell, beendet war. Solange er Entlassung geltend gemacht werden müsse und später unzulässig ei (Gewerbegericht Jg. 8, Sp. 78) Hätte der Gesetzgeber die Absicht ge­ habt, das Verlangen eines Zeugnisses auch später noch als statthaft zu erklären, so hätte er dies doch einfach dadurch zum Ausdmck bringen können, daß er sagte: „Nach Abgang, bzw. nach der Beendigung"; oder er hätte die Worte „oder später" einschalten können. Jedenfalls scheint es viel zu weit zu gehen, roemt das GG. Burg eine fast unbegrenzte Zeit (30 Jahre) für das Nachverlangen eines Zeugnisses annimmt. Es ist doch ausgeschlossen, daß ein Arbeitgeber nach län­

gerer Zeit über die Fühmng und Leistung irgendeines seiner früheren Arbeiter noch so orientiert ist, daß er darüber ein Zeugnis ausstellen kann, und es wäre daher ungerecht, ihm dies zuzumuten. Es kann dies unmöglich der Stolle des Gesetzgebers gewesen sein. — Aber selbst wenn sich das Gericht in der vorliegenden Sache auf den entgegengesetzten Standpunkt hätte stellen wollen, so hätte es doch zur Abweisung der Klage kommen müssen. Kl. hatte bei seinem Abgänge einen Enllassungsschein mit Angaben über die Art und Dauer seiner Beschäftigung erhalten, und ein anderes Zeugnis nicht verlangt. Der Bell, hatte seiner gesetz­ lichen Verpflichtung also genügt, und es konnte ihm nicht zugemutet werden, nach Monaten noch ein Zeugnis über Fühmng und Leistung des Kl. auszustellen. Es war sein guter Stolle, daß er es im Termine noch getan hat, obgleich Kl. sich keine besondere Mühe zur Erlangung des Zeugnisses gegeben hat., (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jahrg. 12 Sp. 155.)

395. Ist der Anspruch auf ein Zeugnis berechtigt, wenn der Arbeiter es erst einen Monat nach Austritt fordert? Kann die Verweigerung damit begründet werden, daß das Zeugnis dem Arbeiter nur Nachteile bringen würde? Urteil des GG. der Stadt Leipzig vom 14. Aug. 1908.

Die Bell, ist zur Ausstellung des Zeugnisses vemrteilt. Nach der gesetzlichen Bestimmung der RGO. in § 113 Abs 2 ist auf Ver­ langen des Arbeiters das Zeugnis auch auf seine Fühmng und Leistungen auszu­ dehnen. Nach dem Worllaut im Abs. 1 wird regelmätzigerweise der Arbeiter dieses Verlangen sofort bei Lösung des Arbeitsvertrages stellen. Das kommt in der Gesetzesbestimmung auch durch die Worte „beim Abgänge" zum Ausdmck. Allein, diese soziale Bestimmung ist, wie in der Jndikatur anerkannt ist, nicht in dem Sinne auszulegen, daß nach Lösung des Dienstvertrages dieses Verlangen nicht mehr rechtsschutzbedürftig wäre. Mr wird man nach allgemeiner Rechts­ auffassung das nachträgliche Abfordern des Zeugnisses nur solange als berechtigt anerkennen können, als dem Arbeitgeber die Möglichkeit der Abgabe eines Urteils noch zugemutet werden kann *)• Das ist im vorliegenden Falle, wo nur eine Frist von etwas über einen Monat verstrichen ist, zu bejahen. In dieser Hinsicht sind von der Bell, auch keinerlei Einwendungen erhoben worden. Die Bell, motiviert ihren Abweisungsantrag allein damit, daß ein Zeugnis, das sich auf die Fühmng und Leistungen des Kl. erstreckt, nachteilig für den Verlangenden sein könne. Diese Rechtsauffassung ist eine irrtümliche. Das folgt aus der Daten Bestim­ mung des § 113 RGO., wonach der Arbeiter das Recht hat, in jeglichem Falle die Erstreckung des Zeugnisses auf Fühmng und Leistungen zu verlangen. Dies hat wahrheitsgemäß zu erfolgen. Bon Erteilung nur guter Zeugnisse ist und soll im Gesetz gar nicht die Rede sein. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14. Sp. 265.)1) *) Ebenso Amtsgericht Hamburg vom 6. Januar 1909 (Gewerbe- ». mannsger. Jg. 14 Sp. 374). Vgl. auch Nr. 393, 394.

Kauf­

GO. § 113.

293

396. (180.) Mutz der Arbeiter, der nur ein Zeugnis über seine Führung verlangt hat, ein Zeugnis annehmen, daS sich auch über die Leistungen ausspricht? Urteil des Reichsgerichts, 1. Zivilsenat, vom 22. Mai 1897. Das RG. hat die Frage vemeint. Nr. 27.)

(Juristische Wochenschrift 1897, S. 350

397. (181.) Kann der Arbeiter, dessen Zeugnis aus sein Verlangen auf Führung und Leistungen ausgedehnt ist, die Streichung beanspruchen, auch wenn er die Unrichtigkeit nicht behauptet? Urteil des GG. Dresden vom 29. Januar 1900. Tas GG hat die Frage vemeint.

(Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 219.)

398. Dars der Arbeitgeber das Zeugnis als „Entlassungsschein" be­ zeichnen? Ist er verpslichtet, zu bescheinigen, datz der Arbeiter „auf eigenen Wunsch" austritt? Urteil des GG. Mannheim vom 9. April 1906. Dem Kl. stellte die Bell, einen „Entlassungsschein" aus, worin bestätigt ist, daß Kl. „ordnungsmätzig ausgetreten". Kl. wünscht, 1. daß die Überschrift „Entlassungs­ schein" durch das Wort „Zeugnis" ersetzt werde, 2. daß in dem Zeugnis ihm auch attestiert werde, daß er auf „eigenen Wunsch" bei der Beb. ausgetreten sei. Dem ersten Antrag ist stattgegeben, der zweite ist zurückgewiesen.

AusdenGründen: Die Fordemng Zisf. 1 ist begründet. Nach § 113 GO. und § 630 BGB. hat der Arbeitnehmer Anspmch auf ein „ Zeugnis Wenn das Gesetz damit auch kaum hat sagen wollen, daß die hiernach vom Arbeit­ geber auszustellende Urkunde stets die Überschrift „Zeugnis" wagen müsse, so kann doch im vorliegenden Falle dem Anspmch des Kl. auf Beseitigung des Wortes „Entlassungsschein" und auf Ersetzung durch das Wort „Zeugnis" die Berechti­ gung nicht abgesprochen werden, da nicht zu verkennen ist, daß die Überschrift „Entlassungsschein" leicht den unrichtigen Eindmck hervormfen könnte, Kl. sei von der Bell, kündigungslos entlassen, oder es sei i h m von der Bekl. — nicht, wie in Wahrheit, der Bekl. von ihm — gekündigt worden. Unbegründet ist da­ gegen das Verlangen Zisf. 2. Weder § 630 BGB. noch § 113 GO. verpslichtet den Arbeitgeber, in dem Zeugnis anzugeben, ob das Arbeitsverhältnis durch den Arbeiter oder den Arbeitgeber gelöst worden ist. Man kann allenfalls sagen, daß der Arbeitnehmer seinen „ordnungsmäßigen" Austritt als Bestandteil der guten Führung bezeugt verlangen kann, wie dies seitens der Bekl. auch bezeugt worden; darüber hinaus aber geht die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers nicht, wenn es auch richtig ist, daß bei der Besetzung von Stellen die Arbeitgeber auf die Bescheinigung des Austritts „auf eigenen Wunsch" in den seitens der Stellen­ suchenden vorgelegten Zeugnissen häufig großen Wert legen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 331.)

399. (182.) Ist es unzulässig, wenn der Arbeitgeber in dem Zeugnis die Bemerkung „auf Wunsch ausgestellt" hinzufügt? Urteil des GG. Frankfurt a.M. vom 17.April 1902.

Der Arbeitgeber ist zur Streichung des Zusatzes vemrteilt.

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GO. § 113.

400. (183.) Darf der Arbeitgeber im Zeugnis bemerken, daß er zur Ausstellung desselben verurteilt worden ist? Darf er die -nie Führung lediglich „auf Grund der Zeugenaussagen im Prozesse" bescheinigen? Beschluß des Reichsgerichts 6. Senat, vom 20. November 1899. Die Aufnahme der Bemerkungen in das Zeugnis ist für unzulässig erachtet. (Seufferts Archiv Bd. 55, S. 1231) *).

401. Hat ein Bautechniker in unselbständiger Stellung und ohne aka­ demische Borbildung Anspruch, daß ihm im Zeugnis der Titel „Architekt" beigelegt wird? Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsenat, vom 19. Mai 1906. Der Kl. A. hat von 1901—1905 im bautechnischen Bureau der beklagten Regierung gearbeitet und dann ein Zeugnis erhalten, in welchem er als „Bautechniler" bezeichnet ist. Sein Anspruch, ihm ein Zeugnis aus den Namen „Architekt A." zu erteilen, ist für unbegründet erachtet. AusdenGründen: Die Bekanntmachung, auf die hin der Kl. enga­ giert wurde, besagt: „Als Hilfsarbeiter im hochbau-technischen Bureau wird ein tüchtiger Architekt, der sich als guter Zeichner und Techniker ausweisen kann, gesucht." Hiernach hatte der Kl. eine unselbständige Stellung im Bureau. Er gibt ferner zu, daß er ein akademisches Studium nicht genossen hat. Wenn nun auch die Bezeichnung „Architekt" keine gesetzlich bestimmte ist, so wird sie doch nach der herrschenden und als richtig anzuerkennenden Übung nicht allen Bau­ sachverständigen beigelegt. Vielmehr sind dafür die beiden erwähnten Momente (Selbständigkeit der Tätigkeit und akademisches Studium) wesentlich. Aus diesem Gesichtspunkte kann nicht alä: unrichtig bezeichnet werden, wenn die Regierung dem Kl. die Bezeichnung als „Architekt" versagt und nur diejenige als „Bautechniker" — welche im § 133 g GO. vorgesehen ist — zugebilligt hat. Daß der Kl., wie er angibt, auch die wissenschaftliche Seite der Baukunde beherrscht, indem er sich dieses höhere Wissen durch Selbststudium angeeignet hat, ist nicht entscheidend; ebensowenig der Umstand, daß in bet Bekanntmachung ein „Archi­ tekt" verlangt wird und daß der Kl. wiederholt in amtlichen Schriftstücken als „Architekt" bezeichnet worden ist. In einer besonders wichtigen Urkunde, dem Äufnahmeprotokoll, ist er als „Bautechniker" aufaeführt, wogegen er allerdings protestiert haben will. (Rechtsprechung der Oberiandesgerichte Bd. 13 Nr. 25e.)

402. (184.) Hai das GG. Arbeitszeugnifse auf ihren materiellen Inhalt zu prüfen? Urteil des GG. Stuttgart vom 13. Dezember 1900. Das GG. hat die Frage bejaht.

403. (185.) Kann der Arbeiter, dem ein ungünstiges Zeugnis über Führung und Leistung ausgestellt ist, Änderung verlangen, weil der Sachverhalt weniger ungünstig war? Urteil des Landgerichts Stuttgarts. Zivilkammer, vom 11. Februar 1902. Der Arbeitgeber ist zur Ausstellung eines anderen Zeugnisses verurteilt. *) Ähnlich LG. Berlin I v. 18. Dezember 1896. 6 Januar 1906 (Reichsarbeitsbl. I. 6. S. 405).

Unger Nr. 43.

GG. Berlin v.

GO. § 113.

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404. Kann Berichtigung eines Zeugnisses verlangt werden, das der Arbeitgeber nach bestem Wissen ausgestellt hat? Urteile des Kgl. Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 12. Juni 1906 und des Kgl. Landgerichts I zu B e r l i n vom 12. Oktober 1906. Der Kl. war im Dienste der Stadt Berlin vom 6. März 1903 bis 31. März 1906 als Pfleger in der Anstalt Herzberge beschäftigt. Bei feinem Ausscheiden hat er ein Zeugnis auch über Leistungen und Führung verlangt. Die Bell, hat ihm dies bereits unterm 20. März 1906, wie folgt, erteilt:

„Leistungen befriedigend. Führung mit Ausnahme der letzten Zeit, in der er nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Personen ein Verhalten gezeigt hat, das mit der Stellung eines Krankenpflegers unvereinbar ist, gut." Der Kl. hat hiergegen mit dem Anträge geklagt, die Bell. zu vemrteilen, ihm an Stelle des erteilten Zeugnisses ein gleichlautendes, jedoch unter Fortlafsung der Worte: „mit Ausnahme" bis „unvereinbar ist", auszustellen.

Das Amtsgericht hat die Bell, vemrteilt, dem Kl. an Stelle des ihm erteilten Abgangszeugnisses ein anderes auszustellen, welches betreffs der Fühmng wie folgt zu lauten hat: „Er hat in der letzten Zeit nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Personen unangemessene Reden gegen Mitpfleger geführt. Sonst war seine Führung gut."

AusdenGründendesAmtsgerichts: Ein positives Recht, die Abänderung des Zeugnisses wegen Unrichtigkeit zu fordern, ist dem Arbeiter Dienstverpflichteten) nicht beigelegt. Dieses Recht und sein Umfang können deshalb nur nach allgemeinen Gmndsätzen beurteilt werden. Maßgebend ist hierbei in erster Reihe der § 241 des BGB.: „Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern" und § 242: „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treue und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern." Kann der Arbeiter dem Arbeitgeber mit Grund vorwerfen, daß er bei Er­ teilung des Zeugnisses diesen Bestimmungen zuwider gehandelt hat, dann hat der Arbeitgeber mit dem Zeugnis die ihm obliegende Leistung nicht erfüllt, und der Arbeiter kann allerdings das Recht auf die richtige Leistung mit der Klage auf Abänderung des Zeugnisses verfolgen. Ergibt sich aber, daß der Arbeitgeber bei Erteilung des Zeugnisses die vorgedachten gesetzlichen Vorschriften beachtet hat, dann hat er die ihm obliegende Leistung erfüllt. Damit ist das Schuldver­ hältnis in bezug auf die Erteilung des Zeugnisses erloschen (§ 362 des BGB ), und es fehlt dem Arbeiter an jedem Recht, noch eine weitere Leistung zu fordern. Ein Recht auf materielle Richtigstellung des Zeugnisses noch über den Umfang der aus §§ 241, 242 des BGB. sich ergebenden Leistungspflicht des Schuldners hinaus hätte einer positiven gesetzlichen Unterlage bedurft, die das Gesetz nicht geschossen hat. Prüft man an der Hand dieser Gmndsätze den vorliegenden Fall, so ergibt sich, daß nur die Sachlage zur Zeit der Ausstellung des Zeugnisses in Betracht kommen kann. Der Kl. kann verlangen, daß die Bell, bet Erteilung des Zeug­ nisses alle nach dieser Sachlage in Bettacht kommenden Umstände sorgsam prüft und alsdann das Zeugnis sachgemäß und nach bestem Wissen, nach Treue und Glauben und der Verkehrssitte gemäß ausstellt. Dagegen tonn er nicht fordern, daß die einschlägigen Tatsachen im Prozesse ermittelt und alsdann die Bell, an­ gehalten werden soll, ein Zeugnis nach Maßgabe dieser Ermittlungen und bei

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GO. § 113.

zweifelhaftem Ergebnis nach Maßgabe der Ansicht des Richters auszustellen. Wollte man ein solches Recht des Arbeiters annehmen, so müßte man die Leistungs­ pflicht des Arbeitgebers aus § 630 BGB. dahin definieren: Der Arbeitgeber muß das Zeugnis nicht nach seiner Ansicht über die Führung uud Leistungen des Arbeiters, sondem vielmehr nach der Ansicht desjenigen Richters aus­ stellen, welcher demnächst im Prozesse darüber erkennen wird. Eine solche Pflicht würde für zweifelhafte Fälle etwas Unmögliches darstellen und muß vollends abgewiesen werden einem Gesetzbuch gegenüber, welches den Gläubiger verpflichtet, sich mit derjenigen Leistung zu begnügen, welche mit Treue und Glauben und der Berkehrssitte übereinstimmt. Denn, daß die Ver­ kehrssitte keine andere sein kann, als daß der Arbeitgeber nach der von ihm er­ mittelten Sachlage sich nach bestem Mssen äußert, kann nicht zweifelhaft sein. Nach Vorstehendem hat die Beu. bei Erteilung des Zeugnisses insofern berechtigt gehandelt, als sie die Ergebnisse ihrer Ermittlungen dem Inhalte des Zeugnisses zugrunde gelegt hat. Sie hat in sorgfältiger Weise das Material gesammelt und

mußte sich nach Inhalt des Ergebnisses ihrer Ermittlungen von den Schimpsreden des Kl. für überzeugt erachten; eidliche Vernehmungen standen ihr nicht zu Gebote. Daß sie Schimpfreden gegen Mitpfleger mit unter den Begriff der „Fühmng" brachte, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Der Kl. kann sonach von ihr nicht, wie sein Antrag tut, ein Zeugnis über gute Fühmng fordem. Dagegen hat die Bell, in der Mssung des Zeugnisses unsachgemäß gehandelt. Die von ihr ge­ wählte Form läßt den Sachverhalt nicht erkennen und schädigt den Kl. weit über die Gebühr. Bei „einem Verhalten, das mit der Stellung eines Krankenpflegers unvereinbar ist", denkt man sich viel schlimmere Dinge, als Schimpfen mit den Mitpflegern; viele Leser des Zeugnisses werden dabei sicher an geschlechtliche Dinge denken. Deshalb muß nach dieser Richtung hin das Zeugnis geändert und konkreter gefaßt werden. Beide Parteien haben Bemfung eingelegt. Die Bemfung des Kl. ist zurück­ gewiesen. Auf die Bemfung der Bell, ist die Klage gänzlich abgewiesen.

Aus den Gründen des Landgerichts: Das Bemfungsgericht steht aus dem Standpunlle, daß die Frage, ob die Berichtigung eines nach § 630 BGB. und 113 GO. erteilten Zeugnisses durch richterliche Entscheidung Mässig ist oder nicht, verschieden beantwortet werden muß, je nachdem es sich nur um „das Dienstverhältnis und dessen Dauer" oder auch um „die Leistungen und die Fühmng" des Verpflichteten handelt. Im ersteren Falle nämlich ist dem Dienst­ pflichtigen unbedenklich ein klagbarer Anspmch auf Berichtigung des angeblich unrichtigen Zeugnisses zu gewähren; handelt es sich hier doch lediglich um die

Feststellung von Tatsachen, deren Ermittlung seitens des Gerichts möglich und von der subjektiven Anschauung des Dienstherm unabhängig ist. Anders im letzteren Falle. Das Zeugnis über die Leistungen und die Fühmng des Dienst­ pflichtigen enthält den Ausdruck der subjektiven Auffassung des Dienstherm; es soll und kann gerade nur sein U r t e i l wiedergeben, das auf seiner besten Über­ zeugung bemhen muß; daraus folgt, daß hier im allgemeinen „das Urteil des Gerichts nicht dem Urteile des Prinzipals substituiert und dieser nicht vemrteilt werden darf, im Zeugnisse ein Urteil abzugeben, das er nach seiner besten Über­ zeugung für unrichtig hält", daß vielmehr dem Dienstpflichtigen das Klagerccht nur dann zusteht, wenn — was e r zu beweisen hat — der Dienstherr das Zeugnis wider besseres Wissen ausgestellt hat; vgl. auch Schwedler in der D. J.-Z. X S. 117. Wendet man diese Gmndsätze auch auf den zu entscheidenden Rechts­ streit an, so ergibt sich, daß die Klage gänzlich avzuweisen ist. Denn es handelt sich vorliegend um ein Zeugnis über Leistungen und Fühmng des Kl., also um ein subjektives Urteil der Bell. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 158.)

GO. § 113.

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495. (186.) Begriff der „Führung". Darf der KündigungSgrund in das Zeugnis ausgenommen werden?

a) Urteil des Landgerichts Dresden, 5. Zivilkammer, vom 29. März 1897.

Das Landgericht hält die Aufnahme des Kündigungsgrundes für zMssig. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 64) ')• b) Urteil des GG. Köln vom 13. Januar 1898. Die Schadensklage des Arbeiters ist abgewiesen, obwohl der Zusatz im Zeug­ nis für unzulässig erachtet ist. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 91.)

c) Urteil des GG. Berlin, Kammer 7, vom 2. Dezember 1897.

Das Zeugnis enthielt den Passus „Wegen Unregelmäßigkeiten entlassen." Bell, ist zur Ausstellung eines andern Zeugnisses verurteilt. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 100? 406. Muß sich der Arbeiter im Zeugnis die Bemerkung gefallen lassen, daß er wegen Streiks entlassen fei? Urteil des LandgerichtsLünebutg vom 15.Mai 1906. Kl. ist vom 15. Februar 1896 bis »um 4. März 1906 bei der Bell, als Maschinen­ schlosser und Monteur beschäftigt gewesen. Bei seinem Arbeitsaustritt, der erfolgte, weil Kl. sich einem Streik der bei der Bell, beschäftigten Gesellen anschloß, erhielt der eine Abgangsbefcheinigung. Er verlangt jetzt ein Zeugnis über Führung und Leistung. Die Bell. ist bereit, folgendes Zeugnis auszustellen: „Der Inhaber dieses, K. tz-, geb. 29. Jan. 76, war vom 15. Febr. 96 bis 4. März 09 bei uns beschäftigt und wird heute entlassen. Derselbe war teils als Maschinenschlosser, teils als Monteur tätig und waren wir mit seinen Leistungen zufrieden. Seine Führung gab bis kurz vor seiner Entlassung zn Tadel nicht Anlaß. Die Auflösung des Arbeitsverhällnisses ist erfolgt, weit er sich einem ausgebrochenen Streik anschloß." Kl. verlangt Beseitigung der den Streik betreffenden Stelle, da er durch dies Zeug­ nis in seinem späteren Fortkommen gehindert werde. Die Bell, wendet em: Für bte Führung des Kl. sei es charakteristisch, daß er sich nach lOjähriger Tätigkeit ohne weiteres einem Streik angeschlossen habe. Da das Zeugnis wahrheitsgemäß ausgestellt werden müsse, halte sie sich für verpflichtet d'-se sür die Führung des Kl. bezeichnende Tatsache in dem Zeugnis anzusühren.

Die Klage ist vom GG. Lüneburg abgewiesen.

Die Berufung des Kl. ist zurückgewiesen. AusdenGründen: Auf Gmnd des § 113 Absatz 3 der GO. kann der Kl. die (Entfernung des letzten Satzes des Zeugnisses, worin vermerk ist, daß er wegen Beteiligung an einem Streik entlassen sei, nicht verlangen; denn die Tat­ sache des Anschlusses an einen Streik ist offen-in dem Satze ausgesprochen, so daß diese Mitteilung, auch wenn der von dem Kl. behauptete Beschluß des Arbeit­ geberverbandes in L. besteht, den Kl. nicht in einer aus dem Wortlaut des Zeug­ nisses nicht ersichtlichen Weise kennzeichnet. Ein ausdrückliches Verbot, den Entlastungsgrund im Zeugnis anzugeben, besteht nicht. Das Zeugnis hat sich nach § 113 der GO. allerdings auf bestimmte Punkte, und zwar zunächst lediglich auf eine Äußerung über die Art und Dauer der Beschäftigung des Arbeiters, zu be« ') Ebenso LG. I Berlin v. 23.Mai 1891 („Blätter für Rechtspflege" Jg.1891 S. 114).

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schränken und ist erst auf dessen Verlangen auch auf Führung und Leistung aus­ zudehnen. Ein solches Verlangen hat aber der Kl. gestellt, die Bell, hatte daher die Pflicht, ihr Urteil auch in dieser Richtung abzugeben. Sie hat dies in der Weise getan, daß sie zunächst erklärt hat, die Führung des Kl. habe bis kurz vor seiner Entlassung keinen Anlaß zu Tadel gegeben. Dieser Beurteilung ist der streitige Satz hinzugefügt. Derselbe wird vom Kl. mit Unrecht beanstandet. Denn die dann enthaltene Mitteilung hatte nur Bezug auf seine Führung; aus ihr erhellt erst, was die Bell, an dem Kl. zu tadeln hatte. Ob der Anschluß eines Arbeiters an einen (Streit objektiv tadelnswett ist, steht nicht zur Frage, bei Abgabe seines Urteils über die Führung darf der Zeugnisaussteller selbstverständlich seine sub­ jektive Auffassung zum Ausdmck bringen und über die Grenze ist die Bell, nicht hinausgegangen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 310.)

407. (187.) Kann ein Schlächtergeselle Eintragung eines Zeugnisses in daS Jnnungs-BerbandSduch verlangen? Urteil des GG. Hamburg vom 18. Mai 1901.

Die Klage auf Einttagung des Zeugnisses in das Verbandsbuch ist abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 192.)

408. Ist ein BäckerinnungSvorstand zur Entziehung deS BerbandsarbeitS-ucheS „auf unbestimmte Zeit" berechtigt? Urteil des OLG. Marienwerder vom 30.Mai 1908. Der Zentralverband Deutscher Bäckerinnungen Germania hat die Einrichtung eines Arbeitsbuches getroffen, daS nach den vorgedruckten Bestimmungen jedem Bäcker­ gesellen, der in einer dem Verbände Germania angehörenden Innung ordnungsgemäß ausgelernt hat, kostenlos ausgesertigt und übergeben wird und das „dem Gesellen als Ausweis einer ordnungsmäßig zurückgelegten Lehrzeit dient, ihm in allen Innungen mit eigenem Arbeitsnachweis das erste Recht auf Arbeit sichert" und ihn zum Empfange gewisser Bezüge legitimiert. In diesen Bestimmungen ist dann noch weiter ungeordnet, daß dies Arbeitsbuch zu Führungsattesten nicht benutzt werden darf, daß es bei Antritt einer Arbeitsstelle bei einem dem Verbände angehörenden Meister diesem zu übergeben und daß bei Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses in dem Buche zu vermerken ist. Die „Germania" hat weiter (Abs. 3 der dem Arbeitsbuchs vorgedruckten Bestim­ mungen) folgende Anordnung getroffen:

„Das Germania-Arbeitsbuch bleibt Eigentum des Verbandes „Germania" und kann durch Beschluß eines jeden JnnungsvorstandeS dem Gesellen wieder entzogen werden, wenn er sich dieses Ausweises als unwürdig erwiesen hat." Auf Grund dieser Bestimmung hat der Vorstand der beklagten Innung durch Be­ schluß vom 27. November 1906 wegen eines zwischen dem Kl. und der Bäckermeistersrau K. am 7. Oktober 1906 stattgehabten Streites (der Kl. war damals in der K.schen Bäckerei als Geselle beschäftigt) dem Kl. dessen Germania-Arbeitsbuch „auf unbestimmte Zeit" entzogen mit dem weiteren Zusatze, daß ihm, wenn er sich wegen der bei dem Vorfälle ausgesprochenen Beleidigung entschuldige, auf seinen Antrag das Buch zurückgegeben werden solle. Diesem Beschlusse entsprechend hat die Bell, das Arbeitsbuch dem Kl. vorenthalten, der neben einem hier zurzeit nicht interessierenden Schadenersatzansprüche mit der vorliegenden Klage die Herausgabe dieses Buches verlangt.

Die Bell, ist vom LG. Danzig verurteilt.

Ihre Berufung ist zurückgewiesen. AusdenGründen: I. Das Buch ist dem Kl. ausgehändigt worden zum bestimmungsgemäßen Gebrauche; darin ist ein Berttagsschluß zu erblicken des Inhaltes, daß der Kl., wenn er vielleicht auch nicht Eigentümer des Buches wurde.

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doch das Recht auf den Besitz und die weitere bestimmungsgemäße Benutzung des Buches erwarb und daß er dieses Rechtes nur verlustig ging, wenn er das Buch vertragswidrig benutzte (in diesem Falle kann man den Verlust seines Rechtes cüs dem Berttagswillen entsprechend ansehen, ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor) oder wenn ein in dem Berttage besonders vorgesehener Fall des Verlustes seines Rechtes gegeben ist. Die Bell, behauptet letzteres nun und beruft sich dabei auf die oben wiedergegebene Bestimmung in Abs. 3 der dem Buche vorgedruckten Bestimmungen. Der Bell, ist zuzugeben, daß diese „Bestimmungen" durch die Übergabe des Buches an den Kl. zu Berttagsabreden zwischen ihm und der Ger­

mania bzw. den einzelnen dazu gehörigen Innungen geworden sind. Diese Be­ stimmung in Abs. 3 aber kann, zum wenigsten in der Allgemeinheit, wie sie sich aus ihrem Wortlaute ergibt, als zu Recht bestehend nicht anerkannt werden. A. Zunächst ergibt sich dies schon aus folgender Erwägung: Als das Buch dem Kl. ausgehändigt und die Bestimmung in Abs. 3 zur Bertragsabrede gemacht wurde, enthielt das Buch keine Eintragungen, im Lause der Jahre sind nun in das Buch, seinem Zwecke gemäß, in der vorgesehenen Form eine Reihe von Ein-

ttagungen über einzelne Arbeitsverhältnisse, in denen der Kl. gestanden hat, erfolgt. Durch die Vorenthaltung des Buches ist ihm die weitere Benutzung dieser Zeugnisse unmöglich gemacht. Daß diese Zeugnisse für ihn werwoll sind, bedarf keiner Erörterung. Es ist nun absolut unerfindlich, aus welchem Gesichts­ punkte die Bell, sich für berechtigt hält, dem Kl. diese Zeugnisse vorzuenthalten, um so mehr, als sie nicht einmal behauptet, daß er im Besitze von Duplikaten wäre. Mag die Germania vielleicht auch mit dem Eigentumsvorbehalt im Abs. 3 der „Bestimmungen" die Absicht verknüpft haben, dem Gesellen auch diese Zeugniste der Bergangenheit entziehen zu können, so hat doch jedenfalls der Geselle bet An­ nahme des Buches sich einer solchen Verttagsabrede niemals unterwerfen wollen; so töricht handelt heutzutage kein im Jnteressenkampf stehender Geselle. Der Geselle ist sich dieser Tragweite nicht bewußt gewesen, konnte es auch aus der Fassung nicht entnehmen, und kann insoweit eine vertragliche Bindung als zustande gekommen nicht angesehen werden. Hiemach könnte oiese Berttagsbestimmung die Bell, höchstens dazu berechtigen, das Buch etwa für die Zukunft zu sperren, niemals aber dazu, es dem Kl. so, wie es jetzt ist, mit den darin enthaltenen Zeugnissen zu entziehen, woraus also schon die Verurteilung der Bell, zur Heraus­ gabe an sich folgen würde. B. Aber hierauf kommt es gar nicht einmal an. Denn auch zu einer etwaigen Spermng des Buches für die Zukunft, wir dies eben angedeutet ist, oder zu einer ähnlichen, die weitere Benutzung des Buches für die Zukunft verhindemden Maß­ regel ist die Bell, nicht berechtigt, weil diese Berttagsabrede in Abs. 3 der Be­ stimmungen so, wie sie gefaßt ist, als gegen ein Berbotsgesetz verstoßend gemäß § 134 BGB. für nichtig zu erachten ist. Nach § 113 Abs. 3 der GO. ist es den

Arbeitgebern untersagt, die Zeugnisse (über die Art und Dauer der Beschäftigung der Arbeitnehmer, Abs. 1 daselbst, mit Merkmalen zu versehen, welche den Zweck haben, den Arbeiter in einer aus dem Wortlaute des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu kennzeichnen; sie dürfen in den Zeugnissen weder ausdrücklich noch ver­ steckt ein Urteil über ihn aussprechen (RG. Bd. 57 S. 426). Nach der Beweis­ aufnahme steht nun fest, daß die Germania die weitaus überwiegende Mehrzahl der Bäckermeister in Deutschland umfaßt und daß der Einfluß der Germania dadurch noch weit über diesen Kreis ihrer eigentlichen Mitglieder hinausgeht, daß auch andere, nicht dazu gehörige Bäckermeister sich des Arbeitsnachweises der Germania bedienen, wie dies z. B. auch in Danzig der Fall ist. Daraus ergibt sich nun, daß tatsächlich für einen Bäckergesellen die Erlangung von Arbeit durch den Besitz eines Germania-Arbeitsbuches, wenn auch nicht bedingt, so doch in hohem Grade erleichtert wird, während umgekehrt der Mchtbesitz eines solchen

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GO. §113.

Buches ihm die Erlangung von Arbeit auf das erheblichste erschwert. Eine weitere natürliche Folge dieser Tatsache ist, daß jeder Geselle bzw. Lehrling trachten wird, sich auf die in Abs. 1 der vorgedruckten Bestimmungen vorgesehene Weise ein solches Buch zu verschaffen, daß der Mchtbesitz eines solchen Buches die Ausnahme sein, und daß daher der Nichtbesitz eines solchen Buches von vomherein jedem Meister auffällig sein wird. Es wird dadurch ohne weiteres in dem Meister der Verdacht erregt, daß der nicht im Besitze eines solchen Buches befindliche Geselle von einer Innung mit der Entziehung des Buches wegen irgendeines der Innung mißliebigen Vorganges gestraft ist, da nach der Fassung des Abs. 3 der dem Buche vorgedruckten Bestimmungen die Entziehung auch gerade als Strafe für un­ würdiges Verhalten vorgesehen ist. Hiernach ist die Entziehung des Buches nicht bloß geeignet, den davon Betroffenen andern Interessenten gegenüber zu kenn­ zeichnen, sondern sie ist geradezu dazu bestimmt; denn bei der Entziehung handelt es sich nicht um das Buch als solches, das ist Nebensache, sondern es handelt sich um die Benutzung des Buches, die ihm zur Strafe unmöglich gemacht werden soll. Hiernach enthält die Entziehung des Buches eine Kennzeichnung des davon betroffenen Gesellen in einer Weise, wie sie durch § 113 Abs. 3 der GO. verboten ist. Zwar ist diese Kennzeichnung nicht i n dem Zeugnisse enthalten, aber das ist unerheblich, denn in weiterem Sinne wird sie auch durch das Zeugnis, nämlich durch dessen Borenthaltung, ausgedrückt. Nach dem Gesagten Ist zwar die Ein­ richtung dieses Arbeitsbuches an sich nicht zu beanstanden, die Art und Weise der Handhabung ist jedoch, wenn dadurch eine Kennzeichnung des Inhabers bewirkt wird, als gegen § 113 Abs. 3 GO. verstoßend uitzulässig und deshalb eine sie ermög­ lichende Bertraysabrede nach § 134 BGB. nichtig. — Dies gilt jedoch nur,

soweit die Entziehung eine Kennzeichnung des Arbeitnehmers als Arbeiter und in bezug auf sein Verhalten als solcher ausspricht. In andern Fällen, z. B. wenn es sich um einen Geisteskranken handelt, würde die Entziehung sehr wohl zulässig sein (vgl. RG. Bd. 65, S. 423 ff.), weil es sich dann um andere, durch § 113 Abs. 3 GO. nicht betroffene Verhältnisse handelt. Ein solcher Fall liegt indessen hier nicht vor. Der Abs. 3 der dem Arbeitsbuche vorgedruckten Bestimmungen umfaßt aber in seiner Allgemeinheit auch die gegen § 113 Abs. 3 GO. verstoßenden Fälle, und hat der Senat daher kein Bedenken getragen, die vom RG. in den beiden erwähnten Entscheidungen (Bd. 57 S. 418 ff. und Bd. 65 S. 423 ff.) unent­ schieden gelassene prinzipielle Frage in dem erörterten Sinne zu entscheiden. Da die Bell, sich nun aber lediglich auf diese, nach vorstehenden Ausführungen in ihrer allgemeinen Fassung für nichtig zu erachtende Vertragsbestimmung beruft, hat sie zur Vorenthaltung des Buches kein Recht und war daher zur Herausgäbe zu verurteilen. C. Man könnte den vorstehenden Ausführungen vielleicht noch entgegen­ halten, daß im Ms. 5 der vorgedruckten Bestimmungen ausdrücklich gesagt sei, oas Germania-Arbeitsbuch dürfe zu Führungsattesten nicht benützt werden, und daß daher der Abs. 3 daselbst der Germania also gar nicht das Recht einräumen solle und könne, die Entziehung in dem Sinne der Ausstellung eines Führungs­ attestes anzuwenden. Wie ausgeführt, hat aber die Bell, die Entziehung mit dieser Wirkung und in diesem Sinne vorgenommen; würde also diese Bestim­ mung in Ms. 3 nur in dem beschränkten Sinne aufzufassen sein, dann würde die Bell, für die Entziehung überhaupt keinen Rechtstitel haben und vielmehr direkt gegen Ms. 5 der Vertragsbestimmungen verstoßen haben, also schon aus diesem Grunde zur Herausgabe des Buches auf Grund des Vertrages, von dem sie ohne jeden Gmnd nicht einseitig zurücktreten kann, verpflichtet sein. II. In vorstehendem ist, wie erwähnt, die vom RG. unentschieden gelassene prinzipielle Frage entschieden; will man dies nun vermeiden, oder will man der vorstehend vertretenen Ansicht des Senats nicht beitreten, sondern den Ms. 3

GO. $ 113.

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der „Bestimmungen" an sich für rechtsverbindlich halten, so würde trotzdem das Endergebnis dasselbe sein müssen. Das RG. hat an der Entscheidung Bd. 57 S. 418 ff. die Ausnutzung der dem Arbeitgeber durch die Einrichtung eines ähn­ lichen Arbeitsnachweises verschafften Gewalt dann als gegen die guten Sitten verstoßend und daher nach § 138 BGB. nichtig bezeichnet, wenn die getroffene Maßregel als eine über das nach billigem Ermessen selbst in dem Jnteressenkampf der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zulässige Maß hinausgehende Härte erscheint. Und das ist unter allen Umständen im vorliegenden Falle als erwiesen anzunehmen. — Bei dem Vorfall, der zu der Entziehung des Buches schließlich gefühtt hat, hat der Kl. die Bäckermeisterfrau K. beleidigt. Er hat aber nur eine ihm vorher angetane Beleidigung mit gleichen Worten erwidett, es war also ein für den Kl. sehr wenig belastender Vorfall, der zu einer so rigorosen Maßregel, wie die Ent­ ziehung des Arbeitsbuches, absolut nicht in annäherndem Verhältnisse stand. Aber selbst wenn die Behauptung der Bell, richttg wäre, daß der Kl. zuerst die beleidigenden Äußerungen getan habe, würde doch die Maßregel viel zu hart erscheinen. Denn es steht fest, wie bereits oben erwähnt, daß die Entziehung des Germania-Arbeitsbuches das Fortkommen des Kl. auf das erheblichste er­ schwert und fast einer gänzlichen Aussperrung gleichkommt. Die daneben noch vorhandenen Wege, Arbeit zu erhalten, find so wenig ausfichtsvoll, daß sie kaum in Bettacht kommen können. Dazu tritt dann noch als erschwerend der Umstand, daß die Entziehung des Buches auf unbestimmte Zeit erfolgt ist. Wenn nun auch die alsbaldige Rückgabe des Buches bei vorausgegangener Abbitte in dem Entziehungsbefchlusse der Bell, vorgesehen war, so ist dies doch unerheblich (siehe RG. Bd. 57 S. 430 letzter Absatz, welcher Ausführung der Senat sich angeschloffen hat). Hiemach ist die getroffene Maßregel derarttg hart, daß sie gegen die guten Sitten verstößt und daher nichtig ist. Die Klage erscheint also auch von diesem Gesichtspunkte aus, wenigstens soweit es sich um die Herausgabe des Buches handelt, begründet. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Ig. 13 Sp. 408.)

409. (188.) Kann der Arbeiter Ausstellung des Zeugnisses nach einem bestimmten, im Gewerbe üblichen Formular ferb ent? Urteil des GG. Dresden vom 10. November 1897.

Der Bell, ist verurteilt, ein Zeugnis auf dem üblichen Formular auszustellen. (Gewerbegericht Ig. 3 Sp. 52.)

410. Hat der Arbeiter Anspruch aus ein Duplikat des Zeugnisses? Kann er noch ans Abänderung klagen, wenn er daS Zeugnis ohne Widerspruch angenommen hat? Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 15.Februar 1906. Der Kl. war bis Ansang 1901 im Gewerbebetriebe der Bekl. beschäftigt und hat bei seinem Ausscheiden ein Zeugnis erhalten. Dieses hat er verloren. Seinem 1906 erhobenen Verlangen nach einem Duplikat hat die Bekl. nicht entsprochen, da sie eine Kopie des Zeugnisses nicht mehr besitzt. Der Kl. hat darauf aus Ausstellung des Dupli­ kates sowie auf 300 Mk. Schadenersatz wegen der Verzögerung Klage erhoben. Im Laufe des Rechtsstreites hat er ferner sachliche Änderung des alten Zeugnisses verlangt, weil er in diesem fälschlich nicht als Konstrukteur bezeichnet sei.

Die Klage ist abgewiesen.

Aus den Gründen: Der Antrag auf Ausstellung eines Duplikates eines dem gewerblichen Angestellten bei Beendigung des Dienstverhältnisses ausgestellten Zeugnisses entbehrt jedes Rechtsgrundes und ist deshalb abzuweisen.

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GO. §113.

Damit fällt auch der Anspmch auf Ersatz des aus der Weigerung der Bell, dem Kl. angeblich erwachsenen Schadens. Der Antrag auf Ausstellung eines neuen, von dem früheren abweichenden Zeugnisses war abzuweisen, da Kl. sich seinerzeit mit dem letzteren stillschweigend einverstanden erklärt hat. Das Gesetz gibt auch dem gewerblichen Angestellten fein Recht jahrelang nach Beendigung des Dienstverhältnisses ein Zeugnis zu verlangen. (Reichsarbeitsblatt Jg. 5 Nr. 5 S. 476.)

411. (189.) Geheime Merkmale in Arbeiterzeugnissen. Kann nach güt­ licher Beendignng von Aussperrungen nnd Streiks der Arbeitgeber genötigt werden, ein einheitliches Zeugnis auszustellen, ans dem die Unterbrechung nicht ersichtlich ist? Urteil des GG. Leipzig vom 2.April 1901. Die Klage ist abgewiesen, weil eine geheime Kennzeichnung nicht als erwiesen angesehen ist. (Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 348.)

412. (190.) Inhalt des Arbeitszeugnisses. Kann auch in Merkmalen negativer Art eine unznlässige Kennzeichnung liegen? Urteil des GG. Berlin, Kammer 1, vom 13. Oktober 1898. Tie Frage ist bejaht. (Soziale Praxis.)

413. (191.) Arbeitsnachweisschein der Unternehmer-Arbeitsnachweise. Ist die Weglassung eines empfehlenden Zusatzes znm Zwecke der Kenn­ zeichnung des Arbeiters ein verbotenes „Merkmal" im Sinne des 8 113 GO.? a) Urteil des Landgericht B e r l i n I, 7. Zivilkammer, vom 26. Oktober 1899. Die Weglassung ist nicht als unzulässige Kennzeichnung angesehen. Die Klage ist abgewiesen.

b) Urteil des Kammergericht, 8. Zivilsenat, vom 10. Februar 1900. Die Berufung des Kl. ist zurückgewiesen.

Die Fortlassung ist nicht als verbotene Kennzeichnung erachtet. gericht Jg. 5 Sp. 220.)

(Gewerbe­

414. Gehört ein Zeugnis, welches ein Kunde dem Monteur erteilt, dem Arbeitgeber? Kann dieser wegen Unrichtigkeit das Zeugnis retinieren? Urteil des GG. der Stadt Leipzig vom 26.Februar 1906.

Der Kl. war bei der Bell., die besonders Drahtseil- und Elektro-Hängebahnen ansertigt, als Monteur beschäftigt. In der Zeit vom 19. Oktober bis 16. Dezember 1905 hat er eine Hängebahn für die Altbrünner Zuckerfabrik montiert. Nach Fertigstellung der Arbeiten hat ihm der Vertreter der Zuckerfabrik ein Zeugnis folgenden Inhalts aus­ gestellt: „Mr bestätigen Ihnen gern, daß wir mit der von Ihnen für die Firma Ad. Bl. bei uns ausgeführten Hängebahn vollständig zufrieden find und Ihre sachgemäße Leitung besonders anerkennen." Bei seiner Rückkehr hat der Kl. mit den Abrechnungspapieren dem Mitangestellten der Bell., dem Oberingenieur M., diese Bescheinigung sür die Bell, mit der Bitte um

GO. §113.

303

baldige Rückgabe überreicht. Auf Ansuchen der Kl. hat der Vertreter der Altbrünner Zucker« fabrik durch Schreiben vom 7. Februar 1906 bestätigt, daß die Bescheinigung für den Kl. bestimmt und dessen Privateigentum sei. Das Arbeitsverhältnis ist ordnungsgemäß gelöst worden. Dabei ist dem Kl. ein Zeugnis über seine Führung und Leistung von der Bell, erteilt worden. Der Kl. verlangt Herausgabe der Bescheinigung. Die Bell, führt aus: Zeugnisse, die während der Dauer der Tätigkeit ihren Angestellten, gleichviel von wem, ausgestellt würden, wären i h r Eigentum. H. habe gar Nicht das Recht, als iyr Angestellter sich von dritter Seite Bescheinigungen ausstellen zu lassen. Die Bescheinigung entspreche den tatsächlichen Leistungen des Kl. nicht. Erfahrungsgemäß würde mit solchen Zeugnissen zum Rachteile der Arbeitgeber Mißbrauch getrieben.

Die Bell, ist vemrteilt. Aus den Gründen: Die erhobene Klage stellt sich rechtlich dar als Anspruch aus dem Dienstvertrag. — §§ 611 flg. BGB., 105 flg. RGO. — Sie ist gerichtet auf Herausgabe der vom Kl., einem gewerblichen Arbeiter im Sinne von § 3 Abs. 1GGG., der Bell, als Arbeitgeberin im Sinne von § 1 des gleichen Gesetzes aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses übergebenen Bescheinigung. — § 4 Ziffer 3 GGG. — Die Klage ist schlüssig und begründet, wenn nicht der Bell-, wie sie einredeweise behauptet, das Eigentum an dem ihr anvertrauten Arbeits­ papier oder ein Zurückbehaltungsrecht daran zusteht. 1. Wie unstreitig unter den Parteien ist, hat der Kl. von dem Vertreter der Altbrünner Zuckerfabrik die im Streit befangene Bescheinigung für sich übergeben erhalten. Für ihn war sie bestimmt. Das besagt die Überschrift ; das besagt weiter die ausdrückliche Erklärung ihres Ausstellers. — Ist somit die streitige Bescheinigung durch Einigung und Übergabe Eigentum des Kl. geworden — § 929 BGB. —, so Entfällt damit die Eigentumseinrede der Bell. Ihre Schlußfolgerung, daß Bescheinigungen, die einem Angestellten während der Dienstzeit erteilt wur­ den, ohne weiteres ihr Eigentum seien, entbehrt daher jedes gesetzlichen Anhalts und wird direkt durch das Schreiben des Vertreters der Brünner Fabrik widerlegt. 2. Aber auch ein Zurückbehaltungsrecht nach Maßgabe des § 273 BGB. steht der Bell, nicht zu. Es gebricht an der Voraussetzung, daß der Bell, gegen den Kl. ein fälliger konnexer Anspruch zupeht — zu vgl. § 273 Abs. 1 und 2 BGB. — In dieser Beziehung hat sie nicht vorzubringen noch zu beweisen gewußt, daß ihr irgendein klagbarer Anspruch gegen den Kl. zustände. Wenn sie in dieser Richtung ausführt, es sei unzulässig, daß der Kl. während der Dauer seines An­ stellungsverhältnisses bei ihr sich von einer dritten Firma, bei der er für die Bell, tätig sei, eine Bescheinigung über die Art seiner Leistung ausstellen lasse, so muß schon die Richtigkeit dieser Ausführung bezweifelt werden. In Ermangelung eines Verbots in dieser Hinsicht hatte der Kl. ein berechtigtes Interesse, sich seinem Arbeitgeber gegenüber für die gute Ausführung seiner Äenste auszuweisen. Aber auch der Bell, selbst kann daraus Schaden nicht erwachsen, daß ein Dritter freiwillig — denn eine Rechtspflicht bestand nicht — diese Bescheinigung aus­ stellte. Vielmehr mußte es auch in ihrem Interesse liegen, da nach dem Wortlaute der Bescheinigung ihre Kundin vertragsgemäße Leistung anerkannt, also Schaden­ ersatzansprüche daraus gegen sie nicht herleiten kann. — Zu vgl. § 278 BGB. — Aber selbst wenn man der Ausführung der Bell, hätte folgen können, daß der Kl. eine aus dem Dienstvertrag ergebene Sorgfaltspflicht nicht erfüllt hätte, so ist nicht abzusehen, wie die Bell, ein Zurückbehaltungsrecht an der dem Kl. eigen­ tümlich gehörigen Bescheinigung in Ermangelung jeglichen Schadens und Gegen­ anspruchs haben sollet. Wenn schließlich die Bell, ausführt, daß der Inhalt der Arbeitsbescheinigung bet Wahrheit nicht entspreche, die Leistungen des Kl. vielmehr hinter der darin bekundeten Anerkennung zurückblieben, und weiter, daß erfahmngsgemäß von solchen Bescheinigungen Dntten gegenüber zum Nachteil der Arbeitgeberin Ge-

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GO. $ 113, 114 a, 115.

brauch gemacht würde, so ist dieses Vorbringen für den gegenwärtigen Rechtsstreit belanglos. Abgesehen, daß das letztere in tatsächlicher Beziehung durchaus nicht gerechtfertigte Vorbringen nur eine Vermutung darstellt, hat die Bekl. für die Richtigkeit der von d r i t t e r Seite gezollten Anerkennung nicht einzustehen, ganz abgesehen, daß sie selbst über seine Leistungen und Führung ein Zeugnis ihm erteilt hat. Es steht oer Bekl. daher, wie klar zutage liegt, nach alledem eben­ sowenig, wie jemand gegen sie einen Anspmch wegen wahrheitswidriger Zeugnis­ ausstellung erheben kann, ein Anspmch, folgerichtig aber auch kein Zurückbehal­ tungsrecht gegen den Kl. zu. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 329.)

415. Ist das Lohnbuch Eigentum des Arbeiters? Urteil des GG. für den Stadtbezirk Stettin vom 9. Februar 1904. Kl. ist seit zwei Jahren bei der Bell. als Hosennäherin in Stellung gewesen. Sie verlangt von derselben noch die Herausgabe des Lohnbuch-. Der Klage ist stattgegeben.

AusdenGründen: § 114a GO. bestimmt im Abs. 4: „Das Lohnbuch .... ist von dem Arbeitgeber aufseineKostenzu beschaffen und dem Ar­ beiter nach Vollziehung der vorgeschriebenen Eintragungen vor oder bei der Übergabe der Arbeit kostenfrei auszuhändiaen." Daraus geht hervor, daß es Eigentum des Arbeiters wird. Der Arbeiter könnte sonst auch nach seiner Ent­ lassung über die ihm gezahlten Preise nichts beweisen. (Gewerbe- u. Kaufmanns­ ger. Jg- 13 Sp. 106.)

416. (192.) Dürfen den Droschkenkutschern für die Livree Lohnabzüge gemacht werden? Urteile des GG. Göttingen vom 6. Mai 1902 und des Landgerichts Göttingen vom 10.IM 1902.

Der Abzug ist in beiden Instanzen für unzulässig erachtet.

417. (193.) Begriff des Lebensmittels. Darf den Arbeitern Branntwein kredittert werden? Urteil des Reichsgerichts, 3. Sttafsenat, vom 16. Juni 1892. Die Kreditierung von Branntwein ist für Mässig erachtet. Wochenschrift 1892 S. 419 Nr. 4.)

(Juristische

418. (194.) Bezieht sich § 115 GO. auch auf die Gagenfordenmg des Schauspielers? Urteil des Reichsgerichts, 6.Zivilsenat vom 14.März 1898. Die Frage ist vemeint.

(Entsch. des RG. Bd. 41, S. 51.

419. (195.) Ist eine „Vollmacht" zur Erhebung des Lohnes rechtswirksam, die der Arbeiter einem Konsmnverein ausstellt, bei dem er Waren ans Kredit entnommen hat? Darf auf Grund derselben Lohn an den Verein ausgezahlt werden? Urteil des Reichsgerichts, 3.Sttafsenat, vom 19.Juni 1895.

Das Reichsgericht hat die Frage vemeint. Nr. 5.)

(Jur. Wochenschr. 1895 S. 470

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GO. § 115.

420. Ist die Lohnzahlung rechtswirksam, wenn ein Gläubiger des Arbeiters den auf den Tisch gezählten Lohn wegnimmt, ehe ihn der Arbeiter an sich nehmen kann? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 20. August 1908. Der Kl. war bis zum 18. Juli 1908 im Betriebe des Bekl. als Former beschäftigt. Durch Schreiben vom 18. Juli 1908 bestellte der Bekl. den Kl. zur Empfangnahme des verdiente nLohnes von 17,50 Mk. in sein Kontor. Als im Auftrage des Kl. dessen Schwester Rosa M. am 25. Juli im Kontor des Bekl. erschien, fand sich dort auch der Portier des Bekl. mit einer Restaurateurfrau ein, welcher der Kl angeblich Gew schuldete. Als der Kassierer den Lohn von 17,50 Mk. auf den Tisch gezählt hatte, traten der Portier und die Restaurateurfrau dazwischen und nahmen das Gell) an sich. Der Kl. hat nunmehr seinen Lohn nochmals mit der Klage gefordert, und der Bekl. hat denselben darauf am Morgen des zweiten Termintages an den Kl. bar bezahlt. Der Kl. beantragt, den Bekl. zur Zahlung der Kosten zu verurteilen.

Der Bekl. ist verurteilt. AusdenGründen: Am 25. Juli ist eine Zahlung an den Kl. oder seine Bevollmächtigte nicht erfolgt, well diese noch nicht indenBesitzdesGeldes gelangt war. Das ist bei einer Zahlung nur dann der Fall, wenn der Zahlungs­ empfänger die ungestörte Gewalt über das gezahlte Gew erlangt hat. Davon kann aber nicht die Rede sein, wenn dem Zahlungsempfänger das Geld zwar auf den Tisch gelegt worden ist, in unmittelbarer Nähe sich aber Personen befinden, die gewillt und in der Lage sind, den Empfangsberechtigten an der Besitznahme des Geldes zu hindern. So lag der Tatbestand im vorliegenden Fall. Deswegen war der Bekl. zur nochmaligen Zahlung verpflichtet, weil eine Tilgung der Lohnschuld auf anderem Wege als durch Barzahlung, insbesondere durch Bezahlung einer Schuld des lohnforderungsberechtigten Arbeiters nach §§ 115, 115a, 116 GO. verboten ist. Hätte die Bevollmächtigte das Geld schon in der Hand gehabt, so wäre eine Zahlung erfolgt gewesen, das Geld aber mit Gewalt unter Mitwirkung von An­ gestellten des Bell., mindestens des Portiers, also auf eine von ihm zu vertretende Art und Weise, rechtswidrig der Bevollmächtigten des Kl. entrissen worden. Auch dann müßte der Bell, nochmals zahlen. Es wäre dann aber das GG. nicht z u st ä n d i g. Da die Restaurateurfrau das Geld unter Duldung des Vertreters des Bell., seines Kassierers, der dies ohne Zweifel mit Leichtigkeit verhindern konnte, an sich genommen hat, so war eine Berichtigung des Lohnes in einer dem § 115 GO. zuwiderlaufenden Weise erfolgt, so daß der an die Restaurateurin gezahlte Betrag einer Arbeiterhilfskasse eventuell der Ortsarmenkasse zufällt. Da der Bell, zur Zahlung hätte verurteilt werden müssen, wenn er dem Anspruch des Kl. nicht vorher genügt hätte, so muß er nach § 91 ZPO. die Kosten des Rechts­ streits tragen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 191).

b) Urteil des GG. der Stadt Leipzig vom 14. August 1908. Der Kl. war beim Bell, als Tischler beschäftigt. Am 10. August erfolgte die Lohn­ berechnung. Es wurde festgestellt für den Kl. ein Lohnguthaben von 5 Mk. Am selbigen Tage um 7 Uhr hat der Bell, in seiner Werkstatt durch seinen Vertreter, den Architekten P., den Betrag von 5 Mk. auf einen Tisch legen lassen. An diesem Tisch standen außer dem genannten P. der Kl., sowie zwei Gläubiger desselben, die Logiswirtin des Kl. und ein Wirt. Diese hatten bereits am Morgen des 10. August bei dem Bell, sich eingefunden und ihm mitgeteilt, daß sie Forderungen an den Kl. hätten. Der Vertreter des Bell, hat ihnen mitgeteilt, daß am Abend die Lohnauszahlung erfolge, und hat ihnen den Zutritt in die Werkstatt am Abend gestattet. Ehe der Kl. das Fünfmarkstück ergreifen konnte, nahm es die Logiswirtin an sich. Der Kl. beantragt, mit der Begründung, daß eine rechtsgültige Auszahlung nicht erfolgt sei, den Bell, zur Zahlung von 5 Mk. zu ver­ urteilen. Baum, Gewerbegerichte.

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GO. §§115, 117. Der Bell, ist verurteilt.

Aus den Gründen: Es ist auf feiten des Bell, der Wille zu zahlen, aus feiten des Kl. der Wille, das Geldstück als Zahlung entgegenzunehmen, vor­ handen gewesen. Nach § 362 BGB. ist zur Zahlung außerdem noch erforderlich die Eigentumsübertragung am Geld. Diese regelt § 929 flg. BGB. Es wird verlangt Einigung und außerdem Übergabe, § 929 Satz 1 BGB. Diese ist im vorliegenden Falle nicht geschehen. Zwar wird in dem Hinlegen des Geldes in Gegenwart des Gläubigers an sich der Übereignungsakt zu finden sein. Mein die Zugriffsmöglichkeit für den Empfänger muß dabei gegeben sein. Im vor­ liegenden Falle war es aber einer dritten, vom Bellagten ausdrücklich zugelassenen Person möglich, das Geldstück wegzunehmen, ehe der Kl. zugreifen konnte. Diese Möglichkeit, einen Dritten den Zugriff vor dem Kl. zu gestatten, war aber nach dem in der mündlichen Verhandlung Borgetragenen auch von dem Bell, selbst gewollt. Das folgt einerseits daraus, daß der Bell, die Gläubiger des Kl. an den Auszahlungstisch herantreten ließ, von denen er wußte, daß sie ihrerseits den Besitz am Gelde zu erlangen beabsichtigten, andererseits dadurch, daß er ruhig, ohne ein Wort des Einspruchs einer dritten Person die Wegnahme des Geldes gestattete. Aus diesem Ümstande mußte das Gewerbegericht zu der Überzeugung

gelangen, daß der Bell, dem Kl. den Zugriff zum Gelde erschweren, einen Dritten aber ermöglichen wollte. Hiernach aber fehlt es an der Übergabe und somit an der Eigentumsübertragung, folgerichtig an der rechtsgültigen Zah­ lung, zu vgl. auch § 115, Abs. 1 RGO.

421. (196.) Kann der Arbeiter den Teil feines Lohnes, der mit feiner Genehmigung direkt an einen Schankwirt für entnommene Waren ab­ geführt ist, nochmals in bar verlangen? Urteil des GG. Königsberg i. Pr. Der Bell. Arbeitgeber ist zur nochmaligen Zahlung des Lohnes verurteilt

422. Kann der Beitrag für einen „gelben" Arbeiterverein vom Lohn abgezogen werden? Urteil des GG. Berlin, Kammer 5. Die 62 Kl. find oder waren Arbeiter im Gewerbebetriebe der Bell. Für diesen Betrieb besteht ein Verein unter dem Namen „Unterstützungsverein der Maschinen­ fabrik C. F. (Bersicherungsverein a. G. mit dem Sitz in Berlin)". Zweck des Vereins ist nach den Statuten die gegenseitige Unterstützung der Mitglieder in Krankheitsfällen, sowie Gewährung von Sterbegeld an die Hinterbliebenen verstorbener Mitglieder. Vereins­ mitglied kann jeder Arbeiter, jede Arbeiterin der Bell, werden, welche keiner Arbeiter­ organisation angehören, die auch in außerhalb der Firma stehenden Betrieben beschäftigte Arbeiter umfaßt, auch keine dieser Organisationen in irgendeiner Form unterstützen. Die Mitgliedschaft erlischt u. a. durch Austritt aus Grund schriftlicher Erklärung des Mit­ gliedes, die jederzeit erfolgen kann, oder mit Aufhebung des Arbeitsverhältnisses. — Am 29. Januar 1909 hat eine Versammlung von Arbeitern, welche Mitglieder des ge­ nannten Vereins sind, darunter auch die Kl., ihren Austritt aus dem Verein beschlossen. Diesen Beschluß hat eine von der Versammlung gewählte Kommission der Bell, mit­ geteilt. Die Kl. behaupten, daß diese Kommission der Bell, eine u. a. von den Kl. unter­ schriebene Austrittserklärung übergeben habe, was die Bell, aber bestreitet. Die Bei­ träge, welche nach dem Statut wöchentlich für männliche Arbeiter 20 Pf. betragen, wurden von den Arbeitern in der Weise entrichtet, daß der in jeder Woche zur Auszahlung ge­ langende Lohnbetrag um den Beitrag gekürzt und dieser Beitrag von der Bell, an den Verein abgesührt wurde. Auch nach dem 29. Januar ist der Lohn den Kl. nur unter

GO. § 117.

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Kürzung der Vereinsbeträge ausgezahlt worden, und zwar insgesamt mit 2 Mk. für jeden Kl. Die Kl. beantragen, die Bekl. zu verurteilen, jedem der Kl. 2 Mk. zu zahlen.

Die Bell, ist verurteilt. Aus den Gründen: Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kl. ihren Austritt aus den: Unterstützungsverein in rechtsgiltiger Weise durch Überreichung eilier von jedem einzelnen unterschriebenen Austrittserllärung — nicht bloß durch die ungenügende Mitteilung eines Versammlungsbeschlusses — erklärt haben, denn der ihnen unstreitig auch in Höhe der nicht gezahlten Beiträge von je 2 M. erwachsene Lohnanspruch ist nicht getilgt. Diese Tilgung kann nach § 115,116 GO., abgesehen von ben hier gar nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen, nur durch Barzahlung erfolgen. Sie darf auch an Dritte nicht erfolgen auf Grund von Rechtsgeschäften, welche nach § 2 des Gesetzes, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- und Dienstlohnes, rechtlich unwirksam sind. Ein solches unwirksames Rechtsgeschäft würde eine Anweisung an die Bell, sein, einen Teil des Lohnes an einen Dritten, hier den Unterstützungsverein, zu zahlen, wenigstens, sofern es sich wie im vorliegenden Rechtsstreit um 1500 M. nicht übersteigende Arbeitsverdienste handelt. Davon, daß die Anweisung erst nach Ablauf des Tages der Fälligkeit der Lohnforderung erteilt worden wäre, kann keine Rede sein, auch muß man annehmen, daß die Kl. besonders nach der Be­ schlußfassung über ihren Austritt durch Erscheinen an der Lohnzahlungsstelle jedesmal ihren ganzen verdienten Lohn, ohne Abzug der Vereinsbeittäge, gefordert haben. Sie waren jedenfalls der Meinung, daß mit der Mitteilung des Austritts­ beschlusses ihre Beitragspflicht aufhörte. Ein Fall, der in der GO. (§§ 119 g, 134, 134 b) ausnahmsweite zugelassenen Lohneinbehaltung oder -Verwirkung liegt nicht vor. Ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB. kommt nicht in Frage, weil die Lohnforderung und die Beittagsforderung auf verschiedenen Rechtsverhältnissen bestehen, und eine Aufrechnung, an welche man denken könnte, wenn der Verein seine Forderung an die Bell, abgetteten hätte, wäre nach § 394 BGB. § 850 ZPO. unzulässig. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 387.)

423. Ist eine Vereinbarung über die Einbehaltung eines Teils des Lohns alS Beitrag zu einer Arbeiterunterstützungskasse rechtsgültig? Urteil des LG. Stuttgart vom 24. November 1908. Bei der Maschinenfabrik Eßlingen besteht eine Arbeiterunterstützungskasse, welcher nach einer in der Arbeitsordnung enthaltenen Bestimmung jeder Arbeiter boizutreten hat. Über die Höhe der Beiträge und die Zahlungsweise enthält die Arbeitsordnung nichts. Dagegen ist in dem Statut der Unterstützungskasse, welches den Arbeitern beim Eintritt nebst der Arbeitsordnung behändigt wird, in § 2 bestimmt: „Neuanzustellende haben ein Eintrittsgeld von 3 Mk. zu zahlen, welches bei der ersten Lohn- oder Gehalts­ zahlung in Abzug gebracht wird." In § 3 ist bestimmt: „Als Beitrag haben die Mitglieder monatlich 76 Pf. zu zahlen, während die Maschinfabrik Eßlingen zwei Drittel des Beitrags der Arbeiter zuschießt. Den Mitgliedern werden diese 76 Pf. bei den regelmäßigen Lohn­ zahlungen in Abzug gebracht." Endlich ist in § 10 bestimmt: „Mit dem Austritt oder der Entlassung aus der Maschinenfabrik Eßlingen hört die Mitgliedschaft auf, ebenso wenn ein Mitglied mehr als ein Jahr beurlaubt war. Ausgeschiedene Mitglieder haben keinerlei Anspruch an die Kasse oder deren Vermögen." Mehrere srühere Arbeiter haben nun in ihrer Eigenschast als ehemalige Mitglieder der Arbeiterunterstützungskasse Klage erhoben auf Zurückzahlung der ihnen während ihrer Arbeitszeit bei der Maschinenfabrik Eßlingen vom Lohn einbehaltenen Eintritts­ gelder und Beiträge für die Kasse.

Durch Urteil des GG. Eßlingen vom 16. März 1908 wurde der Klage statt­ gegeben.

308

GO. § 117.

Die von der Maschinenfabrik Eßlingen eingelegte Berufung wurde zurück­ gewiesen.

AusdenGründen: Gemäß § 117 Abs. 2 GO. sind Verträge zwischen Arbeitgebem und Arbeitnehmern über die Verwendung des Arbeitsverdienstes zu einem anderen Zweck als zur Beteiligung an Einrichtungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter oder ihrer Familien nichtig. Ms eine Wohlfahrtseinrichtung im Sinne dieses Gesetzes konnte nun die Unterstützungskasse der Bell. nicht an­ gesehen werden. Es ist zwar nicht zu bezweifeln, daß die Absicht ihrer Gründer und des Arbeitgebers als Spenders ganz erheblicher Zuschüsse dahin ging, die Lage ihrer Arbeiter, die lange Zeit in ihrem Betrieb tätig gewesen sind, durch Zuwendung von Unterstützungen in Krankheitsfällen oder beim Eintritt von Altersschwäche bzw. im Todesfall an die Hinterbliebenen zu verbessern. Und es ist auch angesichts der Tatsache, daß schon sehr erhebliche Unterstützungen geleistet worden sind, die wohltätige Zweckrichtung der Kasse nicht zu bestreiten. W geht auch nicht an, mit

den Kl. der Kasse der Bekl. deshalb den Charakter einer Wohltätigkeitseinrichtung im Sinne des § 117 Abs. 2 GO. abzusprechen, weil der Arbeitgeber durch die Einrichtung derselben, wie allerdings nicht zu verkennen ist, auch eigennützige Zwecke verfolge, nämlich die Arbeiter an den Betrieb zu fesseln und einen Arbeiter­ stamm zu sichern. Andererseits entspricht es auch nicht dem Sinne jener Gesetzes­

bestimmung, die Gründung einer Pensions- und Unterstützungskasse ganz allgemein wegen ihrer wohltätigen Zweckrichtung für eine Wohlfahrtseinrichtung im Sinne des § 117 Abs. 2 GO. zu erklären. Denn in § 117 Abs. 2 GO. ist von dem in § 115 GO. ausgesprochenen Grundsatz, daß dem Arbeiter der Lohn in bar auszuzahlen ist, nicht etwa ganz allgemein zugunsten von Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen überhaupt eine Ausnahme gemacht worden, sondem lediglich zugunsten von solchen Einrichtungen, durch welche die Lage der Arbeiter oder ihrer Familien verbessert wird. Weil es sich aber um eine Ausnahmevorschrift handelt, darf sie nach anerkannten Rechtsgrundsätzen nicht ausdehnend ausgelegt werden. Diese Aus­ nahme kann nun wort- und sinngemäß nur dahin ausgelegt werden, daß die bett. Einrichtung eine Verbesserung der sozialen oder ökonomischen Lage der Ge­ sa m t h e i t der Arbeiter mit sich bringen muß. Dies ist nun allerdings nicht etwa in dem Sinne aufzufassen, daß tatsächlich auch jeder oder auch nur die Mehr­ heit der vorgesehenen Zuwendungen teilhaftig wird, aber doch in dem Sinne, daß jeder, der sich an der Einrichtung beteiligt, im Falle der Not auf ihre Unter­ stützung rechnen darf, und zwar in einer Weise, daß diese Hoffnung oder Anwart­ schaft gewissermaßen einen Posten seines Gesamteinkommens darstellt. Nur dann bildet die Beteiligung an einer solchen Einrichtung einen Ersatz für den in Abzug gebrachten Lohn, nur dann bedeutet sie eine Verbesserung der Lage aller Arbeiter. Gerade das (von Professor Dr. Ehrenberg in Göttingen in seinem Gutachten in Sachen der Pensionskasse der Firma Friedr. Krupp in Essen) an­ gezogene Beispiel der Unterstützungskasse für Wöchnerinnen, dem selbstverständlich der Wohltätigkeitscharakter nicht abzusprechen ist, zeigt eine Einrichtung, die natur­ gemäß nur unter besonderen Verhältnissen, d. h. wenn alle Arbeiter verheiratet sind, eine Verbessemng der Lage aller Arbeiter bedeutet. Die Frage, ob es sich bei einer Unterstützungskasse um eine Einrichtung im Sinne des § 117 Abs. 2 GO. handelt, kann auch nicht einfach mit Ehrenberg mit dem Hinweis darauf abgetan werden, daß der Gesetzgeber nicht daran hätte denken können, den Arbeitgebem die Befugnis zur Einführung des Beitrittszwangs für solche Kassen zu gewähren, wenn er sie nicht für Einrichtungen zur Verbessemng der Lage der Arbeiter und ihrer Familien gehalten hätte. Denn erfahrungsgemäß sind diese Kassen sehr ver­ schieden organisiert. Es muß vielmehr in jedem einzelnen Fall untersucht werden, ob nach der Organisation der Kasse die Vorteile, welche die Kasse ihren Mitgliedern gewährt, derartige sind, daß trotz der Opfer, welche die Mitgliedschaft den Arbeitem

GO. §117

309

auferlegt, von einer Verbesserung der Lage der Arbeiter und ihrer Familien im allgemeinen gesprochen werden kann. Dies mußte aber auf Grund des von der Bell, selbst gelieferten statistischen Materials bezüglich der Unterstützungskasse der Bekl. verneint werden. Von den vor 15 Jahren in die Dienste der Bekl. eingetretenen 196 Arbeitem sind im 1. Jahr allein 83 ausgetreten, in den nächsten 4 Jahren 61, in den nächsten 5 Jahren weitere 25 und in der Folgezeit noch 6, so daß von jenen 196 Arbeitern nur 11 % die zum Pensionbezug berechtigende Dienstzeit erreicht haben. Die Bekl. hat sodann weiterhin mitgeteilt, daß die Gesamtmitgliederzahl der Kasse im Jahr 1907/08 1893 betragen hat und daß von diesen 1893 Arbeitem 672 eingetreten und im Laufe des Jahres 652 wieder ausgeMeden sind. Die im Lauf eines Jahres ausgeschiedenen Arbeiter betragen demnach mehr als | der Gesamtmitgliederzahl. Diese Zahlen beweisen, daß unter den Arbeitem der Bekl. fortdauemd ein sehr erheblicher Wechsel stattfindet und daß tatsächlich nur ein ganz geringer Prozentsatz der Kassenmitglieder eine wirkliche Anwartschaft auf Unterstützung hat und daß weitaus der größte Teil der Arbeiter zur Zahlung der Kassenbeiträge verpflichtet ist ohne Aussicht auf eine Gegenleistung. Es ist nun allerdings nach den Bestimmungen des Statuts nicht ein einziges Mitglied von der Erlangung der Pension ausgeschlossen, vielmehr erhält an sich jeder Arbeiter der Maschinenfabrik eine Anwartschaft auf die Pension, und es ist geltend gemacht worden, daß schon diese Anwartschaft in der Zwischenzeit einen Vermögenswert darstellt. So hat Professor Kohler in einem zu dem Kruppschen Prozeß erstatteten Gutachten ausgeführt: „wie eine versicherte Sache mehr gelte als eine unversicherte, so werde auch ein Arbeiter oder Beamter, der Pensions­ berechtigung habe, in einer ganz anderen Lage sein, als derjenige, der der Pensions­ berechtigung entbehre. Die ganz andere Stellung der Familie des Venstonsberechtigten, das sorglose Dasein und infolgedessen die solide Familiengründung sei auch etwas wert und müsse berücksichtigt werden." Allein diese Ausführungen mögen bei Beamten, bei welchen ein häufiger Stellenwechsel schon durch die Natur des Bemfs sich verbietet und welche demgemäß mit der größten Wahrscheinlichkeit daraus rechnen dürfen, daß sie oder ihre Hinterbliebenen in den Genuß der Pension kommen, zutreffend sein. Für Mitglieder einer Arbeitemnterstützungskasse, von welchen überhaupt nur 11A das pensionsberechtigte Dienstalter erreichen, haben jene Ausführungen keine Berechtigung. Hier handelt es sich nicht mehr um An­ wartschaften, welche den Mitgliedern ein sorgenloses Dasein gewähren oder eine solidere Familiengründung ermöglichen, sondem um Zufälligkeiten, die sich von den Chancen einer Lotterie kaum wesentlich unterscheiden. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, daß bei einer ganzen Kategorie von Arbeitem, nämlich den Tagelöhnem, schon deshalb überhaupt von einer Anwartschaft nicht die Rede sein kann, weil sie nach den von der Bekl. gemachten Erfahrungen überhaupt nicht seßhaft ist und daher nie das pensionsberechtigte Dienstaller erreicht, und trotzdem werden sie, wie die übrigen Arbeiter, zum Beitritt zur Kasse gezwungen. Schon diese Tatsache allein, daß nur ein ganz geringer Prozentsatz von Kassenmitgliedem von vomherein dazu bestimmt ist, an den Vorteilen der Kasse teilzu­ nehmen, ist geeignet, die Annahme, daß die Unterstützungskasse der Bekl. eine Ein­ richtung zur Verbesserung der Lage der Arbeiter und ihrer Familien ist (NB.: nicht eine Wohlfahrtseinrichtung überhaupt) auszuschließen. Damit ist noch nicht gesagt, daß dann überhaupt sämtliche Einrichtungen, welche ihrer Natur nach nur einem bestimmten Kreis ihrer Mitglieder Wohltaten erweisen können, wie z. B. alle Hilfskassen, die den Zweck verfolgen, den Arbeitem oder ihren Familien in Krankheits- oder in anderen Notfällen Unterstützung zu sichem, aus dem Rahmen der Wohlfahrtseinrichtungen im Sinne des § 117 Abs. 2 GO. auszuscheiden seien. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß hier die Anwartschaft auf Unter­ stützung sofort mit dem Beitritt zur Kasse entsteht, während bei der Unterstützungs-

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GO. §117.

lasse der Bell, das Kassenmitglied erst eine ununterbrochene 15 jährige Dienstzeit hinter sich haben und insolange seiner Beittagspflicht genügt haben muß, um im Krankheits- oder Jnvaliditätsfall auf einen Zuschuß aus der Kasse rechnen zu können. Und gerade weil auf Grund der Statistik feststeht, daß nur ein ganz geringer Prozentsatz der Kassenmitglieder von vornherein damit rechnen kann, dieses Dienstalter zu erreichen, kann Don einer Verbesserung der Lage der Arbeiter und ihrer Familien überhaupt durch die Unterstützungskasse der Bell, nicht gesprochen werden. Dabei kann dem Umstand, daß nach der Behauptung der Bell, die Mehr­ zahl der Austritte auf freier Entschließung der Austtetenden beruht, keine Be­ deutung zukommen. Denn da der stattstisch nachgewiesene häufige Arbeiterwechsel zugestandenermaßen ein durch die Jahre dauernder ist, so handelt es sich hier nicht etwa um eine zufällige Erscheinung, die mit dem Bettieb der Bell, an sich nichts zu tun hätte, vielmehr ergibt sich daraus, daß dieser Arbeiterwechsel in dem Betriebe selbst wurzelt, gewissermaßen eine dem Betrieb anhaftende Eigenschaft ist und daher bei der Beurteilung der Kasseneinrichtung, die bei ihrer Verquickung mit den: Betrieb natürlich nicht losgelöst von diesem beurteilt werden kann, wohl berück­ sichtigt werden muß ohne Rücksicht darauf, wie oft im einzelnen der Austtitt auf freier Entschließung des Austretenden beruht oder auf Kündigung oder Ent­ lassung seitens des Arbeitgebers. Zu der Tatsache, daß nur ein ganz geringer Prozentsatz in den Genuß der Kassenunterstützung kommt, reiht sich nun weiter die Tatsache, daß den aus­ scheidenden Kassenmitgliedern die von ihnen geleisteten Beiträge weder ganz noch teilweise ausbezahlt werden. Bei der Mehrzahl der Kassenmitglieder sind somit die Beitragsleistungen reine Opfer, denen irgendwelche Vorteile nicht gegenüberstehen. Ob der Ausschluß der Rückzahlung der Beträge auf versicherungs­ technischer Notwendigkeit beruht, kann dahingestellt bleiben. Denn für die Be­ urteilung der Frage/ ob die Kasse eine Wohltätigkeitseinrichtung im Sinne des § 117 Abs. 2 GO. ist, kommt lediglich in Betracht das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, von den Vorteilen, die die Kasse der Arbeiterschaft bietet, und den Nachteilen, die sie ihr auferlegt, nicht aber, ob diese Nachteile in der Organi­ sation der Kasse als einer Versicherung begründet sind. Da nun nach den vorstehenden Ausführungen die Unterstützungskasse der Bell, nicht als eine Einrichtung zur Verbesserung der Lage der Arbeiter und ihrer Familien angesehen werden kann, sind die für die Kasse gemachten Abzüge durch die Ausnahmevorschrift des § 117 Abs. 2 GO. nicht gedeckt. Die Vereinbarung in § 3 des Kassenstatuts ist daher ein dem § 115 GO. zuwiderlaufender Vertrag und als solcher gemäß § 134 BGB. nichtig; die Kl. können gemäß § 116 GO. Zahlung ihrer 'berechtigten Lohnforderungen verlangen. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 14 Sp. 219.)

424. Ist eine Zwangssparkasse als Wohlfahrtseinrichtung anzusehen, wenn bei Aufgabe der Arbeit die Spareinlagen nur unter gewissen Bedingungen zuriiügezahlt werden? Urteile des GG. Düsseldorf vom 22. Oktober 1909 und des LG. Düssel­ dorf vom 17. Januar 1910.

Die Glashütte zu G. erließ im Februar 1909 folgende Bekanntmachung: „Wir machen hierdurch bekannt, daß wir mit dem 12. März d. I. die Löhne der Glasmacher um 5 Pf. pro Hüttenhundert, die der Pfleger und Schürer um 25 Pf. pro Schicht ermäßigen. Doch wird dieses Geld den Arbeitnehmern gut­ geschrieben, es findet also ein Lohnausfall für dieselben nicht statt. Diese Spareinrichtung tritt an Stelle einer sonst durch die Ver­ hältnisse notwendig gewordenen Lohnreduktion. Für jeden der genannten Arbeit-

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nehmer wird ein Kontobuch angelegt und wird der Betrag jährlich eingeschrieben. Die Zinsen werden ebenfalls jährlich berechnet. Die Auszahlung des Betrages erfolgt mit Übereinstimmung der Mitglieder des Arbeiterausschusses unter fol­ genden Bedingungen: 1. Wenn der Betrieb in G. teilweise eingeschränkt wird und die Arbeiter zu feiern gezwungen sind: a) wenn das Feiern länger als vier Wochen dauert, 2 Mk. pro Tag; b) bei länger als sechswöchentlicher Dauer 3 Mk. pro Tag. 2. In Krankheitsfällen: a) wenn die Krankheit länger als 13 Wochen dauert, einen Betrag in Höhe des Krankengeldes; b) in Krankheitsfällen von länger als 26 Wochen den doppelten Betrag des Krankengeldes. 3. Bei Invalidität den Betrag in Höhe der vollen Rente, bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit den restierenden Betrag. 4. Wenn der Betrieb in G. eingestellt und der Kontoinhaber dadurch arbeitslos wird. 5. Wenn der Kontoinhaber das 50. Lebensjahr erreicht hat, die Hälfte, bei vollendetem 55. Lebensjahre den Rest des Guthabens. 6. Wenn dre Kontoinhaber stirbt, so fällt der Betrag an die gesetzlichen Erben desselben. 7. Wer den Betrieb in G. verläßt, erhält den Betrag nach den unter 5 und 6 angebenen Bedingungen. 8. Der Betrag wird nur bis zur Erschöpfung des Kontos bezahlt. Wer von den Arbeit­ nehmern nicht damit einverstanden ist, ersuchen wir, die Kündigung einzureichen. Wer bis zum 2. März nicht gekündigt hat, nehmen wir an, daß dieselben mit uns einverstanden sind und unte? den gegebenen Bedingungen weiterarbeiten wollen."

Die Klage auf Rückzahlung der einbehaltenen Spargelder wurde vom GG. zurückgewiesen. Aus den Gründen des GG.: Die zu erlassende Entscheidung hängt von Beantwortung der Frage ab, ob die Spareinrichtung der Bell, zu den Wohl­ fahrtseinrichtungen des § 117 der GO. gehöre. Unter Zugrundelegung der von den Parteien getroffenen Vereinbarung und Berücksichtigung der über Wohl­ fahrtseinrichtungen des § 117 GO. bestehenden Literatur sowie im Anschluß an die bestehende Rechtsprechung war diese Frage zu bejahen. Aus der Bestimmung wonach die Spareinrichtung an Stelle einer sonst notwendigen Lohnreduktion treten soll und der weiteren, derzufolge dem Konteninhaber der erworbene Anteil nebst Zinsen verbleibt, auch dann, wenn er sein Arbeitsverhältnis vor Eintritt eines Rückzahlungstermins aufgeben sollte, geht, abgesehen davon, daß die Ar­ beiter der Bell, und unter ihnen auch Kl., ihr Einverständnis mit erwähnten: Vertrage dadurch bekundeten, daß sie bis zum 12. März ihr Arbeitsverhältnis nicht aufkündigten, llar und deutlich hervor, daß Bell, nicht eine Lohnkürzung vornehmen wollte, die zu ihrem Vorteil gewesen, daß sie vielmehr, um einer durch die Verhältnisse gebotenen Lohnkürzung vorzubeugen, in Frage stehende Spar­ einrichtung und damit eine Wohlfahrtseinrichtung für ihre Arbeiter schuf. In der Literatur gehen die Meinungen nun insoweit auseinander, als es sich um Kassen handelt, die eingezahl e Beträge nicht zurückerstatten, wenn em Arbeiter sein Arbeitsverhältnis aufgibt, bevor ein Rückza lunastermin eingev-eten ist. Aber selbst diese Kasseneinrichtungen sind nach der bestehenden Rechtsprechung als Wohlfahrtseinrichtungen anzusehen. Es ist daher ganz zweifellos, daß die von der Bell, mit ihrem Arbeiterausschuß geschaffene Spareinrichtung zu den Wohl­ fahrtseinrichtungen des § 117 GO. gehört. Auf die Berufung eines Kl., dem mehr als 100 Mk. zurückbehalten waren, hat das LG. das Urteil des GG. abgeändert und die Bell, zur Rüchablung ver­ urteilt. Aus den Gründen des LG.: Laut § 117 der GO. sind Verträge über die Verwendung des Arbeitsverdienstes zu anderen Zwecken als zur Be­ teiligung an Einrichtungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter oder ihrer Familien nichtig. Die Frage, ob in der Urkunde vom 9. Februar 1909 eine Ver­ wendung von Arbeitsverdienst vorgesehen ist, ist zu bejahen.- Denn die um 5 bzw. 25 Pfg. ermäßigten Löhne sollen ausdrücklich keinen Lohnausfall in sich'

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schließen; durch Gutschrift in ein Kontobuch, das für jeden Arbeiter angelegt'wird. soll diese vermieden werden. Es ist deshalb zu prüfen, ob im vorliegenden Falle die Verwendung des entzogenen Arbeitsverdienstes als eine solche Beteiligung anzusehen ist. Das ist zu vemeinen. Es sind erhebliche Nachteile für den Arbeiter vorhanden, die er bei freigeübten Spareinlagen nicht haben würde. Bor allem folgt das aus der Bestimmung, daß bei Aufgabe der Arbeit die Auszahlung des erworbenen Anteils erst bei zurückgelegtem 60. Lebensjahr zur Hälfte, dann bei zurückgelegtem 55. Lebensjahr ganz, und sonst nur im Todesfälle an die Erben erfolgt. Es kommen als weitere Nachteile der späte Verzinsungsbeginn, erst am Anfänge des neuen Geschäftsjahres, und die Unmöglichkeit, eine bessere Ver­ zinsungsmöglichkeit auszunutzen, hinzu. Es ist bei dieser Sachlage nicht zu ver­ kennen, daß der Hauptvorteil dieser Einrichtung auf feiten der Bekl. (der Glas­ hütte) ist, die durch den Ausschluß der Verfügungsberechtigung der Arbeiter über ihr Guthaben im Falle eines Austritts bis zum 55. Jahre die Arbeiterschaft zu einem Unterlassen der Kündigung dort beeinflußt, wo sie ohne diese Bestimmung ausgesprochen worden wäre. Denn der Austritt aus dem Arbeitsverhältnis ist immer mit einem wirtschaftlichen Nachteil für den Arbeiter verknüpft, da ihm die Verfügung über seine Ersparnisse fehlt. Erwägt man, daß das Gesetz die Be­ teiligung an Wohlfahrtseinrichtungen als Ausnahme von einem Verbot gestattet, daß dämm ihre Gestattung nicht ausdehnend auszulegen ist, so muß hier, wo die Vorteile der Einrichtung für die Bekl. überwiegen, eine solche in der Verwendung des Arbeitsverdienstes vemeint werden. Da also eine Wohlfahrtseinrichtung nicht in Betracht kommt, so steht dem Kl. die Forderung auf sein Guthaben un­ streitig zu.

425. 1. Ist eine Arbeiter-Pcnsionskasse noch als „Wohlfahrtseinrichtung" anzufehen, wenn eine Rückzahlung gezahlter Beitrüge in keinem Fall erfolgt? 2. Berstößt der Arbeitsvertrag, welcher zum Beitritt z« einer solchen Kasse verpflichtet, gegen die guten Sitten?

a) Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Februar 1907 *). Die bekl. Firma hat auf Grund des § 86 KVG. vom 15. Juni 1883 eine Kasse er­ richtet, die in ihren Anfängen auf die im Jahre 1855 von dem damaligen Inhaber der Gußstahlfabrik gegründete Kranken» und Sterbekasse zurückreicht und seit der Neuerrichtung im Jahre 1884 den Namen „Pensionskasse für die Gußstahlfabrik der Firma Fr. Krupp" führt. Für diese Kasse ist ein Statut aufgestellt, welches durch Verfügung der Kgl. Re­ gierung zu Düsseldorf vom 11. Oktober 1884 genehmigt worden ist und der Kasse im § 18 die Rechte einer juristischen Person gibt. Aus dem Inhalt des Statuts ist zu ent­ nehmen, daß alle in der Gußstahlfabrik gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen, die der Krankenkasse angehören, berechtigt und verpflichtet sind, der Kasse beizutreten, daß die Mitgliedschaft mit dem Eintritt in die Beschäftigung aus der Gußstahlfabrik beginnt und mit dem Ausscheiden aus dem Dienste erlischt, und daß die Mitglieder Eintrittsgelder in Höhe des 1 ^fachen Betrages eines Tagesarbeitsverdienstes und Beiträge in Höhe von 2y2% des Arbeitsverdienstes zu leisten haben. Diese Beiträge werden nach § 4 Abs. 3 des Statuts bei jeder regelmäißgen Lohnzahlung in Abzug gebracht und innerhalb 14 Tagen an die Kasse vergütet, eine Bestimmung, die, was den Lohnabzug anbelangt, auch im § 32 Abs. 3 Nr. 2 der Arbeitsordnung der bell. Firma enthalten ist. Im § 15 Abs. 1 des Pensionskassenstatuts heißt es ferner: „Mit dem Ausscheiden eines Mitgliedes aus dem Dienste der Firma erlöschen alle Ansprüche desselben und seiner Hinterbliebenen an die Pensionskasse." Diese Vorschrift ist bisher stets dahin gehandhabt worden, daß auch die vom Lohn in Abzug gebrachten und an die Kasse abgeführten Ein­ trittsgelder und Beiträge bei dem Ausscheiden eines Mitgliedes als der Kasse verfallen galten. *) Ebenso GG. Mainz („Gewerbeger." Jg. 5 Sp. 27).

1. Ausl. Nr. 197.

GO. §117.

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Die Kl. waren früher Arbeiter auf der Gußstahlfabrik der bekl. Firma und als solche auch Mitglieder der erwähnten Penfionskasse. Bei ihrem Diensteintritte haben sie die Arbeitsordnung wie das Statut der Penfionskasse ausgehändigt erhalten, darüber quit­ tiert und durch ihre Unterschrift bestätigt, daß sie die darin enthaltenen Bestimmungen als für sich verbindlich anerkennen. Sie sind im Jahre 1906 bzw. 1907 aus den Diensten der Firma ausgeschieden und haben alsdann gegen die Bekl. Klage erhoben aus Zurückzahlung der ihnen während ihrer Arbeitszeit bei der Firma vom Lohn einbehaltenen Eintrittsgelder und Beiträge für die Kasse. Das GG. Essen hat die Klage durch Urteil vom 9. September 1907 abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben vier der Kl. Berufung eingelegt. Die Bekl. hat zur Unterstützung ihres bereits in erster Instanz vertretenen Stand­ punkts Urteile des Amtsgerichts und Landgerichts zu Dresden vom 15. bzw. 7. März 1907 sowie Gutachten der Professoren Dr. Kohler in Berlin und Dr. Ehrenberg in Göt­ tingen überreicht und unter Beibringung statistischen Materials im einzelnen die Ziele und Erfolge der Pensionskasse als die einer Woylfahrtseinrichtung dargelegt sowie die versicherungstechnische Notwendigkeit des Verfalles der Beiträge begründet. Sie hat weiterhin dem Einwand, daß der § 117 GO. gegenüber der Vorschrift des § 115 a GO. keine Anwendung finde, die Entstehungsgeschichte und Zweckbestimmung des § 115 a entgegengehalten und ist dem Borwurf der Sittenwidrigkeit des Arbeitsvertrages mit dem Hinweis darauf begegnet, daß der Beitragsverfall sich nur vom Standpunkt der Bersicherungstechnik beurteilen lasse, daß er sich in den Statuten vieler gleichartigen Kassen finde, insbesondere micf) in der Gestaltung der Reichsinvalidenversicherung eine Analogie habe, und daß er bisher von den Aufsichtsbehörden niemals beanstandet worden sei.

Tas Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem ersten Richter den Lohnabzug für rechtlich zulässig und die Zahlung des an die Pensionskasse abge­ führten Lohnteilbettages für rechtlich wirksam erachtet. Aus den Gründen: 1. Die Rechtmäßigkeit der Vereinbarung des Lohnabzuges und seiner Verwendung als Beittagszahlung folgt aus § 117 Abs. 2 GO. Nach dieser Bestimmung sind Verabredungen zwischen den Gewerbetteibenden und den von ihnen beschäftigten Personen über die Verwendung des Ver­ dienstes der letzteren zu einem anderen Zweck als zur Beteiligung an Einrich­ tungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter oder ihrer Familien nichtig. Ver­ abredungen, welche die Verwendung des Verdienstes zu letztgenanntem Zweck zum Gegenstand haben, sind demnach gültig, und um eine solche Verabredung handelt es sich hier. Denn der den Kl. einbehaltene Lohnteilbettag sollte verein­ barungsgemäß als Einttittsgeld und Beittag der Kl. zur Pensionskasse der Guß­ stahlfabrik abgeführt werden und hat unstreitig auch diese Verwendung gefunden. Die Pensionskasse stellt aber eine Einrichtung dar, durch welche die Lage der Arbeiter der Gußstahlfabrik eine Verbesserung erfahren haben soll und kann, tat­ sächlich auch bereits in erheblichem Umfange erfahren hat. Nach ihren Satzungen verfolgt die Kasse den Zweck, Arbeitern, welche fünfzehn oder zwanzig Jahre lang in Diensten der Gußstahlfabrik gestanden haben und als arbeitsunfähig er­ scheinen, eine Lebensunterstützung zu gewähren, die im Falle des Todes des Arbeiters seinen Hinterbliebenen zukommt, sofem der Arbeiter bei seinem Tode vermöge seiner Dienstzeit zum Pensionsbezuge berechttgt war. Diesen Zweck hat die Kasse auch seit ihrer Neuerrichtung im Jahre 1884*m einem Umfange ver­ wirklicht und erfüllt, dessen Bedeutung von den Kl. selbst ausdrücklich anerkannt worden ist. So sind nach dem Jahresbericht der Kasse für 1906 in den Jahren 1885 bis 1906 rund 16 350 000 Mk. an Pensionen bezahlt, und sind nach der unbestrittenen Angabe der Bekl. in der Zeit vom 1. Januar 1885 bis 1. Oktober 1907 unterstützt worden:

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&£. § 117. 3462 2066 422 464

insgesamt

Invaliden mit 12034137,08 Witwen mit 5211261,53 Waisen mit. 121 344,48 Halbinvaliden mit....... 396 760,54

6424 Personen

mit

Ml. „ „ „

17 763 703,63 Mk.

wobei die Familienangehörigen der Invaliden, Halbinvaliden und Witwen nickt mitgerechnet sind. Es haben ferner die Durchschnittspensionen der invaliden Männer im Jahre 1906 rund 849 Mk. betragen, während die einzelnen Beitrags^ leistungen der Pensionäre im ganzen nur den Betrag von 425 bis 675 Mk. erreicht haben. Schätzungsweise werden am Schlüsse des Jahres 1907 rund 9000 Personen durch die Pensionskasse unterstützt werden, und der Jahresaufwand wird Ende 1908 voraussichtlich die zweite Million erreicht haben. Gleich hier muß erwähnt werden, worauf später noch Bezug zu nehmen ist, daß diese großen Kassenleistungen neben der Ansammlung eines zur Sicherstellung der Pensions­ ansprüche dienenden Kapitalvermögens von (Ende 1906) 18 370 000 Mk. nur da­ durch ermöglicht werden konnten, daß die Bell, und ihre Rechtsvorgängerin, die Firma Friedr. Krupp, zur finanziellen Stärkung der Pensionskasse dauernd sehr erheblich beigetragen haben. Sie haben vom 1. Januar 1885 bis 30. September 1907 der Pensionskasse zugeführt:

laufende Beiträge besondere Zuwendungen Berwaltungskosten...............

12387 963 Mk., 3 950 000 „ 195 202 „

zusammen: 16 533 165 Mk.

Solchen evidenten Wohlsahrtswirkungen und charitativen Bestrebungen gegenüber können die Kl. den Charakter der Kasse als einer der Verbesserung der Lage der Arbeiter dienenden Einrichtung nicht mit dem Hinweis darauf bestreiten, daß die M e h r z a h l der Personen, die der Kasse als Mitglieder beitreten, infolge ihres vorzeitigen Austritts aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch aus der Kasse der Wohltaten der Einrichtung nicht teilhaftig werden. Es ist eine allge­ meine Eigentümlichkeit der im § 117 Abs. 2 GO. erwähnten Einrichtungen, daß sie nur für Werksangehörige bestimmt sind, sodaß das Ausscheiden aus der Werks­ angehörigkeit auch von den Leistungen der Wohlfahrtseinrichtung ausschließt, und es kann ebensowenig gegen den Charakter der Kasse als der einer Wohlfahrts­ einrichtung sprechen, daß nach ihrem Statut die Pensionierung erst nach einer

Reihe von Jahren eintritt. Der Gedanke einer jeden Pensionierung ist der einer Fürsorge für Arbeiter, die durch die Verrichtung langjähriger Dienste arbeits­ unfähig geworden sind. Wenn diese Versorgung nicht an j e d e Arbeitsunfähig­ keit geknüpft wird, sondem nur an eine solche, die sich als Folge einer längeren bestimmten Dienstzeit herausstellt, so ist auch dies, wie Professor Dr. Kohler bemerkt, ein ethisches und wirtschaftlich richtiges Prinzip, das der Einrichtung keineswegs ihre Wohlfahrts-Eigenschaft nimmt. Nach den Bestimmungen des Statuts ist nicht ein einziges Mitglied von der Erlangung der Pension ausgeschlossen, vielmehr erhält jeder Arbeiter der Fabrik eine Anwartschaft auf die Pension. An dieser Wesenseigenschaft der Einrichtung, die in sich schon die wohltätige Zweckrichtung erkennen läßt, kann der Umstand, daß die Mehrzahl aller einmal bei der Bell, eingetretenen Arbeiter und Mitglieder der Kasse nicht in den Genuß der ihnen zugedachten Pension kommt, grundsätzlich überhaupt nichts ändern. Denn das Charakteristische der Wohl­ fahrtsbestrebung liegt nicht darin, daß sich ihre endgültigen Wirkungen unbedingt in der Person eines jeden Mitgliedes oder doch der überwiegenden Zahl der Mitglieder der Einrichtung erfüllen. Wollte man so weit gehen, dies anzunehmen,

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dann würden sämtliche Einrichtungen, welche ihrer Natur nach nur einem be­ stimmten Kreis ihrer Mitglieder Wohltaten erweisen können, wie z. B. alle Hilfs­ kassen, die den Zweck verfolgen, den Arbeitern oder ihren Familien in KranHeitsund anderen Notfällen Unterstützung zu sichern, aus dem Rahmen der Wohlfahrts­ einrichtungen auszuscheiden fein'; dann würde schließlich der Charakter einer solchen Einrichtung abhängig sein von zahlenmäßigen Verhältnissen und Zufälligkeiten, die ihrem Inhalte nach mit der beabsichtigten Verbessemng der Arbeiterlage nichts zu tun haben, und auf die eine im Sinne der Einrichtung günstige Einwirkung ausüben, keinen» Begründer einer derartigen Einrichtung gegeben wäre. Wie wenig aber auch im vorliegenden Falle die Annahme zutrifft, daß nur eine uner­ hebliche Minderheit der Wohltaten der Kasse teilhaftig werde, beweist die unbe­ strittene Tatsache, daß von den vor 15 Jahren eingetretenen Arbeitem am 1. Jan. 1907 noch 41%, nämlich 6956, und von den vor 20 Jahren eingetretenen noch 30%, nämlich 3697, bei der Bell, im Arbeitsverhältnis gestanden haben. Diese Personen haben also das pensionsfähige Mter erreicht, und wenn die übrige Mehrzahl, die die Hälfte aller vor 15 Jahren eingetretenen Mitglieder nur wenig übersteigt, die Segnungen der Einrichtung nicht erreicht, so liegt dies daran, daß sie sich zum weitaus überwiegenden Teil ihrer aus der Anwartschaft entspringenden Rechte durch freiwilligen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis begibt. So sind im Jahre 1906 von einer Arbeiterschaft von 32 698 Mann 14 340 ausgeschieden und hiervon 12 594 = 87,7% ohne Einwirkung der Bell, durch Austritt mit oder ohne Kündigung. Bemerkenswert ist dabei, daß unter den letzteren Personen eine Dienstzeit von weniger als 1 Jahr 9871 = 78,3% und eine solche von weniger als 5 Jahren 12 201 = 96,8% hatten. Das läßt erkennen, daß die E i n r i ch t u n g der Kasse mit dem vorzeitigen Ausscheiden der Mitglieder nichts zu tun hat, und daß der Betriebsunternehmer oder der sonstige Begründer einer Einrichtung zur Verbesserung der Arbeiterlage der Tatsache gegenüber, daß nicht alle Mitglieder ihrer Wohltaten teilhaftig werden, völlig ohne Einfluß ist. Gänzlich verfehlt ist endlich auch der Einwurf der Kl., daß die Bell, die Kasse in ihrem eigenen Interesse, als ein Mittel zum Zwecke der Streikabwehr errichtet habe und aus diesem Grunde der Kasse der Wohlfahrtscharakter nicht zugesprochen werden könne. Wenn wirllich bei Gründung der Einrichtung im Jahre 1855 und bei der Neuerrichtung der Kasse im Jahre 1884 auf feiten der Bell, der Ge­ danke ein mitleitender gewesen ist, mit der Einrichtung die Arbeiter an ihr Werk zu fesseln und sich einen Arbeiterstamm zu sichern, so ist darin ein so berechtigtes und loyales Motiv zu erblicken, daß der Kasse als solcher ihre humanitäre Eigen­ schaft damit nicht genommen wird. Zudem besitzt im vorliegenden Falle die Pen­ sionskasse der bell. Firma Rechtspersönlichkeit, ihr Vorstand setzt sich aus acht Personen zusammen, von denen vier aus dem Kreise der Kassenmitglieder ge­ wählt werden. In den Jahren von 1891 bis 1906 haben ferner unter 261 Sitzungen des Vorstandes in 244 Sitzungen die von den M i t g l i e d e r n gewählten Ber­ ti e t e r die Mehrheit gebildet, und nur in 17 Sitzungen hat Stimmengleichheit geherrscht. Es kann daher wohl nicht die Rede davon sein, daß die Bell, mit der Kasse wesentlich eigennützige Ziele verfolge. Gegen eine derartige Unterstellung sprechen vornehmlich auch die erehblichen außerordentlichen Kapitalzuwendungen im Laufe der Jahre, die eine weil über das gewöhnliche Maß hinausgehende Anteilnahme der Bell, und ihrer Rechtsvorgängerin an der Fördemng des Wohl­ ergehens ihrer Arbeiterschaft erkennen lassen. Nach alledem hat das Gericht die von der Kl. beantragte Einholung eines versicherungstechnischen Gutachtens über die Frage, ob die Pensionskasse der bell. Firma nach ihren Wirkungen eine Einrichtung zur Verbessemng der Lage der Arbeiter sei, für entbehrlich erachtet und ohne das geringste Bedenken die Fest-

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stellung treffen zu können geglaubt, da» die fragliche Kasse sämtliche Anforderungen, die an den Begriff einer Wohlfahrtseinrichtung im Sinne des § 117 GO. zu stellen sind, erfüllt 2. Die Kl. halten in erster Linie den Verfall der Beiträge an sich für sitten­ widrig und rechtsungültig. Auf diese Frage und ihre Rechtsfolgen soll daher zunächst eingegangen werden. Nach § 1 des Statuts der Pensionskasse erlischt die Mitgliedschaft mit dem Ausscheiden aus dem Dienste der Firma Krupp und nach § 15 des Statuts er­ löschen mit dem Ausscheiden eines Mtgliedes aus dem Dienste der Firma alle Ansprüche desselben und seiner Hinterbliebenen an die Pensionskasse. Wenn man diese letztere Bestimmung für sich allein bewachtet, so ist darin bei gram­ matischer Interpretation allerdings, wie Professor Dr. Lotmar hervorhebt, eine Verneinung des Anspruchs auf Rückzahlung der Beiträge nicht zu finden. Denn sie läßt erlöschen die Ansprüche des Mitgliedes und seiner Hinterbliebenen, die

aus der Mitgliedschaft, nicht aber die, die aus dem Aufhören der Mitglied­ schaft entstanden sind, und der Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge kann erst mit dem Ausscheiden entstehen. Im Satz des § 15 a. a. O. ist jedoch eine weitere Bestimmung enthalten, die deutlich erkennen läßt, daß mit der Bestimmung des Satzes 1 auch die Pflicht der Kasse zur Rückerstattung der Beiträge ausgeschlossen werden sollte. Denn in Satz 2 § 15 a. a. O- heißt es: „Denjenigen Mitgliedern jedoch, welche gegen ihren Willen und ohne anderen Grund als Mangel an Arbeit entlassen werden, wird im Falle eines Wiedereintritts in den Dienst der Firma die früher bei der Firma zugebrachte Dienstzeit angerechnet, wenn sie innerhalb vier Wochen nach ihrem Eintritt beim Vorstande der Pensionskasse darauf antragen. Von solchen Mitgliedern wird bei ihrem Wiedereintritt kein Eintrittsgeld erhoben." Beides kann nur unter der Voraussetzung bestimmt sein, daß die früher gezahlten Beiträge nebst Eintrittsgeld nicht zurückerstattet worden sind. Es ist also davon auszugehen, daß die Rückerstattung im § 15 Satz 1 des Statuts vemeint werden sollte. Ob nun diese Versagung der Rückerstattung gültig oder — weil gegen die guten Sitten verstoßend — ungültig ist, kann für den vorliegenden Rechtsstreit auf sich beruhen bleiben. Denn im Falle der Ungültigkeit würde den Kl. ein An­ spruch wohl gegen die Kasse auf Erstattung der Beiträge gegeben sein, nicht aber gegen die Bell, auf Zahlung der vom Lohne in Abzug gebrachten Beträge, weil dann der nach Ansicht der Kl. in dem V e r f a 11 der Beiträge liegende Verstoß des Arbeitsvertrages gegen die guten Sitten seiner Grundlage ent­ behren würde. Nur wenn die Ungültigkeit der Bestimmung des § 15 des Statuts auch die Nichtigkeit des ganzen Kassenstatuts und damit des Vertrages über die Versicherung zur Folge hätte, ließe sich eine Haftung auch der Bell, auf Rückerstattung der vom Lohne abgezogenen Beiträge rechtfertigen. Das Gericht hat aber nicht angenommen, daß der § 15 a. a. O-, soweit er den Verfall der Beiträge ausspricht, in einem solchen innern Zusammenhang mit dem Vertrage über die Pensionsversicherung steht, daß mit der Nichtigkeit der Bestimmung über den Beitragsverfall das ganze Rechtsgeschäft der Nichtigkeit unterliegt. Die Kl. können also die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages nur bei Unterstellung der Gültig­ keit des Beitragsverfalls geltend machen, und deshalb ist der Arbeitsvertrag nur unter dieser Voraussetzung einer Betrachtung aus § 138 BGB. zu unterziehen. Um dabei zu einer objektiv richtigen Beurteilung zu gelangen, erscheint es notwendig, sich zunächst die Höhe der Beiträge zu vergegenwärtigen, deren Ver­ lust die ausscheidenden Mitglieder treffen kann. Nach dem Pensionskassenstatut betragen die Beiträge — von den Eintrittsgeldern in Höhe des eineinhalbfachen Betrages eines Tagesverdienstes bis zu 6% Mk. abgesehen — 2*/2% des Arbeits­ verdienstes bis zu 62/s Mk. sür den Arbeitstag oder 2000 Mk. für das Jahr. Es ist schon oben hervorgehoben, daß nach dem Jahresberichte der Kasse für das Jahr

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1906 die pensionierten Mitglieder, also Arbeiter, biejtad) einer Beschäftigungszeit von mindestens 15 oder 20 Jahren arbeitsunfähig geworden sind, im Jahre 1906 mit Beitragsleistungen von insgesamt 425 bis 675 M. in den Genuß der Pension getreten sind, und daß Britragsleistungen über 675 Mk. Ausnahmen waren. Als Mittel der von den pensionierten Mitgliedern geleisteten Beiträge kann man daher einen Betrag von etwa 550 bis 575 Mk. annehmen. Berücksichtigt man nun, daß dieser Betrag sich auf mindestens 15 bis 20 Jahre verteilt, und daß o i e Mitglieder, die durch Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis der eingezahlten Beiträge verlustig gehen, zu über 70% eine Dienstzeit von weniger als einem Jahre und zu über 90% eine solche von weniger als fünf Jahren aufweisen, so stellt sich doch schon, rein objektiv betrachtet, der die Ausscheidenden treffende Nach­ teil nicht als ein so erheblicher dar, wie ihn die Kl. ohne Berücksichtigung des statistischen Materials, und wie ihn vor allem Prof. Dr. Lotmar in allgemein gehaltenen Wendungen zu schildem untemehemn. Wenn nun auch das Gericht keineswegs verkennt, daß der Verfall von Bei­ trägen, selbst wenn sie nicht erheblich sind, für die ausscheidenden Mitglieder eine gewisse Härte bedeutet, so ist doch für oen Begriff einer Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 BGB. der Betrag der verfallenden Beiträge keineswegs ohne Be­ deutung. Es geht nicht an, in jeder Härte oder Unbilligkeit, die die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses unter Umständen mit sich bringt, ein Moment zu er­ blicken, welches gegen die Rechtsgültigkeit des Arbeitsver rages als solchen spricht und seinen Inhalt zu einem moralisch verwerflichen macht. Im Interesse des Verkehrs und seiner Sicherheit muß vielmehr daran festgehalten werden, daß ein­ mal geschlossene Verträge tunlich aufrecht zu erhalten sind. Denn es würde zu einer bedenklichen Rechtsunsicherheit führen, wenn man schlechthin Verträge erst beim Eintritt ihrer Realisierung auf ihre Übereinstimmung mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein prüfen wollte. (Depöne int GG. XIII Nr. 2 S. 33). Der Einwand aus § 138 BGB. kann deshalb auch nur als ein außerordentliches Mittel zur Abwehr von Rechtswidrigkeiten betrachtet werden. Das BGB. sagt aller­ dings nun nicht und konnte auch nicht sagen, was „die guten Sitten" sind; es gibt aber im Abs. 2 des § 138 eine erläuternde Spezialbestimmung, aus welcher sich seine Auffassung entnehmen läßt. Danach richtet sich die ganze Vorschrift offen­ bar gegen die Ausbeutung einer Person unter Benutzung ihrer Notlage, Uner­ fahrenheit oder ihres Leichtsinns. Gerade in dem Ausbeutungscharakter eines Rechtsgeschäfts erblickt also das BGB. das unsittliche Element und das sub­ jektive Moment des zivilrechtlichen Tatbestandes, das sich objektiv in dem auffälligen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dokumen­ tiert (zu vgl. Enssch. des RG. in Jur. Woch. 1906,420;RG.-Entsch. Bd. 64 S. 181.) Ist das aber der Inhalt des Gesetzes, so fehlt es in anbetracht der oben vor­ geführten verhältnismäßig geringen Beiträge schon objektiv an der Voraus­ setzung eines in dem Arbeitsvertrage liegenden Verstoßes gegen die guten Sitten. Denn die Kl. haben selbst nicht geltend gemacht, daß der ihnen nach Abzug der Beiträge verbleibende Verdienst auf ein unverhältnismäßig geringes Maß herab­ gesunken sei, daß also nach dieser Richtung hin in der mit Eingehung des Arbeits­ verhältnisses verbundenen Kassenmitglie^schaft eine vom ökonomischen Stand­ punkt aus anfechtbare Ausbeutung ihrer Person liege. Das sittlich Anstößige des Ärbeitsvertrages soll denn auch nach den Ausfühmngen Lotmars nicht in dem Verfall der Beiträge an sich, sondern in bet Beziehung dieses Verfalls zu der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ent­ halten sein. Es liege, meint Lotmar, etwas der Natur des Arbeitsvertrages Widerstreitendes darin, daß der Arbeiter mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses nicht bloß die Kassenmitgliedschast, sondern auch stets und gänzlich alle bis dahin gezahlten Beiträge zugunsten der Kasse einbüße, daß er also durch den Arbeits-

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vertrag in die abnorme Notwendigkeit versetzt werde, sich einen Verlust gefallen zu lassen, der einem ihm mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses entfremdeten Zweck zugute komme. Durch diese Besteuerung des Arbeiters auf Grund des Arbeitsvertrages sei letzterer deshalb mit einem ihm fremden Element durchsetzt und hierdurch verunstaltet. Schon in diesen Darlegungen ist zu erkennen, daß Lotmar den zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag einseitig beurteilt, indem er ihn nur aus der Lage der von der Unbilligkeit betroffenen Personen heraus betrachtet wissen will während als unsittlich im Sinne des Gesetzes doch nur solche Rechtsgeschäfte gellen können, die aus der Zusammenfassung von Inhalt, Motiv und Zweck gegen die Sitten und Rechtsanschauungen nicht bloß eines Teils der Vertragschließenden, sondern aller Vertragschließenden verstoßen. Lotmar aber will, wie er selbst sagt, für die Frage der Sittenwidrigkeit als belanglos ausscheiden, ob noch andere

Kassen die Rückzahlung der Beiträge ausschließen, ob das Statut der Pensions­ kasse der Bekl. und ähnliche Statuten anderer Kassen von Behörden genehmigt sind, ob die Bekl. der Kasse erhebliche Zuwendungen macht, ob die Kasse seit ihrer Gründung beträchtliche Summen ausgezahlt hat und eine erhebliche Zahl von Personen der Leistungen der Kasse teilhaftig geworden ist, und endlich auch, ob der Verfall der Beiträge sich als eine versicherungstechnische Notwendigkeit darstellt. Alle diese Fragen sollen nach Lotmar ohne Einfluß auf die Würdigung der Rechtlosigkeit derjenigen sein, deren Mitgliedschaft vorzeitig zu Ende gegangen ist. Auf solche Weise lassen sich Unbilligkeiten und Härten nachweisen, nicht aber ein Verstoß gegen die guten Sitten, der die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages zur Folge hätte. Lotmars Argumentation muß zu einer Überspannung der gesetzlichen Vorschrift des § 138 BGB. führen, welche die Vertragsfreiheit und damit die Rechtssicherheit in ganz erheblichem Maße gefährden könnte. Das RG. ist aber gerade aus diesem Grunde mehrfach einer allzuweit gehenden Ausdehnung des Begriffs der Sittenwidrigkeit entgegengetreten. Darin, daß der Arbeiter, wenn er aus dem Arbeitsverhältnis austritt, auch aus dem Pensionsverbande ausscheidet, kann ganz gewiß nichts Anstößiges ge­ sunden werden. Es handelt sich um die Teilnahme an der Wohlfahrtseinrichtung einer Fabrik. Derartige Einrichtungen haben stets, wie Prof. Dr. Kohler zu­ treffend ausführt, einen gewissen genossenschaftlichen Charakter und bleiben — auch wenn sie mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind — ihrer Natur und Zweckbestimmung nach mit der Fabrik in einer gewissen Verbindung. Es würde dem genossenschaftlichen Charakter der Einrichtung direkt widersprechen, wenn der Arbeiter nach Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zu der Fabrik an der Ein­ richtung weiter beteiligt blieb. Die Arbeiter ein und derselben Fabrik bilden auf der Basis der Arbeitsordnung eine gewisse in sich abgeschlossene Gemeinschaft und genießen eben als diese Gemeinschaft der für eine bestimmte Unternehmung tätigen Personen die Wohlfahrtseinrichtung. Es kann aber auch weiter darin, daß mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zugleich der Verlust der Beiträge verbunden ist, etwas sittlich Verwerfliches nicht gefunden werden. Zwar tritt der Verlust der Beiträge in jedem Falle der Auslösung des Arbeitsverhält­ nisses ohne Rücksicht auf den Gmnd und auch stets in ganzer Höhe der eingezahlten Beträge ohne Rücksicht auf die Zeitdauer der Beschäftigung ein, und gerade hieraus leiten die Kl. die Verletzung zweier Moralvorschriften her, nämlich einmal der Vorschrift, daß der Schuldige und der Schuldlose nicht gleich zu behandeln seien, und ferner, daß der Nachteil, der über den Urheber eines gesellschafts­ widrigen Verhaltens verhängt wird, doch keinesfalls zunehmen dürfe mit der Ab­ nahme des Grundes, aus welchem einaeschritten wird. Mit dieser abstrakten Formulierung und Anwendung von Vorschriften der reinen Sittenmoral auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis werden jedoch — darin ist

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der Bell, völlig beizustimmen — Verhältnisse und Fragen vom Standpunkt der Moral betrachtet, welche gar nicht in das Gebiet der Moral fallen, sondem dem Versicherungswesen angehören und allein vom Standpunkte der Versicherungstechnik aus einer Würdigung und Kritik unterzogen werden können. Es ist ein Unding, rein wirtschaftliche Beziehungen solcher Art ethischen Gesichtspunkten unterordnen zu wollen. Die Versagung der Rückerstattung der Beiträge hat ihren Grund ganz offenbar in den Existenzbedingungen der Pensionskasse und in der Sicherung der Erfüllung ihrer Verpflichtungen. Ob aber nun der Verfall der Beiträge im ganzen in den versichemngstechnischen Grundlagen der Pesnionskasse der Bell, seine volle Berechtigung findet, oder ob es möglich wäre, einen Teil der Beiträge schlechthin oder nach Ablauf einer Karenzzeit unter Berücksichtigung des Austrittsgmndes zurcküzuzahlen, das ist lediglich eine Frage der Versicherungs­ technik. Es kann dem nicht entgegengehalten werden, daß es eine Reihe von Pensionskassen gibt, welche nach ihren Statuten der Pensionskasse der Bell, gegenüber Milderungen vorsehen insofern, als sie nach fünf- oder zehnjähriger Mitgliedschaft unter gewissen Voraussetzungen einen Teil der Beiträge zurück­ erstatten oder die Fortsetzung der Versicherung für zulässig erklären. Denn die Leistungen und Gegenleistungen mehrerer Kassen oder Versichemngsanstalten können nur dann miteinander verglichen werden, wenn alle Voraussetzungen bei ihnen im wesentlichen übereinstimmen. Die Tatsache aber allein, daß es möglich ist, gegebenenfalls unter Erhöhung der Beiträge oder Ermäßigung der Pensionen auch bei der Pensionskasse der Bell, eine teilweise Rückerstattung der Beiträge einzuführen, kann nicht ausreichen, den zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag mit dem Verfall der sämtlichen Beiträge zu einem unsittlichen Rechtsgeschäft zu stempeln. Mit Recht hat die Bell, auch darauf hingewiesen, daß der in ihrem Pensions­ kassenstatut bedingte Beitragsverfall sich auch bei zahlreichen Arbeiterpensions­ kassen mit Beitrittszwang findet, insbesondere bei solchen, deren Statuten erst noch in letzter Zeit von der Aufsichtsbehörde genehmigt sind. Die aufsichtführende Behörde, von der man doch wohl ohne Bedenken annehmen kann, daß sie Ver­ ständnis für das Arbeiterwohl, namentlich für die herrschenden Sittlichkeitsbegriffe hat, hat also an der Ausschließung der Rückerstattungspflicht, auch wenn sie in Beziehung zu der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses steht, keinen Anstoß ge­ nommen. Wenn auch ein solches Zeugnis keine bindende Kraft für das Urteil des Gerichts darstellen kann, so ist es doch auch keineswegs unbeachtlich, wie Pro­ fessor Dr. Lotmar meint, sondem ein bedeutsames Symptom für die Auffassung derjenigen Kreise, denen die Beurteilung der Zulässigkeit von statutarischen Be­ stimmungen obliegt. Auch das Kaiser!. Aufsichtsamt für Privatversicherung betrachtet die ganze Frage wesentlich vom Standpunkte der Versichemngstechnik und nicht vom Standpuntte der guten Sitten. Es hat niemals darauf bestanden, daß eine Mckgewähr der Beiträge vorgesehen wurde, vielmehr noch im Oktober 1904 das Statut der Pensionskasse für die chemischen Fabriken in Leopoldshall genehmigt, welches dem Mitgliede für den Fall, daß es selber kündigt, jeden Anspruch auf Mckgewähr versagt. In nicht anderem Sinne sprechen sich femer namhafte Juristen über den Beitragsverfall aus. So führt Piloty (Jnv.-Vers.-Ges. 2. Stuft. 1900 S. 116) an, daß „eine Mckerstattung von Prämien im Falle vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem strengen Prinzip der Versichemng nicht im Einllang stehe, vielmehr ihre Rechtfertigung mehr in sozialpolitischen Erwägungen finde", und ebenso sagt Rosin (Das Recht der Arbeiterversicherung II S. 966s.: „es widerspricht dem Prinzip der Versichemng", „denn einerseits sollen gerade auf dem Wege der Gefahrausgleichung auch die Beiträge der nur Aktiven zur Be­ streitung der Passivitätsleistungen verwendet werden, und andererseits erhält

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schon der Aktive in der Anwartschaft, dem Versichertsein, die nächste Gegenleistung für seine Beiträge." Endlich findet der Beitragsverfall beim Ausscheiden aus der versichemnasPflichtigen Tätigkeit seine volle Analogie in der Reichsinvalidenversicherung, bei der, von ganz bestimmten Ausnahmefällen abgesehen, dem Ausscheidenden die Beiträge nicht zurückgezahlt werden. Eine Arbeiter-Pensionskasse, die unbeschränkt jedem Ausscheidenden seine Beiträge zurückzahlt, besteht nach Kenntnis des Gerichts überhaupt nicht; selbst die von den Kl. in Bezug genommene Pensionskasse für die Arbeiter der PreußischHessischen Eisenbahngemeinschaft, die an sich andere Gmndlagen als die Pensions­ lasse der Bell., insbesondere auch wesentlich niedrigere Pensionen aufweist und schon deshalb nicht vergleichsfähig erscheint, gewährt nicht jedem der ausscheiden­ den Arbeiter die vollen Beiträge zurück (zu vgl. § 35 der bezgl. Satzungen). Was nun die von den Kl. bezeichneten beiden Moralvorschriften angeht, so wird ihre Verletzung vornehmlich heraeleitet aus der Verbindung des Kündigungs­ rechts der Parteien mit dem Verfall aller Beiträge des ausscheidenden Mit­ glieds als Folge der Kündigung. Für die Frage, ob in dieser durch den Arbeits­ vertrag begründeten Verbindung etwas sittlich Anstößiges liegt, muß von vomherein der Fall ausscheiden, daß das Kündigungsrecht von feiten der Arbeitgeberin in mißbräuchlicher Weise ausgeübt wird, denn in solchen Falle würde, dem Gekündigten ohne Zweifel ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB gegeben sein. Zu prüfen bleibt nur, ob die Arbeiter und Mitglieder der Pensionskasse der Bell, durch die Gewißheit, daß sie mit der Ausübung des eigenen Kündigungs» rechtes alle Ansprüche an die Kasse verlieren, oder durch das ihnen drohende Kündigungsrecht der Bell, im Hinblick auf den damit eintretenden Verlust für sie in ihrer Bewegungsfreiheit und in ihrem Koalitionsrecht so erheblich beschränkt sind, daß aus diesem Gmnde der Arbeitsvertrag als sittenwidrig ange­ sehen werden müßte. Das Gericht hat die Frage unbedenllich verneint. Mein schon die unbestrittene Tatsache, daß 87,7% aller Ausscheidenden ohne Einwirkung der Bell, ihr Arbeitsverhältnis lösen und daß unter den Arbeitem der Bell, sich ständig Mitglieder der verschiedensten Koalitionen befinden, selbst im Vorstand der Pensionskasse Koalitionen vertreten sind, muß als überzeugender Beweis dafür angesehen werden, daß sich die Arbeiter in ihrer Freizügigkeit und ihrem Koalitionsrecht überhaupt nicht, jedenfalls nicht erheblich beeinträchtigt fühlen. Die Kl. legen nach ihren eigenen Auslassungen über diese Frage das Haupt­ gewicht auf den mit ihrem Austritt verbundenen Beitragsverfall und anscheinend nicht auch auf den gleichfalls eintretenden Verlust der Anwartschaft auf die Pension. Wenn man nun die oben festgestellten Beträge sich vor Augen führt, deren Verlüft die Mitglieder der Kasse bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses treffen kann, so läßt sich doch unmöglich sagen, daß d i e s e r Verlust den Arbeiter hindern könnte, einer bestimmten Koalition beizutreten, oder von seinem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen. Andernfalls müßte man zu dem Schluß kommen, das Recht des Arbeitgebers, nach seinem Belieben Arbeiter zu entlassen, überhaupt aufzu­ heben, da doch der Verlust der Arbeitsstelle auf die Benutzung des Koalitions­ rechts von viel größerem Einfluß sein kann. Aus jeden Fall kann die entfernte Möglichkeit einer indirekten Einwirkung auf die Koalitionsfreiheit und die Aus­ übung des Kündigungsrechts nicht zur Annahme eines Verstoßes gegen die guten Sitten führen. Es soll aber nicht verkannt werden, daß der Arbeiter in seinen Entschließungen über die Auslösung des Arbeitsverhältnisses durch den Umstand beeinflußt werden kann, daß er mit seinem Austritte auch zugleich seine Anwart­ schaft auf die Pension verliert. Dieser Einfluß kann aber um deswillen nicht als

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erheblich erachtet werden, weil die Aussicht auf die Pension nach der eigenen Darstellung der Kl. ohnehin für gering erachtet wird und von mancherlei Zufällig­ keiten abhängig ist. Und wenn wirklich die Aussicht auf den Pensionsbezug bis zu einem gewissen Grade die Lust benimmt, von dem ihnen zustehenden Kündi­ gungsrechte Gebrauch zu machen, so läßt sich hieraus sicherlich nicht eine unzu­ lässige Beschränkung des Rechtes der Freizügigkeit und eine vertragliche Ver­ letzung der guten Sitten herleiten. Das Unsittliche aber darin zu finden, daß der Arbeitgeber ohne, der Arbeiter nur mit einem Verlust kündigen kann, und daß des Arbeitnehmers Kündigung dem Arbeitgeber keinen, aber umgekehrt des Arbeitgebers Kündigung dem Arbeit­ nehmer stets einen Vermögensverlust zufüge, beruht eben auf einer völligen Ver­ kennung des Wesens einer Versichemng und auf einer Verquickung des Beitrags­ verfalls mit andern Rechtsverhältnissen, die widersinnig ist. Der Verfall der Bei­ träge kann nicht unter dem Gesichtspunkt eines Nachteils im Sinne einer Strafe betrachtet werden; er rechtfertigt sich als versichemngstechnische Notwendigkeit ohne jegliche Zweckbeziehung zu dem Austritt der Kassenmitglieder. Bei jeder Pensionsversicherung muß der einzelne aufs ungewisse hin Opfer bringen, wie die Rückerstattung der Beiträge niemals Äquivalent für das darstellen kann, was der aus der Versichemng Ausscheidende verliert. Es ist auch verfehlt, wenn die Kl. meinen, mit ihrem Äusscheiden die Beiträge ohne Erhalt einer Gegen­ leistung verloren zu haben. Der Vorteil einer Versicherung besteht nicht lediglich darin, daß der Versicherte im Falle des Eintritts der Pensionsbedingungen eine Pension erhält, sondem auch schon darin, daß er in der Zwischenzeit die Anwartschäft auf die Pension und die Teilnahme an der Kasseneinrichtung hat. Gerade die Anwartschaft ist kein unbeachtlicher Gegenwert, vielmehr vermögensrechüich bedeutsam. Denn sie gibt dem Mitgliede unzweifelhaft eine wesentlich gesichertere soziale Stellung als sie ein unversicherter Arbeiter hat. Es darf auch schließlich nicht übersehen werden, daß für die ausscheidenden Mitglieder der Pensionskiffe der Bell, nicht in allen Fällen ein vollständiger Verlust ihrer Rechte eintritt. Nach § 15 Abs. 2 des Statuts bleibt vielmehr bei Entlassung wegen Mangels an Arbeit dem Ausgeschiedenen, wenn er später wieder bei der Bell, eintritt, das Recht auf Anrechnung der früheren Dienstzeit gewahrt, ohne daß er von neuem ein Ein­ trittsgeld entrichten muß. Nach § 9 Abs. 3 hat ferner bei Abgang zur Ableistung der Militärpflicht der Ausgeschiedene, wenn er binnen 14 Tagen nach Beendigung der Militärdienstzeit wieder bei der Bell, eintritt, Anspruch auf Anrechnung der früheren Dienstzeit, und endlich kann nach § 9 Abs. 2 in besonderen Fällen bei der Pensioniemng eine frühere Dienstzeit ganz oder teilweise angerechnet werden. Die Kl. können aber auch unter die vom Verluste der Beiträge betroffenen Mitglieder nicht wokst den Gegensatz von „Schuldigen" und „Unschuldigen" hineintragen. Denn in diesem Sinne würden zu den „Unschuldigen" auch die vorzeitig absterbenden Versicherten gehören, und sie bzw. ihre Hinterbliebenen büßen die sämtlichen gezahlten Beiträge ebenso ein wie die vorzeitig Ausscheidenden. Wenn sonach schon aus objektiven Gesichtspuntten die Frage des Verstoßes gegen die guten Sitten zu vemeinen war, so muß der Einwand der Kl. gegen die Rechts­ gültigkeit des Arbeitsvertrabes, ganz abgesehen davon, ob sein Inhalt sittlich ver­ werflich ist oder nicht, unemgeschränkt deshalb zurückgewiesen werden, weil der Bell, subjektiv ein unsittliches Motiv bei Abschluß des Vertrages nicht unterstellt werden kann. Denn für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsge­ schäftes ist nicht bloß der objektive Inhalt des Geschäfts maßgebend; sondem die Gesamtheit der im Zeitpunkte des Bertragsschlusses vorhandenen Verhältnisse ist von dem besonderen Standpunkt der Vertragschließenden unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse, Motive und Zwecke in Betracht zu ziehen. Nur wenn auch die sich aus dem Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts ergebenden subjektiven Baum, Gerverbegertchte.

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Momente gegen die guten Sitten verstoßen, kann von einem unsittlichen und des­ halb nichtigen Geschäfte die Rede sein. Ein solches unsittliches Motiv der Bekl. haben aber weder die Kl. selbst noch ihre Gutachter vorzubringen vermocht. Es ist schon oben betont worden, daß für die Errichtung der Pensionskasse, für die Sicherung ihrer Existenzbedingungen und der Erfüllung ihres Zweckes auf feiten der Bell, wesentlich bestimmend ge­ wesen ist der Gedanke der Fürsorge für ihre Arbeiter auf einem bisher von der Versicherung der Reich gesetzgebung nur unvollkommen ergriffenen Gebiet, und daß sich der Verfall der Beiträge aus dem Zweck und dem Wesen der Versicherung notwendigerweise ergibt. Gewiß wird die Bell. bzw. ihre Rechtsvorgängerin dabei auch von der Absicht mitgeleitet sein, sich einen Stamm tüchtiger und zuver­ lässiger Arbeiter heranzuziehen. Hiergegen ist aber vom sitllichen und sozialen Standpunkt aus nicht das Mindeste einzuwenoen. Es fehlt demnach unter allen Umständen an einem wesentlichen Erfordernis für die Annahme eines int Arbeits­ verträge der Parteien begründeten Verstoßes gegen die guten Sitten. Die Klagegründe können somit die Forderung der Kl. nicht stützen. Die Kl. müssen die Bestimmungen des Arbeitsvertrages, mit denen sie sich in voller Erkenntnis ihrer Tragweite einverstanden erllärt haben und gegen deren RechtsSkeit seit Errichtung der Kasse bis vor etwa zwei Jahren Bedenken niemals en und zum gerichtlichen Austrag gebracht sind, gegen sich gelten lassen»).

(Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 150.) b) Urteil des Kreis-GG. Moers, Kammer Friemersheim, vom 16. Juli 1907. Kl. war in dem Betriebe der Kruppschen Friedrich-Mfred-Hütte als Isolierer be­ schäftigt. Er klagt aus Herauszahlung von 29,12 Mk., die ihm nach seiner Ansicht in rechts­ widriger Weise vom Arbeitslohn einbehalten worden sind in der Form von Eintrittsgelb und laufenden Beiträgen zu einer von der Bell, für ihre Arbeiter errichteten Pen­ sionskasse. Kl. erllärt, daß er gegen seinen Willen dieser Kasse zwangsweise beitreten mußte und ebenso gegen seinen Willen von der Firma entlassen wurde, wodurch er aller Ansprüche an die Kasse verlustig gegangen sei. — Bell, ist verurteilt.

AusdenGründen: Die bell. Firma hat für alle auf ihrer FriedrichAlfred-Hütte zu Rheinhausen gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen eine Pensionskasse eingerichtet, deren Statut nach den Angaben der Firma die Genehmigung des Oberpräsidenten der Rheinprovinz erhalten hat. Ob und inwieweit die Errichtung der Kaste mit Zustimmung der Arbeiter oder des Arbeiter­ ausschusses erfolgt ist, oder ob dieselben dazu auch nur gehört worden sind, geht aus dem Statut nicht hervor. In der Arbeitsordnung der Bell, ist keine Be­ stimmung enthalten, durch die ihre Arbeiter verpflichtet werden, der betreffenden Pensionskasse beizutreten: der Kl. hat also in einem Arbeitsvertrage auch eine derartige Verpflichtung nicht übernommen. Seine zwangsweise Heranziehung zur Zahlung von Eintrittsgeld und Beiträgen zu dieser Kasse sowie die bezüg­ lichen Lohnabzüge sind daher in rechtswidriger Weise erfolgt. Ist schon bei den gesetzlich vorgeschriebenen Fabrikkrankenkassen, gemäß § 59 des KBG., Voraussetzung, daß die im Betriebe beschäftigten Personen auf dem Wege des Arbeitsvertrages (durch Fabrikordnung usw.) zum Beitritt

verpflichtet werden, um wievielmehr muß dies bei der Fall sein. Zwar bestimmt § 33 Ziffer 2 der bell. Lohnzahlung in Abzug gebracht werden die Beiträge etwaigen Pensionskasse. Dieser Passus könnte

Kas en rein privater Natur Arbeitsordnung, daß bei der und Eintrittsgelder zu einer aber nur dann in Geltung

*) Vgl. auch KG. Berlin, Kammer 5, vom 1. März 1908. („Reichsarbeitsbl." Jg. 7 S. 609.)

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treten, wenn Kl. der Kasse freiwillig als Mitglied beigetreten oder zum Beitritt rechtlich verpflichtet gewesen wäre. Beides ist nicht der Fall. Wenn es in dem Statut der Pensionskasse § 1 heißt: „Alle auf der Friedrich-Alsred-Hütte gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen sind berechtigt und verpflichtet, der Pensionskasse beizutreten" so ist dies für den Kl. nicht rechtsverbindlich, denn nicht dieses Statut, sondern lediglich die Arbeitsordnung bildet die Grundlage seines mit der Bell, abgeschlossenen Arbeitsvertrages. Aber auch die Bestimmung des § 15 des Kassenstatuts, daß mit dem Aus­ scheiden des Mitgliedes aus dem Dien st derFrrma alle Ansprüche des­ selben und seiner Hinterbliebenen an die Pensionskasse erlöschen, verstößt in einer Weise gegen Treu und Glauben, und der gegen den Kl. ausgeübte Zwang gut Anerkennung einer derartigen Bestimmung so gegen die guten Sitten, daß das ganze, zwischen dem Kl. und der Pensionskasse etwa bestehende Rechtsgeschäft als nichtig bezeichnet werden muß (§§ 138, 157 BGB.). Denn die Firma bzw. jeder chrer Betriebsführer (vgl. Nachtrag zur Arbeitsordnung vom 15. September 1904, Artikel II) ist jederzeit in der Lage, in völlig einseitig willkürlicher Weise die Kassenmitglieder durch Entlassung aus dem Dienst d r Firma um alle ihre wohlerworbenen Rechte an die Kasse zu bringen. Wie sehr überhaupt die Kasse mit der Firma und ihren Interessen verquickt ist, geht aus manchen eigenartigen Bestimmungen des Statuts hervor. So emennt die Firma den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter und den Kassenführer, während die stimmberech­ tigten Mitglieder 4 Beisitzer wählen; ferner soll es gestattet sein, dem Arbeiter, dem endlich eme Pension zusällt, derFirmageschuldeteBorschüsse usw. an der Pension in Abzug zu bringen; allerdings mit seiner Einwilligung, bte aber solange als vorhanden angenommen wird, als der Betreffende keinen Einspruch erhoben hat; ferner behält di e Fir ma sich darüber die Entscheidung vor, ob die frühere Dienstzeit bei der Firma bei der Berechnung der Penfion ganz oder teilweise eingerechnet werden soll; ferner muß ein Mitglied auch gegen die Entscheidungdes Vorstandes pensioniert werden, wenn es die Firma verlangt und % der Pension bezahlt; mehrfach werden auch die Beschlüsse des Vorstandes noch von der Zustimmung der Firma abhängig gemacht. Die Firma ist in der Handhabung der Kassengeschäfte also fast souverän, obgleich sie nur */3 der Beiträge aufbringt. Wollte man aus dem Umstand, daß der Kl. sich die Lohnabzüge längere Zeit hat widerspmchslos gefallen lassen, den Schluß ziehen, er habe dadurch sein stillschweigendes Einverständnis kundgegeben, so würde doch dadurch die Rechtmäßigkeit der Abzüge nicht erwiesen sein. Denn Verträge, die dem § 115 zuwiderlaufen, sind gemäß § 117 der GO. Absatz 1 nichtig, und § 115 verlangt klipp und llar bare Auszahlung des Lohnes. Aber auch Ab­ satz 2 des § 117 ist zu berücksichtigen, nach welchem alle Vereinbarungen zwischen den Gewerbetreibenden und ihren Arbeitem nichtig sind, die über die Verwendung des Verdienstes der letzteren getroffen werden zu anderen Zwecken, als zur Beteiligung an Einrichtungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter und ihrer Familien. Es soll nicht bestntten werden, daß die Pensionskasse für e i n z e l n e Arbeiter als eine solche Einrichtung betrachtet werden kann. Da aber die Pensionierung erst bei völliger Arbeitsunfähigkeit nach einer ununterbro­ chenen Dienstzeit bei der Firma von 10 Jahren, oder ohne Arbeitsunfähig­ keit erst nach einer v ierzigj äh ri gen ununterbroch enen Dien st zeitbeiderFirma eintritt, liegt es auf der Hand, daß diese Einrichtung nur einem geringen Bmchteil der Arbeiter zugute kommen kann, gumal, da die Firma es jederzeit in der Hand hat, durch eine wenn auch nur zeitweilige Ent­ lassung den Eintritt dieser Verbesserung der Lage des Arbeiters völlig illusorisch zu machen. Um der Voraussetzung des § 117 Abs. 2 zu entsprechen, genügt es aber nicht, daß die Verbessemng der Lage einzelnen Arbeitem zugute komme, 21*

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GO. § 117.

sondern es müssen ihrer alle ohne willkürliche Beschränkung seitens der Firma teilhaftig werden können, was bei der rigorosen Fassung des Statuts nie der Fall sein kann. Selbst wenn man also eine stillschweigende Bereinbamng zwischen der Bell, und dem Kl., daß letzterer der Kasse beitreten müsse, annehmen wollte, würde diese nichtig sein. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 11.)

426. Können bei Auflösung eines Unternehmens die Arbeiter Berteilung einer Kasse verlangen, die der Wohlfahrt gewidmet, aber nicht Eigentum eines Arbeitervereins war? Urteil des GG. Magdeburg vom 27.Februar 1908. Die St.sche Maschinenfabrik hat am 1. Januar 1908 ihren Fabrikbetrieb in Magde­ burg eingestellt. Bei der Fabrik ist eine sogenannte Unterstützungskasse eingerichtet ge­ wesen, deren Bestand sich zurzeit aus 2232,90 Mk. beläuft. Die Kasse ist zunächst als sog. Bierkasse entstanden. Es ist nämlich s. Zt. in der Fabrik ein Biervertrieb eingerichtet worden, und zwar so, daß das Bier im großen zum Preise von iy> Pf. für die Flasche eingekauft und zum Preise von 8 Pf. für die Flasche an die Arbeiter abgegeben worden ist. Soweit nun die überschießenden halben Pfennige nicht zur Bezahlung von abhanden gekommenen und beschädigten Flaschenverschlttssen Verwendung gefunden haben, ist aus ihnen ein Stock angesammelt worden, aus dem bald Unterstützungen gezahlt worden sind. In diesem Stock sind dann aber außer diesen Biergeldern ferner abgesührt worden erstens die von der Arbeiterschaft gezahlten Strafgelder und zweitens als Beitrag der Fabrik die Bolontärgelder, d. h. die Zahlungen, die Volontäre für ihre Ausbildung an die Fabrik haben leisten müssen. Schriftliche Satzungen der Kasse sind nicht vorhanden. Insbesondere enthalten die Satzungen des sog. Ältestenrates (Arbeiterausschusses) vom 18. April 1905 keine Be­ stimmungen, die die Kasse betreffen. Die gesamte Verwaltung der Kasse lag in den Händen der Fabrik sie wurde zunächst von einem Kontoristen und später von einem Prokuristen geführt. Der Ältestenrat hatte weder Einfluß auf die Verwaltung der Kasse noch auch nur irgendwelchen Einblick in die Finanzgebahrung oder sonstige Verwaltung. Dagegen erfolgten Auszahlungen von Unterstützungen nur, nachdem die Mitglieder des Ältestenrates die Bedürftigkeit und Würdigkeit des Hilfesuchenden durch ihre Unterschrift bescheinigt hatten. Der Ältestenrat hat auch einmal, nämlich unter dem 11. Oktober 1905, über die Art der Verwendung der Kasse folgenden generellen Beschluß gefaßt, und zwar bei An­ wesenheit und unter Billigung des Fabrikdirektors: „ES wird beschlossen und zwar einstimmig, allen den Arbeitern, welchen länger als sechs Wochen krank sind, eine einmalige Unterstützung ans der Bierkasse, welche heute einen Bestand von 1702,07 Mk. hat, von 20 Mk. zu gewähren, vorausge­ setzt, der Ältestenrat faßt den dahingehenden Beschluß einstimmig. Weiter soll bei jedem Todesfall eines Mitarbeiters aus der Bierkasse der Betrag von 5 Mk. zu einer Kranzspende aufgewendet werden und dafür die bisher übliche Kollekte unter den Mitgliedern in Wegfall kommen." Aus diesem Sachverhalt folgert der Kl., der, auch in letzter Zeit, Arbeiter auf der St.scben Fabrik gewesen ist, daß die Kasse bei Einstellung des Fabrikbetriebes unter die Arbeiter zur Verteilung kommen müsse. Er berechnet den auf ihn entfallenden Anteil auf 64 Mk. und klagt auf Zahlung dieses Betrages.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Die Kasse ist unstreitig einem bestimmten Zweck, nämlich dem, Unterstützungen und anderen Wohltaten zu dienen, gewidmet ge­ wesen. Dieser Tatbestand läßt an sich rechtlich eine dreifache Auslegung zu: Es kann sich erstens nur um die Ausscheidung eines Vermögensstockes, die ausschließ­ lich die Buch- und Kassenführung betrifft, innerhalb der Fabrik handeln, so daß die Widmung jederzeit einseitig von der Fabrikleitung rückgängig gemacht werden könnte. Es Llnn zweitens der Bermögensstock den Unterstützungszwecken so gewidmet sein, daß einerseits ein Recht auf die Verwendung für diese Zwecke

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entstanden ist und daher die Widmung nicht rückgängig gemacht werden kann, daß aber andererseits dennoch der Vermögensstock im Eigentum der Fabrik verblieben ist. Drittens besteht die Möglichkeit, daß der Vermögensstock in das Eigentum eines anderen Rechtssubjektes, etwa der Arbeiterschaft, über­ gegangen ist. Diese dritte Möglichkeit ist im vorliegenden Falle zu verwerfen. Als von der Fabrik getrennte Rechtssubjekte wären nur denkbar ein rechtsfähiger Verein, eine Stiftung, das Rechtssubjekt des § 1914 BGB. t>e§ durch eine öffentliche Sammlung für einen vorübergehenden Zweck zusammengebrachten Vermögens) und endlich die Gesamtheit der Arbeiterschaft als Gesellschaft oder nicht rechts­ fähiger Verein mit wechselndem Mitgliederbestände. Die beiden ersten Rechts­ bildungen scheiedn aus, weil die vom Gesetz geforderten förmlichen Gründungsalte nicht vorliegen. Auch der Fall des § 1914 BGB. liegt nach dem Wortlaut des Gesetzestextes nicht vor; auch eine analoge Anwendung ist deshalb ausge­ schlossen, weil die innere Ursache dieser Bestimmung in der Herrenlosigkeit des Gutes liegt, diese aber hier nicht gegeben ist. Dagegen ist der Gedanke an einen nicht rechtsfähigen Verein der Arbeiterschaft nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen. Die tatsächlichen Verhälntisse aber lassen diese Auslegung nicht zu. Em Verein, der keinerlei Einfluß auf die Verwaltung seines Vereinsvermögens und keinen Einblick in die Kassenführuna hat, ist nicht wohl denkbar. Die dem Ältesten­ rat eingeräumte Mitwirkung beschränk sich ausschließlich aus die Auswahl der bedürftigen und würdigen Personen. Infolgedessen erscheint der Ältestenrat nicht als Verwalter eines eigenen Vermögens, sondern nur als eine Hilfsperson, deren ein anderer, nämlich die Fabrik, sich zur Erfüllung bestimmter Zwecke bedient, weil diese Hilfsperson die tatsächlichen Verhältnisse besser beurteilen kann als die Fabrik. Die Fabrik hat nur, damit Ordnung in die Dinge kommt, sich selbst in einer jederzeit widerruflichen Weise in iyren Beschlüssen an die Empfehlungen des Ältestenrates gebunden. Daß der Ältestenrat sich dahin schlüssig geworden ist, seine Empfehlungen nach im voraus bestimmten Grundsätzen zu erteilen, und daß die Fabrik gegen dieses Verfahren nichts zu erinnern gehabt hat, ändert an dieser Auslegung nichts. Von den oben bezeichneten drei Möglichkeiten, die rechlliche Bedeutung der Unterstützungskasse zu verstehen, bleiben nun noch die beiden ersten in Frage. In der Mehrzahl der Fälle wird es sich bei derartigen Arbeiterwohlfahrtsemrich­ tungen von Privatunternehmungen um rein innere Angelegenheiten oer Fabrik handeln, so daß das Verfügungsrecht des Unternehmers in lernet Weise beschränkt ist. Im vorliegenden Fall aber sprechen zwei Gesichtspunkte gegen eine solche Äuslegunq: Einmal bestehl ein Teil der Kasse aus den halben Pfennigen Differenz zwischen Biereinkauf und Bierverkauf. Da nun die Fabrik, gleichgültig welches die Beweggründe zur Einrichtung der Bierkasse gewesen sirw, jedenfalls nicht beabsichtigt hat, durch den Biervertrieb ein wirtschaftliches Geschäft zu machen, so handelt es sich bei diesen halben Pfennigen um Beiträge der Arbeiter zu dieser Kasse. Sodann sind in die Unterstützungskasse die Strafgelder abgeführt worden. Solche Strafgelder aber darf der Unternehmer nach der herrschenden Auslegung des § 134b Ziffer 4 der GO., welche Auslegung auch in den Motiven zur GO. eine Stütze findet, nicht zu eigenem Nutzen verwenden. Der größte Teil des Vermögensstockes der Kasse stammt ja allerdings aus den seitens der Fabrik über­ wiesenen Bolontärgeldern. Das muß aber ohne Einfluß auf die rechlliche Be­ urteilung der Kasse bleiben, da diese Volontärgelder mit den Bier- und Srrafgeldem untrennbar vermischt sind. Diese Bier- und Strafgelder aber darf der Unternehmer nicht in seinem Nutzen verwenden. Folglich ist die ganze Kasse eine solche, daß ein Recht auf die Verwendung für Unterstützungszwecke entstanden ist und daher die Verwendung nicht rückgängig gemacht werden kann

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Wenn )o also die bell. Fabrik die Unterstützungskasse nicht zu ihren Stutzen verwenden, insbesondere nicht zur allgemeinen Kasse vereinnahmen darf, so folgt daraus andererseits nicht, daß irgendwelche Arbeiter, etwa die zuletzt bei der Fabrik beschäftigten, ein Recht auf Verteilung des Vermögensstockes der Kasse haben. Vielmehr würde eine solche Verteilung den Zwecken der Kasse, in Notfällen und bei anderen ungewöhnlichen Vorfällen Unterstützungen zu gewähren, geradezu widersprechen. Der engere Zweck der Kasse, den Arbeitem (oder Angestellten) der St.schen Fabrik Unterstützungen zu gewähren, ist ja allerdings mit bent Er. löschen der Firma hinfällig geworden. Im weiteren Sinne aber bezwecken alle derartigen Kassen, der Not des Lebens im Arbeiterstand überhaupt zu steuern, und da die Kasse diesem weiteren Zwecke erhalten bleiben kann, so muß sie auch diesem Zweck erhalten bleiben. Es wird Sache der bell. Firma sein, s. Zt., etwa im Einverständnis mit den Verwaltungsbehörden, Maßregeln zu ergreifen, um die Kasse diesem weiteren Zweck dienstabr zu machen. Ob etwa alsdann ein klagbarer Anspruch irgend jemandes auf solche Verwendung der Kasse gegeben ist und wie sich dann die Eigentumsverhältnisse an dieser Kasse gestalten, ob feinet das jetzige Eigentum des Fabrikuntemehmers an dem Vermögensstock der Kasse auch gegenüber anderen Gläubigerrechten, insbesondere gegenüber Zwangsvollstreckungsrechten, durch den Verwendungszweck beschränkt ist: all das ist im

vorliegenden Prozeß nicht zu prüfen. Hier genügt die Feststellung, daß ein Anspmch auf Teilung der Kasse und Auszahlung an die Arbeiter keinesfalls vorliegt. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 162.)

427. Ist die Bestimmung im Statut einer obligatorischeir Pensionskajse gültig, nach der ein Teil der Beitrüge verfällt, wenn der Angestellte die Stellung verläßt?

a) Urteil des KG. Magdeburg vom 29.Mai 1907. Der Kl. stand bei der Bell, vom 1. September 1902 bis 31. März 1907 als Korre­ spondent mit zuletzt 1800 Mk. Jahresgehalt in Stellung. Die Stellung ist dem Kl. von der Bell, ordnungsgemäß gekündigt worden. Der Kl. war als Angestellter Mitglied der „Kasse der Angestellten der Auskunftei W. Sch. zu Berlin". Im Laufe seiner Dinstzeit hat der Kl. zu dieser Kasse insgesamt 146 Mk. Beiträge gezahlt, von denen er nach seinem Ausscheiden ein Drittel -- 48,67 Mk. zurückerhalten hat. Der Kl. verlangt nun noch die Zahlung der übrigen zwei Drittel. Er hält den Vertrag für einen gegen die guten Sitten verstoßenden, zumal ihm die Stellung 5 Monate vor Beginn der Pensionsberechtigung gekündigt sei.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Für die Beurteilung kommen zunächst die §§ 3 und 6 der Satzungen in Betracht. Aus der Bestimmung des § 3 geht hervor, daß jeder Angestellte Mitglied der Pensionskasse werden muß, so daß die Zugehörigkeit zur Pensionskasse und die Bestimmungen darüber sehr wohl als ein Teil des zwischen den Parteien geschlossenen Dienstvertrages aufzufassen sind. Zur Ergäiüung kann noch die Bestimmung herangezogen werden, daß die Beitrags­ zahlungen in Form von Gehaltsabzügen geschehen. Bei der im § 6 bestimmten Höhe der Beiträge ist zu prüfen, ob diese Beiträge eine unbillige Belastung der Angestellten darstellten, so daß von diesem Gesichtspunkte aus der Vertrag gegen die guten Sitten verstieße. Diese Frage ist aber unbedingt zu verneinen. Denn bei einem Jahreseinkommen von 1800 Mk. hatte der Kl. 2% zu zahlen, also bei einem Monatsgehalt von 150 Mk. nur 3 Mk. Da also eine unblllge Belastung des Angestellten nicht vorliegt, so bleibt für die Beurteilung des ll. Anspmches nur noch die Frage zu prüfen, ob die Bestimmungen über das Ausscheiden aus der Pensionskasse gegen die guten Sitten verstoßen. Hierauf ist ja auch in der

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Hauptsache die Klage gestützt. Satzungen sind folgende:

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Die in Betracht kommenden Bestimmungen der

$ 23. Kassenmitglieder, die nach sünfjähriger Kasseuzugehörigkeit unverschuldet durch Krankheit oder Unfall zu ferner Dienstleistung nnfähig werden, oder nach vollendetem 65. Lebensjahre der Kasse seit 30 Jahren angehören, haben Anspmch auf Ruhegeld. § 25. Das Ruhegeld beträgt dach vollendetem 5. MitgUedsjahre u/w des nach § 24 zu berechnenden Jahresgehalts und steigt mit jedem weiteren Jahr um V«o bis höchstens «/,o. § 31. Wer aus dem Dienste der Auskunftei ausscheidet, ohne Anspmch auf Kassenleistungen erworben oder sich nach Absatz 2 auch noch für weiter versichert zu haben, scheidet damit auch aus der Kasseuzugehörigkeit aus und verliert für sich und seine Angehörigen jeden Anspmch an die Kasse, erhält jedoch auf seinen An­ trag V, der von ihm gezahlten Beiträge zurück. Ein Mitglied, das mindestens 15 Jahre angestellt war, kann sich seine An­ sprüche an die Kasse auch weiterhin sichem, wenn es auf die vorerwähnte BeitragsRückzahlung Verzicht leistet und seinen Beitrag in doppelter Höhe weiterzahlt.

In diesen Bestimmungen erblickt der Kl. hauptsächlich einen Verstoß gegen die guten Sitten. Es muß allerdings zugegeben werden, daß geraoe der Kl. durch diese Bestimmungen besonders getroffen wird. Er ist etwa 4% Jahre bei der Bell, angestellt gewesen: und kurz vor Ablauf der in den Satzungen bestimmten Karenzzeit von 5 Jahren wird ihm von feiten der Bell, gekündigt. Es sind ihm also alle seine Rechte gegen die Kasse genommen, ohne daß er irgend etwas da­ gegen tun kann, nur V3 seiner Beiträge werden ihm zurückgezahlt. Wenn man nun auch zugeben muß, daß eine gewisse Härte in diesen Bestimmungen liegt, so kann man doch nicht soweit gehen, daß man darin einen Verstoß gegen die guten Sitten erblickt. Dies wird sofort llar, wenn man auf der einen Seite die im Verhältnis zum Gehalt geringen Beiträge berücksichtigt und auf der anderen Seite den Zweck der Pensionskasse. Gegenüber dem segensreichen Mrken der Pensionskasse, die noch dazu von der Firma in ganz hervorragender Weise dotiert wird, muß das Interesse des einzelnen, soweit keine unbillige Belastung vorliegt, zurücktreten. Wägt man das Interesse des einzelnen Angestellten und das Interesse der Gesamtheit seiner Fachgenossen ab, so wiro man zu der Überzeugung gelangen, daß ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht vorliegt. Wollte man sich aus einen anderen Standpunkt stellen, so würde das nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als die Vernichtung der Pensionskassen in den kaufmännischen Betrieben. Es kennt aber auch das Reich analoge Bestimmungen in oem JnvalidenversicherungsSetze. Durch § 1 und 14 dieses Gesetzes ist die Versicherungspflicht und die Vererungsberechtigung begrenzt auf ein Einkommen von 2000 und 3000 Mk. Wenn nun Jemand bei einem solchen Einkommen bisher versichert war und dann ein höheres Einkommen erhält, so erlöschen in diesem Augenblicke alle Rechte aus der bisherigen Versichemng, und es werden keine Beiträge erstattet. Auch hier zeigt sich, wie in einzelnen Fällen, um die Durchfühmng eines größeren Zwecks zu erreichen, das Interesse des einzelnen zurücktreten muß. Es lassen sich feinet zur Analogie die Verhältnisse eines auf Kündigung angestellten Kom­ munalbeamten heranziehen. Auch ihm erwächst unter gewissen Voraussetzungen ein Anspruch aus Pension. Wenn der Beamte nun auch keine Beiträge zu einer Pensionskasse leisten muß, so gilt doch als allgemeiner Gmndsatz, daß zu dem Gehalt doch noch der künftig eintretende Pensionsanspruch zu rechnen ist, so daß das Gehalt höher bewertet als tatsächlich gezahlt wird. Und doch kann der Beamte selbst nach Ablauf einer Reihe von Dienstjahren jeden Anspmch auf Pension da­ durch verlieren, daß ihm gesündigt wird. Aus edlen diesen Erwägungen ist das KG. zu der Überzeugung gekommen, daß der Dienstvertrag zwischen den Parteien

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GO. § 117.

und die Gehatsabzüge auf Grund der Satzungen der Pensionskasse nicht gegen die guten Sitten verstoßen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 258.)

b) Urteil des KG. C ö l n Dom 14. September 1909. Die Gasmotorenfabrik Deutz hat im Jahre 1896 eine Pensionskasse für ihre '.Be­ amten eingeführt. Für die Aufnahme ist ein Alter von 25 Jahren erforderlich allen Beamten, welche nach dem 1. Januar 1897 in die Dienste der Fabrik eintreten, wird bei ihrer Anstellung die Verpflichtung auserlegt, der Kasse beizutreten. Die Mittel der Kasse werden gebildet aus einem von den Aktionären der Kasse überwiesenen bedeutenden Kapital, einer Überweisung von 2500 Mk. jährlich aus den Mitteln der bestehenden Hilfs­ kassen, aus den Beiträgen der Mitglieder, aus einem Zuschüsse, welchen die Gasmotoren­ fabrik in Höhe der Hälfte der ordentlichen Beiträge der Mitglieder leistet, aus den Er­ trägnissen des nutzbar angelegten Vermögens und aus sonstigen außerordentlichen Zu­ flüssen. Jedes Mitglied der Pensionskasse hat als ordentlichen Beitrag monatlich 4% seines Gehaltes, als außerordentlichen Beitrag von jeder eintretenden Gehaltserhöhung die erste Monatsrate derselben an die Kasse zu zahlen. Tritt ein Mitglied aus den Diensten der Gasmotorenfabrik aus, ohne als außerordentliches Mitglied der Kasse zu verbleiben, so werden ihm 75% der geleisteten ordentlichen Beiträge ausbezahlt. Ein Handlungsgehilfe, der feit Februar 1903 bei der Zweigniederlassung der Gasmotorenfabrik in Chemnitz tätig war, erklärte im November 1903 seinen Beitritt zur Kasse und zahlte monatlich die satzungsmäßigen Beiträge. Die Gasmotorenfabrik kündigte dem Kl. wegen Aufhebung der Zweigniederlassung Chemnitz zum 30. Juni 1909 und zahlte ihm bei seinem Ausscheiden 75% der geleisteten ordentlichen Beiträge mit 358 Mk. 80 Pf. zurück, der Handlungsgehilfe verlangte Rückzahlung der gesamten Beiträge und klagte, als dies verweigert wurde, aus Zahlung von 204.60 Mk., die Abmachung verstoße gegen die guten Sitten, das KG. Dresden habe in einem ähnlichen Falle entschieden, daß die Bestimmungen mit den guten Sitten nicht vereinbar erschienen.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Die Klage ist richtig gegen die Gasmowrenfabrik Deutz gerichtet. Die Bezeichnung der Beamtenpensionskasse soll nur dartun, daß dieser Vermögensteil der Gasmotorenfabrik Deutz in Frage kommt, denn eine besondere juristische Person ist zugegebenermaßen diese Beamten- und Pen­ sionskasse nicht. Kl. begründet seinen Anspruch auf Rüchahlung der sämtlichen von ihm gezahlten Bettäge ausschließlich unter Bezugnahme auf das Urteil des KG. Dresden vom 15. November 1906, das er vorlegt. Das KG. Dresden ist damals in dem ihm zur Entscheidung vorliegenden Falle zu der Auffassung gelangt, daß die Satzungen der fraglichen Pensionskasse mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren seien, weil sie eine ungleichmäßige Verteilung von Lasten und Rechten enthielten. Es sei daher auch der Anstellungsverttag nach § 138 BGB. nichtig und daher die Rückforderung gemäß § 812 BGB. gegeben. Das Gericht hat sich aber der Ansicht des Kl. nicht anschließen können, daß die Satzungen der Pensionskasse der Best, und damit der Anstellungsverttag nichtig seien. Nach der Erklärung des Kl. ist er, nachdem er schon einige Monate in Diensten der Bell, war, aufgefordert worden, der Kasse beizutteten, als er das 25. Lebensjahr erreicht hatte, dieser Aufforderung ist er nachgekommen. Daß damals irgendein Zwang am ihn ausgeübt worden sei, dieser Kasse beizutteten, behauptet Kl. nicht, sondem es wird nur von ihm behauptet, daß er seine Ent­ lassung vorausgesehen habe, falls er sticht der Kasse beigetteten sei. In einer besonderen Notlage, die das Gesetz im § 138 BGB. im Auge hat, hat daher damals der Kl. nicht gehandelt. Es handelt jich um die gewöhnliche Sorge um eine Stelle, die das Angebot und die Nachfrage regelmäßig für jeden Angestellten zeitigt. Diese ist aber, wie das KG. Berlin in seiner Entscheidung vom 19. März 1908 richtig ausführt, keine rechtlich erhebliche Notlage im Sinne des § 138 BGB. (s. Reichs-Arbeitsblatt VII, Jg. 8 S. 609). Auch im übrigen enthalten die Satzungen nichts, was gegen die guten Sitten verstoßen könnte. Daß nur ein Teil der ge°

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GO. § 117.

leisteten Beiträge beim Ausrritt zurückgezahlt wird, ist allen derartigen Pensions­ lassen eigentümlich, und es war dies auch dem Kl. beim Eintritt in die Kasse genau bekannt. Jedenfalls kann hierin ein unsittliches Moment im Sinne des § 138 nicht gefunden werden. Der gute sittliche Gedanke, der in der Errichtung solcher Pensionskassen für die Angestellten liegt, zu der regelmäßig die Werkinhaber ganz erhebliche Beittäge zahlen, welche die Beittäge der Mitglieder bedeutend über­ steigen, kann unmöglich dadurch ein unsittlicher werden, daß der einzelne Aus­ scheidende nicht seine sämtlichen gezahlten Beittäge zurückerhält. Auch der Um­ stand, daß der Kl. nicht freiwillig ausgeschieden ist, macht den Verttag nicht zu einem unsittlichen, denn sein Austtitt erfolgte unbestritten nur deshalb, well die Bell, aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen war, ihre Zweigniederlassung in Chemnitz aufzulösen’). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 159.)

428. (197.) Dürfen Bettrüge zu einer Zwangs-Pensionskaffe vom Lohn abgezogen werden? Urteil des GG. Mainz.

Die Klage auf Rückerstattung der abgezogenen Beittäge ist abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 27.)

429. (198.) Lohncinhaltung zur Deckung eines dem Arbetter zum Selbst­ kostenpreis überlassenen Fahrrades. Ist die Überlassung eine Zu­ richtung zur Verbesserung der Lage des Arbeiters" im Sinne des § 117 der GO.? Urteil des Landgerichts Magdeburg, Zivilkammer I, vom 20. Feb. 17899.

Der Lohnabzug ist für unzulässig erllärt.

(Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 93.)

430. (199.) Ist die Bestimmung des § 118 GO., betreffend das Kreditieren von Waren, von Amtswegen zu berücksichtigen, ohne datz es einer Geltendmachung seitens der Parteien bedarf? Urteil des Kgl. Oberlandesgericht, 3. Zivilsenat, zu Hamm, vom 2. Dezember 1895.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 4.)

431. (200.) „Priimien" für erhöhte Arbeitsleistung neben dem festen

Lohn. Ist eine Bestimmung der Arbeitsordnung, wonach solche Prömien nur zur Auszahlung kommen, wenn der Arbeiter bis zu einem gewissen Zeitpunkt in dem Arbeitsverhiiltnis verbleibt, rechtsgüttig? Urteil des Landgerichts Dortmund.

Die Bestimmung ist als unwirksam erachtet. (Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 4.) ') Vgl. auch GG. u. LG. Cassel. („Gewerbeger." Jg. 15 Sp. 609.)

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GO. § 119 a.

432. Kann gegenüber dem Anspruch auf Auszahlung deS über den gesetz­ lich zulässigen Betrag einbehaltenen Lohnes ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden? Urteil des LG. Kiel vom 15. Oktober 1908. Das LG. hat die Frage bejaht und demgemäß das Urteil des GG. Kiel teil­ weise abgeändert.

Aus den Gründen: Der Kl. hat durch sein Verhalten der Bell, be­ gründeten Anlaß zur Auflösung des Lehrverhältnisses gegeben. Er hat sich ohne Grund so lange und so oft von der Arbeit ferngehalten, daß an ein erfolgreiches Arbeiten nicht mehr zu glauben war und der Bell. die Fortsetzung des Lehrver­ hältnisses nicht mehr zugemutet werden konnte. Von dem verdienten Lohne hatte nun die Kl. wöchentlich 1 Mk., im ganzen 42 Mk., gemäß § 7 des schuftlichen Lehrvertrages, als Kaution für die richtige Erfüllung seiner Verpflichümgen einbehalten. Diese Einbehaltung widerspricht jedoch der zwingenden Vorschrift des § 119a GO-, wonach nicht mehr als ein durchschnittlicher Wochenlohn einbchalten werden darf, die Klage ist also, soweit nicht jenes Einbehaltungsrecht reicht, begründet. Soweit die Einbehaltung reicht, ist daher die Klage abzuweisen, wenn die Bell., was noch zu erörtern ist, Gegenansprüche gegen den Kl. hat. Im übrigen wäre ihm an sich der verdiente Lohn zu zahlen, wenn nicht der Bell., wegen ihrer Gegenansprüche ein Zurückbehaltungsercht aus § 273 BGB. zustande, da dieses

nach § 274 das. nur eine Verurteilung Zug um Zug gegen Bewirkung der GegenSzur Folge hat. Dieses Zurückbehaltungsrecht unterscheidet sich von der arten Einbehaltung auch dadurch, daß es nur wegen bereits entstandener Ansprüche nachträglich ausgeübt werden kann, während die Einbehaltung zur Sicherheit für etwaige künftige Ansprüche geschieyr. Daher kann man auch nicht sagen, daß es durch die Vereinbamng des Einbehaltungsrechts stillschweigend ausgeschlossen sei. Auch aus der Natur der Schuldverhältnisses ergibt sich nicht die Unzulässigkeit der Zurückbehaltung, wie dies sowohl von diesem Gericht wie auch anderweitig höchstrichterlich wiederholt ausgesprochen worden ist (vgl. z. B.

Seusf, Archiv 59 S. 91; Schlesw.-Holst. Anz. 1903, 308). Kann also die Bell, gegen den Kl. aus dem Lehrvertrage einen Gegenanspruch erheben, so ist sie, soweit dieser reicht, auch zur Zurückbehaltung der an sich von ihr geschuldeten 34,20 Mk. befugt und kann zur Zahlung nur gegen Bewirkung der Gegenleistung seitens des Kl. verurteilt werden, außerdem ist dann aber auch ihrer Widerklage stattzugeben. Mn heißt es in § 11 des schriftlichen Lehrvertrages, daß der Lehr­ ling, wenn er durch ungeeignetes Bettagen Anlaß zur Entlassung gibt, außer der der Bell, gesetzlich zustehenden Entschädigung den Bettag von 100 Mk. zu zahlen hat. Diese Bestimmung ist freilich gegenüber der zwingenden Vorschrift des § 127g GO. insoweit nichtig, als sie die Zahlung von 100 Mk. betrifft, aber es bleibt bestehen, daß der Kl., da er tatsächlich wegen schlechten Verhaltens ent­ lassen ist, den halben Gesellenlohn für 6 Monate = 270 Mk. zu zahlen hat. werbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 364.)

(Ge­

438. (201.) Kann verdienter Lohn als Sicherheit des Arbeitgebers für Schädigungen durch schlechte Geschäftsführung seitens des Arbeiters zurückbehalten werden? Urteil des GG. Hamburg. Die (nicht vereinbarte) Lohneinbehaltung ist für unzulässig erachtet. werbegericht Jg. 4 Sp. 85.)

(Ge­

GO. §§ 119 a, 120 a.

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434. Ist eine Lohneinbehaltung noch zulässig, wenn das Ar-eitSverhSltniS im beiderseitigen Einverständnis gelöst ist? Urteil des GG. Naumburg vom 14.Juli 1905. Seit Ende Dezember 1904 hat der Kl. in der Kokosmattenweberei des Bell, unter Vereinbarung einer 14tägigen Aufkündigung in Arbeit gestanden. Die Arbeit wurde im Akkordlohn ausgeführt und die vom Kl. vorgeschlagenen Preise bewilligt, welche sich durchschnittlich in der Woche aus 20 Ml. beliefen. Am 19. Juni 1905 wurden vom Bell, die Preise ermäßigt und dem Kl., welcher hiermit nicht einverstanden war, vom Bell, erklärt, daß er sofort gehen und seine Papiere erhalten könne. Der Kl. war hiermit ein. verstanden und erhielt seine Papiere. Dagegen wurde ihm vom Bell, die Herauszahlung von 20 Mk. verweigert, welche vom Lohne in einzelnen Raten auf Grund des § 119a der GO. zurückbehalten waren. Der Kl. verlangt Zahlung dieser 20 Mk.

Der Bell, ist verurteilt. k Aus den Gründen: Was zunächst die Lohnverabredung betrifft, so sind die Lohnsätze zwischen den Parteien vereinbart und kommt es dabei nicht darauf an, wie jeder Teil beziehenllich zur Berechnung seiner Forderung und der Gewährung gekommen ist, da Arbeitnehmer und Arbeitgeber selbst wissen müssen, was für die Arbeit zu fordern und wie hoch dieselbe zu lohnen ist. Die Gründe, welche Bell, für die Berechtigung der sofortigen Entlassung aufgestellt hat, kommen gar nicht in Betracht, da die Parteien über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses einverstanden gewesen sind, eine einseitige Aufhebung des Vertrags, ein Bertragsbmch, welche eine Prüfung der Begründung erforderlich machen würde, gar nicht vorliegt. Insbesondere liegt seitens des Kl. ein Bertragsbmch nicht vor. Wenn nun auch der Bell, gemäß § 119a der-GO. zur Lohneinbehaltung zur Sicherung des Ersatzes eines ihm aus der widerrechtlichen Auf­ lösung des Arbeitsverhältnisses erwachsenden Schadens bis zm Böne eines durchschnittlichen Wochenlohnes berechtigt war, so ist der Zweck dieser ohneinbehaltung dadurch weggefallen, daß nicht der Kl. den Vertrag widerrechtlich gelöst, sondem sich nur einverstanden erklärt hat mit der vom Belk. aus­ gesprochenen Lösung des Arbeitsverhältnisses. Eine Aufrechnung der Forderung des Kl. gegen einen etwaigen Anspruch des Bell, aus angeblicher vorsätzlicher Sachbeschädigung ist nach § 394 des BGB. ausgeschlossen. (Gewerbe- u. Kaufwannsger. Jg. 11 Sp. 131.)

435. (202.) Unter welchen Umständen ist der Bäckergeselle zur Berweigernng der Arbeit unter Berufung auf die Verordnung des Bundesrats, betr. den Betrieb von Bäckereien, berechtigt? Urteil des GG. Mainz.

Das GG. erachtet nach der konkreten Sachlage den Gesellen nicht zur Arbeitsverweigemng berechtigt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 74.)

436. (203.) Bundesratsverordnung vom 23. Januar 1902. Verläßt der Kellner unbefugt den Dienst, wenn er sich die ihm auf Grund der BundesratSverordnung zustehende Ruhezeit eigenmächtig nimmt? Wie ist die Ruhezeit zu berechnen? a) Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Juni 1902.

Das GG. hat die Entschädigungsllage des enllassenen Kellners abgewiesen. Die Berufung ist zurückgewiesen.

GO. § 122.

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b) Urteil des Kgl. Landgerichts Nordhausen vom 16. Dezember 1902.

Durch Urteil des Amtsgerichts Sangerhausen ist die Klage des entlassenen Kellners abgewiesen. Die Berufung ist zurückgewiesen. 437. (204.) Mutz bei der Kündigung der Grund angegeben werden?

Urteil des GG. Berlin vom 30. Oktober 1894.1) Die Frage ist verneint. (Unger,

47.)

438. (205.) Ist eine Kündigung vor Beginn der Kündigungsfrist wirksam?

Urteil des GG. Stettin. Die Frage ist bejaht. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 102.) 439.1. Mutz sich der Arbeitgeber Kollektivkündigung durch einen in einer Arbeiterverfammlung gewählten Bevollmächtigten gefallen lassen? 2. Ist bedingte Kündigung zulässig?

a) Urteil des GG. Mannheim vom 17. April 1903. Kl. (Arbeiter einer Drahtfabrik) verlangen Zahlung eines Lohnrestes. Bell, hält auf Grund der Arbeitsordnung den Betrag zugunsten der Lohnvorschußkasse für ver­ wirkt, weil Kl. nicht ordnungsmäßkg gekündigt hätten. Die Vorgänge bei der von der Bell, beanstandeten Kündigung waren folgende: Bei der Bell, war eine Lohnbewegung im Gange. Am 19. März abends fand eine Versammlung der sämtlichen Arbeiter der Bell, statt. In dieser Versammlung wurde für den Fall, daß die Forderungen der Arbeiter nicht bewilligt wurden, der Ausstand beschlossen ein diesen Beschluß festlegendes Schriftstück fand die Unterschrift der sämtlichen Teilnehmer jener Versammlung, gleichzeitig wurde eine Kommission von 3 Arbeitern — W., T. und M. — beauftragt, der Direktion der Fabrik die Beschlüsse der Versammlung zu überbringen, und der Direktion namens sämt­ licher Teilnehmer zu erllären, daß sie, falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden, nach Umlauf der Kündigungsfrist die Arbeit niederlegen würden. Die Kommission ließ sich durch den Portier am 20. März bei der Direktion der Fabrik behufs Entledigung ihres Auftrages melden als sie um %12 Uhr morgens noch nicht vorgelassen worden war, bat der als Sprecher der Kommission ausersehene Zeuge N. den Betriebsführer K., der Kommission eine Unterredung mit Direktor W. zu vermitteln dieser wollte jedoch nicht die Kommission, sondern nur den Zeugen N. allein empfangen. N. ging daraufhin zu Direktor W. und erllärte ihm, er wolle noch die übrigen Kommissionsmitglieder holen, damit sie ihren Auftrag ausrichten könnten. Direktor W. erwiderte jedoch, das sei nicht nötig, N. sei ja doch der Sprecher der Kommission. Daraufhin erklärte N.: „In dem Namen der Versammlung habe ich dem Herrn Direktor zu erllären, falls der Herr Direktor unsere Forderung nicht binnen 14 Tagen erfüllen wird, werden wir die Arbeit heute über 14 Tage niederlegen im Namen sämtlicher Arbeiter." W. erwiderte darauf, daß er Ar­ beiter genug haben könne. Ob W. in unmittelbarem Anschlüsse an diese Äußerung eine Verwahrung gegen die Ordnungsmäßigkeit der Kündigung angeschlossen hat, muß dahin­ gestellt bleiben, jedenfalls hat er unmittelbar nach Beendigung der Unterredung mit N., als dieser sich entfernen wollte, und am Zimmer des Zeugen K. vorbeiging, ersterem vom Fenster aus zugerufen, er mache ihn, wie Zeuge K. gehört haben will, wiederholt darauf aufmerksam, daß er die en bloe-Kündigung nicht annehme, wenn jemand kün­ digen wolle, müsse er persönlich Herkommen. N. entfernte sich daraufhin mit den Worten, er habe seinen Auftrag ausgeführt.

Die Bell, ist verurteilt. *) Vgl. auch Nr. 496.

GO. § 122.

333

Aus den Gründeu. 1. Die Kommission hatte Vertretungsmacht für sämtliche Arbeiter behufs Lösung des Dienstverhältnisses. Die Kündigung wurde zwar nicht durch die Kommission, sondern durch das Kommissionsmitglied N. aus­ gesprochen, allein dies ist für die Gültigkeit der Kündigung rechtlich bedeutungsios. Die Bevollmächtigung von drei Arbeitem war nach den bei der Aufstellung einer Mehrzahl von Äevollmächtigten obwaltenden Absicht nicht dahin zu 'ver­ stehen, daß lediglich die im gemeinschaftlichen Zusammenwirken der Bevollmäch­ tigten abgegebenen Erklärungen für die Vertretenen bindend sein sollten. Die Aufstellung einer Mehrzahl von Bevollmächtigten erklärt sich wohl am einfachsten aus der Befürchtung, daß ein einzelner Bevollmächtigter dem Direktor mit einem gewissen Gefühl Befangenheit gegenübertreten könne, die die ordnungsgemäße Vollziehung des Auftrages beeinträchtigen könne, während dieser Störung im Vollzug beim Vorhandensein mehrerer Bevollmächtigter nicht eintreten werde. Als Wille der Vollmachtgeber mußte in diesem Falle angenommen werden, daß sie auch mit der Vertretung durch einen einzelnen der Bevollmächtigten einver­ standen seien, wenn, wie im vorliegenden Falle, eine Beeinträchtigung in der Vollführung des Auftrages durch das Unterbleiben der Mitwirkung der übrigen Be­ vollmächtigten nicht eingetreten wäre. Wie dem aber auch sei, jedenfalls ist die durch N. namens der sämtlichen Arbeiter erklärte Kündigung von diesen dadurch genehmigt worden, daß sie auf den von ihnen erklärten Endtermin die Arbeit niederlegten. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, müßte jedenfalls die Bell., die durch die Weigerung ihres Direktors, die Kommission zu empfangen, das Zusammenwirken der Bevollmächtigten verhinderte, die Kündigung des von ihm als Bevollmächtigten anerkannten N. gegen sich gelten lassen, sei es daß man dies auf eine analoge Anwendung des § 162 oder des § 157 BGB. zurückführt. Die Mndigung wurde von Direktor W. zurückgewiesen, weil nicht jeder einzelne Arbeiter die Mndigung persönlich erklärte, solidem sich durch N. vertreten ließ. — Direktor W. verlangte, jeder Arbeiter müsse persönlich Herkommen. Die Zurück­ weisung der Kündigung aus diesem Gmnde wäre nur dann gerechtfertigt, wenn eine Vertretung bei einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklämng, wie sie die Mndigung ist, gesetzlich unzulässig wäre. Dies müßte im Gesetz, das in den § 164 sf. BGB. ganz allgemein für Willenserklämngen Vertretung zuläßt, bezüglich der Mndigung ausdrücklich ausgesprochen worden sein, was nicht ge­ schehen ist. Direktor W. hätte nach § 174 BGB. die Massenkündigung durch N. wegen des Fehlens einer den N. legitimierenden Bollmachtsurkunde zurückweisen können, er hätte nicht einmal ausdrücklich den Mangel der Bollmachtsurkunde zu rügen brauchen; es hätte genügt, wenn aus seinem Gesamwerhalten erkennbar gewesen wäre, daß der Gmnd seiner Verwahmng gegen die Mndigung die Nichtvorlegung der Vollmachtsurkunde des N. gewesen wäre. Mein so war die Sachlage nicht. N. wurde im Gegenteil von W. als Bevollmächtigter behandelt. Die Mitwirkung der Mitbevollmächtigten N.s wurde trotz seines Hinweises von W. wegen der ausreichenden Legitimiemng N.s als überflüssig abgelehnt. N. allein galt dem Direktor als zur Abgabe der Erklämngen der Arbeiter legitimiert. Demgegenüber war das Verlangen einer persönlichen Mndigung durch jeden einzelnen Arbeiter unberechtigt. 2. Die Mndigung der Arbeiter erfolgte nicht unbedingt, sondem in be­ stimmter, aber bedingter Form. Eine derartige Mndigung hält sogar Demburg, der im allgemeinen (vgl. Bürgerliches Recht Bd. 1. S.- 445) Bedingungen bei Kündigungen nicht zulassen will, jedenfalls dann für wirksam, wenn sie in einem Falle, wie dem vorliegenden, abgegeben wurde. (Vgl. Bd. 1 S. 445 Sinnt. 9.) Noch viel mehr muß die bedingte Mndigung im vorliegenden Falle nach Ansicht derjenigen Schriftsteller als Mässig erachtet werden, die auf weniger schroffem Standpunkt als Demburg stehen. (Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts

334

®£. § 122.

5. Aufl. Bd. 1S. 325 Sinnt. 5; ©tonte, System des deutschen Bürgerlichen Rechts 1 S. 437, 438; s. Staub, HGB. I S. 269 Anm. 10.) Die Bedingung, von der die Kündigung abhängig gemacht war (Nichterfüllung der Forderungen), ist eingetreten ; gemäß § 158 BGB. war damit das Arbeitsverhältnis der Kl. mit Ablauf der Kündigungsfrist bei der Bell, ordnungsmäßig beendet. Infolgedessen haben Kl. auch ihren vollen verdienten Lohn zu beanspruchen. (Gewerbegericht Jg. 9 SP. 5.) b) Urteil des GG. Hamburg. Kl. llagt gegen den Heizer E. A. auf Zahlung einer Entschädigung wegen Vertrags­ bruchs. Der Vorsitzende der Sektion der Binnenschiffer des deutschen Hafenarbeiterverbandes, Adolf D., brachte mittels Zirkulars an „die Herren Arbeitgeber im ©innen» fchifsahrtsgewerbe" vom 2. Oktober 1906 allen Beteiligten, darunter auch der Kl., zur Kenntnis, daß, falls die Arbeitgeber nicht geneigt seien, die aufgestellten Fordemngen der Schiffsmannschaften zu berücksichtigen, das Arbeitsverhältnis vom 16. Oktober für die Schiffsmannschaften als gelöst zu betrachten sei. Hierin sieht Bell, eine ordnungS« mäßige Kündigung, da D. von den beteiligten Schiffsmannschaften, insbesondere auch vom Bell., Vollmacht zum Erlaß des Zirkulars gehabt habe. Da sie dies nicht getan, sondern das Zirkular einfach unbeantwortet gelassen habe, müsse sie die Kündigung gegen sich als wirksam gelten lassen. Wenn übrigens tatsächlich eine Bevollmächtigung des D. nicht Vorgelegen haben würde, so sei doch eine nachträgliche Genehmigung der Kündigung anzunehmen, da in die Dertretungsmacht des D. nicht beanstandet und Bell, tat­ sächlich am 16. Oktober die Arbeit niedergelegt habe. Kl. hat bestritten, daß D. vom Bell. Vollmacht zur Kündigung gehabt habe. Eine Zurückweisung des Zirkulars oder eine Beanstandung der Vertretungsvollmacht sei schon deshalb überflüssig und unnötig ge­ wesen, weil Kl. durch zwei Dienstanordnungen ihrem Personal mitgeteilt habe, daß sie grundsätzlich jede Einmischung Dritter in das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Personal ablehne.

Der Bell, ist verurteilt. AusdenGründeu: Die Berufung der Kl. aus ihre Dienstanordnungen, wodurch sie sich die Einmischung Dritter in das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Personal verbeten hat, ist verfehlt. Die bezügliche Erllämng konnte und brauchte von den Schiffsmannschaften nur dahin vechanden zu werden, daß Kl. bei gegen­ seitigen Verhandlungen mit niemand anders als ihren eigenen Leuten zu tun haben wolle. Eine Kündigung fällt aber niemals unter den Begriff von Ver­ handlungen, sondern stellt sich als einseitiges Rechtsgeschäft dar, welches zu seiner Gültigkeit einer Annahme der Gegenseite nicht bedarf, also ein Verhandeln nicht nötig macht. Ob der Kündigende seine Kündigung persönlich ausführt oder sich dabei eines Bevollmächtigten bedient, ist seine eigene Sache, Vorschriften können ihm darüber nicht gemacht werden. Wenn also in dem Zirkular des D. tatsäch­ lich eine Kündigung zu erblicken wäre, hätte Kl. dieselbe unverzüglich beanstanden müssen, wenn sie die Vollmacht D.s bezweifelte und sich vor Schaden schützen wollte. Weit beachllicher schon ist der zweite Einwand der Kl., daß D. tatsächlich keine Vollmacht vom Bell, gehabt habe. Wäre bell. Vertreter imstande gewesen, ein glaubwürdiges Versammlungsprotokoll vorzulegen, aus welchem zu ersehen, daß Bell, an der fraglichen Versammlung teilgenommen und daß D. in der Versammlung nicht nur durch Akklamation oder Majoritätsbeschluß, sondem durch einstimmigen Beschluß aller Anwesenden oder durch Erllämng einzelner An­ wesenden, bäumtet des Bell., zur Einreichung einer Kündigung ermächtigt worden sei, so hätte das Gericht vermutlich das Borliegen einer gültigen Vollmacht annehmen können. Bell, hat aber durch seine Erllämng, daß das betreffende Versammlungsprotokoll nicht mehr existiere, dargetan, daß er gar nicht imstande ist, den ihm obliegenden Beweis für die von ihm behauptete Bevollmächtigung des D. zu erbringen. Der Auffassung des GG. in Sachen der Kl. gegen H. und T.,

GO. § 122.

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daß in der tatsächlichen Arbeitsniederlegung der Schiffsmannschaften am 16. Ott. eine nachträgliche Genehmigung der von D. (seiner Meinung nach) vorgenommenen Kündigung zu finden sei, kann sich das GG. in seiner heutigen Besetzung nicht ohne weiteres anschließen. Gewiß kann auch in sogenannten „schlüssigen Hanolungen (facta concludentia)" die nachträgliche Genehmigung einer ohne Voll­ macht vorgenommenen Kündigung gefunden werden. Die tatsächliche Arbeits­ niederlegung der Schiffsmannschaften am 16. Oktober zwingt aber keineswegs zu dem Schlüsse, daß alle Leute eine von D. erfolgte Kündigung ihres Arbeits­ verhältnisses nachträglich genehmigen wollten. Es wäre ebensowohl möglich, daß einzelne lediglich deshalb die Arbeit einstellten, weil nun einmal auch die übrigen Schiffsmannschaften in den Streik traten. Andererseits erklärt Kl. selbst in ihrem Schreiben an ihre Anwälte (vom 27. April 1907), daß Bell, unter dem Eindrücke gestanden, als ob vom Verbände rechtsverbindlich für ihn gekündigt worden sei und daß er infolgedessen am 16. Oktober die Arbeit niedergelegt habe, besonders da von dem Redner in der Versammlung zum Ausdruck gebracht worden sei, daß am 16. Oktober ein jeder die Arbeit nicht nur niederlegen könne, sondern müsse. Wenn dies zutreffen sollte, dann wäre schon eher in diesem Falle die Schluß­ folgerung gerechtfertigt, daß Bell, eine von D. erfolgte Kündigung seines Arbeits­ verhältnisses nachträglich habe genehmigen wollen. Das Gericht ist nun aber der Meinung, daß in dem Zirkular des D. vom 2. Oktober 1906 eine rechtswirksame Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen der Kl. und ihren Schiffsmannschaften gar nicht zu erblicken war. Es kommt daher gar nicht darauf an, ob Bell, tatsächlich dem D. eine Vollmacht zur Kündigung seines Arbeitsverhältnisses erteilt hatte, oder ob, wenn solche Vollmacht ursprünglich nicht erteilt war, in der Arbeitsniederlegung des Bell, in dem Zirkular vom 2. Oktober keine Kündigung lag, war auch darin, daß Kl. das Zirkular unbeantwortet ließ, keine Einverständmserklärung der Kl. damit, daß D. ohne Vollmacht handele, zu finden. Für eine nachträgliche Genehmigung war also kein Raum, unv ebensowenig brauchte Kl. das Zirkular wegen mangeln­ der Vollmacht zurückzuweisen, um es unwirksam zu machen. Auch dieses Gericht steht zwar nicht auf dem schroffen Standpunkte von Dernburg und Planck, daß jede Kündigung, welche unter Beifügung einer Bedingung erfolgt, deshalb immer unwirksam sei. Das Gericht schließt sich aber der Ansicht des Landgerichts Ham­ burg durchaus an, daß die im Zirkular vom 2. Oktober 1906 anaedrohte Arbeits­ niederlegung infolge der beigefügten Bedingung und der vorhergehenden Be­ gründung so vieldeutig und unbestimmt erscheint, daß sie nicht als eine Kündigung verstanden werden konnte. Insbesondere wird dem Landgerichte darin beige­ treten, daß ein Arbeitgeber aus dem Zirkular gar nicht entnehmen konnte, ob der Wille der Arbeitnehmer nur dahin ging, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn der Arbeitgeber bis zum 15. Oktober sämtliche Vorschläge, fei es ausdrücklich, sei es durch Nichtbeantwortung, abgelehnt hätte, oder ob der Wille der Arbeitnehmer dahin ging, das Arbeitsverhältnis auch dann aufzulösen, wenn bis 15. Oktober ein Teil der Vorschläge von ihm angenommen, ein Teil abgelehnt oder mit Gegen­ vorschlägen beantwortet war. Kl. konnte ferner aus dem Zirkular unmöglich ent­ nehmen, ob das Arbeitsverhältnis des Bell, nach seinem Willen auch dann auf­ gelöst sein sollte, wenn zwar Kl. selbst die Forderungen ihrer Arbeitnehmer be­ willigte, die übrigen Arbeitgeber sich aber ablehnend gegen die Forderungen der Arbeitnehmer verhielten, oder ob die Bedingung für die Fortsetzung der Arbeit der llägerischen Arbeitnehmer nur die war, daß Kl. allein ihren Mannschaften die Forderungen bewilligte. Hinzu kommt, daß im Zirkular gar nicht ausdrücklich gesagt ist, daß es sich um eine wirlliche Kündigung im Auftrage der einzelnen Arbeitnehmer handele. Die Kl. konnte also wohl vermuten, daß im Falle der Nichtbeantwortung des Zirkulars eine große Zähl ihrer Arbeitnehmer bis zum

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9. Oktober (also unter Einhaltung der vereinbarten fünftägigen Frist) ihre Kün­ digung für den 15. Oktober einreichen würden, sie konnten aber nicht annehmen, daß in der generellen Androhung der Arbeitsniederlegung die Einzelkündigungen enthalten sein sollten, zumal die beobachtete Frist gar nicht mit den vereinbarten Kündigungsfristen übereinstimmte. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 8.)

440. (206.) Vereinbarung schriftlicher Kündigung. Ist mündliche Kün­ digung gültig, wenn der Arbeiter sie annimmt?

a) Urteil des GG. Görlitz vom 11.April 1901. Das GG. hält die müMiche Kündigung für gültig,

b) Urteile desAmtsgerichtsRheydt vom 1. Mai 1901 und des Land­ gerichts Düsseldorf vom 24.Juli 1901.

Das Amtsgericht hat die Bekl. zur Weiterzahlung des Gehaltes verurteilt, weil es einen gütige Kündigung nicht als vorliegend ansieht. Auf die Bemfung des Bekl. hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

441. (207.) Gilt eine achttägige Kündigung als genehmigt, wen» der Arbeiter sie ohne Widerspruch annimmt und nach acht Tagen die Arbeit aufgibt? Urteil des GG. Stettin vom 27. August 1901.

Die Frage ist bejaht.

442. (208.) Wird das Arbeitsderhältnis durch eine längere Abwesenheit des Arbeiters (Erkrankung usw.) von selbst gelüst? Urteil des GG. Franks urt a.M. vom 27.März 1902.

Die Frage ist vemeint.

443. (209.) Wird durch Untersuchungshaft des Arbeiters das Arbeitsverhältnis aufgelöst oder nur unterbrochen? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 1. November 1897. Das GG. erachtet den Arbeitsvertrag für aufgelöst. Jg.3Sp.79.)

(Gewerbegericht

b) Urteil des GG. Delmenhorst vom 25.Februar 1903. Das GG. erachtet den Arbeitsverttag für aufgelöst.

444. (210.) Wird bei Kündigungsausschlnß das ArbeitsverhültniS gelöst, wenn der Arbeiter ohne weitere Erklärung fortbleibt? Urtell des GG. Berlin, Kammer 3, vom 6. Juni 1899.

Das GG. hält eine besondere Erklärung des Austritts für erforderlich. (So­ ziale Praxis.)

GO. § 122.

337

445. Kann ein nur am Sonntagnachmittag beschäftigter Tanzmeister Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungsfrist beanspruchen? Urteil des GG. Dresden-Neu st adt Amtshauptmannschaft.

Der Kl. stand seit längerer Zeit beim Bell, für den im Gasthaus Hotel D. in Loschwitz allsonntäglich stattfindenden Tanz als Tanzordner in Beschäftigung. Über Kün­ digung war nichts vereinbart. Für seine Tätigkeit an jenem Tanztage erhielt der Kl. ver­ einbarungsgemäß 8 Mk. Entschädigung. Am 8. Juli 1905 hat der Bell, den Kl. ohne Kündigung entlassen. Kl. beantragt, sich ans § 122 GO. stützend, den Bell, zur Zahlung der auf zwei Sonntage entfallenden Entschädigung zu verurteilen. Der Bell, wendet ein, daß auf derartige Bertragsverhältnisse die Bestimmungen der GO. über KündigungsSen nicht Anwendung finden können, daß hier vielmehr jederzeitige sofortige Ent.. ing erfolgen könne. Der Bell, ist verurteilt. AusdenGründen: Es handelt sich im vorliegenden Falle ebenso um ein gewerbliches Arbeitsverhältnis, auf welches die Bestimmungen der GO. An­ wendung zu finden haben, wie in jedem anderen Falle der Beschäftigung einer Person als Gehilfe im Gewerbebetriebe einer anderen Person. Der Umstand, daß die Beschäftigung keine täglich fortlaufende, sondem eine lediglich an be­ stimmten Tagen wiederkehrende war, ändert an dem Charakter der Beschäftigung als einer gewerblichen im Sinne der GO. nichts. Es ist auch sonst kein innerer Gmnd ersichtlich, toatunt ein Gewerbegehilfe, der für eine bestimmte Tätigkeit engagiert worden ist, lediglich aus dem Grunde, weil diese Tätigkeit der Natur der Sache oder der Vereinbarung nach nur an einem bestimmten Tage der Woche zu leisten ist, in Ansehung der Dauer seines Arbeitsverhältnisses weniger günstig gestellt sein möchte, als ein solcher Gewerbegehilfe, dessen Tätigkeit eine täglich wiederkehrende ist. Wie dieser, so hat auch jener Gewerbegehilfe ein Interesse an einer gewissen Ständigkeit seiner jeweiligen Beschäftigung und daran, daß sein Arbeitgeber die Absicht, ihn aus seinen Diensten zu entlassen, ihm so zeitig bekannt gibt, daß er annehmbar in der Lage ist, bis zu seiner Entlassung anderweit eine gleichartige Beschäftigung sich zu verschaffen. Es muß ihm deswegen ebenso, wie jedem anderen Gewerbegehilfen die Möglichkeit zugesprochen werden, diejenige Kündigungsfrist für die Lösung seines Arbeitsverhältnisses für sich in Anspruch zu nehmen, die das Gesetz im Mangel anderer Vereinbarung als eine unter normalen Berhältni fett angemessene und dem Wunsche nach ununterbrochener Beschäftigung Rechnung tragende in § 122 der GO. festgesetzt hat. (Gewerbe- u. Kaufmanns­ ger. Jg. 11 Sp. 9.)

446. (211.) Besteht der Anspruch auf vierzehntägige Kündigung auch bei Probeweisem Engagement? a) Urteil desLandgerichtsIBerlin, Zivilkammer 19, vom 17. Juli 1892.

Dem Gewerbegehilfen ist der Anspruch auf zweiwöchentliche Kündigung zugebilligt. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1893 S. 97.)

b) Urteil des GG. Berlin vom 6. März 1897.

Die Klage auf Lohnentschädigung für zwei Wochen ist abgewiesen. Nr. 63.)

(Unger,

447. (212.) Kann ein Aushilfskellner jederzeit entlassen werden? Urteil des GG. Bremen. Das GG. hat die Frage bejaht. Baum, ®«oerbegerld)te.

(Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 75.)

22

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GO. § 122.

448. (213.) Hat ein in der Umzugszeit aushilfsweise angenommener Möbeltransport-Arbeiter Anspruch ans zweiwöchentliche Kündigungsfrist? Urteil des Kgl. Amtsgerichts II zu Berlin vom 20. Mai 1901.

Der Bell, ist zur Lohnzahlung für zwei Wochen verurteilt. (Gewerbegericht Jg. 7 SP. 194.)

449. (214.) Kann sich ein Probeengagement stillschweigend in ein festes ArbettSverhöltniS umwandeln? Urteil des GG. Berlin, Kammer 1, vom 17. Mai 1900.

Das GG. hat die Frage bejaht.

(Soziale Praxis.)

450. (215.) Einstellung ans Probe. Ist der Arbeitgeber im Zweifel berechtigt, den Arbeiter zu entlassen, falls ihm dessen Leistungen nicht genügend erscheinen? Urteil des GG. Offenbach vom 3.Aprll 1900.

Die Klage des Arbeiters auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. gericht Jg. 6 Sp. 168.)

(Gewerbe­

451. (216.) Hat ein Heimarbeiter Anspruch ans Kündigung? a) Urteil des GG. Offenbach a.M.

Das GG. hält den Anspmch auf Kündigung für berechtigt. b) Urteil des GG. Wiesbaden.

Der Anspmch auf Kündigung ist versagt.

(Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 128.)

c) Urteil des GG. Karlsruhe.

Die Klage auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 7.) d) Urteil des GG. Hamburg. Der Anspmch auf Kündigung ist zugebilligt. (Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 218.) e) Urteil des GG. Berlin vom 18. September 1893.

Der Anspmch auf Kündigung ist zugebilligt.

(Unger Nr. 18.) *)

f) Urteil des GG. Berlin vom 24. Febmar 1896.

Der Anspmch auf Kündigung ist zugebilligt.

(Unger Nr. 18.)

452. (217.) Hat ein Heimarbeiter (Flickschneider), der dem Arbeitgeber nnt einen Teil seiner Arbeitszeit widmet, Anspruch ans Kündigung? Urteil des GG. Karlsruhe vom 9.Juli 1902. Der Anspmch auf Kündigung ist versagt. *) Ebenso GG. Augsburg v. 27. Mai 1908 („Gewerbe- u. Kaufmannrger." Jg. 14 Sp. 9.

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453. (218.) Wer hat die BeweiSlast bezüglich der Kündigungsabrede?

a) Urteil des Landgerichts I 93erlitt, Zivilkammer 1, vom 12. Oktober 1893. Das Gericht hält den Kl. für beweispflichtig dafür, daß keine abweichende Kündigungsfrist verabredet fei. (Blätter für Rechtspflege Jg. 1893 S. 129.)

b) Urteil des Landgerichts Bremen vom 16. März 1898. Das Gericht hält den Bell, für beweispflichtig dafür, daß eine abweichende Kündigungsfrist vereinbart sei. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 103.)

454. (219.) Ortsüblicher Kündigungsausfchlutz für Bauarbeiter. Ist er stillschweigend vereinbart, wenn nichts anderes vereinbart ist? *) Urteil des GG. Charlottenburg vom 1.August 1902. Die Frage ist bejaht.

455. Unter welchen Umstünden ist als festgestellt anzufehen, daß SündigungSanSschlutz ortsüblich ist? Urteil des GG. Charlottenburg vom 24.Sept. 1903. Der Kl. ist vom 11. August 1902 bis 3. Juli 1903 beim Bell, als Droschkenkutscher gegen 1,50 Mk. Tagelohn und Prozente von der Tageseinnahme beschäftigt gewesen. Am letzteren Tage ist er ohne Kündigung entlassen worden. Er beanspmcht daher eine Lohnentschädigung auf 14 Tage mit 21 Mk. und für entgangenen Verdienst 2 Mk. pro Tag. Der Bell, wendet ein, daß im Fuhrgewerbe ein Ortsgebrauch bestehe, nach dem die gesetzliche Kündigungsfrist ausgeschlossen sei. Der Einwand ist für unbegründet erachtet.

Aus den Gründen: Gemäß § 293 ZPO. hat das Gericht zunächst Erhebung darüber angestellt, ob Hierselbst der vom Bell, behauptete Ortsgebrauch besteht. Es sind bei einer ganzen Reihe von Fuhrherren Erkundigungen darüber eingezogen worden, ob sie neu eintretende Kutscher oder Arbeiter eine Kündigungs­ abrede unterschreiben lassen oder mündlich besondere Abrede treffen, oder ob ohnedies jeder Kutscher weiß, daß die Kündigung ausgeschlossen ist. Die einge­ gangenen Antworten haben ergeben, daß in den meisten Fällen die Fuhrherren ihre Kutscher entweder eine Vereinbarung auf Ausschluß der Kündigung unter­ schreiben lassen oder dies mündlich verabreden oder durch einen Anschlag an der Stalltür oder ähnlichen Orten auf den Ausschluß Hinweisen. Mr in wenigen Fällen sind die Äußemngen dahin gegangen, daß die Fuhrherren die 14tägige gesetzliche Kündigungsfrist ohne weiteres bestehen lassen. Da zur Anerkennung eines Ortsgebrauchs gehört, daß er von der überwiegenden Mehrheit der in Be­ tracht kommenden Personen, also sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer, mit dem Bewußtsein ausgeübt wird, daß es so, wie es gehandhabt wird, auch Recht sei, so muß auch im vorliegenden Fall diesem Erfordemis genügt werden. Hier treffen nun die meisten Fuhrherren schriftlich oder mündlich die Vereinbarung, daß die gesetzliche Kündigungsfrist ausgeschlossen sein soll, ein keiner Teil beharrt aber bei der gesetzlichen Frist. Daraus ergibt sich, daß die meisten Fuhrherren die Überzeugung von dem Bestehen eines Ortsgebrauchs auf Ausschluß der Kün­ digung nicht haben, denn was ein für allemal Rechtens ist, braucht man nicht erst l) Ebenso GG. Stettin v. 15. April 1902 („Gewerbegericht" Jg. 9 Sp. 9); GG. Berlin v. 27. April 1903 („Reichsarbeitsbl." Jg. 1 S. 223); GG. Zittau v. 19. Mai 1909 („Gewerbe- u. Kaufmannsger." Jg. 14 Sp. 363).

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noch zu vereinbaren. Somit war die Überzeugung von dem Bestehen eines Orts­ gebrauchs nicht einmal bei den Arbeitgebem vorhanden, und daher tarn das Gericht, auch ohne die Arbeitnehmer zu hören, bereits zu der Überzeugung, daß ein derartiger Ortsgebrauch, wie er vom Bell, behauptet wurde, nicht besteht. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 92.)

456. Bindet ein Ortsgebrauch hinsichtlich der Kündigungsfrist auch den eben erst zugezogenen Gesellen, der den Ortsgebrauch nicht kennt? Urteil des GG. Oppeln vom 23. Dez. 1903. Die Klage des ohne Kündigung entlassenen Bäckergehilfen ist abgewiesen.

AusdenGründen: Durch die Aussage des Sachverständigen Bäcker­ meisters I. ist als erwiesen zu betrachten, daß Hierselbst im Bäckergewerbe die Ortssitte besteht, daß für zugereiste Bäckergesellen bei Antritt eines ArbeitsverHAtnisses, falls nicht besondere Abmachungen getroffen werden, stillschweigend die Bedingung gilt, daß sie zunächst nur 14 Tage auf Probe angenommen werden und während oder mit Ablauf dieser Zeit ohne Grundangabe entlassen werden können, sowie daß sie das Arbeitsverhältnis selbst jederzeit ohne Formalitäten während dieser Probezeit lösen können. Eine solche oder doch wenigstens ähnliche Ortssitte ist nach derselben Aussage auch in anderen Städten eingebürgert und den Gesellen allgemein bekannt. Aus diesem Grunde ist das Gericht zu der An­ sicht gekommen, daß der Bell, mit Fug annehmen durfte, daß auch dem Kl. beim Antritte seiner Arbeit auch die hiesige Berkehrssitte bekannt geworden sei und daß er sich ihr stillschweigend unterwerfe. Dies war um so mehr anzunehmen, als die Parteien, über die Dauer der Kündigungsfrist und die Höhe des Lohnes eine Mrede nicht getroffen haben. Der Kl. hat zweifellos gewußt, daß auch in Oppeln eine Ortssitte hinsichtlich seiner Stellung, wie überall sonst in Betracht komme. Er mußte sich nach ihrem näheren Inhalt in geeigneter Weise erkundigen und hat dies jedenfalls auch getan, da er auch nicht einmal über den ihm zustehen­ den Lohn eine Bereinbamng getroffen hat. Mithin war für die Entscheidung als maßgebend zu erachten, daß die Parteien durch stillschweigende Willenseinigung, nämlich durch Ünterlassung besonderer Erllärungen, wie solche anderen­ falls mit Rüchicht auf die herrschende dem Kl. bekannt gewordene Verkehrssitte geboten gewesen wären (§ 157 BGB.), die gesetzliche 14tägige Kündigungsfrist efeitigt und an ihre Stelle die jederzeitige Lösbarkeit des Arbeitsverhältnisses während der ersten 14 Beschäftigungstage gesetzt haben. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 196.)

457. Gilt die von einer Zwangsinnung beschlossene Werkstattordnung mangels anderweiter Bereinbamng als Bestandteil des Einzelarbeitsvertrages hinsichtlich der Kündigungsfrist? Urteil des GG. Frankfurt a. M. vom 20. Jan. 1904.

Das GG. hat die Frage bejaht. AusdenGründen: Die Zwangsinnung der Spengler und Installa­ teure hat eine Werkstatwrdnung beschlossen und ihren Mitgliedem zum Gebrauch empfohlen, nach welcher die Kündigung ausgeschlossen ist. Diese Werkstatt­ ordnung hängt bei allen Mitgliedem der Zwangsinnung aus und auf Gmnd der­ selben werden alle Arbeitsverträge der Mitglieder abgeschlossen. Es steht danach fest, daß die Bestimmungen dieser Werkstatwrdnung als ortsüblich anzusehen sind. Wie das Gericht bereits früher entschieden hat, sind solche ortsübliche Bestim-

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mutigen auch ohne ausdrückliche Vereinbarung zwischen den einzelnen Parteien als Vertragsinhalt zugmnde zu legen, und zwar bezieht sich dies ebenso auf den Lohn und auf die Arbeitszeit, wie auf die Kündigungsfrist, die nur mangels einer anderweiten Vereinbarung gesetzlich geregelt ist. Es würde auch mit den Grundsätzen von Treu und Glauben völlig unvereinbar fein, wenn eine solche Arbeits­ ordnung, die bei allen Mitgliedern der Zwangsinnung in Gebrauch ist, zwar in allen anderen Punkten stets als maßgebend angesehen werden mutz, nur bezüg­ lich der Kündigungsfrist wirkungslos wäre, sobaw ein einzelner Meister vergessen hat, einen Arbeiter auf die Arbeitsordnung aufmerksam zu machen. Der Aus­ schluß der Kündigung muß deshalb auch für den Kl. als maßgebend angesehen werden, selbst wenn der Bell, denselben auf die Arbeitsordnung nicht ausdrück­ lich verwiesen hat. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 215.) 458. (220.) Gilt KündigungsauSschluß als stillschweigend vereinbart, wenn er in der Branche üblich ist und zwischen den Parteien bereits bet zwei früheren ArbeitsvertrSgen in demselben Jahr vereinbart war?

Urteil des GG. Chemnitz vom 30. November 1901.

Die Frage ist bejaht. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 222.) 459. (221.) Gilt Kündigungsausschluß als vereinbart, wenn in dem bett. Handwerksbetrieb eine dahin gehende „Werkstattordnung" ange­ schlagen war, dem Arbeiter aber ihre Kenntnis nicht nachgewiefen werden kann?

Urteil des GG. Stuttgart. Die Frage ist verneint. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 73.) 460. (222.) Ist Kündigungsausschluß vereinbart, wenn ihn der Arbeit­ geber durch Anschlag und mündliche Äußerung festsetzt und die Arbeiter dazu schweigen?

Urteile des GG. und Landgerichts Göttingen vom 6. Mai und 10. Juli 1902. Das GG. hat die Klage auf Lohnentschädigung für 2 Wochen abgewiesen Das Landgericht hat die ^Berufung der Kl. zurückgewiesen. 461. (223.) Ist stillschweigende Vereinbarung des KündigungSauSschlusseS möglich?

Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 2. Februar 1898.

Das Gericht wies den Kl. mit seiner Fordemng ab. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 80.) 462. (224.) Kann Kündigungsausschluß durch den Arbeitsnachweis ver­ einbart werden?

Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 15. November 1897.

Die Frage ist bejaht. *) Vgl. Nr. 877.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 136.)1)

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463. (225.) Ist der Arbeitgeber haftbar, wenn er einen Vertreter bevollmächtigt hat, Arbeiter mit Beschränkung der gesetzlichen Kündigungsfrist anzunehmen, der Bevollmächtigte aber ohne solche Beschränkung enga­ giert hat? Urteil des Landgerichts Berlin, Kammer 8.

Unter Abändemng des Urteils des GG. wurden die Kl. mit ihrer Klage auf Entschädigung wegen kündigungsloser Entlassung abgewiesen, obwohl mit chnen eine Bereinbamng über Beschränkung der gesetzlichen Kündigungsfrist nicht getroffen war. (Gewerbegericht 1.2 Sp. 107.)

464. (226.) Kann der Arbeitgeber die Vereinbarung des Kiindigungsausschlusses durch Wegnahme des betr. Plakates einseitig anfheben? Urteil des GG. Stuttgart. Die Frage ist vemeint.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 22.)

465. (227.) Ist die vereinbarte Kündigungsfrist mangels anderwetter Abrede auch für den Rechtsnachfolger des Arbeitgebers bindend? Urteil des Landgerichts München I.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 36.)

466. (228.) Ist eine Vereinbarung, wonach auch für zukünftig abzu­ schließende Arbeitsverträge Kündigung ausgeschlossen sein soll, rechtlich wirksam?

a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 14. März 1898. Die Abrede ist für unwirksam erachtet.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 88.)

b) Urteil des Landgerichts I zu Berlin vom 12.Juni 1895. Die Abrede ist für gültig erachtet.

(Unger, Nr. 573

467. (229.) Gelten bei Wiedereinstellung eines Arbeiters die alten Kün­ digungsbedingungen als stillschweigend vereinbart?

a) Urteil des GG. zu B e r l i n, Kammer 4, vom 8. September 1900. Das GG. erachtet die alten Bedingungen für maßgebend. (Soziale Praxis.)J)

b) Urteil des GG. Hamburg. Die alten Bedingungen sind als fortbestehend angesehen. Jg. 4 Sp. 86.)

(Gewerbegericht

c) Urteil des GG. L i e g n i tz vom 1. September 1905. Die Bell. haben bis zum Ausbruch des Maurerstreiks im Juni 1905 bei dem Kl. als Maurer gearbeitet. Infolge des Streiks haben sie die Arbeit niedergelegt und haben sie erst nach Beendigung des Streiks Mitte August bei dem Kl. wieder ausgenommen. ') Vgl. GG. Augsburg 22. Mai 1908.

GG. u. KG. 14. Jg. Sp. 9.

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Bor dem Streik war zwischen den Parteien Kündigungsausschluß vereinbart gewesen. Die Vereinbarung ist in der Weise zustande gekommen, daß die Stell, vorgedruckte soge­ nannte „Listen" unterschrieben haben, in denen die Unterzeichner sich mit dem Kündigungsausschluß einverstanden erklärten. Als die Bekl. nach dem Streik wieder in das Arbeits­ verhältnis zum Kl. traten, wollte der Techniker des Kl. den Bekl. die Listen zum Unter­ schreiben wieder vorlegen; der Kl. hinderte ihn jedoch daran, indem er ihm erklärte, daß dies ja noch Zeit habe. Am Wend des 23. August legten die Bekl. die Arbeit nieder, nachdem sie bereits einen Tag vorher dem Kl. hiervon Mitteilung gemacht haben. Kl. verlangte Wiederaufnahme der Arbeit aus einen Zeitraum von 14 Tagen. Er ist der Ansicht, daß die Bekl. die gesetzliche Kündigungsfrist von la Tagen innehalten müßten, weil sie die „Listen" noch nicht unterschrieben hätten.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Unstreitig pflegt der Kl. jedem zrr ihm in Arbeit tretenden Maurer die sogenannte „Liste" zur Unterschrift vorzulegen, in welcher sich der Unterzeichner mit dem Ausschluß jeder Kündigungsfrist einverstanden erllärt. Eine solche „Liste" haben die Bell., als sie vor dem Streik bei dem Kl. arbeiteten, unterzeichnet. Zwar ist der frühere Arbeitsvertrag durch den Streik aufgelöst worden; der in Frage stehende Arbeitsvertrag muß als ein neuer Vertrag bezeichnet werden. Das schließt aber nicht aus, daß beim Fehlen anderweitiger Bereinbamngen die Bedingungen des früheren Vertrages auch für den neuen Vertrag ihre Gültigkeit behalten, wenn aus den Umständen nicht etwas anderes gefolgert werden muß. Dieses letztere ist hier nicht der Fall. Die Bell, durften mit Recht annehmen, daß sie unter denselben Kündigungsbedinaungen ange­ nommen worden seien, wie sie in dem früheren nur etwa zwei Monate zurück­ liegenden ArbeitsverhAtnisse bestanden haben, auch wenn sie nicht noch einmal ausdrücklich durch ihre Unterschrift mit dem bei dem Kl. üblichen Kündigungs­ ausschluß sich einverstanden erllärt haben. Es wäre Sache des Kl. gewesen, die Belli auf die gesetzliche Kündigungsfrist aufmerksam zu machen, falls er auf die Innehaltung derselben bei dem neuen Dienstverhältnisse bestehen wollte. Tat er dies nicht, so hat er stillschweigend sich mit dem früheren Kündigungs­ ausschluß einverstanden erllärt. Der Umstand, daß der Kl. die Vorlegung der „Liste" zur Unterschrift auf einige Tage aufgeschoben wissen wollte, spricht mehr für als gegen die Annahme, daß auch er selbst nicht auf der gesetzlichen Kündigungs­ frist bestehen wollte. Aus welchen Gründen Kl. die „Listen" nicht sofort den Bell, zur Unterschrift vorlegen wollte, mag dahingestellt bleiben, weil diese Gründe rechtsunerheblich wären. Die Bell, waren sonach berechtigt, ohne Innehaltung einer Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis zu lösen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 173.)

468. (230.) Kann stündliche Lösung des Arbeitsverhältnisscs vereinbart werden? Urteil des GG. Berlin vom 24. Juli 1896.

Der Bell, ist zur Zahlung des Lohnes für eine Stunde verurteilt. Im übrigen ist die Klage abgewiesen. (Unger, Nr. 62.)

469. Kündigung zu jeder Tagesstunde. Ist der Arbeitgeber schaden­ ersatzpflichtig, wenn er am Montagmorgen kündigt, obwohl er schon am Sonnabendabend hätte kündigen können? Urteil des Schiedgerichts der Bauinnung zu Danzig vom 10. November 1905. Die Kl., die bei dem Bell, als Maurergesellen beschäftigt waren, sind, als sie

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Montag früh, den 16. Oktober 1905, zur Arbeit kamen, ohne an diesem Tage überhaupt noch beschäftigt zu werden, sogleich entlassen worden. Sie sind der Ansicht, daß ihnen von der Entlassung spätestens bereits am Abend des letztvorhergegangenen Werktages, d.i. am Sonnabend, hätte Kenntnis gegeben werden müssen, und verlangen mit der Be­ hauptung, daß sie am Montag andere Arbeit nicht mehr haben finden können, die Zahlung einer Entschädigung für entgangenen Arbeitsverdienst für 1 Tag pro Mann. Ferner beanspruchen sie Ersatz der Kosten für eine Eisenbahnfahrkarte (Wochenkarte) mit je 50 Pfg., die sie sich in der Annahme, daß sie auch Montag noch beschäftigt werden würden, von ihrem Wohnort Danzig nach dem auswärts in Ohra belegenen Arbeitsort gelöst hätten. Bell. wendet ein, daß nach schriftlicher Vereinbarung die Kl. zu jeder Tages­ stunde entlassen werden konnten. Kl. geben dies zu, halten aber die Art, wie Kl. von seinem Rechte Gebrauch gemacht habe, als gegen die guten Sitten verstoßend, und halten aus diesem Gmnde ihre Schadenersatzforderung für begründet. Aus Befragen gibt Bekl. zu, daß schon Sonnabend, den 14. Oktober er., festgestanden habe, daß die Kl. niot weiter beschäftigt werden würden.

Der Bell, ist verurteilt. AusdenGründen : Nach § 826 BGB. ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem andern Schaden zufügt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Diese Schadenersatzpflicht tritt auch ein, wenn die schädigende HaMung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden AusübungeinesRechts besteht — (vgl. Neumann, Kommentar zum BGB., Anm. 3 zu § 826 BGB ). Der Gerichtshof nimmt nun auf Grund des eigenen Zugeständnisses des Bell, an, daß dieser sehr wohl in der Lage war, den Kl. schon am Sonnabend vor ihrer Entlassung mitzuteilen, daß sie von Montag ab nicht weiter von ihnen beschäftigt werden würden. Er mußte sich sagen, daß er die

Kl. schädigte, wenn er am Montag früh ihnen Mitteilung von ihrer Entlassung machte, nachdem sie sich bereits auf die Arbeitsstelle herausbemüht und sich Fahr­ karten für die am Montag neu beginnende Woche besorgt hatten. Wer aber die Möglichkeit hat, sein Recht auszuüben, ohne einem anoern Schaden zuzufügen, und dennoch es auf eine Weise ausübt, von der er sich sagen muß, daß er dadurch einen anderen schäoigt, verstößt damit gegen die guten Sitten, wenn nicht erhellt, daß er gerade an dieser Art der Ausübung seines Rechts ein rechtlich zu schützendes Interesse hatte. Bell, muß daher den Kl. den Schaden ersetzen, der ihnen dadurch entstanden ist, daß er sie verhindert hat, sich für Montag bereits andere Arbeit zu besorgen, und sie veranlaßt hat, sich noch eine neue Fahrkarte für die am Montag beginnende Woche zu lösen. Fraglich kann nur sein, wie hoch dieser Schaden mit Rücksicht darauf zu bemessen ist, daß nach dem Wortlaut oes Vertrages Bell, im Laufe des Montags in der Lage war, den Kl. das Arbeitsverhältnis z u j e d e r Tagesstunde aufzukündigen. Man könnte vielleicht annehmen, daß Bell, den Kl. nach dieser Vereinbarung nur die Kosten für die Fahrkarte und den Lohn für 1 Stunde — als kleinste Lohneinheit — zu ersetzen brauchte. Aber der Gerichts­ hof war der Ansicht, daß, auch wenn eine solche Vereinbarung getroffen, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses mitten am Tage oder gar schon nach 1 Stunde doch nicht ganz willkürlich ohne jedes ersichtliche Interesse stattfinden dürfe. Eine solche willkürliche Auflösung mitten am Tage würde dem mutmaßlichen Willen der Parteien widersprechen und als ein Verstoß gegen die guten Sitten anzusehen sein. Denn es ist anzunehmen, daß der Smn einer derartigen Bereinbamng dahin geht, dem einen oder andern das Recht zur Auflösung des Arbeits­ verhältnisses m i 11 e n a m T a g e nur für den Fall zuzugestehen, daß er irgend­ welche gegründete Veranlassung hierzu hat, irgendein rechtlich zu schützendes Interesse dafür geltend machen kann. Mangelt es ersichtlich an einem solchen, so wird sogar in der Regel die Entlassung mitten am Tage schon nach § 226 BGB. nicht angängig sein. Denn hier ist ausdrücklich bestimmt, daß die Ausübung eines Rechts unzulässig ist, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden

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zuzufügen. Es kann aber nicht ohne weiteres angenommen werden, daß — abge­ sehen von dem Bell, schon am Sonnabend bekannten Gründen zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses — im Laufe des Montags die Verhältnisse zur Auflösung mitten am Tage irgendwelche Veranlassung geboten hätten. Bell, hat jedenfalls nach dieser Richtung nichts anzuführen vermocht. Der Gerichtshof hat deshalb angenommen, daß Kl. mangels Aufkündigung am Sonnabend noch für den ganzen Montag Beschäftigung beanspmchen konnten, und ihnen den vollen Lohn für diesen Tag zugesprochen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 292.)

470. (231.) Kann bei Kündigungsausfchluß der Arbeiter innerhalb des Arbeitstages jederzeit entlassen werden? a) Urteil des GG. München vom 11.Juli 1901.

Tie Frage ist verneint.1) b) Urteil des GG. Karlsruhe vom 19. März 1902. Tas GG. erachtet die Entlassung jederzeit innerhalb des Arbeitstages für zulässig.

471. Kanu bei ÄündignngsauSschlnß der Arbeiter, welcher mitten im Tage die Arbeit niederlegt, Schadenersatz verlangen, weil ihm seine Papiere nicht sofort ansgehändigt worden sind? Urteil des GG. Rixdorf vom 29. März 1904. Die Kl. waren mit anderen Arbeitern gegen einen Stundenlohn von 30 bzw. 34 Pfg. unter Vereinbarung von Kündigungsausschluß in der in Rixdorf telegenen Fabrik des Bell., der sein Hauptgeschäft in Berlin hat, tätig. 2(m 16. März 1904, vormittags 9 Uhr, verlangten die Arbeiter Lohnerhöhung. Da diese ihnen nicht vom Betriebsleiter in voller Höhe zugesagt wurde, legten zunächst 4, dann weitere 19 Arbeiter die Arbeit nieder und verlangten ihren verdienten Arbeitslohn und Aushändigung ihrer Arbeitspapiere. Da der Betriebsleiter nicht genügend Versicherungsmarken vorrätig hatte und sich wegen Auszahlung des Lohnes erst mit dem Hauptgeschäft in Verbindung sehen mußte, sagte er die Auszahlung des Lohnes und Aushändigung der Papiere zunächst für iy2 Uhr nachmittags, dann aber, als weitere Arbeiter ihre Entlasusng verlangten, für 4 Uhr nach­ mittags zu. Die Kl. verlangen unter der Behauptung, daß sie, wenn ihnen ihre Arbeits­ papiere gleich um 9 Uhr ansgehändigt wären, sofort andere Arbeit gefunden hätten, eine Entschädigung für 6’. bzw. 3 Arbeitsstunden im Gesamtbeträge von 24,58 Mk.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Wenn auch Kündigungsausschluß zwischen den Parteien vereinbart war, so erfordert doch Treu und Glauben und ist es in Berlin und den Vororten allgemein üblich, daß im Zweifel der Tag als Arbeitseinheit anzusehen ist und die Lösung des Verhältnisses nur mit Ablauf des Tages erfolgen kann. Die Kl. handelten daher vertragswidrig, als sie, da ihnen eine Lohnerhöhung nicht bewilligt wurde, die Arbeit nicht bis zum Abend fortsetzten, sondem sofort einstellten. Sie haben es sich daher selbst zuzuschreiben, wenn ihnen nicht gleich bei der Niederlegung der Arbeit die Arbeitspapiere ausgehändigt wurden. Sie können einen Entschädigungsanspmch gegen den Bell, nicht ableiten, denn zu dessen Begründung gehört, daß der Arbeitgeber die Arbeitspapiere schuldhafter*) Ebenso GG. Berti» bei Unger Nr. 73. Vgl. auch GG. Berlin v. 28. September 1904 („Reichsarbeitsbl." Jg. 3 Sp.444); GG. Berlin v. 19. April 1909 („Reichsarbeitsbl." Jg. 7 S. 946).

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weise vorenthält. Unter den obwaltenden Umständen konnte das Gericht aber nicht die Überzeugung gewinnen, daß der Bekl. bei ordnungsmäßigem GeschäftsS die Arbeitspapiere, von denen die Jnvalidenkarten und Krankenkassen: erst in Ordnung gebracht werden mußten, hätte früher aushändigen müssen. Wenn die Kl. ohne ihre Papiere keine neue Arbeit finden konnten, so hätten sie sich von dem Bell, eine Bescheinigung über die bisherige Beschäftigung und über den Verbleib ihrer Papiere ausstellen lassen können. Ein solches Verlangen haben sie indes nicht gestellt. lGewerbegericht Jg. 9 Sp. 223.) 473. Hat ein mit Kündigungsausschluß gegen Wochenlohn beschäftigter Arbeiter, der am Morgen des Ostersonnabends entlassen wurde, An­ spruch ans Lohn für den Karfreitag und den Ostersonnabend? Urteil des GG. Hamburg.

Der Lohn für den Karfreitag ist zugesprochen, dagegen wegen des Lohnes für Sonnabend die Klage abgewiesen. AusdenGründen: Der Auffassung des Bell., daß bei festem Wochen­ lohn der Lohnbetrag für einen in die Woche fallenden Feiertag nur dann ausbe­ zahlt zu werden brauche, wenn die ganze Woche zu Ende gearbeitet werde, kann nicht beigetreten werden. Bell, hat es auch an jeglicher Begründung in recht­ licher oder tatsächlicher Hinsicht für seine Auffassung fehlen lassen. Wenn für Berechnung von Zeitlohn als veinste Zeiteinheit eine Woche zugrunde gelegt wird, so muß bei einer Auslegung solcher Bereinbamng nach Treu und Glauben mit Rücksicht aus die Verkehrssitte angenommen werden, daß wenn das Arbeits­ verhältnis vor Ablauf der Woche, also innerhalb der lleinsten Zeiteinheit, gelöst wird, als bis zur Lösung verdienter Lohn mindestens derjenige Bruchteil des ganzen Wochenlohnes gelten solle, welcher dem Bmchteil der Woche, während dessen tatsächlich gearbeitet worden ist oder doch batte gearbeitet werden können, wenn kein Feiertag gewesen wäre, entspricht. Mithin erscheint der Anspruch des Kl. auf Lohn für Karfreitag begründet. Bell, hätte sich ja in Anbettacht der verein­ barten Arbeitsbedingungen gegen Zahlung dieses Lohnes dadurch schützen können, daß sie den Kl. noch am Donnerstagabend persönlich enlließ oder ihm sofort seine Entlassung ins Haus schickte. Alsdann hätte Kl. nicht weiter arbeiten können, auch wenn Freitag kein Feiertag gewesen wäre, hätte also auch kein Lohnanspruch für diesen Tag gehabt. Der Anspruch des Kl. aus Lohn für Sonnabend erscheint auf den ersten Blick auch nicht ganz unbegründet. Es ist vom GG. wiederholt anerkannt worden, daß, wenn beim Ausschluß jeglicher Kündigungsfrist ein Arbeitnehmer nicht an einem Abend entlassen wird, sondern erst des Morgens, wenn er bereits zur Arbeits­ stelle gekommen ist, es Treu und Glauben erforderten, daß ihm der Lohn für die lleinste Zeiteinheit, mit welcher in dem betteffenden Arbeitsverttage gerechnet werde, ausbezahlt werde. Deshalb ist dem des Morgens zur Arbeit erschienenen, aber dann sogleich entlassenen Maurergesellen der Lohn für eine Stunde, und solchen Arbeitem, die gegen festen Tagelohn angestellt sind, in der Regel ein ganzer Tagelohn zugesprochen worden. *) In jenen Fällen ist aber das Gericht immer davon ausgegangen, daß die Meinung der Vertragschließenden eben dahin ging, daß das Arbeitsverhältnis nicht innerhalb der lleinsten Zeiteinheit, mit welcher gerechnet wurde, solle gelöst werden dürfen. Im vorliegenden Falle dagegen, wo es sich um Wochenlohn handelt, ist es zweifellos gerade die Meinung der Parteien gewesen, daß auch innerhalb der Woche eine Lösung des Arbeitsverhält-

*) Dgl. auch Nr. 469.

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nisses unter entsprechender Dividierung des Wochenlohnes zulässig sein sollte; wenn es nur. mit Wochenschluß hätte gelöst werden sollen, dann würden die Par­ teien dies woyl mit ausdrücklichen Worten erklärt haben. In den Worten „zu jeder Zeit" lag eine solche Erklämng nicht. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 216.)

473. (232.) Ist bei Annahme eines Arbeiters auf Stundenlohn Aus­ schluß der Kündigungsfrist als vereinbart anzusehen? Urteil des GG. Berlin Dom 16. April 1895. Das GG. hat die Frage vemeint.

(Unger, Nr. 65.)

474. Wann läuft die Kündigungsfrist ab, falls eintägige Kündigung vereinbart ist und am Samstag (abends) gekündigt wird? Urteil des GG. Mainz vom 1. Dezember 1904. Den Kl. stand, wie vereinbart, eintägige Kündigung zu. Bell, qat den Kl. am 12. November 1904, einem Samstage, nach Feierabend gekündigt, den Kl. aber so­ gleich ihre Papiere behändigt und sie nicht weiter beschäftigt. Er ging von der Ansicht aus, daß die Kündigung am folgenden Tage, Sonntags, ihr Ende erreicht habe. Die Kl. ver­ traten dagegen den Standpunkt, daß die Kündigung erst mit dem Abend des nächsten Werktags hätte ablaufen können und begehrten, gestützt hierauf, eintägige Lohnentschä­ digung. Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Nach § 188 BGB. endigt eine Frist, die nach Tagen bestimmt ist, mit dem Ablaufe des letzten Tages der Frist, im vorliegenden Falle also, da es sich um eine eintägige Frist handelt, mit dem Ablaufe des aus die Erklämng des Bell, folgenden Tages. Daß, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonn- oder einen Feiertag fällt, an die Stelle dieser Tage der nächstfolgende Wochentag zu treten habe, ist in § 188 BGB. nicht bestimmt. Der GesetzB' r ist hier nicht den Regeln gefolgt, die in § 193 BGB. für die Abgabe einer enserllämng oder in der Zivilprozeßordnung für prozessuale Fristen aus­ gestellt worden sind. Zwar sind die sämtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über Fristen und Termine nur Auslegungsvorschriften, d. h., sie kommen nur dann zur Anwendung, wenn sich ein anderes nicht aus dem Willen der Vertragschließenden ergibt. Die Verhandlungen haben indessen keine An­ haltspunkte dafür ergeben, daß es der Wille der Parteien gewesen ist, daß die Kündigungsfrist an einem Werktage endigen solle; insbesondere läßt sich aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrage eine solche Ab­ sicht nicht erkennen. Die Kl. haben einfach anerkannt, daß die Kündigung für betbe Teile ein Tag sei. Auch ein Ortsgebrauch, auf den die Kl. sich berufen könnten, besteht in Mainz nicht. Dieselben wären aber auch nicht günstiger ge­ stellt gewesen, wenn ihnen der Bell, schon am Freitag gekündigt hätte. Denn auch in diesem Falle wäre ihnen bei der Kürze der Kündigungsfrist und namentlich ohne die Zustimmung des Bell, die Möglichkeit benommen gewesen, sich vor Sonntag um andere Arbeit umzusehen. Der Ablauf der Kündigungsfrist an einem Montagabend hätte dagegen für die Kl. offenbar den Nachteil gehabt, daß sie in diesem Falle wohl weniger leicht für die Woche, in die der Austritt gefallen wäre, zu anderer Arbeit gekommen sein würden, als bei der Möglichkeit des Arbeitsantritts zu Anfang der Woche. Es unterliegt daher keinem rechtlichen Sedenken, als Ablauf der Frist der von dem Bell, ausgesprochenen Kündigung des Dienstverhältnisses der Kl. den Sonntag anzusehen. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 138.)

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475. BetriebseinschrSnkung auf fünftägige Arbeitswoche. Hat der ge­ kündigte Arbeiter Anspruch darauf, daß er noch 12 Arbeitstage be­ schäftigt wird? Urteil des GG. Rathenow vom 14. August 1908. Der Kl. stand bei der Bell, seit März 1904 als Goldarbeiter gegen einen seit etwa 1/r Jahren vereinbarten Wochenlohn von 28 Mk. in Arbeit. Nach der Arbeitsordnung galt für den Betrieb der Bell, eine 14tägige Kündigungsfrist. Infolge geringer Aufträge mußte die BeN. seit Mai 1908 den ursprünglich 6tägigen Arbeitsbetrieb einschränken und eine Stägige Arbeitszeit mit ihren Arbeitern vereinbaren. Die meisten Arbeiter, unter ihnen, der Kl., waren hiermit zufrieden und arbeiteten die Woche nur 5 Tage. Im allgemeinen konnten die Arbeiter sich den Tag auswählen, an dem sie in der Woche aussetzen wollten, es kam auch vor, daß Arbeiter in einer Woche 6 Tage arbeiteten und dafür in der nächsten Woche 2 Tage aussetzten. Auch machte die Bekl. öfters die Arbeiter, wenn diese von selbst nicht an die Vereinbarung dachten, daraus aufmerksam, daß sie einen Tag aussetzen müßten. Am 4. Juli 1908 kündigte die Bekl. dem Kl. mit den Worten: „Sie müssen bei 14 Tagen aufhören!" Der Kl. arb itete daraus, ohne daß zwischen ihm und der Bekl. etwas weiteres über die Kündigung oder die Beschäftigungsdauer während der Kündigsfrist gesprochen wurde, in der ersten Woche der Kündigungsfrist 6 Tage. Nachdem der Kl. in der zweiten Woche 4 Tage gearbeitet hatte, sagte die Bekl. zu ihm, er müsse jetzt aushören. Der Kl. protestierte hiergegen und meinte, seine Kündigungsfrist liefe erst am 18. Juli ab, er müsse auch bis zum 18. Juli beschäftigt werden. Die Bell, ließ aber den Kl. nicht weiter arbeiten. Der Kl. beantragt, die BeN. zu Derart eilen, ihm eine zweitägige Lohnent­ schädigung von 9 Mk. zu zahlen.

Die Klage ist abgewiesen.

Aus den Gründen: Es handelt sich im vorliegenden Falle um Ent­ scheidung der Frage, ob ein Arbeiter während der zweiwöchigen Kündigungsfrist einen Anspruch auf sechstägige Beschäftigung hat, obgleich schon längere Zeit vor der ausgesprochenen Kündigung ein fünftägiger Arbeitsbetrieb bestand. Gesetzlich gibt es einen solchen Anspruch nicht, ein solcher kann sich daher nur auf eine Vereinbarung gründen. Im Betriebe der Bell, wurde, als der Kl. in denselben eintrat, in der Woche 6 Tage gearbeitet, im Mai 1908 wurde jedoch zwischen der Bell, und chren Ange­ stellten ein fünftägiger Arbeitsbetrieb vereinbart. Eine solche Vereinbarung ist durchaus zulässig. Auch der Kl. ist dieser Vereinbarung beigetreten, da er, ohne zu kündigen, mehrere Wochen lang sich der neuen Arbeitsordnung gefügt hat. Durch die ausgesprochene Kündigung an sich ist an dieser Vereinbarung nichts geändert. Auch ist von der Bell, die 14tägige Mndigungsfrist ordnungsmäßig eingehalten worden. Die anscheinend von dem Kl. vertretene Auffassung, daß eine zweiwöchige Kündigungsfrist eine zweiwöchige volle Beschäftigung bedinge, ist nicht richttg. Mndigungsfrist und Beschäftigungsdauer sind zwei ganz verschiedene Dinge. Die Beschäftigungsdauer braucht sich nicht notwendig mit der Mndigungsfrist zu decken, beide regeln sich vielmehr nach den gesetzlichen Bestimmungen bzw. nach den jeweiligen Vereinbarungen. Auf Grund der allge­ meinen Bereinbamng über die Beschäftigungsdauer hat der Kl. aber nur An­ spmch auf eine im ganzen zehntägige Arbeitszeit innerhalb der Mndigungsfrist. Irgendwelche Umstände, die dafür sprechen, daß kraft besonderer Verein­ barung der Kl. innerhalb der Kündigungsfrist 12 Tage arbeiten sollte, sind durch die Verhandlung nicht festgestellt. Die Behauptung des Kl-, daß diese besondere Bereinbamng dadurch zustande gekommen sei, daß er die erste Woche der Mn­ digungsfrist ohne Widerspmch der Bell. 6 Tage lang gearbeitet habe, ist unerheblich. Cs war unbestritten int allgemeinen den Arbeitem überlassen, sich den freien Tag zu wählen, es ist selbst vorgewmmen, daß Arbeiter eine Woche lang 6 Tage gearbeitet

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und in der nächsten Woche 2 Tage ausgesetzt haben, es kann daher aus dem Um­ stande, daß auch der Kl. zunächst 6 Tage gearbeitet hat, ohne daß die Bell, etwas dazu gesagt hat, nicht gefolgert werden, daß die Bell, damit einverstanden ge­ wesen sei, daß der Kl. auch die zweite Woche 6 Tage arbeiten sollte. Die Bell, hat ja auch in der zweiten Woche dem Kl. nach dem vierten Arbeitstage gesagt,

er müsse nun aufhören. Es wäre Sache des Kl. gewesen, die Bell, bei der Kün­ digung von seiner Rechtsauffassung Kenntnis zu geben und eventuell ein be­ sonderes Abkommen mit dieser zu treffen. Mangels einer besonderen Vereinbarung güt aber, wie schon betont, hinsichtlich der Beschäftigung innerhalb der Kündigungsfrist die zurzeit bestehende Arbeitsordnung. Der Kl. würde andernfalls eine durch nichts zu rechtfertigende Vergünstigung gegenüber seinen Arbeitskollegen haben. (Vgl. dazu das Urtell des GG. Solingen im Gewerbegericht Jg. 9 Nr. 1 S. 7.) (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 175.)

476. (233.) Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und feinen Arbettern über die Beschränkung der Arbeitszeit zum Zweck der Bermeidung von Arbeiterentlassungen. Können trotzdem Arbeiter entlassen werden? Urteil des GG. Frankfurt a.M. vom 22.Juli 1886. Das GG. hat dem entlassenen Arbeiter einen Schadenanspruch zugebilligt. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 6.)

477. (234.) Hat der Arbeiter, dem der Arbeitgeber beim Engagement erklärt hat, eS werde mit der Arbeit nicht lange dauern, Anspruch auf 14tägige Kündigung? Urtell des GG. Berlin vom 20. November 1893.

Der bell. Arbeitgeber ist zur Lohnzahlung für zwei Wochen vemrteüt. (Unger, Nr. 66.)

478. (235.) Kann aus Redewendungen allgemeiner Art, wie: „Bei mir haben Sie Arbeit für den ganzen Winter", ein Schluß aus die verein­ barte Dauer deS Arbeitsverhältnisses gezogen werden? Urtell des GG. Berlin, Kammer 1, vom 8. Januar 1900. Die Klage auf Lohnentschädigung über die 14tägige Frist hinaus ist abge­ wiesen. (Soziale Praxis.)

479. (236.) Inwieweit ist eine Abrede bindend, in der sich beide Teile versprechen, daß das Arbeitsverhältnis dauernd sein solle? Urtell des GG. Stuttgart.

Der Bell, ist verurteilt, den Kl. bis zum 30. November zu beschäftigen. (Gewerbegericht Jg. 2. Sp. 43.)

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480. Maßregelungsverbot im Tarifvertrag. Darf der Arbeitgeber trotz­ dem einen Arbeiter mit gesetzlicher Kündigung entlassen?') Urteil des GG. Mainz vom 10. Dezember 1906. In einer am 5. September 1906 vor dem GG. Mainz mit ihren streikenden Arbeitem abgeschlossenen Vereinbamng hatte sich die Bell, verpflichtet, Maßregelungen bis zum 1. März 1907 nicht vorzunehmen. Trotzdem entließ die Beklagte bereits am 17. November 1906 nach ordnungsmäßiger Kündigung einen der beim Ausstand beteiligt gewesenen Arbeiter. Dieser klagte aus Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum l.März 1907 und behauptete, die geschehene Kündigung und seine demnächst erfolgte Entlassung sei als eine Maßregelung zu betrachten, weil der Bell, hierzu kein rechtmäßiger Gmnd zur Seite gestanden habe. Die Bell, bestritt, daß eine Maßregelung vorliege, sie behauptete, sie sei infolge Betriebseinschränkung und deshalb zur Entlassung des Kl. genötigt gewesen, weil sie andernfalls nicht ihre Stackarbeiter hätte ausreichend beschäftigen können.

Die Klage wurde abgewiesen. Aus den Gründen: Nachdem ein bei der Bell, im Frühjahr 1906 ausgebrochener Streik durch Tarifvertrag vom 15. März 1906 beendigt war, kam eS infolge verschiedener, von der Beil, getroffenen Maßnahmen, die von den Arbeitem als vertragswidrig beanstandet wurden, unterm 5. Juli 1906 erneut zu einem Arbeiterausstande. In oen nach Verlauf mehrerer Wochen von den Arbeitem gestellten Fordemngen war u. a. auch die enthalten, daß Maßregelungen innerhalb sechs Wochen nicht vorkommen dürften. Die letztere Fordemng war es, an der zunächst die unternommenen Einigungsversuche scheiterten. Während die Arbeiter auf chr bestanden, weil sie weitere eigenmächttge und die Sicherheit ihrer Existenz gefährdende Maßnahmen der Bell, befürchteten und sie sich wenigstens für eine gewisse Zeit gegen eine Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sicherstellen wollten, versicherte die Bell., daß sie zwar Maßregelungen nicht eintreten lassen werde, sich aber das Recht Vorbehalte, Arbeiter bei oem Vorliegen von gesetzlichen Gründen zu entlassen. In einer späteren Verhandlung wurde von den Arbeitem als Gmndbedingung der Einigung die Annahme der Fordemng aufgestellt, daß die zu vereinbarenden Arbeitsbedingungen für eine bestimmte Zeit, etwa bis 1. März 1907, gültig und unabänderlich sein müßten. Auf diese Fordemng ging die Bell, nicht ein, und erst am 5. September 1906 wurde eine Vereinbamng erzielt und u. a. bestimmt: „Maßregelungen dürfen bis l.März 1907 nicht erfolgen." Aus dieser Darstellung ergibt sich zunächst, daß die Bell, weder auf das Recht der Entlastung von Arbeitem beim Vorliegen der in § 123 GO. aufgezählten Gründe, noch auf das Recht der Lösung der Arbeitsverträge auf dem Wege ordnungsmäßiger Kündigung hat verzichten wollen. Lediglich die Unterlassung von Maßregelungen wurde von ihr zugesagt, womit zweifellos zum Ausdmcke kommen sollte, daß sie an den festgelegten Arbeitsbedingungen bis zu dem genannten Termine nichts ändem oder zu ändem versuchen wolle. Denn gerade dämm, daß sie durch anderweite, ihnen ungünstigere Arbeitstellung oder durch sonstige Maßnahmen nicht in ihrem Einkommen geschmälert würden, war es den Arbeitem zu tun. Sie befürchteten nach den von ihnen gemachten Ersah, mngen einseitige Andemngen des Übereinkommens und wollten sich hiergegen für eine gewisse Zeit sicherstellen, nachdem es nach langem Ausstande und nach vieler Mühe zu einer Beilegung des Streiks kommen zu wollen schien. Ob das Wort „Maßregelung" das Richtige traf und die Absicht der Vertragschließenden nicht bester durch einen anderen Ausdmck zu dokumentieren gewesen wäre, kann aus der Erörterung ausscheiden. Zweifellos hatten die Arbeiter, wenn sie bei dem Vertragsabschlüsse Wert auf die Unterlassung von „Maßregelungen" legten, auch noch ein Weiteres int Auge. Es ist gerichtsbekannt, daß die Arbeiter nach ') Vgl. auch Nr. 534.

GO. § 122.

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Beilegung von Ausständen sich dagegen sicherzustellen suchen, daß einzelne von chnen aus Anlaß der Lohnstreitigkeiten, insbesondere aus der Tatsache ihrer Teil­ nahme an den Ausständen oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Organisation oder der Entwicklung besonderer Tätigkeit im Interesse der streikenden Arbeiter nicht über kurz oder lang aus dem Betriebe entfernt werden. Diese Sicherstellung wird meist dadurch zu erreichen gesucht, daß in die Tarifverträge die Bestim­ mung ausgenommen wird, daß Maßregelungen zu unterbleiben haben. Als Maßregelung wird mithin im allgemeinen (vgl. auch den Spruch des GG. Berlin über den rechllichen Begriff der Maßregelung, abgedmckt in der Sozialen Praxis vom 18. Oktober 1906, Sp. 71) eine Handlung des Arbeitgebers angesehen, die daraus abzielt, einen Arbeiter, der sich aus politischen Gründen mißliebig gemacht oder die Interessen der Arbeiterschaft oder seine eigenen in einer den Interessen und Anschauungen des Arbeitgebers zuwiderlaufenden Weise zu vertreten gesucht hat, zu beseitigen und für seinen Betrieb sozusagen unschädlich zu machen. Daß keines dieser Momente bei dem Kl. vorgelegen hat, ist aus den Verhandlungen Var hervorgegangen. Kl. hat sich an dem Streik wohl beteiligt, irgendeine Rolle dabei aber nicht gespielt, sich vielmehr völlig passiv verhalten. Die Bell, hatte somit gar keinen Gmnd, ihn, der leoiglich getan, was die anderen auch taten, und der nach dem Ausbruche des Streiks gar nicht hätte beschäftigt werden können, zu „maßregeln". Es lag daher auch kein Anlaß vor, ihrer Behauptung, daß sie sich nur aus Betriebsrücksichten zur Lösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kl. hätte entschließen müssen, irgendwie in Zweifel zu ziehen, zumäl da sie glaubhaft, und ohne daß Kl. widersprochen hätte, angab, daß sie einen Ersatzmann an Stelle des Kl. nicht angenommen, vielmehr dessen Arbeiten unter andere Arbeiter ver­ teilt habe. Der hierfür angegebene Gmnd, ihren Stückarbeitem für genügende Arbeit sorgen zu wollen, erscheint im Hinblick auf § 124 Zisf. 4 GO. durchaus plausibel. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 153.)

481. Berbot von Maßregelungen wegen der Maifeier. Können Arbeiter, die trotzdem ausgesperrt find, Schadenersatz verlangen, wenn sie unter Kündigungsausschluß arbeiten? Urteil des GG. Halber st adt vom 29. Mai 1903. Im Jahre 1903 sind in Halberstadt die Arbeitgeber und Arbeitnehmer für das Maurer- und Zimmerergewerbe wegen Aufstellung neuer Lohn- und Arbeitsbedingungen in Unterhandlungen eingetreten. Bei den Verhandlungen wurde auch die Feier des 1. Mai erwähnt und hierbei von den Arbeitnehmern die Fordemng gestellt, daß in die festzu­ setzenden Arbeitsbedinungen eine Bestimmung des Inhalts ausgenommen werde, daß wegen Feier des 1. Mai keinerlei Maßregelungen stattsinden sollten. Auf besonderen Wunsch der Arbeitgeber ist jedoch von der Aufnahme dieser Bestimmung wieder Abstand genommen, dagegen die mündliche Vereinbarung getroffen, daß wegen der Feier des 1. Mai niemand gemaßregelt werden sollte. Am 29. April 1903 ließen die Arbeiter den Arbeitgebern die schriftliche Erklärung zugehen, daß am 1. Mai nicht gearbeitet würde, und hierauf beschloß der Verband der Arbeitgeber, diejenigen, die am 1. Mai feiern würden, erst am 7. Mai wieder einzustellen. Kl., welche mit Kündigungsausschluß ange­ stellt waren, sind von dem Bell., als sie am 2. Mai sich zur Wiederaufnahme der Arbeit meldeten, mit Rücksicht auf diesen Beschluß abgewiesen worden. Ihre Papiere haben sie erst am 11. Mai erhalten. Sie klagen auf Lohnentschädigung für 7 Tage. Die Klage ist abgewiesen.

AusdenGründen: Es mag an sich eine Vereinbarung dahin getroffen werden können, daß die Arbeitgeber eine Feier des 1. Mai durch ihre Arbeiter zulassen, ohne darin ein unbefugtes Verlassen der Arbeit oder eine Berweigemng

der im Arbeitsvertrage übernommenen Verpflichtungen nachzukommen, er-

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GO. § 122.

blicken zu wollen; es hat dies eben dann die Bedeutung, daß die Arbeitgeber in einem solchenFalle von ihrem Recht der sofortigen Entlassung nach § 123 Ziff. 3 GO. keinen Gebrauch machen wollen. Ein solches Abkommen hat aber nur für solche Arbeitsverhältnisse praktische Folgen, die zu ihrer Auflösung einer Kündigungsfrist bedürfen; es ist dagegen ohne Bedeutung, wenn die Kündigung überhaupt ausgeschlossen ist. — Nach Ziff. 9 der für die Parteien geltenden Arbeitsbedin­ gungen steht es aber Meister und Gesellen frei, das Arbeitsverhältnis ohne Kün­ digung aufzuheben. Durch diese Bestimmung ist mithin der Bell, in den Stand gesetzt, einen Arbeiter jederzeit, sei es mit oder ohne Gmnd, ohne vorherige Kün­ digung zu entlassen. Da er nun aber einen Gmnd für die sofortige Entlassung angegeben hat, und zwar den, daß die Kl. am 1. Mai der Arbeit ferngeblieben sind, meinen die Kl., daß er die mündliche Vereinbamng, welche Maßregelungen ausschließen sollte, verletzt habe. Hiemach hätte er, wenn die Entlassung der Kl. nicht als Maßregelung aufgefaßt werden sollte, mindestens noch einige Tage nach dem 1. Mai verstreichen lassen müssen, bis er die Kl. entließ. Damit wäre aber die Vereinbamng des Kündigungsausschlusses, wie sie in den schriftliche n Arbeitsbedingungen festgelegt ist, für den Bell., d. h. einseitig, auf einen gewissen Zeitraum aufgehoben gewesen. Dies ist einmal gesetzlich unzulässig, da nach § 122 GO. die Kündigungsfrist und das Kündigungsrecht für beide Teile gleich sein muß, und andererseits ergibt sich daraus, daß die mündliche Vereinbamng m Widerspruch steht mit den schriftlichen Bereinbamngen. Die letzteren können aber durch mündliche Nebenabreden nicht geändert werden. Die Kl. können sich daher auf die mündliche Vereinbamng nicht berufen. Zur Begründung des Entschädigunasanspmches ist weiter angeführt, es sei nicht eine Entlassung, sondem eine Auswermng erfolgt, und zu der letzteren sei von feiten der Arbeitnehmer keinerlei Veranlassung gegeben. Wenn hiemach die Kl. die Bekanntmachung der Arbeitgeber als nicht gerechtfertigt ansehen, so können sie aus derselben auch keine Rechte für sich herleiten und sie konnten nicht Anspmch darauf erheben, wieder eingestellt zu werden. Im übrigen ist rechtlich unerheblich, ob und inwieweit der Bell, nach dem Beschluß des Arbeitgeberverbandes gehandelt hat; ihm stand die Befugnis der sofortigen Entlassung der Kl. zu, und die sofortige Entlassung der Kl. ist darin zu finden, daß die Kl. am 2. Mai nicht wieder in die Arbeit ein­ gestellt wurden. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 88.)

482. Ist eine ungleiche Kündigungsfrist auch nichtig, wenn die Ungleich­ heit zugunsten des Angestellten normiert ist? Urteil des Kgl. Landgerichts I zu Berlin vom 20.Juli 1908. Der Kl. verlangte bei den Bertragsverhandlungen dreimonatliche Kündigung zum Schluß des Kalenderjahres, worauf die Parteien die in den beiden Schreiben der Bell, an den Kl. vom 13. und 18. November 1906 niedergelegten Vereinbarungen trafen. Hervorzuheben ist aus dem ersten Schreiben:

„Sie Kündigung hat meinerseits (d. h. die Bell.) sechs Monate vor Ihrem (des Kl.) Austritt zu erfolgen, dagegen können Sie drei Monate nach voraufgegangener Kündigung austreten."

sowie aus dem zweiten Schreiben: „Nach soeben erfolgter Verständigung findet Ihr Schreiben vom 13. ds. Erle­ digung, indem Ihr Eintritt zwar am 1. Oktober 1906 erfolgt, der Vertrag jedoch stets aus ein Jahr, und zwar mit dem Kalenderjahr, gleich geschlossen wird. Die Kündigung meinerseits hätte stets am 1. Juli, Ihrerseits wird dagegen am 1. Oktober gekündigt." Bell, hat am 31. Dezember 1907 zum 1. April 1908 gekündigt. Kl. hält die Kün­ digung für ungerechtfertigt, indem er sich auf den Vertrag beruft. Er macht zunächst nur seine Ansprüche für die Zeit bis zum 1. Juli 1908 geltend und behält sich weitere An.

GO. § 122.

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sprüche für die Zeit vom 1. Juli 1908 bis 31. Dezember 1908 ausdrücklich vor. Die Bell, macht geltend: Die vereinbarte Kündigungsfrist zum Ende des Jahres sei ungültig, weil nicht eine für beide Teile gleiche Kündigungsfrist vereinbart worden sei.

Die Klage ist abgewiesen.

A u s den G r ü n d e n : Die Klage war abzuweisen auf Gmnd der Bestim­ mung des § 133 a GO. Dieser bestimmt, daß, wenn durch Vertrag eine kürzere oder längere Frist zur Kündigung als die gesetzliche bedungen ist, sie für beide Teile gleich sein muß, und daß eine Bereinbamng, die dieser Borschrist zuwiderläuft, nichtig ist. Das Gericht hat sich in Auslegung dieser Paragraphen nicht der Ansicht von Staub in seinem Kommentar zu § 67 HBG., auf die der Kl. sich stützt, anschließen können, daß die Nichtigkeit bei Ungleichheit der Kündigungsfristen nur dann eintrete, wenn sie für den Handlungsgehilfen ungünstig ist. Es steht auf dem Standpunkte, daß aus dem Laren Wortlaut des Gesetzes eine einschränkende Interpretation der Vorschrift unzulässig ist, da aus dem Wort­ laut selbst nicht zu ersehen ist, wamm die Bestimmung über die Ungleichheit nur im Interesse des Gewerbegehilfen gegeben sein sollte. Auch Landmann in seinem Kommentar zur GO. nimmt an, daß die Ungleichheit zugunsten des Arbeiters nicht mit dem WorÜaut des § 133 Abs. a GO. sich verträgt. In den Verhand­ lungen des Reichstages von 1898/1900 S. 3033/36 ist es ebenfalls als unzu­ lässig bezeichnet worden, für den Arbeitgeber eine längere Frist zu vereinbaren als für den Arbeiter. Auf demselben Standpunkte steht auch Goldmann in seinem Kommentar zum HGB. Es ist unbestritten, daß die Kündigungsfrist für beide Teile ungleich gewesen ist. Diese Bereinbamng ist mithin nichtig. Der Vertrag war für die Zeit bis znm 31. Dezember 1907 geschlossen worden. Der Vertrag ist von beiden Teilen fortgesetzt worden. Er gilt somit auf Gmnd von § 625 BGB. als auf unbestimmte Zeit verlängert. Es tritt nunmehr beim Ausscheiden der vertragsmäßigen Kündigungsfrist die gesetzliche Frist von 6 Wochen für den Schluß eines Kalendervierteljahres ein. Es mußte demnach zum 1. April 1908 spätestens am 18. Febmar 1908 gekündigt sein. Eine frühere Kündigung ist zulässig. Mithin ist der Kl. von der Bell, fristgemäß gekündigt worden. (Gewerbe- u. Kaufmanns­ gericht Jg. 14 Sp. 15.)

483. Ist bei verabredeter Kündigungsfrist die Bereinbarvng zulässig, daß der Arbeitgeber sofort kündigen kann, wenn er „die Arbeiten nicht im bisherigen Umfange sortführen" kann? Welche Wirksamkeit hat die Ungültigkeit der Kündigungsabrede auf den Arbeitsvertrag? Urteil des GG. Oldenburg vom 7.Juni 1906. Die Bell., welche bei dem Kl., teils als Maurer, teils als Bauarbeiter, beschäftigt waren, haben infolge eines Streiks die Arbeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist niedergelegt. Der Kl. hat mit den Bell, zu 10—19 (Gruppe II) Arbeitsverträge nach vorgedrucktem Formular abgeschlossen, wonach beide Teile berechtigt find, nur am Sonn­ abendabend jeder Woche das Arbeitsverhältnis ohne vorherige Kündigung zu lösen. Tie Bell, haben ausgeführt: In den Arbeitsverträgen fei unter Zifs. 3 bestimmt, daß der Meister den Gehilfen zu jeder Zeit ohne vorherige Kündigung entlassen und ablohnen könne, a) wenn der Gehilfe sich gegen die Unfallverhütungsvolschriften vergehe; b) bei Trägheit, Trunkenheit, ungebührlichem Betragen oder Unfolgsamkeit desselben gegen die Anordnungen des Meisters, seines Vertreters oder der Bauleitung; c) bei Unfähigkeit desselben zur ordnungsmäßigen Ausfühmng der Arbeiten seines Faches; d) wenn er sich selbst oder andere Personen oder das Bauobjekt in Gefahr bringt; e) bei Fernbleiben von der Arbeit ohne Erlaubnis des Meisters oder ohne triftige Entschuldigung; f) wenn

’) Vgl. auch Nr. 646 dagegen, Reichsgericht Bd. 67. I. 317 (unter Nr. 742) betr. §67 HBG. Saum, enocrbegerlcite.

23

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GO. § 122.

der Meister durch äußere Veranlassung in die Lage komme, seine Arbeiten in dem bisherigen Umfange nicht sortführen zu können. In diesen Vertragsbestimmungen, namentlich in den Bestimmungen unter e und f, liege ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 122 der GO., wonach die Mndigungsfrist für beide Teile gleich sein müsse, denn der Arbeitgeber sei in den durch diese Bestimmungen getroffenen Fällen zur sofortigen Entlassung der Ar­ beiter berechtigt, während ein entsprechendes Recht der Arbeiter dieser Befugnis des Arbeitgebers nicht gegenüberstehe.

Die Bell, sind verurteilt. Aus den Gründen: Die vereinbarten Entlassungsgründe verstoßen gegen den Gmndsatz des § 122 der GO., wonach die Kündigungsfrist für beide Teile gleich sein soll, denn der Meister würde sich, wenn er die vereinbarte Kün­ digungsfrist einhalten wollte, nach Ziff. 3 litt, f der Verträge nur darauf zu be­ rufen brauchen, daß er aus irgendwelchen Umständen seine Arbeiten nicht in dem bisherigen Umfange fortführen könne. Die Einhaltung würde damit ganz dem Ermessen des Arbeitgebers anheimgestellt sein. Die mit den Bell, zu II abge­ schlossenen Bereinbamngen über die Kündigung sind also gesetzwidrig und deshalb für die Parteien nicht bindend. Nichtig ist aber nicht der ganze Arbeitsvertrag, sondern lediglich die dem Gesetze zuwiderlaufende Vereinbarung (vgl. v. Landmann, Kommentar zur GO., IV. Aust. Note 3 Aos. 3 zu § 122 und die dort Zitierten). Die Gesetzwidrigkeit der Vertragsbestimmung über die Kündigung hat also nicht die Mrkung, daß der von dem Kl. mit dem Bell, zu II geschlossene Arbeitsvertrag als Ganzes wirkungslos wird, sondern nur die Bereinbamngen über die Kün­ digung sind als nicht vorhanden anzusehen, und infolgedessen tritt an ihrer Stelle die gesetzliche 14tägige Mndigungsfrist gemäß § 122 der GO. in Wirksamkeit. Die Rechtslage ist also bei den Bell, zu II in bezug auf den Entschädigungsanspruch des Kl. dieselbe wie bei den Bell, zu I. Da der Kl. jedoch gegen die Bell, zu II nur einen Entschädigungsanspmch von je 8,10 Ml. erhoben hat, so war auch die Ver­ urteilung der Bell, zu II auf diesen Betrag zu beschränken. (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 12 Sp. 83.)

484. Verstößt eine Bestimmung des Tarifvertrages, wonach nur der letzteingestellte Arbeiter entlassen werden darf, gegen die Bestimmung über die Gleichheit der Kündigungsfristen? Urteil des GG. Kulmbach vom 23. Dezember 1907. In dem Tarifvertrag zwischen der Brauereivereinigung K. und dem K.er Zweigverein des Zentralverbandes der Brauereiarbeiter ist bestimmt: „Bei Arbciterausstellungen sind die Arbeiter der Reihe nach, bei den letzteingestelllen angesangen, auszustellen,"ferner: „Eine Kündigungsfrist ist gegenseitig ausgeschlossen". Kl., welcher nicht der dienstjüngste Arbeiter im Betriebe des Bell, war, wurde wegen Arbeitsmangels entlassen. Er hält diese Entlassung für ungerechtfertigt und fingt auf Wiedereinstellung.

Die Klage wurde abgewiesen. Aus den Gründen: Für die Handhabung des Tarifvertrages in der Praxis ergibt sich, daß zwar dem Arbeitnehmer das Recht zum jederzeitigen Aus­ tritt zukommt, daß hingegen der Arbeitgeber nur dann einen Arbeiter entlassen kann, wenn dieser der Letzteingestellte ist. Für den Arbeitgeber sind also tätsächlich andere Aufkündigungsfristen als für den Arbeitnehmer tarifmäßig vereinbart. Derartige Ungleichheiten in den Aufkündigungsfristen sind jedoch nach § 122 GO. unzulässig und nichtig. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 165.)

GO. § 122, 123.

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485. (237.) Gleichheit der Kündigungsfrist, »eiche Folge tritt ein, wenn ungleiche Friste» bedungen find?

a) Urteil des GG. Berlin vom 20. August 1896. Der Bell, ist zur Lohnzahlung für die gesetzliche Kündigungsfrist verurteilt. (Gewerbegericht Jg. 2, Sp. 15.)

b) Urteil des GG. Berlin vom 15. September 1896. Das GG. hält die längere der beiden Fristen für wirksam. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 99.)

486. (238.) Ist die Vereinbarung gültig, daß bei Kündigungsausfchluß der ANordarbetter zur Fertigstellung der Arbeit zwar verpflichtet, aber nicht berechtigt fein so«? Urteil des Landgerichts!, Zivilkammer8, Berlin, vom29.Januar 1901.

Die Abrede ist für ungültig erllärt. (Soziale Praxis.)*)

487. (239.) Ist ein Arbeitsvertrag gültig, der zwar auf eine bestimmte Jett gefchloffen, in dem aber der Arbeitgeber sich allein eine 14tägige Kündigungsfrist Vorbehalten hat? Urteil des GG. Königsberg i. Pr.

Die Abrede ist für gültig erachtet.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 31.)

488. (240.) Ist eine Abrede gültig, wonach die Kündigungsfrist auSgeschloffen, der Arbeiter aber zu einer „vorherigen Mitteilung" verpflichtet wird? Urteil des GG. Duisburg.

Die Abrede ist für unwirksam erachtet.

(Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 127.)

489. (241.) Ist eine Zusage gültig, daß der Arbeiter nach beendeter Lehr­ zeit noch eine bestimmte Zett beim Lehrmeister bleibe? Urteil des GG. Stuttgart.

Die Abrede ist für unwirksam erachtet.

(Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 29.)

490. (242.) Kann ein Gewerbegehilfe auch aus anderen als den im § 123 der GO. angegebenen Gründen vorzeitig entlassen werden? Urteil des Kgl. Landgerichts I, 5.Zivilkammer, zu Berlin, vom 23. Juni 1893.

Die Frage ist vemeint.

(Blätter für Rechtspflege Jg. 1893 S. 96.)

*) Vgl. Nr. 140. Ebenso GG. Charlottenburg v. 15. August 1907 (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 36).

356

GO. § 123.

491. Ist grobe Fahrlässigkeit Entlassungsgrund? Urteil des GG. Berlin, Kammer 1, vom 12. Februar 1906. Der Kl. war gegen 35 Mk. Wochenlohn als Zuschneider unter vereinbarter vierzehntägiger Kündigung beschäftigt und wurde, als er aus Umwandlung der Kündigung in eine tägliche nicht eingehen wollte, ohne Kündigung entlassen. Als besonderer Entlassungsgmnd wurde der durch die Beweisaufnahme bestätigte Umstand geltend gemacht, daß der Kl. eine Reihe von Sachen falsch zugeschnitten hatte, trotzdem er zuvor daraus hin­ gewiesen war, daß bei abermaligem Verschneiden er keine Stunde länger bleiben dürfe. Die Entlassung ist als ungerechtfertigt erachtet. Aus den Gründen: Der Zuschneider ist in der Regel, wie auch im Sebenen Fall, keine Person des § 133a GO. Es sind daher für ihn die Entungsgründe des § 123 des Gesetzes maßgebend. Keiner dieser Entlassungs­ gründe liegt aber in diesem Rechtsstreit vor, insbesondere weder eine beharrliche Verweigerung der Diensterfüllung, noch eine Sachbeschädigung im Sinne der Ziff. 6, noch eine Unfähigkeit des Kl. nach Ziff. 8 des Paragraphen. Während Ziff. 8 eine körperliche oder geistige Unfähigkeit im Sinne einer Gesundheitsstömng im Auge hat, erfordern Ziff. 3 und 6 eine rechtswidrige Absicht (der Dienstversäumnis bzw. der Sachbeschädigung); und diese Absicht wird von der Bell, nicht behauptet. Die Ausführung der Bell., Ziff. 6 stelle zwei Arten von Sachbeschädigungen, die vorsätzliche und die rechtswidrige, als Entlassungsgründe auf, ist ohne weiteres hinfällig (eine vorsätzliche rechtmäßige Sachbeschädigung z. B. kann einen Entlassungsgrund nicht bieten usw.). Eine grobe Fahrlässigkeit ist kein gesetzlicher Entlassungsgrund. Zu einem vertragsmäßigen ist sie aber im vorliegenden Fall nicht etwa durch die — lediglich stlll hingenommene — Verwarnung vor einer Wiederholung bei Vermeidung der Entlassung geworden; eine derartige einseitige Erllärung ist rechtlich unverbindlich. (ReickMrbeitsblatt Jg. 5 S. 899.)

492. (243.) Kann ein gewöhnlicher, zur Aushilfe angenommener Arbeiter, nachdem er schon längere Zeit beschäftigt worden, noch wegen Unfähig­ keit plötzlich entlassen werden? Urteil des GG. Berlin vom 18. Dezember 1896.

Die Frage ist vemeint.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 20.)

493. (244.) Kann ein Arbeiter sofort entlaffen werden, wem» er feine Mitarbeiter „tribuliert?" Urteil des GG. Kiel vom 28. August 1901.

Die Entlassung ist als ungerechtfertigt angesehen. SP. 93.)

(Gewerbegericht Jg. 7

494. (245.) Kann der Arbeiter wegen Mißhandlung eines Arbeitsgenoffen sofort entlaffen werden? Urtell des GG. Pirmasens vom 25. Juni 1901.

Die Entlassung ist als ungerechtfertigt angesehen.

357

GO. § 123.

495. (246.) Ist eine Entlassung gerechtfertigt, weil der Arbeiter dem revidierenden Polizei-eamten unrichtige Angaben über den Betrieb gemacht hat?

Urteil des GG. Stuttgart.

Die Entlassung ist als ungerechtfertigt angesehen. Sp. 108.)

(Gewerbegericht Jg. 2

49b. Muß bei der Entlassung der Grund angegeben werden?

a) Urteil des Kgl. Amtsgerichts zu Marklissa vom 28. Mai 1903. Das Gericht hat die Frage bejaht. Aus denGründen: Treu und Glauben erfordern, daß der Kündigende im Falle der Kündigung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist den Kündigunasgmnd dem andem Teil benennt, damit dieser ermessen kann, ob dieser die Kündigung annimmt und danach seine Maßnahmen trifft oder sein Recht im Prozesse verfolgt. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 118.)

d) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 23.Dezember 1905. Das GG. hat die Frage vemeint. AusdenGründen: Die Ansicht des Kl., daß nur solche Gründe die Entlassung rechtfertigen könnten, welche bei der Entlassung ausdrücklich genannt werden, findet im Gesetz keinen Halt. Es wird für den Arbeitgeber wohl zweck­ mäßig sein, dem Entlassenen auch den Gmnd der Entlassung mitzuteilen, eine gesetzliche Pflicht hierzu besteht aber nicht. Ebensowenig ist es bestimmt, daß die Entlassung nur auf solche Gründe gestützt werden könne, die dem Arbeitgeber bei der Entlassung auch bekannt waren. Vielmehr stellt das Gesetz als einzige Voraussetzung aus, daß der Gmnd tatsächlich bestand und dem Arbeitgeber (von Nr. 8 des § 123 abgesehen) nicht länger als eine Woche bekannt war. Mrd also hinterher im Prozeßwege die Rechtmäßigkeit der Entlassung bestritten, so kann sich der Arbeitgeber sehr wohl auch auf einen Umstand bemfen, der ihm erst nach der Entlassung bekannt geworden ist; ja, in gewissen Fällen werden selbst Tat­ sachen, die nach der Entlastung überhaupt erst eingetteten sind, zur Rechtferttgung der Entlassung (wenigstens vom Zeitpunkt ihres (Eintritts ab) dienen können. Unerheblich ist endlich auch, ob der vorgebrachte Gmnd emstlich für den Bell, bestimmend gewesen ist, oder ob er (wie Kl. meint) nur vorgeschützt war. Es genügt nach oem Gesetz, daß der angegebene Gmnd tatsächlich besteht. (Reichsarbeitsbl. Jg. 5 S. 476.)

497. (247.) Muß der Arbeitgeber beweisen, daß ihm der Entlassungs­ grund nicht früher als eineWoche vor der Entlassung bekannt geworden ist? Urteil des Reichsgerichts, 6. Zivilsenat, vom 16. Januar 1893.

Die Frage ist vemeint. (Jur. Wochenschr. Jg. 1893 S. 142 Abs. 29.)

498. Kann der Arbeitgeber auf verziehene Entlaffungsgründe zurück­ kommen, wenn der gekündigte Gehilfe auf Zahlung des fülligen Wochen­ lohnes klagt? Urteil des GG. Weimar vom 31. August 1908.

Das Gericht hat die Frage vemeint.

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GO. § 123*.

AusdenGründen: Kl., Barbier- und Friseurgehilfe, verlangt wegen grundloser Entlassung am 24. d. Mts., während die Kündigungsfrist noch bis zum 30. d. Mts. lief, Entschädigung für den ihm dadurch entgangenen Wochenverdienst, nämlich: 7 Mr. Arbeitslohn und Wohnung und Kost, die er bei dem Bell, außer dem Arbeitslohn hatte uno die er für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auf 13,90 Mk. berechnet. Bell, widerspricht der Forderung; er habe den Kl. wegen beharrlicher Verweigemng der Dienstpflicht entlassen. Es ist allerdings als feststehend anzunehmen, daß Kl. dem Bell, zur Unzufriedenheit Veranlassung gegeben und daß Bell, ihm am Sonntag, dem 23. d. Mts., nach abermaligen Be­ schwerden aus seinem Kundenkreise erllärt hat, er dürfe, solange er noch bei ihm bleibe, keinen Kunden mehr bedienen. Kl. hat auch dieses Verbot in den 24 Stun­ den, die er noch dort wellte, befolgt, hat aber am Montag, dem 24. d. Mts., als ihm Bell, den fälligen und von ihm verlangten Wochenlohn am Sonntag und Montag nicht alsbald auszahlte, Klage auf Lohnzahlung gegen den Bell, erhoben. Nach Kenntnis hiervon hat Bell, den Kl. entlassen und des Hauses verwiesen. Dies war rechtswidrig. Nach der Auseinandersetzung am Sonntag, dem 23., war der noch bestehende Dienstvertrag zwischen den Parteien dahin näher bestimmt worden, daß Kl. zwar noch die letzte Woche vor Ablauf der Kündigungsfrist im Geschäft verbleiben dürfte, aber keinen Kunden mehr bedienen sollte. Damit hatte Bell, auf die Geltendmachung seiner bisherigen (etwaigen) Entlassungsgründe verzichtet; er hatte sie gewissermaßen verziehen. Eine Entlassung konnte nunmehr nur beim Hervortteten neuer Entlassungsgründe eintteten, insbesondere z. B. wenn Kl. das Verbot, Kunden zu bedienen, nicht eingehalten hätte. Daß Kl. einen solchen neuen Grund gegeben, insbesondere, daß er das Gebot übertreten habe, wird nicht behauptet. Die brüske, vielleicht sogar als unbescheiden zu bezeichnende Klageerhebung des durchaus nicht einwandfreien Gehllfen mochte dem Arbeit­ geber, in dessen Dienst er noch stand und dessen Wohnung und Verpflegung er noch genoß, berechttgterweise Ärgernis bereiten, ist aber, wie schon oben bemertt, kein Entlassungsgrund im Sinne § 123 GO. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 149.)

499. (248.) Wann beginnt die Frist für die Geltendmachung der Entlasfungsgründe des § 123 GO.? Urteil des GG. Frankfurt a.M. vom 2.Juni 1898. Das GG. läßt die Frist erst nach Ablauf der zur Prüfung des Sachverhalts erforderlichen Zeit beginnen. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 23.)

500. (249.) Gilt ein Zeugnis, das der frühere Dienstherr wissentlich unrichtig ausgestellt hat, als falsch oder verfälscht? Urteil des GG. Karlsruhe vom 30.Juli 1902. Das GG. erachtet die Entlassung für berechtigt.

501. Sind Arbeitsproben als „Zeugnisse" anzusehen? Urteü des GG. K o n st a n z vom 1. Okt. 1903. Der Kl. stand seit einigen Wochen beim Bell, als Schweizerdegen in Arbeit. Die Stelle hatte Bell. s. Zt. ausgeschrieben gehabt und damuf u. a. die schriftliche Bewerbung des Kl. erhalten. Dieser Bewerbung waren neben Zeugnisabschriften Druckmuster bei­ gelegt, und zwar insbesondere ein solches in mehrfarbigem Prägedruck, hergestellt in der Druckerei H. in Schw.-H. Bell, behauptet nun, daß er hauptsächlich durch diese Muster

GO. § 123'.

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veranlaßt worden sei, aus der Zahl der Bewerber dem Kl. den Vorzug zu geben und ihn einzustellen. Er habe nun aber bald den Eindruck gewonnen, daß Kl. weitaus nicht so tüchtig sei, als nach den fraglichen Dmckproben angenommen werden mußte. Er habe deshalb an die Firma H. geschrieben und von dieser die Bestätigung erhalten, daß Kl. die fraglichen Druckmuster weder gesetzt noch gedruckt habe und von der Firma H. ohne Kündigung entlassen worden sei. Aus Erhalt dieser Mitteilung habe er den Kl. alsbald, ohne eine Kündigungszeit einzuhallen, entlassen. Kl. fordert Schadloshaltung wegen un­ gerechtfertigter Entlassung.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: § 123 Z. 1 der GO. bestimmt: „Vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Aufkündigung können Gesellen und Gehilfen entlassen werden, wenn sie bei Abschluß des Arbeitsvertrages den Arbeitgeber durch Vorzeigung falscher oder verfälschter (Arbeitsbücher oder) Zeugnisse hintergangen haben." Gemeinhin versteht man unter „Zeugnissen" in der GO. aller­ dings nur schriftliche Beurkundungen eines Arbeitgebers über Art und Dauer der Beschäftigung eines Arbeiters, wie sie der letztere auf Grund des § 113 GO. beim Abgänge aus dem Arbeitsverhältnis fordem kann. Mer gleichwohl wird nach dem «sinne der vorliegenden Gesetzesstelle eine einschränkende Auslegung nicht am Platze sein. Der Gesetzgeber will offenbar durch die Vorschrift in § 123 Z. 1 möglichst verhindern, daß Arbeiter unrichtige Nachweise den Arbeitgebern, bei welchen sie in Arbeit treten wollen, vorlegen, und er will weiterhin dem Arbeit­ geber mcht zumuten, daß er einen Arbeiter, dessen betrüglichen Machinationen er auf die Spur gekommen ist, noch bis zum Wlauf der Kündigungsfrist behalten muß. Bon diesem Standpunkt aus betrachtet, wird man unter „Zeugnissen" im Sinne der in Rede stehenden Gesetzesstelle zu verstehen haben alles das, was ein Arbeiter an Bescheinigungen und Arbeitsproben zu dem Zwecke seinem ArbeitSebei vorlegt, daß sie ihm seine geleistete Arbeit und seine Fähigkeiten auf seinem lrbeitsgebiete „bezeugen" sollen. Dazu sind aber Dmckproben, wie sie hier vor­ gelegt worden find, in ganz hervorragendem Maße geeignet. Denn sie gestatten besser, als schriflliche Zeugnisse dem Prinzipale, sich em Urteil über die Fähigkeiten des Arbeiters, oen er einstellen will, zu bilden, und es wäre in der Tat widersinnig, wollte man diese „Zeugnisse" xar nicht als solche im Sinne des § 123 Z. 1 GO. gelten lassen. Sind aber Druckmuster Zeugnisse in dem hier in Frage lammenden Sinn, so kann das nicht zweifelhaft fern, daß sie dann falsche Zeugnisse sind, wenn sie nicht von dem Borzeigenden selbst angesertigt worden sino. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 102.)

592. (250.) Kann ein Arbeiter sofort entlassen werden, weil er sich fälschlich für leistungsfähig und tüchtig anSgegeben hat? Urteil des GG. Karlsruhe vom 14.«September 1901. Das GG. erachtet die Entlassung nicht für berechtigt.

503. (251.) Kann ein Arbeiter, der irrtümlich die Einwilligung deS Arbeitgebers in die Zueignung einer «Sache annimmt, wegen Diebstahls sofort entlassen werden? Urteil des GG. Berlin vom 7. Oktober 1895.

Das GG. hat die Frage vemeint.

(Unger, Nr. 82.)')

’) Ebenso GG. Berlin v. 29. November 1904 („Reichsarbeitsbl." Jg. 1 Sp. 138).

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GO. § 123*.

504. (252.) Ist Diebstahl bei einem früheren Arbeitgeber Enttaffnngsgrund? Urteil des GG. Berlin, Kammer 1, vom 19. November 1900.

Das GG. erachtet die Entlassung nicht für berechtigt.

(Soziale Praxis.)

505. (253.) Kann der Arbeiter wegen „Betruges" entlassen werden, wenn er heimlich für fremde Arbeitgeber arbeitet? Urteil des GG. Berlin vom 21. Mai 1896.

Die Klage des entlassenen Arbeiters auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. (Unger Nr. 88.)

506. Ist ein Betrug, durch den der Arbeiter den Arbeitgeber zum Ab­ schluß des Arbeitsvertrages veranlaßt hat, Entlassnngsgrund? Urteil des GG. Stuttgart. Bei der Einstellung des Kl. als Metzgergescllen fragte ihn der Arbeitgeber, welchen Wochenlohn er außer Kost und Wohnung bei seinem bisherigen Meister gehabt habe. Kl. erwiderte, um auf diese Weise einen höheren Lohn herauszuschlagen: „12 Mk."; tatsächlich hatte er bloß 9 Mk. gehabt. Daraufhin versprach ihm der neue Arbeitgeber auch 12 Mk., während er sonst weniger bekommen hätte. Drei Tage später trat Kl. seine Stelle an. Nach 8 Tagen erfuhr der Arbeitgeber, daß Kl. ihn betrogen habe, und entließ den. selben sofort. Kl. klagte nun auf Schadenersatz in Höhe von 28,80 Mk., da nach § 123 Ziff. 2 GO. ein Arbeiter wegen Betrugs nur entlassen werden könne, wenn die Handlung, was bei ihm nicht zutreffe, währenddesArbeitsverhältnisses begangen worden sei.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Man nimmt gewöhnlich an daß ein Bettug, um Entlassungsgrund gemäß § 123 Zisf. 2 GO. zu sein, während des Arbeits­ verhältnisses begangen sein muß. Nach vemünftiger Auslegung des Gesetzes muß man aber auch als genügend ansehen, wenn der Arbeiter bereits bei dem (vielleicht längere Zeit dem Arbeitsbeginn vorausliegenden) Vertragsabschluß den Arbeitgeber betrogen hat, während zweifellos frühere FÄle schon nach dem Wortlaut des Gesetzes ausscheiden. Das im § 123 Ziff. 2 GO. eingeräumte Recht, wegen Betmgs einen Arbeiter sofort zu entlassen, bemht aus der Erschütterung des Vertrauens des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer. Diese Erschütterung ist aber im Falle eines gleich beim Berttagsabschluß verübten Betrugs durchschnitt­ lich noch stärker als bei späterer Begehung, zumal wenn die letztere sich nicht gegen den Arbeitgeber selbst, sondem eine dritte ihm vielleicht völlig fremde Person richtet. — Die vom Gericht verttetene Auffassung wird auch nicht durch § 123 Zisf. 1 GO. beeinträchtigt; denn die dort aufgeführten Handlungen brauchen durchaus nicht zugleich einen Bettug im Sinne von § 263 StGB, zu enthalten und bedurften daher besonderer Erwähnung im Gesetze. Demnach wurde die Klage abgewiesen. — Auf Gmnd des Anfechtungsrechts nach § 123 BGB. dürfte der Arbeitgeber nicht zur sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, sondem nur zu entsprechender Lohnermäßigung gelangen.

GO. § 123*.

361

507. (254.) Ist Versuchter Diebstahl Entlassungsgrund? ^) Urteil des GG. Berlin vom 18. März 1896.

Das GG. hat die Frage vemeint und den Arbeitgeber zur Zahlung der Lohn­ entschädigung vemrteilt. (Unger, Nr. 84.)

508. (255.) Berechtigt Forstdiebstahl zur sofortigen Entlassung? Urteil des Reichsgerichts, 1.Zivilsenat, vom 24.Oktober 1896.

Die Frage ist bejaht.

(Gruchot Bd. 41 S. 1138.)

509. (256.) Ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeiter ohne Kündigung zu entlassen, weil er Muster, welche Geheimnis einer FabrlI sind, zu seinem Privatgebrauch abgezeichnet und verwendet hat? Urteil des GG. Erfurt.

Die Klage des entlassenen Arbeiters auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. (Blätter für soziale Praxis Nr. 99 vom 22. November 1894.)

510. (257.) Ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeiter wegen einer gegen seinen Vorgänger begangenen Unterschlagung sofort z« entlassen? Urteil des GG. Berlin vom 3. September 1894.

Die Klage des entlassenen Arbeiters auf Lohnentschädigung ist abgewiesen.

511. (258.) „Unterschlagung" als Entlassungsgrund. Kann der Friseur­ gehilfe den Betrag als Trinkgeld behalten, den der Kunde ohne nähere Angabe über den geforderten Preis hinaus zahlt? Urteil des GG. Stuttgart.

Der bell. Arbeitgeber ist zur Zahlung einer Lohnentschädigung an dem ent« lassenen Gehilfen verurteilt. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 22.)

512. (259.) Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bei Unterschlagung. Können Buchdruckerei-Einlegerinnen sofort entlassen werden, weil sie etwas Putzwolle mitgenommen haben? Urteil des GG. München vom 12. Februar 1902.

Die bell. Arbeitgeberin ist zur Zahlung der Lohnentschädigung an die ent­ lassene Arbeiterin vemrteilt.

513. (260.) Begründet Trunkenheit an zwei aufeinanderfolgende« Tagen die Entlassung wegen liederlichen Lebenswandels? Urteil des GG. Weimar vom 26. Juni 1902.

Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der Lohnentschädigung verurteilt. *) Ebenso für „Betrug" (GG. Berlin v. 30. März 1897. Unger, Nr. 89). Dagegen Betrugsversuch als Entlassungsgrund angesehen (Reichsarbettsbl. Jg. 1 S. 406).

362

GO. § 123'u.

514. (261.) Ist der Hang zum Trunk Entlasfungsgrund? Urteil des GG. Berlin vom 20. Juli 1893. Die Klage des entlassenen Arbeiters auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. (Unger, Nr. 90.)

515. (262.) Liederlicher Lebenswandel. Kann ein Hotelportier entlassen werden, wenn er Hotelgästen unsittliche Zumutungen macht? Urteil des GG. Frankfurt a.M. vom 16.Juni 1898. Die Klage des entlassenen Portiers auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 140.)

516. (263.) Ist einmaliges Berlassen der Arbeit Entlassungsgrund? Urteil des GG. Dresden vom 22. Februar 1900.

Der Klage auf Gehaltszahlung für zwei Wochen wurde stattgegeben. werbegericht Jg. 6 Sp. 183.)

(Ge­

517. Bleibt der Arbeitnehmer der Arbeit unbefugt fern, wenn er von seiner Erkrankung keine Meldung macht? Urteil des GG. Hannover vom 21.Dez. 1905.T) Die Lohnentschädigungsklage ist abgewiesen. AusdenGründen: Die Verhandlung hat ergeben, daß der Kl. zwei Tage der Arbeit femgeblieben ist. Wenn es auch richtig sein sollte, daß der Kl. an diesen beiden Tagen krank war, michin ein genügender Grund zu seinem Fort­ bleiben vorlag, so war er doch verpflichtet, diesen Grund der Bekl. mitzuteilen. Er mußte ihr schriftlich oder mündlich erklären bezw. erklären lassen, daß er krank und daher nicht in der Lage sei, seinen Dienst wahrzunehmen. Tat er dies nicht, was im vorliegenden Falle feststeht, so blieb er eben unbefugterweise fort. Da unbe­ fugtes Fembleiben von der Arbeit gemäß § 123 der GRO. aber die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen vermag, konnte dem Entschädi­ gungsansprüche des Kl. nicht stattgegeben werden. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 218.)

518. (254.) Liegt unbefugtes Berlasfen des Dienstes vor, wenn der Arbeiter sich über seine Berechtigung in gutem Glauben befindet? Urteil des GG. Stettin vom 21.Mai 1902. Die Bekl. ist zur Zahlung der Lohnentschädigung an den entlassenen Arbeiter verurteilt.

518. (265.) Ist die Entlassung des Arbeiters gerechtferttgt, der wegen einer zn verbüßenden Freiheitsstrafe einige Tage von der Arbeit fort­ bleibt? Urteil des GG. Karlsruhe.

Die Entschädigungsklage des Arbeiters ist abgewiesen. Jg. 1 Sp. 6.)

(Gewerbegericht

*) Sgl. auch Gewerbegericht Chemnitz (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 16 Sp. 12.)

363

GO. § 123'».'.

52». (266.) Ist eS als „«erlassen der Arbeit" oder als „beharrliche «erweigerung" anzusehen, wenn der gekündigte Arbeiter zwecks Aufsuchung anderer Arbeitsgelegenheit einen halben Tag fortbleibt? Urteil des Kgl. AmtsgerichtsGemündena. M. vom 24. Mai 1901.

Das GG. erachtet die Entlassung nicht für gerechtfertigt. Jg. 6 SP. 355.)

(Gewerbegericht

521. (267.) Ist einmaliges Verweigern der Arbeit Grund zur sofortigen Entlassung? a) Urteil des Kgl. AmtsgerichtsNeuß, Abt. 1, vom 4. Juni 1901.

Die Bell, ist zur Zahlung der Entschädigung wegen ungerechtfertigter Ent­ lassung vemrteilt worden. (Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 355.) k) Urteil des Kgl. La ndgerichtl zu Berlin vom 9. November 1898.

Die Lohnentschädigungsklage des enllassenen Arbeiters ist abgewiesen. (Unger, Nr. 93.)

522. (268.) Ist lässiges Arbeiten Entlassungsgrund? Urteil des GG. Berlin vom 6. Mai 1894.

Der Bell, ist zur Zahlung der Lohnentschädigung vemrteilt. (Unger, Nr. 91.)

523. (269.) Gibt öfteres Zuspätkommen trotz vorhergegangener wieder­ holler Verwarnung ein Recht zur Entlassung? Urteil des Kgl. Landgerichts!, Zivilkammer 8, B e r l i n, vom 7. Juli 1897.

Das GG. Berlin, Kammer 5, wies die Lohnentschädigungsklage des entlassenen Arbeiters ab, das Landgericht aber sprach dem Kl. die Fordemng zu. (Gewerbe­ gericht Jg. 3 Sp. 90.)')

524. (270.) Ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeiter nicht einzustelle«, weil derselbe nicht zu der festgesetzten Stunde, sondern zwei Stunden später zur Arbeit erscheint? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3.

Der Klage auf Lohnentschädigung ist stattgegeben. Sp.41.)

(Gewerbegericht Jg. 1

525. (271.) Kann der Arbeiter entlassen werden, weil er den Anordnungen deS Arbeitgebers in Bezug auf die häuslichen Einrichtungen nickt nachgekommen ist? a) Urteil des GG. Dresden.

Die Entschädigungsllage des Gesellen wurde abgewiesen. Jg. 2 Sp. 114.)

(Gewerbegericht

*) Ebenso GG. Berlin v. 10. Februar 1902 (Reichsarbeitsbl. Jg. 1 S. 311).

364

GO. § 123’.

b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 6, vom 28. Oktober 1898.

Der Entschädigungsklage des Gesellen ist stattgegeben.

(Soziale Praxis.)

526. Liegt beharrliche Arbeitsverweigerung vor, wenn der Akkordarbeiter eine Arbeit wegen zu niedrigen Akkordpreises ablehnt? Urteil des Kgl. GG. zu Solingen vom 2. Juli 1908. Kl. hat 14tägige Lohnentschädigung wegen rechtswidriger Entlassung verlangt. Bell, hat Abweisung der Klage begehrt. Sie habe dem Kl. ein Stück Arbeit zugeteilt, welches er im Akkordlohn machen sollte und für welches ein feststehender Lohn nicht be­ standen habe. Während nun Kl. für die Ausführung der Arbeit 3,50 Mk. verlangt habe, sei ihm von der Bell, nur ein Lohn von 3 Mk. geboten worden. Kl. habe die Ausführung der Arbeit zu diesem Lohne abgelehnt, und als Kl. trotz mehrfacher Aufforderung auf dieser Ablehnung beharrte, habe Bell, ihn entlassen. Kl. erllärte demgegenüber, daß er die Verrichtung der Arbeit keineswegs verweigert habe, er sei bereit gewesen, die Arbeit im Stundenlohn — in dem er übrigens öfter vorübergehend beschäftigt gewesen sei — auszuführen. Auch habe er um Zuweisung anderer Arbeit gebeten, als er wegen der Nichteinigung über die Höhe des Stücklohnes bereits einen halben Tag gefeiert gehabt habe. Bell, behauptet, daß Kl. die Arbeit auf jeden Fall habe ausführen müssen, und zwar zu dem Preise, den sie — Bell. — festsetze, auch wenn sie beispielsweise den Lohn nur auf 50 Pfg. bemessen hätte. Dahingehend laute der Arbeitsvertrag.

Bell, ist verurteilt. A u s d e n G r ü n d e n: Ein in der von der Bell, behaupteten Weise ab­ geschlossener Arbeitsvertrag, dessen Inhalt der Kl. übrigens bestreitet, muß als rechtsungültig angesehen werden. Denn die Forderung der Bell., daß der Ar­ beiter die Arbeit für jeden ihm angebotenen Lohn annehmen und machen mußte, verstößt gegen die guten Sitten. Der angebotene Lohn muß zum mindesten ein angemessener sein. Konnten Parteien sich über die Höhe des Lohnes nicht einigen, so griff die in den Gießereien übliche Gepflogenheit Platz, wonach die Arbeit dann im Stundenlohn verrichtet werden mußte. Der Äs. hat sich keineswegs geweigert, die Arbeit zu verrichten, er selbst hat der Bell, den Vorschlag gemacht, die Arbeit gegen Stundenlohn auszuführen. Der § 123 Ziff. 3 der GO. trifft vorliegend nicht zu. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 390.)

527. (272.) Ist die Entlassung von Arbeitern gerechtfertigt, wenn sie Überstunden bertodgerit?T) a) Urteil des GG. Duisburg. Die Klage ist bis auf die Lohnentschädigung für einen Tag abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 25.)

b) Urteil des GG. Köln vom 3. Febmar 1898. Die Klage auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 81.) c) Urteil des GG. Hamburg vom 23. Oktober 1906. Die Kl. waren im Gewerbebetrieb der Bell, gegen einen wöchentlichen Lohn von

26 Mk. bis 18. September 1906 in Dienst und wurden mit dem Abbruch von Maschinen in der Stadtwasserkunst beschäftigt, und zwar der Kl. K. bereits seit mehreren Wochen, in welcher Zeit er auch bereits mehrfach Überstunden zum Preise von 50 Pfg. gemacht hat, während der Kl. Sp. erst seit wenigen Tagen im bell. Dienst stand. Am 18. September wurden die Kl. entlassen. Sie haben Zahlung des Lohnes für 14 Tage mit je 52 Mk.

») Vgl. Nr. 307.

GO- § 123».

365

verlangt. Die Bell, wendet ein, die Kl. seien entlassen worden, weil sie sich geweigert hätten, Überstunden zu machen, die in einem Abbruchsbetriebe wie dem bell, unbedingt erforderlich wären, und zu denen die Arbeiter verpflichtet wären, da aus technischen Gründen eine größere Anzahl Arbeiter auch im vorliegenden FaNe nicht hätten eingestellt werden können.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Die Kl. haben sich unstreitig beharrlich geweigert, die von ihnen verlangten Überstunden zu machen. Wenn sie einwenden, sie hätten sich nur geweigert, sie gegen Zahlung von 50 Pfg. pro Stunde zu machen, so liegt darin eben eine Weigerung schlechthin; denn erstens hatte die Bell, unstreitig bisher immer nur 50 Pfg. in ihrem Betriebe bezahlt, und zweitens ist ein Sichbereit« erklären unter Bedingungen — hier unter der Bedingung der Lohnerhöhung — natürlich einer Verweigerung der Arbeit völlig gleich zu erachten. Die Kl. wenden nun ein, sie seien zu Überstunden nicht verpflichtet gewesen. Mit diesem Einwand aber können sie nicht gehört werden. Das Wesen der Überstunde besteht keines­ wegs darin, daß es der jedesmaligen freien Vereinbarung unterliegt, ob sie ge­ macht werden sollen oder nicht. Bei dieser Auffassung würde der Arbeitgeber die Leitung des Betriebes völlig aus der Hand verlieren. Überstunden finb in einer Reihe von Betrieben aus betriebstechnischen Gründen gar nicht zu um­ gehen und zur Aufrechterhaltung des ordnungsmäßigen Geschäftsganges absolut erforderlich. Entschiede nun die Willkür oder das freie Ermessen der Arbeiter darüber, ob Überstunden gemacht werden sollen und nicht der e i n e Wllle des Leiters des Untemehmens, des Arbeitgebers, so wäre die völlige Auflösung jeder Ordnung und jeder Stetigkeit in dem Betriebe die notwendige Folge. Dieses Resultat kann aber nicht als der mutmaßliche Wille der Parteien beim Abschlüsse des Vertrages angesehen werden. Das Wesen der Überstunden kann nach dem mut­ maßlichen Parteiwlllen nur darin gefunden werden, daß der Arbeitgeber dieser Arbeitsstunden in seinem Betriebe gewöhnlich nicht bedarf, daß er also eine B er­ st f l i ch t u n g zur Beschäftigung in chnen nicht übemehmen will, daß aber um­ gekehrt, wenn er ihrer bedarf, einen höheren Lohn zahlen will. Aus diesen Gründen muß aber der Arbeiter die Überstunden ebensogut innehalten, wie die übrige Ar­ beitszeit, soweit ihm nicht eine seine Kräfte übersteigende Leistung zugemutet wird, was hier jedoch klägerischerseits keineswegs behauptet ist. Bell, war dem­ nach gemäß § 123* GO. zur sofortigen Entlassung des Kl. berechtigt. (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 60.)

d) Urteil des GG. Bremen vom 2.Juli 1901.

Der Klage auf Lohnentschädigung ist stattgegeben.

528. Liegt beharrliche Arbeitsverweigerung vor, wenn der Arbeiter ab­ lehnt, über Mittag hinaus Arbeiten zu verrichten? Urteil des GG. Solingen vom 25.März 1909. Bell, hat den Kl. wegen beharrlicher Arbeitsverweigemng sofort entlassen, weil der Kl. verweigert hatte, einen mit Blechen beladenen Wagen zu entleeren, auch wenn die Arbeit sich über 12 Uhr mittags hinaus ausdehnen werde. Kl. hat lätägige Lohnzahlung beansprucht.

Dem Klageanspmche ist stattgegeben. AusdenGründen: Das Gericht hat den Kl. für berechtigt gehalten, die Arbeit um 12 Uhr zu beschließen; eine beharrliche Arbeitsverweigemng liegt nicht vor. Fest steht, daß es sich bei der vom Meister verlangten Arbeit um eine solche handelte, die sich in die dem Kl. zustehende Mittagspause erstreckte. Die

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GO. § 123».

Arbeit wurde dem Kl. erst kurz vor Mittag angekündigt, so daß er sich auf die ver­ langte überarbeit nicht hatte einrichten können. Es mußte ihm daher mit Rücksicht darauf, daß die Firma auf pünktliches Erscheinen bei Beginn der Arbeit Wert legt, auch das Recht zustehen, pünktlich Schluß zu machen und die ihm zukommende freie Zeit für sich zu verwerten. Die Firma konnte aus der Ver­ weigerung der Überarbeit ein Recht zur sofortigen Entlassung des Kl. nicht her­ leiten. Gegen die Zulässigkeit der Entlastung spricht aber auch ferner, daß die Firma zunächst einen Entlassungsgrund in der Verweigerung nicht erblickt hat. Sie hat dem Kl. durch einen ihrer Inhaber bei Mederbeginn der Nachmittags­ arbeit eine Verwarnung erteilt, und erst später hat ein anderer Teilhaber oie Entlassung ausgesprochen.

529. (273.) Kann ein Photograph sofort entlassen werden, wenn er sich weigert, am Sonntag Bilder aufzuziehen? Urteil des GG. Stettin vom 30. April 1901.

Der Bell, ist zur Zahlung der Lohnentschädigung vemrteilt worden.

530. Mutz sich der Arbeiter notwendige kurze Verschiebungen der Arbeits­ pausen gefallen lassen? Urteil des GG. Berlin Kammer 3, vom 24. Oktober 1906. Der Kl. war bei dem Bell, gegen einen Stundenlohn von 75 Pfg. als Maurer aus einem Bau in der K.-Straße beschäftigt. Auf diesem Bau waren Stemmarbeiten auszusühren, welche sehr starkes Geräusch verursachten und deshalb in die Zeit vor 9 Uhr, dem Beginne der Geschäftstätigkeit in den benachbart liegenden Bureauräumen der Kommerz- und Diskonto-Bank, gelegt waren. Zu den Stemmarbeiten wurden aus der Zahl der auf dem Bau beschäftigten 45 Maurer der Reihe nach täglich immer zwei be­ stimmt und für diese die Frühstückspause von tarifmäßig 8%—9 aus 9—9% Uhr verlegt. Als am 8. September die Reihe an den Kl. kam, weigerte er sich wiederholt, bis 9 Uhr weiterzuarbeiten und die Frühstückspause zu verlegen, und wurde deshalb sofort entlassen.

Die Klage auf Lohn für die restlichen 8 Stunden ist abgewiesen. Aus den Gründen: Das Gericht hat die sofortige Entlassung des Kl. für gerechtfertigt erachtet, indem es in seinem Verhalten eine beharrliche Berweigemng der ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegenden Pflichten erblickt hat (§ 123® GO.). Der im Baugewerbe bestehende Tarifvertrag sieht zwar die Zeit von %9 bis 9 Uhr für die Frühstückspause vor. Diese Bestimmung ist aber nicht als ein unabänderlicher, als einer der wesentlichsten Bertragsbestandteile aufzu­ fassen, wie dies von feiten des Kl. geschieht; vielmehr kann sie nur die Bedeutung haben, daß, falls nicht andere Verabredungen getroffen werden oder zwingende Gründe eine Verlegung erforderlich machen, die Frühstückspause eben gewöhnlich zwischen %9 und 9 Uhr eintreten soll. Die Stemmarbeiten machten die Arbeit m dem Bankbetriebe unmöglich, und es war daher, und da auch durch Verzögerung in der Ausführung der Stemmarbeiten das Fortschreiten der übrigen Bauarbeiten nicht aufgehalten werden durfte, die Anordnung berechtigt, daß die jeweilig mit den Stemmarbeiten beschäftigten zwei Männer, ihre Frühstückspause um % Stunde hinausschiebend, die Stemmarbeiten bis 9 Uhr ausdehnten. Der Kl. wußte um diese Anordnung, er wußte auch, daß die Reihe schließlich an ihn kam. Wollte er — im Gegensatz zu seinen 44 Mitarbeitern — dieser notwendigen und auch von der Achtzehner-Tariskommission gebilligten Anordnung nicht Folge leisten, so hätte er ja vorher täglich das Arbeitsverhältnis lösen können; nicht aber durfte *) Siehe auch Nr. 382.

GO. § 123»

367

er abwarten, bis die Reihe an ihm war, um dann plötzlich zu erklären, daß er ich der Anordnung nicht füge. Ein derartiges Verhalten des Kl., der als erwachener kräftiger Mann an seiner Gesundheit nicht den geringsten Schaden genommen jätte, wenn er einmal V» Stunde später gefrühstückt hätte, ist dolos. Nimmt man aber auch selbst an, daß das Verlangen des Kl. auf Zubilligung der FrühstüGpause von y29 bis 9 Uhr sich auf Vertragsrecht stütze, so würde eine solche Aus­ übung des Rechts, da sie nur aus Schikane, ohne eigenes Interesse und lediglich zur Kränkung des anderen Bertragsteils erfolgte, unzulässig sein (§ 226 BGB ). (Reichsarbeitsbl. Jg. 5 S. 900.)

531. (274.) Sind Fabrikarbeiter verpflichtet, Abbrnchsarbetten auszu­ führen, die infolge eines Fabrikbrandes nötig werden? Urteil des GG. Offenbach vom 2.Februar 1900. Der Anspruch der entlassenen Arbeiter auf Schadenersatz ist für be­ gründet erklärt. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 143.)

532. Ist ein Putzer, dem die übertragene Arbeit vertragswidrig ent­ zogen wird, verpflichtet, statt dessen Maurerarbeiten zn übernehmen? Urteil des GG. Hamborn vom 27. Februar 1900. Der Bell, hatte den Kl. am 19. Januar d. I. einen Neubau mit 16 Zimmern zum Innenputz in Akkord übertragen. Für Wandputz waren 25 Psg., für Deckenputz 48 Psg. pro qm vereinbart. Am 20. Januar, nachdem die Kl. bereits ihre Arbeit in Angriff ge­ nommen hatten, erschien in dem Bau eine andere Kolonne von Verputzern, die erklärte, daß sie bereits vor mehreren Tagen die gesamte Akkordarbeit vom Bell, übernommen hätten. Dies hatte seine Richtigkeit. Die Kl. wurden auf diese Weise genötigt, zugunsten der zweiten Kolonne das Feld zu räumen. Der Bell, suchte sie damit abzusertigen, daß er ihnen eine Maurerarbeit im Freien anbot. Die Kl. lehnten dies Angebot aber unter Hinweis auf ihren Vertrag ab. Sie wurden daher arbeitslos und fanden erst, der Kl. B. nach 16 Tagen, Kl. D. nach 10 Tagen neue Beschäftigung. Mit ihrer Klage verlangen sie Schadenersatz. Der Bell, ist vemrteilt.

AusdenGründen: Die Kl. hatten mit dem Bell, bezüglich des über­ nommenen Verputzes der Zimmer einen Dienstvertrag abgeschlossen, der sie mindestens 6 Wochen bei Durchhaltung beschäftigt haben würde. Nach dem unbestrittenen Sachverhalt war es den Kl. durch das vertragswidrige Verhalten des Bell, unmöglich gemacht, ihre Akkordleistungen weiter zu erfüllen, da sie ja von der zweiten Putzerkolonne aus dem Bau vertrieben wurden. Nach § 280 BGB. haftet der Bell, den Kl. daher für den ihnen hierdurch entstandenen Schaden. Die gleiche Schadenersatzpflicht trifft ihn, wenn man in seiner Handlungsweise eine vorzeitige Entlassung der Kl. aus dem Dienstverhältnis erblicken will, welches auf mindestens 6 Wochen unkündbar bestand. Der den Kl. entstandene Schaden besteht nach ihrer zutreffenden Berechnung in dem Durchschnittsarbeitslohn für die Tage, an welchen sie infolge der Handlungsweise des Bell, haben feiern müssen. Derselbe ist jedoch vom Gericht nicht aus 5, sondem nur auf 4 Mk. bemessen worden, well an den dunllen Tagen des Januar und Februar Putzer durchschnittlich nicht über 8 Stunden täglich arbeiten. Nach den Vorschriften der Berufsgenossenschaft ist eine längere als achtstündige Arbeitszeit in diesen Monaten überhaupt unzulässig. Da der Stundenlohn eines Putzers rund 50 Pfg. beträgt, ergibt sich daher ein Tagesverdienst von 4 Mk. Die Behauptung des Bell., die Kl. hätten trotz hinreichender anderweiter Arbeitsgelegenheit nur auf seine Kosten faullenzen wollen, ist in keiner Weise von ihm nachgewiesen, wohl haben die Kl.

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GO. § 123’.

durch die vorgebrachten Bescheinigungen mehrerer Arbeitgeber hinreichend glaub­ haft dargetan, daß sie sich verschiedentlich ernsthaft um Arbeit bemüht haben. Auch die Einwendung des Bell., Kl. hätten die ihnen von ihm angebotene Maurer­ arbeit annehmen Linnen und müssen, ist unrichtig. Kl. konnten auf die Vertragsmäßig übernommene Putzarbeit bestehen, auch wenn sie sonst Maurer sind. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 7.)

633. Kann der Arbeiter sofort entlassen werden, wenn er trotz Verbotes Privatarbeiten für fich fertigt? Urteil des GG. Offenbach.

Das GG. hält die EnÜassung für berechtigt. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 126.)

534. Schadenersatz wegen Kontrattbruchs. Ist eine Kündigung ohne Angabe deS Grundes als Maßregelung" anzusehen? Berechnt die Verletzung eines im Kollettivv ertrage ausgesprochenen Maßregelungs­ verbotes alle beteiligten Arbeiter zur Arbeitsniederlegung?') Urteil des GG. München-Gladbach vom 31.Juli 1905. Die bell. 62 Drucker haben am 24. Juli 1905, ohne gekündigt zu haben, gemeinsam die Arbeit bei der Bell, niedergelegt. Die Mndigung konnte nach der Arbeitsordnung der Kl. erst Sonnabend, den 29. Juli, mit 14tägiger Frist erfolgen. Kl. verlangt 3500 Mk. Schadenersatz. Die Bell, wenden ein: Zur Niederlegung der Arbeit seien sie berechtigt gewesen. Im Mai 1905 wäre nämlich aus Anlaß eines Streikes der Arbeiter der Kl. zwischen dieser und dem aus sechs Arbeitern bestehenden Arbeiterausschusse eine Einigung über die Wiederaufnahme der damals auch ohne Mndigung verlassenen Arbeit unter der Bedingung erzielt und die Arbeit wieder ausgenommen worden, daß eine „Maßregelung der Arbeiter", namentlich der Mitglieder des Arbeiterausschusses, wegen der Arbeiterbewegung nicht stattfinden dürfe und die Arbeitsordnung in einigen Punkten abgeändert werden sollte. Die Kl. habe aber den Mitbell., U., welcher Mitglied des Arbeiterausschusses sei, jetzt am 22. Juli gekündigt und auf Befragen die Angabe des Grundes dieser Mn­ digung mit der Erllärung verweigert, den Grund gebe sie nicht an, weil derselbe in der Öffentlichkeit ausgenützt werden würde. Da hierin eine Maßregelung eines Mitarbeiters liege, auch die Arbeitsordnung seitens der Kl. bis jetzt nicht abgeändert worden sei, liege eine Vertragsverletzung vor, welche die Mndigungspslicht der Arbeiter ausschließe.

Die Schadenersatzforderung ist dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. AusdenGründen: Die Bell, geben zu, daß bei der Vereinbarung im Mai 1905 nicht näher festgestellt worden sei, was unter „Maßregelung eines Arbeiters" verstanden werden solle, insbesondere ob die Kl. sich damit verpflichtet habe, von ihrem Kündigungsrechte nur unter Angabe des G r u n d e s der Kün­ digung Gebrauch zu machen und ebenso andererseits von den Arbeitern der Kl. gegenüber eine gleiche Verpflichtung eingegangen worden sei. Unter „Maß­ regelung" wird aber wohl, wenn, was Kl. übrigens bestreitet, wirllich solcher Ausdruck bei der Mederaufnahme der Arbeit im Mai gebraucht worden ist, zu verstehen sein, daß keinem Arbeiter aus Gründen des damaligen Streiks gekündigt werden solle. Im damaligen Sechserausschusse ist Z. nicht vertreten gewesen, auch während des damaligen Streiks nicht hervorragend hervorgetreten. Aus der Weigerung einer Grundangabe für die nach mehreren Monaten nach dem Streik erfolgte Kündigung schließen die Bell, zu Unrecht auf eine auf den damaligen Streik zurückzuführende Maßregelung desZ., übrigens würde eine solche einseitige Siribung derFirma, wonach letztere nicht kündigen können sollte, während *) Vgl. auch Nr. 480, 481.

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GO. § 123».

den Arbeitem die gleiche Beschränkung in ihrem Kündigungsrechte nicht auferlegt wurde, nach § 122 Satz 2 u. 3 GO. erheblichen rechtlichen Bedenken unterliegen. Die Bell, haben ferner auch nicht behauptet, daß für die von der Kl. zugestandenen Änderungen der Arbeitsordnung, welche übrigens nach der glaubwürdigen Er« Körung der Kl. in der Vorbereitung begriffen sind, eine Frist bestimmt worden sei. Bon der Maßregelung eines Mitarbeiters kann demnach keine Rede sein, wenn die Kl. von dem ihr zustehenden Rechte der Kündigung dem Z. gegenüber Gebrauch machte, auch ist der Kl. keine Steigerung der Änderung ihrer Arbeitsordnung oder eine absichtliche Verzögerung derselben nachgewiesen. Mer selbst wenn eine Nichterfüllung der Vereinbamng vom Mai d. Js. seitens der Kl. einem Arbeiter gegenüber vorläge, so würde daraus für die G e s a m t h e i t der Arbeiter noch keine Berechtigung gegeben sein, die Arbeit, ohne der Kündigungspflicht zu ge­ nügen, gemeinschaftlich einzustellen. Denn wenn nach Abschluß eines solchen kollektiven Arbeitsvertrages — als solcher tritt das behauptete Mkommen der Arbeiter mit der Firma im Mai rechtlich in die Erscheinung — die Rechte eines einzelnen Arbeiters aus diesem Kollektivvertrage verletzt werden und die Firma ihren diesbezüglichen Verpflichtungen aus dem Kollektivvertrage einem einzelnen Arbeiter gegenüber nicht nachkommt, so erlangt eben nur dieser einzelne Arbeiter, welcher in seinen Rechten verletzt ist, Entschädigungsansprüche gegen die Firma. Wenn also U. seine Rechte aus dem Kollektivvertrage verletzt glaubte, stand ihm das Recht, seine Entschädigungsansprüche vor dem GG. geltend zu machen, offen; er konnte auf Schadenersatz wegen unberechtigter Entlastung gegen die Firma vagen und würde auch — wenn er den Nachweis einer wirklichen Verletzung eines gültigen Kollektivvertrages erbracht hätte — obgesiegt haben. Seine Arbeits­ einstellung sowohl wie erst recht die Arbeitseinstellung der übrigen Bell, war demnach ungerechtfertigt. Die Bell, sind kontraktbrüchig geworden. Hierdurch ist der Schadenersatzanspruch der Kl. gerechtfertigt. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. 3g. 11 Sp.6.) 535. (276.) Kann der Arbeiter, der wegen der Maifeier die Arbeit ver­ säumt, sofort entlassen werden? a) Urteil des GG. Offenbach vom 10. Mai 1900.

Die Klage des entlassenen Arbeiters auf Lohnentschädigung ist abgewiesen. (Gewerbegencht Jg. 6 Sp. 187.)») b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 1. Juni 1899. Der Arbeitgeber ist unter Berüch'ichtigung der im Spezialfall getroffenen Parteiabreden zum Schadensersatz wegen kündigungsloser Entlassung verurteilt.

536. Hat der wegen Arbeitsversäumnis am 1. Mai entlassene Arbeiter den infolge feiner Entlassung entstandenen Schaden zu ersetzen? Haften sämtliche Beteiligte als Gesamtschuldner? Urteil des GG. Jamburg vom 27. Juni 1906. Die Kl. hat gegcnT_142 Arbeiter Klage erhoben und vorgetragen: Bell, seien als Schauerleute bei ihr fest angestellt gewesen, und zwar gegen 29—30 Mk. Wochenlohn und unter Vereinbamng einer gegenseitigen Kündigungsfrist von 4 Wochen. Am 1. Mai d.J. seien die Bell, der Maifeier wegen sämtlich ohne Erlaubnis von der Arbeit fort­ geblieben. Aus diesem Gmnde seien Bell, am Morgen des 2. Mai aus ihrem ArbeiteVerhältnis entlassen worden. Da diese Entlassung durch das Verhalten der Bell, veran*) Ebenso GG. Berlin („Reichsarbeilsbl." Jg. 1 S. 312). Baum, Dewerbegerichte.

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laßt worden sei, so seien diese gemäß § 628, Ms. 2 BGB. zum Ersätze des durch ihre Ent­ lassung der Kl. entstandenen Schadens verpflichtet. Ein Schadenersatzanspruch stehe der Kl. gegen Bell, ferner deshalb zu, weil sie am 1. Mai ohne zwingende Notwendigkeit und noch dazu lediglich zu Demonstrationszwecken auf Gmnd gemeinschaftlicher Verab­ redung von der Arbeit fortgeblieben seien. In diesem Verhalten der Bell- liege eine vorsätzliche, in einer gegen die guten Sitten verswßenden Weise erfolgte Schadenzufügung, also der Tatbestand des § 826 BGB. Für den Schaden seien aber die Bell- aus Grund § 830 BGB. als Gesamtschuldner haftbar; eventuell müsse der Schade» von den Bell, jedenfalls nach Kopsteilen getragen werden. Die Bell, haben bestritten, daß eine gemeinschaftliche Verabredung hinsichtlich des Fortbleibens von der Arbeit vorliege. — Die einzelnen Bell, hätten geglaubt, ohne weiteres einen Tag von der Arbeit fernbleiben zu dürfen, weil in jahrelanger Übung die Kl. den Bell, ein eintägiges oder mehrtägiges Fernbleiben ohne weiteres gestattet habe, bzw. ihnen deshalb niemals die Entlassung gegeben habe. Im übrigen bestreiten die Bell, überhaupt, daß durch das Verheilen der Bell, der Kl. der behauptete Schaden entstanden sei. Wenn der Kl. ein Schaden mtstanden sein sollte, so habe sie denselben selbst verschuldet, indem sie die Bell, am 2. Mai, als sie sich zur Weiterarbeit meldeten, zurückwies und sie auf 10 Tage arssperrte. Die Entlöschung des „Blücher" sei über­ dies von den von Kl. eingestellten Arbeitswilligen schon am Morgen des 3. Mai be­ endet worden; früher hätten auch Bell, die Arbeit nicht zu Ende führen können.

Nach Beweisaufnahme ist der Schadenersatzanspmch der Kl. durch Zwischen­ urteil dem Grunde nach festgestellt. AusdenGründen: Die Behauptung der Bell., es seien ihnen durch jahrelange Übung von der Kl. freigestellt, jederzeit einen oder eventl. sogar mehrere Tage ohne weiteres von der Arbeit fortzubleiben, ist so unglaublich, so absurd, daß es nicht einmal angebracht erschien, die angebotene Beweisführung zuzulassen. Das Gericht ist vom Gegenteil der Behauptung überzeugt. Wenn Kl. vielleicht wiederholt Arbeiter wegen Fortbleibens von der Arbeit nicht entlassen hat, so wird sie vermutlich entweder den nachträglich mitgeteilten Entschuldigungsgmnd als berechtigt anerkannt oder sie wird auf ihr gutes Recht, den Betreffenden zu entlassen, im Einzelsall verzichtet haben. Daraus konnten selbstredend Bell, nicht den Schluß ziehen, daß sie berechtigt seien, zu jeder Zeit fortzubleiben. Die weitere Behauptung der Bell., daß sie wenigstens im vorliegenden Fall ein Ein­ verständnis der Kl. mit ihrem Fortbleiben annehmen durften, ist durch das Er­ gebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Es ist festgestellt, daß der Jnspekwr Th., nachdem am 30. April im Laufe des Tages durch Äußerungen seitens der Arbeiter ihre Absicht, am 1. Mai zu feiern, bekannt geworden war, mehrere Arbeiter, darunter die Bell. G. und W., hat zu sich kommen lassen, daß er sie auf die erlassene Bekanntmachung, betr. Maifeier, hingewiesen und sie aufgefordert hat, ihre Kameraden vor den Folgen des Kontraktbruches zu wamen und, wenn möglich, sie zur Ändemng ihres Beschlusses zu bestimmen. Das Gericht zweifelt keinen Augenblick daran, daß W. und G. während der Fahrt nach der Unterelbe ihre Kameraden tatsächlich von der Verhandlung mit Jnspekwr Th. in Kenntnis gesetzt

haben. Wenn sie dies unterlassen hätten, so läge dann eine Perfidie gegen ihre Kameraden, und eine solche ist nicht zu vermuten. Überdies ist gerichtsnowrisch, daß in einer größeren Anzahl von hiesigen Zeitungen (darunter auch im General­ anzeiger, der vielfach in Arbeiterkreisen gelesen wird) bereits am 29. April seitens hiesiger Arbeitgeber (darunter der Verein Hamburger Reeder) die folgende Be­ kanntmachung veröffentlicht worden ist: „Arbeiter, welche wegen Beteiligung an der sozialdemokratischen Mai­ feier am 1. Mai d. I. von der Arbeit fortbleiben, werden als wntraktbrüchig entlassen und nicht vor dem 11. Mai wieder eingestellt." Wenn also wirllich, wie Bell, behaupten, der weit größte Teil der Bell, das von der Kl. culerdings erst am Morgen des 30. April an ihren Schuppen angebrachte

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Plakat gleichen Inhalts nicht gesehen haben sollten, so erscheint es doch unglaublich, daß sie weder von denjenigen, die das Plakat gesehen hatten, noch von denjenigen, die die Bekanntmachung in den Zeitungen gelesen hatten, noch auch von W. und G. in Unkenntnis gelassen sein sollten über die Auffassung der Kl. in betreff der Maifeier. Nach alledem ist festzustellen, daß Bell, unberechtigterweise am 1. Mai d. Js. die Arbeit haben ruhen lassen, daß sie also in Leistungsvenug geraten sind. Einer besonderen Mahnung, um sie in Verzug zu setzen, bedurfte es nicht, da sie in einem fortdauernden Dienstverhältnis mit 4wöchiger Kündigungs­ frist zum Kl. standen, ihre Arbeitsdauer also durch den Kalender (mindestens noch 4 Wochen lang nach dem Tage der Kündigung) bestimmt war und ihnen auch aus ihrer bisherigen Tätigkeit ohne weiteres bekannt war, daß sie die Entlöschung des „Blücher" zu beenden hatten. Für den durch ihren Leistungsverzug (Fehlen am 1. Mai) der Kl. entstandenen Schaden sind Bell, ersatzpflichtig nach § 286 BGB. Daß Kl. ferner die Bell, wegen unbefugten Fortbleibens entlassen durfte, ergibt sich aus § 123, Ziff. 3 der GO. und ist ja auch von den Bell, nicht ausdrück­ lich bestritten worden. Inwiefern Bekl. aus dieser Enllassung Schadenersatz­ ansprüche herleiten wollen (wie sich aus ihrem Vorbehalt ergibt), ist nach Sach­ lage unverständlich. Nach § 628, Abs. 2 BGB. kann aber Kl., wenn die Entlassung der Bell, als durch ihr Verhalten veranlaßt anzusehen ist, noch obendrein den­ jenigen Schaden von den Bell, ersetzt verlangen, der eine Folge dieser Enllassung gewesen ist, allerdings mit der Einschränkung, daß Kl. nicht denjenigen Schaden ersetzt bekommt, den sie selbst verschuldet hat, bzw. schuldHasterweise nicht nach Kräften abgeweirdet oder gemindert hat (§ 254 BGB.). Es liegt nun auf der Hand, daß Kl. sich die offenbar auf einen gemeinsamen Beschluß der Bell, (es hatte ja Beratung auf der Hansa stattgefunden) zurückzuführende Arbeitsverweigemng ant 1. Mai, die lediglich zu Demonstrationszwecken diente, nicht ge­ fallen lassen konnte, daß sie also von ihrem Rechte, die Bell, zunächst aus dem Arbeitsverhältnisse zu entlassen, Gebrauch machen mußte, wenn sie sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben wollte. Mit anderen Worten: Die Aufhebung des Dienstverhältnisses abseiten der Kl. war veranlaßt durch das Verhalten der Bell. Eine Abwendung des durch solche Aufhebung des Dienstverhältnisses notwendigerweise entstehenden Schadens dadurch, daß Kl. von chrem Rechte keinen Gebrauch macht, war der Kl. nicht zuzumuten. Also müssen die Bell, der Kl. auch den infolge der Aufhebung des Dienstverhältnisses erwachsenen Schaden ersetzen. Es könnte sich nur fragen, ob die Kl. den Schaden nicht vielleicht dadurch hätte mindern können, daß sie nicht ganze 10 Tage wartete, bis sie die Bell, wieder in Arbeit einstellte, sondern etwa 2 bis 3 Tage. Indessen ist dies eine Frage, die nicht in diesem Zwischenurteil über den Grund des Klageanspmchs, sondem erst in der über den Bewag der Klageforderung abzugebenden End­ entscheidung zu erörtem ist. Hier ist nur sestzustellen, daß die Bell, auch den­ jenigen Schaden zu ersetzen haben, der als direkte, notwendige Folge ihrer Ent­ lassung anzusehen sein wird..................... Zu erörtern ist noch, ob der Einwand der Bell, zutreffend ist, daß sie nicht für den wirllichen Schaden aufzukommen haben, sondern gemäß § 124 b der GO. nur eine fixierte Entschädigung in Höhe des ortsüblichen Tagelohns fürjeden Tag des Kontraktbruches, und zwar höchstens für eine Woche, also je 18 Mk. zu zahlen haben. Der Einwand ist verfehlt. Der § 124 b der GO. soll denjenigen Fall treffen, wo ein Arbeiter seinerseits rechtswidrig seine Stellung ganz verläßt. Der Fall liegt hier gar nicht vor. Bell, hatten ja gar nicht die Absicht, ihr Arbeits­ verhältnis mit der Kl. zu lösen, sondern sie wollten nur vorübergehend von der Arbeit fehlen, und das Arbeitsverhältnis ist deshalb seitens Set Kl. gelöst worden. Übrigens irren sich Bell, auch, wenn sie glauben, daß nach § 124 b der kontraktbrüchige Teil ein Recht darauf habe, höchstens die dort fixierte Entschä24*

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GO- § 123».

digung zu zahlen. Im Gegenteil hat der Vertragstreue Teil die Wahl, ob er vom Vertragsbrüchigen Teil seinen wirklichen Schaden verlangen oder sich mit der fixierten Entschädigung des § 124 b begnügen will. Femer ist in rechtlicher Hinsicht zwischen den Parteien streitig, ob die §§ 826 und 830 BGB. hier zur Anwendung zu kommen und ob also die Bell, als Ge­ samtschuldner für den klägerischen Schaden zu haften haben. Es mag wohl sein, oaß hier eine vorsätzliche Schadenzufügung als vorhanden angenommen werden kann und daß die Arbeitsverweigerung der unter guten Arbeitsbedingungen fest angestellten Bell, ohne plausiblen Grund, lediglich zu Demonstrationszwecken, als eine gegen die guten Sitten verstoßende Handlung anzusehen ist. (Die Berufung der Bell, auf § 152 GO. ist jedenfalls gänzlich verfehlt. Bom Koalitionsrecht darf selbstredend nur unter Beobachtung der vertraglichen Verpflichtungen Ge­ brauch gemacht werden. Eine Koalition unter Vertragsbruch wird, wenn auch nicht immer, so doch in der Regel [Dgl. v. Bröcker, Schadenersatzansprüche aus dem Lohnkampff als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen sein, zumal wenn die sich Koalierenden verhältnismäßig gute Arbeitsbedingungen haben und der Bertragsbmch lediglich zu Demonstrationszwecken geschieht.) Der Kl. ist auch darin beizutreten, daß, soweit in einer Kontraktverletzung zugleich eine unerlaubte Handlung liegt, aus beiden Rechtsgründen Ansprüche seitens des Ver­ letzten erhoben werden können. Und das GG. würde auch, wenn Kl. ihren Anspruch nur aus § 826 BGB. lediglich gegen jeden einzelnen Bell, richtete, diesen Anspruch wohl nicht zurttchveisen, sondern nur aussprechen, daß dieser Anspmch sich inhaltlich genau decke mit dem Anspmch aus der Kontraktsverletzung. (Es werden z. B. gegen Lohnllagen stets Widerklagen aus dem Diebstahl zugelassen, weil ein Diebstahl während des Arbeitsverhältnisses zugleich einen Treubmch, also Bertragsbmch, enthält.) Kl. stützt nun «wer ihren Anspmch, außer auf den Kontraktbruch, gerade darauf, daß Bell, gemeinschaftlich die Arbeit ver­ weigert haben (§ 830 BGB ). Insoweit reichen ihre klagbegründenden Behaup­ tungen über den Tatbestand des einfachen Kontraktbmchs hinaus. Der Kontraktbruch eines Bertragskontrahenten wird durch die Einzelhandlung dieses Kontra­ henten begangen; zur gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne des § 830 BGB. gehört eine Mehrheit von Einzelhandlungen verschiedener Personen und ein geistiger Zusammenhang zwischen diesen Handlungen. Der Tatbestand des § 830 BGB. deckt sich also nicht mit dem in dem Kontraktbmch des einzelnen liegenden Tatbestand. Folglich ist das GG. für den etwaigen An­ spmch der Kl. aus § 830 BGB. nicht zuständig. Deshalb war ihr Antrag auf Verurteilung der Bell, als Gesamtschuldner hier zurückzuweisen. Bell, haben, da es sich auch nicht etwa um gemeinsam übemommene Akkordarbeit, sondem nur um Emzelarbeiten gegen Zeitlohn handelte, aus dem Kontraktbruch lediglich als Einzelschuldner, jeder für den von ihm angerichteten, bzw. für den durch seine Entlassung entstandenen Schaden, aufzukommen. Daher war zu erkennen, wie geschehen.

91 nm.: Durch Endurteil vom 26. September 1906 sind die Bell, zur Zahlung von je 18 Mk. verurteilt worden, auf welchen Betrag Kl. die Klagefordemng ermäßigt hatte. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 30.)

537. Darf dem Arbeiter wegen Teilnahme an der Maifeier die Arbeit auf einen Tag zur Strafe entzogen werden? Urteil des GG. Konstanz vom 6. Mai 1902. Donnerstag, den 1. Mai, hat Kl. vormittags gearbeitet, dagegen ist er am Nachmittag ohne Erlaubnis des Bell, der Maifeier wegen von der Arbeit weggeblieben. Am Freitag früh kam er wieder zur Arbeitsstelle, wurde aber vom Bell, mit den Worten:

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»Heute wird nicht gearbeitet, es ist eine Leiche im Haus!" wieder entlassen. Am Samstag hat Kl. ordnungsgemäß wieder gearbeitet. Er verlangt nun Bezahlung für Freitag, den 2. Mai, an welchem Tag er zur Arbeit bereit gewesen sei und nur auf Wunsch deS Bell, nicht gearbeitet habe. Der Bell, wendet ein, sein Hauptgrund, warum er den Kl. am Freitag nicht habe arbeiten lassen, sei nicht die aus jenen Dig angesetzte Beerdigung seiner am 30. April in seinem Hause verstorbenen Schwiegermutter gewesen, sondem er habe den Kl. für sein Wegblciben am vorhergehenden Nachmittag strafen wollen.

Der Bell, ist verurteilt worden.

AusdenGründen: Das Gericht ging von der Ansicht aus, daß das Wegbleiben des Kl. von der Arbeit am Nachmittag des 1. Mai beyufs Teilnahme an der Maifeier ein unbefugtes Verlassen der Arbeit im Sinne des § 123 Ziff. 3 GO. darstellt. Unter diesen Umständen hatte also der Bell, das Recht der so­ fortigen Entlassung des Kl. Davon hat er aber unbestrittenermaßen keinen Ge­ brauch gemacht. Er hat vielmehr dem Kl., als dieser am Morgen des 2. Mai zur Arbeit erschien, lediglich mitgeteilt, daß er des Sterbefalls wegen an diesem Tage nicht arbeiten lasse. Daß noch andere Beweggründe den Bell, zu dieser Anord­ nung bestinnnten, ist dem Kl. gegenüber in keiner Weise zum Ausdruck gekommen. Der Bell, war daher befugt, anzunehmen, daß ihm dieser Tag werde bezahlt werden; er war ja auch durchaus nicht sicher davor, daß Bell, nicht noch während

der nächsten Tage von seinem Entlassungsrecht Gebrauch mache. Er war bereit zur Arbeit, und da er sie nur auf Wunsch des Bell, unterließ, so ist ihm dieser den Taglohn schuldig. Anders wäre der Fall allerdings anzusehen, wenn der Bell, seine eigenüiche Absicht, warum er den Kl. am 2. Mai feiern ließ, deutlich zum Ausdruck gebracht hätte. Dann wäre in der Ankündigung des Bell., den Kl. wegen seines Weg­ bleibens am l.Mai durch Verweigerung einer Tagesarbeit strafen zu wollen, ein Angebot des Inhalts gelegen, daß der Bell, unter der Bedingung bereit sei, auf sein Entlassungsrecht zu verzichten, daß der Kl. sich die Arbeitsverweigerung gi einen Tag und demzufolge den Abzug bzw. Verlust eines Taglohns gefallen ffe. Der Kl. hätte dann das Recht gehabt, zu wählen. Hätte er sich mit dem Vorschlag des Bell, einverstanden erllärt, so könnte er natürlich eine Bezahlung für den fraglichen Tag nicht verlangen. Hätte er das Angebot ausgeschlagen, so hätte der Bell, ihn entweder sofort oder in den nächsten Tagen noch entlassen können (§ 123 Abs. 1 Ziff. 3 und Abs. 2 GO ), jedenfalls aber wäre zweifellos gewesen, daß der Bell, bis zum Zeitpunkt der Entlassung dem Kl. auszubezahlen hatte. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 8.)

538. Berechtigt die Weigerung, „Streikarbeit" zu machen, den Prinzipal zur Entlassung? a) Urteil des GG. Stuttgart vom 27. Juni 1906. Die Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart hat Kataloge für die 1906 in Berlin stattfindende kunstgewerbliche Ausstellung, die in ihrem Verlag erschienen sind, in Berlin zum Binden gegeben. Die Arbeit ist dort auch begonnen worden, aber infolge einer Lohnbewegung in den Berliner Buchbindereien liegen geblieben. Die Union wollte sie nunmehr in ihrer eigenen Buchbinderei in Stuttgart binden lassen, die Ausführung dieser Arbeit wurde aber dort verweigert. Hierauf haben sich sieben Stuttgarter Buchbindereibesitzer bereit erllärt, die Arbeit in ihrem Betrieb machen zu lassen. Wer auch sie stießen aus Widerstand, die Ausführung der „Berliner Arbeit" wurde abgelehnt. Es ist teilweise zu Entlassungen gekommen, in der Hauptsache haben die Bell., weil auf AuSsührung der Arbeit bestanden wurde, am 19. bzw. 21. Mai 1906 ihren Austritt genommen. Gegenseitig wäre eine Kündigungsfrist von einer Woche bzw. zwei Wochen einzuhalten gewesen. Der Schadenersatzklage der Arbeitgeber haben die Bell, den Einwand ent» •) Vgl. auch Nr. 539.

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gegengesetzt, den Arbeitern gelte es als unehrenhaft, Streikarbeit zu verrichten; die Wei­ gerung, sie zu machen, sei daher begründet, der Austritt kein rechtswidriger gewesen, die Stuttgarter Buchbindereibesitzer hätten daraus hingearbeitet, sie auszusperren, die „Berliner Arbeit" habe den Borwand abgeben sollen; jetzt sei die flaue Zeit.

Das Gericht hat die Bell, verurteilt. Aus den Gründen: Nach Ansicht des Gerichts war die Steigerung, die „Berliner Arbeit" zu machen, eine unbegründete. Das Gericht vermochte die Auffassung der Bell., die Zumutung, „Streikarbeit" zu machen, verstoße lvider die guten Sitten, nicht zu teilen. Zwar ist richtig, daß den Arbeitnehmem viel daran liegen muß, daß eine Arbeit, die in einem Betrieb infolge einer Lohn­ bewegung liegen bleibt, nicht in einem anderen Betrieb gemacht wird, da sonst möglicherweise die glückliche Beendigung der Lohnbewegung in Frage gestellt wird; allein den Interessen der Arbeitnehmer stehen diejenigen der Arbeitgeber, die jenen direkt zuwiderlaufen, gegenüber. Unter den Arbeitgebern gilt es als anständig, und ehrenhaft, sich in einem wirtschaftlichen Kampf gegenseitig zu unterstützen. Die Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, ihre Interessen denen der Arbeitnehmer unterzuordnen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Union ein Kunde des Kl. ist oder nicht, jedenfalls steht den Arbeitnehmem nicht das Recht zu, zu bestimmen, ob eine bestimmte Arbeit gemacht werden soll oder nicht; die Verfügung hierüber ist Sache des Unternehmers. Es mag sein, daß die Bell, den Eindruck hatten, die Stuttgarter Buchbindereibesitzer haben die ganze Sache inszeniert, um sie aus der Arbeit zu drängen; es ist auch möglich, daß diese be­ schlossen hatten, diejenigen ihrer Angestellten, die sich weigem würden, die „Ber­ liner Arbeit" zu machen, zu enllassen, und daß sie sich gedacht haben, die organisierten Arbeiter werden sich mit den Entlassenen solidarisch erklären. Der Ent­ schluß der Arbeitnehmer, geschlossen Widerstand zu leisten, stand fest. Auch wenn das Vorgehen der Prinzipale in der von den Bell, behaupteten Weise geplant gewesen sein sollte, würde es an der Tatsache nichts ändem, daß die Angestellten die Verpflichtung hatten, die ihnen aufgettagene Arbeit zu machen. Die Bell, hätten, statt sich durch die unbegründete Steigerung ins Unrecht zu setzen, dem Kl. auch den Schein des Rechts dadurch auf die einfachste Art aus der Hand ge­ nommen, daß die Arbeit gemacht worden wäre. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 5.) b) Urteil des GG. zu Soling en vom 18.April 1907. Der Kl. ist bei der bell. Firma seit dem 28. Februar 1905 als Pließter gegen Akkordlohn beschäftigt gewesen. Anfangs März d. Js. trat infolge Ausbruchs eines Streiks verschiedener Arbeitergruppen bei der bell. Firma für die Pließter dadurch Arbeitsmangel ein, daß einige Messerschleifmaschinen stillstanden und den Pließtern dadurch nicht die genügende Anzahl geschlissener Messer, an denen sie Nacharbeit zu verrichten hatten, geliefert werden konnte. Auf Anordnung des Firmeninhabers forderte daher der Meister F., wenn der Kl. über Arbeitsmangel klagke, diesen aus, für seinen Bedarf selbst Messer an der Schleifmaschine zu schleifen und diese dann weiter zu verarbeiten. Der Kl. lehnte die ihm zugewiesene Arbeit aber rundweg ab mit der Begründung, daß er keine Streikarbeit verrichte. Die bell. Firma hat ihn hierauf ohne Einhaltung der Kündigung entlassen. Der Kl. behauptet, die Entlassung sei rechtswidrig erfolgt, er verlangt llagend Beschäftigung für die Kündigungsfrist oder Zahlung des zweiwöchigen Akkordlohnes von 60 Mk.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Das Gericht erkennt an, daß für die Stellung­ nahme des Kl. Gebote der Standessitte zwingend gewesen sein mögen; der Kl. hat mit einem gewissen Recht geltend gemacht, daß er als verbandstreuer Arbeiter Streikarbeit glaubte nicht ausführen zu dürfen. Mein dieser Standpunkt gibt ihm keinen gesetzlichen Gmiw zur Verweigerung vertraglich übernommener

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Pflichten. Wenn ein Arbeiter seiner Organisation treu bleiben will, weil er sonst den Ausschluß und die damit verbundenen wirtschaftlichen Schäden zu erwarten hat, so muß er auch die Konsequenzen der Zugehörigkeit zur Organisation aus § 123 Ziff. 3 GO., d. h. seine Entlassung tragen, ebenso wie er umgekehrt die Folgen, den Ausschluß aus der Organisation usw. auf sich zu nehmen hat. Es mag gegen das Ehrgefühl des Arbeiters sein, Streikarbeit zu verrichten; das liegt aber außer­ halb des aus gesetzlicher Grundlage beruhenden gewerblichen Arbeitsvertrages, der keine Rttchicht auf Streiks und Organisationsverhältnisse zu nehmen hat. Der wirtschaftliche Kampf hat auf die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits keinerlei Einfluß; bei der Rechtsfindung ist nur vom normalen Arbeitsvertrage, seine Berechtigungen und Verpflichtungen, auszugehen. Zudem ist die Vertrags­ treue unbedingt hochzuhalten. Darin, daß der Arbeitgeber von seinem ihm ver­ traglich zugesicherten gesetzlichen Recht der Verweisung eines Arbeiters von einer Arbeit an eine andere Gebrauch macht, kann schließlich unmöglich ein Verstoß gegen die guten Sitten gefunden werden. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 313.)

539. (277.) Ist der Arbeiter auf Verlangen des Arbeitgebers verpflichtet, für eine andere Fabrik, über die die Sperre verhängt ist, Arbeiten a«Szuführen, die der Arbeitgeber fönst in feiner Fabrik nicht auSführen läßt? Urteil des GG. Bremen vom 2. Juli 1901.

Das GG. hat die Frage vemeint. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 9.)

540. (278.) Ist beharrliche Verweigerung einer von einem Arbeiter ver­ langten Auskunft Grund zur Entlassung? Entscheidung des GG. Offenbach a.M. Die Entschädigungsklage des entlassenen Arbeiters ist abgewiesen. (Gewerbe­ gericht Jg. 4 Sp. 97.)

541. (279.) Kann der Arbeiter entlaffen werden, wenn er fich weigert, dem Arbeitgeber aus Befragen zu sagen, unter welchem Werkmeister er arbeitet? Urteil des GG. Frankfurt a. M. vom 15. September 1898.

Der bell. Arbeitgeber ist zur Zahlung der Lohnentschädigung verurteilt. (Gewerbegericht Jg. 4 Sp. 22.)

542. (280.) Ist Singen und Pfeifen in der Werkstatt trotz mehrmaligen Verbotes Grund zur sofortigen Entlassung? Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 16. Januar 1902.

Das GG. hat die Frage bejaht.

(Soziale Praxis.)

543. (281.) Ist eine weibliche Angestellte verpflichtet, fich vom Arzte deS Arbeitgebers untersuchen zu lassen, wenn sie wegen Krankheit fortbleiben will? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 2, vom 7.Juli 1902 und des Land­ gerichts I Berlin, Zivilkammer 8, vom 19. September 1902.

Das GG. hat die Frage bejaht.

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GO. § 123» bis ».

b) Urteil desLandgerichtsIBerlin, Zivilkammer 29, vom 5. März 1903. Die Frage ist vemeint und der Entschädigungsklage der kündigungsws ent­ lassenen Angestellten stattgegeben. (Blätter für Rechtspflege Jg. 14 Sp. 58.) t)

544. (282.) Ist der Arbeiter, dem für die Zeit von der Kündigung bis zur Entlassung die Fortarbeit verweigert wird, auf Verlangen ver­ pflichtet, sich z« bloßen Kontrollmeldungen zu stellen? Urteil des GG. Berlin, Kammer 8. Die Frage ist vemeint.

(Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 277.) *)

545. (283.) Unvorsichtiges Umgehen mit Feuer ass Entlassungsgrund. Ist der Abdruck der Bestimmung auf dem Arbeitszettel als ausreichende Verwarnung anzufehen? Urteil des GG. Leipzig. Die Frage ist vemeint.

546. (284.) Fst ein Werkmeister „Vertreter" des Arbeitgebers ? Urteil des GG. Mainz vom 5. Juni 1902. Die auf Zahlung einer Entschädigung für die Nichteinhaltung der Kündigungs­ frist erhobene Klage wurde abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 209.)

547. (285.) Ist der Kellermeister „Vertreter" des Arbeitgebers? Urteil des GG. Stettin.

Das GG. hat die Frage bejaht. (Gewerbcgericht Jg. 6 Sp. 183.)

548. (286.) Ist es eine grobe Beleidigung im Sinne des § 123. Rr. 4, wenn ein Arbeiter einen Vertreter des Arbeitgebers als „Streikbrecher^, bezeichnet? Urteil des GG. Frankfurt a.M. Das GG. hat die Frage bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 1 Sp. 29.)

549. Kann der Arbeiter sofort entlassen werden, weil er eine Beschwerde an die Gewerbeinspektion gerichtet hat? Urteil des Kgl. GG. Köln vom 5. Dezember 1907. Der Kl., der bei der Bell, in Arbeit stand, hat einen Brief an die Gewerbeinspcttion geschrieben, worin er von angeblichen Mißständen im Betriebe Mitteilung macht. Die Bell, hat infolge dieses Schreibens, von welchem sie durch die Gewerbeinspektion Kenntnis erhalten, den Kl. ohne Kündigung entlassen. Kl. verlangt 30 Ml. Entschädigung. Die Bell, erblickt in dem Schreiben eine sie beleidigende Denunziation, die sie zur sofortigen Entlassung berechtige. Soweit tatsächliche Mißstände vorhanden gewesen, habe Kl. die Pflicht gehabt, sich zwecks Abstellung zunächst an seinen vorgesetzten Meister bzw. an die Bell, selbst zu wenden, das sei nicht geschehen. Bell, ist vemrteilt. *) Vgl. auch Nr. 779. =) Vgl. Nr. 793.

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GO. § 123 ‘ bis ’.

AusdenGründen : Die GO. gibt in § 123 Ziff. 1—8 die Gründe genau an, aus denen ein gewerblicher Arbeiter, falls nicht etwa eine längere Kündigungs­ frist vereinbart ist, ohne Kündigung entlassen werden lann. Von diesen Gründen kann hier nur einer in Frage kommen, nämlich der unter Ziff. 5 genannte, welcher lautet: „Wenn der Arbeiter sich grobe Beleidigungen gegen den Arbeitgeber oder gegen seine Stellvertreter zuschulden kommen läßt." Es muß nun hervorgehoben werden, daß der Arbeiter das Recht hat, wegen tatsächlich vorhandener oder ver­ meintlicher Mßstände int Betriebe sich beschwerdeführend an die zuständige Auf­ sichtsbehörde zu wenden. In der Ausübung dieses Rechts liegt, selbst dann, wenn der Beschwerdeführer in der Darstellung der Mßstände übertreibt, noch keine Beleidigung. Es kann allerdings in der Form, in welcher eine Anzeige abgefaßt ist, oder auch darin, daß unwahre, für den Arbeitgeber beleidigende Tatsachen in der Anzeige behauptet werden, eine grobe Beleidigung gefunden werden. Bekimmte Behauptungen hat die Bell, in dieser Beziehung nicht aufgestellt, sondern ich auf den Standpunkt gestellt, daß die bloße Anzeige von angeblichen Mißiänden an die Gewerbeinspektion ohne vorherigen Versuch der Abstellung der Mßstände durch Anzeige an die Betriebsbeamten als gehässige Denunziation einen Entlassungsgrund darstellc. Diese Ansicht ist, wie oben gesagt, irrig. Der Bell, hat zwar beantragt, daß die Gewerbeinspektion den betr. Brief zu den Akten gebe, und es wäre ja möglich, daß dieser Brief einen beleidigenden Inhalt hätte, indessen sind derartige Beweiserbieten, welche erst den Zweck verfolgen, Tat­ umstände zu ermitteln, die der Beweispslichtige selbst nicht zu behaupten in der Lage ist, weil er sie nicht kennt und nicht kennen kann, unzulässig, wie das Reichs­ gericht dies oft ausgesprochen hat (vgl. Reichsger.-Entsch. Bd. 58 S. 398). Das Beweiserbieten ist auch aus dem Grunde unzulässig, well der Gewerbeinspektor

eine Bertrauensperson ist, die zu derartigen Mitteilungen nicht befugt ist. werbe- u. Kanfmannsgericht Jg. 13 Sp. 167.)

(Ge­

550. (287.) Kann der Arbeiter wegen Sachbeschädigung entlassen werde«, wenn ihm das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit fehlt? Urteil des GG. Berlin vom 17. Oktober 1895.

Der Entschädigungsilage des entlassenen Arbeiters ist stattgegeben. (Unger, Nr. 101.)

551. (288.) Kan» ein Arbeiter sofort entlassen werden, der seinen Mit­ arbeiter zn verleiten sucht, nicht eifrig und Intensiv zu arbeiten? Urteil des GG. Berlin vom 17. März 1897.

Die Entschädigungsklage des entlassenen Arbeiters ist abgewiesen. Nr. 102.)

(Unger,

552. Verstößt Verleitung des Mitarbeiters zum Schnapstrinken gegen die guten Sitten? Urteil des Kgl. GG. Solingen vom 31. Januar 1907. Der Kl. ist ohne Kündigung entlassen morden, weil er als Vorarbeiter einen seiner Mitarbeiter in der Fabrik zum Schnapstrinken verleitet hat.

Die Klage auf Lohnzahlung für die Kündigungszeit ist abgewiesen.

LusdenGründen: In dem vorliegenden Falle, bei dem es sich um einen Vorarbeiter handelt, und der deshalb schwerer zu bewerten ist, steht nach

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GO. § 123’,«.

der Beweisaufnahme folgendes fest: Der Mitarbeiter G., welcher bereits längere Zeit bei der bell. Firma tätig gewesen ist, war dieser als Trinker bekannt. Sie machte deshalb seinen Verbleib bei ihr vor Monaten davon abhängig, daß er sich des Trinkens in der Fabrik enthalte. G. hat das denn auch getan. Er hat nach seiner Bekundung monatelang fast keinen Schnaps mehr angerührt, und die bell. Firma war mit ihm zufrieden. Der Kl. trat nun im November v. Js. an G., der unter dem Kl. arbeitete, heran und fragte ihn, ob er keinen Schnaps habe. Als G. ihm erllärte, der Meister Sch. habe ihm das Trinken verboten, meinte der Kl. T.: Das sei nicht so schlimm, Sch. würde davon nichts gewahr. G. ließ sich verleiten, Schnaps zu holen, und von dieser Zeit an haben dann der Kl. und G. zusammen regelmäßig in der Fabrik getrunken. Der Kl. hat seinen Mitarbeiter zum Trinken verleitet, zu einer Handlung, die zweifelsohne gegen die guten Sitten verstößt, hier um so mehr, als Kl. wußte, daß G. als Trinker leicht geneigt war, in sein altes Übel zurückzufallen, wenn ihm wieder Gelegenheit dazu geboten wurde. Die bell. Firma war aus diesem Verhalten des Kl. gemäß § 123 Nr. 7 GO. zur Entlassung des Kl. ohne Aufkündigung berechtigt. (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 14 Sp. 289.)

553. (289.) Löst Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis ohne besondere Willenserklärung? Urteil des GG. Berlin, Kammer 4, vom 14. Juni 1901. Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der Lohnentschädigung vemrteilt. (Soziale Praxis.)

554. Ist die Entlassung wegen Arbeitsunfähigkeit nur bei dauernder Verhinderung zulässig? Urteil des GG. Mainz vom 25. Februar 1907. Al. wurde am 4. Februar 1907 krank und arbeitsunfähig; am folgenden Tage ent­ ließ ihn der Bell. Nachdem Kl. am 12. Februar wieder arbeitsfähig geworden war, stellte er sich am folgenden Tage zur Wiederaufnahme der Arbeit beim Bell, ein, dieser lehnte aber unter Berufung auf die ausgesprochene Entlassung die fernere Beschäftigung des Kl. ab. Dieser begehrte für die lätägige Kündigungsfrist Lohnentschädigung.

Die Klage ist abgewiesen. AusdenGründen: Zweifellos hatte der Bekl. das Recht, den infolge Erkrankung an der Fortsetzung der Arbeit unfähig gewordenen Kl. ohne Ein­ haltung der Kündigungsfrist zu entlassen. „Unfähig zur Fortsetzung der Arbeit" im Sinne der § 123 Ziffer 8 GO. ist, wer durch irgendeinen außerhalb seines Willens liegenden Umstand, insbesondere durch Krankheit, gehindert wird, die bereits begonnene Arbeit überhaupt fortzusetzen (Landmann, Anm. 11 zu § 123). Dauernde Unfähigkeit, wie Kl. meint, ist nicht erforderlich; es genügt auch eine voraussichllich vorübergehende Unfähigkeit (ebenda). Die Richtigkeit dieser Ansicht findet ihre Bestätigung durch die gelegentlich der Beratung der Novelle zur Gewerbeoronung im Jahre 1891 gepflogenen Verhandlungen; während nämlich in der Reichstagsverhandlung der Antrag gestellt wurde, vor „unfähig" im Gesetzestexte das Wort „dauernd" einzuschalten, dieser Antrag auch von der 8. Reichstagskommission in zweiter Lesung angenommen wurde, ist jenes Wort bei der darauffolgenden 2. Lesung im Plenum (Sitzung vom 8. 4. 1891) wieder gestrichen worden (Kommissionsbericht S. 1454, Stenogr. Bericht S. 2179). Wenn auch nicht jede verhältnismäßig unerhebliche Behinderung durch Krankheit EnÜassunMrund sein kann, so geht hiernach die Absicht des Gesetzgebers jedenfalls

GO. § 123«.

379

nicht dahin, bloß die dauernde Krankheit als Entlassungsgrund gelten zu lassen; hätte er ein anderes gewollt, so hätte dies in dem Gesetze zum Ausdruck kommen müssen. Das letztere über seinen strengen Wortlaut hinaus auszulegen, dazu liegen keine Anhaltspunkte vor. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Ig. 12 Sp. 281.)

555. Hat sich der Arbeiter zu entschuldigen, wenn er infolge Krankheit arbeitsunfähig wird? Berechtigt die Unterlassung der Entschuldigung zur sofortigen Entlassung? Urteil des GG. der Stadt Chemnitz vom 8. September 1908. Die Bell, hat die Kl. als Zwirnerin gegen Akkordlohn beschäftigt. Nach der Arbeitsordnung besteht achttägige, nur am Lohntage (Sonnabends) zulässige Kündigung. Am 17. August hat sie mit dem Werkmeister wegen der ihr zugeteilten Arbeit eine Differenz gehabt und deshalb am gleichen Tag die Arbeit bei der Bell, aufgegeben. Als sie am nächsten Tag den Lohn in Empfang nehmen wollte, hat ihr ein Mitinhaber der Bell, mitgeteilt, daß er mit der Lösung des Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden sei und daß sie ihre Kündigung einhalten solle. Die Kl. hat sich darauf bereit erklärt, die Arbeit am andern Morgen wieder aufzunehmen. Die Kl. behauptet weiter: sie habe sich am 18. August in ärztliche Behandlung begeben müssen. Der behandelnde Arzt habe ihr die Weiterarbeit untersagt. Nachdem sie bis 25. August erwerbsunfähig geblieben sei, habe sie am 26. August der Bell, ihre Dienste wieder angeboten. Diese habe aber die Annahme abgelehnt. Da die Kündigungsfrist erst am 29. August ablaufe, sei die Bell, verpflichtet, ihr den ihr auf die Zeit vom 26. August bis 29. August entgehenden Lohn in Höhe von 8 Mk. zu ersetzen. Die Bell, führt aus: Die Kl. sei am 19. August, trotz ihres Versprechens, die Arbeit am Morgen wieder auszunehmen, nicht wiedergekommen und habe auch bis zum 25. August nichts weiter von sich hören lassen. Infolgedessen habe sie angenommen, daß die Kl., entgegen ihrem ursprünglichen Versprechen, die Arbeit niedergelegt habe und den Posten anderweit besetzt. Die Kl. entgegnet hierauf: sie habe sich schon am Montag (17. August) unwohl gefühlt und sei aus Gmnd eines Krankenscheines, den sie sich im Bureau der Bell, geholt habe, zum Arzt gegangen. Dieser habe ihr ein Salz verschrieben. Daraufhin habe sie die Diarrhöe bekommen und zu Hause bleiben müssen. Da es am Dienstag schlimmer geworden fei, habe sie ihre Tochter zum Arzt geschickt und dieser habe alsdann angeordnet, daß sie liegen bleiben solle, und habe sie sür erwerbsunfähig erklärt. Sie sei nicht in der Lage gewesen, hiervon der Bell. Mitteilung zu machen; denn sie selbst könne nicht schreiben und zum Schicken habe sie niemand gehabt.

Die Klage ist abgewiesen.

AusdenGründen: Inwieweit etwa die Bell, auf Gmnd von § 123 Zisf. 8 GO. berechtigt gewesen sein sollte, die Kl. infolge ihrer Krankheit ohne Einhaltung von Kündigung zu entlassen, braucht hier nicht untersucht zu werden, da die Bell, die Kl. jedenfalls nicht während der Dauer der Krankheit, sondem erst nach Ablauf derselben entlassen hat. Trotzdem hat das Gericht der Kl. eine Entschädigung nicht zuzusprechen vermocht in der Erwägung, daß die Kl. jeden­ falls unbedingt verpflichtet war, von ihrer Erwerbsunfähigkeit der Bell. Mitteilung zu machen und ihr Ausbleiben damit zu rechtfertigen, und daß die Kl. weiter auch sehr wohl in der Lage war, bei einigem guten Willen dieser Ver­ pflichtung nachzukommen. Vermochte sie nicht selber zu schreiben oder jemand zu schicken, so konnte sie jedenfalls eine dritte Person bitten, eine Postkarte für 5 Pfg. an die Bell, zu schreiben. Dadurch, daß die Kl. diese Verpflichtung unter­ lassen hat, rechtfertigte sie, namentlich, nachdem sie bereits am 17. August zunächst erklärt hatte, die Arbeit niederlegen zu wollen, bei der Bell, die Annahme, daß sie tatsächlich ihrerseits das Arbeitsverhältnis gelöst habe. Danach war denn auch die Bell, berechtigt, über den Posten anderweit zu verfügen und die fernere An­ nahme der Dienste der Kl. vom 26. August ab abzulehnen.

380

GO. §§ 123», 124.

556. (290.) Kann der Arbeiter, der wegen Krankheit von der Arbeit fortgevlieben ist, entlassen werden, wenn er sich zur Fortsetzung der Arbeit meldet? Urteil des GG. Plauen i. B.

Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der Lohnentschädigung verurteilt. Werbegericht Jg. 1 Sp. 15.)

ch ein Verhalten, das in der Fabrikordnnng nicht ausdrücklich als Gnmd zur sofortigen Entlafsung bezeichnet ist, als wichtiger Grund im Sinne des § 124» GO. angesehen werden? Urteil des GG. Karlsruhe.

Das GG. nimmt an, daß ein wichtiger Gmnd zur Entlassung vorliegt. (Gewrrbegericht Jg. 6 Sp. 119.)

384

GO. § 124 a.

570. Ist es ein wichtiger Grund zur Entlassung, wenn der erkrankte Arbeiter den Tanzboden besucht? Urteil des Kgl. Landgerichts zu Chemnitz, 2. Ferienzivilkaminer, vom 14. August 1908. Kl. war in der Musikkapelle des Bell. Fagottist. Es war monatliche Kündigung vereinbart. Im Krankheitsfälle sollte das Gehalt für 13 Wochen fortgezahlt werden. Kl. hat am 26. Januar 1908 seine Tätigkeit wegen Erkrankung eingestellt. Am 24.Febmar ist er entlassen worden, weil er am 16. Februar einen Tanzboden besucht und dort getarnten und geraucht habe. Seine Klage auf Gehaltszahlung für die Zeit vom 16. Februar ab hat das GG. Chemnitz abgewiesen.

Auf die Bemfung des Kl. ist das Gehalt bis zum 24. Februar zugesprochen, im übrigen ist die Bemfung zurückgewiesen.

Aus den Gründen: Die Bell, wenden ein, das Verhalten des Kl. am 16. Februar 1908 berechtige sie, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu verlangen. Diese Einwendung ist nach § 124a GO. begründet. Der Kl. beruft sich selbst darauf, daß ihm am 16. Februar nach ausdrüchicher Anordnung des Arztes noch verboten gewesen sei, Dienst zu tun. Nach feinen eigenen Angaben hatte er noch bis kurz vorher das Bett hüten müssen und erst am 14. Februar — also wenige Tage zuvor — vom Arzte die Erlaubnis erhalten, bei guter Witterung auszugehen. Diese ihm erteilte Erlaubnis hat er über­ schritten, wenn er bereits am 16. Februar bei rauher Jahreszeit von Mittag bis Abend 9 Uhr — wie er selbst zugibt — in M. außerhalb seines Wohnortes zu­ brachte und dort in einem Tanzlokale tanzte und Bier trans. Es bedarf keiner Beweiserhebung darüber, in welchem Maße er dies getan hat. In dem schonungsbedürsttgen Zustande, in dem er sich nach der eben erst überstandenen, immerhin schweren und langwierigen Krankheit befand, konnte es für ihn in jedem Falle die bedenklichsten Folgen haben, daß er sich auf so lange Zeit bei erfahrungsgemäß unsicheren Wittenmgsverhältnissen von seiner Wohnung und seinem Wohnorte entfernte, daß er sich beim Tanzen erhitzte, dabei kalte Gettänke genoß und schließ­ lich sich der kalten Abendluft aussetzte; insbesondere konnte ihm auch bei der Art seines Leidens — einer Erkrankung der Luftröhre — das Einatmen von Rauch, wie es in einem Tanzlokale nicht zu vermeiden ist, schädlich werden. Das alles und die ihm hieraus möglicherweise erwachsenden Gefahren hätte der Kl. erwägen und umgehen müssen. Durch sein ganzes Verhalten hat er den Anordnungen seines Arztes, wonach ihm das Ausgehen nur bei guter Witterung, bei der da­ maligen Jahreszeit also nur in den Mittagsstunden gestattet war, offensichtlich zuwider gehandelt. Darauf hat er zugleich auch die von ihm mit dem Anstellungsvertraae übernommenen Pflichten gröblich verletzt. War es ihm während seiner Krankheit nicht möglich, den Bell, die von ihm übernommenen Dienste als Musiker zu leisten, so hatte er in dieser Zeit die Verpflichtung, im Interesse der Bell, alles zu tun, was seine baldige Wiederberstellung fördern und ihn zur unverzögerten Wiederaufnahme der Arbeit instand setzen konnte. Daß er seines Vergnügens halber die schuldige Rücksicht auf die Bell, völlig aus den Augen gelassen hat, m um so schärfer zu verurteilen, als er bereits über 3 Wochen zu Lasten der Kapelle Gage bezogen hatte, ohne seinerseits die ihm obliegenden Dienste erbringen zu können. Diese grobe Pflichtverletzung des Kl. mußte das Vertrauen der Bell, in seine Zuverlässigkeit und Pflichttreue derart erschüttem, daß es ihnen nicht zugemutet werden konnte, das Berttagsverhältnis mit ihm fortzusetzen. Sie waren infolge dieses — im Sinne des § 124a GO. — wichtigen Grundes befugt, den Ki. ohne Einhaltung der Kündigungsfrist zu entlassen.

GO. §§ 124 a, 124 b.

385

Hiernach sind die Ansprüche des Kl., soweit sie aus die Zeit nach dem 24. Febr. erstreckt werden, unbegründet. Das Vertragsverhältnis der Parteien ist an diesem Tage durch die Entlassung des Kl. aufgehoben worden. Dagegen steht den Bell, kein gesetzliches Recht zur Seite, die auf die Zeit vorher beanspruchte Vergütung des Kl. zu verweigern. Die im erstinstanzlichen Urteile ausgesprochene Ansicht, die am 24. Februar abgegebene Entlassungserklärung löse das Bertragsverhältnis der Parteien bereits rückwirkend vom 16. Februar ab, findet im Gesetz keine Begründung. Ebensowenig wären die Bell, von ihrer Verpflichtung aus dem Vertrage dann befreit, wenn durch die Fahrt des Kl. nach M. ein Rückfall oder eine Verschlimmerung der Krankheit eingetreten wäre. Denn nach dem Anstellungsvertrage könnten sie sich hierauf höchstens berufen, wenn dieser Erfolg seines Verhaltens vorsätzlich gewollt gewesen wäre. Für diese Annahme liegt kein Anhalt vor. Ist aber die etwaige Verschlimmerung seiner Krankheit nur auf Fahrlässigkeit — den Leichtsinn — des Kl. zurückzuführen, so bleiben die Bell, nach § 7 des Anstellungsvertrages zur Gewährung der Gage verpflichtet. Denn danach haben sie diese auch im Falle verschuldeter Krankheit, lediglich mit Aus­ nahme der Geschlechtskrankheiten, zu entrichten. Schließlich können sich die Bell,

auch nicht darauf stützen, daß der Kl. in der Zeit vom 16.—24. Februar der Ver­ pflichtung zur Dienstleistung aus dem Vertrage nicht nachgekommen sei: sie haben nicht bestritten, daß er unmittelbar nach dem 16. Febmar wieder krank gewesen und nur behauptet, am 16. Februar selbst sei er in beschränktem Maße, nämlich zum Spielen der Baßgeige oder Trommel, dienstfähig gewesen. Das hält aber das Gericht bei der Art und Dauer der Krankheit und da die Bell, selbst behaupten, der Kl. sei am 16. Febmar noch so schonungsbedürftig gewesen, daß die Fahrt nach M. seinen Zustand verschlimmert habe, für widerlegt. Auch bei dem Spielen dieser Jnstmmente wäre der Kl. bei der Anstrengung, der unreinen Luft und dem Tem­ peraturwechsel, dem er sich dabei notwendig hätte aussetzen müssen, der Gefahr der Berschlimmemng seines eben noch nicht völlig behobenen Leidens ausgesetzt gewesen. Es konnte ihm daher am 16. Febmar noch nicht zugemutet werden, die Arbeit wieder anfzunehmen. An den folgenden Tagen bis zum 24. Febmar war er dann aber, wenn auch annehmbar durch eigene Fahrlässigkeit, in der Tat wieder krank und arbeitsunfähig.*)

571. (301.) Ist der Pauschalschadenanspruch des § 124h GO. durch das BGB. aufgehoben? a) Urteil des GG. Kiel vom 28. August 1901.

Die Frage ist verneint.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 93.)

b) Urteil des GG. Breslau vom 7.November 1901.

Das GG. hat die aus § 124b GO. gestützte Schadenllage abgewiesen. Siegel im Gewerbegericht Jg. 1900 in der Beilage zu Nr. i S. 7.)

(Vgl.

572. (302.) Wird der Anspruch auf die Pauschalentschädigung durch den Nachweis beseitigt, daß ein Schaden nicht entstanden ist? Entscheidung des Landgerichts II Berlin vom 6.Juli 1901. Die Frage ist bejaht.

*) Vgt. auch Nr. 718. Raum, Gewerbegerlchte.

(Gewerbearchiv Bd. 1 S. 547.)

386

öS. § 124 b.

578. (303.) Kann vertraglich eine höhere Konventionalstrafe für Ver­ tragsbruch ausbedungen werden alS ein Wochenlohn? Urteil des Reichsgerichts, 2. Zivilsenat, vom 25. Februar 1896.

Das Reichsgericht hat die Frage bejaht. (Jur. Wochenschr. Jg. 1896 S. 192, Nr. 26.)

574. (304.) Wird die Klage auf Butze aus § 124b durch Abweisung der SchadenNage ausgeschlossen? Urteil des GG. Stettin vom 7. September 1897.

Die Frage ist vemeint.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sv. 31.)

575. (305.) Beseitigt die den Arbeitern durch § 152 GO. gewährte Koa­ litionsfreiheit den wegen Vertragsbruchs vom Arbeitgeber aus § 124b hergeleiteten Entschädigungsanspruch? Urteil des GG. Berlin vom 5. November 1896.

Die Frage ist vemeint.

(Unger, Nr. 119.) *)

576. Hasten die Arbeiter, die in einen Sympathiestreik treten, ihrem Arbeitgeber für den Schaden als Gesamtschuldner? Urteil des GG. Stuttgart vom 23. Juni 1906. Die BeN. haben vom Kl. (Inhaber einer lithographischen Anstalt in Stuttgart) am 28. April ordnungsgemäß auf 12. Mai 1906 gekündigt bekommen. Am 7. Mai sind sie nicht mehr zur Arbeit erschienen. Sie sind in den Ausstand getreten, um ausständige Kol­ legen in deren Kamps um die Lohn- und Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Der ftl. hat beantragt, die Bekl. sollen als Gesamtschuldner zum Ersatz des ihm durch ihre gemein­ schaftliche rechtswidrige Arbeitsniederlegung entstandenen Schadens verurteilt werden. Die Bekl. haben nicht bestritten, daß jeder von ihnen für den Schaden haste, den der Kl. durch seinen Austritt erlitten habe, sie haben aber ihre Gesamthastung in Abrede gezogen.

Das Gericht hat ihnen im letzteren Punkt recht gegeben. AusdenGründen: Die Frage, ob die Bekl. für den ganzen Schaden des Kl. als Gesamtschuldner haften, hat das Gericht vemeint. Der § 152 der GO. stellt es den gewerblichen Arbeitgebern und Arbeitem frei, zum Behufe der Er­ langung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen Verabredungen zu treffen und sich zu Vereinigungen zusammenzuschließen. Er gestattet ferner die Benutzung aller Mittel, durch deren Anwendung die in einem wirtschaftlichen Kampf Stehenden jenen Zweck zu erreichen hoffen; zu diesen Mitteln gehören insbesondere Arbeitsniederlegung und Ausspermng. Abgesehen davon, daß diejenigen Mittet verpönt sind, die auch ohne Zusammenhang mit dem durch die Bereinigung ver­ folgten Zweck und schon in der Gestalt der Handlung als solcher verboten und mit Strafe bedroht sind, ist weiter nach § 826 des BGB. die Anwendung solcher Mittel unstatthaft, welche die völlige Vemichtung der wirtschaftlichen Lage des Gegners bezweaen. Erlaubt aber sind die Mittel, die nur zur vorübergehenden Schwächung der Position des Gegners zu dienen bestimmt sind, der durch das betreffende Mittel genötigt werden soll, auf die ihm angesonnene Gestaltung des Arbeitsverhältnisses einzugehen. Eine einfache Arbeitsniederlegung, um die es sich hier handelt, gehört zu den nach § 152 erlaubten Mitteln; die Anwendung dieses Mittels ist *) Ebenso GG. Berlin v. 16. Dezember 1904 („Reichsarbeitsbl. Jg. 3 S. 443).

387

GO. § 124 b.

keine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff. des BGB-, sie verstößt ins­ besondere nicht gegen den § 826 des BGB-, da die Verabredung, in den Ausstand zu treten, kein Unrecht ist, auch kein Zivilunrecht. (Gewerbe- und Kaufmannsger. Jg 11 Sp. 355.)

577. (306.) Gilt die Aufforderung: „auszusetzen", wenn hierbei das Krankenkafsenbuch usw. ausgehändigt wirb, als Entlassung? Urteil des GG. Berlin, Kammer 3.

Der Einwand des Bell., Kl. sei gar nicht entlassen, wurde zurückgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 79.)

578. (307.) Ist die Abmeldung des Arbeiters bei der Krankenkaffe fettens des Arbeitgebers als Einwilligung in die Löfnng deS ArbeitSverhältniffeS anzusehen? ... Urteil des GG. Dresden.

Das GG. erachtet das Arbeitsverhältnis nicht als aufgelöst. (Gewerbegericht Jg. 2 Sp. 123.)

579. (308.) Steht die Erklürung, der Geselle möge noch 14 Tage im Geschäft bleiben, aber zu arbeiten bekomme er nicht mehr, der Ent­ lassung gleich? Urteil des L andgerichts II Berlin vom 16.Febmar 1901.

Amtsgericht und Landgericht sehen die Erllärung als Entlassung an. werbegericht 3$. 6 Sp. 185)*).

(Ge­

589. (309.) Legt in einer Kündigung mit dem Hinzufügen: „Sie können aber auch gleich gehen!" «ine sofortige Entlaffung? Urteil des GG. Offenbach vom 11.Januar 1901.

Das GG. nimmt an, daß das Arbeitsverhältnis in beiderseitigeni Einver­ ständnis gelöst ist. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 12.)

581. (310.) Ist „rechtswidriges Verlassen" der Arbeit schon vor dem Beginn der Arbeit möglich? Urteil des Landgerichts Kiel.

Das Landgericht hat die Frage bejaht.

(Gewerbegericht Jg.6 Sp. 221.)

582. (311.) Kann der Pauschalschadenanfprnch auch bei bloßer Unter­ brechung der Arbeit gellend gemacht werden? a) Urteil des Kgl. LandgerichtsHalle a. S., 1. Zivilkammer.

Der Pauschalschadenanspruch ist nicht zugebilligt. Sp.45)»).

(Gewerbegericht Jg.3

*) Ebenso GG. Chemnitz v. 28. April 1908 (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 103). ’) Ebenso GG. Weimar v. 14. August 1901 (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 173).

25*

388

§ 124 b. b) Urteil des GG. Weimar vom 14.August 1901.

Der Bekl. ist zur Zahlung des Pauschalersatzes verurteilt. gericht Jg. 7 Sp. 173.)

«Gewcrbc-

583. (312.) Ist der Gastwirt zur Entschädigung aus § 124 GL. verpflichtet, wenn er dem Kellner seine Haupttätigkeit und damit die Trinkgelder entzieht? Urteil des GG. Bremen.

Der Bell, ist zur Zahlung der Entschädigung verurteilt. Jg. 6 Sp. 10.)

(Gewerbcgcriebt

584. (313.) Ist der Arbeitgeber zur Entschädigung des Arbeiters ver­ pflichtet, der wegen Beleidigung die Arbeit verlassen hat? a) Urteil des GG. Weimar vom 7. Febmar 1901.

Das GG. hat den Arbeitgeber zur Entschädigung verurteilt *). b) Urteil des GG. Stuttgart vom 2.Februar 1900.

Der Arbeitgeber ist zur Entschädigung venirteilt. Sp. 155.)

lGewerbeaerickr Jg. 5

585. Kann der Prinzipal gegenüber der Schadenersatzklage des Gehilfen, der wegen Mißhandlung die Stelle verlassen hat, geltend machen, daß er zur sofortigen Entlassung berechtigt war? Urteil des GG. Darmstadt vom 31.Juli 1905. Das GG. hat die Frage bejaht. Aus den Gründen: Tätlichkeiten sind ein absoluter Austrittsgrund nach § 124 Ziff. 2 GO., es kommt nicht darauf an wie bei wörtlichen Beleidigungen, ob sie grober oder leichter Natur waren. Wenn deshalb auch Bekl. durch die Ver­ fehlungen des Kl. und durch dessen Benehmen, das auch in der Gerichtsverhandlung ein herausforderndes war, mit Recht gereizt gewesen sein mag, so bleibt Kl. doch berechtigt, seinen Auskitt zu nehmen, und Bekl. verpflichtet, gemäß § 628 BGB. Schadenersatz zu leisten. Diese Schadenersatzpflicht wird auch nicht beendigt durch das Angebot, wieder einzutreten; sonst wäre das Recht zum Austritt ein illusorisches (Baum, Handbuch S. 285, jetzt N. 584). Der Einwand des Bell., daß er seinerseits zur Entlassung berechtigt gewesen sei, war dagegen eingehender zu prüfen. Nach den Prowkollen zum BGB. S. 2202 war man darüber einverstanden, daß auf ein etwaiges Kündigungsrecht des zum Schadenersatz Verpflichteten Rücksicht ge­ nommen werden müsse, „und daß er so zu behandeln sei, als wenn er seinerseits gekündigt habe, sobald dies nach der Kündigung des andern Teils statthaft ge­ wesen wäre". Dies gilt vor allem für die gesetzliche oder vertragliche Kündigungs­ frist, und pflegen auf diese die Entschädigungsansprüche abgestellt zu werden. Es wird aber auch auf ein Kündigungsrecht ohne Frist Geltung haben müssen, die zitterte Stelle des Protokolls gebraucht das Wort „Wndigung" auch in diesem Sinne; bei anderer Auslegung käme man zu durchaus unbilligen Resultaten. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 11 Sp. 8.) *) Vgl. Nr. 140. Ebenso GG. Charlottenburg v. 15. August 1907 („Gewerbe u. Kausmannsger." Jg. 13 Sp. 36).

389

GL. § 124 b.

586. (314.) Kann daS Verhalten nach der Entlassung gegenüber der Entschädigungsklage tn Betracht gezogen werden?

a) Urteil des GG. Berlin vom 14. Januar 1897. Die Frage ist bejaht.

(Unger, Nr. 99)*).

b) Urteil des GG. Offenbach vom 2. November 1900. Das GG. bat die Frage verneint.

(Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 198.)

c) Urteil des Landgerichts Posen vom 6. Oktober 1899.

Das Landgericht hat die Frage bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 49.)

d) Urteil des Reichsgerichts, 1. Zivilsenat, vom 4. November 1896. Das Reichsgericht hat die Frage bejaht. (Jur. Wochenschr. Jg. 1896 S. 707 Abs. 50.)

e) Urteil des Landgerichts I Berlin, Zivilkammer 8, vom 9. März 1897. Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 80.)

587. Ist bei Berechnung der Kontraktbruchsentschädigung konkurrierendes Verschulden des Arbeitgebers mit zu berücksichtigen? Urteil des GG. M a n n h e i m vom 13. Februar 1906. Im Sommer 1905 war es zwischen der Kl. und einem Teil ihrer Arbeiter zu Diffe­ renzen gekommen, welche zum Streik geführt hatten. Der Ausstand wurde damals bei­ gelegt durch eine Vereinbarung der Kl. mit der von den Streikenden gewählten Kom­ mission vom 13. Juli 1905; diese Vereinbarung bestimmte u. a., daß die Kl. sich verpflichtete, einen Nachtwächter nur noch in bestimmter Weise zu beschäftigen, sowie ferner, daß Maß­ regelungen aus Anlaß des Streiks nicht stattfinden sollten. Im Januar d. I. kündigte die Kl. den Arbeitern St., B. und U., sowie am 1. Februar 1906 den Arbeitern B. und H. Die Gesamtarbeitcrschast erblickte in dieser Kündigung eine Maßregelung der Genannten und trat, nachdem der Arbeiterausschuß am Sonnabend, 3. Februar 1906, abends ohne Erfolg um eine Unterredung mit der Direktion der Kl. gebeten hatte, am Montag, 5. Februar, in den Ausstand, ohne die in der Arbeitsordnung vorgesehene einwöchige Kündigungsfrist einzuhalten. Die Kl. verlangt wegen dieses rechtswidrigen Austritts ihrer Arbeiter Ersatz für den ihr dadurch entstandenen Schaden und hat gegen 95 Arbeiter die Klage erhoben auf Zahlung des Schadens für 1 Tag des Vertragsbruches in Höhe von 3000 Mk. unter sanuverbindlicher Haftbarkeit und unter Vorbehalt der Geltendmachung weiterer Schadenersatz­ ansprüche. Im Verhandlungstermine hat die Kl. ihren Anspruch in der Weise ermäßigt daß sie von jebem der bekl. Arbeiter die gesetzliche Schaden-Pauschalsumme des § 124 b der GO. verlangt; gegen einen Teil der Bekl. hat sie die Klage zurückgezogen oder beruhen lassen. Die Bekl. haben die Abweisung der Klage verlangt mit der Begründung, sie seien an die Arbeitsordnung nicht mehr gebunden gewesen, weil die Kl. ihrerseits kontraktbrüchig geworden sei, indem sie sich an die in der Vereinbamng vom 13. Juli 1905 übernommenen Verpflichtungen nicht gehalten, vielmehr den Nachtwächter Sp. in der früheren Weise weiterbeschästigt und die obengenannten 5 Arbeiter gemaßregelt habe.

Das GG. hat der Kl. die Hälfte des geltend gemachten Schadenanspruchs zugesprochen, im übrigen aber die Klage abgewiesen. AusdenGründen: Es braucht weder untersucht zu werden, ob die • *) Ebenso GG. Posen („Gewerbegericht" Jg. 5 Sp. 49) und LG. Berlin („Gewerbe­ gericht" Jg. 3 Sp. 80).

390

GO. § 124 b.

Kl. tatsächlich die Vereinbarungen vom 13. Juli v. Js. nicht eingehalten hat, noch bedarf es einer Erörterung der Frage, ob auf diesen behaupteten „Äontraktbmch" der Kl. der gegenwärtige Streik zuriickzuführen ist. Denn, auch wenn beides zugunsten der bell. Arbeiter festgestellt würde, hätte sich daraus für die­ selben trotzdem nicht das Recht ergeben, ohne Einhaltung der arbeitsordnungs­ mäßigen Kündigungsfrist die Arbeit niederzulegen. Zunächst ist es nämlich äußerst fraglich, ob Vereinbarungen der hier fraglichen Art überhaupt für die Kontra­ henten einen Rechtsanspruch — nicht bloß eine moralische Verpflichtung — erzeugen, well man, wenn ein Rechtsanspruch angenommen wird, zu recht eigen­ artigen Konsequenzen gelangen kann, wie hier nicht näher ausgeführt zu werden braucht. Sodann aber gibt bei einem gegenseitigen Vertrage — wenn man wirk­ lich einen solchen, also einen Rechtsanspruch der Arbeiterschaft gegen die Kl. aus der fraglichen Vereinbamng, annehmen will — der Vertragsbruch des einen Teiles dem anderen Teile nicht ohne weiteres das Recht, ebenfalls vom Vertrage abzu­ weichen, sondern regelmäßig nur das Recht, von dem Vertragsbrüchigen Gegner die Erfüllung des Vertrages zu verlangen. Die Bell, hätten also — einen Rechtsanspruch aus der Vereinbamng vom Juli v. Js. vorausgesetzt — auf die Er­ füllungen dieser Bereinbamngen Nagen müssen; wollten sie das nicht, so hätten sie, um ihrerseits von ihren Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrage frei zu werden, nach § 326 Abs. 1 BGB. Vorgehen müssen. Das ist nicht geschehen. § 626 BGB. kommt nicht in Betracht, da er durch § 123 GO. für gewerbliche Arbeiter ausgeschlossen ist. (Vgl. auch § 124a GO.) War hiernach der Austritt der Bell, ohne Einhaltung der ordnungsmäßigen Kündigungsfrist ein rechtswidriger, so ist es auch nicht zu beanstanden, daß die Kl. — um den Beweis für die Höhe des geltend gemachten Schadens nicht antreten zu müssen — ihre Klage auf § 124b der GO. gestützt hat. Das GG. Mannheim ist in ständiger Praxis der Rechtsauffaffung, daß § 124b der GO. durch das BGB. nicht beseitigt ist. Auch aus § 134 Abs. 2 Satz 2 der GO. entnimmt das Gericht kein Bedenken gegen die Anwendung des § 124b der GO. im vorliegenden Falle. Übrigens würde das letztere Bedenken nur formeller Natur sein, da nichts im Wege stand, daß die Kl. ihren Anspmch auf die aus § 124b der GO. sich ergebenden Beträge ermäßigte, und ein Schaden der Kl. in d i e s e r Höhe auch ohne Beweisantretung, ohne weiteres, angenommen werden darf.

Nach vorstehendem ist der Anspmch der Kl. dem Gmnde nach gerechllertigt. Was dagegen den Betrag des verlangten Schadens angeht, so ist im Hinblick auf § 254 BGB. zu berücksichtigen, daß die Kl. nicht ohne Schuld am Ausbmch des gegenwärtigen StreW ist. Die Gämng unter ihren Arbeitem konnte ihr nicht unbekannt sein; es war daher von ihrer Direktion sehr unvorsichtig, daß sie am 3. Februar 1906 den um Gehör bittenden Arbeiterausschuß gar nicht vorließ, sondern kurzer Hand auf nächsten Montag verweisen ließ. Vor allem aber hat die Kl. es unterlassen, von der in § 4 der Vereinbamng vom 13. IM v. Js. vor­ behaltenen Befugnis Gebrauch zu machen, nämlich über die behaupteten Berletzungen dieser Vereinbamng den Schiedsspruch des GG.-Borsitzenden anzumsen; durch diese Anmfung wäre es ihr mit Sicherheit möglich gewesen, den Srreik entweder ganz zu vermeiden oder doch auf wenige Tage zu beschränken und dadurch ihren Vermögensschaden aus dem Streik abzuwenden oder zu mindem. (Abs. 2 des § 254 BGB.) Unter Berücksichtigung dieses Umstandes kann das Gericht der Kl. mehr als die Hälfte des beanspmchten Schadens (nur um den beanspruchten Schaden handelt es sich für das Gericht) nicht zusprechen. Die Bell, unter samtverbindlicher Haftbarkeit zu vemrtellen, geht nicht an, da es sich nur um Vertragsverletzung handelt, der Anspmch dagegen nicht auch auf unerlaubte Handlung gegründet werden kann, weil keiner der §§ 823—826 BGB. zutrifst. (Gewerbe- u- Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 35.)

391

GO. §§ 125, 127.

888. (315.) Erwirbt der bisherige Arbeitgeber schon durch die bloße ««beglaubigte Mitteilung an den neuen Arbeitgeber, daß der Arbeit­ nehmer kontraktbrüchig sei, den Schadenanspruch aus § 125 GO.? Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 11.Mai 1898.

Die Frage ist vemeint.

(Gewerbegericht Jg. 3 Sp. 138.)

589. (316.) Begriff des Lehrherrn. Kann ein Portefcuillearbeiter einen Lehrling, den er mitgebracht hat, beim Ausscheiden wieder mitnehmen? Urteil des GG. Offenbach a. M. vom 28. Febniar 1902.

Die Klage des Lehrlings gegen den Fabrikbesitzer auf Herausgabe des Arbeits­ buchs ist abgewiesen.

590. (317.) Ist die Lehrlingseigenschast auf ein bestimmtes Lebensalter beschräntt? Entscheidung des Reichsgerichts in Strafsachen vom 7. Juni 1901. Das Reichsgericht hat die Frage verneint. S. 354.)

(Goltammers Archiv Bd. 48,

591. Lehrvertrag zwischen Bater und Sohn. Ist zum Abschluß Bestellung eines Pflegers erforderlich? Urteil des GG. Stettin vom 12. Juni 1906. Kl. ist von seinem Bater auf 3 Jahre als Lehrling angenommen, 14 Tage vor Ablauf der Lehrzeit aber angeblich wegen Mißhandlung und Vernachlässigung in der Ansbildung ausgeschieden. Er klagt gegen ihn aus Herausgabe der Arbeitspapiere, Ausstellung eines Zeugnisses und Lieferung eines Gesellenanzuges.

Der Bell, ist verurteilt. Aus den Gründen: Der schriftlich geschlossene Lehrvertrag erscheint dem Gericht auch für den Fall rechtsgültig, daß der Kl. bei Abschluß desselben nicht durch einen Pfleger vertreten gewesen sein sollte. Es würde daraus aber auch nicht ankommen, da unbestritten ein Lehrverhältnis bestanden hat und Ent­ schädigungsansprüche nicht in Frage stehen. Das Gericht ist weiter zu der Über­ zeugung gekommen, daß das Verlassen der Lehre durch den Kl. nach § 127b Ziff. 2 der GO- gerechtfertigt war. Wenn es richtig sein sollte, daß der Kl., wie Bell, behauptet, nach 2 Jahren und 11'/- Monaten der Lehrzeit von ihm noch nicht genügend ausgebildet gewesen sein sollte, so läge eine Vernachlässigung in der Ausbildung schon lange vor, und Kl. hätte schon lange die Lehre verlassen können. Eine Vernachlässigung in der Ausbildung ist aber auch in der letzten Zeit vorge­ kommen. Wie oer Zeuge X. bekundet hat, war in der letzten Zeit ein Geselle nicht vorhanden. Die Werkstatt war um 8 Uhr morgens oft noch geschlossen. Nun wäre es an sich, wie der Zeuge $. auch andeutet, wohl möglich, daß oer Bell, sich dann schon in Geschäftsangelegenheiten auswärts befunden hätte. Es erscheint jedoch die vom Kl. mit größter Bestimmtheit aufgestellte Behauptung glaubhaft, daß der Bell, oft bis in den Vormittag hinein geschlafen habe, daß die Werkstatt aus

diesem Grunde also geschloffen gewesen ist. Daraus geht aber schon allein hervor, daß Bell, die Ausbildung des Kl. gröblich vemachlässigt hat. Hat aber der Kl. mit Grund die Lehre verlassen, so ist Bell, nach § 127 c der GO. verpflichtet, chm über die Dauer der Lehrzeit und die während derselben erworbenen Kenntnisse

392

W£. § 127.

und Fertigkeiten sowie über sein Betragen ein Zeugnis auszustellcn (vgl. von Schicker GO. Note 2 zu § 127 c), die übrigen Papiere sind inzwischen freiwillig ausgehändigt. Eine Aufhebung des Lehrvertrages vor dem 1. April 1906 hat seitens des Bell, rechtlich nicht stattgefunden. Bell, ist vom Vertrage nicht wegen des Fortbleibens des Kl. zurückgetretcn (§ 326 BGB ). Am 1. April 1906, als dem vertraglich festgesetzten Datunr, endete dagegen spätestens das Lehrverhältnis. Ein zeitweiliges Fortbleiben wegen Krankheit oder aus anderen Mässigen Gründen berechtigt den Lehrherrn nicht, eine Verlängerung des Lehrverhältnisses zu fordern (vgl. Entscheidung des GG. Berlin vom 24. November 1904. Reichsarbeitsbl. 1906 S. 4751). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 81.)

592. (318.) Ist der Lehrmeister verpflichtet, bei Abschluß des Lehr­ vertrages zu erwähnen, daß bei ihm einzelne Zweige des zu er­ lernenden Handwerks nicht betrieben werden? Urteil des GG. S t u t 1 g a r t.

Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegerickt Jg. 3 Sp. 140.)

593. (319.) „Ausdrücklich bestimmter Vertreter des Meisters." Genügt Überweisung an einen Gesellen für alle vorkommenden Arbeiten? Urteil des Reichsgerichts, 6. Zivilsenat, vom 12. Juli 1894.

Das Reichsgericht hat die Frage verneint. (Jur. Wochenschr. Jg. 1894 S. 461.)

594. Unter welchen Umständen hastet der Lehrherr für Mängel der Ausbildung? Urteil des O b e r l a n d e s g e r i ch t s C e l l e , II. Zivilsenat, vom 14. Nov. 1907.

Das OLG. erachtet die Klage für unbegründet. AusdenGründen: Die Kl., deren Sohn bei bent Bell, in der Lehre war, nimmt den letzteren nach Beendigung der Lehrzeit in Anspruch wegen Mängel, die in der Ausbildung ihres Sohnes hervorgetreten waren. Mein der Lehr­ vertrag ist nicht den Regeln des Werkvertrages zu unterstellen, denn der Lehrherr hat nicht dafür aufzukommen, daß der Lehrling am Schluffe der Lehrzeit voll­ ständig ausgebildet ist. Dazu, daß dies Ergebnis eintritt, ist in erster Linie er­ forderlich, daß auch der Lehrling seine Schuldigkeit tut und es nicht an Fleiß fehlen läßt. Bei dem Lehrvertrage, der insofern analog dem Dienstverträge zu behandeln ist, hat der Lehrherr dem Lehrling nur die erforderliche Anleitung und Unter­ weisung zuteil werden zu lassen, also nur eine gewisse Tätigkeit zu entfalten. Es kann deshalb auch nicht schon ohne weiteres daraus, daß der Sohn am Schluffe der Ausbildung nur Mangelhaftes geleistet hat, darauf geschlossen werden, daß dies seinen Grund darin habe, daß der Bell, es an der erforderlichen Anleitung habe fehlen lassen. (Rechtspr. d. OLG. Bd. XVII 9ti'. 18 u.)

595. (320.) Hastet der Meister, der de» Lehrling zu vertragswidriger Arbett verwendet, für den letzterem hierbei entstandenen Schaden? Entscheidung des Bayerischen ober st en Landesgerichts, 2. Zivilsenat, vom 2. Januar 1901. Der Schadenanspruch ist für begründet angesehen. S. 344 Nr. 1.)

(Gewerbearchiv Bd. 1

GO. § 127 a.

393

596. (321.) Pflicht den Lehrling zum Besuch der Fortbildungsschule anzuhalten. Mutz der Meister sich persönlich davon überzeugen, datz der Lehrling rechtzeitig aussteht? Darf er ohne Nachprüfung die An­ gabe des Lehrlings glauben, datz dieser nicht mehr fortbildungs­ schulpflichtig fei? Urteil der Strafkammer b. d. Amtsgericht K r o t o s ch i n vom 15. Januar 1903. Der Angeklagte, Bäckermeister, war bestraft, weit er seinen Lehrling nickt 311111 Besuch der Fortbildungsschule angehallen halte.

Die Berusung ist verworfen.

597. (322.) Pflicht des Lehrherrn, den Lehrling znm Besuch der Fort­ bildungsschule anzuhalten. Darf der Lehrherr den Lehrling wegen eiliger Arbeiten zurütlhalten? Urteil des M e ck l e n b u r g i s ch e n O b e rl a u d esg e r i ch ts vom 22. Februar 1901. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das freisprecheude Urteil ist zruückgewiesen. (Mecklenb. Ztschr. f. Rechtspfl. Pd. 19 S. 246.)

598. (323.) Mutz der Lehrherr den Bater des Lehrlings benachrichtigen, wenn sich dessen Betragen verschlechtert? Verliert der Lehrherr andernfalls seine Schadenansprüche? Erkenntnis des O b e r l a n d e s g e r i ch t s W o l f e n b ü t t c l (1. Senat), vom 10. Febmar 1872.

Die Schadensklage des Lehrberru ist abgewicsen. Herzogtum Braunschweig Jg. 21 S. 74, 75.)'

(Ztschr. s. RechtSpsl. int

599. Züchtigung des Lehrlings gegen Ende der Lehrzeit. Wann ist das Recht der väterlichen Zucht gemitzbraucht? Urteil des GG. zu R o ß l a u vom 2. November 1903 (bestätigt durch Urteil des Landgerichts Dessau vom 10.Febmar 1904). Ul. Hai die Auslösung des Lehrvertrags gesordert, weil Bekl. das Recht der väterlichen Zucht gemißbraucht habe, indem er seinem Sohne, der bei dem Bekl. die Musik erlernen sollte, 25 bis 30 Schläge verabreicht habe. Der Bekl. hat bestritten, das Recht der väterlichen Zucht überschritten zu haben, hat aber zugegeben, daß er seinen Lehrling, weil er die Aussühmng eines Austrags, eine Partie Noten aus einem Lokale zu holen, verweigerte, 3- bis 4mal gezüchtigt habe. Nackgewiesen ist, daß er ihm etwa 20 Stock» sckläge versetzt hat.

Dem Klageanträge ist stattgegeben. A u s d e n G r ü n d e n : Der Lehrling stand im letzten halben Jahre seiner vierjährigen Lehrzeit. Der Bekl. konnte, als ihm sein Lehrling den Gehorsam verweigerte, sehr wohl von dem ihm zustehenden Zuchtrechte Gebrauch machen, durfte dasselbe aber nicht überschreiten. Er hätte berücksichtigen müssen, daß sein Lehrling im letzten Lehrjahre und in einem Lebensalter stand, in welchem die Anwendung von Stockschlägen ungewöhnlich ist und nur als äußerstes Zucht­ mittel bei gröblichsten Verfehlungen nach der allgemeinen Anschauung geboten und erlaubt erscheint. Die Befugnisse, welche das Recht der väterlichen Zucht

«£ . § 127 a.

394

verleiht, ändern sich naturgemäß auch mit dem Alter des Lehrlings; es würde aber ein Mißbrauch dieses Rechts sein, wenn ein Lehrherr dem älteren Lehrling gegen» über dieselbe Disziplinargewalt ausüben wollte, wie dem Knaben gegenüber. (Rohrscheidt, Anm. 1 zu § 127 a der GO.) Erscheint es schon hiernach mißbräuchlich, daß der Bell, im vorliegenden Falle überhaupt zur Züchtigung des Lehrlings mittels eines Stockes schritt, so durfte er die Züchtigung ganz und gar nicht in der übermäßigen, das Ehrgefühl des Bettoffenen schwer verletzenden Weise, wie geschehen, ausführen. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 224.)

600. (324.) Sind Ohrfeigen Mißbrauch des Züchtigungsrechts?

a) Urteil des Oberlandcsgerichts Hamburg vom 30.Nov. 1901. Die Frage ist verneint.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 178.)

b) Urteil des Reichsgerichts, 4. Sttassenat, vom 24. Olwber 1898. Die Revision des wegen Körperverletzung verurteilten Lehrhenn ist ver» worfen. (Jnr. Wochenschr. Jg. 1893, S. 522 Abs. 21.)

601. (325.) Wann Verjähren Schadenansprüche wegen Mißbrauchs des Züchtigungsrechts? Urteil des Reichsgerichts, 6. Zivilsenat, vom 4. Juni 1896.

Tas Reichsgericht bringt die kurze Verjährungsfrist (für außerverttagliche Ansprüche) nicht zur Anwendung. (Jur. Wochenschr. Jg. 1896, S. 419, Abs. 51.)

602. Können noch an d er e als die gesetzlichen Gründe für die Lösvng deS Lehrvertrages vereinbart werden? Urteil des GG. Chemnitz vom 31. März 1908.

Das GG. hat die Frage vemeint. Aus den Gründen. Einer der in § 127b Abs.3 GO. vorgesehenen Gründe zur Lösung des Lehrverhältnisses liegt nicht vor und die Voraussetzungen des § 124 Ziff. 2 GO., auf welche der Kl. offensichtlich sich stützen will, sind für das Verhältnis von Lehrling zu Lehrhenn als sofortiger Auflösungsgrund vom Gesetze gerade nicht anerkannt. Allerdings ist in § 11 des Lehrvertrags auf die Bestimmungen des § 124 GO. ohne jede Einschränkung hingewiesen; das darf jedoch nur so verstanden werden, daß die Gründe des § 124 aw maßgebend aner­ kannt werden, soweit sie auch das Gesetz als solche speziell für das Lehrlingsverhältnis gelten läßt. Es liegt nicht in der Verfügungsgewalt der Parteien, weitere Gründe zur sofortigen Lösung des Lehrvertrags durch Bereinbamng zu schaffen als die vom Gesetze selbst normierten.

603. (326.) Klage auf Auflösung des Lehrvertrages wegen nicht gehöriger Erfüllung der Pflichten deS Lehrhcrrn. Mutz der Lehrling die Richt­ erfüllung oder der Lehrherr die Erfüllung beweisen? Urteil des Oberlandesgcrichts Wolfenbüttel, 1. Senat, vom 23. Juni 1898.

Die Deweislast ist dem Lehrling auferlegt. (Seufferts Archiv Bd. 24 S. 676.)

GO. § 127 b—. Nr. 755.

586

HGB. §75.

und seinen behaupteten Eintritt in ein Geschäft des Wettbewerbs zunächst aus­ reichend gestützten Widerklage stellt sich das Vorbringen des Kl., daß ihm durch den Konkursverwalter — dessen Handlung der Bell, als der Gemeinschuldner gegen sich gelten lassen muß — das Dienstverhältnis gekündigt sei, als rechts­ hindernder Einwand dar, und zwar gemäß der Regel des § 75 Abs. 1 Satz 2 des HGB. Vermeint der Bell, und Widerll., daß diese Regel vermöge der Schluß­ bestimmungen dieses Satzes hier nicht Platz greife, so ist sein Vorbringen, daß für die Mndigung ein erheblicher Anlaß vorgelegen habe, den er nicht verschuldet habe, als Replik gegenüber seinem Einwanoe zu betrachten, für die demgemäß den Bell, und Widerll. die Darstellungs- und Beweispflicht trifft. In dieser Hinsicht aber ist dem BG. weiter darin beizutreten, daß die Eröffnung des Kon-

mrses über das Vermögen des Geschäftsherrn an sich keinen verschuldeten Anlaß für die Mndigung des Handlungsgehülsen bildet. Andererseits kann zugegeben werden, daß dabei ebensowenig von vornherein anzunehmen ist, daß den Gemein­ schuldner der Borwurf eines Verschuldens treffe. Mein da nach dem vorher Ausgeführten dem Widerll. der Nachweis eines von ihm nicht verschuldeten An­ lasses für die Mndigung obliegt, so muß er eben den Beweis führen, daß ihn kein Verschulden in bezug aus den Ausbruch des Konkurses über sein Vermögen treffe. Dies hat der Bem nicht getan, auch nicht einmal versucht. Dagegen kann

der Bell, auch die Vorgänge, in denen er wichtige Gründe findet, die ihn gemäß § 72 des HGB. berechtigt hätten, das Dienstverhältnis ohne Einhaltung einer Frist zu kündigen, zu der Darlegung benutzen, daß für die Mndigung ein erheblicher, von ihm nicht verschuldeter Anlaß im Sinne des § 75 des HGB. vorgelegen habe. Dann erhebt sich allerdings zunächst die Frage, ob die Grundsätze, die das ROHG. und das RG. in bezug auf die Verwertbarkeit der Gründe, die an sich die Entlassung eines Handlungsgehülfen rechtfertigen, im Rechtsstreite aufgestellt hat, und die dahin gehen, daß der Prinzipal nicht verpflichtet ist, bei der Entlassung die Gründe dafür anzugeben, daß er demnächst im Rechtsstreite auch andere Gründe als die ursprünglich dem Handlungsgehülfen gegenüber an­ gegebenen geltend machen kann (vgl. Entsch. des ROHG. Bd. 17 S. 220, Bd. 21 S. 252 und Urteile des RG. vom 24. Juni 1885 in Blums Urteilen und Annalen Bd. 3 S. 77 und vom 12. Dezember 1896 in der Juristischen Wochenschrift von 1897 S. 88), auch aus einen Fall wie den vorliegenden Anwendung finden. Da indessen, wie schon das BG. mit Recht angenommen hat, der Bell, die von dem Konkursverwalter gemäß § 22 der RKO. ausgesprochene Kündigung, wie eine von ihm selbst ausgegangene gegen sich gelten lassen muß, so muß ihm auch bei ihrer Rechtfertigung alles dasjenige zu statten kommen, woraus er sich hätte be­ rufen können, wenn er selbst dem Kl. das Dienstverhältnis gekündigt hätte. Er kann sich deshalb wie gegen die Klage so auch für die Widerklage auf solche Vorgänge

stützen, die ihm ohne Rücksicht auf den § 22 der RKO, als wichtige Gründe im Sinne des §§ 70 und 72 des HBG. das Recht gegeben hätten, dem Kl. ohne Ein­ haltung einer Frist das Dienstverhältnis zu kündigen, obwohl sie als Mndigungsgründ bei der Entlassung des Kl. nicht angegeben waren. (Juristische Wochen­ schrift 1903 S. 389 Nr. 20.)

829. Muß der kündigende Prinzipal zur Aufrechterhaltung des Wett­ bewerbsverbots die Fortzahlung des Gehalts sofort bei der Kündigung anbicten? Urteil des Reichsgerichts, 2. Zivilsen., vom 1. November 1904.

Das RG. hat die Frage bejaht. AusdenGründen: Nach dem § 75 HBG. kann der Prinzipal, welcher das Dienstverhältnis kündigt, aus einem für die Zeit nach der Beendigung des

HGB. §§75, 76.

587

Dienstverhältnisses vereinbarten Wettbewerbsverbote gegen den Handlungs­ gehilfen Ansprüche nicht geltend machen, es sei denn, daß für die Mndigung ein erheblicher Anlaß vorliegt, den der Principal nicht verschuldet hat, oder daß während der Dauer der Beschränkung des Handlungsgehilfen in seiner gewerblichen Tätig­ keit demselben das zuletzt von ihm bezogene Gehalt fortgezahlt wird. Bezweckt wird durch die Bestimmungen des § 74, 75 HGB. der Schutz des Handlungs­ gehilfen gegen übermäßige Benutzung des vertragsmäßigen Wettbewerbsverbots durch den Prinzipal. Deshalb soll mit der Kündigung der Wegfall der Ansprüche desselben eintreten. Die dem Prinzipale als Ausnahme gewährte Möglichkeit, diese Folge abzuwenden, muß im Einklänge mit dem Interesse des Handlungs­ gehilfen dahin verstanden werden, daß der Prinzipal sofort bei der Kündigung das für die Fortdauer seiner Ansprüche aus dem vereinbarten Wettbewerbsverbote gesetzlich aufgestellte Erfordemis erfüllt. Dies geschieht aber sachgemäß dadurch, daß er sich dem Handlungsgehilfen gegenüber zur Fortzahlung des Gehalts ver­ pflichtet. Andernfalls bliebe der Handlungsgehilfe von der Mndigung ab bis zu dem Zeitpunkte der ersten, nach der Beendigung des Dienstverhältnis fälligen Gehaltsrate über die Fortdauer seiner Verpflichtung aus dem Wettbewerbs­ verbot in Ungewißheit und wäre er auch über diesen Zeitpunkt hinaus noch in Ungewißheit darüber, ob die späteren Gehaltsraten gezahlt werden oder nicht. Er wäre also auf eine ungewisse Zeit in der Freiheit beschränkt, sich eine ihm vorteilhafte Stellung zu sichern, und würde dadurch ohne ersichtlichen Gmnd benachteiligt, während das Gesetz ihn gegen Nachteile schützen will. Der Hand­ lungsgehilfe darf, falls der Prinzipal nicht bei der Mndigung die Fortzahlung des Gehalts zusichert, annehmen, daß es bei der Regel verbleibt, nach welcher der Prinzipal durch die Mndigung alle Ansprüche aus dem Wettbewerbsverbot für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses verliert. (Juristische Wocbenschrift 1905 S. 29 No. 43.)

830. Kann der Kaufmannslehrling eines Fabrikgeschästes bei Verlegung des Betriebes in eine weit entlegene Straße die Gestellung einer Straßcnbahnkarte verlangen? Urteil des KG. Frankfurt a. M. vom 10. September 1909.

Bekl. ist verurteilt worden, dem Kl. eine Trambahnkarte auf die Dauer der jetzt bestehenden Verhältnisse zu gewähren. AusdenGründen: Jedem Lehrvertrag wohnt wie den meisten Ar­ beitsverträgen die Beziehung auf einen bestimmten Arbeitsort inne, auch ohne daß die Parteien solches ausdrücklich ausgesprochen haben. Im vorliegenden Fall ist dieser Ort nicht der Gemeindcbezirk Frankfurt a. M., sondern die Fabrik der Bekl. mit ihren Kontorräumen. Ändert nun der Lehrherr die Arbeitsbedingungen dergestalt, daß er dadurch dem anderen Teil Opfer an Zeit oder Geld auserlegt, so ist es Pflicht, diese Opfer wettzumachen, damit das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten ausrechterhalten bleibe. Nur eine solche Auslegung entspricht Treu und Glauben nach der Verkehrssitte. Denn sonst bleibt nur die Auflösung des Lehrverhältnisses übrig, für welche ein gesetzlicher Gmnd nicht gegeben ist und in deren Ablehnung beide Parteien übereinstimmen. Daß aber infolge der Ver­ legung der Fabrik dem Kl. ein Opfer an Geld angesonnen ist, unterliegt nach ver­ nünftigem Ermessen keinem Zweifel. Es ist etwas anderes, ob ein Lehrling bis zu 15 Minuten Weg zur Arbeitsstätte hat oder bis zu 45 Minuten. Es wäre nicht nur eine unnütze Kräfteverschwendung und bei schlechtem Wetter Gesundheits­ schädigung, sondem auch unwirtschaftlich für den Arbeitgeber, wenn der Lehrling täglich bis zu 3 Stunden zu Fuß ginge; eine verständige Würdigung des Falles

588

HGB. §77.

läßt hier die Benutzung der Trambahn geboten erscheinen. Wenn die Bell, gegen­ über dieser Konsequenz darauf hinweist, daß sie alsdann sämtlichen 3 bis 400 An­ gestellten und Arbeitern Trambahnkarten beschaffen müsse, so geht diese Schluß­ folgerung insofern fehl, als Bell, sich gegen diese Konsequenz leicht dadurch schützen kann, daß sie mit der gesetzlichen Mindestfrist kündigt, und nur auf die Dauer der Kündrgungszeit für Arbeiter und Angestellte wäre sie in gleichartigen Fällen ver­ pflichtet, eine Trambahnkarte zu vergüten, wobei immer noch der Erwägung Raum bliebe, ob nicht aus begleitenden Umständen ein stillschweigendes Einverständnis aller derjenigen, die ihrerseits von Kündigung aus Anlaß der Verlegung der Fabrrk absehen, gefolgert werden kann. Das Lehrverhältnis aber unterscheidet sich gerade darin von den übrigen Arbeitsverträgen, daß es nach Mlauf der Probe­ zeit an sich unkündbar ist. Der weitere Hinweis der Bell., daß der Weg zur Arbeits, stätte sie nicht bekümmern könne, es sei Sache des Arbeiters, wie er zur Arbeitsstätte komme, trifft ja für die E i n g e h u n g der meisten Arbeitsverhältnisse zuaber es handelt sich hier gar nicht um die Frage, ob und unter welchen Umständen mangels bestimmter Vereinbamng dem Arbeiter der Weg zur Arbeitsstätte zu vergüten sei, sondem dämm, ob infolge einer vom Bell. bewirkten Andemng der tatsächlichen Unterlagen des Vertrages, durch welche dem anderen Teile Ausgaben erwachsen, die vorher nicht existierten, Bekl. zur Ausgleichung dieser Nachteile verbunden ist. (Gewerbe- und Kaufmannsgericht Jg. 15 Sp. 42.) 831. Ist dringender Verdacht der Untreue ein „wichtiger Grund" zur Lösung des Lehrverhältnisses? Urteil des KG. Köln vom 4. April 1905. Kl. war vom 15. Februar 1902 bei der beklagten Firma als Handlungslehrling tätig, die Dauer der Lehrzeit war auf drei Jahre festgesetzt. Das Lehrverhältnis ist am 13. Mai 1904 von der Bekl. gelöst worden, der Kl. verlangt mit der Klage die vereinbarte Ver­ gütung für die Zeit vom 12. Dezember 1903 bis 29. August 1904.

Die Klage ist abgewiefen. Aus den Gründen: Unter den Parteien ist unstreitig, daß der Kl. am 12. Dez. 1903 unter dem Verdachte, zum Nachteile der Bell, verschiedene größere Geldbeträge aus Geldbriefen, die ihm zur Besorgung übergeben waren, entwendet zu haben, verhaftet und bis zum 13. Mai 1904 in Untersuchungshaft verblieben ist. An diesem Tage ist er von der I. Strafkammer des Kgl. Landgerichts zu Köln von der Anklage des Diebstahls freigesprochen worden, und es ist nun im gegenwärtigen Rechtsstreit zu prüfen, ob die Bell, mit Rücksicht auf das frei­ sprechende Erkenntnis verpflichtet war, den Kl. auf Gmnd des mit demselben abgeschlossenen Lehrvertrages wieder in ihre Dienste zu nehmen. Diese Frage ist zu vemeinen. Zwar ist der Kl. im Strafverfahren freigesprochen worden, aber nicht etwa, weil durch die Beweisaufnahme festgestellt worden ist, daß der Kl. die ihm zur Last gelegten Diebstähle nicht begangen hat, sondem weil angenommen worden ist, daß trotz einer Reihe von schweren gegen den Kl. sprechenden Verdachts­ momenten immerhin die Möglichkeit vorliegen konnte, daß ein anderer die Dieb­ stähle begangen habe. Die Frage, ob man trotz des freisprechenden Strafkammer­ urteils die Täterschaft des Kl. für den gegenwärtigen Rechtsstreit doch annehmen konnte, mag hier ganz außer Betracht bleiben, aber das ist unbedingt zu bejahen, daß auf Gmnd der im Strafverfahren gemachten Feststellungen für die Bell, ein wichtiger Gmnd im Sinne des § 72 HGB. vorlag, der sie gemäß § 70 HGB. berechtigte,- den Kl. nicht wieder in ihren Dienst zu nehmen. Gewiß mag dem Kl. zugegeben werden, daß nicht jede gegen einen Angestellten erhobene Peschuwigung für den Prinzipal einen Entlassungsgrund bildet, aber es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn einer solchen Beschuldigung schwere Ver-

HGB. §78.

589

dachtsmomente zugrunde liegen, wie das untergebens der Fall ist, das Vertrauen des Prinzipals zu dem Angestellten erschüttert sein muß, und dann für ihn ein wichtiger Grund vorliegt, den Angestellten sofort zu entlassen. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 205.)

832. Übergang des Handlungslehrlings zu einem anderen Gewerbe oder Berufe. Föllt hierunter auch eine andere Branche? Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg, 1. Zivilsen. vom 16. Juni 1900. Das OLG. hat die Frage bejaht.

Aus den Gründen: Es handelt sich dämm, ob der Kl. auf Gmnd HGB. § 78 infolge der vom Vormunde des Bell, abgegebenen Erllämng, Bell, werde zu einem anderen Bemfe übergehen, eines Anspmches auf Schadens« ersatz gegen den Bell, aus dem unbestrittenen schriftlichen Lehrvertrage wegen vorzeitigen Austritts aus der Lehre verlustig gegangen ist. Tatsächlich steht jetzt fest, daß der Vormund bei Abgabe jener Erllämng bereits die Absicht hatte, den Bell, auf die Handelsschule nach O. zu schicken, die er denn auch alsbald nach

seinem Weggange seit Ostern 1898 besucht hat, um sich für das Speditionsgeschäft vorzubereiten. Wenn der Bell, damit nicht, nach Meinung seines Vormundes, zu einem anderen Bemfe übergegangen wäre, so wäre anzunehmen, daß jene Erllämng wider besseres Wissen abgegeben sei. Daß auch in solchem Falle das Gesetz dem Lehrlinge freien Austritt aus der Lehre ohne Schadensersatz habe gewähren wollen, erscheint trotz der absoluten Fassung des § 78 Abs. 1 zit. ohne weiteres ausgeschlossen, da nicht angenommen werden kann, daß das Gesetz auf böswilligen oder arglistigen Bmch emes Lehmertrages eine Prämie setzen wollte. Außerdem widerspricht die Geschichte des Gesetzes einer solchen Auffassung. Bei der Beratung des § 129 jetzt 131 der GO-, welcher diese Bestimmung, wie die Denkschrift zum ersten Entwurf des HGB. S. 66 ergibt, ohne weiteres entnommen ist, wurde von maßgebender Seite betont, daß das Gesetz verhüten müsse, daß die fragliche Erllämng „nicht leichtsinnig oder wider die Wahrheit abgegeben werde", und man glaubte, solchem Vorgehen durch den Schlußabsatz und die Strafbestimmung in § 148 Nr. 10 der GO. vorgebeugt zu haben. In § 78 Abs. 1 ist also unbedenklich die Gutgläubigkeit der Erllämng zu subintelugieren.

Vorliegend konnte aber der Vormund des Bell., indem er beabsichtigte, ihn auf die Handelsschule nach O. zu geben, gutgläubig erllären, daß derselbe zu einem anbeten Bemfe übergehen werde. Denn das llägerische Eisengeschäft ist ein Detailgeschäft von beschränktem Umfange. Dem gegenüber erscheint es ge­ rechtfertigt, von dem Übergänge zu einem anderen Gewerbe oder Bemfe zu sprechen, wenn der Bell, den praktischen Dienst in einem so Leinen Spezialgewerbe­ betriebe mit dem rein theoretischen, die allgemeine kaufmännische Ausbildung verfolgenden Unterricht auf einer Handelsschule vertauschte, um sich für das Speditionsgewerbe vorzubereiten. Man kann dieser, derartig scharfe Gegensätze zum Ausdmck bringenden Sachlage gegenüber nicht sagen, daß, weil Kaufmann nn Sinne des HGB. ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt, innerhalb des Kauf­ mannsstandes, des kaufmännischen Gewerbebetriebes oder Bemfes im Sinne des §78 ein Übergang von einem Gewerbe oder Bemfe zu einem anderen nicht mög­ lich sei. Daß der kaufmännische Bemf verschiedene Handelsgewerbe zuläßt, lehrt ohne weiteres HGB. § 1. Ob § 78 den Begriff eines anderen Bemfes im Gegensatz zum kaufmännischen Bemfe in seiner Gesamtheit aufgefaßt wissen will, kann theoretisch zweifelhaft sein; sieht man aber in das tägliche Leben hinein, so läßt sich gar nicht verkennen, daß Betriebe, die zwar unter denselben Rechtsbegriff fallen, sich doch als entschieden selbständige Bemfe darstellen. So unterscheidet

590

HGB. § 79.

das Leben, dessen Anschauung hinsichtlich des nicht rechtstechnischen Begrisses Beruf maßgebend sein darf, den Krämer vom Kaufmann, den Kaufmann vom Fabrikanten usw., und so nötigt auch der vorliegende Fall zu einer Berufsunterscheidung bei einem Lehrlinge im klägerischen Eisendetailgeschäft und einem Schüler der Handelsschule. (Rechtspr. der OLG. Bd. I. S. 227.)

838. Ist ein fünfzehnjähriger Angestellter, der gegen 30 M. Monats­ gehalt mit untergeordneten Diensten beschäftigt ist, als Lehrling anzusehen, auch wenn mit ihm kein Lehrvertrag geschlossen ist? Urteil des KG. Landsberg a. W. vom 21. März 1905. Der im Februar 1905 sechzehn Jahre alt gewordene Bekl. ist iy4 Jahre in der von dem Kl. in Landsberg a. W. betriebenen Schuhwarenfabrik gewesen und bat am 7. März 1905 ohne vorherige Kündigung den Dienst verlassen. Kl. betrachtet denselben als kauf­ männischen Angestellten, als Handlungsgehilfen, er ist deshalb der Ansicht, daß Bekl. die für Handlungsgehilfen gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist innezuhalten hatte, daß also das Beschäftigungsverhältnis erst zum 1. Juli 1905 sein Ende erreicht. Kl. verlangt vorn Bekl. Fortsetzung der Arbeit vorn 7. März 1905 ab für die Zeit, während welcher Bekl. die Beschäftigung nicht fortgesetzt hat bezw. nicht fortsetzt, wöchentlich 10 Mk. Schadens­ ersatz. — Bekl. hat Abweisung der Klage beantragt, indem er behauptet, daß ausdrücklich verabredet worden sei, daß eine Kündigung nicht stattfinden solle; Kl. hat dies bestritten. Unstreitig ist zwischen den Parteien folgendes: Bekl. ist teilweise im Kontor, teil­ weise im Lager und teilweise mit Botengängen beschäftigt worden. Derselbe hat Fakturen geschrieben, desgl. Frachtbriefe, Paketzettel, Adressen usw., hat leichte Korrespondenzen geführt, beides "nach der Kommissionskopie vom Lager fertiggestellt und versandfähig gemacht, das Portobuch geführt, den Post- und Bahnversand gebucht und Schriftstücke kopiert. Auf diese Arbeiten entfielen etwa fünf Stunden täglich. Außerdem hat Bekl. Waren nach dem Lager getragen und hat auch Gänge nach der Post und sonstige Boten­ gänge besorgt. Bekl. hat zuletzt 30 Mk. Remuneration in Monatsraten erhalten, anfangs wurde er wöchentlich abgelohnt.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen. Die Dienste, welche Bekl. zu leisten hatte, sind unzweifelhaft fast durchweg kaufmännische, insbesondere gilt dies von der Be­ schäftigung im Kontor und Lager. Aber auch die Botengänge nach der Post werden in vielen Geschäften von jüngeren kaufmännischen Angestellten, insbesondere von Lehrlingen besorgt, schließen also die Eigenschaft als kaufmännischer Angestellter nicht aus. Der Gerichtshof ist aber zur Überzeugung gelangt, daß Bekl. nicht Handlungsgehilfe, sondern tatsächlich Lehrling war, wenn auch in den Verab­ redungen über die Anstellung die Lehrlingseigenschaft nicht erwähnt sein mag. Sowohl Handlungsgehilfen wie Handlungslehrlinge sind Personen, welche zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellt sind, auch Lehrlinge können für ihre Dienste bezahlt werden; der Unterschied besteht darin, daß letztere zum Lernen eingestellt werden. Bekl. war aber zur Zeit der Einstellung noch nicht 15 Jahre alt und ohne kaufmännische Vorbildung, ist also zweifellos zum Lernen eingetreten. Nun bestehen ja allerdings keine Vorschriften über die Dauer der Lehrzeit, es hätte aber doch irgendwie erkenntlich gemacht werden müssen, daß dieselbe als beendet betrachtet werden soll. Das ist nicht geschehen. Auch die geringe Bezahlung — monatlich 30 Mk. — und die in Fabrikgeschäften von der Ausdehnung des klägerischen für den Handlungsgehilfen ungewöhnlich starke Benutzung zu Boten­ gängen sprechen in Verbindung mit dem jugendlichen Alter des Bekl. dafür, daß die Lehrzeit noch nicht beendet war, Ist aber, wie aus vorstehendem sich ergibt, Bekl. tatsächlich noch Lehrling gewesen, so kann ein Anspruch auf Schadensersatz nur geltend gemacht werden, wenn der Lehrvertrag schriftlich abgeschlossen ist — § 79 HG. Da dies nicht der Fall ist, so mußte die Klage abgewiesen werden.

HGB. §79.

591

Ein Anspruch auf Rückkehr in das Vertragsverhältnis ist überhaupt unzulässig, weil die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses durch die in §§ 887, 888 ZPO. vorgesehenen Geld- und Haftstrafen nicht erzwungen werden kann. (Gewerbe­ gericht Jg. 10 Sp. 187.)

834. Wird ein kaufmännischer Lehrvertrag durch Briefwechsel ordnungs­ mäßig abgeschlossen? Urteil des KG. Hamburg vom 5. März 1907.

Das KG. erachtet den Lehrvertrag für unwirksam. AusdenGründen: Nach HGB. § 79 kann der Lehrherr Ansprüche wegen unbefügten Austritts aus der Lehre nur dann gegen den Lehrling geltend machen, wenn der Lehrvertrag schriftlich geschlossen ist. Demgemäß hat der Lehrvertrag den Vorschriften des BGB. § 126 zu entsprechen, d. h. beide Parteien müssen die dem Lehrvertrag enthaltende Urkunde unterzeichnen oder aber, wenn mehrere Urkunden aufgesetzt sind, genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. Dieser Vorschrift ist im vorliegenden Falle unbestritten nicht entsprochen worden, denn die gewechselten Urkunden sind nicht gleichlautend. Sonach mußte mit Rücksicht auf den begangenen Formfehler die Klage abgewiesen werden, ohne daß es eines Eingehens auf die tatsächlichen BerHÄMisse bedurft hätte. (Gewerbe- und Kaufmannsgericht Jg. 12 Sp. 288.)

835. Kann gegen den Baier eines Lehrlings ans dessen Znriiübringnng in die Lehre geklagt werden? Urteil des OberlandesgerichtsMünchen, 2. Zivilsen., vom 17. Ok­ tober 1908. Der Kl. verlangt von dem Vater des 15jährigen Kausmannslehrlings, daß er seinen Sohn in die Lehre zurückbringe oder doch dafür sorge, daß der Lehrling zum Kl. zurück­ kehre. Der Bell, macht geltend, daß sein Sohn über die Geschäftsstunden hinaus habe arbeiten müssen und fortgesetzten Mißhandlungen ausgesetzt gewesen sei; er, der Väter, habe den Lehrvertrag nicht in eigenem Namen, sondern für seinen Sohn abgeschlossen und nur di? Haftung für allensnlligen Nachteil und Schaden aus Untreue oder grober Fahrlässigkeit übernommen.

Das OLG. erachtet die Klage für unbegründet. Aus den Gründen: Die Bemerkungen Staubs, daß der Vater kraft seines Erziehungsrechts dafür zu sorgen habe, daß der Lehrling die Lehre nicht unbefugt verlasse, wie denn im Zweifel auch angenommen werden dürfe, daß der Vater den Lehrvertrag im eigenen Namen abgeschlossen habe, mögen im allgemeinen wohl zutreffen, nicht zutreffend aber ist, was der Kläger daraus werter folgert, daß solche, aus dem Lehrvertrag sich ergebende Rechte, die sich unmittelbar auf die Erfüllung des Vertrags beziehen, durch einen gerichtlichen Ausspruch auch dann noch anerkannt werden müßten, wenn der Fortsetzung des Lehrverhältnisses auf Grund des väterlichen Erziehungsrechts widersprochen wird. Das Gegenteil davon ist richtig, daß das Erziehungsrecht auch da aufrechterhalten bleibt, wo vertragsmäßige Rechte vorliegen mögen, und daß Diese, wo sie bestehen, auf andere Weise zur Geltung gebracht werden müssen. Schon in den Entsch. des ROHG., worauf Staubs Kommentar verweist, wird ausgeführt, daß der Widerspruch, der auf Grund des väterlichen Erziehungsrechts erfolgt, genügen müsse, um den auf Zurückführung des Sohnes und auf unmittelbare Vertrags­ erfüllung bis zum Ende der Lehrzeit gerichteten Klageantrag zu beseitigen; ein solcher Zwang erscheine immer dann als unzulässig, wenn er demjenigen Recht

592

HGB. § 80.

gegenübertritt, das dem Vater kraft seines Erziehungsrechts zusteht; die dem Vater auch während des Lehrverhältnrsses verbleibende Gewalt schließe wegen der darin enthaltenen Befugnis, über Erziehung, Aufenthalt und Beruf des Hauskindes Dritten gegenüber ausschließlich zu bestimmen, notwendig das Recht in sich, vom Lehrvertrag sich loszusagen, den Lehrling trotz bestehenden Lehrver­ trags zurückzufordern und den Lehrherrn in die Lage zu versetzen, sein Interesse wegen Nichteinhaltung des Lehrvertrags geltend zu machen. Diese Erwägungen, wonach dem Lehrherrn in bezug auf die aus dem Lehr­ vertrag sich ergebenden Verpflichtungen, soweit sich ihnen das väterliche Er­ ziehungsrecht entgegenstellt, ein Anspruch auf unmittelbare Erfüllung nicht zukommt, sind auch heute noch dem Wesen der väterlichen Gewalt und dem da­ durch begründeten Erziehungsrecht entsprechend; sie sind auch hier, wo ein solcher Widerspmch auf Gmnd des väterlichen Erziehungsrechts vorliegt, gegenüber der auf diese unmittelbare Vertragserfüllung beschränkten Klagbitte so durchgreifend, daß die von dem bisherigen Streitverhältnis auch umfaßten Fragen, ob und welche Verpflichtungen aus dem Lehrvertrag bestehen und in welcher Richtung sie zu verfolgen sind, hier zurücktreten müssen; denn unbeschadet solcher Ver­ pflichtungen und daraus abzuleitender Ansprüche rechtfertigt sich die Abweisung dieser Klage schon aus dem Grund, weil der erhobene Anspmch statt sich auf das Erziehungsrecht gründen zu können, sich vielmehr als ein Eingriff in das dem Bekl. gegen jedermann und zu jeder Zeit zustehende väterliche Erziehungsrecht darstelien müßte. (Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Bd. XIX Nr. 12 q.)

836. Darf der Lehrherr die Gründe der Entlassung des Lehrlings in dem Zeugnisse anfnhren? Urteil des Oberlandesgerichts Dresden, 8. Zivilsen., vom 22. Ja­ nuar 1902. Das OLG. hat die Frage bejaht.

Aus den Gründen: Nach § 80 hat der Lehrherr dem Lehrling ein schriftliches Zeugnis auszustellen, das u. a. über dessen „Betragen" Auskunft zu geben hat. Die Bekl. hätte also nur in Ausübung eines Rechts und Erfüllung einer Pflicht gehandelt, indem sie dem Kl., ihrem bisherigen Lehrlinge, ein Zeug­ nis mit dem Schlußsätze anbot: „Sein Betragen, insbesondere seine Verweigemng des uns schuldigen Gehorsams veranlaßte heute, ihn aus seiner Lehrzeit bei uns zu entlassen", wenn dieser, dem sie als Lehrherrin auch eine gewisse geschäftliche Disziplin beizubringen verpflichtet war, einen ihm rechtmäßigerweise erteilten Auftrag in mürrischer und ungezogener Weise auszuführen sich geweigert hätte. Sie hätte solchenfalls, da sie annehmen mußte, daß der Kl. das Zeugnis behufs Fortsetzung der Lehre in einem anderen Bankgeschäfte, womöglich ebenfalls in Dresden, vorlegen würde, nur ihren geschäftlichen Ruf zu wahren versucht, indem sie eine, eine Schuld ihrer Inhaber und Angestellten ausschließende Erklärung für die vorzeitliche Beendigung des Lehrverhältnisses gab. Es wäre aber auch im Interesse ihres Nachfolgers in der Stellung eines Lehrherm und der weiteren beruflichen Ausbildung des Kl. selbst ihre Pflicht gewesen, ersteren darauf hin­ zuweisen, daß in Ansehung des Gehorsams und der Wohlanständigkeit die Aus­ bildung des Lehrlings noch zu wünschen übrig lasse. (ROLG. Bd. V S. 273.)

BGB. §119.

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ZUM Bürgerlichen Gesetzbuch. 837. Kann der Anstellungsvertrag angefochten werden, weil der Kon­ torist stottert? Urteil des KG. für den Stadtbezirk Stettin vom 7. Febmar 1908. Kl. ist vom Bell. zum 15. August 1907 als Kontorist gegen 30 Mk. Gehalt und freie Station angenommen, bei seinem Eintreffen aus Oberschlesien am 15. August 1907 vom Bekl. aber wegen Stotterns zurückgewiesen. Kl. verlangt deshalb 120 Mk. Schadenersatz, und zwar 45 Mk. Gehalt und 75 Mk. für Station für die Zeit vom 15. August bis 1. Oktober 1907. Der Bekl. begehrt Abweisung der Klage, indem er den Vertrag auf Grund des § 119 BGB. wegen Irrtums über eine im Verkehr als wesentlich angesehene Eigenschaft anficht. Er behauptet, daß ihm das Stottern des Kl. verschwiegen sei und daß er in seinem Geschäft, in dem 40 Personen tätig seien, einen stotternden Kontoristen nicht gebrauchen könne. Kl. habe Fakturen schreiben und ähnliche Arbeiten verrichten sollen. Er müsse deshalb mit verschiedenen anderen Angestellten in mündlichen Verkehr treten. Er habe schon einen stotternden Lehrling. Kl. hat erwidert, daß er mn zeitweise stottere und daß er früher und jetzt als Verkäufer fungiert habe bzw. tätig sei.

BeN. ist verurteilt. Aus den Gründen: Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Zurück­ weisung des Kl. nicht dann wegen wesentlichen Irrtums gerechtfertigt gewesen wäre, wenn Kl. als Reisender oder als Verkäufer engagiert gewesen wäre. Bei einem jungen Kontoristen, dem im wesentlichen das Schreiben von Fakturen obliegt, kann dagegen dem Sprachfehler eine derartige Bedeutung nicht beige­ messen werden, daß Bell, berechtigt gewesen wäre, beit Kl. sofort nach dem Emtreffen wieder zu entlassen. Für Kontorarbeiten hätte sich der Kl. nach der Äußerung seines früheren Chefs sehr gut geeignet, zumal er eine schöne Handschrift schreibt. Bell, hätte mindestens erst einen Versuch mit dem Kl. machen müssen. Daß Kl. sich nach der langen Reise und bei dem ersten mündlichen Verkehr mit dem neuen Prinzipal in einer gewissen Aufregung befand, ist erttärlich. Ebenso ist es eine Erfahrungstatsache, daß m solchen Momenten sich bei Stotterern der Sprachfehler mehr als sonst bemerllich macht. Daß ein Stotternder nicht absolut ungeeignet für den Kaufmannsberuf ist, erkennt der Bell, selbst dadurch an, daß er einen stotternden Lehrling imd) eigener Angabe beschäftigt. § 119 BGB. ist deshalb im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dem Bell, hätte vielmehr lediglich die gesetzliche Kündigung freigestanden. (Gewerbe- und Kaufmannsgericht Jg. 13 Sp. 132.)

838. Darf der Prinzipal von dem Engagementsvertrage zurücktreten, wenn er erfährt, daß der Gehilfe überschuldet ist? Urteil des KG. Danzig vom 15. Juli 1907. Der Kl. ist am 16. Juni 1907 von dem Bell, zur Leitung einer Filiale seines Zigarren­ geschäfts gegen ein Gehalt von 75 Mk. monatlich engagiert worden. Als der Kl. am nächsten Tage seine Stellung antreten wollte, wurde, er von dem Bell, nicht eingestellt. Der Kl. hält dies Vorgehen des Bell, für ungerechtfertigt und beansprucht deshalb, da er eine, andere Stellung nicht hat finden können, das Gehalt für die Zeit vom 17. Juni bis 31. Juli. Der Bekl. wendet ein, daß er berechtigt gewesen sei, von dem Engagement zurückrutreten, weil der Kl. beim Engagement verschwiegen habe, daß er selbständig gewesen sei und eine größere Schuldenlast habe. Beim Engagement habe er den Kl. ausdrücklich gefragt, wo er bisher in der Branche tätig gewesen sei. Hieraus hätte der Kl. auch sagen müssen, daß er eine Zeitlang selbst ein Geschäft gehabt habe und hierdurch in Schulden geraten sei. Den Kl. hätte er dann niemals engagiert, zumal da der ihm übertragene

Baum, Gewerbegerichte.

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BGB. § 119.

Posten eines Filialeleiters ein Vertrauensposten fei. Die Waren, die dem Kl. übergeben werden sollten, gälten'einen Wert von 2—3000 Mk. Der Kl. erklärt hierzu, daß er dem Bell, beim Engagement Zeugnisse vorgelegt habe, aus denen der Bell, hätte ersehen können, daß er eine längere Zeit hindurch außer Stellung gewesen sei. Da der Bell, hierüber keine Auskunft verlangt habe, habe er sich auch nicht für verpflichtet gehalten, nähere Angaben über seine Tätigkeit in dieser Zeit zu machen. Seine Schuldenlast betrage auch nur 700 Mk. Übrigens habe auch seine Mutter in Aussicht gestellt, die Deckung der Schulden zu übernehmen.

Der Bell, ist vemrteilt. Aus den Gründen: Wenn Bell, sich über wesentliche Eigenschaften des Kl.s bei dessen Engagement im Irrtum befunden hat, so hat er nach Ansicht des Gerichts sich dies selbst zuzuschreiben. Legte Bell, wesenllichen Wert darauf, daß Kl. keinerlei Schulden habe, so hätte er vor dem Engagement des Kl.s sich nach dessen Bermögensverhältnissen bei ihm erkundigen müssen. Das hat er aber unterlassen, obwohl Kl. eine zusammenhängende Reihe von Zeugnissen nicht aufzuweisen vermochte. Hat hiernach Bell, aber den Irrtum, um dessentwillen er von dem Engagement zurückzutteten erllärt hat, selbst verschuldet, so ist er nach § 122 BGB. verpflichtet, den Kl., der auf die Gültigkeit des Engagements verkant hat, schadlos zu hatten. Die Höhe des Schadens ist nach der Höhe des dem Kl. zugesagten Gehalts zu bemessen. Das Gehalt für den 17.—30. Juni mit 32,50 Mk. mußte als bereits fällig dem Kl. sofort zugesprochen werden, während das Gehalt pro IM mit 75 Mk. erst am Fälligkeitstage, dem 31. Juli, dem Kl. zu zahlen ist. (Gewerbe- und Kaufmannsgericht Jg. 13 Sp. 38.)

839. Kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen Irrtums anfechten, wenn der Arbeiter verschwiegen hat, daß er aus einer anderen Stelle wegen Unehrlichkeit entlassen ist? Urteil des GG. K o t t b u s vom 6. März 1905.

Die Lohnllage des Arbeiters ist abgewiesen. AusdenGründen: Das Gericht ist zunächst von der Auffassung aus­ gegangen, daß neben den Entlassungsgründen der GO. die Anfechtungsgründe des BGB. ihre rechtliche Bedeutung behalten. Der Bell, war auf Grund des § 119 BGB. zur Anfechtung des Berttages befugt. Die von dem Bell, bei dem Abschlüsse des Berttages abgegebene Erklärung, daß er auf Ehrlichkeit ganz be­ sonderen Wert legen müsse, rann nur dahin gedeutet werden, daß er die Ehrlichkeit des Kl. als eine wesentliche persönliche Eigenschaft betrachte; diese Eigenschaft gehörte mithin zum Inhalt des Berttages. Es war anzunehmen, daß dem Kl. diese Eigenschaft fehlte. Die von ihm begangenen strafbaren Handlungen (Betrug mit zwei schweren Urkundenfälschungen) waren namentlich unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er die ihm eingeräumte Berttauensstellung als Schaffner einer Speditionsfirma mißbrauchte, so schwerwiegende, daß ihm auch trotz der zurückliegenden Zeit das Prädikat eines ehrlichen und zuverlässigen Menschen nicht beigelegt werden kann. Sonach befand sich der Bell, bei dem Abschlüsse des Berttages in einem Irrtum über den Inhalt desselben. Dem Bell, kam es und mußte es in erster Linie darauf ankommen, einen unbedingt ehrlichen Menschen für die Stellung eines Hausdimers zu gewinnen. Es handelte sich um eine Ber­ ttauensstellung; denn bei einem größeren Weinlager ist eine stetige Konttolle über einen derarttgen Angestellten nicht durchführbar und ein solcher vermag unbemerkt seinem Prinzipal großen Schaden zuzufügen. Hiernach konnte es nicht zweifelhaft sein, daß der Bell, bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles den Kl. nicht eingestellt haben würde. Die Voraussetzungen des § 119 BGB. waren sonach erfüllt. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 204.)

BGB. § 119.

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840. Vereinbarung, daß nur die Hülste des Fahrgeldes zur Arbeitsstätte zu ersetzen ist. Kann der Gehilfe die Vereinbarung anfechten, weil nach dem Tarif daS volle Fahrgeld zu zahlen ist und ihm falsche Vorspiege­ lungen gemacht find? Urteil des GG. Hamburg vom 20. Februar 1902.

Ein Dachdeckergehilfe fordert von seinem ehemaligen Meister 1,80 Mk. Straßenbahn-Fahrgeld, welches er, um nach seiner Arbeitsstätte in'Groß-Borstel (einer Land­ gemeinde im Hamburgischen Staatsgebiet) zu gelangen, also im Interesse des Bell, ver­ ausgabt haben will. Zur Begründung seiner Klage bezieht sich Kl. auf den Lohntarif der Dach- und Schieferdecker Hamburgs, nach dem den Gehilfen bei Arbeiten außerhalb der Stadt freie Hin- und Rückfahrt zu gewähren ist. Allerdings ist eine besondere Verein­ barung zwischen den Parteien getroffen daß Bell. während der Arbeit in Groß-Borstel nur die Hälfte des Fahrgeldes ersetzen solle. Diese Vereinbarung ist aber erfolgt, nachdem Bell, vorgespiegelt hat, Groß-Borstel sei Stadtgebiet. Kl. ficht die Bereinbanmg an. Der Bell, ist verurteilt. AusdenGründen:Es liegt auf der Hand, daß Kl. nur durch diese unwahre Behauptung sich hat bewegen lassen, auf die Vereinbarung einzugehen, daß er nur die Hälfte des Straßenbahn-Fahrgeldes während seiner Arbeiten in Groß-Borstel ersetzt bekommen solle, denn es lag sonst rein vernünftiger Grund für ihn vor, die ihm günstigere Bestimmung des Lohntarifs nicht gelten zu lassen. Es mag dahingestellt bleiben, ob eine arglistige Täuschung obfetten des Bell, im Sinne des § 123 BGB. vorlag. Jedenfalls war Kl. bei Abgabe seiner Willenserllärung über den Inhalt derselben im Irrtum, denn er wußte nicht, daß sie einen Verzicht auf ein ihm zustehendes Recht enthalte und ihm deshalb von Nach­ teil sei, er glaubte vielmehr, durch sie ein Recht zu gewinnen und Vorteil zu er­ reichen. Bei Kenntnis der wahren Sachlage, daß Groß-Borstel Landgebiet sei, und bei verständiger Würdigung dieses Falles würde er sie also sicherlich nicht abgegeben haben. Folglich hat seine Anfechtung dieser Willenserllärung schon nach §§ 119 und 142 BGB. den Erfolg, daß seine Willenserllärung und somit die ganze Vereinbarung mit dem Bell, in betreff des Fahrgeldes von Anfang an als nichtig anzusehen ist. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 155.)

841. Kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen Irrtums über die Leistungsfähigkeit deS Arbeiters anfechten?

a) Urteil des GG. der Stadt Chemnitz vom 22. März 1904. Die Bell, hat den Kl. am 22. Februar auf Grund einer Offerte im Mgemeinen Anzeiger für Druckereien, in der sich der Kl. in allen Drucksachen, wie speziell Dreifarbenund Vierfarbendruck, Prägedruck, Jllustrationsautotypie, Wnk- und Plattendruck als auf der Höhe der Z?it befindlich bezeichnet hatte, aus unbestimmte Zeit als Maschinenmeister in Beschäftigung genommen, mit ihm eine vierzehntägige, nur von einem Lohntage an laufende Kündigungsfrist vereinbart und ihm einen Wochenlohn von 28 Mk. zugesichert. Am 10. März ist der Kl. infolge Krankheit arbeitsunfähig geworden. Die Bell, hat ihm mittels Brieses, datiert vom 13. März 1904 mitgeteilt, daß er unter dem 14. März ent­ lassen sei. Die Krankheit des Kl. war am 21. März behoben. Er hat sich darauf der Bell, zur Verfügung gestellt, die seine Dienste aber abgelehnt hat. Aus Grund ordnungsmäßiger Kündigung würde das Arbeitsverhältnis, da der in Frage kommende Lohntag auf den 19. März fiel, am 2. April sein Ende erreicht haben. Der Kl. fordert nunmehr Fort­ gewährung seiner Bezüge auf die Zeit vom 21. März bis zum 2. ylpril. Die Bell, ficht den mit dem Kl. unter dem 22. Februar d. JZ. abgeschlossenen Arbeitsvertrag wegen Irrtums an, und führt dazu aus: Der Kl. entspreche in seinen Leistungen absolut nicht dem, dessen er sich in seiner Offerte gerühmt habe, die sie zum Vertragsabschluß mit ihm bestimmt habe. Sie sei der Überzeugung, daß der Kl. zur Ausführung der Arbeiten, zu deren Leistungen er sich angeboten habe, überhaupt unfähig sei.

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BGB. §119.

Nach stattgehabter Beweisaufnahme ist die Bell, nach dem Klageantrag verurteilt. Aus den Gründen: Das Gericht kann sich zunächst der von mehreren GG. vertretenen Ansicht, daß beim gewerblichen Dienstverträge Irrtum nur im Falle des § 123 Ziffer 1 und 2 GO. erheblich sei, nicht anschließenx); es steht viel­ mehr auf dem Standpunkte, daß der Abschnitt des BGB. über die Willenserllärung (vgl. §§ 116 ff. BGB.) ohne Ausnahme auch beim gewerblichen Arbeitsvertrage Geltung haben muß, daß also die Bell, an sich mit Recht sich auf den § 119 Absatz 2 BGB. berufen konnte. Der § 123 GO. will nur die Mittel an die Hand geben, vermöge deren ein gütiger Arbeitsvertrag wieder aufgehoben werden kann. Die Bestimmungen des BGB. über die Willenserllärung machen gegebenenfalles eine rechtsgeschäftliche Willensäußerung wirkungslos. So verleiht der § 119 BGB. dem Vertragschließenden das Recht der Anfechtung des Arbeitsvertrages mit der im § 142 BGB. gegebenen Folge, daß das angefochtene Rechtsgeschäft von Anfang an als nichtig anzusehen ist. Die Bell, hat den mit dem Kl. unter dem 22. Februar 1904 abgeschlossenen Arbeitsvertrag wegen eines Irrtums auf ihrer Seite angefochten; sie hat diese Anfechtung auch, wie § 121 BGB. vorschreibt, ohne schuldhaftes Zögern (unver­ züglich) erklärt, nachdem sie aus den Erstlingsarbeiten des Kl., insbesondere aber aus der fünften die Überzeugung gewonnen hatte, daß sie sich bei Abgabe der Annahmeerllärung über solche Eigenschaften der Person des Kl. geirrt hatte, die ihrer Ansicht nach im Verkehre als w e s e n t l i ch anzusehen seien. Das Gericht hat ihr aber das Borliegen dieser letzten nach § 119 Abs. 2 BGB. erforderlichen Voraussetzung nicht zuzubilligen vermocht. Die Bell, hat den Kl. auf Grund eines Ausschreibens angenommen, in dem sich dieser in allen vorkommenden Druckarbeiten als auf der Höhe befindlich bezeichnet hatte. Ganz abgesehen davon, daß sie sich nach ihren Erfahrungen sagen mußte, daß ein Stellesuchender, um eben Arbeit zu bekommen, seine Vorzüge immer in das beste Licht zu setzen pflegt, daß also solche Anpreisungen einer hervorragenden Leistungsfähigkeit immerhin mit Vorsicht ausgenommen sein wollen, daß ferner Ansichten über eigene Leistungsähigkeit ganz subjektiver Natur sind, genügt es nicht, daß der Irrtum über Eigenchaften ein erheblicher ist, genügt es nicht, daß aus den Umständen hervorgeht, raß der Irrende, wenn er die Sachlage gekannt, seine Erllärung nicht abgegeben hätte, sondem der Irrtum muß außerdem eine wesentliche Eigenschaft der Person oder Sache betroffen haben. Wirklich wesentlich sind aber nur solche Eigenschaften, welche nach der Verkehrsanschauung geradezu das Wesen der Sache oder Person bestimmen (vgl. hierzu Cosack § 64II21). Einen derartigen Charakter kann man aber dem dem Kl. vorgeworfenen Mangel an Leistungsfähigkeit nicht beimessen. Der Zeuge M. hat hinsichtlich der ersten und zweiten Arbeit bekundet, daß der Kl. mit „Ach und Krach" damit fertig geworden sei; die Arbeiten waren nicht gut ausgefallen, man hätte sie aber ttotzdem an die Kundschaft abgeliefert. Er hat hinsichtlich der fünften Arbeit ebenso wie der Zeuge H. angegeben, daß in der zugerichteten Form einzelne Klischees gewackelt hätten. Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung dieser Zeugenaussagen und nach eingehender Prüfung der vorgelegten Arbeiten drei bis fünf — die Arbeiten eins und zwei konnten nicht mehr vorgelegt werden — gutachllich sich zunächst dahin geäußert, daß der Kl. nach den vorliegenden Druckproben ihm zur Ausführung solcher Druckarbeiten überhaupt unfähig erscheine. hat seine Ansicht eingehend begründet und be­ sonders darauf gestützt, daß der Kl. mit wackelnden Klischees gedmckt habe. Das Justieren der Klischees sei etwas so Selbstverständliches, daß es schon jeder Lehrling wissen müsse. @r hat schließlich hinsichtlich der dritten und vierten Arbeit des Kl.

-) Bgl. Nr. 602..

BGB. §119.

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bekundet, daß diese Arbeiten nicht so ausgefallen seien, daß man sagen könnte, sie seien von einem Maschinenmeister gedruckt, der auf der Höhe der Zeit stehe. Alles in allem steht nach dem sachverständigen Gutachten in Verbindung mit den Zeugen­ aussagen fest, daß die Leistungsfähigkeit des Kl. eine recht minderwertige und der Anpreisung in der erwähnten Ausschreibung recht wenig entsprechende gewesen ist; schon mit Rücksicht aber darauf, daß Arbeiten des Kl. trotz ihrer minderwertigen Beschaffenheit doch an Kunden abgeliefert werden konnten, kann man im vor­ liegenden Falle nicht davon sprechen, daß es dem Kl. an einer Eigenschaft gefehlt habe, die geradezu das W e s e n eines Autotypiedruckers bestimmen. (Gewerbe­ gericht Jg. 10 Sp. 69.) b) Urteil des GG. Posen vom 26. Februar 1909. Der Kl. hat bei dem bett. Tischlermeister zunächst drei Tage im Taglohn gearbeitet, ohne daß über die Kündigung gesprochen worden ist. Daraufhin üb ertrug der Bell, ihm vier Schreibtische im Akkord. Nach drei Tagen wurde der Kl. vor Fertigstellung der Tische entlassen. Der Kl. hält die Entlassung für unbegründet und beanspmcht Zahlung von 18 Mk. als angemessenen Tagelohn für eine Woche. Zur Begründung seines Klageanspmchs beruft sich der Kl. aus den § 9 des Lohntarifs für Möbeltischler vom 30. Oktober 1906, welcher wie folgt lautet: „Zur Lösung des Arbeitsverhältnisses beiderseits ist eine Kündigung nicht erforderlich. Das Arbeitsverhältnis kann jederzeit am Schluffe eines Arbeitstages gelöst werden, jedoch muß angefangener Akkord fertigge­ stellt werde n." Der Bekl. wendet ein, daß er den Kl. entlassen habe, weil dieser zur Vollendung der Akkordarbeit vollständig unfähig gewesen sei. In den drei Tagen habe der Kl. 9 Mk. Schaden verursacht, indem er das ihm zu der Arbeit verabfolgte Holz nicht ordnungsmäßig zugeschnitten habe. Bor der Übernahme des Akkordes habe der Kl. versichert, daß er auf Schreibtische eingearbeitet sei; es habe sich aber schon bei dem Zuschneiden des Materials die Unrichtigkeit der Versicherung herausgestellt. Der K>. habe ihn mithin über seine Fertigkeiten getäuscht.

Der Bekl. ist verurteilt. Aus den Gründen: Die Akkordabrede ist kein Werkvertrag, sondern in erster Linie auf veränderte Festsetzung der Lohnhöhe gerichtete Nebenberedung des Dienstvertrages. Es finden deshalb auch für diese Abrede alle über die Auf­ lösung des Vertrages bestehenden gesetzlichen Bestimmungen sowohl der GO. wie auch des BGB. Anwendung. Nur ist hier, mit Mcksicht auf die besondere Natur des Vertrages, als Regel anzunehmen, daß die Parteien die Nichtauflösbarkeit für alle die Zeitpunkte gewollt haben, in denen die Arbeit nicht soweit fertig ist, daß sich die Vergütung für geleistete Arbeit ohne weiteres aus der Festsetzung des Marktpreises ergibt (vgl. Schulz, GGG. S. 213). Dieser Regel entsprechend ist auch in dem Posener Lohntarif für Möbeltischler, dessen Anwendbarkeit beide Parteien anerkennen, in den den Kündigungsausschluß und die Lösbarkeit des Arbeitsverhältnisses am Schlüsse eines Arbeitstages allgemein festsetzenden § 9 der bei der gleichen, sich auf b e i d e Vertragschließenden erstreckenden Fassung gültige (§ 122 GO.) Zusatz ausgenommen, daß „angefangener Akkord fertiggestellt werden muß". Der Kl. hat also an sich einen vertragsmäßigen Anspruch auf Be­ endigung des übertragenen Akkordes. Dieses Recht kann aber selbstverständlich den Bell, nicht hindern, trotzdem sich zur Rechtfertigung der gleichwohl ohne Kündigung erfolgten Entlassung auf den § 123 GO. zu berufen. So hat er den Einwand erhoben, der Kl. sei zur Vollendung der Mkordarbeit (Schreibtische) vollständig unfähig gewesen. Seine Auffassung aber, dieser Einwand falle unter den im § 123 Ziffer 8 anfgeführten Entlassungsgrund, greift fehl. Von der dort erwähnten, nach Eingang des Vertrages eintretenden Unfähigkeit des Kl. zur

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BGB. §119.

Fortsetzung der Arbeit kann hier nicht die Rede sein. Die wahre Absicht des Bell, ging deshalb auch gar nicht dahin, diesen Einwand zu erheben; er hat vielmehr, nachdem er zur Erkenntnis gelangt, daß der Kl. vonvornherein zur Leistung der Schreibtischakkordarbeit unfähig gewesen, weil ihm die erforder­ lichen, vorausgesetzten und auch angegebenen Fähigkeiten oder Eigenschaften fehlten, auf Grund des § 119 Absatz 2 BGB. den Dienstvertrag anfechten und so die sofortige Aufhebung des alsdann von Anfang an nichtigen Vertrages erreichen wollen. Daß eine solche Anfechtung trotz der an sich erschöpfenden Gründe des § 123 GO. zulässig ist, muß mit Neukamp (die GO. 7. Auflage § 123 Anm. 3), entgegen dem Urteil des GG. Breslau vom 18. März 1901, anerkannt werden. — Mr ist ihre Anwendung bei der besonderen Natur der Mkordabrede stark ein­ geschränkt. Akkordarbeit bedeutet für den Arbeitgeber neben den großen Vor­ zügen, z. B. der Arbeitsintensität, auch die Übernahme eines gewissen Risikos. Er muß, da es sich, zumal bei werwollem Material und bei Qualitätsarbeit, um eine Frage des dem Arbeitnehmer entgegengebrachten Vertrauens handelt, sich vor der Übertragung der Mkordarbeit von der Leistungsfähigkeit und Geschicklich­ keit des Arbeiters überzeugen. Er soll sich nicht, wie er es hier getan hat, damit begnügen, den Arbeiter darnach zu fragen, bei wem er als Lehrling das Handwerk gelernt und ob er dort auch Schreibtische angefertigt habe. Der Kl. konnte ihn da mit Recht aus seinen Lehrherrn, den Tischlermeister N., verweisen, und der Bell, hat die Richtigkeit dieser Angaben auch gar nicht bestreiten können. Der Bekl. hätte vielmehr, zumal bei einem jungen Arbeiter, den Kl. zunächst längere Zeit im Stundenlohn beschäftigen und ihn hierbei auf seine Geschicklichkeit genau prüfen müssen. Hat er sich lediglich mit einer dreitägigen Probezeit im Stundenwhn begnügt, so muß e r die Folgen tragen. Anders läge es vielleicht nur dann, wenn der Kl. ihn gegen besseres Wissen über seine völlige Sachunkenntnis getäuscht hätte. Hiervon kann aber vorliegend bei den vom Bekl. nicht bestrittenen Angaben des Kl. über seine Lehrzeit nicht die Rede sein. Der Bekl. durfte nach alledem, auch wenn der Kl. nach seiner Ansicht das gelieferte Holz gänzlich zerschnitten hätte, diesen doch nicht mehr entlassen. Er hat sich, wie ersichtlich, in der Wahl der Mittel zu seinem Schutz vergriffen. Er Hätte, wenn seine Auffassung über die geringen Leistungen des Kl. zutreffend war, die wöchentlichen Vorschüsse stark herunterdrücken, und er hätte auch, bei dem eventuell zu liefemden Nachweis eines Verschuldens des Kl-, die Zahlung des Nachschusses nach Beendigung der Mkordarbeit ganz verweigern dürfen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 287.) c) Urteil des KG. Berlin, Kammer 3, vom 15. Februar 1907.

Der Bekl. ist zur Zahlung von 20 Mk. verurteilt; im übrigen ist die Klage abgewiesen. Aus den Gründen: Die Kl. hat sich vom Bekl. als Kontoristin und Stenographin mit einem Monatsgehalt von 50 Mk. anstellen lassen. Aber schon nach zehntägiger Tätigkeit ist sie wegen vollständiger Unbrauchbarkeit entlassen worden. — Durch Vernehmung der Mitangestellten und eine mit der Kl. an­ gestellte Probe wurde erwiesen, daß sie in der Tat die Stellung beim Bekl. nicht ausfüllen konnte. Ihre Leistungen reichen für eine praktische Verwendung in einem Geschäfte nicht aus. Der Bekl. hätte sie bei verständiger Würdigung des Falles, wenn er ihre Unfähigkeit zu den leichtesten stenographischen und Ma­ schinenschreibarbeiten gekannt hätte, nicht angestellt, denn er hätte neben ihr eine andere Stenographin gebraucht, um die erforderlichen Arbeiten erledigen zu lassen. Dem Bekl. ist die Weiterbeschäftigung der Kl. nicht zuzumuten, allein, er muß ihr den durch seinen Irrtum vemrsachten Schaden gemäß § 122 BGB. ersetzen, denn sie durfte auf Gmnd ihrer Zeugnisse, auf die hin allein der Bell, sie angestellt

BGB. §123.

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hatte, ihre Verwendbarkeit voraussetzen. Bei ihren Fähigkeiten würde sie höchstens ein Gehalt eines Lehrmädchens verdient haben, das sich in der Stenographie erst versucht. Mehr als 20 Mk. für den Monat waren ihr hierfür nicht zuzubilligen. (Reichsarbeitsbl. Jg. 6 S. 190.)

842. Kann der Arbeiter den Ar-eitSvertrag anfechten, weil ihm ver­ schwiegen ist, daß er Streikarbeit leisten soll? Verstößt der Streikbrnch gegen die guten Sitten?

a) Urteil des GG. Mannheim vom 31. Oktober 1905. Kl. arbeitete in der Zellstoffabrik. Er behauptet, daß der Inhaber der bell. Firma ihn veranlaßt habe, bei der genannten Fabrik auszutreten und bei ihm Arbeit anzunebmen; dabei habe er verschwiegen, daß Kl. Streikarbeit verrichten, also zum Streikbrecher werden solle; wie er (Kl.) nämlich am 23. Oktober seine Stelle antreten wollte, sei bei L. gar nicht gearbeitet worden, da seine sämtlichen Arbeiter einige Tage zuvor ihre Kündigung eingereicht hatten. Nm nicht zum Streikbrecher zu werden, habe er (Kl.) dann sofort wieder seinen Austritt genommen. Durch das Verhalten des Bekl. sei er stellungslos geworden. Als Ersatz des dadurch entstandenen Schadens wird der Betrag von 36 Mk. (Lohn für 12 Arbeitstage) verlangt.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: 1. Trifft die klägerische Darstellung des Sach­ verhalts in allen Punkten zu, so ist der kündigungslose Austritt des Klägers bei der Bell, zwar aus § 123 BGB. (wegen der arglistigen Täuschung, die in der Ver­ schweigung des Umstandes, daß Kl. Streikbrecherarbeit leisten sollte, zu finden wäre) '— nicht aus § 124 GO., wie Kl. meint, — gerechtfertigt, damit aber noch

nicht der Anspruch auf Schadensersatz begründet. Denn § 123 BGB. (den das Gericht im Gegensatz zu anderen Gewerbegerichten ebenso, wie den § 119 BGB. neben den §§ 123 und 124 GO. für anwendbar erachtet) gibt keine Schadensersatz­ vorschrift zugunsten des Getäuschten gegenüber dem Täuscher; es regelt sich die Schadensersatzpflicht des letzteren vielmehr nach den sonstigen Bestimmungen des BGB. Von solchen können aber nur in Bettacht kommen: die §§ 628 Abs. 2 und 826. Beide treffen auf den vorliegenden Fall nicht zu; § 628 Abs. 2 nicht, weil der Bekl. nicht etwa dem Kl. gegenüber vertragswidrig gehandelt hat, war er es doch gerade, der den abgeschlossenen Dienstvertrag erfüllen wollte, während Kl. die Erfüllung verweigerte, und § 826 nicht, weil weder von einem Verstoß der Bell, gegen die guten Sitten gesprochen toetben kann (daß die Tätigkeit des „Stteikbrechers" gegen die guten Sitten verstoße, wird zwar seitens der Arbeiter bezw. ihrer Verbände häufig behauptet, ist aber nicht einmal von allen Arbeitern, ge­ schweige denn allgemein anerkannt), noch die Absicht des Bell., sein „Vorsatz", darmlf gerichtet war, den Kl. arbeitslos zu machen, sondern im Gegenteil darauf, ihm, in Erfüllung des abgeschlossenen Dienstverttages, Beschäftigung zu geben1). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 147.)

b) Urteil des GG. Augsburg vom 16. Mai 1906. Der Kl. frug mit Postkarte vom 8. Mai 1906 bei der Bekl. an, ob er als Former in Arbeit treten könne. Auf zusagende Antwort reiste er am 12. Mai von Straubing nach Augsburg. Am 13. Mai erfuhr er, daß bei der Bell. Streik ausgebrochen sei; er ging deshalb am 14. Mai abends nach Arbeitsschluß in die Fabrik der Bell, und gab dort die Erklärung ab, daß er als Mitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes einen Streik­ brecher nicht machen könne imb darum nicht imstande sei, die Arbeit aufzunehmen. Der Vertreter der Firma stellte ihm darauf anheim, am Morgen des nächsten Tages die Arbeit anzufangen. Der Kl. tat es jedoch nicht. Er verlangt Ersatz der Reisekosten mit 3,10 Mk. und eine Entschädigung für 3 Tage, nämlich den 14., 15. und 16. Mai mit je 3 Mk., zu*) Vgl. Nr. 538, 539.

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BGB. §123.

stimmen also 12,10 Mk. mit der Begründung, Bell, wäre verpflichtet gewesen, ihm mit« zuteilen, daß in der Fabrik Streik ausgebrochen sei. Hätte er dies gewußt, wäre er selbst« verständlich nicht hierher gefahren. Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Der Kl. könnte mit seinem Ansprüche nur durch­ dringen, wenn er zum kündigungslosen Austritt bzw. zur Verweigerung der Arbeitsaufnahme berechtigt gewesen wäre und sich dieBekl. eineRechtspflichtverleletzung hätte zuschulden kommen lassen. Beide Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben. Von den Gründen, die § 124 GO. für die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufzählt, könnte im gegebenen Falle höchstens der unter Ziff. 3 angeführte in Frage kommen, daß nämlich der Arbeitgeber den Arbeiter zu Handlungen verleitet oder zu ver­ leiten sucht, welche gegen die guten Sitten verstoßen. Daß die Arbeitsaufnahme durch den Kl. nicht als eine derartige Handlung angesehen werden kann, steht für das Gericht zweifellos fest. Ob eine Handlung gegen die guten Sitten ver­ stößt, ist nach den Anschauungen des sozialen Kreises, innerhalb dessen sie vor­ genommen wird, zu beurteilen; vgl. Staudinger, Kommentar z. BGB. § 138, Anm. I, 2. Nun sind zwar die Arbeiter in ihrer Mehrzahl der Ansicht, daß die Tätigkeit des Streikbrechers gegen die guten Sitten verstoße, jedoch auf dem gerade entgegengesetzten Standpunkte stehen die Arbeitgeber, und auch in den Kreisen, welche den beteiligten Personen fernstehen, wird durchaus nicht im allgemeinen im Streikbruch eine gegen die guten Sitten verstoßende Handlung erblickt. Sind doch auch die Gründe, die zum Streik führen, verschiedener Beurteilung fähig. Die Anschauung der Arbeiter erklärt sich lediglich aus einer be­ greiflichen Jnteressenpolitik. Aus den angeführten Gründen ist auch der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag nicht etwa auf Grund des § 138 Abs. I BGB. nichtig. Ob nicht der Umstand, daß die Tätigkeit der Kl. im Geschäft der Bell. Streikbrecherarbeit wäre, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden würde, braucht nicht geprüft zu werden, nachdem es an den Voraussetzungen des § 124 a GO. fehlt und § 626 BGB. neben § 124 GO. keine Anwendung findet; vgl. RegerStöhsel, GO. § 124 Anm. 1; § 124 a Anm. 3. Das Verhalten des Kl. könnte endlich noch gerechtfertigt werden, wenn die Voraussetzungen des § 123 BGB. gegeben wären. Eine arglistige Täuschung auf feiten des Arbeitgebers könnte in dem Verschweigen des Umstandes, daß in seiner Fabrik Streik ausgebrochen sei, er­ blickt werden, wenn zwischen den Beteiligten, also den Parteien, ein Verhältnis bestanden hätte, vermöge dessen der eine dem anderen nach Treu und Glauben zur Mitteilung der wahren Sachlage verpflichtet gewesen wäre; vgl. Plank, Komm. z. BGB. § 123 Anm. 2. Nun kann aber eine derartige Verpflichtung des Arbeitgebers nach der Anschauung des Gerichts nicht anerkannt werden, nachdem noch dazu der Kl. die Bekl. um Arbeit angegangen und dabei mit keinem Wort erwähnt hat, daß er einer Organisation angehöre. Mit dem gleichen Recht, mit dem man vom Arbeitgeber verlangen würde, einem Arbeiter Mitteilung von einem Streik zu machen, könnte man von einem Arbeiter fordem, daß er sich über das Bestehen eines Streiks orientiert und nur unter der Bedingung einen Arbeitsvertrag abschließt, daß kein Streik ausgebrochen ist. (Gewerbe- u. Kauf­ mannsger. Jg. 11 Sp. 308.)

843. (390.) Ist der Dienstvertrag, durch den auffällig niedriger Lohn gezahlt wird, nichtig? Urteil des GG. Stuttgart vom 26.April 1900.x)

Der Dienstvertrag ist als nichtig angesehen. (Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 142.)

*) Bgl. Nr. 845.

BGB. § 138.

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844. Vereinbarung, daß der Angestellte die Provision für das ganze vorangegangene Jahr verliert, wenn er an einem 1. Januar kündigt oder gekündigt wird. Widerspricht die Abrede den guten Sitten? Urteil des Reichsgerichts, 3. Zivilsen., vom 1. Juli 1904. Nach dem Dienswertrage sollte der klagende Ingenieur, falls er an einem 1. Januar kündigen oder ihm an einem solchen gekündigt werden sollte, des Anspruchs auf die Pro­ vision des voraufgegangenen ganzen Jahres verlustig gehen. Der hierauf gestützte Ein­ wand der bekl. Maschinenbauanstalt wurde, als gegen die guten Sitten verstoßend, vom OLG. Cöln zurückgewiesen. Das OLG. meint, die Bestimmung widerspreche den guten Sitten deshalb, weil die heutige berechtigte Volksanschauung erfordere, daß der wirt­ schaftlich Stärkere sich nicht in eine Lage versetze, welche ihm die Ausnutzung der schlechteren Vermögenslage des anderen Teils für seine Zwecke gestattet imb weil es gegen diese Volks­ anschauung verstoße, wenn der Angestellte so, wie hier durch die streitige Bestimmung geschehen, gebunden und mehr oder minder der Willkür des Arbeitgebers überliefert werde.

Das Reichsgericht hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben. Aus den Gründen: Gewiß verstößt der wirtschaftlich Stärkere, der für seinen Vorteil die schlechtere Vermögenslage des anderen Teils ausnützt, gegen die guten Sitten und gewiß ist eine Vereinbarung, die auf solche Ausnutzung hinausläuft, ein durch § 138 des BGB. für nichtig erklärtes Rechtsgeschäft. Allein der streitigen Bestimmung wird solche Wirkung dadurch genommen, daß das Jahresgehalt, welches dem Kl. zugesagt ist und von der Bestimmung nicht betroffen wird, auf 5100 Mk., also auf einen Betrag sich beziffert, der die Höhe der bislang entfallenen Provisionen um das drei- und vierfache übersteigt. Die unbedingte Verpflichtung der Bekl. zur Auszahlung einer Vergütung in dieser Höhe muß die Folgerung, daß Kl. — dadurch, daß das Bezugsrecht weiterer Bermögensvorteile mehr oder minder vom Willen seines Arbeitgebers abhängig gestellt ist, — in ein nach allgemeiner Anschauung zu mißbilligendes Abhängigkeitsverhältnis — versetzt wird, um so mehr ausschließen, als eine arglistige Ausübung der Kündigungsvefugnis von feiten der Bekl. den Verlust der Provision nicht zu bewirken vermag. (Gewerbegericht Jg. 10 Sp. 50.)

845. Ist die Abrede giltig, daß der Handlungsgehilfe kein Gehalt erhält und zur Hälfte am Gewinn und Verlust teilnimmt? Urtell des Reichsgerichts, 3. Zivilsen., vom 26. November 1909. Die Kl. hat den Bekl. durch Vertrag vom 29. Februar 1907 „als Geschäftsführer ihres in E. betriebenen Manufakturwaren- und Konfektionsgeschäfts engagiert". Das Geschäft in E. war eine Filiale des in K. bestehenden Hauptgeschäfts. Nach § 5 des Ver­ trages und nach einem Nachtrage dazu vom 6. Februar 1906 hatte der Bekl. als „Gehalt ein halb Anteil des Jahresresultats" der Filiale zu beziehen. Der Anteil wurde ihm jedoch nicht jährlich ausgezahlt, sondern blieb bis zum Ablauf des Vertrags, der im Nachtrage vom 6. Februar 1905 auf den 31. Juli 1906 festgesetzt wurde, im Geschäft, wobei er von der Kl. mit 5% jährlich zu verzinsen war. Die Parteien sind ferner darüber einig, daß der Bekl. in gleicher Weise wie am Gewinn auch am Verluste des Geschäfts teilzunehmen hatte. Zum Unterhalte durfte der Bekl. monatlich 250 Mk. entnehmen, die sodann auf seinen Gewinnanteil oder Verlustanteil anzurechnen waren. Auf Grund dieses Ver­ trages hat die Kl., als der Vertrag zu Ende ging, eine Berlustanteilssorderung von 8082,43 Mk. berechnet, von der sie den Betrag von 4000 Mk. mit der vorliegenden Klage einklagt. Der Bekl. hat neben anderen Einwendungen auch geltend gemocht, daß der Vertrag gegen die guten Sitten verstoße und deshalb nichtig sei. Das BG. hat ebenso wie das LG. den Vertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten für nichtig erklärt und die Klage abgewiesen.

Die Revision gegen diese Entscheidung ist zurückgewiesen. Aus den Gründen: Zutreffend hat das BG. dargelegt, daß der Vertrag vom 29. Februar 1904 nicht ein Gesellschaftsverhältnis zwischen den

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BGB. §138.

Parteien begründet hat, sondern daß er die Anstellung des Bell, als Handlungsgebilfe im Dienste der Kl. enthielt............. Darin ist dem BG. beizustimmen, daß die Abreden über die Entlohnung des Bell, gegen die guten Sitten verstoßen. Geht man von dem unter den Parteien unstreitigen Vertragsinhalte aus, wonach der Bell, in gleicher Weise am Gewinn und Verluste beteiligt war und das Entgelt für seine Dienste sich lediglich nach dem Ergebnisse der Gewinn- oder Verlustrechnung bestimmte, so erhielt er ein festes Gehalt, womit er seinen Lebensunter­ halt bestreiten konnte, überhaupt nicht. Ergab sich Verlust, so mußte er die monat­ lichen Entnahmen von 250 Mk., die nur vorläufig gewährt wurden, nach der Höhe des Verlustes wieder zurückzahlen, so daß er mögncherweise für seine Arbeit gar nichts erhielt, ja noch Schuldnerin der Kl. wurde. Es widerstreitet aber den guten Sitten, den Auffassungen, die der anständig und gerecht Denkende von der Entlohnung geleisteter Dienste hat, einem Handlungsgehilfen, der auf den Ertrag seiner Arbeit angewiesen ist, diesen Ertrag in der Art, wie es hier von der Kl. geschehen ist, zu verkümmern. Es ist nicht angängig, einen Handlungsgehilfen, zumal wenn er, wie der Best, kein Vermögen besitzt, ohne ihm ein bestimmtes Gehalt zuzubilligen an dem Verluste des Geschäfts derart zu beteiligen, daß er für seine geleisteten Dienste nichts erhält, sobald die Geschäftsergebnisse ungünstig werden. Noch mehr aber widerstreitet eine derartige Abrede den guten Sitten, wenn die Vertragsbestimmungen über die Jnventuraufnahme und die Aufmachung der Gewinn- und Verlustrechnung durchweg so zu ungunsten des Handlungs­ gehilfen und zugunsten des Prinzipals getroffen werden, wie es hier geschehen ist. Nach § 4 des Vertrags wurden die Lagerbestände zum Fakturenwerte oder zu dem ermäßigten Lagerwerte, der bei im Preise zurückgesetzten Waren eintrat, in die Inventur aufgenoommen. Es wurde aber noch bestimmt, daß von dem Gesamtwerte eine steigende Abschreibung einzutreten habe, die im ersten Jahre 2%, im zweiten 4%, im dritten 6% usw. zu betragen hätte. Diese „Abschreibung" hatte mit der geschästsüblichen Abschreibung nichts zu tun, sondern betraf nur die Gewinnberechnung für den Bell., enthielt also eine unmittelbare Schmä­ lerung des Gewinns, wie er sich nach der gewöhnlichen Bilanz rechnerisch ergeben mußte, und betrug für das dritte Jahr bereits 6091,90 Mk. Nach § 6 und 9 wurden aste Kosten für die Instandhaltung des Geschäftshauses, sowie für Einrichtungen und Neuanschaffungen als „Geschäftsunkosten" gebucht. Daß die durch sie her­ vorgerufenen Werte, die dem Prinzipal zugute kamen, für die Gewinnberechnung herangezogen würden, ist im Vertrage nichts bestimmt. Nach § 13 des Vertrages war der Bell, verpflichtet, das Warenlager im Werte nicht über eine im Ver­ hältnis zum Umsätze bestimmte Höhe hinaus anwachsen zu lassen, den Mehrwert hatte er der Kl. mit 4% zu verzinsen, außerdem wurden aber vom ganzen Waren­ lager noch 5% Zinsen als Geschäftsunkosten verrechnet (§ 7). Auch diese sogen. Zinsen für Uberdisposition waren eine den Gewinnanteil des Bell, erheblich schmälemde Abgabe, die für das letzte Jahr 2113,33 Mk. betrug. Hält man dies alles zusammen, so müssen die Vertragsabreden über die Entlohnung des Best, ms unverträglich mit den guten Sitten angesehen werden. Damit fällt ein wesent­ licher Bestandteil des Dienstvertrags weg und der Vertrag selbst in sich zusammen.

846. Verstößt ein Vertrag gegen die guten Sitten, wonach ein erheblicher teil der Vergütung als Tantieme nach Schluß des Geschäftsjahres nur an diejenigen Angestellten auszuzahlen ist, die bei der Prämienverteilung noch im Geschäfte tätig sind? Urteil des KG. Hamburg. Kl. trat bei der Bell, im Jahre 1902 als Handlungsgehilfe gegen ein festes Gehalt von 90 Mk. ein, das im Laufe der drei nächsten Jahre auf 120 Mk. erhöht wurde. Im

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Jahre 1904 trat Kl. in den Genuß der von der Bell, ihren älteren Angestellten Angewiesenen Tantieme ein. Dabei mußte er gleich andern Tantiemenempfängern der Bell, folgende Bescheinigung unterschreiben:

„Hierdurch erkenne ich an, daß mir ein Recht auf einen Anteil an der zur Auszahlung kommenden Tantieme nicht zusteht, daß die Verteilung derselben lediglich dem Ermessen der Organe der Gesellschaft untersteht, und daß diese daher ausschließlich zur Entscheidung darüber befugt sind, ob, in welcher Höhe, in welchem Verhältnis, und an welche Beamten oder Angestellte Tantieme gezahlt werden soll. Insbesondere bekenne ich ferner, daß mir hierdurch bekannt gemacht worden ist, daß von Beginn des laufenden Geschäftsjahres 1897/98 ab als Regel sestgestellt ist, daß nur denjenigen Beamten und Angestellten der H. E. W. an der etwaigen Tantieme beteiligt werden sollen, die zur Zeit der Gewinnverteilung im Dienste der Gesellschaft stehen." Das Geschäftsjahr schließt mit dem 30. Juni. Die Gewinnverteilung erfolgt regel­ mäßig in dem darauf folgenden Vierteljahr. In den letzten Jahren belief sich die Tantieme auf eine Summe zwischen 40 und 50% des jeweiligen GehaltS des Angestellten, im letzten Geschäftsjahre 1907/08 auf etwa 46,7%. Im Frühjahr 1908 ließ sich Kl. im Betriebe der Bekl. eine Unordnung zu schulden kommen, indem er den Kupon der für seine Schwester bestimmten Rechnung, die unbezahlt blieb, nicht pflichtgemäß ablieferte, sondern unter seinen Papieren behielt und dadurch die Kontrolle der Bekl. über ihre säumigen Schuldner erschwerte. Kl. entschuldigte sich damit, er habe seiner Schwester, wie besugterweise auch anderen Schuldnern, eine Stundung von einem Monat bewilligt und den Kupon behalten, nm selbst die Kontrolle auszuüben. Er wurde deswegen von der Bekl. weder entlassen noch gekündigt. Er sollte nach einer anderen Abteilung versetzt werden, deren Bureau­ vorsteher ihn aber nicht haben wollte. Deshalb kündigte Bell, zum 30. Juni. Er fordert nun Tantieme für 1907/08 mit 669 Mk. gleich 46,7% seines Jahresgehalts von 1440 Mk., indem er den Revers für ungültig hält.

Die Bekl. ist verurteilt.

Aus den Gründen: Das Gericht kann die zwischen beit Parteien bestehende Abrede, daß die Tantiemenauszahlung in das freie Ermessen der Verwaltung der Bekl. gestellt sein soll, und daß insbesondere von ihr diejenigen An­ gestellten auszuschließen sind, die zurzeit der Gewinnverteilung nicht mehr im Dienste der Gesellschaft stehen, als gültig nicht ansehen, da sie einen Verstoß gegen die guten Sitten bedeutet. Es ist zwar besonders im Handelsgewerbe üblich, durch das Versprechen von Gratifikationen oder Tantiemen die Angestellten zu besonders getreuer Pflichterfüllung anzuspornen. Solange diese Nebenbezüge im angemessenen Verhältnisse zum Grundgehalt sich bewegen, ist gewiß nichts dagegen einzuwenden, daß der Arbeitgeber vereinbarungsgemäß ein Recht des Arbeitnehmers darauf ausschließt. Denn insoweit liegt einer solchen Verein­ barung ein gesunder wirtschaftlicher Gedanke zugrunde. Anders ist aber zu ent­ scheiden, wenn, wie hier, die Tantieme fast die Hälfte des Grundgehalts, also ein Drittel desjenigen ausmacht, was der Dienstverpflichtete aus dem Dienstverhält­ nisse an Einkünften bezieht. Bei einer solchen ganz ungewöhnlichen Höhe der Tan­ tieme ist es dem Gericht nicht zweifelhaft, daß sie in Wirklichkeit kein Anspom, kein Nebenbezug sein soll noch ist, sondern ein Teil der Vergütung, die dem Angegestellten nach der Bewertung seiner Dienstleistungen durch den Prinzipal ins­ gesamt gewährt werden soll und Jahre hindurch gewährt ist. Die Bezeichnung Tantieme in einem solchen Fall ist deshalb unrichtig, irreführend und nicht ent­ scheidend. Der Bekl. ist wohl bekannt, daß das Grundgehalt der älteren Ange­ stellten keine volle Gegenleistung für deren Dienste ist, daß die Angestellten viel­ mehr auf die Tantieme fest rechnen, unter ihrer Berücksichtigung ihre eigene Lebensführung einrichten und zum Teil sogar einrichten müssen und nur in der Hinzurechnung der Tantieme zum festen Gehalt eine ausreichende Gegenleistung abseiten der Bell, erblicken. Wenn nun die Bell, vereinbart, daß der Angestellte keinen Anspruch auf die Tantieme hat, so versagt sie ihm den Rechtsschutz für

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den dritten Teil seiner von ihr selbst als seinen Diensten angemessen betrachteten Vergütung. Wenn sie ferner vereinbart, daß im besten Falle nur diejenigen An­ gestellten bei der Gewinnverteilung zu berücksichtigen sind, die zur Zeit der Berteilung noch bei ihr sind, so verkürzt sie den am Schlüsse des Geschäftsjahres vor der Verteilung der Tantiemen ausscheidenden Angestellten den dritten Teil der seinen Diensten im letzten Geschäftsjahr entsprechenden Gegenleistung. Dadurübt sie auf die Angestellten einen Druck aus, in ihren Diensten zu bleiben, um nicht einen Teil der Vergütung für geleistete Tätigkeit zu verlieren. Es erscheint aber als eine unerträgliche Härte und Unbilligkeit, als eine Ausnutzung des wirt­ schaftlichen Übergewichts des Unternehmers, wenn er durch Vereinbarung mit seinen Angestellten die Entscheidung über die Auszahlung eines erhelbichen Teils der verttagsmäßigen Vergütung in seine Willkür verstellt und dadurch die Arbeit des ihr werten Lohnes entkleidet. Ein solches der Bell, zur Last fallendes Ver­ halten verstößt gegen die guten Sitten und ist deshalb nach § 138 BGB. nichtig. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 290.)

847. Ist die Bestimmung rechtsgültig, daß der Reisende einer Bersicherungsgescllschast im Probemonat ein bestimmtes Pensum von Bersichernngsabschlüssen zu erzielen hat und daß sich andemfalls das Gehalt entsprechend (ohne Minimalgrenze) mindert? Urteil des KG. Breslau. Die bell. Versicherungs-Aktiengeseltschaft hat den Kl. auf einen Probemonat als Reisenden engagiert. In dem Anstellungsvertrage heißt es:

„Für den Probemonat ist ein Pslichtpensum von 600 Mk. jährlicher Prämie perfekter und eingelöster Policen zu leisten. Kl. bezieht hierfür ein Gehalt von 150 Mk., welches sich event, pro rata der weniger erreichten Jahresprämie reduziert, ferner an Diäten 10 Mk. für den ganzen Tag mit Übernachten, 6 Mk. für den ganzen Tag ohne Übernachten, 5 Mk. für den halben Tag, außerdem freie Eisenbahnfahrt und Zu- und Abgang 1 Mk." Kl. hat Versicherungen mit einem jährlichen Prämienbetrage von 100 Mk. für Bekl. angeworben und für den Monat 25 Mk. Gehalt bekommen. Er beansprucht Zahlung des Restgehalts von 125 Mk.

Bekl. ist verurteilt. Ans den Gründen: In dem Anstellungsverttage ist die Kürzung des Gehaltes Vorbehalten, falls Kl. das Pflichtpensum nicht erreicht; diese Bereinbarung wird aber von dem Gericht als nichtig angesehen, da sie gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 des BGB ). Die dem Angestellten gezahlte Ver­ gütung darf nicht unverhältnismäßig niedrig sein. Auf Grund der Vereinbarung wurde dem Kl. ein monatliches Gehalt von 25 Mk. gewährt. Da er bei dem für die Spesen bestimmten Satze Ersparnisse nicht machen konnte und Provision nicht bezog, hätte er hiervon seine sämtlichen sonstigen Bedürfnisse an Kleidung, Unter­ halt seiner Familie usw. decken müssen. Hierbei fällt noch ins Gewicht, daß er als Reisender einer großen Versicherungsgesellschaft standesgemäß auftteten mußte. Wäre es dem Kl. bei den schwierigen Verhältnissen, die im Bersicherungsgewerbe herrschen, überhaupt nicht gelungen, in dem Probemonat Versicherungen anzu­ werben, so hätte er einen Monat umsonst für die Bekl. gearbeitet. Der Fall läßt sich nicht mit einem Anstellungsverttage in eine Linie stellen, in welchem dem Reisenden von vornherein für seine Tätigkeit nur Provision gezahlt wird. Bei derartigen Berttägen pflegt die Höhe der Provision und die Möglichkeit der Er­ zielung eines größeren Einkommens den Ausgleich für die Ungewißheit zu ge­ währen. Das Risiko ist nicht größer als bei einem selbständigen Kaufmann. In dem vorliegenden Falle hat der Angestellte aber nur die Möglichkeit, das verein­ barte Gehalt zu erlangen, während er tatsächlich vielleicht wenig oder nichts

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erhält. Die bezüglich des Pflichtpensums getroffene Vereinbarung wird daher als nichtig angesehen. Das Gericht hat die Höhe der zu gewährenden Vergütung in demselben Betrage festgesetzt, welchen die Parteien im übrigen vereinbart hatten, da dieser Satz angemessen erschien. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 11 Sp. 315.) i)

848. Ist die Abrede giftig, daß ein Bersicherungsinspektor nur dann das Gehalt für einen bestimmten Monat erhalten soll, wenn er die unbrauch­ baren Abschlüsse des vorigen Monats durch bessere ausgleicht? Urteil des KG. München vom 11. Juli 1906.

Die Abrede ist für nichtig erklärt. Aus den Gründen: In dem mündlichen Anstellungsvertrage ist einerseits vereinbart, daß Kl. ohne irgendeinen Vorbehalt verpflichtet ist, für den Monat Juni der Bell, seine vollen Dienste zu widmen. Anderseits übemahm die Bekl. die Verpflichtung, für die in ihrem Interesse unternommene Tätigkeit nur dann ein Entgelt zu gewähren, falls der Kl. für die Bekl. größere und bessere Akquisitionen mache. Während hiernach die Leistung des Kl. eine unbedingte ist, stellt sich die Gegenleistung der Bekl. als eine bedingte dar. Wäre die Erfüllung dieser Bedingung ausschließlich von dem Willen der Partei abhängig, so ließe sich hiergegen im allgemeinen nichts einwenden. Ebensowenig, wenn dem Ange­ stellten für seine Tätigkeit nur Provision bezahlt würde; hier bildet regelmäßig die Höhe der Provision und die Wahrscheinlichkeit einer größeren Einnahme einen gewissen Ausgleich für die Ungewißheit. Wenn jedoch wie im gegenwärtigen Falle ein fixer Gehalt vereinbart ist, womit schon begrifflich gesagt ist, daß für die T ä t i g k e i t als solche nicht für die e i n z e l n e n Vermittlungen ein Entgelt gewährt werden foll, und wenn ferner, wie bei der Aufgabe eines Versicherungsinspektors, die Tätigkeit des Angestellten allein noch keinerlei Erfolg verspricht, dieser Erfolg vielmehr von einer Reihe außerhalb der Wirksamkeit des Angestellten liegender Fakwren ganz wesentlich beeinflußt wird, so stehen hier die unbedingte Leistung des Kl. und die bedingte Gegenleistung in einem auf­ fallenden Mißverhältnisse. Bei Gültigkeit derartiger Vertragsbestimmungen wären nur die Interessen des Prinzipals, für den der Angestellte seine Arbeits­ kraft ausschließlich nutzbar macht, einseitig gewahrt; der Angestellte hingegen ist der Gefahr ausgesetzt, für seine Dienstleistung trotz allen Bemühens keinerlei Gehalt zu erhalten. Solche Vereinbarungen entsprechen nicht den Grundsätzen über die Gleichberechtigung der Parteien im Dienstvertrag, stellen vielmehr eine unbillige Ausnützung der Arbeitskraft eines Vertragsteiles dar. Sie verstoßen gegen die Grundsätze von Treu und Glauben im Verkehrsleben und damit auch gegen die guten Sitten. Hiernach sind derartige Vertragsbestimmungen gemäß § 138 BGB. nichtig. (Gewerbe- u. Kausmannsger. Jg. 12 Sp. 39.)

849. Ist die Abrede giftig, daß ein Bersicherungsbeamter sofort ent­ lassen werden kann, wenn er in einem Monat nicht ein bestimmtes Mindestqnantnm von Abschlüssen erzielt? Urteil des LG. Nürnberg vom 8. Februar 1911. Der Kl. stand vom 1. Januar bis 25. Februar 1910 als Oberinspektor mit dem Domizil in Essen gegen Bezug einer garantierten Gehaltsprovision von monatlich 225 Mk. bei der bekl. Versicherungsgesellschaft in Diensten. Für den Fall der Auflösung des Dienst­ verhältnisses hätten die Streitsteile beiderseits die Einhaltung einer dreimonatlichen Kündigungsfrist vereinbart. In § 8 des Vertrages war folgendes bestimmt:

i) Vgl. auch Nr. 739.

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„Als ein wichtiger Grund, welcher die Bank (die Bell.) zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist (§§ 70, 72 HGB.) berechtigt, gilt, wenn Herr S. innerhalb des dem Tage der Kündigung voraufgehenden Monats nicht mindestens 12 000 Mk. neue, durch Einlösung der Polieen perfekt gewordene Lebensverfiche« rungsfumme erzielt hat, wobei Aussteuerversicherungen sowie Sterbekassen Ver­ sicherungen, aus welche letztere mindestens 3 Monate Prämien gezahlt wurden, mit der Hälfte ihres Versicherungsbetrages und ebensolche Unfallversicherungen in der Weise in Anrechnung gebracht werden, daß je 60 Mk. effektiv erzielte JahresPrämie gleich 1000 Mk. Lebensversicherungssumme gelten; Haftpflichtversicherungen werden mit 40 Mk. Jahresprämie gleich 1000 Mk. Lebensversicherungssumme angerechnet. Mit Schreiben vom 24. Februar 1910 kündigte die Bell, dem Kl. wegen unzulängkicher Erfolge. Der Kl. räumt ein, daß er während der Dauer seines Dienstverhältnisses bei der Bell, mit den tatsächlich erzielten Lebensversicherungssummen weit unter dem Betrag von 12 000 Mk. zurückgeblieben ist, verlangt aber trotzdem von der Bekl. Zahlung seines Gehalts für 3 Monate zu insgesamt 675 Mk.

Das KG. Mmberg hat die Bekl. nach dem Klageantrag verurteilt. Es erachtet die Bestimmung des § 8 a des Dienstvertrags als gegen die guten Sitten verstoßend, diesen Vertragsteil daher gemäß § 138 BGB. für nichtig. Auf die Berufung des Bekl. ist das Urteil des KG. abgeändert und die Klage abgewiesen.

Aus den Gründen: Das Erstgericht ist zu einer Verurteilung der Bekl. gelangt, weil es die Bestimmung im § 8a des zwischen den Parteien ge­ schlossenen Anstellungsvertrages als gegen die guten Sitten verstoßend und daher als nichtig erachtet. Dieser Anschauung kann nicht beigetreten werden. Zurück­ gewiesen muß vor allem die Auffassung des Berufsbekl. werden, als verpflichte dieser Paragraph den Angestellten jeweils innerhalb 30 aufeinanderfolgenden Tagen mindestens für 12 000 Mk. Versicherungssumme zu erwerben. Nach dem Wortlaute des Vertrages kann kein Zweifel darüber obwalten, daß der Angestellte hierdurch verpflichtet werden sollte jeweils innerhalb des Kalendermonats 12 000 Mark neue Versicherungssummen zu erzielen und daß die Nichterreichung dieser Summe in einem Monat der Bekl. das Recht zur außerordentlichen Kündigung geben sollte. Diese Bestimmung muß aber für gütig erachtet werden. Nach § 70, 72 HGB. ist die Vereinbarung von Entlassungsgründen zulässig, es können Um­ stände zu wichtigen, die Entlassung rechtfertigenden Umständen erhoben werden, die es nach dem Gesetze nicht wären. Dieser Vertragssreiheit sind allerdings Schranken nach der Richtung gesetzt, daß durch derartige Abmachungen der Aw­ gestellte nicht in ein allzu großes Abhängigkeitsverhältnis herabgedrückt werden darf, es ist unzulässig, solche Umstände als Entlassungsgründe festzusetzen, deren Herbeiführung in dem Belieben des Prinzipals steht. Denn dies würde eine unstatthafte Umgehung der gesetzlichen Vorschriften über die Kündigungsfristen enthalten. Ein derartiger Fall liegt schon dann nicht vor, wenn die Vereinbarung dahin lautet, daß sofortige Kündigung erfolgen dürfe, wenn die von dem Reisenden erzielten Resultate nicht befriedigen, da diese Abmachung eine objektive Prüfung der Reiseergebnisse ermöglicht (bergt Urteil des LG. Hamburg R. d. OLG. V 453). Man wird deshalb um so weniger der hier in Frage kommenden Bestimmung des § 8a die Gültigkeit absprechen können, da hier das erwartete und als Mindest­ leistung geforderte Ergebnis sogar in einer bestimmten Summe zum Ausdruck gebracht ist, so daß jederzeit eine objektive, genaue Prüfung möglich und für eine Willkür der Bekl. überhaupt kein Raum ist, der Angestellte sich auch von vomherein über den geforderten Umfang seiner Leistung völlig im Klaren war. Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann unter diesen Umständen in der Bestimmung des § 8a nicht gesehen, sie muß deshalb an sich für gültig erachtet werden.

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Die Darlegungen der Parteien haben aber auch keine Umstände erkennen lassen, welche eine abweichende Auffassung für den vorliegenden Fall rechtfertigten. Der Kl. ist, wie von vomherein betont werden muß, kein Neuling auf dem Gebiete des Versicherungswesens, vielmehr gerade in dieser Branche wohl erfahren und seit Jahren in dieser tätig und konnte deshalb die Tragweite der Bestimmung des § 8a nach seinen eigenen früheren Erfahrungen wohl beurteilen. Endlich hat der Kl. auch keine Tatsachen dargetan, welche die Anwendung dieser Bestimmung als ungerechtfertigt erscheinen ließe. Der Kl. hat nach seinem eigenen Zugeständnisse in den 2 Monaten seiner Tätigkeit zusammen nicht über 5300 Mk. Versicherungssumme erzielt, er ist also hinter der vertragsmäßigen Mindestleistung in ganz erheblichem Maße zurück­ geblieben. Triftige Gründe, welche ein derartig auffälliges Minderergebnis entschuldigten, hat der Kl. aber nicht dargetan. Von einer ernsthaften Krankheit des Kl. während dieser Zeit kann nach seinem eigenen Zugeständnisse die Rede nicht sein, auch die Behindemng durch Fastnacht, die nur 3 Tage währte, gibt keine genügende Erklämng. Von einer Behindemng der Tätigkeit des Kl. durch die zu späte Übersendung des Reiseplanes kann um deswillen keine Rede sein, weil es ihm ja freistano, bis zu diesem Zeitpunkte in Essen tätig zu sein und die Größe dieser Stadt allein ihm ein genügendes Arbeitsfeld bot. Die übrigen Umstände, durch die der Kl. seine Minderleistung zu rechtfertigen sucht, sind derartig, daß ihnen von vomherein eine Bedeutung nicht beigemessen werden kann. Die sofortige Kündigung der Bekl. ist mithin gemäß § 8a gerechtfertigt, ohne daß es auf die angebotenen Be­ weise anzukommen hätte.

850. Verstößt die Abrede, daß der Provisionsreisende sich eine Preis­ minderung in voller Höhe an der Provision kürzen lassen soll, gegen die guten Sitten? Urteil des KG. München vom 21. Januar 1905.

Der Bekl. ist vemrteilt. Aus den Gründen: Festgestellt wurde, daß die Firma K. sich auf Veranlassung des Kl. eine Kontrollkasse vorführen ließ, nachdem der weitere Ver­ treter des Bell, dies vorher vergeblich zu erreichen gesucht hatte, und daß dann in Anwesenheit des Kl. und des Bell, der Berkaus der Kontrollkasse um den Preis von 850 Mr. stattfand. Es steht somit fest, daß die Borfühmng der Kontrollkasse erst durch die Tätigkeit und auf Veranlassung des Kl. geschah, dieser also das Geschäft entriert hat. Infolgedessen hat er auch das Recht auf den vollen Bezug der Provision, wenn auch der Prinzipal das Geschäft formell zum Abschluß brachte. — Was die weihe Einrede des Bell, betrifft, daß sich der Kl. die volle vom Prinzi­ pal gewährte Kaufpreismindemng an der Provision abziehen lassen müsse, so erachtet das Gericht eine derartige Bereinbamng für unzulässig. Sie widerspricht den Grundsätzen von Treu und Glauben im Verkehr. Auf oiese Weise würde es der Prinzipal in der Hand haben, das ganze Risiko der von ihm vorgenommenen Kaufpreismindemng auf den Provisionsreisenden abzuwälzen und es würde unter Umständen dessen Provision für seine anerkannte erfolgreiche Tätigkeit gleich Null sein. Das Gericht hat sich daher auf den Standpunkt gestellt, daß eine derartige Abmachung eine Übervorteilung des Kl. bedeutet, gegen die guten Sitten ver­ stößt und daher gemäß § 138 BGB. nichtig ist. Aus dem gleichen Gesichtspunkt kann eine derartige Handelsgewohnheit nicht als zu Recht bestehend anerkannt werden, da eine Handelsgewohnheit nicht unsitllich sein und gegen zwingende Rechtssätze nicht verstoßen darf (vgl. Staub, Komm. z. HGB. IS. 6 ff.). (Gewerbeu. Kaufmannsger. Jg. 10 Sp. 143.)

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BGB. §138.

851. Inwieweit widerspricht die Abrede, daß der Kellner ein Pausch­ quantum sür Bruchschaden zu zahlen hat, den guten Sitten? Urteil des GG. Berlin, Kammer 6, vom 26. Januar 1909. Kl. war am 6. September bis 25. November als einziger Zimmerkellner im Hotel­ betrieb des Bell, beschäftigt, und zwar nur gegen Trinkgelderverdienst. Nach der unter den Parteien getroffenen Vereinbarung hatte der Kl. täglich 1,50 Mk. an den Bell, zu zahlen; es sollten mit dem Monatsbetrag dieser Summe drei Zimmermädchen des Hotels mit je 10 Mk. sür Trinkgelder entschädigt werden und der Rest: 15 Mk. monatlich sollte sogenanntes Bruchgeld sein. Von Anfang der Dienstzeit bis Mitte Oktober war der Trinkgelderverdienst des Kl. ein guter. Dann aber wurde der Kl. mit Rücksicht auf den ge­ minderten Reiseverkehr beim Vertreter des abwesenden Bell, vorstellig, daß feine Abgabe von 1,50 Mk. täglich ermäßigt werde, auf 1 Mk., welchen Betrag der Vorgänger des Kl. von vornherein nur gezahlt habe. Diesem Wunsch des Kl. kam der Bell, am 12. November 1908 nach. Von diesem Tage gab der Kl. nur noch 1 Mk. ab. Kl. fordert jetzt einen Teil des während seiner Arbeitszeit gezahlten Geldes zuriick, und zwar einen Teil des als Bruchgeld gezahlten Betrages, 22,28 Mk. Kl. gibt an, daß der von ihm allein an Bruch verschuldete Schaden noch nicht einmal 5 Mk. für die ganze Zeit betrage, doch wolle er 5 Mk. monatliches Bruchgeld, als Pauschalbetrag, tragen. Wenn Bell, über diesen Betrag hinaus Bruchgeld verlangt habe, so sei dies gegen die guten Sitten.

Der Bell, ist verurteilt. Aus den Gründen: Daß von Kellnem Bruchgeld erfordert wird, ist im Gewerbe ein häufig vorkommender Brauch. In der Fixierung eines vom Kellner zu leistenden Bruchgeldes liegt eine vorweggenommene Fixierung des Schadens, den nach der Erfahrung jeder Kellner durch unvorsichtiges oder grob fahr­ lässiges Hantieren mit Geschirr—in größerem oder geringerem Umfang—verursacht, und für den er nach dem Gesetz verantworllich ist. (§276 BGB.) Die Normiemng eines Höchstschadenbetrages und die Einfordemng dieses Betrages vom Kellner enthält hiemach an sich keineswegs einen Verstoß gegen die guten Sitten, sondem sie ist die Erledigung eines Rechtsanspruches in bündiger pauschaler Weise. Erst dann, wenn die Leistung, die sich der Arbeitgeber als Schaden versprechen läßt, in einem augenfälligen Mißverhältnis steht zu dem Nachteil, den ihm der Arbeit­ nehmer schätzungsweise verursachen wird, erst dann erscheint die Bmchgeldabgabe, und zwar in einer Höhe nicht mehr anständig, nicht mehr anständigen Sitten ent­ sprechend und ist insofern nichtig (§ 138 BGB ). So konnte es im vorliegenden Fall nicht als anständig angesehen werden, daß der Arbeitgeber den Kellner als eine Versicherungsanstalt gegen allen Bruchschaden in seinem Wirtschafts, betrieb betrachtete und ihm das Risiko des gesamten Geschirrschadens auf­ bürdete. — Der Kl. kann nur für den Schaden verantwortlich ein, den er selbst verschuldet hat, und das ist schätzungsweise und unwidersprochen höchstens ein Bewag von 5 Mk. monatlichx). (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 286.)

852. Verstößt eine Vereinbarung wider die guten Sitten, nach der der stiindige Kellner für feinen gesetzlichen Ausgangstag den Lohn des Aus­ hilfskellners zu tragen hat? Urteil des GG. Chemnitz vom 22. September 1908.

Das GG. hat die Abrede für nichtig erllärt. Aus den Gründen: Das Gericht hat es dahingestellt sein lassen, ob zwischen den Parteien eine Vereinbarung über die Tragung der Kosten für die *) Vgl» auch GG. Mannheim vom 17. April 1907. Jg. 13 SP. 108.)

(Gewerbe- u. Kanfmannsger.

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BGB. §§ 138, 273.

an den gesetzlichen Ausgehtagen des Kl. gestellten Aushilfen getroffen worden ist. Der Sachverständige GL kommt in seinem Gutachten zu dem Schlüsse, daß es m Wirtschaftsbetrieben wie dem des Bell., gleichviel ob der Kellner das Bier auf Rechnung hat oder nicht, durchaus unbillig ist und einer Umgebung des Gesetzes gleichkommt, wenn der Prinzipal vom Kellner verlangt, daß dieser für die gesetz­ lichen Ausgehtage aus seine Kosten eine Aushilfe stelle, und daß eine Ausnahme von diesem Grundsätze höchstens bei großen Betrieben, in denen der Buffetier alles auf Rechnung hat und einen außergewöhnlichen Umsatz erzielt, vereinzelt berechtigt sein mag. Das Gericht teilt vollkommen diesen Standpunkt des Sachverständigen. Da die Verpflichtung des Wirts, seinem Kellner mindestens alle 14 Tage einen Ausgehtag zu gewähren, auf gesetzlicher Vorschrift beruht, so er­ folgt die Annahme einer Aushilfe für diesen Tag im ausschließlichen Interesse des Wirtes, keineswegs in dem des Angestellten, und mithin ist es als eine unbillige Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Angestellten anzusehen und wider­ spricht sowohl dem sozialen Zwecke der fraglichen Gesetzesbestimmung wie über­ haupt einer gesunden Rechtsauffassung, wenn der Wirt diese ihn jedenfalls selbst treffenden Kosten durch Bereinbamng auf den Angestellten abzuwälzen sucht. Selbst wenn hiemach der Bell., wie er behauptet, mit dem Kl. eine Bereinbamng dahin getroffen haben sollte, daß dieser die an den grsetzlichen Ausgehtagen ge­ stellten Aushilfen zu zahlen hat, so erscheint diese Bereinbamng nach § 138 BGB. als gegen die guten Sitten verstoßend nichtig. Msdann kann aber auch nicht zuungunsten des Kl. in Betmcht kommen, daß dieser während der gelegentlichen Abrechnungen seine Ersatzsordemng nicht geltend gemacht hat. Einen stillschwei­ genden Verzicht des Kl. auf seine Forderung vermag das Gericht hierin jedenfalls nicht zu erblicken, wobei es ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachver­ ständigengutachten insbesondere mit berüchichtigt, daß gerade in den Fällen, wo eine oerartige unsittliche Bereinbamng gettofsen worden ist, der Angestellte während der Dauer des Dienstverhältnisses regelmäßig nicht in der Lage sein wird, die Nichtigkeit einer solchen Bereinbamng geltend zu machen, ohne seine Stellung zu gefährden. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 150.)

853. Darf der Arbeitgeber den Lohn zurückhalten, wenn der Arbeiter nicht seine Qutttimgskarte zum Einkleben von Marken vorlegt? Urteil des GG. Hamburg vom 27. August 1903.

Das GG. hält die Zurückbehaltung des Lohnes für zulässig. Aus den Gründen: Da das Arbeitsverhältnis im voraus auf weniger als eine Woche beschränkt war, so fand auf die Beiträge zur Invalidenversicherung das behördliche Einziehungsverfahren nicht statt, vielmehr war Bell, auf Grund §§ 140 und 141 in Verbindung mit § 176 des JVG. bei Vermeidung einer Geld­ strafe von eventuell 300 Mk. verpflichtet, für die letzte Woche, in welcher Kl. bei ihm beschäftigt gewesen, bei der Lohnzahlung jedem der Kl. eine Beittagsmarke in ihre Quittungskarten zu Beben. Zu diesem Zweck hatten nach § 131 desselben Gesetzes die Kl. bei der Lohnzahlung ihre Karten dem Bell, vorzulegen. Lehnten die Kl. die Vorlegung der Karten ab, so war nach demselben Paragraphen (Abs. 2 Satz 3) Bell, zweifellos berechtigt, für Rechnung der Kl. eine neue Karte aus­ stellen zu lassen uno den verauslagten Bettag bei der Lohnzahlung einzubehalten. Schon nach dieser Bestimmung könnte man das Verfahren des Bell, als gerechtferttgt ansehen. Denn wenn er auch an dem fraglichen Mittag noch keinen Bettag verauslagt hatte für Beschaffung anderer Quittungskarten, so mußte er sich doch für die ihm eventuell noch entstehenden Auslagen sichern können. Aber

ganz abgesehen von der vorbenannten Gesetzesstelle ergibt sich die Berechttgung Baum, öeroerbegertc^te.

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BGB. §273.

des Bekl. zur vorläufigen Zurückbehaltung der klägerischen Lohnreste auch aus dem § 273 des BGB. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Vorlegung seiner Quittungslarte behufs Einklebung der Marken bemht zwar in erster Linie un­ mittelbar auf dem Gesetz, diese gesetzliche Verpflichtung wird aber ohne weiteres zum essentiellen Bestandteil des Arbeitsvertrages, wird also zugleich eine vertrag, liche. Im vorliegenden Falle war überdies die Verpflichtung der Kl., ihre Quit­ tungskarten vorzulegen, zweifellos schon dadurch zu einer vertraglichen geworden, daß in der bekl. Arbeitsordnung sich die Bestimmung befand: „Krankenmssenbuch, und Jnvaliditätskarte sind bei jeder Lohnzahlung vorzulegen", sie beruhte also auf demselben rechtlichen Verhältnisse wie die Verpflichtung des Bekl. zur LohnZahlung. Mithin konnte Bekl. die von ihm geschuldete Leistung solange verweigem, bis die ihm gebührende Leistung von den Kl. bewirkt würde. Daß Bekl. sich hinterher doch bereit erklärt hat, den Kl. ihren Lohn auszubezahlen (er hatte vermuüich nachträglich erfahren, daß die zu klebenden Marken inzwischen anderweitig beschafft worden seien), ändert nichts daran, daß Bell. beim Fortgang der Kl. berechtigt war, ihnen ihren restlichen Lohn vorläufig zurückzubehalten. (Gewerbegericht Jg. 9 SP. 103.) 854. Hat derArbeitgebcr ein Zurückbehaltungsrecht am Krankenkafsenbuch? Urteil des GG. Breslau vom 28. Oktober 1901. Aus Grund schriftlichen Lehrvertrages war der Kl. bis zum 15. Oktober 1901 bei dem Bell, als Lehrling tätig. An diesem Tage verließ er aus Befehl seines Vaters die Lehre. Der Bekl. hat sich daraus geweigert, dem Kl. dessen Krankenkassenbuch heraus­ zugeben, weil Kl. die Lehre ohne Grund verlassen habe.

Das GG. hat den Bekl. zur Herausgabe des Buches vemrteilt. Aus den Gründen: Der Anspruch des Kl. auf Herausgabe des Krankenkassenbuchs stützt sich auf das Eigentum und ist ohne weiteres berechtigt (§ 985 BGB ). Ein Zurückbehaltungsrecht an diesem Buche steht dem Bekl. nach § 273 BGB. nicht zu, da seine etwaigen Forderungen an den Kl. wegen Auf­ lösung des Lehrverhältnisses und der aus dem Eigentum des Kl. sich ergebende Anspruch auf Herausgabe des Krankenkassenbuches nicht auf „demselben recht­ lichen Verhältnisse" bemhen. Nun ist es zwar üblich, daß das Krankenkassenbuch vom Arbeiter dem Arbeitgeber, vom Lehrling dem Lehrmeister zur Verwahrung übergeben wird, weil ihm die An- und Abmeldung des Versicherungspflichtigen zur Krankenkasse und die Zahlung der Beiträge obliegt. Ein Recht zum Besitze des Krankenkassenbuches und damit ein Recht, die Herausgabe desselben zu ver­ weigem (§ 986 BGB ), steht ihm hiernach nur solange zu, als der Versicherungspflichtige bei ihm tatsächlich beschäftigt ist. Mit dem Augenblicke, wo der Bersicherungspslichtige — ob rechtmäßig oder nicht — aus der Beschäftigung bei ihm und damit aus der Versichemngspflicht ausscheidet, erlischt sein Recht zum Besitze des Buches. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 9.)

855. Ist der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeitsgerät wegen Vertrags­ bruchs zurückzuhalten? Urteil des GG. Duisburg. Kl. hatte vom Bell, die Ausführung von Berputzarbeiten übernommen, wobei Bell, die Arbeitsgeräte des Kl. von der Bahn nach dem Baue schaffen sollte. Als dies geschehen war, begab sich Kl. zur Arbeit, hörte aber bald wieder auf, nachdem er erfahren hatte, daß hier ein Berputzer-Ausstand bestehe. Bell, verweigert die Herausgabe des in seinem Besitze befindlichen Arbeitsgerätes, weshalb Kl. es mit der Klage zurückfordert, weil das

BGB. §273.

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Arbeitszeug der Pfändung gesetzlich entzogen sei. Außerdem beansprucht er für jeden Tag der Steigerung eine Entschädigung mit 6 Mk.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Kl. bestreitet nicht, daß er vertragsbrüchig ge­ worden ist und die Entschädigung mit 17,40 Mk. verwirkt hat. Er bezeichnet es aber für gesetzlich unzulässig, daß Bell, deshalb sein Arbeitsgerät pfändet. Dem­ gegenüber muß dem Bell, darin recht gegeben werden, daß hier eine Pfändung gar nicht vorliegt; denn bei einer solchen bringt die eine Partei eine fremde Sache erst in ihren Besitz, während hier der Bell, das klägerische Arbeitsgerät bereits am zweiten Tage in seinem Besitze hatte und nun die Herausgabe verweigert. Hiernach übt er keine Pfändung, sondern das Zurückbehütungsrecht aus. Dies Recht ist dem Bell, in § 273 des BGB. ausdrücklich zugestanden, da er aus dem­ selben rechtlichen Verhältnisse — dem Arbeitsvertrage — einen fälligen Anspruch hat und aus dem Schuldverhältnisse sich nicht ein anderes ergibt, wie z. B. dem Rechtsverhältnis der Vollmacht (§ 175) des Mieters (§ 556) des Gläubigers bei der Bürgschaft (§ 772) usw. Allgemein ist man darin einig, daß z. B. das Arbeits­ buch eines Minderjährigen, welcher rechtswidrig die Arbeit verläßt, bis zum Ablauf der Kündigungszeit zurückbehalten werden darf, obwohl ein solcher in dieser Zeit überhaupt Arbeit gar nicht erhalten kann, während dies beim Kl. sehr wohl angängig ist. Nirgends hat das Gesetz die Zurückbehaltung des Arbeits­ geräts untersagt, während es sonst ein solches Verbot ausdrücklich ausgesprochen Sstt. Abgesehen von den obigen Fällen ist ferner ausdrücklich verboten die Zurück­ ehaltung der Quittungskarte (§ 139 Abs. 2 des JBG.). Übrigens wird die Zurück­ behaltung von Arbeitsgerät in der Praxis häufig geübt, ohne daß dessen Zulässigkeit im mindesten bezweifelt wird. Hat z. B. ein Handwerker ein solches Gerät repariert, und fordert vor der Zurückgabe desselben zunächst die vorherige Zahlung seiner Kosten, so ist dies Verfahren durchaus gesetzlich. (Gewerbegericht Jg. 9 Sp. 10.)

856. Kann der Arbeitgeber den Akkordüberschuß zurüühaltcn, weil der Arbeiter einem anderen Akkorde schadensersatzpflichtig ist? Urteil des GG. Hamburg vom 23. Oktober 1905. Kl. hat von der Bell, aus dem Akkord Nr. 473 Akkordüberschuß mit 19,19 Mk. ge­ fordert. Bell, hat die Forderung an sich als berechtigt anerkannt, aber ein Zurückbehaltungs­ recht an dem eingeklagten Betrage geltend gemacht wegen einer Gegensordemng in Höhe von einigen hundert Mark, welche ihr gegen den Kl. aus dem Akkorde Nr. 5038 zustehe.

Bell, ist vemrteilt. Aus den Gründen: Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB. ist davon abhängig, daß Fordemng und Gegenforderung auf demselben rechllichen Verhältnis bemhen. Zwischen den Parteien bestand nun zwar zunächst allgemein das gewerbliche Arbeitsverhältnis, d. h. ein besonders gearteter Dienstvertrag mit Stundenlohn, welcher (nach § 3 der bellagtischen Arbeitsordnung) nur am Schluß jedes Arbeitstages gelöst werden konnte. Innerhalb dieses rechtlichen Verhält­ nisses wurden aber weitere Verträge geschlossen, nämlich Akkorde, d. h. Dienst­ verträge mit Stücklohn und mit anderweitigen Bedingungen, welche ein dem Werkvertrag ähnliches Rechtsverhältnis zwischen den Parteien herstellten. Er fragt sich daher, ob die Fordemng des Kl. und die Gegensordemng der Bell, als auf dem allgemeinen Arbeitsverhältnis bemhend, oder ob dieselben als je auf dem betreffenden Akkordverhältnis bemhend anzusehen waren. Für die Beantwortung der Frage int letzteren Sinne war entscheidend, daß bei Beginn eines Mkordverhältnisses die rechllichen Beziehungen zwischen der Bell, und ihren Arbeitem wesentlich andere werden, als sie es vorher während des Arbeitens im Stunden39*

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BGB. §§273, 394.

lohn gewesen sind, und daß auch die rechtlichen Verhältnisse bei den einzelnen Morden verschiedene sind. Namentlich der Umstand, daß bei den Gmppenallorden bald eine solidarische BerantworÜichkeit der Mkordteilnehmer für die ordnungsmäßige Ausführung der Arbeit und solidarische Haftung für entstehende Schäden eintritt, bald die ganze Verantwortung für eine Akkordarbeit nur einem bestimmten Mkordteilnehmer gegen Bewilligung erhöhten Lohnes überttagen wird, daß ferner die Zusammensetzung der einzelnen Akkordgruppen wechselt, und daß schließlich beim Arbeiten in Stundenlohn wiederum jeder Arbeiter immer nur für sich selbst verantworüich ist, läßt die einzelnen Mkorde als verschiedene rechtliche Verhältnisse und die Akkordlohn- und Akkordschadensersatzansprüche als speziell auf diesen einzelnen Akkorden beruhend erscheinen. Man kann eben bei dem Wechsel, dem die Rechtsbeziehungen zwischen der Bekl. und ihren Arbeitem während des allgemeinen Arbeitsverhältnisses unterworfen sind, nicht sagen, daß die Lohnforderung eines Arbeiters aus einem Mkorde und der Schadensersatz­ anspruch des Arbeitgebers aus dem anderen Mkorde aus „einem innerlich zu­ sammengehörigen einheitlichen Lebensverhältnis entsprungen sei und ein hierdurch bewirkter natürlicher Zusammenhang der beiderseittgen Ansprüche vorliege" (vgl. Entsch. des RG., Bd. 57 Nr. 1). Auch die Entstehung des heuttgen Zurückbehal­ tungsrechts aus dem römischrechtlichen Retenttonsrecht als einer exceptio doli spricht dafür, im vorliegenden Falle die Zurückbehaltung des klägerischen Lohnes nicht als begründet anzuerkennen. Denn es verstößt keineswegs gegen Treu und Glauben, wenn Kl. ttotz seiner Ersatzpflicht gegenüber der Bekl. aus dem Akkorde Nr. 5038 zunächst seinen verdienten Lohn aus dem Mkorde Nr. 473 bar ausbezahlt verlangt, zumal der Ersatzanspmch beklagttscherseits nicht aus ein persönliches Verschulden, sondem auf die solidarische Haftung des Kl. gestützt wird. Bei der Tendenz der Gesetzgebung, dem Arbeiter seinen verdienten Lohn nach Möglichkeit zu sichern, erscheint es gewiß angebracht, die Grenze für Anwendung des Zurück­ behaltungsrechts am Arbeitslohn möglichst eng zu ziehen. (Gewerbe u. Kauf­ mannsger. Jg. 11 Sp. 195.)

857. (391.) Hat trotz des Aufrechnungsvcrbotes der Arbeitgeber ein Zurückbehaltungsrecht am Arbeitslohn für Schadensforderungen aus dem Ar-eitSvertrag?-

a) Urteil des GG. Stuttgart vom 2. Februar 1900. Das GG. hat die Frage verneint.

(Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 124.)

b) Urteil des Amtsgerichts Cöln vom 24. Dezember 1900.

J Das Amtsgericht hat die Frage vemeint.

c) Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 20. August 1905. Die Bekl. ist auf die Klage, der Kl. auf die Widerklage zur Zahlung von je 8 Mk. verurteilt. Die Kosten des Rechtsstreits sind den Parteien je zur Hälfte auferlegt. Aus den Gründen: Die Lohnforderung ist, da die Leistung der geltend gemachten Arbeitsstunden unstreitig erfolgt ist, gemäß den getroffenen Vereinbarungen begründet. Der Einwand des Zurückbehaltungsrechts ist gegenüber der Lohn­ forderung des gewerblichen Arbeiters, soweit sie 1500 Mk. jährlich nicht übersteigt, abgesehen von den gesetzlichen, hier gar nicht in Frage kommenden Ausnahmefällen, nicht zulässig. § 273 BGB. schreibt nicht vor, daß das Zurückbehaltungsrecht

BGB. §394.

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wegen einer Gegenforderung aus demselben Rechtsverhältnisse wie die Hauptforoemng in allen Fällen gegeben ist, sondem es schließt das Zurückbehaltungsrecht in allen Fällen aus, in denen sich aus dem Schuldverhältnisse ein anderes, das heißt die Unzulässigkeit des Zurückbehaltungsrechts ergibt. EineBeschrän« kung dieser Ausnahme auf einen bestimmten Fall, z. B. den der Pflicht zur Vorleistung, ergibt sich aus dem Ge­ setze nicht. Die vorliegende gewerbliche Lohnforderung ist eine eigenartig gesicherte. Dies ergibt sich aus §§ 115, 115a, 116—119b GO-, § 1 f. des Lohn­ beschlagnahmegesetzes vom 21. Juni 1869, § 394 BGB., § 8501 ZPO. Mit dieser Sichemng ist das Recht der Zurückbehaltung nicht vereinbar. Daher gehört die Lohnforderung zu den Ausnahmefällen, in denen Zurückbehaltung nach § 273 BGB. nicht Anwendung finden soll1). Daher war der Klage stattzugeben. Was die Widerklage anbetrtfft, so handelt es sich um eine Vertragsstrafe oder einen fest» gefegten Schadenersatz. Durch die Unterschrift des Kl. in oem Werkzeugbuch ist erwiesen, daß er die streitigen Werkzeuge übergeben erhalten hat. Er muß sie also abliefem und, da er dies nicht getan hat, die vereinbarte Summe von 2 Mk. für das Stück zahlen. Sonach ist auch die Widerklage gerechtfertigt. Eine Auf­ rechnung mit der Widerklagefordemng gegen die Klagefordemng oder eine Zurück­ behaltung wegen der Widerklagefordemng würde auch im Wege der Zwangs­ vollstreckung unzulässig sein. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 14 Sp. 146.)

d) Urteil des GG. Rostock vom 31. Januar 1901. Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 116.)

e) Urteil desOberlandesgerichtsCöln vom 31. Oktober 1902. Das Oberlandesgericht hat das Zurückbehaltungsrecht zugebilligt.

t) Urteil des Kammergerichts, 8. Zivilsen., vom 14. März 1903. Das Zurückbehaltungsrecht ist zugebilligt.

g) Urteil des Oberlaudesgerichts Marienwerder vom 29. Oktober 1909.

Das OLG. erachtet die Zurückbehaltung für unzulässig.

Aus den Gründen: Die Frage, ob das Zurückbehaltungsrecht gegen­ über Lohnfordemngen, welche der Beschlagnahme und Aufrechnung nicht unter­ liegen, zulässig ist, ist allerdings lebhaft umstritten. Ter erkennende Senat hatte sich in früheren Entscheidungen vom 15. April 1904, Recht von 1904 S. 314, sowie vom 29. September 1908 in Sachen Guradze c/a. Schlüter 3. U. 222/08 für die Zulässigkeit erklärt. Nach erneutet Prüfung der Frage vermag er jedoch diesen Standpunkt nicht aufrechtzuerhalten, hat sich vielmehr gegen die Zulässig­ keit entschieden. Für das Recht des Bekl., die dem Kl. gebührende Lohnzahlung zu verweigem, kann zunächst § 320 BGB. nicht in Betracht kommen. Denn der Kl. hat die ihm obliegende Dienstleistung — Beaufsichtigung der Arbeiten — vollständig erfüllt. Der Ersatz des bei dieser Erfüllung entstandenen und auf sein Verschulden zurück­ zuführenden Schadens ist keine Gegenleistung, bis zu deren Bewirkung der Bekl. die ihm obliegende Lohnleistung verweigem könnte. Das Zurückbehaltungsrecht kann also nur auf § 273 BGB. gestützt, seine UnzMssigkeit nur mit dessen Satze, *) Ebenso GG. München 6. 4. 07.

Gew - u. Kfm.-Ger. 14. Jg. Sp. 147.

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BGB. §394.

„sofern nicht aus dem Schuldverhältnisse sich ein anderes ergibt" oder mit analoger Anwendung des die Aufrechnung verbietenden § 394 BGB. gerechtfertigt werden. Es wird sich daher in erster Linie fragen, wie der erwähnte Satz des § 273 BGB. auszulegen ist. Der erste Entwurf des BGB. hat in den §§ 233, 234 (jetzt 273) durch Verweisung aus § 364 (jetzt § 320) das Zurückbehaltungsrecht dem zur Leistung Verpflichteten nur gegeben, „sofern er nicht zur Vorleistung verpflichtet ist". An die Stelle dieser Verweisung ist demnächst im jetzigen § 273 der Zusatz getreten: „sofern nicht derInhaltdes Schuldverhältnisses ein anderes ergibt", und dieser Zusatz hat endlich durch seine redaktionelle Änderung seine heutige Fassung erhalten. Diese Entstehung des Zusatzes rechtfertigt jedoch nicht die Auslegung, daß er ursprüngliche beschränkte Bedeutung der Verweisung behalten habe, nämlich die des Satzes: „sofern er nicht nach dem Inhalte des Schuldverhältnisses zur Vor­ leistung verpflichtet ist". Eine solche einschränkende Deutung widerspricht dem Wortlaut des Gesetzes und ließe sich daher allenfalls nur dann rechtfertigen, wenn die Entstehungsgeschichte sie zwingend verlangte. Dies ist aber durchaus nicht der Fall; im Gegenteil muß angenommen werden, daß der Gesetzgeber nicht zwecklos gehandelt hat, sondem absichtlich von einer speziellen Vorschrift zu einer allgemeinen Klausel übergegangen ist, um der Praxis bei der Anwendung des § 273 BGB. möglichst weiten Spielraum zu gewähren. Die Worte „sofern nicht aus dem Schuldverhältnisse sich ein anderes ergibt" haben also bei zwangloser Auslegung einen weiteren Sinn als die ursprüngliche Fassung und besagen, daß die Zurück­ behaltung unzulässig ist, sofern sie dem Wesen des Schuldverhältnisses, wie es vom Gesetze ausgestattet ist, widerspricht. Ausgeschlossen ist daher die Zurückbehaltung nicht nur dann, wenn dies bei dem Schuldverhältnisse ausdrücklich bestimmt ist, sondem auch dann, wenn sich dies aus den sonstigen gesetzlichen Bestimmungen, welche für das Schuldverhältnis gegeben sind, und ihm seine besondere Eigenart aufprägen, mit logischer Notwendigkeit ^ergibt. Der Arbeitsvertrag nun ist durch das Lohnbeschlagnahmegesetz als ein eigen­ artiger Vertrag gestempelt mit Rücksicht einerseits auf die wirtschaftliche Bedeutung des Arbeitslohnes als der Gmndlage der Existenz des Arbeiters, andererseits auf das öffentliche Interesse des Staates, den Arbeiter und seine Familie durch Erhaltung dieser Gmndlage vor Elend zu schützen und die Öffentlichkeit vor Armen­ lasten zu bewahren. Das Lohnbeschlagnahmegesetz trägt dieser sozialpolitischen Bedeutung des Arbeitsvertrages Rechnung, indem es die Beschlagnahme des Lohnes durch die Gläubiger des Arbeiters verbietet und damit den Ähnänspruch

als einen besonders gearteten und gesetzlich geschützten hervorhebt. Damit war der Arbeiter vor dem Zugriff seiner sonstigen Gläubiger sicher, dagegen blieb er den Ansprüchen, die etwa sein eigener Arbeitgeber gegen ihn geltend machte, noch schutzlos preisgegeben. Denn dieser konnte gegen die Lohnforderung mit seinen Ansprüchen aufrechnen (vgl. RG. 41,51); ebenso konnte er den Lohn wegen

seiner Ansprüche zurückhalten. Auch die §§ 115,119a der GO. standen der Zurück­ behaltung nicht entgegen; ein Antrag, die Lohneinbehaltungen, soweit fle das Gesetz nicht ausdrücklich zulasse, zu untersagen, ist noch 1891 im Reichstag ab­

gelehnt. Dagegen erklären es die Motive zum BGB. als eine Inkonsequenz, wenn, obwohl das Gesetz eine Fordemng der Exekution entzieht, dem Schuldner bestattet wäre, gegen sie eine Gegenforderung aufzurechnen und so, ähnlich wie im Wege der Exekution, den Gläubiger zu zwingen, sich in die Nichtbefriedigung zu fügen. Der Gesetzgeber hat also in folgerichtigem Ausbau des Pfändungs­ und Bersügungsvervots auch die Borenthaltunb des Lohnes durch denArbeitgeber untersagen wollen. Ausdrücklich ist dies allerdings nur für den Fall der Aufrechnung in § 394 BGB. geschehen. Immerhin hat das Gesetz dadurch als geltendes Recht den Gmndsatz festgelegt, daß der Arbeitgeber den der Beschlag-

BGB. §394.

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nähme nicht unterliegenden Lohn dem Arbeiter wegen Gegenfordemngen nicht vorenthalten dürfe und den Lohnanspruch des Arbeiters als ein auch gegenüber dem Zugriffe des Arbeitsgebers besonders geschütztes Recht ausgestaltet. Ist dies aber geschehen, so ist damit auch die Ausschließung des Zurückbehaltungsrechtes ohne weiteres gegeben. Einer besonderen, dem § 394 BGB. entsprechenden Vorschrift für das Zurückbehaltungsrecht bedurfte es nicht mit Rücksicht auf die allgemeine Klausel des § 273 BGB., welche ein gegen einen anerkannten Rechtsgrundsatz und gegen eine verliehene Rechtswohltat verstoßendes Zurückbehaltungs­ recht ausschließt. Es würde gegen die Gmndsätze der Logik verswßen und mit dem sozial­ politischen Zwecke des Aufrechnungsverbots unvereinbar sein, wenn der Gesetz­ geber das Zurückbehaltungsrecht hätte zulassen wollen. Denn er würde dadurch das Aufrechnungsverbot, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich wieder auf­ gehoben haben. Mögen auch Aufrechnung und Zurückbehaltung in ihren recht­ lichen Voraussetzungen und Wirkungen noch so verschieden sein, für den Gesetz­ geber mußte die wirtschaftliche Bedeutung allein maßgebend sein. Es sei dahingestellt, ob nicht bei Gleichartigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Zurückbehaltungsrecht überhaupt zu vemeinen, der Verpflichtete vielmehr allem auf den Rechtsbehelf der Aufrechnung zu verweisen, und in der Erklärung solchen Schuldners „ich halte zurück" in Wahrheit die Erklärung „ich rechne auf" zu finden ist. Jedenfalls hat bei gegenüberstehenden Geldleistungen die Zurückbehaltung denselben wirtschaftlichen Erfolg wie die Aufrechnung. Daraus kann man aber doch nicht folgern, daß eben wegen der Zulässigkeit der Zurückbehaltung trotz § 394 BGB. auch die Aufrechnung zulässig sei. Logisch ist vielmehr nur der Schluß: Wenn die Zurückbehaltung auf eine Aufrechnung hinausäuft, so muß auch sie durch § 394 BGB. verboten sein. Die Gleichheit des wirtchaftlichen Erfolges bedingt die gleiche Schutzmaßregel und spricht von vornherein rafür, daß der ausgesprochene Grundsatz auch für die Zurückbehaltung gelten sollte. Daß der Gesetzgeber etwa die Zurückbehaltung hätte zulassen wollen, weil es sich bei ihr um innerlich zusammenhängende Ansprüche handelt, ist nicht richtig. Im Gegenteil hat er mit dem Aufrechnungsverbot gerade auch Ansprüche treffen wollen, „welche in demselben Rechtsverhältnisse sich gründen" (Motiev 2, 114). Ist aber die Aufrechnung auch für konvexe Ansprüche verboten, so liegt nichts femer, als für sie die wirtschaftlich gleich wirkende Zurückbehaltrmg zuzulassen. Schließlich folgt auch aus den zugelassenen Ausnahmen von dem Aufrechnungs­ verbot, daß der Gesetzgeber von der Unzulässigkeit der Zurückbehaltung ausge­ gangen ist. Als solche Ausnahme kommen besonders in Betracht § 394 S. 2 BGB., Art. 81 EG. zum BGB. und Art. 14 § 1 Abs. 3 AG. zum BGB. Hielt man diese Ausnahme für erforderlich, so war man offenbar davon überzeugt, daß die Gegen­ ansprüche im Wege der Zurückbehaltung nicht verfolgt werden könnten. Ins­ besondere ergeben die Materialien zu Art. 81 EG. zum BGB. (Mugdan 1,156), daß man in der Aufrechnung gegenüber den Gehaltsansprüchen der Beamten ein Mittel erhalten wollte, um die Beamten zur Sorgfalt anzuhalten, daß man aber eben kein anderes Mittel wußte, als die Wiederzulassung der Aufrechnung. Die Zurückbehaltung widerspricht also der Absicht und dem Geiste der Gesetz­ gebung und darf namentlich nicht als ein Korrektiv für das Aufrechnungsverbot in Anspruch genommen werden. Vielmehr ist das Zurückbehaltungsverbot die logisch unerläßliche Folge des Aufrechnungsverbots. Daß durch die Versagung der Aufrechnung und Zurückbehaltung Härten für den Arbeitgeber entstehen können, ist zuzugeben. Aber diese Härten hat eben die Gesetzgebung aus sozialpolitischen Gründen mit Wissen und Willen herbei­ geführt, weil sie in der Regel für den Arbeitgeber, den man als den wirtschaftlich stärkeren betrachtete, leichter zu tragen seien als umgekehrt die Verweigemng des

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BGB. §394.

sein Existenzminimum darstellenden Lohnbetrages für den Arbeiter. u. Kaufmannsger. Jg. 15 Sp. 61.)

(Gewerbe-

h) Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsen., vom 12. Oktober 1901.

Das OLG. verneint das Zurückbehaltungsrecht abgesehen von Anspriichen aus unerlaubter Handlung. Aus den Gründen: Die beklagte Rhederei hatte in den Heuer­ verträgen ausbedungen, daß, falls sie wegen eines durch den Schiffsmann int Auslande begangenen Schmuggels in Zollstrafe genommen werde, „sämtliche Mitglieder entweder der Docks- oder der Maschinenmannschaft gemeinschaftlich zu dem Schaden beizutragen haben" und demgemäß den Kl. Heuer gekürzt. Die Abmachung verstößt nicht gegen die guten Sitten. Wenn auch anzuerkennen ist, daß diese Bestimmung, wonach ein der Reederei durch das Vergehen eines Einzel­ nen erwachsender Schade auf alle Angestellte zu verteilen ist, eine Härte gegen die Unschuldigen enthält, so ist es andererseits doch den Reedereien nicht zu verdenken, wenn sie für derartige Verschuldungen, wie Schmuggel, welche die Heuerforderung des schuldigen Schifssmannes weit übersteigende Zollstrafen nach sich ziehen, eine gemeinsame Haftung aller Schiffsleute oder größerer Kreise derselben ein­ führen. Damit legen sie jedem eine Pflicht der Überwachung auf, um derartige Vorkommnisse zu hindem oder rechtzeitig anzuzeigen, und es ist nicht unsittlich ferner zu bestimmen, daß, wenn gleichwohl ein Schmuggelfall und infolgedessen die Verhängung einer Zollstrafe vorkommt, diese Überwachungspflicht als von jedem der übrigen verletzt gelten und daher die Verteilung der Strafe auf alle gegeben sein solle. Wer sich solchem Heuervertrage unterwirft, kann nachträglich die Gültigkeit der betreffenden Klausel nicht von sich abwehren. Dagegen ist nicht nur die Pfändung der Heuerforderung nach ZPO. § 850 und die Aufrechnung gegen dieselbe nach BGB. §394 (vgl. hierzu: Deutsch. Juristen-Ztg. 1900 S. 91) unzulässig, sondern vorliegend auch die auf Grund BGB. § 273 versuchte Zurück­ behaltung derselben wegen des Gegenanspruches der Reederei. Dernburg, (Bürgerl. Recht 2 § 59) lehrt freilich, daß auch da, wo Aufrechnung unzulässig sei, die sachlich meist auf dasselbe hinauslaufende Zurückbehaltung baren Geldes auf Grund von Gegenansprüchen gestattet sein müsse. Seine Ausführungen erscheinen aber nicht durchweg überzeugend, wenn auch zugegeben werden muß, daß die Wirkung der Zurückbehaltung nicht immer z. B. bei der Zinsenfrage dieselbe ist, wie die der Aufrechnung, und ferner, daß das Landgericht im hier angefochtenen Urteil zu weit geht, wenn es in jedem Falle die Zurückbehaltung da versagt, wo Aufrechnung unzulässig wäre. Die Worte des § 273 „sofern nicht aus dem Schuld­ verhältnisse sich ein anderes ergibt" werden von Planck, Kommentar 2 S. 44 richtig dahin erläutert: „Auch wenn die beiderseitigen Ansprüche auf demselben rechtlichen Verhältnisse beruhen, kann sich doch aus diesem selbst ergeben, daß die eine Leistung vor der anderen gemacht werden muß, oder daß es doch dem Zwecke der beiderseitigen Verpflichtungen nicht entsprechen würde, wenn die Erfüllung der einen bis zur Erfüllung der anderen verweigert wurde." Nun ist die Forderung des einfachen Arbeiters auf seinen Dienstlohn seit dem Reichsgesetz von 1869 auch mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse der Armenverwaltungen derart charak­ terisiert oder privilegiert worden, daß sie der Pfändung und seit Einführung des BGB. auch der Aufrechnung überhaupt nicht unterworfen sein soll. Damit ist aber nicht auch ausgesprochen, daß, wenn der Arbeiter in demselben Rechtsverhältnis aus dem sein Dienstlohnanspruch erwächst, dem Dienstherm einen Schaden zufügt, dieser stets den vollen Lohn auszahlen müßte, um nachher wegen seines Schadensanspruches auf eine mit Rücksicht auf die Vermögenslage des Arbeiters meist wenig

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aussichtsvolle besondere Klage sich verwiesen zu sehen. Hier greift § 273 helfend ein, indem er eine Zurückbehaltung gestattet, wo die gegenseitigen Verpflichtungen ans demselben rechtlichen Verhältnis bemhen, auch da, wo eine Aufrechnung ausgeschlossen ist. Allein damit sollte nur das ausgedrückt werden, was schon das gemeine Recht kannte. Wo es dolos wäre, zu fordem, was man sofort wieder zurückgeben müßte, da ist die Retentionseinrede gegeben. Sie ist es aber nicht, wo die Natur des Rechtsverhältnisses eine Vorleistung des einen Verpflichteten vorschreibt, oder wo die eine Fordemng ihrem Wesen nach der anderen zweifellos vorgehen muß. Das ist nun nicht immer der Fall, wenn es sich um Arbeitslohn handelt, z. B. dann nicht, wenn der Arbeiter den Dienstherm durch Unterschlagun­ gen geschädigt hat. Da es dolos wäre, Lohn zu fordem, wo so verursachter Schaden zu decken ist, steht dem Dienstherm das Zurückbehaltungsrecht zu. Das ist der von Staub, HGB. § 59 Note 34, vorausgesetzte Fall. Anders aber, wenn wie biet, eine vertragliche Haftung ohne Rücksicht auf jedes Verschulden des Ver­ tragschließenden eingeführt ist. Der hieraus erwachsende Gegenanspmch muß hinter dem öffentlich privilegierten Anspmch auf Arbeitslohn zurückstehen, Der Arbeiter, der seinen verdienten Lohn fordert, ohne einen von ihm gar nicht ver­ schuldeten und durch ihn nicht einmal abwendbaren Schaden sich abzuziehen, handelt keineswegs dolos. Das Rechtsverhältnis der Parteien erfordert vielmehr eine Vorleistung der Reederei, damit der Schiffsmann mit den Seinen nicht hungem oder der Armenpflege zur Last falle. Nach diesen Ausfühmngen kann es dahingestellt bleiben, ob nicht aus dem anderen Grunde der Klage entsprochen werden müßte, daß wo — wie bei gegen­ seitigen Geldfordemngen — durch Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ganz dasselbe Resultat erzielt werden würde, wie bei der — im öffentlichen Interesse untersagten Aufrechnung auch die erstere als mit verboten angesehen werden muß. (Rechtspr. der OLG. Bd. 3 S. 352.) 1) Urteil des Oberlandesgerichts Dresden, 2. Zivilsen., vom 8. April 1908.

Das OLG. erachtet die Zurückbehaltung für unzulässig. Aus den Gründen: Gegenüber dem nach §§ 1, 4 Lohnbeschlagn.-Ges. unpfändbaren Gehaltsanteil von 125 Mk. beanspruchen die Bekl. ein Zurück­ behaltungsrecht: indessen zu Unrecht. Das Aufrechnungsverbot des § 394 ist sozialpolitischer Natur: der Gläubiger soll nicht genötigt werden, seine nnpfändbare Fordemng zur Tilgung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit verwenden zu lassen. Die Zurückbehaltung führt aber zu demselben Erfolge wie die Aufrechnung: der Kl. müßte auf die Widerklage vemrteilt werden, Zug um Zug gegen Zahlung von 125 Mk. 125 Mk. zu zahlen. Mit Recht hebt Demburg 2 59 III) hervor, daß Geldleistungen Zug um Zug keinen Sinn haben, daß sich das Zurückbehaltungs­ recht in diesem Falle zur Aufrechnung gestaltet. Auf den besonders von Staudin­ ger (§ 273 11) betonten Unterschied in der juristischen Natur Zurückbehaltung und der Aufrechnung, von denendiese die Fordemng tilgt, während fenes nur einen Auf­ schub ihrer Begleichung gewährt, kann nicht entscheidendes Gewicht gelegt werden. Maßgebend bleibt vielmehr, daß die Zurückbehaltung nicht dazu führen darf, den § 394 zu vereiteln. Eine andere Beurteilung kann geboten erscheinen, wenn sich der Verpflichtete durch das Zurückbehaltungsrecht gegen eine dolose Fordemng zu schützen sucht, wenn z. B. einem Angestellten die Auszahlung des Gehalts ver­ weigert wird, weil er Gelder unterschlagen hat (RG. 55 S. 1). Gegenwärtig liegt aber dem Schadenanspmch der Bekl. bloß ein mäßiges Verschulden des Kl. zugmnöe... er verstößt durch die Geltendmachung seiner Gehaltsfordemng nicht gegen Treu und Glauben (vgl. Nümberg bei Seuffert 71 S. 584).

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Zu dem gleichen Ergebnisse führt die Erwägung, daß § 273 das Zurückbehal­ tungsrecht nur gewährt, „sofern sich nicht aus dem Schuldverhältnisse ein anderes ergibt." Es ist sonach in jedem einzelnen Falle zu prüfen, ob es nicht nach der Statut des Schuldverhältnisses oder dem Zweck der beiderseitigen Verpflichtungen ausnahmsweise zu versagen sei. Eine solche Ausnahme ist im Dienstverhältnisse für den Lohnanspruch bis zur Höhe von jährlich 1500 Ml. anzuerkennen. Inner­ halb dieser Grenze ist der Anspruch, soweit es sich nicht um unabgesondert gebliebene und dadurch kapitalisierte Rückstände handelt, dem Zeugnisse der Gläubiger, dem Aufrechnungsrecht des Dienstherrn, ja sogar den eigenen Verfügungen des Ver­ gütungsberechtigten entzogen, damit dieser mit seiner Familie nicht Not leide und der Armenfürsorge zur Last falle. Hierin kommt der gesetzgeberische Gedanke zum Ausdmcke, daß der Lohnanspruch innerhalb der nach dem notwendigsten Unterhaltungsbedarf bemessenen Grenze als eine Vorleistung des Prinzipals zu behandeln ist; demgemäß muß der Ausnahmefall des § 273 zur Regel, d. h. das Zurückbehaltungsrecht derartigen Ansprüchen gegenüber versagt werden.... (Rechtspr. der OLG. Bd. XVIII Nr. laa.)

858. (392.) Wird durch § 394 BGB. der Einwand der mangelnden Bar­ leistung ausgeschlossen? Kann der Arbeiter Lohn beanspruchen, wenn er dnrch Fahrlässigkeit die Arbeit verdorben hat?

a) Urteil des GG. Offenbach vom 6. Dezember 1901. Die Klage auf Lohnzahlung ist abgewiesen. (Gewerbegericht Jg. 5 Sp. 272.) b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 4, vom 1. März 1901.

Die Klage auf Lohnzahlung ist abgewiesen.

859. (393.) Ist die Aufrechnung gegen Lohnforderungen auch bei Gegen­ forderung wegen Diebstahls ausgeschlossen?

a) Urteil des GG. Kiel vom 14. Februar 1900. Die Klage aus Lohnzahlung ist abgewiesen.

b) Urteil des GG. Breslau vom 3. Oktober 1901. Bell, ist zur Lohnzahlung vemrteilt.

860. (394.) Kann durch die Arbeitsordnung dem Arbeitgeber das.Recht gegeben werden, Schadensersatzsorderungen gegen den Arbeitslohn aufzurechnen?

a) Urteil des GG. Dortmund vom 6. April 1900. Die Bestimmung der Arbeitsordnung ist für nichtig erklärt. Jg. 6 Sv. 97.)

(Gewerbegericht

b) Urteil des GG. Stuttgart vom 1. März 1900. Die Abrede ist für nichtig erklärt.

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861. (395.) Ist eine Bestimmung der Arbeitsordnung gültig, wonach Strafen vom Lohn abgezogen werden dürfen? Urteil des GG. Frankfurt a. M. vom 2. April 1901.

Die Abrede ist für nichtig erklärt.

(Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 223.)

862. (396.) Lohnverwirkung auf Grund der ordnungsmäßig erlassenen Arbeitsordnung. Ist die Bestimmung trotz des Aufrechmmgsverbotes im BGB. gültig? a) Urteil desAmtsgerichtsCöln vom 24. Dezember 1900. Das Amtsgericht hält die Lohnverwirkung für rechtsgültig.

b) Urteil des GG. Frankfurt a. M. vom 17. Mai 1902. Das GG. hält die Lohnverwirkung nicht für rechtswirksam. (Gewerbegericht Jg. 7 Sp. 206.)

c) Urteil des Oberlandesgerichts Colmar,!. Zivilsen., vom 6. Dezember 1907.

Die Verwirkung ist für zulässig erachtet. Aus den Gründen: Die Fabrikordnung der bell. Spinnerei legt den Arbeitem und der Arbeitgeberin eine vierwöchige Kündigungsfrist auf uiw bestimmt weiter: „Wer die Arbeit verläßt, ohne seine Verpflichtungen zu erfüllen, verliert die Löhnung bis zum Betrage des durchschnittlichen Wochenlohns." Hiervon hat die Bell, gegen den bei ihr gegen Stücklohn beschäftigt gewesenen Kl. Gebrauch gemacht, der ohne Kündigung die Arbeit niedergelegt hat. Sie zog ihm nämlich mit Recht von seinem Lohne denjenigen Betrag ab, der dem ortsüblichen Tagelohn für eine Woche entsprach. Denn jene Verwirkungsllausel ist nach § 134 GO. zulässig, und sie unterliegt auch nicht dem Verbot des § 394 BGB. Denn es handelt sich dabei nicht um Aufrechnung einer Vertragsstrafe. Vielmehr ist der Lohnanspruch des Kl. durch die erwähnte Bestimmung auflösend bedingt. Der Anspruch entsteht bis zum Betrage des Wochenlohnes überhaupt nicht, wenn der Arbeiter ohne Kündigung die Fabrik verläßt (vgl. Landmann 2 S. 120). Be­ stätigt wird diese Auffassung auch dadurch, daß an den Änderungen, welche der Art. 36 EG. zum BGB. vorgenommen hat, der § 134 keinen Anteil hat. Hiernach hat der Gesetzgeber in der teilweisen Erlaubnis, welche aus dem teilweisen Verbot des § 134 sich ergibt, eine Abweichung vom § 394 BGB. nicht erblickt. (Recht­ sprechung der OLG. Bd. XVII Nr. 18 t.)

863. Lohnverwirkung und Aufrechnungsverbot. Ist die Bestimmung der Arbeitsordnung rechtsgültig, nach der der Arbeitgeber die verwirkten Beträge zu seinen Gunsten verwenden darf? Urteil des GG. Luckenwalde vom 29. August 1907.

Die Bestimmung der Arbeitsordnung ist als rechtswirksam erachtet. Aus den Gründen: Nach § 134 Abs. 2 GO. sind die Untemehmer von Fabriken von der Art der der Bell., d. h. in welchen in der Regel 20 Arbeiter beschäftigt werden, berechtigt, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Ar­ beitsverhältnisses die Verwirkung des rückständigen Lohnes bis zum Betrage des durchschnittlichen Wochenlohnes auszubedingen. Nach § 134 b Ziffer 5 a. a. O.

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muß in diesem Falle die Arbeitsordnung eine Bestimmung über die Verwendung der verwirkten Lohnbeträge enthalten. Der Kl. irrt, wenn er einen verwirkten Lohnbetrag als S t r a f gelb ansieht. § 134 b GO. unterscheidet nämlich in Ziffer 4 und 5Strafen und verwirkte Lohnbeträge. Für erstere schreibt sie im Ab­ satz 2 des angezogenen Paragraphen vor, daß sie zum Besten der Arbeiter der Fabrik verwendet werden müssen; dagegen enthält sie eine derartig einschränkende Bestimmung bezüglich der verwirkten Lohnbeträge nicht. Bei der Kommissions­ beratung des § 134 b Ziffer 5 GO. ist vielmehr, trotz entgegenstehender Anträge, davon abgesehen worden, die Verwendung der verwirkten Lohnbeträge zum Besten der Arbeiter gesetzlich festzulegen. Die Bestimmung, daß diese Beträge dem Ar­ beitgeber zufließen sollen, kann deshalb nicht beanstandet werden. Vgl. hierzu Lanomann, GO. § 134 b Z. 5, und preuß. Ministerialerlaß vom 22. Juni 1892 MM. S. 336. Kl. meint ferner, diese Lohnverwirkung sei ihrem Wesen nach eine Aufrechnung und demnach der § 134 Absatz 2 GO. durch § 394 BGB. auf­ gehoben worden. Er verkennt hierbei aber, daß die Aufrechnung ein Erlöschen der beiderseitigen Forderungen zur Folge haben muß, während der Lohnver­ wirkung eigentümlich ist, daß der Arbeitgeber von der Leistung des Lohnbetrages durchaus nicht befreit ist, sondern ihn nur zu einem anderen, als seinem eigentlichen Zwecke verwenden darf. Wäre die Lohnverwirkung nichts anderes als eine Auf­ rechnung, so hätte Kl. mit seiner Ansicht allerdings recht. Die Lohnverwirkung kann nach Ansicht des Gerichts aber nur als eine vertragsmäßige Herabsetzung des wirklich verdienten Lohnes, als die Bereinbamng eines geringeren Lohnes für den Fall des Berttagsbmches angesehen werden. Hierin ist eine Gesetzwidrigkeit nicht zu erblicken. Vgl. Landmann, GO. Teil II S. 119 Es kommt auch in Betracht, daß sowohl nach diesen Erwägungen, wie im allgemeinen § 134 Absatz 2 GO. ein Spezialgesetz ist, während § 394 BGB. die allgemeine Vorschrift darstellt, welche durch jene für gewisse Fälle eingeschränkt wird. Da durch § 2 der Arbeitsordnung der Bett, bestimmt wird, daß die Lohnverwirkung nur ein Viertel des durchschnittliche Wochenlohnes betrogen darf, und bei einem solchen von 14 Mk. der einbehaltene Bettag von 3 Mk. dieses Viertel noch nicht erreicht, war, soweit der Rechtsstreit nicht durch Zahlung der 4 bzw. 20 Pfennige erledigt war, wie geschehen, zu erkennen. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 13 Sp. 37.)

864. (397.) Ist Aufrechnung mit der aus LohnrNüstünden gebildeten Kaution zuMssig? Urteil des GG. Stuttgart vom 1. März 1900.

Die Frage ist bejaht.

865. Ist die Vereinbarung rechtsgültig, daß das Gehalt für die Urlaubs­ zeit wieder abgezogen wird, wenn der Angestellte vor dem 31. Dez. ausscheidet? Urteil des KG. Posen vom 23. Oktober 1906. Die Kl. ist vom 1. September 1900 bis zum 1. Oktober 1906 gegen ein Monatslohn von 65 Mk. als Verkäuferin im Warenhaus der Bett, angestellt gewesen. Im Jahre 1906 ist ihr von der Bell, ein neuntägiger Urlaub bewiligt worden, den sie am 23. Juni ange­ treten hat. Bor Antritt dieses Urlaubs hat die Kl. folgende Erllärung, die vorgedmckt ist, unterzeichnet: „Die Erteilung von Urlaub geschieht in der Voraussetzung, daß ich noch längere Zeit bei der Firma verbleibe, deshalb erlläre ich mich damit einverstanden, daß mir, falls ich bis zum 31. Dezember dieses Jahres meine Stellung verlasse, der Betrag,

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welcher mir als Salär in der Urlaubszeit gezahlt worden ist, sowohl wie das eventuell mir gezahlte Reisegeld nach dem Erholungsheim vom Gehalt oder von der Kaution in Wzug gebracht werden kann. Dasselbe gilt, wenn mir seitens der Firma durch irgendwelche Veranlassung innerhalb dieser Zeit die Kündigung erteilt wird.

Am 31. August hat die Kl. den Dienstvertrag zum 30. September gekündigt, und daraufhin hat die Bell, von dem am 1. September ihr ausgezahlten Gehalt den Betrag für 9 Tage, die Zeit des Urlaubs, mit 2,16 Mk. täglich gleich 19,44 Mk. abgezogen. Kl. verlangt die Zahlung dieses Betrages. Die Bell, hat sich auf das Schriftstück berufen und ausgeführt, diesen Schein lasse sie deshalb von allen ihren Angestellten, denen sie Urlaub gewährt, unterschreiben, weil in der Herbst« und Winterzeit das Geschäft besonders lebhaft sei und sie verhüten wolle, daß namentlich die gut eingearbeiteten Angestellten, zu denen die Kl. gehörte, während der Hauptsaison die Stellung verließen, und die Bell, in die Lage versetzt werde, mit noch ungeübten Kräften zu arbeiten.

Bell, ist verurteilt.

Aus den Gründen: Rechtlich stellt sich das Verfahren der Bell, als die Geltendmachung eines Gegenanspruches gegen den Gehaltsanspruch der Kl. für den Monat August dar. Die Bell, hat sich das Recht Vorbehalten, für den Fall, daß die Kl. vor dem 31. Dezember aus ihrem Geschäft scheidet, von der Kl. das Gehalt, das ihr für die Urlaubszeit gezahlt, zurückzufordern. Dies ergibt schon die Fassung der Urkunde, in der ausgedrückt worden ist, daß der Kl. dieses Gehalt in Abzug gebracht werden könne. Wie man diesen Gegenanspruch rechtlich charak­ terisiert, ist gleichgültig (es ist ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung; jedenfalls ist er ein Anspmch, der der Bell, gegen die Kl. zusteht und den sie im Wege der Aufrechnung geltend macht. Diese Aufrechnung ist aber gegenüber

dem Lohnanspruch der Kl. nach § 1 des Lohn-Beschlagnahmegesetzes vom 21. Juni 1869 §§ 394, 400 BGB. unzulässig, und deshalb war, da im übrigen der Sach­ verhalt unstreitig ist, nach dem Klageantrage zu erkennen. Es brauchte deshalb nicht auf die Frage eingegangen zu werden, ob darin, daß die Erteilung des Ur­ laubs von Unterschreibung eines solchen Scheines abhängig gemacht wird, nicht ein indirekter Zwang zum Verzicht auf die gesetzlich bestimmten Kündigungs­ möglichkeiten ausgesprochen ist, ob daran ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt, oder ob er sich als ein durch ein berechtigtes Interesse der Bell, begründeter Vertrag darstellt. (Gewerbe- u. Kaufmannsger. Jg. 12 Sp. 63.) *)

866. (393.) Kann ein Vorschuß an bet Lohnzahlung gekürzt werden?

a) Urteil des GG. Weimar vom 15. Februar 1901. Die Frage ist bejaht.

(Gewerbegericht Jg. 6 Sp. 169.)

b) Urteil des GG. Berlin, Kammer 3, vom 25. Oktober 1900. Die Frage ist bejaht.

867. (399.) Wirb Lohnvorschuß, bet nicht rechtzeitig auf den Verbienten Lohn angerechnet, fonbem auf Grund besonberer Abrebe gestundet wirb, zum Darlehen? a) Urteil des GG. Berlin, Kammer 5, vom 14. März 1900. Die Frage ist bejaht. l) Vgl. Nr. 740.

(Soziale Praris.)

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b) Urteil des GG. Hamburg vom 11. November 1903. Kl. hat von der Bell, restlichen Arbeitslohn von 35,64 Mk. gefordert. Bekl. hat Abweisung der Klage beantragt. Es herrschte kein Streit darüber, daß Kl. an Vorschüssen bereits mehr bekommen hat, als seine Klagforderung beträgt. Während aber Bekl. sich nicht verpflichtet fühlt, unter diesen Umständen dem Kl. den bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnisse fällig gewordenen Lohnbetrag auszuzahlen, glaubt der Kl. einen Rechtsanspruch auf ungeschmälerte Auszahlung des letzten fällig gewordenen Lohnbetrages zu haben, weil die Vorschüsse ihm mit der Bedingung gegeben worden seien, daß die« selben ihm allmählich bei den Akkordüberschüssen und Lohnzahlungen wieder abgezogen werden sollten. Nachdem dies bisher nicht geschehen sei, habe Bekl. auch kein Recht, ihm nunmehr bei seiner Entlassung den ganzen restlichen Lohn einzubehalten. Er werde seine Schuld später abtragen. Bell. hat demgegenüber ausgesührt, es seien dem Kl. wiederholt bei früheren Lohnzahlungen kleine Beträge zur Deckung der Vorschüsse innebehalten, diese Beträge dem Kl. aber immer wieder auf sein Bitten sofort zurückgegeben worden. Ein Recht auf irgendwelche Lohnzahlungen habe Kl. nicht.

Die Klage ist abgewiesen. Aus den Gründen: Das Gericht konnte sich der Auffassung des GG. Berlin (Entsch. der Kammer 5 vom 14. März 1900) *), wonach Vorschüsse dadurch, daß sie nicht auf den Arbeitsverdienst des Arbeiters abgerechnet, sondem ihm auf ein Bitten femerhin gestundet werden, zu einem Darlehen werden, nicht an« chließen. An einem positiven Anhalt für die Annahme einer solchen Novation ehlt es gänzlich. Bei einer Auslegung des Parteiwillens nach Treu und Glauben ann man nur zu der Überzeugung kommen, daß durch die vorläufige Unterlassung der Anrechnung von Lohnvorschüssen infolge besonderer Bitte des Arbeiters der Arbeitgeber nichts weiter konzedieren will, als eben diese vorläufige Unterlassung, daß es ihm aber fernliegt, in eine Änderung des Rechtsverhältnisses zu willigen, welche den Arbeiter berechtigen würde, eine Abarbeitung der vorgeschossenen Bettäge zu verweigem und den Arbeitgeber wegen seiner Forderung auf spätere freiwillige Rückzahlung zu verttösten, welche daher in Wirklichkeit meistenteils auf einen gänzlichen Verlust der vorgeschossenen Bettäge für den Arbeitgeber Hinausliese. Vorschüsse sind nichts anderes als „im Voraus bezahlte Arbeitslöhne". Und da Kl. zugegebenermaßen an regelmäßigen Wochenzahlungen, Akkordüber­ schüssen und Vorschüssen schon mehr erhalten hat, als er verdient hat, so steht ihm eine Lohnfordemng gegen die Bekl. nicht mehr zu. (Gewerbegericht Jg. 9