Die Fachbildung des preussischen Gewerbe- und Handelsstandes im 18. und 19. Jahrhundert [Reprint 2021 ed.] 9783112603284, 9783112603277

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Die Fachbildung des preussischen Gewerbe- und Handelsstandes im 18. und 19. Jahrhundert [Reprint 2021 ed.]
 9783112603284, 9783112603277

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Die Fachbildung* des Preussischen

Gewerbe- und Handelsstandes im 18. und 19. Jahrhundert nach den Bestimmungen des (rewevberechts und der Verfassung des gewerblichen

Unterrichtswesens.

Von

Oskar Simon. Geheimer Ober - Regierung« - R a t h und vortragender R a t h im K g l . Preussischen Ministerium f ü r Handel und G e w e r b e .

BERLIN J. J. H E I N E S

1902. VERLAG.

Vo rwort. In fast allen Kulturländern wird zur Zeit der planmässigen Ausbildung der gewerblichen Jugend eine besondere Fürsorge geschenkt. Denn die Erkenntniss, dass gründliches Wissen und Können neben ernster Arbeit und unermüdlicher Ausdauer in erster Linie den Erfolg im wirthschaftlichen Leben der Einzelnen wie der Völker verbürgen, bricht sich in immer weiteren Kreisen Bahn. Auch in Preussen wetteifern Staat, Provinzen und Städte, Innungen, Handwerker- und Handelskammern, grosse und kleine Gewerbetreibende in dem Streben, gute gewerbliche Bildungsstätten in ausreichender Zahl zu schaffen und sie auch dem ärmeren Theile der Bevölkerung unter möglichst günstigen Bedingungen zugänglich zu machen. Dieser löbliche Eifer könnte aber sicher noch grössere Erfolge zeitigen, und er würde in vielen Fällen nocli leichter und rascher zum Ziele führen, wenn bei den vorbereitenden Verhandlungen und Entscheidungen immer eine ausreichende Kenntniss dessen vorhanden wäre, was schon in früheren Zeiten auf diesen Gebieten Rechtens gewesen, was von befähigten Köpfen gedacht und von thatkräftigen Organisatoren geschaffen worden ist. Manche nutzlosen Erörterungen könnten vermieden, manche Bedenken beseitigt, manche Fehlschläge erspart werden, wenn die Lehren der Vergangenheit besser gekannt und beherzigt würden. Ein klares Verständniss und eine sichere und zielbewusste Fortentwickelung der überkommenen Einrichtungen ist vollends nicht möglich ohne genaue Kenntniss ihrer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte. Es dürfte daher kein unverdienstliches Unternehmen sein, diese Kenntniss der Vergangenheit auch weiteren Kreisen zu erschliessen und sie zu einer lebendigen Antheilnahme und verständnissvollen Mitwirkung an den zur Zeit schwebenden, für Gegenwart und Zukunft gleich bedeutungsvollen gewerblichen Erziehungs- und Bildungsfragen zu befähigen.

IV

Diesen Zweck verfolgt im Wesentlichen die vorliegende Arbeit. Sie giebt in grossen Umrissen eine Schilderang der aal die Fachbildung des preussischen Gewerbe- and Handelsstandes in den beiden letzten Jahrhunderten gerichteten Bestrebungen, unter Mittheilung der wichtigsten einschlägigen Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen, sowie eine bis in die neueste Zeit reichende Uebersicht über die verschiedenen hier in Frage kommenden Schuleinrichtungen. Der erste Abschnitt enthält die gewerberechtlichen Vorschriften unter besonderer Berücksichtigung der HandwerksOrganisationen, da diese mit der Erziehung und Ausbildung des Handwerkerstandes in engster Verbindung stehen. Der zweite Abschnitt behandelt die Hauptgruppen der gewerblichen Unterrichtsanstalten, die Fortbildungs- und Fachschulen, namentlich diejenigen für die mittleren und niederen Gewerbetreibenden. Bei der Fülle des vorhandenen Stoffes erschien eine sorgfältige Auswahl geboten, um nicht die praktische Brauchbarkeit des Buches auch als Nachschlagewerk für das gegenwärtig geltende gewerbliche Bildunga- und Prüfungswesen zu beeinträchtigen. Allen, die mich bei der Herstellung der Arbeit, insbesondere durch Beschaffung von Quellenmaterial, unterstützt haben, spreche ich hiermit meinen Dank aus. B e r l i n , im Mai 1902.

Oskar Simon.

Inhaltsverzeichniss. I.

Abschnitt.

Die gewerberechtlichen Bestimmungen über die Ausbildung der Gewerbetreibenden. Erstes Kapitel.

Die Z u n f t zeit.

Seite 1

1. Die Lehre 2. Die Gesellenzeit

13

3. Meisterstücke der einzelnen Gewerke in der Kurmark im J a h r e 1797

21

Zweites Kapitel.

D i e G e w e r b e g e s e t z g e b u n g v o n 1810 u n d 1811.

1. Die Gegner der Zünfte und der zünftigen Ausbildung

34

2. Das Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer vom 2. November 1810, das Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom 7. September 1811 nebst Vorläufern, Ergänzungs- und Ausführungsbestimmungen. (A. Unterricht. B. Gesundheitspolizoi. C. Rechtspflege. D. Bau- und Feuerpolizei. E. Seeschiffahrt.)

60

3. Angriffe auf die Gewerbegesetzgebung von l ö l ü und 1811 Drittes Kapitel.

119

D i e G e w e r b e g e s e t z g e b u u g v o n 1845 u n d 1849.

1. Die Vorverhandlungen 17. Januar 1845

zur Allgemeinen

Gewerbe - Ordnung vom 132

2. Die Allgemeine Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845

187

3. Die Verordnung vom 9. Februar 1849, betreffend die Errichtung von Gewerberäthen und verschiedene Abänderungen der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung

19(5

4. Ausführungs- und Ergänzungsbestimmungen zur Allgemeinen GewerbeOrdnung vom 17. J a n u a r 1845 und zur Verordnung, betreffend die Errichtung von Gewerberäthen vom 9. Februar 1849 Priifungsvorsehriften. A. Bau- und Feuerpolizei. B. Gesundheitspolizei. C. Seeschiffahrt 5. Die Wirkungen der Verordnung vom 9. Februar 1849 und die auf ihre Aufhebung und die Wiedereinführung der Gewerbefreiheit gerichteten Bestrebungen

226 234

267

VI Saite

Viertes Kapitel. Die G e w e r b e g e s e t z g e b u n g des Norddeutschen B a n d e s und des Deutschen Reichs. 1. Die Vorberathungen zur Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1866 . . . 321 2. Die Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869, sowie ihre Aenderungen, Ergänzungen und Ausführungsvorschriften, mit Ausschluss derjenigen über die Innungen und die Gesellen- und Lehrlings-Verhältnisse. A. Gewerbetreibende, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen. (I. Aerzte, Apotheker, Hebeammen, Heildiener, Hühneraugenoperateure. II. Seeschiffer, Seestenerleute, Maschinisten der Seedampfschiffe , Lootsen, Schiffer und Maschinisten für Binnenschiffe und für Flossfnhrer. III. Markscheider. IV. Hufschmiede. V. Gewerbetreibende, welche beeidigt und öffentlich angestellt werden. VI. Patentanwälte.) 349 B. Innungen C. Verhältnisse der Gewerbegehülfen, Gesellen, Lehrlinge und Fabrikarbeiter 3. Die Vorläufer zu dem Reichsgesetz, betreffend die Abänderung der Gewerbe-Ordnung vom 26. Juli 1897 (Handwerkelgesetz) 4. Die Reichsgesetze, betreffend die Abänderung der Gewerbe-Ordnung vom 26. Juli 1897 (Handwerkergesetz) und vom 30. Juni 1900...

424 426 430 499

II. A b s c h n i t t .

Das gewerbliche Unterrichtswesen. Erstes Kapitel. Die gewerblichen U n t e r r i c h t s a n s t a l t e n im a c h t zehnten Jahrhundert. 1. Die allgemeinen Bildungsanstalten im achtzehnten Jahrhundert, die Sonntagsschule, die mathematische Handwerksschule (mathematische und mechanische Realschule) zu Halle a. S. von Christoph Semler und die Realschule zu Berlin von Johann Julius Hecker 2. Die Industrieschulen 3. Die Akademie der Künste, die Bauakademie und die Provinzialkunstschulen 4. Die kaufmännischen Unterrichtsanstalten 5. Die Anfinge des Belgschulwesens . Zweites Kapitel. Die g e w e r b l i c h e n U n t e r r i c h t s a n s t a l t e n im n e u n zehnten Jahrhundert. 1. Die Provinzial-Kunstschulen, die Kunstschule und die Unterrichtsanstalt am Kunstgewerbe-Museum zu Berlin 2. Die Gewerbeschule (Technisches Institut, Gewerbeinstitut, Gewerbeakademie) zu Berlin, die Gewerbeschulen in den Provinzen und die technischen Hochschulen 3. Die Baugewerkschulen 4. Die Textilfachschulen und die Königliche Technische Zentralstelle für Textilindustrie in Berlin

601 633 642 691 707

709

726 747 763

vn Sait»

5. Die Fachschulen für Metallindustrie

779

6. Die Navigationsschulen, die Fachschulen für Seedampfschiffsmaschinisten and die Schiffetschulen für Binnenschiffahrt 7. Die Handwerker- and Kanstgewerbeschalen, die Zeichenakademie in Hanau and die keramischen Fachschulen

811

8. Die Sonntagsschulen, die gewerblichen und kaufmännischen Fortbildungsschulen, die Innangschulen and die Fortbildungskurse für Handwerksmeister (Meisterkurse)

835

9. Die Handelsschulen und Handelshochschulen

872

803

10. Die Fachschulen für Hausindustrie (Korbflechtschulen, Webereilehrwerkstätten, Wanderernterricht für Weber, Stickschulen, Spitzennähschulen, die Handschahnähschule in Ziegenhals und die Schnitzschule in Warmbrunn) 907 11. Die Fortbildung»- und Fachschulen für Mädchen 910 12. Die Bergschulen

915 Anlagen.

1. Verhandlungen der ständigen Kommission für das technische Unterrichtswesen zu Berlin am 13. und 14. Januar 1896 2. Verhandlungen über das kaufmännische Unterrichtswesen in Preussen vom 31. Januar und 1. Februar 1898 3. Vorschriften für die Aufstellung von Lehrplänen und das Lehrverfahren im Deutschen und Rechnen an den vom Staate unterstützten gewerblichen Fortbildungsschulen vom 5. Juli 1897 Stichworte

I LU

LXXVI LXXXV

Erster Abschnitt.

Die gewerberechtlichen Bestimmungen Aber die Ausbildung der Gewerbetreibenden.1) Erstes Kapitel.

Die Zunftzeit. 1. Die Lehre. Bis zur Einführung der Gewerbefreiheit im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war die Erziehung und fachliche Ausbildung des gewerblichen Nachwuchses in der Hauptsache die Aufgabe der Zünfte. Sie umfassten im ganzen achtzehnten Jahrhundert und selbst noch in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten den weitaus grös8ten und einflussreichsten Theil des Gewerbestaades. Auch die Kaufleute waren vielfach gildenmässig organisirt, wenn auch sie nicht immer, namentlich soweit es sich um Grosskaufleute handelte, die für ihre Verhältnisse nicht ganz passende strenge Zunftverfassung hatten. Die Zahl der ausserhalb der Zünfte und Gilden stehenden selbständigen Handel- und Gewerbetreibenden, zu denen insbesondere auch diejenigen gehörten, die auf Grund besonderer obrigkeitlicher Privilegien und Konzessionen Handel trieben, eine „Fabrik" oder „Manufaktur" leiteten oder als „Freimeister", „privilegirte Gewerbetreibende", „Künstler" ein Handwerk oder eine kunstgewerbliche Thätigkeit ausübten2), war zwar in fortgesetztem ') Es sollen hier zwar in erster Reihe die auf die A u s b i l d u n g der jungen Gewerbetreibenden u n m i t t e l b a r abzielenden Einrichtungen und Vorschriften zur Darstellung kommen; doch erschien es zweckmässig, häufig sogar unvermeidlich, dabei auch solche Einrichtungen und Verhältnisse zu berühren, die mit der eigentlichen Ausbildung nur im entfernten Zusammenhange stehen und sie nur mittelbar beeinflusst haben. *) B e r g i u s macht folgende Unterschiede zwischen , , M a n u f a k t u r 1 ' , „ F a b r i k a t u r " und „ H a n d w e r k " : „Diejenigen Bearbeitungsarten der rohen Materialien und natürlichen Güter, die sohon seit vielen Jahrhunderten bei uns eingeführt sind und welche gewisse Gesellschaften und Verfassungen unter sich eingeführt haben, welche man Innungen und Zünfte nennt, werden insbesondere mit dem Namen der „Handwerke" beleget, dahingegen diejenigen, welche erst in neueren Zeiten bei uns gegründet worden sind und bei welchen die Innungen und Zünfte entS i m o n , Dio Fachbildung des Preossischen Gewerbe- and Handelsstandes.

X

2 Steigen begriffen, da man, namentlich seit den Zeiten des Grossen Kurfürsten, ihre Niederlassung begünstigte, theils um ein Gegengewicht gegen den Geist und die Macht der Zünfte zu schaffen, theils um tüchtige Gewerbetreibende, besonders aus dem Auslande heranzuziehen, von denen die Einführung neuer und die Verbesserung bestehender Gewerbszweige, die Vervollkommnung der Technik, die Verfeinerung des Geschmacks und damit die Hebung der Industrie und des Nationalwohlstandes im Allgemeinen erwartet wurde. Doch war ihre Gesammtzahl und Bedeutung im achtzehnten Jahrhundert im Vergleich zu den Zünftlern noch gering. Jedenfalls kamen sie für die Ausbildung der Lehrlinge und Gesellen schon deshalb weniger in Betracht, weil die Lehre bei ihnen nicht nur nach der weder gar nicht oder doch nicht nach den alten Verfassungen eingerichtet sind, insbesondere „Manufakturen" und „Fabriken" genannt werden. Selbst zwischen Manufakturen und Fabriken ist ein Unterschied, obgleich beide gemeiniglich als gleichbedeutende Begriffe angesehen werden; denn man sagt ebensowohl und noch häufiger eine Cattun-, Tuch-, Camelot-, Sammet-Fabrik. als man die Benennung einer Manufaktur dabei zu gebrauchen pflegt. Eigentlich aber verstehet man unter Manufakturen diejenigen Bearbeitungen, die blos mit der Hand ohneFeuer und Hammer geschehen; Fabriken aber heissen diejenigen Arbeiten, zu welchen Feuer und Hammer oder ähnliche Werkzeuge angewendet werden". Die letztere Definition stimmt im Allgemeinen mit der von J u s t i überein, der übrigens „alle Arbeiten in "Wolle, Baumwolle, Leinen und Seide" zu den Manufakturen rechnete. B e r g i u s , Policey- und Cameral-Magazin, 1770, Bd. 5. S. 307 . 308.; J u s t i , Policey-Wissenschaft, 1760, Bd. 2, S. 444. Eine der heutigen Auffassung mehr entsprechende Unterscheidung zwischen dem Handwerk einerseits und den Manufakturen und Fabriken andererseits giebt L a m p r e c h t ; nach ihm unterscheiden sich die Fabriken von den „gemeinen Handwerken" dadurch, dass sie die Verarbeitung der rohen Materialien mehr im Grossen betreiben, die einzelnen zur Zubereitung der Kunstwaaren erforderlichen Arbeiten unter mehrere beständig bei einerlei Arbeit bleibende Arbeiter vertheilen, oft künstliche Maschinen als Hülfsmittel der Verarbeitung anwenden und den Vertrieb der Waaren mit kaufmännischer Kenntniss und Klugheit bewirken." L a m p r e c h t , Cameralverfassung und Verwaltung, 1797, S. 2. — Nach dem A l l g e m e i n e n L a n d r e c h t sind Fabriken „solche Anstalten, in welchen die Verarbeitung oder Verfeinerung gewisser Naturerzeugnisse im Grossen getrieben wird. Der, welcher eine solche Anstalt f ü r seine Rechnung betreibt, heisst „Fabrikunternehmer", diejenigen, welche in einer solchen Anstalt arbeiten, führen den Namen der „Fabrikanten". Allg. L a n d r e c h t , Th. II, Tit. 8, §§ 407, 408. „Künste" nannte man nach dem damaligen Sprachgebrauch solche Gewerbe, „zu deren Ausübung vorzüglich viel Genie und wissenschaftliche Kenntnisse erforderlich sind, und unter welchen die schönen Künste, die sich vorzüglich mit Nachahmung der Natur beschäftigen, die erste Stelle einnehmen." Lamprecht a. a. 0 . „Akademische Künstler" hiessen die bei der Akademie der Künste aufgenommenen und eingeschriebenen Kunsthandwerker wie z. B. Stuckateurarbeiter, Schnitzer. R e g l e m e n t f ü r d i e A k a d e m i e d e r b i l d e n d e n K ü n s t e und mechanischen Wissenschaften zu Berlin vom 26. Januar 1790, § 36. — Sie hatten noch besondere Vorrechte: „Ein Künstler, welcher bei der Akademie der Künste aufgenommen und eingeschrieben worden, kann sein Gewerbe überall in Königlichen Landen treiben, ohne dass irgend einer Zunft oder Gilde ein Recht zum Widerspruch dagegen zusteht. Wer einem solchen akademischen Künstler ein selbst erfundenes anerkanntes Kunstwerk ohne seine Genehmigung nachmacht, und zu seinem Nachtheile verkauft, der soll mit fünfzig Thalern Strafe belegt werden. Erben des Künstlers, auf welche das Privilegium nicht besondere und ausdrücklich erstreckt worden, haben sich dieses Vorrechts nur zum Behuf des Absatzes der noch von dem Erblasser verfertigten und hinterlassenen Vorräthe zu erfreuen." A l l g e m . L a n d r e c h t , Th. 11. Tit. 8, §§ 404—406.

3 Auffassung der Zünfte, sondern auch nach der zu jener Zeit allgemein herrschenden Ansicht als minderwertliig galt Das Allgemeine Landrecht bestimmte ausdrücklich, dass ohne Weiteres nur zünftige Meister das Recht haben sollten, Lehrburschen anzunehmen und Gesellen zu halten; den „vom Staate gesetzten Freimeistern sollte zwar diese Befugniss auch nicht bestritten werden", doch musste die Annahme und das Lossprechen solcher Lehrlinge bei der Zunft des Orts geschehen. Im Uebrigen bedurften die nicht zünftigen Gewerbetreibenden zur Ausbildung von Lehrlingen und zur Annahme von Gesellen einer besonderen Erlaubniss der Obrigkeit Die bei den Fabrikanten ausgelernten Arbeiter hatten aber nicht die Rechte der Zunftlehrlinge und Gesellen, während umgekehrt ein Zunftgenosse ohne Nachtheil seiner Zunftrechte in Fabriken arbeiten konnte1). Das letztere kam übrigens nicht häufig vor, da die zünftigen Gesellen die Arbeit bei nicht zünftigen Meistern für nicht standesgemäss und daher für unvereinbar mit ihrem guten Ruf und Ansehen hielten. Für die Lehre in der Zunft sprach ferner, dass es für gewöhnlich nur dem zünftig Ausgebildeten erlaubt war, ein zünftiges Handwerk selbständig zu betreiben und sich damit alle die wichtigen politischen und wirthschaftlichen Rechte und Vorteile zu sichern, die der Zunftzwang im Gefolge hatte, also vor Allem eine gesicherte Existenz mit festem Kundenkreis und einem zur Bestreitung seines und seiner Familie Lebensunterhalt ausreichenden Einkommen. Schliesslich war es bei der damals noch wenig entwickelten kommunalen Armenund Krankenpflege von grösster Bedeutung, dass der Zunftgeselle in der Heimath und in der Ferne, an seinem Arbeitsorte und auf der Wanderschaft in allen Drangsalen des Lebens, bei Arbeitslosigkeit, ' Krankheit, Noth und Gefahr auf die Unterstützung aller Zunftgenossen sicher rechnen konnte, während der nicht zünftige Geselle fast immer auf sich allein angewiesen und nicht nur allen Schicksalsschlfigen, sondern auch der offenen und geheimen Feindschaft und Verfolgung der zünftlerischen Gesellen beinahe schutzlos preisgegeben war.») ') Alle. L a n d r e c h t Th. II. Tit. 8. §§ 268—270, 419, 420; L a m p r e c h t , 8. 124 u. 128. *) J u s t u s Moser: „Alle Rechtsgelehrte geben dem Landesherrn das Recht, wofern die Handwerker ausspürig werdet], denselben einen oder mehrere Freimeister entgegensetzen zu dürfen. Allein sie bedenken nicht dass dieses Recht beinahe von gar keinem Nutzen sei, weil sich kein Bursche bei dem Freimeister in die Lehre giebt, und. wo er ja einen erhält, solcher hernach in Deutschland nicht reisen kann und so vieler Vortheile beraubt ist, dass es fast kein einziger wagen mag, seinen Sohn einem Freimeister zu übergeben. Was hilft also dem angenommenen Freimeister das landesherrliche Privilegium, wenn er den Vortheil, Lenrbnrsche zu haben, entbehren und, wofern er einen Gesellen haben will, solchen Kosfbarlich aus fremden, ausserhalb Reichs gelegenen Orten kommen lassen

1*

4 Unter diesen Umständen ist es erklärlich, dass der Lehrherr des angehenden Gewerbetreibenden fast immer ein Zunftmeister •war. In einer Beschreibung der Stadt Berlin von Nikolai findet sich eine aus dem Ende des Jahres 1784 stammende „Tabelle der Personen, welche beydcr Kaufmannschaft, den Künsten, Manufakturen, Fabriken und anderen Gewerben" thätig waren. Danach gab es damals 21539 „Herren und Meister1', 7744 „Diener und Gesellen1', 6293 „Jungen und Arbeiter". Yon den 7744 „Dienern und Gesellen" waren fast 6000 bei Zunftmitgliedern beschäftigt, von den 6293 „Jungen und Arbeitern" standen fast alle „Jungen", etwa 3000 an der Zahl, im Dienste der Zünfte.1) Die Ausbildung musste ferner fast ausschliesslich in den S t ä d t e n erfolgen, nicht nur, weil sich dort wegen der durch das Zusammenwohnen einer grossen Zahl von Menschen hervorgerufenen Bedürfnisse naturgemäss und von selbst die meisten und geschicktesten Gewerbetreibenden niederliessen, sondern weil auch nach dem geltenden Gewerberechte der Betrieb eines Handwerks auf d e m L a n d e in der Eegel verboten war. Als Grundsatz galt, dass alle zünftigen Handwerke städtische bürgerliche Gewerbe seien und hiervon wurde nur abgewichen, wo es die Interessen der Landwirthschaft oder des Verkehrs dringend erheischten oder wo es sich um Gewerbe handelte, die nicht wohl anders als auf dem Lande betrieben werden konnten. Zugelassen waren daher z. B. Schmiede, Zimmerleute, Badmacher, Leinweber, Schneider, Müller, Kalk- und Ziegelbrenner, Glasarbeiter, Wachsbleicher u. dgl. Doch waren auch sie in ihrem Betriebe noch mehrfachen Beschränkungen unterworfen, inbesondere auch in Bezug auf die

muss?" Praktische Phantasien, herausgegeben von Voigts, 1842, I, S. 288. — Siehe auch K o h r s c h e i d t , Vom Zunftzwange zur Gewerbefreiheit, 1898, S. 279; Aus einem Gutachten vom Jahre 1809 über die Aufhebung der Müllerzünfte: „Zwar hat man schon längst nachgegeben, dass auch unzünftige Personen Mühlen besitzen dürfen, allein sie müssen sie durch einen zünftigen "Werkmeister und durch zünftige Gesellen betreiben lassen und diese bezeigen ihnen die Achtung und Folgsamkeit nicht, welche sie nur einem zünftigen Meister schuldig zu sein glauben. Ja oft nehmen die geschicktesten Gesellen Anstoss daran, dass sie unter einem unzünftigen Herrn arbeiten sollen." *) Zu' den „Herren und Meistern" sind übrigens auch Ackerleute, Bierschenker, Garten- und Feldhüter, Hebammen, Schulhalter, Höker, Trödler, Tagelöhner, Sänftenträger u. dgl. gerechnet. Ferner gehören dazu die Angehörigen der beiden damaligen Kaufmannszünfte, der „Materialistengilde" und der „Kaufmannsgilde", die den ganzen Berliner Gross- und Kleinhandel, mit Ausnahme der jüdischen Händler und einzelner besonders privilegirtcr Handelsgruppen, wie der Buch-, Papier-, Mehl-, Butter-, Viktualienhändlcr, der Apotheker und einiger anderer in sich vereinigten. Die Materialistengilde hatte zu jener Zeit 354 „Herren" 178 „Diener" und 224 „Jungen", die Kaufmannsgilde 223, 146 und 113. N i c o l e i . Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, 1786, Bd. 2, S. 468—471; 587—597; AV i e d t f e 1 d t, Statistische Studien zur Entwicklungsgeschichte der Berliner Industrie in den Staats- und sozialpolitischen Forschungen Bd. 16, 1898, S. 59.

5 Annahme von Gesellen und Lehrlingen. Nach dem Allgemeinen Landrecht sollten nur Zimmerleute, Maurer und Schmiede stets berechtigt sein, Oesellen und Jungen zu halten; im TJebrigen blieb es den Provinzialgesetzen vorbehalten, darüber zu bestimmen, ob und inwieweit Landhandwerker und die in kleinen Städten und Flecken einzeln wohnenden Meister Lehrlinge annehmen und Gesellen halten konnten. Auf alle Fälle aber waren die Lehrlinge bei der Innung der benachbarten Stadt einzuschreiben und loszusprechen.1) Die Lehrzeit musste schliesslich bei einem i n l ä n d i s c h e n M e i s t e r verbracht werden. Es war „bei empfindlichen Leibesstrafen" verboten, Einder ausser Landes in die Lehre zu geben; wer es dennoch that, hatte mit seinem ganzen Yermögen für die Rückkehr des Lehrlings zu haften. Denn die inländischen Innungen hatten, nach damaliger Auffassung,2) „ein Recht zu verlangen, dass diejenigen Inländer, welche zünftige Handwerke erlernen wollen, bei ihren Zünften lernen/' Die Bestimmung verfolgte daher namentlich den Zweck, den Innungen stets eine genügende Zahl von Arbeitskräften zu sichern. Mit den aus Vorstehendem sich ergebenden ^tatsächlichen und rechtlichen Beschränkungen stand die Wahl des Meisters den Eltern, Vormündern oder sonstigen Angehörigen und Erziehern des Lehrlings frei. Fand ein Lehrling keinen Lehrherrn, so waren die Innungsältesten verpflichtet, für seine Unterbringung möglichst zu sorgen. In solchen Fällen konnten Meister, die noch keine Lehrburschen, aber genügend Arbeit hatten, durch einen Beschluss der Zunft zur Annahme eines solchen gezwungen werden. Nur dann, wenn alle Innungsmeister am Orte mit einer ausreichenden Zahl von Lehrlingen versehen waren, durfte die Zunft den sich zur Aufnahme Meldenden vorläufig und so lange zurückweisen, bis eine Stelle für ihn frei wurde.3) ificht jeder junge Mann konnte als Lehrling bei einer Zunft eintreten. Von dem Grundsatze ausgehend, dass die Kinder sich in der Regel dem Berufe ihrer Eltern widmen sollten, und dass daher die städtische J u g e n d den Gewerben, die l ä n d l i c h e der L a n d w i r t h s c h a f t zuzuführen sei, war schon in früher Zeit vorgeschrieben, dass vom platten Lande Niemand bäuerlicher Herkunft ohne schriftliche Erlaubniss der Gerichtsobrigkeit ein Handwerk erlernen dürfe. Diese Erlaubniss sollte indessen nur dann ertheilt werden, wenn der Betreffende „wegen Schwächlichkeit oder Leibesgebrechen zur Landarbeit untüchtig ist". Das Verbot ist dann durch ') L a m p r e c h t a.a.O. S.50—59; Allg. Landr. Th. II, Tit. 8, §§ 185—189. *) L a m p r e c h t a. a. 0. S. 115. *) Allg. Landr. Th. n , Tit. 8, §§ 283—286.

6 das Allgemeine Landrecht auch auf die Kinder der Guts-Unterthanen mit einigen Ergänzungen ausgedehnt w o r d e n . D a n a c h sollten Kinder der Unterthanen ohne ausdrückliche Erlaubniss der Gutsherrschaft weder zur Erlernung eines bürgerlichen Gewerbes noch zum Studiren zugelassen werden. Doch durfte die Herrschaft solchen Kindern, die nach ihrer körperlichen Beschaffenheit zu schwerer Arbeit nicht tüchtig waren, die Erlaubniss, ein leichteres Gewerbe zu «erlernen, nicht versagen, auch sollte einem Kinde, das nach dem Urtheil sachkundiger Männer zu einer Kunst oder Wissenschaft vorzügliche Talente und die erforderlichen Hülfsmittel zu deren Erlernung besass, die Erlaubniss dazu nicht verweigert werden. Endlich hatten Eltern, die ein erlaubtes Handwerk auf dem Lande trieben, das Recht, E i n e n ihrer Söhne nach ihrer eigenen Wahl zu diesem Gewerbe zu bestimmen. Voraussetzung für die Aufnahme als Lehrling war ferner das Vorhandensein der nöthigen Körper- und G e i s t e s k r ä f t e , sowie der notwendigsten e l e m e n t a r e n Kenntnisse. Daher durfte eine Zunft die Aufnahme solcher Lehrlinge verweigern, die wegen eines körperlichen Gebrechens oder eines offenbaren Mangels an Verstandeskräften zur Erlernung des Handwerks, dem sie sich widmen wollten, untauglich waren. An Kenntnissen wurden Lesen und Schreiben, sowie die fünf Hauptstücke des Katechismus verlangt; doch konnte von dieser Bedingung abgesehen werden, wenn der Meister sich verpflichtete, den Lehrling wöchentlich vier Stunden in die Schule zu schicken; in diesem Falle sollte aber der Lehrbursche nicht eher losgesprochen werden, als bis er den Besitz dieser Kenntnisse in einer Prüfung nachgewiesen hatte.2) Ein Haupterforderniss war ferner von jeher „ e h r l i c h e Geburt", Unbescholtenheit, unbefleckter Ruf der Eltern des Aufzunehmenden. Diese Bedingung, selbst bei nachsichtiger Handhabung nicht unbedenklich, wurde später, wie so manche andere Zunftvorschrift, von den Zünften in selbstsüchtigster Weise dazu benutzt, um ganze Bevölkerungsklassen von der Erlernung eines zünftigen Handwerks auszuschliessen und sich dadurch vor späterer Konkurrenz zu schützen. Mit der Zeit erklärte man, davon ausgehend, „dass die Handwerker so rein sein müssten, als wenn sie von Tauben gelesen wärenu zur Aufnahme in eine Zunft für unfähig: Leibeigene, Diejenigen, welche einen Erhenkten losschnitten, uneheliche Kinder, die Kinder der Gerichtsdiener, Stadtknechte, Frohnknechte, Nachtwächter, Bettelvögte, Gassenkehrer, Schuster, Schweineschneider, Wald- und Feldhüter, Wasen* meister (Abdecker und Schinder), Leinweber, Müller, Zöllner, Pfeifer, Trompeter und Bader u. a. m. Auch die Juden galten, M Allg. Landr. Th. II, Tit. 7, §§ 171—180; Lamprecht, S. 113. 114. ') Allg. Landr. Th. II, Tit 8, §§ 281, 294; L a m p r e c h t , S. 114> 115.

wie in den meisten deutschen Staaten so auch in Preussen nicht für zunftfähig. Unigekehrt wurde Meisterskindern die Aufnahme in jeder Weise erleichtert; man ging sogar so weit, Meisterssöhne und Töchter zu geborenen Mitgliedern der Zunft zu erklären. So bestimmten z. B. im Jahre 1655 die Schneider zu Berlin, „dass die Innungskinder, es seien Knäblein oder Mägdlein, die volle Innung haben sollten.'11) Dieser Selbstsucht der Zünfte suchte man durch Reichs- und Landesgesetze entgegenzutreten, wenn auch, wie die häufigen Wiederholungen der Verordnungen und die immer wieder auftretenden Klagen beweisen, nicht immer mit dem gewünschten Erfolge. 2 ) In Preussen wurde durch § 25 des Landtags-Recesses für die Neumark vom 19. August 1653 die Ausschliessung der Kinder der Schäfer, Vögte, Stadtdiener und Wächter streng untersagt. Am 4. Juli 1659 erschien wieder ein Edikt, das bestimmt war, noch einmal in eindringlicher Weise dem Missbrauch der Zünfte, ganze Klassen der Bevölkerung und ihre Kinder von der Zunft oder Erlangung eines Handwerks auszuschliessen, entgegenzutreten. Fortan sollten aucli die Kinder jener „unehrlichen Leute" als ehrlich zugelassen werden und dies „unverantwortliche Beginnen und Fürnehmen der Gilden und Zünfte" gänzlich aufhören. Unterm 31. März 1705 musste dieses Edikt indessen erneuert werden, weil es „durch die Länge der Zeit in Vergessenheit gerathen war". Auch die auf Grund der Reichszunftordnung vom 4. September 1731 für die Kurund Xoumark erlassenen General-Innungs-Privilegien und die Handwerks-Ordnung für das Königreich Preussen vom 10. Juni 1733 3 ) — die die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen für das Preussische Zunftrecht bis zum Erlass des Allgemeinen Landrechts bildeten — nahmen entsprechende Vorschriften auf. Nach Art 32 der Handwerks-Ordnung sollten „die unehelich erzeugte und von Uns aus Königl. Macht legitimirte Kinder von Erlernung der Handwerckern nicht ausgeschlossen, sondern der Unterscheid zwischen denen unehelich und vor oder nach der Priesterlichen Copulation gebohrnen Kindern, welcher insonderheit bey denen so genannten geschenckten Handwerckern gemacht werden wollen, auffgehoben seyn, auch Diejenige, welche von einem anderen nocli im ledigen Stande geschwächte Weibes-Persohnen heyrathen, oder mit denen, mit welchen sie sich verunkeuschet, zur Straffe copuliret werden, auff jetztbesagte oder andere Wege legitimirte Manns- oder Weibs-Personen, wegen Zulassung zu denen Handwerckern einander gleich geachtet, nicht weniger die Kinder der Stadt-Knechte, Gericlits-Frohnen, Thurm-

') Masclier, Das Deutsche Gewerbewesen, 1866, S. 329; M e y e r , Geschichte der Preussischen Handwerkerpolitik, 1884, Bd. 1, S. 21. s

) Meyer, S. 63, 65, 94.

a

) Abgedruckt bei M e y e r , Bd. 2, S. 329—354.

8 Holtz- und Feldhütern, Todten-Gräbern, Nacht-Wächtern, BettelVöigten, Gassen-Kehrern, Schäfern und dergleichen (in Summa keine Profession und Handthierung dann bloss die Schinder ausgenommen) ohne "Weigerung zugelassen, mithin in die Handwercks-Zünffte auffgenommen werden." Ein späteres Edikt vom 24. März 1783 und das Allgemeine Landrecht1) Messen auch noch die Schinder-Kinder zu, sofern sie das Handwerk des Täters noch nicht betrieben hatten. Von einer vorherigen S i c h e r h e i t s b e s t e l l u n g konnte endlich die Aufnahme eines Lehrlings abhängig gemacht werden, wenn nach der Natur der Kunst oder Profession dem Lehrlinge Sachen und Materialien von beträchtlichem Werthe oder baare Gelder anvertraut werden mussten, oder wenn er sich schon vorher der Untreue oder sonst einer schlechten Aufführung verdächtig gemacht oder wenn er endlich schon bei einem anderen Meister gestanden und diesem durch Nachlässigkeit oder Leichtsinn einen erheblichen Schaden zugefügt hatte.2) Jeder Meister war berechtigt, von dem Lehrling eine vierwöchige P r o b e z e i t zu verlangen. Nach ihrem befriedigenden Ablauf hatte er ihn dem Gewerk vorzustellen. Fand dieses, dass seiner Annahme gesetzliche Hindernisse nicht entgegenstanden, so wurde er in Gegenwart des Vaters oder Vormundes und des Lehrmeisters in das Gewerksbuch eingeschrieben und dabei ermahnt, sich gut aufzuführen, fleissig das Handwerk zu erlernen und seinem Lehrmeister gehorsam zu sein (Aufdingen). Bei der Aufnahme war der Geburtsbrief vorzulegen, der zur Lade genommen wurde. Von der Vorlage des Geburtsbriefes waren nur die Meisterssöhne und die Zöglinge des Potsdamer Militärwaisenhauses befreit. Die Kosten des E i n s c h r e i b e n s oder Aufdingens waren genau bestimmt. Die Höhe des L e h r g e l d e s beruhte auf freier Vereinbarung. Um auch armen Knaben die Erlernung eines Handwerks zu ermöglichen, sollten nach einer Verordnung vom 30. November 1697 die von den Armenkommissarien in die Lehre gegebenen Jungen bei den Zünften frei ein- und ausgeschrieben werden. Art 34 der Handwerksordnung für das Königreich Preussen bestimmte ferner bezüglich der armen Kinder, dass ,jedes Orths Obrigkeit die Versehung thun solle, dass selbige ohne Lehr-Geld auffgedinget, und dagegen die Zeit der Lehr-Jahre auff der Obrigkeit Ermässigung etwas erstrecket werde; Wie denn auch ein solcher armer Lehr-Junge nach Endigung der gesetzten Lehr-Jahre seinem Meister etwa noch ein halb Jahr Gesellen-weise ohne Lohn zu arbeiten schuldig seyn soll." Zu diesen armen Knaben wurden ») Allg. Landr. Th. IL Tit. 8, § 280. ') Allg. Landr. Th. II, Tit. 8, §§ 287—280.

9 namentlich auch die Waisenkinder gerechnet, die die Meister nach späteren Entscheidungen der Reihe nach umsonst anlernen mussten. War über die Höhe des Lehrgeldes bei der Aufnahme nichts vereinbart, so war der Innungsbrauch m a s s g e b e n d . U m indessen übermässigen Forderungen der Zünfte und der damit beabsichtigten Fernhaltung unliebsamer Eonkurrenten von der Erlernung des Handwerks vorzubeugen, sollte nach Art 33 der Preussischen HandwerksOrdnung „das ohnentbehrliche Aufding-, Lehr- und Lossprech-Geld von jeder Orths Obrigkeit auf ein gewisses leidliches gesetzet, zu jedermanns Nachricht publiciret, und in denen, nach dieser Handwercks-Ordnung, zu erneuernden und zu verbessernden GewercksRollen exprimiret, die Uebertretere aber scharf gestraffet werden." Die D a u e r der L e h r z e i t war durch die Zunftartikel festgesetzt. Sie betrug in der Kurmark in der Hegel — in Berlin manchmal etwas mehr — drei Jahre, für die Goldschmiede, Perriickenmacher, Müller, Seifensieder und Tuchscheerer vier, für die Glasschneider, Seidenwirker, Gross-Uhrmacher und Posamentirer fünf und für die Berliner Leinen-, Wollen- und Seidenfärber und Schornsteinfeger sechs Jahre. Doch wurde hiervon mehrfach abgewichen. Insbesondere suchten die Zünfte bei den Meisterssöhnen die Lehrzeit möglichst abzukürzen, und umgekehrt Andere durch die Forderung einer langen Lehre vom Eintritt in die Zunft abzuschrecken. Ein Meisterssohn sollte überhaupt nicht als Lehrling angesehen und an Lehijahre gebunden, sondern losgesprochen werden, sobald ihn der Meister für fähig erachtete. Man begründete dieses Verlangen mit der Behauptung, „dass der Junge von Kindheit auf in den Handwerksgewohnheiten gedacht habe und als Junge traktirt worden sei.'1 Auch hier sah sich die Gesetzgebung zum Einschreiten genöthigt, indem sie die Bevorzugung der Meisterssöhne bei Festsetzung der Lehrzeit verbot und nur dann eine Verkürzung der Lehrjahre zuliess, wenn der Knabe besonders fleissig und geschickt war. Nach der Handwerks-Ordnung für Preussen sollte auch dann die vorzeitige Entlassung aus der Lehre nicht ohne Vorwissen und Zustimmung der Obrigkeit geschehen. Das Allgemeine Landrecht setzte an die Stelle der Obrigkeit die Zunftältesten und bestimmte ferner, dass niemals mehr als der dritte Theil der gesetzlichen Lehrzeit erlassen werden dürfe. Hatte der Lehrbursche während der Lehrzeit eine Krankheit gehabt, die länger als drei Monate dauerte, so sollte es dem Lehrherrn und Zunftältesten überlassen bleiben zu bestimmen, ob und wieviel er von der versäumten Zeit nachlernen müsse.2) ') Lamprecht, S. 116; Meyer, II, S. 345; Allg. Landr. Th. n , Tit. 8, §§ 290, 291, 314. *) Lampreoht, 8. 119; Meyer, Bd. I, S. 21; Bd. II, S. 345; Allg. Landr. Tk H, Tit. 8, §§ 290, 291, 318—322.

10 Der M e i s t e r w a r v e r p f l i c h t e t , dem Lehrling die nöthige Anleitung zur Aneignung der Kenntnisse zu geben, die zu einem ordentlichen Betriebe des Gewerbes erforderlich sind. Auch hatte er ihn zu guten Sitten und fleissigem Besuch des öffentlichen Gottesdienstes anzuhalten, vor Ausschweifungen und Lastern möglichst zu hüten und ihn an eine anhaltende nützliche Thätigkeit zu gewöhnen; zu Hausarbeiten sollte er ihn nicht ungebührlich und jedenfalls nur insoweit verwenden, als dadurch die Erlernung des Handwerts nicht beeinträchtigt wurde. Er war berechtigt, den Lehrling massig zu züchtigen, durfte indessen dabei die einem Vater vorgeschriebenen Grenzen nicht überschreiten. In Abwesenheit oder bei Verhinderung des Meisters stand dem ersten oder Meistergesellen, jedoch nur in Gewerkssachen das Züchtigungsrecht zu. Ein von dem Meister gemisshandelter Lehrbursche sollte von den Aeltesten bei einem anderen Meister untergebracht werden. Die dadurch entstandenen Kosten fielen dem schuldigen Meister zur Last, der indessen darauf das bedungene und noch rückständige Lehrgeld in Anrechnung bringen durfte. Auch konnte die Innung den Meister und Gesellen, der das Züchtigungsrecht missbrauclit hatte, bestrafen. Der Meister war verbunden, den angenommenen Lehrburschen auszulehren und er durfte ihn daher ohne Einwilligung der Eltern und Vormünder und ohne Anzeige bei dem Gewerk keinem andern Meister übergeben. Starb er vor Beendigung der Lehrzeit oder gab er vorher sein Handwerk auf, so war d®r Lehrling, nöthigenfalls mit Hülfe der Aeltesten, bei einem anderen Meister unterzubringen; dabei konnten solche Meister, die noch keine Lehrburschen, aber genügend Arbeit hatten, von der Zunft zur Annahme gezwungen werden. In Berlin durften die Wittwen den Lehrburschen behalten, doch musste er das letzte halbe Jahr bei einem Meister auslernen. Der Lehrling hatte dem Meister in „häuslichen" und „Handwerkssachen" zu gehorchen, in letzteren auch dem ersten Gesellen. Lief er fort und blieb er über vierzehn Tage weg, so wurde er vor das Gewerke gestellt und bestraft; blieb er über vier "Wochen aus, so ging er des Lehrgeldes verlustig und er hatte seine Lehrzeit von vorne anzufangen. Liess er sich grobe Veruntreuungen, hartnäckige Widersetzlichkeiten, vorsätzliche Beleidigungen seines Meisters oder seiner Familie zu Schulden kommen, gab er sich einem liederlichen Lebenswandel hin oder zeigte er nach dem Befinden der Aeltesten zur Erlernung des Handwerks keine genügenden Fähigkeiten, so wurde er entlassen. Wollte ein Lehrbursche ein anderes Gewerbe ergreifen, so hatte der Meister das Lehrgeld trotzdem für die ganze Lehrzeit zu beanspruchen.1) ») L a m p r e c h t , S. 117—119; Allg. Landr. Th. II, Tit. 8, §§ 292—310; 315, 316; Art. 35 der H a n d w e r k s o r d n u u g für das Königreich Preussen, M e y e r , Bd. II, S. 345.

11 Nach Beendigung der Lehrzeit wurde der Lehrling von der Innung „losgesprochen", d. h. zum Gesellen erklärt Vorher musste indessen das Lehrgeld berichtigt und eine Prüfung abgelegt werden. Konnte der Lehrling das rückständige Lehrgeld nicht bezahlen, so hatte er für den Meister noch über die festgesetzten Lehrjahre hinaus während einer nach dem billigen Ermessen der Gewerksältesten, nöthigenfalls durch Beschluss der Zunft festzusetzenden Zeit ohne Entgelt zu arbeiten. Die Lossprechung erfolgte vor versammelter Zunft im Beisein der Gesellen des Handwerks und des aufsichtführenden Magistrats-Assessors. Der Lehrling wurde dabei ermahnt, einen christlichen Lebenswandel zu führen, seinem künftigen Meister gehorsam zu sein und die Wander-Vorschriften zu beachten; alsdann wurde er in das Gesellenbuch eingeschrieben und ihm der Lehrbrief, vom Assessor und Altmeister unterschrieben, mit dem Gewerkssiegel versehen, ausgefertigt Die Original-Lehrbriefe wurden, ebenso wie die Geburtsbriefe, in der Lade aufbewahrt; der Geselle erhielt nur Abschriften, während die Originale auf sein Verlangen durch die Post dem Magistrate des Orts, wo er sich nachher niederlassen wollte, zugesandt wurden. Diese auf Grund der Reichszunftordnung von 1731 durch die General-Innungs-Privilegien in Preussen erlassene Vorschrift hatte den Zweck, die im Interesse der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung nothwendig gewordene polizeiliche Ueberwachung der Gesellen zu erleichtern. Auch bei der Losprechung hatten sich im Laufe der Zeit schwere Missstände eingeschlichen; namentlich wurden von den Zünften unverhältnissmässig hohe Gebühren gefordert und an den Akt selbst alle möglichen lächerlichen, ja gesundheitsschädlichen Ceremonien angeschlossen, deren sich der angehende Geselle nicht entziehen durfte und die zudem mit den kostspieligsten Zechereien und Schmausereien verbunden waren. Am üblichsten war das sogenannte „Schleifen" oder „Hänseln". Zu diesem Zwecke wählte sich der Lehrbursche den Altgesellen und einige Mitglieder der Brüderschaft zu seinen Schleifpfaffen und Schleifpathen. Mit dem ersteren zog er herum und lud alle Meister zu seiner Lossprechung ein. Die Handlung ging unter Anwendung bestimmter Formeln unter genau festgesetzter Bede und Gegenrede vor sich, die versinnbildlichen sollten, dass aus einem unzuverlässigen Lehrling, dem natürlichen Gegner der Meister und Gesellen, ein getreues Mitglied der Brüderschaft, dass aus dem grünen Jungen nun ein selbständiger Mann werde. Das Hauptvergnügen bei der Sache aber war, den Jungen noch einmal ordentlich zu quälen. Während ihm eine lange Bede, die Schleif- oder Hobelpredigt, gehalten wurde, in der er allerlei gute Ermahnungen und Lebensregeln, Vorschriften für die Wanderschaft u. s. w. erhielt, bedachten ihn die Gesellen mit reichlichen Prügeln, sie ohrfeigten ihn, begossen ihn mit Bier, zogen ihm den

12 Stuhl unter dem Leibe hinweg uncl unterliessen nichts, was ihm die Niedrigheit seines bisherigen und die Bedeutung seines künftigen Standes drastisch vor Augen führen konnte. Oft gestalteten sich die Gesellen aufnahmen zu grossen "Volksfesten, an denen sich die ganze Stadt betheiligte. Die Gesetzgebung suchte diesen Ausschreitungen schon frühe nach Möglichkeit zu steuern, doch waren solche Gebräuche schwer auszurotten. In einer an die Eäthe der drei Städte Königsberg gerichteten Kabinetsordre vom 3. April 1703 gegen Verirrung der Zunftsitten hiess es-1): „Wir vernehmen missfällig, dass bei denen sämbtlichen Gewerken eine recht gotteslästerliche und scandaleuse Gewohnheit noch von alters her seyn solle, dass, wenn sie entweder frembde Gesellen annehmen oder auch hier Jungens einschreiben und Gesellen sprechen, sie gewisse Gesänge singen, Predigten halten und speciem administrationis Sacramentorum verüben, auch andere schändliche Zoten mehr vornehmen und betreiben sollen. Wenn aber solcher abscheulicher abusus, wodurch Gott im Himmel erzürnet, auch gutte Sitten verderbet werden, nothwendig und zwar aufs schieinigste abgethan werden müssen, also befehlen wir euch allergnädigst, sofort nach Empfang dieses die unter eurer Jurisdiction sich befindlichen Gewerke vor Euch zu fordern und sie nachdrücklich anzuhalten, dass sie alsogleich alle von ihren ritibus habende christliche Dinge einbringen und sich aller bisherigen Ceremonien bey Verlust ihrer Gerechtigkeiten auch ohnfehlbar erfolgenden Leibesstrafe bis zu fernerer "Verordnung enthalten sollen."'-) Nach der ') R o h r s c h e i d t , S. 128, 129. Diese Verordnung und eine spätere vom 7. April 1718 bezieht sich auf folgenden Brauch, den Rohrscheidt aus ,,Gerbers unerkannten Sünden der "Welt" mittheilt: „Bei dem Gesellenmachen wird dem Jungen, der nunmehr ausgelornet und zum Gesellen soll gemacht werden, ein Vater aus den versammelten Gesellen erwählet, der den Jungen gleichsam als sein Kind zur Taufe bringen und dem Gesellenstande einverleiben lassen soll, es wird auch aus denen Gesellen einer zum Pfaffen gemacht, der den neuen Gesellen taufen muss: Item man erwählet ihm auch zwei, drei bis fünf Pathen, die ihn aus der Taufe heben und künftig Zeuge sein sollen seiner Gesellentaufe. Nach diesem wird der, so zum Gesellen gemacht worden, bei manchem Handwerke (denn es hälts immer ein Handwerk anders als das andere) ausgekleidet, und hingegen mit Stroh auf das allernärrischste umbunden, auch wird ihm eine Krone, von Stroh geflochten und mit Eierschalen und Kartenblättern ausgezieret, aufgesetzet, im Angesicht wirf ihm ein Bart gemacht, wie einem Courtisan, hernach muss er sich barbieren lassen, da man anstatt der Seife ein Stück Ziegelstein, anstatt des Scheermessers ein stumpfes Hackemesser, oder ander Küchen-Instrument, statt des Kriiusoleisens die Feuerzange gebrauchet, welche man den neuen Gesellen um die Haare wickelt, und ihn damit in die Höhe ziehet: man siehet ihm auch nach den Zähnen, und wenn er das Maul aufthut, schlägt man ihm ein Ei in den Hals und noch dazu ein faules, wenn ihm etwa ein oder der andere Geselle nicht wohl will. Hierauf halten sie mit dem neuen Gesellen einen Umgang oder Procession, einer geht mit einem kupfern oder messingen Becken voran, und klingelt zu der Messe, voran und hintennach werden alte Besen getragen, darinnen brennende Lichter stecken, der angekleidete Pfaff hat einen Weihkessel in der Hand, sampt einen von Stroh gemachten Püschel,

13 Handwerks-Ordnung für das Königreich Preussen sollen ferner „alle bisher angemerckte beschwerliche Uebermaasse, Zehrung, Excesse und seltsahme, theils lächerliche, theils ärgerliche Gebräuche bei dem Auffdingen und Ledig-Zahlung der Lehr-Jungen, als Hobleu, Schleiften, Predigen, Taufen, wie sie es heissen, ungewöhnliche Kleider anlegen, auff der Gassen herumführen, oder herumschicken, und dergleichen, gäntzlich abgeschaltet seyn." Dasselbe verordnete die Handwerksordnung für Westpreuasen vom 24. Januar 1774 und auch das Allgemeine Landrecht enthielt die Vorschrift, dass bei der Lossprechung „weder Schmausereien auf Kosten des Gesellen, noch andere Erpressungen, auch keine unanständigen oder der Gesundheit nachtheiligen Gebräuche zulässig sein sollten."1)

2. Die Gesellenzelt. Die Gesellenzeit bildete den zweiten Abschnitt in der Ausbildung des zünftigen Handwerkers; erst mit ihrer Beendigung und der erfolgreichen Ablegung der Meisterprüfung erlangte er die Befähigung zum selbständigen Gewerbebetrieb. In dieser Zeit sollte der Geselle damit bespritzet und beweihet er die Umstehenden. Bei Anfang der Procession singen sie die Hesse. Nach der Procession setzen sie den neuen Gesellen auf einen Schemel mit drei Füssen, legen ihm ein Mantelholtz unter die Füsse, oder schreiben ihm ein Ziel, wie weit er die Füsse von einander strecken soll, alsdann wird einem jeden Gesellen die Hacht gegeben, dass er den neuen dreyinahl vom Schemel stossen, oder, wie sie es nennen, rücken darf, da dann der neue Geselle vielmahl schmerzlich fället, dass er möchte Hals und Bein brechen. Ferner, indem der neue Geselle auf dem Stuhle sitzet, setzet sich der angekleidete Pfaff vor ihm, nimmt ein Buch, entweder die Bibel oder Haus-Postille, denn es muss ein Foliant sein, mit welchem er den neuen Gesellen bisweilen auf den Kopf schlägt, auf das grosse Buch legt er die Fastnachtspredigt und lieset sie allen Anwesenden vor, mancher lernet sie gar auswendig, ziehet wohl gar die heiligen Evangelien mit an, und machet Scherz und Possen daraus, brauchet auch solche Formulen wie der Prediger auf der KantzeL, meine geliebten Freunde in Christo, Auserwählte in dem Herrn u. s. w., worüber dann: ein abscheuliches Gelächter bei deren Anwesenden entsteht Nach diesem schreitet man endlich zur Taufe, die geschieht denn entweder mit Wein oder Wasser. Wird er mit Wasser getauft, so macht man ihn desto nässer, vielmahl durch und durch, wird er aber mit Wein getauft, so kostets ihm desto mehr. Bei der Taufe wird ihm ein schändlicher Name gegeben, den er hernach mit Geld von sich kaufen muss. Wenn die Taufe verrichtet ist, wird ihm von allen Gesellen stark zugetrunken, da denn der neue Geselle jedwedem muss Bescheid thun, und weil es nicht möglich ist, so viel Getränke im Leibe zu behalten, geschieht es, dass er es, Salva venia, wegspeyet und alsbald immer wieder von neuem hineinfüllen muss, da denn kein Wunder, wenn sich ein junger Mensch krank und tot söffe: Wie mir denn auch christliche Handwerkmeister gesagt haben, sie wüssten Exempel, dass etliche solche neue Gesellen von dem eingenöthigten vielen Saufen gestorben, etliche aber lange krank davon gewesen." — Weiteres hierübersiehe bei R o h r s c h e i d t , S. 117—121; 127, 128; auch bei M a s c h e r , S. 330. ') Allgem. L a n d r . Th. II.

Tit. 8, § 324.

13 Handwerks-Ordnung für das Königreich Preussen sollen ferner „alle bisher angemerckte beschwerliche Uebermaasse, Zehrung, Excesse und seltsahme, theils lächerliche, theils ärgerliche Gebräuche bei dem Auffdingen und Ledig-Zahlung der Lehr-Jungen, als Hobleu, Schleiften, Predigen, Taufen, wie sie es heissen, ungewöhnliche Kleider anlegen, auff der Gassen herumführen, oder herumschicken, und dergleichen, gäntzlich abgeschaltet seyn." Dasselbe verordnete die Handwerksordnung für Westpreuasen vom 24. Januar 1774 und auch das Allgemeine Landrecht enthielt die Vorschrift, dass bei der Lossprechung „weder Schmausereien auf Kosten des Gesellen, noch andere Erpressungen, auch keine unanständigen oder der Gesundheit nachtheiligen Gebräuche zulässig sein sollten."1)

2. Die Gesellenzelt. Die Gesellenzeit bildete den zweiten Abschnitt in der Ausbildung des zünftigen Handwerkers; erst mit ihrer Beendigung und der erfolgreichen Ablegung der Meisterprüfung erlangte er die Befähigung zum selbständigen Gewerbebetrieb. In dieser Zeit sollte der Geselle damit bespritzet und beweihet er die Umstehenden. Bei Anfang der Procession singen sie die Hesse. Nach der Procession setzen sie den neuen Gesellen auf einen Schemel mit drei Füssen, legen ihm ein Mantelholtz unter die Füsse, oder schreiben ihm ein Ziel, wie weit er die Füsse von einander strecken soll, alsdann wird einem jeden Gesellen die Hacht gegeben, dass er den neuen dreyinahl vom Schemel stossen, oder, wie sie es nennen, rücken darf, da dann der neue Geselle vielmahl schmerzlich fället, dass er möchte Hals und Bein brechen. Ferner, indem der neue Geselle auf dem Stuhle sitzet, setzet sich der angekleidete Pfaff vor ihm, nimmt ein Buch, entweder die Bibel oder Haus-Postille, denn es muss ein Foliant sein, mit welchem er den neuen Gesellen bisweilen auf den Kopf schlägt, auf das grosse Buch legt er die Fastnachtspredigt und lieset sie allen Anwesenden vor, mancher lernet sie gar auswendig, ziehet wohl gar die heiligen Evangelien mit an, und machet Scherz und Possen daraus, brauchet auch solche Formulen wie der Prediger auf der KantzeL, meine geliebten Freunde in Christo, Auserwählte in dem Herrn u. s. w., worüber dann: ein abscheuliches Gelächter bei deren Anwesenden entsteht Nach diesem schreitet man endlich zur Taufe, die geschieht denn entweder mit Wein oder Wasser. Wird er mit Wasser getauft, so macht man ihn desto nässer, vielmahl durch und durch, wird er aber mit Wein getauft, so kostets ihm desto mehr. Bei der Taufe wird ihm ein schändlicher Name gegeben, den er hernach mit Geld von sich kaufen muss. Wenn die Taufe verrichtet ist, wird ihm von allen Gesellen stark zugetrunken, da denn der neue Geselle jedwedem muss Bescheid thun, und weil es nicht möglich ist, so viel Getränke im Leibe zu behalten, geschieht es, dass er es, Salva venia, wegspeyet und alsbald immer wieder von neuem hineinfüllen muss, da denn kein Wunder, wenn sich ein junger Mensch krank und tot söffe: Wie mir denn auch christliche Handwerkmeister gesagt haben, sie wüssten Exempel, dass etliche solche neue Gesellen von dem eingenöthigten vielen Saufen gestorben, etliche aber lange krank davon gewesen." — Weiteres hierübersiehe bei R o h r s c h e i d t , S. 117—121; 127, 128; auch bei M a s c h e r , S. 330. ') Allgem. L a n d r . Th. II.

Tit. 8, § 324.

14 die in der Lehre erworbenen Kenntnisse erweitern und vertiefen, seine technische Geschicklichkeit vervollkommnen und sich zu einem leistungsfähigen, sein Fach gründlich beherrschenden Handwerksmeister heranbilden. Er musste daher danach trachten, an möglichst vielen Orten, bei möglichst vielen und tüchtigen Meistern Arbeit zu bekommen. Zu dem Zwecke war er verpflichtet, mehrere Jahre zu wandern. Zugleich aber sollte der Geselle in diesen Jahren zu einem ordentlichen und ehrenhaften Manne und einem guten Bürger erzogen werden. Er blieb daher auch noch über die Lehrlingszeit hinaus der Aufsicht des Meisters unterworfen, der befugt und verpflichtet war, über sein Betragen zu wachen, ihn zum Besuch des öffentlichen Gottesdienstes anzuhalten, an einen stillen und regelmässigen Lebenswandel zu gewöhnen und vor Lastern und Ausschweifungen zu bewahren. Der Geselle war verpflichtet, die ihm aufgetragene Arbeit willig zu übernehmen und treu und fleissig auszuführen. Nur an den gesetzlichen Sonn- und Festtagen, namentlich nicht am sogenannten blauen Montag, durfte er feiern. Er hatte sich der Hausordnung seines Meisters zu fügen und ihm, sowie seiner Familie die nöthige Achtung zu erweisen; thätliche und schwerere wörtliche Beleidigungen, beharrlicher Ungehorsam, Widerspenstigkeit, Unsittlichkeit, Veruntreuungen und fortgesetzter Leichtsinn hatten sofortige Entlassung zur Folge. Die W a n d e r p f l i c h t dauerte in der Eegel drei Jahre, wobei zwei Militärjahre für ein Wandeijahr gerechnet wurden. Befreit vom Wandern waren die Schornsteinfeger, die Ganiweber, Bademacher, Zimmerleute und Schmiede, sofern sie nur das Landmeisterrecht erwerben wollten und die Gesellen aus den Städten Berlin, Potsdam, Frankfurt a. 0., Stettin, Magdeburg, Halberstadt und Königsberg, sofern sie eingeborene Bürgerssöhne waren. Die letzteren waren indessen berechtigt, wenn sie an ihrem Wohnorte keine Arbeit finden konnten, nach einer dieser grösseren Städte zu wandern, und auch in kleineren Städten Arbeit anzunehmen, wenn sie von Meistern, die dort ansässig waren, verschrieben wurden. Ausserdem konnte die Polizeibehörde in einzelnen Fällen aus besonderen Gründen, z. B. bei Krankheit, Schwächlichkeit, Unterstützungsbedürftigkeit der Eltern u. s. w. die Wanderzeit abkürzen oder ganz von ihr befreien. Das Wandern ausser Landes war in der Regel verboten; die Eltern trotzdem ausgewanderter Gesellen hatten eidlich zu erhärten, dass sie von dem Aufenthalt ihrer Söhne nichts wüssten. Eine Ausnahme von diesem Verbot wurde nur bei solchen Gewerben gemacht, die im Auslande in besonderer Blüthe standen, vorausgesetzt, dass das Vermögen des Auswandernden im Lande sicher stand oder dass er eine Gaution von etwa 100 Thalern leisten konnte. Zur Legitimation auf der Wanderschaft erhielten die Gesellen sogenannte K u n d s c h a f t e n , d.h. Zeugnisse der Innungen an den Orten,

15 wo sie gearbeitet hatten, über die Zeit ihrer Beschäftigung und ihre Führung. Solche Kundschaften mussten von den Innungen auch solchen Gesellen ausgehändigt werden, die bei Künstlern, Fabrikanten und anderen Conzessionarien gearbeitet hatten; doch fiel hier der Vermerk über die Führung weg. Um Fälschungen zu vermeiden, waren für die Kundschaften bestimmte Formulare vorgeschrieben, die die Charite in Berlin lieferte. Die Kundschaften wurden von dem Magistrats-Assessor ausgefertigt und untersiegelt und von ihm und dem Altmeister unterschrieben. Für die kantonpflichtigen Gesellen bestanden noch besondere Kontroivorschriften; insbesondere durfte ihnen die Kundschaft nicht eher ausgehändigt werden, als bis sie einen vom Begimente ausgestellten AVanderpass beigebracht hatten. Jeder an einem Orte einwandernde Geselle war verpflichtet, sich sofort auf der Herberge seines Handwerks oder bei dem Altmeister oder Altgesellen zur Arbeit zu melden und seine Kundschaft vorzuzeigen; hatte er keine, so wurde er an seinen früheren Aufenthaltsort zurückverwiesen, Meister, die ihn in Arbeit nahmen, wurden bestraft. Die Kundschaft wurde abgenommen und bis zur "Weiterwanderung in der Gewerkslade aufbewahrt. Ausländer hatten sich durch ihren Lehrbrief auszuweisen und vor der Obrigkeit eidlich zu erhärten, dass sie von einem Orte ausserhalb Deutschlands kämen, wo keine Kundschaften im Gebrauch seien. Die einwandernden Gesellen durften, wenn sie nicht von einem Meister besonders verschrieben waren, nicht selbst einen Meister wählen, bei dem sie arbeiten wollten, sondern mussten sich gefallen lassen, vom Altmeister oder Altgesellen denjenigen Meistern, an denen die Reihe war, oder einer Meisterswittwe überwiesen zu werden; wollten sie dies nicht, so mussten sie ohne Geschenk fortwandern. Fand ein zugewanderter Geselle binnen 3 Tagen keine Arbeit, so bekam er von der Zunft die übliche Unterstützung, worauf er seine "Wanderschaft fortsetzen musste. Die K ü n d i g u n g s f r i s t zwischen Meistern und Gesellen betrug 14 Tage; doch brauchte der Meister die Aufkündigung nicht anzunehmen, wenn die Zeit des Abzuges auf eine Messe, einen Jahrmarkt oder vierzehn Tage vor den Messen, Jahrmärkten und hohen Festen fiel. Den abgehenden Gesellen stand es in der Regel frei, bei anderen Meistern am gleichen Orte wieder in Arbeit zu treten. Wollte er weiterwandern, so durfte ihm seine Kundschaft ohne Einwilligung des Meisters, bei dem er zuletzt gearbeitet hatte, nicht verabfolgt werden. Der Meister sollte, bei eigener Vertretung, in die Aushändigung der Kundschaft nicht willigen, wenn er wusste, dass der Geselle Schulden gemacht oder ein Verbrechen begangen hatte. Derjenige, der seine Kundschaft erhalten, musste sogleich fortwandern; war er daran durch Zufall verhindert, so musste er

16 sie dem Gewerk zurückgeben, widrigenfalls er als Landstreicher angesehen und behandelt wurde. Wanderte einer ohne Kundschaft fort, so musste hiervon sofort der Obrigkeit Anzeige erstattet werden.1) Die „Kundschaften" waren durch die Reichszunftordnung von 1731 und die auf Grund derselben ergangenen Landesgesetze, Generalprivilegien und Handwerksordnungen eingeführt worden, um der im siebzehnten Jahrhundert unter den Gesellen eingerissenen starken Sitten-Verwilderung durch eine scharfe polizeiliche Ueberwachung entgegenzutreten. Namentlich war das Wandern vielfach in eine förmliche Landstreicherei ausgeartet, bei der Betteln, Raufen und Trinken eine Hauptrolle spielten. Faule Gesellen legten sich bei einem Meister nach dem andern wochenlang ein, verlangten und erhielten von ihnen Nachtlager und Zehrung und wurden schliesslich noch feierlichst von allen Gesellen zum Thore hinausbegleitet. Solche Gesellen lebten oft monatelang ohne Arbeit vom Geschenk. Auf den Herbergen fanden wüste Trinkgelage statt. ,,Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass gegen 1600 und im folgenden Jahrhundert das Saufen und Poculiren, das Fassen von betrunkenen Beschlüssen, das Faulenzen im Katzenjammer, die blauen Montage und alles, was hiermit zusammenhing, einen sehr hohen Grad erreicht hatten. Einer aus Rand und Band gekommenen Schule halberwachsener Jungen glichen die deutschen Gesellen gegen 1700" — so urtheilt Schmoller. Hierzu kam, dass die Gesellenverbände, zu denen sich die Gesellen zusammengeschlossen hatten, immer mächtiger wurden und, um bessere Lohnund Arbeitsbedingungen zu erzielen, die Meister in der unerhörtesten Weise terrorisirten, wobei sie vor den gewaltsamsten Mitteln nicht zurückschreckten. Legten sie die Arbeit nieder, so wussten sie durch ihre weitverzweigten Verbindungen, ihren stark entwickelten Korporationsgeist jeden Zuzug Arbeitswilliger fernzuhalten. Bei Streitigkeiten mit den Meistern zogen sie mit Pfeifen und Trompeten aus der Stadt, legten sich in der Nachbarschaft auf die faule Haut und verlangten, wenn man mit ihnen Frieden scliliessen wollte, regelmässig die Bezahlung ihrer Zeche. Auch unter einander hatten die Gesellenverbände vielfach Streitigkeiten, die durch kleinliche Eifersüchteleien und eine lächerliche Ueberspannung des Ehrbegriffs hervorgerufen wurden.2) Die Unzuträglichkeiten wurden schliesslich so gross, die fortgesetzten Unruhen und Aufstände politisch und wirtschaftlich so bedenklich, die Faulenzerei und Landstreicherei für die weitesten Kreise so unerträglich, dass die Reichs- und Landesbehörden dagegen nachdrücklich einschreiten mussten und die ganze Gesellenschaft durch

') L a m p r e c h t , S. 122—143; Allg. L a n d r e c h t Th. II, Tit. 8, §§ 325—400 -) S c hm o 11 e r , Das brandenburgisch-preussische Innungswesen von 1640—1806 in den Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte, 1888, I, 1, S. 78—80; I, 2, S. 47.

17 Einführung der Kundschaften und andere polizeiliche Vorschriften unter strenge Aufsicht stellten. Mit dem Ablauf der Gesellen- und Wanderzeit war die praktische Ausbildung beendigt und der junge Mensch hatte nun durch die Ablegung der M e i s t e r p r ü f u n g den Beweis seines Könnens zu erbringen. Auch diese Einrichtung ist von den Zünften in der selbstsüchtigsten "Weise missbraucht worden, indem man den Gesellen nicht nur kostbare und unverkäufliche Meisterstücke aufgab,1) sondern auch im Uebrigen die Prüfung mit grossen Ausgaben und Unkosten aller Art beschwerte. So mussten die Schaumeister, die bei der Anfertigung des Meisterstücks die Aufsicht führten, mit Speisen und namentlich Getränken fleissig bewirthet werden; beim Meisterspruch hatte der junge Meister nicht nur einen bestimmten Geldbetrag in die Büchse zu legen, sondern auch den „Geschworenen" eine gute Mahlzeit zu geben; für kleine Fehler am Meisterstück wurden Geldstrafen festgesetzt. Am kostspieligsten aber war das Meisteressen, zu welchem nicht nur sämmtliclie Zunftmeister, sondern auch ihre Frauen und Söhne geladen werden mussten. Hierzu kamen noch eine Menge kleinere Ausgaben: Entschädigungen für die Altmeister und Beisitzer, die Geschworenen und Schaumeister, sowie •den Meister, bei dem das Stück gemacht war, Abgaben an die Kämmeroi und Gewerkslade, Stiftungen für die Kirche, die städtische Armenkasse, Beiträge für die Mitbenutzung der dem Gewerk gehörigen Häuser, Maschinen. Werkzeuge und Geräthschaften. zur Ergänzung und Unterhaltung der Begräbnissutensilien, zur Abzahlung etwaiger Bauschulden, die die Zünfte zur Errichtung von eigenen Innungshäusern und Verkaufsstellen gemacht hatten, Gebühren für die Eintragung in das Meisterbuch, Botengelder und zahlreiche andere Geldopfer, die den Geldbeutel des jungen Meisters nicht selten so stark mitnahmen, dass er darunter viele Jahre zu leiden hatte. Meisterssöhnen und Denjenigen, die Meisterstöchter und Meisterswittwen heiratheten, wurde natürlich die Meisterprüfung auf jede Weise erleichtert. Diesem Gebahren traten zwar die Eeichs- und Landesgesetze schon sehr frühe und häufig genug entgegen; zahlreiche Verordnungen und Gesetze liegen über diesen Gegenstand vor; doch scheinen sie alle einen durchschlagenden Erfolg niemals erzielt zu haben, wie die vielen bis zur Aufhebung des Zunftzwangs fortdauernden Klagen beweisen. Lamprecht schreibt noch im Jahre 1792: „In den Gewerksprivilegien sind alle Schmausereien bei Anfertigung und Aufweisung der Meisterstücke verboten. D a a b e r d e m o h n e r a c h t e t d i e s e l b e n zur G e w o h n h e i t g e w o r d e n und dadurch ') Beispiele siehe bei R o h r s c h e i d t S. 142, 143. S i m o n , Die Fachbildung des Preussiscken Gewerbe; and Handelsstandos.

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18 das Etablissement angebender Meister erschwert, denselben dasjenige entzogen wird, was sie zur ersten Einrichtung ihres Gewerbes und Wirthschaft nothwendig gebrauchen und auch leicht solches dahin gemissbraucht werden kann, dass Diejenigen die nichts rechts gelernt, durch vorzügliche Bewirthung die Meister zu bestechen suchen, dass sie ihr Meisterstück gelinde beurtheilen und sie nicht, wie sie es verdienen, abweisen, so ist n e u e r l i c h — durch Rescripte vom 26. April 1797 — allgemein festgesetzet und bekannt gemacht worden, dass Diejenigen, die Meister werden, nicht nur nicht ein, mehreres, als die Innungsprivilegien besagen, den Meistern zur Ergötzlichkeit zahlen, sowie auch nicht das geringste zur Bewirthung der Meister anschaffen sollen, dass dergleichen Bewirthungen auch nicht unter dem Vorwande, als sei es etwas freiwilliges, angenommen werden sollen, dass, wenn dergleichen dennoch statt gefunden, dem Altmeister und Assessor jedem eine Strafe von zehen Thaler diktirt werden soll, dass jeder bei Ableistung seines Bürger-Eides zugleich versichern soll, dass obiger Vorschrift nachgelebt worden ist und dass Denuntianten den vierten Theil der Strafgelder erhalten sollen. Jeder, der nach erlangtem Meisterrechte das Bürgerrecht erhielt, sollte bei Ableistung des Bürgereide's zugleich versichern, dass a) er dem Gewerk nicht mehr, als im Privilegio angeordnet, zur Ergötzlichkeit gezahlet, auch dass er k«ine Bewirthungskosten gehabt; b) dass der Beisitzer bei Aufweisung und Beurtheilung seines Meisterstücks von Anfang an bis zuletzt zugegen gewesen, dass c) sein Meisterstück nicht öfter, als vorgeschrieben, besichtiget worden, dass d) während der Anfertigung desselben, die Altmeister ausgenommen, kein anderer Meister ihn in der Absicht, um nachzusehen, ob er das Stück selbst macht, besucht habe. Hierüber sollte jedesmahl ein ausführliches Protokoll aufgenommen werden." Im Einzelnen verlief die Prüfung in folgender Weise 1 ): Zunächst mussten der Lehrbrief in Ur- oder Abschrift, sowie die Kundschaften vorgelegt werden, um festzustellen, dass der Geselle die vorgeschriebene Zahl von Lehrjahren das Handwerk erlernt, drei Jahre gewandert und als Geselle gearbeitet, sowie sich gut geführt habe. War der Geselle von der Wanderpflicht befreit, so hatte sich das Gewerk darüber zu äussern, ob dem Gesellen hinlängliche Handwerkskenntnisse und Fertigkeiten zuzutrauen seien; wurde diese Frage verneint, so wurde der Geselle zur Prüfung nicht zugelassen. >) Lamprecht, S. 144—164; Allg. Landr. Ib. II, Tit. 8, §§ 247—262.

19 Die Prüfung bestand vornehmlich in der Anfertigung des M e i s t e r s t ü c k s , das fast alle Handwerker anzufertigen hatten. Die Arbeiten, die das Meisterstück bildeten, waren in den Privilegien meist bestimmt, mit dem Zusätze, dass nicht eigenmächtig mehr und andere Stücke von den Gewerken aufgegeben werden sollen und dass auch keinem, besondere auch nicht Meisters - Söhnen oder denen, die Meisters-Wittwen oder-Töchter heirathen, davon etwas erlassen werden darf. Eine Uebersicht über die in der Kurmark bei den einzelnen Gewerken eingeführten Meisterstücke folgt am Schlüsse" dieses Kapitels. Wo die Meisterstücke nicht von vornherein genau bestimmt werden konnten und ihre Festsetzung daher den Gewerken überlassen werden musste, stand dem Meistergesellen, der glaubte, dass ihm ein zu schweres oder zu kostbares Stück auferlegt sei, die Beschwerde bei der Obrigkeit oder den Landeskollegien zu, die, wenn sie die Beschwerde für begründet erachteten, entweder selbst ein leichteres oder weniger kostbares Meisterstück bestimmten oder das Gewerk mit entsprechender Anweisung versahen; bei den Baugewerken wurde in solchen Fällen in der Regel nach dem Gutachten des Stadtbauraths oder des Ober-Baudepartements verfahren. Uebrigens sollten auch nur „modische und verkäufliche" Meisterstücke aufgegeben werden. Die Meisterstücke mussten im Hause des Altmeisters oder eines anderen Meisters und unter seiner Eontrolle angefertigt werden. Bei den Bohrschmieden, Glasern, Korbmachern, Nadlern, Schlossern, Sporern, Uhr- und Windenmachern war für die Fertigstellung eine bestimmte Zeit vorgeschrieben. Nach der Vollendung fand die Besichtigung und Beurtheilung durch das Gewerk in Gegenwart des Magistrats-Assessors statt. Das Meisterstück durfte nur angenommen oder verworfen werden; die Verhängung von Geldstrafen wegen kleiner Fehler ward wiederholt und nachdrücklich verboten. Erklärte die Mehrheit der Stimmen das Meisterstück für untauglich, so wurde der Geselle zurückgewiesen; er konnte dann nach einiger Zeit ein neues Meisterstück machen. Wer zum dritten Male durchfiel, sollte für immer abgewiesen werden. Der Assessor musste darauf sehen, ,,dass kein Tadel, der blossen Eigensinn oder Gelderpressungen zum Grunde hat, zugelassen werde"; auch hatte er die Gründe, aus denen das Meisterstück verworfen, zu Protokoll zu nehmen. Der Abgewiesene konnte beim Magistrate Beschwerde erheben; fand dieser die Gründe für die Verwerfung nicht ausreichend, so hatte er das Gutachten der Zunft eines Nachbarortes einzuholen. Für die Maurer und Zimmerleute bestand die besondere Vorschrift, dass ihre Meisterstücke auch von dem Oberbaudirektor der Provinz beurtheilt und dass sie auch von ihm mündlich geprüft werden sollten. Ohne sein Zeugniss, dass sie tüchtig befunden worden, durften sie von den Innungen als Meister nicht aufgenommen 2*

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werden. Wenn ein Meister seinen Wohnort wechselte, so sollte an seinem neuen Wohnort die nochmalige Ablegung der Meisterprüfung nicht verlangt werden; wenn jedoch ein Landhandwerker, der als solcher nur ein leichteres Meisterstück anzufertigen gehabt hatte, in eine Stadt zog, wo ein schwereres verlangt wurde, so musste er sich auf Verlangen der Zünfte einer Nachprüfung unterziehen. Die Meisterprüfung in verschiedenen Gewerben abzulegen war zwar gestattet, aber ziemlich werthlos, da es nach Zunftrecht — sofern es sich nicht um Realberechtigungen oder nahe verwandte Gewerbe handelte — in der Regel verboten war, mehrere Gewerbe gleichzeitig zu betreiben. Jeder konnte über sein Meisterstück nach Belieben verfügen. Die Ertheilung des Meisterrechts erfolgte vor der versammelten Zunft in Gegenwart des Beisitzers an dem Orte, wo die Lade war. Die Aufnahme musste in das Meisterbuch eingetragen und dabei der Name, Vorname und Geburtstag angegeben, auch ein Vermerk über die Erledigung der Lehr- und Gesellenzeit, über den Ausfall der Meisterprüfung und die Höhe der gezahlten Gebühren gemacht werden. Dem Meister wurde ein Meisterbrief ausgehändigt, der von dem Beisitzer und Altmeister unterschrieben und mit dem Handwerkssiegel versehen war.

Meisterstücke der

einzelnen Gewerke in der Kurmark i n Jahre 1797.')

1. B&eker: Aus einem Scheffel Roggenmehi sind allerhand Arten Brodt, wie es an jedem Orte gebräuchlich ist, und aus einem Scheffel Weitzenmehl allerhand Arten Semmel, etwas geraspelt Brodt, auch Prezeln zu backen, wobei es nicht darauf ankommen soll, ob der Ofen davon voll wird, oder nicht. Der Meistergesell muss aber den Ofen selbst heitzen, und wissen, wieviel Holz sowohl zum Brodt, als Semmel backen, erforderlich ist. Darauf, ob die Brodte und Semmeln das Taxmässige Gewicht haben, soll es nicht ankommen, nur müssen sie gut ausgebacken seyn. Dies Meisterstück soll in eines Meisters-Hause, und dessen, und noch eines Meisters Beiseyn, ohne fremde Hülfe verfertigt werden. Ein Gesell darf zor Hülfe gegeben werden, jedoch muss derselbe blos nach des Meistergesellen Anweisung verfahren. Der Assessor und das Gewerk sollen, wenn die Brodte und Semmeln aus dem Ofen genommen werden, zugegen seyn, solche besichtigen und beurtheilen. Sollte das Meisterstück nicht gerathen seyn, und der Meistergesell besondere äusserliche Umstände anzeigen können, die solches bewirkt haben; so steht es ihm frei, ein zweites Meisterstück zu machen. 3. Beatler and Handschuhmacher: a) Ein Offizier-Degengehänge nach der Mode, b) Ein paar bocklederne gelaschte Hosen, c) Ein paar sauberne lederne Handschuhe nach der Mode, mit Silber, Gold oder Seide gesteppt. Fehler und Mängel am Leder sollen dabei nicht gerügt werden. Das Steppen, Sticken und Zusammennähen durften die Meister den Freuen, Töchtern oder anderen Frauenspersonen gegen Lohn übertragen.

3. Bohr-, Säge- und Zeugschmiede: a) Ein aus dem Ganzen

ausgehauener durchbrochener Kloben mit vier verborgenen Schrauben, einer Hülse aus dem Ganzen, und stählernen Blatt, rein und sauber, nebst vier Platten, Schlüssel, Keil, und was dazu gehört, b) Ein Trepan mit einem Traug, und drei Kronen von Stahl, mit drei Bohrchens, die darin eingeschraubt werden, alles fein poliert c) Ein ') Siehe L a m p r e c h t , S. 203—635.

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Röhrenbohrer, vnrne mit einer Schraube, in der Schneide 14 Zoll lang, und 21/, Zoll weit, sammt einer sechseckigen Stange, ein Fuss lang, desgleichen Angel, und dazu gehörigem Gestämme, inwendig und auswendig helle poliert. Es sollen diese Meisterstücke binnen vier Wochen fertig gestellt werden. 4. B8ttch der natürlichen Grösse (z. B. von dem inneren Werke einer Windmühle, von einem rückschlächtigen Wasserrade nebst dazu gehörendem Theile des Zu- und Abflussgerinnes, von einem Sichtwerke, Stampfwerke u. dergl.), unter deren Aufsicht eigenhändig anzufertigen. Der Kandidat hat sich das, zur Ausführung dieser Arbeiten erforderliche Lokal, wenn ihm solches nicht von dem Vorsitzenden angewiesen wird, und die nöthigen Werkzeuge and Materialien zu besolden. Die Besichtigung des Probebaus oder der nach 1. und 2. angefertigten Probestücke erfolgt durch die versammelte Kommission. Dabei hat dieselbe den Geprüften zuzuziehen, auf die etwa vorgefundenen Mängel der Arbeit hinzuweisen und seine Erklärung hierüber zu Protokoll zu nehmen. VI. D e r B r u n n e n b a u e r . § 38. Die m ü n d l i c h e Prüfung ist auf folgende Gegenstände zu richten: 1. Kenntniss des Rechnens mit Brüchen und des Ausziehens der Quadratwurzel; 2. Berechnung des Inhalts und der Begrenzungsfläche des Prisma und des Cylinders bei senkrechter Stellung; 3. Auftragen geradliniger Figuren nach gegebenen Bestimmungsstücken und Bedingungen; 4. Erklärung vorgelegter Zeichnungen, welche auf den Bau von Brunnen mit Saug- und Druckwerken sich beziehen; 5. Rücksichten, welche bei der Auswahl der Stellen zur Anlegung von Brunnen zu nehmen sind, Mittel zum Auffinden der geeignetsten Stellen; 6. Verfahren beim Senken der Brunnen durch verschiedene Erdarten auf Kränzen; beim Abteufen eines Brunnenschachts und Aufmauern des Kessels mit natürlichen Bausteinen oder mit Ziegeln; beim Ausschürzen der Brunnenkessel in Holz, und bei der Anfertigung der hölzernen Brunnenkasten; 7. Konstruktion der Saug- und der Druokwerke in der Anwendung auf Brunnen und Wasserleitungen; Darstellung der'Saug- und Druckkolben, der Ventile, der Zug- und Druckstangen; Aufstellung und Verbindung der Ptunpenverlegungen aus vorhandenen Brunnenkesseln; der Pumpen zur Bewältigung des Grundwassers in Baugruben und zu ähnlichen vorübergehenden Zwecken;

248 8. Mittel zur Verbesserung der Brunnen, welche trübes "Wasser geben; zur Ausbesserung schadhafter Brunnenkessel und Pumpenröhren; Vorsichtsmassregeln gegen die Wirkungen verdorbener Luft bei der Ausbesserung tiefer Brunnen; 9. Eigenschaften der, zu Röhreoleitungen benutzten Materialien (Holz, Stein, gebrannter Thon, Blei, Eisen); Anlegung von Röhrenleitungen und Verbindung der einzelnen Böhrentheile nach der Verschiedenheit des Materials; Bücksichten, welche auf Sicherung gegen Frost und bei hölzernen Röhren gegen Fäulniss zu nehmen sind; Vorrichtungen zum Entweichen der Luft aus Bohren, welche abwechselnd steigen und fallen, und zur Ansammlung der Unreinigkeiten, welche das Wasser etwa mit sich führt. Bei der Stellung der Fragen ist auf die, im Bezirke der Kommission bei dem Bau der Brunnen zur Anwendung kommenden Konstruktionen und Materialien und auf die dort gebräuchlichen Benennungen Bücksicht zu nehmen. § 39. Als P r o b e - A r b e i t (§ 8 b.) ist zu liefern die Veranschlagung 1) eines, mit natürlichen Bausteinen oder mit Ziegeln ausgesetzten Brunnens von gegebener Tiefe; 2) und Zeichnung einer aufgesetzten Säugpumpe, welche das Wasser 36 bis 40 Fuss hoch zu heben hat, und mit einer, nach verschiedenen Winkeln gehenden Verlegung vom Brunnenkessel in Verbindung steht. § 40. Als P r o b e b a u ist ein gemauerter oder ausgezimmerter Brunnen von derjenigen Tiefe, bis zu welcher die, im Bezirke der Kommission üblichen Brunnen gesenkt zu werden pflegen, und eine gewöhnliche hölzerne Pumpe anzufertigen. Die Ermittelung des Probebaus, welcher in dem erwähnten Bezirke auszuführen ist, bleibt dem zu Prüfenden überlassen, welcher vor dem Beginne der Arbeit den Ort des Baus mit Angabe der Dimensionen, dem Vorsitzenden der Kommission anzuzeigen hat. Die Entscheidung darüber, ob der Bau zum Probebau sich eignet, ist möglichst zu beschleunigen, und dem Antragsteller jedenfalls innerhalb der nächsten vier Wochen nach dem Eingange der vorstehend erforderten Anzeige bekannt zu machen. § 41. Eücksichtlich des Probebaus kommen die Vorschriften der §§ 19, 20, 21, 22 mit der Massgabe zur Anwendung, dass derselbe von den beiden technischen Mitgliedern der Kommission abzunehmen ist.

C. Bestimmungen in Betreff der unter den einzelnen Gewerben begriffenen Verrichtungen. § 42. Bei der Entscheidung darüber, welche Arbeiten von den, im Eingange genannten Handwerkern gemacht werden dürfen, hat der Gewerberath, oder, wo ein solcher nicht besteht, die Kommunalbehörde (§§ 22, 28 der Verordnung vom 9. Februar 1849) den Umfang derjenigen Arbeiten zu berücksichtigen, auf welche die Prüfungen nach der gegenwärtigen Verordnung gerichtet werden sollen. § 43. Zimmerarbeiten, welche zugleich zu den Gegenständen der Meisterprüfung der Mühlenbauer oder der Brunnenbauer gehören, dürfen sowohl von solchen, als von Zimmermeistern ausgeführt werden. Alle beim inneren Ausbau der Gebäude vorkommenden Holzarbeiten an Treppen, Fussböden, Vertäfelungen, Thüren, Fenstern u. s. w. dürfen auch von Zimmermeistern angefertigt werden. § 44. Von den, unter dem Zimmergewerbe begriffenen Arbeiten dürfen nachstehende auch von ungeprüften Personen ausgeführt werden: 1) die Anfertigung und Aufstellung von Stacketen, Bretter- und Lattenzäunen, Prellpfählen, Trögen, Krippen und ähnlichen Gegenständen; 2) die Ausbesserung von Brücken-Belägen und Brücken-Geländern;

249 3) die Herstellung von Verschlagen; von einzeln stehenden kleinen Ställen und ähnlichen kleinen wirtschaftlichen Behältern; die Anfertigung und Befestigung von äusseren und inneren Bretterverkleidungen, von Dielungen, Thüren und Fensterladen, sofern diese Gegenstände einfach durch Nagelung zusammengefügt und befestigt werden; 4) die Anfertigung von hölzernen Treppen vor den Häusern; 5) die Reparatur von Dachbelattungen: "Wer sich mit dergleichen Arbeiten beschäftigt, ohne das Befähigungszeugniss zum selbständigen Betriebe des Zimmergewerbes zu besitzen, ist als Zimmermeister nicht anzusehen, und nicht befugt, Lehrlinge in dem Zimmergewerbe auszubilden. § 45. Maurermeister sind auch das Ziegeidecker - Gewerbe zu betreiben berechtigt, und ohne Ablegung der Steinhauer- (Steinmetz-) Prüfung befugt, "Werkstücke jeder Art zuzurichten, zu vermauern, zu versetzen, zu vergiessen, oder sonst bei ihren Bauausführungen zu verwenden. Maurerarbeiten, welche zugleich zu den Gegenständen der Meisterprüfung der Steinhauer (Steinmetze) oder der Brunnenbauer gehören, dürfen sowohl von Meistern des betreffenden Handwerks, als von Maurermeistern ausgeführt werden. Maurermeister dürfen sich auch mit dem Aufsetzen von Oefen und Feuerheerden beschäftigen. § 46. Von den unter dem Maurergewerbe begriffenen Arbeiten dürfen nachstehende auch von ungeprüften Personen ausgeführt werden: 1) die Ausbesserung von Mauern, mit Ausschluss jedoch der Ufermauern und solcher Futtermauem, welche zur Sicherung von Landstrassen dienen oder Gebäude tragen; 2) die Erneuerung einzelner ausgefallener Dachziegel; 3) die Belegung der Fussböden mit Steinen, Platten, Ziegeln, Fliesen oder Estrich; 4) das Bewerfen, Abputzen und Färben (Tünchen) aller inneren und äusseren Gebäudetheile. Wer sich mit dergleichen Arbeiten (1 bis 4) beschäftigt, ohne das Befähigungszeugniss zum selbständigen Betriebe des Maurergewerbes zu besitzen, ist als Maurermeister nicht anzusehen und nicht befugt, Lehrlinge in dem Maurergewerbe auszubilden. § 47. Die Bestimmungen des § 45 der Gewei'be-Ordnuug und des § 24 der Verordnung vom 9. Februar 1849 finden foitan auf diejenigen Anwendung, welche sich gewerbsmässig und selbständig mit der Errichtung von Bauwerken oder einzelner Theile von Bauwerken aus "Werkstücken, oder mit Zurichtung von "Werkstücken zu Gewölben oder zu gewundenen Treppen beschäftigen wollen. Wer jedoch bei Erlass dieser Verordnung mit dem Zurichten von Werkstücken sich gewerbsmässig und selbständig beschäftigt, darf das Gewerbe, auch wenn er die Anmeldung desselben bei der Kommunalbehörde (§§ 22, 23 der Gewerbe-Ordnung) unterlassen und die Steinhauer- (Steinmetz-) Prüfung nicht bestanden hat, ohne Beschränkung auf "Werkstücke gewisser Art ferner betreiben. § 48. Mit der Zurichtung anderer als der im § 47 bezeichneten Werkstücke und mit der Bearbeitung von Steinen zu sonstigen Zwecken, z. B. zu Platten, Rinnen, Trögen, Prellsteinen, Mühlsteinen, Tischen, Bänken, Grabsteinen und dergl., darf ein Jeder, auch ohne vorgängigen Nachweis einer gewerblichen Befähigung sieh beschäftigen. § 49. Die Deckung der Dächer mit Schindeln, Stroh, Rohr oder anderen Materialien als Schiefer oder Ziegeln, gehört nicht zu denjenigen Arbeiten, welche nur den geprüften Schieferdeckern oder Ziegeideckern zustehen. Auch darf die Erneuerung einzelner ausgefallener Schiefer oder Ziegel von ungeprüften Personen verrichtet werden. § 50. Bei Arbeiten an äusseren Gebäudetheilen darf sich ausser den Zimmer-, Maurer-, Steinhauer- (Steinmetz-), Schieferdecker- oder Ziegeldecker-Meistern, ohne Erlaubniss der Orts-Polizeibehörde Niemand stehender oder fliegender Gerüste be-

250 dienen. In welcher Weise, vor Ertheilung dieser Erlaubniss die, für die Anwendung von Gerüsten in sicherheitspolizeilicher Hinsicht erforderliche Zuverlässigkeit und Geschicklichkeit nachzuweisen ist, haben die Orts-Polizeibehörden, resp. die Regierungen, zu bestimmen. § 51. Die Bestimmungen des § 45 der Gewerbe-Ordnung und des § 24 der Verordnung vom 9. Februar 1849 finden fortan auf diejenigen Anwendung, welche sich gewerbsmässig und selbständig mit der Errichtung von "Wasser- oder Windmühlen oder der dazu gehörenden Triebwerke beschäftigen wollen. § 52. Mit der Ausbesserung und Erneuerung schadhafter Bäder- und Triebwerke, mit Einschluss der Wasserräder und der Windmühlenflügel, dürfen auch Zimmermeister und Müllermeister sich beschäftigen. § 53. Diejenigen, welche bei Erlass dieser Verordnung mit einem Erlaubnissscheine zur Ausführung von Mühlen-Flickarbeiten versehen sind, dürfen schadhafte Mühlenräder und Triebwerke mit Einschluss der Wasserräder und der Windmühlenflügel, erneuern und ausbessern. § 54. Die Errichtung anderer als der im § 51 erwähnten Mühlen- und Triebwerke ist zu den Verrichtungen, welche nur geprüften Mühlenbauern zustehen, nicht zu rechnen. Dasselbe gilt von der Anfertigung und Aufstellung eiserner Triebwerke, Maschinen und Maschinentheile, und des dazu gehörenden Holzwerks, auch in den, im § 51 erwähnten Mühlen. § 55. Das Abteufen von Brunnenschachten kann von der Orts-Polizeibehörde auch geübten Bergarbeitern gestattet werden. Es bleibt ihr auch vorbehalten, zuverlässigen Gewerbetreibenden und Arbeitern die Ausbesserung von Röhrenleitungen, mit Einschluss der Einsetzung neuer Zwischenstücke, sowie die Anfertigung, Einsetzung und Ausbesserung stehender Pumpen und einzelner Theile derselben, ohne vorgängige Ablegung der Brunnenbauerprüfung, zu gestatten. In welcher Weise vor Ertheilung einer solchen Erlaubniss die, f ü r jene Arbeiten erforderliche Zuverlässigkeit und Geschicklichkeit festzustellen ist, haben die Orts-Polizeibehörden, resp. die Regierungen zu bestimmen. Für die Anfertigung beweglicher Pumpen, sowie aller in Metall ausgeführten Saug- oder Druckwerke ist die Ablegung der Meisterprüfung im Brunnenbaugewerbe, oder eine besondere polizeiliche Erlaubniss nicht erforderlich. § 5G. Die Intsruktionen vom 28. Juni 1821 in Betreff der Prüfungen der Zimmerleute, Maurer, Mühlwerks-Verfertiger und Brunnenbauer, die Instruktion vom 14. August 1833, betreffend die Prüfung der Steinhauer (Steinmetze), die bisherigen Bestimmungen über die Prüfungen der Schieferdecker und der Ziegeldecker, desgleichen über die Ertheilung von Erlaubnissscheinen zur Ausführung von Zimmer-, Maurer- und Mühlen-Flickarbeiten, werden hierdurch aufgehoben. Erlaubnissscheine zur Verrichtung solcher Flickarbeiten sollen fortan nicht mehr ertheilt werden. Die bestehenden Kommissionen zur Prüfung der Eingangs genannten Handwerker treten ausser Wirksamkeit, sobald die nach § 2 zu bestellenden Kommissionen eingesetzt sind. 3. V o r s c h r i f t e n vom 18. M ä r z 1855 f ü r d i e A u s b i l d u n g u n d P r ü f u n g d e r j e n i g e n , w e l c h e s i c h dem B a u f a c h e widmen.2) D i e j e n i g e n , w e l c h e s i c h d e m B a u f a c h e im Staatsdienste w i d m e n , h a b e n z w e i P r ü f u n g e n zu b e s t e h e n , die B a u f ü h r e r - P r ü f u n g und die B a u m e i s t e r - P r ü f u n g . ») Siehe oben Seite 90—107. 5 ) M i n i s t e r i a l b l a t t f . d . innere Verw. 1855. S. 51. Diese Vorschriften sind an die Stelle der unterm 17. August 1849 erlassenen (Min.-Blatt S. 198) getreten. —

251 N e b e n d i e s e n P r ü f u n g e n f ü r die B a u b e a m t e n f i n d e t e i n e Prüfung für P r i v a t b a u m e i s t e r statt. D i e — h i e r a l l e i n in F r a g e kommenden — B e s t i m m u n g e n ü b e r die P r i v a t b a u m e i s t e r l a u t e n , wie f o l g t : § 21. Um zur Prüfung als Privatbaumeister zugelassen zu werden, sind folgende Nachweise beizubringen: a) Darüber, dass der Kandidat das Handwerk eines Maurers oder eines Zimmermanns oder eines Steinmetz (Steinhauers) praktisch erlernt und die für den selbständigen Betrieb des erlernten Handwerks vorgeschriebene Meisterprüfung bestanden hat; b) über eine mindestens dreijährige Studienzeit nach Ablegung der Prüfung für den selbständigen Betrieb des Handwerks. Der Nachweis zu a. wird durch die Vorlegung des Zeugnisses über die bestandene Prüfung als Maurer-, Zimmer- oder Steinmetzmeister geführt, welches dem Kandidaten zum anderweiten Gebrauch zurückgegeben wird. Der Nachweis zu b. wird durch ein Zeugniss der Königlichen Bau-Akademie zu Berlin oder durch Zeugnisse ähnlicher dem Zwecke nach verwandter öffentlicher Lehranstalten Deutschlands, durch Zeugnisse einzelner Lehrer solcher Anstalten oder durch Zeugnisse geprüfter preussischer Baumeister geführt und muss im Allgemeinen darthun, dass der Kandidat mindestens drei Jahre dem Studium des Baufachs gewidmet hat. Die von einzelnen Lehrern oder Baumeistern ausgestellten Zeugnisse müssen von der vorgesetzten Behörde derselben beglaubigt sein. Sofern die Ausbildung nicht auf der Königlichen Bau-Akademie zu Berlin stattgefunden hat, ist zugleich eine nähere Darlegung über den Bildungsgang und die benutzten Bildungsmittel einzureichen. § 22. "Werden jene Nachweise ausreichend befunden, so wird dem Kandidaten eine ausgedehnte Probeaufgabe aus dem Gebiete des Land- und Schönbaus ertheilt, welche derselbe spätestens innerhalb zwei Jahren zu bearbeiten und mit der auf jeder Zeichnung geschriebenen Versicherung an Eides Statt, dass er solche eigenhändig ohne fremde Beihilfe gefertigt habe, einzureichen hat. Vorher galten für die Privatbaumeister die Vorschriften vom 8. September 1831, ( K a m p t z , Annalen 1831 S. 522): § 23. Wer zum Staatsdienste befähigt ist, ist es in gleichem Umfange zur Uebernahme von Privatbauten als selbständiges Gewerbe. § 24. Es soll solchen Baumeistern, welche auf eine Anstellung im Staatsdienste keine Anspräche machen, der gleichzeitige selbständige Betrieb mehrerer Baugewerbe unter folgenden Bedingungen gestattet sein: An Schulkenntnissen sollen sie die Keife der dritten Klasse eines Gymnasiums oder die Reife derjenigen Klasse einer Schulanstalt nachweisen, welche das Ministerium für Bauwesen ihr gleich achtet; ferner, dass sie das Handwerk eines Maurers oder eines Zimmermannes oder eines Steinmetzen oder eines Mühlenbauers praktisch erlernt und die Prüfung bestanden haben, welche für dasselbe gesetzlich vorgeschrieben ist. § 25. Die Privatbaumeister zerfallen in zwei Klassen, solche für den Landbau und solche für den Maschinenbau. § 26. Die Klasse für den Landbau muss ausser dem § 24 geforderten Nachweis über die Erlernung eines der drei ersten darin genannten Bauhandwerke und der darüber bestandenen Prüfung beweisen, dass sie die Kenntnisse besitzen, welche der Staat von einem Feldmesser und Baumeister fordert. Hiervon sind jedoch ausgenommen: der Nachweis der praktischen Ausübung des Feldmessens und Xivellirens; die Feldeintheilungslehre, das Planzeichnen, die angewandte Mathematik mit Ausnahme der Statik, der Strassenbau. § 27. Die Klasse für den Maschinenbau soll die Vorschriften des § 24 als Mühlenbauer erfüllen, ferner soll er verstehen das Planzeichnen, Messen und Xivelliren, die Statik und Hydrostatik, die Mechanik und Hydraulik, sowie die Maschinenlehre; die Anordnung, Konstruktion und Veranschlagung der verschiedenen Mühlen werke und Maschinen in demselben Masse, wie sie von einem WasserbauInspektor verlangt wird, die Anordnung und Konstruktion der mit denselben gewöhnlich in Verbindung stehenden "Wasser-Bauwerke. § 28. Die Prüfung der Privatbaumeister geschieht von der Ober-Bau-Deputation auf einmal ohne Vorund Nachprüfung.

252 § 23. "Wird die mit dem Anmeldungsggsuche einzureichende Probearbeit genügend befunden, so erfolgt die Ansetzung des Prüfungstermins und die Ertheilung der Klausur-Arbeit aus dem Gebiete des Land- und Schönbaues, zu deren Bearbeitung eine "Woche Zeit gewährt wird. "Während dieser Zeit sind die von dem Kandidaten eingereichten Probearbeiten zur Ansicht auszulegen. Nach Empfang der Klausur-Aufgabe hat der Kandidat am ersten Tage eine Skizze zu entwerfen, von welcher bei der weiteren Ausarbeitung des Entwurfs in den wesentlichen Theilen nicht abgewichen werden darf und diese am Schiasse der Dienststunden dem Aufsichtsbeamten einzuhändigen. Die Beurtheilung der Klausurarbeit findet im Plenum der Königlichen technischen Bau-Deputation statt. Wird die Arbeit für ungenügend erachtet, so ist dadurch die Prüfung abgebrochen und dem Kandidaten wird die abermalige Meldung frühestens nach 6 Monaten verstattet. § 24. Die mündliche Prüfung der Privat-Baumeister erstreckt sich auf die in § 17 zu 1 für die Baumeister gestellten Anforderungen, jedoch nur in dem Umfange, wie solche für die Verwaltung einer Kreisbaumeisterstelle gefordert werden; ferner auf die Dynamik in ihrer Anwendung auf Konstruktionen des Landbaues. Hierbei wird auf die, diesen Anforderungen unmittelbar zu Grunde liegenden Kenntnisse nach Bedürfniss zurückgegangen werden.1) Die mündliche Prüfung der Privat-Baumeister dauert in der Regel zwei Tage und kann mit dem auf Land- und Schönbau bezüglichen Theile der Baumeister-PrüfuDgen gleichzeitig vorgenommen werden, sofern die Prüfungsbehörde dies für angemessen erachtet. § 25. "Wenn der Kandidat in der mündlichen Prüfung bestanden ist, so wird ihm das Zeugniss ausgestellt, dass er als „Privat-Baumeister" befähigt sei, wobei unter geeigneten Umständen das Prädikat „ausgezeichnet' beigelegt werden kann. Die Prüfung kann nicht öfter als einmal wiederholt werden. § 31. Diejenigen, welche die Privat-Baumeister-Prüfung abgelegt haben, erhalten durch das Prüfungszeugniss die Befugniss, das Prädikat „Privat-Baumeister" zu führen. Sie sind berechtigt, die Anfertigung von Bauplänen und die Leitung von Bau-Unternehmungen, jedoch nur für die Gegenstände des Landbaues, selbständig zu betreiben. Zur Anstellung im Staatsdienste sind sie nicht befähigt, und zur Bekleidung eines Kommunal-Bau-Amts nur insoweit, als mit diesem nicht die Besorgung von umfangreichen Wege- und "Wasserbau-Geschäften verbunden ist. § 38. Bauführern, Baumeistern und Privatbaumeistern steht die Ausführung von Feldmesser-Arbeiten nur insoweit zu, als solche zur Ausübung ihrer Berufsgeschäfte im Baufache unmittelbar gehören. § 39. Bau-Handwerke dürfen Baumeister oder Privatbaumeister nur insoweit selbständig betreiben, als sie die Meisterprüfung für das betreffende Handwerk abgelegt haben. Als Ergänzung zu § 38 sind ergangen: die M i n i s t e r i a l - E r l a s s e vom 19. S e p t e m b e r 1861 u n d 23. Mai 1862. 2 ) 1. Baumeister und Bauführer, welche sich die Qualifikation als F e l d m e s s e r ') Diese Anforderungen sind: a) Geschichte der Baukunst des Alterthums, des Mittelalters und der italienischen Kunstperiode; b) Bau-Konstruktionslehre in Anwendung auf ausgedehnte und schwierige Bau-Anlagen; c) Schönbau in Anwendung auf alle Arten von Privat- und öffentlichen Gebäuden und von Städte-Anlagen; d) Geschäftsführung, Verfahren und Hülfsmittel bei Ausführung der Baue. -) M i n i s t e r i a l - B l a t t f. d. innere Verw. 1S61, S. 241 und 1862, S. 221.

253 erwerben wollen, haben a) die Bescheinigung eines Feldmessers beizubringen, dass sie mindestens drei Monate lang ausschliesslich bei speziell namhaft zu machenden Vermessungsarbeiten beschäftigt gewesen sind und dabei gezeigt haben, dass sie richtige Vermessungen selbständig ausführen können, b) die Bescheinigung, dass sie, ausser den gedachten drei Monaten, ein Nivellement von mindestens 1000 Ruthen Länge in Stationen von 10 zu 10 Ruthen selbständig und richtig ausgeführt, dasselbe auch vorschriftsmässig aufgetragen und gezeichnet haben. 2. Unter Binreichung des Attestes als Baumeister oder Bauführer und der unter 1 genannten Bescheinigungen haben sie die Ertheilung einer Probekarte bei der betreffenden Königlichen Regierung nachzusuchen. 3. Die Regierung ertheilt, wenn sie die unter 1 genannten Bescheinigungen als genügend anerkannt, dem Kandidaten eine Probe-Karte von massigem Umfange. 4. "Wenn die Regierung die von dem Kandidaten gezeichnete Probekarte annehmbar findet, so legt sie dieselbe mit den unter 1 genannten Bescheinigungen der Königlichen technischen Bau-Deputation vor. 5. Die technische Bau-Deputation entscheidet danach, ob der Kandidat zum Feldmesser befähigt ist, stellt in diesem Falle das Qualifikations-Attest aus und sendet dasselbe an die Regierung zur Aushändigung. 6. Das Qualifikations-Attest kann auch an P r i v a t b a u m e i s t e r ertheilt werden, sofern sie wenigstens die für die Zulassung zur Feldmesser-Prüfung vorgeschriebene Schulbildung erlangt haben (siehe die nachfolgenden Vorschriften für die Prüfung der Feldmesser). 4. A l l g e m e i n e s F e l d m e s s e r - R e g l e m e n t vom 1. D e z e m b e r 1857.1) Unter Aufhebung des allgemeinen Reglements für die Feldmesser vom 29. April 1813 wird hindurch auf Grund des § 53 der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 verordnet was folgt: I. B e s t e l l u n g d e r F e l d m e s s e r . § 1. Die Geschäfte der Feldmesser oder Nivellirer dürfen nur von denjenigen Personen betrieben werden, welche nach vorgängiger Prüfung und Vereidigung von der Regierung als Feldmesser bestellt sind. § 2. Die Regierung darf nur solche Personen als Feldmesser bestellen, von deren Unbescholtenheit und Zuverlässigkeit sie sich überzeugt hat. u. s. w. Für die im § 1 vorgesehene Prüfung blieben massgebend die V o r s c h r i f t e n f ü r die P r ü f u n g der F e l d m e s s e r vom 8. S e p t e m b e r 1831.2) § 1. Der Feldmesser soll die Kenntnisse nachweisen, welche zur Entlassung als reif aus der zweiten Klasse eines Gymnasiums erfordert werden oder die Reife einer Klasse einer anderen Lehranstalt, welche das Ministerium des Innern, für Handel, Gewerbe und Bauwesen ihr gleichachtet. Offiziere des stehenden Heeres, welche die Prüfung als Offiziere bestanden haben, sowie reitende Feldjäger sind von Beibringung ihrer Zeugnisse entbunden. Der Feldmesser muss ferner vor seiner Prüfung als solcher bei einem oder mehreren Feldmessern oder KatasterGeometem wenigstens überhaupt ein Jahr lang in Ausführung von Vermessungen und Nivellements gearbeitet und einen unbescholtenen Lebenswandel geführt haben. § 2. Mit den Zeugnissen hierüber meldet sich der Kandidat unter Einreichung seines Lebenslaufs bei der Regierung desjenigen Regierungsbezirkes, in >) M i n i s t e r i a l - B l a t t f. d. innere Verw. 1857, S. 81. ») K a m p t z , Annalen 1831 S. 517; dazu R e g u l a t i v vom 8. J u l i 1833, K a m p t z A n n a l e n , 1833, S. 269.

254 welchem er praktisch gearbeitet hat und trägt auf seine Prüfung an, welche jene durch die bei ihr bestehende Feldmesser-Prüfungs-Kommission anordnet § 3. Die Kommission ertheilt ihm eine angemessene Probe-Aufgabe; wird deren Bearbeitung nicht verworfen, so findet die schriftliche und mündliche Prüfung statt, and zwar: in der Feldeintheilungslehre, der Feldmess- und Nivellirkunst, in der Arithmetik mit Rücksicht auf praktische Fertigkeit im Rechnen, der Algebra, einschliesslich der Auflösung quadratischer Gleichungen and Uebung im Gebrauch der Logarithmen, der ebenen Geometrie, der Trigonometrie mit einiger Kenntniss der sphärischen, dem Situations-Kartenzeichnen. § 4. Die Regierang übersendet sftmmtliche Dokumente, Probearbeiten und das Prüfungs-Protokoll mit dem Gutachten der Prüfungs-Kommission an die Oberbaadeputation (seit 1850 technische Bau-Deputation). Das von dieser Behörde auszustellende Zeugniss entscheidet über die Fähigkeit zum Feldmessen überhaupt oder über die bedingte Fähigkeit zu gewissen Arten der Vermessungen und Nivellements. § 5. Untüchtig Befundene können sich nur nach Jahresfrist zu einer zweiten Prüfung melden. § 7. Feldmesser sollen bei öffentlichen Bauten nicht beschäftigt werden. 5. Schiffsbauer. Für die S e e s c h i f f s b a u e r blieben die Vorschriften vom 26. Februar 1824 (siehe oben S. 108) in Kraft Bezüglich derjenigen, welche sich mit der Herstellung von Kähnen und F l n s s f a h r z e u g e n befassten. wurde durch M i n i s t e r i a l E r l a s s vom 22. F e b r u a r 18601) bestimmt, dass sie eines B e f ä h i g u n g s n a c h w e i s e s n i c h t b e d ü r f t e n . In dem betreffenden Erlasse heisst es: Eine nähere Erörterung der einschlägigen ^tatsächlichen Verhältnisse hat ergeben, dass bisher in dem grösseren Theile der Monarchie die Flussschiffbauer zur Ablegung einer Prüfung nicht angehalten worden sind, indem man als Schiffszimmerleute im Sinne des § 45 der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung nur die mit der Herstellung von S e e s c h i f f e n beschäftigten Gewerbetreibenden angesehen hat Dieser Auffassung stehen auch beachtenswerte Gründe zur Seite. Denn nach den, in dem Ministerial-Erlasse vom 22. Dezember 1815 erwähnten Vorschriften des Gewerbe-Polizei-Gesetzes vom 7. September 1811 sind zu den „Schiffs-Zimmerbauten", welohe das dort im § 94 erforderte Befähigungs-Zeugniss der ProvinzialRegierung beizubringen hatten, diejenigen, welche S t r o m - F a h r z e u g e ohne Kiel anfertigen, nicht zu rechnen und bei der Uebernahme der betreffenden Bestimmungen in den § 45 der Gewerbe - Ordnung ist die frühere Bezeichnung der prüfungBpflichtigen Gewerbetreibenden beibehalten. Wie danach die fernere Freilassung der Flussschiffbauer von der Prüfung mit der Fassung des Gesetzes im Einklänge steht, so führen die eingegangenen Berichte über die bisherige Gestaltung ihres Gewerbebetriebes zu der Ueberzeugung, dass die nach Verkündigung der GewerbeOrdnung in Frage gekommene Anordnung einer Prüfung für diesen Betrieb auch durch polizeiliche Interessen nicht geboten ist. Einerseits sind die darch die Erfahrung festgestellten Regeln, nach denen die Kähne und Flussschiffe konstruirt zu werden pflegen, in der hergebrachten Beschränkung auf bestimmte Gattungen von Fahrzeugen so einfach, dass es im öffentlichen Interesse nicht erforderlich erscheint, die Kenntniss derselben durch eine Prüfung zu konstatiren, andererseits wird eine genügende Gewähr gegen die Benutzung schlecht gebauter Fahrzeuge auf anderem Wege geleistet. Fahrzeuge, mit welchen die Schifffahrt auf dem Rhein, der Lahn, der Weser oder der Elbe betrieben werden soll, müssen einer vorgängigen sachverständigen Untersuchung ihrer Tauglichkeit unterworfen und auf dem Rhein ') M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Verw. 1860, S. 43.

255 und der Lahn alljährlich, auf der Weser und Elbe nach jeder wesentlichen Veränderung oder Reparatur von Neuem zur Untersuchung gestellt werden. Auf den anderen grösseren Wasserstrassen der Monarchie nehmen die AssekuranzGesellschaften nur für solche Fahrzeuge Versicherungen, von deren Tauglichkeit sie sich überzeugt haben. So ist denn auch, nach den vorliegenden Nachrichten, von keiner Seite dargethan, dass durch ungeschickten Betrieb des FlussschiffbauerGewerbes Nachthefle oder Gefahren für das Publikum überhaupt entstanden seien. Soweit endlich bei einzelnen Gattungen von Fahrzeugen z. B. bei den öffentlichen Fähr-Anstalten polizeiliche Rücksichten eine besondere Ueberwachung ihrer Beschaffenheit hinsichtlich des gefahrlosen Gebrauchs nothwendig machen, ist die erforderliche Sicherheit lediglich durch eine angemessene Kontrole der Fahrzeuge zu erreichen. Abgesehen von der Entbehrlichkeit der Prüfung stellt sich derselben noch das .Bedenken entgegen, dass die Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse und Bedürfnisse so wenig eine überall zutreffende Abmessung der Prüfangs -Aufgaben wie eine haltbare Abgrenzung der Verrichtungen zulässt, welche den geprüften Flnssschiffbauern gegenüber den nicht geprüften Arbeitern ohne nachtheDige Eingriffe in bestehende Erwerbs-Verhältnisse und Interessen vorzubehalten wären. Aus diesen Gründen ist von der gedachten Massregel auch da Abstand zu nehmen, wo die nach Vorstehendem nicht aufrecht zu haltende Auffassung des § 45 der Gewerbe-Ordnung Anlass gegeben hat, die Zulassung der Flussschiffbauer zum selbständigen Gewerbebetriebe von dem Nachweise der gewerblichen Befähigung abhängig zu machen.

B. G e s u n d h e i t s p o l i z e i . l. Z n s ä t z e zu d e m R e g l e m e n t f ü r d i e S t a a t s - P r ü f u n g e n d e r M e d i z i n a l P e r s o n e n vom 1. D e z e m b e r 1825, vom 8. O k t o b e r 1852.') § 1. Die Staatsprüfung für diejenigen, welche die Approbation als praktische Aerzte erlangen wollen, besteht fortan aus der anatomischen, der chirurgischen und der geburtshilflichen Prüfung. Diese Prüfungen sind für alle Kandidaten gleich. Es darf bei der Prüfung keine Rücksicht darauf genommen werden, welchem Zweige der Heilkunde der Kandidat künftighin vorzugsweise sich widmen will. § 2. Die Prüfung zur Erlangung der Approbation als blosser Arzt, medicus purus, findet nicht mehr statt. § 3. Zu der Prüfung für die Approbation als Wundarzt erster oder zweiter Klasse können nur diejenigen noch zugelassen werden, welche auf den inzwischen aufgehobenen medizinisch-chirurgischen Lehranstalten oder in der medizinischchirurgischen Akademie für das Militär nach den früheren, jetzt aufgehobenen Anordnungen ausdrücklich für diese Kategorie des Heilpersonals vorgebildet sind. Anderen Personen ist die Zulassung zu der genannten Prüfung femer nicht gestattet. § 4. Die Prüfung zum Wundarzt erster Klasse ist in den nach § 3 zugelassenen Fällen nach Massgabe des Prüfungs-Reglements vom 1. Dezember 1825 und der folgenden für die Staatsprüfungen der Aerzte vorgeschriebenen Bestimmungen (§§ 5 und 6 und § 8 ff.) unter Berücksichtigung der geringeren wissenschaftlichen Bildung des Kandidaten abzuhalten. Für die Prüfung zum Wundarzt zweiter Klasse bleibt das Prüfungs-Reglement vom 1. Dezember 1825 massgebend. ') M i n i s t e r i a l b l a t t oben Seite 80.

f. d. innere Verw. 1852, S 252. — Siehe auch

256 § 5. Die in den §§ 16, 20, 29 und 35') des angeführten Prüfungs-Regleineuts gestatteten sogenannten Nachprüfungen fallen in Zukunft weg. Die anatomische und die medizinisch-klinische Prüfung werden nach den Vorschriften des PrüfungsReglements abgehalten. Die medizinisch-klinische Prüfung darf jedoch für jeden einzelnen Kandidaten nicht länger als 14 Tage dauern und kann nach dem Ermessen der Examinatoren auch binnen 8 Tagen beendigt werden. Den Examinatoren ist gestattet, sich bei der Prüfung der deutschen Sprache zu bedienen, auch die Krankheitsgeschichte und das Journal in dieser Sprache abfassen zu lassen, wenn sie nach ihrer pflichtmässigen Ueberzeugung mit Rücksicht auf die Eigentümlichkeit des Falles den Gebrauch der lateinischen Sprache dem Prüfungszwecke minder förderlich erachten.®) ') Diese Paragraphen lauten: § 16. Nur derjenige, welcher in der anatomischen Prüfung mit Beifall bestanden ist, kann zu den weiteren Priifungs-Abschnitten admittirt werden. Jeder, der sie nicht bestanden, wird dem Direktor unter Einsendung der Priifungs -Verhandlungen zur weiteren Veranlassung angezeigt. Dieser kann, wenn besondere Billigkeits-Rücksichten obwalten, dem Kandidaten die Wiederholung der Prüfung oder einzelner Abschnitte derselben in seinem Beisein erlauben oder er trägt auf dessen Zurückweisung ohne "Weiteres bei dem Ministerio an. § 20. Nur derjenige, der in der chirurgisch-technischen Prüfung wirklich bestanden ist, kann die Admission zu den klinischen Prüfungen, behufs der zu erlangenden Approbation als Wundarzt oder bei ausgezeichneter manueller und operativer Fertigkeit als Operateur erhalten-, doch schliesst das Nichtbestehen dieser Prüfung den promovirten Arzt von der Zulassung zu den klinischen Prüfungen, wie sie blosse Aerzte zu bestehen haben, nicht aus. Uebrigens bleibt es auch hier dem Direktor überlassen, dem abgewiesenen Kandidaten bei sonst dafür sprechenden Gründen die Wiederholung der Prüfung in seinem Beisein zu gestatten, und überhaupt, wie es für diesen Fall bei der anatomischen Prüfung (§ 16) vorgeschrieben ist, zu verfahren. § 29. Jedem promovirten Arzte, der in der medizinisch-klinischen Prüfung nicht bestanden ist, wird die Zulassuug zur mündlichen Schlussprüfung unbedingt, dem nicht promovirten Mediko-Chirurgen aber blos in Beziehung auf die beabsichtigte Erlangung der Approbation als Chirurg erster Klasse versagt. Dem Direktor der Ober-Examinations-Kommission wird jedoch nachgelassen, dem abgewiesenen Kandidaten auf dessen Gesuch, wenn nach den Votis der PrüfungsKommission dessen Gewährung f ü r begründet oder sonst für billig zu erachten ist, die Behandlung eines dritten klinischen Kranken zur Erlangung einer besseren Censur zu übertragen. Der Direktor muss dieser Prüfung am Krankenbette dann selbst mit beiwohnen und sein Endurtheil ebenfalls mit abgeben. Den nicht bestandenen Kandidaten hat der Direktor dem Ministerio unter Einsendung aller Prüfungs -Verhandlungen zur weiteren Bescheidung anzuzeigen. § 35. Dem blossen Arzte, welcher in der klinisch-chirurgischen Prüfung nicht bestanden ist, wird die Zulassung zur mündlichen Schlussprüfung unbedingt versagt. Bei dem promovirten und nicht promovirten Medico-Chirurgus kommt es auf die Entscheidung an, wie sie ihre chirurgisch-technische Prüfung zurückgelegt und ob bei der klinischchirurgischen Prüfung erstere blos in operativer und letztere blos in heilwissenschaftlicher oder beide in beider Hinsicht nicht genügt haben; im erstercn Falle können sie nur noch, behufs der Erlangung der Approbation als blosse promovirte praktische Aerzte oder als Wundärzte zweiter Klasse, im letzteren Falle aber gar nicht zur mündlichen Prüfung zugelassen werden, wo sie dann vom Direktor zur Abweisung bei dem Ministerio in Antrag zu bringen sind. Uebrigens gilt in Bezug auf die Abstimmung über die erforschten Fähigkeiten des Kandidaten und über die Erlaubniss, durch die Behandlung eines dritten Kranken die unvortheilhafte Censur zu verbessern, alles das auch hier, was in dieser Hinsicht bei Vollziehung der klinisch-medizinischen Prüfung vorgeschrieben ist. — *) Das Reglement vom 1. Dezember 1825 bestimmte im § 12 über die a n a t o m i s c h e P r ü f u n g , dass durch sie erforscht werden solle, ob der Kandidat die nöthigen Kenntnisse in der Anatomie besitze und das anatomische Messer so weit zu führen verstehe, als zur Ausübung seines ärztlichen Berufs nöthig ist. Jeder Kandidat hat daher an einem Leichnam eine Höhle des Körpers mit ihren Ein-

257 § 6. In Betreff der chirurgisch-technischen und der chirurgisch-klinischen Prüfung treten an die Stelle der §§ 17—20 und 31—35 des Prüfungs-Reglements vom 1. Dezember 1825 l ) folgende Vorschriften: a. Jeder Kandidat muss im Charite-Krankenhause oder in dem UniversitätsKlinikum zwei Kranke der chirurgischen Abtheilung 8—14 Tage in Behandlung nehmen und zwar unter Leitung eines der hierbei alternirenden Examinatoren. In Gegenwart desselben hat er das ätiologische Verhältniss der vorhandenen Krankheit, die Diagnose, Prognose derselben, sowie den Heilplan festzusetzen, dieses ohne fremde Beihilfe in Form einer Krankheitsgeschichte, so wie es für die klinisch-medizinische Prüfung vorgeschrieben ist, in deutscher Sprache schriftlich zusammenzustellen und mit Führung des Krankheits-Journals täglich bis zum Ende der Prüfungszeit fortzufahren. b) Bei dieser klinischen Prüfung müssen die Kommissarien zugleich von den Fähigkeiten des Kandidaten in der Erkenntniss und richtigen Unterscheidung der Geschwüre, Geschwülste, Verhärtungen, Entartungen, Augenkrankheiten, ZahnkraDkheiten, Verrenkungen, Knochenbrüche, Hernien aller Art und anderer chirurgischer Uebel, insonderheit auch der syphilitischen Krankheitsformen sich zu überzeugen suchen und daher den Kandidaten auch über andere, als die ihm zur speziellen Behandlung überwiesenen Krankheitsfälle, sowie, insoweit sich die Gegeweiden in Absicht deren Form, Lage und gegenseitigen Verbindung öffentlich, ein unter Aufsicht selbst verfertigtes anatomisches Präparat und zwei andere ihm vorzulegende Präparate aus der Splanynologie, Neurologie, Angiologie oder Osteologie unvorbereitet zu demonstriren. Die k l i n i s c h - m e d i z i n i s c h e P r ü f u n g zerfällt in eine solche für „promovirte Aerzte" und für „nicht promovirte Aerzte" oder „Chirurgen erster Klasse'1. Die letztere unterscheidet sich von der ersteren dadurch, dass sie in deutscher Sprache abgehalten wird und mehr praktischer Tendenz sein soll. Bei der Prüfung haben die Kandidaten zwei, vorzugsweise akute, Kranke zur Behandlung im Krankenhause unter Leitung zweier ausdrücklich hiezu ernannter Prüfungs-Kommissarien zu übernehmen ( §§ 21—30 a. a. 0.). ') Nach dem Prüfungs - Reglement vom 1. Dezember 1825 hatte der Kandidat bei der c h i r u r g i s c h - t e c h n i s c h e n Prüfung ein ihm gegebenes akiurgisches Thema wissenschaftlich zu bearbeiten, die Ausarbeitung in bündiger Kürze öffentlich vorzutragen und die Operation am Kadaver nach allen Regeln der Kunst auszuführen, ferner über eine akiurgische Aufgabe ex tempore zu disseriren, die wichtigsten Operations-Methoden anzugeben, den Vorzug der einen vor der anderen zu bestimmen, seine Kenntniss in der Instrumentenlehre nachzuweisen und die Operation selbst am Leichnam zu verrichten, endlich eine Aufgabe aus der Lehre über Frakturen und Luxationen ex tempore gehörig zu lösen, die Handanlegung ain Phantome nachzuweisen und den Verband nach den Regeln der Kunst anzulegen. Der k l i n i s c h - c h i r u r g i s c h e n Prüfung hatten sich zu unterwerfen a) promovirte Aerzte und Wundärzte zugleich, b) promovirte blosse Aerzte, c) nicht promovirte Mediko-Chirurgen oder Wundärzte erster Klasse. Bei der Prüfung hatte der Examinand unter Leitung zweier Mitglieder der Prüfungskommission im ChariteKrankenhauae zwei Kranke der chirurgischen Abtheilung in die Behandlung zu nehmen, in Gegenwart der Kommissarien das ätiologische Verhältniss der vorhandenen Krankheit, die Diagnose, Prognose derselben, sowie den Heilplan festzusetzen, dann alles dies in Form einer Krankengeschichte, jedoch in deutscher Sprache schriftlich zusammenzufassen und mit Führung des Kranken-Journals täglich bis zum Ende der Prüfungszeit fortzufahren. Die promovirten Aerzte mussten, insofern sie blos als Aerzte ins praktische Leben treten, die Chirurgie nicht ausüben wollten, darthun, dass sie die T h e o r i e der chirurgischen Praxis vollkommen inne haben; die promovirten und nicht promovirten Medico-Chirurgen mussten auch nachweisen, dass sie die zur B e h a n d l u n g c h i r u r g i s c h e r K r a n k h e i t s f ä l l e e r f o r d e r l i c h e K u n s t f e r t i g k e i t besitzen. Die klinisch-chirurgische Prüfung der promovirten und der nicht promovirten Medico-Chirurgen unterschied sich blos dadurch, dass bei ersteren mehr theoretische und höhere heilwissenschaftliche Kenntnisse gefordert wurden, als bei letzteren. Simon, Die Fachbildung des Prennuchen Gewerbe- and Handelratande«.

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258 legenlieit darbietet, über seine Fertigkeit auch in kleineren chirurgischen Verrichtungen am Krankenbett prüfen. e) Während der klinischen Prüfung wird die chirurgisch technische Prüfung abgehalten, um die operative und manuelle Fertigkeit des Kandidaten zu erforschen. Zu diesem Zwecke muss der Kandidat 1. in einem Termin im Anatomie-Gebäude der Universität über eine akiurgische Aufgabe ex tempore disseriren, die wichtigsten Operations-Methoden angeben, den Vorzug der einen vor der anderen bestimmen, seine Kenntnisse in der Instrumentenlehre nachweisen und die Operation selbst am Leichnam verrichten. 2. In einem anderen Termin eine Aufgabe aus der Lehre über Frakturen und Luxationen ex tempore gehörig lösen, die Handanlegung am Phantome nachweisen und den Verband nach den Regeln der Kunst anlegen. Beide Aufgaben (No. 1 und 2) werden unmittelbar vor dem Vortrage durch das Loos bestimmt. d) Für die chirurgische Prüfung werden 4 Examinatoren bestellt. Diu einzelnen Prüflings-Abschnitte werden jedoch immer nur von 2 Examinatoren in der Art abgehalten, dass dieselben Kandidaten in beiden Prüfungs-Abschnitten von denselben Examinatoren geprüft werden, insofern nicht eine Stellvertretung des einen oder des anderen Examinators nothwendig wird. § 7. Die Prüfung in der Geburtshülfe wird nur noch mit "Wundärzten, sowie mit denjenigen bereits approbirten praktischen Aerzten, welche diese Prüfung noch nicht zurückgelegt haben und zu derselben bis zum Schluss des Jahres 1853 sich vorschriftsmässig melden, von den Medizinal-Kollegien nach Vorschrift der §§ 49—52 und der §§ 58 und 59 des Prüfungs-Reglements vom 1. Dezember 1825 abgehalten.') Praktische Aerzte oder "Wundärzte, welche erst nach Ablauf des Jahres 1853 zu der Prüfung in der Geburtshilfe sich melden, haben diese Prüfung in der § 8 vorgeschriebenen Form vor der Ober-Examinations-Kommission in Berlin zu bestehen, sofern ihnen nicht gestattet wird, die Prüfung vor einer delegirten Examinations - Kommission oder in denjenigen Provinzen, wo eine solche nicht besteht, vor dem Medizinal-Kollegium zurückzulegen. Die Zulassung zur Prüfung ist vom Jahre 1854 ab bei dem Minister der Medizinal-Angelegenheiten nachzusuchen. § 8. Doktoren der Medizin, welche die Approbation als praktische Aerzte ') Siehe oben S. 83—85. — Nach § 51 a. a. 0. musste der Prüfuugs-Kandidat nachweisen, dass er schon zu der einen oder anderen Klasse des Heilpersonals als Arzt oder Wundarzt gehöre und die Approbation erhalten oder wenigstens mit Erfolg die diesfallsige Prüfung bestanden habe und die Approbation erwarten könne und dass er einen vollständigen Kursus der Geburtshilfe zurückgelegt und wenigstens 2 Geburten selbst gehoben habe. — §§ 58 und 59 lauten: Die Prüfung für Geburtshelfer zerfällt in die schriftliche, in die praktische und mündliche. Im ersten Termine hat der Kandidat 3 Fragen, die er selbst unter wenigstens 30 gezogen hat, schriftlich zu beantworten; die Ausarbeitung wird demnächst von den Examinatoren begutachtet. Dann sucht man als zweiten Priifungs-Abschnitt die Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten des Kandidaten im Touchiren, in der Erkenntniss der Zeit der Schwangerschaft, der verschiedenen Lagen des Kindes, der Verrichtung der Wendung und der Entbindung mittelst der Instrumente, theiis am Phantome und den Hysteroplasmen, theiis aber auch, und zwar allenthalben, wo es zulässig ist, an schwangeren Personen und weiblichen Leichnamen zu erforschen, worauf als dritten und letzten Prüfungsakt der Kandidat von 3 Kommissarien über geburtshilfliche Gegenstände mündlich geprüft wild. Ueber jeden Prüfungs- Abschnitt wird ein Protokoll aufgenommen und am Schlüsse desselben bemerkt, wie der Kandidat bestanden ist. Uebrigens sind die wissenschaftlichen Forderungen bei dieser Prüfung, da bald Doktores promoti, bald Wundärzte erster, bald zweiter Klasse dieselbe zu bestehen haben, der jedesmaligen Bildungsstufe des Prüfungs-Kandidaten angemessen einzurichten.

259 erlangen wollen und zur Staatsprüfung zugelassen sind, werden in der Geburtshilfe von 2 Examinatoren nach folgenden Vorschriften geprüft: a) Jedem Kandidaten wird in der Gebär-Anstalt der Charité oder der Universität eine Gebärende zugetheilt. Er untersucht dieselbe in Gegenwart des Examinators, bestimmt die Geburts-Periode und Kindeslage, die Prognose und das einzuschlagende geburtshilfliche Verfahren, welches, wenn dasselbe kein expektatives, sondern ein aktives ist, vom Kandidaten selbst im Beisein des Examinators ausgeführt wird. Ueber Alles wird eine Geburtsgeschichte in deutscher Sprache unter Aufsicht ausgearbeitet, anderen Tages dem Examinator vorgetragen und demnächst in den ersten 7 Tagen des Wochenbettes in Beziehung auf Pflege der "Wöchnerin und des neugeborenen Kindes eventuell in Beziehung auf etwaige Krankheiten Beider fortgeführt. Bei diesem klinischen Theile der Prüfung wechseln die beiden Examinatoren. b) Ausserdem haben beide Examinatoren während dieser 7 Tage durch wiederholte Untersuchung schwangerer, bei vorhandener Gelegenheit auch nicht schwangerer Kreissender oder kürzlich entbundener Personen Seitens des Kandidaten die Fertigkeit desselben in der geburtshilflichen Untersuchung zu erforschen. In gleicher "Weise sollen Ereignisse in den Wochenzimmern der Gebär-Anstalt benutzt werden, um auch, abgesehen von dem unter a. genannten Einzelfalle, die gynäkologischen Kenntnisse des Kandidaten zu ermitteln. c) Während oder nach dieser klinischen Prüfung wird mit dem Kandidaten von beiden Examinatoren eine technische Prüfung am Phantom vorgenommen. Dieselbe besteht in der Diagnose verschiedener regelwidriger Kindeslagen und Ausführung der Entbindung durch die Wendung, ferner in der Applikation der Zange sowohl an dem vorwärts kommenden, als an dem nachfolgenden Kopf. Zu dieser ¡Prüfung können auf einmal nicht mehr als 4 Kandidaten zugelassen werden. § 9. In Betreff der in den §§ 40 ff. des Prüfungs-Reglements vom 1. Dezember 1825 vorgeschriebenen mündlichen Schlussprüfung treten folgende Modifikationen ein : 1. Zu derselben werden nur diejenigen Kandidaten zugelassen, welche in sämmtlicheu §§ 5, 6, 8 und 9 genannten Prüfungs-Abschnitten mindestens „gut" bestanden sind. 2. Die Prüfung erstreckt sich vorzugsweise auf solche Gegenstände der allgemeinen und speziellen Pathologie und Therapie, der Chirurgie, der Geburtshülfe, der Pharmakologie und der sonstigen medizinischen Naturwissenschaften, zu deren Besprechung die vorangegangenen Prüfungs-Abschnitte und die Verhandlungen am Krankenbette keine Gelegenheit dargeboten haben. 3. Die Prüfung wird unter dem Vorsitz des Direktors der Ober-ExaminationsKommission durch drei Examinatoren, welche von dem Direktor aus der Zahl der f ü r die vorhergegangenen Prüfungs-Abschnitte ernannten Kommissarien auszuwählen sind und durch einen besonderen Kommissarius f ü r die medizinischen Naturwissenschaften öffentlich abgehalten. 4. Zu der Prüfung dürfen auf einmal nicht mehr als vier Kandidaten zugelassen werden. 5. Sämmtliche Examinatoren müssen während der ganzen Dauer der Prüfung anwesend sein. (i. Ueber den Verlauf der Prüfung eines jeden Kandidaten wird von dem der Konimission beigeordneten Sekretär ein vollständiges Protokoll aufgenommen und von dem Direktor und den Examinatoren vollzogen. 7. Unmittelbar nach Beendigung der Prüfung wird die Schluss-Censur über den Ausfall der gesammten Staatsprüfung nach Massgabe des Ergebnisses der fünf einzelnen Priifungs-Abschnitte, wie solches von den betreffenden Kommissarien nach Beendigung eines jeden Prüfungs-Abschnittes zu den Akten vermerkt worden, sowie unter Berücksichtigung der §§ 89 und 90 des Prüfungs-Reglements vom 1. Dezember 1825 festgestellt. 17*

260 § 10. Die Censuren ,,vorzüglich gut-', „sehr gut", „gut1*, „mittelmässig" und „schlecht" werden beibehalten. § 11. Nach Beendigung sämmtlicher Prüflings-Abschnitte überreicht der Direktor der Ober-Examinations-Kommission die Prüfungs-Verhandlungen den» Minister der Medizinal-Angelegenheiten. AVer in sämmtlichen Prüfungs-Abschnitten bestanden ist, erhält die Approbation als praktischer Arzt, "Wundarzt und Geburtshelfer. In die Approbation wird die Schluss-Censur aufgenommen. § 12. "Wer in einem Prüfungs-Abschnitt „schlecht" oder „mittelmässig" und in den übrigen nur „gut" besteht, muss sämmtliche Prüfungs-Abschnitte, mit alleiniger Ausnahme des anatomischen, wenn er in demselben bestanden war, wiederholen, so bald er die Approbation als praktischer Arzt verlangen will. Die "Wiederholung ist, falls die Censur „schlecht" ertheilt worden, erst nach Ablauf von 6—12 Monaten, falls die Censur „mittelmässig" ertheilt worden, erst nach, Ablauf von 3—6 Monaten zulässig. Die betreffenden Examinatoren und der Direktor haben bei der Ertheilung der Censur sich über die f ü r die Wiederholung der Prüfung zu stellende Frist gutachtlich zu äussern. "Wer bei der zum zweiten Male wiederholten Prüfung nicht besteht, wird nicht wieder zugelassen. PrüfungsAbschnitte, über welche die Censuren, „sehr gut" oder „vorzüglich gut" ertheilt worden sind, werden nicht wiederholt. § 13. Die einzelnen Prüfungs-Abschnitte sind von den Kandidaten ohne Unterbrechung zurückzulegen. Der Zeitraum zwischen einem Prüfungs-Abschnitte und dem nächstfolgenden darf, falls nicht wichtige Gründe eine Ausnahme rechtfertigen, acht Tage nicht übersteigen. Kandidaten, welche diesen oder den ihnen sonst bekannt gemachten Tennin nicht inne halten, dürfen zur Fortsetzung der Prüfung erst in dem nächstfolgenden Prüfungssemester zugelassen werden. § 14. Diejenigen Kandidaten, welcheu in einzelnen Priifungs-Abschnitten die Censur „schlecht" oder „mittelmässig" ertheilt worden, haben die "Wahl, ob sie sich den noch nicht absolvirten Priifungs-Abschnitten sogleich oder erst nach wiederholter Zulassung zur Staats-Prüfung unterwerfen wollen. 2, Sogenannte kleine Chirurgie. E r l a s s d e s M i n i s t e r s d e r g e i s t l i c h e n A n g e l e g e n h e i t e n vom 13. O k t o b e r 1S51 w e g e n A u s b i l d u n g u n d K o n z e s s i o n i r u n g g e e i g n e t e r I n d i v i d u e n zu d e n kleineren c h i r u r g i s c h e n V e r r i c h t u n g e n und Hilfsl e i s t u n g e n der K r a n k e n w a r t u n g 1 ) Bereits vor Aufhebung der medizinisch-chirurgischen Lehranstalten ist in Folge der abnehmenden Zahl der "Wundärzte 2. Klasse nach lokalem Bedürfniss auf den besonderen Antrag der betreffenden Königlichen Regierungen die Erlaubniss zur Ausübung der sogenannten kleinen Chirurgie an einzelne Personen ertheilt worden, welche über ihre Befähigung zu den in Rede stehenden Verrichtungen auf eine befriedigende Art sich auszuweisen im Stande waren. Voraussichtlich wird dieses Bedürfniss sich noch dringender herausstellen,, nachdem eine weitere Ausbildung von "Wundärzten erster und zweiter Klasse nicht stattfindet. Deshalb finde ich den Vorschlag der K. Regierung, in den Krankenhäusern geeignete Individuen in den kleineren chirurgischen Verrichtungen und der Hülfsleistung der Krankenwartung praktisch ausbilden zu lassen und nach gewonnener Ueberzeugung von ihrer Befähigung mit einer Konzession zu versehen^ ganz augemessen. Die Vereinigung der gedachten Funktionen mit einem verwandten Gewerbe ist zur Sicherung des Bestehens dieser Personen nothwendig und es erscheint für die männliche Hälfte dieses Hilfspersonals das Barbiergeschäft wohl am geeignetsten, wie von der anderen Seite durch den Umstand, dass auch die M i n i s t e r i a l b l a t t f. die innere Verw. 1S51, S. 219.

261 Hebammen schon bisher in der kleinen Chirurgie unterrichtet wurden, den Bedürfnissen des weiblichen Publikums genügt wird.') Nack Analogie der HebammenApprobationen kann die Konzessionirung dieses Personals füglich nicht von mir, sondern von der K. Regierung ausgehen, welcher es überlassen bleibt, sich die Ueberzeugung der praktischen Befähigung entweder durch ihren Medizinal-Rath oder durch den Kreis-Physikus zu verschaffen. Den zunächst nur für ihren zeitigen "Wohnort und widerruflich zu konzessionirenden Individuen ist zur Bedingung zu machen, dass sie die kleinen chirurgischen Operationen nur auf jedesmalige Anordnung eines approbirten Arztes unternehmen, und dabei zu eröffnen, dass eine Ueberschreitung der Grenzen des bezeichneten Wirkungskreises die Zurücknahme der Konzession und unter Umständen eine gerichtliche Verfolgung zur Folge haben werde. Um jedoch dem Institut «inen festeren Bestand zu gewähren, ist, falls zur Realisirung des Vorbehalts des Widerrufs Anlass gegeben sein sollte, das in der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 §§ 71 ff. vorgeschriebene Verfahren analog zur Anwendung zu bringen. Hiezu: E r l a s s d e s s e l b e n M i n i s t e r s vom 27. März 1852, s ) wodurch folgende Vorschriften einer Regieruug gebilligt werden: § 1. Die Konzession zur Ausübung der kleinen Chirurgie soll künftig nur Personen ertheilt werden, welche in Civil- oder Militävkrankenhäusern praktisch •dazu ausgebildet worden sind und sich über ihre erlangte Befähigung ausweisen können. § 2. Die Zeugnisse darüber, in welchen die Operationen, worin sie sich die •erforderliche Fertigkeit erworben, namentlich aufgeführt sein müssen, sowie über ihr Alter, ihre Religion, ihr Gewerbe und ihre sittliche Führung haben sie den an den Landrath zu richtenden Konzessions-Gesuchen beizufügen. Der Landrath befördert die Gesuche mit den einzuholenden Gutachten des Kreisphysikus und des Bürgermeisters und seinem eigenen Gutachten über die Nützlichkeit solcher Personen an dem bestimmten Orte, wo sie wohnen oder sich niederlassen wollen, an die Regierung weiter. § 3. Zur Erlernung der chirurgischen Hülfeleistungen und zur Betreibung derselben als Nebengeschäft (ihre Ausübung allein kann das Bestehen nicht sichern) eignen sich für das männliche Geschlecht vorzüglich die Barbiere; dem Bedürfnisse des weiblichen Geschlechts wird grösstentheils durch die Hebammen genügt, welche in der Hebammen-Lehranstalt auch in der kleinen Chirurgie unterrichtet weiden. § 4. Alle Konzessionen zur Ausübung der kleinen Chirurgie sind widerruflich und werden von selbst ungültig, wenn die konzessionirten Individuen ihren Wohnort verändern. Dieselben dürfen die Operationen, für welche sie konzessionirt sind, nur auf jedesmalige Anordnung eines approbirten Arztes unternehmen und hat jede Ueberschreitung der Grenzen des ihnen bezeichneten Wirkungskreises die Zurücknahme der Konzession und nach Umständen Bestrafung auf gerichtlichem Wege zur Folge. § 5. Jährlich haben die Chirurgen-Gehülfen die Instrumente zu den Operationen, deren Ausübung ihnen gestattet worden ist, dem betreffenden Kreisphysikus in einem von demselben zu bestimmenden Termine vorzuzeigen und sich über die Anwendung derselben einer Prüfung zu unterwerfen. Ueber den Befund der Instrumente und den Ausfall der Prüfung ist ein Protokoll aufzunehmen und der Regierung gleichzeitig mit demjenigen über die jährliche Prüfung der bereits approbirten Hebammen einzusenden. *) Siehe hierüber M i n i s t e r i a l - E r l a s s vom 15. Juni 1850 M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. i. Verw. 1850, S. 166. 2 ) M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Verw. 1852, S. 80.

262 In Frage kommen namentlich folgende Verrichtungen: Applikation des Katheters bei "Weibern, Zurückbringung eines Mutterscheiden- oder Mastdarm-Vorfalls, Einbringung eines Mutterkranzes, Setzen einer Fontanelle oder eines Haarseils, Oeffnung eines Abscesses, Applikation der Schröpfmaschine, Applikation eines trockenen Schröpfkopfs, Aderlässe, Setzen von Blutegeln, Setzen eines Klystiers, Legen eines Blasenpflasters, Verband einer einfachen Wunde, kunstmässige Einwickelung beider Füsse, Unter- und Oberschenkel, Assistenz bei einer Operation. — Durch den Erlass vom 27. Jannar 1860') wurde auch noch das Zahnausziehen, doch nur auf jedesmalige ärztliche Verordnung, gestattet. 3. R e g l e m e n t f ü r die B a n d a g i s t e n u n d c h i r u r g i s c h e n I n s t r u m e n t e n m a c h e r v o m 20. F e b r u a r 1847. *) I. F ü r d i e B a n d a g i s t e n . § 1. Wer das Gewerbe eines Bandagisten betreiben will, hat sich mit dem Gesuch um ein Befähigungszeugniss an die betreffende Königliche Regierung oder an den Landrath zu wenden, welcher solches der ersteren einreichen wird. § 2. Die königliche Regierung ertheilt dem betreffenden Kreisphysikus und gerichtlichen Wundarzt den Auftrag, die Prüfung des Bittstellers gemeinsohaftlich vorzunehmen. Wenn die Verhältnisse es gestatten, so hat der Physikus einen bereits approbirten Bandagisten zu der Prüfung hinzuzuziehen. § 3. "Die Prüfung geschieht mündlich und zwar über die am meisten gebräuchlichen Bandagen, namentlich über die notwendigen .Eigenschaften der Bruchbänder, der Schnürleiber und ähnlicher Vorrichtungen f ü r Rückgrats-Verkrümmte, der Schnürstrümpfe u. s. w. Dabei ist auch Rücksicht zu nehmen auf den Bau der Theile des menschlichen Körpers, welche hierbei vorzüglich in Betracht kommen. Ausserdem hat der Examinand eine ihm aufzugebende Bandage, wenn es sein kann, unter der Aufsicht des hinzugezogenen approbirten Bandagisten anzufertigen und vorzulegen. II. F ü r d i e c h i r u r g i s c h e n

Instrumentenmacher.

§ 1. Die Meldung geschieht, wie dies oben in Betreff der Bandagisten angeordnet ist. § 2. Die königliche Regierung beauftragt mit der Prüfung einen Kreisphysikus, einen gerichtliehen Wundarzt und einen approbirten chirurgischen Instrumentenmacher. § 3. Die Prüfung selbst zerfällt in: a) eine mündliche theoretische über die erforderlichen Eigenschaften der gebräuchlichsten chirurgischen Instrumente und b) eine praktische, indem dem Examinanden die Anfertigung einiger chirurgischer Instrumente — in der Regel einer Bruchbandfeder, einer Cowperschen Scheere, eines Amputationsmessers und einer Geburtszange — aufgegeben wird. Diese Instrumente hat derselbe in der Werkstatt des chirurgischen Instrumentenmachers, in dessen Beisein und soweit als möglich auch in Gegenwart der beiden Medizinalpersonen selbst anzufertigen und zur Beurtheilung vorzulegen. Das Befähigungszeugniss wird in beiden Fällen auf Grund des Prüfungszeugnisses von der Regierung ausgestellt. ') M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Verw. 1847, S. 51.

263 4.

Hebammen. E r l a s s des M i n i s t e r s der g e i s t l i c h e n A n g e l e g e n h e i t e n vom 5. N o v e m b e r 1840.') Es sind neuerdings Zweifel darüber entstanden, ob nach Emanation der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845, nach deren § 45 die Hübammen sich über den Besitz der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten durch ein Fähigkeitszeugniss der Regierung ausweisen müssen, die Cirkular-Verfügung vom 6. Januar 1841 -) in Betreff der Qualifikation und Niederlassung der Hebammen noch ferner Anwendung finde. Zur Beseitigung dieser Zweifel eröffne ich den Königlichen Regierungen, dass diese Frage bereits im Jahre 1846 Aulass gegeben hat, darüber an des Königs Majestät zu berichten. Hierbei ward von der Ansicht ausgegangen, dass im Fall der Beseitigung der Bestimmungen dieser Verfügung nach den früher gemachten Erfahrungen zu besorgen sei, dass die Hebammen nach Ablauf der Frist, f ü r welche sie sich der Kommune, die ihnen das "Wahlattest ertheilt, zum Dienst verpflichtet haben, grösstenteils in den Städten und in besonders wohlhabenden Gegenden ohne Rücksicht auf nachhaltigen Erwerb sich niederlassen und die Bewohner des platten Landes und der minder wohlhabenden Gegenden der nöthigen Hülfe der Hebammen würden entbehren müssen. Hierauf haben des Königs Majestät mittelst Allerhöchsten Erlasses vom 22. Juni 1840 zu genehmigen geruht, dass es hinsichtlich der Prüfung und Niederlassung der Hebammen bei den in der Verfügung vom 6. Januar 1841 getroffenen Bestimmungen bis auf "Weiteres sein Bewenden behalte. 5. Bereitung künstlicher Mineralwässer. E r l a s s d e s M i n i s t e r s d e r g e i s t l i c h e n A n g e l e g e n h e i t e n v o m 23. N o v e m b e r 1844, 8. F e b r u a r 1854 u n d 30. O k t o b e r 1864. 3 ) 1. Die Anlegung einer Anstalt zur Bereitung künstlicher Mineralwässer ist entweder nur Apothekern oder solchen Männern zu gestatten, welche in einer besonderen Prüfung nachgewiesen haben, dass sie die dazu nöthigen physischen und chemikalischen Kenntnisse besitzen. Die Prüfung ist von dem Medizinalrathe der Regierung im Verein mit einem besonders geeignet erscheinenden Apotheker abzuhalten. Sie hat sich nicht allein auf Feststellung der theoretischen Kenntnisse des Unternehmers zu beschränken, sondern auch auf seine Befähigung zur Einrichtung und Leitung solcher Anstalten, durch Uebertragung einer chemischen Analyse u. s. w. zu erstrecken. 2. Ehe die Eröffnung einer solchen Anstalt gestattet wird, ist durch einen Medizinalrath unter Zuziehung eines geeigneten Apothekers zu untersuchen, ob die Anstalt mit den nöthigen Apparaten versehen und zweckmässig eingerichtet ist. 3. Die Anstalten sind jährlich wenigstens einmal zu revidiren. 4. Verkäufer künstlicher Mineralwässer sind an diejenigen Anstalten des Inlandes und des deutschen Zollverbandes, welche auf ähnliche "Weise von ihren Behörden beaufsichtigt werden, zu verweisen. Ausnahmen sind nur für solche Anstalten zuzulassen, die sich durch vorzügliche Leistungen das besondere Vertrauen der Behörden erworben haben. ') M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Venv. 1S49, S. 244. 2

) Siehe oben S. 88.

') M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. i. Verw. 1844, S. 311. 1854 S. 23 und 1864 S. 272.

264 6. Abdecker und Viehkastrirer. M i n i s t e r i a l - E r l a s s vom 29. S e p t e m b e r 1S46. l ) a. .Reglement f ü r die P r ü f u n g der Abdecker. § 1. "Wer zur Prüfung als Abdecker zugelassen zu werden wünscht, hat sich dieserhalb bei der betreffenden K. Regierung unter Einreichung eines von seiner Ortsobrigkeit ausgestellten Attestes über seine sittliche Führung während der letzten zwei Jahre schriftlich zu melden. § 2. Die Regierung ordnet die Prüfung durch eine Kommission an, bei welcher sich der Examinandus zu melden und um Anberaumung eines Termins zu bitten hat. § 3. Die Prüfungs-Kommission besteht aus dem Departements- oder einem Kreisthierarzte, dem Landrathe oder einem von diesem zu ernennenden Stellvertreter. § 4. Der Departements- oder Kreisthierarzt führt die Verhandlung über den Gang der Prüfung. § 5. Die Prüfung zerfällt in einen theoretischen und praktischen Theil. § 6. Bei der Prüfung der theoretischen Kenntnisse des Examinanden ist zu erforschen: 1. ob derselbe lesen und schreiben könne. 2. ob er eine allgemeine Kenntniss des Thierkörpers, namentlich der Eingeweide desselben in gesundem Zustande besitze, 3. ob er die wichtigeren der in der Umgegend vorkommenden Seuchen und ansteckenden Krankheiten nach ihren Ilaupterscheinuugen am todten Thiere kenne und mindestens zu unterscheiden wisse, welche Umstände Verdacht erregen, 4. ob er mit den veterinärpolizeilichen Bestimmungen, soweit sie die Ausübung seines Gewerbes anlangen, bekannt sei. § 7. Zur Erforschung der praktischen Geschicklichkeit muss von dem zu Prüfenden eine Obduktiou gemacht werden, wobei er die sich etwa findenden Abweichungen von dem gesunden Zustande zu bezeichnen und im Allgemeinen zu deuten hat. b. R e g l e m e n t f ü r die P r ü f u n g d e r V i e h k a s t r i r e r . §§ 1 und 2 wie §§ 1—3 der Prüfung für die Abdecker. § 3. Die Verhandlung über den Hergang der Prüfung wird von dem technischen Beamten geführt. § 4. Die Prüfung zerfällt in einen theoretischen und praktischen Theil. § 5. Insbesondere sind bei der Prüfung der theoretischen Kenntnisse nachstehende Punkte zu berücksichtigen: 1. der anatomische Bau der Geschleehtstheile der nutzbaren Haussäugethiere, 2. die wichtigeren, die Kastration begünstigenden und erschwerenden oder verbietenden Umstände, anlangend a) die Jahreszeit, b) das Alter der Thiere, e) krankhafte Zustände der Geschlechtstheile, d) solche regelwidrige Zufälle, welche sich während der Operation ergeben können, e) allgemeine körperliche Zustände der zu operirenden Thiere. 3. Die verschiedenen Methoden bei der Kastration, die zu derselben nöthigen Vorbereitungen und Instrumente, ') M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Verw. 1846, S. 212.

265 4. die allgemeinen Prinzipien bei der Nachbehandlung, 5. einige der wichtigsten Folgekrankheiten. § 6. Zur Prüfung der praktischen Gewandtheit muss von dem Exaininandus eine Kastration, wo möglich an einem lebenden Thiere oder in dessen Ermangelung an einem todten Thiere ausgeführt werden.

C. Seeschiffahrt. Die I n s t r u k t i o n ü b e r die B e f ä h i g u n g u n d f ü r die P r ü f u n g der S t e u e r l e u t e , S e e s c h i f f e r und S e e l o o t s e n vom 15. O k t o b e r 1840') ist e r s e t z t d u r c h die I n s t r u k t i o n vom 1. F e b r u a r 1862.®) Es hat sich das Bedürfniss ergeben, die Instruktion über die Befähigung und für die Prüfung der Steuerleute, Seeschiffer und Seelootsen vom 15. Oktober 1840 (Ministerialblatt 1844, S. 42) einer Revision zu unterwerfen. Insbesondere hat sich die durch dieselbe eingeführte Unterscheidung dreier Klassen von Seeschiffern als den gegenwärtigen Verkehrs-Verhältnissen nicht mehr entsprechend erwiesen; auch schien es empfehlenswerth, die gewerblichen Befugnisse der unteren Klasse der Schiffer und Steuerleute etwas weiter, als bisher, zu bemessen; ferner waren bei Normirung der an die Examinanden zu stellenden Anforderungen der gegenwärtige Zustand der nautischen Wissenschaften und der Umfang, in welchem dieselben auf den Navigationsschulen gelehrt werden, zu berücksichtigen; es war bei Bemessung der Fahrzeit auf die Dienste entsprechende Rücksicht zu nehmen, welche die zu Prüfenden etwa auf Fahrzeugen der Königlichen Marine geleistet haben; endlich hatte sich auch in einzelnen, mehr nebensächlichen Bestimmungen die frühere Instruktion als der Verbesserung fähig ergeben. D e m n a c h w i r d auf G r u n d d e r §§ 45, 46, 51 u n d 53 d e r A l l g e m e i n e n G e w e r b e - O r d n u n g vom 17. J a n u a r 1845 ü b e r die B e f u g n i s s e der Sees t e u e r l e u t e , d e r S e e s c h i f f e r und S e e l o o t s e n u n t e r A u f h e b u n g d e r I n s t r u k t i o n vom 15. O k t o b e r 1840 F o l g e n d e s v o r g e s c h r i e b e n : B e f u g n i s s e : 1. D e r S t e u e r l e u t e . § 1. Die Befugniss der Steuerleute ist eine doppelte: a. der Steuermann I. Klasse ist befugt, alle Meere zu befahren, 1 [ j b. der Steuermann II. Klasse ist es mit Schiffen jeder Grösse für die Ostsee und mit Schiffen bis 40 Lasten bis Norwegen und bis zu den dänischen und deutschen Häfen an der Nordsee. 2. Der S e e s c h i f f e r . Die Befugniss der Seeschiffer ist ebenfalls eine doppelte: a. der Seeschiffer I. Klasse ist befugt, alle Meere zu befahren, b. der Seeschiffer II. Klasse ist es mit Schiffen jeder Grösse für die Ostsee und mit Schiffen bis 40 Lasten bis Norwegen und bis zu den dänischen und deutschen Häfen an der Nordsee. 3. D e r S e e l o o t s e n . Die Seelootsen erhalten die Befugniss nur für denjenigen Hafen, für welche sie die erforderlichen Lokal-Kenntnisse nachgewiesen haben. § 2. B e f u g n i s s e auf G r u n d f r ü h e r b e s t a n d e n e r P r ü f u n g e n . Dieser § enthält Uebergangsbestimmuogen. P r ü f u n g s f ä h i g k e i t : 1. Im A l l g e m e i n e n . § 3. Jeder Seemann, der sich zu einer Prüfung meldet, er sei Matrose oder Steuermann, muss durch vollgiltige Zeugnisse nachweisen, dass seine Aufführung untadelhaft sei. Soweit die Aufführungszeugnisse von Privatpersonen (Schiffern) ') Siehe oben Seite 109. ') M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Verw. 1862, S. 29.

266 aasgestellt sind, können die Prüfungsbehörden die Beibringung einer amtlichen Bescheinigung der darunter befindlichen Unterschriften verlangen. I n s b e s o n d e r e : 2. Z u m S t e u e r m a n n . Wer sich zur Steuermannsprüfung meldet, muss ferner vollgiltig nachweisen, dass er nicht unter 20 Jahre alt sei und mindestens 45 Monate zur See gefahren habe und zwar 18 davon als vollbefahrener Matrose. Auf See geleistete Dienste in der Königlichen Marine weiden in die nachzuweisende Fahrzeit eingerechnet, in die nachzuweisende — 18 monatliche — Fahrzeit als vollbefahrener Matrose aber nur insoweit, als sie in der Eigenschaft eines Matrosen L oder II. Klasse geleistet sind. Bei jungen Leuten, welche das Abgangs-Zeugniss als Sekundaner von einem Gymnasium oder von einer Realschule I. Ordnung erhalten haben, kann der Nachweis einer 36 monatlichen, statt einer 45 monatlichen Fahrzeit als genägend angenommen werden. 3. Z u m S e e s c h i f f e r . In Hinsicht künftiger Seeschiffer wird insbesondere der Nachweis erfordert: a. Für die Prüfung zum Seeschiffer I. Klasse: dass der zu Prüfende nicht unter 24 Jahre alt sei, dass er als Steuermann I. Klasse nach dieser oder nach der Instruktion vom 15. Oktober 1840 geprüft sei und dass er als solcher ausserhalb der Ostsee auf Kauffahrteischiffen 18 Monate gefahren habe. In See geleistete Steuermannsdienste auf einem zur Königlichen Marine gehörigen Kriegs- oder Transportschiffe werden auf diese Fahrzeit angerechnet b. Für die Prüfung zum Seeschiffer IL Klasse: dass der zu Prüfende nicht unter 24 Jahre alt sei, dass er nach dieser oder nach der Instruktion vom 15. Oktober 1840 als Steuermann I. oder II. Klasse geprüft sei und dass er mindestens 18 Monate als Steuermann auf einem Handelsschiffe gefahren habe. In See geleistete Steuermannsdienste auf jedem zur Königlichen Marine gehörigen Fahrzeuge werden ebenfalls angerechnet. c. Von einem jeden Steuermann, welcher sich zur Schifferprüfung meldet, wird gefordert, dass er ein Observations- und Berechnungsbuch über die auf seinen Seereisen gemachten Observationen und Berechnungen beibringen, worin der wahrscheinliche Ort des Schiffes (das Beeteck) für jeden Mittag, an welchem das Schiff sich in See befunden hat, berechnet sein muss. 4. D e r S e e - L o o t s e n . Von dem zum See-Lootsen zu Prüfenden wird bei der Anmeldung ein durch glaubwürdige Zeugnisse zu führender Nachweis seines Wohlverhaltens und seiner bisherigen Beschäftigung in besonderer Beziehung auf den Dienst desjenigen Hafens gefordert, für welchen derselbe bestimmt ist 5. D e r L o o t s e n - K o m m a n d e u r e . Der Lootsen-Kommandeur soll dio Befähigung eines Schiffers I. Klasse nach dieser Instruktion oder eines Schiffers I. und II. Klasse nach der Instruktion vom 15. Oktober 1840 nachweisen. §§ 4—7. Diese Paragraphen enthalten die bei den Prüfungen geforderten Kenntnisse. In Bezug auf die allgemeine Vorbildung ist dabei an der Instruktion vom 15. Oktober 1840 niohts geändert. Bezüglich der besonderen Fachausbildug ist namentlich hervorzuheben, dass in der Arithmetik auch Buchstaben-Rechnungen und Gleichungen ersten Grades verlangt werden, dass in der Navigation da& N o t wendige über Ermittelung der Lokal-Deviation der Kompasse an Bord und über Segelung im grössten Kreise hinzugekommen ist, dass der Seeschiffer das deutsche Seerecht besonders kenne und dass die Seelootsen und Lootsen-Kommandeure las Schiffskommando nicht nur in deutscher, sondern auch m englischer Spraihe

267 führen können müssen; der Lootsen-Kommandeur soll überhaupt soweit die englische Sprache beherrschen, dass er sich darin mit den Schiffern verständigen kann. — Durch Uinisterial-Erlass vom 9. August 1866') wurde nachträglich bestimmt, dass sich die Prüfung auch auf die Benatzung der Bettungs-Apparate bei Strandungen und anderen 8eeunfällen zu erstrecken habe. §§ 8—22. Diese §§ enthalten die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Prüfungskommissionen, Zeit und Ort der Prüfungen, Anmeldung zur Prüfung, die Form der Prüfung, die Zeugnisse und Prüfungskosten.' Wesentliche Aenderungen gegen die entsprechenden Bestimmungen der Instruktion vom 15. Oktober 1840 sind nicht eingetreten. Die Befähigungszeugnisse werden auf Grund des § 43 der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung nach gleichförmigen Formularen von der Regierung ausgefertigt.')

5. Die Wirkungen der Verordnung vom 9. Februar 1849 und die auf ihre Aufhebung und die Wiedereinführung der Gewerbefreiheit gerichteten Bestrebungen. Beim Erlass der Verordnung vom 9. Februar 1849 war es der Regierung, wie schon oben bemerkt, hauptsächlich darum zu thun gewesen, die durch die Ereignisse des Jahres 1848 in heller Aufregung befindlichen Gemüther zu beruhigen und namentlich den Handwerkerstand wieder in die Hand zu bekommen, um ihn von der grossen Masse der übrigen unzufriedenen Geister zu trennen. Sie konnte dies nur, indem sie seine üble wirtschaftliche Lage unumwunden anerkannte, auf alle Beschwerden möglichst einging und den ernsten Willen zeigte, thunlichst bald eine Besserung der Verhältnisse herbeizuführen. Kurzsichtig genug, glaubten die Handwerker allgemein, dass es nur eines Machtspruches der Regierung, eines Aktes der Gesetzgebung bedürfe, um sie wieder zu Wohlstand und Ansehen zu bringen, um die ihnen unbequeme Entfaltung der zahlreichen in Handel und Industrie mächtig wirkenden Kräfte zu hemmen und zu ihren Gunsten zu beeinflussen, um den natürlichen Gang der wirtschaftlichen Entwicklung, wie er sich durch die Bedürfnisse der Bevölkerung, die Vervollkommnung der Technik, die Ausbreitung und Erleichterung des Verkehrs, die Konzentration und Vermehrung des Kapitals von selbst ergab, aufzuhalten und in gänzlich veränderte Bahnen zu leiten. Die Wünsche der Handwerker waren daher vornehmlich auf eine „Revision" der Allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 unter einseitigster Berücksichtigung ihrer Standesinteressen gerichtet und die Regierung musste sich ») M i n i s t e r i a l - B l a t t f. d. innere Verw. 1866, 8. 169. *) Siehe auch M i n i s t e r i a l - E r l a s s vom 15. Mai 1866, M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Verw. 1866, S. 87.

267 führen können müssen; der Lootsen-Kommandeur soll überhaupt soweit die englische Sprache beherrschen, dass er sich darin mit den Schiffern verständigen kann. — Durch Uinisterial-Erlass vom 9. August 1866') wurde nachträglich bestimmt, dass sich die Prüfung auch auf die Benatzung der Bettungs-Apparate bei Strandungen und anderen 8eeunfällen zu erstrecken habe. §§ 8—22. Diese §§ enthalten die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Prüfungskommissionen, Zeit und Ort der Prüfungen, Anmeldung zur Prüfung, die Form der Prüfung, die Zeugnisse und Prüfungskosten.' Wesentliche Aenderungen gegen die entsprechenden Bestimmungen der Instruktion vom 15. Oktober 1840 sind nicht eingetreten. Die Befähigungszeugnisse werden auf Grund des § 43 der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung nach gleichförmigen Formularen von der Regierung ausgefertigt.')

5. Die Wirkungen der Verordnung vom 9. Februar 1849 und die auf ihre Aufhebung und die Wiedereinführung der Gewerbefreiheit gerichteten Bestrebungen. Beim Erlass der Verordnung vom 9. Februar 1849 war es der Regierung, wie schon oben bemerkt, hauptsächlich darum zu thun gewesen, die durch die Ereignisse des Jahres 1848 in heller Aufregung befindlichen Gemüther zu beruhigen und namentlich den Handwerkerstand wieder in die Hand zu bekommen, um ihn von der grossen Masse der übrigen unzufriedenen Geister zu trennen. Sie konnte dies nur, indem sie seine üble wirtschaftliche Lage unumwunden anerkannte, auf alle Beschwerden möglichst einging und den ernsten Willen zeigte, thunlichst bald eine Besserung der Verhältnisse herbeizuführen. Kurzsichtig genug, glaubten die Handwerker allgemein, dass es nur eines Machtspruches der Regierung, eines Aktes der Gesetzgebung bedürfe, um sie wieder zu Wohlstand und Ansehen zu bringen, um die ihnen unbequeme Entfaltung der zahlreichen in Handel und Industrie mächtig wirkenden Kräfte zu hemmen und zu ihren Gunsten zu beeinflussen, um den natürlichen Gang der wirtschaftlichen Entwicklung, wie er sich durch die Bedürfnisse der Bevölkerung, die Vervollkommnung der Technik, die Ausbreitung und Erleichterung des Verkehrs, die Konzentration und Vermehrung des Kapitals von selbst ergab, aufzuhalten und in gänzlich veränderte Bahnen zu leiten. Die Wünsche der Handwerker waren daher vornehmlich auf eine „Revision" der Allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 unter einseitigster Berücksichtigung ihrer Standesinteressen gerichtet und die Regierung musste sich ») M i n i s t e r i a l - B l a t t f. d. innere Verw. 1866, 8. 169. *) Siehe auch M i n i s t e r i a l - E r l a s s vom 15. Mai 1866, M i n i s t e r i a l b l a t t f. d. innere Verw. 1866, S. 87.

268 •wohl oder übel entschliessen, das eben erst in Kraft getretene Gesetz, diese Frucht langjähriger, ernster Arbeit, vieler gründlicher und umfassender Verhandlungen und Berathungen kurzer Hand in seinen Hauptgrundsätzen preiszugeben, ohne es auf seine Brauchbarkeit, seine etwaigen Vorzüge und Nachtheile zu erproben. Der nächste Zweck der Verordnung von 1849, die Beruhigung des Handwerkerstandes und seine Loslösung von den revolutionären Elementen wurde auch im Allgemeinen erreicht. Wenn sich auch einige Heisssporne nicht für befriedigt erklärten und das ihnen Gebotene höchstens als eine „Abschlagszahlung" auf ihre weitergehenden Forderungen, wobei sie namentlich an die Einführung der Zwangsinnungen dachten, angesehen wissen wollten, so schien doch die Mehrzahl der Handwerker zunächst befriedigt zu sein. Aber abgesehen von dieser mehr auf der Einbildung beruhenden, auf den Gemütszustand berechneten Wirkung hat die Verordnung — darüber kann wohl heute kaum noch ein ernstlicher Zweifel möglich sein — in der Hauptsache ihren Zweck nicht erreicht. Sie hat dem Handwerkerstande wenn überhaupt, sehr wenig genützt, wohl aber zu seinem eigenen Schaden die übertriebenen und gar nicht zu erfüllenden Hoffnungen von der Möglichkeit dauernder obrigkeitlicher Beeinflussung des wirtschaftlichen Lebens genährt, dem engherzigsten Eigennutz überreichen Spielraum zur Bethätigung gelassen und sie ist zu einer Quelle zahlreicher Reibereien und Streitigkeiten unter den verschiedenen Klassen der Gewerbetreibenden, nicht zuletzt unter den Handwerkern selbst geworden. Zu einem Theile hat sie überhaupt nicht ausgeführt werden können. — Als eine Fehlgeburt erwiesen sich von vornherein die Gewerb eräthe. Die Handwerker hatten dieses neue Institut zunächst mit grosser Freude begrüsst, weil sie in ihm ein geeignetes Mittel sahen, eine selbständige, von Staat und Gemeinde unabhängige Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten herbeizuführen, die Verhältnisse des ganzen Handels- und Gewerbewesens im Allgemeinen und im Handwerk im Besonderen nach ihren Ideen, auf Kosten des Publikums und der Interessen von Industrie und Handel zu regeln. Sie strebten daher darnach, die Gewerberäthe möglichst von jeder staatlichen und kommunalen Aufsicht zu befreien und den neben ihnen im Gewerberath vertretenen Fabrikanten und Kaufleuten die Mitarbeit zu erschweren und zu verleiden. Die Folge davon war, dass sich in den Verhandlungen des Gewerberaths bei allen irgend erheblichen Anlässen die verschiedensten Interessen schroff gegenüberstanden und dass sich nach und nach die Fabrikanten und Kaufleute zurückzogen, um dadurch die Wirksamkeit der Gewerberäthe lahm zu legen und sie in ihrem Wirken möglichst unschädlich zu machen. Bald zeigte sich bei den Erneuerungswahlen, ausser bei den Handwerksmeistern, eine solche Theilnahmslosigkeit, dass dieselben zu

269 keinen Ergebnissen führten, so dass die Kammern vielfach aufgelöst werden mussten. Hierzu kam, dass auch die politischen Parteien Einfluss auf die Gewerberäthe zu gewinnen und Unfrieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu säen und zu schüren suchten. Die Regierung sah sich daher schon sehr bald genöthigt, eine andere Organisation der Gewerberäthe in's Auge zu fassen. Unterm 28. März 1854 legte sie den Kammern einen Gesetzentwurf vor, durch den die unselbständigen Gewerbetreibenden von der Theilnahme an den Gewerberäthen ausgeschlossen und diese selbst unter eine schärfere kommunale Aufsicht gestellt werden sollten. Sie Kommunalbehörden sollten befugt sein, einen Kommissarius zu bestellen, welcher den Sitzungen beiwohnen, von den Verhandlungen Kenntniss nehmen und den Gewerberath auch zu ausserordentlichen Sitzungen sollte berufen können. Der Landtag nahm den Entwurf mit der Einschränkung an, dass der Kommissarius kein Stimmrecht haben solle und dass er den Gewerberath nicht selbständig, sondern nur durch Yermittelung seines Vorsitzenden zu ausserordentlichen Sitzungen berufen dürfe. Es geschah dies nach dem Kommissionsbericht, „um dem Gewerberath die äussere Ehre und Achtung zu wahren, welche die Erfüllung seines Berufes bedinge; deshalb müsse auch der Schein einer Abhängigkeit von dem Kommissarius der Kommunalbehörde vermieden werden.11 Die Ausschliessung der Arbeitnehmer vom Gewerberath hatte der Regierungs-Entwurf ziemlich kurz damit begründet, dass den unselbständigen Gewerbetreibenden bei dem öfteren Wechsel ihres Aufenthaltsortes oftmals eine zulängliche Kenntniss der lokalen gewerblichen Verhältnisse und Interessen abgehe und ihre Gleichstellung mit den Arbeitsherren, zu denen sie sonst in untergeordnetem Verhältnisse ständen, zur Lockerung dieses Verhältnisses Anlass gebe. Der Kommissionsbericht der zweiten Kammer hielt eine eingehendere Begründung für nothwendig. „Als bei Berathung der Verordnung wegen Errichtung von Gewerberäthen,*' so heisst es dort, „die Fabrikinhaber und Handwerksmeister die Aufnahme des unselbständigen Elements des Gewerbestandes in den Gewerberath befürworteten, haben sie offenbar übersehen, dass eine hohe technische Qualifikation mit der Unfähigkeit zur Beurtheilung der allgemeinen Gewerbsinteressen und zur Ausübung politischer Funktionen sehr wohl vereinbar ist. Wenn Kenntnisse und Urteilsfähigkeit durch die Gelegenheit zur Erlangung und Uebung derselben bedingt sind, und wenn es feststeht, dass nur den selbständigen Handwerksmeistern und Fabrikinhabern die Handhabung der kommerziellen, administrativen und legislatorischen Beziehungen ihres Berufes anheimfällt, während der technische Theil den unselbständigen Mitgliedern des Gewerks oft ausschliesslich obliegt, so folgt daraus, dass der Regel nach den Gesellen, Gehilfen und Werkführern die

270 allgemeinen Verhältnisse ihres Gewerbes nur wenig bekannt sein können. Indem sie gleichwohl in eine Körperschaft bereifen werden, deren Aufgabe in der Beurtheilung dieser allgemeinen Verhältnisse, in der den Interessen des Berufes entsprechenden Einwirkimg auf dieselben besteht, liegt es auf der Hand, dass sie diesen Interessen vielfach Schaden bringen können. Es ist unvermeidlich, dass sie der überlegenen Kenntniss und Auffassung der selbständigen Mitglieder nachgeben müssen; gleichwohl geben sie stets den Ausschlag, sobald jene getheilter Ansicht sind, und es können die Vota des Gewerberaths demnach nicht jene Gediegenheit und Stetigkeit erlangen, welche Bedingung ihres nachhaltigen Erfolges sind. Das Ausscheiden der unselbständigen Mitglieder aus dem Gewerberath ist demnach im Interesse des Gewerbestandes selbst wünschenswert!). Indem den Meistern und Fabrikherren die Wahrnehmung der allgemeinen Angelegenheiten ihres Berufes anheimfällt, indem sie zunächst die Interessen der selbständigen Genossen wahrnehmen, fördern sie zugleich am sichersten die der unselbständigen Berufsgenossen. Das Wohlergehen der letzteren steht in unlösbarem Zusammenhange mit dem der ersteren. Sollten die Meister und Fabrikherren verblendet genug sein, sich ungerechtfertigte Vortheile auf Kosten der Gesellen, Werkführer' und Arbeiter verschaffen zu wollen, und sollte die Regierung es verabsäumen, der Vollführung derartiger Bestrebungen entgegenzutreten, so würden viele unselbständige Berufsgenossen alsbald sich einem anderen Eiwerbszweige zuwenden; die Meister und Fabrikherren würden dadurch, durch die Steigerung der Lohnsätze, durch Verminderung des Geschäftsbetriebes den grössten Schaden erleiden, einen Schaden, der den momentanen Vortheil bei weitem übersteigt, den sie durch Benachtheiligung ihrer Berufsgehilfen zu erlangen vermöchten. Die Gewerbefreiheit schützt auch die unselbständigen Mitglieder, während die Zunftverfassung diesen Schutz auf die Meister beschränkte. In dem Masse, wie die Solidarität aller gesellschaftlichen Interessen erkannt und gewürdigt wird, in demselben Masse muss die Nichtigkeit aller Bestrebungen in's licht treten, welche dahin gehen, einzelnen Ständen oder Klassen der Bevölkerung auf Kosten der Allgemeinheit Vortheile zuzuwenden. Wenn es hiernach feststeht, dass die Meister und Fabrikherren zur Beurtheilung und Vertretung der Gewerbs-Interessen vorzugsweise befähigt und dass sie bei Aufrechthaltung der Gewerbefreiheit ausser Stande sind, sich auf Kosten der Gesellen, Gehilfen und Arbeiter ungebührliche Vortheilfe zuzuwenden, so wird das Ausscheiden der letzteren aus dem Gewerberath durch deren unmittelbares Interesse geboten. Es ist dies um so mehr der Fall,

271 weil dadurch die Scheinvertretung derselben wegfällt, welche möglicherweise von den Meistern und Fabrikherren gemissbraucht werden kann, um sich momentane Vortheile zu verschaffen; gehen die Beschlüsse des Gewerberaths von diesen allein aus, so bleibt ihnen bei derartigen Versuchen die ganze moralische Verantwortlichkeit und die Regierung wird die Pflicht erkennen, die Interessen der Berufsgehilfen um so kräftiger zu vertreten " Wie wenig übrigens die Staatsregierung selbst trotz dieser Aenderungen, die unterm 15. Mai 1854 Gesetz wurden, 1 ) an die Lebensfähigkeit der Gewerberäthe glaubte, und eine wie geringe Bedeutung sie ihnen überhaupt beilegte, geht am besten aus dem Verwaltungsbericht des Ministers für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten über die Jahre 1852, 1853 und 1854 hervor. In ihm heisst es: „Den, bei der Einrichtung und der Wirksamkeit der Gewerberäthe in mehrfacher Hinsicht bemerkbar gewordenen Unzuträglichkeiten ist durch das Gesetz vom 15. Mai 1854 entgegengetreten. Indem die Theilnahme der unselbständigen Gesellen, Gehilfen und Fabrikarbeiter an den Wahlen beseitigt, und sowohl der Kommunalbehörde als der Regierung eine grössere Einwirkung als seither gegeben, ist dem konservativen Elemente der nothwendige Einfluss gesichert worden. Ob sich die Institution der Gewerberäthe nun zu einem nützlichen Apparate ausbilden werde, muss dahin gestellt bleiben. Bliebe aber dieser Erfolg aus, so würde darauf ein besonderes Gewicht nicht zu legen sein, da dieselben als Faktoren, auf welche für die Erreichung der Zwecke der Reform des Gewerbewesens ein massgebendes Gewicht gelegt wäre, nicht zu betrachten sind. Das mit Rücksicht auf die dringenden Anträge des Handwerkerstandes seiner Zeit eingesetzte Institut der Gewerberäthe ist wesentlich als eine sozialpolitische Massregel anzusehen, die seiner Bestimmung entsprochen hat; es würde, nachdem der Zweck erreicht ist, wenig dabei verloren sein, wenn dasselbe, auch in der veränderten Gestalt, sich als lebensfähig nicht bewähren sollte. Der Umstand, dass von 93 genehmigten Gewerberäthen am Schlüsse des Jahres 1854 nur noch 16, von diesen 9 in der Rheinprovinz, 5 in Westfalen, einer in Berlin und Bromberg bestanden, lässt wohl annehmen, dass sie keine Zukunft haben." Diese pessimistische Auffassung war durchaus berechtigt. Im Jahre 1861 waren nur noch 4 Gewerberäthe, in Berlin, Bromberg, Aachen und Trier, vorhanden und kurze Zeit darauf waren auch sie von der Bildfläche verschwunden; als letzter stellte der Berliner Gewerberath im Jahre 1864 seine Thätigkeit ein.») An die Stelle der ') G e s e t j s - B a m m l u n g 1854, 8. 263. ) Die „ N a t i o n a l z e i t u n g " schrieb schon am Ende des Jahres 1856 bei Gelegenheit der Neuwahlen zum Berliner Gewerberath: „Die Verowinung vom

272 eingegangenen Gewerberäthe traten dieKommunalbehörden, von welchen nach § 22 der Verordnung vom 9. Februar 1849 die den ersteren zugewiesenen Angelegenheiten in solchen Orten zu erledigen waren, wo ein Gewerberath nicht bestand. Die Behörden berichteten aus Anlass einer Ministerial-Verfügung vom 16. Juni 1860, dass auch eine andere Organisation der Gewerberäthe nicht zu ihrer Wiederbelebung führen würde, da meistentheils die Gewerbetreibenden selbst ihre Interessen lieber durch die Kommunalbehörden wahrnehmen liessen. In der verstärkten Kommission für Handel und Gewerbe, welche das Abgeordnetenhaus im Jahre 1861 zur Prüfung verschiedener Anträge auf Abänderung der Gewerbegesetzgebung eingesetzt hatte, wurden die Gewerberäthe als eine „unnöthige und kostspielige Zwischeninstanz" zwischen den Innungen und der Kommunalbehörde bezeichnet, die nur die "Wirksamkeit der Innungen für die gewerblichen Interessen hemme, da letztere öfter mit den Handels-Interessen kollidirten. Ein anderes Mitglied der Kommission berichtete, dass der Gewerberath seines Bezirks seine Wirksamkeit in würdiger Weise zu entfalten versucht habe, indem er die Eröffnung des Weltmarkts für Handwerks-Erzeugnisse, deren Vertrieb über See, den Besuch und die Verwerthung grosser Industrie-Ausstellungen für die Fortbildung des Handwerkerstandes und Aehnliches angestrebt habe; die Handwerker hätten indessen keinen Sinn dafür gezeigt. 9. Februar 1849, welche in jener Zeit der Aufregung nach einer am Ende des Jahres 1848 — richtig: am Anfang des Jahres 1849 — in Berlin abgehaltenen Konferenz von gewerblichen Deputirten des ganzen Landes den Gegnern der allgemeinen Gewerbefreiheit als „Konzession" zum Geschenk gemacht wurde, hat bekanntlich das geträumte Eldorado der Anhänger der alten Zünfte und Innungen nicht verwirklicht. Die G e w e r b e r ä t h e , welche gemäss jener Verordnung aller Orten gebildet wurden, erwiesen sich als total lebensunfähig und wurden in Folge von Gesuchen, die aus der Mitte dieser Versammlungen selbst hervorgingen, durch den Handelsminister fast sämmtlich aufgelöst Der Berliner Gewerberath fristet noch ein höchst kümmerliches Dasein und giebt hin und wieder durch eine Entscheidung über irgend eine „Fachbegrenzung" ein Lebenszeichen von sich. Bei den letzten Wahlen war die Betheiligung namentlich unter den Kaufleuten und Fabrikanten gleich Null und da bei den jetzt wieder bevorstehenden Wahlen die Theilnahme sicherlich keine grössere sein wird, so dürften auch die Tage des Berliner Gewerberaths gezählt sein. In der That steht das Institut gewissermassen als Curiosum inmitten unserer zopfvernichtenden Zeit da." Und im Mai 1858 schrieb die „ K ö l n i s c h e Z e i t u n g " : „Jedenfalls müssen wir zugeben, dass jene in Preussen gemachten Versuche, die alten Innungen von Missbräuchen zu reinigen, sie mit der Gewerbefreiheit zu versöhnen und durch die Bildung der Handel und Fabrik mit umfassenden „ G e w e r b e r ä t h e " allmälig eine umfassende und zeitgemässe corporative Ordnung des Gewerbelebens neu zu schaffen, bis jetzt noch wenig oder gar keine Hoffnung des Gelingens darbieten. Die gleichsam in Spiritus gesetzten Bieste der alten Innungen leisten seitdem nichts, als dass sie von Zeit zu Zeit im Gewerberäthe darüber Streit anfangen, ob ein Bartscheerer auch die Haare schneiden oder ein Friseur auch barbiren, welcher Holzarbeiter Beil oder Hobel gebrauchen und des Leimtopfes sich bedienen darf und was dergleichen kläglichen Unsinns mehr ist. Das natürliche Ende ist dann, dass über solche Streitigkeiten mit büreaukratischem Belieben harthörig zur verdienten Tagesordnung übergegangen wird und dass Innungen und Gewerberäthe fast nur noch als Anlässe zu nutzloser Kraftund Zeitverschwendung erscheinen."

273 Auch die Erfahrungen, die mit den übrigen Bestimmungen der Verordnung vom 9. Februar 1849, insbesondere mit den Bestimmungen über das P r ü f u n g s w e s e n und die damit im Zusammenhang stehende Abgrenzung der verschiedenen Arbeitsgebiete, mit den in das gewerbliche Leben und die persönliche Freiheit der Einzelnen tief einschneidenden Vorschriften gegen die Magazine, Fabriken u. s. w. gemacht wurden, waren nicht gerade günstig. Zunächst führten Erwägungen ähnlicher Art, wie sie zur Umgestaltung der Gewerberäthe geführt hatten, zu einer Aenderung in der Zusammensetzung der Prüfungs-Kommissionen. Bei den Vorberathungen zu der Verordnung vom 9. Februar 1849 hatten sich alle Vertreter des Handwerkerstandes bis auf einen dafür ausgesprochen, dass in die Prüfungskommissionen auch Oesellen, und zwar mit vollem Stimmrecht, aufgenommen werden sollten. Dem von einer Seite gemachten Einwand, dass diese doch unmöglich über das Vorhandensein einer Qualifikation, der Meisterbefähigung, ein Urtheil abgeben könnten, die sie selbst noch nicht erworben hätten, wurde entgegengehalten, dass einestheils die Gesellen über den „allgemeinen Eindruck", den die Prüfung bei ihnen zurückgelassen habe, würden urtheilen können und dass es auch sehr tüchtige Gesellen gebe, dass jedenfalls die Gesellenschaften nur sehr tüchtige und gereifte Gesellen zu den Innungsprüfungskommissionen entsenden würden und dass gerade solche Gesellen ganz besonders dazu geeignet seien, darüber zu befinden, was nach den Ansichten des Gesellenstandes zu einem tüchtigen Meister gehöre.1) Dem entsprechend bestimmten auch die §§ 37 und 39 der Verordnung, dass powohl bei den Innungs- als auch bei den Kreisprüfungskommissionen ausser zwei Meistern zwei Gesellen zu betheiligen seien. Sehr bald erkannte man indessen die Anomalie, die in der Zuziehung der Gesellen lag; auch fehlte es in kleinen Städten häufig an Gesellen, wenigstens an solchen, die als Mitglieder der Prüfungskommission geeignet gewesen wären, so dass die Behörden sich genöthigt sahen, Prüfungen als giltig anzuerkennen, die ohne die Theilnahme von Gesellen vorgenommen worden waren. Wo ein solcher Mangel nicht hervortrat, wurden durch den häufigen "Wechsel der Gesellen und durch die in Folge dessen in kurzen Zwischenräumen erforderlichen Neuwahlen viele Weiterungen und Belästigungen der Behörden wie der Betheiligten herbeigeführt Dazu kam noch, dass nach den Berichten der Regierungen die Gesellen den Prüfungen meistens nur als theilnahmslose Zuhörer beigewohnt hatten, und dass da, wo sie sich ausnahmsweise activ betheiligten, in den Kommissionen nicht selten sehr unangenehme Streitigkeiten zwischen Meistern und Gesellen ausgebrochen waren-, auch ungebührliche Ueberhebungen der ') Siehe oben S. 216 die Anmerkung. Simon, Die Fachbildung de« Prenuiichen Gewerb«- und Handel irtande«.

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274 letzteren waren nicht selten. Die Staatsregierung entschloss sich daher im Einvernehmen mit dem Landtag, die Gesellen künftig von den Prüfungskommissionen auszuschliesseu. Um aber auf der anderen Seite den exclusiven, gegen die Vermehrung der Konkurrenz gerichteten Bestrebungen der Meister entgegenzutreten, die sich leicht in den Prüfungskommissionen geltend machen könnten, schlug die Regierung weiter vor, die Wahl der Prüfunga-Mitglieder nicht mehr den Meistern zu überlassen, sondern in die Hand der Behörden zu legen und dabei einen Wechsel der zuzuziehenden Mitglieder vorzusehen. Der Landtag wollte indessen aus denselben Erwägungen, die ihn bestimmt hatten, die Rechte des städtischen Kommissars gegenüber den Oewerberäthen nach aussen hin nicht zu stark hervortreten zu lassen, nicht so weit gehen, sondern entschied sich dahin, die Mitglieder der Prüfungskommissionen von der Innung wählen und durch die Kommunalbehörde bestätigen zu lassen. Die Regierung trat dem bei und so wurde denn durch das gleiche Gesetz vom 15. Mai 1854, das die Gewerberäthe umgestaltete, bestimmt, dass die Prüfungskommissionen der Innungen fortan aus einem Mitgliede der Kommunalbehörde als Vorsitzenden und mindestens zwei von der Innung zu wählenden und von der Kommunalbehörde zu bestätigenden Meistern der Innung zu bilden seien. Die Kreis-Prüfungskommissionen sollten künftig in der Weise gebildet werden, dass der Landrath widerruflich vier bis sechs im Kreise wohnhafte, nicht zu der Prüfungskommission einer Innung gehörige Handwerksmeister bestimmte, unter denen der Vorsitzende der Prüfungskommission in jedem einzelnen Falle die bei der Prüfung zuzuziehenden Mitglieder auszuwählen habe. — Ueber die Erfahrungen, die mit den Gewerbegesetzen von 1845 und 1849 gemacht worden waren, liegen eingehende Berichte der Regierungen aus dem Jahre 1860 vor. Der Landtags-Abgeordnete Duncker hatte nämlich im Verein mit mehreren anderen Abgeordneten im Landtage den Entwurf eines Gesetzes eingebracht, das unter Beseitigung der Verordnung vom 9. Februar 1849 im Wesentlichen die Bestimmungen der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung von 1845 wieder herstellen sollte. Der Handelsminister nahm hieraus Veranlassung, unterm 16. Juni 1860 folgenden Runderlass an die Regierungen zu richten: „Im Laufe der letzten Session des Landtags ist, wie der Königlichen Regierung bekannt geworden sein wird, ein Antrag tuf wesentliche Abänderungen der auf der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 und auf der Verordnung, betreffend die Errichtung von Gewerberäthen und verschiedene Abänderungen 4er Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 9. Februar 1849 beruhenden Gewerbe-Gesetzgebung im Hause der Abgeordneten eingebracht worden. Dieser Antrag ist zwar nicht zur Berathung gelangt, er

275 bietet indessen in seiner Verbindung mit Anregungen ähnlicher Tendenz, welche in der Presse hervorgetreten und von Vereinen ausgegangen sind, eine für die Regierung willkommene Veranlassung, die Ergebnisse jener, nun über ein Jahrzehnt in Wirksamkeit stehenden Gewerbegesetzgebung in vollständigerer "Weise zusammenzufassen und zur Anschauung zu bringen, als dies durch die Wahrnehmungen geschehen kann, zu welcher die in die Ministerial-Instanz gelangenden Spezialfälle Gelegenheit darbieten. Indem ich zu diesem Zwecke auf die Erfahrungen zurückgehe, welche die Königliche Regierung und die Ihr untergeordneten mit der unmittelbaren Aufsicht und Leitung der gewerbepolizeilichen Verhältnisse beauftragten Behörden gemacht haben, liegt es mir fern, theoretische Erörterungen über Vorzüge oder Nachtheile der Gewerbefreiheit veranlassen zu wollen. Es kommt mir allein darauf an, ein auf Thatsachen und praktischen Erfahrungen beruhendes Urtheil über die Ergebnisse zu vernehmen, welche bei Handhabung der bestehenden Gesetzgebung hervorgetreten sind und von den Folgerungen in Kenntniss gesetzt zu werden, zu welchen ihre Ergebnisse in Beziehung auf das Bedürfniss oder die Räthlichkeit von Abänderungen dieser Gesetzgebung geführt haben. Die einzelnen Fragen, welche die E. Regierung von diesen Gesichtspunkten aus der Erörterung unterziehen möchte, will ich in keiner Weise begrenzen, ich wünsche indess Ihre Aufmerksamkeit auf einige Punkte zu lenken, auf deren Erörterung ich vor allen Dingen Werth zu legen habe: 1. Den wichtigsten Theil der bestehenden gewerbepolizeilichen Gesetzgebung bilden die Vorschriften über den h a n d w e r k s m ä s s i g e n G e w e r b e b e t r i e b . Schon die Gewerbe-Ordnung ging von der entschiedenen Absicht aus, das korporative Element in diesen Gewerben zu erhalten und zu beleben (§§ 94—124, 131, 132, 137, 147, 157, 162—170) und die Verordnung vom 9. Februar 1849 stellte sich die Aufgabe, diese, nach den damaligen Erfahrungen durch die Gewerbe-Ordnung nicht erreichte und nicht zu erreichende Absicht zur Verwirklichung zu bringen. Wesentlich auf diesem Gesichtspunkte beruhen ihre Vorschriften über die Lehrlings- und Gesellenzeit (§§ 35, 36), über die Gesellen- und die Meisterprüfungen (§§ 23, 26, 37—43); eine Konsequenz derselben war die, wenn auch nur in einem gewissen Masse vorgeschriebene Abgrenzung der einzelnen Handwerke (§§ 28, 47, 48). Andererseits boten die Innungen, sobald sie wieder zu lebensfähigen und lebendigen Organismen geworden waren, die natürlichen und berechtigten Anknüpfungspunkte dar für gemeinnützige, allen Angehörigen des Handwerks zu Gute kommende Einrichtungen. (§§ 56, 57.) Es fragt sich nun einerseits, ob der Zweck dieser Vorschriften erreicht, ob das korporative Leben im Handwerkerstande gekräftigt, 18*

276

die Ordnung and Zucht unter der dem Handwerk sich widmenden Jugend befestigt und ein wirklich wohlthätiger Erfolg der an die Innungen geknüpften gemeinnützigen Einrichtungen sichtbar geworden ist Andererseits kommt in Frage, ob die Innehaltung der Lehrlings- und Gesellenzeit, das Erforderniss der Gesellen- und Meisterprüfung und die Abgrenzung der verschiedenen Handwerke auf die Gewerbsamkeit im Ganzen von nachtheiligem Einflüsse gewesen ist oder doch der freien Entwickelung der Individualität ungerechtfertigte Schranken gezogen hat. Es ist dabei namentlich auch zu erwägen, ob die Beschränkungen, welchen die Fabrikanten rücksichtlich der Beschäftigung von Handwerksgesellen unterworfen sind (§§ 31, 32 der Verordnung) fühlbare Nachtheile für die Fabrikation zur Folge gehabt haben. Ihren Abschluss werden die an diese Fragen sich anknüpfenden Erwägungen in dem Urtheil darüber finden, ob die Vortheile oder die Nachtheile der bestehenden Einrichtungen schwerer wiegen und wie den etwa hervorgetretenen Nachtheilen durch einzelne Abänderungen der Gesetzgebung ohne Gefährdung der Yortheile abgeholfen werden kann. Die Bestimmungen in den §§ 29 und 34 der Verordnung wegen der gleichzeitigen Ausübung mehrerer Handwerke und wegen des Haltens von Magazinen zum Detail verkauf von Handwerkerwaaren sind, wenn sie auch mit der Gesammtheit der bezüglichen Vorschriften nur in loserer Verbindung stehen, hierbei nicht ausser Augen zu lassen. Die erste von diesen Bestimmungen ist gar nicht, die letzte nur in beschränktem Umfange praktisch geworden. 2. In einem entfernteren Zusammenhang mit den Vorschriften über den handwerksmässigen Gewerbebetrieb stehen die Bestimmungen der Verordnung vom 9. Februar 1849 über die Gewerberät he. (§§ 4—21.) Nach der Absicht dieser Verordnung sollten die Gewerberäthe die Interessen des Handwerks, welche in den einzelnen Innungen nur einseitig zum Ausdruck gelangen, in ihrer Gesammtheit und in Verbindung mit den Interessen der Fabrikation wahrnehmen. Diese Absicht ist nicht erreicht. Die überwiegende Mehrzahl der auf Grund der Verordnung gebildeten Gewerberäthe ist eingegangen und es werden nur wenige der E. Regierungen in der Lage sein, sich über das Bedürfniss einer Aufhebung der bezüglichen Vorschriften zu äussern. Nur die Frage kann zu einer allseitigen Erwägung Anlass geben, ob es sich, wie von einigen Seiten angeregt worden, empfehlen möchte, das Institut dadurch wieder zu beleben, dass von den drei Klassen, welchen die Mitglieder desselben nach § 3 der Verordnung angehören sollen — dem Handwerkerstande, dem Fabrikenstande und dem Handelsstande — die letzte, die Handelsklasse von der Vertretung im Gewerberäthe ausgeschlossen würde." Ziffer 3 handelt von den Gewerbebetrieben, die von einer durch Eigenschaften des Charakters bedingten polizeilichen Genehmigung

277 abhängig sind, Ziffer 4 von den Bestimmungen übe* die Wochenmärkte. Am Schlüsse des Erlasses heisst es: „Ich lege Werth darauf, dass die E. Regierung zum Zwecke der Beantwortung vorstehender Fragen und der Begründung der von Ihr etwa zu machenden Vorschläge namentlich die Magistrate, wenigstens der grösseren Städte Ihres Verwaltungsbezirks, gutachtlich vernimmt und deren Gutachten Ihrem Berichte beifügt1' Der Inhalt der auf diese? Erlass erstatteten Berichte wurde in einer besonderen Denkschrift zusammengestellt. Ihr ist folgendes über die Wirksamkeit der hier interessirenden Bestimmungen über d i e L e h r l i n g s - und O e s e l l e n z e i t , über die P r ü f u n g e n und ) P r e u s s . G e s . - S a m m l . 1886, S. 143; 1897. S. 41. S i m o n , fcie Fachbildung des Preussischen Gewerbe- und Handelsstandea.

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498 wurden. „Unter deu Massregoln, welche der zunehmenden Ausbreitung des polnischen Elements im Osten des Landes Einhalt zu thun und den Bestand sowie die Entwicklung der deutschen Bevölkerung sicher zu stellen vermögen," so hiess es in der „Begründung" zu der Regierungsvorlage,„ist die Förderung des deutschen Schulunterrichts von entscheidender Bedeutung. Für die Arbeiterbevölkerung aber, deren Kinder hauptsächlich auf die Volksschulen angewiesen sind, wird durch dasjenige, was der Staat zur Hebung der letzteren anzuordnen vermag, ein ausreichender Schutz gegen die Einwirkung polnischen Wesens noch nicht gewonnen. Es ist häufig beobachtet worden, dass selbst die in den deutschen Schülern dieser Anstalten gepflegten Grundlagen deutscher Sprache lind Gesittung sehr bald nach dem Austritt aus der Schule durch den Einfluss polnischer Umgebungen völlig unterdrückt worden sind. Die Volksschule steht dieser Thatsache machtlos gegenüber, weil ') D r u c k s , des Abgeordneten-Hauses, 1886, No. 09. Der von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf lautete: § 1. Zur Errichtung und Unterhaltung von Fortbildungsschulen in den Provinzen Westpreussen und Posen werden dem Minister für Handel und Gewerbe aus Staatsmitteln jährlich 200000 Mk. zur Verfügung gestellt. § 2. Der Minister für Handel und Gewerbe ist ermächtigt, den Arbeitern unter 18 Jahren (Gewerbeordnung § 120) an denjenigen Orten jener Provinzen, in welchen eine Fortbildungsschule errichtet worden ist, die; Verpflichtung zum Besuche derselben aufzuerlegen. § 3. Die auf Grund dieses Gesetzes zu leistenden Ausgaben sind vom 1. April 1887 ab in den Staatshaushalts-Etat aufzunehmen. Gegen den § 1 dieses Entwurfs wurden im Abgeordnetenhaus Bedenken aus Art. 99 der Verfassung erhoben, wonach alle Einnahmen und Ausgaben deJ Staats f ü r jedes Jahr im voraus zu veranschlagen und auf den Staatshaushalts-Etat zu bringen sind. Die Regierung legte besonderes Gewicht darauf, die Summe* von 200000 Mk. durch das G e s e t z bewilligt zu erhalten, „um", wie der Regierungskomniissar in der Sitzung vom 26. Februar 1880 erklärte, „eine Garantie dafür zu erhalten, dass die zu errichtenden Schulen auch einen dauernden Bestand haben und nicht etwa bei einem Wechsel der Majorität des Hauses eines Tages in Folge versagter Etatsbewilligung wegen Mangels der erforderlichen Mittel geschlossen werden müssen 1 '. Die „spezielle Prüfung des Geldbedarfs im einzelnen Jahre" für die in demselben vorhandenen Schulen werde regelmässig bei der Verhandlung über den Staatshaushalts-Etat erfolgen und solle durch § 3 sichergestellt werden." Das Abgeordnetenhaus entschied sich indessen, dem Vorschlage der zur Berathung des Gesetzentwurfs eingesetzten Kommission folgend, f ü r die Bewilligung der Mittel durch den Staatshaushalts-Etat. (Kommissionsbor. Drucks. No. 122). — Auch die Bestimmung, dass an den Sonutagen während der Stunden des Hauptgottesdienstes Unterricht nicht ertheilt werden darf, wurde von der Kommission hinzugefügt. Ein weitergehender Antrag, am Sonntag überhaupt keinen Unterricht zuzulassen, fand im Abgeordnetenhaus!* und auch nach seiner Wiederholung im ITerrenliause nicht die Mehrheit. — Verhandlungen im Abgeordnetenhause: Erste Berathung, Stenog. Ber. S. 828ff.; zweite Berathung, S. 1643 ff.; dritte Berathung, S. 1743 ff. — Siehe auch die Beratungen über die nachträgliehe Einstellung der 200000 Mk. in' den Entwurf des StaatshaushaltsEtats f ü r 1880. — Verhandlungen im Herrenhause, Stenogr. Ber. S. 253 ff. — V e r h a n d l u n g e n ü b e r d a s G e s e t z vom 24. F e b r u a r 1897, G e s e t z e n t w u r f , Drucks, d. Herrenhauses v. 1896/97, No. 13; — Berathung im Herrenhause, Stenogr. Ber. S. 34; Erste und zweite Berathung im Abgeordnetenhause, Stenogr. Ber. 1897, S. 321 ff.; dritte Berathung S. 065ff.

499 ihre Wirksamkeit mit dem 14. Lebensjahre der Schüler endet. Deshalb ist es voii'Wichtigkeit, dass die Fortbildungsschule nach Möglichkeit Boden gewinnt., um namentlich bei den deutschen jugendlichen Arbeitern, bis diese völlig erwachsen sind, die in der Volksschule in ihnen entwickelten Elemente deutscher Bildung weiter zu pflegen und vor der Vernichtung zu bewahren. Bisher ist die Errichtung solcher Schulen der Initiative der Gemeinden überlassen geblieben, während sich der Staat auf die Bewilligung von Zuschüssen für einen Theil derselben beschränkt hat. In Folge dessen sind in Westpreussen und Posen nur an sehr wenigen Orten Fortbildungsschulen entstanden. Was hier jetzt nachgeholt werden muss, ist von solcher Bedeutung, dass die Erfüllung dieser Aufgabe von den Gemeinden in Landestheilen mit gemischter Bevölkerung nicht zu erwarten ist; soll sie mit Erfolg gelöst werden, so ist dies nur dadurch zu erreichen, dass der Staat die Errichtung und Verwaltung der Fortbildungsschulen übernimmt und die dazu erforderlichen Geldmittel hergiebt." Diesen in der Begründung zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, dass die Vorlage keinen Angriff gegen die Polen, sondern vornehmlich bezwecke, die Deutschen gegen die Polonisirung zu schützen, hielt die Regierung im Verlaufe der ganzen Berathung über das Gesetz fest. Auch die Konimission des Abgeordnetenhauses, der der Gesetzentwurf zur Vorberathung überwiesen wurde, kam in ihrer Mehrheit zu der Ueberzeugung, „dass die politische Tendenz der Vorlage einen persecutorischen Charakter gegen die polnische Nationalität nicht an sich trage und dass der praktische Zweck der Einrichtung von Fortbildungsschulen der sei, den Söhnen deutscher und polnischer Nationalität nützliche und in dem Kampf um das Dasein nothwendige Kenntnisse zuzuführen."

4. Die Reich sgesetze, betreffend die Abänderung: der Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 (Handwerkergesetz) und yoni 30. Juni 1900. Obwohl die Reichsgesetzgebung den auf die Organisation des Gewerbestandes, die Wiederbelebung und Stärkung der Innungen und Innungsverbände, die Einführung von Zucht und Ordnung im Gesellen- und Lehrlingswesen und die bessere Ausbildung des ge') Vergl. die Bede des Berichterstatters über das Ansiedelungsgesetz im Herrenhause, Dr. M i q u e l , vom 15. April 1886 (Steii. Ber. S. 239), der u. A. ausführte : ,,Die Aufgabe wird man sich gewiss nicht stellen wollen — ich kann darüber allerdings aus der Konnnission nichts mittheilen, aber es ist meine persönliche Ansicht und ich glaube in dieser Beziehung in Uebereinstimmung mit den Mitgliedern der Kommissiim zu sein —, die polnische Nationalität als solche zu bekämpfen, 32*

499 ihre Wirksamkeit mit dem 14. Lebensjahre der Schüler endet. Deshalb ist es voii'Wichtigkeit, dass die Fortbildungsschule nach Möglichkeit Boden gewinnt., um namentlich bei den deutschen jugendlichen Arbeitern, bis diese völlig erwachsen sind, die in der Volksschule in ihnen entwickelten Elemente deutscher Bildung weiter zu pflegen und vor der Vernichtung zu bewahren. Bisher ist die Errichtung solcher Schulen der Initiative der Gemeinden überlassen geblieben, während sich der Staat auf die Bewilligung von Zuschüssen für einen Theil derselben beschränkt hat. In Folge dessen sind in Westpreussen und Posen nur an sehr wenigen Orten Fortbildungsschulen entstanden. Was hier jetzt nachgeholt werden muss, ist von solcher Bedeutung, dass die Erfüllung dieser Aufgabe von den Gemeinden in Landestheilen mit gemischter Bevölkerung nicht zu erwarten ist; soll sie mit Erfolg gelöst werden, so ist dies nur dadurch zu erreichen, dass der Staat die Errichtung und Verwaltung der Fortbildungsschulen übernimmt und die dazu erforderlichen Geldmittel hergiebt." Diesen in der Begründung zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, dass die Vorlage keinen Angriff gegen die Polen, sondern vornehmlich bezwecke, die Deutschen gegen die Polonisirung zu schützen, hielt die Regierung im Verlaufe der ganzen Berathung über das Gesetz fest. Auch die Konimission des Abgeordnetenhauses, der der Gesetzentwurf zur Vorberathung überwiesen wurde, kam in ihrer Mehrheit zu der Ueberzeugung, „dass die politische Tendenz der Vorlage einen persecutorischen Charakter gegen die polnische Nationalität nicht an sich trage und dass der praktische Zweck der Einrichtung von Fortbildungsschulen der sei, den Söhnen deutscher und polnischer Nationalität nützliche und in dem Kampf um das Dasein nothwendige Kenntnisse zuzuführen."

4. Die Reich sgesetze, betreffend die Abänderung: der Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 (Handwerkergesetz) und yoni 30. Juni 1900. Obwohl die Reichsgesetzgebung den auf die Organisation des Gewerbestandes, die Wiederbelebung und Stärkung der Innungen und Innungsverbände, die Einführung von Zucht und Ordnung im Gesellen- und Lehrlingswesen und die bessere Ausbildung des ge') Vergl. die Bede des Berichterstatters über das Ansiedelungsgesetz im Herrenhause, Dr. M i q u e l , vom 15. April 1886 (Steii. Ber. S. 239), der u. A. ausführte : ,,Die Aufgabe wird man sich gewiss nicht stellen wollen — ich kann darüber allerdings aus der Konnnission nichts mittheilen, aber es ist meine persönliche Ansicht und ich glaube in dieser Beziehung in Uebereinstimmung mit den Mitgliedern der Kommissiim zu sein —, die polnische Nationalität als solche zu bekämpfen, 32*

500 werblichen Nachwuchses abzielenden Bestrebungen der Handwerker immer weiter entgegengekommen war, trat in diesen Kreisen nicht nur keine Buhe und Befriedigung ein, sondern die Unzufriedenheit wurde immer grösser. Der Grand hiefür lag hauptsächlich daran, dass man von den gesetzlichen Massnahmen eine rasche wirthschaftliche Hebung des gesammten Handwerkerstandes erwartet hatte, die, jedenfalls in dem erhofften Umfange, nicht eintrat und dass man nun die Schuld daran der Reichsregierung zuschob, die nicht a l l e Forderungen der Handwerker, insbesondere nicht das immer stärker auftretende Verlangen nach Zwangsinnungen und Befähigungsnachweis erfüllt hatte. Schon im Jahre 1885 unterbreitete das „Komit6 des deutschen Innungstages" dem Reichskanzler eine Denkschrift, betreffend die „Weiterführung der deutschen Gewerbe-Reform", mit dem Antrage, eine gewerbliche Enquete über die Verhältnisse im Handwerk herbeizuführen. Diesem Antrag wurde zunächst keine Folge gegeben und auch das im Jahre 1888 vom Vorstand des Gentralausschusses der vereinigten Innimgsverbände Deutschlands an das Reichsamt des Innern gerichtete Ersuchen, eine besondere Kommission zur Untersuchung der Lage des Handwerkerstandes einzusetzen, hatte keinen Erfolg. Ebensowenig wurde dem am 2. Juni 1890 in einem Immediatbericht vorgetragenen Wunsche der Vorstände des Centraiausschusses und des allgemeinen deutschen Handwerkerbundes entsprochen, „eine Immediat-Kommis8ion von sachverständigen Personen, welche seit Inkrafttreten des Innungsgesetzes von 1881 für die Anerkennung der gesetzlichen Bestimmungen eingetreten sind und an der Spitze von Handwerker-Korporationen die Schäden des Handwerks kennen gelernt haben, zur Untersuchung der gesammten Fragen der deutschen Handwerkerbewegung einzusetzen." Wohl aber wurde den Veribre Sprache zu unterdrücken, sie allmählich verschwinden zu lassen, das halte ich wenigstens durchaus nicht für erforderlich; aber jeder Pole muss Deutsch verstehen, das ist die Voraussetzung einer innigen und lebendigen Zusammengehörigkeit mit dem Preussischen Staat, das ist für ihn selbst die grösste Wohlthat, das ist gewissennassen die Thür, mittelst welcher er eintritt in die grosse deutsche Kultur, der er bisher schon so viel zu vordanken hat und die er auch in Zukunft nicht entbehren kann." — Vgl. auch die Rede des F ü r s t e n B i s m a r c k über die „defensive Natur'1 der Preussischen Polenpolitik in derselben Sitzung: „Wir wollen nicht den Polen ihre Nationalität nehmen, sondern innerhalb des Deutschen Reiehs den, ich kann wohl sagen, skandalösen Erscheinungen für die Zukunft vorbeugen, dass in ganzen Gemeinden mit urdeutschen Namen heutzutage, wie sich aus den Massenuntenchriften nachzählen lässt, kein einziger mehr behauptet, deutsch zu sein, dass die Leute kein Deutsch mehr können, während ihre Grosaväter noch jede Zumuthung, etwas Anderes als ein Deutscher zu sein, als eine Kränkung aufii ahnen und mit Entschlossenheit zurückgewiesen haben. Dieser allmählich krebsartig um sich fressenden Polonisirung der deutschen Einwohner jener Provinzen hoffen wir durch dieses Oesetz, durch die Verwendung der von uns geforderten Mittel eilen Damm entgegenzusetzen und Halt zu gebieten. Aber von der Absicht, die polnische Bevölkerung auszurotten, ist dabei nicht die Rede, nur von der, die Deutschen zu erhalten."

501 tretern der beiden Handwerkervereinigungen in Folge dieser ImmediatEingabe anheimgegeben, von Beauftragten des Reichsamts des Innern und des Preussischen Handelsministeriums die in ihren Kreisen empfundenen Mängel der in Betracht kommenden Gesetze mündlich darzulegen und die zur Hebung derselben vorzuschlagenden Massnahmen näher zu begründen. Bei den Besprechungen, die darauf vom 15. bis 17. Juni 1891 stattfanden und ander sich 20 Vertreter von Handwerkervereinigungen betheiligten, wurde Seitens der letzteren lebhaft darüber geklagt, dass die grossen Hoffnungen, welche in Handwerkerkreisen an das Innungsgesetz vom 18. Juli 1881 und an die späteren, das Innungswesen betreffenden Reichsgesetze geknüpft worden seien, sicli nicht erfüllt hätten. Es sei den Innungen nicht möglich gewesen, die wirtschaftliche Lage ihrer Mitglieder wesentlich zu bessern, ebensowenig fühlten sie sich im Stande, in Bezug auf die Ordnung des Lehrlingswesens und die Gestaltung eines besseren Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen Nennenswerthes zu leisten, zumal sich vielfach gerade die besser gestellten Handwerker von den Innungen fernhielten. Den Mitgliedern der Innungen seien schwere Pflichten auferlegt, aber die entsprechenden Rechte nicht eingeräumt worden. Es sei erforderlich, dass die auf dem Gebiete des Innungswesens vorhandenen Organisationen durch die Gesetzgebung gekräftigt und lebensfähiger gestaltet würden. Die einzelnen I n n u n g e n fühlten sich in ihrer freien Bewegung durch die weitgehenden Befugnisse der Aufsichtsbehörden beengt; ihnen müsse eine freiere Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten gelassen und die nothwendige Beaufsichtigung einer Stelle übertragen werden, welcher die Betheiligten ein grösseres Xertrauen entgegenbringen könnten. Die I n n u n g s a u s s c h ü s s e seien noch eine unfertige Bildung, erst wenn ihnen Korporationsrechte, insbesondere zur Erwerbung von Grundstücken, zum Betriebe von Herbergen, zur Begründung gemeinsamer Unterstützungskassen und zur Veranstaltung gemeinsamer Ausstellungen beigelegt würden, könnte ihre Thätigkeit. eine erspiessliche werden. Die I n n u n g s v e r b ä n d e hätten eine erfreuliche Entwickelung genommen, vielfach die Neubildung von Innungen mit Erfolg angeregt und in Bezug auf die Ordnung des Gesellenwesens Manches erreicht. Diesen und anderen wichtigen Aufgaben könne aber nicht voll genügt werden, weil die Betheiligung am Verbände dem Belieben der einzelnen Fachinnungen überlassen sei. Statt der Freiheit der Betheiligung müsse gesetzlicher Zwang Platz greifen. Die weitere Kräftigung der Innungen sei auch ein geeignetes Mittel, um der Sozialdemokratie entgegenzuwirken. Die Organisation des Handwerks sei übrigens noch durch H a n d w e r k s k a m m e r n zu vervollständigen, die als Aufsichtsbehörde an die Stelle der Gemeindebehörden, als Berufungsinstanz bei Gesellen- und

502 Lehrlingsstreitigkeiten an die Stelle der ordentlichen tierichte und als entscheidende Behörden bei der Verleihung von Vorrechten an die Innungen an die Stelle der Regierungspräsidenten zu treten hätten. Ausserdem müssten diese Handwerkskammern bei der Entscheidung über den Befähigungsnachweis, bei der Abgrenzung vnn Handwerks- und Fabrikbetrieben, bei der Feststellung der „verwandten'Gewerbe und bei der Bestellung gerichtlicher Sachverständiger mitwirken. Alljährlich hätten die Handwerkskammern Vertreter zu den „Provinzial-Handwerkerkammertagen" zu entsenden, die von den Ober-Präsidenten zu berufen seien. Den breitesten Baum nahmen bei den Besprechungen die Erörterungen über den B e f ä h i g u n g s n a c h w e i s ein. Seine Wiedereinführung habe den Vertretern der Handwerkerbewegung stets als die wichtigste, als eine „Lebensfrage'' gegolten. Der Befähigungsnachweis sei vor Allem ein unbedingt nothwendiger Schutz gegen die Macht des Grosskapitals, gegen ein Hinübergreifen der Spekulanten in die Sphäre des Handwerkers. Man solle wenigstens einen Anfang machen bei den Arbeiten, deren mangelhafte Ausführung Leben oder Gesundheit gefährden; dann würde das Verlangen nach a l l g e m e i n e r gesetzlicher Einführung bald ein „geradezu stürmisches" werden.1) Im Zusammenhang mit dem Befähigungsnachweis stehe die Wiedereinführung der obligatorischen Innungen. — ') Für den B e f ä h i g u n g s n a c h w e i s im B a u g e w e r b e wurden von dem Vertreter der Bauhandwerker „im Namen von etwa 5000 durch ihn vertretenen selbständigen Baugewerksmeister" folgende Vorschläge gemacht: 1. Der Befähigungsnachweis zum selbständigen Betriebe des Maurer-, Zimmererund Steinmetzgewerbes, welche als „Baugewerbe" und als miteinander „verwandte Gewerbe" zu bezeichnen sind, wird obligatorisch eingeführt. Eine theoretische and praktische Prüfung ist abzulegen. Die theoretische Prüfung muss sich auch auf den Nachweis allgemeiner Kenntnisse in den verwandten Gewerben beziehen. 2. Wer durch eine Prüfung nach ordnungsmässig zurückgelegter Lehrlingsund Gesellenzeit in einem der drei Gewerbe seine Befähigung nachgewiesen hat, ist berechtigt, ohne dass er eine zweite Lehrzeit nachweist, auch in den verwandten Gewerben sein Meisterexamen abzulegen. Lehrlinge jedoch darf derselbe, auch wenn er eine oder mehrere Prüfungen gemacht hat, nur in dem Gewerbe ausbilden, welches er selbst praktisch erlernt h a t Kleinere Arbeiten, wobei nicht Feuerungsanlagen vorkommen und wozu eine baupolizeiliche Genehmigung nicht erforderlich ist, unterliegen den Bestimmungen zu 1 nioht, wenn die Arbeiten nur von dem Unternehmer selbst oder von ihm mit Unterstützung eines einzigen Gehülfen ausgeführt werden. 3. Die Prüfungs - Kommissionen bestehen aus geprüften Meistern; jeder Prüfungs-Kommission wird ein Staats-Kommissar beigeordnet. Die Innungen haben das Recht, Vorschläge für die Mitglieder der Prüfungs-Kommissionen zu machen. Die Bestätigung derselben erfolgt durch die Regierungen. Einer so gebildeten Prüfungs-Kommission sind grössere Bezirke für ihren Wirkungskreis zu unterstelle!. 4. Wer bei einer Staatsbehörde im Deutschen Reich ein Examen, sei es für die private Ausübung des Baugewerbes, sei es für den Staatsbaudienst abgelegt und bestanden hat, ferner, wer länger als drei Jahre vor Erlass dieses Gesetzes sein Gewerbe ordnungsmässig betrieben hat, ingleichen derjenige, welcher auf Gruni des bestätigten Innungsstatuts der Innung bis zum Erlass dieses Gesetzes beigetreten ist, soll durch dasselbe nicht berührt werden.

503 Die Reichsregierung wies zwar den Gedanken der obligatorischen Innung und des Befähigungsnachweises zurück, erkannte aber die Klagen über die Missstände im Lehrlingswesen und über den Mangel einer wirksamen Vertretung der Interessen des Handwerks als berechtigt an. Sie erklärte sich auch bereit, zur Abhilfe dieser Klagen mitzuwirken und darauf abzielende Gesetzentwürfe vorzubereiten. A l s erste Frucht der darauf vom Reichsamt des Innern im Verein mit dem Preussischen Handelsministerium sofort eingeleiteten und mit allem Nachdruck betriebenen Vorarbeiten sind die „ V o r schläge f ü r die O r g a n i s a t i o n des H a n d w e r k s und die R e g e l u n g d e s L e h r l i n g s w e s e n s im H a n d w e r k " anzusehen, die unterm 15. August 1 8 9 3 von dem Handelsminister F r e i h e r r n v o n B e r l e p s c h den Oberpräsidenten zum Bericht übersandt und auch im Reichs- und Staatsanzeiger veröffentlicht wurden, 2 ) um allen betheiligten Kreisen Gelegenheit zur Meinungsäusserung zu geben. Diese Vorschläge — die übrigens nur das unverbindliche Ergebniss vorläufiger Erwägungen darstellen und im wesentlichen die Grundlage f ü r weitere Erörterungen abgeben sollten — gingen der ihnen beigegebenen „Erläuterung" zufolge davon aus, dass die Wünsche, welche seit Jahren nach einer anderen Regelung der das Handwerk betreffenden gesetzlichen Vorschriften laut geworden seien, insofern der Berechtigung nicht entbehrten, als sie auf die korporative Zusammenfassung des Handwerks zur Vertretung seiner Interessen und die Beseitigung der auf dem Gebiet des Lehrlingswosens vorhandenen Missständo gerichtet seien. Dagegen habe die Forderung, den Betrieb eines Handwerks von dem Erbringen eines BefähigungsnachAlle anderen Gewerbetreibenden, soweit sie nicht bereits geprüfte Meister sind, haben nachträglich den Befähigungsnachweis zu führen. Von dem Ausfall der Prüfung hängt die Berechtigung zum ferneren selbständigen Betriebe ab. Die Lehrlinge dieser eventuell als nicht qualifizirt befundenen Gewerbetreibendon werden erforderlichenfalls seitens der Innungen und falls solche nicht an dem Ort vorhanden sind, von den Ortsbehörden geeigneten Meistern zugewiesen. 5. Die Ablegung einer Prüfung soll die Berechtigung zur Führung des betreffenden Meistertitels gewähren. (!. Kandidaten mit Keifezeugniss einer vierklassigen Baugewerkschule, deren Hinrichtungen den Bestimmungen der Staatsbehörden und den Beschlüssen der dazu berufenen Korporationen des Bauhandwerks entsprechen, sollen gewisse Erleichterungen und Kürzungen in der theoretischen Prüfung erhalten. — ') Siehe die Antwort des Staatssekretärs Dr. von B ö t t i c h e r in der Keichstagssitzung vom 24. November 1891 auf die Interpellation des Abgeordneten Hitze und Genossen vom 18. November 1891, betreffend die gesetzgeberischen Massnahmen, die auf Grund der Verhandlungen mit Vertretern des Centraiausschusses der vereinigten Iniiungsverbünde Deutschlands und des Allgemeinen deutschen Ilaudwerkerbundes in München von den verbündeten Regierungen zur Hebung des Handwerkerstandes beabsichtigt sind. D r u c k s , des Reichstags, Session 1890/92, Xo. 527; Stenogr.-Ber. S. 3019 ff. — Siehe auch ober. S. -188 und die Kede des Preussischen Haudelsmiuisters v o n B e r l e p s c h in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 20. Februar 1892. Stenogr. Ber. S. 394. — '-) Erste Beilage zum D e u t s c h e n B o i c h s - u n d K ö n i g l . P r e u s s i s c h e n S t a a t s a n z e i g e r vom 18. August 1893, No. 197.

504 weises abhängig zu machen, nach wie vor als mit der gegenwärtigen Gestaltung des Erwerbslebens unvereinbar und daher unerfüllbar erscheinen müssen. Mit den Vorschlägen sollte daher nur der Zweck verfolgt werden, dem Handwerk eine korporative Organisation zu geben und auf eine bessere Gestaltung des Lehrlingswesens hinzuwirken. Durch die beabsichtigte Regelung sollten blos das Handwerk und die diesem gleich zu achtenden Kleinbetriebe, nicht auch der Grossbetrieb, getroffen werden. Die Grundlage für dio geplante Organisation stellten die F a c h g e n o s s e n s c h a f t e n dar, die alle in Frage kommenden Gewerbetreibenden in einem örtlichen Bezirk ohne Erfüllung bestimmter Voraussetzungen kraft Gesetzes umfassen und als Korporationen im Wesentlichen für alle Fachgenossen diejenigen Aufgaben erfüllen sollten, dio bisher den Innungen für den beschränkten Kreis ihrer Mitglieder zugewiesen waren und unter denen die Regelung des Lehrlingswesens dio erste Stelle einnahm. Obwohl die Mitglieder der Innungen hiernach künftig den Fachgenossenschaften anzugehören hatten, so wollten doch die „Vorschläge" den Fortbestand der I n n u n g e n und die Weiterbildung ihrer Bestrebungen nicht gefährden; es wurde vielmehr erwartet, dass nach wie vor sich diejenigen Elemente in der Innung zusammenfinden würden, welche in einem ausgedehnteren Bildungsgange die alleinige Gewähr für die Erhaltung und gedeihliche Entwicklung des Handwerks erblickten und weiteren Anforderungen freiwillig genügen wollten. Auch würden sich die Innungen, da ihnen wirtschaftliche Aufgaben vorbehalten blieben, mehr wie bisher der Ausbildung des Genossenschaftswesens zuwenden und durch Errichtung von Darlehenskassen, Rohstoffassoziationen u. s. w. einem in weiten Kreisen des Handwerks empfundenen Bedürfniss Rechnung tragen können. Die Fachgenossenschaften sollten in Handwerkskammern zusammengefasst werden, denen die Aufgabe zugedacht war, einerseits die Interessen des Kleingewerbes der Allgemeinheit gegenüber zu vertreten und andererseits die Durchführung der den Fachgenossenschaften und Innungen zufallenden Aufgaben zu sichern. Die Vorschläge für die R e g e l u n g des L e h r l i n g s w e s e n s gingen von der Auffassung aus, dass auf diesem Gebiet tatsächlich Missstände vorlägen, deren Beseitigung das öffentliche Interesse verlange. Zu diesem Zwecke sollte für die technische Ausbildung und insbesondere auch für die sittliche Erziehung der Lehrlinge eine grössere Gewähr geboten und deshalb neben einer Beschränkung der Befugniss zum Anleiten von Lehrlingen eine Bestimmung vorgesehen werden, wonach Personen, bei denen die Ausbildung und Erziehung des Lehrlings gefährdet erscheine, das Recht zum Halten und Anleiten von Lehrlingen entzogen werden kann. Eine zum Schluss der Lehrzeit vorgesehene Lehrlingsprüfung sollte vornehmlich erziehlich wirken und nur den Nachweis liefern, dass der Lehrling

505 seine A u s b i l d u n g s z e i t g e w i s s e n h a f t meister über

seinen

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an

Nachtheil

der

Lehr-

Vorschriften die

Nicht-

geknüpft

d e m n a c h b e s t i m m t w e r d e n , dass derjenige, w e l c h e r sie n i c h t

und

abgelegt

habe, mindestens drei J a h r e das H a n d w e r k selbständig betrieben haben müsse, ehe e r L e h r l i n g e a n l e i t e n darf. den B e t r i e b

des G e w e r b e s

sollte

Ein Befähigungsnachweis für

die L e h r l i n g s p r ü f u n g

nicht sein.

Schliesslich enthielten die V o r s c h l ä g e n o c h eine B e s t i m m u n g , w o n a c h H a n d w e r k e r n u r dann den M e i s t e r t i t e l eine Gesellen- und eine M e i s t e r p r ü f u n g wurde

bezweckt,

den

Inhaber

t e r e s s e des P u b l i k u m s , und

als

solchen

technische wohne.

zu

Befähigung

nach

des

aussen

kennzeichnen, die

f ü h r e n durften, bestanden

Gewerbebetriebes, hin

in

Beziehung

Lehrlinge

sie

Hiermit

auch

als g e l e r n t e n

dem

Befugniss,

wenn

haben.

im

In-

Handwerker auf

anzuleiten,

seine bei-



N a c h diesen a l l g e m e i n e n V o r b e m e r k u n g e n wichtigsten B e s t i m m u n g e n

der

folgen n u n m e h r die

,,Vorschläge":

A. V o r s c h l ä g e f ü r die O r g a n i s a t i o n des H a n d w o r k s . Zur Wahrnehmung der Interessen des Kleingewerbes sind Fachgenossenschaften und Handwerkskammern zu errichten. Die Errichtung der Fachgenossensehaften erfolgt innerhalb der Bezirke der Handwerkskammern. Die Abgrenzung dieser Bezirke wird nach Anhörung beteiligter Gewerbetreibender von der Landeseentralbehörde bestimmt. Faehgenossens chatten. I. Z u s t ä n d i g k e i t : Mit Ausnahme des Handels und der in §§ 29 bis 30, 31 bis 37 der Gewerbeordnung aufgeführten Gewerbe, aber einschliesslich des Musikergewerbes, soweit es höhere künstlerische Interessen nicht verfolgt, gehören den Fachgenossenschaften alle Gewerbetreibenden an, welche ein Handwerk betreiben oder regelmässig nicht mehr als 20 Arbeiter beschäftigen. Durch Beschluss des Bundesraths kann für bestimmte Gewerbe die Beschäftigung einer geringeren Zahl von Arbeitern als Grenze festgesetzt werden. Durch Beschluss des Bundesraths können bestimmte Gewerbe von der Zugehörigkeit zu den Fachgenossenschaften ausgenommen werden. Der Beschluss kann auch für örtlich begrenzte Bezirke erlassen werden. II. E r r i c h t u n g : Die Fachgenossenschaften sind, soweit einzelne Gewerbszweige im Bezirke der Handwerkskammer hinreichend stark vertreten sind, für diese, soweit dies nicht der Fall, für mehrere Gewerbszweige unter thunlichster Berücksichtigung der verwandten Gewerbe zu bilden. Die Bildung der einzelnen Fachgenossenschaft erfolgt in ähnlicher "Weise wie die Bildung der Berufsgenossenschaften bei der Unfallversicherung. Jeder Gewerbtreibende gehört kraft Gesetzes der Genossenschaft seines Faches an. Gewerbtreibende, in deren Betrieb mehrere Gewerbszweige vereinigt sind, sind der Fachgenossenschaft ihres Hauptgewerbszweiges zuzuweisen. III. S t a t u t : Die Fachgenossenschaften regeln ihre innere Verwaltung sowie ihre Geschäftsordnung durch ein von der Generalversammlung ihrer Mitglieder zu beschliessendes Statut. Das Statut bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde.

506 IV. O r g a n e : Dem Vorstand liegt die gesatnmte Verwaltung der Faehgenossensehaft und die Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Befugnisse ob, soweit nicht einzelne Angelegenheiten durch Gesetz oder Statut der Beschlussnahme der Generalversammlung vorbehalten oder besonderen Ausschüssen übertragen sind. Der ßeschlussnahme der Generalversammlung sind vorbehalten: 1. die Wahl der Mitglieder des Vorstandes und der Ausschüsse, 2. die Wahl der Mitglieder der Handwerkskammer, 3. die Festsetzung des Etats, die Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung, die Bewilligung von Ausgaben, welche nicht im Etat vorgesehen sind, 4. Abänderungen des Statuts. V. A u f g a b e n : a. o b l i g a t o r i s c h e . Aufgabe der Fachgenossenschaften ist: 1. die Pflege des Gemeingeistes, sowie die Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehro unter den Genossen, 2. die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen, sowie die Fürsorge für das Herbergswesen der Gesellen und für die Nachweisung von Gesellenarbeit, 3. die nähere Regelung des Lehrlingswesens und die Fürsorge für die technische, gewerbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge, der Erlass von Vorschriften über das Verhalten der Lehrlinge, die Art und den Gang ihrer Ausbildung, die Form und den Inhalt der Lehrverträge, sowie über die Verwendung von Lehrlingen ausserhalb des Gewerbes, 4. die Entscheidung über diu zwischen den Mitgliedern der Fachgenossensohaft und ihren Lehrlingen entstehenden Streitigkeiten, welche sich auf den Antritt, die Fortsetzung oder Aufhebung des Lehrverhältnisses, auf die gegenseitigen Luistungen aus demselben, auf die Ertheilung odur den Inhalt der Arbeitsbücher oder Zeugnisse beziehen, 5. die Bildung von Prüfungsausschüssen f ü r einzelne Gewerbe oder Gewerbegruppen zu dem Zwecke, Lehrlinge und Gesollen auf ihren Antrag einer Prüfung zu unterziehen und über den Erfolg derselben ein Zeugniss auszustellen. b. F a k u l t a t i v e : Die Fachgenossenschaften sind befugt.: 1. Veranstaltungen zur Förderung der gewerblichen, technischen und sittlichen Ausbildung der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge zu treffen und Fachschulen zu errichten und zu leiten, 2. über den Besuch der von ihnen errichteten Fortbildungs- und Fachschulen Vorschriften zu erlassen, soweit dieser Besuch nicht durch Statut oder Gesetz geregelt ist. Die Vorschriften der Fachgenossenschaften, welche auch f ü r einzelne Gewerbe erlassen werden können, unterliegen der Genehmigung der Handwerkskammer und dürfen deren Vorschriften und Beschlüssen nicht zuwiderlaufen. Die nähere Regelung der Prüfungen erfolgt, durch eine Prüfungsordnung, welche von der Fachgenossenschaft zu besehliessen ist und der Genehmigung der Handwerkskammer bedarf. VI. A u f s i c h t : Die Fachgenossenschaften sind der Aufsicht der Handwerkskammer unterstellt.. Die Handwerkskammer kann sich der Fachgenossenschaften als ihrer Organe bedienen. VII. G e h i l f e n a u s s e h u s s . a) E r r i c h t u n g : Die bei den Mitgliedern der Faehgenossensehaft beschäftigten Arbeiter wählen den Gehiilfenausschuss. Zur Theilnahme an der Wahl sind diejenigen Arbeiter berechtigt, welche a) sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, b) das 21. Lebensjahr zurückgelegt haben, c) seit länger als einem halben Jahre im Bezirk der Faehgenossensehaft beschäftigt sind und während mindestens der Hälfte dieses Zeitraums bei Mitgliedern derselben in Arbeit stehen.

507 Wählbar ist jeder Arbeiter, welcher a) sich im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befindet, b) das 30. Lebensjahr vollendet hat, «.•) in dem der Wahl vorangegangenen J a h r e f ü r sich oder seine Familie ans öffentlichen Mitteln Armenunterstiitzung nicht empfangen oder die empfangene Arrnenuntcrstützung erstattet hat, d) seit mindestens 2 Jahren im Bezirk der Fachgenossenschaft beschäftigt ist und während dieser Zeit länger als ein J a h r bei Mitgliedern der Fachgenossenschaft in Arbeit gestanden bat. b) Z u s t ä n d i g k e i t : Der Gehilfenausschuss ist berechtigt zur Mitwirkung bei Kegelang der Lehrlingsverhültnisse, der Abnahme der Gesellenprüfungen, der Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedern der Fachgenossensehaft und ihren Lehrlingen, sowie bei der Begründung und Verwaltung aller Einrichtungen, welche die Interessen der Gehülfenschaft berühren. Seine Mitglieder nehmen an der Berathung und Beschlussfassung der Fachgenossenschaften über die vorstehend bezeichneten Angelegenheiten mit vollem Stimmrecht tlieil. K o m m t ein Beschluss gegen die Stimmen seiner sämmtlichen Mitglieder zu Stande, so kann der Gehilfenausschuss mit aufschiebender AVirkung die Entscheidung der Handwerkskammer beantragen. Der Gehilfenausschuss ist ferner berechtigt, Antrüge bezüglich aller seiner Zugehörigkeit angehörenden Gegenstände bei der Fachgenossenschaft und der Handwerkskammer zu stellen, welche über dieselben zu beschliessen haben. Handwerkskammern. VIII. E r r i c h t u n g : Die Fachgenossenschaften wählen aus ihrer Mitte die Mitglieder der Handwerkskammer. Die Zahl der von den einzelnen Genossenschaften zu wählenden Mitglieder wird nach Anhörung Gewerbtreibender (Innungen, Gewerbevereine etc.) durch die höhere Verwaltungsbehörde bestimmt. Die Wahl erfolgt, auf sechs J a h r e ; je nach drei Jahren scheidet die Hälfte der Gewählten aus. Eine Wiederwahl ist. zulässig. Das Amt eines Mitgliedes der Handwerkskammern ist. ein Ehrenamt. Die Uchernahmo kann nur aus Gründen verweigert werden, aus denen die Wahl zum Beisitzer eines Gewerbegeriehts abgelehnt werden darf. J X . S t a t u t : Die Errichtung und der Geschäftsbetrieb der Handwerkskammer wird durah ein Statut geregelt, welches von dor höheren Verwaltungsbehörde zu genehmigen ist. Das Statut muss Bestimmungen über den Sitz der Handwerkskammer, die Wahl und Befugnisse des Vorsitzenden, die Art, der Berufung der Handwerkskammer, die Bildung und Befugnisse der Abtheilungen (Ausschüsse), die Anstellung des Sekretärs — dieser darf nicht Mitglied der Handwerkskammer sein —, die Vertheilung und Einziehung der Beiträge, das Kassen- und Rechnungswesen enthalten. X. A u f g a b e n , a. o b l i g a t o r i s c h e : Die Handwerkskammern haben: 1. die Aufsicht über die Fachgenossenschaften und Innungen ihres Bezirks zu führen, die Durchführung der f ü r das Lehrlingswesen geltenden Vorschriften in den Betrieben der zu den Fachgenossenschaften gehörenden Gewerbetreibenden zu beaufsichtigen; die durch das Gesetz auf dem Gebiet des Lehrlingswesens ihnen sonst übertragenen Obliegenheiten und Befugnisse wahrzunehmen. 4. bei der Ueherwachung der auf den Arbeiterschutz bezüglichen Bestimmungen der Gewerbeordnung mitzuwirken, T>. f ü r Arbeitnaehweis und Herbergswesen zu sorgen, ti. auf Ansuchen der Behörden Berichte und Gutachten über gewerbliche Fragen zu erstatten. b. f a k u l t a t i v e : Die Handwerkskammern sind b e f u g t : 1. Die zur Förderung des Kleingewerbes geeigneten Einrichtungen Massnahmen zu berathen und bei den Behörden anzuregen,

und

508 2. Veranstaltungen zur Förderung der gewerblichen, technischen und sittlichen Ausbildung der Gesellen, Gehälfen und Lehrlinge zu treffen und Fachschulen zu errichten. Die Handwerkskammern sind ferner befugt, Vorschriften zu erlassen: 1. über den Besuch der von ihnen errichteten Fach- und Fortbildungsschulen, soweit dieser Besuch nicht durch Statut oder Gesetz geregelt ist. 2. über die Anmeldung und Abmeldung der Gesellen, Geluilfen, Lehrlinge und Arbeiter bei den Fachgenossenschaften. Die Vorschriften können auch f ü r bestimmte Gewerbe erlassen wurden und bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. XI. K o m m i s s a r : Die Aufsichtsbehörde der Handwerkskammer wird durch die Landescentralbeliörde bestimmt. Für jede Handwerkskammer wird von der Landescentralbehörde ein Kommissar bestellt. Der Kommissar hat die Rechte eines Mitgliedes der Handwerkskammer; ein Stimmrecht steht ihm nicht zu. Er kann jederzeit von den Schriftstücken der Handwerkskammer Einsicht nehmen, Gegenstände zur Berathung stellen und die Einberufung von Sitzungen verlangen. Er hat das Recht, den Versammlungen der Fachgenossenschaftcu beizuwohnen. Der Kommissar kann die Beschlüsse der Handwerkskammer mit aufschiebender Wirkung beanstanden. Heber die Beanstandung entscheidet nach Anhörung der Handwerkskammer die höhere Verwaltungsbehörde. XII. K o s t e n : Die Kosten der Handwerkskammer werden, soweit sie in deren sonstigen Einnahmen keine Deckung finden, von den ihnen unterstehenden Fachgenossenschaften durch jährliche Beiträge nach Massgabe des Statuts aufgebracht. XIII. V e r t r e t e r d e r G e h ü l f e n : Bei der Berathung und Beschlussfassung der Handwerkskammer über diejenigen Gegenstände, auf welche sich die Zuständigkeit der Gehülfenausschüsse erstreckt (s. o. VII), nehmen Vertreter der Gehülfenschaft mit vollem Stimmrecht theil. Diese Vertreter werden von den im Bezirk der Handwerkskammer bestehenden Gehülfenausschüssen aus ihrer Mitte nach Massgabe des Statuts der Handwerkskammer gewählt. Kommt ein Beschluss der Handwerkskammer gegen die Stimmen sämmtlicher Vertreter der Gehülfenschaft zu Stande, so können die letzteren mit aufschiebender Wirkung die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde beantragen. Stellung der Innungen. XIV. Die den Innungen gesetzlich übertragenen Befugnisse werden insoweit aufgehoben, als sie sich über den Kreis der Innungsmitglieder erstrecken (§§ lOOe. f, ff. der Gewerbeordnung). Die von den Innungen erlassenen Vorschriften dürfen nicht im Widerspruch mit den Handwerkskammern und Fachgenossenschaften in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben getroffenen Bestimmungen und Anordnungen stehen. Die Innungen unterliegen der Aufsicht der Handwerkskammern. B. V o r s c h l ä g e f ü r d i e R e g e l u n g d e s L e h r l i n g s w e s e n s im Handwerk. 1. B e f u g n i s s z u m H a l t e n u n d A n l e i t e n von L e h r l i n g e n , a) Die Befugniss, Lehrlinge zu halten oder anzuleiten, steht solchen Personen nicht zu. welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden oder infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind. b) Die Befugniss zur Anleitung von Lehrlingen steht nur denjenigen Personen zu, welche 1. das 24. Lebensjahr vollendet und 2. entweder in dem Handwerk, in dem die Ausbildung der Lehrlinge erfolgen soll oder in einem gleichartigen Fabrikbetriebe eine ordnungs-

509 massige Lehrzeit zurückgelegt und im Anschluss daran eine Gesellenprüfung bestanden haben oder mindestens drei Jahre hindurch jenes Handwerk selbständig betrieben haben. Nach näherer Bestimmung der Landescentralbehörde wird die Zurücklegung der ordnungsmässigen Lehrzeit durch den Besuch einer staatlich anerkannten Lehrwerkstätte und die Ablegung der Gesellenprüfung durch das Pnifungszeugniss dieser Lehrwerkstätte ersetzt. Dem selbständigen Betriebe des Handwerks wird die Leitung des Betriebes oder eines Betriebszweiges in einer Fabrik gleichgeachtet. Der Leiter eines Betriebes, in dem mehrere Handwerke vereinigt sind, ist befugt, in allen zu dem Betriebe vereinigten Handwerken Lehrlingen anzuleiten, wenn er für eines dieser Handwerke den Voraussetzungen unter 2 entspricht. - Wer für einen gesondert betriebenen Zweig eines Handwerks deu Voraussetzungen unter 2 entspricht, ist berechtigt, auch in den übrigen Zweigen dieses Handwerks Lehrlinge anzuleiten. Wer für ein Handwerk den Voraussetzungen unter 2 entspricht, ist berechtigt, auch in den diesen verwandten Handwerken Lehrlinge anzuleiten. Welche Handwerke als verwandte Handwerke zu gelten haben, wird für den Bezirk der Handwerkskammer von dieser nach Anhörung der betheiligten Fachgenossenschaften mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde festgestellt. Der Bundesrath ist befugt, hinsichtlich einzelner Gewerbezweige Ausnahmen zuzulassen. LI. L e h r z e i t : Die ordnungsmässige Lehrzeit soll nicht unter 3 und nicht über 5 Jahre dauern. Der Bundesrath ist befugt, hinsichtlich einzelner Gewerbezweige Ausnahmen hiervon zuzulassen. Die Lehrzeit wird innerhalb der angegebenen Grenzen durch die Handwerkskammer nach Anhörung der Fachgenossenscliaft festgesetzt. Die Handwerkskamme)- ist befugt, im einzelnen Falle Ausnahmen zuzulassen. IIL. L e h r v e r t r a g : Der Lehrvertrag ist schriftlich abzufassen und auf Verlangen in einem Exemplar der Fachgenossenschaft zur Einsicht vorzulegen. Nichtbefolgung dieser Verpflichtung ist strafbar. IV. G e s e l l e n p r ü f u n g : Die Gesellenprüfung erfolgt durch die Innung oder durch einen Prüfungsausschuss der Fachgenossenschaft; ist diese seiner Zusammensetzung nach hierzu nicht geeignet (gemischte Fachgenossenschaft), so erfolgt die Prüfung durch eine von der Handwerkskammer aus Fachgenossen zu berufende Prüfungskommission. Der Prüfung hat ein von der Aufsichtsbehörde bestellte]' Kommissar beizuwohnen, welcher den Beschluss der Prüfungskommission mit aufschiebender Wirkung beanstanden kann. Ueber die Beanstandung beschliesst die Handwerkskammer. Die Prüfung hat sich auf den Nachweis zu beschränken, dass der Lehrling eingehende Kenntniss der im fraglichen Handwerk allgemein gebräuchlichen Handgriffe besitzt, diese mit genügender Sicherheit ausübt und über das Wesen und den Werth der zu verarbeitenden Rohmaterialien unterrichtet ist. Wird die Prüfung nicht bestanden, so hat die Prüfungskommission gleichzeitig den Zeitraum zu bestimmen, vor dessen Ablauf die Prüfung nicht wiederholt werden darf. V. E n t z i e h u n g d e r B e f u g n i s s z u m H a l t e n und A n l e i t e n d e r L e h r l i n g e : Die Befugniss, Lehrlinge zu halten oder anzuleiten, kann solchen Personen überhaupt oder für bestimmte Zeit untersagt werden, welche sich grober Pflichtverletzungen gegen die ihnen anvertrauten Lehrlinge schuldig gemacht haben, oder gegen welche Thatsachen vorliegen, welche sie in sittlicher Beziehung zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen ungeeignet erscheinen lassen. In gleicher Weise kann die Befugniss zur Anleitung von Lehrlingen solchen Personen untersagt werden, welche wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen die sachgemässe Unterweisung und Erziehung eines Lehrlings nicht selbständig zu leiten vermögen.

510 Die Untersagung wird auf Antrag der Facligenossensclmft oder der Ortspolizeibehörde, im letzteren Falle nacli Anhörung der Fachgenossenschaft, durch die Handwerkskammer verfügt Durch diu Landescentralbehörde oder eine von ihr zu bestimmende Behörde kann die entzogene Befngnias zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen nach Ablauf eines Jahres wieder eingeräumt werden. VI. Zahl d e r L e h r l i n g e : Durch den Bundesrath können für bestimmte Handwerke Vorschriften über die zulässige Zahl von Lehrlingen im Verhältnis* zu den in einem Betriebe beschäftigten Geseilten erlassen werden. So lange solche Vorschriften nicht erlassen sind, sind die Handwerkskammern zu deren Erlass mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde befugt VII. L e h r v e r h ä l t n i s s : Bei Arbeitern unter 17 Jahren, welche mit technischen Hülfsleistungen nicht lediglich ausnahmsweise oder vorübergehend beschäftigt werden, gilt die Vermuthung, dass sie in einem Lehrverhältniss stehen. Im Uebrigen ist die Frage, ob ein solches vorliegt, nach den Umständen des einzelnen Falles zu entscheiden. Ein solches Verbältniss kann auch dann angenommen werden, wenn ein schriftlicher Lehrvertrag nicht abgeschlossen oder im Arbeitsvertrag vereinbart worden ist, dass das Verhältniss als ein Lehrverhältniss nicht gelten soll. Ist durch rechtskräftiges Erkenntniss festgestellt, dass ein Lehrlingsverhältniss vorliegt, und kommt der Lehrherr der Aufforderung der Fachgenossenschaft, den Lehrvertrag schriflich abzuschliessen, nicht nach, oder ist eine gerichtliche Bestrafung des Lehrherrn wegen des unbefugten Haltens von Lehrlingen erfolgt, so ist die Entlassung des Lehrlings auf Antrag der Fachgenossenschaft l>olizeilich zu verfügen. C. M e i s t e r t i t e l . Wer den selbständigen Betrieb eines Handwerks anfängt, darf den Meistertitel nur führen, wenn er eine Gesellen- und eine Meisterprüfung eines Handwerks bestanden hat. Die Meisterprüfung kann vor einer Innung, vor einer Fachgenossenschaft oder vor einer von der Handwerkskammer aus Fachgenossen bestellten Prüfungs-Kommission abgelegt werden. Vorsitzender ist in jedem Fall ein von der Aufsichtsbehörde zu bestellender Kommissar. Die Prüfung darf sich nur auf den Nachweis der Befähigung zur selbständigen Ausführung der gewöhnlich vorkommenden Arbeiten des Gewerbes oder Gewerbezweigs und auf das Vorhandensein der zum selbständigen Betriehe des Gewerbes nothwendigen gewerblichen Kenntnisse erstrecken. (Bach- und Rechnungsführung.) Die unbefugte Führung des Meistertitels ist strafbar. Von diesen Vorschlägen fanden diejenigen über die Regelung des Lehrlingswesens in weiten Kreisen Zustimmung, diejenigen über die Bildung von Handwerkskammern keinen grundsätzlichen W i d e r spruch. Dagegen begegneten die „Fachgenossenschaften" nur wenig Sympathieen, namentlich niciit bei den Vertretern des „korporirten Handwerks", die den weiteren Ausbau der Organisation auf der Grundlage der bestehenden Innungen, mit Zwangsinnung und Befähigungsnachweis, anstrebten. Die Regierung entschloss sich daher, vor weiterem Vorgehen auf dem betretenen W e g e zunächst noch statistische E r h e b u n g e n anzustellen, um ein Urtheil über die thatsächliche Durchführbarkeit einer allgemeinen örtlichen Organisation des Handwerks zu gewinnen 1 ) und Kommissare nach Oesterreich ') E r h e b u n g ü b e r V e r h ä l t n i s s e im Handwerk, veranstaltet iu Sommer 1895, bearbeitet im Kaiserl. Statistischen Amt, Heft 1—3; Berlin 1895 u. 1896.

511 zu entsenden, um über die daselbst bestehende fachliche Organisation des Handwerks, die Art ihrer Durchführung, die hierbei hervorgetretenen Schwierigkeiten und Mängel und die im Uebrigen seit ihrer Einführung gesammelten Erfahrungen an Ort und Stelle Erkundigungen einzuziehen. Mit Hülfe des auf diese Weise gesammelten umfassenden Materials sollten dann neue Gesetzesvorschläge ausgearbeitet werden. Um aber bei den weiter zu treffenden Massnahmen und zu fassenden Entschlüssen nicht blos auf die Unterstützung der Innungen und Gewerbevereine angewiesen zu sein, die nur einen verhältnissmässig geringen Theil der Handwerker umfassten, sondern den Beirath möglichst aller Kreise der Betheiligten zur Verfügung zu haben, wollte die Reichsregierung vorweg die Handwerkskammern errichten. Sie legte deshalb dem Reichstage unterm 3. Dezember 1895 den „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Errichtung von Handwerkskammern" vor1), dessen grundlegender § 1 lautete: „Zur Vertretung der Interessen des Handwerks sind Handwerkskammern zu errichten. Den Handwerkskammern liegt insbesondere ob: 1. bei der Organisation des Handwerks mitzuwirken, insbesondere über die örtliche Gliederung der Organisation sich gutachtlich zu äussern; 2. die Staats- und Gemeindebehörden in der Förderung des Handwerks durch thatsächliche Mittheilungen und Erstattung von Gutachten über Fragen, welche die Verhältnisse des Handwerks berühren, zu unterstützen; 3. Jahresberichte über ihre Thätigkeit und über ihre die Verhältnisse des Handwerks betreffenden Wahrnehmungen zu erstatten; 4. Wünsche und Anträge, welche die Verhältnisse des Handwerks berühren, zu berathen und den Behörden vorzulegen. Die Handwerkskammern sollen in allen wichtigen, die Gesammtinteressen des Handwerks berührenden Angelegenheiten gehört werden." Die Bezirke der Handwerkskammern sollten von der Gentraibehörde festgestellt werden. Zu Mitgliedern der Handwerkskammern sollten gewählt werden können Personen, welche ein Alter von mindestens 30 Jahren haben und im Bezirk der Handwerkskammer ein Handwerk seit mindestens drei Jahren selbständig betreiben. Wähler sollten alle Reichsangehörigen sein, welche das 25. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens einem Jahre in dem Bezirk der Handwerkskammer ein Handwerk selbständig betreiben. Durch das ') Drucks, des Reichstags, IV. Session 1895/96, Nr. 17, E r s t e B e r a t h u n g , Stenogr. Ber. S. 155 ff. — Siehe auch die Reden des Staatssekretäre von B o t t i c h e r und des Preuss. Handelsministers F r e i h e r r n v o n B e r l e p s c h in den Reichstagssitzungen am 14. und 15. Janaar 1895, Stenogr. Ber. S. 335, 347, 357.

512 Statut sollte den Innungen, deren Sitz sich im Bezirk der Handwerkskammer befindet, die Berechtigung beigelegt werden, einen im Statut näher zu bestimmenden, ihrer Bedeutung für den Handwerkskammerbezirk entsprechenden Theil der Mitglieder der Handwerkskammer 211 wählen; eine besondere Wahlberechtigung sollte durch das Statut auch sonstigen Vereinigungen von Handwerkern beigelegt werden können. Die Handwerkskammer sollte berechtigt sein, sich nach näherer Bestimmung des Statuts bis zu einem Fünftel ihrer Mitgliederzahl durch Zuwahl von sachverständigen Personen zu ergänzen, zu ihren Verhandlungen Sachverständige mit berathender Stimme zuzuziehen, Ausschüsse aus ihrer Mitte zu bilden und sie mit besonderen regelmässigen oder vorübergehenden Aufgaben zu betrauen. Für jede Handwerkskammer sollte von der höheren Verwaltungsbehörde als Aufsichtsinstanz ein Kommissar bestellt werden, mit dem Rechte, jederzeit von den Schriftstücken der Handwerkskammer Einsicht zu nehmen, den Verhandlungen beizuwohnen, Gegenstände zur Berathung zu stellen und die Einberufung der Handwerkskammer oder ihrer Ausschüsse zu verlangen. Dieser Gesetzentwurf fand im Reichstage keine günstige Aufnahme, nicht nur, weil er sachlich nicht befriedigte, sondern mehr noch, weil man von seiner Annahme eine Verschleppung der endgültigen Organisation des Handwerkerstandes befürchtete. Er blieb in der Kommission, der er nach der ersten Berathung überwiesen wurde, unerledigt liegen. Die Stimmung der Mehrheit des Reichstags kam dagegen in folgendem Antrag zum Ausdruck, den die Abgeordneten Hitze u. Gen. in der betreffenden Kommission stellten: Die Kommission wolle beschliessen, dem Reichstage folgende Resolution zu empfehlen: In Erwägung, dass 1. eine erspriessliche Thätigkeit der Handwerkerkammern nur dann zu erwarten ist, wenn dieselben sich auf einem beruflich und örtlich gegliederten Unterbau aufbauen; dass 2. die gesetzliche Regelung des Lehrlings- und Gesellenwesens und die Schaffung einer entsprechenden obligatorischen Organisation zur Durchführung derselben einerseits ohue vorherige Bildung und Anhörung von Handwerkerkammern erfolgen kann, andererseits dringend nothwendig ist; dass 3. eine Anhörung der Betheiligten, soweit eine solche zur Durchführung der Organisation im Einzelnen erforderlieh erscheint, auch direkt oder durch gewählte Vertrauensmänner möglich ist, unter Ablehnung des Gesetzentwurfs, betreffend die Errichtung von Handwerkskammern, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, thunlichst bald, jedenfalls innerhalb dieser Session, einen entsprechenden Gesetzentwurf auf Grundlage der „Grundzüge eines Gesetzes, betreffend die Errichtung von Handwerkskammern" des Preussischen

513 Ministers für Handel und Gewerbe, Herrn Freiherrn von Berlepsch, unter möglichster Berücksichtigung der bezüglichen Beschlüsse der Handwerkertage zu Berlin (1894) und Halle (1895) auszuarbeiten und dem Reichstage vorzulegen.1) — Nach Abschluss der oben angeführten Ermittelungen und Er') Die in diesem Antrage erwähnten ,,Grundzüge", und zwar nicht bloss zu einem Gesetz für die Handwerkskammern, sondern zu einem Gesetz über die ganze Organisation des Handwerks waren von dem Handelsminister Freiherrn von Berlepsch auf Grund der Berichte der Behörden und der öffentlichen Kritik über seine früher veröffentlichten ,,Vorschläge" (siehe oben S. 503 ff.) ausgearbeitet und zwischen Kommissaren des Ministers und Vertretern von Innungsverbänden, Innungsausschüssen und den Hanseatischen Gewerbekammern in einer zu Berlin in der Zeit vom 29. bis 31. Juli 1895 abgehaltenen Konferenz besprochen worden. Diese .,Grundzüge" sahen Fachinnungen, Innungsausschüsse und Handwerkskammern vor. Der InnuDg sollte kraft Gesetzes angehören jeder Handwerker, der sein Handwerk in ihrem Bezirke selbständig betreibt, und der Regel nach Gesellen oder Lehrlinge beschäftigt; dagegen sollten Handwerker, die der Regel nach ohne Hülfskräfte arbeiten, sowie die in Grossbetrieben beschäftigten Werkmeister zum Beitritt berechtigt sein. Bei jeder Innung wird ein Gesellenausschuss errichtet, dessen Mitglieder bei der Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Innungsmitgliedern und ihren Gesellen, bei der Abnahme von Gesellenprüfungen, sowie bei Begründungund Verwaltung aller Einrichtungen, für die die Gesellen Beiträge entrichten oder eine besondere Mühewaltung übernehmen, oder die zu ihrer Unterstützung bestimmt, sind, mitzuwirken haben. Die Innungsausschüsse sollten bestehen aus a) Vertretern der Innungen, die ihren Sitz innerhalb des Ausschussbezirks haben und b) einer entsprechenden Anzahl von Vertretern derjenigen Handwerker dieses Bezirks, die einer Innung angehören würden, wenn für ihr Handwerk eine solche bestände. Die Berufung der Vertreter zu b sollte nach näherer Bestimmung des Statuts durch die Vertretungen der Gemeinden und weiteren Kommunalverbände des Ausschussbezirks erfolgen. Auch bei jedem Innungsausschuss ist ein Gesellenausschuss zu errichten. Für jede Provinz oder Theile einer solchen sind Handwerkskammern zu errichten, deren Mitglieder von den Innungsausschüssen aus ihrer Mitte gewählt werden; von der Gesammtzahl fällt den Innungen des Bezirks mindestens die Hälfte zu. Organe der Handwerkskammer sind der geschäftsführende Auaschuss, der Vorstand, die Gesammtvertretung. Bei der Handwerkskammer ist ebenfalls ein Gesellenausschuss zu bilden, der aus der Wahl der Gesellenausschüsse des Kammerbezirks hervorgeht. Bei dem Innungsausschuss ist ein behördlicher Kommissar zu> bestellen, bei der Handwerkskammer ein Sekretär anzustellen. Die Bestimmungen, über das Lehrlingswesen deckten sich in der Hauptsache mit den früheren Vorschlägen. Der Schutz des Meistertitels war ebenfalls wieder vorgesehen. — Ausser diesen „Grundzügen" war den Vertretern auch „der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Errichtung von Handwerkskammern" vorgelegt worden. Die Handwerksvertreter vermissten zunächst den „Befähigungsnachweis" und ferner die Berücksichtigung der „Innungsverbände." Man beschloss, an ersterem trotz des Widerspruchs der Regierung unverändert festzuhalten und die Innungsverbände als ein selbständiges viertes Element in der Organisation des Handwerks anzuerkennen und demgemäss neben den Innungen, Innungsausschüssen und Handwerkskammern in die „Grundzüge" einzufügen. Den Gesellenausschüssen wollte man keine, die bisherigen Grenzen überschreitende Mitwirkung einräumen. Bezüglich der Vorschriften über das Lehrlingswesen wurde eine weitere Einschränkung der Berechtigung, Lehrlinge auszubilden, gewünscht. Sowohl bei den Gesellen, wie bei den MeisterprüfuDgen hielt man den in Aussicht genommenen staatlichen Kommissar für unnöthig. „Dem Handwerkerstande müsse man Vertrauen entgegenbringen und ihm das Prüfungswesen allein überlassen." Den Meistertitel solle nur der Handwerker führen dürfen, der eine „Gesellen- und eine Meisterprüfung" eines Handwerks abgelegt hat. — Ueber die Beschlüsse der H a n d w e r k e r t a g e zu B e r l i n und H a l l e siehe die betreffenden im Drucke erschienenen Verhandlungsprotokolle. S i m o n , Die Fachbildung des Preussiechen Gewerbe- and Handelsstandes.

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514 hebungen wurde im Preussischen Handelsministerium ein neuer, die gesammte Organisation des Handwerks und das Lehrlingswesen umfassender Gesetzentwurf ausgearbeitet, der vom Staatsministerium mit einigen, grundsätzlich nicht bedeutungsvollen Abänderungen angenommen und unterm 20. Juli 1896 als Antrag Preussens dem Bundesrath zur Beschlussnahme vorgelegt wurde. x) Die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagene Organisation sollte eine „vollständige, das ganze Handwerk umfassende" und dazu bestimmt sein: 1. die gleichzeitig herbeizuführende, gesetzliche Neuregelung des Lehrlingswesens auszugestalten und durchzuführen, 2. die übrigen Interessen des Handwerkerstandes wahrzunehmen, insbesondere auf seine allmähliche Erziehung zu genossenschaftlicher Thätigkeit hinzuwirken und 3. eine Standesvertretung gegenüber der Gesetzgebung und der Verwaltung darzustellen. Zu dem Ende sah der Entwurf eine Gliederung in I n n u n g e n , H a n d w e r k s a u s s c h ü s s e und Handwerkskammern vor. Die unterste Stufe, die Innung, war als Z w a n g s i n n u n g gedacht, der kraft Gesetzes, ohne dass es des ausdrücklichen Eintritts oder der Aufnahme bedürfte, alle im Innungsbezirk vorhandenen selbständigen Handwerker des Gewerbezweiges, für welchen die Innung errichtet ist, als Mitglieder angehören sollten. Die Notwendigkeit von Zwangsinnungen wurde in den dem Entwürfe beigegebenen Motiven in folgender Weise begründet: Die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 erkannte zwar den Werth einer genossenschaftlichen Organisation für den Handwerkerstand insofern an, als sie nicht nur die vorhandenen Innungen, wenngleich mit wesentlichen Aenderungen ihrer bisherigen Verfassung aufrecht erhielt, sondern auch die Bildung neuer Innungen durch gesetzliche Bestimmungen ermöglichte. Für die Aufstellung dieser Vorschriften war indessen bei den gesetzgebenden Faktoren vorwiegend die Anschauung massgebend, dass es nicht Aufgabe des Staates sei, die Innungsbildung durch positive Massnahmen zu fördern, sondern vielmehr den Betheiligten überlassen bleiben müsse, ob sie es in ihrem Interesse förderlich finden würden, zu Innungen zusammenzutreten. Hiervon ausgehend, wurden die Innungen der in einem grossen Theile des Reichs ihnen noch zustehenden öffentlich rechtlichen Funktionen entkleidet, eine Einwirkung auf die Regelung der gewerblichen Verhaltnisse über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus stand ihnen fernerhin nicht mehr zu und die bisher bestandene enge Verbindung zwischen der Innung und den Organen der Obrigkeit wurde bis auf ein eng begrenztes Aufsichtsrecht beseitigt Die Erfahrung hat gezeigt, dass es auf der Grundlage dieser Bestimmungen nicht möglich gewesen ist, die Innungen zu kräftigen, ihrer Aufgabe gewachsene Korporationen wieder zu beleben und den — nach der geschichtlichen Entwickelung ') Der Gesetzentwurf wurde im D e u t s c h e n R e i c h s - u n d P r e u s s . StaatsA n z e i g e r vom 3. August 1896 veröffentlicht — Vgl. auch die Verhandlungen im Reichstage am 18. Februar 1897 über die Interpellation der Abgeordneten Dr. von LevetzowundGen., die Organisation des Handwerks betreffend, Session 1895/97. Drucks. No. 668, Stenogr. Ber. S. 4769 ff. und im Preuss. Abgeoidnetenhaose vom 2. März 1897 über die Interpellation des Abgeordneten F e l i s c h (Session 1896/97. Drucks. No. 112, Stenogr. Ber. S. 1258 ff.).

515 seines Standes und unter den Verhältnissen des modernen "Wirtschaftslebens in besonderem Masse auf einen genossenschaftlichen Zusammenscbluss hingewiesenen — Handwerker vor der Vereinzelung zu bewahren. Ebensowenig hat es sich als möglich erwiesen, mit Hülfe der Bestimmungen über das Lehrlings- und Gesellenwesen eine Besserung der auf diesen Gebieten im Handwerkerstände hervorgetretenen Missstände herbeizuführen. Mit Recht wird in der Begründung der Novelle zur Gewerbeordnung vom 18. Juli 1881 darauf hingewiesen, dass durch jene Vorschriften zwar bekundet werde, dass der Staat ein auch in der Gesetzgebung zu berücksichtigendes Interesse an einer tüchtigen gewerblichen und sittlichen Ausbildung der Lehrlinge habe, aber die Mittel des Staates, namentlich die Thätigkeit seiner Behörden nicht ausreichen, um die Erfüllung zu überwachen; dies könne nur dadurch geschehen, dass organisirte Berufsgemeinschaften ihren Mitgliedern zu dem Ende bestimmte Verpflichtungen auferlegten und deren Erfüllung durch genossenschaftliche Einrichtungen überwachten und nöthigenfalls erzwängen; ebenso könne das Herbergswesen, welches im Allgemeinen seit dem Verfall der Innungen damiederliege und bis jetzt nur durch die Thätigkoit freier Vereine eine Besserung erfahren habe, sowie die früher mit demselben im engsten Zusammenhange stehende wichtige Aufgabe der Arbeitsvermittelung nur durch die Thätigkeit der organisirten Berufsgemeinschaften diejenige Pflege wiederfinden, deren sie im sittlichen und wirtschaftlichen Interesse der Gesellen bedürften. Das Gesetz von 1881 *) verfolgte bei diesen Erwägungen ausgesprochenermassen den Zweck, die Innungen wieder zu Organen der gewerblichen Selbstverwaltung werden zu lassen, welche im Stande seien, einerseits durch die Förderung der gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder und durch die Pflege des Gemeingeistes und des Standesbewusstseins eine wirtschaftliche und sittliche Hebung des Handwerkerstandes anzubahnen und andererseits dem Staate geeignete Organe für die Erfüllung wichtiger Aufgaben der Gewerbeverwaltung darzubieten. Zu dem Ende wurden die Aufgaben der Innungen so bemessen, dass ihnen ein ausgiebiges Feld der genossenschaftlichen Thätigkeit eröffnet und zugleich diejenigen Rechte eingeräumt wurden, deren sie zu bedürfen schienen, um die statutarischen Vorschriften den einzelnen Mitgliedern gegenüber zur Geltung zu bringen und für ihren Kreis im "Wege der Selbstverwaltung gewisse gewerbegesetzliche Bestimmungen zuhandhaben, •deren Durchführung auf dem Gebiet des Kleingewerbes für die Organe des Staates auf Schwierigkeiten gestossen war. In der Erkenntniss, dass manche den Innungen zugewiesenen Aufgaben eine befriedigende Lösung nicht finden können, so lange nur die einzelnen Innungen, eine jede für ihren örtlich und sachlich begrenzten Kreis sie zu erfüllen suche, wurden ferner die gesetzlichen Grundlagen für die Bildung weiterer gewerblicher Verbindungen, der Innungsausschüsse und der Innungsverbände geschaffen. Endlich wurde schon damals die Möglichkeit vorgesehen, solchen Innungen, welche in der Regelung des Lehrlingswesens befriedigende Erfolge erzielen würden, die Befugniss einzuräumen, die von ihnen auf diesem Gebiete geschaffenen Anordnungen auch denjenigen Handwerkern des gleichen Gewerbes gegenüber zur Geltung zu bringen, welche der Innung nicht beitreten würden. Eine Erweiterung erfuhr diese Massnahme durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 18. Dezember 18842), die es ermöglichte, unter der Voraussetzung des Vorhandenseins einer auf dem Gebiet des Lehrlingswesens bewährt erfundenen Innung die Befugniss zum Halten von Lehrlingen auf den Kreis der Mitglieder der Innung zu beschränken. Weitere Schritte auf der so betretenen Bahn geschahen durch die Novellen zur Gewerbeordnung vom 23. April 1886'') und 6. Juli 18874), von denen die erstere den Innungsverbänden zur Verstärkung ihrer "Wirksamkeit ') s ) s ) 4 )

Siehe Siehe Siehe Siehe

oben S. 467 ff. oben S. 487, wo es statt ,.8.li Dezember heissen muss ,.18.'- Dezember. oben S. 489. oben S. 490. 33*

516 namentlich auf dem Gebiete des Hülfskassenwesens die Erlangung der Korporation rechte zugänglich machte, und die letztere Bestimmungen traf, nach denen den Innungen unter gewissen Voraussetzungen die Befugniss eingeräumt werden kann, zur Bestreitung der Kosten einzelner von ihnen getroffenen Einrichtungen auch die ihnen nicht beigetretenen Gewerbetreibenden heranzuziehen. Von den hiermit gebotenen Handhaben hat der Handwerkerstand vornehmlich in Nord- und Mitteldeutschland zu seiner Wiedereretarkung und einer zweckentsprechenden Ordnung seiner Verhältnisse einen ziemlich ausgedehnten Gebrauch gemacht, wie denn z. B. gegenwärtig in Preussen rund 8000 Innungen bestehen, welche nach den Vorschriften der Novelle von 1881 eingerichtet sind. Hieraus ist zu erkennen, dass die alte Tradition der Zusammengehörigkeit der Berufsgenossen noch für weite Kreise des Handwerkerstandes von Bedeutung ist, und auch die Form, welche der Gesetzgeber für einen solchen Zusammenschluss dargeboten hat, als eine geeignete gelten muss. Ebenso ist anzuerkennen, dass die Innungen da, wo sie im Handwerkerstande festen Boden gefasst haben, theilweise zu recht erfreulichen Ergebnissen ihrer Thätigkeit, namentlich auf dem Gebiete des Lehrlingswesens, des gewerblichen Unterrichts und des Hülfskassenwesens gelangt sind. Es rechtfertigt dies den Schluss, dass man auf dem eingeschlagenen Wege wohl zu einer Gesundung der Verhaltnisse des Handwerks hätte gelangen können, wenn die Annahme, es würde sich nach der Reform der Gesetzgebung der überwiegende Theil der Handwerker den fakultativen Innungen anschlicssen, richtig gewesen wäre. Diese Annahme hat sich jedoch als irrig erwiesen. In den breiten Schichten des Handwerkerstandes ist der Gemeinsinn augenscheinlich nicht lebendig genug, um den Widerwillen gegen die Unterordnung des unmittelbaren eigenen Vortheils unter die Interessen der Gesammtheit mit dauerndem Erfolge bekämpfen zu können. Im Grossen und Ganzen sind daher die redlichen Bemühungen einer Anzahl einsichtiger Handwerker, bei ihren Berufsgenossen die Erkenntniss von der Notwendigkeit des freiwilligen Anschlusses an die Innungen und der personlichen Theilnahme an der Erfüllung ihrer Aufgaben wachzurufen, ohne durchgreifende Resultate geblieben. Den Innungen ist es nicht gelungen, den grüssten Theil der Handwerker in sich zu vereinen, und vielfach hat sich nur ein kleiner Bruchtheil zum Anschlüsse an sie bereit finden lassen. Soweit das vorhandene statistische Material reicht, kann angenommen werden, dass nur etwa ein Zehntel sämmtlicher Handwerker den Innungen beigetreten ist. Dementsprechend haben die auf Freiwilligkeit beruhenden Innungen nicht die persönlichen Kräfte und die finanziellen Mittel gewonnen, die sie befähigt haben würden, eine allgemeine Besserung der Lage des Handwerks herbeizuführen. Jene Thätigkeit ist vielmehr im Allgemeinen auf verhältnissmässig enge Grenzen beschränkt geblieben, und auch da, wo sie in grösserer Anzahl errichtet worden, und weitere Kreise des Handwerkerstandes ihnen beigetreten sind, haben sie die Wirksamkeit, zu der sie an sich befähigt sind, nicht in vollem Masse entfalten können, weil sie in ihrer gegenwärtigen Organisation des sicheren Bestandes ermangeln, indem es jedem einzelnen Mitgliede in jedem Augenblicke unbenommen ist, sich den Folgen ihm lästiger und seinen unmittelbaren Interessen vielleicht zuwiderlaufender Beschlüsse und Anordnungen der Innung durch den Austritt zu entziehen. Dieser Entwickelungsgang hat zu der Ueberzeugung geführt, dass jede Organisation des Handwerks solange des rechten Erfolges entbehren muss, als sie auf den Boden der F r e i w i l l i g k e i t gestellt ist. —

Der Entwurf sah ferner nur die Bildung von F a c h i n n u n g e a und I n n u n g e n verwandter Gewerbe vor. „Die Ausübung de* gleichen Handwerks", so heisst es hierüber in den Motiven, „begründet von selbst eine Interessengemeinschaft, welche von vornherein eine gewisse Gewähr für die Bereitwilligkeit der Betheiligtet

517 zu gemeinschaftlicher Arbeit bietet; Eine wirksame Pflege des Lehrlingswesens, welche unter allen Umständen eine Hauptaufgabe jeder Innung sein muss, ist in vollem Masse nur von Innungen zu erwarten, welche aus Genossen desselben Handwerks oder mindestens aus Genossen verwandter Handwerke bestehen. Die Erfahrungen, die mit den bisherigen Innungen gemacht sind, haben gezeigt, dass die sogenannten gemischten Innungen ihren Aufgaben nur in sehr beschränktem Masse haben genügen können und ebenso haben die Ermittelungen, welche über die Entwickelung der schon seit Jahren bestehenden Zwangsgenossenschaften in Oesterreich angestellt sind, ergeben, dass sich fast ausnahmslos nur solche Zwangsgenossenschaften der Handwerker zur Erreichung der ihnen gesteckten Ziele geeignet erwiesen haben, welche auf der Berufsgemeinschaft ihrer Mitglieder aufgebaut waren". Für die Innungen und diejenigen Handwerker, welche durch die Innungsbildung nicht erfasst werden können, wollte der Entwurf „Handwerksausschüsse" schaffen. Er sollte aus Vertretern der Innungen, welche ihren Sitz innerhalb seines Bezirks haben, und aus Vertretern der zu Innungen nicht vereinigten Handwerker bestehen und als seine Aufgabe zu erdichten haben: 1. Die "Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen aller Handwerker seines Bezirks (Herbergswesen, Arbeitsnachweis, gewerbliche, technische und sittliche Ausbildung der Meister, Gesellen und Lehrlinge u. s. w.), 2. die Erfüllung der Aufgaben der Innung für die einer Innung nicht a n g e h ö r e n d e n Handwerker, soweit dies bei der Verschiedenheit der Elemente und bei ihrer daraus sich ergebenden loseren Zusammensetzung möglich ist (Pflege des Gemeingeistes und der Standesehre, Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen, Herbergswesen, Arbeitsnachweis, Durchführung und Ueberwachung der Vorschriften über das Lehrlingswesen, Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Meistern und Lehrlingen) und 3. die Uebernahme gewisser Aufgaben f ü r die b e t h e i l i g t e n Innungen, die sich zu gewissen Zwecken zu gemeinsamer Thätigkeit vereinigen wollen. Um das Gesammtinteresse des Handwerks zu vertreten und solche Aufgaben zu übernehmen, deren zweckmässige Lösung durch eine gleichmässige Behandlung für weitere Kreise bedingt ist, waren „Handwerkskammern" in Aussicht genommen, die als zusammenfassende Vertretung des gesammten Handwerks eines grösseren Bezirks aus den Wahlen der Handwerksausschüsse hervorgehen sollten. Ihnen war eine doppelte Aufgabe zugedacht: Einmal die Vertretung der Gesammtinteressen des Handwerks und der Interessen aller

518 Handwerker ihres Bezirks gegenüber der Gesetzgebung und Verwaltung des Staats, und zwar sowohl durch Erstattung der von den Staatsbehörden einzuholenden Gutachten, als auch durch die aus ihrer eigenen Initiative hervorgehenden Anregungen; sodann, als Selbstverwaltungsorgan, diejenigen zur Regelung der Verhältnisse des Handwerks erlassenen gesetzlichen Bestimmungen, welche noch einer Ergänzung durch Einzelvorschriften bedürftig und fähig sind, für ihren Bezirk weiter auszubauen, die Durchführung der gesetzlichen und der von ihr selbst erlassenen Vorschriften in ihrem Bezirke zu regeln und zu überwachen, sowie solche auf die Förderung des Handwerks abzielende Veranstaltungen zu treffen, zu deren Begründung und Unterhaltung die Kräfte der einzelnen Innungen und Handwerksausschüsse nicht ausreichen. Auf jeder Stufe der Organisation sollte als Vertretung der Gesellen bei allen Geschäften der Innung, des Handwerksausschusses und der Handwerkskammer, die das Interesse der Gesellen und Lehrlinge berühren oder Leistungen irgend einer Art von den Gesellen in Anspruch nehmen, ein G e s e l l e n a u s s c h a s s mitwirken. Sowohl bei dem Handwerksausschusse als auch bei der Handwerkskammer sah der Entwurf einen s t a a t l i c h e n Kommissar vor, welcher dem einzelnen in Betracht kommenden Organ als Mitglied angehören, dessen sachliche und geschäftliche Leistungsfähigkeit durch seine voraussichtlich höhere Bildung und grössere Geschäftskunde verstärken und zugleich eine erwünschte Gewähr für die sachgemässe, von persönlichen Interessen unbeeinflusste Behandlung der Geschäfte bieten sollte. Die Innungsverbände wurden, weil auf ihre Erhaltung von den betheiligten Kreisen grosser Werth gelegt wurde, zwar aufrecht erhalten, aber, um Kollisionen zwischen ihnen und den einzelnen Gliedern der Zwangsorganisation, insbesondere den Handwerkskammern zu vermeiden, darauf beschränkt, die Innungen, Handwerksausschüsse und Handwerkskammern in der Verfolgung ihrer gesetzlichen Aufgaben, sowie die Behörden durch Vorschläge und Anregungen zu unterstützen, den Arbeitsnachweis zu regeln und Fachschulen zu errichten und zu unterstützen. — Der Entwurf enthielt ferner Vorschriften über die Regelung des L e h r l i n g s w e s e n s im A l l g e m e i n e n und für das Handwerk im Besonderen und Bestimmungen über den Schutz des Meistertitels. Dieser Organisationsplan stiess im Bundesrath auf vielseitigen Widerspruch. Man wünschte, wie der Handelsminister B r e f e l d , der Nachfolger des Freiherrn von Berlepsch, in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 2. März 1897 ausführte, den Entwurf mehr den massgebenden Bestimmungen der Gewerbeordnung anzupassen, die Gliederung der Vertretung des Handwerks, die nach dem

519 Preussischen Entwurf zu komplizirt erschien, zu vereinfachen, die Voraussetzungen für die Bildung von Zwangsinnungen und das Verfahren bei der Bildung im Gesetz zu regeln und den besonderen Verhältnissen, die in den einzelnen Bundesstaaten bestehen, mehr Rechnung zu tragen.1) Als daher der Entwurf unterm 15. März 1897 an den Reichstag gelangte, hatte er ein ziemlich verändertes Aussehen. Zunächst war die absolute Zwangsinnung durch die sogenannte „ f r e i w i l l i g e Z w a n g s i n n u n g " ersetzt, d. h. es sollten Zwangsinnungen für gleiche oder verwandte Handwerke nur „auf Antrag Betheiligter" gebildet werden können, und zwar auch nur dann, wenn 1. die Mehrheit der betheiligten Gewerbetreibenden der Einführung des Beitrittszwangs zustimmt, 2. der Bezirk der Innung so abgegrenzt ist, dass kein Mitglied durch die Entfernung seines Wohnorts vom Sitze der Innung behindert wird, am Genossenschaftsleben theilzunehmen und die Innungseinrichtungen zu benutzen und 3. die Zahl der im Bezirke vorhandenen betheiligten Handwerker zur Bildung einer leistungsfähigen Innung ausreicht. — Die Voraussetzungen zu 2 und 8 waren übrigens auch im Berlepschen Entwurf für die Bildung von Innungen verlangt worden; von ihm war ferner die Bestimmung übernommen, dass nur diejenigen, die gleiche oder verwandte Handwerke ausüben, zu einer Zwangsinnung zusammentreten können. Zur Rechtfertigung dieser „freiwilligen Zwangsinnungen" wurde in der Begründung namentlich geltend gemacht: Die nach der Veröffentlichung der Preussischen Vorlage gemachten Beobachtungen lassen unzweideutig erkennen, dass die Anschauungen über die Zweckmässigkeit der allgemeinen Einführung von Zwangsinnungen in den zunächst betheiligten Kreisen sowohl innerhalb der einzelnen Gewerbe, als auch in den verschiedeneu Gegenden, weit und grundsätzlich auseinandergehen. In grossen Gebieten des Boichs ist der Gedanke der Zwangsinnung entschiedenem Widerspruch begegnet. Dies gilt namentlich von denjenigen Bezirken, wo der Gewerbestand, wie u. A. in manchen Gegenden Bayerns, in "Württemberg, Baden. Hessen, Thüringen, sowie auch in einigen preussischen Bezirken, vorzugsweise in den Gewerbevereinen, welche sich gleichfalls die "Wahrnehmung der Interessen des Handwerks und insbesondere auch die Fürsorge f ü r die sittliche und gewerbliche Erziehung und Ausbildung der Gesellen und Lehrlinge zur Aufgabe gestellt haben, eine f ü r seine Bedürfnisse geeignete und durch eine lange Eeihe von Jahren bewährte Einrichtung erblickt, wenngleich diese Vereine nicht nur Handwerker, sondern auch Vertreter der Industrie und selbst andere Stände als Mitglieder aufgenommen haben. "Während der Handwerkerstand in denjenigen Gegenden, in welchen, wie J ) ß e i c h s t a g s v e r h a n d l u n g e n , Session 1895/97; E n t w u r f , Drucksachen No. 713; K o m m i s s i o n s b e r i c h t , Drucks. No. 819: E r s t e B e r a t h u n g , Stenogr. Ber. S.5385ff.; z w e i t e B e r a t h u n g , Stenogr. Ber. S. 5942ff.; d r i t t e B e r a t h u n g , Stenogr. Ber. S. 6154ff. — A b ä n d e r u n g s a n t r ä g e , Drucks. No. 838. 862. 863, 874, 876/77, 885/86, 902, 903, 910/13, 915/19.

520 namentlich in Preussen, die Erinnerung an die alten Formen der korporativen Zusammenfassung des Handwerks vielfach lebendiger geblieben ist, der Organisation in Innungen den Torzug giebt, hält er anderwärts die Zusammenfassung der Berufsgenossen in Gewerbevereine und sonstige freie Vereinigungen für ein geeigneteres Mittel zur Stärkung seiner Kräfte und sieht auch in der Betheiligung der Inhaber grösserer Betriebe und selbst von Vertretern anderer Berufsstände an diesen "Vereinigungen keine Schmälerung, sondern vielmehr eine Stärkung seiner Stellung. In manchen Bezirken kommt die Zahl der den Gewerbevereinen angehörigen Handwerker der Zahl der daselbst in Innungen organisirten Berufsgenossen zum mindesten gleich, in anderen übersteigt sie dieselbe wesentlich, in vielen Bezirken sind die Innungen gar nicht, wohl aber die Gewerbevereine vertreten. Dem Verbände der deutschen Gewerbe vereine gehörten zu Anfang des Jahres 1896 466 Vereine mit 53287 Mitgliedern an. Die dem Verbände angehörigen 78 bayerischen Gewerbevereine zählten 14813, die 78 württembergischen Gewerbevereine 8000. die 72 badischen Vereine 6228 und die 72 hessischen Vereine 5519 Mitglieder. In der Provinz Hessen-Nassau haben sich 75 Vereine mit 6555 Mitgliedern, in der Provinz Hannover 21 Vereine mit 2321 Mitgliedern dem Verbände angeschlossen. Bei der Regelung der Organisation des Handwerks wird die Verschiedenheit in der Entwickelung des handwerklichen Vereinswesens, die mit der Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse, der wirtschaftlichen Gestaltung und zum Theil wohl auch mit der politischen Auffassung in einem engen Zusammenhang steht, um so weniger ausser Betracht bleiben dürfen, als auch der Unterschied in der Verfassung der alten Zünfte lehrt, dass die Anforderungen, welche die Handwerker an die Einrichtung ihrer lokalen Zusammenfassungen im Laufe der Jahrhunderte gestellt haben, in den einzelnen Gewerben und Gegenden von einander abgewichen halten. Hierzu kommt, dass die freien Vereinigungen sich in manchen Bundesstaaten unter der Mitwirkung der Staatsbehörden mit Erfolg der Förderung des Lehrlingswesens, des gewerblichen Fortbildungsschulwesens und, wenigstens theilweise. auch des Fachschulwesens angenommen haben, so dass weder die betheiligten Handwerker, noch die Behörden die Beseitigung dieser Vereine und ihren Ersatz durch eine auf anderer Grundlage beruhende Organisation für erwünscht halten. Wenn aber hiernach in einem grossen Theile der Bundesstaaten weite Kreise des Handwerks den Innungszwang mit Entschiedenheit ablehnen, so wird angesichts dieser im Handwerkerstande selbst hervorgetretenen grundverschiedenen Auffassung und bei der grossen Bedeutung, welche die Form des Zusammenschlusses der Berufsgenossen für das gesammte Gewerbsleben hat, mit Vorsicht verfahren werden müssen, zumal sich herausgestellt hat, dass auch im organisirten Handwerke die Meinungen keineswegs übereinstimmen. Schon diese Erfahrungen lassen die Einführung eines allgemeinen unbedingten Innungszwanges nicht rathsam erscheinen. Mit vollem Kecht ist in dieser Beziehung hervorgehoben worden, dass bei der Bildung von Zwangsinoungen der Umstand mit in Erwägung gezogen werden müsse, dass der Regel nach von einer gedeihlichen Thätigkeit der Innung nur da die Rede sein könne, wo mindestens die Mehrheit der ihr zugewiesenen Handwerker bereit sei, mit Eneigie und Nachhaltigkeit an die Erfüllung der Innungsaufgaben heranzugehen und die dadurch bedingten Mühewaltungen auf sich zu nehmen. Fehle es an dieser Voraussetzung und miLssj nach der Entschiedenheit, mit welcher sich die Mehrzahl der betheiligten Handwerker gegen die Bildung der Innung oder gegen die Zutheilung zu einer Innung auflehne, erwartet werden, dass sie sich demnächst von der Innungsthätigken dauernd fern halten oder gar ihr hindernd in den Weg treten würden, so werd» man besser daran thun, von der Errichtung einer Innung oder von der Zuweisung solcher Handwerker zu einer Innung Abstand zu nehmen. Die nach der Veröffentlichung der preussischen Vorlage gemachten Beobachtungen können iu dieser Auffassung nur bestärken; sie lassen es im Hinblicl.

521 auf die Natur der den Innungen zuzuweisenden Aufgaben ausgeschlossen erscheinen, dass leistungsfähige Organisationen auch da zu Stande kommen würden, wo es an der Bereitwilligkeit der Betheiligten mangelt. So gross daher auch der Werth ist, welcher auf eine zwangsweise Zusammenfassung des Handwerks in der Form von Innungen zu legen ist. so wird man doch darauf Bedacht nehmen müssen, dass solche Organisationen nur da gebildet werden, wo in der bereiten Mitwirkung der Handwerker eine Gewähr dafür geboten wird, dass die Zwangsinnungen leistungs- und lebensfähig sind. Nur auf diesem Wege wird man erwarten dürfen, einen für die Durchführung des Gedankens vielleicht verhängnissvollen Misserfolg der Gesetzgebung zu vermeiden. Yon dieser in den Bestimmungen ihrer Vorlage und deren Begründung auch von der Königlich Preussischen Regierung zum Ausdruck gebrachten Auffassung ausgehend, schlägt der Entwurf vor, die Bildung von Zwangsinnungen nur da in Aussicht zu nehmen, wo die M e h r z a h l d e r B e t h e i l i g t e n dem I n n u n g s z w a n g e zustimmt.

In dem Gesetzentwurfe des Bundesraths waren ferner die H a n d w e r k s a u s s c h ü s s e des Berlepsch'schen Entwurfs beseitigt und statt dessen die I n n u n g s a u s s c h ü s s e beibehalten, da „diese Form der lokalen Zusammenfassung des Handwerks sich bewährt habe und der Vorschlag, für die nicht in Innungen korporirten Handwerker gemeinsam mit den Vertretern der Innungen eine anders eingerichtete Vertretung ihrer lokalen Interessen in der Form von Handwerksausschüssen zu schaffen, von der grossen Mehrheit der Handwerker abgelehnt worden sei". Es war aber in Aussicht genommen, die bisher geltende Bestimmung, wonach den Innungsausschüssen die Rechte und Pflichten der betheiligten Innungen nur insoweit übertragen werden konnten, als sie nicht vermögensrechtlicher Natur sind, entsprechend den aus den Kreisen des organisirten Handwerks wiederholt ausgesprochenen Wünschen zu beseitigen und die Möglichkeit vorzusehen, jenen Organen die Fähigkeit beizulegen, unter ihrem Namen Rechte zu erwerben, Verbindlichkeiten einzugehen, vor Gericht zu klagen und verklagt zu werden. "Während nach dem Berlepsch'schen Entwürfe die Mitglieder der H a n d w e r k s k a m m e r von den Handwerksausschüssen zu wählen waren, sollten sie nach dem Entwurf des Bundesraths von denjenigen Handwerkern gewählt werden, welche sich zur Verfolgung ihrer gemeinsamen gewerblichen Interessen in Zwangsinnungen, freie Innungen, Gewerbevereine oder sonstige gewerbliche Vereinigungen zusammengeschlossen haben. Eine förmliche V e r t r e t u n g d e r G e s e l l e n s c h a f t sah der Entwurf, entgegen den Berlepsch'schen Vorschlägen, in der Handwerkskammer nicht vor; er beschränkte sich vielmehr darauf, den Gesellen eine grössere Theilnahme an gewissen Geschäften der I n n u n g einzuräumen. Man hielt dies nicht für nöthig, da die der Handwerkskammer und ihren Ausschüssen verliehene Befugniss, zu ihren Verhandlungen Sachverständige mit berathender Stimme zuzuziehen, die Möglichkeit biete, in geeigneten Fällen auch Gesellen zum Worte kommen zu lassen.

522 Die im Berlepsch'schen Entwürfe enthaltenen Vorschriften über das L e h r l i n g s w e s e n fanden auch die Zustimmung des Bundesraths; sie wurden fast wörtlich in den dem Reichstage vorgelegten Entwurf übernommen und in folgender Weise begründet: "Wenn die mit dem Gesetze, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung vom 18. Juli 1878 angestrebte Besserung in der Erziehung und Ausbildung des gewerblichen Nachwuchses bisher nicht in dem erforderlichen Masse hat erreicht werden können, so beruht dies neben den bereits angedeuteten Gründen2) auch darauf, dass die gegenwärtigen Bestimmungen nicht ausreichend sind. Angesichts der geringen Sorgfalt, mit welcher zahlreiche Lehrherren ihre Aufgabe den ihnen anvertrauten Lehrlingen gegenüber erfüllen, ihrer häufig mangelnden technischen und sittlichen Qualifikation, und der sowohl aus den Kreisen des Grossgewerbes als des Handwerks seit Jahren laut gewordenen Klagen erscheint es daher als ein dringendes Bedürfniss, sowohl die aus dem Lehrvertrage dem Lehrherrn erwachsende Verpflichtung und Verantwortlichkeit, namentlich hinsichtlich des Schutzes der Lehrlinge gegen Gefährdung ihres körperlichen "Wohles, sowie des Besuches der Fach- und Fortbildungsschule durch den Lehrling, schärfer zu bestimmen, als auch durch den künftighin in allen Fällen schriftlich abzuschliessenden Lehrvertrag mehr zum Bewusstsein zu bringen. Ferner wird Fürsorge dafür zu treffen sein, dass Personen, welche nicht die erforderliche Gewähr für eine ordnungsmässige Erziehung und Ausbildung des gewerblichen Nachwuchses bieten, von dem Halten und Anleiten von Lehrlingen ausgeschlossen werden können. Endlich bedarf es einer gesetzlichen Bestimmung, um den auch bei der Erhebung über die Verhältnisse im Handwerk3) hervorgetretenen Fällen, wo Lehrlinge zum Nachtheil ihrer Ausbildung in übermässiger Zahl gehalten werden, wirksam entgegen treten können. Soweit es sich um die Lehrlingsverhältnisse im H a n d w e r k handelt, wird man sich indessen mit diesen Vorschriften nicht begnügen dürfen. Für die Erhaltung eines kräftigen Handwerkerstandes ist die möglichst sorgfältige Ausbildung der Lehrlinge von besonderer Bedeutung. Hier ist die individuelle Leistungsfähigkeit die unerlässliche Voraussetzung für das Bestehen zahlreicher Betriebe. In manchen Gewerben wird nur der technisch vollkommen ausgebildete Handwerker der Konkurrenz des Grossbetriebes nicht unterliegen. Aus diesen Erwägungen schlägt der Entwurf ferner eine Reihe von Bestimmungen vor, welche n u r f ü r das Handwerkgelten sollen. Unter den hiemach für die Regelung des L e h r l i n g s w e s e n s im H a n d w e r k vorgeschlagenen b e s o n d e r e n B e s t i m m u n g e n ist neben der den Handwerkskammern einzuräumenden Befugniss, die Dauer der Lehrzeit festzusetzen, die wickstigste diejenige, wonach für die Folge im Handwerk nur solche Personen befugt sein sollen, Lehrlinge anzuleiten, welche das 24. Lebensjahr vollendet und entweder die vorgeschriebene Lehrzeit zurückgelegt und eine Gesellenprüfung bestanden haben oder fünf Jahre hindurch in dem Gewerbe, in welchem die Anleitung der Lehrlinge erfolgen soll, selbständig oder als "Werkmeister oder in ähnlicher Stellung thätig gewesen sind. Gegenüber den bestehenden Zuständen wird es unzweifelhaft als ein Gewinn bezeichnet werden dürfen, wenn in Zukunft diejenigen, welche als Lehrherrn thätig werden wollen, der Regel nach auch selbst die Lehrjahre mit ihrer erziehlichen "Wirkung durchlebt haben. "Wird daneben die Berechtigung, Lehrlinge anzuleiten, auch von der Ablegung der Gesellenprüfung abhängig gemacht, und steht demnach der Lehrling während seiner Lehrzeit unter dem Eindrucke des Bewusstseins, dass diese in der Gesellenprüfung ihren Abschluss findet, so ist zu erwarten, dass der ') Siehe oben S. 467. ') Siehe oben S. 515; die dort gegebene Begründung war in den dem Reichstage vorgelegten Entwurf des Bundesraths übernommen worden. ') Siehe oben S. 510.

525 Lehrling besser, als es bisher der Fall gewesen, seine Lehrzeit zur Aneignung der erforderlichen gewerblichen Ausbildung benutzen wird, und dass auch der Lehrherr, für dessen Ansehen unter den Berufsgenossen der Ausfall der Prüfung seiner nicht gleichgültig sein kann, darin einen Antrieb zur gewissenhaften Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen finden wird.

Endlich hatte der Bandesrath auch die in dem Berlepsch'sehen Entwürfe vorgesehenen Bestimmungen über den Schutz des Meistertitels gutgeheissen und sie in seinen Entwurf mit der Ergänzung aufgenommen, dass den Meisterprüfungen Prüfungszeugnisse von Lehrwerkstätten, gewerblichen Unterrichtsanstalten oder von Prüfungsbehörden, welche vom Staate für einzelne Gewerbe oder zum Nachweis der Befähigung zur Anstellung in staatlichen Betrieben eingesetzt sind, gleichstehen sollen, sofern ihnen diese Wirkung von der Landescentralbehörde beigelegt ist. Im R e i c h s t a g e gelangte der Gesetzentwurf sehr rasch zur Verabschiedung. Nach der am 30., 31. März und 1. April 1897 erfolgten ersten Berathung wurde er der für den Gesetzentwurf über die Handwerkskammern eingesetzten Kommission überwiesen, die ihn in acht Sitzungen in erster Lesung und in zwei Sitzungen in zweiter Lesung durchberieth; die zweite Berathung im Reichstage erfolgte am 19. bis 25. Mai, die dritte Berathung am 22. bis 24. Juni. Zugleich mit der Annahme des Gesetzentwurfs wurden folgende Resolutionen an den Bundesrath beschlossen: 1. Die verbündeten Regierungen aufzufordern, dem Handwerkerstande eine wesentliche Förderung dadurch angedeihen zu lassen, dass im Bedarfsfalle Geldunterstützungen zur Ausführung der den Innungen obliegenden Aufgaben gewährt werden; 2. die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstag in der nächsten Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen für die handwerksmässigen Gewerbe, insbesondere für das Baugewerbe und diejenigen anderer Gewerbe, deren Ausübung mit erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit verbunden ist, der Befähigungsnachweis eingeführt wird. Der Bundesrath stimmte dem Gesetzentwurf in der durch den Reichstag beschlossenen Fassung zu und überwies die gefassten Resolutionen dem Reichskanzler. Unterm 26. Juni 1897 wurde das Gesetz im Reichsgesetzblatt veröffentlicht.1) Bei dem nunmehr folgenden Abdruck des Gesetzes wird auf die Aenderungen, die die Vorlage des Bundesraths im Reichstage erfahren, soweit sie hier von Bedeutung sind, in den Anmerkungen besonders aufmerksam gemacht werden. ') R.-G.-Bl. 1897, S. 663 ff.

524 G e s e t z , b e t r e f f e n d die A b ä n d e r u n g d e r G e w e r b e o r d n u n g vom 26. J u l i 1897.') ( H a n d w e r k e r g e s e t z ) . A r t i k e l 1. An die Stelle des Artikels VI der Gewerbeordnung treten nachfolgende Vorschriften : T i t e l VI. I n n u n g e n , I n n u n g s a u s s c h ü s s e . H a n d w e r k s k a m m e r n , I n n u n g s verbände.®) I. I n n u n g e n , a. A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n . § 81. Diejenigen, welche ein Gewerbe selbständig betreiben, können zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen zu einer Innung zusammentreten. § 81a. Aufgabe der Innungen ist: 1. Die Pflege des Gemeingeistes sowie die Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehre unter den Innungsmitgliedem; 2. die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen (Gehülfen), sowie die Fürsorge für das Herbergswesen und den Arbeitsnachweis; 3. d i e n ä h e r e R e g e l u n g d e s L e h r l i n g s w e s e n s u n d d i e F ü r s o r g e f ü r die t e c h n i s c h e , g e w e r b l i c h e und sittliche Ausbildung d e r L e h r l i n g e , v o r b e h a l t l i c h d e r B e s t i m m u n g e n d e r §§ 103e, 126 b i s 132a; 4. die Entscheidung von Streitigkeiten der im § 3 des Gewerbegerichtsgesetzes vom 29. Juli 1890 (Reichs-Gesetzbl. S. 141) und im § 53 a des Kranken versiclierungsgesetzes (Reichs-Gesetzbl. 1892, S. 379) bezeichneten Art zwischen den Innungsmitgliedern und ihren Lehrlingen.") ') Das Gesetz ist in vollem Umfange am 1. Oktober 1901 in Kraft getreten (Art. 9 und die Kaiserl. Verordnungen vom 14. März 1898 und 12. März 1900; R.-G.-B1. 1898, S. 37, 1900, S. 127). — Ausführungsanweisung vom 1. März 1898 (Min.-Bl. f. d. i. V., S. 45). — Von den zahlreich erschienenen erläuternden Ausgaben kommen für Preussen besondere in Betracht: Dr. H o f f m a n n , die Organisation des Handwerks und die Regelung des Lehrlingswescns auf Grund des Reichsgesetzes vom 26. Juli 1897, Berlin 1897, nebst Ergänzungsheft, Berlin 1898. M. v. B r a u c h i t s c h , die neuen Preussischen Verwaltungsgesetze, Bd. 5, bearbeitet von Hoffmann, Berlin 1900; v. R o h r s c h e i d t , die Gewerbeordnung f ü r das deutsche Reich, Leipzig 1901. Anf diese Erläuterungen wird hier für die Auslegung der einzelnen Paragraphen Bezug genommen. -') Der frühere Unterschied zwischen ,.bestehenden Innungen" (§§ 81 bis 96) und „neuen Innungen- (§§ 97 ff.) ist fortgefallen. Der Abschnitt über die Innungen zerfällt jetzt in zwei Tlieile: a) Allgemeine Vorschriften (§§ 81 bis 99). die auf alle Gewerbetreibenden Anwendung finden, ,,welche ein Gewerbe selbständig betreiben", auf das sich die Gewerbeordnung bezieht und b) Zwangsinnungen (§§ 100 bis 100 a), die nur f ü r „Handwerker gleicher oder verwandter Art" gelten. — Bezüglich der Veränderungen gegen die frühere Gesetzgebung siehe H o f f m a n n •a. a. 0 . Einleitung S. 5 bis 13. — Die in diesem Abschnitt enthaltenen, die Erziehung und Fort- und Fachbildung betreffenden Vorschriften sind gesperrt gedruckt. — 3 ) § 3 des G e w e r b e g e r i c h t s g e s e t z e s : Die Gewerbegerichte sind ohne Rücksicht auf den "Werth des Streitgegenstandes zuständig f ü r Streitigkeiten: 1. über den Antritt, die Fortsetzung oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, sowie über die Aushändigung oder den Inhalt des Arbeitsbuches oder Zeugnisses, 2. über die Leistungen und Entschädigungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnisse, sowie über eine in Beziehung auf dasselbe bedungene Kon v entionalstraf e.

525. § 81b. Die Innungen sind befugt, ihre "Wirksamkeit auf andere, den Innungsmitgliedern gemeinsame gewerbliche Interessen als die im § 81a bezeichneten auszudehnen. Insbesondere steht ihnen zu: 1. V e r a n s t a l t u n g e n z u r F ö r d e r u n g d e r g e w e r b l i c h e n , t e c h n i s c h e n u n d s i t t l i c h e n A u s b i l d u n g der M e i s t e r , G e s e l l e n ( G e h ü l f e n ) u n d L e h r l i n g e zu t r e f f e n , i n s b e s o n d e r e S c h u l e n zu u n t e r s t f i t z e n , zu e r r i c h t e n u n d zu l e i t e n , s o w i e ü b e r dieB e n u t z u n g und d e n B e s u c h d e r v o n i h n e n e r r i c h t e t e n S c h u l e n V o r s c h r i f t e n zu e r l a s s e n ; 1 ) 3. über die Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitern zu leistenden Krankenversicherungsbeiträge (§§ 53, 65, 72, 73 des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883, Reiclis-Gesetzbl. S. 73), 4. über die Ansprüche, welche auf Grand der Uebernahme einer gemeinsamen Arbeit von Arbeitern desselben Arbeitgebers gegen einander erhoben werden. Streitigkeiten über eine Konventionalstrafe, welche für den Fall bedungen ist,, dass der Arbeiter nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein solches bei anderen. Arbeitern eingeht oder ein eigenes Geschäft errichtet, gehören nicht zur Zuständigkeit der Gewerbegerichte." § 53a d e s K r a n k e n v e r s i c h e r u n g s g e s e t z e s : Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und den von ihm beschäftigten Personen über die Berechnung und Anrechnung der von diesen zu leistenden Beiträge werden nach den Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 (Reichs-Gesetzbl. S. 141) entschieden. Die Vorschriften des letzteren Gesetzes finden auch auf Streitigkeiten zwischen den bezeichneten Personen über die Berechnung und Anrechnung des Eintrittsgeldes Anwendung. Zur Entscheidung dieser Streitigkeiten sind auch die auf Grund des § 80 jenes Gesetzes fortbestehenden Gewerbegerichte zuständig. *) Für die Errichtung von F a c h - u n d F o r t b i l d u n g s s c h u l e n d u r c h I n n u n g e n , I n n u n g s v e r b ä n d e u n d H a n d w e r k s k a m m e r n sind unterm 21. Januar 1901 vom Handelsminister folgende Grundsätze aufgestellt worden (Min.-Bl. der Handels- und Gewerbe-Verw. 1901, S. 35): „Die Novelle zur Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 ermöglicht den I n n u n g e n eine versärkte Bethätigung auf dem Gebiete des Fortbildungs- und Fachschulwesens,, indem sie ihnen neben der Befugniss, solche Schulen zu unterstützen, zu errichten und zu leiten, sowie über die Benutzung und den Besuch der von ihnen errichteten Schulen Vorschriften zu erlassen (Gewerbeordnung § 81b, Ziff. 1), auch die Zuständigkeit beilegt, die Beobachtung der f ü r den Besuch der Fortbildungs- und Fachschulen erlassenen Bestimmungen zu überwachen (§ 83, Ziffer 10) und für die Benutzung der von ihnen errichteten Fachschulen Gebühren zu erheben (§ 88, Absatz 3). Ebenso ist den I n n u n g s v e r b ä n d e n (§ 104) und den H a n d w e r k s k a m m e r n (§ 103 e, Absatz 3) die Pflege des gewerblichen Unterrichts freigestellt worden. Da zu erwarten ist, dass namentlich die Innungen von diesen Befugnissen in umfassendem Masse Gebrauch machen und Fortbildungs- und Fachschulen zu errichten bestrebt sein werden, so erscheint es zweckmässig, von vornherein die Richtung zu bezeichnen, in der diese Schulen die vorhandenen, der Ausbildung von Handwerkern dienenden Lehranstalten zu ergänzen haben weiden. Der allgemeine Fortbildungsunterricht, d. h. der Unterricht im Deutschen und Rechnen im Sinne der Vorschriften vom 5. Juli 1897 (abgedruckt in Anlage III), sowie der Unterricht im Zeichnen für die dessen bedürfenden Berufszweige, wird, wie er bisher von den Gemeinden opferwillig und mit gutem Erfolge gepflegt worden ist, ihrer Fürsorge der Regel nach auch fernerhin zu überlassen sein, doch wird noch mehr als bisher darauf zu halten sein, dass einsichtige Handwerksmeister zu Mitgliedern der Vorstände und Kuratorien der kommunalen Fortbildungsschulen gewühlt werden, und dadurch Gelegenheit erhalten, die "Wünsche und Bedürfnisse des Handwerks bei der Verwaltung der Schulen zur Geltung zu bringen.

526 2. G e s e l l e n - u n d M e i s t e r p r ü f u n g e n zu v e r a n s t a l t e n und ü b e r die P r ü f u n g e n Z e u g n i s s e a u s z u s t e l l e n ; 3. zur Unterstützung ihrer Mitglieder und deren Angehörigen, ihrer Gesellen (Gehülfen), Lehrlinge und Arbeiter in Fallen der Krankheit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Bedürftigkeit Kassen zu errichten; 4. Schiedsgerichte zu errichten, welche berufen sind, Streitigkeiten der im § 3 des Gewerbegerichtsgesetzes und im § 53 a des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Art zwischen den Innungsmitgliedern und ihren Das Feld, auf dem sich die "Wirksamkeit der Innungsschulen in erster Linie .zu entfalten haben wird, ist dasjenige des F a c h u n t e r r i c h t s , insbesondere des F a c h z e i c h n e n s . In manchen Fällen, z. B. bei den meisten Schulen für Friseure und Kellner, werden sich die Gebiete der Innungsfachschulen und der Fortbildungsschulen kaum berühren, und beide Gattungen werden unbeschadet ihrer "Wirksamkeit im wesentlichen unabhängig von einander bestehen können. Dagegen ergeben sich bei denjenigen Innungsfachschulen, bei denen der Zeichenunterricht im Vordergrunde steht, ohne weiteres nähere Beziehungen zur Fortbildungsschule, sei es dass die Innungsfachschule den Unterricht im elementaren Zeichnen der Fortbildungsschule überlässt und sich auf die Pflege des Fachzeichnens beschränkt, sei es, dass sie die gesammte zeichnerische Ausbildung ihrer Schüler übernimmt. Hier wird in jedem Falle darauf zu sehen sein, dass die in der Natur der Sache liegenden nahen Beziehungen zwischen Fortbildungs- und Fachschule von vornherein auch thatsächlich hergestellt und aufrecht erhalten werden, dass namentlich für die wünschenswerte Einheitlichkeit in den Lehrmethoden und den benutzten Lehrmitteln gesorgt wird. Soweit die Innungen nicht leistungsfähig genug sind, um die von ihnen errichteten Fachschulen allein zu unterhalten, bin ich bereit, zur Aufbringung der laufenden Unterhaltungskosten solcher Schulen, für die ein Bedürfniss vorhanden ist und die so eingerichtet sind, dass die Erzielung befriedigender Unterrichtserfolge gewährleistet ist, Beihülfen in Form feststehender Zuschüsse zu gewähren. Diese werden in der Regel höchstens etwa die Hälfte der durch Schulgeld nicht gedeckten laufenden Unterhaltungskosten betragen können, ungerechnet jedoch die Kosten für Bereitstellung, Beleuchtung und Heizung der Schulräume, die von der Innung, Gemeinde oder anderen Betheiligten vorab zu übernehmen sind. Nur in Fällen besonderen Bedürfnisses kann ausnahmsweise mehr als die Hälfte gewährt werden. Die durch den Staatszuschuss und das etwaige Schulgeld nicht gedeckten Unterhaltungskosten müssen von den Innungen, soweit sie selbst nicht hinreichend leistungsfähig sind, unter der von ihnen zu erwirkenden Beihülfe der Gemeinden aufgebracht werden, wie denn überhaupt dahin zu streben ist, dass die Innungen sich bei ihren Veranstaltungen für den gewerblichen Unterricht im Einvernehmen mit den Gemeindebehörden halten. Den Anträgen auf Gewährung von Staatszuschüssen ist der Haushaltsplan, sowie der Lehrplan der Schüler beizufügen. Es lässt sich erwarten, dass die Innungen häufiger den Antrag stellen werden, den Unterricht in den von ihnen errichteten Fortbildungs- oder Fachschulen gemäss § 120. Absatz 3, der Gewerbeordnung als „ausreichenden Ersatz des allgemeinen Fortbildungsschulunterrichts" anzuerkennen. (Siehe oben S. 496.) Vor der Entscheidung über diese Anträge wird es künftig nicht mehr in allen Fällen nöthig sein, wie es in dem Runderlass vom 3. Oktober 1891 (E. 3228) bestimmt ist, an mich zu berichten. Vielmehr sind Anträge dieser Art nach folgenden Grundsätzen zu behandeln: a) Handelt es sich um Innungsschulen, deren Lehrplan nicht nur den Fachoder Zeichenunterricht, sondern auch Deutsch und Rechnen umfasst, so kann die Anerkennung als „ausreichender Ersatz" unter folgenden Voraussetzungen ertheilt werden: 1. dass die Schüler in demselben Umfange der Schulpflicht unterworfen , werden, wie die Schüler der am Orte bestehenden kommunalen Fortbildungsschule ; 2. dass das Schuljahr ebensoviel Unterrichtswochen umfasst und die Schüler in den einzelnen Lehrfächern ebensoviele Stunden und nicht zu späterer Stunde des Abends unterrichtet werden, wie an der kommunalen Fortbildungsschule;

527 Gesellen (Gehülfen) und Arbeitern an Stelle der sonst zuständigen Behörden zu entscheiden. 5. zur Förderung des Gewerbebetriebs der Innungsmitglieder einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb einzurichten. § 82. Der Bezirk, für welchen eine Innung errichtet wird, soll in der Regel nicht über den Bezirk der höheren Verwaltungsbehörde, in welchem die 3. dass ebensoviele aufsteigende Klassen gebildet werden, wie an der kommunalen Fortbildungsschule; 4. dass für Deutsch und Rechnen der Lehrplan nach den Vorschriften vom 5. Juli 1897 aufgestellt wird. b) Die sich auf den Fachunterricht beschränkenden Innungsschulen können „als ausreichender Ersatz" nur in Frage kommen, wenn an ihnen Zeichenunterricht ertheilt wird und auch nur für dieses Lehrfach. Dabei ist vorausgesetzt, dass der Lehrplan zweckmässig aufgestellt ist und geeignete Lehrkräfte vorhanden sind; hinsichtlich der Schulpflicht und der Unterrichtswochen und -stunden gilt das vorhin zu 1 und 2 Gesagte. In Fällen dieser Art will ich denjenigen Herren Regierungspräsidenten, denen ein Regierungs- und Gewerbeschulrath beigeordnet oder für deren Bezirk ein Revisor des Zeichenunterrichts bestellt ist (es sind dies die Regierungspräsidenten in den Provinzen Posen, Brandenburg, Schleswig-Holstein. Hannover, Westfalen, die Regierungspräsidenten in Breslau und Düsseldorf, und vom Etatsjahre 1902 ab auch diejenigen in Oppeln, Cassel und Wiesbaden), die Entscheidung auf Grund der vorher herbeizuführenden gutachtlichen Aeusserungen dieser Beamten überlassen. Im Uebrigen, sowie in Zweifelsfällen ist wie bisher meine Entscheidung einzuholen. In allen Fällen (zu a und b) ist vor der Entscheidung die Gemeinde zu hören, die Anerkennung als „ausreichender Ersatz" nur unter Vorbehalt des Widerrufs auszusprechen und mir von jeder ertheilten Anerkennung Anzeige zu machen. Wo es sich um Anerkennung des Besuchs einer k a u f m ä n n i s c h e n Fortbildungsschule als Erfüllung der Fortbildungsschulpflieht handelt, verbleibt es bei der Bestimmung des Erlasses vom 3. Oktober 1891 (d. h. es ist in jedem einzelnen Falle die Genehmigung des Handelsministers nachzusuchen). Für die Schulen, die von I n n u n g s v e r b ä n d e n oder H a n d w e r k s k a m m e r n etwa errichtet werden, lassen sich allgemeine Grundsätze nicht in gleicher Weise aufstellen. Es ist zu erwarten, dass diese Schulen ihrer Anlage nach für ein grösseres Wirtschaftsgebiet bestimmt sein und höhere Ziele verfolgen werden, als sich die Innungsschulen im Allgemeinen stecken können. Ich lege Werth darauf, von den auf Errichtung solcher Schulen abzielenden Verhandlungen frühzeitig Kenntniss zu erhalten, zumal die für diese Schulen etwa zu gewährenden Zuschüsse nicht aas einem Dispositionsfonds entnommen werden können, vielmehr von Fall zu Fall vereinbart und auf den Staatshaushaltsetat gebracht werden müssen." — Vgl. auch den letzten Satz des § 100 der Gewerbeordnung, wonach der Antrag auf Errichtung einer Zwangsinnung ohne Herbeiführung einer Abstimmung abgelehnt werden kann, „wenn durch andere Einrichtungen, als diejenigen einer Innung für die Wahrnehmung der gemeinsamen gewerblichen Interessen der betheiligten Handwerke ausreichende Fürsorge getroffen ist." Nach der „Begründung" rechtfertigt sich diese Bestimmung „aus der Erwägung, dass es weder im staatlichen Interesse noch in demjenigen der betreffenden Gewerbe liegen würde, wenn bestehende Einrichtungen, welche sich bewährt haben, durch die Einrichtung von Zwangsinnungen in ihrem Bestände erschüttert oder gar beseitigt würden. In erstei Linie kommen dabei die in manchen Bezirken f ü r d a s L e h r l i n g s w e s e n g e t r o f f e n e n E i n r i c h t u n g e n , F o r t b i l d u n g s - und F a c h s c h u l e n , L e h r l i n g s p r ü f u n g e n und d e r g l e i c h e n in Betracht, ferner die vom Staate oder von Gemeinden eingerichteten Arbeitsnachweise, endlich die f ü r d i e F ö r d e r u n g der g e w e r b l i c h e n A u s b i l d u n g b e s t e h e n d e n s t a a t l i c h e n oder s o n s t i g e n I n s t i t u t e . Wo durch Einrichtungen solcher Art für die Interessen der betreffenden Handwerke ausreichende Fürsorge getroffen ist, würde die Verfolgung ähnlicher Zwecke durch die Zwangsinnungen unter Umständen zu einer Aenderung der Verhältnisse führen, welche der auf die Hebung des Handwerks gerichteten Absicht des Entwurfs entgegenwirken würde."

528 Innung ihren Sitz nimmt, hinausgehen. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung der Landes-Centralbehörde. Soll der Bezirk, f ü r welchen eine Innung errichtet wird, über das Gebiet eines Bundesstaats hinaus erstreckt werden, so ist hierzu die Genehmigung der betheiligten Landes-Centralbehörden erforderlich. Wird die Genehmigung ertheilt, so sind die den Behörden übertragenen Befugnisse, soweit nicht eine anderweite Vereinbarung getroffen wird, von den Behörden desjenigen Bundesstaats wahrzunehmen. in welchem die Innung ihren Sitz hat. Bei der Errichtung ist der Innung ein Name zu geben, welcher von dem aller anderen, an demselben Orte oder in derselben Gemeinde befindlichen Innungen verschieden ist. Die landesüblichen Benennungen (Aemter, Gilden und dergleichen) können beibehalten werden. § 83. Die Aufgaben der Innung, die Einrichtung ihrer Verwaltung und die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder sind, soweit das Gesetz nicht darüber bestimmt, durch das Statut zu regeln. Dasselbe muss Bestimmung treffen über: 1. Namen, Sitz und Bezirk der Innung, sowie die Gewerbszweige, f ü r welche die Innung errichtet ist; 2. d i e A u f g a b e n der I n n u n g , s o w i e d i e d a u e r n d e n E i n r i c h t u n g e n zur Erfüllung dieser Aufgaben, insbesondere hinsichtlich der Regelung des L e h r l i n g s w e s e n s ; 3. Aufnahme, Austritt und Ausschliessung der Mitglieder; 4. die Rechte und Pflichten der Mitglieder, insbesondere der Massstab, nach welchem die Mitgliederbeiträge erhoben werden; 5. die Bildung des Vorstandes, den Umfang seiner Befugnisse und die Formen seiner Geschäftsführung; 6. die Zusammensetzung und Berufung der Innungsversammlung, das Stimmrecht in derselben, die Art der Beschlussfassung und, sofern die Innungsversanimlung aus Vertretern besteht (§ 92, Abs. 3), die Zahl und die Wahl der Vertreter; 7. die Beurkundung der Beschlüsse der Innungsversammlung und des Vorstandes; 8. die Aufstellung und Prüfung der Jahresrochnung; 9. die Bildung und die Geschäftsführung des Geselleilausschusses; 10. d i e U e b e r w a c h u n g d e r B e o b a c h t u n g d e r f ü r d i e B e s c h ä f t i g u n g der Gesellen (Gehülfen), L e h r l i n g e und A r b e i t e r , den Besuch der F o r t b i l d u n g s - oder F a c h s c h u l e und die R e g e l u n g des Lehrlingswesens erlassenen Bestimmungen; 11. die Bildung des Organs und das Verfahren zur Entscheidung der im § 81a, Ziffer 4 bezeichneten Streitigkeiten; 12. die Voraussetzungen und die Form der Verhängung von Ordnungsstrafen; 13. die Voraussetzungen und die Form einer Abänderung des Statuts und den Erlass und die Abänderung der Nebenstatuten; 14. die Voraussetzungen und die Form der Auflösung der Innung; 15. die öffentlichen Blätter, in welchen die Bekanntmachungen der Innung zu erfolgen haben. Das Statut darf keine Bestimmung enthalten, welche mit den in diesem Gesetze bezeichneten Aufgaben der Innung nicht in Verbindung steht oder gesetzlichen Vorschriften zuwider läuft. Bestimmungen über Einrichtungen zur Erfüllung der im § 81 b, Ziffer 3, 4 und 5 bezeichneten Aufgaben dürfen nicht, in das Innungsstatut aufgenommen werden. § 84. Das Inmingsstatut bedarf der Genehmigung durch die höhere Verwaltungsbehörde desjenigen Bezirkes, in welchem die Innung ihren Sitz nimmt. Die Einreichung geschieht durch diu Aufsichtsbehörde (§ 96.)

529 Die Genehmigung ist zu versagen: 1. wenn das Innungsstatut den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht; 2. wenn die durch das Innungsstatut vorgesehene Begrenzung des Innungsbezirks die nach § 82, Absatz 1 oder Absatz 2 erforderliche Genehmigung nicht erhalten hat. Ausserdem darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn in dem durch das Innungsstatut vorgesehenen Innungsbezirke für die gleichen Gewerbe eine Innung bereits bestellt. In dem die Genehmigung versagenden Bescheide sind die Gründe anzugeben; gegen denselben findet der Rekurs statt; wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der §§ 20 und 21, soweit nicht landesgesetzlich das Verfahren in streitigen Verwaltungssachen Platz greift. Abänderungen des Innungsstatuts unterliegen den gleichen Vorschriften. § 85. Soll in der Innung eine Einrichtung der im § 81 b, Ziffer 3, 4 und 5 vorgesehenen Art getroffen werden, so sind die dafür erforderlichen Bestimmungen in Nebenstatuten zusammenzufassen. Dieselben bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Vor der Genehmigung ist die Gemeindebehörde des Ortes, an welchem die Innung ihren Sitz hat, sowie die Aufsichtsbehörde zu hören. Die Genehmigung kann nach Ermessen unter Angabe der Gründe versagt werden. Gegen die Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde steht den Betheiligten binnen vier "Wochen die Beschwerde an die Landes-Zentralbehörde zu. Abänderungen der Nebenstatuten unterliegen den gleichen Vorschriften. Ueber die Einnahmen und Ausgaben der im § 81b Ziffer 3 und 5 bezeichneten Einrichtungen ist getrennt Rechnung zu führen und das hierfür bestimmte Vermögen gesondert von dem übrigen Innungsvermögen zu verwalten. Verwendungen für andere Zwecke dürfen aus demselben nicht gemacht werden. Die Gläubiger haben das Recht auf gesonderte Befriedigung aus dem getrennt verwalteten Vermögen. § 86. Die Innungen können unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden. Für ihre Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern nur ihr Vermögen. § 87. Als Innungsmitglieder können nur aufgenommen werden: 1. diejenigen, welche ein Gewerbe, für welches die Innung errichtet ist, in dem Innungsbezirke selbständig betreiben; 2. diejenigen, welche in einem dem Gewerbe angehörenden Grossbetriebe als AVerkmeister oder in ähnlicher Stellung beschäftigt sind; diejenigen, welche in dem Gewerbe als selbständige Gewerbetreibende oder als AVerkmeister oder in ähnlicher Stellung thätig gewesen sind, diese Thätigkeit aber aufgegeben haben und eine andere gewerbliche Thätigkeit nicht ausüben; 4. die in laudwirthschaftlichen oder gewerblichen Betrieben gegen Entgeld beschäftigton Handwerker. Andere Personen können als Ehrenmitglieder aufgenommen werden. A'or der A b l e g u n g e i n e r P r ü f u n g k a n n d i e A u f n a h m e n u r abh ä n g i g g e m a c h t w e r d e n , w e n n A r t u n d U m f a n g d e r s e l b e n d u r c h das S t a t u t g e r e g e l t s i n d ; die P r ü f u n g darf n u r den N a c h w e i s d e r Befähigung zur selbständigen A u s f ü h r u n g der gewöhnlichen Arbeiten des Gewerbes bezwecken. I s t die A u f n a h m e von der Z u r ü c k l e g u n g e i n e r L e h r l i n g s - oder G e s e l l e n z e i t o d e r von d e r A b l e g u n g e i n e r P r ü f u n g a b h ä n g i g g e m a c h t , so ist e i n e A u s n a h m e von d e r E r f ü l l u n g d i e s e r A n f o r d e r u n g e n n u r u n t e r b e s t i m m t e n , im S t a t u t f e s t g e s t e l l t e n V o r a u s s e t z u n g e n zulässig. Von einem A u f n a h m e s u c h e n d e n , w e l c h e r b e r e i t s v o r e i n e r a n d e r e n I n n u n g desselben Gewerbes eine A u f n a h m e p r ü f u n g bestanden h a t , k a n n eine s o l c h e n i c h t n o c h m a l s v e r l a n g t w e r d e n . S i m o n , Dio Fachbildung dos Preassischen Gewerbe- und Handelsstandea.

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530 Gewerbetreibenden, welche den gesetzlichen und statutarischen Anforderungen entsprechen, darf die Aufnahme in die Innung nicht versagt werden. Von der Erfüllung der gesetzlichen und statutarischen Bestimmungen kann zu Gunsten Einzelner nicht abgesehen weiden. § 87 a. Der Austritt aus der Innung ist, wenn das Innungsstatat eine vorherige Anzeige darüber nicht verlangt, am Schlüsse jedes Rechnungsjahres gestattet. Eine Anzeige über den Austritt kann frühestens sechs Monate vor dem letzteren verlangt werden. Ausscheidende Mitglieder verlieren alle Ansprüche an das Innungsvermögen und, soweit nicht statutarisch abweichende Bestimmungen getroffen sind, an die von der Innung errichteten Nebenkassen; sie bleiben zur Zahlung derjenigen Beiträge verpflichtet, deren Umlegung am Tage ihres Austrittes bereits erfolgt war. Vertragsmässige Verbindlichkeiten, welche sie der Innung gegenüber eingegangen sind, werden durch den Austritt nicht berührt. Wird nach dem Tode eines Innungsmitgliedes dessen Gewerbe für Rechnung der Wittwe oder minderjähriger Erben fortgesetzt, so gehen die Befugnisse und Obliegenheiten des Verstorbenen mit Ausnahme des Stimmrechts auf die Wittwe während des Wittwenstandes beziehungsweise auf die minderjährigen Erben für die Dauer der Minderjährigkeit über. Durch das ¡Statut kann der Wittwe oder dem Stellvertreter das Stimmrecht eingeräumt werden. § 88. Den Innungsmitgliedern darf die Verpflichtung zu Handlungen oder Unterlassungen, welche mit den Aufgaben der Innung in keiner Verbindung stehen, nicht auferlegt werden. Zu anderen Zwecken als der Erfüllung der statutarisch oder durch das Gesetz bestimmten Aufgaben der Innung, sowie der Deckung der Kosten der Innungsverwaltung dürfen weder Beiträge von den Innungsmitgliedern oder von den Gesellen derselben erhoben werden, noch Verwendungen aus dem Vermögen der Innungen erfolgen. Die I n n u n g e n s i n d b e f u g t , f ü r d i e B e n u t z u n g der von i h n e n g e t r o f f e n e n E i n r i c h t u n g e n , F a c h s c h u l e n , Herbergen, Arbeitsnachweis und dergleichen Gebühren zu erheben. 1 ) ') Der in der Kommission und bei der zweiten Berathung im Reichstage gestellte Antrag, den Innungen die Erhebung von Gebühren für den Besuch der Fachschulen nicht zu gestatten, wurde abgelehnt. Zur Begründung des Antrags wurde in der Kommission darauf hingewiesen, dass die Lehrlinge zu den Aermsten gehörten und man ihnen deshalb den Unterricht unentgeltlich gewähren müsse. Es wurde demgegenüber aber geltend gemacht, dass die Fachschulen lediglich im Interesse der Lehrlinge eingerichtet würden und man den Innungen nicht zumuthen könnte, in allen Fällen die Kosten dafür allein zu tragen. Diese Ansicht wurde im Reichstage als nicht zutreffend zurückgewiesen. „Noch ein höheres Interesse als die Lehrlinge", so wurde ausgeführt, „haben an der Einrichtung der Fachschulen wohl die Meister. Einmal nehmen die Fachschulen den Meistern einen grossen Theil der Pflichten ab, welche sie bezüglich der Ausbildung und der Erziehong der Lehrlinge zu erfüllen haben, zum andern machen die Fachschulen den Lehrling für den Meister für die Zeit der Lehrjahre wesentlich werthvoller. Welches sind denn eigentlich die Aufgaben des Meisters? Sie können doch nicht nur darin erblickt werden, dass der Meister gehalten sein soll, dem Lehrling eine gewisse Mengo handwerksmässiger Handgriffe beizubringen, sondern der Lehrmeister hat doch auch die Aufgabe, dem Lehrling einen Gesammtüberblick über das Handwerk zu verschaffen, ihn über den Einkauf von Rohmaterialien zu belehren, ihm die Verwendung derselben darzulegen, den Lehrling auch zu befähigen, kaufmännisch zu kalkuliren, in welcher Weise er den Verkaufspreis einer Waare festsetzen kann. Endlich ist es Aufgabe des Meisters, dahin zu wirken, dass das Wissen, welches die Lehrlinge mitgebracht haben, auch während der Lehrzeit erhalten und erweitert wird. Wäre die Ausbildung der Lehrlinge, besonders in kaufmännischer Beziehung, eine erheblich grössere, so würden gar manche Klagen seitens der Handwerker-

531 § 89. Die aus der Errichtung und der ThStigkeit der Innung und ihres Gesellenausschusses (§ 95) erwachsenden Kosten sind, soweit sie aus den Erträgen des vorhandenen Vermögens oder aus sonstigen Einnahmen keine Deckung finden, von den Innungsmitgliedern aufzubringen. Die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen beginnt mit dem Anfange des auf den Eintritt folgenden Monats. Die auf Grund des Statuts oder der Nebenstatuten umgelegten Beiträge sowie dit* f ü r d i e B e n u t z u n g der I n n u n g s e i n r i c h t u n g e n z u e n t r i c h t e n d e n G e b ü h r e n (§88, A b s a t z 3 ) w e r d e n auf A n t r a g d e s I n n u n g s v o r s t a n d e s auf kreise darüber schwinden, dass so viele Auswüchse des Submissionswesens vorhanden sind. Gerade dadurch, dass manche Handwerker nicht in der Lage sind, auf kaufmännischem Wege den Verkaufspreis einer Waare ermitteln zu können, kommen sie mit Unterbietungen, die schliesslich dahin führen, auch das gesunde Handwerk zu ruiniren. Zum Zweiten machen doch auch die Fachschulen den Lehrling werthvoller während seiner Lehrzeit. Es wird durch den Besuch der Schule die Hand des jungen Mannes geschickter gemacht und erhält eine höhere Ausbildung, so dass ihm der Meister bald bessere Arbeiten anvertrauen, ja ihn selbst bei der Buchführung und bei seinen Schreibarbeiten verwenden kann. Auch die erziehliche Einwirkung der Schale ist für den Meister von Werth. Der Lehrling wird sich ein freies, aber anständiges Benehmen im Verkehr mit Erwachsenen und Gebildeten aneignen. Alle diese Dinge sprechen dafür, dass ein ebensolches Interesse, ja ein höheres Interesse der Meister an der Einrichtung der Fachschule hat als der Lehrling selbst. Die Fachschulen sind in Folge der weitgehenden Arbeitsteilung auf vielen Gebieten in Folge des eigenartigen Geschäftsbetriebes in vielen Werkstätten als eine Ergänzung der Lehrwerkstatt anzusehen Es ist weiter zu bedenken, dass f ü r die Innungen auch das R e c h t d e s Zwanges besteht, ihre Lehrlinge ia die Schule zu schicken. Nach § 81 a Ziffer 3, steht den Innungen die nähere Begulirung des Lehrlingswesens und des Besuchs der Schulen zu. Ich bin nun nicht der Meinung, dass mit dem Zwang es sich vereinigen lässt, dass man die Lehrlinge nun auch zu Beiträgen heranzieht Dem Zwang auf der einen Seite muss auf der anderen Unentgeltlichkeit gegenüberstehen. Dieser Gesichtspunkt ist ja auch massgebend gewesen für die Beseitigung des Schalgeldes in den Volksschulen. Wenn nun der Hoffnung Ausdruck gegeben würde, die Innungen .werden die Lehrlinge nicht zwingen, in die Fachschale zu gehen, so würde ich bedauern, wenn die Innungen von diesem ihrem Rechte nicht Gebrauch machen würden; ich würde mich vielmehr freuen, wenn die Innungen ihre Lehrlinge zwingen, diejenigen Fachschulen, die sie ihnen einrichten, auch zu besuchen. Alle die Gründe, die gegen den Besuch der obligatorischen Fortbildangsund Fachschulen erhoben werden, sind meines Erachtens nicht stichhaltig. Allerdings sagt man, es kommen dadurch a n g e e i g n e t e Elemente in dio Fachschulen hinein. Gerade diese ungeeigneten Elemente sind aber die g e e i g n e t e n Personen, erzogen und gebildet zu werden. Man sagt wohl auch, es sei der fakultative Besuch der Schulen die edlere Form der Fortbildung. Das ist an sich richtig. Wer eine Schale besucht, weil er sie besuchen inuss, erwirbt sich dadurch kein sittliches Verdienst. Aber es handelt sich beim Besuch der Fachschulen nicht um die Erhebung eines Beweises über die Strebsamkeit der jungen Leute, sondern es handelt sich darum, a l l e jungen Leute in die Fachschule zu bringen, damit a l l e eine gleichmässig gute Ausbildung erhalten Endlich spricht doch auch dagegen, dass man unmündigen Personen ein Selbstbestimmungsrecht nicht einräumen kann; mit 14 Jahren weiss man noch nicht zu beurtheilen, was zum späteren Fortkommen in einem Berufe erforderlich ist." — Demgegenüber wurde betont, dass auch die Genieinden für den Besuch ihrer Fachschulen Gebühren erheben und dass man den Innungen nicht verwehren dürfe, die wohlhabenden I«hrlinge bezw. deren Eltern und die Arbeitgeber zu den Kosten heranzuziehen. — K o m m i s s i o n s b e r i c h t S. 10, 11. S t e n o g r . Ber. S. 5979 ff. — Bei Z w a n g s i n n u n g e n unterliegt die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von Fachschulen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 100 s, letzter Absatz). — 34*

532 d e m f ü r die B e i t r e i b u n g d e r G e m e i n d e a b g a b e n l a n d e s r e c h t l i c h v o r g e s e h e n e n W e g e z w a n g s w e i s e eingezogen. D a s G l e i c h e gilt f ü r die E i n z i e h u n g von O r d n u n g s s t r a f e n (§ 92c). Streitigkeiten wegen Entrichtung von Beiträgen und Gebühren entscheidet die Aufsichtsbehörde. Die Entscheidung kann binnen zwei "Wochen durch Beschwerde bei der höheren Verwaltungsbehörde angefochten werden; diese entscheidet endgültig. § 89 a. Die Einnahmen und Ausgaben der Innung sind von allen ihren Zwecken fremden Vereinnahmungen und Verausgabungen getrennt festzustellen; ihre Bestände sind gesondert zu verwahren. Die Bestände müssen in der durch die §§ 1807 und 1808 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Weise angelegt werden. Sofern der Bezirk der Innung sich nicht über das Gebiet eines Bundesstaats hinaus erstreckt, kann die Anlegung auch in der nach Artikel 212 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch zugelassenen Weise erfolgen. Zeitweilig verfügbare Gelder dürfen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde auch in anderer als der durch die §§ 1807 und 1808 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Weise vorübergehend angelegt werden. Ueber die Aufbewahrung von Werthpapieren trifft die Aufsichtsbehörde Bestimmung. § 89b. Die Innung bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bei: 1. dem Erwerbe, der Veräusserung oder der dinglichen Belastung von Grundeigen thum; 2. Anleihen, sofern ihr Betrag nicht nur zur vorübergehenden Aushülfe dient und aus den Ueberschüssen der laufenden Einnahmen über die Ausgaben einer Voranschlagsperiode zurückerstattet werden kann; 3. der Veräusserung von Gegenständen, welche einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Ennstwerth haben. § 90. Auf Innungskrankenkassen finden ausser den Vorschriften des § 73 des Krankenversicherungsgesetzes auch die §§ 34 bis 38, 45 Absatz 5, 47 Absatz 3 bis 6 des letzteren entsprechende Anwendung. Jedoch kann die Kassenverwaltung ausschliesslich den Gesellen (Gehülfen) und Arbeitern übertragen, und unter der Voraussetzung, dass die Innungsmitglieder die Hälfte der Kassenbeiträge aus eigenen Mitteln bestreiten, beschlossen Wehlen, dass der Vorsitzende, sowie die Hälfte der Mitglieder des Vorstandes und der Generalversammlung von der Innung zu bestellen sind. § 91. Die auf Grund des § 81b, Ziffer 4 errichteten Innungsschiedsgerichte müssen mindestens aas einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern bestehen. Die Beisitzer and deren Stellvertreter sind zur Hälfte aus den Innungsmitgliedern, zur Hälfte aus den bei ihnen beschäftigten Gesellen (Gehülfen) und Arbeitern zu entnehmen. Die ersteren sind von der Innungsversammlung, die letzteren von den Gesellen (Gehülfen) und Arbeitern zu wählen. Auf das Wahlrecht finden die Vorschriften der §§ 10, 13 Absatz 1, 14 Absatz 1 des Gewerbegerichtsgesetzes Anwendung. Der Vorsitzende wird von der Aufsichtsbehörde bestimmt; er braucht der Innung nicht anzugehören. Die Beisitzer erhalten für jede Sitzung, welcher sie beigewohnt haben, Vergütung der baaren Auslagen und eine Entschädigung für Zeitversäumniss; die Höhe der letzteren und der Betrag der dem Vorsitzenden zu gewährenden Vergütung sind im Nebenstatute festzusetzen. Sind Wahlen nicht zu Stande gekommen, oder verweigern die Gewählten die Dienstleistung, so hat die Aufsichtsbehörde die Beisitzer aus der Zahl der wählbaren Innungsmitglieder, Gesellen (Gehülfen) und Arbeiter zu ernennen. Die Anberaumung des ersten Termins soll innerhalb acht Tagen nach Eingang der Klage erfolgen und die Entscheidung nach Möglichkeit beschleunigt werden.

533 Wird die achttägige Frist nicht innegehalten, so kann der Kläger verlangen, dass statt des Innungsschiedsgericbts an den Orten, wo Gewerbegerichte bestehen, diese und, wo solche nicht bestehen, die ordentlichen Gerichte entscheiden. Dies Verlangen ist dem darnach zuständigen Gewerbegericht oder ordentlichen Gericht and dem Innungsschiedsgerichte schriftlich mitzutheilen. § 91 a. Erfolgt durch das Innungsschiedsgericht eine Verurtheilung auf Vornahme einer Handlung, so ist der Beklagte zugleich auf Antrag des Klägers für den Fall, dass die Handlang nicht binnen einer zu bestimmenden Frist vorgenommen wird, zur Zahlung einer nach dem Ermessen des Gerichts festzusetzenden Entschädigung zu verurtheilen. In diesem Falle ist die Zwangsvollstreckung gemäss §§ 773 und 774 der Civilprozessordnung') ausgeschlossen. § 91b. Die Entscheidungen der Innung (§ 81a Ziffer 4) und der Innungsschiedsgerichte (§ 81b Ziffer 4) sind schriftlich abzufassen; sie gehen in Rechtskraft über, wenn nicht binnen einer Nothfrist von einem Monat eine Partei Klage bei dem ordentlichen Gericht erhebt. Die Frist beginnt gegen eine bei der Verkündigung nicht anwesende Partei mit der Behändigung der Entscheidung. Aus Vergleichen, welche nach Erhebung der Klage vor der Tnnnng oder dem Innungsschiedsgerichte geschlossen sind, findet die Zwangsvollstreckung statt. Die Entscheidungen können von Amtswegen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden; wenn sie die im § 3 Ziffer 1 des Gewerbegerichtsgesetzes bezeichneten Streitigkeiten betreffen, oder der Gegenstand der Verurtheilung an Geld oder Geldeswerth die Summe von einhundert Mark nicht übersteigt Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht auszusprechen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachtheil bringen würde; auch kann sie von einer vorläufigen Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Vollstreckung erfolgt, sofern die Partei dies beantragt, auf Ersuchen der Innung oder des Innungsschiedsgerichts durch die Polizeibehörde nach Massgabe der Vorschriften über das Verwaltungszwangsverfahren; wo ein solches Verfahren nicht besteht, finden die Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung. Ein unmittelbarer Zwang zur Vornahme einer Handlung ist nur im Falle des § 127 d zulässig. Ist rechtzeitig Klage erhoben, so findet der § 647 der Civilprozessordnung entsprechende Anwendung. § 92. Die Angelegenheiten der Innung werden von der Innungsversammlung und dem Vorstande wahlgenommen. Zur Wahrnehmung einzelner Angelegenheiten können Ausschüsse gebildet werden. Die Innungsversammlung besteht nach Bestimmung des Statuts entweder ans allen Innungsmitgliedern oder ans Vertretern, welche von jenen ans ihrer Mitte gewählt werden. Der Vorstand wird von der Innungsversammlung auf bostimmte Zeit mittelst geheimer Wahl gewählt. Die Wahl durch Zuruf ist zulässig, wenn Niemand widerspricht Die Wahlen der Vertreter und des Innungsvorstandes finden unter Leitung des Innungsvorstandes statt. Die erste Wahl nach Errichtung der Innung, sowie spätere Wahlen, bei denen ein Vorstand nicht vorhanden ist, werden von einem Beauftragten der Aufsichtsbehörde geleitet. Ueber die Wahlhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen. § 92 a. Der Vorstand hat nach näherer Bestimmung des Statuts die laufende Verwaltung zu führen. Er hat über jede Aenderung in seiner Zusammensetzung und über das Ergebniss jeder Wahl der Aufsichtsbehörde binnen einer Woche Anzeige zu erstatten. ') Jetzt 887, 888 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Mai 1898 (R.-G.-Bl. S. 460).

534 Ist die Anzeige nicht erfolgt, so kann die Aenderung dritten Personen nur Hann entgegengehalten weiden, wenn bewiesen wird, dass sie letzteren bekannt war. § 92 b. Die Innungen weiden durch ihren Vorstand gerichtlich and aussergerichtlich vertreten. Die Vertretung erstreckt sich auch auf diejenigen Geschäfte and Rechtshandlungen, für welche nach den Gesetzen eine Spezialvollmacht erforderlich ist. Durch das Statut kann einem Mitglied oder mehreren Mitgliedern des Vorstandes die Vertretung nach aussen fibertragen weiden. Zur Legitimation des Vorstandes genügt bei allen Rechtsgeschäften die Bescheinigung der Aufsichtsbehörde, dass die darin bezeichneten Personen zur Zeit den Vorstand bilden. Die Mitglieder des Vorstandes haften für pflichtmässige Verwaltung wie Vormünder ihren Mündeln. § 02c. D e r V o r s t a n d i s t b e r e c h t i g t , ü b e r I n n u n g s m i t g l i e d e r bei V e r s t ö s s e n gegen s t a t u t a r i s c h e V o r s c h r i f t e n O r d n u n g s s t r a f e n , i n s b e s o n d e r e G e l d s t r a f e n bis zum B e t r a g e von 2 0 Mk. zu verhängen. U e b e r Beschwerden e n t s c h e i d e t die A u f s i c h t s b e h ö r d e . D e r B e t r a g der G e l d s t r a f e n f l i e s s t in die I n n u n g s k a s s e . § 93. Die Innungsversammlung beschliesst über alle Angelegenheiten der Innung, deren Wahrnehmung nicht nach Vorschrift des Gesetzes oder des Statuts dem Vorstande obliegt. Der 1. 2. 3.

Innungsversammlung muss vorbehalten bleiben: die Feststellung des Haushaltsplans; die Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung; die Bewilligung von Ausgaben, welche im Haushaltsplane nicht vorgesehen sind; 4. die Verfolgung von Ansprüchen, welche der Innung gegen Vorstandsmitglieder aus deren Amtsführung erwachsen, durch Beauftragte. 5. der E r l a s s von V o r s c h r i f t e n zur n ä h e r e n R e g e l u n g des L e h r lingswosens;1) 6. die Beschlussfassung über: a) den Erwerb, die Veräasserung oder die dingliche Belastung von Grundeigentimm; b) die Veräusserung von Gegenständen, welche einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Kunstwerth haben; c) die ufnahme von Anleihen; 7. die Wahl der Mitglieder der Oigane zur Entscheidung der im § 81a, Ziffer 4 und § 81 b Ziffer 4 bezeichneten Streitigkeiten, soweit sie aus der Zahl der Innungsmitglieder zu entnehmen sind; 8. die W a h l d e r M i t g l i e d e r d e r P r ü f u n g s a u s s c h ü s s e , soweit sie aus d e r Zahl der I n n u n g s m i t g l i e d e r zu e n t n e h m e n s i n d ; 9. die Beschlussfassung über Abänderung des Statuts, sowie über Errichtung und Abänderung von Nebenstatuten; 10. die Beschlussfassung über die Auflösung der Innung. § 93 a. Berechtigt zur Wahl der Vertreter zur Innungsversammlung und stimmberechtigt in der Innungsversammlung sind nur die volljährigen Innungsmitglieder mit Ausnahme derjenigen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden oder durch'gerichtliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind. Wählbar zu Mitgliedern des Vorstandes und dei Ausschüsse, sowie zu Mitgliedern des im § 83 Absatz 2 Ziffer 11 bezeichneten Oigans sind nur solche ') Vgl. auch §§ 103 e Ziff. 1, 103 f Abs. 2, 128, 129b, 130a.

535 wahlberechtigte Innungsmitglieder, welche zrnn Amte eines Schöffen fähig sind (§§ 31, 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes).') Durch das Statut kann bestimmt werden, dass Innungsmitglieder, welche mit der Zahlung der Beiträge wiederholt im Bückstande geblieben sind, weder wahlberechtigt noch wählbar und von der Theilnahme an den Geschäften der Innung für gewisse Zeit ausgeschlossen sind. In gleicher Weise kann bestimmt werden, dass Innungsmitglieder, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, oder durch gerichtliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind, von der Theilnahme an den Geschäften der Innung ausgeschlossen sind. § 94. Beschwerden gegen die Rechtsgültigkeit der Wahlen sind nur binnen vier Wochen nach der Wahl zulässig. Sie werden durch die Aufsichtsbehörde endgültig entschieden. Dieselbe hat auf erhobene Beschwerde Wahlen, welche gegen das Gesetz oder auf Grund des Gesetzes erlassene Wahlvoischriften Verstössen, für ungültig zu erklären. § 94a. Die M i t g l i e d e r d e r l n n u n g s v o r s t ä n d e , P r ü f u n g s a u s s c h ü s s e und G e s e l l e n a u s s c h ü s s e , sowie der Organe zur Entscheidung der im § 81a, Ziffer 4 bezeichneten Streitigkeiten v e r w a l t e n i h r Amt als E h r e n a m t u n e n t g e l t l i c h , d o c h k a n n i h n e n n a c h n ä h e r e r B e s t i m m u n g des S t a t u t s E r satz b a a r e r A u s l a g e n u n d e i n e E n t s c h ä d i g u n g f ü r Z e i t v e r s ä u m n i s s gewährt werden. Die A n n a h m e d e r Wahl k a n n n u r a u s G r ü n d e n v e r w e i g e r t w e r d e n , a u s d e n e n die W a h l zum B e i s i t z e r e i n e s G e w e r b e g e r i c h t s (§ 18 d e s G e w e r b e g e r i c h t s g e s e t z e s ) a b g e l e h n t w e r d e n kann. Ablehnungsg r ü n d e des G e w ä h l t e n sind n u r zu b e r ü c k s i c h t i g e n , w e n n sie b i n n e n zwei W o c h e n , n a c h d e m d e r G e w ä h l t e von s e i n e r Wahl in K e n n t n i s s g e s e t z t i s t , s c h r i f t l i c h g e l t e n d g e m a c h t w e r d e n . U e b e r den Abl e h n u n g s a n t r a g entscheidet die A u f s i c h t s b e h ö r d e endgültig. Diese B e s t i m m u n g e n f i n d e n auf d i e M i t g l i e d e r d e r I n n u n g s s c h i e d s g e r i c h t e entsprechende Anwendung. § 94b. M i t g l i e d e r der Innungsvorstände, der A u s s c h ü s s e der I n n u n g e n , der Gesellenausschüsse, sowie der Organe zur Entscheidung der in §§ 81 a, Ziffer 4 und 81 b Ziffer 4 bezeichneten Streitigkeiten, h i n s i c h t l i c h d e r e n U m s t ä n d e e i n t r e t e n o d e r b e k a n n t w e r d e n , w e l c h e die W ä h l b a r k e i t a u s s c h l i e s s e n , h a b e n a u s dem A m t e a u s z u s c h e i d e n . Im F a l l e d e r W e i g e r u n g e r f o l g t die E n t h e b u n g d e s B e t h e i l i g t e n vom A m t e d u r c h die A u f s i c h t s b e h ö r d e n a c h A n h ö r u n g d e s B e t h e i l i g t e n u n d d e r K ö r p e r s c h a f t , w e l c h e r er a n g e h ö r t . Gegen d i e V e r f ü g u n g der A u f s i c h t s b e h ö r d e ist b i n n e n v i e r Wochen die B e s c h w e r d e z u l ä s s i g . Die E n t s c h e i d u n g ü b e r die Beschwerde ist endgültig. ") Die §§ 31, 32 des G.-V.-G. l a u t e n : § 31. Das Amt eines Schöffen ist ein Ehrenamt. Dasselbe kann nur von einem Deutschen versehen werden. § 32. Unfähig zu dem Amte eines Schöffen sind: 1. Personen, welche die Befähigung in Folge strafrechtlicher Verurtheilung verloren haben; 2. Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens eröffnet ist, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Aemter zur Folge haben kann; 3. Personen, welche in Folge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.

536 § 94c. Die I n n u n g e n s i n d b e f u g t , d u r c h B e a u f t r a g t e die B e f o l g u n g d e r g e s e t z l i c h e n u n d s t a t u t a r i s c h e n V o r s c h r i f t e n 1 ) in d e n zur I n n u n g g e h ö r i g e n B e t r i e b e n zu ü b e r w a c h e n u n d von d e r E i n r i c h t u n g d e r B e t r i e b s r ä u m e und der f ü r die U n t e r k u n f t der L e h r l i n g e bestimmten R ä u m e K e n n t n i s s zu n e h m e n . Die V e r p f l i c h t e t e n h a b e n den a l s s o l c h e l e g i t i m i r t e n B e a u f t r a g t e n der b e t h e i l i g t e n I n n u n g e n auf E r f o r d e r n w ä h r e n d der Bet r i e b s z e i t d e n Z u t r i t t zu den W e r k s t ä t t e n u n d U n t e r k u n f t s r ä u m e n , s o w i e zu den s o n s t in B e t r a c h t k o m m e n d e n R ä u m l i c h k e i t e n zu g e s t a t t e n und ihnen A u s k u n f t ü b e r a l l e G e g e n s t ä n d e zu g e b e n , w e l c h e f ü r die E r f ü l l u n g i h r e s A u f t r a g s von B e d e u t u n g s i n d ; s i e k ö n n e n h i e r z u auf A n t r a g d e r B e a u f t r a g t e n von d e r O r t s p o l i z e i behörde angehalten werden. N a m e n und W o h n s i t z d e r B e a u f t r a g t e n sind von der I n n u n g der Aufsichtsbehörde anzuzeigen. Die B e a u f t r a g t e n s i n d v e r p f l i c h t e t , d e n im § 139b b e z e i c h n e t e n Beamten*) auf E r f o r d e r n ü b e r i h r e U e b e r w a c h u n g s t h ä t i g k e i t u n d d e r e n E r g e b n i s s e M i t t h e i l u n g zu m a c h e n . B e f ü r c h t e t d e r B e t r i e b s u n t e r n e h m e r von d e r B e s i c h t i g u n g des Betriebs durch den B e a u f t r a g t e n der Innung eine Schädigung s e i n e r G e s c h ä f t s i n t e r e s s e n , so kann e r d i e B e s i c h t i g u n g d u r c h e i n e n a n d e r e n S a c h v e r s t ä n d i g e n b e a n s p r u c h e n . In d i e s e m F a l l e h a t er dem V o r s t a n d e d e r I n n u n g , sobald e r den N a m e n d e s B e a u f t r a g t e n e r f ä h r t , eine e n t s p r e c h e n d e M i t t h e i l u n g zu m a c h e n und e i n i g e g e e i g n e t e P e r s o n e n zu b e z e i c h n e n , w e l c h e auf s e i n e K o s t e n die e r f o r d e r l i c h e n B e s i c h t i g u n g e n v o r z u n e h m e n u n d dem V o r s t a n d e die e r f o r d e r l i c h e A u s k u n f t ü b e r die v o r g e f u n d e n e n V e r h ä l t n i s s e zu geben b e r e i t sind. I n E r m a n g e l u n g e i n e r V e r s t ä n d i g u n g z w i s c h e n dem B e t r i e b s u n t e r n e h m e r u n d d e m V o r s t a n d e e n t s c h e i d e t auf A n s u c h e n des l e t z t e r e n die Aufsichtsbehörde. Auf R ä u m e , w e l c h e B e s t a n d t h e i i e l a n d w i r t h s c h a f t l i c h e r o d e r f a b r i k m ä s s i g e r B e t r i e b e s i n d , f i n d e n die v o r s t e h e n d e n B e s t i m m u n g e n keine Anwendung. § 95. Die bei den Innungsmitgliedern beschäftigten Gesellen (Gehülfen) nehmen an der Erfüllung der Aufgaben der Innung und an ihrer Verwaltung Theil, soweit dies durch Gesetz oder Statut bestimmt ist. Sie wählen zu diesem Zwecke den Gesellenausschuss. D e r G e s e l l e n a u s s c h u s s i s t bei d e r R e g e l u n g des L o h r l i n g s w e s e n s u n d bei d e r G e s e l l e n p r ü f u n g , sowie bei d e r B e g r ü n d u n g und V e r w a l t u n g a l l e r E i n r i c h t u n g e n zu b e t h e i l i g e n , f ü r w e l c h e die G e s e l l e n (Gehülfen) B e i t r ä g e zu e n t r i c h t e n o d e r e i n e b e s o n d e r e M ü h e w a l t u n g ü b e r n e h m e n , o d e r w e l c h e zu i h r e r U n t e r s t ü t z u n g b e s t i m m t sind. ') Hierbei kommen namentlich die V o r s c h r i f t e n ü b e r d a s L e h r l i n g s w e s e n in Betracht. *) Das sind die s t a a t l i c h e n G e w e r b e a u f s i c h t s b e a m t e n , deren Zuzuständigkeit übrigens durch die Befugnisse der Beauftragten nicht berührt wird. Der Entwurf ging bei dieser Bestimmung davon aus, dass in der Bestellung solcher Beauftragten eine werthvolle Unterstützung der Gewerbeaufsichtsbeamten zu erblicken sei. Um die Kontrole, die, wie behauptet wurde, sonst „höchst wahrscheinlich nur auf dem Papier stehen bleiben" würde, wirksamer zu gestalten, wurde in der Kommission und im Reichstage beantragt, dabei den Gesellenausschuss zu betheiligen und den Beauftragten eine r e g e l m ä s s i g e Berichterstattung, nicht also blos „auf Erfordern", zur Pflicht zu machen. Die Anträge wurden abgelehnt, weil man aus der Betheiligung der Gesellen unliebsame Streitigkeiten, aus der regelmässigen Berichterstattung eine Ueberhäufung der Innungen mit Arbeitslosen befürchtete. K o m m . - B e r . S. 16; S t e n . Ber. S. 5985.

537 Die n ä h e r o R e g e l u n g d i e s e r B e t h e i l i g u n g h a t d u r c h das S t a t u t m i t d e r M a s s g a b e zu e r f o l g e n , d a s s 1. bei d e r B e r a t h u n g u n d B e s c h l u s s f a s s u n g des I n n u n g s v o r s t a n d e s m i n d e s t e n s ein Mitglied des G e s e l l e n a u s s c h u s s e s mit vollem S t i m m r e c h t z u z u l a s s e n ist; 2. bei d e r B e r a t h u n g und B e s c h l u s s f a s s u n g d e r I n n u n g s v e r s a m m l u n g s e i n e s ä m m t l i c h e n M i t g l i e d e r mit vollem S t i m m rechte zuzulassen sind; 3. bei d e r V e r w a l t u n g von E i n r i c h t u n g e n , f ü r w e l c h e die Ges e l l e n ( G e h ü l f e n ) A u f w e n d u n g e n zu m a c h e n h a b e n , a b g e s e h e n von d e r P e r s o n d e s V o r s i t z e n d e n , G e s e l l e n , w e l c h e v o m G e s e l l e n a u s s c h u s s g e w ä h l t w e r d e n , in g l e i c h e r Zahl zu bet h e i l i g e n s i n d wie die I n n u n g s m i t g l i e d e r . Die A u s f ü h r u n g von B e s c h l ü s s e n d e r I n n u n g s v e r s a m m l u n g in d e n im A b s a t z 2 b e z e i c h n e t e n A n g e l e g e n h e i t e n darf n u r m i t Z u s t i m m u n g des G e s e l l e n a u s s c h u s s e s e r f o l g e n . W i r d die Z u s t i m m u n g v e r s a g t , so k a n n s i e d u r c h die A u f s i c h t s b e h ö r d e e r g ä n z t w e r d e n . § 95 a. Zur Theilnahme an der Wahl des Gesellenausschusses sind die bei einem Innungsmitgliede beschäftigten volljährigen Gesellen (Gehülfen) berechtigt, welche sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden. Wählbar ist jeder wahlberechtigte Geselle, welcher zum Amte eines Schöffen fähig ist. (§§ 31, 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes.) Die Wahl zum Gesellenausschusse leitet ein Mitglied des Innungsvorstandes, wenn ein solches nicht vorhanden ist, ein Vertreter der Aufsichtsbehörde. § 95 b. Für die Mitglieder des Gesellenausschusses sind Ersatzmänner zu wählen, welche für dieselben in Behinderungsfällen oder im Falle des Ausscheidens für den Rest der Wahlperiode in der Reihenfolge der Wahl einzutreten haben. Wird dessen ungeachtet der Gesellenausschuss nicht vollzählig, so hat er sich für den Rest der Wahlzeit durch Zuwahl zu ergänzen. § 95 c. Mitglieder des Gesellenausschusses behalten, auch wenn sie nicht mehr bei Innungsmitgliedern beschäftigt sind, solange sie im Bezirke der Innung verbleiben, die Mitgliedschaft noch während dreier Monate seit dem Austritt aus der Beschäftigung bei Innungsmitgliedern. § 96. Die Innungen unterliegen der Aufsicht der unteren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk sie ihren Sitz haben. D i e A u f s i c h t s b e h ö r d e ü b e r w a c h t i n s b e s o n d e r e die B e f o l g u n g d e r g e s e t z l i c h e n u n d s t a t u t a r i s c h e n V o r s c h r i f t e n und k a n n sie d u r c h A n d r o h u n g , F e s t s e t z u n g u n d V o l l s t r e c k u n g von O r d n u n g s s t r a f e n g e g e n die I n h a b e r d e r I n n u n g s ä m t e r , g e g e n die I n n u n g s m i t g l i e d e r und g e g e n d e r e n G e s e l l e n , s o w e i t d i e s e an den G e s c h ä f t e n d e r I n n u n g t h e i l n e h m e n , e r z w i n g e n . Die G e l d s t r a f e n f l i e s s e n in die 1 nnungskasse. Die Aufsichtsbehörde ist befugt, der Innung, wenn sie es unterlässt, ihr zustehende Ansprüche geltend zu machen, einen Vertreter zur gerichtlichen Verfolgung der Angelegenheit zu bestellen. Sie entscheidet Streitigkeiten Uber die Aufnahme und Ausschliessung der Mitglieder, über die Wahlen zu den Innungsämtern, sowie unbeschadet der Rechte Dritter, über die Rechte und Pflichten der Inhaber dieser Aemter. Sie h a t das R e c h t , e i n e n V e r t r e t e r zu d e n P r ü f u n g e n zu e n t senden. 1 ) Sie beruft und leitet die Innungsversammlung, wenn der Innungsvorstand dieselbe zu berufen sich weigert. ') Die Aufsichtsbehörde hat den Innungsvorstand anzuweisen, Zeit und Ort jeder von der Innung zu veranstaltenden Prüfung rechtzeitig anzuzeigen und von

538 Ueber Abänderungen des Innungsstatuts oder der Nebenstatuten und über die Auflösung der Innung kann von der InnungsVersammlung nur im Beisein eines Vertreters der Aufsichtsbehörde beschlossen werden. Gegen d i e A n o r d n u n g e n und E n t s c h e i d u n g e n d e r A u f s i c h t s b e h ö r d e ist b i n n e n v i e r W o c h e n B e s c h w e r d e z u l ä s s i g . Die E n t s c h e i d u n g ü b e r die B e s c h w e r d e ist endgültig. § 97. D i e S c h l i e s s u n g e i n e r I n n u n g k a n n e r f o l g e n : 1. wenn sich ergiebt, dass nach § 84 die Genehmigung hätte versagt werden müssen und die erforderliche Aenderung des Statuts innerhalb einer zu setzenden Frist nicht bewirkt wird; 2. w e n n die I n n u n g w i e d e r h o l t e r A u f f o r d e r u n g d e r A u f s i c h t s b e h ö r d e u n g e a c h t e t die E r f ü l l u n g d e r i h r d u r c h § 8 1 a g e s e t z t e n Aufgaben vernachlässigt; 3. wenn die Innung sich gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet wird, oder wenn sie andere als die gesetzlich zulässigen Zwecke verfolgt; 4. wenn die Zahl ihrer Mitglieder so weit zurückgeht, dass die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben dauernd gefährdet erscheint. Die Schliessung wird durch die höhere Verwaltungsbehörde ausgesprochen. Gegen d i e die S c h l i e s s u n g a u s s p r e c h e n d e V e r f ü g u n g f i n d e t d e r R e k u r s s t a t t ; wegen des V e r f a h r e n s u n d d e r B e h ö r d e n g e l t e n die Vors c h r i f t e n d e r §§ 20 und 21, s o w e i t n i c h t l a n d e s g e s e t z l i c h das V e r f a h r e n in s t r e i t i g e n V e r w a l t u n g s s a c h e n P l a t z g r e i f t . Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen einer Innung hat die Schliessung kraft Gesetzes zur Folge. § 98. Bei der Auflösung einer Innung wird die Abwickelung der Geschäfte, sofern die InnungBversammlung nicht anderweitig beschliesst, durch den Vorstand unter Aufsicht der Aufsichtsbehörde vollzogen. Genügt der Vorstand seiner Verpflichtung nicht, oder tritt die Schliessung der Innung ein, so erfolgt die Abwickelung der Geschäfte durch die Aufsichtsbehörde oder Beauftragte derselben. Von dem Zeitpunkte der Auflösung oder Schliessung ab bleiben die Innungsmitglieder noch für diejenigen Zahlungen verhaftet, zu welchen sie für den Fall eigenen Ausscheidens aus den Innungsverhältnissen verpflichtet sind. Die höhere Verwaltungsbehörde ist befugt, den bisher mit der Innung verbunden gewesenen, nicht unter § 73 des Krankenversicherungsgesetzes fallenden Unterstützungskasseo nach der Auflösung oder Schliessung der Innung Korporationsrechte zu verleihen; in diesem Falle verbleiben den Kassen ihre bisherigen Bestände. § 98 a. Das bei der Auflösung oder Schliessung vorhandene Vermögen ist zunächst zur Berichtigung der vorhandenen Schulden und zur Erfüllung der sonstigen Verpflichtungen der Innung zu verwenden. Eine Vertheilung des hiernach verbleibenden Reinvermögens unter die Mitglieder kann die Innung nur soweit beschüessen, als dasselbe aus Beiträgen dieser Mitglieder entstanden ist. Keinem Anspruchsberechtigten darf mehr als der Gesammtbetrag der von ihm geleisteten Beiträge ausbezahlt werden. D e r R e s t des V e r m ö g e n s w i r d , s o f e r n in dem S t a t u t o d e r in den L a n d e s g e s e t z e n n i c h t ein a n d e r e s a u s d r ü c k l i c h b e s t i m m t i s t , d e r G e m e i n d e , in w e l c h e r die I n n u n g i h r e n S i t z h a t t e , z u r B e n u t z u n g f ü r g e w e r b l i c h e Zwecke 1 ) ü b e r w i e s e n . ihrem Recht, zu den Prüfungen einen Vertreter zu entsenden, in der Regel Gebrauch zu machen. Ziffer 10 der Ausf.-Anw. vom 1. März 1898. ') Dazu werden namentlich auch solche zur Förderung der Lehrlingsausbildung gehören.

539 Streitigkeiten zwischen der Gemeinde und der Innung, welche bei der Aasführung der vorstehenden Bestimmungen entstehen, entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde. § 99. Die Statuten und Nebenstatuten der Innungen, die Bescheinigung über die Legitimation der Vorstände, sowie die Ausfertigung der Vollmachten der Beauftragten sind kosten- und stempelfrei. b. Z w a n g s i n n u n g e n . ' ) § 100. Zur Wahrung der gemeinsamen gewerblichen Interessen der Handwerke gleicher oder verwandter Art ist durch die höhere Verwaltungsbehörde auf Antrag Betheiligter (§ 100 f Absatz 1) anzuordnen, dass innnerhalb eines bestimmten Bezirkes sämmtliche Gewerbetreibende, welche das gleiche Handwerk oder verwandte Handwerke ausüben, einer neu zu errichtenden Innung (Zwangsinnung) als Mitglieder anzugehören haben, wenn 1. die Mehrheit der betheiligten Gewerbetreibenden der Einführung des Beitrittszwanges zustimmt, 2. der Bezirk der Innung so abgegrenzt ist, dass kein Mitglied durch die Entfernung seines Wohnorts vom Sitze der Innung behindert wird, am Genossenschaftsleben Theil zu nehmen und die Innungseinrichtungen zu benutzen, und 3. die Zahl der im Bezirke betheiligten Handwerker zur Bildung einer leistungsfähigen Innung ausreicht Der Antrag kann auch darauf gerichtet werden, die im Absatz 1 bezeichnete Anordnung nur für diejenigen daselbst bezeichneten Gewerbetreibenden zu erlassen, welche der Regel nach Gesellen oder Lehrlinge halten. Der Antrag kann von einer für das betreffende Handwerk bestehendun Innung oder von Handwerkern gestellt werden, welche zu einer neuen Innung zusammentreten wollen, Ohne Herbeiführung einer Abstimmung (§ 100a) kann der Antrag abgelehnt werden, wenn die Antragsteller einen verhältnissmässig nur kleinen Bruchtheil der betheiligten Handweiter bilden, oder ein gleicher Antrag bei einer innerhalb der letzten drei Jahre stattgefundenen Abstimmung von der Mehrheit der Betheiligten abgelehnt worden ist, oder durch andere Einrichtungen als diejenige einer Innung für die Wahrnehmung der gemeinsamen gewerblichen Interessen der beteiligten Handwerke ausreichende Fürsorge getroffen ist.1) § 100a. Um festzustellen, ob die Mehrheit zustimmt (§ 100 Absatz 1 Ziffer 1), hat die höhere Verwaltungsbehörde die betheiligten Gewerbetreibenden durch ortsübliche Bekanntmachung oder besondere Mittheilung zu einer Aeusserung *) Siehe hierzu oben S. 519—521. Die Kommission hatte beantragt: 1. dass in besonderen Fällen die im Absatz 1 bezeichnete Anordnung auch erlassen werden könne, wenn die Zustimmung der Mehrheit der betheiligten Gewerbetreibenden nicht nachgewiesen sei; 2. dass der Antrag auch darauf gerichtet werden könne, die im Absatz 1 bezeichnete Anordnung nur für diejenigen daselbst bezeichneten Gewerbetreibenden zu erlassen, welche der Regel nach Gesellen und Lehrlinge halten; 3. dass die Voraussetzung zu Absatz 1 Ziff. 3 jedenfalls dann gegeben sei, wenn zwanzig Handwerker beitrittspflichtig sind. Der Reichstag nahm, unter Ablehnung der Anträge 1 und 3, nur den Antrag 2 an. Siehe K o m m . - B e r . S. 17—21. S t e n o g r . B e r . S. 5987 ff.; 6187—«189. Der Antrag zu 2 wurde damit begründet, dass seine Annahme die Innungsbildung wesentlich erleichtern würde, indem sie denjenigen, die ein hauptsächliches Interesse an der Zwangsbildung hätten, in höherem Masse die Möglichkeit gewähre, Innnngen mit Beitrittszwang in's Leben zu rufen. Auch habe die Zwangsinnung eine wesentliche Bedeutung wohl nur für diejenigen Handwerker, welche in der Regel Gesellen oder Lehrlinge beschäftigen. *) Ueber die Art dieser „Einrichtungen" siehe oben Anm. 1 zu § 81 b, S. 527.

540 für oder gegen die Einführung des Beitrittszwanges aufzufordern. Bei der Abstimmung entscheidet die Mehrheit derjenigen, welche sich an derselben betheiligt haben. § 100 b. Die Verfügung, durch welche die in § 100 Absatz 1 bezeichnete Anordnung getroffen wird, muss den Zeitpunkt des Eintritts ihrer Wirksamkeit bezeichnen und den Namen und den Sitz der Innung, die Abgrenzung ihres Bezirks und die Bezeichnung derjenigen Gewerbe enthalten, für welche sie errichtet wird. Die höhere Verwaltungsbehörde hat die Verfügung durch das zu ihren amtlichen Bekanntmachungen bestimmte Blatt zu veröffentlichen. Gegen den Erlass der Anordnung oder deren Versagung steht den betheiligten Gewerbetreibenden binnen 4 Wochen die Beschwerde an die Landes-Zentralbehörde zu, welche endgültig entscheidet Die Frist läuft im Falle des Erlasses der Anordnung vom Tage der Veröffentlichung, im Falle der Versagung vom Tage der Eröffnung des Bescheides ab. Nach Erlass der Anordnung sind die für die gleichen Gewerbszwoige bestehenden Innungen, deren Sitz sich im Bezirke der Zwangsinnung befindet, zu schliessen. Innungen, welche ausser diesen noch andere Gewerbszweige umfassen, bleiben bestehen. Diejenigen Mitglieder, welche der Zwangsinnung anzugehören haben, scheiden kraft Gesetzes aus der bisherigen Innung aus. § 100c. Auf I n n u n g e n , f ü r w e l c h e d i e im § 100 b e z e i c h n e t e Ano r d n u n g g e t r o f f e n i s t , f i n d e n d i e V o r s c h r i f t e n d e r §§ 81a bis 99 m i t den aus den §§ lOOd bis lOOu sich e r g e b e n d e n A e n d e r u n g e n Anwendung. 1 ) § lOOd. Gegen die Versagung der Genehmigung des Innungsstatuts und seiner Abänderungen ist binnen 4 Wochen die Beschwerde an die Landes-Zentralbehörde zulässig; diese entscheidet endgültig. Wird die Genehmigung des Statuts wiederholt versagt, so hat die höhere Verwaltungsbehörde dasselbe mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen. Eigiebt sich, dass dem Statut oder seinen Abänderungen die Genehmigung hätte versagt werden müssen, so hat die höhere Verwaltungsbehörde die erforderliche Abänderung anzuordnen; der die Abänderung anordnende Bescheid kann auf dem im Absatz 1 bezeichneten Wege angefochten werden. Unterlässt die Innung, die endgültig angeordnete Abänderung zu beschliessen, so hat die Aufsichtsbehörde die Boschlussfassung anzuordnen und, falls dieser Anordnung keine Folge gegeben wird, die erforderliche Abänderung des Statuts von Amtswegen mit rechtsverbindlicher Wirkung zu vollziehen. § 100 e. Das Statut ist in geeigneter Weise zur Kenntniss der Betheiligteu zu bringen. ') Auf die Zwangsinnungen finden insbesondere Anwendung §§ 81 a, b (doch sind die Zwangsinnungen: zur Abnahme von Gesellenprüfungen v e r p f l i c h t e t , § 131, Abs. 2, und n i c h t b e r e c h t i g t , die Innungsmitglieder gegen ihre Wittwen zur Theilnahme an Unterstützungskassen zu verpflichten und gemeinsame Geschäftsbetriebe zu e r r i o h t e n , § lOOn), 82, 83, 84 (mit Ausnahme von Absatz 4, der duroh § lOOd ersetzt ist), 85 (mit Ausnahme der Vorschriften über den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb), 86, 87a (für die beitrittsberechtigten Personen, § 100 g), 88 (mit der Massgabe, dass die Erhebung von Gebühren der Genehmigung der Aufsichtsbehörde unterliegt, § 100s, letzter Absatz), 89a, 89b, 90, 91, 91a, 91b, 92, 92a, 92 b, 92 c, 93 (doch bedürfen die gemäss Ziffer 5 erlassenen Vorschriften zur näheren Regelung des Lehrlingswesens der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde, die vor der Beschlussfassung die Handwerkskammer zu hören hat, § 100p; der Haushaltsplan, die Jahresrechnung und Beschlüsse über Aufwendungen für solche Zwecke, welche im Haushaltsplan nicht vorgesehen sind, sind der Aufsichtsbehörde einzureichen, § 100o), 93a (vgl. auch § lOÖr), 94, 94a, 94b, 94c, 95, 95a (vgl. auch § lOOr), 95b, 95c, 96, 97 (vgl. auch § 100t, letzter Absatz), 98 und 98 a (mit der aus § 100 t Abs. 4 folgenden Massgabe), 99.

541 § 100 f. Als Mitglieder gehören der Innung alle diejenigen an. welche das Gewerbe, wofür die Innung errichtet ist, als stehendes Gewerbe selbständig betreiben. Ausgenommen sind: 1. diejenigen, welche das Gewerbe fabrikmässig betreiben; 2. im Falle die im § 100 Abs. 1 bezeichnete Anordnung nur für solche Gewerbetreibende getroffen worden ist, welche der Regel nach Gesellen oder Lehrlinge halten, diejenigen, welche der Regel nach weder Gesellen noch Lehrlinge halten. Inwieweit Handwerker, welche in landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben gegen Entgelt beschäftigt sind und der Regel nach Gesellen oder Lehrlinge halten, sowie Hausgewerbetreibende der Innung anzugehören haben, wird mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde durch das Statut bestimmt. Vor der Genehmigung ist den bezeichneten Personen Gelegenheit zur Aeusserung zu geben. Gewerbetreibende, welche mehrere Gewerbe betreiben, gehören derjenigen Innung als Mitglieder an, welche für das hauptsächlich von ihnen betriebene Gewerbe errichtet ist. Die Mitgliedschaft beginnt für diejenigen, welche zur Zeit der Errichtung der Innung das Gewerbe betreiben, mit diesem Zeitpunkte, für diejenigen, welche den Betrieb des Gewerbes später beginnen, mit dem Zeitpunkte der Eröffnung des Betriebes. § 100g. Berechtigt, der für ihr Gewerbe errichteten Innung für ihre Person beizutreten, sind: 1. die im § 87 Absatz 1 Ziffer 2 und 3 bezeichneten Personen, sowie die in landwirthschaftlichen oder gewerblichen Betrieben gegen Entgelt beschäftigten Handwerker, welche der Regel nach weder Gesellen noch Lehrlinge halten; 2. mit Zustimmung der Innungsrersammmlung diejenigen, welche das Gewerbe fabrikmässig betreiben; 3. in dem Falle des § 100 f Absatz 1 Ziffer 2 diejenigen Gewerbetreibenden, welche der Regel nach weder Gesellen noch Lehrlinge halten. Die nähere Regelung der Rechte dieser Personen erfolgt durch das Statut. Diesen Personen ist der Austritt aus der Innung am Schlüsse jedes Rechnungsjahres gestattet. Eine vorherige Anzeige kann frühestens sechs Monate vor dem Austritte verlangt werden. § 100 h. Streitigkeiten darüber, ob Jemand der Innung als Mitglied angehört, sowie darüber, ob Jemand der Innung beizutreten berechtigt ist, entscheidet die Aufsichtsbehörde. Die Entscheidung kann binnen zwei Wochen durch Beschwerde bei der höheren Verwaltungsbehörde angefochten werden; diese entscheidet endgültig. § lOOi. Die durch Errichtung der Innung erwachsenden Kosten sind auf Antrag der Betheiligten von der Landes-Zentralbehörde vorzuschiessen. § 100 k. Wird in Folge der Errichtung einer Zwangsinnung eine Innung geschlossen (§ 100 b Absatz 4), so geht das Vermögen dieser Innung, vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 1001 bis 100 n, mit Rechten und Pflichten auf die Zwangsinnung mit der Massgabe über, dass die letztere die daran zu machenden Forderungen nur soweit zu vertreten hat, als das Vermögen reicht. Scheidet in Folge der Errichtung einer Zwangsinnung aus einer bestehenden Innung ein Theil der Mitglieder aus (§ 100b Abs. 5), so ist der Zwangsinnung ein entsprechender Theil des Vermögens zu überweisen. Dabei ist das Verhältniss der Zahl der ausscheidenden zu der Zahl der in der Innung verbleibenden Mitglieder zu berücksichtigen. Kommt hierüber eine Einigung unter den Innungen nicht zu Stande, so entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde, welcher die bestehende Innung untersteht. Gegen die Entscheidung steht den Betheiligten binnen vier Wochen die Beschwerde an die Landes-Zentralbehörde zu. Diese entscheidet endgültig. § 1001. Wird in Folge der Errichtung einer Zwangsinnung eine Innung geschlossen (§ 100b Absatz 4), mit welcher eine Innungs-Krankenkasse (§ 73 des

542 Krankenversicherungsgesetzes) verbunden ist, so geht die letztere mit ihren Rechten und Verbindlichkeiten auf die Zwangsinnung aber. Die Innungskrankenkasse kann jedoch von der höheren Verwaltungsbehörde geschlossen werden, wenn die Zwangsinnung einen anderen Bezirk oder andere Gewerbszweige umfasst, als diejenige Innung, für welche die Innungs-Erankenkasse errichtet war, oder in Folge der Errichtung der Zwangsinnung mehrere Innungen geschlossen werden, mit welchen Innungs-Krankenkassen verbunden sind. Gegen die Verfügung, durch welche die Kasse geschlossen wird, ist binnen vier Wochen die Beschwerde an die Landes-Zentralbehörde zulässig; diese entscheidet endgültig. Wenn die InnungB-Krankenkasse auf die Zwangsinnung übergegangen ist, so werden die erforderlichen Abänderungen des Kassenstatuts bis zur anderweiten Beschlussfassung der Innungsversammlung von der höheren Verwaltungsbehörde mit rechtsverbindlicher Kraft vollzogen. Solange diese Abänderungen nicht vollzogen sind, haben die bisherigen Kassenorgane die Verwaltung fortzuführen. Sind mit der Innung, welche in Folge der Errichtung einer Zwangsinnung geschlossen wird, sonstige Unterstützungskassen verbunden, so finden die §§ 98 und 98a Anwendung. Sofern nicht statutarische oder landesgesetzliche Bestimmungen entgegenstehen, kann die Zwangsinnung mit Zustimmung der Vertretung der Unterstützungskasse diese Kasse mit allen Rechten und Verbindlichkeiten übernehmen. In letzterem Falle bleiben die bisherigen Mitglieder dieser Kasse berechtigt, ihnen anzugehören, auch wenn sie der Zwangsinnung nicht angehören. § 100 m. Scheidet in Folge der Errichtung einer Zwangsinnung aus einer bestehenden Innung, mit welcher eine Innungs-Krankenkasse (§ 73 des Krankenversicherungsgesetzes) verbunden ist, ein Theil der Mitglieder aus (§ 100 b Absatz 5), so kann, wenn eine anderweite Einigung unter den Betheiligten nicht zu Stande kommt, derjenigen Krankenkasse oder Gemeinde-Krankenversicherung, welcher die bei den Aasscheidenden beschäftigten Personen künftig anzugehören haben, ein entsprechender Theil des Vermögens durch die höhere Verwaltungsbehörde überwiesen werden; dabei ist das Verhältniss der Zahl der Ausscheidenden zu der Zahl der in der Innung verbleibenden Mitglieder zu berücksichtigen. Gegen die Entscheidung steht den Betheiligten binnen vier Wochen die Beschwerde an die Landes-Zentralbehörde zu; diese entscheidet endgültig. Sonstigen Unterstützungskassen können die aus der Innung ausscheidenden Mitglieder auch ferner angehören. § 100 n. Zur Theilnahme an Unterstützungskassen, auf welche die Vorschriften des § 73 des Krankenversicherungsgesetzes keine Anwendung finden, dürfen Innungsmitglieder gegen ihren Willen nicht verpflichtet werden. Gemeinsame Geschäftsbetriebe (§ 81 b Ziffer 5) dürfen von der Innung nicht errichtet werden; dagegen ist dieselbe befugt, Veranstaltungen zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen und wirtbschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder, wie die Errichtung von Vorschusskassen, gemeinsamen Ein- und Verkaufsgeschäften und dergleichen anzuregen und durch Aufwendungen aus dem angesammelten Vermögen zu unterstützen. Beiträge dürfen zu diesem Zwecke nicht erhoben werden. Werden bei der Errichtung einer Zwangsinnung gemeinschaftliche Geschäftsbetriebe einer nach § 100 b Absatz 4 geschlossenen Innung binnen sechs Monaten nach der Veröffentlichung der im § 100 Absatz 1 bezeichneten Anordnung in Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften nach Massgabe des Gesetzes vonj 1. Mai 1889 (Reichs-Gesetzbl. S. 55 ff.) umgewandelt, so geht der für sie ausgesonderte Theil des Innungsvermögens auf die Genossenschaften mit Rechten und Pflichten über. Gemeinsame Geschäftsbetriebe, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse wünschenswerth ist, können von der Zwangsinnung mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde beibehalten werden. Im Uebrigen sind solche Betriebe durch die höhere Verwaltungsbehörde aufzulösen; mit dem Vermögen ist nach Massgabe der statutarischen Vorschriften zu verfahren.

543 § lOOo. Die Innung hat über den zur Erfüllung ihrer gesetzlichen und statutarischen Aufgaben erforderlichen Kostenaufwand alljährlich einen Haushaltsplan aufzustellen. Der Haushalteplan ist der Aufsichtsbehörde einzureichen, dasselbe gilt von Beschlüssen über Aufwendungen für solche Zwecke, welche im Haushaltsplane nicht vorgesehen sind. Wird dem Haushaltsplan oder den bezeichneten Beschlüssen von einem Viertel der Innungsmitglieder widersprochen, so ist die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Die Jahresrechnungen sind der Aufsichtsbehörde einzureichen. § 100p. Die von d e r I n n u n g gemäss § 93 A b s a t z 2 Z i f f e r 5 e r l a s s e n e n V o r s c h r i f t e n zur n ä h e r e n R e g e l u n g des L e h r l i n g s w e s e n s b e d ü r f e n der G e n e h m i g u n g der h ö h e r e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e . Diese hat v o r d e r B e s c h l u s s f a s s u n g die H a n d w e r k s k a m m e r zu hören.') § lOOq. Die Innung darf ihre Mitglieder in der Festsetzung der Preise ihrer Waaren oder Leistungen oder in der Annahme von Kunden nicht beschränken. Entgegenstehende Beschlüsse sind ungültig. § 100r. Von den M i t g l i e d e r n des V o r s t a n d e s und der A u s s c h ü s s e m ü s s e n m i n d e s t e n s zwei D r i t t e l das R e c h t zur A n l e i t u n g von L e h r l i n g e n b e s i t z e n und d e r R e g e l nach G e s e l l e t ! (Gehülfen) oder L e h r l i n g e b e s c h ä f t i g e n . Die M i t g l i e d e r d e r j e n i g e n A u s s c h ü s s e , welchen die F ü r s o r g e f ü r die D u r c h f ü h r u n g d e r auf die R e g e l u n g des L e h r l i n g s w e s e n s b e z ü g l i c h e n B e s t i m m u n g e n o b l i e g t , m ü s s e n s ä m m t l i c h diesen A n f o r d e r u n g e n genügen. 2 ) Z u r T h e i l n a h m e an den G e s c h ä f t e n der I n n u n g , w e c h e die R e g e l u n g des L e h r l i n g s w e s e n s und die D u r c h f ü h r u n g der h i e r ü b e r e r l a s s e n e n B e s t i m m u n g e n zum G e g e n s t a n d e halten, können nur s o l c h e G e s e l l e n (Gehülfen) h e r a n g e z o g e n werden, w e l c h e den A n f o r d e r u n g e n des § 129 e n t s p r e c h e n , j e d o c h auch dann, wenn sie das v i e r u n d z w a n z i g s t e L e b e n s j a h r noch n i c h t v o l l e n d e t haben. W ä h r e n d d e r e r s t e n s e c h s J a h r e nach dem I n k r a f t t r e t e n d i e s e r B e s t i m m u n g e n k ö n n e n auch G e s e l l e n (Gehülfen), w e l c h e d i e s e n A n f o r d e r u n g e n n i c h t e n t s p r e c h e n , g e w ä h l t w e r d e n , w e n n s i e eine L e h r z e i t von m i n d e s t e n s zwei J a h r e n z u r ü c k g e l e g t h a b e n . ' ) § 100 s. Für die Aufbringung der aus der Errichtung und Thätigkeit der Innung und des Gesellenausschusses erwachsenden Kosten (§ 89) ist der Beitragsfuss in der Weise im Statute festzusetzen, dass die Heranziehung der einzelnen Betriebe unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit zu erfolgen hat Wo eine Gewerbesteuer erhoben wird, kann die Landes-Zentralbehörde genehmigen, dass die Beiträge durch Zuschläge zu dieser Steuer erhoben werden. ') Während sich die Mitglieder der freien Innungen den von der Innung zur näheren Regelung des Lehrlingswesens erlassenen Vorschriften durch den Austritt aus der Innung entziehen können, sind die Mitglieder der Zwangsinnungen stets gehalten, jene Vorschriften zu befolgen. Die erhöhte Bedeutung, welche hiernach den letzteren bei der Zwangsinnung beiwohnen wird, Iässt es geboten erscheinen, für dieselben die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde zu fordern. Die Anhörung der Handwerkskammer empfiehlt sich schon deshalb, weil dadurch eine wirksamere Durchführung der Bestimmung im § 103 f Absatz 2 gesichert wird. B e g r ü n d u n g des Entw. S. 71. Siehe §§ 126, 126a, 129, während der Uebergangszeit Artikel 7. *) Vgl. §§ 129, 126, 126 a, während der Uebergangszeit Artikel 7. Die Bestimmungen dieses Paragraphen sind mit Rücksicht auf die Bedeutung der Fürsorge für das Lehrlingswesen erlassen. Von dem Erforderniss der Vollendung des 24. Lebensjahres ist bei den Gesellen im Hinblick auf ihr Durchschnittsalter in den meisten Gewerben abgesehen. B e g r ü n d u n g z. Entw. S. 71.

544 Durch Statut kann bestimmt werden, dass Innungsmitglieder, welche der Regel nach weder Gesellen noch Lehrlinge beschäftigen, von der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen befreit oder mit geringeren Beiträgen, und Personen, welche der Innung freiwillig beitreten, nach festen Sätzen zu Beiträgen heranzuziehen sind. Gewerbetreibende, welche neben dein Handwerke, hinsichtlich dessen sie der Innung angehören, noch ein anderes Handwerk oder ein Handelsgeschäft betreiben, sind zu den Beiträgen an die Innung nur nach dem Verhältnisse der Einnahmen aus dem zu der Innung gehörenden Handwerksbetrieb, und soweit die Beiträge durch Zuschläge zu der Gewerbesteuer erhoben werden, nur nach dem Verhältnisse der auf diesem Handwerksbetrieb treffenden Steuer heranzuziehen. Den Gewerbesteuern im Sinne der Absätze 1 und 3 stehen die Steuern auf das Einkommen aus Gewerben gleich. Eintrittsgelder dürfen nicht erhoben werden. D i e E r h e b u n g von G e b ü h r e n f ü r die B e n u t z u n g der von d e r I n n u n g g e t r o f f e n e n E i n r i c h t u n g e n (§ 88 A b s a t z 3) u n t e r l i e g t d e r Genehmigung der Aufsichtsbehörde. § 100 t. Die im § 100 Absatz 1 bezeichnete Anordnung ist von der höheren Verwaltungsbehörde zurückzunehmen, wenn dies auf Grund eines Beschlusses der Innungsversammlung beantragt wird. Zur Gültigkeit dieses Beschlusses ist erforderlich: 1. dass er von einem Viertel derjenigen Innungsmitglieder, welche der Innung anzugehören verpflichtet sind, bei dem Vorstande beantragt worden ist, 2. dass die Einladung zu der Innungsversammlung, in der die Abstimmung über den Antrag erfolgen soll, mindestens vier Wochen vorher ordnungsmässig ergangen ist, 3. dass drei Viertel der in Ziffer 1 bezeichneten Innungsmitglieder dem Antrage zustimmen. "Waren in der Innungsversammlung, in welcher die Abstimmung über den Antrag erfolgen soll, weniger als drei Viertel der im Absatz 1 Ziffer 1 bezeichneten Innungsmitglieder erschienen, so ist zur Abstimmung über den Antrag binnen vier Wochen eine zweite Innungsversammlung einzuberufen, in welcher die Zurücknahme von drei Viertel der im Absatz 1 Ziffer 1 bezeichneten und erschienenen Mitglieder beschlossen werden kann. Auf diese Folge ist bei der Einladung hinzuweisen. Wird die Zurücknahme der Anordnung auf Grund eines gültigen Beschlusses beantragt, so ist die Innung spätestens mit dem Ablaufe des Rechnungsjahres von der höheren Verwaltungsbehörde zu schliessen. Auf die Schliessung finden die Bestimmungen der §§ 98 und 98 a mit der Massgabe entsprechende Anwendung, dass eine Vertheilung von Reinvermögen unter die bisherigen Mitglieder unstatthaft ist, und der Rest des Vermögens nach Bestimmung der Aufsichtsbehörde entweder den bei der Innung bisher vorhandenen Unterstützungskassen oder einer freien Innung, welche für die an der bisherigen Zwangsinnung betheiligten Gewerbszweige errichtet wird, oder der Handwerkskammer zu überweisen ist. Die Handwerkskammer hat über das Vermögen in einer den bisherigen Zwecken am meisten entsprechenden Weise zu verfügen. Die Verfügung bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Gegen die Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde ist binnen zwei Wochen die Beschwerde an die Landes-Zentralbehöide zulässig. Diese entscheidet endgültig. Wird die Innung aus einem der im § 97 bezeichneten Gründe geschlossen, so tritt die Anordnung ausser Kraft. § lOOu. Die Ausdehnung einer Zwangsinnung auf einen grösseren Bezirk oder auf andere, als die bereits einbezogenen, verwandte Gewerbszweige oder auf die Handwerker, die der Regel nach weder Gesellen noch Lehrlinge halten, ist von

545 der höheren Verwaltungsbehörde anzuordnen, wenn die Innungsversammlung sie beschliesst, die Mehrheit der in die Innung einzubeziehenden Gewerbetreibenden zustimmt, und die im § 100 i Absatz 1 Ziffer 2 bezeichnete Voraussetzung im Falle dieser Ausdehnung noch zutrifft. Hierbei finden die §§ 100a, 100b, lOOd, lOOe. 100k bis 100n entsprechende Anwendung. Die Ausscheidung eines Theiles des Bezirkes einer Zwangsinnung oder eines in diese einbezogenen Gewerbszweiges kann durch die höhere Verwaltungsbehörde verfügt werden, wenn die Ausscheidung zum Zwecke der Zuweisung der Auszuscheidenden zu einer anderen Zwangsinnnng erfolgt, ausserdem nur dann, wenn die Innungsversammlung oder die Mehrheit der auszuscheidenden Innungsmitglieder es beantragt In letzerem Falle ist vor Erlass der Verfügung die Innungsversammlung zu hören. "Werden die Ausscheidenden Mitglieder einer anderen Innung, so finden hinsichtlich der vermögensrechtlichen Wirkungen die §§ 100k Absatz 2 und 100m entsprechende Abänderung. Auf die nach Absatz 1 oder 2 ergehenden Verfügungen der höheren Verwaltungsbehörde finden die Bestimmungen des § 100b entsprechende Anwendung. Die erforderlichen Abänderungen des Statuts können von der höheren Verwaltungsbehörde angeordnet werden. Im diesem Falle findet § lOOd Absatz 3 Anwendung. II.

Innungsausschüsse.1)

§ 101. Für alle oder mehrere derselben Aufsichtsbehörde unterstehende Innungen kann ein gemeinsamer Innungsausschuss gebildet werden. D i e s e m l i e g t die V e r t r e t u n g d e r g e m e i n s a m e n I n t e r e s s e n d e r b e t h e i l i g t e n I n n u n g e n ob. A u s s e r d e m k ö n n e n i h m R e c h t e u n d P f l i c h t e n d e r b e t h e i l i g t e n I n n u n g e n ü b e r t r a g e n werden. Die Errichtung des Innungsausschusses erfolgt, durch ein Statut, welches von den Innungsversammlungen der betheiligten Innungen zu beschliessen ist. Das Statut bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. In dem die Genehmigung versagenden Bescheide sind die Gründe anzugeben. Gegen die Versagung kann bin Den 4 "Wochen Beschwerde an die Landes-Zentralbehörde eingelegt werden. Abänderungen des Statuts unterliegen den gleichen Vorschriften. Durch die Landes-Zentralbehörde kann dem Innungsausschusse die Fähigkeit beigelegt werden, unter seinem Namen Rechte zu erwerben, Verbindlichkeiten einzugehen, vor Gericht zu klagen und verklagt zu werden. In solchem Falle haftet den Gläubigern für alle Verbindlichkeiten des Innungsausschusses nur das Vermögen desselben. Auf die Beaufsichtigung der Innungsausschüsse finden die Bestimmungen des § 96 entsprechende Anwendung. § 102. Die S c h l i e s s u n g e i n e s I n n u n g s a u s s c h u s s e s k a n n e r f o l g e n , wenn der Ausschuss seinen s t a t u t a r i s c h e n V e r p f l i c h t u n g e n nicht n a c h k o m m t oder wenn er Beschlüsse fasst, welche über seine statutarischen Rechte hinausgehen. Die Schliessung wird durch die höhere Verwaltungsbehörde ausgesprochen. Gegen die die Schliessung aussprechende Verfügung findet der Rekurs statt. Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die entsprechenden Bestimmungen des § 97 Absatz 3. Die Eröffnung des Eonkursverfahrens über das Vermögen eines InnuDgsausschusses hat die Schliessung kraft Gesetzes zur Folge. Vom Zeitpunkte der Auflösung oder Schliessung eines Innungsausschusses ab bleiben die betheiligten Innungen noch für diejenigen Zahlungen verhaftet, zu welchen sie statutarisch für den Fall eigenen Ausscheidens aus dem Innungsausschusse verpflichtet sind. ') Siehe oben Begründung d. Entw. S. 521. S i m o n , Die Fachbildung des Preassischen Gewerbe- and Handelsstandes.

35

546 Auf die Verwendung des Vermögens finden die Vorschriften des § OH Absatz 1 und § 98 a entsprechende Anwendung. Soweit das Statut nicht ein anderes bestimmt, ist der Austritt aus dem Innungsausschusse jeder Innung mit Ablauf des Rechnungsjahrs gestattet, sofem die Anzeige des Austritts mindestens drei Monate vorher erfolgt. III. Handwerkskammern.') § 103. Zur Vertretung der Interessen des Handwerkes ihres Bezirkes sind Handwerkskammern zu errichten. Die Errichtung erfolgt durch eine Verfügung der Landes-Zentralbehörde, in welcher der Bezirk der Handwerkskammer zu bestimmen ist. Dabei kann die Bildung von Abtheilungen für einzelne Theile des Bezirkes oder für Gewerbegruppen angeordnet werden.*) Durch Verfügung der Landes-Zentralbehörde kann der Bezirk der Handwerkskammer abgeändert werden. In diesem Falle hat eine Vermögensauseinandersetzung unter entsprechender Anwendung des § 100 k Absatz 2 zu erfolgen. Mehrere Bundesstaaten können sich zur Errichtung gemeinsamer Handwerkskammern vereinigen. In diesem Falle sind die den Behörden übertragenen Befugnisse, soweit nicht eine anderweite Vereinbarung getroffen wird, von den Behörden desjenigen Bundesstaats wahrzunehmen, in welchem die Handwerkskammer ihren Sitz hat. § 103 a. Die Zahl der Mitglieder der Handwerkskammer wird durch das Statut bestimmt. Für die Mitglieder sind Ersatzmänner zu wählen, welche für dieselben in Behinderungsfällen und im Falle des Ausscheidens für den Rest der "Wahlperiode in der Reihenfolge der Wahl einzutreten haben. Die Mitglieder werden gewählt: 1. von den Handwerkerinnungen, welche im Bezirk der Handwerkskammer ihren Sitz haben, aus der Zahl der Innungsmitglieder, 2. von denjenigen Gewerbevereinen und sonstigen Vereinigungen, welche die Förderung der gewerblichen Interessen des Handwerks verfolgen, ') Siehe oben S. 517, 521. *) In P r e u s s e n sind folgende 33 H a n d w e r k s k a m m e r n mit den in den Klammern angegebenen Bezirken gebildet: 1. Königsberg (Reg.-Bez. Königsberg mit Ausschluss des Kreises Memel), 2. I n s t e r b u r g (Reg.-Bez. Gumbinnen und Kreis Memel), 3. Danzig (Provinz Westpreussen), 4. Berlin (Stadtkreis Berlin und Reg.-Bez. Potsdam), 5. Frankfurt a. 0. (Reg.-Bez. Frankfurt), 6. S t e t t i n (Reg.-Bez. Stettin und Köslin), 7. S t r a l s u n d (Reg.-Bez. Stralsund), 8. P o s e n (Reg.-Bez. Posen), 9. Bromberg (Reg.-Bez. Bromberg). 10. B r e s l a u (Reg.-Bez. Breslau), 11. Liegnitz (Reg.-Bez. Liegnitz), 12. Oppeln (Reg.-Bz. Oppeln). 13. Magdeburg (Reg.-Bez. Magdeburg), 14. Halle (Reg.-Bez. Merseburg), 15. Erfurt (Reg.-Bez. Erfurt und Kreis Schmalkalden), 16 Altona (südlicher Theil der Provinz Sohleswig-Holstein und das Oldenburgische Fürstenthum Lübeck). 17. F l e n s b u r g (Kreise Flensburg, Stadt und Land, Apenrade, Sonderburg, Hadersleben, Tondern, Husum, Ellerstadt, Schleswig, Eckernförde, Norder- und SüderDithmarschen), 18. Hannover (Reg.-Bez. Hannover, Kreis Rinteln, Fürstenthum Pyrmont), 19. Hildesheim (Reg.-Bez. Hildesheim), 20. H a r b u r g (Reg.-Bez. Lüneburg und Stade), 21. Osnabrück (Reg.-Bez. Osnabrück und Aurich). 22. Münster (Reg.-Bez. Münster), 23. B i e l e f o l d (Reg.-Bez. Minden), 24. Arnsberg (Kreise Arnsberg, Brilon, Meschede, Olpe, Wittgenstein, Iserlohn, Altena und Siegen), 25. Dortmund (Kreise Dortmund, Stadt und Land, Hörde, Hamm, Bochum, Stadt und Land, Schwelm, Lippstadt, Soest), 26. Cassel (Reg.-Bez. Cassel mit Ausschluss der Kreise Rinteln und Schmalkalden und des Füretenthums Waldeck), 27. Wiesbaden (Reg.-Bez. Wiesbaden), 28. Coblenz (Reg.-Bez. Coblenz), 29. Düsseldorf (Reg.-Bez. Düsseldorf), 30. Köln (Reg.-Bez. Köln). 31. Aachen (Reg.-Bez. Aachen), 32. Saarbrücken (Reg.-Bez. Trier und das Oldenburgische Fürstenthum Birkenfeld), 33. Sigmaringen (Reg.-Bez. Sigmaringen).

547 mindestens zur Hälfte ihrer Mitglieder aas Handwerkern bestehen und im Bezirke der Handwerkskammer ihren Sitz haben, ans der Zahl ihrer Mitglieder, soweit denselben nach den Bestimmungen dieses Gesetzes die Wählbarkeit zusteht Mitglieder, welche einer Innung angehören oder nicht Handwerker sind, dürfen an der Wahl nicht betheiligt werden. Die Vertheilung der za wählenden Mitglieder auf die Wahlkörper, sowie das Wahlverfahren werden durch die von der Landes-Zentralbehörde za erlassende Wahlordnung geregelt § 103 b. Wählbar sind nur solche Personen, welche 1. zum Amte eines Schöffen fähig sind (§§ 31, 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ;') 2. das 30. Lebensjahr zurückgolegt haben; 3. im Bezirke der Handwerkskammer ein Handwerk mindestens seit drei Jahren selbständig betreiben; 4. die Befugniss zur Anleitung von Lehrlingen besitzen.*) § 103 c. Die Wahlen zu den Handwerkskammern und ihren Organen erfolgen auf sechs Jahre. Alle drei Jahre scheidet die Hälfte der Gewählten aus: «ine Wiederwahl ist zulässig. Die Bestimmungen der §§ 94 bis 94 b finden entsprechende Anwendung. § 103 d. Die Handwerkskammer kann sich nach näherer Bestimmung des Statuts bis zu einem Fünftel ihrer Mitgliederzahl durch Zuwahl von sachverständigen Personen ergänzen und zu ihren Verhandlungen Sachverständige mit berathender Stimme zuziehen. Die Handwerkskammer ist berechtigt, aus ihrer Mitte Ausschüsse zu bilden

empfahl, das eine M u s t e r l e h r w e r k s t ä t t e für alle Arten von Manufacturen darstellen sollte. „Dieses Manufaoturhaus" — zu dessen Anlegung mindestens 100000 Thlr. aus dem Staatsschatze zur Verfügung gestellt werden sollten —

707

5. Die Anfinge des Bergschulwesens. Sowohl Semler wie Hecker hatten in den für ihre Schulen ausgearbeiteten Lehrplänen die Bergbaukunde berücksichtigt Eine wie grosse Bedeutung insbesondere Hecker diesem Unterrichte beimass, geht daraus hervor, dass er einen Lehrer nach dem Harz und Thüringen schickte, um sich an Ort und Stelle mit der Tecknik des Bergbaus bekannt zu machen. Ausserdem wurde schon im achtzehnten Jahrhundert, noch ehe es zur Errichtung von eigentlichen Bergschulen kam, in den Hauptorten der Bergbaubezirke von Markscheidern und Bergbeamten, meist in ihren Privatwohnungen, zum Theil aber auch in den Räumen des Bergamts, jungen Bergzöglingen in einzelnen Fachgegenständen Unterricht ertheilt, wie es gerade die örtlichen Verhältnisse erheischten und wie es namentlich das eigene Können und Vermögen zuliess. Im Allgemeinen beschränkte sich dieser Unterricht auf Zeichnen, Markscheiden und Bergbaukunde oder auch nur auf das Grubenberechnungswesen und die Befestigung der elementaren Kenntnisse. Doch fehlte dem Unterrichte fast immer ein bestimmter Lehrplan und vor Allem die wünschenswerte Controle. Da er ausserdem nur nebenher, soweit es das Hauptamt des Lehrers zuliess, ertheilt werden konnte, so werden die Erfolge in der Regel nicht sehr gross gewesen sein.1) Die Mittel für diesen Unterricht „niass zuvörderst den Endzweck haben, dass in allen und jeden Arten der Manufacturen darinnen Unterricht gegeben wird. Zu dem Ende muss es nicht allein zu allen Arten der Manufacturen eingerichtet seyn; sondern es müssen auch geschickte Fremde in jeder Manufactur verschrieben werden, die weiter nichts thun, als andere unterrichten, um die Geschicklichkeit in den Manufacturen im Lande zu verbreiten. Man muss nicht allein fähige Knaben aus den Waisenhäusern darinnen lernen lassen, sondern auch erwachsene Landeseinwohner, die darzu Lust haben, müssen ohnentgeldlich darinnen unterwiesen werden. Zu dem Ende muss alle Verfassung der Zünfte daraus verbannet seyn. Die Lehrzeit muss an keine Jahre gebunden sein; sondern wenn jemand in sechs Wochen eine gewisse Manufacturarbeit erlernen kann, so muss das eben so gültig sein, als wenn er drei und mehr Jahre in der Lehre gestanden hätte. Der Manufactorier-Inspector muss auf diesen Unterricht ein unverwendetes Auge haben und alle 14 Tage Prüfungen anstellen, was die Lehrlinge gelernet haben . . . . Es müssen in dem Manufacturhause alle diejenigen mechanischen Werke und Anstalten vorhanden sein, die zur Zubereitung verschiedener Arten von Manufacturen erfordert werden, die aber zu kostbar sind, als dass sie von einem einzelnen Meister und Manufacturier unterhalten werden könnten. Hierher gehören, nebst vielerley Maschinen, insonderheit ein Seidenfilatorium, desgleichen grosse Pressen, Walkmühlen und Färbereien. Diejenigen von diesen Anstalten, so in dem Hause selbst nicht sein können, müssen mit dem Manufakturhause aufs genaueste verbunden seyn, und von da aus dirigiret werden. 1D allen solchen Anstalten muss man die grösste Vollkommenheit zu erreichen suchen, und vor die Zubereitung der Waaren nichts mehr nehmen, als was die Unterhaltung solcher Nebenanstalten kostet. Dieses Haus muss nicht den Endzweck haben, Vortheil davon zu ziehen, sondern die Manufakturen zu unterstützen und zu befördern.'' Das Manufakturhaus sollte für alle Arten von Manufakturen und Fabriken die Aufgaben der heutigen Fachschulen, Lehrwerkstätten, Ein- und Verkaufs-, Werk- und Credit-Genossenschaften übernehmen. Der Gedanke ist nicht verwirklicht worden. ') „Die B e r g s c h u l e n im P r e u s s i s c h e n S t a a t e ' 1 , nach amtlichen Quellen in der Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen, Jahrgang 37, 1889. Abth. B. S. 1 ff.; R ö m e r , die Preussischen Bergschulen, Breslau 1864; Dr. S c h u l t z .

45*

708 worden in den meisten Fällen vom Staate gewährt, doch leisteten auch die Gewerkschaften, sowie die zu allgemeinen Zwecken des Bergbaus bestehenden Kassen (Bergbau -Hülfskassen, ElevenKassen u. s. w.). Beiträge, die ersteren namentlich zur Unterstützung der Schüler, denen z. B. vielfach die während der Schulzeit verfahrenen halben Schichten für voll gerechnet wurden. Die älteste PreusBische Bergschule ist die noch jetzt in Eisleben bestehende, deren Beginn sich an der Hand der in den Akten des Königlichen Oberbergamts zu Halle a. S. befindlichen Aufzeichnungen bis auf das Jahr 1798 zurückführen lässt Während auch schon vorher eine gelegentliche Heranziehung und Anlernung junger Leute zu untergeordneten Beamtenstellen, soweit die Geschäfte des Offizianten bei dem damaligen Königlichen Bergamt zu Eisleben dies gestatteten, stattgefunden hatte, so wurde doch erst im genannten Jahre durch Anstellung eines eigenen „Haushaltsprotokollisten" beim Bergamte für den Unterricht auf bessere Weise Sorge getragen. Zur Besoldung dieses Haushaltsprotokollisten trugen auch die verschiedenen Kupferschieferbauenden Gewerkschaften bei. Der Chef des ehemaligen kurfürstlich-sächsischen Bergamtes zu Eisloben, der spätere Berghauptmann zu Freiberg, Freiesleben, nahm sich gleich bei seinem Dienstantritt im Jahre 1800 der Bergschule warm an und förderte sie wesentlich. Zu einem planmässigen und ununterbrochenen Unterricht kam es aber auch unter ihm noch nicht. In Folge der Kriegswirren musste der Unterricht im Jahre 1813 ganz eingestellt werden.1) Die preassischen Bergschulen, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. XV, 1879 S. 101 ff. — Auch der Direktion der Bergschule in Eisleben verdankt der Verfasser einige werthvolle Mittheilangen, die oben berücksichtigt sind. ') Dr. S c h u l t z theilt (a. a. 0. S. 104) ein interessantes Gutachten mit, das A l e z a n d e r von Humboldt, als Bergmeister in den fränkischen Fürstenthümern, unterm 13. März 1794 an den Minister von Heinitz erstattete. In diesem „ganz gehorsamsten Promemoria, die Errichtung einer königlichen freien Bergschule zu Steben (in Oberfranken) betreffend", äussert sich Humboldt über den Zweck und die Mittel des von ihm seit November 1793 eingeführten bergmännischen Unterrichts. Als Zweck der Schule bezeichnet er, „das junge Bergvolk in dem Nailaer Reviere zu verständigen und brauchbaren Bergleuten auszubilden." — „Die Zahl der Bergschüler erstreckt sich gegenwärtig bereits auf etliche vierzig." „Kein Knabe, der nicht vorher die Dorfschule besucht hat, wird als Bergschüler aufgenommen. Dagegen steht das Institut jedem Knecht und Lehrhauer offen, und ich sehe mit Freuden Männer von 24 bis 26 Jahren es fleissig besuchen." „Die Bergschule wird Mittwochs und Sonnabends Nachmittag gehalten . . . für die Grosseren von 6 bis 9 Uhr. Die Lernbegierde der Letzteren and der gute Wille des Lehrers ist bisher so gross gewesen, dass ich die Schule schon bis 11 Uhr Nachts habe fortsetzen lassen, ohne irgend ein Missvergnügen zu bemerken." „Die Objekte des Unterrichts sind a) Schön- und R e c h t s c h r e i b e n . Die Vorschriften enthalten in kurzen Aphorismen Alles, was ein gemeiner Beigmann zu wissen braucht, von Gebirgskunde, vom Kompass, dem Vorkommen der Erze, den vaterländischen Gesetzen, Landesbeschreibung; b) b e r g m ä n n i s c h e s R e c h n e n — Alles in anfwandten Zahlen und mit Beispielen aus unserem Revier; c) allgemeine e n n t n i s s der Erde, b e s o n d e r s G e b i r g s l e h r e ; d) v a t e r l ä n d i s c h e B e r g gesetze und Obsorvanz: e) Geschiohte des vaterländischen Bergbaues. —"

Zweites Kapitel.

Die gewerblichen Unterrichtsanstalten im neunzehnten Jahrhundert. 1. Die Provinzial-Kunstschulen, die Kunstschule und die Unterrichtsanstalt am Kunstgewerbemuseum zu Berlin. tlm den Zusammenhang nicht zu stören, haben bereits im vorigen Kapitel mehrfach Schuleinrichtungen des neunzehnten Jahrhunderts in den Kreis der Besprechung gezogen werden müssen. Dabei fand sich auch Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie durch ) Vgl. die D e n k s c h r i f t e n von 1881, 1888, 1891 und 1896, sowie die V e r h a n d l u n g e n der s t ä n d i g e n K o m m i s s i o n f ü r das t e c h n i s c h e U n t e r r i c h t s w e s e n über die Baugewerkschulfrage. Die Verhandlungen von 1896 sind in Anlage I, S. I l l f f abgedruckt. *) Zu dem Zwecke sind ausserdem in den einzelnen Anstalts-Etats besondere Mittel zu wissenschaftlichen Exkursionen vorgesehen.

750 Während ferner ursprünglich die Absicht bestand, die Schalen als K o m m u n a l a n s t a l t e n unter staatlicher Kon trole zu errichten, hat man sich zur Herbeiführung einer einheitlichen Organisation und Verwaltung sowie zur Gewinnung und Erhaltung tüchtiger Lehrkräfte genöthigt gesehen, die Baugewerkschulen in S t a a t s a n s t a l t e n umzuwandeln bezw. sie sofort als solche zu begründen. Demnach sind die obengenannten Schulen — mit Ausnahme von Berlin, Köln und Magdeburg — jetzt reine Staatsanstalten, an deren Unterhaltung sich aber die betheiligten Städte durch Natural- und Geldleistungen betheiligen. Ueber die Verstaatlichung der Schule in Köln schweben zur Zeit Verhandlungen, während Berlin und Magdeburg es vorgezogen haben, vorläufig noch den kommunalen Charakter ihrer Schulen zu erhalten. Die im Organisationsplan noch offen gelassene Frage, ob es sich empfehle, die Baugewerkschulen drei- oder vierklassig zu machen, oder beide Möglichkeiten offen zu lassen, wurde dahin entschieden, dass durchweg v i e r K l a s s e n einzurichten seien, da die Direktoren der Baugewerkschulen, sowie die Baugewerbetreibenden, insbesondere der Delegirtentag des Verbandes deutscher Baugewerksmeister, der im Jahre 1879 zur Bearbeitung der Baugewerkschulfrage eine ständige Kommission niedergesetzt hatte, wiederholt und dringend die Nothwendigkeit betont hatten, dass die Baugewerkschulen, ohne darum die Ziele derselben zu erweitern und sie etwa den technischen Hochschulen zu nähern, einer vierten Klasse nicht entbehren könnten, weil ein Kursus von ein und einhalb Jahren nicht ausreiche, um die Schüler im Entwerfen zu üben. Wenn der Unterricht mit der unerlässlichen Gründlichkeit ertheilt werden solle, könne im dritten Semester nur ein Entwurf zu einem oder zwei sehr kleinen Gebäuden einfachster Art durchgearbeitet werden. Um die A b g a n g s p r ü f u n g e n , die zunächst an jeder Anstalt nach Gegenstand, Form und Dauer verschieden waren, einheitlich zu gestalten, wurde nach eingehenden Vorberathungen unter dem 6. September 1882 eine „ P r ü f u n g s o r d n u n g f ü r die vom S t a a t e u n t e r h a l t e n e n oder s u b v e n t i o n i r t e n B a u g e w e r k s c h u l e n " erlassen. Danach sollte an jeder Anstalt zur Abhaltung der Abgangsprüfungen eine besondere Kommission gebildet werden, der anzugehören hatten: ein Kommissar der Regierung, ein vom Kuratorium der Schule gewähltes Mitglied, der Direktor der Schule, fünf Lehrer derselben, welche für jede Prüfung von der Bezirksregierung auf Vorschlag des Direktors zu bestimmen waren und endlich drei Baugewerksmeister, welche den Baugewerkvereinen der Provinz, in der die Schule belegen, anzugehören hatten. Die Prüfung sollte eine schriftliche, unter Klausur, und eine mündliche sein. Zu der schriftlichen Prüfung wurden 18 Wochentage Zeit gewährt, während die mündliche Prüfung je nach der Anzahl der zu Prüfenden in

751

einem oder mehreren Tagen zu beenden war. Die schriftliche Prüfung sollte von dem Lehrerkollegium allein, die mündliche Prüfung von der gesammten Prüfungskommission abgehalten werden. Die s c h r i f t l i c h e Prüfung umfasste 1. die Anfertigung eines Entwurfs nach gegebenem Programm mit den nöthigen Grundrissen, Balkenlagen, Ansichten und Durchschnitten, so dass der Bau in allen Theilen aus den Zeichnungen klargelegt wird und die für einen Kostenanschlag nothwendige Massenberechnung aufgestellt werden kann. Dem in Tusche auszuziehenden Entwürfe war ein Erläuterungsbericht in der für Staatsbauten vorgeschriebenen Form beizufügen. 2. sechs Baukonstruktionsaufgaben als Detailzeichnungen zu dem Entwurf. Diese Zeichnungen sollten im Allgemeinen umfassen die Mauerkonstruktionen, Zimmerkonstruktionen, Dacheindeckungen, Treppenkonstruktionen, Thüren und Fenster und Gründungen. 3. darstellende Geometrie. 4. fünf Aufgaben aus der Baukunde, den Eisenkonstruktionen und den Feuerungsanlagen. 5. Formenlehre (Detailzeichnung eines Fa

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Lehrgegenstände

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788 Vorklasse

Lehrgegenstände

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«C! Uebertrag Mechanik und Festigkeitslehre . . . • I. Maschinentheile, Vortrag und Hebungen II. Werkmaschinen, Vortrag und Uebungen III. Dampfkessel- und Feuerungsanlagen, Vortrag u. Uebungen IV. Beschreibend.MascMnenleh.re: 1. Kraftmaschinen, Vortrag und Uebungen . . . . 2. Hebemaschinen, Vortrag und Uebungen . . . . Technologie (Hütten- und Materialienkunde) Buchführung, Veranschlagen . . . Baukonstraktionslehre Gesetzeskunde Uebungen im Laboratorium . . . Samariterunterricht Summe

Untere Fachklasse

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Obere Fachklasse

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IV.

III.

II.

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46

Die Semester sind nur da als in zwei Halbsemester zerlegt zu betrachten, •wo der TJnterrichtsgegenstand sieh, innerhalb des Semesters ändert.

C. H ü t t e n s c h u l e n .

1

Lehrgegenstände.

1. Deutsch 2. Geschäftskunde und gewerbliche Gesetzeskunde 3. 4. Mathematik 0. Physik 6. 7. Mechanik 8. 9. Feuerungskunde 10. Chemische Technologie 11. Allgemeine Hüttenkunde 12. 13. Metallhüttenkunde 14. Mineralogie 15. Analytische Chemie 16. Mechanische Technologie 17. Maschinenkunde 18. Betriebsbuchführung 19. Kalibriren von "Walzen 20. Technisches Freihandzeichnen . . . . 21. Geometrisches und Projektionszeichnen . 22. Maschinen- u. Fach-Skizziren u. Zeichnen 23. Rundschrift 24. Uebungen in dem Laboratorium . . . . . . . . . . 25. Samariterunteracht Summa . . .

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*) Die Klasse 1 zerfallt m 3 trruppen; zu Gruppe a) gehören Huttemeute, i ormer, AlodeUsehremerund Angehörige der chemischen Grossgewerbe, zu Gruppe b) Walzer, 'Walzendreher, Hammerschmiede und Adjustage-Arbeiter.

789 D. A b e n d - u n d S o n n t a g s s c h u l e n f ü r M a s c h i n e n b a u e r , S c h l o s s e r , Schmiede und H ü t t e n a r b e i t e r . Für diese Anstalten ist weder der Stundenvertheilungsplan noch der Lehrstoff einheitlich festgesetzt. Es ist vielmehr die Aufstellung des Lehrplans für jede Anstalt der betreffenden Direktion überlassen, damit sich die Schulen möglichst den örtlichen Verhältnissen anpassen können. Jedoch soll der Unterricht nach den Grundsätzen ertheilt werden, welche unter III. E. für die Behandlung des Lehrstoffs an den Anstalten mit zweisemestrigen Kursus zur "Weiterbildung von Arbeitern der Maschinenindustrie entwickelt sind. Die mit den Maschinenbauschulen oder Hüttenschulen verbundenen Abendund Sonntagsschulen sollen den doppelten Zweck verfolgen: 1. Schüler soweit vorzubilden, dass sie die unterste • Klasse der Maschinenbauschule oder Hüttenschule überspringen und so die Zeit, während welcher sie zu ihrer Ausbildung der praktischen Thätigkeit entzogen sind, um ein halbes Jahr abkürzen können (vergl. II. F. 2.). 2. Schüler, welche nicht beabsichtigen, eine Tagesschule zu besuchen, durch Zeichnen- und sonstigen Fachunterricht möglichst gut für ihren Beruf auszubilden. Die mit den höheren Maschinenbauschulen und den Handwerkerschulen verbundenen Abend- und Sonntagsschulen für Arbeiter der Maschinen- und Hüttenindustrie befassen sich lediglich mit der zweiten Aufgabe. E. S c h u l e n mit z w e i s e m e s t r i g e m K u r s u s z u r W e i t e r b i l d u n g von Arbeitern der Maschinenindustrie. 1. Stundenvertheilungsplan. Lehrgegenstände 1. Deutsch 2. Gewerbliche Gesetzeskunde . . 3. Rechnen: a) Bürgerliches Rechnen . . . . b) Buchstaben. . . . c) Raumlehre . . . . 4. Naturlehre 5. Mechanik t>. Festigkeitslehre 7. Maschinenkunde: a) Maschinenelemente b) Dampfkessel c) Hebemaschinen d) Dampfmaschinen e) Hydraulische Motoren . . . . f) Kraftgasmotoren g) "Werkzeugmaschinen 8. Technologie 9. Vorbereitendes Zeichnen und Skizziren \ Projektionszeichnen f 10. Maschinenskizziren und Zeichnen: a) Maschinenelemente b) Dampfkessel c) Hebemaschinen d) Dampfmaschinen e) Werkzeugmaschinen 11. Kalkulation 12. Samariterunterricht Summe . .

1. Hälfte des 2. Hälfte des 1. Semesters 1. Semesters

3 2 2 3 6 4 10

22 12

48

48

790 IV. Ordnungen der Prüfungen, welche an den Anstalten abgehalten werden. a) O r d n u n g der P r ü f u n g zum N a c h w e i s d e r f ü r die A u f n a h m e in die höheren Maschinenbauschulen erforderlichen Kenntnisse. 1. Allgemeine Bestimmungen. § 1. Die Prüfung soll jungen Leuten, die nicht die Reife für die OberSekunda einer höheren Lehranstalt der allgemeinen Unterrichtsverwaltung besitzen, Gelegenheit geben, die zur Aufnahme in die höhere Maschinenbauschule erforderlichen Kenntnisse nachzuweisen. Wer die Prüfung besteht, erhält ein Prüfungszeugniss (vergl. Ziffer 2 § 6). Inhaber des Prüfungszeugnisses werden bei der Aufnahme in die höhere Maschinenbauschule in gleicher "Weise berücksichtigt, wie die jungen Leute, welche die Reife für Obersekunda haben. Die Berücksichtigung geschieht lediglich in der Reihenfolge der Anmeldungen. § 2. Die Prüfung wird bis auf "Weiteres an den von dem Minister für Handel und Gewerbe bestimmten Preussischen Maschinenbauschulen, und zwar an jeder Anstalt mindestens einmal (in den Monaten Januar oder Juni) abgehalten.1) Die in Aussicht genommenen Termine sind bis zum 1. November und bis zum 1. April von den Direktionen der betreffenden Anstalten dem Minister für Handel und Gewerbe anzuzeigen. Sie werden von diesem nach Genehmigung durch das Ministerialblatt der Handels- und Gewerbeverwaltung bekannt gegeben. § 3. Die Kommission zur Abhaltung der Reifeprüfungen besteht aus dem Direktor der Schule und den prüfenden Lehrern. § 4. Zur Prüfung können nur junge Leute zugelassen werden, die mindestens zwei Jahre in einer mechanischen "Werkstätte beschäftigt gewesen sind. Das Gesuch um Zulassung zur Prüfung ist vier "Wochen vor Beginn der Prüfung unter Beifügung einer Geburtsurkunde, eines polizeilichen Führungszeugnisses, eines Lebenslaufs und der Zeugnisse über den Schulbesuch und über die praktische Ausbildung dem Direktor einzureichen. In seinem Gesuche hat der Antragsteller anzugeben, ob er sich bereits früher zur Prüfung gemeldet hat. Gegebenenfalls ist anzugeben, an welcher Anstalt er sich gemeldet hat, ob er nicht zur Prüfung zugelassen worden ist — und zwar aus welchen Gründen — oder ob er die Prüfung nicht bestanden hat. Nachweisliche falsche Angaben hierüber ziehen den Ausschluss von der Prüfung nach sich. Die Prüfungs-Kommission entscheidet über die Zulassung zur Prüfung. Die Zurückweisung kann wegen Nichterfüllung der für die Abbildung geltenden Vorschriften (Abs. 1), wegen mangelnder sittlicher Reife, wegen wiederholten Nichtbestehens der Prüfung, sowie endlich aus dem Grunde erfolgen, dass ein Gesuch nicht den in den §§ 1 und 6 unter Ziffer 2 für das Bestehen der Prüfung gestellten Forderungen entspricht. Der Direktor theilt denjenigen, die sich gemeldet haben, bis spätestens acht Tage vor dem Beginn der Prüfung mit, ob ihnen die Ablegung der Prüfung gestattet wird oder ob und aus welchen Gründen sie zurückgewiesen werden. Vor dem Beginn der schriftlichen Prüfung hat jeder Prüfling eine Prüfungsgebühr von 20 Mk. an die Schulkasse zu entrichten. § 5. Die Prüfung zerfallt in einen schriftlichen, einen zeichnerischen und einen mündlichen Theil. Die schriftliche und die zeichnerische Prüfung findet unter Aufsicht der Lehrer statt. lieber die Vorgänge bei den unter Klausur abzuhaltenden schriftlichen und zeichnerischen Arbeiten wird ein Protokoll von den vom Direktor dazu bestimmten Lehrern geführt. Das Protokoll muss die Namen der Prüflinge, den "Wortlaut der in den einzelnen Fächern zu bearbeitenden Aufgaben (event. unter Beifügung der gegebenen Skizzen) als Anlagen, die Namen der die Aufsicht führenden Lehrer, Vermerke über den Beginn der Arbeitszeit und über Unterbrechungen derselben und Angaben darüber enthalten, wann die Prüfungsarbeiten von den einzelnen Prüflingen abgegeben worden sind. § 6. Für jede der zu bearbeitenden Aufgaben werden von den betreffenden Fachlehrern Vorschläge ausgearbeitet und dem Direktor zur Genehmigung vorgelegt. Bei den Klausurarbeiten darf nur ein von dein Minister für Handel und Gewerbe genehmigtes Tabellenbuch benutzt werden. ») Siehe oben S. 783, 784.

791 Vor Beginn der schriftlichen Prüfung hat der Direktor die Prüflinge vor der Benatzimg unerlaubter Hülfsmittel zu warnen und sie auf die Folgen aufmerksam zu machen, welche dieselbe nach sich zieht Prüflinge, die sich bei der Anfertigung der schriftlichen Prüfungsarbeiten nachweislich unerlaubter Hülfsmittel bedient haben, werden von der weiteren Prüfung ausgeschlossen. Ebenso wird mit denjenigen Schalem verfahren, welche eine Prüfung bei einem derartigen T&ischungsvereuche nachweislich unterstützt haben. In Fällen, wo nur ein Verdacht gegen den Prüfling vorliegt, ist er von dem Direktor aufzufordern, neue Aufgaben zu bearbeiten, die von dem Direktor aus den vorgeschlagenen Aufgaben zu nehmen sind. Weigert er sich, so wird er von der weiteren Prüfung ausgeschlossen. § 7. Die schriftlichen Arbeiten müssen spätestens zwei Tage vor dem Termin für die mündliche Prüfung von den prüfenden Lehrern durchgesehen und begutachtet dem Direktor eingereicht -werden. § 8. Die Zurückweisung von der mündlichen Prüfung kann erfolgen, wenn zwei Arbeiten der schriftlichen und zeichnerischen Prüfung „nicht genügend*' ausgefallen sind. Eine vollständige oder theilweise Befreiung von der mündlichen Prüfung Bndet nicht statt. In der Regel sollen nicht mehr als zehn Prüflinge gleichzeitig mündlich geprüft werden. § 9. Nach Beendigung der mündlichen Prüfung wird darüber Beschluss gefasst, ob die Prüfung bestanden ist. Das Ergebniss der Prüfung wird gleich nach Schluss der Sitzung den Prüflingen mitgetheilt. Die von dem Direktor unterzeichneten Zeugnisse sind den Prüflingen binnen einer "Woche zuzustellen. § 10. Ueber den Gang und die Ergebnisse der mündlichen Prüfung wird ein Protokoll aufgenommen. Dasselbe hat über den Inhalt der gestellten Fragen, sowie darüber, wie lange jeder Prüfling in jedem Prüfungsgegenstande geprüft worden ist und welches Prädikat ihm auf Vorschlag des prüfenden Lehrers von der Kommission ertheilt worden ist, und über die Schlussberathung Auskunft zu geben. Das Prüfungsprotokoll wird von sämmtlichen Mitgliedern der Kommission unterzeichnet. § 11. Eine einmalige Wiederholung der Prüfung ist statthaft. 2. Besondere Bestimmungen. § 1. Prüfungsgegenstände. 1. Deutsch. Die Prüflinge müssen der deutschen Schriftsprache derart mächtig sein, dass sie sich geläufig, ohne wesentliche Verstösse gegen Rechtschreibung und Zeichensetzung, ausdrücken können. Namentlich müssen sie im Stande sein, eine Beschreibung über einen Gegenstand oder einen Vorgang aus dem Gebiete der Technik nach kurzer Besprechung niederzuschreiben. 2. Rechnen. Grundrechnungsarten mit unbenannten und benannten Zahlen, gewöhnliche und Decimalbrüche, preisatz (Regeldetri), Prozent-, Zins- und Rabattrechnung, Vertheilung8rechnen. Die deutschen Maasse, Gewichte und Münzen. Sicherheit im Kopfrechnen. 3. Mathematik. a) Algebra. Positive und negative Grössen; die vier Grundrechnungsarten mit allgemeinen Zahlen. Ausziehen von Quadtratwurzeln, Gleichungen eisten Grades mit einer und mehreren Unbekannten. Proportionen. Potenz-, Wurzelund Logarithmenrechnung. Gleiohungen zweiten Grades mit einer Unbekannten. b) Planimetrie. "Winkelarten, Winkelpaare, Winkel an Parallelen. Kongruentsätze. Gleichseitiges, gleichschenkliges Dreieck, Viereck. (Parallelogramm, Trapez) Flächenberechnung geradliniger regulärer Vielecke. Der Pythagoräische Lehrsatz. Kreislehre (Sehnen- und "Winkelsätze, Tangente, Kreisviereck). Aehnlichkeitslehre (Proportionen am Dreieck, Aehnlichkeitssätze, das rechtwinklige Dreieck, Proportionen am Kreise) Kreisleitungen. Die Zahl n. Berechnung des Kreisumfangs und Inhalts, Konstruktionsaufgaben.

792 c) Trigonometrie. Die trigonometrischen. Funktionen und einfache Beziehungen zwischen ihnen. Auflösung des rechtwinkligen und des gleichschenkligen Dreiecks. d) Stereometrie. Berechnung der Oberfläche und des Inhalts der fünf einfachen Körper. 4. Naturlehre. a) Physik. Allgemeine Eigenschaften der Körper: Gewicht, spezifisches Gewicht, Kohäsion, Adhäsion und Kapillarität, kommunizirende Gefässe. Luftdruck. Manometer. Bodendruck, Seitendruck und Auftrieb der Flüssigkeiten. Wirkungen und Mass dei Wärme: Ausdehnung durch die Wärme, Veränderung des Aggregatzustands. Das Verhalten des Wassers bei der Erwärmung. Gesetze der Dampfbildung. Magnetismus: Gesetze der Anziehung und Abstossung. Erzeugung von künstlichen Magneten. Der Kompass. Reibungselektrizität: Positive, negative Elektrizität. Atmosphärische Elektrizität der Blitzableiter. Berührungselektrizität: Galvanische Elemente. Wirkungen des galvanischen Stromes, die Erzeugung von Elektrizität durch Magnetismus, Wärme und Induktion. Grundzüge der Galvanoplastik. Die elektrische Schelle. Der Telegraph. b) Chemie. Unterschied zwischen physikalischen und chemischen Vorgängen. Element und chemische Verbindung. Wasserstoff. Sauerstoff, Schwefel, Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff und ihre wichtigsten Verbindungen. 5. Zeichnen. Geradlinige Flächenmuster, Kreise, Kreistheilung, Vielecke, Anschlusslinien. Ellipse, Parabel, Hyperbel. Bollkurven. Massstäbe. Tuschübungen. Sachgemässes Skizziren und Zeichnen von einfachen Modellen, deren Formen den Maschinenbaukonstruktionen entlehnt sind. § 2.

Aufgaben f ü r die schriftliche Prüfung.

1. Deutseh. Eine Beschreibung technischen Inhalts. (Nach kurzer vorheriger Besprechung des Stoffes.) 2. Rechnen. 3 Aufgaben aus den bürgerlichen Rechnungsarten. 3. Mathematik. 5 Aufgaben: 2 Aufgaben aus der Algebra, je eine Aufgabe aus der Planimetrie, Trigonometrie und Stereometrie. 4. Zeichnen. Anfertigung einer Zeichnung und einer Skizze, gegebenenfalls nach Modellen. § 3.

Zeit f ü r die schriftliche Prüfung.

Für Nr. 1: 4 Stunden. Für Nr. 2: 3 Stunden. Für Nr. 3: 5 Stunden. Für Nr. 4 : 4 Stunden. § 4. Prüflinge, welche die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen Dienst durch Ablegung der Prüfung vor der Prüfungs-Kommission f ü r Einjährig-Freiwillige erworben haben, sind von der schriftlichen Prüfung im Deutschen und im Rechnen zu entbinden, Prüflinge, welche durch selbstgefertigte Zeichnungen und Skizzen unzweifelhaft ihre Fertigkeit im grundlegenden Zeichnen nachweisen, können vom Direktor von der Prüfung im Zeichnen befreit werden. • § 5. Mündliche Prüfung. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auf folgende Fächer: 1. Rechnen: Kopfrechnen. Aufgaben aus dem oben gekennzeichneten Gebiet. 2. Mathematik: Aufgaben aus der Algebra, Planimetrie, Trigonometrie und Stereometrie, entsprechend den vorgenannten Anforderungen. 3. Naturlehre: Fragen ausdem vorbezeichneten Gebiet in der Physik und Chemie. 3. E r t h e i l u n g

der

Censuren

und

der

Befähigungszeugnisse.

§ 6. Ueber die Ertheilung der Censuren f ü r die gesammte Prüfung gelten folgende Bestimmungen: Die Gesammt-Censuren f ü r die Leistungen in den einzelnen Fächern werden als Durchschnittsnoten aus den Noten f ü r die Leistungen in der schriftlichen und mündlichen Prüfung gewonnen.

793 Für die sehr gute Beantwortung oder Bearbeitung einer Aufgabe ist die Nummer 4, für die gnte 3, für die fast gute 2, für die genügende 1, und für die nicht genügende 0 zu geben. Das Prädikat „bestanden11 darf nur den Prüflingen ertheilt werden, deren Leistungen« in den Prüfungsgegenständen Deutsch und Mathematik mindestens die Censur „fast gut" und in den Fächern Rechnen, Katurlehre und Zeichnen mindestens die Censur „genügend1- erhalten haben. Das Zeugniss, welches über die erfolgreiche Ablegung der Prüfung ausgestellt wird, enthält über den Ausfall der Prüfung nur die Angabe, dass der Prüfling die Prüfung bestanden hat. Die Noten in den einzelnen Prüfungsgegenständen werden nicht aufgenommen. Abstufungen in der Art des Bestehens giebt es nicht. b) Ordnung f ü r die R e i f e p r ü f u n g e n . 1. Allgemeine Bestimmungen. § 1. Die Reifeprüfung bildet den Abschluss des Lehrgangs an der Anstalt. Durch sie soll festgestellt werden, ob die Prüflinge die fachliche Ausbildung erlangt haben, welche dem Lehrziele der Schule entspricht. § 2. Die Kommission zur Abhaltung der Reifeprüfungen besteht aus 1. einem Vertreter der Staatsregierung, welcher den Vorsitz führt 2. einem von dem Königlichen Regierungs-Präsidenten bestimmten Mitgliede des Schulkuratoriums, 3. einem Vertreter der Maschinen- oder der Hüttenindustrie des Bezirks, welcher dem Schulkuratorium angehören kann und von diesem auf die Dauer von zwei Jahren zu wählen ist, 4. dem Direktor der Schule, der auch den Vorsitzenden vertritt, wenn dieser verhindert ist, 5. den Lehrern, welche die Prüflinge in den Gegenständen der Prüfung unterrichtet haben. Sie müssen dem Vorsitzenden zwei Wochen vor dem Beginn der Prüfung namhaft gemacht werden. Die Mitglieder der Prüfungskommission haben die Pflicht der Amtsverschwiegenheit. § 3. Zur Reifeprüfung können nur Schüler, welche die erste Klasse der Anstalt mit Erfolg besucht und die erforderliche sittliche Reife haben, zugelassen werden. Das Gesuch um Zulassung zur Prüfung ist vier Wochen vor deren Beginn unter Beifügung eines Lebenslaufe und der Zeugnisse über die praktische Ausbildung dem Direktor einzureichen. Gleichzeitig ist eine Prüfungsgebühr von 10 Mk. an die Schulkasse zu entrichten. Wenn ein Schüler nach dem einstimmigen Urtheil des Direktors und der Lehrer, die ihn unterrichtet haben, die erforderliche sittliche und wissenschaftliche Reife nicht besitzt, so ist er vom Direktor von der Prüfung zurückzuweisen. Dem Vorsitzenden der Priifungs-Kommission ist hiervon Anzeige zu erstatten. Dem zurückgewiesenen Schüler ist die Prüfungsgebühr zurückzuzahlen, ebenso einem Schüler, der aus irgend welchen Gründen vor dem Eintritt in die schriftliche Prüfung auf die Ablegung der Prüfung verzichtet Rückzahlungen finden aus anderen Gründen nicht statt Die Entscheidung der Konferenz und die Lebensläufe der Prüflinge sowie ein alphabetisches Verzeichnis der Prüflinge, welches deren Klassenleistungen enthält, sind vom Direktor zwei Wochen vor dem Beginn der mündlichen Prüfung dem Vorsitzenden der Prüfungs-Kommission zu übersenden. § 4. Die Prüfung zerfällt in einen zeichnerischen und schriftlichen und in einen mündlichen Theil. Die zeichnerische und schriftliche Prüfung beginnt spätestens vier Wochen, die mündliche einige Tage vor Schluss des Schuljahres. In der Regel sollen nicht mehr als zehn Prüflinge gleichzeitig mündlich geprüft werden. Die zeichnerische und schriftliche Prüfung findet unter Aufsicht der Lehrer statt. lieber die Vorgänge bei der unter Klausur abzuhaltenden zeichnerischen und schriftlichen Prüfung wird ein Protokoll von den die Aufsicht führenden Lehrern geführt. Das Protokoll muss die Namen der Prüflinge, den Wortlaut der in den einzelnen Fächern zu bearbeitenden Aufgaben (gegebenenfalls unter Beifügung der gegebenen Skizzen), die Namen der Aufsicht führenden Lehrer, Ver-

794 merke über den Beginn der Arbeitszeit und über Unterbrechungen derselben and Angaben darüber enthalten, wann die Prüfungsarbeiten von den einzelnen Prüflingen abgegeben worden sind. Auf jeder schriftlichen und zeichnerischen Arbeit ist der Name des Prüflings, das Datum und die Arbeitszeit zn vermerken. Von jeder Arbeit ist ausser der Reinschrift auch der Entwurf abzuliefern. § 5. Für jede der zu bearbeitenden Aufgaben werden Ton den betreffenden Fachlehrern drei Vorschlüge ausgearbeitet und dem Direktor zur Genehmigung vorgelegt. Ans diesen drei Vorschlägen wählt der Vorsitzende der PrüfangsKommission die zu stellende Aufgabe aus. Er sendet die Aufgaben jedes Faches mit dem Vermerk über die getroffene Wahl unter besonderem Verschluss dem Direktor zurück, der erst bei Beginn der zur Lösung bestimmten Zeit den Verschluss zu öffnen und die Aufgabe bekannt zu geben hat Bei den Klausurarbeiten dürfen — sofern nicht etwa nach den „Besonderen Bestimmungen" dieser Prüfungsordnung für die Bearbeitung einer Aufgabe ausdrücklich andere Hülfsmittel zugelassen sind — nur die von dem Minister für Handel und Qewerbe genehmigten Tabellenbücher benutzt werden. Vor Beginn der schriftlichen Prüfung hat der Direktor die Prüflinge vor der Benutzung unerlaubter Hülfsmittel zu warnen und sie auf die Folgen aufmerksam zu machen, welche dieselbe nach sieb zieht. Prüflinge, die sich bei der Anfertigung der schriftlichen Prüfungsarbeiten nachweislich unerlaubter Hülfsmittel bedient haben, werden von der Prüfung ausgeschlossen. Ebenso wird mit denjenigen Schülern verfahren, welche einen Prüfling bei einem derartigen Täuschungsversuche nachweislich unterstützt haben. In Fällen, wo nur ein Verdacht gegen den Prüfling vorliegt, sind von demselben neue Aufgaben zu bearbeiten, die von dem Direktor aus den vorgeschlagenen Aufgaben zu nehmen sind. Ebenso kann mit den Prüflingen verfahren werden, die durch Krankheit verhindert wareD, die schriftliche Prüfung gleichzeitig mit den Uebrigen mitzumachen. Die schriftlichen und zeichnerischen Arbeiten müssen spätestens vierzehn Tage vor dem Termin für die mündliche Prüfung von den prüfenden Lehrern durchgesehen und begutachtet dem Direktor eingereicht werden, der sie dem Vorsitzenden der Prüfungs-Kommission übersendet. Dieser ist befugt, die den Prüfungsarbeiten ertheilten Prädikate abzuändern. § 6. Zur Kennzeichnung der Leistungen der Prüflinge dienen folgende Noten: Für die „sehr gute" Bearbeitung einer Aufgabe oder Beantwortung einer Frage die Nummer 4, für die „gute" 3, für die „fast gute" 2, für die „genügende" 1 und für die „nicht genügende'1 0. § 7. Der mündlichen Prüfung gebt eine Berathung und Beschlussfassung darüber voraus, ob einzelne der Prüflinge von der mündlichen Prüfung auszuschliessen oder von der Ablegung ganz oder theilweise zu befreien sind. Der Ausschluss eines Prüflings von der mündlichen Prüfung erfolgt, wenn für die Mehrzahl der Prüfungsgegenstände der schriftlichen und zeichnerischen Prüfung die Durchschnittsleistung aus dem Prüfungsergebnisse und den Klassenleistungen „nicht genügend" ist Die Befreiung in Fächern, die Gegenstand der schriftlichen Prüfung wareD, kann eintreten, wenn entweder die schriftliche Prüfungsarbeit mit mindestens „fast gut" und die Klassenleistungen mit mindestens „genügend" oder die schriftliche Prüfungsarbeit mit mindestens ,genügend" und die Klassenleistungen mit mindestens „fast gut" censirt worden sind. Die Befreiung in Fächern, die nicht Gegenstand der schriftlichen Prüfung waren, kann eintreten, wenn die Klassenleistungen mit mindestens „fast gut" censirt worden sind. Bei den Abstimmungen entscheidet die einfache Mehrheit, bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden. § 8. Der Vorsitzende der Prüfungs-Kommission bestimmt nach Anhörung des Direktors für die mündliche Prüfung die Reihenfolge der einzelnen Prüfungsgegenstände und die Prüfungsdauer. Der Vorsitzende der Prüfungs-Kommission ist befugt, Fragen an die Prüflinge zu richten. § 9. Ueber die Ertheilung der Censuren für die gesammte Prüfung gelten folgende Bestimmungen:

795 Die Gesammt-Censuren für die Leistungen in den einzelnen Fächern werden unter Berücksichtigung der Klassenleistungen und der Leistungen in der schriftlichen und mündlichen Prüfung festgestellt. Die endgültige Note für das Maschinenskizziren und Maschinenzeichnen wird nach den vorgelegten Skizzen und Zeichnungen von der Prüfungs-Eommission ertheilt. § 10. Nach Beendigung der mündlichen Prüfung wird über die Zuerkennung des Reifezeugnisses Beschluss gefasst. Das Ergebniss der Prüfung wird gleich nach Schluss der Sitzung den Prüflingen mitgetheilt. Die von den Mitgliedern der Prüfungs-Kommission unterzeichneten Zeugnisse sind den Prüflingen binnen vier Wochen zuzustellen. In die Reifezeugnisse werden ausser den Urtheilen über die Leistungen in den Prüfungsgegenständen auch die Urtheile in den Fächern, die nicht Gegenstand der Prüfung waren, aufgenommen. § 11. Ueber den Gang und die Ergebnisse der mündlichen Prüfung wird ein Protokoll aufgenommen. Dasselbe hat über die Vorberathung, den Inhalt der gestellten Fragen, über die Prädikate, welche dem Prüfling auf Vorschlag des Fachlehrers von der Kommission ertheilt worden sind, und über die Schlussberathung Auskunft zu geben. Das Prüfungsprotokoll wird von sämmtlichen Mitgliedern der Kommission unterzeichnet. Eine einmalige Wiederholung der Prüfung ist statthaft. § 12. Wer die Prüfung nicht besteht, erhält auf besonderes Erfordern ein Klassenzeugniss und eine einfache Bescheinigung über den Besnch der Anstalt, die sich über Fleiss, Betragen und Schulbesuch auslässt. Im Klassenzeugniss ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Schüler die Prüfung nicht bestanden hat. 2. B e s o n d e r e B e s t i m m u n g e n . A. H ö h e r e M a s c h i n e n b a u s c h u l e n . § 1. Prüfungsgegenstände. 1. Mathematik, a) Arithmetik: Verständniss der algebraischen Grundoperationen mit allgemeinen Grössen. Praktische Fertigkeit in Ziffer- und Bachstabenrechnungen. Algebra bis zu den Gleichungen zweiten Grades mit mehreren Unbekannten einschliesslich, insbesondere Uebung im Ansatz und in der Umformung der Gleichungen. Die Reihenlehre bis zum binomischen Lehrsatz für negative und gebrochene Exponenten, Exponential u. s. w. -Reihen in elementarer Begründung. Zinseszins- und Rentenrechnung. b) Geometrie: Genaue Kenntniss der Lehrsätze und Aufgaben der Planimetrie, der Elemente der analytischen Geometrie, der Kegelschnitte und der für die Technik wichtigen Kurven. c) Trigonometrie: Ableitung der wichtigsten Formeln der Goniometrie und der ebenen Trigonometrie. Gewandtheit in der Berechnung der Dreiecke und Vielecke. d) Stereometrie: Kenntniss der Lehrsatze und Aufgaben der Stereometrie, insbesondere Fertigkeit in der Berechnung der einfachen Körper, Prisma, Cylinder, Pyramide, Kegel und Kugel. Allgemeine Methoden zur Berechnung von Körpern. Gewichtsberechnungen. 2. Mechanik. Kenntniss der Gesetze der elementaren Statik und Dynamik fester und flüssiger Körper und insbesondere der Gesetze der Festigkeitslehre. Elemente der Wärmemechanik. Uebung in der Anwendung der in der Praxis üblichen Formeln. 3. Maschinenbaukunde. Genaue Kenntniss der Maschinenelemente, ihrer Form, ihres Zwecks, Materials und ihrer Herstellung. Fertigkeit im Berechnen der Maschinenelemente. Kenntniss des Baues und der Berechnung der Hebemaschinen, Dampfkessel und Dampfmaschinen. Allgemeine Kenntniss der hydraulischen Motoren und Kraftgas-Motoren. 4. Mechanische Technologie. Kenntniss der Arbeitsvorgänge in der Formerei, Giesserei, beim Schmieden, Walzen, Ziehen, Pressen. Kenntniss der wichtigsten Werkzeuge und Werkzeugmaschinen für die Bearbeitung der Metalle und des Holzes. Kenntnisse in der Eisenhüttenkunde und in der Materialienkunde.

796 5. Baukonstruktionslehre. Kenntniss der Verbindungen in Stein, Holz und Eisen, der bei Fabrikgebäuden vorkommenden Gewölbe, Dächer, Treppen und Eisenkonstruktionen unter besonderer Berücksichtigung der Konstruktion der Einzeltheile. 6. Elektrotechnik. Die Grundgesetze der Elektrotechnik. Kenntniss der Dynamomaschinen, Elektromotoren, Transformatoren. Einrichtung und Betrieb •elektrischer Beleuchtungs- und Kraftübertragungsanlagen. § 2. Aufgaben für die schriftliche und zeichnerische Prüfung. 1. Mathematik. Es werden vier Aufgaben gestellt, je eine aus den Gebieten •der Algebra, Trigonometrie, Kurvenlehre und Stereometrie. 2. Mechanik. Drei Aufgaben, je eine aus dem Gebiete der Statik, der Dynamik und der Festigkeitslehre. 3. Maschinenbaukunde. Drei Aufgaben: a) Anfertigung der WerkstattZeichnung eines Maschinenelements in grösserem Massstabe oder in natürlicher Grösse und Ausführung der dazu erforderlichen Festigkeitsrechnungen. Die Zeichnung ist nur in Blei auszuführen, die Materialien sind durch Buntstiftschraffur anzudeuten. b) Durchführung der Berechnung eines Maschinentheils oder einer Maschine aus dem Gebiete der Hebemaschinen, Dampfkessel und Dampfmaschinen. Der Berechnung sind entweder Handskizzen oder eine massstäbliche Zeichnung in Blei beizufügen. c) Entwurf einer einfachen Maschine oder einzelner Haupttheile einer Maschine aus dem Gebiete der Dampfkessel, der Hebemaschinen- oder der Dampfmaschinenkunde nach gegebenem Programm. Die Aufgabe ist so zu wählen, dass sie keine besonderen Schwierigkeiten enthält, sich auch nicht auf besondere in der Praxis seltener vorkommende Fälle bezieht. Die Entwurfszeichnungen und die etwa anzufertigenden Zeichnungen von Einzeltheilen sind mit Tusche auszuziehen, mit Materialfarben anzulegen und mit Maassen zu versehen. Dem Entwurf sind die ihm zu Grunde liegenden Berechnungen beizufügen. Da aus der Bearbeitung dieser Aufgabe nur hervorgehen soll, ob der Prüfling sich die Gewandtheit erworben hat, Aufgaben seines Berufs genau aufzufassen und sie in gegebener Zeit mit richtiger Benutzung der ihm in der Praxis zur Verfügung stehenden Hülfsmittel zu lösen, so ist die Benutzung der Lehrhefte und eines sogenannten Fachkalenders bei der Bearbeitung dieser Aufgabe gestattet. 4. Mechanische Technologie. Eine bis zwei Aufgaben aus dem Gebiete der Giesserei, des Schmiedens, des Walzens oder der "Werkzeugmaschinenkunde. Der Beschreibung sind Skizzen in verkleinertem Massstabe oder eine Werkzeichnung in natürlicher Grösse in Blei uncl Buntstift beizufügen. § 3. Zeit für die^ schriftliche'Prüfung. Für No. 1: ein Tag zu 6 Stunden ohne Unterbrechung. Für No. 2: ein Tag zu 6 Stunden ohne Unterbrechung. Für No. 3: je ein Tag zu je 8 Stunden ohne Unterbrechung für jede der beiden ersten Aufgaben. 3 bis 4 Tage zu je 8 Stunden für die dritte Aufgabe. Für No. 4: ein Tag (bei e i n e r Aufgabe 8 Stunden ohne Unterbrechung, bei 2 Aufgaben je 4 Stunden für jede Aufgabe). § 4. Mündliche Prüfung. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auf folgende Fächer: 1. Mathematik, 2. Mechanik. 3. Maschinenbaukunde, 4. Mechanische Technologie, 5. Baukonstruktionslehre, 0. Elektrotechnik. § f>. Das Zeugniss der Reife mit clem Prädikat „bestanden" darf nur den Prüflingen ertheilt werden, deren Gesammtleistungen in den Prüfungsgegenständen durchschnittlich die Censur „genügend" erhalten haben, deren Gesammtleistungen in jedem der Fächer Mathematik, Mechanik, Maschinenbaukunde, Mechanische Technologie und Maschinenzeichnen aber mit mindestens „genügend" beurtheilt worden sind.

797 Das Zeugniss der .Reife mit dem Prädikat „gut bestanden" kann nur denen zuerkannt werden, die in der Maschinenbaukunde, in der mechanischen Technologie, in der Mechanik, in der Mathematik und im Maschinenzeichnen die Gesammtnote „gut" und in der Mehrzahl der übrigen Prüfungsgegenstände „fast gut"erhalten haben. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „mit Auszeichnung bestanden" kann nur denen zuerkannt werden, die in der Maschinenbaukunde und in einem der Fächer Mathematik oder Mechanik die Gesammtnote „sehr gut", in dem andern Fache, in der mechanischen Technologie und im Maschinenzeichnen „gut", in der Mehrzahl der übrigen Fächer ..gut", und in keinem Prüfungsgegenstande „nicht: genügend1' erhalten haben. B. M a s c h i n e n b a u s c h u l e n . 1. V i e r k l a s s i g e M a s c h i n e n b a u s c h u l e n . § 1. Prüfungsgegenstände. 1. Deutsch. Kenntniss der Geschäftsaufsätze, des Nothwendigsten aus der einfachen Buchführung, der Wechsollehre und der gewerblichen Gesetzgebung. 2. Mathematik, a) Algebra: Verständnis« der vier Grundrechnungsarten mit allgemeinen Zahlen. Rechnen mit Buchstabenbrüchen, Potenzen und Wurzeln. Proportionen. Gleichungen 1. Grades mit einer und mit mehreren Unbekannten. Gleichungen 2. Grades mit einer Unbekannten. Uebung im Tabellenrechnen. b) Planimetrie: Winkelarten, "Winkelpaare, Winkel an Parallelen. Kongruentsätze. Gleichschenkliges und gleichseitiges Dreieck. Vierecke (Parallelogramm,. Trapez). Flächenberechnungen. Pythagoräischer Lehrsatz. Kreislehre (Sehnenund Winkelsätze, Tangente, Kreisviereck). Aehnlichkeitslehre (Proportionen am Dreieck, Aehnlichkeitssätze. Proportionen am rechtwinkligen Dreieck und am Kreise). Kreistheilungen. Die Zahl n und die Berechnung des Kreisumfangs und Kreisinhalts. c) Trigonometrie: Die trigonometrischen Funktionen und einfache Beziehungen, zwischen denselben. Auflösung des rechtwinkligen Dreiecks. d) Stereometrie: Berechnung der Oberfläche und des Inhalts der fünf einfachen Körper. Guldinsche Regel. 3. Elektrotechnik. Die Grundgesetze der Elektrotechnik. Dynamomaschinen,. Elektromotoren, Transformatoren. Einrichtung und Betrieb der elektrischen Beleuchtungs- und Kraftübertragungsanlagen. 4. Mechanik. Gesetze der elementaren Statik und Dynamik fester und flüssiger Körper. Die wichtigsten Gesetze der Festigkeitslehre. 5. Maschinenkunde. Zweck, Form, Material und Herstellung der Maschinenelemente. Bau und Betrieb der Hebemaschinen, Dampfkessel und Dampfmaschinen. Einrichtung und Wirkungsweise der hydraulischen Motoren und der KraftgasMotoren. 6. Mechanische Technologie. Arbeitsvorgänge in der Formerei, Giesserei, beim Schmieden, Walzen, Ziehen, Pressen. Die wichtigsten Werkzeuge und Werkzeugmaschinen zur Bearbeitung der Metalle und des Holzes. Das Wichtigste aus der Eisenhüttenkunde. § 2. Aufgaben für die schriftliche und zeichnerische Prüfung. 1. Deutsch. Ein Aufsatzthema aus der Geschäftskunde oder aus dem Beruf sieben. 2. Mathematik. Vier Aufgaben und zwar je eine aus der Algebra, Planimetrie, Trigonometrie und Stereometrie. 3. Mechanik. Vier Aufgaben und zwar zwei aus der Statik, eine aus der Dynamik und eine aus der Festigkeitslehre. 4. Maschinenkunde. Zwei Aufgaben. a) Ein Maschinenelement ist ohne Zuhülfenahme eines Modells, einer Zeichnung oder Skizze in natürlicher Grösse in den nöthigen Rissen und Schnitten zu zeichnen und mit den zur Herstellung erforderlichen Massen zu versehen. Die Zeichnung ist nur in Blei auszuführen, die Materialien sind durch Buntstiftschraffur anzudeuten. Der Zeichnung ist eine kurze Beschreibung des Zwecks, der Form, des Materials und der Herstellung des Maschinenelements beizufügen.

798 b) Beschreibung und wo angängig auch Berechnung wichtiger Einzeitheile aus dem Gebiete der Hebemaschinen-, Dampfkessel- und Dampfmaschinenkunde unter Beifügung von .Freihandskizzen in verkleinertem Massstabe, oder Anfertigung einer massstäblichen Zeichnung aus den vorstehenden Gebieten. Die Zeichnung ist nur in Blei auszuführen, die Materialien sind mit Buntstift anzudeuten. Die zur Herstellung des gezeichneten Gegenstands erforderlichen Masse sind einzutragen. 5. Technologie. Ein bis zwei Aufgaben aus dem Gebiete der Giesserei, des Schmiedens und Walzens oder der "Werkzeugmaschinenkunde. Der Beschreibung sind Skizzen in verkleinertem Massstabe oder eine Werkstattzeichnung in natürlicher Grösse in Blei und Buntstift beizufügen. § 3. Zeit für die schriftliche und zeichnerische Prüfung. Für No. 1: ein halber Tag zu 4 Stunden. Für No. 2: ein Tag (6 Stunden ohne Unterbrechung). Für No. 3: ein Tag (6 Stunden ohne TJnterbrechnung). Für No. 4: je ein Tag zu je 8 Stunden ohne Unterbrechung für jede Aufgabe. Für No. 5: ein Tag (bei 2 Aufgaben je 4 Stunden für jede Aufgabe, bei 1 Aufgabe 8 Stunden ohne Unterbrechung). § 4. Mündliche Prüfung. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auf folgende Fächer: 1. Deutsch, 2. Mathematik, 3. Elektrotechnik, 4. Mechanik, 5. Maschinenkunde, 6. Mechanische Technologie. § 5. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „bestanden" darf nur den Prüflingen ertheilt werden, deren Gesamintleistungen in den Prüfungsgegenständen durchschnittlich die Censur „genügend" erhalten haben, deren Gesamintleistungen in jedem der Fächer Maschinenkunde, Mechanische Technologie und Mechanik aber mit mindestens „genügend" beurtheilt worden sind. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „gut bestanden11 kann nur denen zuerkannt werden, die in der Maschinenkunde, in der Technologie, in der Mechanik und im Maschinenzeichnen die Gesammtnote „gut*' und in der Mehrzahl der übrigen Prüfungsgegenstände „fast gut" erhalten haben. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „mit Auszeichnung bestanden" kann nur denen zuerkannt werden, die in der Maschinenbaukunde und in der mechanischen Technologie die Gesammtnote „sehr gut", in der Mechanik, Mathematik und im Maschinenzeichnen „gut", in der Mehrzahl der übrigen Fächer „gut", und in keinem Prüfungsgegenstande „nicht genügend" erhalten haben. 2. D r e i k l a s s i g e M a s c h i n e n b a u s c h u l e in Cöln. § 1. Prüfungsgegenstände. 1. Deutsch. Die Fälligkeit, über eine Konstruktion oder einen Arbeitsvorgang einen klaren Bericht anzufertigen. 2. Elektrotechnik. Die Grundgesetze der Elektrotechnik. Dynamomaschinen, Elektromotoren, Transformatoren. Einrichtung und Betrieb der Beleuchtungs- und Kraftübertragungsanlagen. 3. Mechanik. Gesetze der elementaren Statik und Dynamik fester und flüssiger Körper. Die wichtigsten Gesetze der Festigkeitslehre. 4. Maschinenkunde. Zweck, Form, Material und Herstellung der Maschinenclemente. Bau und Betrieb der Hebemaschinen, Dampfkessel und Dampfmaschinen. Einrichtung und Wirkungsweise der hydraulischen Motoren und der Kraftgasmotoren. Die gebräuchlichen Werkzeuge und Werkzeugmaschinen zur Bearbeitung der Metalle und des Holzes. 5. Technologie. Das Wichtigste aus der Eisenhüttenkunde. Die Arbeitsvorgänge in der Formerei, Giesserei, beim Schmieden, Walzen Ziehen, Pressen. § 2. Aufgaben für die schriftliche und zeichnerische Prüfung. 1. Deutsch. Der Bericht zu 3 b oder zu 4 wird auch als deutsche Arbeit angesehen und als solche besonders censirt. 2. Mechanik. Vier Aufgaben, und zwar zwei aus der Statik, eine aus der Dynamik und eine aus der Festigkeitslehre.

799 3. Maschinenkunde. Zwei Aufgaben. a) Ein Maschinenelement ist ohne Zuhülfenahme eines Modells, einer Zeichnung oder Skizze in natürlicher Grösse in den nöthigen ßissen und Schnitten zu zeichnen und mit den zur Herstellung erforderlichen Massen zu versehen. Die Zeichnung ist n u r in Blei auszuführen, die Materialien sind durch die Buntstifts c h r a f f u r anzudeuten. D e r Zeichnung ist eine kurze Beschreibung des Zwecks, der Form, des Materials und der Herstellung des Maschinenelements beizufügen. b) Beschreibung wichtiger Einzeitheile aus dem Gebiete der Hebemaschinen-, Dampfkessel-, Dampfmaschinen- und "Werkzeugmaschinenkunde unter Beifügung von Freihandskizzen in verkleinertem Massstabe, oder Anfertigung einer massstäblichen Zeichnung aus den vorstehenden Gebieten. Die Zeichnung ist nur in Blei auszuführen, die Materialien sind mit Buntstift anzudeuten. Die zur Herstellung des gezeichneten Gegenstandes erforderlichen Masse sind einzutragen. 4. Technologie. Ein bis zwei Aufgaben aus dem Gebiete der Giesserei, des Schmiedens und Walzens. Der Beschreibung sind Skizzen in verkleinertem Massstabe beizufügen. § F ü r No. F ü r No. Aufgabe. F ü r No. einer Aufgabe

3. Zeit f ü r die schriftliche und zeichnerische P r ü f u n g . 2 : ein Tag (6 Stunden ohne Unterbrechung). 3 : je ein Tag zu je 8 Stunden ohne Unterbrechung f ü r

jede

4 : ein Tag (bei zwei Aufgaben j e 4 Stunden f ü r jede Aufgabe, bei 8 Stunden ohne Unterbrechung).

§ 4. Mündliche P r ü f u n g . Die mündliche P r ü f u n g erstreckt sich auf folgende Fächer: 1. Elektrotechnik, 2. Mechanik, 3. Maschinenkunde, 4. Technologie. § 5. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „bestanden 1- darf nur den P r ü f lingen ertheilt werden, deren Gesammtleistungen in den Prüfungsgegenständen durchschnittlich die Censur „genügend" erhalten haben, deren Gesammtleistungen in jedem der Fächer Maschinenkunde, Technologie und Mechanik aber mit mindestens „genügend' 1 beurtheilt worden sind. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „gut bestanden" kann n u r denen zuerkannt werden, die in der Maschinenkunde, in der Technologie, in der Mechanik und im Maschinenzeichnen die Gesammtnote „gut" und im Deutschen nicht unter „genügend' 1 erhalten haben. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „mit Auszeichnung bestanden" kann n u r denen zuerkannt werden, die in der Maschinenbaukunde und in der Technologie die Gesammtnote „sehr gut", in der Mechanik und im Maschinenzeichnen „gut", im Deutschen „gut", in keinem Prüfungsgegenstande „nicht genügend" erhalten haben. C. H ü t t e n s c h u l e n . § 1. Prüfungsgegenstände. 1. Deutsch. (Wie bei den vierklassigen Maschinenbauschulen.) 2. Mathematik. (Wie bei den vierklassigen Maschinenbauschulen.) 3. Physik und Elektrotechnik. Allgemeine Eigenschaften der Körper. Kommunizirende Gefässe, Luftdruck, Manometer. Wirkungen und Mass der W ä r m e . Gesetze der Dampfbildung. Fortpflanzung der W ä r m e . Entstehung, Stärke und Messung des Lichtes. Spiegel, Linse. Prisma. Die Grundgesetze der Elektrotechnik. Dynamomaschinen, Elektromotoren, Transformatoren. Einrichtung und Betrieb der elektrischen Beleuchtungs- und Kraftübertragungsanlagen. 4. Mechanik und Maschinenkunde. Gesetze der elementaren Statik und Dynamik fester und flüssiger Körper. Die wichtigsten Gesetze der Festigkeitslehre. Kenntniss der wichtigeren einfachen Maschinenteile, die Einrichtung und Wirkungsweise der Hebemaschinen, der Dampfkessel, Dampfmaschinen und Gaskraftmaschioen. 5. Eisenhüttenkunde. Kenntniss der Erze, Zuschläge und Brennstoffe. V e r trautheit mit den Vorgängen und Verrichtungen zur Erzeugung des Roheisens und des schmiedbaren Eisens.

800 6. Chemische Technologie und Metallhüttenkunde. Allgemeine Kenntniss der Darstellung von Schwefel, schwefeliger Säure, Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, Soda, Gewinnung der Nebenerzeugnisse von der Kohlendestillation, Erzeugung von Glas und Cement. Kenntniss der meist angewandten Verfahren zur Vorbereitung der Erze für die Metallgewinnung, die Vorgänge und Verrichtungen zur Gewinnung von Blei, Silber, Kupfer und Zink. 7. Mechanische Technologie. Kenntniss der Arbeitsvorgänge und Arbeitsverrichtungen zur Formgebung durch Giessen, Schmieden, Walzen und Ziehen. § 2. Aufgaben für die schriftliche und zeichnerische Prüfung. 1. Deutsch. (Wie bei den vierklassigen Maschinenbauschulen.) 2. Mathematik. (Wie bei den vierklassigen Maschinenbauschulen.) 3. Mechanik und Maschinenkunde. Entweder vier Aufgaben aus den verschiedenen Theilen der Mechanik oder eine Aufgabe aus der Maschinenkunde, bestehend in der zeichnerischen Darstellung eines Maschinentheils in natürlicher Grösse durch Risse und Schnitte mit den erforderlichen Massen oder zwei Aufgaben aus der Mechanik und eine entsprechend kleinere Aufgabe aus der Maschinenlehre. 4. Eisenhüttenkunde. Eine Aufgabe. Eingehende Darstellung eines Hüttenprozesses nach Theorie und Ausführung, erläutert durch Handskizzen der zu verwendenden Oefen und der sonstigen zur Darstellung erforderlichen Einrichtungen. 5. Chemische Technologie und Metallhüttenkunde. Entweder eine Aufgabe aus einem der beiden Gebiete oder zwei Aufgaben, je eine aus jedem Gebiete, bestehend in der Beschreibung eines Fabrikationszweiges des an organisch-chemischen Grossbetriebes oder eines Metalldarstellungsprozesses mit erläutenden Skizzen. 6. Mechanische Technologie. Eine Aufgabe aus der Giesserei oder aus der Bearbeitung des schmiedbaren Eisens oder zwei Aufgaben, je eine aus jedem Gebiete. Wird nur eine Aufgabe gestellt, so ist sie für die Hüttenleute und die Former aus dem Gebiete der Giesserei, für die Walzer u. s. w. aus dem Gebiete der Bearbeitung des schmiedbaren Eisens zu wählen. Beschreibungen sind durch Skizzen zu erläutern. § 3. Zeit für die schriftliche und zeichnerische Prüfung. Für No. 1: -ein halber Tag zu 4 Stunden. Für No. 2: ein Tag zu 6 Stunden (ohne Unterbrechung). Für No. 3: ein Tag zu 6 Stunden (ohne Unterbrechung). Für No. 4: ein Tag zu 8 Stunden (ohne Unterbrechung). Für No. 5: ein Tag (bei zwei Aufgaben je 4 Stunden für jede Aufgabe, bei einer Aufgabe 8 Stunden ohne Unterbrechung). Für No. 6: ein Tag (bei zwei Aufgaben, je 4 Stunden für jede Aufgabe, bei eine Aufgabe 8 Stunden ohne Unterbrechung). § 4. Mündliche Prüfung. Die mündliche Prüfung erstreckt sich auf folgende Fächer: 1. Deutseh, 2. Mathematik, 3. Physik und Elektrotechnik, 4. Mechanik und Maschinenkunde, 5. Eisenhüttenkunde, 6. Chemische Technologie und Metallhüttenkunde, 7. Mechanische Technologie. § 5. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „bestanden" darf nur den Prüflingen ertheilt werden, deren Gesammtleistungen in den Prüfungsgegenständen durchschnittlich die Censur „genügend" erhalten haben, deren Gesammtleistungen in jedem der Prüfungsfächer: Eisenhüttenkunde, chemische Technologie und Metallhüttenkunde und mechanische Technologie aber mit mindestens „genügend" beurtheilt worden sind. Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat „gut bestanden" kann nur denen zuerkannt weisen, die in den Prüfungsfächern: Eisenhüttenkunde, chemische Technologie und Metallhüttenkunde, mechanische Technologie und Mechanik und Maschinenkunde die Gesammtnote „gut" und in der Mehrzahl der übrigen Prüfungsgegenstände „fast gut" erhalten haben.

801 Das Zeugniss der Reife mit dem Prädikat ..mit Auszeichnung bestanden" kann nur denen zuerkannt werden, die in den Prüfungsfächern: Eisenhüttenkunde und mechanische Technologie die Gesammtnote „sehr gut", in den Prüfungsfächern: chemische Technologie und Metallhüttenkunde, Mechanik und Maschinenkunde und Mathematik „gut", in der Mehrzahl der übrigen Fächer „gut", und in keinem Prüfungsgegenstande „nicht genügend" erhalten haben.

Die S c h ü l e r z a h l an den Fachschulen für Metallindustrie betrug in den letzten Jahren:

Sitz der Anstalt

Nähere Bezeichnung der Anstalt

Schülerzahl im "Winterhalbjahr ns/ofi ! rtn/oo 100/01101/02

I. S t a a t s a n s t a l t e n . Dortmund

ElberfeldBarmen

Breslau Hagen i. AV. Duisburg

Glehvitz

Altona

Görlitz

9, Remscheid 10,

Iserlohn

Kgl. vereinigte Maschinellbauschulen. Davon entfallen auf die: Höhere Maschinenbauschule: 122, 116, 110, 118. Maschinenbauschule: 194, 207,209,224. Abend- und Sonntagsschule: 165. 190, 211, 244. wie vor. Davon entfallen auf die: Höhere Maschinenbauschule: —, —, 47, 89. Maschinenbauschule: —, —, 39, 69. Abend- u. Sonntagsschule: —, —, 62,100. Kgl. höhere Maschinenbauschule. (Nur Tagesschüler) wie vor. (Nur Tagesschüler) Kgl. Maschinenbau- und Hüttenschule. Davon entfallen auf: Tagesschüler: 129, 153, 169, 191. Abendschüler: 26, 38, 44, 53. Kgl. Maschinenbau- und Hüttenschule. Davon entfallen auf: Tagesschüler: —, —, 76, 103. Abendschüler: —, —, 30, 22. Kgl. höhere Maschinenbauschule. Davon entfallen auf: Tagesschüler: 3. 18, 40, 55. Abendschüler: 12, 24, 24, 37. Kgl. Maschinenbauschule. Davon entfallen auf: Tageschüler: 13, 52, 101, 84. Abendschüler: 43, 55, 104, 116. Kgl. Fachschule f ü r clie Bergische Kleineisen- und Stahlwaaren-Industrie. (Nur Tagesschüler) Kgl. Fachschule f ü r Metall - (Bronze-) Industrie. Davon entfallen auf: Tagesschulen —, —, —, 59. Abendschüler: —, —. —, 42.

481 513 530

20

32 148

80

94 116

136 165 184 155 191 213

83 106

15

42

64

56 107! 205

73

91

95

47

47

58

Seite 1135 1365 1719 202(i Simon, Die Fachbildung des Preussischen Gewerbe- uud Handelsstundes. 51

802

Sitz •o

der Anstalt

Nähere Bezeichnung der Anstalt.

Schülerzahl im "Winterhalbjahr

3

98/99109/00 00/01 01/02

i l . Stettin

12. Posen

13. Einbeck 14. Siegen

Uebertrag 1135 1365 1719 2026 Kgl. höhere Maschinenbauschule. 62 206 Davon entfallen auf:. Tagesschüler: —, —, 31, 100. Abendschüler: —, —, 31, 106. Kgl. höhere Maschinenbauschule. 8 (Nur Tagesschüler) wie vor. 26 37 48 (Nur Tageschüler) Kgl. Fachschule für die Eisen- und Stahlindustrie des Siegener Landes. 20 42 (Nur Tagesschüler)

II. Vom S t a a t e m i t u n t e r h a l t e n e 15. Colli

16. Magdeburg

Gemeindeanstalten.

Vereinigte Maschinenbauschulen (Abtheilung der „städtischen gewerbl. Fachschulen"). 205 191 198 205 Davon entfallen auf: die höhere Maschinenbauschule: —, —, 136, 136. die Maschinenbauschule: — , — , 62, 69. Maschinenbauschule. (Nur Tagesschüler) 68 75 83 104 Zusammen: 1408(1657 2119 2639

Als Spezialfachschule für Metallindustrie ist schliesslich noch die auf Anregung und mit Unterstützung des „Vereins der Kupferschmiedereien Deutschlands" errichtete Kupferschmiedefachs c h u l e i n H a n n o v e r zu nennen, die eine besondere Abtheilung der dortigen städtischen Handwerker- und Kunstgewerbeschule bildet und am 1. Oktober 1893 eröffnet worden ist. In durchschnittlich 44 Stunden wöchentlichem Unterricht werden hier in zwei Jahreskursen Werkmeister und Betriebsleiter für Kupferschmiedereien vorgebildet. Zur Aufnahme in den unteren Jahreskursus wird der Kachweis des erfolgreichen Besuchs einer Volksschule und einer mindestens dreijährigen Praxis verlangt, sowie ein von der Behörde des letzten Aufenthaltsorts ausgestelltes Sittenzeugniss. Schüler unter 21 Jahren haben die schriftliche Erlaubniss ihres Vaters oder Vormundes zum Besuch der Anstalt beizubringen. Der Lehrplan erstreckt sich im

e r s t e n H a l b j a h r : Auf geometrisches und Maschinenzeichnen. Elemente der Statik, der Dynamik und der Festigkeitslehre. darstellende Geometrie, Mathematik (Arithmetik, Planimetrie), Experimentalphysik, Freihandzeichnen, Deutsch, Rundschrift.

803 im

z w e i t e n H a l b j a h r : Auf Apparatenzeichnen und Eonstruiren, Apparatenbau und Apparatenlehre, Mechanik (Statik), Festigkeitslehre, darstellende Geometrie, Mathematik (Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie), mechanische Technologie, Experimentalchemie, Deutsch, im dritten Halbjahr: Auf Maschinenzeichnen, Apparatenzeichnen, Maschinenlehre, Apparatenlehre, Mechanik, Festigkeitslehre, Mathematik (Stereometrie, Arithmetik),mechanische Technologie, chemische Technologie, Buchführung, im v i e r t e n Halbjahr: Auf Apparatenzeichnen, Apparatenlehre, Mechanik, Elemente der graphischen Statik, Mathematik (Arithmetik, Geometrie), mechanische Technologie, chemische Technologie, KoBtenveranschlagen. Ausserdem wird den Schülern Gelegenheit gegeben, sich Fertigkeiten im Treiben von Kunstformen anzueignen.

6. Die Navigationsschulen, die Fachschulen für Seedampfschiffsmaschinisten und die SchlfferschnlenfOr Binnenschiffahrt. Der Einrichtung von Navigationsschulen wandte die Preussische Regierung schon im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ihre besondere Aufmerksamkeit zu. Eine der ersten war die am 19. November 1817 eröffnete Königliche Navigationschule zu Danzig.1) Der Zweck dieser Anstalt war „die Bildung geschickter nnd kundiger Seeleute, nämlich Matrosen, Steuermänner und Schiffsführer." Der gesammte Unterricht dauerte zwei Jahre und erstreckte sich auf folgende Lehrgegenstände: Im e r s t e n Halbjahre: 1. Die Grundlehren der Arithmetik, 2. der ebenen Geometrie, 3. der Stereometrie, 4. der ebenen Trigonometrie, 4. der sphärischen Trigonometrie, 6. der mathematischen Geographie, 7. der Astronomie und 8. Zeichnen. Im z w e i t e n H a l b j a h r e : 1. Beschreibung und Gebrauch des Loggs, des Halbminutenglases und des Kompasses; 2. Seglung und Curs-Koppelung nach glatter Karte; 3. Seglung und Kopplung nach wachsender oder Mercator-Karte; 4. Seglung nach Mittelbreite; 5. Stromberechnung; 6. Einrichtung und Gebrauch glatter und Mercator-Karten; 7. Beschreibung, Gebrauch und Verification des Hadleyschen Octanten und Sextanten; 8. Bestimmung der Breite durch Observation; 9. Beschreibung und Gebrauch des Azimutb-Kompasses; 10. Berech') T o b i e s e n , Kurze Nachricht von der in Danzig errichteten Königlichen nautischen Lehranstalt, Danzig, 1818. 51*

803 im

z w e i t e n H a l b j a h r : Auf Apparatenzeichnen und Eonstruiren, Apparatenbau und Apparatenlehre, Mechanik (Statik), Festigkeitslehre, darstellende Geometrie, Mathematik (Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie), mechanische Technologie, Experimentalchemie, Deutsch, im dritten Halbjahr: Auf Maschinenzeichnen, Apparatenzeichnen, Maschinenlehre, Apparatenlehre, Mechanik, Festigkeitslehre, Mathematik (Stereometrie, Arithmetik),mechanische Technologie, chemische Technologie, Buchführung, im v i e r t e n Halbjahr: Auf Apparatenzeichnen, Apparatenlehre, Mechanik, Elemente der graphischen Statik, Mathematik (Arithmetik, Geometrie), mechanische Technologie, chemische Technologie, KoBtenveranschlagen. Ausserdem wird den Schülern Gelegenheit gegeben, sich Fertigkeiten im Treiben von Kunstformen anzueignen.

6. Die Navigationsschulen, die Fachschulen für Seedampfschiffsmaschinisten und die SchlfferschnlenfOr Binnenschiffahrt. Der Einrichtung von Navigationsschulen wandte die Preussische Regierung schon im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ihre besondere Aufmerksamkeit zu. Eine der ersten war die am 19. November 1817 eröffnete Königliche Navigationschule zu Danzig.1) Der Zweck dieser Anstalt war „die Bildung geschickter nnd kundiger Seeleute, nämlich Matrosen, Steuermänner und Schiffsführer." Der gesammte Unterricht dauerte zwei Jahre und erstreckte sich auf folgende Lehrgegenstände: Im e r s t e n Halbjahre: 1. Die Grundlehren der Arithmetik, 2. der ebenen Geometrie, 3. der Stereometrie, 4. der ebenen Trigonometrie, 4. der sphärischen Trigonometrie, 6. der mathematischen Geographie, 7. der Astronomie und 8. Zeichnen. Im z w e i t e n H a l b j a h r e : 1. Beschreibung und Gebrauch des Loggs, des Halbminutenglases und des Kompasses; 2. Seglung und Curs-Koppelung nach glatter Karte; 3. Seglung und Kopplung nach wachsender oder Mercator-Karte; 4. Seglung nach Mittelbreite; 5. Stromberechnung; 6. Einrichtung und Gebrauch glatter und Mercator-Karten; 7. Beschreibung, Gebrauch und Verification des Hadleyschen Octanten und Sextanten; 8. Bestimmung der Breite durch Observation; 9. Beschreibung und Gebrauch des Azimutb-Kompasses; 10. Berech') T o b i e s e n , Kurze Nachricht von der in Danzig errichteten Königlichen nautischen Lehranstalt, Danzig, 1818. 51*

804 nung der Amplitudo und des Azimuths zur Bestimmung der Abweichung des Kompasses; 11. Berechnung der Zeit an Bord; 12. Berechnung der Länge, a) durch Monddistanzen, b) durch den Chronometer; 13. Journalitihrung; 14. Pflichten des Steuermanns. Im d r i t t e n H a l b j a h r e : 1. Weitere Ausführung der Lehre der Arithmetik, der ebenen und körperlichen Geometrie usw.; 2. Grundlehren der Statik, Hydrostatik und Hydraulik; 3. Anwendung dieser Lehren auf das Schiff; 4. von der Wirkung des Windes, Stabilität, Stellung der Segel u. s. w.; 5. Grundsätze des Manövrirens (Seemannschaft), a) vom Untersegelgehen, b) vom Wenden und Halsen, c) vom Ankern, d) von Verhütung des Uebersegelns n. s. w. Im vierten H a l b j a h r e : 1. Schiffsbaukunst, theoretisch und praktisch; 2. Zeichnen; 3. von den Pflichten und Obliegenheiten des Schiffers (Schifferkunde), a) gegen seine Mannschaft^ b) beim Frachtschliessen, c) beim Laden, d) wenn er in See geht, e) gegen Kaper, f) gegen seine Ladung, g) wenu er seine Bestimmung erreicht hat, h) in Betreff der Quarantaine, i) vor der Löschung (See-Protest), k) bei Havarie, 1) beim Schiffbruch und Stranden, m) wegen genauer Führung der Schiffsrechnung. An Lehrpersonal waren vorgesehen ein Direktor zur Leitung des gesammten Unterrichts und zum Vortrag der eigentlichen Navigation (Professor Dr. Tobiesen), ein Lehrer der reinen Mathematik oder des theoretischen Theiles der Navigation, als Einleitung in den nautischen Unterricht, ein Lehrer der Schiffsbaukunde, ein Lehrer für Zeichnen und ein Lehrer der Englischen Sprache, um den Gebrauch des Englischen Lehrbuchs der Navigation: Epitome of Navigation by Norie, welches in Ermangelung eines zweckmässigen deutschen Lehrbuchs vorläufig dem Vortrage zu Grunde gelegt worden, für die Schüler zu erleichtern. Aufnahmebedingung war, dass der Eintretende bereits mehrere Jahre zur See gefahren habe, eine gute, leserliche Hand schreibe und in dem gewöhnlichen Rechnen geübt sei. Um für die Anstalt bei dem Handel und Schifffahrt treibenden Publikum grösseres Vertrauen und Interesse zu erwecken und um eine Behörde zu haben, welche durch ihre Einwirkung auf das Publikum im Stande war, örtliche Hindernisse wegzuräumen, den beabsichtigten Zweck zu befördern und auf das Bestehen und den Flor der Anstalt zu wirken, war ein besonderer Senat gebildet, der aus dem jeweiligen Ober-Präsidenten von Westpreussen, dem Direktor der Anstalt und drei Mitgliedern der Kaufmannschaft und Rhederei bestehen sollte. Er sollte „Vater und Pfleger" der Anstalt sein und daher zu ihrer Vervollkommnung und zur Abfassung zweckmässiger Lehrbücher alle zweckdienlichen Mittel anwenden; vor

805 ihm fanden die Prüfungen statt, er ertheilte die Zeugnisse, die Steuermanns- und Schiffer-Patente. Die Schule wurde zunächst in einer zu dem Zwecke ausgebauten alten Kirche, der Jakobskirche, in vier Zimmern untergebracht, wovon drei dem Unterricht und eins zur Aufnahme der Sammlungen und Apparate dienten. Der Besuch war von Anfang an sehr rege. Schon im ersten Halbjahr waren 40 Schüler vorhanden, worunter 7 Steuerleute, 14 Matrosen, 9 Jungmänner und 10 Halbmatrosen; dabei war noch eine Anzahl Schüler wegen Platzmangels zurückgewiesen worden. Im Laufe der nächsten Jahre wurde die Zahl dieser Schulen vermehrt. 1855 bestanden ausser der in D a n z i g noch solche in Memel, P i l l a u , Grabow bei Stettin (in Verbindung mit einer Schiffbauschule, in der Schiffs-Zimmer-Gesellen und Lehrlinge in den Wintermonaten die zum Schiffsbaumeister erforderliche Ausbildung erhielten)1) und S t r a l s u n d . DieZahl der Schüler in allen Anstalten betrug 1851/52: 246, 1852/53: 218, 1853/54: 238, 1860/61: 292, 1861/62: 331, 1862/63: 304. Zu diesen Schulen traten noch 1865 die Navigationschule zu B a r t h im Begierungsbezirk Stralsund und mit der Yergrösserung des Preussischen Staates im Jahre 1866 die Schulen zu T i m m e l und L e e r im Regierungsbezirk Aurich und P a p e n b u r g im Begierungsbezirk Osnabrück; 1870 wurden Schulen in A l t o n a , A p e n r a d e und F l e n s b u r g , 1879 eine in G e e s t e m ü n d e begründet. Die Schule in Memel wurdeam I.April 1897wegen ihres schwachenBesuchs aufgehoben. Die bei dem Schiffergewerbe bestehenden besonderen Verhältnisse, welche es nöthig machen, dass die Seeleute bereits im frühen Alter in den Schiffsdienst treten und den Schulunterricht unterbrechen, wodurch die theoretische Vorbereitung für die Steuermanns- und Schifferprüfung erschwert wird, führten zur Einrichtung besonderer Navigationsvorschulen. Solche Vorbereitungsschulen bestanden schon 1855 in Memel, Danzig, Grabow bei Stettin, Swinemünde, Stegenitz, Golberg, Stolpmünde, Prerow und Zingst. Sie wurden 1851/52 von 331 Schülern, 1852/53 von 234 und 1853/54 von 255 Schülern besucht Zur Zeit ist mit jeder Navigationsschule eine Navigationsvorschule verbunden, ausserdem befinden sich besondere Vorschulen in Swinemünde, Stolpmünde (Beg.-Bezirk Stettin), Zingst, Prerow (Beg.-Bezirk Stralsund), Grünendeich, Grohn (Beg.-Bezirk Stade) und Emden, Westrhauderfehn (Beg.-Bezirk Aurich). Für den Unterricht in den Navigationsschulen und Navigationsvorschulen enthalten die vom H a n d e l s m i n i s t e r u n t e r m 16. De' ) Diese 1835 begründete, niemals sehr stark besuchte Schiffsbauschule ging 1871 aus Mangel an Schülern ein. Die meisten Schüler zählte 1854 die Schule zu Stettin, die wenigsten die zu Pillau. Der gesamte Staatszuschuss für alle Schulen betrug 3400 Thlr. von R e d e n , Erwerbs- und Verkehrs-Statistik, Darmstadt, 1854, i n , S. 2136.

806 z e m b e r l 8 9 8 erlassenen R e g u l a t i v e nähere, mit dem 1. April 1899 in Kraft getretenen Bestimmungen, denen Folgendes zu entnehmen ist: I. R e g u l a t i v f ü r die N a v i g a t i o n s s c h u l e n : § 1. Die Navigationsschulen sollen den Seeleuten Gelegenheit bieten, sich die theoretische Ausbildung zum Seesteuevmann und zum Seeschiffer auf grosser Fahrt zu verschaffen und sich auf die Steuermannsprüfung und die Schifferprüfung für grosse Fahrt, sowie auf eine Prüfung in der Schiffs-Dampfmaschinenkunde und in der Gesundheitspflege auf Kauffahrteischiffen vorzubereiten. Zur Ausbildung von Seesteuerleuten sind die Steuermannsklassen, zur Ausbildung von Schiffern auf grosser Fahrt und zur Vorbereitung auf die Prüfung in der Schiffs-Dampfmaschinenkunde die Schifferklassen bestimmt. In den letzteren werden genügend Unterrichtete auch zur Vorbereitung auf die Steuermannsprüfung zugelassen. (Vgl. § 5.) § 2. Der Unterrichtskursus dauert in den Steuermannsklassen 8 bis 10 Monate, in den Schifferklassen 5 bis 6 Monate . . . § 3. Die Zahl der Schüler einer Klasse darf dreissig nicht übersteigen. § 4. Die Aufnahme in eine Steuermannsklasse ist von Ablegung einer durch die Navigationslehrer (§ 15) vorzunehmenden Prüfung abhängig, in welcher nachzuweisen sind: 1. Kenntniss der deutschen Sprache bis zur Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich verständlich auszudrücken, und eine leserliche Handschrift, 2. Kenntniss der Grundrechnungsarten mit gewöhnlichen Brüchen, Dezimalbrüche» und Buchstaben, Fertigkeit im Rechnen mit Proportionen und Uebung in der Ausziehung von Quadratwurzeln, 3. Kenntniss der einfacheren Sätze über die Gleichheit von Winkeln, sowie über die Kongruenz, Aehnlichkeit und Gleichheit von Dreiecken, Kenntniss der einfacheren Sätze vom Kreise und von den Winkeln im Kreise, Uebung im Lösen leichter Konstruktion- und Rechnungsaufgaben vermittelst der Lehrsätze, 4. Kenntniss der politischen und der nautischen Geographie, soweit sie für einen Schiffsoffizier erforderlich ist, sowie einige Vorbereitung in der mathematischen Geographie. Diese Aufnahmeprüfung ist vor dem Kuratorium der Navigationsschule (§§ 19, 20) oder vor einem seiner Mitglieder abzuhalten-, hiervon darf nur bei Behinderung aller Mitglieder des Kuratoriums abgewichen werden. . . Wer die Aufnahmeprüfung nicht bestanden hat, kann zu deren Wiederholung erst nach einer nicht unter 3 und nicht über 6 Monate zu bemessenden Frist zugelassen werden. . . . § 5. In eine Schifferklasse wird als Schifferschüler nur aufgenommen, wer in Deutschland entweder als Seesteuermann zugelassen ist oder die Steuermannsprüfung bestanden hat, und als Steuermannsschüler nur, wer an einer deutschen öffentlichen Navigationsschule einen Steuermannskursus bereits ganz oder zum grossen Theile durchgemacht hat. Die Zulassung von Ausnahmen ist dem Minister für Handel und Gewerbe vorbehalten. § 6 bestimmt über das Verfahren bei der Aufnahme, § 7 über die Ausschliessung vom Unterrichte, § 8 über das Schulgeld. § 9. Jeder Schüler muss folgende Lehrmittel besitzen: 1. das „Lehrbuch der Navigation" von Albrecht und Vierow, 2. die nautischen, astronomischen und logarithmischen Tafeln von Domke, 3. das „nautische Jahrbuch", herausgegeben vom Reichsamt des Innern, 4. die „Grundzüge der Meteorologie" von Mohn, 5. Seekarten nach näherer Vorschrift, (i. die ersten Hefte von dem „Verzeichniss der Leuchtfeuer aller Meere", herausgegeben vom Hydrographischen Amte des Reichs-Marine-Amts, 7. ein Lehr- und Lesebuch der Englischen Sprache nach näherer Vorschrift, 8. die „Anleitung zur Gesundheitspflege an Bord von Kauffahrteischiffen", bearbeitet im Kaiserlichen Gesundheitsamte, 9. ein Reisszeug, 10. ein Parallel-

807 Lineal, 11. eine Donn-Skale oder einen vom Navigationsschul-Direktor zugelassenen genügenden Ersatz für dieselbe, 12. die nöthigen Arbeitehefte, 13. in der Schifferklasse ausserdem die Beichsgesetze über das See-, Handels- und "Wechselrecht. Die erforderlichen näheren Vorschriften über die anzuschaffenden Lehrmittel, insbesondere über die Ausgaben und die Jahrgänge der Bücher, Earten und periodischen "Werke, erlässt der Navigationsschul-Direktor. Die Anschaffung der unter No. 1 und No. 2 genannten "Werke kann Schülern, welche ein anderes geeignetes Lehrbuch der Navigation oder andere geeignete Tafeln bereits besitzen, mit Zustimmung des Navigationsschul-Direktors vom.Klassenlehrer erlassen werden. § 10. Die Unterrichtszeit wird vom Navigationsschul-Direktor gemeinschaftlich mit den Kuratorien festgesetzt. Zur Uebung ausserhalb der Unterrichtszeit erhalten die Schüler Aufgaben, deren Bearbeitung von den Lehrern wöchentlich mindestens einmal geprüft wird. Geeignete Abende, sowie auch einzelne Tagesstunden werden zu nautischastronomischen Beobachtungen benutzt. Das Nähere regelt ein sowohl im Klassen-, wie im Beobachtungszimmer auszuhängender Plan. Die Lehrer haben die Schüler zur Vornahme der Beobachtungen und zur Ausführung der Berechnungen über letztere anzuhalten und diese Berechnungen mindestens alle 14 Tage zu prüfen. Die Einführung von Beobachtungs- Tagebüchern und Uebersichten über die von den Schülern vorgenommenen Beobachtungen und ausgeführten Berechnungen bleibt der Bestimmung der Navigationsschul-Direktoren überlassen. § § 1 1 und 12 bestimmen den Lehrplan nach Massgabe der Bestimmungen in der Bekanntmachung vom 6. August 1887 (s. o. S. 383ff.) unter Hinzufügung der Gesundheitspflege auf Kauffahrteischiffen. § 13 bestimmt über den Stundenplan, § 14 über die Ferien, §§ 15, 16, 17 über die Pflichten der Lehrer. § 18. Als Navigationslehrer wird in der Regel nur angestellt, wer nach zurückgelegtem 20. Lebensjahre mindestens 8 Jahre ausübender Seemann gewesen und als Schiffer auf grosser Fahrt zugelasen worden ist, auch über alle Gegenstände des Navigationsschul-Unterrichts eine schriftliche Prüfung befriedigend abgelegt hat. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung des Ministers für Handel und Gewerbe. Gesuche um Zulassung zum Navigationslehrfache sind von den Bewerbern unter Beifügung einer von ihnen selbst geschriebenen Darstellung des bisherigen Lebenslaufs, der amtlichen Aeusserung eines Kreisphysikus über den Gesundheitszustand, und von Ausweisen über die bisherige Führung und die Ausübung der seemännischen Berufs, über die Zulassung als Schiffer auf grosser Fahrt und über die Erledigung der Heerespflicht schriftlich an einen der Navigationsschul-Direktoren zu richten. Hält dieser den Bewerber für geeignet, so nimmt er ihn im Bedarfsfalle nach zuvor eingeholter Genehmigung des Ministers für Handel und Gewerbe als Navigationsschul-Aspiranten widerruflich an. Hat der Aspirant in der ihm überwiesenen Beschäftigung dargethan, dass er die zum Berufe eines Navigationslehrers erforderlichen Eigenschaften besitzt, so wird er auf seinen Antrag von dem Navigationsschul-Direktor zur Lehrerprüfung zugelassen. Seine Prüfungsarbeiten legt der Navigationsschul-Direktor mittelst gutachtlichen Berichts dem Minister für Handel und Gewerbe vor, welcher über die Anstellungsfähigkeit des Aspiranten entscheidet. Die Navigationslehrerstellen werden regelmässig nur mit den auf diesem "Wege als befähigt erkannten Aspiranten besetzt. Die Navigationslehrer sind Staatsbeamte und haben deren Rechte und Pflichten. Die Annahme von Hülfslehrern bedarf der Genehmigung des Ministers für Handel und Gewerbe.

808 § 19. Der Navigationsscliul-Direktor ist alleiniger Kurator der an seinem Amtssitze befindlichen Navigationsschule. Für jede andere Navigationsschule wird von dem Regierungs - Präsidenten ein aus mehreren Mitgliedern bestehendes Kuratorium oder ein Einzel-Kurator bestellt. Die Kuratorien verwalten die Angelegenheiten der Navigationsschulen und führen die unmittelbare Aufsicht über dieselben und die dabei angestellten Lehrer, vorbehaltlich der den Navigationsschul-Direktoren obliegenden oberen Aufsicht. Alle Anordnungen, Aufträge, Mittheilungen und Anfragen über Gegenstände ihres Geschäftsbereichs haben sie an den dienstältesten Navigationslehrer der Schule zu richten. § 20 handelt von den b e s o n d e r e n Obliegenheiten der Kuratorien (Bekanntmachung der Termine für die Eröffnung der Unterrichtskurse, Schüleraufnahme, Aufrechthaltung der Schulordnung, Ueberwachung des Lehrgangs, Beurlaubung der Navigationslehrer, Annahme von Hülfslehrern, Ueberwachung der Lehrräume nebst Mobiliar und Lehrmitteln, Verwaltung der Schulkasse). § 21. Die Navigationsschul-Direktoren führen in den ihnen zugewiesenen Bezirken die obere Aufsicht über das Navigationsschulwesen nach der ihnen ertheilten besonderen Geschäftsanweisung. II. R e g u l a t i v f ü r die N a v i g a t i o n s - V o r s c h u l e n : § 1. Navigations-Vorschulen bestehen a) bei den Navigationshauptschulen zu Pillau, Danzig, Grabow a. 0., Stralsund, Barth, Flensburg, Apenrade, Altona, Geestemünde, Lehr, Timmel und Papenburg; b) als besondere Vorschulen zu Stolpmünde, Swinemünde, Zingst, Prerow. Emden, Grünendeich, Grohn und Westrhauderfehn. Die Vorschule in Altona hat zwei Parallelklassen, jede andere nur eine Klasse. § 2. Die Navigations-Vorschulen sollen jungen Seeleuten Gelegenheit bieten, sich auf den Eintritt in die Steuermannsklasse einer Navigations-Hauptschule und auf die Prüfung dazu, sowie auf die Schifferpriifung für kleine Fahrt vorzubereiten. § 3. Der Eintritt in die Vorschulen ist jederzeit gestattet und von Ablegung einer Prüfung nicht abhängig. § 4. Regelmässig sollen nicht mehr als 40 Schüler zusammen unterrichtet werden. § 5 handelt von der Ausschliessung wegen ansteckender Krankheiten, § 6 vom Schulgeld, § 7 von den Lehrmitteln, § 8 von der Unterrichtszeit und dea Hausarbeiten. § 9. Der Unterricht erstreckt sich auf die nachbenannten Gegenstände in den dabei angegebenen wöchentlichen Stunden: Deutsche Sprache 6 Stunden, Arithmetik 12 Stunden, Geometrie 8 Stunden, Geographie 4 Stunden und Zeichnen 2 Stunden. Der Navigationsscliul-Direktor kann jedoch den Unterricht in deutscher Sprache bis auf 8 Stunden erhöhen und den in Arithmetik dann bis auf zehn herabsetzen. Ausserdem wird wöchentlich in der Regel in 2 Stunden Unterricht in der ersten Hiilfeleistung bei Unglücksfällen (Samariterkursus) ertheilt, wenn die Vorschule von solchen Schülern besucht wird, die sich auf die Prüfung für Schiffer auf kleiner Fahrt vorbereiten. An diesem Unterricht, dessen Dauer von dem Xavigationsscliul - Direktor gemeinschaftlich mit den Kuratorien bestimmt wird, dürfen sich auch bereits zugelassene Schiffer auf kleiner Fahrt und Küstenfahrt betheiligen. § 10 handelt vom Stundenplan und der Schulordnung, § 11 von den Ferien, §§ 12 und 13 von den Pflichten der Lehrer. § 14. Das Amt der Kuratorien für die Navigations-Hauptschulen erstreckt sich auch auf die Vorschulen bei letzteren.

809 Für jede besondere Vorschule wird von dem Regierungspräsidenten ein aus mehreren Mitgliedern bestehendes Kuratorium oder ein Einzel-Kurator bestellt Die Kuratorien verwalten die Angelegenheiten der Schulen und führen die unmittelbare Aufsicht über dieselben und die bei ihnen thätigen Lehrer, vorbehaltlich der dem Navigationsschul-Di rektor obliegenden oberen Aufsicht. § 15 handelt von den besonderen Obliegenheiten der Kuratorien (Schüleraufnahme, Berichtigung des Schulgeldes, Ueberwachung der Schulordnung, des Lehrplans, Beurlaubung der Lehrer, Soige für die Lehrmittel, Verwaltung der Schul kasse). § 16. Die Navigationsschul-Direktoren führen in den ihnen zugewiesenen Bezirken die obere Aufsicht über das Navigationsschulwesen einschliesslich der Angelegenheiten der Navigations-Vorschulen nach der ihnen ertheilten besonderen Geschäftsanweisung. U e b e r s i c h t ü b e r den Besuch d e r N a v i g a t i o n s s c h u l e n und Navigations Vorschulen.

Reg.-Bez. Königsberg D&nzig ii Stettin n ii

Stralsund

ii

ii

n ii

Schleswig

ii

ii



i)

ii

Stade

11

1» Aurich h

ii ii Osnabrüok

Pillau Danzig Grabow a. 0. — —

Stralsund Barth — —

Altona Flensburg Apenrade Geestemünde — — —

Timmel Leer —

Papenburg

VorsohUler Stenermannsschüler

Besondere NavigationsVorschulen

Vorschäler

Navigationsschulen

ScMunUh ScMmtfii hin HH/N MmlM/M tH t* a 9 an JS3 3 ja Sä . f ü r Waschen und Plätten; 7. f ü r Zeichnen. Die Kurse 1 bis 4 zerfallen in Unter- und Oberstufe und dauern ein Jahr; der Kursus U dauert ein halbes Jahr; die Dauer der Ausbildung im Kursus 7 hängt von den Anlagen der Schülerinnen ab; sie beträgt in der Regel 2 Jahre. Die Kurse 1 bis

831 5 haben 21 Stunden wöchentlich; Kursus 6 hat S und Kursus 7 12 bis 18 Stunden wöchentlich. Der Lehrplan der g e w e r b l i c h e n u n d k a u f m ä n n i s c h e n F o r t b i l d u n g s s c h u l e n , — die beide Tagesnnterricht haben — deckt sich im wesentlichen mit dem der übrigen Schulen dieser Art (S. Anl. III). Die A b e n d k u r s e bieten Angehörigen des Kaufmanns- und Gewerbestandes jeden Alters Gelegenheit zu theoretischen Fachstudien. Sie erstrecken sich auf einfache und doppelte Buchführung nebst Korrespondenz, Schön- und Rundschrift, Stenographie und Maschinenschreiben, Zeichnen, Deutsch, Rechnen u. s. w. U"ebersicht ü b e r den Schulbesuch. Sommer 1901 Winter 1901,02 Handelsschule f ü r Knaben: 20 Schüler 17 Schüler ,, .. Mädchen: 21 Schülerinnen 19 Schülerinnen Gewerbeschule für Knaben: 11 Schüler 11 Schüler 63 Schülerinen ,, Mädchen: 54 Schülerinnen 182 Schüler Gewerbliche Fortbildungsschule: 125 Schüler 33 Kaufmännische 31 Abendkurse: 207 22. Die F a c h s c h u l e f ü r K u n s t t i s c h l e r u n d H o l z b i l d h a u e r zu F l e n s b u r g ist von dem durch gute neue Arbeiten, sowie durch Restaurationen älterer Werke z. ß . des Brüggemannschen Altars und der Herzoglichen Gebetkammer in Schleswig, des sogenannten Pesels in Meldorf und der Rathsstube in Lübeck, sowie durch Anfertigung von Kopien älterer Möbel für Kunstgewerbemuseen bekannt gewordenen Holzbildhauer Sauermann als Privatschule im Jahre 1890 begründet worden; sie wird staatlich subventionirt und unterliegt auch staatlicher Beaufsichtigung. Die Verwaltung überwacht ein Kuratorium, dem ausser dem Direktor ein Mitglied des Magistrats und der Stadtverordneten und zwei vom Regierungs-Präsidenten zu ernennende Mitglieder angehören. Das Kuratorium hat namentlich die gesammten Ausgaben der Schulen, insbesondere die ordnungsmässige Verwendung der vom Staat und der Stadt Flensburg geleisteten Zuschüsse zu prüfen. Die Schule stellt sich die Aufgabe, strebsame junge Handwerker durch einen gleichmässig durchgeführten, theoretischen, wie praktischen Unterricht f ü r den Meister- und "Werkmeisterberuf vorzubereiten. Der Unterricht erstreckt sich auf Freihandzeichnen, Geometrie, perspektivisches Zeichen, Schattenlehre, Formenlehre. Fachzeichnen, Modelliren, Buchführung und Kalkulation. Ausserdem werden die Schüler mit der Anfertigung von Möbelstücken und Holzschnitzereien in der "Werkstatt der Sauermannschen Fabrik beschäftigt. Die Anstalt wurde im Winter 1901/02 von 25 Schülern besucht, von denen 20 Tischlergesellen und 5 Bildschnitzerlehrlinge kamen. 23. DieKöni g l i c h e Z e i c h e n a k a d e m i e in H a n a u , F a c h s c h u l e f ü r E d e l m e t a l l i n d u s t r i e , wurde im Jahre 1772 auf Anregung dortiger Kunstindustrieller, „Kleinodienarbeiter, Goldstecher und Kunstdreher", wie es in dem alten Stiftungsbriefe heisst, zur Hebung der einheimischen Juvelier- und Edelmetall-Industrie begründet. Ein vorbereitender Kursus bildet die Schüler gemeinsam im Freihandund Körperzeichnen aus; von da ab erfolgt der Unterricht im Zeichnen, Modelliren und Entwerfen je nach der Silber- oder Goldtechnik in gesondertem Lehrgange. Die Goldschmiede, Emailmaler, Ciseleure. Graveure und Silberschmiede finden dann in den mit Esse und Schmelzofen versehenen Werkstätten für Bijouterie, Emailmalerei, Gravier- und Ciselirkunst ihre letzte Ausbildung. Ausserdem ist an der Anstalt eine Abtlieilung f ü r Mädchen eingerichtet, in der im Kunststicken, sowie im Musterzeichnen und Malen f ü r kunstgewerbliche Techniken unterrichtet wird. Die Aufnahme soll iu der Regel nicht vor dem 13. Lebensjahre erfolgen; eine Ausnahme kann bei hervorragender Begabung gemacht werden. Lehrlinge der Edelmetalliudustrie werden nur dann aufgenommen, wenn sie einen Lehr-

832 vertrag vorweisen, nach welchem ihnen der Prinzipal den Besuch der Akademie an wenigstens zweimal 3 Tagesstunden in der "Woche während der ganzen Dauer der Lehrzeit zusichert. An der Anstalt sind folgende K l a s s e n eingerichtet: A. F ü r S c h ü l e r : 1. O r n a m e n t k l a s s e I. (Ornamentzeichnen nach Vorlagen in den einfachsten Formen); 2. K ö r p e r z o i c h n e n (Zeichnen nach Holz- und Gipskörpern); 3. O r n a m e n t k l a s s e II f ü r C i s e l e u r e u n d S i l b e r s c h m i e d e (dekoratives Zeichnen und Malen nach Gips, Ornamenten. Figuren und natürlichen Gegenständen). 4. G e o m e t r i s c h e s Z e i c h n e n u n d P r o j e k t i o n s l e h r e ( Z e i c h e n von geometrischen Figuren, Projiciren von Körpern; darstellende Geometrie, Schattenlehre, Perspektive); 5. O r n a m e n t f o r m e n l e h r e (Erklärung und Skizziren der Ornament- und Geräthformen); 6. G e f ä s s z e i c h e n f ü r C i s e l e u r e u n d S i l b e r s c h m i e d e (Fachgemässes Aufnehmen und Entwerfen von Ornamenten und Geräthen); 7. "Werks t a t t f ü r C i s e l i r t e c h n i k (Ciseliren von Ornamenten und Figuren in Metall); S. M o d e l l i r e n f ü r C i s e l e u r e u n d S i l b e r s c h m i e d e (Modelliren von Ornamenten und Geräthen nach "Vorlagen und eigenen Entwürfen); 9. M o d e l l i r e n von F i g u r e n (Kopiren und Uebertragen der runden Form von Köpfen und Figuren in das Relief; Modelliren selbständig erfundener Figuren in Thon und AVachs); 10. A k t - K l a s s e (Zeichnen und Modelliren nach lebendem Modell); 11. A n a t o m i e (Zeichnen der Proportionen, Knochen und Muskeln des menschlichen Körpeix); 12. O r n a m e n t k l a s s e II f ü r G o l d s c h m i e d e - u n d J u v e l i e r e (Onmmentzeiohnen nach Gipsornamenten, Pflanzen, schwierigen Vorlagen in einfacher Farbentönung); 13. F a c h k l a s s e f ü r Z e i c h n e n v o n G o l d - u n d J u w e l e n s c h m u c k (Fachgemässes Zeichnen und Entwerfen von Schmucksachen); 14. M o d e l l i r e n f ü r G o l d s c h m i e d e (Modelliren von Ornamenten und Schmuck nach Vorlagen und eigenen Entwürfen); 15. W e r k s t a t t f ü r G o l d s c h m i e d e t e c h n i k (Herstellen von Metallmodellen für Goldschmiedetechnik und von Schmucksachen); 10. "Werkstatt für Gravirung; 17. K l a s s e f ü r E m a i l m a l e r e i ; 18. K u n s t geschichte. B. F ü r S c h ü l e r i n n e n : 1. A b t h e i l u n g : Ornament-Freihandzeichnen, Ornament-Formenlehre..Musterzeichnen, Körperzeichnen, Zirkelzeichnen und Projektionslehre: 2. A b t h e i l u n g : Gipszeichnen, Malen, Anatomie; 3. A b t h e i l u n g : Kunststicken, Kunstgeschichte. U e b e r s i c h t ü b e r die Schülerzahl. Schüler Schülerinnen 1897/1898 243 30 1898/1899 257, darunter 55 Vollschüler 39. darunter 14 Vollschüleriimen 1899 1900 269, „ 00 .. 38. ., 12 1900/1901 265. 26, 298, 02 ., 33, „ 10 1901 1902 278, „ 00 ., 38, ,, 10 Die Vollschüler haben durchschnittlich 42 Stunden, die Vollschülcrinnen 33 Stunden, die übrigen 11 bezw. 18 Stunden in der Woche. Von den 278 Schülern im "Winter 1901/02 waren: Ciseleure Ü(i. Silberschmiede 11, Graveure 13. Goldschmiede 96, Juweliere 10, Zeichner und Modelleure 30. Maler 2, Lithographen 32, Lehrer 3, Oberrealschüler 3. Bürgelschiiler 6, versch. Handwerker 2, Kaufleute für Bijouterie 1, Emailmaler 1; — es waren darunter: Selbständige Meister und Lehrer 3, Gehülfen 43, Lehrlinge 223, Schiiler 9. 24. Die k e r a m i s c h e F a c h s c h u l e in H ö h r , welche am 1. Oktober 1879 eröffnet wurde, hat die Aufgabe, für die keramische Industrie, insbesondere f ü r diejenige des Westerwedes, junge Kräfte heranzubilden, die nach beendigtem Studium sowohl mit den chemisch-technischen und physikalischen Vorgängen in der Fabrikation vertraut sind, als auch für alle Werkstatt- und künstlerischen Ar-

833 beiten genügende Fachkenntnisse und Fertigkeiten besitzen. Die Anstalt will indessen nicht nur eine a l l g e m e i n e keramische Ausbildung vermitteln, sondern den Schülern auch Gelegenheit geben, sich in einem b e s t i m m t e n k e r a m i s c h e n F a c h e , sei es als M a l e r , M o d e l l e u r oder C h e m i k e r auszubilden, soweit dies im Kähmen der Schule möglich ist. Die Schule hat Tages- und Abendunterricht. Die T a g e s s c h u l e bildet die eigentliche Fachschule, sie hat einen zweijährigen „Hauptkursus" und einen sogenannten „Absolventenkursus" für solche Schüler, die nach Beendigung des ersten Kursus die Anstalt weiter besuchen wollen. Die Lehrgegenstände des Hauptkursus sind: Zeichnen und Malen (10 St.), Keramisches Malen (2—5 St.), Modelliren (7 St.), Praktisches Modelliren (2—4 St.), Werkstattunterricht (8 St.), Theoretische Chemie (2—3 St.), Praktische Chemie (8—10 St.)T Physik (1 St.), Mineralogie (1 St.), Geologie (1 St.), Keramische Technologie (1 St.). Projektionslehre (2 St.), Deutsch und Rechnen (2 St.). Die Zöglinge des Hauptkursus haben in der Regel an allen planmässigen Unterrichtsstunden theilzunehmen. Sie können jedoch an drei bestimmten, im Stundenplan gekennzeichneten Vormittagen, an welchen gleichzeitig in zwei verschiedenen Hauptfächern unterrichtet wird, zwischen Zeichnen (Malen) und Modelliren, oder Zeichnen und Chemie oder Modelliren und Chemie wählen, je nachdem sie sich besonders als Maler, Modelleur oder Chemiker ausbilden. Den Schülern des Absolventenkursus ist für die ganze Unterrichtszeit die AVahl der Lehrfächer freigestellt. Zur Aufnahme in die Tagesschule ist erforderlich 1. der Nachweis des zurückgelegten 14. Lebensjahres, sowie die Einwilligung der Eltern oder des Vormundes. 2. ein Entkssungszeugniss der Volksschule oder ein entsprechendes Zeugniss einer höheren Unterrichtsanstalt. Bei der Aufnahme erhalten bei Platzmangel diejenigen den Vorzug, welche mindestens einjährige praktische Thätigkeit nachweisen. Tagesschüler (Hospitanten ausgenommen) werden nur für den ganzen zweijährigen Kursus angenommen. Der A b e n d u n t e r r i c h t , welcher für die in den einheimischen keramischen Fabriken tagsüber beschäftigten jungen Leute sowohl, als auch für Gewerbetreibende jeder Art bestimmt ist, beschränkt sich bei 8 Wochenstunden nur auf Zeichnen, Modelliren und gewerbliche Buchführung. In die Abendschule werden in der Regel die Schüler gleichfalls erst nach zurückgelegtem 14. Lebensjahre aufgenommen. Jedoch wird schulpflichtigen Knaben, die sich über ihre Beanlagung für den keramischen Beruf prüfen und für den Eintritt in die Tagesschule der Anstalt vorbereiten wollen, im Einverständniss mit dem zuständigen Schuldirigenten der Eintritt in die Abendschule schon vom 12. Lebensjahre ab gestattet. — Die Schule ist eine S t a a t s a n s t a l t . U e b e r s i c h t ü b e r den S c h u l b e s u c h . Tagesschüler Abendschüler 1899 62 1900 19 41 1901 21 44 25- Die k e r a m i s c h e F a c h s c h u l e zu B u n z l a u , ebenfalls eine S t a a t s a n s t a l t mit denselben Zwecken und Lehrzielen wie die in Höhr, — jedoch selbstverständlich unter Anpassung an die Bedürfnisse der Bunzlauer Industrie — wurde am 1. November 1897 eröffnet.1) Auch sie besteht aus zwei von einander unabhängigen Lehrkursen, aus der T a g e s - und der A b e n d s c h u l e . Erstere ist die eigentliche Fachschule; ihr Kursus ist zweijährig und zerfällt in zwei Abtheilungen; ein „Absolventenkursus" ist hier nicht eingerichtet, auch haben die Schüler nicht, wie in Höhr, die Wahl zwischen den verschiedenen Hauptfächern (Malen, Modelliren und Chemie). Die Lehrgegenstände sind: Zeichnen nnd Malen (11 St.)T Modelliren (6 St.), Theoretische und praktische Chemie (11 St.), Physik (1 St.), Mineralogie (1 St.), Deutsch (2 St.), Rechnen (2 St.), Werkstattunterricht (14 St.). ') Vgl. auch oben S. 671. S i m o n , Die Fachbildung des Preussischen Gewerbe- und Handelsstandes.

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834 Die mit der Anstalt verbundene A b e n d s c h a l e beschränkt sich auf den Unterricht im Zeichnen, Modelliren, Deutschen und Rechnen. Uebersicht über den Schulbesuch. Tagesschüler 7 19 22 29 31 32 39

Abendschüler 21 28 20 25 23 26 27

26. Die städtische Z i e g l e r s c h u l e zu L a u b a n wurde am 1. Oktober 1894 eröffnet. In ihr sollen 8chüler in einem einjährigen Kursus durch praktischen und theoretischen Unterricht in der Herstellung von Ziegelei-Erzeugnissen so ausgebildet werden, dass sie als Aufseher, Brennmeister oder Werkmeister in ZiegeleiBetrieben Anstellung finden oder anch selbständig als Fabrikanten wirken können. Zur Aufnahme befähigt sind Schüler im Alter von mindestens 17 Jahren, welche eine durch ausreichende Zeugnisse oder durch eine Vorprüfung nachgewiesene gute Volksschulbildung besitzen. Erwünscht, jedoch nicht unbedingt nothwendig ist dass dem Eintritt in die Schule eine Thätigkeit in einer Ziegelei oder Thonfabrik vorangegangen ist. Der Unterricht zerfällt in einen praktischen (Fachunterricht) und theoretischen Theil. Der p r a k t i s c h e U n t e r r i c h t erstreckt sich in mündlichen Unterweisungen und in praktischen Versuchsarbeiten auf: a) Vorkommen, Gewinnung und Eigenschaften der Rohmaterialien: b) die Herstellung von gewöhnlichen Mauer- und Dachziegeln, Klinkern und Platten u. s. w. in kleineren Betrieben ohne Maschinen; c) die Herstellung derselben Gegenstände in grösseren Betrieben mit Kraft- und Betriebs-Maschinen; d) die Herstellung von Thonröhren. Dachziegeln, Platten u. s. w. in grösseren Betrieben; e) die Herstellung von Hohlund Voll-Verblendsteinen, Formsteinen und Bau-Terracotten; f) die Herstellung von feuerfesten .Thonwaaren, Chamottesteinen u. s. w.; g) die Herstellung von Begössen und Glasuren; h) das Trocknen und Brennen der Ziegelei-Erzeugnisse; i) die verschiedenen Ofensysteme und den Betrieb derselben. — Die praktischen Versuche erstrecken sich auf die Vorbereitung der Materialien, als Mischen, Treten. Walsen, Schneiden des Thones oder Lehmes, das Streichen von Mauerziegeln. Formziegeln, Dachziegeln und Chamottesteinen mit der Hand, auch Nachpressen von Ziegeln; das Pressen durch Maschinen von Voll- und Hohl-Verblendsteinen. Profilsteinen, Röhren, Dachsteinen bezw. Dachfalzsteinen, die Anfertigung von Gipsforznen für Handformerei und das Einformen des Thones oder Lehmes in dergleichen Formen zu Formsteinen und Ban-Terracotten, die weitere Behandlung der so gefertigten Gegenstände beim Trocknen und das Brennen derselben im Ofen bei entsprechender Temperatur nach Schmelzkegeln oder anderen Controlmitteln; dos Mischen und Mahlen der Glasuren, das Mischen, Mahlen und Auftragen von Begüssen auf die getrockneten, bezw. gebrannten Gegenstände und da» Brennen derselben in geeigneten Versuchsöfen; das Modelliren einfacher Ornamente, Zusammensetzen von Ecken und Winkeln aus gezogenen Profilen. — Der t h e o r e t i s c h e U n t e r r i c h t beschränkt sich auf das Notwendigste, auf das zum Verständnisse und zur Erklärung der in der Ziegel-Industrie eintretenden Erscheinungen und Vorgänge Erforderliche. Dieser Unterricht umfasst: Mathematik (Arithmetik, Geometrie), Physik, Chemie, Mineralogie und Geologie, Elektrotechnik. Zeiohnen (Fachzeichnen, Architekturzeich nen), Maschinenkunde, Rechnen und Briefstil, einfache und doppelte Buchführung, Gesetzeskunde, Gesundheitspflege, Länderund Völkerkunde.

835 Uebersicht über den Schulbesuch. 1894/95 : 37; »5/96 : 43 ; 97/98 : 60; 98/99: «5; 99/1900: 59. — 27. Die H o l z s c h n i t z s c h u l e zu W a r m b r u n n , welche im Laufe des Jahres 1903 eröffnet werden wird, soll dazu dienen, die früher in grossem Umfange im Riesengebirge betriebene Holzschnitzerei wieder zu beleben. In ihr weiden die Schüler neben dem erforderlichen theoretischen Unterricht, namentlich im Fachzeichnen, auch praktischen Unterricht in der Schnitzerei, Bildhauerei und Drechslerei erhalten. 28. Die S c h u h m a c h e r - F a c h s c h u l e in W e r m e l s k i r c h e n soll Arbeiter und Werkmeister für die in diesem Orte stark betriebene maschinelle Schuhund Schäftefabrikation heranbilden. Sofern die erforderlichen Mittel, die Seitens der Stadt schon bewilligt sind und, soweit sie vom Staate zu übernehmen sind, vom Landtage durch den Staatshaushalts-Etat f ü r 1902 erbeten werden, zur Verfügung stehen, wird die Schule voraussichtlich im Jahre 1903 eröffnet werden. —

8. Die Sonntagsschulen, die gewerblichen und kauftn&nnischen Fortbildungsschulen, die Innungsschulen und die Fortbildungskurse für Handwerksmeister (Heisterkurse). In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts beschränkte sich die Staatsregierung vorwiegend darauf, die S o n n t a g s s c h u l e n zu fördern und zu verbreiten.1) Es geschah dies theils durch Instruktionen und Verfügungen einzelner Regierungen, theils auch durch allgemeine Erlasse der Minister. So bestimmte z. B. der § 17 der I n s t r u k t i o n vom 18. N o v e m b e r 1829 f ü r die L a n d s c h u l l e h r e r des R e g i e r u n g s b e z i r k s Gumbinnen:*) Die Sonntagsschalen kÖDnen in allen Schulörtern, wo sie bisher stattgefunden haben, auch ferner, besonders in den Monaten, wo Witterung und Weg den Besuch der Kirche f ü r ältere kränkliche Personen selbst erschweren, nach genauer Anweisung des Kirchspiel-Schulaufsehers, ausser der Zeit des öffentlichen Gottesdienstes gehalten werden. Die Schullehrer haben sich in selbigen aber nur auf Gesang und vorgeschriebenes Gebet, Vorlesen des Evangeliums und einer vom Pfarrer genehmigten gedruckten Predigt zu beschränken. A n g e n e h m w i r d es uns s e i n , wenn die s c h o n k o n f i r m i r t e n J ü n g l i n g e von dem Schull e h r e r ' i n e i n e r S o n n t a g s s t u n d e noch im Schreiben und Reohnen, und die schon k o n f i r m i r t e n M ä d c h e n von den F r a u e n d e r S c h u l l e h r e r in e i n e r a n d e r e n S o n n t a g s s t u n d e in d e n u n e n t b e h r l i c h s t e n w e i b l i c h e n H a n d a r b e i t e n g e ü b t w e r d e n . Zu d i e s e n B e s c h ä f t i g u n g e n wären a u c h d i e Z e i t d e r F e r i e n , s o w i e n a c h U m s t ä n d e n a u c h die A b e n d s t u n d e n zu b e n u t z e n .

Eine V e r f ü g u n g der R e g i e r u n g zu Marienwerder vom 26. J u l i 1832 lautete:3) Die Provinzial-Stände des vierten Preussischen Landtags haben bei des Königs Majestät darauf angetragen, auf dem Lande Sonntagsschulen in der Art einzuführen, dass die Lehrer gehalten werden, sonntäglich nach Beendigung des ') Siehe oben S. 604 ff. *) K a m p t z A n n a l e n , XIII. S. 835. 3 ) K a m p t z A n n a l e n , XVI, S. 943. 53*

835 Uebersicht über den Schulbesuch. 1894/95 : 37; »5/96 : 43 ; 97/98 : 60; 98/99: «5; 99/1900: 59. — 27. Die H o l z s c h n i t z s c h u l e zu W a r m b r u n n , welche im Laufe des Jahres 1903 eröffnet werden wird, soll dazu dienen, die früher in grossem Umfange im Riesengebirge betriebene Holzschnitzerei wieder zu beleben. In ihr weiden die Schüler neben dem erforderlichen theoretischen Unterricht, namentlich im Fachzeichnen, auch praktischen Unterricht in der Schnitzerei, Bildhauerei und Drechslerei erhalten. 28. Die S c h u h m a c h e r - F a c h s c h u l e in W e r m e l s k i r c h e n soll Arbeiter und Werkmeister für die in diesem Orte stark betriebene maschinelle Schuhund Schäftefabrikation heranbilden. Sofern die erforderlichen Mittel, die Seitens der Stadt schon bewilligt sind und, soweit sie vom Staate zu übernehmen sind, vom Landtage durch den Staatshaushalts-Etat f ü r 1902 erbeten werden, zur Verfügung stehen, wird die Schule voraussichtlich im Jahre 1903 eröffnet werden. —

8. Die Sonntagsschulen, die gewerblichen und kauftn&nnischen Fortbildungsschulen, die Innungsschulen und die Fortbildungskurse für Handwerksmeister (Heisterkurse). In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts beschränkte sich die Staatsregierung vorwiegend darauf, die S o n n t a g s s c h u l e n zu fördern und zu verbreiten.1) Es geschah dies theils durch Instruktionen und Verfügungen einzelner Regierungen, theils auch durch allgemeine Erlasse der Minister. So bestimmte z. B. der § 17 der I n s t r u k t i o n vom 18. N o v e m b e r 1829 f ü r die L a n d s c h u l l e h r e r des R e g i e r u n g s b e z i r k s Gumbinnen:*) Die Sonntagsschalen kÖDnen in allen Schulörtern, wo sie bisher stattgefunden haben, auch ferner, besonders in den Monaten, wo Witterung und Weg den Besuch der Kirche f ü r ältere kränkliche Personen selbst erschweren, nach genauer Anweisung des Kirchspiel-Schulaufsehers, ausser der Zeit des öffentlichen Gottesdienstes gehalten werden. Die Schullehrer haben sich in selbigen aber nur auf Gesang und vorgeschriebenes Gebet, Vorlesen des Evangeliums und einer vom Pfarrer genehmigten gedruckten Predigt zu beschränken. A n g e n e h m w i r d es uns s e i n , wenn die s c h o n k o n f i r m i r t e n J ü n g l i n g e von dem Schull e h r e r ' i n e i n e r S o n n t a g s s t u n d e noch im Schreiben und Reohnen, und die schon k o n f i r m i r t e n M ä d c h e n von den F r a u e n d e r S c h u l l e h r e r in e i n e r a n d e r e n S o n n t a g s s t u n d e in d e n u n e n t b e h r l i c h s t e n w e i b l i c h e n H a n d a r b e i t e n g e ü b t w e r d e n . Zu d i e s e n B e s c h ä f t i g u n g e n wären a u c h d i e Z e i t d e r F e r i e n , s o w i e n a c h U m s t ä n d e n a u c h die A b e n d s t u n d e n zu b e n u t z e n .

Eine V e r f ü g u n g der R e g i e r u n g zu Marienwerder vom 26. J u l i 1832 lautete:3) Die Provinzial-Stände des vierten Preussischen Landtags haben bei des Königs Majestät darauf angetragen, auf dem Lande Sonntagsschulen in der Art einzuführen, dass die Lehrer gehalten werden, sonntäglich nach Beendigung des ') Siehe oben S. 604 ff. *) K a m p t z A n n a l e n , XIII. S. 835. 3 ) K a m p t z A n n a l e n , XVI, S. 943. 53*

836. Gottesdienstes zwei Stunden hindurch, u n d z w a r f ü r K n a b e n und M ä d c h e n j e d e n S o n n t a g a b w e c h s e l n d , den Knaben und Mädchen von der Konfirmation ab bis zum zurückgelegten 17. Lebensjahre unentgeltlich Unterricht zu ertheilen, und zwar mit ihnen die gehaltene Predigt und andere Religions-G egenstände durchzugehen und Uebungen im Lesen, Schreiben und Rechnen anzustellen. Des Königs Majestät haben in dem Allerh. Landtags-Abschied diesen Antrag zu genehmigen geruht,') und wir fordern Ew. pp. daher auf, in allen Schulen Ihres Inspektions-Kreises auf dem Lande Sonntagsschulen in der vorgeschriebenen Art einrichten zu lassen. "Wie bereits des Königs Majestät angedeutet haben, können Zwangsmassregeln hier nicht zum Ziele führen, vielmehr sollen die H. Geistlichen angewiesen werden* in ihren Gemeinden auf angemessene Art dahin zu wirken, dass dergleichen Sonntagsschulen errichtet, und von den Knaben und Mädchen in dem bezeichneten Alter besucht werden, und demnächst sind die H. Pfarrer und Schullehrer mit weiterer Anweisung über den zu ertheilenden Unterricht und die Gegenstände, die hierbei vorzüglich zu berücksicktigen sind, zu versehen, und darauf hinzuweisen, dass bei der Einrichtung der Sonntagsschulen der doppelte Gesichtspunkt im Auge zu behalten ist, einmal, das während der eigentlichen Schulzeit Versäumte nachzuholen, und zweitens das in der Volksschule Erlernte vor dem Vergessen zu bewahren. Auch kann die Sonntagsschule dazu benutzt werden, die reifere Jugend' über mancherlei Gegenstände ihres künftigen Berufes, theils zur Verhütung des Schadens und Unglücks, theils zur Erzielung bürgerlicher "Wohlfahrt zu belehren und sie, unter H e r v o r h e b u n g d e r V o r z ü g e der v a t e r l ä n d i s c h e n S t a a t s v e r f a s s u n g , über Landesgesetze und obrigkeitliche Vero r d n u n g e n , deren Zwecke und N o t w e n d i g k e i t , ü b e r die P f l i c h t e n gegen das V a t e r l a n d , d e s s e n O b e r h a u p t u n d die S t a a t s b e h ö r d e n z w e c k mässig a u f z u k l ä r e n .

E i n e V e r f ü g u n g der R e g i e r u n g zu D a n z i g v o m 8. O k t o b e r 1841 an alle evangelischen und katholischen SchulInspektoren des Departements bestimmte: Mit Bezugnahme auf unsere in Betreff der Einrichtung von Sonntagsschulen an Ew. pp. erlassene Verfügungen vom 25. Juni und 6. September 1832, eröffnen wir Ihnen, dass der Staatsminister und Oberpräsident, Herr von Schön,. Excellenz, missfällig bemerkt haben, dass im diesseitigen Bezirke das Interesse für die Sonntagsschulen weniger angeregt zu sein scheint, als in den übrigen Regierungsbezirken der Provinz Preussen, indem daselbst diese wichtige Sache in höherem Grade und besonders da Eingang und Fortgang gefunden hat, wosich die Geistlichen persönlich dafür interessirt haben, und bei Bewilligung von Gratifikationen und Unterstützungen vorzugsweise solche Geistliche und Schullehrer berücksichtigt worden sind, welche auch in dieser Hinsicht mit Eifer und gutem. Erfolge den Pflichten ihres Amtes genügt haben. Indem wir in letzterer Beziehung für die Folge von gleichen Grundsätzen, ausgehen werden, weshalb bei Anträgen auf Gratifikationen und Unterstützungen für Geistliche und Lehrer auch ihres Eifers für die Förderung der Sonntagsschulen Erwähnung geschehen muss, fordern wir Ew. pp. hiermit auf, für die allgemeine Einführung und das Fortbestehen der Sonntagsschulen mit Eifer und Liebe gemeinschaftlich mit den hiernach zu instruirenden Ortsgeistlichen Sorge zu tragen.

Sehr eingehend liess sich auch die R e g i e r u n g zu Frankfurt a. 0. in der Verfügung vom 7. Januar 1843 an sämmtliche Superintendenten, Schul-Inspektoren, Landräthe und Magistrate über dio Sonntagsschulen aus. In ihr heisst es: ') K a m p t z A n n a l e n , Bd. XVI. S. 553.

837 Die Früchte auch des besseren Schulunterrichts gehen häufig bei der Jugend theilweise darum verloren, weil nach der Entlassung aus der Schule das in derselben Erlernte nicht weiter fortgeübt und aufgefrischt wird. Namentlich gilt dies von den Fertigkeiten des Rechnens und des schriftlichen Ausdrucks, zwischen deren Aneignung in der Schule und dem später davon im praktischen Leben zu machenden •Gebrauche oft ein langer Zeitraum liegt, in welchem solche Fertigkeiten wenig| oder gar nicht geübt und in Anwendung gebracht werden. Es ist daher zu wünschen dass für die Fortbildung der aus der Schule entlassenen konfirmirten Jugend nicht "blos in Hinsicht auf die erwähnten, sondern auch auf andere für das praktische Leben brauchbare, früher in der Schule erlernte Kenntnisse und Fertigkeiten, sowie in Hinsicht auf ihr moralisch-religiöses Leben möglichst Ausreichendes geschehen möge. In einzelnen Orten und Gegenden unseres Verwaltungsbezirks ist dafür .schon manches Erfreuliche gethan worden. In der Stadt Züllicliau besteht schon seit vielen Jahren eine, von den dasigen Geistlichen und mehreren Schullehrern der Stadt besorgte Sonntags- und Abendschule für Handwerker-Lehrlinge und Gehülfen; auf dem Lande nimmt in eben dieser Diöces die Zahl der Sonntagsschulen für die aus der Schule entlassene Jugend zu. Aehnliches ist in der Sorauischen Diöces geschehen und in der Lübbenschen Diöces werden die bei mehreren Schullehrern auf dem Laude stattfindenden Zusammenkünfte der erwachsenen Jugend noch fruchtbarer gemacht durch Mittheilungen lehrreicher kleiner Schriften, zu deren Anschaffung sich eine Anzahl wohlthätiger Personen vereinigt hat. Wir zweifeln nicht, dass Aehnliches in immer steigendem Masse nach und nach an immer mehreren Orten gelingen werde, wenn die Herren Superintendenten und Schulinspektoren, sowie die Herren Geistlichen und Schullehrer es an den rechten und unausgesetzten Bemühungen dazu nicht fehlen lassen. "Wir fordern dieselben daher auf, dies eingedenk ihres wichtigen Berufes und des ihnen so nahe liegenden Wunsches, die Früchte früherer jahrelanger Arbeit an der unerwachsenen Jugend sich möglichst gesichert zu sehen mit wahrer Hingebung und im Vertrauen auf den höheren Beistand zu thun und sich in Verfolgung des Zieles durch anfängliche Hindernisse und durch kleine, unscheinbare Anfänge nicht wankend machen zu lassen. Ueber Ort, Zahl und Zeit der Zusammenkünfte, sowie über das Zusammenwirken der Herren Geistlichen und Schullehrer dabei lässt sich im Allgemeinen nichts bestimmen, da hierin Oertlichkeit und Persönlichkeit entscheiden müssen. — In den Städten werden vielleicht solche Zusammenkünfte mit der erwachsenen Jugend das ganze Jahr hindurch fortgesetzt werden können, an einigen Orten auf dem Lande nur während des Winters, in anderen vielleicht auch an den SonntagsNachmittagen während des Sommere. In den meisten Fällen werden die SoimtagsAbende dazu eine schickliche Zeit darbieten. Dass solche Zusammenkünfte niemals während der Stunden des öffentlichen Gottesdienstes gehalten werden dürfen, und dass der Jugend dadurch nicht die Zeit zu anständigen und erlaubten Erholungen am Sonntage über die Gebühr verschränkt werden dürfe, darf kaum erinnert werden. . . . Ebenso wenig lässt sich allgemein bestimmen, auf welche Kenntnisse und Fertigkeiten die Bemühungen bei diesem Fortbildungs-Unterrichte gerichtet sein sollen. Im A l l g e m e i n e n w e r d e n es s o l c h e K e n n t n i s s e und F e r t i g k e i t e n sein m ü s s e n , die den j u n g e n L e u t e n in R ü c k s i c h t auf i h r e n S t a n d und k ü n f t i g e n B e r u f am n ü t z l i c h s t e n u n d n o t h w e n d i g s t e n sind. Nur wird niemals das innere höhere Geistesleben der jungen Leute ganz leer ausgehen dürfen und wird es an Belebung des religiös-sittlichen und kirchlichen Sinnes und der Vaterlandsliebe, sowie an der in diesen Jahren so nothwendigen Einwirkung auf ihr äusseres sittliches Verhalten nicht fehlen dürfen. In Städten werden die H a n d w e r k s - L e h r l i n g e und G e h ü l f e n besonders zu berücksichtigen sein, und wird vielleicht, wenn sich mehrere Klassen derselben bilden lassen, f ü r eine h ö h e r e K l a s s e d e r s e l b e n , d e n e n e i n i g e K e n n t n i s s e von den E l e m e n t e n d e r G e o m e t r i e u n d d e r N a t u r k u n d e , sowie e i n i g e F e r t i g k e i t im L i n i e n z e i c h n e n n ü t z l i c h s e i n m ö c h t e n , der U n t e r r i c h t h i e r a u f

838 ausgedehnt werden können. Ueberall aber ist es wünschenswerth, dass eine bildende Lektüre damit verbanden and es möglich gemacht wird, den jungen Leuten lehrreiche kleine Schriften mit nach Hanse zu geben, um anch hierdurch mit dazu beizutragen, dass der sich immer mehr anch auf das platte Land verbreitenden Lektüre schlechter Bomane entgegengewirkt wird. . . .

Diese Bemühungen einzelner Regierungen wurden durch einen R u n d - E r l a s s des M i n i s t e r s der g e i s t l i c h e n , U n t e r r i c h t s und M e d i z i n a l - A n g e l e g e n h e i t e n vom 31. Mai 1844 besonders anerkannt und den übrigen zur Nachachtung empfohlen. „Die Erfahrung hat gelehrt", so heisst es dort, „dass, weil die Mehrzahl der mit der Konfirmation aus den Elementarschulen ausscheidenden und unmittelbar in das praktische Leben eintretenden jungen Leute fernerhin aller fortdauernden und an die Bemühungen der Schule sich anschliessenden geistigen Anregung entbehren und selbst das in der Schule Erlernte bald wieder vergessen, die Früchte des Yolksunterrichts bei aller demselben gewidmeten Aufmerksamkeit den Erwartungen im gewünschten Masse nicht entsprechen. Man hat längst erkannt, wie nothwendig es sei, solchen aus der Schule Entlassenen und zu deren Besuch nicht mehr verpflichteten jungen Leuten durch einige wöchentliche Unterrichtsstunden den Besitz des Erlernten zu sichern, in religiöser und sittlicher Beziehung fortdauernd auf sie einzuwirken und sie auf angemessene Weise noch mit Kenntnissen zu bereichern, welche auch für die einfachsten Lebensverhältnisse sich ihnen als nützlich bewähren würden. Es sind daher zu diesem Behufe auch hier und da in den Städten und in manchen Provinzen auch auf dem Lande Sonntagsschulen für Handwerkslehrlinge oder für solche, die noch des nachfolgenden Schulunterrichts bedürfen, errichtet worden; indessen ist für den Zweck im Allgemeinen noch nichts geschehen, was nothwendig erscheint und durch fortgesetzte Bemühungen wohl erreicht werden kann." Die Regierungen werden sodann aufgefordert, ihr Interesse der Angelegenheit zuzuwenden, die betheiligten Persönlichkeiten, Städte, Kreise und Vereine für die Sache anzuregen und über den Erfolg ihrer Bemühungen zu berichten. Aus den darauf eingegangenen Berichten ergiebt sich ein ziemlich deutliches Bild über den damaligen Stand des Sonntagsunterrichts in ganz Preussen. "Wir entnehmen ihnen Folgendes: 1. R e g i e r u n g s b e z i r k K ö n i g s b e r g : In ihm sind, abgesehen von einigen unbedeutenden Anfängen, Sonntagsschulen nicht vorhanden. Zu erwähnen sind nur K ö n i g s b e r g , wo sich zwei Fortbildungsschulen befinden, zu dem Zwecke, Jünglingen, besonders aus dem Handwerkerstande, Gelegenheit zu geben, sich in ihren Mussestunden nützlich durch Lesen von lehrreichen Schriften zu beschäftigen; ferner Gerdauen, wo die Handwerksgesellen und Lehrlinge in zwei verschiedenen Lokalen jeden Sonntag von 2—6 Uhr in Schreiben, Rechnen, vaterländischer Geschichte, Geo-

839 graphie, Naturgeschichte, Naturlehre unterrichtet und mit der Stfidteordnung bekannt gemacht werden; H e m e l , wo sich zwei Fortbildungsschulen, eine für Handwerkslehrlinge and eine für junge Seefahrer, befinden, und A l t e n b u r g , wo alle Donnerstag die Mädchen und Sonnabend die Jünglinge in Religion, Schreiben, Lesen, Rechnen und Zeichnen unterrichtet werden. In letzterer Schule beträgt die Schülerzahl 18, in den übrigen ist sie „unbestimmt". — Als Gründe für diesen wenig günstigen Stand des Sonntagsuntemchts führt die Regierung an, dass diejenigen, welche ihre Kinder, Lehrlinge, Dienstboten in die Fortbildungsschule schicken sollen, aus Mangel an eigener Bildung den Werth fortgesetzter Unterweisung nach vollendeter Schulzeit nicht zu schätzen wüssten; auch habe zweifellos ein grosser Teil dieser Leute mit der Sorge um die Erhaltung des physischen Lebens zu kämpfen, so dass er für höhere Interessen schwer zu gewinnen sei. Ferner fehle es der heranwachsenden Jugend an der Neigung, sich noch dem Unterricht hinzugeben, sie halte den ferneren Besuch einer Schule, wenn auch nicht für entehrend, so doch nicht für schicklich. Auch gebe es ausser den Geistlichen und Lehrern fast keine Personen, die zur Ertheilung des Unterrichts geeignet und bereit wären und endlich mangele es an Mitteln zur Bestreitung der mit der Einrichtung von Fortbildungsschulen verbundenen Kosten für Beleuchtung, Beheizung, Lehrmittel und Entschädigung der Lehrer. Die Regierung erbittet eine jährliche Unterstützung von 1000 Thlrn., wenn sie die Angelegenheit ordentlich in Fluss bringen solle. 2. R e g i e r u n g s b e z i r k G u m b i n n e n : In den ländlichen Orten bestehen viele Sonntagsschulen, welche aber hauptsächlich einen erbaulichen Charakter haben. In sechs Städten sind neuerdings Sonntagsschulen eingerichtet worden, nämlich in Lyck, Marggrabowa, Goldapp, Darkehmen, Stallupönen und Tilsit. 3. R e g i e r u n g s b e z i r k Danzig: Es ist nicht gelungen, das Interesse für die Sonntagsschulen zu erwecken und dauernd rege zu erhalten; bei Weitem die Mehrzahl der eröffneten Fortbildungsschulen musste wegen Mangel an Theilnahme geschlossen werden. 4. R e g i e r u n g s b e z i r k Marienwerder- In diesem Bezirke haben die Sonntagsschulen, obwohl die Regierung schon durch die oben mitgetheilte Verfügung vom 26. Juli 1832 auf ihre Begründung und Verbreitung hingearbeitet hatte, keine grössere Bedeutung gefunden; mehrfache Versuche, sie einzuführen, haben keinen dauernden Erfolg gehabt. Die Unterschiede in Nationalität und Konfession treten hier erschwerend hinzu. 5. R e g i e r u n g s b e z i r k P o s e n : Seit einer Reihe von Jahren wird von jedem allein stehenden Schullehrer — also auf dem Lande — vokationsmässig regelmässige Abhaltung der Sonntags-

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schale und von allen aus der Schule bereite entlassenen Individuen beider Geschlechter der Besuch derselben solange verlangt, als der Lehrer im Einvernehmen mit seinem geistlichen Schul-Inspektor, dem die Entscheidung darüber zusteht, es für nothwendig hält Der Unterricht, der theils vor, theils nach der Kirche zwei Stunden dauert, erstreckt sich in den meisten Fällen auf Religion, Lesen, Rechnen, Schreiben, Uebungen im schriftlichen Gedankenausdruck und Gesang, auch, wenn der Lehrer Lust und Fähigkeit dazu hat, auf Geschichte, Geographie und Erzählungen aus gemeinnützigen Schriften, auf Obst- und Baumkultur. In den Städten werden viele Lehrer durch kirchliche Nebenämter so sehr in Anspruch genommen, dass der sonntägliche Unterricht für sie eine drückende Last wird; noch häufiger aber wirkt hier dem Gedeihen der Sonntagsschule die Abneigung der Lehrburschen entgegen, die sich ihr nach Möglichkeit zu entziehen suchen, oder, wenn sie dazu gezwungen werden, durch Unlust und Trotz die Lehrer oft entmuthigen und kränken. Die Regierung hat versucht, auch bei diesen Schulen den Schulzwang einzuführen und Schalversäumnissstrafen festzusetzen; nachdem dies vom Ministerium für unzulässig erklärt worden ist, haben schon mehrere Schul-Inspektoren die Auflösung der in ihren Parochien bisher bestandenen Schulen angezeigt. 6. Regierungsbezirk Bromberg: Es bestehen schon seit einer Reihe von Jahren in den meisten Städten des Bezirks Sonntagsschulen, in denen Handwerkslehrlinge, Gesellen und überhaupt junge Leute, die der Elementarschule entwachsen sind, im Schreiben. Rechnen, Zeichnen, in der Anfertigung kleiner Aufsätze u. s. w. unterrichtet werden. Doch haben diese Schulen mit mannigfachen Schwierigkeiten, wie Ueberlastung der Lehrer, Unabkömmlichkeit der auf ihren Broderwerb angewiesenen Schüler, Unmöglichkeit, die Kosten aufzubringen, weite Entfernung der einzelnen Häuser und Ortschaften vom Schullokal u. dgl. zu kämpfen. Es bestehen 155 Sonntagsschulen, die von 3141 jungen Leuten besucht werden. 7. Regierungsbezirk Stettin: In mehreren Gemeinden hat die Anleitung zur Fortbildung der Jünglinge zunächst einen kirchlichen Charakter angenommen, indem sich entweder an die Bibelstunden Belehrungen über biblische Geschichte und nach und nach auch über andere nützliche Kenntnisse anschlössen oder die Bildung kirchlicher Singechöre zu gleichem Zwecke benutzt wurde. In einigen Gemeinden sind mit den Präparanden-Anstalten auch allgemeine Fortbildungs-Anstalten verbunden. Mehrere Schullehrer, vornehmlich in Ortschaften am Strande der Ostsee und an den Ufern der Oder und der mit ihr in Verbindung stehenden Binnengewässer, verbinden mit der Vorbereitung auf den Eintritt in die Schifferschulen auch den allgemeinen Zweck der Fortbildungsschulen. In Stettin sind besonders zwei Vereine für die Fortbildung der jungen Leute thätig,

841 der „Jünglingsverein1-, dem durchschnittlich 100 junge Leute. grö8stentheils Handwerksgesellen, angehören, und der „Gesellen-Verein1-, welcher für durchschnittlich 40 Oesellen wirkt. Den letzteren Verein hat die Stadt mit einer Beihilfe von 200 Thalern unterstützt. Der Zweck beider Vereine ist Fortbildung der Theilnehmer durch Unterricht, eigene Thätigkeit Lektüre u. s. w. Mehrere andere kleinere Vereine wirken in verschiedener Weise, im Wesentlichen aber für denselben Zweck. 8. B e g i e r u n g s b e z i r k Köslin: Die Regierung hat eine Aufforderung, Sonntagsschulen zu errichten, erlassen, die hier und da zu Versuchen geführt, im Allgemeinen aber wenig Anklang gefunden hat. Leider ist der Sinn dafür hier zu Lande noch wenig geweckt. Der Pommer, überhaupt nicht leicht beweglich, lässt sich so schnell nicht für etwas Neues gewinnen. Auch setzen sich Erwachsene nicht gern wieder auf die Schulbank. Mehrere Prediger äussern, das Volk sei misstrauisch gegen diese Anordnung, fürchte, es werde bald erhöhtes Schulgeld gefordert und die Sache zum Zwange werden. Ein grosses Hinderniss ist der Mangel an Mitteln zur Beschaffung des erforderlichen Beheizungs- und Beleuchtungsmaterials, nicht minder die geringe Besoldung und bereits hinlängliche Arbeitslast der Schullehrer an den Wochentagen. 9. B e g i e r u n g s b e z i r k Stralsund: Es ist nur eine, im Jahre 1844 zu Stralsund begründete Schule vorhanden, in der 120 Schüler in drei Klassen unterrichtet werden. Die unterste Klasse hat Lesen, Schreiben, Rechnen, die mittlere Schreiben, Zeichnen, Rechnen, die obere Zeichnen, Bechnen, Deutsch. 10. R e g i e r u n g s b e z i r k Breslau: Es sind zwar an mehreren Orten Versuche gemacht worden, die aus der Schule entlassene Jugend in Sonntagsschulen zu ziehen; diese Versuche haben aber nur an wenigen Orten Bestand gehabt und gute Früchte getragen, „hauptsächlich, weil der in die Willkür der jungen Leute gestellte Besuch zu unregelmässig erfolgte, immer mehr nachliess und zuletzt fast ganz aufhörte, theils aber auch, weil die Besuchenden auf zu verschiedenen Bildungsstufen standen.'1 Mit besonderem Eifer hat man auf die Fortbildung der jungen Leute hingearbeitet in Breslau, wo seit dem Jahre 1828 364 Lehrlinge jeden Sonntag von 1 bis 3 Uhr durch 6 Lehrer der Elementarschulen mit gutem Erfolge unterrichtet werden und zwar vom Lesen in den untersten Klassen an bis zur Physik und Geometrie in den oberen. Die Lehrer erhalten jährliche Remunerationen aus der Stadt-K&mmerei bis zur Höhe von 100 Thalern. Im Jahre 1844 wurde auch noch für Gesellen eine Fortbildungsanstalt errichtet, weil diese sich scheuten, mit den Lehrlingen gemeinschaftlich die Schule zu besuchen. Diese Anstalt wurde 1845 von 24 Schülern besucht. Weitere

842 Schulen befinden sich in Brieg, Namslau, Oels, Langwitz. Striegau, Glatz, Wartenberg, Straussberg. Bei den Katholiken ist ein Surrogat für die Fortbildung junger aus den Elementarschulen geschiedener Leute in den sonntäglichen Wiederholungsstunden, welche die Lehrer in Gemässheit des Schulreglements von 1765 § 28 und von 1801 § 40 abzuhalten verpflichtet sind,1) vorhanden und wird durch solche erspriesslich darauf hingewirkt. Anzuerkennen ist namentlich auch der Eifer, mit welchem die meisten Superintendenten solche Fortbildungsanstalten hervorzurufen bemüht sind und dass auch von Seiten der Lehrer fast überall Bereitwilligkeit gezeigt wird, sich auch an dem einzigen Tage, dem Sonntage, der ihnen bisher zur ungestörten Erholung von ihrem mühevollen Amte belassen worden, unentgeltlich dem Wiederholungsunterrichte zu unterziehen. Zu verdenken ist es ihnen freilich nicht, wenn sie, nachdem sie mehrere Sonntage umsonst auf ihre Schüler gewartet haben, oder von diesen stets nur wenige sich einfinden, mit dem so erfolglosen Wiederholungsunterrichte wieder aufhören. 11. R e g i e r u n g s b e z i r k O p p e l n : Hier liegen nach dem Berichte der Regierung die Verhältnisse günstig, da die katholischen Schulreglements von 1765 und 1801 schon die sonntäglichen Wiederholungsstunden vorgeschrieben haben und in den Städten bezüglich der Handwerkslehrlinge sogar eine aus der Mittelslade zu erlegende Geldbusse von 3 Thlrn. festgesetzt ist, wenn ein Lehrling katholischen Glaubens freigesprochen wird, ohne dass er durch Zeugnisse der betreffenden Lehrer darthun kann, die Sonntagsschule regelmässig besucht zu haben. Diese Bestimmung ist auch fast bei allen katholischen Schulen des Bezirks seit langer Zeit und bei den Schulen neueren Ursprungs sogleich mit ihrer Entstehung in der Weise zur Anwendung gekommen, dass die bereits aus der Schule entlassenen jungen Leute beiderlei Geschlechts — an vielen Orten jedoch blos die Knaben und Jünglinge — bis zum 16.. 18. und selbst 20. Lebensjahre an den Nachmittagen der Sonntage sich im Schulhause versammeln, um vom Schullehrer in der Religion, im Rechnen, Lesen, Schreiben, zuweilen auch in den sogenannten Realien, theils nachhülflichen, theils fortbildenden Unterricht zu erhalten. Mehrere evangelische Schulen sind diesem Beispiele gefolgt, obgleich das katholische Schulreglement für dieselben niemals gesetzliche Geltung erhalten hat. In Folge dessen konnten 1844 im Bezirk 817 Fortbildungsschulen mit 34621 Schülern meist männlichen Geschlechts gezählt werden. Die geringere Zahl von Fortbildungsschülerinnen wird von der Regierung darauf zurückgeführt, dass die Mädchen der ärmeren Volksklasse sogleich nach der Entlassung aus der Schule in herrschaftliche ») Siehe oben S. 606.

843 Dienste gehen und hier in ihrer Zeit gebunden sind, ferner auf die vielfach verbreitete Meinung, dass das weibliche Geschlecht eines geringeren Grades von geistiger Bildung bedürfe und endlich auch darauf, dass das Zusammensein beider Geschlechter in diesem Alter bedenklich und die Trennung bei dem Vorhandensein nur eines Lehrers, wenn er nicht übermässig beschäftigt und angestrengt werden solle, nicht wohl möglich sei. 12. B e g i e r u n g s b e z i r k L i e g n i t z : Es bestehen 23 Schulen mit etwa 300 Schülern. Der durch das katholische Schulreglement vom 18. Mai 1801 angeordnete Sonntagsunterricht ist in sehr vielen Ortschaften mehr in Folge der geringen Anzahl der Kinder und des drückenden Nothstandes der Lehrer, als aus Nachlässigkeit in Abnahme gekommen. 13. R e g i e r u n g s b e z i r k F r a n k f u r t a. 0 . : Die Regierung hat bereits durch die, oben mitgetheilte, Verfügung vom 7. Januar 1843 die Begründung von Sonntagsschulen angeregt. Mehrere der in Folge dieser Anregung entstandenen Schulen sind aber bald wieder eingegangen, nachdem der Reiz der Neuheit geschwunden war, oder weil es an der nöthigen Beharrlichkeit bei den die Anstalten leitenden Geistlichen und Schullehrern fehlte, oder eine unrichtige Behandlung das Interesse schwächte, oder andere nachtheilige Ursachen einwirkten. Der grössere Theil hat sich jedoch erhalten, so dass im Jahre 1844 in 24 Städten und in 195 Orten des platten Landes Sonntagsschulen bestanden, an denen 101 Geistliche, 216 Schullehrer und 4 andere nicht zum Lehrerstande gehörige Personen 3627 junge Leute unterrichteten; ausserdem bestehen 24 Lese-Institute für die Jugend. Bei der Errichtung und namentlich Erhaltung der Sonntagsschulen ist mit grossen Vorurtheilen und Hindernissen zu kämpfen. 14. R e g i e r u n g s b e z i r k P o t s d a m : In ihm befinden sich 72 Fortbildungsschulen mit etwa 1000 Schülern; die grössten sind Potsdam mit 300 und Brandenburg mit 80 Schülern. Auch wirken 95, zunächst für liturgische Zwecke eingerichtete, aber auch zu anderen nützlichen Beschäftigungen Anlass bietende Gesangvereine, ferner die an 44 Orten bestehenden Dorfbibliotheken und Lesegesellschaften und endlich auch die von Geistlichen gehaltenen Missions- und Bibelstunden, mit denen sich hier und dort Vorträge und Unterhaltungen über geschichtliche, geographische und gemeinnützige Gegenstände verbinden, für die religiöse und allgemeine Bildung und Veredelung des Volks günstig. 15. S t a d t B e r l i n : 1 ) Im Jahre 1798 erschien eine öffentliche Aufforderung zu Beiträgen „für Herstellung eines nachhelfenden ') Nacb den Mittheilungen von G r u m b a c h , die Entwicklelung des Berlinischen Fortbildungsschulwesens, Berlin 1898, S. 7 ff. — Ein Bericht des Berliner Magistrats auf den Rund-Erlass vom 31. Mai 1844 liegt nicht vor.

844

Sonntagsunterrichts für Handwerkslehrlinge", die in Berlin rege Theilnahme fand und bereits im Jahre 1799 zur Errichtung zweier Sonntagsschulen führte. Alsbald konstituirte sich der „Verein zur Errichtung und Leitung sonntäglicher Freischulen in Berlin zum Bester armer in den Elementarkenntnissen versäumter Handwerkslehrlinge", der durch ein Anschreiben die Gewerke zur Zahlung von Beiträgen aufforderte. Diese bewilligten einen Theil der für ihre Lehrlinge eingehenden Einschreibegebühren als jährliche Beisteuer. Darauf wurden zwei weitere Schulen eingerichtet. Der Unterricht fand an den Sonntag-Nachmittagen von 3 1 /, bis 6 1 /, Uhr statt und erstreckte sich auf Lesen, Schreiben, Rechnen. Die Lehrer erhielten ein Honorar von jährlich 50 Thalern. Angeregt durch diese Veranstaltungen erfolgte im Jahre 1800, ebenfalls aus privaten Mitteln, die Gründung einer Sonntagsschule für bedürftige Bürgerstöchter und Dienstmädchen. 1815 waren in den bis dahin errichteten fünf Sonntagschulen für Knaben 188 Schüler, unter denen 49 Anfänger, 85 sehr schwache und 54 geförderte gezählt wurden. Der Schulbesuch war bei 71 regelmässig, bei 61 mittelmässig und bei 56 schlecht. Im Jahre 1821 wurde eine neue, sechste, Knabenschule aus den ganz Unwissenden gebildet, die Mädchenschule, welche über 60 Theilnehmerinnen zählte, in zwei Klassen getheilt und beschlossen, behufs Eröffnung einer siebenten Lehrlingsschule die Stadt um einen Zuschuss zu bitten, welchem Gesuche auch entsprochen wurde. Die Schülerzahl stieg in Folge dessen auf etwa 350. Durch Kabinetsordre vom 9. Juli 1834 erhielt der Verein aus Anlass eines Legats von 200 Thalern, das ihm vermacht war, Korporationsrechte. 1839 bestanden 11 Schulen

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Vereinen, Lehrlings-Vereinen, Jünglings-Vereinen, Gesellen-Vereinen und dergl.

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9. Die Handelsschulen und Handelshochschulen.

Die Begründung and Aasgestaltang der Handelsschulen hat der Preussische Staat fast im ganzen neunzehnten Jahrhundert in der Hauptsache der privaten Initiative überlassen und sich selbst an den Gründangen nur wenig betheiligt. Der Grund hiefür ist wohl theilweise darin zu suchen, dass er neben dem sich immer mehr ausbreitenden, für den Handels- und Gewerbestand eigens geschaffenen Realanstalten, die für die allgemeine wissenschaftliche, insbesondere mathematische, naturwissenschaftliche und neusprachliche Ausbildung sorgten, besondere Fachschulen für den kaufmännischen Nachwuchs nicht für nöthig hielt. Die mehr mechanisch zu erlernenden Kenntnisse, wie Buchführung, Handelskorrespondenz, Wechselkunde u. s. w. sollte sich der angehende Kaufmann leicht und rasch in der Praxis oder durch Selbststudium und Privatunterricht aneignen können. Diese Auffassung wird auch heute noch vielfach vertreten und sie kam auch bei den oben erwähnten Besprechungen über das kaufmännische Unterrichtswesen im Handelsministerium x ) zum Ausdruck. Hierzu kommt, dass auch die Ansichten darüber, wie die etwa zu begründenden Fachschulen zu organisiren, wie ihre Lehrpläne zu gestalten, ihre Lehrziele zu bestimmen seien, bis in die neueste Zeit sehr auseinander gehen. Die einen befürworten Vollanstalten, die von unten beginnen und ihren Zöglingen die gesammte für ihre künftige Lebensstellung erforderliche allgemeine und fachliche Bildung, soweit dies überhaupt durch die Schule möglich ist, übermitteln. Diese Idee ist z. B. in Köln verwirklicht worden, da dort das Bedürfniss hervortrat, für diejenigen zahlreichen jungen Leute eine besondere Schule zu schaffen, die von vornherein für die kaufmännische Laufbahn bestimmt sind.2) Das von den Gegnern dieser Schulgattung geltend gemachte Bedenken, dass dadurch die Zukunft eines jungen Menschen zu früh festgelegt werde, glaubte man durch den Hinweis beseitigen zu können, dass in den unteren Klassen von einem umfassenden einseitigen Fachunterricht wohl kaum die Bede sein könne und daher ein späterer Uebergang zu einer anderen Schule immer noch offen bleibe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Knaben bei Weglassang der unteren Klassen mit sehr ungleicher Vorbildung in die Handelsschule einträten, wodurch der gleichmässige Unterricht und die Erzielung guter Lehrerfolge stark beeinträchtigt werde. Endlich sei der Wechsel der Schulen weder ') Siebe oben S. 864. '-') Vou den in den Jahron 1883—1895 mit dem Zeugniss der Reife entlassenen 396 Schülern der Kölner Realschule haben sich 294, also reichlich 74°/ 0 dem Handelsstand gewidmet. J a h r e s b e r i c h t der H a n d e l s s c h u l e der Stadt Köln für 1899/1900, S. 3. Siehe auch den Vortrag von Ziehen auf dem dritten Kongress des Deutschen Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen am 5. bis 7. Oktober 1899, Veröffentlichungen des Verbandes, Bd. XII, S. 111 ff.; Dunker, Plan einer höheren Handelsschule, Berlin, 1900. —Aach die B e r l i n e r H a n d e l s s c h u l e hat sich allmälich zu einer Vollanstalt entwickelt. S. unten S. 884 ff.

873 für die jungen Leute selbst noch auch für die Anstalten, in denen sie in den ersten Jahren Aufnahme fänden, um sie dann ohne abgeschlossene Bildung bald wieder zu verlassen, wünschenswerth. Andere vertreten dagegen die Ansicht, dass die Handelsschule als Fachlehranstalt nicht zu junge Leute aufnehmen dürfe, sondern die notliwendige allgemeine Bildung, wie sie etwa die Quarta oder Unter-Tertia einer höheren Lehranstalt biete, voraussetzen müsse. Der Fachunterricht habe sich auf zwei oder drei Jahre zu erstrecken und mit einer alsdann vorzunehmenden Prüfung, die zugleich die Einjährigen-Freiwilligen-Berechtigung gewähre, abzuschliessen. Ein darüber hinaus gehender Unterricht wird von dieser Seite nicht für zweckmässig gehalten, weil sonst die Schüler zu alt würden, um sich noch in die Stellung eines Lehrlings hinein zu finden und die mehr mechanischen Kontorarbeiten mit Lust und Liebe zu verrichten. Wieder andere meinen, dass sich der junge Mann zuerst eine gründliche und völlig abgeschlossene Allgemeinbildung verschaffen und daher entweder eine gute Volks- oder Mittelschule oder, wenn es sich um Stellungen handelt, die eine höhere allgemeine Bildung verlangt, eine Realschule vollständig oder eine Ober-Realschule, ein Gymnasium oder Realgymnasium bis zur Untersekunda besucht haben müsse, ehe er sich die Spezialkenntnisse seines Faches aneigne. Sie befürworten daher Handelsschulen mit der EinjährigenBerechtigung als Aufnahmebedingung (höhere Handelsschulen) und solche, die sich unmittelbar an die Volks- und Mittelschulen anschliessen, aber nicht die Einjährigen-Bildung, sondern lediglich die Uebermittelung der dem kleineren Kaufmann nöthigen Kenntnisse anstreben, beide mit ein-, zwei- oder auch dreijährigem Kursus. Meinungsverschiedenheiten bestehen sodann wieder darüber, ob es richtiger ist, diese verschiedenen Arten von Handelsschulen und höheren Handelsschulen als selbständige Anstalten einzurichten, oder sie allgemeinen Unterrichtsanstalten anzugliedern, ob sie sich ausschliesslich auf die fachliche Ausbildung beschränken oder auch noch einige allgemein bildende Fächer, die für den Kaufmann besonders wichtigsind, eventuell welche, in ihren Lehrplänen berücksichtigen sollen. In neuerer Zeit ist noch die Idee der Handelshochschule hinzugekommen und in einigen Städten auch schon verwirklicht worden. Diese Schulgattung wird namentlich mit der Notwendigkeit begründet, dem Grossindustriellen eine weiter- und tiefergehende fachwissenschaftliche Ausbildung zu geben, als dies zur Zeit möglich ist und zugleich eine Stätte zu schaffen, an der Handelsschullehrer vorgebildet und Verwaltungs-, Konsular-, Bankbeamte, Handelskammersekretäre u. s. w. sich die für die Ausübung ihres Berufes erforderlichen handelswissenschaftlichen Kenntnisse erwerben können. Auch wird geltend gemacht, dass es n o t wendig sei, die gesellschaftliche Stellung des Handelsstandes zu

874 heben und ihn zu befähigen, im öffentlichen Leben insbesondere auch in den Parlamenten, den akademisch gebildeten Kreisen als gleich berechtigter und gleich geachteter Stand gegenöberzntreten. Auch hier tauchte wieder die Frage auf, ob die Handelshochschule für sich bestehen solle oder besser an andere Anstalten, wie Universitäten und technische Hochschulen als Abtheilung angegliedert werde. Uebrigens hat die Handelshochschule auch viele Gegner gefunden, die dieses Institut nicht nur für nicht nützlich, sondern geradezu für schädlich halten, weil die jungen Leute zu alt würden, ehe sie zu einer praktischen Thätigkeit gelangten. Schon jetzt seien junge Herren, die bis zur Prima einer neunklassigen Schule gekommen seien, auf den Kontoren nicht mehr recht brauchbar, wie würde es erst werden, wenn sie, nachdem sie „Handelsstudenten11 gewesen, eine praktische Thätigkeit entfalten und sich mit mechanischen Arbeiten beschäftigen sollten! Auch auf die Gefahren in sittlicher Beziehung, die das studentische Leben mit sich bringe, wird von dieser Seite mit dem Bemerken hingewiesen, dass es für den Kaufmannsstand besonders nothwendig sei, ihn davor zu bewahren. Weiter wird geltend gemacht, dass eine Handelshochschule überhaupt nicht geeignet sei, einen praktischen Kaufmann auszubilden; dazu gehöre die Praxis, und es liege die Gefahr nahe, dass die jungen Leute das nöthige praktische Verständnis verlören, wenn man ihnen zu viele theoretische Kenntnisse beibringe. Endlich zweifelt man an einem ausreichenden Besuch der Handelshochschulen, da die Zahl derer, die sie besuchen könnten, nur sehr gering sei; es kämen dabei nur die reichen Grosskaufleute und Grossindustriellen, die Handelslehrer und einige Beamtengruppen in Frage, die wohl auch jetzt schon auf den Universitäten und technischen Hochschulen hinreichende Gelegenheit zu ihrer Ausbildung fänden. Nötigenfalls könnten ja einige Professuren für diesen Zweck geschaffen werden. Diese Verschiedenheit der Auffassungen über die zweckmässigste Ausbildung des Handelsstandes unter den zunächst Betheiligten lässt es erklärlich, ja berechtigt erscheinen, wenn die Regierung bisher auf diesem Gebiete grosse Vorsicht beobachtet hat und vorläufig nur langsam vorzugehen, jedenfalls aber nicht nach der einen oder anderen Richtung die Initiative zu ergreifen sich entschlossen hat Doch hat sie keinen Anstand genommen, gründlich durchdachten, praktisch ausführbaren, finanziell gesicherten und von dem Interesse des Handelsstandes und der städtischen Behörden getragenen Versuchen ihre Unterstützung angedeihen zu lassen. Sehen wir uns diese im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gemachten Versuche etwas näher an.1) *) Siehe Zieger, Zur Geschichte der Handelsschalen in der Ge werbesohau, 18. Jahrgang, 1896, S. 18 und die Fortsetzangen; Z i m m e r m a n n , Handelsschulen,

875 Der Königlichen H a n d l u n g s s c b u l e in B e r l i n , die im Jahre 1802 von Kunth durch Umwände!ung einer seit 1791 vorhandenen privaten Handelsschule begründet wurde und bereits 1806 wieder einging, ist schon oben gedacht worden.1) Ein im Jahre 1817 von Kunth unternommener Versuch, die Stadt E r f u r t zur Errichtung einer „Lehranstalt zur höheren Bildung des Fabrikanten- und Kaufmannsstandes" zu bestimmen, in die Schüler im Alter von 10 bis 12 Jahren mit genügender Elementarbildung eintreten und im Schreiben, Zeichnen, Deutsch, Französisch und einer zweiten neueren Sprache, Rechnen, Mathematik, Physik, Chemie, Natur- und Erdbeschreibung, Geschichte, Handelswissenschaften und kaufmännischer Moral unterrichtet werden sollten, kam nicht zur Ausführung. Statt dessen wurde daselbst im Jahre 1821 von Chr. Noback eine private Handelsschule begründet. Am 3. Mai 1819 wurde in Magdeburg eine städtische „Höhere Gewerbe- und Handlungsschule'1 eröffnet.4) Die Schule bestand aus fünf Klassen mit einer dreiklassigen „Vorbereitungsschule" als Unterbau, in welche sechsjährige Knaben eintreten könnten. Kaufmännischer Unterricht fand sich nur in der zweiten und ersten Klasse, und zwar in Klasse II: Geographie und Produktenkunde (2 St), Geschichte, besonders in Hinsicht auf Kultur (2 St.), und in Klasse I: Deutsch (4 St), Französisch (4 St.) und Englisch (3 St), alle 3 Fächer verbunden mit praktischen Uebungen, in der Geschäfts-Korrespondenz, kaufmännisches Rechnen und Buchhalten (6 St), Münz-, Mass- und Gewichtskunde (2 St.), Warenkunde (1 St.) Handelsgeographie und Handelsgeschichte (je 2 St.). Es war beabsichtigt, die Schule nach und nach so zu gestalten, dass die vier unteren Klassen die eigentliche Schule bildeten, während die oberen einen in sich abgeschlossenen, zweijährigen praktischen Fachkursus zur Ausbildung „höherer Gewerbetreibenden" darstellten, an welchem auch solche Schüler sollten theinehmen können, die nicht die vier untersten Klassen der Schule besucht, sondern ihre Vorbildung anderweit erworben hatten. 1826 wurde die oberste Klasse in zwei Abtheilungen zerlegt, deren eine die künftigen Kaufleute, die zweite die anderen praktischen Berufen zustrebenden Schüler aufnehmen sollten. Im Jahre 1844 verlor die Anstalt ihren fachlichen Charakter, indem sie in eine Realschule umgewandelt wurde. Am 12. Juli 1832 wurde die „Handelsakademie" zu D a n z i g eröffnet Sie verdankte ihre Entstehung einem Vermächtniss des am 25. Oktober 1814 daselbst verstorbenen Kaufmanns Jacob Kabrun, der in seinem Testamente neben Gemälden, Zeichnungen, Veröffentlichungen des Verbandes für das Kaufmännische Unterrichtsweaen, Bd. VIII, Tbl. 1, Braunschweig 1890. ') 8. 8. 701 ff. ') 8. B e h r e n d , Das kaufmännische Unterrichtswesen in Magdeburg, Beilage zu den „Verhandlungen und Mittheilungen der Handelskammer zu Magdeburg", Jahrgang 1901, No. 1; auch Z i e g e r a. a. O.

876 Kupferstichen und einer Bibliothek einen Fonds von 100000 Gulden gestiftet hatte, um ein Bildungsinstitut „für die der Handlung und allen damit in "Verbindung stehenden Wissenschaften sich widmende Jugend" zu errichten. 1 ) Die „uneingeschränkte Administration'* dieser Anstalt sollte für immer „denjenigen Kaufleuten überlassen bleiben, welche als Deputirte der zur See handelnden Kaufmannschaft ernannt worden sind." „Anfangs dürfte", so heisst es in dem Testamente, „nur ein wirklich geschickter und fähiger Lehrer der Zeichenkunst, sowie ein Lehrer der Mathematik, der bürgerlichen und Schiffsbaukunst u. s. w. angestellt werden, welche beide zu gleicher Zeit Aufseher des Oelgemälde-Kabinets und der Bibliothek sein könnten, bis dereinst eine Erweiterung nach den vorhandenen Mitteln zur Bestreitung der Kosten stattfinden und mehrere Lehrer in der Navigationskunde, Naturlehre, Geographie, Geschichte, in den bürgerlichen und merkantilischen Rechten und anderen, allen denen, so bei der Handlung und ihren verschiedenen Zweigen beschäftigt sind, nützlichen Wissenschaften angestellt werden können." Die Schule konnte, dank der Opferwilligkeit der Korporation der Danziger Kaufmannschaft, von Anfang an nach einem grösseren Plane arbeiten. Dem ersten Jahresbericht zufolge waren an der Anstalt 7 Lehrer, theilweise allerdings nebenamtlich, beschäftigt, die in kaufmännischer Buchführung, Waarenkunde, Handelskunde, Geldund Zahlungskunde, kaufmännischer Schiffahrts- und Rhedereikunde, in der Münz-, Maass- und Gewichtskunde und im kaufmännischen Rechnen, ferner in folgenden „allgemein bildenden Gegenständen mit steter Berücksichtigung des speziellen Zwecks" unterrichteten: Moral, Theorie des Stils und praktische Uebungen, Französisch, Englisch, Polnisch (das 1837 fortfiel), Statistik und Geographie, neue Geschichte und Schönschreiben. Nach einigen Jahren kam noch philosophische Propädeutik, die später wieder fortfiel, hinzu. — Zur Aufnahme in die Akademie war die Vorbildung eines Schülers der ') Schon bei seinen Lebzeiten hatte Kabrun die Errichtung einer solchen Anstalt angestrebt, doch ohne Erfolg. In seinem Testamente heisst es in dieser Beziehung: „Ich habe es erfahren, dass. wer bei Unternehmungen fürs allgemeine Beste, wobei jede individuelle Rücksicht billig beseitigt werden muss, von dem uneigennützigen Beistande anderer die Erfüllung seiner gutgemeinten Vorschläge erwartet, dass dieser sich verrechnet, — und so sind denn auch in diesem Falle, theils durch den Mangel an Gemeingeist, theils auch durch Konjunkturen diese meine Vorschläge unter die Rubrik unerfüllter Wünsche gesetzt worden. Dessenungeachtet will ich an einem künftigen Erfolge, selbst nach meinem Tode, nicht zweifeln, vielmehr hoffe ich, dass sich die Umstände und Oesinnungen ändern und dass sich späterhin Männer finden werden, die denselben guten Willen, aber mehr Glück haben werden, unter gemeinnützig denkenden Zeitgenossen dasjenige noch zu verwirklichen, wozu ich vorläufig noch die Ideen angegeben habe . . Wenn die Akademie erst 18 Jahre nach dem Tode Kabruns eröffnet wurde, so lag dies daran, dass die 100000 fl. in Danziger Obligationen angelegt waren und die damals schwebende, in Folge der Napoleonischen Kriege nothwendig gewordene Regolirung des. Danziger Schuldenwesens viele Jahre in Ansprach nahm. Ajn 6. November 1834 erhielt die Akademie Rechtspersönlichkeit.

877 ersten Klasse einer höheren Bürgerschule erforderlich. ..mag dieselbe auf einer öffentlichen Lehranstalt oder durch Privatunterricht erlangt worden sein". Der Aufzunehmende hatte sich auf zwei nach einander folgende Jahre zu einem pünktlichen Besuche der Vor träge und Uebungen seiner Klasse und zu einem angemessenen Verhalten zu verpflichten. Das Honorar betrug für Einheimische 60 Thaler, für Auswärtige 100 Thaler jährlich; ausserdem waren 3 Thaler Aufnahmegebühr und halbjährlich 2 Thaler zur Unterhaltung der Utensilien, Apparate u. s. w. zu bezahlen. Junge Leute, welche sich bereits der Handlung gewidmet hatten, konnten an einzelnen Vorträgen und Uebungen gegen ein Honorar von 3 Thalern monatlich und die Entrichtung des halbjährigen Beitrags und der Aufnahmegebühren Theil nehmen, wenn sie nur 18 Stunden wöchentlich die Anstalt besuchten; bei einer grösseren Stundenzahl hatten sie das volle Honorar zu bezahlen. Für diejenigen, welche den zweijährigen Kursus beendigt hatten, waren Vorträge über Staatswirthschaft und kaufmännische Rechtskunde in Aussicht genommen, Die sofern sich eine hinreichende Zahl von Zuhörern meldete. Schülerzahl betrug in den Etatsjahren 1832/33: 21, 33/34: 33, 34/35: 25, 35/36: 19, 36/37: 20, 37/38: 20, 38/39: 20, 39/40: 26, 40/41: 33, 41/42: 28, 42/43: 29. also im Durchschnitt dieser Jahre 25. Nach dem für die Akademie erlassenen Statute hatte die Korporation der Kaufmannschaft die zum Bestehen der Schule erforderlichen Zuschüsse, soweit sie nicht durch das Schulgeld und die Einkünfte des Stiftungskapitals gedeckt wurden, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt des beliebigen Widerrufs, übernommen. Die Zuschüsse betrugen 1832: 587, 1833: 333, 1834: 714, 1835: 764, 1836: 624, 1837: 556 und 1838: 500 Thaler. Vom Jahre 1839 ab gingen der Danziger Kaufmannschaft die bis dahin für ihre Kasse erhobenen „Kommerzbeiträge" und .,Handelsbesten" in Folge der durch den Hafengeldtarif vom 18. Oktober 1838 erfolgten Regulirung sämmtlicher Hafen-Schiffahrts-Abgaben u. s. w. und damit auch die Mittel zur Unterstützung der Akademie verloren, so dass sich die letztere bald lediglich auf das Schulgeld und die unzureichenden Einkünfte des Kabrun'schen Vermächtnisses beschränkt sah. Um den Schulbesuch zu heben, wurde nunmehr das Schulgeld auch für Ausländer auf 60 Thaler herabgesetzt und die beim Eintritt zu übernehmende Verpflichtung zum Schulbesuch von 2 Jahren auf 1 Jahr beschränkt Ferner wurde, um Ersparnisse zu machen, die Zahl der Lehrer von 7 auf 5 verringert und auch noch ihr Einkommen gekürzt. In Folge dessen wandten sich der Direktor und die Lehrer unterm 30. Juni 1843 in einer auch von der Regierung unterstützten Eingabe an das Ministerium, in der sie im Interesse des Fortbestehens der Anstalt um einen staatlichen Zuschuss und zugleich um die

878 Erweiterung der Anstalt durch Angliederung einer dritten Klasse als Vorbereitungsklasse für diejenigen baten, die noch nicht die erforderliche Reife zum Eintritt in die Akademie erlangt hätten. „Junge Leute11, so hiess es in der Eingabe, „welche sich dem kaufmännischen Geschäfte widmen wollen, müssen etwa mit dem siebzehnten Jahre oder noch früher in dasselbe als Lehrlinge eintreten, wenn sie nicht mit Unlust die ersten kleineren Dienste verrichten sollen. Fragen wir nun nach dem durchschnittlichen Alter derjenigen, welche die Prima einer höheren Bürgerschule besuchen, so findet sich, wenigstens für unsere Gegenden, circa 17 1 /, Jahr, mithin haben sie auf diesen Lehranstalten bereits die Zeit meistentheiis überschritten, in welcher es für die Eltern sowohl als für sie selbst wünschenswerth sein muss, in das Geschäftsleben einzutreten; wie sollen sie also noch eine Lehranstalt wie die Handelsakademie besuchen, die ihnen bei jener Altersstufe erst etwa mit dem zwanzigsten Lebensjahre den Eintritt in das Berufsleben gestatten würde. Die natürliche Folge davon ist, dass sie fast immer lange vor absolvirtem Schulkursus, ohne die Handelsakademie zu benutzen, in die Lehre gehen, eine mangelhafte Bildung durch ihr Leben hindurchschleppen und die Zahl ungebildeter Kaufleute vermehren Ganz anders würde sich die Sache gestalten, wenn unserer Anstalt eine gleiche Vergünstigung zu Theil würde, wie sie die neu errichtete zu Berlin erhalten hat, so dass überhaupt die Erreichung des vierzehnten Lebensjahres als einzige Bedingung für den Eintritt festgesetzt und in Folge dessen noch eine dritte Klasse errichtet würde. In drei Klassen, welche stufenweise auf einander folgen, jede von etwa 20 Schülern besucht, kann ohne Zweifel bis zum 17. Jahre der Bildungsgrad erreicht werden, der dem angehenden Kaufmann nothwendig ist. . . . Unter den gegenwärtigen Verhältnissen lässt sich für die Dauer kein Fortbestehen der Handelakademie absehen, die schon eingegangen sein würde, wenn nicht der Direktor und die Lehrer durch ein beträchtliches Opfer an ihren Gehältern die Anstalt aufrecht erhalten hätten. . . -1) Der Kultus- und Finanzminister lehnten indessen durch Bescheid vom 20. Februar 1844 die Gewährung einer Beihilfe ab, indem sie einmal auf das geringe Interesse hinwiesen, das die Danziger Kaufmannschaft für das Fortbestehen der Anstalt zu erkennen gegeben habe und sodann betonten, dass es auch bei dem geringen Umfange, in welchem die Akademie bisher wirksam gewesen sei, nicht für angemessen erachtet werden könne, ihr ferneres Bestehen durch Opfer aus Staatsfonds zu sichern. Ueberdies sei auch ') Versuchsweise war schon 1839 für die zweite Klasse eine Unterabtheilung eingerichtet worden, doch schritt der Magistrat auf Antrag der Direktoren der übrigen Lehranstalten, die hierin einen unerlaubten Uebergriff auf ihr Lehrgebiet erblickten, hiegegen ein.

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die beabsichtigte Umgestaltung der Schule, insofern sie zum Zwecke habe, über die einer H a n d eis-Lehranstalt zugewiesenen Grenzen hinauszugehen, nicht als auf einem im Interesse der Bildung des vaterländischen Handelsstandes wirklich begründeten Bedürfniss beruhend anzusehen. Gelegentlich der persönlichen Anwesenheit des Finanzministers in Danzig im Jahre 1844 wurden die Vorstellungen erneuert, und sie führten dann auch zu dem Ergebniss, dass der Handelsakademie durch Kabinets-Ordre vom 4. Oktober 1847 ein jährlicher Unterhaltungszuschuss von 500 Thalern. jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalte bewilligt wurde, dass auch die Kaufmannschaft einen jährlichen Beitrag in gleicher Höhe regelmässig und unverkürzt leiste und dass das Institut die Anforderungen der Verwaltungsbehörden hinsichtlich seiner Leistungen erfülle. Die Einrichtung der gewünschten Vorschulklasse wurde indessen nicht gestattet. Durch diese jährliche Beihülfe von zusammen 1000 Thalern wurde es möglich, die Zahl der Lehrer wieder auf 7 zu erhöhen und einige neue Unterrichtsgegenstände, deren Mangel sich schon fühlbar gemacht hatte, wie Chemie, Physik und Mathematik, einzuführen. Da die dritte Klasse abgelehnt worden war, so half man sich zunächst mit der Milderung der Aufnahmebedingungen, indem nicht mehr die Vorbildung eines Primaners, sondern nur noch die eines Sekundaners einer höheren Bürgerschule verlangt wurde. Dennoch erfreute sich die Anstalt keiner besonderen Sympathien bei der Danziger Kaufmannschaft, wie daraus hervorgeht, dass von den im Jahre 1848 vorhandenen 24 Schülern nicht weniger als 14 „von ausserhalb1' waren. Zudem waren von diesen 24 Schülern noch „mehrere theils nach einem halben, theils nach dreiviertel Jahren aus verschiedenen Gründen am ferneren Besuche behindert1'. Auch nachdem die Anstalt 1852 noch die Einjährig-Freiwilligen Berechtigung erhalten hatte, hob sich der Schulbesuch nicht; die Schülerzahl betrug 1852/53: 17, 53/54: 23, 54/55: 24, 55/56: 25, 62/63: 24. Erst als im Jahre 1863 die längst ersehnte Vorklasse, für die die Vorbildung eines Tertianers der Realschule verlangt wurde, genehmigt worden war, trat eine merkliche Besserung der Schülerfrequenz ein. Es besuchten die Schule 1864/65: 61 Schüler (darunter 15 Vorschüler), 68/69: 55 (darunter 15 Vorschüler), 72/73: 133 (44 Vorschüler), 74/75: 170 (54 Vorschüler), 76/77: 194 (67 Vorschüler). Der starke Besuch der Vorklasse nöthigte zu einer Theilung derselben. Auch trat im Publikum wiederholt der Wunsch nach der Einrichtung noch weiterer Unterstufen hervor, um den Eintritt in die Akademie schon in jungen Jahren zu ermöglichen. Da dies nicht angängig war, man aber andererseits möglichst viele Schüler heranziehen wollte, so entschloss man sich, in den Anforderungen an die Vorkenntnisse der Schüler noch weiter

880 zurückzugehen. Von 1878 ab wurden daher zur Aufnahme in die dritte Klasse nur noch die Kenntnisse eines Quartaners und zur Aufnahme in die zweite Klasse diejenigen eines OberTertianers verlangt Hand in Hand mit diesen Aenderungen ging übrigens auch eine allmälige Umwandlung des Lehrplans, der immer mehr den fachlichen Charakter abstreifte und sich bald fast vollständig mit dem an den oberen Klassen einer höheren Bürgerschule deckte. Dies wurde für die Akademie verhängnissvoll. Denn als die Stadt Danzig 1888 dazu überging, ihr Realgymnasium ebenfalls in eine lateinlose höhere Bürgerschule (Realschule) umzuwandeln, war es klar, dass zwei Schulen dieser Art nicht neben einander würden bestehen, die Akademie aber schon ihres hohen Schulgeldes wegen den Wettbewerb mit der besser fundirten städtischen Anstalt nicht würde aushalten können. Das Vorsteheramt der Kaufmannschaft entschloss sich daher, die Akademie im Jahre 1893 als selbständige Anstalt eingehen zu lassen und an deren Stelle eine mit der ersten Klasse der neuen städtischen Realschule zu verbindende kaufmännische Fachklasse einzurichten. In dieser kaufmännischen Parallelklasse, deren Schüler nur in drei Stunden mit rein kaufmännischen Fächern einen gesonderten Unterricht erhielten, trat aber die f a c h l i c h e Ausbildung sehr schnell so in den Hintergrund, dass ihr kaum noch eine irgend erhebliche Bedeutung beigemessen werden konnte. Die Folge davon war, dass die Zahl der die kaufmännischen Fächer besuchenden Schüler immer mehr zurückging und dass sich im Schuljahre 1900/1901 kein einziger Schüler mehr in der sogenannten „Handelsklasse" befand.1) Die „neue" H a n d e l s - L e h r a n s t a l t zu B e r l i n , auf welche sich das Lehrerkollegium der Danziger Handelsakademie in seiner oben erwähnten Eingabe vom 30. Juni 1843 bezog, war am 1. Mai 1843 mit 13 Schülern, 6 Berlinern und 7 Auswärtigen, eröffnet worden, die im Laufe des ersten Halbjahres auf 18 und im zweiten auf 34 anwuchsen. Das für sie unterm 30. April 1843 vom Kultus- und Finanzminister erlassene Regulativ, das allen Ober-Präsidenten mit dem Ersuchen übersandt wurde, davon die Provinzial-Schulkollegien. Regierungen und Handels-Korporationen (Handelskammern) in Kenntniss zu setzen, enthielt in der Hauptsache folgende Bestimmungen : 2 ) Nachdem des Kölligs Majestät mittelst Allerhöchster Ordre vom 19. Januar d. J . die Errichtung einer Handels-Lehranstalt in Berlin durch die G e b r ü d e r Carl und F r i e d r i c h Noback*) zu genehmigen geruht haben, und durch eine mit diesen Unternehmern unterm 14. Februar d. Ja. getroffene Uebereinlcunft die ') 1898/99 waren noch 16, 99/00 noch 8 Schäler vorhanden. -) Uin.-Bl. f. d. i n n e r e Verw., 1843, 8. 170. n ) Es waren dies die Söhne des oben (S. 875) erwähnten ChT. Noback, dei 1821 die Handelslehranstalt in Erfurt begründet hatte.

881 Grundlagen der Anstalt näher festgestellt worden sind, so wird über deren Einrichtung das nachfolgende Regulativ erlassen: § 1. (I. Zweck und a l l g e m e i n e E i n r i c h t u n g . — Allgemeiner Zweck.) Die Handels-Lehranstalt verfolgt den Zweck, Jünglinge, welche sich für den Stand des Kaufmanns oder Fabrikanten ausbilden wollen, für ihren künftigen Beruf allgemein und speziell vorzubereiten. § 2. (Leitung der Anstalt.) Die Leitung und Ueberwacbung der Anstalt liegt, unter Aufsiebt des Kuratoriums, dem Direktor ob. Derselbe hat dafür zu sorgen, dass Lehrer, wie Zöglinge, ihre Pflichten stets erfüllen, und dass die zur Erreichung des Zweckes erforderlichen Mittel vorhanden sind and benutzt werden. § 3. (Berufung der Lehrer.) Die Vorverhandlungen zur Besetzung der Lehrerstellen werden durch den Direktor geführt. Ton den Bewerbern um solche Stellen ist über ihre Tüchtigkeit zu dem Geschäfte das Zeugniss der Schul-Aufsichtsbehörde, der Verordnung vom 10. Juni 1834 (Ges.-SammL S. 135)') gemäss, beizubringen, soweit solches nicht schon anderweitig geschehen ist. Das Engagement der Lehrer ist von der schriftlich zu ertheilenden Zustimmung des Kuratoriums abhängig. Hat der Direktor diese erhalten, so wird die Berufung für die anzustellenden Lehrer durch denselben ausgefertigt. § 4. (Klassen-Eintheilung.) Der Zweck der Anstalt soll durch einen dreijährigen, in drei Klassen sich abstufenden Lehrkursus erreicht werden. § 5. (Sektionen.) Die Zahl der Zöglinge in einer Klasse darf nicht so weit gehen, dass darunter der Unterricht leiden könnte. Steigt sie über 25, so muss in der Regel eine Parallelklasse errichtet werden. Eine grössere Schülerzahl darf in einer Klasse nur mit Genehmigung des Kuratoriums versammelt bleiben. § 6. (Pensionat.) Mit der Lehranstalt wird ein Pensionat für solche Zöglinge verbunden, welche Wohnung und Kost bei dem Direktor der Anstalt erhalten. § 7. (Ii. B e d i n g u n g e n d e r A u f n a h m e . —Allgemeine Bedingungen.) Aufnahmefähig sind Jünglinge, welche das vierzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben. Sie haben sich über die bis dahin in den Gymnasien, Bürger- und Realschulen gewöhnlich erreichte Schulbildung, über ihr sittliches Betragen, und, sofern sie christlicher Religion sind, über ihre erfolgte Konfirmation oder die noch fortdauernde Theilnahme an dem erforderlichen Religions-Unterrichte auszuweisen. § 8. betrifft die Schülerlisten. § 9. (Aufnahme in höhere Klassen.) Aufnahme in eine der höheren Klassen ist, ausser dem regelmässigen Vorrücken aus einer niederen in eine höhere Klasse, nur statthaft, wenn die Befähigung dazu in einer vorhergegangenen Prüfung dargethan ist. § 10. (Schulgeld.) Das Unterrichtshonorar darf sich für alle Klassen nicht über 120 Thaler jährlich belaufen und wird vierteljährlich pränumerando gezahlt. § 11. (Pensionsgeld.) Der Preis für ganze Pension betrSgt nicht über 300 Thaler jährlich, mit vierteljähriger Vorausbezahlung, ausschliesslich des Schulgeldes. § 12. (III. U n t e r r i c h t s - G e g e n s t ä n d e . — Stundenplan.) Das Spezielle der Unterrichts-Gegenstände und ihrer Vertheilung auf die einzelnen Klassen, sowie auf die Lehrer, enthält der alljährlich von dem Direktor aufzustellende Stundenplan, wobei nachstehende Bestimmungen leitend sind. § 13. (Sprachunterricht.) Da hinsichtlich der d e u t s c h e n Sprache bei den in die Handels-Lehranstalt eintretenden Jünglingen schon eine gute Grundlage vorausgesetzt werden muss, so kann in der unteren Klasse, nach einem allgemeinen Ueberblicke über Wortbildung und Biegung, zu der ausführlichen Behandlung der Wortarten, der Satzlehre und zu grösseren schriftlichen Uebungen übergegangen werden. In der mittleren und oberen Klasse werden die Zöglinge zugleich in die Kenntniss der deutschen Literatur eingeführt. ') Siehe oben S. 71. S i m o n , Die Fachbildung des Prenssischen Gewerbe- and Handels«tundet.

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882 Eine Hauptaufgabe der Lehranstalt ist die tüchtige Ausbildung der Zöglinge im F r a n z ö s i s c h e n und E n g l i s c h e n . Die Einübung der grammatikalischen Regeln wird mit freien Uebersetzungen und mit dem Sprechen verbunden. Ein die Handels-Lehianstalt mit dem Zeugniss der Reife verlassender Zögling soll im Stande sein, einen guten französischen und englischen Brief zu schreiben und in beiden Sprachen sich korrekt auszudrücken. § 14. (Allgemeine Wissenschaften.) a) Der a r i t h m e t i s c h e Unterricht beginnt mit einem praktischen Kursus der reinen Arithmetik, geht zu den eigentlichen kaufmännischen Rechnungen, Münz-, Mass- und Gewichts-Reduktionen, zur Gold- und Silber-Rechnung, zur Zins-Rechnung und zu den Kursen über, und endigt mit den Kontokurrenten, den höheren Kurs-Rechnungen und zusammengesetzten Kalkulationen. b) Hinsichtlich des m a t h e m a t i s c h e n Unterrichts werden die Zöglinge in der Algebra, etwa bis zu den Gleichungen dritten Grades, den Progressionen, Kettenbrüchen, Irrationalgrö8sen und Logarithmen geführt. In der Geometrie werden sie zum Verständniss der Lehrsätze und Aufgaben der ersten Bücher des Euklid gebracht, in der oberen Klasse abeT auch in den Elementen der Stereometrie und Mechanik unterrichtet c) Der Unterricht in der N a t u r g e s c h i c h t e kann mit dem in der Waarenkunde in Verbindung gesetzt werden. In der Physik und Chemie findet Unterricht mindestens in den beiden oberen Klassen statt und wird durch Experimente erläutert. d) In der G e o g r a p h i e beginnt der Unterricht, unter Voraussetzung der Elementarkenntnisse, mit einer allgemeinen Uebersicht dieser Wissenschaft, und geht dann zu spezieller Beschreibung Deutschlands und der übrigen europaischen und aussereuropäischen Länder über, wobei Verkehr und Handel der Völker und deren kommerzielle Beziehungen stets berücksichtigt werden. e) In der G e s c h i c h t e ist, nächst den Hauptereignissen der politischen Geschichte, der Gesichtspunkt auf eine möglichst vollständige Kenntniss der Bewegungen des Handels und Verkehrs bei den wichtigsten Völkern zu richten. § 15. (Handels-Wissenschaften.) a) Hinsichtlich der allgemeinen H a n d e l s Wissenschaften wird mit einer Darstellung der verschiedenen Arten des Handels begonnen, sodann zur Münz-, Mass- und Gewichtskunde und zur Lehre von den Wechseln und der Fracht- und Schiffahrtskunde übergegangen, und mit dem Unterrichte von den Staatspapieren, den Börsen, Banken, Aktien-Gesellschaften und der Theorie des Handels geschlossen. Gleichzeitig wird, bei sich darbietender Gelegenheit, auf die Grundsätze der Handelsmoral hingeleitet. b) In der W a a r e n k u n d e und der Technologie geht der Unterrricht unter Vorzeigung von Proben und mittelst Besuchs von Werkstätten, durch alle drei Klassen; wo die Anschauung im Grossen nicht thuclich ist, vertreten sie gute Modelle. c) Wiefern in der oberen Klasse auch die Grundzüge des H a n d e l s r e c h t s und der Staatswirthschaft einen Gegenstand des Unterrichts bilden können, hängt von der Bestimmung des Kuratoriums ab. d) In Ansehung der B u c h f ü h r u n g fängt in der unteren Klasse der Schüler mit geordnetem Aufschreiben einzelner Geschäfts-Vorfälle (einfacher Ein- und Verkäufe) an, sich an eine Sonderung in Klassen zu gewöhnen. Erst nach kurzer Uebung hierin beginnt der Unterricht iu den Grundsätzen des einfachen Buchhaltens. Der Zögling arbeitet ein durch mehrere Monate laufendes Geschäft mit mannigfaltigen Abwechselungen unter Anleitung des Lehrers aus, schliesst es ab und erhält Uebung und Ueberblick im einfachen Buchhalten. Die mittlere Klasse führt ihm ein schon ausgedehnteres Geschäft vor, welches er ebenfalls durch alle Bücher ausarbeitet und dann abschliessen muss. Hieran reihet sich das doppelte Buchhalten, nach welcher Methode der Schüler ein kleines Geschäft selbständig durcharbeitet. In der oberen Klasse werden verwickelte Geschäftsvorfälle

883 nach doppelter Methode gebucht und den Schluss des ganzen Unterrichts in diesem Zweige merkantilischer Thätigkeit bildet eine Beleuchtung der zu verschiedenen Zeiten hervorgetretenen neueren Buchhaltungssysteme. § 16. (Fertigkeiten.) a) Auf den Unterricht in der K a l l i g r a p h i e werden zwar nur wenige Stunden verwendet, doch wird auf Ausbildung einer schönen Handschrift überall, und namentlich bei den Reinschriften der Briefe und allen übrigen Kontor-Arbeiten mit Sorgfalt gewacht. b) Hinsichtlich der K o r r e s p o n d e n z wird mit Anleitung zu den einfachsten Formen kaufmännischer Briefe (Bestellungs- und Avis-Briefe etc.) begonnen; späterhin findet ein Durchgehen aller Formen von Briefen, sowie ein praktisches Einüben derselben, und zwar auch in französischer und englischer Sprache statt. c) Im Z e i c h n e n ist der Gesichtspunkt dahin gerichtet, diejenigen Schüler, welchen Sinn und Lust für diese nützliche Kunst beiwohnt, oder welche deren zu ihrem künftigen Beruf bedürfen, darin zu fördern. Von der Theilnahme an dem Unterricht sind diejenigen zu entbinden, welche etwa für denselben ganz unempfänglich oder nach der Ansicht ihrer Eltern oder Erzieher seiner nicht bedürftig sind. § 17. (Anzahl der Lehrstunden.) Die Anzahl der Lehrstunden soll nicht über 34 und nicht unter 28 in den einzelnen Klassen betragen. Ziffer IV betrifft die „ i n n e r e E i n r i c h t u n g " ; die ij§ IS—22 beziehen sich auf die Diseiplin, die öffentlichen Prüfungen und Abgangszeugnisse. § 23. (Geldbedürfnisse.) Für die Bedürfnisse der Anstalt wird alljährlich ein Etat entworfen, dessen Bedarfssumme in den ersten fünf Jahren theils durch die von des Königs Majestät bewilligten Vorschüsse, theils durch die aufkommenden Uuterrichts-Honorare, späterhin aber allein durch letztere gedeckt wird. Die Zahlungen der Lehrer-Gehalte erfolgen monatlich postnumerando. Ueber alle Einnahmen und Ausgaben der Anstalt m uss vollständig Buch und Eechnung geführt werden. § 24. ( Verwaltung.) Die Direktion der Anstalt übernimmt Herr Carl Noback, die Führung der Kasse Herr Friedrich Noback. Die beiden Unternehmer vertreten einander gegenseitig in ihren Funktionen, sobald der eine von ihnen verhindert sein sollte, denselben vorzustehen. § 25. (V. B e a u f s i c h t i g u n g d e r A n s t a l t . — Aufsichtsbehörde.) Die Anstalt steht unter Aufsieht eines vom Staate ernannten Kuratoriums, mit welchem der Direktor sicli in fortwährender Mittheilung zu erhalten hat. S 26. (Stundenplan und Etat.) Alljährlich vor dem Beginn des Studienjahrs hat der Direktor der Anstalt den Stundenplan und den Besoldungs- uud BedürfnissEtat dem Kuratorium zur Bestätigung vorzulegen. g 27. (Beaufsichtigung hinsichtlich des Personals.) Dem Kuratorium liegt ob, von dem ganzen Zustande der Anstalt und von den Leistungen der Lehrer, sowie insbesondere von der Führung der Schüler sich in fortwährender Kenntniss zu erhalten. Die Annahme der Lehrer (vergl. § 3), ebenso die unfreiwillige Ausschliessung von Schülern unterliegen seiner Bestätigung. sj 28. (Beaufsichtigung des Haushalts.) So lange die vom Staate gewährten Vorschüsse nicht erstattet sind, steht der Haushalt der Anstalt unter besonderer Aufsicht dos Kuratoriums, welchem vierteljährlich ein Abschluss aus den Kassenbüchern vorzulegen ist. Die Einsicht der letzteren steht ihm jederzeit frei. § 2i). (Erhaltung des Inventariums) Da bis zur erfolgten Rückzahlung jener Vorschüsse das Iuventarium der Anstalt Königliches Eigenthum bleibt, so hat das Kuratorium dafür zu sorgen, dass ein vollständiges Verzeichniss von demselben aufgenommen und regelmässig fortgeführt, und dass die Gegenstände desselben mit einem Stempel versehen und wohl erhalten werden. S 3U. (Jahresbericht.) Am Jahresschluss hat der Direktor über das gesammte Personal und die Leistungen der Anstalt einen Jahresbericht au das Kuratorium zu erstatten. 56*

884 Trotz des grossen Interesses, das die Staatsregiernng dieser neuen Lehranstalt theils durch die Gewährung von Geldmitteln, theil8 durch die unmittelbare Uebernahme der Beaufsichtigung — dem Kuratorium gehörten je ein Rath des Handels- und des Kultusministeriums und ein Vertreter der Aelteston der Kaufmannschaft an —, theils endlich durch die sofortige Verleihung der EinjährigFreiwilligen-Berechtigung entgegenbrachten, erfüllten sich die auf sie gesetzten Hoffnungen nicht Die Schülerzahl, die sich Anfangs auf 60—70 belaufen hatte, ging immer mehr zurück und schon im Jahre 1848 musste die Schule wieder aufgehoben werden, da es an den nöthigen Mitteln zur Zahlung der Gehälter fehlte. Als Grund für diesen Misserfolg wurde angeführt, dass die Kaufmannschaft selbst zu wenig Interesse an den Handelslehranstalten nehme, dass die ungleichartige und unzureichende Vorbildung der Schüler einen erfolgreichen Unterricht erschwere, dass die finanzielle Grundlage, auf der das Institut aufgebaut worden, zu unsicher gewesen sei und dass die Unternehmer es an der nöthigen Umsicht und Sorgfalt hätten fehlen lassen. An die Stelle der eingegangenen Schule trat zunächst als ein reines .Privatunternehmen die von Dr. S c h w e i t z e r begründete und noch jetzt bestehende, zur Zeit dem Direktor Lach gehörige „ H a n d e l s s c h u l e zu Berlin". „Unter den ungünstigsten Verhältnissen," so heisst es in der Chronik dieser Anstalt für 1848/49,') „war sie, ein reines Privatunternehmen, in's Leben gerufen worden. Die politischen Wirren des vergangenen Jahres, die schon damals sich zeigende und in diesem Jahre in noch weit grösserer Ausdehnung auftretende Cholera wirkten nicht allein auf alle gewerblichen Verhältnisse höchst nachtheilig, sondern hielten auch eine grosse Menge wohlhabender Familien Berlins von ihrem bisherigen Wohnsitze fern und erregten bei den auswärts wohnenden gerechte Bedenken, ihre Söhne in so schwerer Zeit auf eine hiesige Schulanstalt zu senden. Trotzdem ist die Frequenz der Anstalt bis jetzt in stetem Steigen begriffen gewesen, und die Gründer derselben dürfen sich der gerechten Hoffnung hingeben, dass ihr Unternehmen kein verfehltes sein werde, und dass die von ihnen gehegte Ueberzeugung, durch dasselbe einem vielseitig gehegten Bedürfnisse abzuhelfen, nicht auf irrigen Voraussetzungen beruhe.'1 Die Schule sollte übrigens keineswegs ,Junge Leute zu Commis heranbilden, um ihnen die Lehrzeit zu ersparen, sondern vielmehr ihnen für den später p r a k t i s c h zu e r l e r n e n d e n Beruf eine geeignete Vorbild u n g geben, und zwar eine Vorbildung, wie sie unter gleichen Verhältnissen andere Lehranstalten und namentlich die Gymnasien ihnen nicht gewähren können." Es sollten daher die jungen Leute nur ') 8. Lach, Geschichte der Gründung nnd Entwicklung der Anstalt, Berlin 1898.

885 t h e o r e t i s c h v o r g e b i d e t werden, sich selbst aber in der Praxis weiter fortbilden und emporarbeiten. Die Schule wurde mit einer Klasse und 15 Schülern Michaelis 1848 eröffnet; Ostern 1849 kam eine zweite Klasse hinzu, deren Schüler jedoch theilweise mit der ersten gemeinsam unterrichtet worden. Lehrgegenstände waren Rechnen, allgemeine Handelskande, Buchhalten, Korrespondenz und Kontorarbeiten, Waarenkunde, Handelsgeographie und Statistik, allgemeine Handelsgeschichte, Französisch, Englisch, Deutsch, Physik und chemische Technologie, Schreiben, Zeichnen, zusammen wöchentlich 33 in der zweiten und 34 in der ersten Klasse. Vorausgesetzt wurden bei der Aufnahme die Kenntnisse, welche, mit Ausnahme der alten Sprachen, „etwa ein Quartaner eines Gymnasiums besitzt' 1 Anfang der fünfziger Jahre wurde noch eine dritte Klasse gebildet und eine Anzahl neuer Lehrgegenstände, so Religion, Naturgeschichte, Mathematik, Stenographie eingeführt, denen sich in den sechziger Jahren noch Turnen und Gesang anreihten. Der Unterricht wurde in drei Stufen ertheilt, dem die drei Klassen der Anstalt entsprachen. Der ganze Kursus war auf drei Jahre berechnet; da jedoch halbjährige Versetzungen stattfanden, so konnten bei besonders guter Vorboreitung, guten Anlagen und hervorragendem Fleisse einzelne Schüler ausnahmsweise auch in einem halben Jahre jede der beiden unteren Klassen durchmachen. 1856 erhielten die Abiturienten der Schule das Recht zum einjährigfreiwilligen Militärdienst. Die Prüfungs-Kommission sollte fortan bestehen aus 1. einem Kommissarius des Königlichen Schulkollegii der Provinz Brandenburg; 2. einem Mitgliede der städtischen Schuldeputation, welches von derselben dem Schulkollegium der Provinz Brandenburg zu präsentiren war; 3. einem Mitgliede des Vorstandes, welches dem Kaufmannsstand angehörte; 4. dem Direktor; 5. denjenigen Lehrern der Anstalt, welche in der ersten Klasse Unterricht ertheilten. Die von den Schülern geforderten Leistungen wurden in einem besonderen „Prüfungs-Reglement11 festgesetzt,1) nach dem bereits im September 1856 geprüft wurde. Eine wesentliche Aenderung in der Organisation der Schule trat dann erst wieder im Winterhalbjahr 1880/81 ein, wo eine Quarta und Quinta eingerichtet wurden, „weil die Vorkenntnisse der Schüler, die sich bisher zum Eintritt in die unterste Klasse der Handelsschule, Untertertia, gemeldet hatten, so verschieden waren, dass ein gedeihlicher Unterricht so ungleichartig vorgebildeter Elemente in einer Klasse nicht zu erwarten war." Im Jahre 1898 kam noch eine Sexta hinzu. Die im Jahre 1885 mit der Schule verbundene Vorschule ging mit dem Schlüsse des Schuljahres ') Siehe bei L a c h , a. a. 6. S. 12, 13.

886 1900/01 wiederum ein. jetzt wie folgt: 1 )

Der Lehrplan der Anstalt gestaltet sich

Uebereicht des Lehrplans nach Lehrgegenständen and wöchentlichen Standen. Handelsschule

Lehigegenstände Ib Religion Deutsch 11. Geschichtserzählungen . . . Französisch (Korresp. 1 St.) Englisch(Korresp. 1 St.) Geschichte . . . . Erdkunde . . . . Mathematik . . . . Kaufm. Rechnen . . Buchführung . . . Eontorarbeiten . . . Handels- u. Waarenkunde Naturkunde Physik bezw. Chemie Schreiben Zeichnen . Gesang

IIa

IIb

2 |

lila

2

Illb IV. IVb

I 2 I 2

VI

2-

5 5 5 5 (4+1) (4+1) (4+1) (4+l)J(4+l) (4+1) 4 5 5 5 j 4 5 (4+1) (4+1) (4+1) (4+1)! 2 2 2 2 1 i 2 2 2 1 4 4 4 4 3 2 2 2 3 2 9 2 1 1 2

Turnen

31 3 Wahlfreier Unterricht

Zeichnen . Stenographie

. 1

1

1

1

1

1

U e b e r s i e h t über den S c h u l b e s u c h (ohne Berücksichtigung der Vorklassen). Winterhalbjahr 1848/49: 15 Schüler 1849/50: 41 „ 1854/55: 97 „ 1859/60: 195 „ 1864/65: 214 „ 1869/70: 184 „

Winterhalbjahr 1874/75: 239 Schüler 1879/80: 161 „ 1884/85 : 224 „ 1889/90: 175 „ 1894/95 : 258 ., 1901/02 : 406

Die N ö l l e s c h e H a n d e l s s c h u l e zu Osnabrück, auch eine Privatanstalt, ist im Jahre 1838 begründet worden und geniesst seit 1868 ebenfalls die Einjährig-Freiwilligen-Berechtigung. Sie ist in ') Siehe Programm der Schule für 1902, S. 2.

887 drei Klassen gegliedert, deren jede einen einjährigen Kursus mit 32 wöchentlichen Stunden umfasst. Unterrichtsgegenstände sind: deutsche, englische, französische, auf Wunsch auch spanische Sprache, Handelswissenschaften, als Kontorkunde, kaufmännisches Rechnen, einfache und doppelte Buchhaltung. Handelskorrespondenz in deutscher, englischer und französischer Sprache. Wechselrecht, Waarenkünde usw., sodann Mathematik, Naturgeschichte, Physik und Chemie, Geographie und Geschichte, Kalligraphie und Stenographie. Die Aufnahme in die unterste Klasse erfolgt auf Grund einer Prüfung in der deutschen Sprache, dem Rechnen und den Anfangsgründen der Raumlehre, sowie in den Elementen der französischen Sprache. Schüler, welche im Besitze eines Reifezeugnisses für die Tertia einer staatlich anerkannten Anstalt sind, werden ohne Prüfung aufgenommen. Zur Aufnahme in die Sekunda ist die Beibringung eines entsprechend höheren Zeugnisses oder das Bestehen einer hiefür angesetzten Prüfung, namentlich in den Sprachen und der Mathematik erforderlich. Für diejenigen Inländer, welche den Berechtigungsschein schon besitzen oder nicht erwerben wollen, ist die Einrichtung getroffen, dass sie abgesehen von den passenden sprachlichen und naturwissenschaftlichen Lektionen, an den kaufmännischen Stunden aller Klassen theilnehmen und sich so durch einen einjährigen Kursus in geeigneter Weise auf ihren Beruf vorbereiten können. Die Schule ist nach den vom gegenwärtigen Direktor Lindemann veröffentlichten „Geschichtlichen Notizen" seit ihrer Begründung von etwa 5 0 0 0 Schülern besucht worden; die erste Abgangsprüfung mit der Wirkung der Befähigung zum Einjährigen Dienst fand 1870 statt; bis zum Jahre 1901 haben im Ganzen 622 Schüler dieselbe bestanden. Im Schuljahre 1900/01 wurde die Anstalt von 182 Schülern, darunter 27 Ausländern, die der Mehrzahl nach Holländer waren, besucht; im Schuljahre 1901/02 waren 197 Schüler vorhanden, darunter 163 Deutsche und 34 Ausländer, davon 10 aus Holland nebst Kolonien, 7 aus England, 6 aus Skandinavien, 4 aus Frankreich, 3 aus Belgien, 2 aus Bulgarien und 2 aus Südamerika. Die Zahl der Theilnehmer am kaufmännischen Jahreskurse betrug 20. Die Errichtung der schon oben erwähnten „ s t ä d t i s c h e n H a n d e l s s c h u l e " zu K ö l n wurde Ostern 1897 begonnen und mit der Einrichtung der sechsten Klasse zum Beginne des Schuljahres 1900/01 vollendet; damit wurde sie zugleich in das Gesammtverzeichniss der militärberechtigten Anstalten aufgenommen. Sie verfolgt in ähnlicher Weise wie die Berliner Handelsschule im Wesentlichen den Lehrplan der lateinlosen Realschulen, unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse derjenigen jungen Leute, die sich dem kaufmännischen Berufe widmen wollen. Der Lehrplan ist in folgender Weise festgesetzt:

888 Ueberaicht über die einzelnen Lehrgegenstände und die für jeden derselben bestimmte Stundenzahl.

Religion Deutsch und Geschichtserzählungen Französisch Englisch Geschichte Erdkunde Gesetzeskunde Rechnen Algebra Buchführung (wahlfrei) Naturbeschreibung Physik und Technologie Chemie und Warenkunde Schreiben Stenographie Freihandzeichnen

.

V.

3

2

5

. . . .

IV.

III.

II.

I.

2 5 6

2 4 6 5 2 2

2 3 6 4 2 2 1 9 1 2 1

2 3 5 4 2 2 1 2 2 2 2

5

Î}6 Î}6 —







2 —



2 —

5 —















2 2



25 3 2



2





2 —



4 —





3 2

5

2

Zusammen *) Turnen Singen

VL





2





2 2 0 — 2 I1) l1) — 1 1 1 1 1 32') 31 (32)') (33)») 32») 3 3 3 je eil Chor —



2

2 2 2

2 —

2

2

26 3 2

30 3

6')

Auf diese Handelsschule ist noch ein einjähriger Fachkursus, eine Handelsklasse, aufgesetzt, die nach ihrem Programm den Zweck hat, „jungen Leuten, die sich dem Kaufmannsstande widmen wollen, eine genügende Vorbildung zu geben und sie so zu befähigen, aus ihrer Lehrzeit wirklich den Nutzen zu ziehen, den sie daron erhoffen. Sie soll daher die in der Regel hervortretenden, Lehrherren und Lehrlingen gleich empfindlichen Lücken ausfüllen, welche die gewöhnliche Schulbildung in dieser Beziehung gelassen hat". Vorbedingung für die Aufnahme in diese Klasse ist der Besitz des Zeugnisses der wissenschaftlichen Befähigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienste, möge dasselbe auf einer Schule gymnasialen oder realen Charakters erworben sein; einer besonderen Aufnahmeprüfung bedarf es nicht Lehrgegenstände sind: Deutsch (Handelskorrespondenz, Handelslehre, Volkswirtschaftslehre; wöchentlich 4 Stunden), Französische Sprache und Korrespondenz (w. 5 St), Englische Sprache und Korrespondenz (w. 5 St), Handelsgeographie (w. 2 St), Handelsgeschichte (w. 2 St), Waarenkunde (chemische Technologie, w. 2 St), kaufmännisches Rechnen (w. 6 St), Buchführung (w. 2 St.), Physik und mechanische Technologie (w. 2 St), kaufmännische Gesetzes') Für Schüler mit schlechter Handschrift. ') Einschliesslich des wahlfreien Unterrichts. Vom wahlfreien Unterricht wird nur auf schriftliches Ersuchen der Eltern befreit.

889 künde (w. 1 St), Stenographie und Schönschreiben (w. 1 St), Turnen (w. 2 St), zusammen 34 Stunden. Die Schüler mit gymnasialer Vorbildung bilden in Französisch. Englisch. Rechnen, Chemie und Warenkunde eine besondere Abtheilung (II). In ihr werden dieselben Lehrstoffe behandelt und dieselben Uebungen angestellt, wie in Abtheilung I, anfangs jedoch mit denjenigen Erweiterungen oder Beschränkungen, die sich in Folge der anderweiten Torkenntnisse als nothwendig erweisen. Der Schulbesuch betrug im Schulj. 1899/00 in der Handelsschule 255, in der Handelskl. 16 Schüler „ 1900/01 ., 327,,. „ 28 .. „ 1901/02,, „ „ 414... .. „ 30 „ Die Stadt Köln hatte die Absicht, die Handelsklasse durch Hinzufügung von zwei höheren Stufen, der Unter- und Oberprima, zu einer dreiblassigen höheren Handelsschule auszubauen, wobei sie sich der Hoffnung hingab, dass mit der an ihr bestandenen Abiturientenprüfung dieselben Berechtigungen verknüpft sein würden, wie mit der der Oberrealschulen. Die leitenden Gesichtspunkte für diese neue Organisation waren in der Hauptsache f o l g e n d e : 1 . Die Obersekunda schliesst sich organisch an die Mittelklassen an. Sie bleibt, getreu der Gesammtrichtung der Anstalt, entschieden im Kähmen der auch dem Kaufmanne noth wendigen A l l g e m e i n b i l d u n g speziell der amtlichen Lehrpläne der Oberrealschule, will aberdaneben nachMöglichkeitsolchen E l e m e n t e n der k a u f m ä n n i s c h e n Vorbildung Rechnung tragen, die eine wissenschaftliche Vertiefung und eine erzieherische Hebung der Schüler zulassen. 2. Der Lehrplan, und noch mehr der spezielle Unterrichtsbetrieb, sucht auch die Aufnahme von solchen Schülern zu ermöglichen, welche nicht auf der Handelsschule selbst, sondern auf einer Real- bezw. einer Oberrealschule oder einem Realgymnasium vorgebildet sind. Fürs erste können sogar auf einem Gymnasium vorgebildete junge Leute, die sich dem Kaufmannsstande widmen wollen, aufgenommen werden. Aus den letzteren wird — wie bisher bei der Handelsklasse — eine besondere Abtheilung im Englischen, im Französischen, in der Chemie und, soweit möglich, auch im Rechnen gebildet. 3. Um die Tradition der bisherigen „Handelsklasse" zu wahren, streben der Unterrichtsplan und die Stoffvertheilung der Obersekunda im Interesse derjenigen Schüler, welche der schulmässigen Vorbereitung auf den erwählten Beruf nur ein Jahr widmen wollen, einen gewissen Abschluss an, und zwar namentlich in den Lehrgegenständen fachlichen Charakters (Buchführung, Handelslehre bezw. kaufmännische Gesetzeskunde, Volkswirthschaftslehre, chemische und mechanische Technologie, Stenographie, deutsche und fremdsprachliche Handelskorrespondenz). Dies geht jedoch l

) Siehe J a h r e s b e r i c h t für das Schuljahr 1900/01, S. 3.

890 nicht soweit, dass die Aufgabe dieser Klasse im Gesamtorganismus der Unterrichtsanstalt, besonders in ihrem Verhältniss zur folgenden Prima, dadurch beeinträchtigt wird. Die Stadt Köln rechnete bei diesem Plane namentlich darauf, dass die Abiturienten dieser neunstufigeu Handelsmittelschule in erster Linie die dort begründete Handelshochschule besuchen würden. Obwohl sie hienach annahm, dass die voll ausgereiften Zöglinge der höheren Handelsschule sich fast ausschliesslich dem höheren Kaufmanns- oder Fabrikantenstand widmen würden, so wollte sie dennoch die formelle Gleichstellung mit den Abiturienten der Oberrealschule nicht missen, weil sie fürchtete, dass sonst ,,das Prestige" der Schule empfindlich leiden werde. „Da sie im wesentlich denselben Faden spinnt, wie die Oberrealschule, wenn auch eine andere Nummer, so wird sie billigerweise auch als dieser Schulgattung gleichwerthig erachtet werden dürfen.'Die Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten sowie für Handel und Gewerbe, denen der nach vorstehenden Grundsätzen aufgestellte Organisations- und Lehrplan zur Genehmigung vorgelegt wurde, gaben zwar in einem Erlasse vom 2. Dezember 1901 ihrer Ueberzeugung dahin Ausdruck, „dass ein nach solchem Plane ertheilter Unterricht den Bedürfnissen von Schülern, die sich für die Berufsthätigkeit im Handel oder in der Industrie entschieden hätten, erfolgreich dienen würde". Dagegen erschien es ihnen ausgeschlossen, dass so vorbereitete Schüler den Anforderungen genügen könnten, die in der Keifeprüfung für Oberrealschulen gestellt werden. Diese Möglichkeit würde auch durch Abänderungen im Einzelnen, die den vorgelegten Lehrplan dem Normallehrplan für Oberrealschulen äusserlich näher brächten, schwerlich herbeigeführt werden; denn der Unterrichtsstoff in dem wohldurchdachten, einheitlichen Lehrplane sei in allen Fächern so sehr dem besonderen Zwecke der Handelsfachschule angepasst und weiche von den in der Oberrealschule zu behandelnden Lehraufgaben so wesentlich ab, dass die Unterrichts-Verwaltung, um die Schule hinsichtlich der Reifeprüfung den Oberrealschulen gleichstellen zu können, auf so tiefgehenden Aenderungen des Lehrplans bestehen müsste, dass dadurch die Erreichung des von der Schule verfolgten Zieles in Frage gestellt würde. Uebrigens würde die Wohlthat der etwaigen Erlangung eines Zeuguisses der Oberrealschulreife voraussichtlich nur wenigen zu gute kommen, da die oberen Klassen einer Handelsschule doch mit seltenen Ausnahmen nur solche Schüler besuchen würden, die nach Lage ihrer persönlichen Verhältnisse sich auf eine leitende und umfassende Stellung in bedeutenden Handelshäusern oder Fabrikbetrieben vorzubereiten hätten. Unterm 13. Dezember 1901 wurde der ministerielle Bescheid durch das Provinzial-Schulkollegium an das Kuratorium der Handelsschule mit einer Verfügung weitergegeben, worin es seinerseits er-

891 suchte, den in dem aufgestellten Lehrplan eingeschlagenen Weg unbekümmert um Berechtigungen weiter zu verfolgen. Die Stadt Köln würde sich durch ein solches Vorangehen auf neuer Bahn ein grosses Verdienst nicht nur um die Förderung einer höheren Ausbildung des Handelsstandes, sondern auch um die freiere Entwickelung des Schulwesens im ganzen erwerben. Erst durch Schaffung einer „Oberhandelsschule" könnten die Vorlesungen der Kölner Handelshochschule eine ausreichend breite Grundlage gewinnen. Sollte sich wider Erwarten für die in den vorliegenden Plänen vorgezeichnete Einrichtung in den besseren Kreisen von Handel und Industrie noch kein genügendes Verständniss zeigen, so wäre die Umwandlung der drei oberen Klassen in die entsprechenden einer Oberrealschule ohne Opfer zu bewerkstelligen. Die Stadt Köln ist — wenigstens für das Schuljahr 1902/03 — noch nicht diesem Rathschlage gefolgt, sondern hat beschlossen, vorläufig von einer Aenderung der bestehenden Verhältnisse abzusehen, insbesondere die Handelsklasse in ihrer bisherigen Gestalt beizubehalten. Nach den Ausführungen im Jahresbericht für 1901/02 ') besteht aber an den massgebensten Stellen nach wie vor die feste Absicht, den Ausbau baldmöglichst durchzuführen. „Es steht zu hoffen", so heisst es dort, „dass für die Oberstufe eine Form gefunden wird, bei der sowohl diejenigen Schüler, welche eine den Charakter und die Lehrziele der bisherigen sechsklassigen Handels-Realschule folgerichtig weiterführende Oberstufe besuchen und sich in erster Linie auf die Handelshochschule, jedenfalls aber auf den höheren Handelsstand vorbereiten wollen, als auch diejenigen ihre Rechnung finden, die bei der Handelsschule mehr Werth auf ihren Charakter als moderne Realschule legen und darum durch den Besuch der Oberklassen sich weitergehende Berechtigungen erwerben wollen." In derselben nebensächlichen Weise wie in Danzig wird der kaufmännische Fachunterricht an der „ O b e r r e a l - und L a n d w i r t h s c h a f t s s c h u l e zu F l e n s b u r g behandelt Diese letztere Anstalt ist aus der im Jahre 1883 begründeten „Städtischen Handelsschule" hervorgegangen, die aus einer „Vorschule'1 (Sexta bis Quarta) und der eigentlichen „Fachschule" (Tertia bis Prima) bestand, im Allgemeinen aber nach dem Lehrplane der Realschulen arbeitete. Nur waren in Sekunda 4 und in Prima 7 Stunden wöchentlich f ü r Handelswissenschaften und kaufmännisches Rechnen als obligatorische Lehrgegenstände vorgesehen. Bei der Umwandlung der Anstalt in eine Realschule wurde die Anzahl der — nun wahlfrei gewordenen — Unterrichtsstunden in den kaufmännischen Fächern in der Sekunda auf 4, in der Prima auf 5, im Ganzen also auf 9 herabgesetzt und bei dem Ausbau der Realschule zur Oberrealschule ist die Zahl der ') Siehe dort S. 6.

892 Unterrichtsstunden für Handelsfächer auf je 3 in Obertertia und Obersekunda — welche Klassen der Sekunda und Prima der früheren Realschule entsprechen — also im Ganzen auf 6 zusammengeschrumpft. Zudem sind die Schüler, welche am Unterricht in den Handelswissenschaften theilnehmen, vom Linearzeichnen ausgeschlossen. Zur Zeit betheiligt sich etwa der vierte Theil der Schüler der betreffenden Klassen an dem Unterrichte in den Handelsfächern. Eingehendere Berücksichtigung als in Danzig und Flensburg findet der handelswissenschaftliche Unterricht an der Realschule zu AltonaOttensen, wo in den beiden obersten, neben den Realklassen eingerichteten „Handelsklassen" seit Ostern 1900 in deutscher, französischer, englischer und spanischer Handelskorrespondenz, im kaufmännischen Rechnen, in kaufmännischer Algebra, Handelsgeschichte, Handelsgeographie, Gesetzeskunde, in Stenographie und Schreiben unterrichtet wird. Im englischen, französischen und spanischen Unterricht wird ferner besonderes Gewicht auf Gewandtheit im mündlichen Gebrauch dieser Sprachen gelegt. Ueber die Gründe, die für die Einführung dieser Organisation in Altona massgebend gewesen sind, giebt der Jahresbericht für das Schuljahr 1900/01 bemerkenswerthe Aufschlüsse. Es heisst dort:1) In Altona ist das kaufmännische Unterrichtswesen nun zunächst dadurch gefördert worden, dass die städtische Verwaltung am 1. Oktober 1898 eine kaufmännische Fortbildungsschule errichtete. Gleichzeitig beschäftigte sich jedoch das Kuratorium der Reallehranstalten, auf Anregung des hiesigen Königlichen KommerzKollegiums, mit der Frage, in welcher Weise die Realschüler, die sich dem Kaufmannsstande widmen wollen, für diesen Beruf mehr, als es bis jetzt geschehen war, vorbereitet werden könnten. Zu diesem Zwecke neben den beiden Realschulen noch eine Handelsschule zu errichten, wie es in Köln und Frankfurt a/M. geschieht, wurde überhaupt nicht in Erwägung gezogen, da hierzu ein Bedürfniss nicht vorhanden war. Ebenso sah man ab von der Errichtung einer besonderen Handelsklasse für solche Schüler, welche die Reifeprüfung in der Realschule bestanden haben, da man mit Recht befürchtete, dass, wie in anderen Städten, so auch in Altona eine derartige Handelsklasse nur von wenigen Sohülern besucht werden würde. Dazu kam, dass durch den Besuch einer solohen Handelsklasse der Eintritt in das Geschäftsleben um mindestens ein Jahr hinausgeschoben worden wäre, ohne dass dadurch die Ziele einer sogenannten höheren Handelsschule hätten erreicht werden können. In Altona aber eine höhere Handelsschule mit zwei- bis dreijährigem Kursus für Realschulabiturienten einzurichten, konnte nach den Erfahrungen, die man in Köln, Frankfurt a/M. und Aachen in dieser Beziehung gemacht hat, als empfehlenswert nicht betrachtet werden, ganz abgesehen davon, dass die Zöglinge einer solchen höheren Handelsschule zu alt werden, ehe sie zu einer praktischen Thätigkeit kommen. — Um jedoch den nicht an begründeten Klagen über die mangelhafte Vorbildung der Realschüler für den kaufmännischen Beruf abzuhelfen, entsohloes man sich, nioht im A n s c h l u s s an die hiesige Realschule, sondern im ä u s s e r e n R a h m e n derselben handelswissenschaftlicben Unterricht zu ertheilen, soweit dies für die hieeigen Verhaltnisse nöthig ist. Diesen Weg zu beschreiten, lag um so näher, als die hiesige Realschule auf allen Stufen Parallelklassen hat Während nun die Parallel') Siehe dort S. 4 und 5.

893 klassen bis Tertia incl. gleichen Unterricht haben nach Massgabe der neuen allgemeinen Lehrpläne, tritt mit der Sekunda eine Gabelung ein in Realklassen und sogenannte Handelsklassen, d. h. in Realklassen mit handelswissenscbaftlichein Unterricht. Die beiden oberen Realklassen werden namentlich von solchen Schülern besucht, die sich der Industrie und den technischen Fiebern widmen wollen und behufs ihrer weiteren Ausbildung eine technische Hochschule zu besuchen gedenken. Diese Schüler müssen sich ein erhebliches Mass von Kenntnissen in der Mathematik und der Naturlehre aneignen, damit sie dem Unterricht auf der technischen Hochschule folgen können und so befähigt werden, die grossen Veränderungen, welche unsere gesamte äussere Kultur durch die gewaltigen Fortschritte in der Naturerkenntniss erfahren hat und noch taglich erfahrt, nicht nur zu begreifen, sondern auch in dem späteren Beruf daran mitzuwirken. Ausserdem ist Fertigkeit im Zeichnen für diese Schüler von grosser Bedeutung. Der Unterricht in den beiden sogenannten Handelsklassen dagegen verfolgt das ZieL, einerseits den Zöglingen eine allgemeine geistige Bildung zu vermitteln, die der Realschulbildung durchaus gleichwertig ist, und andererseits planmässig und in wissenschaftlichem Zusammenhange die Schüler in den Besitz derjenigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu setzen, die für den kaufmännischen Beruf erforderlich sind. In letzterer Beziehung sind für die hiesige Anstalt selbstverständlich nur die Forderungen massgebend, die der Grogshandel und der überseeische Verkehr Hamburgs an diejenigen jungen Leute stellt, die sich dem kaufmännischen Beruf widmen wollen. Infolgedessen konnte die Lehrverfassung von Handelsschulen, wie sie in Bayern, im Königreich Sachsen und im Rheingebiet bestehen, für die hiesige Anstalt nicht vorbildlich sein, denn der hamburgische Welthandel stellt andere Anforderungen an den kaufmännischen Nachwuchs als der binnenländische Handel, so bedeutend dieser in einzelnen Fällen auch sein mag. Wenn femer in Handelsschulkreisen darüber gestritten wird, wie „die scheinbar widersprechenden Forderungen einer ausreichenden allgemeinen Bildung und einer ausreichenden fachlichen Ausbildung des künftigen Kaufmanns'1 ausgeglichen werden können, so ist dieser Streit für die hiesige Anstalt gegenstandslos, denn die hohe Stellung, die der hanseatische Kaufmann in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung einnimmt, erfordert es unbedingt, dass derselbe mindestens im Besitz einer Allgemeinbildung ist, wie sie in einer Realschule erworben wird. Es kann daher f ü r die Handelsklassen der hiesigen Realschule nur das Pinzip der fadilich gefärbten Allgemeinbildung (Mileu-System) und nicht das Prinzip der Fachbildung (Fach-System) in Anwendung kommen. Mag letzteres System auoh in Süddeutsohland und im Königreich Sachsen massgebend sein, in Norddeutschland kann eine Handelsschule nur Boden gewinnen, die ihren Zöglingen eine abgerundete allgemeine Bildung vermittelt und dieselben gleichzeitig faohlich soweit vorbereitet, dass ihnen beim Eintritt in das kaufmännische Leben die Wege geebnet sind. Auch von erfahrenen Hamburger Orosskaufleuten ist dringend geraten worden, nicht zu grosses Gewicht auf das eigentliche kaufmännische Fachwissen zu legen und namentlich keine kaufmännischen Theorien in den Unterricht hineinzuziehen, denn beides habe nicht viel Zweck, da kaufmännische Tüchtigkeit sich doch nur im praktischen Berufsleben aneignen liesse. Treffend sagt in dieser Beziehung auch Direktor Ziehen: „Ich halte es für eine Entwickelung, die nicht zur Hebung, sondern vielmehr zur Herabdrückung des Kaufmannsstandes beiträgt, wenn die Vorbildung des Kaufmanns allzusehr besonderen Fachschulen anvertraut, von den Vorbildungsanstalten'für andere Berufsarten losgelöst und zu Gunsten der Fachbildung um die allgemein bildenden Elemente verkürzt wird." Wenn nnn in Altona seit Ostern 1900 zunächst in der Sekunda der hiesigen Realschule ein Parallelcötus mit handelswissenschaftlichem Unterricht eingerichtet ist, so ist die Gabelung in Realklassen und Handelsklassen erst mit der Sekunda eingetreten, um die Schüler nicht zu früh zu einer Berufswahl zu veranlassen,

894 zumal dieselben in 2 Jahren sich das erforderliche kaufmännische Fachwissen aneignen können. Gleichzeitig sind jedoch in den beiden Tertien je 2 Stunden für Rechnen und 1 Stunde für Schreiben angesetzt, damit für die Schüler, die später in die Handelssekunda übergehen, keine Unterbrechung in diesen Unterrichtsgegenstanden eintritt. Diese Einrichtung lag um so näher, als es auch für die Realschüler im späteren Leben nur von Nutzen sein kann, wenn sie Fertigkeit im Rechnen und eine gute Handschrift besitzen.

Der Bestand in den Handelsklassen am Anfang des Schuljahres 1901/02 betrug 40 Schüler, wovon 17 auf die untere und 13 auf die obere Klasse entfielen. In Aachen und F r a n k f u r t a. M. sind endlich kaufmännische Fachklassen als Parallelklassen zur Obersekunda und Prima der dort bestehenden Realgymnasien eingerichtet worden. Der überaus schwache Besuch dieser Klassen legt die Vermuthung nahe, dass diese Organisation nicht die richtige ist, weshalb man auch schon in Frankfurt a. M. eine andere Einrichtung des Handelsschulwesens auf breiterer und tieferer Grundlage in Erwägung genommen hat; die darüber mit den zuständigen Behörden eingeleiteten Verhandlungen sind noch im Gange. Auch in Aachen wird man sich wohl oder übel zu einer Aenderung des bisher befolgten Systems entschliessen müssen. Dort sind von Ostern 1893 bis dahin 1897 im ganzen nur 43 Schüler in die Handelsklassen eingetreten; die meisten von ihnen haben die Schule nach einjährigem Besuche wieder verlassen. 1898/99 fanden sich in allen drei Klassen 9, 99/1900 14 und 1900/01 17 Schüler; die Zahl der Abiturienten betrug Ostern 1896: 3, 98: 2, 99: 1, 1900: 2, 1901: 4 und 1902: 2. Die ersten Versuche mit H a n d e l s h o c h s c h u l e n werden in Preussen zur Zeit in A a c h e n , Köln und F r a n k f u r t a. M. gemacht, nachdem Leipzig im Jahre 1898 vorangegangen war.1) Während die Handelshochschule in Aachen unter der Bezeichnung „Handelsw i s s e n s c h a f t l i c h e K u r s e " an die dortige Technische Hochschule angegliedert ist, sind die Anstalten in Köln und Aachen von vornherein als selbständige Einrichtungen begründet worden; die Handelshochschule in F r a n k f u r t a. M. hat die Bezeichnung „Akademie f ü r S o z i a l - und H a n d e l s w i s s e n s c h a f t e n ' 1 erhalten, da sie auf einer Vereinigung zweier ursprünglich getrennter Bestrebungen beruht, deren eine auf die Schaffung einer Handelshochschule, deren andere auf die vermehrte Pflege der Sozial- und Verwaltungswissenschaften gerichtet war. Indem die Akademie sowohl die Pflege der Handelswissenschaften als die der Staats- und Sozialwissenschaften zu ihrer Aufgabe machte, hoffte sie beiden Bestrebungen in wirksamerer Weise zu dienen, als wenn jene Wissenschaften getrennte Stätten der Pflege finden. Sie folgt darin dem Beispiel der Ecole libre des Sciences ') Vgl. über die Handelshochschule zu Leipzig die Denkschrift von R a y d t , Leipzig 1898.

895 Politiques zu Paris und namentlich der London School of Economics and Political Science. Die b a n d e l s w i s s e n s c h a f t l i c h e n K u r s e an d e r T e c h n i s c h e n H o c h s c h u l e zu A a c h e n wurden im Herbst 1898 eröffnet. Für die Aufnahme der Studirenden sollten die Vorschriften des Verfassungsstatuts der technischen Hochschule massgebend seilt. Bei der Aufstellung des Lehrplans war davon ausgegangen, dass einmal solche Personen auszubilden seien, die sich in r e i n e o H a n d e l s u n t e r n e h m u n g e n bethätigen wollen, und sodann solche, die zur Leitung g e w e r b l i c h e r U n t e r n e h m u n g e n berufen sind. Der Lehrplan sah deshalb von vorherein eine kaufmännische und eine kaufmännisch-technische Richtung vor, wobei zwischen „gemeinsamen" und für jede Richtung „besonderen" Fächern unterschieden wurde. G e m e i n s a m e Lehrfächer sollten sein: Nationalökonomie, volkswirtschaftliche Uebungen, soziale Gesetzgebung, encyklopädische Chemie (Experimental-Chemie für Architekten, Bau- und MaschinenIngenieure), Waarenkunde, Buchhaltung, Bilanzirungskunde und deutsche Korrespondenz, Yersicherungs - Mathematik und kaufmännisches Rechnen, Handels- und Zollpolitik, Grundzüge der Finanzwissenschaft. Handelsrecht, Rechts-Encyklopädie nebst Grundzügen des Civil- und Staatsrechts, Gewerberecht, Telegraphie und Fernsprechwesen. Geschichte der Nationalökonomie, Grundzüge des Eisenbahnbetriebes, Kunst und Kunsthandwerk in ihrer Anwendung auf den kaufmännischen Betrieb, fremde Sprachen, Stenographie. Als b e s o n d e r e Lehrfächer für die k a u f m ä n n i s c h - t e c h n i s c h e Richtung waren vorgesehen: Baukonstruktion, mechanische Technologie, Fabrikanlagen und Arbeitsmaschinen, encyklopädische Maschinenlehre, technische Chemie, Experimental-Physik und Gewerbehygiene. Bes o n d e r e Lehrfächer der k a u f m ä n n i s c h e n Richtung waren: Buchhaltung, allgemeineWirtschaftsgeographie,handelsrechtlicheüebungen. Wechselrecht,Versicherungsrecht. Statistik, Stempelsteuergesetzgebung spezielle Wirtschaftsgeographie, Bank- und Börsen wesen, Konkursrecht internationale Münz-, Maass- und Gewichtskunde. — Der ganze Lehrstoff war auf zwei Jahre vertheilt. Die Vorträge sollten theils von den an der technischen Hochschule schon vorhandenen, theils von neuen Lehrkräften übernommen werden. Den Absolventen der Kurse wurde im Jahre 1900 das Recht eingeräumt, sich einer Diplomprüfung zu unterziehen. Die Aufsicht über die Kurse erhielt ein Kuratorium, bestehend aus dem Rektor der technischen Hochschule, 3 Dozenten der liandelswissenschaftlichen Kurse und 3 Industriellen. Das Kuratoriuni hat insbesondere den Lehr- und Vorlesungsplan, den Etat und die Vorschläge über die bei den Lehrkursen zu verwendenden Lehrkräfte dem Handels- und Kultusminister. denen die Oberaufsicht über die Einrichtung vorbehalten ist, alljährlich zur Genehmigung einzureichen. Die Ausgaben der

896 Kurse waren im Etat für 1901 auf 17612 Mark veranschlagt, wovon entfielen auf Remunerationen der Professoren 14300 M., Remunerationen der Beamten 480 M., Antheile der Dozenten am Eollegienhonorar ( 1 / 4 nach Abzug von 2 % für die Beamten) 574 M„ Amtsbedürfnisse etc. 800 M., Diplomprüfungsgebühren 60 M., Lehrmittel und Sammlungen 950 M., und unvorhergesehene Ausgaben 448 M. An Einnahmen waren eingestellt: Einschreibegebühren 175 M.; Zuschüsse des Aachener Vereins zur Beförderung der Arbeitsamkeit 10000 M., der Aachener Handelskammer 4000 U. und der Aachener und Münchener Feuerversicherungsgesellschaft 1000 M., Gebühren für die Anfertigung von Abgangszeugnissen 12 M., Diplomprüfungsgebühren 60 M. und verschiedene Einnahmen 40 M., zusammen, wie die Ausgabe, 17612 Mark. Schon im Jahre 1901 wurde eine Aenderung des Lehrplans nothwendig. Die gegen ihn aufgetauchten und vom Kuratorium auch als berechtigt anerkannten Bedenken betrafen hauptsächlich die bisherige Behandlung der rein kaufmännischen Fächer. „Wollen wir in der That unserer Aufgabe, die Leiter grosser kaufmännischer Betriebe auszubilden, gerecht werden", so hiess es in der darüber ausgearbeiteten Denkschrift, „so ist vor allem erforderlich, den kaufmännischen Betrieb in seinen Hauptzügen in wissenschaftlich - systematischer Weise zu behandeln. Wir lehren zwar Buchführung, kaufmännisches Rechnen und Korrespondenz. Das sind ohne Zweifel ausserordentlich wichtige Wissenszweige; aber dadurch wird doch keine systematische Einsicht in den Zusammenhang des kaufmännischen Betriebs gegeben, wie sie allein für eine akademische Bildung in Betracht kommen kann. Dabei ist doch ferner zu bedenken, dass in grösseren Betrieben Buchführung, Korrespondenz u. s. w. untergeordneten Organen zugewiesen sind, während dem eigentlichen Betriebsleiter ganz andere Aufgaben gestellt werden. Unserem Programm gemäss sollen wir aber m e h r als Buchhalter und Korrespondenten ausbilden. Das Ziel unserer Hochschulbildung ist es eben, l e i t e n d e Persönlichkeiten für kaufmännische Betriebe auszubilden und deshalb müssen wir auch das G a n z e des kaufmännischen Betriebs, nicht nur seine einzelnen Thätigkeiten, erfassen und darstellen. Wir fassen den kaufmännischen Betrieb als Einheit vom p r i v a t w i r t h s c h a f t l i c h e n Standpunkt aus in's Auge und müssen die in ihm entfaltete spezifisch kaufmännische Thätigkeit systematisch untersuchen. Die wirtschaftlichen Vorgänge, soweit sie im kaufmännischen Betrieb sich abspielen, kommen hier um dieser ihrer Bedeutung und Beziehung willen zur Darstellung. Die volkswirtschaftlichen Vorlesungen können und dürfen dies nicht geben; denn es kann nicht Aufgabe der volkswirtschaftlichen Vorlesungen sein, diese privatwirthschaftlichen Grundsätze um ihrer selbst willen zur Darstellung zu bringen. Sowohl für die allgemeine Vorlesung über

897 Nationalökonomie, als auch für die spezielle Vorlesung über Handel und Handelspolitik kommt der Handel nur unter dem Gesichtspunkt seiner volkswirthschaftlichen Bedeutung in Betracht. Seine Stellung in der Volkswirtschaft und zu anderen Erwerbsthätigkeiten wird hier untersucht, um die grossen volkswirthschaftlichen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge zu ergründen und darzustellen. Jene engere Begrenzung des Gesichtspunkts der Privatwirthschaft (d. h. auf den einzelnen Betrieb als Einheit) ist aber in diesen Vorlesungen nicht zu behandeln. Es muss deshalb eine zusammenfassende Encyklopädie der wirthschaftlichen und spezifisch-handelstechnischen Vorgänge gegeben werden, die den privatwirthschaftlichen Standpunkt einnimmt, und damit das kaufmännische Wirken um s e i n e r s e l b s t w i l l e n , im G e g e n s a t z zu s e i n e r v o l k s w i r t h s c h a f t l i c h e n B e d e u t u n g , in's Auge fasst; das kann aber nur geschehen durch die Einstellung einer V o r l e s u n g ü b e r die G r u n d z ü g e der k a u f m ä n n i s c h e n B e t r i e b s l e h r e . Diese allein wird für die so mannigfaltigen und den verschiedensten anderen Wissens- und Wissenschaftszweigen entlehnten Stoffe der anderen Vorlesungen eine gemeinsame Basis abgeben. Nur aus ihr wird die zusammenfassende Orientirung für den Studirenden sich ergeben. Durch sie allein kann er den Ueberblick über die ungezählten Einzelheiten der Spezialgebiete erhalten und ihren Zusammenhang gerade mit seinen Lebens- und Bildungszwecken systematisch-wissenschaftlich erfassen. Es handelt sich also hier um die Einführung eines grundlegend wichtigen, bisher nicht oder doch nicht seiner Wichtigkeit entsprechend behandelten Lehrgegenstandes. Dass es sich dabei um die Schaffung oder doch wenigstens um die Neubelebung einer bisher nicht wissenschaftlich behandelten Disziplin handelt, kann von ihrer Einfügung in den Lehrplan um so weniger abhalten, als es sich ja bei der Einrichtung der handelswissenschaftlichen Kurse überhaupt um eine Neuerung handelt. Freilich ist nicht zu verkennen, dass diese Schwierigkeiten dieses neuen Faches nicht geringe sind. 1 ) Die D i s p o s i t i o n d i e s e r V o r l e s u n g war in etwa folgender Weise gedacht: I. A l l g e m e i n e r Theil. E i n l e i t u n g . Die privatwirthschaftliclie Seite der wirthschaftlichen Vorgänge im Gegensätze zur volkswirthschaftlichen: Grundbegriff der Rentabilität. — Begriff der kaufmännischen Thätigkeit im besonderen; Zweck der letzteren: Erzielung eines möglichst hohen Unternehmergewinnes. Verfolgung eines Zweckes im k a u f m ä n n i s c h e n G e s c h ä f t d. h. der planmässig geordneten Thätigkeit des Kaufmanns. Begriff der kaufmännischen Spekulation u. s. w. 1. E r r i c h t u n g des G e s c h ä f t s . Verschiedene Arten der Unternehmungen je nach dem Inhaber: Einzelperson, Gesellschaft u. s. w., für eigene und fremde Rechnung; Neugriindung, Uebernahme, Umwandlung, Kapitalbeschaffung, Voranschlag u. s. w. Auflösung, Uebertragung des Geschäfts; besonderer Hinweis auf die Verkehrssitten, Usancen. 2. E i n r i c h t u n g und F ü h r u n g des G e s c h ä f t s : Aeussere Einrichtung, Geschäftsräume u. s. w.; innere Einrichtung, Organisation, Haupt- und Zweiggeschäfte, Geschäftspersonal, ArbeitstTieilung und -vertheilung, Kontorarbeiten; kaufmännisches Rechnen; Kalkulation, Buchführung, Bilanz u. s. w. S i m o n , Die Fachbildung des Preussischen Gewerbe- und Handelsstandes.

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898 Aus dieser Grundauffassung heraus, wonach als Hauptzweck der Korse angesehen wurde, P r a k t i k e r für die P r a x i s , und zwar leitende and führende Praktiker auszubilden, erschien ferner die bisherige Zweitheilung des Lehrplans in eine allgemein-kaufmännische und eine kaufmännisch-technische Sichtung, nicht mehr haltbar. ,,Zwar ist es für den künftigen Leiter einer Fabrikunternehmung von grossem Werth, einen Einblick in die technischen Wissenschaften zu erhalten. Und auch der Kaufmann, der ein nur auf Vertrieb der Waaren gerichtetes Geschäft leiten soll, wird mit Nutzen sich ein gewisses Mass technischer Kenntnisse erwerben können. Aber in beiden Fällen kann es sich doch nur um ein Yerständni6s, um einen allgemeinen Einblick in das Wesen der Technik handeln. Denn ein Eindringen in Einzelheiten der technischen Vorgänge, eine selbständige Arbeit auf technischem Gebiet kann der Kaufmann nicht erstreben wollen, und die Voraussetzungen dazu könnten ihm im Lauf der kurzen Frist eines zweijährigen Handelskursus auch gar nicht vermittelt werden. Wie der Leiter eines grösseren Etablissements für dessen kaufmännische Leitung besser gebildete kaufmännische Hilfskräfte in seinen Buchhaltern, Korrespondenten u. s. w. besitzt, so kann er für die eigentlich technischen Arbeiten der geschulten Hilfskräfte der Betriebsingenieure, Konstrukteure u. s. w. nicht entbehren. Er bedarf nur desjenigen Masses von Verständniss für die Technik, dass er deren Arbeit anleiten, aber nicht selbst eventuell leisten kann. Diesen für den Kaufmann notwendigen Einblick in die technischen Wissenschaften kann der Studierende sich durch die Theilnahme an den entsprechenden Vorlesungen der Technischen Hochschule sehr wohl verschaffen." Daraus wurde dann eine wesentliche Einschränkung des Lehrplans nach der Seite der naturwissenschaftlichen Fächer und der technischen Vorlesungen gefolgert Unter Berücksichtigung dieser den Bedürfnissen der Leiter von Grossbetrieben und Grosshandelsgeschäften mehr Rechnung tragenden Erwägungen, wurde der folgende von den zuständigen Ministerien genehmigte Lehrplan eingeführt: Korrespondenz, Télégraphié, Telephonie u. s. w. 3. E i g e n t l i c h e G e s c h ä f t s t h ä t i g k e i t : Gewinnung der Kundschaft, .Reklame, Unlauterer Wettbewerb u. s. w.; Auskünfte, Geschäftsoperationen, Kauf, Verkauf, Börsen, Lieferungsgeschäfte, Bezug und Versandt, Versicherung, Verzollung; Zahlung, Postanweisung, Check, Wechsel u. s. w. II. B e s o n d e r e r T h e i l . Uebersicht über die wichtigsten Arten der Grossbetriebe. 1. F a b r i k g e s c h ä f t e der Hauptbranchen (mit besonderer Berücksichtigung der Bezug8wei8e der Rohstoffe und der Absatzweisen der Fabrikate) ; 2. R e i n e H a n d e l s g e s c h ä f t e : a) Warengeschäfte mit Bezug auf die wichtigsten Rohstoffe und Fabrikate, Import, Export, auch mit Rücksicht auf die verschiedenen Länder, z. B. das ostasiatische, südamerikanische Geschäfte, b) Bank- und Effektengeschäft; c) Buchhandel; d) Versicherungsgeschäft. 3. T r a n s p o r t - und S p e d i t i o n s g e s c h ä f t (zu Land und zu Wasser).

899 I. V o r t r ä g e a l l g e m e i n w i r t h s c h a f t l i c h e n u n d j u r i s t i s c h e n I n h a l t s : 1. Darstellung der wirtschaftlichen Vorgänge im allgemeinen und Entwickelung ihrer ursächlichen Zusammenhänge: a) Volkswirtschaftslehre; b) speziell: volkswirtschaftliche Bedeutung des Handels, der Handelspolitik, des Geld-, Bank- und Börsenwesens. 2. Beschreibung der gegenwärtig bestehenden Volkswirtschaften, ihrer Beziehungen zu einander, Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs der wirtschaftlichen Verhältnisse mit Geographie etc.: Statistik, Wirtschaftsgeographie. 3. Geschichte der wirtschaftlichen Kultur unter besonderer Berücksichtigung der neuesten Zeit: Wirtschaftsgeschichte. 4. Die Rechtsgrundlagen des wirtschaftlichen Lebens: a) im allgemeinen: Rechtsencvklopädie, Civilrechtspflege; b) mit spezieller Berücksichtigung des Handels: Handelsrecht und Wechselrecht, Sozialgesetzgebung, Versicherungsrecht; Gewerberecht: 1. Recht der Gewerbeordnung (Gewerbepolizeirecht). 2. Marken- etc. Schutzrecht, Unlauterer Wettbewerb, gewerbliches Steuerrecht. II. Die p r i v a t w i r t h s c h a f t l i c h e S e i t e der w i r t s c h a f t l i c h e n V o r g ä n g e , soweit die kaufmännische Thätigkeit dabei in Betracht kommt: Grundzüge der kaufmännischen Betrieslehre. III. Die t e c h n i s c h e S e i t e der w i r t s c h a f t l i c h e n V o r g ä n g e , soweit deren Kenntniss für die kaufmännische Bildung n ö t i g ist: 1. Die Produktion: a) Die Waare: Waarenkunde (Rohstoffe); b) die Waare: mechanische und chemische Technologie {Fabrikation und Fabrikate); 2. Der Verkehr: Die wichtigsten Verkehrsmittel der Gegenwart. IV. V o r l e s u n g e n u n d U e b u n g e n z u r E i n f ü h r u n g in d i e k a u f m ä n n i s c h e P r a x i s : 1. Kaufmännische Fertigkeiten: Korrespondenz und Kontorarbeiten; Buchhaltung und Bilanzirungskunde; Münz-, Mass- und Gewiclitskunde; Stenographie. 2. Kaufmännisches Rechnen; Versicherungsmathematik; 3. Sprachunterricht. Die Vorlesungen und Uebungen zu I sollen als allgemeine G r u n d l a g e der eigentlichen Hochschulbildung a l l e n Studirenden (Praktikern, künftigen Handelskammersekretären, Konsuln, Handelsschullehrern u. s. w.) empfohlen werden; die zu II, III und IV dienen zur Einführung in die speziellen, dem Kaufmann eigentümlichen Berufskenntnisse und werden nach Neigung und Bedürfniss belegt. Die H a n d e l s h o c h s c h u l e in Köln verdankt ihre Entstehung einer Stiftung des Geheimen Ivommerzienraths Dr. von Mevissen daselbst, der schon im Jahre 1879 der Stadt Köln eine Summe von 200000 Mark überwies, deren Zinsen so lange zum Kapital geschlagen werden sollten, bis sie auf eine Million angewachsen sei. Die Erträgnisse dieses Kapitals sollten für eine in Köln zu errichtende Handelshochschule verwandt werden. Als im Jahre 1894 vom Landesdirektor der Rheinprovinz den rheinischen Städten die Frage 57*

900 vorgelegt wurde, ob die Errichtung einer Handelshochschule für die Bheinprovinz für nöthig erachtet werde, eventuell mit welchen Mitteln und an welchem Orte sie zu errichten sei, sprach sich die Stadt Köln auf Grund eines Gutachtens der dortigen Handelskammer für ihre Errichtung aus und erklärte sich auch bereit, an den Kosten theilzunehmen, falls die Hochschule in Köln errichtet werde und Staat und Provinz einen Theil der Ausgaben übernehmen wollten. Der Rheinische Provinzial-Landtag lehnte jedoch seine Mitwirkung an der Angelegenheit ab und beschloss, ihre weitere Förderung lediglich den Interessenten zu überlassen. Trotz dieses Misserfolges liess man in Köln die Sache nicht ruhen. Auf Anregung und unter Führung der Handelskammer trat ein Ausschuss von hervorragenden Männern der Stadt zusammen, welcher die Einrichtung von wissenschaftlichen Vorträgen beschloss, um auf diese Weise den kaufmännischen Kreisen Gelegenheit zu weiterer wissenschaftlicher Ausbildung zu geben und damit zugleich einen Uebergang zur Errichtung einer Handelshochschule zu schaffen. Als dann im Jahre 1896 der „Deutsche Verband für das kaufmännische Unterrichts wesen'; die Frage der Handelshochschule erneut und nachdrücklich in Anregung brachte,1) als in Folge dessen Ostern 1898 die Handelshochschule zu Leipzig und im Herbst desselben Jahres eine gleiche Anstalt in Anlehnung an die technische Hochschule zu Aachen begründet wurde, begann man auch in Köln die Verwirklichung des der Mevissen'schen Stiftung zu Grunde gelegten Gedankens wieder aufzunehmen. Nachdem Mevissen das Stiftungskapital durch letztwillige Verfügung um 300000 Mark erhöht und dieses mit den Zinsen auf 740000 Mark angewachsen war, beschloss die Stadt Köln unterm 12. Juli 1900, zu Ostern 1901 eine Handelshochschule zu errichten und zur Erhöhung der Stiftung von Mevissen auf eine Million Mark den fehlenden Betrag von rund 260 000 Mark aus den Ueberschüssen der Stadtkasse zu bewilligen. Sie nahm ferner das Anerbieten der Kölner Handelskammer an, nach welchem sich diese bereit erklärte, für ein in Verbindung mit der Handelshochschule zu errichtendes öffentliches Handelsmuseum (Sammlung von Waarenproben u. s. w.) einen jährlichen Beitrag von 10000 Mark zunächst für die 5 Jahre 1901 bis 1905 zur Verfügung zu stellen, sie genehmigte den für das Etatsjahr 1901 aufgestellten Etat in Ein-

') E h r e n b e r g , Handelshochschulen, in den Veröffentlichungendes Deutschen Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen, Bd. 3 und 4, Braunschweig 1897; S t e n o g r a p h i s c h e r B e r i c h t über den zweiten K o n g r e s s des Deutschen Verbandes für das kaufmännische Dnterrichtswesen am 11. und 12. Juni 1897, Veröffentlichungen, 1897, Bd. VI; B ö h m e r t , Handelshochschulen, Dresden 1897; Apt, Die Errichtung einer Handelshochschule in Berlin, Berlin 1900; Zur Frage der Errichtung einer Handelshochschule in Hannover, Herausgegeben von der Handelskammer, Hannover 1900.

901 nähme und Ausgabe mit 9 2 9 0 0 Mark 1 ) und bewilligte einen Kredit von 5 0 0 0 Mark für die nöthigen Vorbereitungen Die letzteren verliefen so rasch und glatt, dass schon am 23. April 1 9 0 1 mit den Vorlesungen begonnen werden konnte, die von sieben Dozenten im Hauptamte, zehn Dozenten der Bonner Universität und dreizehn erfahrenen Praktikern (Rechtsanwälten pp.) im Nebenamte übernommen waren. Nach der vom Handels- und Kultusminister genehmigten „Ordnung der Handelshochschule" ist es der Zweck der Handelshochschule 1. erwachsenen jungen Leuten, welche sich dem kaufmännischen Berufe widmen, eine vertiefte allgemeine und kaufmännische Bildung zu vermitteln, 2. angehenden Handelsschullehrern Gelegenheit zur Erlangung der erforderlichen theoretischen und praktischen Fachbildung zu geben. 3. jüngeren Verwaltungs- und Konsularbeamten. sowie Handelskammersekretären und dergleichen Gelegenheit zur Erwerbung kaufmännischer Fachkenntnisse zu bieten, 4. praktischen Kaufleuten und Angehörigen verwandter Berufe die Möglichkeit zu gewähren, 6ich in einzelnen Zweigen des kaufmännischen Wissens weiter auszubilden. Als Studirende können immatrikulirt werden: 1. Abiturienten der höheren neunjährigen Lehranstalten und solcher Handelsschulen, deren oberste Klasse der Oberprima der vorgenannten Anstalten entspricht; 2. Kaufleute, welche die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienst erworben und die Lehrzeit beendet haben; 3. Ausländer, deren Vorbildung der ImmatrikulationsAusschuss für genügend erachtet. Seminaristisch gebildete Lehrer, welche die zweite Prüfung bestanden haben, werden in das Seminar aufgenommen. Ausser den Studirenden können Hospitanten an allen und Hörer an den öffentlichen Vorlesungen theilnehmen. Die Verwaltung der Schule ist einem Kuratorium übertragen, das aus dem Oberbürgermeister oder dessen Stellvertreter als Vorsitzenden; einem von dem Minister für Handel und Gewerbe im Einvernehmen mit dem Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten zu ernennenden Vertreter der Staatsregierung, dem Studiendirektor, drei Stadtverordneten, drei Lehrern der Hochschule und zwei Mitgliedern der Kölner Handelskammer besteht. Der Frau von Mevissen ist in Anerkennung der Verdienste, welche sie und ihr verstorbener Gemahl sich um die Errichtung der Handelshochschule erworben haben, das Recht eingeräumt, einen Vertreter

Von dieser Summe solten entfallen auf: Besoldungen, einschl. "Wohnungsgeldznsehuss, 5 2 7 1 9 Mark, Unterrichtsmittel 3 0 0 0 0 Mark, Heizung und Beleuchtung 3 5 0 0 Mark, Insgemein 6681 Mark. Diesen Alisgaben standen an Einnahmen gegenüber: Zinsen und Pachtgelder aus der Mevissen'schen Stiftung 4 0 0 0 0 Mark, Kollegiengelder u. s. w. 2 4 9 0 0 Mark, Zuschüsse der Stadt 1 8 0 0 0 Mark und der Handelskammer 1 0 0 0 0 Mark.

902 in das Kuratorium zu entsenden. Der Studiendirektor und die Lehrer werden auf Vorschlag des Kuratoriums und nach Anhörung der Stadtverordneten-Versammlung von dem Oberbürgermeister ernannt; für die Anstellung der an der Hochschale hauptamtlich wirkenden Lehrer ist die Zustimmung des Ministers für Handel und Gewerbe erforderlich. Ueber die Zulassung von Privatdozenten entscheidet das Kuratorium. Die Dauer des Studiums ist auf 4 Semester festgestellt Der Lehrplan umfasst für alle 4 Semester Handelslehre, Waarenkunde, chemische nnd mechanische Technologie, kaufmännisches Rechnen, Buchführung, Korrespondenz und Sprachübungen in den fremden Sprachen; ferner für das erste Semester allgemeine Volkswirtschaftslehre, Handelsgeographie der außereuropäischen Länder, bürgerliches Recht, I. Theil, Kolonialpolitik; für das II. Semester Handelsgeschichte bis 1800, bürgerliches Recht, H. Theil, Tarif- und Transportwesen; für das 1IL Semester Agrarund Gewerbepolitik, Handelsgeographie Europas (einschl. Statistik), Handels-, Wechsel- und Seerecht, Gewerbe- und soziale Gesetzgebung; für das IV. Semester Finanzwissenschaft, Handelsgeschichte des 19. Jahrhunderts, internationales Privatrecht, Staats- und Verwaltungsrecht, Bank, Börsen-, Geld- und Kreditwesen. Hierzu kommen in allen Semestern Repetitionen im Anschluss an die Vorlesungen, praktische kaufmännische Arbeiten und für die Theilnehmer an den Seminarübungen pädagogische Vorträge und Besprechungen mit besonderer Berücksichtigung der Handelsschulen, schriftliche Ausarbeitungen, Disputier-Abende, Hospitiren in dem Unterricht der Handelsschule und Lehrproben. Ueber die bei diesen Vorlesungen und Uebungen einzuschlagende Richtung und zu verfolgenden Ziele heisst es in der Einleitung zu einer Schrift des gegenwärtigen Studiendirektors, Professors Dr. Schumacher, über die Hochschule:1) „Leipzig hat das Verdienst, die erste Handels-Hochschule in Deutschland begründet zu haben. Die Leipziger Handelskammer ergriff dazu im Jahre 1896 die Initiative. Es wurde angehenden Kaufleuten unter gewissen Voraussetzungen das Recht eingeräumt, an einer grossen Reihe von Vorlesungen, die in der juristischen und philosophischen Fakultät der Universität gelesen wurden, als Hörer theilzunehmen, und diese Universitätsvorlesungen wurden dadurch ergänzt, dass in den Räumen der bereits seit Jahren bestehenden Handelsschule von den Lehrkräften dieser Anstalt Uebungen in den besonderen kaufmännischen Fertigkeiten abgehalten werden. Aehnlich wie diese Leipziger Handels-Hochschule, die bereits in ihren ersten vier Semestern mehr als 400 Studirende immatrikulirt hat, ist der „Kursus für Handelswissenschaften", der ') „Die s t ä d t i s c h e H a n d e l s - H o c h s c h u l e in Köln", Berlin 1001.

903 kurz darauf an der Technischen Hochschule in Aachen eingerichtet wurde. Von diesen verdienstvollen beiden älteren Unternehmungen unterscheidet sich die in Köln in's Leben gerufene Hochschule dadurch, dass sie nicht einer älteren, anderen Zwecken dienenden Lehranstalt angegliedert ist Frei und selbständig steht sie da. Sie hat es daher, so sehr auch die nahe Bonner Universität mit Rath und thatkräftiger Unterstützung ihr znr Seite steht, nicht so leicht, eine Stellung sich zu erwerben, wie wenn sie an der sicher führenden Hand erfahrener und bewährter älterer Geschwister in's Leben hinausträte. Dafür ist sie aber auch nicht gehindert, den besonderen Zweck einer Handels-Hochschule möglichst klar und scharf herauszuarbeiten. Keine Vorlesungen sollen daher an ihr gelesen werden, die zugleich oder gar überwiegend oder gar ausschliesslich auf den angehenden Techniker oder Juristen oder Lehrer und Gelehrten berechnet sind. Eine jede Vorlesung — mit Ausnahme weniger öffentlicher Vorlesungen, die an ein weiteres Publikum sich wenden — soll ausschliesslich den Bedürfnissen des Kaufmanns angepasst werden. Oft wird daher über das an anderen Hochschulen übliche Mass hinausgegriffen, oft dahinter zurückgeblieben. So sollen die auf Handel und Verkehr sich beziehenden Theile der Volkswirtschaftslehre in einer Ausdehnung hier behandelt werden, wie es an einer deutschen Hochschule bisher noch nicht geschehen ist; so soll ferner beispielsweise das Recht der kaufmännischen Gesellschaften, sowie Seerecht, Gewerberecht, Versicherungsrecht, Patentrecht, Markenschutz u. s. w. besonders eingehend hier gepflegt werden. Umgekehrt bleiben andere Vorlesungen natürlich weit zurück hinter dem, was auf anderen Hochschulen erstrebt werden muss; es soll nur das Verständniss geweckt werden für juristische und technische Fragen, nicht sollen Juristen und Techniker herangebildet werden. Wie man so an der Handelshochschule in Köln bestrebt ist, den ganzen Lehrplan und jede einzelne Vorlesung dem besonderen Zweck der neuen Hochschule, in dem die Berechtigung ihrer gesonderten Existenz allein wurzelt, möglichst anzupassen, so strebt man andererseits nach einer Verbindung von Theorie und Praxis. Erfahrene Richter und Rechtsanwälte haben einen grossen Theil des Rechtsunterrichtes übernommen; ein Eisenbahnfachmann wird über Verkehrswesen, ein Gewerbe-Inspektor aus dem Gebiete seiner Erfahrungen, voraussichtlich ein höherer Zollbeamter über die Zolltechnik und möglichst ein Bankbeamter über Bankwesen, sowie ein Versicherungsbeamter über Versicherungswesen Vorträge halten. Dem gleichen Zweck dienen geplante Ausflüge in's rheinischwestfälische Industriegebiet Auf diese doppelte Weise soll es vermieden werden, dass der junge Kaufmann einen f ü r s praktische Leben nutzlosen Ballast an Wissen sich erwirbt Nur ein Wissen

904 soll ihm geboten werden, welches das Können nicht lähmt, sondern das Können noch steigert" 1 ) Im ersten Halbjahr betrug die Zahl der immatrikulirten Studenten 6 8 (davon 16 aus Köln, 51 aus dem übrigen Deutschland, 1 aus Oesterreich), die der Hospitanten 44, der Seminaristen 18 und die der Hörer 629, die Gesammtzahl aller Theilnehmer also 759. Die „ A k a d e m i e für S o z i a l - u n d H a n d e l s w i s s e n s c h a f t e n " zu F r a n k f u r t am Main steckt, wie schon oben angedeutet, ihre Ziele weiter als die Handelshochschulen in Leipzig, Aachen und Köln. 2 ) Sie will nicht nur eine Handelshochschule sein für den Kaufmann und Gewerbetreibenden, sie will nicht nur den Gelehrtenund Beamtenkreisen eine ergänzende kaufmännische, volkswirtschaftliche und staatswirtschaftliche Bildung ermöglichen, sondern namentlich auch das S t u d i u m d e r s o z i a l e n V e r h ä l t n i s s e , v o r A l l e m d e r A r b e i t e r f r a g e n , in den Bereich ihrer Wirksamkeit ') Auch auf die Rede S c h u h m a c h e r ' s bei der Eröffnungsfeier am 1. Mai 1901 sei hier hingewiesen. Unter Anderem führte er darin aus: ,.Deutschland liefert unzweifelhaft von allen Ländern die besten H a n d e l s a n g e s t e l l t e n und leider auch fast allen Ländern. Das ist ein Vorzug etwas fraglicher Art. Jedenfalls dürfen wir uns nicht mit ihm begnügen. Jedenfalls müssen wir danach streben, zu freierer selbständiger Entfaltung die Kräfte anzuspornen, den Drang zu wecken, die Fähigkeit heranzubilden, früh die Ziele sich zu stecken, dass später die Kraft nicht versagt, sich herauszuarbeiten aus untergeordneten dienenden Stellungen, wo manche entsagungsvolle deutsche Arbeit noch dazu unseren Konkurrenten zu Gute kommt. Das ist eine Hauptaufgabe unserer Hochschule. Ihre Eigenart liegt nicht darin, das Erklimmen der untersten Stufen kaufmännischer Thätigkeit zu erleichtern. Nie kann eine Hochschule ihren Hauptzweck darin erblicken, die Zeit des Lernens zu verkürzen. Weiter ist ihr Ziel gesteckt. Wie jede andere Hochschule, so will auch die neue Handelshochschule in Köln das ganze Leben ihrer Schüler beeinflussen. Sie will es vor allem verhindern, dass im Leben des Kaufmanns so früh ein todter Punkt erreicht wird, über den hinauszukommen die Kraft der nöthigen Schulung entbehrt. Daher liegt aber auch nicht das Schwergewicht der Handelshochschule in den kaufmännisch technischen Fächern, wie Buchführung und Korrespondenz. Dieses mehr Handwerksmässige im Handel soll zwar nicht vernachlässigt werden; es lässt sich jedoch auch anderswo erlernen; es ist bei uns mehr zweckmässiges Beiwerk, als bestimmend für die Eigenart unserer Anstalt. Auch denken wir nicht daran, bisher praktisch erworbene Kenntnisse durch theoretische vollständig zu ersetzen. Die Handels-Hochschule giebt sich nicht dem Wahn hin, sie könne lehren, wie man Geld verdiene. W i r wissen vielmehr, dass das, was man „geschäftlichen Blick" nennt, sich nicht lehren lässt; und keine Hochschule kann einen fertigen „Disponenten" erziehen. Wohl aber kann sie denen, die an sich die Fähigkeiten zum Kaufmann haben, dazu verhelfen, diese Fähigkeiten leichter, vollständiger, vielseitiger zu entwickeln und auszunutzen. Nicht fertige Kaufleute kann die Handels-Hochschule allein aus sich hervorgehen lassen, wie auch nicht fertige Verwaltungsbeamte, Richter und Rechtsanwälte die länger fesselnde Universität verlassen. Zum Kaufmann, wie zum Verwaltungsbeamten, zum Richter und zum Rechtsanwalt wird man nur in der Praxis. Aber eine Ausbildung wird erstrebt, die in der Praxis möglichst leicht und schnell und vollkommen dazu werden lässt. Das Schwergewicht der Handels-Hochschule liegt daher in den Fächern, die nicht blosse Fertigkeiten, sondern eine allgemeine Schulung des Geistes bezwecken . . . ." -') Siehe die Schrift: A k a d e m i e f ü r S o z i a l - und H a n d e l s w i s s e n s c h a f t e n zu F r a n k f u r t am M a i n , Jena 1902, auch V o i g t , Die Sozial- und Handelsakademie zu Frankfurt a. M., 1899.

905 ziehen. Daher öffnet sie ihre Thore besonders auch Journalisten sowie denjenigen, welche aus freiem Antrieb und ohne amtliche Verpflichtung sich gemeinnütziger oder sozialpolitischer Arbeit theils neben ihrem Berufe widmen, theils zu ihrem ausschliesslichen Berufe machen wollen, und die heute vielfach aus Mangel sachgemässer Information ihre Kräfte brach liegen lassen, oder in unfruchtbaren Unternehmungen zersplittern". Der Kreis derer, die zu den Vorlesungen Zutritt haben, ist daher möglichst weit gezogen. Als B e s u c h e r und H o s p i t a n t e n können, abgesehen von Personen mit akademischer Vorbildung, zugelassen werden: Abiturienten der neunklassigen höheren deutschen Lehranstalten, der bayerischen Industrieschulen, der sächsischen Gewerbe-Akademie zu Chemnitz und solcher höheren deutschen Handelsschulen, deren oberste Klasse der Oberprima der genannten Anstalten entspricht; 2. Kaufleute, Industrielle, Versicherungsbeamte und andere bereits beruflich thätige Personen, welche im Deutschen Reich die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienst erworben haben; Personen, die sich noch in der Lehre befinden, sind ausgeschlossen; 3. seminaristisch gebildete Lehier, welche im Deutschen Reich die zweite Prüfung bestanden haben; 4. Ausländer, deren Vorbildung nach den Bestimmungen des Verwaltungs-Ausschusses für genügend erachtet wird. Ausserdem können zu den Vorlesungen als H ö r e r auch solche Personen zugelassen werden, welche zwar den obigen Anforderungen nicht genügen, aber hinreichende Vorbildung besitzen, um den Vorlesungen mit Verständniss folgen zu können und zwanzig Jahre alt sind. Hörer haben keinen Anspruch darauf, an Uebungen aktiven Antheil zu nehmen; doch kann der betreffende Dozent ihnen aktive Theilnahme gestatten. F r a u e n können nicht nur als Hörer, sondern auch als Besucher und Hospitanten zugelassen werden, vorausgesetzt, dass sie eine entsprechende Vorbildung besitzen. Das A r b e i t s g e b i e t der Akademie umfasst die S o z i a l - und H a n d e l s w i s s e n s c h a f t e n in i h r e m ganzen Umfange. Es gehören dazu: A. 1. die allgemeine Staatslehre, das Verfassungs- und Verwaltungsrecht der einzelnen Staaten, namentlich des Deutschen Reichs und seiner Glieder, sowie das Völkerrecht; 2. die Lehre von der Verwaltung der Selbstverwaltungskörper, insbesondere der Kommunen in allen ihren Zweigen; 3. die Finanzwissenschaft als die Lehre vom öffentlichen — staatlichen und kommunalen — Haushalt; 4. die Volkswirtschaftslehre mit ihren Spezialgebieten der Nationalökonomik des Ackerbaus, der Industrie, des Handels und des Verkehrswesens, einschliesslich des Geld-, Kredit- und Versicherungswesens, sowie der Geschichte der Volkswirtschaft und der volkswirthschaftlichen Theorien; 5. die Soziologie, als die Lehre vom Aufbau und der Entwickelung des Gesellschaftskörpers und die Sozialpolitik als die Summe der daraus sich ergebenden gesetz-

906 geberischen und Verwaltungamassn ahmen; 6. die Statistik als allgemeine Hilfswissenschaft (zum Theil im Anschluss an die einzelnen Gebiete), insbesondere die Bevölkerungsstatistik und allgemeine Bevölkerungslehre. Daran schliessen sich B. die Handelswissenschaften, deren vollrawirthschaftliche Grundlagen schon in der Nationalökonomik des Handels (A, 4) gegeben sind. Sie umfassen: 1. die Handelsgeschichte und die Handelsgeographie; 2. das Handelsrecht im weitesten Umfange; 3. die Lehre von der Organisation und dem Betriebe kaufmännischer Geschäfte und von den technischen Verrichtungen des Kaufmanns (HandeUbetriebslehre). C. In ähnlicher Weise wie die reinen Handelswissenschaften ist auch die Lehre von den industriellen Betrieben in der Akademie zu behandeln; sie hat sich zu gliedern in 1. die geographische Verbreitung, Geschichte und augenblickliche Lage der Industrie im Ganzen und einzelner ihrer Zweige; 2. das Gewerberecht, einschliesslich Arbeitergesetzgebung (vgl. A, 5) des In- und Auslandes; 3. die Lehre von der Organisation und dem Betriebe industrieller Unternehmungen, wobei ebenfalls die sozialpolitischen Gebiete der Arbeiterverhältnisse, Arbeitsordnung und Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen zu betjicksichtigen sind. Am Schlüsse dieses Lehrplans findet sich die Bemerkung: „Mit dieser Uebersicht über das Arbeitsgebiet soll jedoch weder gesagt sein, dass die Akademie dieses ganze Gebiet in allen seinen Spezialfächern mit gleicher Gründlichkeit pflegen solle, noch auch, dass sie alle nicht ausdrücklich genannten Fächer auschliessen müsse; vielmehr wird in beiden Fällen für die Aufnahme der Fächer in den Lehrplan das Bedürfniss und die praktische Anwendbarkeit der betreffenden Kenntnisse massgebend sein. So werden als Hilfswissenschaften auch gewisse technische und technologische Fächer, die theils für den Kaufmann, theils für den Verwaltungsbeamten von Bedeutung sind, in den Lehrplan einzubeziehen sein." Zur Verwaltung der Akademie, sowie zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind geschaffen: 1. der Grosse Rath (Senat), 2. der Verwaltungs-Ausschuss, 3. der Lehrkörper. Der „Grosse Rath" besteht aus einer bestimmten Anzahl von Vertretern der bei der Gründung der Akademie betheiligten Körperschaften und Gesellschaften, nämlich des Magistrats der Stadt Frankfurt, der Stadtverordneten-Versammlung, des Instituts für Gemeinwohl, der Handelskammer und der Polytechnischen Gesellschaft, ferner aus den mit Sitz und Stimme im Grossen Bath angestellten Lehrern der Akademie und einem Delegirten der etwa mit der Akademie zu verbindenden Gesellschaft für Sozial- und Handelswissenschaften. Er hat insbesondere den Verwaltungs-Ausschuss zu wählen, über die Organisation des Lehrkörpers zu beschliessen, sowie die allgemeinen Bestimmungen über die Zulassung zum Besuch der Akademie zu erlassen. Der Ver-

907 waltungs-Ausschuss hat die speziellen Verwaltungsgeschäfte nach Massgabe des Haashaltungsplans und der Beschlüsse des Grossen Rathes zu führen; er vertritt die Akademie nach aussen. Die Lehrkräfte sollen in der Regel ständige sein,, die entweder ein grösseres Gebiet zu vertreten haben oder für ein Spezialfach Lehrauftrag erhalten; doch ist auch nicht ausgeschlossen, dass hervorragende Vertreter der Wissenschaft für einzelne Lehrkurse bei gegebener Gelegenheit gewonnen werden. Ausser den nach Frankfurt zu berufenden und den dort schon wohnhaften Lehrkräften sollen womöglich auch die Professoren der benachbarten Hochschulen an der Lehrthätigkeit betheiligt werden. Auch wissenschaftlich gebildete und in der Praxis bewährte Verwaltungsbeamte, Kaufleute, Techniker sind als Lehrer an der Akademie in Aussicht genommen. Wie Aachen und Köln, so verdankt auch Frankfurt die Begründung seiner Akademie der rührigen Agitation des deutschen Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen, der eigenen Energie und — vor Allem der Opferwilligkeit seiner Bewohner. Denn die E i n n a h m e n bestehen, abgesehen von den Kollegiengeldern, in der Hauptsache aus einem jährlichen Beitrag der Stadt Frankfurt in Höhe von 30000 Mk., einer vom (Institut für Gemeinwohl (Mörten) zugesicherten jährlichen Rente von mindestens derselben Höhe, aus einem jährlichen, zunächst für fünf Jahre bewilligten Beitrag der Handelskammer zu Frankfurt a. M. von 5000 Mk. und aus einem jährlichen Beitrag der Gesellschaft zur Beförderung nützlicher Künste und deren Hülfswissenschaften (Polytechnische Gesellschaft) in gleicher Höhe. Im ersten Halbjahr 1901/02 waren die Vorlesungen und Uebungen der Akademie von 549 Personen besucht; darunter befanden sich 36 regelmässige Besucher, 425 (darunter 20 Lehrerinnen) Hospitanten und 88 (darunter 33 Frauen) Hörer. — H a n d e l s s c h u l e n für Mädchen befinden sich in P o s e n (Staatsanstalt),1) Gnesen (städtische Anstalt),2) Crefeld (Schule der Handelskammer) und in einigen anderen Städten, wo sie von Frauenbildungsvereinen und Privaten begründet worden sind.

10. Die Fachschulen für Hausindustrie. K o r b f l e c h t s c h u l e n , W e b e r e i l e h r w e r k s t ä t t e n , Wanderunterricht für Weber, S t i c k s c h u l e n , S p i t z e n n ä h s c h u l e n , die H a n d s c h u h n ä h s c h u l e in Z i e g e n h a l s und die S c h n i t z s c h u l e in Warmbrunn. Am 13. Oktober 1876 wurde die zu H e i n s b e r g im Regierungsbezirk Aachen belegene K o r b f l e c h t s c h u l e eröffnet, um die in jener i) S. S7912. =) S. S. 830.

907 waltungs-Ausschuss hat die speziellen Verwaltungsgeschäfte nach Massgabe des Haashaltungsplans und der Beschlüsse des Grossen Rathes zu führen; er vertritt die Akademie nach aussen. Die Lehrkräfte sollen in der Regel ständige sein,, die entweder ein grösseres Gebiet zu vertreten haben oder für ein Spezialfach Lehrauftrag erhalten; doch ist auch nicht ausgeschlossen, dass hervorragende Vertreter der Wissenschaft für einzelne Lehrkurse bei gegebener Gelegenheit gewonnen werden. Ausser den nach Frankfurt zu berufenden und den dort schon wohnhaften Lehrkräften sollen womöglich auch die Professoren der benachbarten Hochschulen an der Lehrthätigkeit betheiligt werden. Auch wissenschaftlich gebildete und in der Praxis bewährte Verwaltungsbeamte, Kaufleute, Techniker sind als Lehrer an der Akademie in Aussicht genommen. Wie Aachen und Köln, so verdankt auch Frankfurt die Begründung seiner Akademie der rührigen Agitation des deutschen Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen, der eigenen Energie und — vor Allem der Opferwilligkeit seiner Bewohner. Denn die E i n n a h m e n bestehen, abgesehen von den Kollegiengeldern, in der Hauptsache aus einem jährlichen Beitrag der Stadt Frankfurt in Höhe von 30000 Mk., einer vom (Institut für Gemeinwohl (Mörten) zugesicherten jährlichen Rente von mindestens derselben Höhe, aus einem jährlichen, zunächst für fünf Jahre bewilligten Beitrag der Handelskammer zu Frankfurt a. M. von 5000 Mk. und aus einem jährlichen Beitrag der Gesellschaft zur Beförderung nützlicher Künste und deren Hülfswissenschaften (Polytechnische Gesellschaft) in gleicher Höhe. Im ersten Halbjahr 1901/02 waren die Vorlesungen und Uebungen der Akademie von 549 Personen besucht; darunter befanden sich 36 regelmässige Besucher, 425 (darunter 20 Lehrerinnen) Hospitanten und 88 (darunter 33 Frauen) Hörer. — H a n d e l s s c h u l e n für Mädchen befinden sich in P o s e n (Staatsanstalt),1) Gnesen (städtische Anstalt),2) Crefeld (Schule der Handelskammer) und in einigen anderen Städten, wo sie von Frauenbildungsvereinen und Privaten begründet worden sind.

10. Die Fachschulen für Hausindustrie. K o r b f l e c h t s c h u l e n , W e b e r e i l e h r w e r k s t ä t t e n , Wanderunterricht für Weber, S t i c k s c h u l e n , S p i t z e n n ä h s c h u l e n , die H a n d s c h u h n ä h s c h u l e in Z i e g e n h a l s und die S c h n i t z s c h u l e in Warmbrunn. Am 13. Oktober 1876 wurde die zu H e i n s b e r g im Regierungsbezirk Aachen belegene K o r b f l e c h t s c h u l e eröffnet, um die in jener i) S. S7912. =) S. S. 830.

«08 Gegend schon lange Zeit als Hausindustrie betriebene Korbflechterei zu fördern und namentlich für die Anfertigung und Verbreitung feinerer Korbwaaren zu wirken. Der Unterricht erstreckt sich auf Zeichnen und Flechten und dauert mindestens zwei Jahre; die Schülerzahl schwankt zwischen 30 und 40. Trägerin des Unternehmens ist eine Aktiengesellschaft, die vom Staate, der Provinz und dem Aachener Verein zur Beförderung der Arbeitsamkeit unterstützt wird. Zum Vertrieb der in der Schule und von den Hausgewerbetreibenden gefertigten Waaren hat sich 1897 eine Korbflechter-Genossenschaft gebildet, die einen jährlichen Erlös von 3 0 — 4 0 0 0 0 Mk. erzielt Besonders günstig für die Ausbreitung der Korbflechterei in Heinsberg und Umgegend wirkt der Umstand, dass dort ein grosser Theil des Bodens aus sumpfigen Niederungen besteht, auf denen das milde und von schroffen Temperaturwechseln freie Klima die Kultur der Korbweide sehr begünstigt. Mit Korbweiden wurden bebaut 1855: 9, 1865: 50, 1876: 200, 1888: 333 und 1897: 450 Hektar; die Zahl der Korbflechter betrug 1865: etwa 200, 1877: 600, 1897 über 1000 Personen.1) Die später in Preussen begründeten Korbflechtschulen zu G r ä v e n w i e s b a c h , R u p p e r t s h o f e n , S c h u r g a r s t , S e n s b u r g u.s.w. haben keine grössere Bedeutung erlangt und sind theilweise lediglich als Veranstaltungen der Armenpflege anzusehen. Der Unterstützung der H a u s w e b e r e i dienen die schon oben 2 ) erwähnten W e b e r e i l e h r w e r k s t ä t t e n in Schlesien und Hannover. Mit diesen Anstalten ist ein W a n d e r u n t e r r i c h t verbunden, d. h. Webelehrer und Webelehrerinnen suchen die Handweber in ihren Wohnungen auf, ertheilen ihnen Rathschläge beim Weben, prüfen die Webstühle und suchen auf ihre Verbesserung hinzuwirken. Bedürftigen Webern werden zur Reparatur ihrer Stühle, sowie zur Anbringung von Verbesserungen, wie Regulatoren, Schnellschützen u. s. w. auch Beihülfen aus Staatsmitteln gewährt, zu welchem Zwecke für Schlesien dreimal je 45000 Mk. aus dem Dispositionsfonds des Königs bei der Generalstaatskasse zur Verfügung gestellt worden sind. Davon haben bis zum 15. September 1901 im Ganzen 4614 Weber-Familien Unterstützungen erhalten, und zwar 1441 im Kreise Glatz, 1229 im Kreise Neurode, 493 im Kreise Reichenbach, 319 im Kreise Waldenburg, 235 im Kreise Habelschwerdt, 166 im Kreise Schweidnitz, 610 im Kreise Landeshut, 71 im Kreise Lauban und 50 in den Kreisen Hirschberg und Schönau. Diese Massnahmen bezwecken indessen nicht, wie hie und da angenommen wird, die der mechanischen Weberei gegenüber nicht mehr konkurrenzfähige L o h n w e b e r e i auf H a n d s t ü h l e n künstlich ') Vgl. über die Schule besonders die Denkschrift von 1891, S. 47, 48. ») Siehe S. 778.

909 zu erhalten oder gar neu zu beleben. Beabsichtigt ist vielmehr nurr einmal diejenigen Lohnweber, welche wegen ihres Alters, ihrer Schwächlichkeit, ihrer häuslichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse oder aus Mangel an Gelegenheit nicht in der Lage sind, einen lohnenderen Erwerb zu ergreifen, insbesondere zur mechanischen Weberei überzugehen, thunlichst über Wasser zu halten; sodann aber soll das Weben für den H a u s b e d a r f , das vielfach noch, namentlich in Hannover, eine wenn auch nicht besonders einträgliche, so doch ganz nützliche Nebenbeschäftigung der ländlichen Bevölkerung bildet,1) unterstützt werden. Auch für die Handweber auf dem Eichsfelde ist ein Wanderunterricht eingerichtet, der durch einen Lehrer der Textilfachschule in Mühlhausen ertheilt wird. Damit für die absterbende Hand weberei wenigstens theilweise Ersatz geschaffen wird, ist versucht worden, in den Schlesischen Gebirgsgegenden die H a n d s t i c k e r e i als Hausindustrie einzubürgern. Um dies zu erreichen, werden Mädchen und Frauen nicht nur in zu dem Zwecke besonders eingerichteten S t i c k s c h u l e n unentgeltlich a u s g e b i l d e t , sondern auch durch die an der Technischen Zentralstelle für Textilindustrie zu Berlin 2 ) eingerichtete Arbeitsvermittelungsstelle, die mit grösseren Wäschekonfektionsgeschäften in fortgesetzter Verbindung steht, d a u e r n d m i t A r b e i t v e r s e h e n . Es bestehen zur Zeit 7 Stickschulen (in Mittelwalde, Habelschwerdt, Reinerz, Lewin, Neurode, Wünschelburg und Schömberg), in denen etwa 500 Mädchen jährlich beschäftigt werden. Im H i r s c h b e r g e r K r e i s e werden ferner Mädchen im S p i t z e n nähen unterwiesen. Die Anleitung dazu giebt eine Lehrerin in Schmiedeberg, die dabei von einigen schon ausgebildeten Näherinnen, die in den verschiedenen Dörfern wohnen, unterstützt wird. Sie beschafft auch die Muster, setzt die einzelnen Stücke zusammen und sorgt für den Vertrieb. Eine grössere Bedeutung hat diese Hausindustrie indessen nicht. Auf Anregung der Handelskammer in Oppeln ist im Jahre 1901 zu Z i e g e n h a l s eine H a n d s c h u h n ä h s c h u l e eröffnet worden, in der Handschuhnäherinnen angelernt und weiter gefördert werden sollen, um eine Besserung der oberschlesischen Naht, die an Güte der ausländischen noch nachsteht, herbeizuführen. Schliesslich ist noch auf die bereits oben erwähnte 3 ) S c h n i t z s c h u l e in W a r m b r u n n hinzuweisen, die im Jahre 1902 eröffnet werden wird und die Aufgabe hat. die früher im Kreise Hirschberg ') Vgl. auch die D e n k s c h r i f t von 1896, S. 33ff. Im Jahre 1895 wurden in Hannover noch 65399 Handstühle gezählt, von denen 62630 oder 95,77 "/„ vorwiegend dem Hausbedarf und 2769 oder 4,23 °/„ vorwiegend der Lohnweberei dienten. -) Siehe S. 776. 3 ) Siehe S. 835.

910 in grossem Umfange betriebene Holz-Schnitzerei und Bildhauerei -wieder zu beleben. Ihr Lehrplan wird sich aaf Zeichnen, Modelliren and praktisches Arbeiten in Werkstätten erstrecken.

11. Die Fortbildungs- und Fachschalen für Ildchen. Die häuslichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart legen dem Staate die Verpflichtung auf, sich auch der w e i b l i c h e n J u g e n d in verstärktem Masse anzunehmen. Er muss nicht nur für ihre a l l g e m e i n e B i l d u n g in ausreichender Weise sorgen, sondern sich namentlich auch ihre spezielle Erziehung und Ausbildung für H a u s imd Beruf besonders angelegen sein lassen. Die früher allgemein verbreitete und auch heute noch vielfach vertretene Ansicht, dass die Erziehung des Mädchens zur Frau und Mutter und seine Unterweisung in den zur verständigen Führung eines Haushalts erforderlichen Kenntnissen n u r in der Familie zu erfolgen habe, ja gar nicht anders erfolgen könne, ist in dieser Allgemeinheit zweifellos nicht richtig. Wohl giebt es noch manche Mutter, die die nöthige Zeit, Lust und Befähigung hat, sich mit Erfolg dieser schwierigen Aufgabe zu widmen; für die grosse Mehrzahl von ihnen fehlt es aber mindestens an e i n e r dieser Voraussetzungen, nicht s e l t e n an allen dreien. Eine Ergänzung der im Hause gewonnenen Erziehung und Ausbildung in zweckmässig eingerichteten H a u s h a l t u n g s s c h u l e n , wo die jungen Mädchen in allen im bürgerlichen Haushalt vorkommenden Arbeiten unterwiesen und mit den ihnen als Frauen und Müttern obliegenden Pflichten, insbesondere auch mit Gesundheitspflege und Eindererziehung, planmässig und gründlich bekannt gemacht werden, ist daher ein unabweisbares Bedürfniss. Nicht minder nothwendig sind g e w e r b l i c h e und kauf männische Fachs c h u l e n , in denen die immer zahlreicher werdenden Mädchen, die aus Noth oder Neigung in's Erwerbsleben zu treten beabsichtigen, sich für ihren Beruf gehörig vorbereiten können. Die Preussische Regierung ist sich ihrer Verpflichtung, für solche Schulen in ausreichendem Masse zu sorgen, wohl bewusst. Sie hat daher auch schon eine staatliche Anstalt dieser Art, die „ H a n d e l s - und G e w e r b e s c h u l e f ü r Mädchen mit Seminar f ü r G e w e r b e s c h u l l e h r e r i n n e n in P o s e n " begründet und beschlossen, eine zweite solche Schule in Rheydt durch Uebernahme einer dort bestehenden Privatanstalt in's Leben zu rufen; die Mittel dazu sind in den Entwurf zum Staatshaushalts-Etat für 1902 aufgenommen.

910 in grossem Umfange betriebene Holz-Schnitzerei und Bildhauerei -wieder zu beleben. Ihr Lehrplan wird sich aaf Zeichnen, Modelliren and praktisches Arbeiten in Werkstätten erstrecken.

11. Die Fortbildungs- und Fachschalen für Ildchen. Die häuslichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart legen dem Staate die Verpflichtung auf, sich auch der w e i b l i c h e n J u g e n d in verstärktem Masse anzunehmen. Er muss nicht nur für ihre a l l g e m e i n e B i l d u n g in ausreichender Weise sorgen, sondern sich namentlich auch ihre spezielle Erziehung und Ausbildung für H a u s imd Beruf besonders angelegen sein lassen. Die früher allgemein verbreitete und auch heute noch vielfach vertretene Ansicht, dass die Erziehung des Mädchens zur Frau und Mutter und seine Unterweisung in den zur verständigen Führung eines Haushalts erforderlichen Kenntnissen n u r in der Familie zu erfolgen habe, ja gar nicht anders erfolgen könne, ist in dieser Allgemeinheit zweifellos nicht richtig. Wohl giebt es noch manche Mutter, die die nöthige Zeit, Lust und Befähigung hat, sich mit Erfolg dieser schwierigen Aufgabe zu widmen; für die grosse Mehrzahl von ihnen fehlt es aber mindestens an e i n e r dieser Voraussetzungen, nicht s e l t e n an allen dreien. Eine Ergänzung der im Hause gewonnenen Erziehung und Ausbildung in zweckmässig eingerichteten H a u s h a l t u n g s s c h u l e n , wo die jungen Mädchen in allen im bürgerlichen Haushalt vorkommenden Arbeiten unterwiesen und mit den ihnen als Frauen und Müttern obliegenden Pflichten, insbesondere auch mit Gesundheitspflege und Eindererziehung, planmässig und gründlich bekannt gemacht werden, ist daher ein unabweisbares Bedürfniss. Nicht minder nothwendig sind g e w e r b l i c h e und kauf männische Fachs c h u l e n , in denen die immer zahlreicher werdenden Mädchen, die aus Noth oder Neigung in's Erwerbsleben zu treten beabsichtigen, sich für ihren Beruf gehörig vorbereiten können. Die Preussische Regierung ist sich ihrer Verpflichtung, für solche Schulen in ausreichendem Masse zu sorgen, wohl bewusst. Sie hat daher auch schon eine staatliche Anstalt dieser Art, die „ H a n d e l s - und G e w e r b e s c h u l e f ü r Mädchen mit Seminar f ü r G e w e r b e s c h u l l e h r e r i n n e n in P o s e n " begründet und beschlossen, eine zweite solche Schule in Rheydt durch Uebernahme einer dort bestehenden Privatanstalt in's Leben zu rufen; die Mittel dazu sind in den Entwurf zum Staatshaushalts-Etat für 1902 aufgenommen.

911 In der 1897 begründeten K ö n i g l i c h e n H a n d e l s - u n d G e w e r b e s c h u l e f ü r M ä d c h e n zu P o s e n erhalten nicht mehr schulpflichtige Mädchen Gelegenheit, sich f ü r einen gewerblichen oder kaufmännischen Beruf, als technische Lehrerin (Handarbeits-, Industrie-, Koch- und hauswirthschaftliche Lehrerin), als Stütze der Hausfrau oder f ü r den Haushalt auszubilden. Mit der Schule ist ein Pensionat verbunden. L e h r k u r s e sind: 1. E i n f a c h e H a n d a r b e i t e n : Stricken, Handnähen, Flicken, Stopfen, einfaches Weisssticken, 5 Monate, 15 Stunden wöchentlich. 2. a) M a s c h i n e n ä h e n , b) " W ä s c h e a n f e r t i g u n g : a) Unterweisung in der Einrichtung der Nähmaschinen verschiedener Systeme; Auseinandernehmen, Reinigen, Zusammensetzen der Maschine; Nähübungen am Nähtuche und an einfachen "Wäschestücken, 5 Monate, 15 Stunden wöchentlich; b) Schnittzeicbnen, Zuschneiden und Anfertigen von schwierigen "Wäschegegenständen, Anfertigen von Kinder- und Herrenwäsche, 5 Monate, 15 Stunden wöchentlich. In diesen Kursus können nur solche Schülerinnen eintreten, die genügende Fertigkeit in den einfachen Handarbeiten (Kursus 1) besitzen. 3. S c h n e i d e r n : Massnehmen, Schnittzeichuen, Zuschneiden, Anfertigung einfacherer und schwierigerer Kleider, Blusen, Jaquets, Kindergarderobe u. s. w. Arbeiten nach Modeblättern, Kostümzeichnen, 10 Monate, 15 Stunden wöchentlich. 4. P u t z m a c h e n : Anfertigung von Eüschen, Schleifen, Jabots, Häubchen, Garniren von Hüten, Auffrischen alten Materials, 5 Monate, 9 Stunden wöchentlich. 5. K u n s t h a n d a r b e i t : Weisssticken, Durchbruch, Hohlsaum, Applikation, Flachsticken, Nadelmalen, Goldsticken, Spitzennähen und Klöppeln, Maschinesticken, Musterzeichnen, Malen, Unter- und Oberkursus, jeder 10 Monate, 15 Stunden wöchentlich. In diesen Kursus können nur solche Schülerinnen eintreten, die genügende Fertigkeit in den einfachen Handarbeiten (Kursus 1) besitzen. 6. P l ä t t e n u n d W a s c h e n : Legen, Rollen, Plätten von Haus-, Leib- und Luxuswäsche, Kragen, Manschetten, Oberhemden, Blusen, Kleidern, Gardinen, Spitzen, 5 Monate, 9 Stunden wöchentlich. 7. H a u s h a l t u n g s k u n d e : Unterweisung in allen in einem guten Hause vorkommenden häuslichen Verrichtungen, wie Zimmerreinigen, Fenster-, Lampen-, Silber-, Blechputzen, Fleckenreinigen, Bürsten, Besen-, Schwämmewaschen u. s. w., theoretisch und praktisch, 5 Monate, 3 Stunden wöchentlich. 8. K o c h e n : Kochen, Braten, Backen, Einmachen, Ganliren der Speisen. Verwendung von Resten, Theorie des Kochens, Berechnung der Speisen auf Nährwerth und Preis im Verhältniss zu einander, Führung eines Wirtschaftsbuchs, Nahrungsmittellehre, Kinder- und Krankenkost, f ü r den Hausbedarf dreimal oder sechsmal wöchentlich 5 Monate, f ü r berufsmässige Ausbildung, sechsmal wöchentlich, 10 Monate. 9. A u s b i l d u n g v o n S t ü t z e n d e r H a u s f r a u : Abth. a) Handnähen, Flicken, Stopfen, Maschinenähen, Kochen (praktisch und theoretisch), Backen, Einmachen. Haushaltungskunde, Waschen, Plätten, Gesundheitslehre, Kinder- und Krankenpflege. Abth. b) Handnähen, Flicken, Stopfen, Maschinenähen, Schneidern, Putz, Waschen. Plätten, Gesundheitslehre, Kinder- und Krankenpflege, 10 Monate, wöchentlich 30 Stunden. Die Schülerinnen haben sich f ü r Abth. a) oder b) zu entscheiden. Zum Eintritt ist wenigstens Mittelschulbildung, die nötigenfalls durch eine Aufnahmeprüfung darzuthun ist, und ein Alter von mindestens 17 Jahren erforderlich. Es erleichtert die Ausbildung, wenn diese Schülerinnen im Pensionat wohnen. 10. Z e i c h n e n u n d M a l e n : Linear- und Zirkelzeichnen, Zeichnen von geometrischen und Pflanzen-Ornamenten nach Vorlagen und Gipsen, Zeichnen und

912 MaleD nach der Natur, Musterzeichnen, wöchentlich 9 bis 24 Standen; Aafnahmen f ü r einen kürzeren Zeitraum als 5 Monate und für weniger als 9 Stunden wöchentlich finden nicht statt. 11. H a n d e l s f ä c h e r : U n t e r k u r s u s , Dauer 5 Monate. 1. Deutsch, einschl. kaufmännischer Korrespondenz 2. Schönschreiben 3. Einfache Buchführung 4. lfanfmannianhfta Rechnen

5 2 3 4

St. wöchentlich St. St. St.

5. Grandzüge des Handels- und Wechselrechts, der allgemeinen Handelskunde, Kontorpraxis, Verkehrewesen iL s. w 4 St. 6/7. Stenographie und Schreibmaschine, je 3 Stunden 6 St. 3 St. 8. Französische Handelskorrespondenz 3 St 9. Englische Handelskorrespondenz 30 St. wöchentlich O b e r k u r s u s (im Anschluss an den Unterkursus), Dauer 5 Monate. 1. Deutsch, einschl. kaufmännische Korrespondenz . . . 3 St. wöchentlich 2. Doppelte Buchführung 4 St. ., 3. Kaufmännisches Rechnen 4 St. „ 4. Handelsgeographie, Waarenkunde 4 St. „ 5. Handelskunde, Handels- und "Wechselrecht 3 St. ,, 6/7. Stenographie und Schreibmaschine 4 St. 8. Französische Handelskorrespondenz 4 St „ 9. Englische Handelskorrespondenz 4 St. „ 30 St. wöchentlich "Wer die Fächer 1—5 belegt, muss auch die Fächer 6/7 mit belegen, dagegen könnnen die Fächer 6/7, 8, 9 einzeln belegt werden. A u f n a h m e b e d i n g u n g e n : 1. ein Alter von mindestens 16 Jahren. 2. Vorbildung einer höheren Töchter- oder Mittelschule. Die Zulassung kann von einer Aufnahmeprüfung abhängig gemacht werden, die sich auf Deutsch (Grammatik und Aufsatz), Rechnen, Geographie und Geschichte erstreckt. Im Französischen wird Beherrschung der Formenlehre, Syntax, Kenntniss der regelmässigen und unregelmässigen Verben, im Englischen Kenntniss der Formenlehre und Syntax gefordert In den Oberkursus werden nur solche Schülerinnen aufgenommen, die den Lehrstoff des Unterkursas beherrschen. 12. A u s b i l d u n g von H a n d a r b e i t s l e h r e r i n n e n , 10 Monate, 30 Stunden wöchentlich. Für den Lehrplan ist die für die Handarbeitslehrerinnen erlassene Prüfungsordnung massgebend. 13. A u s b i l d u n g von G e w e r b e s c h u l l e h r e r i n n e n , 30 Monate, 30Stunden wöchentlich. Zum Eintritt ist ausreichende Schulbildung, genügende technische Begabung und die Vollendung des 18. Lebensjahres erforderlich. 14. A u s b i l d u n g v o n K o c h - u n d h a u s w i r t h s c h a f t l i e h e n L e h r e r i n n e n : Gründliche Ausbildung in den Lehrgegenstfinden der Kurse 6, 7, 8 und 9, ferner Pädagogik, Flicken, Stopfen. Uebungen im Unterrichte. 15 Monate, 30 Stunden wöchentlich. Zorn Eintritt ist ausreichende Schulbildung und die Vollendung des 18. Lebensjahres erforderlich. Eis erleichtert die Ausbildung, wenn diese Schülerinnen im Pensionat wohnen. 15. K u r s u s f ü r d e u t s c h e S p r a c h e und L i t e r a t u r . — Das L e h r p e r s o n a l der 8chule besteht aus der Vorsteherin, 15 Lehrerinnen und 1 Handelslehrer, ausserdem einer Anzahl von Hülfslehrem und Hülfalehrerinnen.

913 Der Schulbesuch betrug im Winter 1897 i)8: Sommer 1808: Winter 1898 99 : Sommer 1899 : Winter 1899 1900: Sommer 1900: Winter 1900 01: Sommer 1901: Winter 1901 U2: Sommer 1902 :

127 Schülerinnen, darunter 6 Pensionärinnen 219 14 220 16 203 .. 15 197 25 179 13 182 „ 25 195 .. „ 24 185 .. „ 25 216 .. ., 24

Die Schule in R h e y d t wird voraussichtlich im Herbst 1902 vom Staat übernommen und in der Hauptsache wie die Posener Anstalt organisirt werden. Ob die Preussische Regierung noch mehrere solcher Staatsanstalten errichten wird, steht noch nicht fest Sollte sie sich aber — was allerdings dringend zu wünschen wäre — dazu entschliessen, so würden doch diese Staatsschulen keinenfalls den Bedarf decken und in der Hauptsache nur dazu bestimmt sein, tüchtige Fortbildungs- und Fachschullehrerinnen heranzubilden. Unmöglich kann der Staat die Sorge für die ganze Mädchen-Fortund Fachbildung allein übernehmen, ebensowenig wie er dies bezüglich der männlichen Jungend thut. Die Hauptsorge dafür wird er vielmehr den Gemeinden überlassen und sich darauf beschränken müssen, ihnen die Errichtung und Unterhaltung der Schulen durch angemessene Beihülfen aus Staatsfonds zu erleichtern. Es ist aber eine bedauerliche Thatsache, dass die Vertretungen der Kommunen noch viel zu wenig von der Ueberzeugung durchdrungen sind, dass sie nicht nur für das Fortkommen der männlichen, sondern auch für das der weiblichen gewerblichen Jugend in ausreichender Weise zu sorgen und für deren Ausbildung finanzielle Opfer zu bringen haben. Von einzelnen Orten abgesehen — als rühmliche Ausnahme sei namentlich auf die Stadt G n e s e n hingewiesen (s. o. S. 829, 830) — haben die Gemeinden sich zur Errichtung kommunaler Fortbildungs- und Fachschulen für Mädchen noch nicht entschliessen können, die Sorge dafür vielmehr in der Hauptsache der privaten Spekulation und gemeinnützigen Vereinen, denen sie hie und da geringe Unterstützungen geben, überlassen, obwohl die Erfahrung längst gelehrt hat, dass in der Regel weder die Vereins- und noch viel weniger die Privatschulen trotz ihrer verhältnissmässig hohen Schulgeldsätze, auch nur bescheidenen Anforderungen zu genügen im Stande sind. Zwar haben in den letzten Jahren mehrere Gemeinden an den oberen Klassen der Volksschulen Koch- und Haushaltungskurse eingerichtet. Ob diese Kurse den gehegten Erwartungen entsprechen werden, ist bei ihrer kurzen Dauer, der grossen Zahl und dem jugendlichen Alter ihrer Theilnehmerinnen zweifelhaft;, keinenfalls können sie die für die s c h u l e n t l a s s e n e Jugend S i m o n , Die Fachbildung des Prenssischen Gewerbe- und Handelsstendee.

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914 dringend nöthigen Haushaltungs-, Fortbildungs- und Fachschulen ersetzen, für die umfassendere Lehrpläne, weitergehende Lehrziele und ein viel gründlicher durchgebildetes Lehrperaonal als für den technischen Unterricht an den Volksschulen nöthig sind. Es wäre daher in hohem Grade bedauerlich, wenn die schon hie und da aufgetauchte Ansicht weitere Verbreitung fände, dass die Gemeinden sich durch die Einführung des Koch- und Haushaltungsunterrichts in den Volksschulen, und vielleicht auch noch durch eine kleine Verbesserung des Handarbeitsunterrichts ihren viel weitergehenden Verpflichtungen auf dem Gebiete der Mädchen-Fort- und Fachbildung entziehen könnten. Leider ist es ja nicht zu leugnen, dass auch die zunächst Betheiligten, die E l t e r n selbst, noch nicht genügend von der N o t wendigkeit durchdrungen sind, ihren Töchtern eine gute hauswirthschaftliche und fachliche Bildung mit auf den Lebensweg zu geben. Die ärmeren Mädchen werden in der Regel sogleich nach dem Verlassen der Schule auf den Erwerb geschickt, um sich selbständig zu machen und möglichst noch den Unterhalt der Angehörigen bestreiten zu helfen, während die wohlhabenderen, vielleicht nach einem kurzen Aufenthalt in der Pension, wo ihnen meist nur ein äusserer Schliff beigebracht wird, in die „Gesellschaft" eingeführt werden, um sich recht bald zu verheirathen. Allenfalls werden nebenher noch einige Musik- oder Malstunden genommen. Von einer planmässigen und gediegenen hauswirthschaftlichen und fachlichen Vorbildung für Haus und Beruf ist nur in seltenen Fällen die Rede. Die Täuschung, der sich so Viele bewusst oder unbewusst überlassen, dass die natürlichen Fähigkeiten und Anlagen des Weibes im Verein mit dem im Hause Erlernten und den später in der Praxis des Hauses oder Berufes erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten dazu ausreichen werden, das Leben der Kinder befriedigend zu gestalten, verleitet die Eltern zu schweren Unterlassungssünden, die sich nur zu oft an der Zukunft ihrer Töchter bitter rächen! — Eine durchgreifende Besserung auf diesem Gebiete lässt sich freilich erst erwarten, wenn der F o r t b i l d u n g s s c h u l z w a n g f ü r Mädchen auch in Preussen überall eingeführt sein wird. Ein im Jahre 1890 von der Reichsregierung gemachter Versuch, den Schulzwang wenigstens durch Ortsstatut zu ermöglichen, scheiterte an dem "Widerspruch des Reichstags, obwohl der damalige Preussische Handelsminister, Freiherr von Berlepsch, sehr warm für ihn eintrat.1) Erreicht wurde damals nur, dass als „Fortbildungsschulen^ im Sinne des § 120 der Gewerbe-Ordnung auch solche Anstalten angesehen werden sollten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand- und ') Siehe oben S. 493 ff.

915 Hausarbeiten ertheilt wird, so dass wenigstens in den Orten, wo solche Schalen bestehen, die Arbeitgeber verpflichtet wurden, ihren Arbeiterinnen auf deren Wunsch die nöthige Zeit zum Besuche derselben zu gewähren. Gelegentlich der Yorberathungen über die Gewerbeordnungsnovelle vom HO. Juni 1900 wurde die Einführung des Fortbildungsschulzwanges für Mädchen durch ein Mitglied der Kommission, welcher der Gesetzentwurf, der eine solche Bestimmung nicht enthielt, überwiesen worden war, erneut angeregt, doch nur mit theilweisem Erfolge, indem blos die Ermöglichung des ortsstatutarischen Schulzwanges für die in k a u f m ä n n i s c h e n Ges c h ä f t e n Angestellten beschlossen wurde.1) Aber selbst in dieser Beschränkung hat die Gesetzesbestimmung noch keine praktische Bedeutung erlangt. Obwohl seitdem fast zwei Jahre verflossen sind, hat sich, soweit bekannt, erst e i n e e i n z i g e S t a d t in Preussen, nämlich "Wiesbaden, entschlossen, eine kaufmännische Fortbildungsschule für Mädchen mit Zwangsbesuch einzuführen! — So lässt es sich denn nicht bestreiten, dass Preussen, so grosse Fortschritte es auch im Uebrigen auf dem Gebiete des Fortbildungs- und Fachschulwesens in den letzten Jahren gemacht hat, in der Pflege dieses wichtigen Zweiges des gewerblichen Unterrichtswesens stark zurückgeblieben ist! — 2 )

12. Die Bergschulen.3) Die ersten eigentlichen Bergschulen entstanden zu Clausthal (1811), Bochum (1816), Essen, Eisleben (1817), Siegen (1818), Saarbrücken (1822), Tarnowitz (1839) und Waldenburg (1848). Der Unterricht in diesen Anstalten bezweckte in erster Linie die Ausbildung von Steigern und Obersteigern, daneben wurde indessen auch auf die Erziehung von Rechnungsbeamten, Schichtmeistern u. s. \v. mehr oder weniger Rücksicht genommen. Neben Söhnen von Bergleuten und Unterbeamten besuchten auch Bergwerksbeflissene und Eleven die Schulen. Als Lehrer wirkten Markscheider und Bergbeamte, jedoch unter möglichster Hinzuziehung von Hlilfslehrern in den nicht technischen Fächern; vereinzelt waren auch besondere ') Siehe oben S. 589 ff. -) TTeber die Zahl der am 1. Juni 1901 in Preussen vorhanden gewesenen öffentlichen und privaten Fortbildungs- und Fachschulen für Mädchen s. M i n . - B l . d e r H a n d . u. G e w . - V e r w . 1902, S. KK) u. 1 0 1 ; dazu Aufsatz von S o m b a r t in der M a g d e b u r g i s c h e n Z e i t u n g vom 2. März 1902. Vgl. auch L a u t z . Fortbildungs- und Fachschulen f. Mädchen. "Wiesbaden, 1902. 3 ) Die Literatur s. o. S. 707, Anin. 1. Bei der obigen Darstellung ist im Wesentlichen der auf amtlichen Quellen beruhende Aufsatz in der Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinemvesen. Jahrgang 1889, zu Grunde gelegt.

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915 Hausarbeiten ertheilt wird, so dass wenigstens in den Orten, wo solche Schalen bestehen, die Arbeitgeber verpflichtet wurden, ihren Arbeiterinnen auf deren Wunsch die nöthige Zeit zum Besuche derselben zu gewähren. Gelegentlich der Yorberathungen über die Gewerbeordnungsnovelle vom HO. Juni 1900 wurde die Einführung des Fortbildungsschulzwanges für Mädchen durch ein Mitglied der Kommission, welcher der Gesetzentwurf, der eine solche Bestimmung nicht enthielt, überwiesen worden war, erneut angeregt, doch nur mit theilweisem Erfolge, indem blos die Ermöglichung des ortsstatutarischen Schulzwanges für die in k a u f m ä n n i s c h e n Ges c h ä f t e n Angestellten beschlossen wurde.1) Aber selbst in dieser Beschränkung hat die Gesetzesbestimmung noch keine praktische Bedeutung erlangt. Obwohl seitdem fast zwei Jahre verflossen sind, hat sich, soweit bekannt, erst e i n e e i n z i g e S t a d t in Preussen, nämlich "Wiesbaden, entschlossen, eine kaufmännische Fortbildungsschule für Mädchen mit Zwangsbesuch einzuführen! — So lässt es sich denn nicht bestreiten, dass Preussen, so grosse Fortschritte es auch im Uebrigen auf dem Gebiete des Fortbildungs- und Fachschulwesens in den letzten Jahren gemacht hat, in der Pflege dieses wichtigen Zweiges des gewerblichen Unterrichtswesens stark zurückgeblieben ist! — 2 )

12. Die Bergschulen.3) Die ersten eigentlichen Bergschulen entstanden zu Clausthal (1811), Bochum (1816), Essen, Eisleben (1817), Siegen (1818), Saarbrücken (1822), Tarnowitz (1839) und Waldenburg (1848). Der Unterricht in diesen Anstalten bezweckte in erster Linie die Ausbildung von Steigern und Obersteigern, daneben wurde indessen auch auf die Erziehung von Rechnungsbeamten, Schichtmeistern u. s. \v. mehr oder weniger Rücksicht genommen. Neben Söhnen von Bergleuten und Unterbeamten besuchten auch Bergwerksbeflissene und Eleven die Schulen. Als Lehrer wirkten Markscheider und Bergbeamte, jedoch unter möglichster Hinzuziehung von Hlilfslehrern in den nicht technischen Fächern; vereinzelt waren auch besondere ') Siehe oben S. 589 ff. -) TTeber die Zahl der am 1. Juni 1901 in Preussen vorhanden gewesenen öffentlichen und privaten Fortbildungs- und Fachschulen für Mädchen s. M i n . - B l . d e r H a n d . u. G e w . - V e r w . 1902, S. KK) u. 1 0 1 ; dazu Aufsatz von S o m b a r t in der M a g d e b u r g i s c h e n Z e i t u n g vom 2. März 1902. Vgl. auch L a u t z . Fortbildungs- und Fachschulen f. Mädchen. "Wiesbaden, 1902. 3 ) Die Literatur s. o. S. 707, Anin. 1. Bei der obigen Darstellung ist im Wesentlichen der auf amtlichen Quellen beruhende Aufsatz in der Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinemvesen. Jahrgang 1889, zu Grunde gelegt.

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916 Elementariehrér angestellt Ueberall verfügte die Schule über «igen« Bäume, Anfangs in.den Bergamtsgebäuden oder in gemietheten Pnvathäusern, später in eigenen Bergschulgebäuden. Dem Unterricht lagen sehr verschieden« Lehrpläne mit bald mehr, baid weniger weit gesteckten Lehrzielen zn Grunde, die indessen während der ersten Jahre nicht immer streng innegehalten wurden. So sollten in der unter Französisch» Herrschaft begründeten Schule zu Clausthal Chemie, Mathematik, Minaralogie, Theorie der Markscheidekunst, Probirtnunt, Rissezeiehnén, G«birgskundß und Rechenkunst gelehrt werden. Nachdem 1814 die Schule unter Hannöverscher Herrschaft neu eröffnet und 1817 als dauernde Einrichtung anerkannt war, wurden 181-9 noch Bergbaukunde und Mechanik, 1821 Physik und 1829 Hüttenkunde unter die Lehrfächer aufgenommen. Die Anstalt war daher schon damals weniger „Bergschule", als ,, Akademie'-, welche Bezeichnung sie erst 1864 erhielt Der im Jahre 1843 für die Schule in Eisleben festgestellte Lehrplan umfasste in dem einjährigen Kursus der Unterklasse ausser den elementaren Unterrichtsgegenständen noch Geometrie und Bergbaukunst auf Flötzen, in dem zweijährigen KUTBUS der Oberklasse neben den allgemeinen Bergschulfächern Löthrahrprobirkunst und Modelliren. Im Lehrplan der Bergschale zu Bochum waren Plan- und Maschinenzeichnen, Markscheidekunst. Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie, Rechnungswesen, schriftliche Ausarbeitungen über bergmännische Gegenstände und Uebungen im Geschäftsstil berücksichtigt Anfang der vierziger Jahre traten Bergbaukunde und Gebirgslehre als besondere Lehrfächer hinzu. In der Bergschule zu Saarbrücken, wo der Unterricht Anfangs täglich stattfand, aber schon 1827 auf zwei Tage in der Woche beschränkt wurde, erstreckte sich der Lehrplan in der Oberklasse auf Markscheidekunst, Mineralogie, Maschinenzeichnen und Grabenrechnungswesen, in der Unterklasse nur auf elementare Gegenstände^ einschliesslich der Anfangsgründe der Geometrie. Wie der geeammte Bergbau, so standen auch die Bergschulen zu jener Zeit vollständig unter der Leitung und Aufsicht des Staates und sie wurden auch in der Hauptsache vom Staate unterhalten. Daneben zog man auch die Bergbau - Hülfskassen zu Beiträgen heran. Die Ausrüstung der Schulen mit Mineralien-, Krystallund Modell-Sammlungen und anderen kostspieligeren Lehrmitteln erfolgte meistens auf Staatsrechnung. Der Unterricht war nicht nur unentgeltlich, sondern es wurden die Schüler noch für den Ausfall am Arbeitsverdienst, der ihnen dürch den Schulbesuch erwuchs, durch Geld-Untersützungen Seitens der Gewerkschaften und Hülfskassen entschädigt Die im Jahre 1851 erfolgte Aenderung der Berggesetzgebung, durch welche die Betriebsleitung den Gewerkschaften übergeben

917 worden war, trug im Verein mit dem in jene Zeit fallenden Aufschwung des Bergbaubetriebes dazu bei, das Bedürfniss nach tüchtig vorgebildeten Grubenbeamten und im . Zusammenhang damit nach einer Neuregelung der Bergschulen zu verstärken. In Folge dessen beauftragte der Minister von der Heydt im Jahre 1851 den Geheimen Bergrath von C a r n a l l im Ministerium, einen Erlass an die Oberbergämter anzugeben, in welchem dieselben aufgefordert würden, sich über eine zeitgemässe Einrichtung der Bezirks-Bergschulen gutachtlich zu äussern. Cärnall legte seine Gedanken in einer umfassenden Denkschrift nieder, in der er über die Organisation der Bergschulen bis in's Einzelne durchgearbeitete Vorschläge machte und sich über die Aufnahmebedingungen, den Lehr- und Stundenplan, die Dauer der Kurse, die Gewinnung der Lehrkräfte, die Verwaltung und Beaufsichtigung der Anstalten u. s. w. ausführlich verbreitete. E r ging dabei von der Auffassung aus, dass es einerseits nothwendig sei, „in der Reorganisation des gesammten Bergschulwesens überall einen gleichen Zweck zu verfolgen und darum allgemein einen bestimmten Plan aufzustellen und doch auch andererseits, wenigstens in gewissem Masse, den verschiedenen Verhältnissen und Bedürfnissen in den einzelnen Bezirken, Rechnung zu tragen." Als H a u p t z w e c k der Bergschulen bezeichnet er „einen sicheren Grund zu legen für diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten, deren ein technischer Grubenbeamter bedarf, namentlich der Obersteiger und Steiger"; ausserdem sollten sie der Ausbildung derjenigen, welche sich dem praktischen Maschinenwesen als Maschinenmeister oder Werkmeister widmen, dienen und endlich sollten in ihnen die Grubenrechnungsführer etwas Zeichnen, Markscheiden und Bergbaukunde lernen. In Bezug auf die V o r k e n n t n i s s e der Aufzunehmenden sollten nur sehr mässige Ansprüche gestellt werden. Es ist nicht mehr zu verlangen, als gewöhnlich die Elementarschulen bieten, und zwar die Landschulen, aus denen die Mehrzahl der Zöglinge hervorgeht. Das Höchste, was man fordern kann, ist, dass die Eintretenden leserlich und richtig schreiben und im Rechnen die vier Spezies und leichte Regeldetri-Exempel lösen können. „Dass sie ihre eigenen Gedanken klar und bündig zu Papier zu bringen im Stande sein sollen, möchte schon mehr sein, als von der Mehrzahl zu erwarten ist." Für diejenigen, welchen die nöthigen Vorkenntnisse fehlen, sind Vorbereitungsschulen, V o r s c h u l e n einzurichten,in denen der Unterricht in der Regel auf die Elementarfächer und das Zeichnen beschränkt, mithin der Fachunterricht ausgeschlossen werden muss. Allenfalls kann man die Anfangsgründe des Markscheidens berücksichtigen, auch darauf sehen, dass die Anwendungsbeispiele aus der bergtechnischen Praxis gewählt werden.

918 Neben ausreichender Elementarbildung ist p r a k t i s c h e B e r g a r b e i t eine unerlässlicbe Aufnahmebedingung. Es muss als Grundsatz festgehalten werden, dass Keiner in einer Bergschule Aufnahme findet, der nicht schon vorher praktisch gearbeitet hat. „Je weiter ein Zögling darin fortgeschritten ist, und je mehr Arbeiten er mit eigener Hand kennen lernt, um so besser wird dies für den Fachunterricht in der Schule sein, wie denn z. B. die vielen technischen Ausdrücke nicht anders als bei der Arbeit selbst kennen zu lernen sind." Man soll jedoch hierin nicht zu weit gehen, weil sonst die Schüler während der Schulzeit in das militärpflichtige Alter rücken, und weil dann der Unterricht eine Störung erleiden müsste. Allgemein lässt sich die Zeit, welche vor dem Eintritt in die Bergschule mit praktischer Arbeit zuzubringen ist, nicht feststellen, weil je nach der verschiedenen Art des Bergbaues das Alter verschieden ist, in dem junge Leute angelegt werden können. Als Regel ist aber anzusehen, dass mindestens zwei Jahre, und zwar nicht etwa über Tage, sondern in der Grube gearbeitet sein müssen. Wo schon jetzt eine längere Arbeitszeit als zwei Jahre oder die Zurücklegung der Militärdienstzeit vor dem Eintritt in die Schule gefordert wird, kann es auch ferner dabei bleiben. Die praktische Arbeitszeit darf auch den Zöglingen des Kechnungsfaches nicht erlassen werden, da sie eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Bergschulunterrichts bildet, doch kann unter besonderen Umständen hier eine blos einjährige praktische Beschäftigung genügen. Falls neben dem Besuch einer Vorschule die praktische Handarbeit einhergeht, kann letztere auf die zwei Jahre angerechnet werden; für den Eintritt in die Vorschule selbst reicht eine vorangegangene einjährige Grubenarbeit aus. Schliesslich sollen nur diejenigen zur Bergschule zugelassen werden, welche bei der Grubenarbeit Fleiss, Ausdauer und Anstelligkeit gezeigt und sich auch in jeder anderen Hinsicht zufriedenstellend geführt haben. "Wenn die Zahl derjenigen, welche sich zur Aufnahme gemeldet haben und befähigt befunden sind, die Zahl der freien Plätze übersteigt, so haben diejenigen mit längerer Anfahrtszeit den Vorzug. Die Zahl der S c h ü l e r ist bei einer jeden Bergschule nach dem Bedürfniss zu bemessen, wobei jedoch stets zu berücksichtigen bleibt, dass bei aller Sorgfalt in der Aufnahme ein Theil der Schüler hinterher den Erwartungen nicht entspricht, auch Einzelne später den Bezirk für immer verlassen oder sich einem anderen Geschäft zuwenden. Ist die Zahl der Schüler festgestellt, so ergeben sich daraus die nöthigen S c h u l r ä u m e ; nur muss hierbei von vornherein reichlich gerechnet werden, da das Bedürfniss überall im "Wachsen begriffen ist. Um die Bergschüler in der praktischen Handarbeit nicht aus der Uebung kommen zu lassen, sie vielmehr hierin weiter zu

919 fördern, and um ihnen durch den Lohnverdienst wenigstens einen Theil ihres Lebensunterhalts zu verschaffen, wird die G r u b e n a r b e i t w a h r e n d des S c h u l b e s u c h s fortgesetzt. Bei der Festsetzung der Unterrichtsstunden ist hierauf Bücksicht zu nehmen. Daher ist der Unterricht da, wo die Schüler täglich Vormittags anfahren, auf die Nachmittage zu legen: sofern dann die für den Schulbesuch verbleibende Zeit zu kurz ist, erscheint es rathsam, namentlich im letzten Theile des Kursus, die Zöglinge wöchentlich nur 5 statt 6 Schichten anfahren zu lassen, um einen Vormittag für das Markscheiden zu gewinnen, womit die Schüler schon der Instrumente wegen nur abwechselnd beschäftigt werden können. Da, wo sechsstündige Frühschichten nicht stattfinden, die Schüler vielmehr nur volle Schichten anfahren, mithin die Schule nicht täglich besucht werden kann, ist der Unterricht an drei ganzen Tagen abzuhalten. Die D a u e r des K u r s u s ist zweijährig. Die Schüler erhalten während der Schulzeit U n t e r s t ü t z u n g e n . Dabei ist indessen als Grundsatz anzusehen, dass die Stipendien niemals so hoch sein dürfen, um die Angehörigen der Sorgen für den Schüler ganz zu entheben; am allerwenigsten darf dies gleich beim Eintritt in die Anstalt geschehen. Gerade darin, dass der Vater oder Vormund dem Fortkommen des jungen Menschen ein Opfer zu bringen hat, liegt für ihn ein Antrieb, sich selbst von dem Erfolg zu überzeugen, um davon eine weitere Unterstützung abhängig zu machen. Eine solche Kontrole ist aber nicht nur an sich erwünscht, sondern sie hat auch noch den Vortheil, dass bei ungünstigen Unterrichtserfolgen die Privatunterstützung zurückgezogen und dadurch ein Schüler, welcher zu keinen oder doch nur sehr geringen Hoffnungen berechtigt, bei Zeiten aus der Anstalt auszutreten genöthigt wird. In der Regel sollte einem Schüler bei dem Eintritt in die Anstalt kein Stipendium bewilligt, ein solches vielmehr erst nach Ablauf eines halben Jahres gewährt werden. Für Zöglinge, welche sich während des Schulbesuchs durch besondere Fortschritte und rühmliches Betragen ausgezeichnet haben, sind R e i s e s t i p e n dien vorzusehen, damit sie sich andere Bergbezirke zu ihrer Belehrung ansehen können. Was die bei der Ertheilung des Unterrichts zu befolgenden Grundsätze, das L e h r v e r f a h r e n betrifft, so darf mit Rücksicht darauf, dass die Zöglinge keinen anderen als blossen Elementarschulunterricht genossen haben, mithin an ein systematisches Denken nicht gewöhnt sind, der Unterricht kein streng systematischer, sondern nur ein rein praktischer sein, welcher sich der Bildungsstufe der Schüler genau anpasst. Der Lehrer darf nicht erwarten, dass seine Schüler den Unterricht in einem logisch nothwendigen Zu-

920 sammenhange auffassen, sondern er kann, namentlich in dem eigentlichen Fachunterricht, nur auf das fussen, was sie durch eigene Anschauung praktisch erlernt haben. Hiermit muss er seine Lehren, sie mögen nun rein praktischer oder auch wissenschaftlicher Natur sein, im Zusammenhang bringen, wenn er des Erfolges sicher sein will; er darf sich nicht der Wissenschaft bedienen, um durch sie die praktischen Thatsachen in ein System zu bringen, sondern er soll sie nur dazu benutzen, um bekannte Thatsachen wissenschaftlich zu erklären, und um die Schüler dahin zu führen, dass sie bei der Beobachtung von Thatsachen sich gewöhnen, nach den Ursachen zu forschen. Andererseits muss er aber auch den beim technischen Unterricht nur zu häufigen Fehler vermeiden, die Auffassung einer Masse von Erfahrungssätzen zu einer gedankenlosen Gedächtnisssache zu machen. Die Hauptsache bleibt die stete Bezugnahme auf das, was die Schüler mit eigenen Augen gesehen, mit ihren Händen selbst betrieben haben. Der Unterricht muss ferner repetitorisch sein; jede Lektion muss mit einer Wiederholung der vorangegangenen beginnen, damit sich der Lehrer überzeugen kann, ob er verstanden ist; nicht eher darf er in seinem Vortrage fortschreiten. Der Unterricht soll lieber weniger umfassend, aber um so gründlicher sein. Weiter hat sich der Lehrer vor dem Fehler zu hüten, sich durch einzelne talentvolle Schüler zu einem allzuraschen Vorschreiten, dem die übrigen Schüler nicht folgen können, verleiten zu lassen, und schliesslich muss auch an dem Grundsatz festgehalten werden, dass in allen Unterrichtszweigen der Lehrer immer da mehr in's Einzelne eingeht, wo der Gegenstand für den künftigen Beruf der Schüler ihrer Mehrzahl nach von besonderem Interesse ist. Als U n t e r r i c h t s g e g e n s t ä n d e sind in den Lehrplan aufzunehmen: 1. P l a n - , Bau- und M a s c h i n e n z e i c h n e n : In der Kegel fängt man mit dem Planzeichnen an, um die Schüler an eine feste Hand zu gewöhnen; theils zeichnet ihnen der Lehrer vor, theils dienen dazu die bekannten Vorlegeblätter mit topographischen Gegenständen und der Lehmannschen Bergschraffirung, denen grössere und schwierigere Blätter folgen. Mit diesem Unterricht lässt man gern, um nicht durch Einförmigkeit zu ermüden, denjenigen im Linearzeichnen abwechseln. Es folgt das Kopiren von kleineren Maschinenteilen, Bergwerksgeräthschaften und Baugegenständen. Auch das freie Handzeichnen ist zu üben. 2. Schönschreiben. 3. D e u t s c h e Sprache und Stil. 4. R e c h n e n : Dieser Unterricht wird immer von den vier Spezies ausgehen müssen, worauf die Lehren von den gemeinen und

921 Dezimalbrüchen, das Rechnen mit komplexen Zahlen, von Verhältnissen und Proportionen, Zins-. Wechsel-, Bepartitions- and Vermischungs-BechnungeiL, Potenzen und Wurzeln, auch Progressionen folgen, womit man gegen Ende des Kursus bis zu den Anfangsgründen der Buchstabenrechnung: gelangen kann. 5. Geometrie: Angefangen wird mit den EuklidschenElementarsätzen und dann die Planimetrie bis einschliesslich der Lehre vom Kreise durchgenommen, dann folgen die Lehren von der Lage der Ebenen und die Qrundlehren der Stereometrie, Berechnung der Körper u. s. w. Die Beispiele sind aus der Anwendung in der Bergtechnik zu wählen. 6. E b e n e Trigonometrie. 7. Feldmessen. 8. Markscheiden: Die Schüler müssen wenigstens so weit gebracht werden, dass sie einen kleineren Situationsplan aufnehmen und einen Grubenbau ziehen, zulegen und vollständig auszeichnen lernen; die meisten können jedoch so weit kommen, dass sie eine Durchschlags- oder Schachtangabe selbständig und richtig ausführen können. Das Wichtigste ist hierbei, die Schüler an die grösste Genauigkeit zu gewöhnen, alle von ihnen verrichteten Arbeiten auf das strengste zu prüfen und nicht den geringsten Fehler durchgehen zu lassen, weshalb sie in der Begel ein und dieselbe Arbeit mehrfach wiederholen müssen. Die Schule muss übrigens im Besitze einiger und zwar guter Messapparate sein, denn es ist nicht richtig, den Schülern nur alte und ungenaue Instrumente in die Hand zu geben. Dies darf nur ganz zu Anfang geschehen, wo man mit ihnen blos ihre Handhabung einübt; gut ist es jedoch, ihnen an passenden Beispielen zu zeigen, wie man sich in manchen Fällen der Praxis mit einem einfachen Messinstrumente behelfen kann. 9. B e r g b a u k u n d e : Massgebend für den Inhalt und Umfang dieses Unterrichts sind die in den einzelnen Bezirken gestellten besonderen Anforderungen. Der Unterricht erstreckt sich auf Gewinnung der Erd- und Steinmassen (Häuerarbeiten), Gruben-Aushiebe, Grubenbaue, Grubengebäude, wobei grössere Bergwerke des Bezirks als Beispiele in's Auge zu fassen sind, Befestigung der Grubenräume, Aufsuchen der nutzbaren Mineralien, Wasserhaltung, Förderung, Wetterlosung. An passender Stelle wird das Erforderliche aus der Statik, Hydrostatik, Hydraulik und anderen Zweigen der Physik, sowie aus der Chemie eingeflochten. 10. G e b i r g s l e h r e : Kenntniss der einfachen Mineralien und Gesteine, der wichtigsten Versteinerungen, die Lehre von den Lagerstätten und Störungen im Allgemeinen und ihr Vorkommen in dem betreffenden Bezirk im besonderen.

922 Wo die geeigneten Lehrkräfte zur Verfügung stehen, können noch C h e m i e , P h y s i k , M a s c h i n e n k u n d e , B a u k u n d e und R e c h n u n g s k u n d e im Lehrplan berücksichtigt werden. Im Allgemeinen erscheint es rathsam, den Umfang eines jeden Lehrfachs möglichst genau festzustellen und eine Vermehrung des Unterrichts, sei es durch Ausdehnung eines Fachs oder durch Hinzunahme eines neuen Lehrfachs nur dann zu gestatten, wenn man überzeugt sein kann, dass darunter das Wesentlichere nicht leidet. Denn mehr als bei irgend einer anderen Anstalt kommt es hier darauf an, das Nothwendige dem Nützlichen vorzuziehen. Es- ist nicht zu bezweifeln, dass in einer jeden Bergschule sich immer Schüler finden werden, bei denen eine besondere Fähigkeit den Mangel an Vorkenntnissen zu ersetzen vermag, und mit denen man darum über die gewöhnlichen Unterrichtsgrenzen unbedenklich hinausgehen könnte; allein es werden dies stets nur Einzelne sein und es wäre ein grosser Fehler, wenn sich dadurch der Lehrer verleiten lassen wollte, in seinem Vortrage weiter zu gehen, als die Mehrzahl der Schüler begreifen kann. Dieser Fehler kommt in anderen Schulen, namentlich in Real- und Gewerbeschulen, welche gern in den Probearbeiten ihrer Zöglinge zu glänzen suchen, leider so häufig vor, dass es nöthig ist, vor einem solchen Missgriffe bei den Bergschulen ernstlich zu warnen. Was die A u s w a h l d e r L e h r e r betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass der eigentliche Fachunterricht, namentlich das Markscheiden, die Bergbaukunde und Gebirgslehre, aber auch Maschinenund Baukunde, nur von B e r g b e a m t e n zweckmässig und mit Erfolg ertheilt werden kann. Denn bei dem Unterricht ist stets das praktische Bedürfniss im Auge zu behalten. Dies kennt aber nur derjenige, welcher zugleich durch seine Dienststellung mit der Praxis in ununterbrochener Verbindung bleibt und dem dadurch die Mittel zu Gebote stehen, sich von allen Fortschritten gründliche Kenntniss zu verschaffen. „Wie wollte Jemand die markscheiderische Arbeit eines Zöglings richtig beurtheilen, wenn er mit der betreffenden Oertlichkeit unbekannt wäre ? Wer kann jungen Männern die bergtechnischen Kenntnisse, deren ein Steiger bedarf, beibringen, ohne mit Steigern in dienstlicher Verbindung zu stehen, wer dieselben auf bergbauliche Einrichtungen verweisen, wenn er dieselben nicht selbst wiederholt zu sehen Gelegenheit hätte? Selbst in der Gebirgslehre ist es nothwendig, die Schüler auf dasjenige aufmerksam zu machen, was in den benachbarten Revieren neu aufgeschlossen wird, und dies vermag nur der, welchen sein Beruf dahin führt, also entweder der Betriebsbeamte oder der Markscheider. In der Maschinenkunde bringt jeder Tag neue Erfindungen, mit denen nur der Mann vom Fache so bekannt sein kann, dass er sie Anderen mitzutheilen vermag. Ein Lehrer, welchen man für das eine oder

923 andere dieser Fächer besonders anstellen wollte, wird anfänglich wohl noch genau mit demselben vertraut sein; es würden aber wenige Jahre genügen, um ihn, wenn er nicht im praktischen Zusammenhange mit den Gegenständen des Faches erhalten wird, allen Fortschritten in demselben zu entfremden." Für die E l e m e n t a r f ä c h e r und das Z e i c h n e n sind dagegen besondere Lehrer anzustellen, denen nebenher auch noch Verwaltungsgeschäfte, wie Ausgabe der Schreib- und Zeichenmaterialien, Ueberwachung der Sammlungen, Aufsicht über die Geräthschaften der Schule u. s. w. übertragen werden können. Die Lehrer bilden in ihrer Gesammtheit ein K o l l e g i u m , zu dessen Befugnissen die Prüfung der aufzunehmenden Schüler, die Ausstellung der Zeugnisse, die Begutachtung der Anträge auf Unterstützung oder Entlassung von Schülern, die Vorschläge über die anzuschaffenden Lehrmittel u. dgl. gehören. Die A u f s i c h t über die Bergschule führt in der Kegel der Direktor des Bergamts, an dessen Sitz sich die Schule befindet; zu seinen besonderen Obliegenheiten gehört namentlich die Kontrole über die planmässige Ertheilung des Unterrichts und den regelmässigen Schulbesuch. Schliesslich folgen noch eingehende Bestimmungen über das jedem Schüler bei seinem Eintritt in die Anstalt einzuhändigende S c h u l r e g l e m e n t , das zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestimmt ist. — Wir sind auf den Inhalt dieser Denkschrift ausführlicher eingegangen, weil die darin enthaltenen organisatorischen und lehrtechnischen Vorschläge und Gedanken für die Pre assischen Bergschulen verwirklicht und in der Hauptsache bis heute massgebend geblieben sind. In den Jahren 1853 bis 1857 wurden die damals schon vorhandenen Bergschulen entsprechend reorganisirt, und die neuen sind von vornherein im "Wesentlichen nach Carnall's Plan eingerichtet worden. Nur sind gemäss dem in der Berggesetzgebung später zur Herrschaft gelangten Grundsatz der Selbstverwaltung die Verwaltungs- und Aufsichtsbefugnisse, welche früher die staatlichen Bergbehörden ausübten, zugleich mit der Uebertragung der gegesammten Schulkosten an die betreffenden Bergbau-Hülfskassen oder an eigens zu diesem Zwecke zusammengetretene BergschulVereine, besonderen Schulkuratorien zugewiesen. Ihnen liegt namentlich ob: 1. die Feststellung des Unterrichts- und Stundenplans; 2. die Annahme und Entlassung der Lehrer; 3. die Feststellung der Schülerzahl und die Entscheidung über die Aufnahme der Schüler; 4. die Bewilligung und Entziehung der Unterstützungen; 5. die Entscheidung über Entlassung unfleissiger Schüler; 6. die Aufstellung und Vorlegung, später auch die selbständige Festsetzung

924 des Etats; 7. die Genehmigung zur Beschaffung von Lehrmitteln; 8. die Zahlungs-Anweisungen, Prüfung der. Rechnungen und Aehnliches. Das Kuratorium bestand in der ersten Zeit aus dem BergamtsDirektor als Vorsitzenden, zwei Mitgliedern des betreffenden Bergamtes und zwei oder drei gewählten Vertretern der den BergbauHülfskassen oder dem Bergschul-Verein angehörenden Gewerkschaften. Als durch Gesetz vom 5. Juni 1863 die Bergbau-Hülfskassen den Besitzern der betheiligten Bergwerke zur eigenen Verwaltung überwiesen wurden, trat an die Stelle des Schul-Kuratoriums entweder der Hülfskassen -Vorstand als solcher, oder ein aus diesem und dem Bergschul-Direktor gebildetes neues Kuratorium. Bei den Vereinsschulen wurde nach Auflösung der Bergämter die Bildung des Kuratoriums vertragsmässig neu geregelt, wobei sich der Staat zum Theil als Beitrag leistender Werkbesitzer mehr oder weniger Bechte vorbehielt. Im Allgemeinen sind alle Bergschulen auf diese Weise selbständige Institute geworden. Auch die früher dem Minister vorbehaltene Festsetzung des Etats ist in die Hände der Kuratorien übergegangen. Nur in wenigen Fällen ist der Bergbehörde noch die Bestätigung der neu anzustellenden Lehrer vorbehalten geblieben. Von denjenigen Schulen abgesehen, an deren Unterhaltung der Staat als Werksbesitzer in hervorragendem Masse betheiligt ist, hat die Bergbehörde nur das allgemeine Aufsichtsrecht, das ihr über alle Unterrichtsanstalten zusteht. Ueber die Begründung und Entwicklung der einzelnen Schulen finden sich nähere Angaben in der schon oben angeführten amtlichen Darstellung über die Bergschulen im Preussischen Staate, auf welche hiermit verwiesen sei.1) Zur Zeit giebt es folgende 10 B e r g s c h u l e n : im Oberbergamtsbezirk Breslau: Tarnowitz, Waldenburg, im Oberbergamtsbezirk H a l l e : Eisleben, im Oberbergamtsbezirk Clausthal: Clausthal, im Oberbergamtsbezirk Dortmund: Bochum, Essen, im Oberbergamtsbezirk Bonn: Saarbrücken, Siegen, Dillenburg, Bardenberg. Ausserdem bestehen 43 Bergvorschulen, nämlich im Oberbergamtsbezirk Breslau: Waldenburg, Gottesberg, Reussendorf, Neurode, Schlegel, Petrykowitz, Görlitz; im Oberbergamtsbezirk Halle: Eisleben, Halle, Senftenberg, Stassfurt; im Oberbergamtsbezirk Clausthal: Clausthal, Obernkirchen; im Oberbergamtsbezirk Dortmund: Aplerbeck, Dortmund, *) Siehe oben S. 915. Anm. 3.

92E> Castrop, Witten, Herne, Bochum, Linden, Sprockhövel Schalke, Gelsenkirchen, Kupferdreh, Katernberg, Altenessen,. Borbeck, Oberhausen, Kamen, Eickel, Buer, Recklinghausenr Bottrop, Meiderich; im Oberbergamtsbezirk B o n n : Louisenthal (Bergvor- und Steigerschule), Sulzbach (desgl.), Neunkirchen (desgl.), Siegen, Wetzlar, Kohlscheid, Eschweiler-Pumpe, Grube Maria bei Höngen, Grube Nordstern bei Herzogenrath. Die durchschnittliche Zahl der Lehrer und S c h ü l e r an den Bergschulen und Bergvorschulen in den drei letzten Jahren ergiebt sich aus folgender Tabelle: I. B e r g s c h u l e n : Zahl der Schale zu

Lehrer 1899

Tarnowitz Waldenburg Eisleben Clausthal i Markscheiderklasse Bochum J Oberklasse . . . ( Unterklasse . . . Essen . .. i i Oberklasse . 0 Saarbrücken { U n t e r k l a s s e .

| > J 1 }

Siegen Dillenburg Bardenberg Zusammen

1900

Schüler 1901

4 4 6 8

7 4 6 8

8 4 9 7

19

20

21

7

7

8

16

13

11

6 4 5 79

6 6 6 83

6 4 5 83

1899

1900

1901

57 24 49 26 6 31 526 37 44 46 39 22 31

100 23 54 32 6 33 597 37 44 47 45 24

103 25 76

938

3a

41 63& 37 47 51 48 30 33 31 1073 1163

II. B e r g v o r s c h u l e n : Zahl der Schule zu

Waldenburg.... Gottesberg . . . . Reussendorf.... Neurode Schlegel Petrykowitz

Schüler

Lehrer

. . . .

. . . .

Seite

1899

1900

1901

1899

1900

1901

1 1 1 1 1 4 9

1 L 1 1 1 4 9

1 1 1 1 1

51 21 19 5

3

19 121

63 32 4 6 5 12 122

55 38 10 5 7 18 133

8

6

926 Zahl der Schule zu

Lehrer

1899 Görlitz Eisleben Halle Senftenberg Stassfurt . . . . Clausthal . . . Obernkirchen Aplerbeck . . . Dortmund . . . Castrop . . . . "Witten Herne Bochum . . . . Linden . . . . Sprockhövel . . Schalke . . . . Gelsenkirchen . . Kupferndreh . . Katernberg . . . Altenessen Borbeck . . . . Oberhausen . . . Kamen . . . . Eickel. . Buer Beckinghausen Bottrop . . . . Meiderich . . . Louisenthal . . . Sulzbach . . . . Neunkirchen . . Siegen . . . Wetzlar . . . . Kohlscheidt . . . Eschweiler-Pumpe Grube Maria . . Grube Nordstern

Uebertrag



. . . . . . . . . . . . . . . . .

4 2 3 2 3 2 3 2 3 2 3 2 3 3 3 3 3

. . . . . . . .

. . . . . . . . .

1899

1900

1901

9

8 5 7 5 6 4 2 2 3 2 3 2 3 2 4 2 3 2 2 2 3 3 2 2

121

122





133 9 20 20 15 14 24 12 25 24 25 21 30 38 25 27 36 35 24 40 31 39 23 10 29 19 23 15 20 21 12



6 4 6 4 2

. . . . . .

. . . . . . . .

1901

9 —

.

2

3 3 3 5 4 3

1

3 3 2

3 —

Zusammen 1111 Schliesslich ist noch auf die nnd Clausthal hinzuweisen, von letztere 1864 begründet wurde.1)

Schüler

1900

6 4 6 4 2 2 4 2 3 2 3 2 3 2 3 2 4 2 3 3 2 3 3 2 3 3 2 4

16 16 9 11 23

20 20 16 13 24 — 12 34 48 25 24 24 23 27 20 31 29 37 37 23 22 23 24 38 35 34 35 25 25 41 43 36 33 33 34 28 25 26 14 2 34 29 3 23 19 3 27 27 3 42 26 3 21 20 4 18 22 4 4 12 13 4 4 20 25 24 1 1 14 21 20 3 3 14 12 12 2 25 2 21 17 2 2 17 18 18 2 12 2 11 23 1 — 7 9 1 112 | 116 974 955 962 B e r g a k a d e m i e n zu B e r l i n denen die erstere 1860, die

') Siehe N o e g g o r a t h , Die K. Bergakademie. Zeitselir. f. d. Berg-, Hütten-

927

An der Bergakademie ztt Berlin belief sich die Zahl der eingeschriebenen Studirenden im Sommerhalbjahr 1900 auf 158 (gegen 142 im Yoijahr) und im Winterhalbjahr 1900/01 auf 212 (193). Unter den Studirenden befanden sich 64 (78), bezw. 75 (82) Bergbaubeflissene, welche sich für den preussischen Staatsdienst ausbildeten. Die Zahl der Studirenden an der Bergakademie zu Clansthal betrug im Sommerhalbjahr 1900 im Ganzen 229 (236) und im Winterhalbjahr 1900/01 196 (235). Unter den Studirenden befanden sich 24 (29), bezw. 16 (23) Bergbaubeflissene, welche sich für den preussischen Staatsdienst ausbildeten. Die Abtheilung für Bergbau- und Hüttenkunde an der technischen Hochschule in Aachen wurde schon oben (S. 743) erwähnt. Sie zählte im Winterhalbjahr 1901/02 ausser einer Anzahl Hospitanten 86 Studirende der Bergbau- und 117 der Hüttenkunde. und Salinenwesen, Bd. 12., B. 8. 365. H a u c h e c o r o e , Berg-und Hüttenmännische Zeitung, 1869, No. 11; die oben, S. 915. Anm. 3 erwähnte Denkschrift v. 1889, 8. 36 ff.

Vorbemerkung zu Anlag« I. Das Preussische Abgeordnetenhaus forderte am 21. Januar 1879 die Königliche Staatsregierung auf, eine ständige Kommission einzusetzen, deren sachkundige Mitglieder besonders dem Gewerbe- und Handwerkerstande angehören sollten. Diese Kommission sollte die gewerbliche Unterrichtsverwaltung in wichtigen Fragen des gewerblichen Schulwesens berathen. Diesem Antrage wurde entsprochen und die Kommission im Februar 1881, im März 1883, im Juni 1891 und im Januar 1896 zusammenberufen. Das Protokoll über die Verhandlungen aus dem Jahre 1896 wird in Folgendem abgedruckt.

Anlage I.

Verhandlungen der

ständigen Kommission für das technische Unterrichtswesen zu Berlin am 13. und 14. Januar i8g6. Redigirt im Ministerium für Handel and Gewerbe nach stenographischen Aufzeichnungen.

Berlin, den 13. Januar 1896. Anwesend: In Vertretung Seiner Excellenz des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe, Freiherrn v o n B e r l e p s c h : der "Wirtliche Geheime OberBegierungsrath und Unterstaatssekretär Loh mann. Die ordentlichen Mitglieder der Kommission: B e c k e r , Oberbürgermeister, Mitglied des Herrenhauses, in Köln a. Rh. Dr. B e r t r a m , Geheimer Regierungsrath, Professor und Stadtschulrath, in Berlin. D e l i u s , Kommerzienrath, in Aachen. E h l e r s , Stadtrath, Mitglied des Hauses der Abgeordneten, in Danzig. E l d i t t , Oberbürgermeister, Mitglied des Herrenhauses, in Elbing. F e l i s c h , Baumeister, Nichtständiges Mitglied des Reichs -Versicherungsamts, Mitglied des Hauses der Abgeordneten, in Berlin. F r i e d e r i c h s , Geheimer Kommerzienrath, in Remscheid. G a r b e , Eisenbahndirektor, Mitglied des Kaiserlichen Patentamts, in Berlin. Dr. Freiherr H e e r e m a n von Z u y d w y k , Erster Vice-Präsident des Hauses der Abgeordneten, in Berlin. Dr. von J a c o b i , Staatssekretär a. D., Wirklicher Geheimer Rath, in Berlin. J e s s e n , 0., Direktor der I. Handwerkerschule in Berlin. K a s e l o w s k y , Kommerzienrath. Direktor der Berliner Maschinenbau-Aktiengesellschaft, in Berlin. Dr. K r o p a t s c h e c k , Professor, Mitglied des Hauses der Abgeordneten, in Berlin. von N e u m a n n , Rittergutsbesitzer, Mitglied des Hauses der Abgeordneten, auf Hanseberg bei Königsberg N./M. P u l s , E., Kunstschlossermeister und Fabrikant, in Berlin. P a s c h d o r f f , Geheimer Regierungsrath und Professor an der Technischen Hochschule, in Berlin. Freiherr von der Reck, Landrath, Mitglied des Herrenhauses, auf Burg Mansfeld bei Mansfeld. von S c h e n c k e n d o r f f , Telegraphen-Direktionsrath a. D., Mitglied des Hauses der Abgeordneten, in Görlitz. Freiherr von Z e d l i t z und X e u k i r c h , Geheimer Ober - Regierungsrath, Mitglied des Hauses der Abgeordneten, in Berlin. Dite als ausserordentliche Mitglieder der Kommission eingeladenen Herren: B a h n , Vorsitzender der Handelskammer in Sorau. B o c k e r t , Direktor der Königlichen Maschinenbau- und Hüttenschale, in Duisburg. Dr. F i e d l e r , Direktor der Königlichen Ober-Realschule und Baugewerkschule in Breslau. S i m o n , Die Fachbildung des Prenssischen Gewerbe- and Handelsstandes (Anlage).

I

II

Anlage I.

G ü r t l e r , Direktor der höheren Webeschule in Berlin. K l e m m , Max, Fabrikbesitzer, in Forst i. d. Lausitz. L a c h n e r , Direktor der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Hannover. L e m b c k e , Direktor der höheren Webeschule in Crefeld. L ü d t k e , L u d w i g , Tischlermeister, in Berlin. M e y e r , L u d w i g , Ingenieur und Fabrikant, in Hannover. O h n e s o r g e , Malermeister, in Magdeburg. S e y f f a r d t , Vorsitzender der Handelskammer in Crefeld. S p e t z l e r , Direktor der Königlichen Baugewerkschule in Posen. S t i l l e r , Professor, Direktor der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf. Die Kommissare des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe: L ü d e r s , "Wirklicher Geheimer Ober-Begierungsrath. Simon, Geheimer Regierungsrath. Der Kommissar des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und MedizinalAngelegenheiten: Dr. phil. W e h r e n p f e n n i g , Geheimer Ober-Regierungsrath. Die Kommissare des Herrn Ministeis der öffentlichen Arbeiten: Koch, Geheimer Baurath. Z a s t r a u , Geheimer Ober-Baurath.

Unterstaatssekretär Loh m a n n : Meine Herren! Seine Excellenz, der Herr Handelsminister ist gestern an das Krankenbett seines Bruders berufen worden. Er hat mich daher beauftragt, den Vorsitz in der Versammlung zu übernehmen und Ihnen für Ihr Erscheinen zu danken. Ich erlaube mir Ihnen vorzuschlagen, die Ihnen zugegangene Denkschrift über die Entwickelung der gewerklichen Fachschulen und Fortbildungsschulen während der Jahre 1891 bis 1895 *) unseren Berathungen der Gestalt zu Grunde zu legen, dass wir der Reihe nach 1. die Baugewerkschulqn (S. 16—24), 2. die Maschinenbauschulen (S. 24—31), 3. die Rang- und Titelverhältnisse der Direktoren und Lehrer etc. (S. 22/23), 4. die Webeschulen (S. 32—53), 5. die anderen Fachschulen (S. 54—56) und endlich 6. die gewerblichen Fortbildungsschulen (S. 57—61) besprechen. Ebenso ist in der letzten Sitzung dieser Kommission im Jahre 1891 die damals vorgelegte Denkschrift zur Grundlage der Berathungen gemacht worden. Da sich gegen diesen Vorschlag kein Widerspruch erhebt, nehme ich an, dass die Versammlung damit einverstanden ist. Ich bitte daher Herrn Geheimrath L ü d e r s , zunächst die eingegangenen Anträge zu verlesen, und wir können uns dann darüber schlüssig machen, an welcher Stelle der Tagesordnung wir darüber verhandeln wollen. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s verliest darauf die eingegangenen Anträge. I. Antrag des Baumeisters F e l i s c h : Die ständige Kommission für das technische Unterrichtswesen wolle beschliessen: ,,Die Kommission dankt der Königlichen Staatsregierung für die in der Denkschrift niedergelegten Grundsätze und Absichten, welche bei der Entwickelung und Fortführung des gewerblichen Unterrichtswesens während der Jahre 1891 bis 1895 bestimmend gewesen sind; es wird hieran jedoch der dringende Wunsch geknüpft, es mögen die gewerblichen Unterrichtsaostalten in einem schnelleren Tempo als bisher vermehrt und dementsprechend reichlichere Mittel dafür in Bereitschaft gestellt werden, um den nicht mehr abzuweisenden Anforderungen von Handwerk und Industrie zu genügen. Insonderheit ist die Errichtung ') Ltlders a. Simon, Denkschrift Uber die Entwiokelang der gewarbliohen FortbiidangBtchalen and der gewerblichen Fachschulen in Preuuen v&hrend dar Jahre 1891—1896, Berlin 1896.

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von Handwerkerschulen, gewerblichen Zeichen- und Kunstgewerbeschulen in allen Städten von 33 000 und mehr Einwohnern ein baldigst zu erfüllendes Bedürtniss. Auch die langsame Vermehrung der Baugewerkschulen entspricht keineswegs den Ansprüchen, welche das Baugewerbe zu stellen berechtigt ist, wenn nicht auch fernerhin eine grosse Zahl preussischer Schüler auf fremden, zum Theil sehr minderwerthigen Bauschulen ihre Ausbildung suchen soll. Am dringendsten ist das Bedürfniss für baldige Errichtung von Baugewerkschulen in den Provinzen Brandenburg, Westfalen und Rheinprovinz vorhanden. Lehrplan und Lehrziel der vorhandenen vierklassigen Baugewerkschulen entsprechen durchaus den "Wünschen der Baugewerbetreibenden. Es ist daher mit Entschiedenheit einem im vergangenen Jahre hervorgetretenen, auch von dem Kölner Gewerbevereiii angenommenen Vorschlage des Herrn Direktors Romberg in Köln entgegenzutreten, welcher die Baugewerkschulen in bautechnische Mittelschulen (Baugewerkschulen mit zwei Jahreskursen und einem Vorkursus) und niedere Fachschulen für das Baugewerbe (Bauhandwerkerschulen mit zwei Halbjahrskursen) zerlegen will. (Auf ersteren sollen hauptsächlich die in den- Städten thätigen Baugewerksmeister, auf letzteren die ländlichen Meister und Poliere ausgebildet werden. Eine solche Trennung und Zerlegung der Baufachschulen widerspricht durchaus den deutlich hervorgetretenen "Wünschen und Absichten des Baugewerbes und ist einstimmig auf dem im vorigen Jahre zu Strassburg i. E. stattgehabten Verbandstage des Innungsverbandes Deutscher Baugewerksmeister als- vollkommen ungeeignet abgelehnt worden)." IL Antrag des Fabrikbesitzers Rudolf B a h n : „Die ständige Kommission für den technischen Unterricht nimmt mit besonderer Befriedigung von den zur Hebung der Webeschulen getroffenen und noch in Aussicht genommenen Massnahmen dankbar Kenntniss; sie erkennt deren Zweckmässigkeit an und bittet, auf dem betretenen Wege fortzufahren. Insbesondere hält sie es für dringend erwünscht, dass bewährte Direktoren und Lehrer mit Pensionsberechtigung und Anspruch auf Reliktenversorgung endgültig angestellt weiden, und dass, soweit die Gemeinden die Pensionslast zu tragen nicht im Stande sind, der Staat mit seinen Mitteln eintritt." HI. Antrag des Herrn von S c h e n c k e n d o r f f : „Die ständige Kommission für den technischen Unterricht wolle die Königliche Staatsregierung auffordern, der Förderung des Fortbildungsschulwesens künftig eine höhere Beachtung zuzuwenden." Ich habe mir erlaubt, den Schlusssatz des Antrages Fe lisch von „Auf ersteren sollen" bis „ungeeignet abgelehnt worden" beim Druck in Klammern setzen zu lassen, weil diese Worte wohl nur eine Begründung des vorhergehenden Absatzes sein sollen. Ich bitte den Herrn Antragsteller, sich hiermit einverstanden zu erklären. Herr F e l i s c h ist hiermit einverstanden. Die Versammlung beschliesst, die Anträge bei den einzelnen Schulgattungen, auf die sie sich beziehen, zu erörtern. Darauf ertheilt Herr Unterstaatssekretär Loh m a n n dem Herrn Geheimen Regierungsrath Simon das Wort zur Einleitung der Verhandlungen über die B a u gewerkschulen. Geheimer Regierungsrath S i m o n : Die ständige Kommission für das technische Unterrichtswesen hat bei ihrer letzten Tagung am 5. Juni 1891 drei Anträge angenommen, die Sie in der Ihnen vorliegenden Denkschrift S. 17 abgedruckt finden. Sie lauten wie folgt: 1. Die Zahl der Baugewerkschulen ist dem Bedürfnisse entsprechend erheblich zu erhöhen, 2. die Lehrergehälter sind denen der Bauinspektoren möglichst gleichzustellen; den Lehrern ist Pensionsberechtigung zu gewähren; die feste Anstellung der Lehrer soll angestrebt werden, I*

IV

Anlage I.

3. die Herabsetzung des Schulgeldes ist zur Zeit kein Bedürfniss, dagegen muss die Möglichkeit geboten sein, Unbemittelten ganz oder theilweise unentgeltlichen Unterricht zu gewähren. Sie werden aus der Denkschrift ersehen haben, wie die Staatsregierang in den letzten 5 Jahren bemüht gewesen ist, diesen Anträgen zu entsprechen. Es sind seitdem drei neue Baugewerkschulen gegründet worden: in Posen, Königsberg und in Görlitz, wobei allerdings zu berücksichtigen i Ist, dass die Mittel zur Einrichtung und Unterhaltung der Baugewerkschule in Posen schon durch den Staatshaushalts-Etat für 1891/92 bereitgestellt sind; ausserdem hat der Staat seit dem 1. April 1895 die Hälfte des Zuschusses für die bis dabin von der Stadt allein unterhaltene Baugewerkschule in Köln übernommen. Im nächsten Rechnungsjahre soll eine neue Baugewerkschule in Kassel gegründet werden, wenn die erforderlichen Mittel durch den Staatshaushalts-Etat verfügbar gemacht werden. Ausserdem sind die Baugewerkschulen in Idstein und Höxter aus achtklassigen zu zehnklassigen Anstalten erweitert worden und das Gleiche soll im nächsten Rechnungsjahre mit den Baugewerkschulen in Dt. Krone und Nienburg geschehen. Freilich ist damit dem vorhandenen Bedürfnisse noch nicht genügt, wie sich aus den Tabellen auf Seite 16 und 18 der Denkschrift ergiebt, in denen die Zahl der wegen Platzmangels in den letzten Jahren zurückgewiesenen Schüler angegeben ist 1 ) Da die meisten der zurückgewiesenen Schüler aus "Westfalen, der Rheinprovinz und der Provinz Brandenburg stammen, so wird zunächst in jeder dieser Provinzen eine neue Baugewerkschule nöthig sein. Dem zweiten Antrage ist in der Hauptsache entsprochen worden, indem inzwischen das Durchschnittsgehalt der akademisch gebildeten Baugewerkschullehrer auf 4200 Mark erhöht und femer durch Verstaatlichung der 5 Schulen in Idstein, Höxter, Eckemförde, Buxtehude und Dt. Krone, sowie durch Einrichtung der Schulen in Posen, Königsberg und Görlitz als Staatsanstalten die Möglichkeit gegeben ist, die Direktoren und Lehrer dieser Anstalten endgültig und mit Anspruch auf Ruhegehalt anzustellen. Zur Zeit sind von den 115 an den Staatsanstalten ständig beschäftigten Lehrern 57, also die Hälfte, fest angestellt. Es werden nun noch baldigst die Rang- und Titelverhältnisse der Direktoren und Lehrer angemessen zu regeln sein. Der dritte Antrag hat ebenfalls Berücksichtigung gefunden; denn an allen Anstalten stehen jetzt 10 Prozent der Schulgeldeinnahme zu Schulgeldbefreiungen zur Verfügung. Allerdings hat in Folge dessen, um Mehrausgaben für die Staatskasse zu vermeiden, das Schulgeld für das Sommerhalbjahr von 50 auf 8ß Mark erhöht werden müssen. Schliesslich ist noch zu bemerken, dass zur Verbesserung der bestehenden Anstalten verschiedene Massnahmen vorbereitet werden: einheitliche Lehrpläne, Dienstinstruktionen für Direktoren und Lehrer, eine Revision der Prüfungsordnung, die Feststellung der Aufnahme-Bedingungen und dergleichen mehr. Es ist beabsichtigt, demnächst zur Berathung über diese Angelegenheiten eine Kommission zu berufen, der Direktoren und Praktiker angehören sollen. Herr Felisch: Diese Ansichten des Ministeriums sind durchaus zu billigen. Ich empfehle jedoch, in Uebereinstiramung mit den von dem Delegirtentage des Verbandes Deutscher Baugewerksmeister, von den Aufzunehmenden nicht ein, sondern 2 Jahre Baupraxis und von den zu Prüfenden nicht 2, sondern 3 Jahre Baupraxis zu verlangen. Auch wünsche ich die Herabsetzung des Schulgeldes, das für manche Schüler zu hoch ist. Ferner will ich noch anerkennend hervorheben, dass die Staatsregierang davon abgegangen ist, allzu hohe Beiträge zur Unterhaltung von Baugewerkschulen von den Kommunen zu verlangen. Früher mossten die Kommunen den grösseren Antheil der Kosten übernehmen, heute tragen die meisten nur einen verhältnissmässig geringen Theil. Gleichwohl ist nicht alles so, wie es sein müsste. In der Denkschrift steht, dass 1891 = 1038, 1892 = 1585, 1893 = 2050 und 1894 = 976 sich zur Aufnahme Meldende wegen Platzmangels abgewiesen werden mussten. Diese >) Wegen Platzmangels würden abgeiriesen: 1891 = 1038, 1892 = 1685, 1893 = 2050, 1894 = 976. Von letzteren entfielen 134 auf Westfalen, 120 auf Berlin, 116 anf die Rheinprovinz, 112 auf Brandenburg, anner Berlin, die übrigen anf die anderen Provinzen.

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Zahlen geben viel zu denken. Im Jahre 1893 sind ungefähr ebensoviele Schüler abgewiesen, als angenommen worden. Wirklicher Geheimer Ober - Kegierungsrath L u d e r s bemerkt, dass in den Jahren 1891 bis 1893 a l l e bei den Baugewerkschulen Abgewiesenen gezählt worden sind. Vom Herbst 1894 und 1895 besitzen wir ein namentliches Yerzeichniss der abgewiesenen Schüler. Diese Verzeichnisse sind hier verglichen und es ist dann festgestellt worden, wie viele Einzelne abgewiesen worden sind, jeder Schüler nur e i n m a l gezählt. Daher können die Zahlen von 1891 bis 1893 nur unter sich, aber nicht mit der Zahl von 1894 verglichen werden. Herr F e l i s c h : Wenn die Zahl der Abgewiesenen geringer als früher gewesen ist, so hat das an verschiedenen Verhältnissen gelegen. Vor allen Dingen daran, dass es notorisch ist, dass in den Preussischen Baugewerkschulen nur wenige von denen, die einen Platz haben wollen, einen erhalten können. Die Direktoren brauchen nicht erst bekannt zu machen, dass alle Plätze vergeben sind; alle Welt weiss: auf diesen Schulen ist keine Unterkunft zu finden. Nebenher will ich noch sagen, dass der Rückgang der Meldungen auch darauf zurückzuführen ist, dass das Baugewerbe zur Zeit zurückgegangen ist, von dem Steigen und Fallen der Erwerbsverhältnisse eines Gewerbes ist die Zahl der Fachschüler abhängig. In Folge des Platzmangels auf den Preussischen Baugewerkschulen ist die grosse Zahl der Preussischen Laudeskinder, welche ihre Ausbildung auf diesen Schulen nicht finden kann, gezwungen, sich nach auswärtigen Schulen zu begeben. Meine Herren, in einem Kulturstaate wie Preussen sollte man nicht länger dulden, dass wir unsere jungen Leute, die sich f ü r irgend einen gewerblichen Zweig ausbilden wollen und später auch in ein Handwerk oder Gewerbe eintreten, wodurch sie erwerben und auch tüchtige Steuerzahler werden, nöthigen, anderswohin zu ihrer Ausbildung zu gehen. Sie sind zum grossen Theil gezwungen, ganz minderwerthige Schulen zu besuchen. Es ist wohl bekannt, dass viele der ausserpreussischen Schulen im Wesentlichen deshalb entstanden sind, weil einzelne Leute, Direktoren und Lehrer, ihr Fortkommen haben wollen; ja, einige auch, weil einzelne kleine deutsche Städte, deren Steuerkraft versiegte, durch eine Baugewerksehule, der sie noch einen hochtönenden Kamen beilegen, nur erlangen wollen, dass zu ihnen vielleicht viele Hundert Schüler kommen und die Einwohnerschaft dadurch erhebliche Einnahmen erhält. Ich will nur eine Schule nennen, es giebt übrigens eine ganze Reihe solcher, wenn sie auch nicht ganz so schlecht sind, wie diese. Ich erinnere an die Schule zu Strelitz; da sind in diesem Winter gegen 800 Schüler, darunter ungefähr •,/4 aus Preussen. Diese Schule nimmt, wie sie durch Prospekte bekannt macht, täglich Schüler auf und entlässt täglich Schüler. Etwa 800 Schüler sollen im Ganzen nur von 15 Lehrern unterrichtet werden. Damit mir nicht der Vorwurf gemacht werden kann, ich behaupte etwas, was nicht der Fall sei, habe ich diese Anstalt namhaft gemacht. Die Schule und sehr viele audere werden dadurch erhalten, dass der grosse Staat Preussen seine Schüler so zu sagen dahin schickt und zwar darum, weil sie auf Preussischen Schulen nicht aufgenommen werden können. Viele gehen leider auch gerne dahin, wo sie ohne Aufnahme-Prüfung angenommen werden. Die Schüler solcher Anstalten sollen künftig den Preussischen, den Deutschen Baugewerbestand bilden. Meine Herren, das sind wahrlich nicht normale Zustände. Ich meine, das Bedürfniss nach technischen Schulen hat jeder Staat für sich selbst zu befriedigen. — Es leidet unser Preussisches Bauhandwerk darunter, dass nicht genug Baufachschulen vorhanden sind. Aber ich will gleich hervorheben, dass das Fehlen guter Schulen allerdings nicht die einzige Ursache des Zurückgehens des Baugewerbes ist. Das liegt auch daran, dass durch unsere famose Gewerbeordnung von 1869 der Lehrzwang aufgehoben worden ist, dass die Gesellen absolut nicht mehr in planmiissiger Weise ausgebildet werden, und dass f ü r ein so hervorragendes Gewerbe beliebt worden ist, den Befähigungsnachweis aus der Welt zu schaffen. Was das Schulgeld anbetrifft, so haben wir von dem Herrn Referenten. Geheimen Regierungsrath Simon gehört, dass die Regierung dazu übergegangen ist, das Schulgeld f ü r den Sommer von 50 auf SO Mark zu erhöhen. In anderen Staaten, wie Sachsen, Bayern u. s. w., ist das Schulgeld geringer, und ich sehe nicht ein, warum es hier nicht auch der Fall sein könnte. Hierauf lege ich jedoch kein so grosses Gewicht und zwar deshalb nicht, weil wir noch andere Uebelstüude haben, die auch zu beseitigen sind. Von einer Besprechung der Rang- und Gehaltsverhältnisse der Lehrer will ich jetzt absehen. Dagegen möchte ich glauben, dass es

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Anlage I.

an der Zeit ist, die Dauer der Abiturienten - Prüfungen an den Baugewerkscliulen abzukürzen. Jetzt brauchen die Schüler beim Examen 18 Tage hinter einander zur Anfertigung der schriftlichen Arbeiten. Es ist dies, abgesehen von anderen Missständen, die sich ergeben, jedenfalls ein verhältnissmässig grosser Raum von Zeit, der dem eigentlichen Unterrichte verloren geht Heute, wo wir ein gleiches Lehrziel, einen verhältnissmässig guten Lehrplan haben, würde sich die Prüfungszeit vielleicht auf 6 oder 8 Tage oder höchstens 10 Tage beschränken lassen. Man hätte dann wenigstens 8 Tage gewonnen. Endlich möchte ich noch aussprechen, dass es nothwendig erscheint, die Lehrer der Baugewerkschulen von Zeit zu Zeit auf einen längeren Zeitraum wieder in die Praxis zu schicken, dann werden sie mit grösserem Erfolge unterrichten können. Nun muss ich mich zu dem letzten Theile meiner Ausfährungen wenden. Er betrifft eine Neuerung, eine Abänderung in der Organisation der Baugewerkschulen, die im vorigen Jahre von dem Herrn Direktor Romberg in dem Kölnischen Gewerbeverein vorgeschlagen worden ist, und dort auch Beifall gefanden hat Die Grundsätze, welche Herr Romberg aufgestellt hat, sind kurz folgende: Er will die jetzige Baugewerkschule wieder in zwei Arten zerlegen; er will einmal die jetzige Baugewerkschnle im "Wesentlichen lassen wie sie ist, aber für diejenigen, welche eine verhältnismässig geringe Praxis, jedoch eine etwas bessere allgemeine Bildung haben, bestimmen, für die anderen Schüler mit verhältnissmässig grösserer Praxis, aber geringerer allgemeiner Bildung will er sogenannte Bauhandwerkerschulen einrichten, die 2 Fünfmonatskurse haben sollen, während die andere Schule 2 Jahreskurse und, wenn nöthig, einen dritten Jahreskursus als Vorbereitnngsklasse bekommen soll. Dieser Vorschlag mag gut gedacht sein, aber er ist nicht angebracht Man soll eine Organisation, die gegenwärtig immerhin noch in der Entwickelung begriffen ist, nicht in seiner Lebensfähigkeit dadurch stören, dass man ihre Grundlagen ändert. Dann sind aber auch die Gründe, die Herr Romberg für eine solche Trennung der Baugewerkschule in eine höhere und eine niedere Schule angeführt hat, ganz unzutreffend. Er behauptet, die Verhältnisse unter den Baugewerbetreibenden in Deutschland hätten sich erheblich geändert; es sei mehr Theorie unter die Leute gekommen, sie würden ausgebildet für die Zeichenbureaus der Architekten, viele Baugewerkschüler gingen nicht in die eigentliche Praxis. Dann hebt er hervor, dass diejenigen jungen Leute, welche mit besserer allgemeiner Bildung in die Schule kommen, einem grossen Theile des Fachunterrichts mit grösserem Verständniss folgen könnten, und dass der Schüler, der bei geringer allgemeiner Bildung grössere Fachbildung besitze, der Mann mit der schwieligen Hand, dem theoretischen Theile des Unterrichts nicht folgen könne. Ich möchte dies widerlegen. Ich stehe auf dem Standpunkte: Wir wollen das allgemeine Wissen zum Eintritt in die Schule erhöhen, wo es möglich ist. Aber es hat auch das Andere seine Berechtigung: wenn ein Mann mit langer Praxis und bedeutendem Anschauungsvermögen, der sich das n o t wendige Geld im Sommer mühsam erwirbt, sich auf die Schulbank setzt, so tritt er mit voller Energie au seine Aufgabe heran. Das Eine hat sich jedenfalls erwiesen und ich frage die Herren Baugewerkschuldirektoren, ob die Schüler, welche mit langer Praxis in die Schule gekommen, wohl im Wesentlichen die schlechteren Schüler sind. Ich glaube das nicht. Dann ist von Herrn Romberg noch ein anderer Grund angeführt worden. Die obere Abtheilung der Bangewerkschule wäre geeignet zur Ausbildung der Bauwerkmeister in den Städten. Für die Meister des flachen Landes und für Poliere aber wäre die „Bauhandwerkerschule" ausreichend. Das ist ein Verkennen der Verhältnisse. Der Baugewerksmeister in der Stadt kann sogar unter Umstanden geringer vorgebildet sein, als der auf dem flachen Lande, weil ihm in der Stadt technische Hülfskr&fte zur Verfügung stehen. Der Baugewerksmeister auf dem flachen Lande aber ist immer auf sich angewiesen. Der letztere muss daher dieselbe Ausbildung haben, wie der in der Stadt wohnende. Ich wüsste nicht, dass der Beamte, der Arzt, der Geistliche auf dem Lande geringere Bildung brauchen, als in der Stadt Ich möchte noch anführen, dass diese Zerlegung der Baugewerkschulen in zwei Arten im vorigen Jahre auf dem Verbandstage des Innungsverbandes Deutscher Baugewerksmeister mit der grössten Einmüthigkeit zurückgewiesen worden ist Dieser Verband vertritt das Deutsche Baugewerbe seit 25 Jahren. Seine Vertreter müssen wissen, was dem Baugewerke frommt Ich bitte, die hohe Staatsregierung möge nicht gestatten, dass die Schöpfung der Baugewerkschule dadurch, dass wir zwei 8orten von Schulen erhalten, wieder gestört werde.

Anlage I.

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Herr Dr. v o n J a c o b i : Ich möchte erst eine allgemeine Bemerkung vorausschicken. Es ist mir der Eindruck entgegengetreten, dass unsere Berathungen sich sehr im Allgemeinen bewegen und deshalb auch unsere Resolutionen. Meines Erachtens ist es nicht gut, wenn wir nur alle 5 oder 6 Jahre versammelt werden; es ist nach so langen Pausen schwer, sich das gesammte technische Unterachtswesen von Neuem zu vergegenwärtigen, namentlich f ü r einen, der nicht laufend mit der Sache zu thun hat. Ich weiss nicht, ob es richtig ist, dass bei unseren Konferenzen das ganze Gebiet des gewerblichen Unterrichtswesens in Betracht gezogen wird. Das führt leicht zu Allgemeinheiten. AVenn wir beispielsweise in einer Sitzung nur die Baugewerkschulen behandeln, oder nur die Fortbildungsschulen, oder das WanderUnterrichtswesen, so würden wir fruchtbarer arbeiten können, als wenn jedesmal das ganze Gebiet zum Gegenstand der Berathung gemacht wird. Ich bitte den Herrn Minister diesen Gedanken in Erwägung zu nehmen. Ich sehe davon ab, einen förmlichen Antrag zu stellen. Was die Baugewerkschulen im Besonderen anbetrifft, so sind diese gerade der Gegenstand einer näheren Untersuchung im Jahre 1891 gewesen. Dieser Umstand sollte massgebend sein, dass wir dies auch heute thun und nicht, wie der Antrag Felisch es will, uns mehr mit einer allgemeinen Anregung begnügen. Ich glaube, die Kommission hat alle Ursache zu prüfen und auszusprechen: wie weit ist den in 1891 gestellten Anforderungen Genüge geschehen und welche neue Anforderungen sind heute hinzugetreten. Das, was ich wünsche, ist alles enthalten in der Begründung des Herrn Felisch und es wären eigentlich nur die mündlichen Ausführungen des Antragstellers auch in Form eines Beschlusses zu fixiren. Ich habe deshalb in flüchtiger "Weise einen Entwurf aufgestellt, der aber von anderer Seite verbessert werden kann. Wir haben unsere Beschlüsse am Ende unserer Berathungen einheitlicher zu gestalten. Die allgemeine Befriedigung über die Thätigkeit des Handelsministeriums auszudrücken, u. s. w. kann einem späteren Stadium vorbehalten werden. Im Jahre 1891 hatdie Kommission folgende Beschlüsse gefasst (verliest: (1,2,3),') demgegenüber sind seitdem (abgesehen von Erweiterungen und Verbesserungen etlicher Anstalten) zwei oder drei Schulen errichtet worden. Das Bedürfniss zur Vermehrung der Anstalten liegt klar zu Tage (verliest seinen Antrag). -) Die Rang- und Besoldungsverhältnisse der Lehrer können im Allgemeinen besondere behandelt werden. Im Uebrigen ist es nur ein Entwurf, aufgestellt in der Absicht, dass wir uns nicht mit einer allgemeinen Resolution begnügen, sondern dass wir auch heute, wie im Jahre 1891, wenigstens bezüglich der Baugewerkschulen auf die einzelnen Verhältnisse näher eingehen. Freiherr v o n Z e d l i t z - I i e u k i r c h : Die Ausführungen des Herrn Vorredners enthalten viel Beherzigenswerthes und ich hoffe, dass es von dem Herrn Minister f ü r Handel und Gewerbe demnächst in die Praxis übersetzt werden wird. In der Sache selbst bin ich mit ihm darin einverstanden, dass es sich empfiehlt, möglichst konkrete, möglichst bestimmte Beschlüsse zu fassen, wenn wir einen Erfolg damit erzielen wollen. Aber ich glaube, durch die Annahme des eben vorgelesenen Entwurfs werden wir den Zweck nicht vollständig erreichen. Wir müssen unsere Forderungen kürzer aufstellen, als es in dem von Herrn I)r. von Jacobi vorgelesenen Entwürfe geschehen ist. Der Antrag muss die Hauptfrage, die Entwicklung der Baugewerkschulen nach ihrer Zahl und ihrem Umfange, möglichst konkret gestalten, damit der Herr Minister in der Lage ist, auch positive Anträge gegenüber der Finanzverwaltung zu stellen. Indem ich vorausschicke, dass meiner Meinung nach die Frage des Ranges und der Besoldungsverhältnisse der Lehrer besser einer besonderen Erörterung zugewiesen wird, will ich hinzufügen, dass ein dringendes Bedürfniss zur Abänderung der inneren Einrichtung der Schulen nicht vorliegt, und dass das von der Staatsregierung beabsichtigte weitere Vorgehen, wie es nach den Ausführungen des Herrn Geheimen Regierungsraths Simon bei Einleitung der Verhandlungen skizzirt ist, unsere Zustimmung findet. Es möge bei Festsetzung der Prüfungsordnung, der Aufnahmebedingungen und der Instruktion für die Leiter und Lehrer die Mitwirkung von Sachverständigen, von Männern aus der Praxis gesucht werden. Diese Punkte könnten übrigens zurückgestellt werfen. Ich befürchte nicht, dass etwa der von Herrn Felisch so lebhaft bekämpfte Plan des Direktors R o m b e r g Aussicht auf Verwirklichung haben kann und es ist nicht nothwendig, S. ob. S. III, I V . 2 ) A n m . Den Antrag, Jen der Herr Dr. von Jacobi nur als eine Anregung angesehen hat, über den auch nicht abgestimmt worden ist, hat er sich beim Schluss der Diskussion zurückgeben lassen.

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ihn besonders zu behandeln. Zunächst möchte ich noch bemerken, dass mir die Ausführungen des Herrn Fielisch über das Ziel hinauszuschiessen scheinen und Widersprach erregen können. Ich halte es nicht für angängig, das Fach- und Baugewerkschulwesen so nach Staaten getrennt zu ordnen, wie er es vorgesehen hat. Das deutsche Baugewerk haftet nicht aa den einzelnen Bundesstaaten. Wir könnten zufrieden sein, wenn unsere prenssischen Baugewerkschüler in den benachbarten Staaten ausreichenden, guten Unterricht fänden. Es kann nicht die Aufgabe sein, für alle, die eine Baugewerkschule besuchen wollen, Baum zu schaffen. Es könnte, wie es auf dem Gebiete des höheren Bildungswesens der Fall ist, eine Ueberfüllung eintreten, wenn man die Zahl der Baugewerkschulen zu sehr vermehren wollte. Die mitgetheilten Daten scheinen mir unvollständig zu sein, wir wissen nicht, wie viele dem preussischen Staate angehörige Baubeflissene ihre Ausbildung in ausserpreussiscben Anstalten suchen. Die Zahl der Zurückgewiesenen reicht nicht aus zur Beurtheilung des Bedürfnisses. Auch ist nicht gesagt, wie viele jedes Jahr Aufnahme in den preussischen Anstalten finden können, wie viele jährlich aufgenommen worden sind, um sie mit der Zahl der Zurückgewiesenen vergleichen zu können. Ich glaube, dass die Zahlen nach zwei Richtungen hin einen vollkommenen Anhalt geben werden. Einmal, dass die Vermehrung der Baugewerkschulen, obwohl sie in den letzten fünf Jahren stärker gewesen ist, als die der übrigen Fachschulen, doch nicht annähernd dem Bedürfnisse genügt, und ferner, dass besonders die Errichtung je einer Schule für Brandenburg, Westfalen und die Rheinprovinz in's Auge zu fassen ist. Dadurch wird dem allerdringendsten Bedürfnisse genügt werden. Die Herren Naumann, von Schenckendorff und ich erlauben uns daher Ihnen vorzuschlagen, den die Baugewerkschulen insbesondere betreffenden Abschnitten des Antrags des Herrn Fetisch folgende Fassung zu geben: „Mit weiterer Vermehrung der Baugewerkschulen ist in der Richtung des Beschlusses vom 5. Juni 1891 fortzufahren. Insbesondere ist zunächst die Errichtung je einer Baugewerkschule in den Provinzen Westfalen und Rheinland in Aussicht zu nehmen." Wenn wir unsern Beschluss so fassen, so wird dem Herrn Minister die nöthige Unterlage für die Einleitung der Verhandlungen geboten. Die eigentliche Ursache, weswegen die Entwickelung unseres Fachschulwesens in den letzten fünf Jahren nicht so fortgeschritten ist, wie wir hofften, ist die Knappheit der Finanzen. Unsere Aufgabe ist es zu sagen, was unbeschadet der finanziellen Seite der Sache für die Entwickelung des Schulwesens nothwendig und zweckmässig ist. Für die Finanzen zu sorgen, ist nicht unsere Sache. Herr Felisch hat darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren die Staatsregierung geringere Anforderungen an die Gemeinden richtet. Ich möchte abrathen, den Gedanken in unseren Ausführungen zum Ausdruck zu bringen, dass thunlichst der Staat alles, die Gemeinde möglichst wenig thun solle. Viel leichter wird man allerdings zum Ziele gelangen, wenn man in der Hauptsache die Leistungen auf den Staat übernimmt. Aber es wird ungleich leichter sein, die nöthigen Mittel flüssig zu machen, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Gemeinden nach Massgabe ihrer Leistungsfähigkeit das ihrige beitragen. So lange dies nicht geschieht, werden wir schwerlich auf einen Erfolg unserer Bemühungen rechnen können. Wir werden das Ziel, dem wir zustreben, die raschere Entwickelung des Baugewerkschulwesens gerade dann nicht erreichen, wenn wir den Staat zu sehr belasten und die Gemeinden zu sehr schonen wollten. Unser Antrag läuft parallel mit dem Antrage Felisch, wir wünschen nur, dass die Schlüsse, welche aus den Zahlen der Denkschrift zu ziehen sind, möglichst bestimmt und konkret und so formulirt werden, dass der Herr Handelsminister darauf fussend die nöthigen Schritte thun kann. Direktor Dr. F i e d l e r : Meine Herren, ich muss konstatiren, dass wir im Osten wahrgenommen haben, dass die Zahl der Schüler, die von uns für die Praxis verlangt werden, abgenommen hat, dagegen ist der Andrang zur Schule, besonders in Breslau, so gross, dass ich im Mai v. J. schon fünf oder sechs Mal öffentlich bekannt machen musste, zum 1. Oktober v. J. könnten keine Schüler mehr aufgenommen werden. Trotzdem meldeten sich 150 Schüler vergebens und ich bin fest überzeugt, dass die Anmeldungen ohne jene Bekanntmachung 3 bis 400 betragen hätten. Es gab eine Zeit, wo in Breslau nicht die Hälfte der Anmeldungen befriedigt werden konnte. Der jetzige Zustand mag mit dem zeitweiligen Rückgange des Baugewerbes zusammenhängen.

Anlage I.

IX

Ich wende mich zu einem anderen Punkte, der von Herrn Felisch berührt worden ist, nämlich zur Organisationsfrage. Ein grosser Uebelstand ist unsere Prüfungsordnung, das Abiturientenexamen. Die Anstrengungen, die von dem Schüler verlangt werden, wenn er 18 Tage hindurch in Klausur arbeiten inuss, sind zu gross. Die jungen Leute sahen, wenn sie die 18 Tage hinter sich hatten, blass aus und hatten ihre Kräfte für das nun folgende mündliche Examen verloren. Hierin muss eine Besserung eintreten, weil wir durch das Examen in der obersten Klasse Jahr des Unterrichts verlieren. Wir müssen Anfangs Februar spätestens die Prüfungsarbeiten machen lassen; das Pensum muss also in den wenigen vorhergegangenen "Wochen des Winterhalbjahrs vollendet sein; die Leistungen der Schule sind gehemmt. — "Was die Romberg'schen Vorschläge anbetrifft, so hat Herr Felisch gefragt, wie sich die Leistungen der wissenschaftlich besser vorgebildeten Schüler zu denen der aus der Praxis gekommenen verhalten. Nach meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass wirkliche Leistungsfähigkeit, nicht i m m e r bei den früheren Obersekundanern zu finden gewesen ist. Der Grund dafür ist wohl der, dass manche unter ihnen, die auf der höheren Unterrichtsanstalt nicht weiter kommen, von ihren gut situirten Eltern nach der Baugewerkschule gebracht werden. Ein junger Mensch, der schon beim Militär war, 4 oder 5 Jahre praktisch gearbeitet hat und sich mit ganzer Liebe in sein Fach hineinstürzt, erreicht mehr. Könnte man beides vereinigen, dann wäre es gut. Es ist aber wohl nicht unsere Sache, uns heute mit den Anträgen des Direktors Homberg zu beschäftigen; wir können dem Ministerium überlassen, das Richtige davon herauszusuchen. Darin stehe ich auf dem Standpunkte des Herrn Felisch: Stören wir doch jetzt nicht schon wieder das gewerbliche Unterrichtswesen. "Wie vieles hat sich nicht seit 1878 auf dem Gebiete des Unterrichts geändert. Jetzt sind wir in einem gewissen Fluss. Es ist vorwärts gegangen, sollen wir von Neuem anfangen? — Auch darin hat Herr Felisch Recht, ein so grosser Unterschied, wie ihn Romberg zwischen Land- und Stadtbaumeistern macht, ist nicht vorhanden, vielmehr müssen wir eine gleichmässige Ausbildung f ü r beide haben. "Wir können diese Organisationsfrage jetzt ruhen lassen. Das Ministerium wird mit Männern des Faches sich in Einklang setzen, um nothwendige Verbesserungen herbeizuführen. Oberbürgermeister B e c k e r : Tm Wesentlichen bin ich mit Herrn Dr. von Jacobi einverstanden und befürworte auch eine häufigere Tagung der Konimission, ebenso bin ich dafür, bestimmte Wünsche auszusprechen, statt allgemeine Erörterungen anzustellen. Auch dem. was in dem Antrage des Herrn Freiherrn von Zedlitz liegen soll, würde ich zustimmen können. Dann möchte ich mich noch aussprechen über den Antrag des Herrn Felisch, soweit er sich auf die Romberg'schen Organisationsvorschläge bezieht. Nicht-, dass ich persönlich in dieser Angelegenheit eine bestimmte Stellung eingenommen hätte: da nun aber diese Vorschläge aus Köln und seiner Umgebung gekommen sind, so möchte ich zur Aufklärung bemerken, dass die Anträge auch in Ingenieur- und Architekten-Vereinen berathen und angenommen worden sind. Ich würde nicht darüber gesprochen haben, wemi nicht der Antrag Felisch sich gegen die Vorschläge wendete. Sollte zunächst dieser Theil ausscheiden, so würde mir damit gedient sein; sie könnten nebenher geprüft werden. Aber wenn wir uns über diesen .Antrag auch aussprechen sollen, so bedarf es noch einiger Ausführungen nach anderer Richtung hin. So lange man die Anträge „Homberg" f ü r möglich hält, so darf man auch nicht lange Zeit vergehen lassen, um Stellung dazu zu nehmen. "Wenn ein Theil der Schüler auf „Bauhandwerkerschulen" untergebracht wird, ist der Andrang zu den jetzigen Schulen geringer. Dann würde vorläufig eine Vermehrung der Baugewerkschulen nicht mehr nothwendig sein: man miisste abwarten, wie weit eine Entlastung durch die Bauhandwerkerschulen herbeigeführt werden würde. Es ist geboten, in absehbarer Zeit Ja oder Nein zu sagen, erst wenn das Nein erfolgt ist, dann ist jeder Einwand gegen die Vermehrung der eigentlichen Baugewerkschulen genommen. Ich verstehe davon sehr wenig und bin der Ansicht, dass die Direktoren der Schulen und andere im praktischen Leben stehende Männer in erster Linie berufen sind, in dieser Frage die wirklichen Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Ich habe die Ausführungen des Herrn Romberg gelesen, da die Wahrscheinlichkeit nahe lag, dass auch diese Frage berührt werden würde. Zwei Gesichtspunkte sind mir dabei von Bedeutung gewesen und ich habe den lebhaften Wunsch, dass diese von berufener Seite näher beleuchtet würden. Das Erste ist der ATergleich mit den Ingenieuren. Bei diesen haben wir dasselbe, was f ü r die Baugewerkschulen angestrebt wird: Saliulen für höhere und niedere Techniker. Wie weit dasselbe

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für die Bauhandwerker richtig ist, kann ich nicht beurtheilen. Zweitens ist zu beachten. dass das Banhand werk auch Poliere gebraucht mit theoretischen Vorkenntnissen. Wenn die Baugewerkschule für volle Ausbildung zum Meister sorgt, so sind nicht für alle Schüler entsprechende Stellungen vorhanden. Da könnten wir ein technisches Proletariat erziehen, wir würden zu viel ausbilden und diejenigen, die sich mit minderwerthigen Stellen begnügen müssen, würden unzufrieden sein. Ich möchte mich mit diesen Ausführungen begnügen. — Herrn Felisch sind die Schulgelder zu hoch und die Gemeinden sollen mehr entlastet werden. So verlockend diese Aussicht, mit weniger Geld fortzukommen, für einen Bürgermeister sein muss, so muss ich doch gestehen, so lange wir nicht die nöthigen Mittel haben, das gewerbliche Fachschulwesen auf der Höhe und in der Ausbreitung funktioniren zu sehen, wie es das Bedürfniss erfordert, so lange darf man nicht damit anfangen, dam man die Einnahmen vermindert und das Schulgeld herabsetzt, dadurch die Ausgaben erhöht und den Staat mehr zahlen lässt. Die Ausgaben vermindern sich nie. Ich gehöre dem Westen an, da ist das Schnlgeld in keiner Weise zu hoch. Ich stehe auf dem Standpunkte, dass das Schulgeld sogar noch etwas höher sein könnte als jetzt. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob es richtig ist, dass wir in Bezug auf Schulgeld und Gehälter keine provinziellen Unterschiede berücksichtigen. Zwischen den Lebensverhältnissen des Ostens und des Westens - ist ein ganz erheblicher Unterschied. In Rheinland braucht man auch mehr und besonders tüchtige Techniker als in Gegenden mit langsamer Entwickelung. Wenn die Leute nach ihren gewöhnlichen Lebensbedürfnissen gewöhnt sind, mehr auszugeben, so können sie auch mehr Schulgeld zahlen. Wenn man geeignete Lehrer sucht, so wird man im Westen mehr bezahlen müssen als im Osten. Auf diese Verhältnisse wäre eine gewisse Rücksicht zu nehmen. Eine Schablonisirung kann ich nicht ganz für richtig halten. — Am liebsten ist es mir, wenn von dem Antrage des Herrn Felisch der Theil, der die Bombe rg'schen Vorschläge betrifft, weggelassen wird. Die Leiter der Baugewerkschulen könnten ersucht werden, sich einmal über diese Vorschläge auszusprechen. Geheimer Regierungsrath Simon: Dass eine Aenderung der Prüfungsordnung, insbesondere die Abkürzung der Prüfungszeit, erwünscht ist, will ich nicht bestreiten; diese Frage kann bei den von mir in Aussicht gestellten Konferenzen erörtert werden; es wird sich empfehlen, das Ergebniss dieser Konferenzen abzuwarten und heute von Beschlüssen über diesen Punkt abzusehen. Was die praktische Beschäftigung der Lehrer betrifft, so wünscht die Staatsregierung selbst, dasS die Lehrer möglichst viel Gelegenheit zur Projektirung und Ausführung von Bauten erhalten; aber diese Gelegenheit ist leider nicht immer vorbanden. Wo sie sich bietet, benutzen wir sie stets. Der Vorschlag des Herrn Oberbürgermeisters Becker, die Gehälter und das Schulgeld an den Baugewerkschulen im Osten und Westen verschieden zu normiren, ist in dieser Allgemeinheit kaum durchführbar. Einige Verschiedenheiten sind ja schon jetzt vorbanden, so beträgt z. B. das Schulgeld in Berlin, Breslau und Köln 100 Mark, in den kleineren Städten nur 80 Mark im Halbjahr. Weitere Verschiedenheiten zu schaffen, ist meines Erachtens bedenklich und nicht gerechtfertigt. Es würde dies namentlich auch zu einer unwürdigen Konkurrenz der Anstalten untereinander führen. Bei Bemessung der Gehälter einen Unterschied nach den P r o v i n z e n zu machen, erscheint mir auch nicht angängig; höchstens könnte man zwischen grossen und kleinen S t ä d t e n unterscheiden. Indessen würde hierbei immer zu berücksichtigen sein, dass die Lehrer in den grossen Städten mit theurem Lebensunterhalt auch Gelegenheit haben, durch Nebenarbeiten ihre ökonomische Lage zu verbessern, was in den kleinen Städten selten der Fall ist. Bei den s t a a t l i c h e n Baugewerkschulen, deren Lehrer Staatsbeamte sind und jederzeit von einer Schule an die andere versetzt werden können, verbietet sich übrigens eine verschiedene Bemessung der Lehrergehälter an den einzelnen Anstalten von selbst Herr F e l i s c h : Wenn ich die Anträge der Herren von Jacobi und von Zedlitz genau verstanden habe, so bandelt es sich um eine konkretere Zusammenfassung der zn stellenden Forderungen. In den Anträgen der Herren war eigentlich nichts, was ich nicht annehmen könnte, und wenn es gewünscht wird, dass ich meine Anträge ändere oder zu Gunsten anderer zurückziehe, so bin ich dazu bereit. Ich hatte nioht die Absicht, auf die Romberg'schen Vorschläge des Näheren einzugehen, ich hätte sie auch gern todtgeschwiegen, aber da sie im Abgeordnetenhause an zwei Tagen durchgesprochen sind und für die Einführung zweier Arten von Baugewerkschulen eine gewaltige Propaganda gemacht wird, stt könnte es keinen

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besseren Ort geben, als hier, um einen gewissen Protest niederzulegen. Es würde eine Verkennung meiner Aufgabe gewesen sein, wenn ich nichts davon gesprochen hätte. Ich will auch nicht auf die Fragen des Herrn Oberbürgermeisters Becker näher eingehen. Nur auf eins möchte ich antworten, nämlich darauf, dass die Zahl der jetzigen Baugewerkschulen ausreichen könne, wenn die von Bömberg empfohlenen zwei Arten eingerichtet würden. Meine Herren! Das ist keine Empfehlung der Bomberg'schen Vorschläge. Herr Becker kennt die technischen Verhältnisse nicht, das ist ja natürlich, weil er kein Sachverständiger ist. Die Sachverständigen werden wissen, dass die Baugewerkschulen, wie wir sie jetzt haben, in ihrem Endziel nur •das geringste Mass von dem darstellen können, was von den deutschen Baugewerksmeistern verlangt wird. Wir können in keinem Falle das Endziel in irgend einer "Weise zurückschrauben; das würden wir aber thun durch Errichtung zweier Schulen, f ü r städtische und für Landmeister. Das Pfuscherthum würde dadurch im Baugewerbe noch mehr als jetzt gross gezogen werden. Ich bitte, diese Frage jetzt ruhen zu lassen, zu einem Resultat kommen wir hier doch nicht. Die Staatsregierung möge die Sache in Erwägung nehmen und wir können uns schon darauf verlassen, dass sie das Richtige treffen wird. Unterstaatssekretär L o h m a n n : Aus den "Worten des Herrn Felisch schien hervorzugehen, dass ihm der Inhalt der Anträge von Zedlitz und von Jacobi nicht vollständig -gegenwärtig war. (Verliest die Anträge.) Herr F e l i s c h erklärt sich damit einverstanden. Unterstaatssekretär L o h m a n n bittet ihn, zu erklären, ob er den dritten Absatz seines Antrages aufrecht erhalten wolle. Herr F e l i s c h : Er könne ihn nicht mehr ganz fallen lassen, da er nicht blos eine Kritik der Romberg'schen Vorschläge, sondern auch eine wohlwollende Beurtheilung der jetzt vorhandenen Anstalten enthalte. Man könne aber die Romberg'schen Vorschläge unerwähnt lassen. Dr. v o n J a c o b i : Ich möchte darauf aufmerksam machen, wenn wir in 1891 den Beschluss detaillirt gefasst haben, so können wir jetzt nicht über etliche damals berührte Punkte gar nichts sagen. Herl- von Zedlitz meinte, mein Antrag solle konkreter und präziser gestaltet werden. Ich wäre ihm sehr dankbar, wenn er sich dieser Mühe unterziehen wollte. Vornehmlich lege ich Gewicht darauf, dass die Kommission, da sie sich früher mit bestimmten Fragen beschäftigt hat, diese heute nicht bei Seite lässt. Ich habe im Uebrigen nur eine Anregung geben wollen. Direktor S p e t z l e r : Meine Herren! Da die Romberg'schen Vorschlage nicht mehr eingehender diskutirt werden sollen, werden meine Ausführungen in dieser Beziehung hinfällig. Ich will nur einige thatsächliche Mittheilungen machen. An der Baugowerkschule in Posen haben bis jetzt 68 Schüler die Abgangsprüfung bestanden. Unter diesen hatten nur 23 das Obersekundiiner-Zeugniss, die übrigen 45 nicht. Drei haben das beste Prädikat erhalten können, darunter einer mit Volksschulbildung und einer mit dem Einjährig-Freiwilligen-Zeugniss. — Ferner kann ich die Mittheilung des Herrn Fiedler bestätigen, dass die Nachfrage nach Baugewerkschul-Abiturienten zurückgegangen ist. Bei den Anmeldungen und den Zurückweisungen müssen wir auch berücksichtigen, dass sich viele junge Leute anmelden, die nicht die Vorbildung besitzen, um die Schule mit gutem Erfolge zu besuchen. "Wenn demnächst die Aufnahmebedingungen verschärft werden, so glaube ich, werden die Anmeldungen wesentlich zurückgehen. Es ist sehr wünschenswerte, dass eine Kommission bestimmte Vorschläge für die Abgangs- und Aufnahmeprüfung aufstellt. Dann wird es Sache der Staatsregierung sein, besondere Bestimmungen zu treffen. Professor Dr. K r o p a t s c h e k : Ich kann der Anregung des Herrn Dr. von Jacobi nur zustimmen, auch den Anfangs ausgeführten Andeutungen, dass es erspriesslicher wäre, wenn wir uns jedesmal eine beschränktere Aufgabe stellten und die einzelnen Fragen eingehender würdigen könnten. Ich halte es formell für ganz angebracht, wenn wir auf eine grössere Denkschrift über fünf Jahre mit einer ausführlicheren Antwort bei der Hand wären und aussprächen, ob das, was geschehen ist, einen Fortschritt darstellt. Ich bin damit einverstanden, dass wir aussprechen, wir wünschen eine Vermehrung der Baugewerkschulen, in erster Linie aber, dass die drei schon genannten Provinzen berücksichtigt werden. Beides lässt sich mit der von Herrn von Jacobi gegebenen Anregung vereinigen. Ferner bin ich damit einverstanden, dass wir auf die Romberg'schen Ideen nicht eingehen.

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Ich bin kein Fachmann, traue mir darin auch kein Urtheil zu. So lange aber die Anträge des Herrn Fetisch aufrecht erhalten sind, ist es unumgänglich nothwendig. auf diese Frage einzugehen. Es ist entweder ein positives oder ein negatives Urtheil darin enthalten. Ich stehe auf seiner Seite, nicht auf der Seite des Herrn Bomberg, Herr Becker kann mich nicht wankend machen. Ich bezweifle sehr stark, dass, wenn eine solche Trennung der Baugewerkschule eintreten würde, eine grössere Entlastung der bestehenden Schulen die Folge sein würde. Die Belastung der höheren Schule würde dieselbe bleiben, aber eine grosse Zahl von Schülern, die nur Poliere werden wollen, in die niedere Schule strömen. Auch der Einwand, dass bei den Ingenieuren dasselbe stattgefunden habe, trifft nicht zu. Es ist ein grosser Unterschieid zwischen den Verhältnissen bei den Ingenieuren und denjenigen der Baugewerkschüler. Bei den letzteren ist im Grossen und Ganzen der gesunde Zustand der, dass sie alle einmal selbstständige Meister werden. Daran ist bei den Ingenieuren aus vielen Gründen nicht zu denken. Die wenigsten von ihnen werden selbstständig, die meisten werden nur technische Beamte. Doch dies nur nebenbei. Ich nehme an, dass der Schlussantrag Felisch wird zurückgezogen werden. — Nur noch zwei Punkte möchte ich streifen, nämlich das, was Herr Becker über das Schulgeld und über die Gehaltsverhältnisse geäussert hat. Es ist ein sehr liebes Steckenpferd, dass man auf die verschiedenen lokalen Verbältnisse Bücksicht nehmen müsse. Ich kann mit einem Gehalte A in einer billigen Stadt des Ostens der wohlhabendste Mann sein, wenn ich aber nach Köln und Düsseldorf komme, bin ich der ärmste Schlucker. "Wie dem aber abzuhelfen ist, weiss ich nicht. Ein praktischer Weg wird sich wohl nicht finden lassen. Wenn es aber versucht wird, so möchte ich scharf betonen: dass, wenn hier und da ein Unterschied in den Gehältern gemacht wird, so geschieht dies nur dann, wenn man auch den Kommunen ein gewichtiges Wort mit zu spreuheu gestattet. Haben wir die Schulen erst alle verstaatlicht, so wird auch in den Gehalts- und Schulgelder-Verhältnissen alles über einen Kamm geschoren werden. Also nicht zu sehr dahin drängen, diese Schulen alle zu verstaatlichen. Ich habe mit Herrn von Zedlitz die Besorgniss, dass das nicht zu Gunsten der Schulen ausschlagen würde. Nicht blos der Staat ist es, der die Sorge trägt, sondern auch die Kommunalverbände sind und bleiben es. Wir laufen Gefahr, dass manche wünschenswerte Unterschiede verblassen und wir zu sehr in die Uniformität hineinkommen. — Ich komme zu dem Schluss, dass es wünscbenswerth wäre, die Besolution in der Form von Jacobi noch eiamal zu hören, um zu überlegen, ob sie sich nicht mit den übrigen Anträgen verschmelzen lässt. Herr F e l i s c h : Zur Geschäftsordnung: Ich möchte den, die Bomberg'schen Vorschläge betreffenden Theil meines Antrags aus der Welt bringen. Ich schlage Folgendes vor: „statt: ,.die Kommission entnimmt aus der Denkschr. . . . bis zerlegen will. —" zu sagen: ,,die Kommission entnimmt aus der Denkschrift mit Befriedigung, dass die Staatsregierung beabsichtigt, in nächster Zeit die Einrichtung und den Lehrplan der Baugewerkschulen, die Aufnahmebedingungen und die Prüfungsordnung durch eine Kommission von Sachverständigen prüfen zu lassen. — Sie nimmt an, dass dabei die Vorschläge des Herrn Direktors Bömberg werden geprüft werden. —" Dann ist jeder Zankapfel beseitigt. Nur den Namen möchte ich nicht weglassen. Dr. Freiherr H e e r e m a n n von Z u y d w y k . Ich bin kein Sachverständiger und möchte mich auf wenige Bemerkungen beschränken. Das Bedürfniss zur Vermehrung der Baugewerkschulen hat sich klar herausgestellt. Einerseits dadurch, dass so viele Anmeldungen zurückgewiesen werden mussten, und andererseits durch die Entwickelung der baugewerblichen Verhältnisse im Ganzen. Es ist kaum jemak mehr gebaut worden, als jetzt. Dass die Bedürfnisse für die Ausbildung auf diesem Gebiete unglaublich gewachsen sind, tritt Jedem klar entgegen. Die Hindernisse für die Vermehrung der Schulen liegen wesentlich auf dem Gebiete des Finanzministeriums. Es wird unsere Sache sein, den Herrn Handelsminister durch unsere Besolutionen zu unterstützen. Es muss scharf ausgedrückt werden, dass für Brandenburg, Westfalen und Bheinland die Gründung je einer neuen Bangewerkschule ganz bestimmt in Antrag gebracht wird. Ich glaube, dass in Westfalen ein besonderes Bedürfniss besteht. Hier ist nur in Höxter eine Schule vorhanden. Ohne eine zweite werden Viele gezwungen, in's Ausland zu gehen, z. B. nach Holzminden. Das ist an sich nicht schlimm. Aber es ist doch nothwendig, dass unsere Begierung, wenn sie das Bedürfniss anerkennen muss, auch das ihrige thut. — Es kommt auch darauf an, wo eine

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solche Schule liegt. Man wird kleinen Städten keinen Vorwurf machen können, wenn sie auch eine Schule haben wollen, um dadurch Gewinn zu erzielen. Für die Schüler selbst ist oft der Aufenthalt in kleinen Städten besser, als in grossen. Sie können wohlfeiler leben und wohnen und f ü r Viele liegt die Schule auch näher etc., deshalb ist es gut, wenn es auch an kleinen Orten Schulen giebt. AVas das Schulgeld anbetrifft, so bin ich der Meinung, man soll nicht zu sehr auf die Herabsetzung drängen und zwar nicht, um den Schulen die grösseren Einnahmen zu erhalten, sondern aus pädagogischen Rücksichten f ü r die jungen Leute. Der junge Techniker muss das Gefühl der Verantwortung für seine Existenz haben, er muss wissen, ich zahle etwas. Diejenigen, die das Schulgeld nicht zu bezahlen vermögen, können Mitleid einflössen und man kann unter Umständen ihnen durch Gewährung von Freistellen helfen. Ich glaube, dass es sich mehr empfiehlt, diesen "Weg zu gehen, als auf die Beseitigung des Schulgeldes zu dräugen. Nun möchte ich noch auf die Romberg'schen Vorschläge eingehen. Für einen Nicht-Sachverständigen ist es nicht möglich, über sie zu entscheiden, dazu müssen die Vorarbeiten viel eingehender sein. Die können nicht in einer so grossen Versammlung gemacht werden. Nach dem gewöhnlichen Verstände muss ich allerdings glauben, dass es zweckmässig ist, f ü r verschiedene Bedürfnisse verschiedene Schulen zu haben. Denn es wird auf den Baugewerkschulen Leute geben, die dauernd unter einem anderen arbeiten und deshalb ein geringeres Mass von Kenntnissen sich anzueignen brauchen. Ich bitte, dass die beiden Sätze über Bomberg aus dem Antrage des Herrn Felisch ganz wegbleiben. Ich möchte noch fragen, weshalb die Schulen in der Denkschrift in der Uebersicht der Ausgaben durcheinander rangirt sind, und ferner, welche Zuschüsse für Fachschulen von den Provinzen gegeben werden. Von den Städten ist dies angegeben, von den Provinzen nicht. Ich weiss aber, dass z. B. die Zuschüsse, die die Rheinprovinz für einzelne Schulen giebt, bedeutend sind. — Hieran knüpfe ich noch eine Bemerkung. Man hat von der Verstaatlichung gesprochen und gegen die Einwirkung der Städte auf die Schulen. "Wenn wir die Schulen an städtische Verhältnisse anschliessen und den Städten einen kleinen Einfluss einräumen, so fahren wir viel besser, als mit der allgemeinen Verstaatlichung, die etwas Schablonenhaftes mit sich führen und zum Nachtheil der Schule ausschlagen wird. Das haben wir bei anderenSchulen des Kultusministeriums gesehen. Die Schablonisirung ist schädlich. Ich gebe zu, dass der Studienplan im "Wesentlichen gleich sein muss. Aber warum soll mau nicht grössere Freiheiten lassen, eine gewisse Aenderuug zulassen, die am Orte selbst näher zu erwägen ist und sich der Benrtheilung hier entzieht. Wir dürfen nicht auf die allgemeine Verstaatlichung eingehen, sondern uns im Gegentheil entgegenkommend gegen Städte und Landestheile zeigen, die dann auch gern einen Zuschuss tragen und die eine nähere Stellung zu der Schule einnehmen. In dieser Beziehung möchte ich der Auffassuug des Herrn von Zedlitz beitreten. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrat.h L ü d e r s : Meine Herren, wenn ich das Wort nehme, so thue ich es deshalb, weil die letzten Redner Fragen gestellt haben, die nicht blos auf die Baugewerkschulen, sondern auch auf die Maschinenbauschulen Bezug haben. Dazu gehört auch die Frage, ob es vorzuziehen ist, derartige Anstalten in grossen, mittleren oder kleineren Städten zu errichten. In Westfalen ist bereits eine Baugewerkschule in einer kleinen Stadt, in Höxter, vorhanden, und wenn eine neue errichtet wird, so glaube ich. wird die Regierung eine mittlere oder grössere Stadt dazu in Aussicht nehmen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass manche Vortheile, die mehr auf disziplinarem Gebiete liegen, für die Wahl eines kleinen Ortes sprechen, aber die Lehrer sowohl wie die Schüler können die Anregung, welche die grössere Stadt giebt, nicht entbehren. Die Bauverständigen und Maschineningenieure werden mir bestätigen, dass die Maschinenbauschulen am besten gedeihen, wo die Maschinenindustrie entwickelt ist, und die Baugewerkschulen am besten an solchen Orten, wo f ü r das Baugewerbe etwas zu lernen ist. Deshalb hat die Staatsregierung die Zahl der Schulen an kleinen Orten nicht weiter vermehrt. Ferner kommt in Betracht, dass die kleinen Städte weit weniger leistungsfähig sind, derartige Anstalten mit zu unterhalten, als die grösseren. Wir haben in den letzten Jahren von kleineren Orten immer Körbe auf unsere Vorschläge bekommen; nicht deshalb, weil die Städte nicht geneigt wären, für die staatlichen Schulen Opfer zu bringen, vielmehr verlangen sie, dass die Anstalten als staatliche Anstalten gegründet werden, dies aber nicht deshalb, weil sie in diesem Falle geringere Opfer zu bringen haben; wir drücken den Gemeinden ab, was nur möglich ist. Diejenigen Städte, in denen Schulen errichtet worden sind, wissen aus eigener

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Erfahrung, dass wir nehmen, was wir kriegen können and dass es Gründe ganz allgemeiner Natnr sind, welche die Einrichtung der Anstalten als staatliche Anstalten zweckmässig erscheinen lassen. "Wir haben früher das System befolgt: Städtische Schalen mit Unterstützung des Staates zu errichten. In der Denkschrift von 1891 sind die Erfolge dieses Systems dargelegt worden. Wir treiben nicht auf die Verstaatlichung hin, wir wollen nur insofern einen gleich mässigen Lehrplan, dass der Cebergang von einer Schule zur anderen möglich wird. — Die Direktoren und sonstigen Sachverständigen mögen sich auf Grund der letzten Erfahrungen darüber aussprechen, ob die Prüfungsordnung und der Lehrplan zweckmässig oder einer Aenderong bedürftig sind. Wir nehmen nicht an, dass an allen Schulen ganz gleich unterrichtet weiden soll; in Breslau etc. ebenso wie in Deutsch-Krone oder an irgend einem anderen kleinen Orte. Wir wünschen bis zu einem gewissen Grade Freiheit, und die letzten Jahre haben den Beweis geliefert, dass wir von schablonenhafter Organisation weit entfernt sind. — Die Zuschüsse der Provinzen sind deshalb in der Uebersicht Seite 2/13 der jetzt vorliegenden Denkschrift nicht ersichtlich gemacht, weil diese Zuschüsse nicht unmittelbar zur Unterhaltung der Anstalt gezahlt weiden, sondern weil die einzelnen Städte die von ihnen zu leistenden Zuschüsse nur unter der Erwartung dauernd übernommen haben, dass die Provinzen ihnen Beihülfen gewähren. Das ist schon früher zur Sprache gekommen, und auch in den Erläuterungen zum Etat ist mehrfach gesagt worden, dass die Zuschüsse von den Städten in der Voraussetzung, dass die Provinz ihnen eine bestimmte Beihülfe gewähren werde, normirt worden sind. So giebt die Rheinprovinz für die Duisburger Maschinenbau- und Hüttenschule der Stadt jährlich 7500 Mark. Wenn die Provinz ihren Beitrag ermässigen würde, so soll die Ermässigung des städtischen Zuschusses erwogen werden. Zu der Bemerkung des Herrn Freiherra von Heereman über die Reihenfolge der Schulen in der Uebersicht erkläre ich, dass die Anstalten chronologisch geoidnet sind, wie schon in der Denkschrift von 1891. — Im Texte auf Seite 14 bis 16 ist eine allgemeine finanzielle Uebersicht gegeben; nachher sind die Anstalten jeder Gattung von anderen getrennt gehalten. Es ist möglichst die Anordnung der Denkschrift von 1891 beibehalten worden. Geheimer Kommerzienrath F r i e d e r i c h s : Wir haben 1891 beschlossen, die Zahl etc. ist zu erhöhen. £s fragt sich, ob wir die Anträge von Zedlitz und von Jacobi nicht so gestalten können, dass wir sagen: Im Sinne des Beschlusses oder in Uebereinstimmung mit dem Beschlüsse von 1891 etc. wird jetzt beantragt, zunächst noch drei Baugewerkschulen zu gründen, damit auf den Anschluss hingewiesen wird und der heutige Beschluss nicht als eine Beschränkung eischeint. — Was Direktor fiomberg's Vorschläge angeht, so werden die Männer aus dem praktischen Leben, die für das Fachschulwesen mitgewirkt haben, sich heute sagen, dass die Schulen nach dem ersten Tasten und Sachen nach Lehrkräften, Lehrplänen etc. thatsächlich in eine gute Organisation hineingewachsen sind. Es ist trotz aller Schwierigkeiten doch etwas Ordentliches geschehen. Ich habe das Gefühl, dass wir Romberg seine Wege ziehen lassen können und dass wir dem Ministerium sagen, wir stimmen dem bisherigen Gange zu und bitten, in derselben Weise weiter zu arbeiten. Ich glaube, dieser positive Ausdruck der Zustimmung ist für das Ministerium hinreichend und kennzeichnet auch die Stellung der Kommission zu den Romberg'schen Reform Vorschlägen. Freiherr von Zedlitz-Neukirch ist auch der Meinung, dass wir, soweit es nach der heutigen Lage der Dinge nothwendig ist, auf die Resolution vom Jahre 1891 zurückkommen müssen. Diese enthält drei Punkte. Der letzte Punkt (wird verlesen) enthält in seinem eisten Theile einen Ausspruch, auf den zurückzukommen nicht nothwendig ist, da von keiner Seite eine Aenderung gewünscht wird. Der zweite Theil enthält eine Forderung, die dadurch befriedigt worden ist, dass der Etat für 1895/96 gestattet, bis zu 10 Prozent der Schulgeldeinnahme zu erlassen; ausserdem ist eine Erhöhung des Stipendienfonds in Aussicht genommen. Noch einmal darüber zu reden ist nicht nothwendig. Wir thun genug, wenn wir den Forderungen gegenüber, die noch nicht erfüllt sind, Stellung nehmen. Der zweite Punkt betrifft die materielle Lage der Lehrer. Diese Frage soll für die sämmtlichen Fachschulen einheitlich erörtert werden nnd ist daher zurückzustellen. Also bleibt nur der erste Punkt übrig. Der neae Antrag enthält meiner Meinung nach eine vollkommen korrekte und bestimmte Ausspräche darüber, wie in dieser Beziehung den Forderungen von 1891 entsprochen ist Der erste Satz sagt, es ist weiter fort-

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zufahren, also, es ist den Forderungen von 1891 noch, nicht voll genügt; der zweite Satz fordert zunächst drei bestimmte Schulen, er präzisirt die Forderung. Ich würde kein Bedenken haben, die Worte einzuschalten: „in der Richtung des Beschlusses von 1891'' ist fortzufahren, aber ich halte es nicht für nothwendig. — Was die innere Einrichtung der Baugewerkschulen anbelangt, so ist in dem einleitenden Vortrage des Herrn Referenten gesagt worden, dass sich diese ganze Angelegenheit im Flusse befindet; dies wird auch im Protokoll niedergelegt werden, welches mit Sachverständigen später besprochen werden soll. Dadurch sind wir in Kenntniss gesetzt, dass die Sache vorbereitet wird und dass wir jetzt keine positiven Beschlüsse fassen können. Es genügt uns, Kenntniss davon zu nehmen, und wir brauchen das nicht in einer besonderen Resolution auszusprechen. "Wenn wir bei Erörterung der Frage der materiellen Stellung der Lehrer im Allgemeinen auf die Frage der Baugewerkschullehrer zurückkommen und Sie eine Resolution, wie wir sie vorgeschlagen haben, annehmen, dann haben wir alle unserer Pflicht genügt. Unterstaatssekretär L o h m a n n führt die Abstimmung über die Anträge, die auf zwei reduzirt worden sind, herbei. Der erste Antrag, der an die Stelle des zweiten Absatzes des gedruckten Antrags Felisch treten soll, lautet: Mit weiterer Vermehrung der Baugewerkschulen ist in der Richtung des Beschlusses der Kommission vom 5. Juni 1891 fortzufahren. Insbesondere ist zunächst die Errichtung je einer Baugewerkschule in den Provinzen Rheinland, "Westfalen und Brandenburg in Aussicht zu nehmen. An die Stelle des dritten Absatzes des gedruckten Antrags Felisch: „Lehrplan und Lehrziel der vorhandenen 4klassigen Baugewerkschulen'; u. s. w. tritt der von Herrn Felisch selbst formulirte Antrag: „Die Kommission entnimmt aus der Denkschrift mit Befriedigung, dass die Staatsregierung beabsichtigt, in nächster Zeit die Einrichtung und den Lehrplan der Baugewerkschulen, die Aufnahmebedingungen und die Prüfungsordnung durch eine Kommission von Sachverständigen prüfen zu lassen. — Sie nimmt an, dass dabei die Vorschläge des Herrn Direktors Romberg' werden geprüft werden". Die beiden Anträge können selbstständig zur Abstimmung gelangen. Geh. Kommerzienrath F r i e d e r i c h s : Ich bitte, auch über den letzten Passus des zweiten Antrags Felisch gesondert abzustimmen. Unterstaatssekretär L o h m a n n : Ich lasse also zunächst über den Antrag des Herrn Freiherrn von Zedlitz abstimmen. Er wird einstimmig angenommen. Nunmehr bitte ich, über den zweiten Antrag Felisch mit Ausschluss des letzten Satzes abzustimmen. Er ist mit grosser Majorität angenommen. Endlich «•suche ich Sie über die Hinzufügung des letzten Satzes („Sie nimmt an, dass dabei die Vorschläge des Herrn Direktors Romberg werden geprüft werden") abzustimmen. Dieser Zusatz ist nicht angenommen worden. Ich schlage vor, die Sitzung auf eine Stunde, bis 2 Uhr, zu vertagen. Nach Ablauf der Pause eröffnet der Herr Unterstaatssekretär Loh m a n n die Besprechung der Maschinenbauschulen. "Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : Es wird Ihnen, meine Herren, aus der Denkschrift von 1891 erinnerlich sein, dass die Verwaltung des gewerblichen Unterrichts damals im Begriffe stand, der Ausbildung von Maschinentechnikern grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als bisher. Es wurde des "Weiteren ausgeführt, dass "Werkmeisterschulen in Magdeburg und in Dortmund errichtet seien, dass beabsichtigt werde, in Dortmund eine Fachschule für mittlere Maschinentechniker zu errichten, dass es notwendig sei, die Anstalt in Duisburg zu vervollständigen und endlich die Fachklassen für Maschinenbauer, welche noch mit einigen Ober-Realschulen und Realschulen, die zum Kultusministerium gehören, verbunden waren, auf die Handels- und Gewerbeverwaltung zu übernehmen und daraus selbständige und vollständig ausgebaute Anstalten zu machen. "Wie aus der neuen Denkschrift zu ersehen, ist dies Bestreben insoweit von Erfolg gewesen, als in Dortmund eine Fachschule für mittlere Techniker errichtet worden ist und dass von den zuletzt erwähnten Anstalten die Fachklassen für mittlere Techniker des Maschinenbaues in Hagen vom Kultusministerium auf das diesseitige Ressort übergehen und von 4 auf 6 Klassen erweitert werden. Ich darf daran erinnern, dass der Unterschied zwischen den genannten Anstalten darin besteht, dass die sogenannten "Werkmeisterschulen bestimmt sind, künftigen "Werkmeistern in Maschinenfabriken Gelegenheit zu geben, sich die nöthigen theoretischen Kenntnisse und die erforderliche Fertigkeit im Zeichnen zu erwerben, während die technische Mittelschule Betriebsbeamte für die Maschinentechnik, sowie mittlere

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Maschinentecliniker f ü r Konstruktionsbüreaus, heranbildet. Dementsprechend werden in die ersteren nur junge Leute aufgenommen, die bereits eine 4jährige Praxis hinter sich haben, und im üebrigen eine gute Volksscliulbildung mitbringen. Dagegen sollen in die mittleren Fachschulen Leute aufgenommen werden, welche sich das Einjährig-Freiwilligenrecht erworben haben. Der deutsche Ingenieurverein hatte vor einigen Jahren sich dahin ausgesprochen, dass es überhaupt keine mittleren Techniker gäbe und dass daher Fachschulen f ü r diese nicht erforderlich seien; einige Jahre später schloss er sich der entgegengesetzten Meinung an und erklärte (auf einer Versammlung 1890 in Karlsruhe) diese Schulen für nothwendig. Von den in sie Aufzunehmenden wird verlangt, dass sie eine zweijährige ernsthafte Praxis nachweisen und sich die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst erworben haben. Nach diesen Grundsätzen ist die mittlere Fachschule in Dortmund eingerichtet. Im Jahre 1891 konnte man zweifelhaft sein, ob eine so eingerichtete Anstalt auch gut besucht sein würde. Der Versuch hat ergeben, dass der Zudrang zu solcher Schule vollständig ausreichend und über Erwarten gross ist. Für Dortmund wird beabsichtigt, die Zahl der Klassen zu verdoppeln; statt der zwei Klassen mit Jahreskursus sollen vier Klassen mit halbjährigem Kursus eingerichtet werden. Hierfür und für die Erweiterung der Werkmeisterschule auf acht Klassen will die Stadt Dortmund ein Gebäude mit einem Aufwände von 570000 Mark erbauen und es mit dem erforderlichen Schulinventar ausstatten, das Gebäude selbst unterhalten und einen jährlichen Zuschuss von 12500 Mark leisten, wogegen der Staat alle übrigen Kosten der Unterhaltung der Schule tragen soll. Die Staatsregierung hat sich hiermit einverstanden erklärt. Es wird aber nicht beabsichtigt, jetzt auch ohne Weiteres an der Schule zu Hagen, die auf das Handelsministerium übergehen wird, dieselbe Einrichtung zu treffen. Die Lehrplanfrage wird einer Kommission unterbreitet werden und dabei werden die neuerdings von Herrn Koniberg auch auf diesem Gebiete gemachten Vorschläge selbstverständlich nicht unerörtort bleiben. Die Werkmeisterschulen sind gleichfalls zu vermehren, wie schon daraus hervorgeht, dass in Dortmund auf die doppelte Schülerzahl zu rechnen ist. Für Obersehlesien soll ebenfalls eine Werkmeisterschule eingerichtet werden. An die Stelle der massig besuchten beiden Fachklassen f ü r Mechaniker und Hüttenleute, die mit der Oberrealschule zu Gleiwitz in Zusammenhang stehen, soll eine nach dem Muster der Anstalt in Duisburg eingerichtete Maschinenbau- und Hüttenschule treten. Die Kosten sind auf S. 29 der Denkschrift näher angegeben. Wenn wir zwei Arten von Maschinenbauschulen aber nur eine Art von Baugewerkschulen haben, so hat dies seinen Grund darin, dass der Unterricht in der Werkmeisterschule seinem Ziele gemäss von dem in einer Fachschule für mittlere Techniker ertheilteu vei-schieden sein muss. Für den Unterricht in der letzteren muss der Schüler diejenige allgemeine geistige Trainirung, welche durch den mehrjährigen Besuch einer höhereu Unterrichtsanstalt erzielt wird, mitbringen und ausserdem eine gewisse Kenntniss der Praxis. Die Vorbildung der Volksschule genügt hier nicht. Dieser Unterschied wird bei manchen Anstalten, die nicht in Preussen liegen, nicht hinlänglich berücksichtigt. Unterstaatssekretär L o h m a n n : Da sich Niemand zum Worte gemeldet hat, so ist dieser Theil erledigt. Wir werden nun zur Besprechung der Gehalts- und sonstigen Verhältnisse der Lehrer an den Baugewerk- und Mascbinenbauschulen übergehen. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : Die Erhöhung der Gehälter der Lehrer etc. ist, wie bereits Herr Geheimrath Simon erwähnt hat, für die Baugewerksehulen zur Zeit im Wesentlichen als abgeschlossen anzusehen. Wenn sich die Verhältnisse so gestalten, dass eine Erhöhung nothwendig wird, so wird auf Abhülfe Bedacht zu nehmen sein. Schneller wird das an den Maschinenbauschulen der Fall sein müssen in Folge des Umstandes, dass die Gehaltsverhältnisse der staatlichen Beamten im Maschinenbaufach, nach deren Bezügen die Gehälter der Lehrer au den Maschinenbauschulen seiner Zeit regulirt worden sind, sich inzwischen geändert haben. Ich glaube, dass es zweckmässig sein wird, die Gehaltsfrage zunächst zu diskutiren und die zweite Frage über die Rangverhältnisse besonders zu behandeln. Herr F e l i s c h stellt den Antrag, beides zusammen zu behandeln. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : Die Rang- und Titelverhältnisse der Direktoren und Lehrer an den Baugewerk- und Maschinenbauschulen sind auf S. -2/23 der Denkschrift erörtert. Bei den Fachschulen für Maschinenbauer ist die Zahl der Lehrer mit voller Hochschulbildung und sorgfältiger

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technischer Ausbildung erheblich grösser als dreiviertel ihrer Gesammtheit. Dies ist im neuesten Etat berücksichtigt worden und hängt damit zusammen, dass bei diesen Schulen die Stundenzahl für Deutsch und Rechnen erheblich niedriger ist. Ferner ist erwähnt, dass die Bang- und Titelverhältnisse der Direktoren und Lehrer dieser Anstalten gar nicht geordnet sind. Die Erfahrung lehrt, dass dies die Gewinnung tüchtiger Kräfte sehr erschwert. Für seine Person kann man Sang und Titel wenig Bedeutung beilegen, gleichwohl aber das Urtheil von Nicht-Sachkundigen über die scheinbare, durch die Yersagung von Bang und Titel von der Regierung ausgesprochene Geringschätzung des Lehrerstandes berücksichtigen. Wenn diese Erwägungen in der allgemeinen Unterrichtsverwaltung Aenderungen herbeigeführt haben, machen sie solche auch auf dem Gebiete der technischen Schule, auf dem noch gar nichts geschehen ist, nothwendig. "Wenn dies nicht geschieht, so werden viele tüchtige Leute Bedenken tragen, sich dem technischen Unterricht zuzuwenden. Ein Lehrer der mathematischen Wissenschaften, der den Professortitel bekommt, wird in der Welt für tüchtiger angesehen werden, als der Lehrer an der Maschinenbauschule, der nicht besonders von anderen unterschieden werden kann. Wir machen die Erfahrung, dass die Gewinnung tüchtiger Lehrkräfte in hohem Masse dadurch beeinflusst und behindert wird, dass wir nicht in der Lage sind, das zu gewähren, was die öffentliche Meinung für hoch und werthvoll hält. Eine Lehrerstelle an einer süddeutschen oder sächsischen Anstalt, wo Titel verliehen werden, wird für werthvoller angesehen, als eine ebenso dotirte in Preussen, und die Staatsregierung kann nicht umhin, diesen Verhältnissen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Geheimer Baurath Koch: Ich höre, dass hier die Meinung besteht, es könne die Thatsache, dass bei der Eisenbahnverwaltung höhere, mit grösserem' Durchschnittsgehalte ausgestattete Bauinspektorstellen vorhanden sind, als hinreichender Anlass angesehen werden, für die Lehrer der Baugewerksclralen und Maschinenbauschulen höhere Gehälter zu verlangen. Die Gehaltserhöhung ist für solche Bauinspektoren eingetreten, an die man wohl in der Resolution vom 5. Juni 1891 nicht gedacht haben kann. Seitdem ist unsere Eisenbahnverwaltung umgestaltet worden. Dabei sind die Betriebsämter gefallen, man hat neue Stellen mit neuen Pflichten gegründet Die Seite 22 der Denkschrift erwähnten Ausnahmestellen sind die sogenannten Inspektionen. Diese Ausnahmestellungen haben erhöhte Pflichten, die sehr bedeutend sind. Man könnte sagen, sie haben die Gehaltserhöhung über sich ergehen lassen müssen. Diese Gehaltszulage ist gering im Verhältniss zu den vennehrten Pflichten. Solche Umstände haben die Gehaltserhöhung herbeigeführt. Die meisten Inhaber solcher Stellen sind eben nicht mehr Bauinspektoren, sondern Räthe. Herr Fe l i s c h : Meine Herren! Wir haben vom Herrn Geheim ratli Lüdeis gehört, dass im Maschinonbaufach, wo fast nur Lehrer mit voller Hochschulbildung angestellt werden, daran gedacht wird, die Gehälter demnächst zu erhöhen. Wir werden an den Baugewerkschulen auch dazu übergehen müssen. Wir haben zu verschiedenen Zeitpunkten das Ausschreiben der Stellen an solchen Schulen verfolgt und erfahren, dass trotz der Anerbietungen sich immer nur ein verschwindend kleiner Theil gemeldet hat. Wenn sieh vier bis fünf gemeldet haben, so scheiden davon womöglich noch drei als ungeeignet aus, so dass nur ein einziger übrig bleibt. Das giebt den Beweis, dass diese Stellungen nicht gesucht werden. Deshalb muss erwogen werden, das Durchschnittsgehalt der Baugewerkschullehrer zu erhöhen, nicht sogleich, aber doch in nicht allzu langer Zeit, sonst tritt ein bedenklicher Mangel an Lehrern ein. Auch die Direktoren der Baugewerkschulen müssen mit einein höheren Gehalte als 5400 Mark bedacht werden. Wer Direktor werden willT muss schon zu den hervorragenden Fachleuten gehören. — Was die Rang- und Titelverhältnisse anbetrifft, so hat schon Herr Geheimrath Lüders gesagt, dass in Süddeutschland jeder fest angestellte Lehrer an den technischen Schulen den Titel Professor bekommt. Wir brauchen nicht so weit zu gehen, aber es könnte vielleicht ein Drittel oder die Hälfte der Lehrer diesen Titel erhalten. Es ist dies ein wesentliches Reizmittel, da einmal Titel- und Eangverhältnisse eine Rolle spielen. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : Es scheint von Wichtigkeit, dass ich Ihnen den Inhalt der Denkschrift über diese Frage in's Gedächtniss zurückrufe. Es heisst auf Seite 22: „Es ist endlich nicht mehr zu bezweifeln, dass auch die Erhöhung der Gehälter in dem bisherigen Umfange noch nicht ausreicht und dass ausserdem Rang und Titel der Direktoren und Lehrer an den gewerblichen UnterSim011, Die Fachbildung des Prenssischen Gewerbe- und Handelsstandes (Anlage),

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richtsanstalten geordnet werden müssen. In ersterer Beziehung ist zu berücksichtigen, dass an den Fachschulen für Maschinenbauer mehr als drei Viertel der Lehrer volle Hochschulbildung besitzen müssen, und zwar an den grösseren Anstalten alle bis auf zwei und an den kleineren alle bis auf einen, sowie dass die Gehälter der im Staatsdienste stehenden Maschineningenieure, deren Bezüge im Jahre 1893 für die Normirung der Bezüge der Lehrer an den Maschinenbauschulen im Staatshaushalts-Etat für 1894/95 massgebend waren, seitdem erhöht worden sind." In der Denkschrift von 1891 ist die Forderung der Gehaltserhöhung, die erst drei Jahre später sich verwirklicht hat, auf S. 78 folgendermassen motivirt worden: „Ebenso schwierig ist es, Lehrer für die "Werkmeisterschule in Dortmund und für die Fachschule in Remscheid (wie für die Baugewerkschulen) zu erlangen. Es ist dies nicht zu verwundern, da das Durchschnittsgehalt der Bauinspektoren und der Maschinen-Bauinspektoren vom 1. April 1890 an auf 4200 Mk. erhöht worden ist, also 1050 Mk. mehr als das der Lehrer an den genannten Fachschulen beträgt." Jetzt fühlt sich die Verwaltung verpflichtet, auf eine grosse Anzahl der Beamten der Eisenbahn Verwaltung, deren Gehälter neuerdings erheblich erhöht worden sind, aufmerksam zu machen. Wären diese Gehaltsverhältnisse 1891 dieselben wie 1895 gewesen, so würden wir dies bei der Aufstellung der Denkschrift von 1891 und bei den weiteren Verhandlungen nicht ausser Acht gelassen haben. In der jetzt vorgelegten Denkschrift ist auf Seite 22 Folgendes gesagt: „Es ist nicht mehr zu bezweifeln, dass die Erhöhung der Gehälter in dem bisherigen Umfange noch nicht ausreicht. In dieser Beziehung ist zu berücksichtigen, dass an den Fachschulen für Maschinenbauer mehr als drei Viertel der Lehrer volle Hochschulbildung besitzen müssen, und zwar an den grösseren Anstalten alle bis auf zwei und an den kleineren alle bis auf einen, sowie dass die Gehälter der im Staatsdienst stehenden Maschineningenieure, deren Bezüge im Jahre 1893 für die Normirung der Bezüge der Lehrer an den Maschinenbauschulen im Staatshaushalts-Etat für 1894/95 massgebend waren, seitdem erhöht worden sind. Früher betrug das Durchschnittsgehalt für 705 Mitglieder der Betriebsämter, Eisenbahnbau- und Betriebsinspektoren, Eisenbahnmaselünen - Bauinspektoren und Verkehrsinspektoren 4200 Mark und das Maximalgehalt 4800 Mark, seit dem 1. April 1895 beziehen aber 477 Vorstände der Betriebs-, Maschinen-, "Werkstätten-, Telegraphen- und Verkehrsinspektioneu im Durchschnitt 4500 Mark, im Maximum 5400 Mark und nur 76 noch wie bisher 3600 bis 4800 Mark. Dadurch wird den Fachschulen für die Metallindustrie die Gewinnung und Erhaltung tüchtiger Lehrer und damit auch die "Wahl befähigter Direktoren wieder erheblich ersehwert." Ich will gerne zugeben, dass mit den von Herrn Geheimrath Koch erwähnten Stellen eine grosse Verantwortung verbunden ist. Aber man wird nicht bestreiten können, dass diese Stellen auch den Lehrern der Fachschulen ihrer Vorbildung nach zugänglich sein würden, wenn diese bei der Eisenbahnverwaltung geblieben wären. Der Einzelne wird sich künftig daher länger besinnen, zur Fachschule überzugehen, als wenn die Gehaltsaussichten auf beiden Gebieten dieselben sind. Jeder ist gerne bereit, eine höhere Verantwortung zu übernehmen, wenn er dafür höheres Gehalt erhalten soll, er übernimmt lieber eine grössere Verantwortung, als dass er sich einer Verwaltung zuwendet, die ihm geringere Aussichten bieten kann. Weiter hat nichts gesagt werden sollen. "Was Rang- und Titelverhältnisse anlangt, so ist weniger gedacht an die Verhältnisse bei der Bau- und Eisenbahnverwaltung, als an die bei den höheren Unterrichtsanstalten. Direktur L a c h n e r : Ich glaube im Namen der gesammten Lehrerschaft zu sprechen, wenn ich der hohen Staatsregierung dafür danke, dass der Regelung der Rang- und Titelverhältnisse näher getreten werden soll. Die Direktoren der gewerblichen Lehranstalten haben in den letzten Jahren noch mehr als früher kämpfen müssen, um geeignete Lehrkräfte zu gewinnen. Die Thatsache, dass an süddeutschen Schulen die Titelverhältnisse geordnet sind, hat jedenfalls eine Reihe von tüchtigen Lehrkräften dorthin gezogen. Ich möchte bitten, dass bei dieser Gelegenheit, bei der beabsichtigten Regelung auch derer gedacht wird, die an Kunstgewerbeschulen wirken. Wir haben an die Direktoren und Lehrer dieser Anstalten keine geringeren Anforderungen, als an die der Baugewerkschulen zu stellen. Wir haben Architekten nöthig, die nicht nur dieselbe Vorbildung besitzen müssen, wie die Lehrer an Baugewerkschulen, sondern auch vielfach sich künstlerische Fertigkeiten in höherem Grade zu eigen gemacht haben müssen. Direktor S t i l l e r befürwortet diesen Wunsch und führt nach einem Hinweise auf die süddeutschen und österreichischen Schulen zur Begründung einige Beispiele

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an, in denen Lehrer an preussischen Kunstgewerbeschulen schon Titel und andere Auszeichnungen erhalten haben. Oberbürgermeister B e c k e r : Die Ausführungen der beiden Vorredner kann ich nur warm befürworten. Das Lehrerpersonal an den Kunstgewerbeschulen, das mit feinem Kunstsinn ausgerüstet sein muss, darf dem anderer Fachschulen gegenüber nicht nachgesetzt werden. Wenn ich richtig unterrichtet bin, werden sie jetzt schon insofern ungünstiger behandelt, als sie keinen "Wohnungsgeldzuschuss beziehen, was bei den anderen der Fall ist. Den letzteren Uebelstand verstehe ich nicht, man müsste wenigstens das Analoge gewähren. In Köln ist das um so auffälliger, weil die Schule unter e i n e r Leitung steht und die drei Abtheilungen zu ein und demselben Organismus gehören. Da tritt das Missverhältniss besonders stark hervor und die Lehrer der Kunstgewerbeabtlieilung empfinden das doppelt schmerzlich. "Wenn man geeignete Lehrkräfte haben will, so darf man sie auch nicht schlechter bezahlen, als andere und muss ihnen auch den "Wohnuiigsgeld.zuschuss gewähren. Direktor 8p et zier kommt auf die Verhältnisse der Baugewerkschulen zurück. Es ist schon mehrfach ausgesprochen worden, wie schwer es ist, geeignete Lehrkräfte zu erlangen. Ich weiss aus Erfahrung, dass die meisten sich Bewerbenden ungeeignet sind; es laufen auch wenig Bewerbungen ein. Ich möchte dem Wunsche Ausdruck geben, die Staatsregierung möge die weitere Erhöhung der Gehälter bei den Baugewerkschulen und den übrigen Fachschulen bald in Aussicht nehmen. Aus den Korrespondenzen mit den Bewerbern geht hervor, dass meistens die verhältnissmässig niedrigen Gehälter sie abschrecken. Für die Baugewerkschulen sind tüchtige Architekten nothwendig; die stehen sich in der Praxis besser als an unseren Schulen. "Wir haben zwei Arten von Lehrern an unseren Schulen. Ich möchte die Bitte aussprechen, dass denjenigen Lehrern, die aus früheren Zeiten übernommen sind •und sich gut bewährt haben, wenn auch nicht der höhere Wohnungsgeldzuschuss, wenigstens ein höheres Gehalt gegeben werde. Geheimer Regierungsrath Stadtschulrath Dr. B e r t r a m meint, man müsse an den Baugewerk- und Masehinenbauschulen zwischen den Lehrern von Beruf und denen, die von Hause aus Architekten oder Ingenieure seien, unterscheiden. An den ersteren sei vorläufig noch kein Mangel, das würde sich aber in kurzer Zeit ändern. Das Studium der Mathematik nehme ab. Die Lehrer von Beruf müssen den Lehrern an den höheren Lehranstalten, hinsichtlich der Rang- und Titelverhältnisse, der Alterszulagen etc. gleichgestellt werden. Rang und Titel haben auch für den Architekten und Ingenieur Bedeutung, die Erhöhung der Gehälter ist auch für sie wünschenswerth, aber die Befriedigung der hier geäusserten "Wünsche wird Niemanden bewegen, eine besser dotirte Privatstellung aufzugeben oder aus der Staatsbauverwaltung auszuscheiden. Es kommt darauf an, dass die einzelnen technischen Lehrer durch ihr Amt nicht ausschliesslich in Anspruch genommen werden. Auch müsston die Regierungsbaumeister und Baubeamten nach einigen Jahren aus der Lehrerstellung wieder in Staatsbauverwaltung zurücktreten. Das mag schwer zu erreichen sein, aber unmöglich ist es doch nicht. Ebenso ist es wünschenswerth, dass die Lehrer an den Kunstgewerbeschulen mit der Praxis in Verbindung bleiben, wenngleich es für sie keine festbestimmte Laufbahn wie für die Baubeamten giebt. "Wenn auch diese Lehrer nicht ganz durch ihre Lehrtliätigkeit in Anspruch genommen werden, wird es leichter sein, tüchtige Kräfte für kunstgewerbliche Schulen zu erlangen. "Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : Der Vorschlag des Herrn Geheimraths Dr. Bertram, dass der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten Regierungsbaumeister und Baubeamte beauftragen solle, einige Jahre als Lehrer ¡in Baugewerkschulen zu \uiterrichten, laufe darauf hinaus, dass dieser Minister die Lehrerstellen an den Baugewerkschulen auf Zeit besetzen solle. Geheimer Ober-Regierungsrath D r . " W e h r e n p f e n n i g bemerkt, dass die Lehrer auch an den technischen Hochschulen sich in der Praxis bewährt haben müssten; es würde thöricht sein, sie in der Stellung der Privatdozenten gross zu ziehen. Nun betrüge das Durchschnittsgehalt der Professoren an technischen Hochschulen in Berlin und Hannover durchschnittlich 6000 Mark, in Aachen 5000 Mark, wofür ein tüchtiger Privatarchitekt oder Maschineningenieur, der gute Praxis habe, nicht zu gewinnen sei. Man könne sich nur dadurch helfen, dass man die Professoren, auch die höchstbesoldeten, in ihrer praktischen Thätigkeit nicht beschränke, nur dürften sie ihre Lehrthätigkeit nicht unter jener leiden lassen. Die Schwierigkeit, II»

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tüchtige, in der Praxis erprobte Männer als Lehrer für die Baugewerkschulen und Maschinenbauschulen zu erlangen, werde sich vermindern, wenn man ihnen nicht soviel Unterrichtsstunden auflege, dass ihnen keine Zeit und keine Kräfte für die praktische Thätigkeit übrig bliebe. Direktor Dr. F i e d l e r bedauert, dem Geheimen Regierungsrath Dr. Bertram widersprechen zu müssen. Nach der Ausführung seiner Vorschläge werde es überhaupt kein Lehrerkollegium mehr geben. Die Lehrer müssten sich mit einander einarbeiten und einleben. Dazu gehörten Jahre. In Berlin möge es möglich sein, einen erheblichen Theil der Lehrerschaft nicht dauernd an die Baugewerkschule zu fesseln. Anders seien die Verhältnisse in kleineren Städten, wo oft nicht einmal eine brauchbare Hülfskraft zu finden sei. Den Wechsel der Lehrer förmlich zu organisiren, um die Schulen mehr mit der Praxis in Beziehung zu setzen, würde verderblich sein. 30 Stunden Unterricht im "Wintersemester sei allerdings viel, im Sommer aber, wenn nur halb so viel Klassen wie im Winter vorhanden seien, wären die Lehrer an den Baugewerkschulen weit weniger belastet. Es sei ihnen an allen Anstalten gestattet, in der Praxis thätig zu sein, und es sei erwünscht, dass die Lehrer Gelegenheit hätten, nebenbei noch etwas zu erwerben. Doch müssten Konflikte zwischen den persönlichen Interessen und denen des Dienstes vermieden werden. Es dürfte genügen, Lehrer im Sommer für die Praxis zu beurlauben. Oberbürgermeister B e c k e r verliest folgenden Antrag: „Die ständige, Kommission für das technische Unterrichtswesen hält, um der bestehenden Schwierigkeit, geeignete Lehrkräfte für die Fachschulen zu finden, zu begegnen, die Erhöhung der Gehälter der Lehrer an diesen Anstalten und die Verleihung von Bang und Titeln an die Direktoren und Lehrer der Baugewerk- und Maschinenbauschulen entsprechend den für die höheren Unterrichtsanstalten geltenden Bestimmungen für dringend geboten und es ebenso für erforderlich, dass den Direktoren und Lehrern an den Kunstgewerbeschulen die gleichen Titel und Gehälter, in Sonderheit auch der Wohnungsgeldzuschuss wie den Direktoren und Lehrern der anderen Fachschulen gewählt werden." Bei seinem Antrage sei er davon ausgegangen, dass eine Erwähnung der Absicht, den Lehrern Nebenerwerb zu gestatten, nicht erforderlich sei. Geheimer Regierungsrath Professor R a s c h d o r f f befürchtet nicht, dass das Interesse der Schule leiden könne, wenn den Lehrern Gelegenheit zu praktischer Thätigkeit geboten werde. Lehrer der Bau- und Ingenieurwissenschaften oder des Maschinenbaues könne er sich ebensowenig wie einen Professor der Chemie ohne praktische Thätigkeit denken. Gestatte man sie dem technischen Lehrer nicht, so werde er bald aufhören, ein brauchbarer Lehrer in seinem Fache zu sein und zum Schulmeister werden. Als er an die hiesige technische Hochschule berufen worden sei, habe er seine ausgedehnte Thätigkeit als Privatarchitekt in Köln natürlich nicht fortsetzen können. Aber ihm sei gestattet worden, seine Lehrthätigkeit auf einen Theil der "Woche zusammen zu legen, so dass er eine zusammenhängende Zeit für die Praxis und die dazu unentbehrlichen Reisen gewonnen habe. "Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : Wir wünschen, dass jeder technische Lehrer möglichst viel in der Praxis thätig gewesen ist, ehe er Lehrer wird, und dass er möglichst mit ihr im Zusammenhange bleibt. Die Lehrer haben an den Baugewerkschulen im Maximum wöchentlich 30 Stunden Unterricht zu geben, dies wird aber eigentlich nur bei Vertretungen praktisch. Sonst ist das Maximum 28; im Sommer weniger. Kein Lehrer wird mehr als 26 Stunden wöchentlich im Durchschnitt des Jahres beschäftigt. Es ist angeregt worden, die im Sommer entbehrlichen Lehrer für die Praxis zu beurlauben, besonders sie bei Staatsbauten zu beschäftigen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Bauzeit überall vor dem Schlüsse des "Wintersemesters beginnt und über den Anfang des Wintersemesters hinaus dauert. Hätten wir mehr Mittel zur Verfügung, so würden wir wenigstens mehr Lehrer im Gange befindliche Bauten besichtigen lassen; wenn dies auch weniger wirksam sein mag, als einen Bau zu leiten. Wir können die Lehrer nicht darauf anweisen, durch Privatpraxis etwas zu verdienen und auf diesem Wege ihr Gehalt zu ergänzen, weil wir den Lehrern eine gewinnbringende Beschäftigung nicht zuwenden können. An manchen Orten fehlt es so gut wie ganz an Gelegen-

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heit zum Nebenverdienst, für die Lehrer in einzelnen Fächern sogar überall. Deshalb müssen wir wünschen, dass die Gehälter ausreichend sind. "Wir sind bestrebt, die Zahl der Pflichtstunden für die Lehrer an den Maschinenbauschulen auf 22 Stunden in der "Woche zu beschränken, weil diese Lehrer im Sommer und im AVinter gleich viel unterrichten. Der einzelne Lehrer muss soviel Zeit darauf verwenden, sich die Kenntniss der Praxis zu erhalten, indem er die Fabriken des Ortes und der Umgegend besucht, die technischen Zeitungen studirt etc., dass die Gelegenheit nebenher zu verdienen, für ihn sehr beschränkt ist. Je niedriger das Gehalt, desto grösser ist die Versuchung mehr in der Praxis zu verdienen, als das Interesse der Schule eigentlich zulässt. Die Sache hat also ihre zwei Seiten und ich bitte nicht zu glauben, dass wir mit geringeren Gehältern auskommen können, weil vielleicht der eine oder der andere Lehrer durch Ertheilung von Gutachten etc. seine Lage verbessert. Geheimer Eogierungsrath Dr. B e r t r a m will nicht das Missverständniss aufkommen lassen, als ob er die Gehälter herunter gesetzt sehen wolle. Er meine aber, dass die Gewinnung tüchtiger Lehrer sehr erleichtert werden würde, wenn man sich mit dem Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten über die Beurlaubung von Regierungs-Baumeistern auf längere Zeit verständigte. Der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten würde darum noch nicht die Lehrerstellen besetzen, er könnte nur den Eintritt des Einzelnen in ein Lehrerkollegium gestatten. Es liege auch im Interesse des Ministers der öffentlichen Arbeiten, dass tüchtige Lehrer an den Baugewerkschulen vorhanden seien. Er denke, dass die Beurlaubten drei bis vier Jahre an einer Baugewerkschule unterrichten sollten, den "Wechsel halte er für nicht so schädlich, wie die Jahre lange Verwendung eines Lehrers, der keine Gelegenheit habe, praktisch thätig zu sein. Tüchtige Leute würden sich schnell in den Lehrgang und die Lehrmethode einarbeiten. Man könne die tüchtigsten auswählen, die Tradition würde durch den öfteren "Wechsel nicht leiden, aber das Gebiet, aus dem der Lehrerstand sich rekrutire, sehr vergrössert werden. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : "Wenn sich Regiemngsbaumeister als Lehrer versuchen wollten, so habe der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten sie bereitwilligst auf einige Jahre beurlaubt. Solche Fälle seien aber nur vereinzelt vorgekommen und ohne Belang gegenüber der grossen Zahl der zu besetzenden Stellen. Professor Dr. K r o p a t s c h e k stimmt dem Vorredner bei. In einem Punkte aber habe Herr Dr. Bertram wohl Recht: Es müsse ein Unterschied zwischen den technischen und den wissenschaftlichen Lehrern gemacht werden. Die letzteren müssten ebenso gestellt werden, wie die Lehrer an den höheren Schulen, vorausgesetzt, dass sie alle Bedingungen dazu erfüllen. Dazu gehöre auch eine gewisse Wartezeit. Darum handele es' sich bei den technischen Lehrern nicht. In den Ausführungen auf S. 22 der Denkschrift sei nur eine Thatsache mitgetheilt, aber nicht die sofortige Erhöhung der Gehälter von 4200 Mark auf 4500 Mark verlangt worden. Durch eine so unbedeutende Erhöhung des Gehalts könne doch dem Lehrermangel nicht abgeholfen weiden. Damit werde man tüchtige Leute aus der Praxis nicht herüberziehen. Die Titel und Rangverhältnisse der Lehrer an den Kunstgewerbeschulen könnten nicht ohne Weiteres ebenso wie die der Lehrer an den Baugewerk- und Maschinenbauschulen geordnet werden, weil die Verhältnisse verschieden seien. Die Vorbildung der einzelnen Lehrer sei oft ungleii-h und ihre Leistungen nicht immer denen der Künstler, die sonst den Professortitel erhielten, gleichzustellen. Oberbürgermeister E l d i t t bemerkt, dass die Vermehrung der Maschinenbauschulen, insbesondere die Errichtung einer solchen Anstalt in Elbing, nöthig sei und verliest folgenden Antrag: „Die Kommission ist auch mit dem Vorgehen der Staatsregierung auf dem Gebiete des Unterrichts der Maschinenbauer vollkommen einverstanden und erklärt die fortgesetzte Vermehrung der Fachschulen für den Maschinenbau und die Metaliindustrie überhaupt für dringend nöthig.1' Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s bemerkt, dass in der Denkschrift auf S. 22 allerdings keine Erhöhung der Gehälter der Baugewerkschullehrer als nothwendig bezeichnet sei, wohl aber die der Lehrer an den Maschinenbauschulen. Es sei übrigens keineswegs gleichgültig, ob durchschnittlich 300 Mark für jeden Lehrer mehr zur Vertheilung verfügbar seien oder nicht. Denn die Lehrer erwarteten Zulagen und man müsse schon jetzt oft hohe Anfangs-

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gehälter bewilligen. In vielen Fällen seien schon grosse Schwierigkeiten daraus entstanden, dass ein zu geringes Durchschnittsgehalt zur Verfügung stehe. Der Professortitel könne schon heute Direktoren und durch besondere Tüchtigkeit ausgezeichneten Lehrern an Handwerker- und Kunstgewerbeschulen verliehen werden, und dies geschehe auch. In der Denkschrift sei ausgeführt worden, dass das Lehrerkollegium demnächst auch an diesen Anstalten in ähnlicher Weise, wie die Lehrer an den höheren Unterrichtsanstalten Titel und Bang erhalten müsste, wie es an den übrigen Fachschulen in Deutschland der Fall sei, weil die Lehrer nicht an die Preussischen Anstalten kommen oder an denselben nicht bleiben wollten, da diese Verhältnisse in Preussen nicht geregelt seien. Geheimer Ober-Regierungsrath Dr. W e h r e n p f e n n i g verwahrt sich dagegen, als ob er die Herabsetzung der Gehälter habe empfehlen wollen. Wenn auch ein Theil der Lehrer an den Baugewerkschulen im Sommer zurUebernahme von Bauten beurlaubt werden könne, so reiche das doch nicht aus. Je lukrativer die Thätigkeit des Technikers in der Industrie werde, desto nothwendiger werde sich die Reduktion der Pflichtstundenzahl erweisen, damit die Lehrer für die Praxis thätig sein könnten. Stadtrath E h l e r s : Die bisherige Debatte habe gezeigt, dass im Grunde genommen die ganze Vorsammlung darüber einig sei, dass die Anstellungsverhältnisse der Lehrer an den Fachschulen zu verbessern seien, um der Gefahr vorzubeugen, dass geeignete Lehrkräfte nicht mehr gewonnen werden könnten. "Wenn man auch den Lehrern gestatte, PrLvatarbeiten zu übernehmen, was ja übrigens nicht allen möglich sei, wenn man einzelnen dies auch durch Ertheilung eines längeren Urlaubs erleichtere und wenn auch der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten Beamte seines Ressorts beurlaube, damit sie sich als Lehrer versuchen, so sei das doch nicht von allgemeiner und durchschlagender Wirkung. Die allgemeine Lage der Lehrer an den Fachschulen müsse so verbessert werden, dass die einen zum Eintritt in den Lehrerberaf, die anderen zum Bleiben in demselben bewogen würden. Neigung und Anlage spielten auf diesem Gebiete eine so grosse Rolle, dass die grösseren Einnahmen, welche die Privatindustrie biete, nicht allein die Entschlüsse des Einzelnen bestimmten. Aber die Lehrer- und Direktorenstellen müssten in jeder Richtung angemessen dotirt sein. Er bitte daher den Antrag des Herrn Oberbürgermeisters Becker anzunehmen, um auf die Erhöhung der Gehälter und die Gewährung von Rang und Titeln an die Direktoren und Lehrer der Fachschulen hinzuwirken. Oberbürgermeister B e c k e r und Direktor S t i l l e r betonen, dass es an den Fachschulen nicht an Lehrern fehlt, deren Leistungen als Künstler und als Lehrer den Leistungen der technischen und wissenschaftlichen Lehrer an den Baugewerk- und Maschinenbauschulen gleichstehen. Jene dürften daher nicht schlechter gestellt werden als diese. Unterstaatssekretär L o h m a n n schliesst die Verhandlung, da das Wort nicht weiter verlangt ist. Die Anträge der Oberbürgermeister B e c k e r und E l d i t t werden verlesen und angenommen und darauf die Sitzung auf den nächsten Tag 10 Uhr im Reichstagsgebäude anberaumt.

Zweite Sitzung. Berlin, den 14. Januar 1896. Anwesend: der Herr Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch, der Wirkliche Geheime Ober-Regierungsrath und Unterstaatssekretär Lohmann. dieselben ordentlichen Mitglieder der Kommission wie am 13. d. Mts. mit Ausnahme des Geheimen Ober-Regierungsraths Freiherrn von Zedlitz und N e u k i r c h , ausserdem die ordentlichen Mitglieder: F r i t z e n , Landesrath a. D., Mitglied des Hauses der Abgeordneten in Düsseldorf,

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Dr. H o b r e c h t , "Wirklicher Geheimer Rath, in Gross-Lichterfelde und Dr. L a n g e r h a n s , Stadtverordneten-Vorsteher und Mitglied des Hauses der Abgeordneten, in Berlin, sowie dieselben als ausserordentliche Mitglieder der Kommission eingeladenen Herren wie gestern und die Kommissare der Herren Minister f ü r Handel und Gewerbe, der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten und der öffentlichen Arbeiten.

Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r eröffnet die Sitzung um 10 U h r und ertheilt dem Geheimrath Simon das "Wort zu dem Abschnitt der Denkschrift, der von den Webeschulen handelt. Geheimer Regierungsrath S i m o n : "Wie Sie aus der vorliegenden Denkschrift ersehen haben werden, ist die Verwaltung des gewerblichen Unterrichtswesens auch in Bezug auf die "Webeschulen bemüht gewesen, nicht nur neue Anstalten zu schaffen, sondern namentlich auch die bestehenden zu erweitern und zu verbessern. W i r haben J 4 "Webeschulen. In der Denkschrift sind zwar 16 angegeben, zwei derselben sind aber zu streichen, nämlich Finsterwalde, das mit dem 1. April 1895 wegen zu geringen Besuchs aufgehoben wurde, und Reichenbach, mit welcher Stadt die Verhandlungen noch in letzter Stunde gescheitert sind. Hinzugekommen sind seit der letzten Berathung zwei "Webeschulen, die Anstalten in Kottbus und Mühlhausen in Thüringen. Beide Anstalten sind indessen noch nicht in vollem Gange, weil zunächst noch neue Schulgebäude errichtet werden müssen. In Kottbus wird vorläufig in den Schulräumen der f r ü h e r vom Fabrikantenverein unterhaltenen "Webeschule unterrichtet und in Mühlhausen ist ein "Wanderunterricht eingerichtet worden. Ein Lehrer ist angenommen, der die W e b e r in ihren Wohnungen aufsucht, ihnen beim Arbeiten Rathschläge ertheilt und auf die Verbesseruns der Webstühle hinwirkt. Es sind zu diesem Zwecke staatliche Mittel zur Verfügung gestellt und wir hoffen, dass die Kommunalverbände ebenfalls helfend eintreten. Dann sind mehrere Anstalten erweitert worden, nämlich Berlin, Krefeld und Sorau. In der Erweiterung begriffen sind Nowawes, Kottbus, Aachen und Einbeck. Abgesehen von diesen Neugründungen und Erweiterungen ist namentlich eine bessere Organisation der Webeschulen angestrebt worden. Hierbei handelte es sich darum, einmal die Lehrziele der einzelnen Anstalten fester zu bestimmen als bisher und ausserdem dahin zu streben, dass die Schüler schneller, sicherer \md leichter sich diese Ziele aneignen. W a s die Lehrziele betrifft, so musste von vornherein davon ausgegangen werden, dass es unmöglich ist, eine Anstalt so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen und Ansprüchen aller Zweige der Weberei entspricht. Es würde dazu ein Lehr- und Lernapparat nöthig sein, der eine ungeheure Aufwendung von Kosten verursachen würde. Selbst die zur Zeit am vollkommensten eingerichtete Anstalt in Krefeld ist weit entfernt, alle Zweige der Weberei gleich gut berücksichtigen zu können. Es muss daher eine A r b e i t s t e i l u n g eintreten und es liegt nahe, dabei jeder Schule vorzugsweise den Zweig der Industrie zuzuweisen, der am Schulorte und in dessen nächster Umgebung vertreten ist. Damit wird nichts Neues angestrebt. Die Verhältnisse haben von selbst dahin geführt, dass schon jetzt fast jede Schule ein Spezialgebiet hat. Z. B. Krefeld die Seiden- und Sammetindustrie, Sorau die Leinenindustrie, Aachen die Tuchindustrie etc. AVenn auch in den einzelnen Lehrplänen, in den Programmen hier und da steht, dass a l l e Zweige der Textilindustrie berücksichtigt werden, so ist dies, gestehen wir es offen, einfache Reklame. Aber auch noch nach einer anderen Richtung musste eine strengere Arbeitsteilung eintreten. Es ist nämlich nicht möglich, Fabrikanten und Werkmeister zugleich auszubilden. Die Kenntnisse des ersteren sind von denen des letzteren so verschieden, dass auch ein besonderer Unterricht f ü r beide nöthig ist. Es f ü h r t dies zu einer Scheidung in solche Schulen, die n u r Werkmeister, und solche, die auch Fabrikanten ausbilden. Zur Vorbildung von Fabrikanten und Fabrikdirektoren sollen zunächst sechs Schulen dienen, nämlich: diejenigen in Aachen, Berlin, Kottbus, Krefeld, Sorau und Mülheim. Sie f ü h r e n künftig die Bezeichnung „höhere Webeschule". I n diesen soll das Gebiet der Textilindustrie so vertheilt werden, dass Aachen, Berlin und Kottbus die Wollen- und Halbwollenindustrie, Sorau und Mülheim die Leinen-, Halbleinen-, Jute- und Baumwollenindustrie, Krefeld die Seiden-, Halbseiden- und Sammetindustrie pflegt.

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Unter Berücksichtigung dieser Lehrziele ist dann nach wiederholten Konferenzen mit den Direktoren der Webeschulen der Lehrplan entworfen, den Sie auf S. 89 ff. der Denkschrift abgedruckt finden. Dieser Plan soll den Lehrern für den von ihnen zu ertheilenden Unterricht und für die zu befolgenden Lehrmethoden einen Anhalt geben. Ich bemerke ausdrücklich, dass er so gefasst ist, dass die freie Thätigkeit und die Schaffensfreude des einzelnen Lehrers so wenig als möglich beengt werden. Der zweite Punkt war der, wie es am besten zu erreichen ist, dass sich die Schüler diese Ziele rasch, leicht und sicher aneignen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Schülern, den Lehrmitteln und den Lehrern. Die Schüler werden nur dann das Anstaltsziel erreichen können, wenn Vorsorge getroffen wird, dass sie pünktlich den Unterricht besuchen und ihren ganzen Fleiss aufwenden, sieh das Vorgetragene anzueignen. Das hat zur Aufstellung der Schulordnung (S. 99) geführt, und weiter zur Aufstellung der Prüfungsordnung (S. 102). Durch diese Prüfungsordnung soll namentlich auch bewirkt werden, dass die Schüler die "Webeschule nicht eher verlassen, als bis sie einen vollständigen Kursus absolvirt und das Lehrziel erreicht haben. Einen direkten Zwang, die Schüler so lange zu halten, haben wir nicht, aber wir hoffen durch den indirekten Zwang, den die Abgangsprüfung und die Abgangszeugnisse bieten, zum Ziele zu gelangen. .^Ue diejenigen, die den Kursus nicht vollständig absolvirt haben, werden zur Prüfung nicht zugelassen und erhalten daher auch keine Abgangszeugnisse, sondern nur eine Bescheinigung über die Dauer des Besuchs. Die Prüfung soll vor einer Kommission abgelegt werden, zu der ein Kommissar des Herrn Handelsministers gehört; dieser hat darauf zu achten, dass die Leistungen der Schüler streng und an allen Anstalten gleichmässig beurtheilt werden. — Was die Lehrmittel betrifft, so ist aus der Denkschrift S. 43 zu ersehen, dass hierfür in der letzten Zeit nicht unerhebliche Beträge zur Verfügung gestellt sind, etwa 300000 Mark in den letzten fünf Jahren. Auch in den nächsten Etat ist eine höhere Summe eingestellt worden. Was aber in den Preussischen Webeschulen namentlich noch fehlt, sind passende Modelle, Anschauungsobjekte, an denen der Schüler leichter das versteht, was theoretisch vorgetragen wird. An den Oesterreichischcn Schulen sind Modelle in grosser Zahl und Mannigfaltigkeit vorhanden und diese Unterrichtsmittel haben sich ausserordentlich bewährt. Nur ist es schwer, solche Modelle zu beschaffen. Wenn man sie im Handel überhaupt beziehen kann, sind sie sehr theuer, da sie nach Zeichnungen besonders hergestellt werden müssen. Es bleibt daher nichts übrig, als die Modelle selbst zu schaffen, zu welchem Zwecke die Begründung einer eigenen Lehrmittelwerkstatt für die Preussischen Webeschulen in Aussicht genommen ist. Schliesslich komme ich noch auf die Verhältnisse der Lehrer zu sprechen. Zur Erreichung der Lehrziele gehören vor Allem tüchtige Lehrer. Diese sind auch für die Webeschulen sehr schwer zu finden. Wir müssen sie uns selbst heranbilden und deshalh ist beabsichtigt, besondere Kurse an den Webeschulen für die Ausbildung und Fortbildung der Webelehrer einzurichten, und diesen Kursen sowohl diejenigen zu überweisen, die erst Lehrer werden wollen, als auch diejenigen, die schon Lehrer sind, aber noch nicht das nöthige Geschick zum Unterrichten besitzen. Die Mittel für derartige Kurse sind im Entwurf des nächsten Staatshaushalts-Etats vorgesehen worden. Dann ist eine Fortbildung der Lehrer zweckmässig durch alljährliche Fachkonferenzen, in denen wissenschaftliche und pädagogische Angelegenheiten besprochen werden können. Auch hierfür sind im Etat für 1896/97 Mittel enthalten. Endlich ist eine Fachmspektion der Webeschulen in Aussicht genommen, um zu kontroliren, ob Lehrer und Schüler ihre volle Schuldigkeit thun. Revisionen haben bisher schon stattgefunden, bei der Knappheit der Mittel aber nur in sehr geringem Masse, künftig sollen sie häufiger vorgenommen werden. Auch hierfür sollen im nächsten Etat Mittel bereitgestellt werden. Eine besondere Fürsorge hat die Regierung in den letzten Jahren den Hauswebern gewidmet, die in Preussen noch in grossem Umfange vertreten sind und trotz aller früheren Prophezeihungen von ihrem baldigen Untergange noch weiter leben. Ihrer Ausbildung dienen vornehmlich die Webereilehrwerkstätten, deren Zahl von 10 auf 16 gestiegen ist (S. 40 der Denkschrift). Im nächsten Jalire sollen sechs neue, und zwar in Schlesien, hinzukommen. Wie schon vorher angedeutet, musste von der Errichtung einer Webeschule in Reichenbach abgesehen werden. Die dadurch verfügbar gewordenen Mittel sollen für Webereilehrwerkstätten in Schlesien verwandt werden. Die Lehrer dieser Lehrwerkstätten sollen zugleich am Orte selbst und in der nächsten Umgebung als Wanderlehrer wirken. Mit Rücksicht auf die guten Erfolge, die mit dem Wander-

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unterrichte im Glatzer- und Eulengebirge erzielt sind (es war 1892 ein "Wanderlehrer dorthin entsandt, dem im Jahre 1894 eine Hülfskraft beigegeben wurde), ist auch ein Wanderunterricht im Kreise Landeshut eingerichtet, wo die Interessenten in anerkennenswerther Weise eine erhebliche Summe zur Verbesserung der Webegeräthe zur Verfügung gestellt haben. Geplant ist ferner die Einführung des "Wanderunterrichts für den Kreis Sorau, wo die Handwebestühle noch in ziemlichem Umfange vertreten sind, und in der Provinz Hannover. Verhandlungen darüber sind im Gange. Die zum Bericht aufgeforderten Behörden haben die Einführung des Unterrichts befürwortet. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r verliest den Antrag Bahn und stellt ihn zur Diskussion. Der Antrag lautet folgendermassen: „Die ständige Kommission für den technischen Unterricht nimmt mit besonderer Befriedigung von den zur Hebung der Webeschulen getroffenen und noch in Aussicht genommenen Massnahmen dankbar Kenntniss; sie erkennt deren Zweckmässigkeit an und bittet, auf dem betretenen "Wege fortzufahren. Insbesondere hält sie es für dringend erwünscht, dass bewährte Direktoren und Lehrer mit Pensionsberechtigung und Anspruch auf Reliktenversorgung endgültig angestellt werden und dass, soweit die Gemeinden die Pensionslast zu tragen nicht im Stande sind, der Staat mit seinen Mitteln eintritt." Vorsitzender der Handelskammer B a h n : "Wir haben gestern bei den Verhandlungen über die Baugewerkschulen anerkennende "Worte gehört, "Worte des Lobes und des Dankes für die weitere Fortbildung der Fachschulen. Dies kann ich speziell auch auf unsere Webeschulen beziehen. Sie sehen aus der Donkschrift und aus dem Vortrage des Herrn Geheimraths Simon, dass gerade den Webeschulen eine ganz besondere Reform zugedacht ist, die vom 1. April ab in Kraft treten soll. Mit grossem Fleisse, mit Gewandtheit und Geschick ist hier an leitender Stelle gearbeitet worden. Ich glaube, dass sich gegen diese Pläne im Allgemeinen gar nichts wird einwenden lassen. Einen Wunsch möchte ich aussprechen, dass die Hauptbranchen, Leinen- und Baumwollenindustrie, zwischen Sorau und Mülheim, vertheilt werden. Wir legen uns für die Leinweberschule bedeutende Opfer auf, beziehen aus Schlesien und Bielefeld unsere Schüler und glauben auch einen Ruf zu haben. Deshalb sollte für Sorau der Charakter der höheren Leinweberscliule auch im Prospekte gewahrt werden. Für Mülheim müsste der Ruf der höheren Baumwollen-Webeschule gesichert werden. — Es ist anzuerkennen, dass im nächsten Etat 300000 Mark mehr f ü r Beschaffung von Lehrmitteln eingesetzt sind, das war auch dringend nothwendig. Der Herr Handelsminister hat sich ja persönlich überzeugt, wie es bei uns aussieht und wieviel geschehen muss, um die Schule auf einen höheren Standpunkt zu bringen. Für die Ausstattung der Schule ist um so mehr aufzuwenden, als unsere Leinenindustrie in den letzten Jahren eine bedeutende Umwandlung erfahren hat. Die Handweberei ist zurückgegangen, die mechanische dagegen hat Fortschritte gemacht. Durch die mechanische Weberei aber müssen wir auf dem Weltmarkte mit England konkurriren und Sie begreifen wohl, wie schwer uns der Absatz nach Amerika gemacht wird. Wir können dorthin nur mit mechanischer Waare noch konkurriren. Dass wir dazu Leute gebrauchen, die geschickt sind, alles, was die Zeit verlangt, bald machen zu können, versteht sich von selbst. Hauptsächlich möchte ich noch darum bitten, dass den Schülern grössere Stipendien zugewiesen werden. Das Schulgeld ist an unserer Webeschule wohl um das Doppelte erhöht worden, auf 200 statt früher 100 Mark. Söhne bemittelter Eltern werden auch dies bezahlen. Aber wir haben nur zum kleinen Theile solche Schüler, wir bemühen uns, auch Schüler heranzuziehen, die kein Vermögen besitzen, die weder Schulgeld, noch Geld für Bücher haben. Aus dem Staatsfonds stehen uns 1000 Mark zur Verfügung, die Provinz giebt 500 Mark und die Stadt 500 Mark. Diese 2000 Mark werden aber nicht ausreichend sein, um mehr Schüler zu gewinnen und wenn die Schule am Besuche nicht leiden soll, so haben wir grössere Zuschüsse nöthig. Der Kreis ist auch nicht sehr bemittelt, wir haben sehr hohe Kreissteuern, und wie die Zusammensetzung des Kreises ist, wissen Sie, zwei Drittel Vertreter vom Lande und ein Drittel Vertreter aus der Stadt. So ist es auch mit der Provinz, die sehr viele Anstalten zu unterhalten hat. Deshalb möchte ich an die Herren, die Sitz und Stimme im Parlamente haben, die dringende Bitte richten, wenn die Forderungen für den Dispositionsfonds für Webeschulen kommen, möglichst mehr

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zu bewilligen, als wie gefordert wird. Es ist entschieden nötliig. Die Industrie ist eine kräftige Stütze unseres Staates, und wo die Industrie nicht blüht, da entvölkert sich die Provinz, die Leute gehen dorthin, wo sie Arbeit und Beschäftigung finden. — Nun komme ich auf meinen früheren Antrag zurück, die Lehrer pensionsberechtigt zu machen. Ich verlange nicht,' dass alle Lehrer pensionsberechtigt werden, sondern nur die wirklich bewährten Kräfte. Es hält schwer, gute Lehrer zu bekommen. "Wir haben sie in Sorau aus dem Auslande heranholen müssen. Die Herren werden aber, weil ihre Lage sich nicht verbessert, missmuthig. "Wenn eine solche Kraft, wie unser Dirigent, der 44 bis 45 Stunden wöchentlich in angespanntem Dienste ist, also doppelt so viel Stunden Dienst hat, als ein "Volksschullehrer, wenn der noch unklar in die Zukunft blickt, so ist das nicht mehr zu verantworten. Die Lehrer reiben sich auf und wenn einer 60 Jahre gearbeitet hat für unsere Jugend und kann nicht mehr arbeiten, dann frage ich Sie, was dann? "Wer soll die Hinterbliebenen erhalten? Von der Stadt, die das Aeusserste thun will, kann man besondere Zuschüsse nicht verlangen. Was aber für die Baugewerkschulen durchführbar ist, das ist auch für unsere "Webeschulen zu verlangen. Vorsitzender der Handelskammer S e i f f a r d t : Ich freue mich, aussprechen zu können, dass das Kuratorium sowohl, als auch die Handelskammer in Krefeld den Grundsätzen der Reorganisation der "Webeschulen, wie sie in der Denkschrift enthalten sind, vollkommen zustimmen kann. Auch, finden der Lehrplan, die Stundenvertheilungspläne, die Schul- und Prüfungsordnung unsern Beifall. "Wenn also mit dem 1. April diese neue Reorganisation eingeführt wird, hoffen wir, dass die guten "Wirkungen auf die Schule sowohl, wie auf die ganze Industrie sich binnen kurzer Zeit zeigen werden. Sehr sympathisch haben uns die Worte der Denkschrift berührt, wo es S. 53 heisst: „Sollen in dieser Beziehung befriedigende Zustände geschaffen werden, so müssen in den Webeschulen besondere Kurse für die Ausbildung und Fortbildung von Webelehrern eingerichtet, häufig Fachkonferenzen mit den Direktoren und Lehrern abgehalten, und ihnen reichliche Gelegenheit zu Studienreisen gegeben werden." Wir haben in Krefeld besondere Kurse an unserer Webeschule schon eingerichtet für sogenannte Atelierschüler. Aus diesen Kursen für Atelierschüler ist schon manche bewährte Lehrkraft hervorgegangen, nicht bloss für unsere, sondern auch für die übrigen Webeschulen, ad 2 heisst es: Die Besoldungen an den Webeschulen theilweise erhöht und ad 3: bewährten Direktoren und Lehrern Ansprüche auf Pension und Reliktenversorgung gegeben werden. Ich kann mich dem Antrage Bahn vollständig anschliessen: ich möchte nur wünschen, den Schluss des letzten Satzes wegzulassen. In der Denkschrift ist hervorgehoben, welche grosse Schwierigkeiten entstehen, wenn Staat und Gemeinde sich in die Pensionslast theilen. Es heisst da S. 54: „Es ist ferner zu hoffen, dass die mit den Gemeinden eingeleiteten Verhandlungen über die Tlieilnahme an den Ausgaben, welche die Gewährung von Pensionen und Reliktengeldern verursachen wird, von Erfolg sein werden. Dabei wird übrigens dafür zu sorgen sein, dass nicht aus der Einräumung von Pensionsansprüchen bei der Versetzung von Lehrern Schwierigkeiten und langwierige Verhandlungen wegen der Vertheilung der späteren Pensionslast unter den betheiligten Gemeinden entstehen. Denn die Befürchtung liegt nahe, dass die Städte Versetzungen, von denen sie eine Erhöhung ihrer Pensionslasten erwarten, widersprechen werden und dass dadurch der Vortheil der für die Gewinnung und Versetzung von Lehrern durch die Zusicherung von Pensionen erreicht werden soll, verloren geht." Meine Herren, um zu verhüten, dass derartige Verhandlungen sehr schwer zu einem Ergebniss führen und zum Schaden der Lehrer sind, die in ihrer freien Bewegung dadurch gehemmt werden, möchte ich in Vorschlag bringen, dass ins Auge gefasst werde, dass diese Pensionslast vom Staate übernommen werde. Nicht, dass die Gemeinden entlastet werden sollen, diese sind bereit, ihren Theil zu tragen. Man könnte es auf zweierlei Weise machen. Vielleicht könnte man die Gemeinden in anderer Richtung durch eine gleiche Summe belasten,' oder es so machen, dass der Staat die faktisch ausgelegten Beträge an Pensionen und Reliktengeldorn auf die gleichartigen Schulen in gewissem Verhältnisse vertheilt, so dass nicht jede Stadt selbst darüber zu bestimmen hat, wie auf sie die Pensionslast entfällt. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r : Zu dem Antrage Bahn ist ein weiterer Antrag Seiffardt gestellt worden, welcher bezweckt, von dem Prinzipalantrage die Worte zu streichen: „und dass, soweit die Gemeinden die Pensionslast zu tragen nicht im Stande sind, der Staat mit seinen Mitteln eintritt".

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Geheimer Eommerzienrath F r i e d r i c h s : loh stimme dem Antrage Bahn zu und habe nur wenige Worte für meinen Heimathsbezirk zu sagen. Es handelt sich um das Bedürfniss einer Fachschule f ü r Spitzen, Litzen und Bcsatzartikel. Die Stadt Ronsdorf hat sich, wie mir gesagt worden ist, bereit erklärt, den Bedingungen, die von der Staatsregierung gestellt werden, zu genügen. Es wird eine Fachschule gewünscht, um den zahlreichen Hauswebem einerseits, wie auch den f ü r die grösseren Fabriken nothwendigen Werkmeistern die nöthige theoretische Vorbildung zu geben, vor allen Dingen, um durch methodischen Fachunterricht den zukünftigen Meistern aus der Gefangenschaft des bloss Angelernten herauszuhelfen. Ich wollte nur die Staatsregierung gebeten haben, dieser Angelegenheit ihre Fürsorge angedeihen zu lassen. Vorsitzender der Handelskammer B a h n erklärt sich mit der Abänderung Seiffardt einverstanden. Dr. v o n J a c o b i : Ich schliesse mich den "Worten, die bisher über die AVebeschulen gesprochen sind, an, möchte aber noch darauf aufmerksam machen, dass in der Denkschrift eine völlig neue Einrichtung erwähnt ist, nämlich die Einführung des Wanderunterrichts. Ich sollte denken, dass es der Stellung der Kommission entspräche, diesen Punkt nicht mit Stillschweigen zu übergehen. Ich halte diese Einrichtung der Wanderlehrer für äusserst zweckmässig vom volkswirthschaftlichen Standpunkte aus. Man kann nicht sagen, dass dies dazu führen könnte, die Handweber in ihrem Schlendrian zu befestigen, sondern es wird ihnen vielmehr dadurch gezeigt, dass ein Fortschritt möglich ist, und dass eine Nothwendigkeit vorhanden ist, sich dem Fortschritte anzuschliessen. E s . ist bekannt, wie sehr die Weber an ihren Verhältnissen hängen und auch trotz grosser Armuth nicht zu bestimmen sind, von dem alten Wesen abzugehen. Dass sie angeleitet und freudig für den Fortschritt gemacht werden, wird das Institut der Wanderlehrer fördern. Die Denkschrift berichtet, dass günstige Erfolge erzielt worden sind. Wenn die Besserung in der Lage der Weber im Augenblick noch nicht erheblich ist und noch nicht sehr erheblich sein kann, so ist doch auch für ihre soziale Lage diese geringe Besserang ein Vortheil. Ich glaube deswegen, dass wir Ursache hätten, im Anschluss an den Antrag Bahn ein Wort über die Wanderlehrer zu sagen. Es würde dies geschehen können, wenn man in der dritten Zeile einschiebt: „und des Wanderunterrichts für Handweber" und am Schlüsse des Antrages hinzusetzte: „Die Kommission vertraut, dass der begonnene Wanderunterricht und die mit demselben in Verbindung stehende Gewährung von Mitteln zur Reparatur und Verbesserung von Webstühlen fortgesetzt Gegenstand wirksamer Fürsorge sein wird. Die Ausführungen der vorgelegten Denkschrift, wonach eine auf diesem Wege erzielte Verbesserung der Lage der armen Weber-Bevölkerung, selbst wenn sie nur mässig erscheint, von grösstem Werthe ist, verdienen volle Zustimmung.1' Was den Antrag Bahn-Seiffardt anlangt, so möchte ich der zweiten Alternative zustimmen, nämlich den Schlusssatz ganz zu streichen. Herr K l e m m ist mit der Reorganisation der AVebeschulen völlig einverstanden, auch mit der Eintheilung in höhere AVebeschulen und AVebeschulen. Die Prüfungsordnung für die AVebeschulen erscheint ihm zu scharf, es genüge, die mündliche Prüfung f ü r einen Schüler auf eine halbe Stunde zu bemessen (nicht eine ganze Stunde wie vorgesehen ist). — Was die in der Schulordnung für die AVebeschulen (S. 101) angeführten Strafen betrifft, so möge er dafür eintreten, dass ad 2 § 17 (Androhung der Ausschliessung aus der Schule durch den Direktor) an dieser Stelle die „Androhung" wegfalle und dass dafür eingesetzt werde, „der Direktor ist berechtigt, die Schüler auf einige Tage vom Unterricht auszuschliessen." Der Schüler leidet nicht darunter; aber der Lehrer muss auch in der Lage sein, seinen Worten Nachdruck zu geben, und während der nächsten Tage kann er ja den weiteren Ausschluss, wenn nöthig, beim Schulvorstande befürworten. — Bezüglich der Beschaffung von Modellen ist der eingeschlagene Weg der richtige. — Auch kann ich mich mit den Ausführungen über die Fortbildung der Lehrer durch Fachkonferenzen, ihre Fühlung mit der Praxis, über die Revision der AVebeschulen durch Fachmänner, über die Pensions- und Reliktenversorgung der Webeschullehrer nur einverstanden erklären. Auch wir in Forst wissen der Königlichen Staatsregierung Dank, dass sie die Webeschulen so kräftig gefördert hat, und ich will nicht unerwähnt lassen, dass es augenehm berührt hat, dass der sogenannte grüne Tisch bei den Verhandlungen über die Reorganisation der Webeschulen nicht durch-

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zufühlen war. — Bedauerlich, ist es, dass für Forst das Schalgeld herabgesetzt werden soll, da wir nicht wissen, wie der Ausfall zu decken ist. Geheimer Regierungsrath. Simon: Herr Bahn hat gewünscht, dass die Sorauer "Webeschule besonders gekennzeichnet würde als Leinenwebeschule. Der "Wunsch wird erfüllt werden, da beabsichtigt ist, die Anstalt speziell den Bedürfnissen der Leinenbranche anzupassen. Die Schule in Mülheim soll vorwiegend die Baumwollweberei berücksichtigen. Herr Bahn irrt, wenn er annimmt, dass in den nächsten Staatshaushalts-Etat 300 000 Mark für Lehrmittel eingestellt werden sollen. Es geht aus der Denkschrift hervor, dass in den letzten fünf Jahren diese Summe verwendet worden ist; so glücklich sind wir nicht, jetzt wieder eine so grosse Summe zur "Verfügung zu haben. Aber verhältnissmässig gut werden wir auch im nächsten Jahre mit Mitteln ausgerüstet sein, um die Lehrmittel zu verbessern. Ich halte es ferner ebenfalls für nothwendig, dass die Lehrer in engster Fühlung mit der Praxis bleiben. Das zu erreichen ist indessen nicht leicht, denn nicht jeder Fabrikant lässt einen Webelehrer in seine Fabrik hinein. Die Bereitwilligkeit der Fabrikanten hierzu ist aber nothwendig, und ich möchte die Herren bitten, dass sie in ihren Kreisen ein Verständniss für die "Wichtigkeit dieser Unterweisung der Lehrer in der Fabrik selbst verbreiten und nach dieser Richtung hin auf die Fabrikanten ihres Bezirks einwirken. Die Geringfügigkeit der für Stipendien zur Verfügung stehenden Mittel gebe ich zu. Es ist daher auch beabsichtigt, den Fonds vom nächsten Jahre ab um 10000 Mark zu erhöhen. Es ist indessen erwünscht, dass auch von den betheiligten .Fabrikanten und kommunalen Verbänden grössere Stipendienfonds gestiftet werden. Bezüglich der Pensionsberechtigung der Lehrer herrscht Einverständniss darüber, dass der Staat nicht allein deren Kosten zu übernehmen braucht. In welcher "Weise er sich dabei zu betheiligen hat, ist Sache späterer Erwägung. Die Hauptsache ist, dass die Gemeinden grundsätzlich mit der Pensionsberechtigung der Lehrer einverstanden sind und sich an den Ausgaben betheiligen wollen. Herrn Friederichs erwidere ich, dass die erforderlichen Schritte zur Errichtung einer "Webeschulo in Ronsdorf bereits getlian sind und dass die Verhandlungen voraussichtlich bald zum Abschluss gelangen werden. "Was die bemängelte Bestimmung der Prüfungsordnung betrifft, wonach jeder Schüler eine Stunde geprüft werden soll, so kann man ja darüber streiten, ob für die mündliche Prüfung nicht 1/2 oder y , Stunden ausreicht. Die hierüber gutachtlich gehörten Direktoren haben sich für eine volle Stunde ausgesprochen. "Wenn sich später herausstellt, dass wir in kürzerer Zeit feststellen können, was ein Schüler leistet, so werden wir die Bestimmung abändern. In solchen Dingen ist die beste Lehrerin die Erfahrung, die uns aber zur Zeit noch fehlt. Dagegen, dass der Schüler zur Strafe auf einige Tage vom Unterricht ausgeschlossen werden kann, möchte ich mich aussprechen; denn er versäumt dann einen Theil des Unterrichts, und es wird ihm kaum möglich sein, das Versäumte nachzuholen. Der Direktor hat ja die Möglichkeit scharfen Eintretens durch die neue Schulordnung erhalten und unser Schülermaterial ist auch im Allgemeinen so, dass wir wenig Gebrauch von Strafen machen müssen. Ein tüchtiger Direktor wird mit den vorgesehenen Bestimmungen auskommen können und es verstehen, die Disziplin auch ohne die Möglichkeit des zeitweisen Ausschlusses aufrecht zu erhalten. Die Herabsetzung des Schulgeldes in Forst ist dadurch veranlasst, dass das Schulgeld für "Werkmeisterschüler überall auf 60 Mark festgesetzt ist. Ich kann mich nicht dafür aussprechen, dass für Forst eine Ausnahme gemacht wird. 30 Mark halbjährlich für einen jungen Menschen, der sich im Tageskursus als "Werkmeister ausbilden will, ist Geld genug. "Wir müssen besonders den Besuch der Tageskurse fördern und daher für sie das Schulgeld möglichst gering bemessen. Der Tagesunterricht ist besser als der Abendunterricht. Die Schüler sind frischer, und sie erreichen in den Tageskursen in einem halben Jahre das, was sie in den Abend- und Sonntagskursen kaum in zwei Jahren erreichen. Deshalb werden Stipendien wahrscheinlich in Zukunft auch nur an solche Schüler gegeben werden, die den Tagesunterricht besuchen. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r : Der von Herrn Stadtrath Ehlers eingegangene Antrag lautet:

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„Die Kommission hält es für eine höchst wünschenswerthe Aufgabe, insbesondere der privaten "Wohlthätigkeit, gewerbliche Stipendienfond» für Handwerker und Fabritarbeiter zu begründen." Der Herr Antragsteller wird den Antrag wohl eventuell am Schlüsse begründen, weil er sich auf alle Schulen bezieht. Kommerzienrath D e l i u s : Meine-Herren, ich will es mir versagen, lokale "Wünsche vorzubringen und nur bemerken, dass die rheinische "Wollindustrie mit der vorgeschlagenen Reorganisation der Webeschulen durchaus einverstanden ist. Speziell die Vertkeilung der Aufgaben der einzelnen höheren Webeschulen in Bezug auf die Industriezweige, die am Schulorte gepflegt werden, ist eine besonders glückliche. "Wie wir sehen, umfassen die österreichischen Schulen die gesammte Textilindustrie, dass aber bei ihnen nur die Zweige gedeihen und blühen, die mit ihrer lokalen Industrie zusammenhängen. Es wird keinem Schüler einfallen, an die "Wiener Schule zu gehen, wenn er die Baumwollenweberei erlernen will, er geht dann nach Brünn, wo diese Industrie speziell entwickelt ist. Es ist sehr schwierig, alles dasjenige anzuführen, was man bei den einzelnen Schulen hätte durchführen müssen, in Folge der Konkurrenz, die sich die Schulen gemacht haben: es bezieht sich das auf die Aufnahme, Disziplin und Verschiedenes, was thatsächlich nicht durchgeführt werden konnte, weil man fürchtete, dass die Schüler abgehen würden. Dann halte ich es für gut, das Schulgeld für Ausländer hoch zu bemessen. In Aachen sind wir dazu gekommen, das Schulgeld für Ausländer auf 800 Mark festzusetzen, und ich kann konstatiren, dass auch jetzt noch eine grosse Menge von Ausländern vorhanden ist. Es kommt ihnen nicht darauf an, ob sie mehr oder weniger bezahlen, sondern nur auf die Gelegenheit, etwas Entsprechendes zu lernen. Ich glaube, dass dasjenige, was Herr Friederichs in Vorschlag gebracht hat, dazu beitragen wird, dass die Entwickelung der Schulen noch bedeutend rascher zu Ende geführt werden kann. Herr B a h n : Ich will nur meine Befriedigung über die Worte des Herrn Regierungskommissars aussprechen und zur Rechtfertigung des AVunsches, dass Sorau eine Leinenwebeschule werden möchte, erwähnen, dass die Denkschrift selbst ausführt, dass die Schulen sich an die örtliche Industrie anschliessen sollen. In Bezug auf die 300000 Mark habe ich mich im Irrthum befunden. Ich muss aber noch zum Schlüsse der Vermehrung der Stipendienfonds das Wort reden und dringend bitten, nicht die Gewährung der Staatszuschüsse davon abhäDgig zu machen, dassauch die Gemeinden Opfer bringen. Stadtrath E h l e r s : Meine Herren! Es liegt mir fern, den von dieser Kommission mit grosser Einmüthigkeit ausgesprochenen, auf die Vermehrung der dem Herrn Handelsminister für den gewerblichen Unterricht zur Verfügung stehenden Mittel gerichteten "Wünsche entgegenzutreten. Ich habe indessen von der gestrigen und heutigen Debatte den Eindruck erhalten, dass die Ausführungen sich zu ausschliesslich mit den von dem Staate und den Gemeinden dafür zu machenden Aufwendungen beschäftigt und einen dritten Faktor, die private Thätigkeit, unbeachtet gelassen haben. Als ich vor mehreren Jahren zum ersten Male die Berliner Handwerkerschule besuchte, habe ich gesehen, mit welchem Verstündniss der Herr Direktor Jessen es verstanden hatte, sich Unterrichtsmaterial zu beschaffen, z. B. wenn ich mich nicht irre, auch von meinem verehrten Nachbar, Herrn Puls. Ich glaube, dass aus den Kreisen der Industriellen für alle Schulen Muster und geeignetes Material, das sich in die Sammlungen einordnen liisst, geliefert werden können. Wichtiger noch ist die Gewährung von Stipendien. Der Herr Vorredner hat wiederholt stark betont, dass der Staat mehr Stipendien bewilligen möge. Auf diesem Gebiete kann man doch an den Staat nur beschränkte Anforderungen stellen, die Hülfe muss vor Allem von anderer Seite kommen. Ich bin Gegner der zu grossen Ermässigung oder gänzlichen Aufhebung des Schulgeldes, denn es hat eine nicht zu unterschätzende sittliche Bedeutung, dass ein Fabrikarbeiter sich mit eigener Kraft seine Bildung erwirbt. Es lässt sich nicht leugnen, dass es weite Kreise, namentlich in den östlichen Provinzen giebt, die der Hülfe nicht entbehren können. Der Ehrenbürger von Elbing, Herr Schichau, wäre vielleicht nicht einer der grössten Industriellen geworden, wenn nicht ein Verein den jungen Schlosserlehrling auf eine hohe Schule gebracht hätte. Solehe Fälle, in denen man einem begabten jungen Manne durch Gewährung von Stipendien zur Bezahlung des Schulgeldes und der Kosten seines Unterhalts seine Laufbahn eröffnen kann, kommen oft vor. Wir haben in Deutschland und Preussen eher zu viel als zu wenig Stipendien für das Universitätsstudium. Es verdient erwogen zu werden, ob nicht ein Theil dieser Stipendien durch einen Akt

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der Gesetzgebung Technikern zugängig gemacht werden könnte, entsprechend den veränderten Verhältnissen der Gegenwart. Nach meiner Ueberzeugung ist es geradezu ein Yerhänguiss, dass man Leute, die den inneren Beruf zum Studium der Jurisprudenz, Theologie etc. gar nicht haben, durch Verleihung der Stipendien dazu verleitet und dadurch ein Gelehrtenproletariat grosszieht. Dagegen fehlt es sehr an Stipendien auf dem Gebiete des gewerblichen Unterrichts; für ihre Vermehrung mögen die Herren Bürgermeister, die Herren Kommerzienräthe und Geheimen Kommerzienräthe wirken. Der Staat und die Gemeinden können nur das Nothdürftigste leisten. Die Gemeinden haben kein Geld. In Danzig ist einmal von einer Bank die Summe von 30000 Mark geschenkt und daraus ein gewerblicher Stipendienfonds gebildet worden. Aus den Zinsen erhalten junge Leute, die sich in der Fortbildungsschule hervorgethan haben, auf drei Jahre jährlich 200 bis 300 Mark zu ihrer Ausbildung. Leider ist der Fonds zu klein. Die guten, mit diesen Stipendien gemachten Erfahrungen veranlassen mich, Sie zu bitten, sich für die Begründung von Stipendienfonds, die eine dringende Xothwendigkeit für das Fortkommen junger Handwerker und Arbeiter ist, zu interessiren. Dadurch wird auch dem Hindrängen zu den sogenannten gelehrten Bmifsständen entgegengewirkt und die Achtung vor der Thätigkeit des Gewerbestandes geweckt werden. Es giebt genug wohlhabende Leute, die gerne einen Theil ihres Vermögens zu nützlichen Zwecken der Gesammtlieit bestimmen möchten, aber nicht wissen, wie sie dies bewerkstelligen sollen. Diese müsste man auf den Mangel an Stipendien für Handwerker und Arbeiter zur Erlangung einer besseren Ausbildung hinweisen. "Wenn Sie meinen Antrag annehmen, so hoffe ich, dass er in grösseren Kreisen ebenso nützlich wie bei der Finanzverwaltung wirken wird. Direktor B e c k e r t bemerkt, die Stipendienfrage sei für die Schule für Maschinenbauer und Hüttenleute in Duisburg, früher in Bochum, schon vor 15 Jahren sehr glücklich gelöst worden. Es habe sich herausgestellt, dass viele Schüler einer fortlaufenden Unterstützung nicht entrathen können und so hätten sich die niederrheinischen und westfälischen Werke entschlossen, jährlich 20 Pfennig für jeden von ihnen beschäftigten Arbeiter zu einem Stipendienfonds für Schüler aus dem Bezirk beizusteuern. Die Beitrüge der westfälischen Industriellen flössen jetzt den Maschinenbauschulen in Dortmund zu. Bei der Duisburger Schule ständen jährlich 7000 Mark an Beiträgen zur Verfügung und ausserdem die Zinsen eines aufgesammelten Kapitals von 36 000 Mark. Bedürftige tüchtige Schüler erhielten monatlich 20 bis 40 Mark. Geheimer Kommerzienrath F r i e d e r i c h s bittet, dem "Wunsche des Herrn Stadtraths Ehlers jeder zu Hause nach besten Kräften nachzukommen, seinen Antrag aber abzulehnen, um nicht Anlas.s zu geben, dass der Staat mit seiner Unterstützung karge. Schon vielfach hätten Private Opfer gebracht, um durch Förderung des gewerblichen Unterrichts zu nützen und würden damit fortfahren. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r : Meine Herren, ich bin auch der Meinung des Herrn Geheimen Kommerzienraths Friederichs, dass es dringend wünschenswerth ist, dass der Staat für den gewerblichen Unterricht mehr thut als bisher. Ich muss aber ausdrücklich betonen, dass der Herr Finanzminister dasselbe wünscht, das entspricht seiner ganzen Laufbahn und seinen Anschauungen. "Wenn er grössere Mittel nicht gleich zur Verfügung stellen kann, so liegt das an der allgemeinen finanziellen Lage des Staates. Es wird ihnen nicht entgangen sein, dass uns in demselben Augenblicke, in dem sich die Finanzlage gebessert hat, für den gewerblichen Unterricht nicht unerheblich grössere Mittel zur Verfügung gestellt worden sind. Ich werde bestrebt sein, noch mehr für unsere Schulen zu erlangen. Gewisse Grenzen müssen aber innegehalten werden und ich glaube, dass es jetzt nicht gerathen ist, die Ansprüche an den Staat allzusehr zu steigern im Vergleich zu den an die Gemeinden und Industriellen zu stellenden. Zwei Punkte stehen besonders hier in Frage; die Eegelung der Pensions- und Eeliktenlast und die Vermehrung der Stipendien: die Anträge Bahn und Seyffardt. Ich muss zunächst betonen, dass bei der jetzigen Lage der Dinge auf eine Betheiligung der Gemeinden an den Pensionslasten nicht verzichtet werden kann, wenn aus der Sache überhaupt etwas werden soll. Die auf dem Gebiete des gewerblichen Unterrichtswesens noch zu erledigenden Aufgaben sind so gross, dass noch sehr grosse Staatsmittel nöthig sein werden, um einen leidlich befriedigenden Zustand zu schaffen, wie das die Denkschrift und die jetzigen Verhandlungen zeigen. Unter diesen Umständen ist es rathsam, heute den letzten Absatz des Antrages Bahn zu streichen. "Wenn er

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jetzt angenommen wird, habe ich die Empfindung, dass die Gemeinden der Ansicht sind, dass sie es nicht sind, die in erster Linie für die Pensionen aufzukommen haben, sondern der Staat. Nun hat der Staat allerdings grosses Interesse an der Regelung der Pensionsfrage, weil die Anstellung und Versetzung der Lehrer, die mitunter durch persönliche Verhältnisse nothwendig wird, durchaus erschwert wird, wenn die Pensions- und Reliktenversorgung in den Gemeinden verschieden ist. Ich würde es deshalb an sich für ein Glück halten, wenn die Sache durch ein Gesetz geregelt weiden könnte. Das ist aber zur Zeit nicht wohl möglich. Zunächst wird der Umfang der Betheiligung des Staates an der Pensionslast zu bestimmen sein und die Gemeinden werden vielleicht einen Verband zur gemeinschaftlichen Tragung des ihnen zuzuweisenden Theiles der Last bilden können. Reif ist die Angelegenheit für solche Verhandlungen wohl noch nicht und es dürfte zur Zeit richtiger sein, den sie betreffenden Satz des Antrages zu streichen. Was die Stipendien anlangt, so bin ich der Meinung, dass die Staatsmittel in erster Linie auf die Errichtung und Ausstattung der Schulen zu verwenden, die Stipendien aber mehr von denen zu beschaffen sind, die wesentlich an der Ausbildung der Schüler interessirt sind. Der Staat wird sich seiner Aufgabe, hier mitzuwirken, natürlich nicht entziehen. Das ist schon deshalb unerlässlich, weil die Verhältnisse an den einzelnen Orten verschieden sind. In einer reichen Stadt findet sich heute schon eine grosse Anzahl von Personen, die bereit sind, aus ihren Mitteln für Stipendien zu sorgen, an anderen Orten, wo wenig wohlhabende Leute sind, und es gerade wünschenswerth ist, unbemittelten Schülern den Besuch der Tagesschulen durch Stipendien zu erleichtern, muss hierfür auf anderen "Wegen gesorgt werden. Ich erkenne gern an, dass die Grossindustrie heute schon in mehrfacher Beziehung viel für unsere Anstalten durch Gewährung von Stipendien und Schenkung von Unterrichtsmaterial thut. Ich würde auch gern bereit sein, bei einiger Aussicht auf Erfolg in einer nicht amtlichen Form zur- Dotirung eines Stipendienfonds durch Private anzuregen. Es scheint mir aber nicht zweckmässig, von dem Staate zu verlangen, dass er die Stipendienlast übernehmen solle. Direktor S t i l l e r warnt davor, Stipendien ohne Einschränkung auf längere Zeit und ohne den Vorbehalt einer Kontrolle zu gewähren. Die Staatsstipendien würden nur in Raten gezahlt und nur unter Vorbehalt des "Widerrufs, wenn der Empfänger durch Trägheit, unordentlichen Lebenswandel oder sonst wie Anlass zu Tadel gäbe, auf ein halbes oder ganzes Jahr bewilligt. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s erwähnt, dass nach dem schon erwähnten Vorbilde der grösseren Maschinenfabriken, Eisen- und Hüttenwerke in Rheinland und Westfalen jetzt auch die oberschlesische Industrie beschlossen habe, die Summe von 5000 Mark zu Stipendien für Schüler der Maschinenbauund Hüttenschule in Gleiwitz zu verwenden. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r bittet, dass die Diskussion nach dieser Abschweifung sich wieder den Webeschulen zuwenden möge. Oberbürgermeister B e c k e r tritt den Ausführungen des Herrn Handelsministers bei und empfiehlt in den Forderungen an den Staat Mass zu halten und in den gewerblichen Kreisen für die Stiftung von Stipendien zu wirken. Der zweite Punkt in dem Antrage Bahn, der die Gewährung des Anspruchs auf Pensionen und Reliktengolder an die Lehrer und ihre Hinterbliebenen betreffe, entspreche in finanzieller Beziehung den mit den einzelnen Städten über die Zahlung der Gehälter getroffenen Abmachungen. Der Pensionsanspruch sei ein Theil der Besoldung. Die Pensionslast und Reliktenversorgung seien daher zwischen dem Staat und der einzelnen Gemeinde nach demselben Verhältniss zu vertheilen, in dem sie zu den Kosten der Unterhaltung der Schule beitrügen. Das sei der einfachste Weg, alle Schwierigkeiten zu beseitigen. Die Wortfassung des Antrages Bahn entspreche dem nicht, da er das Eintreten des Staates davon abhängig mache, dass die Gemeinden nicht im Stande seien, die Pensionslast zu tragen. Damit werde wieder alles ins Unbestimmte gerückt Uebrigens könne der ganze, auf diese Angelegenheit sich beziehende Satz des Antrages diesmal fortfallen und die Angelegenheit bei dem nächsten Zusammentreten der Kommission wieder aufgenommen werden. Er schlage daher vor, die beiden Sätze der Resolution Bahn bei der Abstimmung von einander zu trennen. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s weist darauf hin, dass der Staat bei den Schulen, deren Unterhaltung er trägt, soweit sie nicht durch eigene Einnahmen der Anstalten und f e s t e Zuschüsse der Gemeinden gedeckt werden,

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also bei den Staatsanstalten, die Pensionslast und die Reliktenversorgung übernommen habe. Die Sache sei also nur noch f ü r die wenigen Anstalten, zu deren Unterhaltung der Staat einen festen Beitrag an die Gemeinde zahle und für die Anstalten, zu deren Unterhaltung er gewisse Prozente des jährlichen Bedarfs beitrage, zu ordnen. Die Verhandlungen darüber seien noch nicht beendigt. Man gehe dabei von der Voraussetzung aus, dass der Staat und die Gemeinden in der Regel in demselben Verhältnis zu den Pensionen und den Reliktenversorgungsbeiträgen, die an der einzelnen Anstalt zu zahlen sein würden, beitragen solle. Ausnahmen hiervon würden nicht ganz ausgeschlossen werden können, auch zum Nachtheil der Gemeinden nicht. Um Missverhältnissen vorzubeugen, sei es vielleicht besser, nach dem Vorschlage des Herrn Oberbürgermeisters Becker den Schlusssatz des Antrages Bahn zu streichen. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r erklärt, er habe gegen die Streichung des letzten Satzes nichts einzuwenden, sei übrigens auch, wenn dies nicht geschähe, nach der vorausgegangenen Besprechung überzeugt, dass die Versammlung nicht verlange, dass der Staat allein die Pensionslast tragen solle. Stadtrath E h l e r s bittet, seinen Antrag nicht abzulehnen, wie Herr Friederichs vorgeschlagen habe, sondern anzunehmen. Er habe nur aussprechen wollen, dass wir in Preussen verhältnismässig zu wenig Stipendienfonds f ü r die Ausbildung von Gewerbetreibenden und zu viele f ü r die auf Universitäten Studirenden haben. Er habe nicht gesagt, dass es lediglich Sache der Interessenten sei, Stipendien zu errichten, sondern dass dies eine schöne Aufgabe f ü r die Privatwohlthätigkeit sei. Dafür könne doch Jeder stimmen. Er halte es f ü r sehr zweckmässig, die Privatwohlthätigkeit auf Gebiete hinzuweisen, auf denen sie sich bethätigen könne, und zu betonen, dass man nicht Alles vom Staate erwarten dürfe. Von einem solchen Hinweis sei nicht zu befürchten, dass die Aufwendungen des Staates sich verringern würden. Als Gegengewicht gegen die Einwirkung der Universitäts-Stipendien, welche die Jugend deu gelehrten Berufszweigen zuführten, brauchten wir Stipendien f ü r junge Gewerbetreibende. "Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s empfiehlt den Antrag Ehlers anzunehmen, da das Missverständniss beseitigt sei, als richte sich der Antrag gegen eine Vermehrung der Staatsfonds für Stipendien. Unzweifelhaft liege die Vermehrung der Stipendien im Interesse der Industrie. "Wenn der Antrag des Herrn Ehlers, dessen Grundgedanke übrigens schon in der Denkschrift von 1891 ausgesprochen sei, nicht bloss hier angenommen, sondern vor allen Dingen allgemein beherzigt werde, so gäbe es nichts, was deutlicher als die Vermehrung der Stipendien die Ueberzeugung der Industrie von der Nothwendigkeit der Vermehrung des gewerblichen Unterrichts dokumentiren könnte. Dies werde seinen Eindruck an den entscheidenden Stellen nicht verfehlen und die Vermehrung der Fachschulen und des staatlichen Stipendienfonds herbeiführen. Herr S e y f f a r d t ist einverstanden mit der Gründung eines Verbandes der Gemeinden zur Gewährung der Pensionen, wünscht jedoch, dass der Staat die Abwickelung der Geschäfte in die Hand nehmen möge. Es wird dann zur Abstimmung geschritten. Der Herr Handelsminister lässt zuerst abstimmen über den Antrag Bahn bis zu den Worten: ..endgültig angestellt werden", sodann über den letzten Theil des Antrages von: „und dass, soweit. . etc.", endlich über die Anträge Jacobi und Ehlers. Dabei werden die Anträge Bahn, mit Ausnahme des Schlusssatzes: ,,und dass . . . . Staat mit seinen Mitteln eintritt" Jacobi und Ehlers angenommen. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r eröffnet die Besprechung des von den „anderen Fachschulen" handelnden Theils der Denkschrift (S. 54). "Wirklicher Geheimer Ober - Regierungsrath L ü d e r s bemerkt, dass die Verschiedenheit in den Benennungen der grösseren f ü r den Unterricht im Zeichnen und Modelliren bestimmten Schulen: Provinzial-Kunst- und Gewerkschule (in Königsberg), gewerbliche Zeichenschule (in Halle), gewerbliche Zeichenschule und Kunstgewerbeschule (in Kassel und Aachen), Handwerkerschule, Handwerker- und Kunstgewerbeschule oder Kunstgewerbe- und Handwerkerschule historisch zu erklären sei, der Unterricht sei in allen Schulen im "Wesentlichen derselbe. Die Bezeichnung der Anstalten als Handwerkerschule sei bei den betheiligten Kreisen und Gemeinden beliebt geworden, nachdem die hiesige Handwerkerschule sich glänzend entwickelt habe. In allen diesen Anstalten werde Abends und zu gewissen Stunden auch Sonntags unterrichtet. Ausserdem seien Tagesklassen f ü r Fächer, f ü r die sich die hinlängliche Zahl von Tagesschülern findet, vorhanden. Solche

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Klassen werden errichtet, sobald das Bedürfniss der einzelnen Anstalt und des Gewerbes am Orte dies nothwendig mache. Die Zahl der Anstalten sei erst gering, und gerade diese Schulen, die für den Zeichenunterricht bestimmt seien, bedürften der Vermehrung. Durch den Etat für 1896/97 sollen drei Anstalten errichtet werden. Nach der Denkschrift von 1891 sollten im Laufe von 6 Jahren 18 solcher Anstalten, im Ganzen 27, errichtet werden. Jetzt würden, nachdem die Bevölkerung in mehreren Städten auf 33 000 Seelen gewachsen sei, noch mehr solche Anstalten nöthig werden. Dr. Freiherr H e e r e m a n von Z u y d w y k : Meine Herren! Sie werden gewiss nicht erwarten, dass ich den Werth der auf die Hebung unseres Kunstgewerbes gerichteten Bestrebungen Ihnen vorführe. Sie sind ohnehin davon überzeugt, dass die Hebung des Kunsthandwerks unbedingt Bedürfniss ist, und dass hier auf die Abstellung von Fehlem und Mängeln, die uns schon erheblichen Schaden gebracht haben, hinzuwirken ist. Ich glaube, dass wir in Preussen hinter Süddeutschland zurückgeblieben sind, weil man in München und Stuttgart früher als bei uns augefangen hat, das Kunstgewerbe zu fördern. Man hat indessen auch bei uns viele Fortschritte gemacht, manche Anregungen gegeben und ist in manchem Punkte zu besserem Verständniss der Kunstthätigkeit gelangt. Wir haben auch den Absatz der französischen Arbeiten bei uns eingeschränkt. Nun ist es für mich schwer, die Frage zu beantworten, wie hier der Staat wirken und helfen soll. Er muss meiner Ansicht nach seinen Einfluss geltend machen, aber die Persönlichkeit des einzelnen Mannes, der an der Spitze einer solchen Anstalt steht, massgebend sein lassen. Nur die freie Wirksamkeit tüchtiger Direktoren, nicht aber ein allgemeiner, nach der Schablone gemachter Lehrplan wird die Blüthe der einzelnen Anstalten bewirken. Mir scheint, dass bei uns nicht hinreichend zwischen Kunsthandwerk und Kunstindustrie unterschieden wird. Für die Schulen ist das sehr schwierig. Die allgemeine Förderung des Zeichenunterrichts wirkt bisweilen ungünstig. So hat man viel für die Hebung der keramischen Thätigkeit in den Orten Höhr und Grenzhausen zu thun gesucht. Dort gab es vor Jahrhunderten ein lebendiges Kunsthandwerk, jetzt ist leider daraus eine Kunstindustrie geworfen, die Massenfabrikation ist an die Stelle der künstlerischen Durchführung des einzelnen Gegenstandes getreten. In dem einzelnen Produkt des Kunsthandwerks soll man die Persönlichkeit des Schöpfers spüren, die Massenproduktion aber kann nicht mehr interessiren. Ob dem durch die Lehrer entgegengewirkt werden kann, will ich nicht erörtern. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass wir das Kunsthandwerk von der Kunstindustrie scheiden müssen. Wir sind hinter anderen Staaten zurückgeblieben, weil dazu bei uns bis jetzt nichts geschehen ist. Ich kann allerdings nicht sagen, wie die Staatsregierung hier helfen soll. Sie werden aber mit mir darin einverstanden sein, dass dem Kunsthandwerk ein besonderes Interesse entgegengebracht werden muss. Dann habe ich noch eine mehr lokale Bitte. Meine Provinz Westfalen ist auf diesem Gebiete ausserordentlich vernachlässigt, wir haben keine einzige Zeichenschule, und die rheinischen Schulen der Art können unsere jungen Leute des theueren Lebens halber nicht besuchen. Wir haben in Westfalen nur eine kleine Baugewerkschule in Höxter, die nicht ausreicht, und eine Fachschule für die Bronzeindustrie, endlich in Dortmund eine kleine Maschinenbauschule. Die Rheinisch-Westfälische Hütten- und Maschinenbauschule ist im. Herbst 1891 auf Antrag des Vereins Deutscher Hüttenleute nach Duisburg verlegt worden. Ich bitte Sie, auszusprechen, dass mehr Kunstgewerbeschulen gegründet werden müssen, um dadurch den Bestrebungen des Herrn Handelsministers, diedazu nöthigen Mittel zu erlangen, gegenüber dem Herrn Finanzminister einen grösseren Rückhalt zu geben. Ich bin nicht sachkundig genug, um über die Einrichtungen der vorhandenen Schulen im Einzelnen zu urtheilen. Ich vertraue dem guten AVillen und der Einsicht der Herren, die sie leiten und die ihre Angelegenheiten im Ministerium bearbeiten. Ich bezweifle nicht, dass die Städte bereit seinwerden, auch Opfer für die Vermehrung der Kunstgewerbeschulen zu bringen, wenn die Staatsregierung mehr solche Anstalten errichten will. Ich bitte den Herrn Minister, für das Kunsthandwerk noch kräftiger als bisher zu sorgen. Oberbürgermeister B e c k e r spricht sich gleichfalls für die Vermehrung der Handwerker- und Kunstgewerbeschulen aus. Er warnt davor, das Schulgeld an. schon bestehenden Anstalten in solchen grösseren Städten, in denen Wohlstand herrsche, herabzusetzen, man solle vielmehr den einzelnen mittellosen Schülern das. S i m o n , Die Fachbildung des Preussischen Gewerbe- und Handelsstandes (Anlage).

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Schulgeld ganz oder zum Theil erlassen, das müsse auch durch die Etats der Schulen da, wo es noch nicht gestattet sei, erlaubt werden. Das entspreche auch der von dieser Kommission 1891 gefassten Resolution, in der es heisse: ,,Eioe Herabsetzung des Schulgeldes ist zur Zeit kein Bedürfnis«, dagegen muss die Möglichkeit geboten sein, Unbemittelten ganz oder theilweise unentgeltlichen Unterricht zu gewähren". Auf das Letztere lege er den höchsten Werth, weil gerade das Schülermaterial der gewerblichen Fachschulen unbemittelt sei. Im Uebrigen sei das Bestreben der Staatsregierung, bei neuen Schulen nur ein mässiges Schulgeld erheben zu lassen, anzuerkennen. Ingenieur und Fabrikant Messer spricht der Verwaltung des gewerblichen Unterrichts den Dank der Kupferschmiede Deutschlands für die Errichtung der Fachklassen für Kupferschmiede an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Hannover aus. Diese Fachklassen seien die einzige Fachschule für Kupferschmiede nicht allein in Deutschland, sondern in Europa. Besonders dankbar sei der Verein der deutschen Kupferschmiedereien dafür, dass die Unterrichtsverwaltung den Unterricht genau nach seinen Wünschen eingerichtet habe und alle anderen Wünsche des Vereins erfüllt habe, soweit die vorhandenen Mittel dies gestatteten. Die erste in dieser zur Ausbildung von Werkmeistern bestimmte, unter Vorsitz eines Staatskommissars abgehaltene Abgangsprüfung sei glänzend ausgefallen. Der Verein habe in den drei ersten Jahren jährlich 2000 Mark zu den Kosten des Fachunterrichts beigetragen und für die Spezialausbildung der Lehrer gesorgt, auch die Errichtung zweier Stipendien, die vorwiegend den Söhnen von Arbeitern zu Theil werden sollen, beschlossen. Der Verein habe ausserdem 500 Mark in seinem Etat zur Beschaffung von Lehrmitteln für die Schule bestimmt. Direktor L a c h n e r dankt dem Herrn Freiherm von Heereman für die von ihm in Bezug auf die Thätigkeit der Direktoren ausgesprochenen Wünsche, will aber hinzufügen, dass er und seine Kollegen sich der vollsten Freiheit schon erfreuen. Darauf dürfte es auch zurückzuführen sein, dass die Leistungen der preussiscken Schulen nicht mehr hinter denen der süddeutschen Anstalten zurückständen. Man könne nur wünschen, dass die jetzigen Zustände bestehen bleiben, und wenn man noch hundert andere Dinge wünschte, so würde es darum mit dem Kunstgewerbe doch nicht schneller vorwärts gehen. Nur darf man die Lehrer der Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen nicht schlcchter stellen, als die Lehrer an den Baugewerkschulen etc., wenn jene Anstalten gedeihen sollten. Tischlermeister L ü d t k e bemerkt, die schnelleren Fortschritte der Süddeutschen im Kunstgewerbe erklärten sich aus dem näheren Verkehr des südlichen Deutschlands mit Paris, dem Mittelpunkte des Kunstgewerbes. Süddeutschland habe dadurch früher Fachschulen erhalten, als wir. In Berlin habe 1867 noch kein Tischler eine Fachschule besuchen können; zwei Tischlermeister hätten damals etwas Unterricht gegeben. Das änderte sich, als 1868 das Kunstgewerbe-Museum gegründet wurde, nachdem man auf der Pariser Weltausstellung 1867 gesehen hatte, dass man zurückgeblieben war. Dann sei 1880 auf die vom Ministerium gegebene Anregung die hiesige Handwerkerschule gegründet worden, die weit über Berlin hinaus sehr segensreich gewirkt habe. Er lasse dahingestellt, ob die Süddeutschen uns noch voraus seien. Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrath L ü d e r s : Herrn Freiherrn von Heereman gestatte er sich zu erwidern, dass Westfalen nicht hinter den anderen Provinzen in der Zahl und Bedeutung der Fachschulen zurückstehe. Die Baugewerkschule in Höxter sei nächst der Berliner die grösste, auch die beiden Maschinenbauschulen in Dortmund und die in Hagen seien die grössten ihrer Art, dazu kommen noch die Fachschule für die Bronze-Industrie in Iserlohn. Nur in der Rheinprovinz seien mehr Fachschulen. Die gewerbliche Unterrichtsverwaltung bedaure lebhaft, dass es noch nicht möglich gewesen sei, Handwerker- und Kunstgewerbeschulen in Westfalen zu errichten. Wenn die grösseren Städte die nöthigen Gebäude herstellen und unterhalten und die Hälfte der übrigen Kosten übernehmen wollten, während (1er Staat die andere tragen und die Lehrmittel bezahlen werde, so würde der Errichtung solcher Anstalten in Westfalen voraussichtlich nichts im Wege stehen. Kunstindustrie und Kunsthandwerk liessen sich in einer Schule ebensowenig wie im Loben unterscheiden, man könne nicht die Kunstindustrie sich selber überlassen, das Kunsthandwerk fördern. Niemand könne sagen, wo jenes aufhöre, diese anfangen, ebensowenig lasse sich die Grenze zwischen dem Kunsthandwerk und dem Handwerk schlechthin aufweisen. Wolle man unter Kunst-

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Industrie Massenfabrikation verstehen, so sei auch bei dieser die Kunst, d. h. die Bethätigung des Schönheitsgefiihls, nicht ausgeschlossen, sogar nicht weniger un•erlässlich, als bei Einzelarbeiten. Man denke nur an den Tapetendruck, den Zeugdruck, die graphischen Künste und die "Weberei. Auch in den Thondistrikten auf dem Westerwald und am Niederrhein sei stets eine Massenfabrikation neben der Anfertigung fein durchgeführter Arbeiten hergegangen. Die letztere habe schon im 17. und 18. Jahrhundert aufgehört, als das Interesse der Fürsten und der "Wohlhabenden sich den nach Europa strömenden Porzellanen Chinas und Japan's und dann dem europäischen Porzellan zuwendete. Von der früheren Massenfabrikation und den gewöhnlichen Arbeiten des vorigen Jahrhunderts sei uns Manches •durch seine Naivität anziehend und erscheine uns dämm als eine kunstgewerbliche Leistung. "Wer übersehen könne, wie unendlich wenig z. B. von den Massen an Porzellan-Geschirr und Geräth aller Art, die nachweislich im vorigen Jahrhundert fabrizirt worden seien, noch übrig sei, der werde nicht zweifeln, dass die Unica an Nassauer, Siegburger und Raerener "Waare in unseren Museen nur als die vereinzelt Ueberlebenden von v i e l e n Hunderten gleicher Art und Güte uns erhalten worden seien. Die Aufgabe der Direktoren kunstgewerblicher Schulen sei, der Neigung mancher junger Leute, sich zu Zeichnern für alle möglichen Fächer, von denen sie keines als ausübende Handwerker gründlich kennen, auszubilden, entgegenzutreten, und sie anzuregen, möglichst viel in ihrem Fache als Goldschmied, Maler, Kunstschmied, Tischler etc. zu zeichnen^ zu malen oder zu niodelliren. Die Zahl der wöchentlichen Stunden, in denen 'die Einzelnen den Unterricht besuchen, wachse beständig, daher auch die Zahl der Klassen der Abend- wie der Tagesklassen für bestimmte Gewerbe beständig vermehrt werde. Er sei aber nicht dafür, aus diesen Tagesklassen besondere Anstalten zu bilden. Man habe die Erfahrung gemacht, dass so organisirte Anstalten Leute gross gezogen hätten, denen die nöthige Verbindung mit der Praxis verloren gegangen sei. Von den Schulen allein dürfe man das Heil nicht erwarten und sie nicht dafür verantwortlich machen, wenn das Kunstgewerbe nicht vorwärts komme. "Was nütze es, die jungen Leute auf das Beste im Zeichnen, im Modelliren und unter Umständen in Lehrwerkstätten auszubilden, wenn die Fabrikanten und Meister sie nicht mit guten Arbeiten beschäftigen? AVenn man den besten Arbeiter wochenlang schlechtes Zeug machen lasse, so mache man es ihm unmöglich, plötzlich auf Verlangen wieder gute zu liefern. Die Fabrikanten und Meister verdürben leider in vielen Fällen die tüchtigen Leute, die sie von den Schulen bekommen hätten. Das dürfe uns aber nicht davon abhalten, weiter Leute auszubilden. Uns bliebe nur übrig, zu hoffen, dass die deutschen Kunstgewerbetreibenden mehr und mehr den deutschen Markt gewinnen werden. Dazu gehöre aber nicht allein, dass sie gut arbeiteten, wozu Viele im Stande seien, sondern auch, dass bei dem grösseren "Wohlstande des Landes auch ihre Mitbürger ihre Arbeiten kauften. Dann würde auch der Absatz in's Ausland zunehmen. Es sei schon in der Denkschrift von 1891 darauf aufmerksam gemacht, dass der Fremde in Paris kaufe, weil er dort reiche Auswahl fertiger Gegenstände finde und dass •der Pariser Kunstgewerbtreibende ohne Bestellung gute Arbeiten im Vorrath anfertigen könne, weil er auf einheimische und fremde Käufer rechnen dürfe. Bei uns fehle der Absatz, damit der Vorrath und ausreichende Beschäftigung für die besten Arbeitskräfte. Fast könne man sagen, die Schulen seien entbehrlich, wenn wir als besten Lehrmeister einen Absatz, -nie Frankreich, hätten. Viele Deutsche beklagten jetzt als unnütze Verschwendung die Ausstattung des Reiclistagsgebäudes und anderer grossen Bauten und doch habe es zu keiner Zeit und in keinem Lande •ein besseres Mittel gegeben, das Kunstgewerbe zu heben, als ihm Aufträge zu geben. Unsere Kunstgewerbetreibenden müssten immer wieder die unverständige Forderung, sehr gut für sehr wenig Geld zu produziren, hören. Dafür, dass die deutschen Schulen dem Gewerbe nützten und brauchbare Kräfte lieferten, könne er sich auf das Zeugniss des Auslandes berufes. So habe vor einem Jahre eine Abordnung französischer Gold- und Silberschmiede die Fachschulen in Hanau, Schwäbisch-Gmünd, Pforzheim und "Wien besucht und in ihrem Berichte die Errichtung ähnlicher Schulen in Frankreich als nothwendig zur Erhaltung der französischen Edelmetallindustrie erklärt. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r : Die uns beschäftigende Frage ist ungemein wichtig. "Wir können glauben, dass der Unterschied, der zu unseren Ungunsten zwischen dem nord- und mitteldeutschen Kunstgewerbe und dem süddeutschen belli»

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stand, zu unserem Vortheile jedenfalls geringer geworden ist. Ebenso haben wir auf einzelnen Gebieten das Ausland erreicht oder sind auf dem Wege dazu. Wohlstand, Kultur und Geschmack sind in einem grossen Theil von Süddeutschland viel alter, als im Norden; sie reichen an manchen Orten noch bis in die Römerzeit zurück. Die grosse Handelsstrasse nach dem Orient ging im Mittelalter durch Süddeutschland, den Rhein entlang nach den Niederlanden. Diese Verbindung weckte auch zeitig den künstlerischen Sinn. Aehnlichen Einfluss aber in beschränkterem Umfange übten im Norden von Deutschland die Handelsverbindungen der Hansa aus. Wir kommen aber erwünschten Zuständen jetzt näher. Ich will nur an die Königliche Porzellan-Manufaktur in Berlin erinnern. Man kann heute dreist behaupten* dass sie keiner Manufaktur irgend eines anderen Landes nachsteht und dass sie auf der Höhe ihrer Aufgabe steht. Aber wenn sie allein auf den deutschen Markt angewiesen wäre, so würde sie schwerlich bestehen können oder sie müsste noch höhere Staatszuschüsse, als jetzt, erhalten. Wir merken z. B., ob die Geschäfte in Amerika gut gehen ebenso, wie jeder Industrielle, der Massenartikel fabrizirt. Es. ist ohne Zweifel wünschenswerth, dass das Publikum mehr kunstgewerbliche Gegenstände bestellte, besonders solche, deren Verfertiger kein blosser Nachahmer, sondern selbst ein Künstler ist. Was Herr von Heereman von den Schulen wünscht, ist, dass sie den Schüler nicht blos zu einem geschickten Nachahmer, sondern zu einem Renschen, der künstlerisch empfindet, denkt und selbst künstlerisch zu gestalten versteht, erziehen. Darauf ist ja auch das Augenmerk der Direktoren gerichtet.. Herr Freiherr von Heereman wünscht, dass diesen Direktoren möglichst freie Hand gelassen werde und als Lehrer an diesen Schulen nur künstlerisch eigenartig begabte Leute angestellt werden. Wir versuchen, auch dieser Anforderung möglichst gerecht zu werden, aber eine gewisse Einschränkung ist doch nöthig. Der Direktor einer solchen Schule muss auch grosse Lehrbefähigung besitzen. Hochbegabte Künstler folgen oft allzu sehr ihrer speziellen Richtung. Sie vergessen, dass sie eine grosse Zahl von Schülern vor sich haben, die nicht alle gleichmässig begabt sind, und siesind der Versuchung ausgesetzt, sich nur den Schülern zuzuwenden, die ganz auf ihre Ideen eingehen. Ein Direktor soll nicht überall seine persönlichen Anschauungen zur Geltung bringen, sondern bedenken, dass er ein sehr ungleichmässiges Schülermaterial vor sich hat und dass er auch den Durchschnittsschüler vorwärts bringen muss. Ein begabter, überlegter, eifriger Schuldirektor wird doch diejenigen herausfinden, die eine besondere Befähigung zeigen und er wird nicht verfehlen, diesen Schülern auch besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich glaube nicht, dass wir durch Schaffung von Schulen, die die künstlerische Seite noch mehr als die jetzt vorhandenen betonen, weiter kämen, als mit den jetzigen Einrichtungen. Diese Schulen in allen grösseren Städten zu errichten, ist unser Bestreben. Sie haben dieeinheitliche Aufgabe, ihren Schülern eine allgemeine Grundlage zu geben und die begabteren darunter fähig zu machen, sich zu selbständigen Kunstgewerbetreibenden heranzubilden. Ich glaube, Herr Freiherr von Heereman wird mir zugeben, dass wir die Bestrebungen der Schulen und Direktoren, Kunsthandwerker auszubilden,, in keiner Weise beschränken, wie auch der Herr Direktor Lachner anerkannt hat. Was Westfalen anlangt, so ist bereits ausgesprochen worden, dass für diese Provinz nicht schlechter, als für die meisten anderen Provinzen gesorgt ist. Sie hat allerdings noch keine Handwerker- und Kunstgewerbeschule; ich habe jedoch den dringenden Wunsch, dass in dieser Provinz eine solche Anstalt errichtet wird.. Wenn Münster oder eine andere der alten westfälischen Städte, in denen noch eine Menge alter Kunstschätze und alter Bauwerke vorhanden ist, mit der Staatsregierung eine solche Schule einzurichten bereit ist, so wird sie bei der Regierung volle Unterstützung finden. Dr. Freiherr H e e r e m a n von Zuydwyk dankt dem Herrn Minister für seine freundlichen Bemerkungen. Es sei nicht seine Absicht gewesen, der Staatsregierung Vorwürfe bezüglich der jetzigen Behandlung der Kunstgewerbeschulen zu machen; einiger Unterschied zwischen Kunstindustrie und Kunsthandwerk sei doch wohl vorhanden. Er sei damit zufrieden, dass die Direktoren nicht durch feste Lehrpläne eingeengt würden und die Individualität der einzelnen Schüler berücksichtigen, könnten. Auch der keramischen Fachschule in Höhr habe er nicht die Verirrungen der dortigen Thonindustrie und des Geschmacks des Publikums, von dem die Industrie nicht unabhängig sei, Schuld geben wollen. Wenn wir nur erst den deutschen Markt für die deutsche Kunstindustrie wieder erobert hätten, so hätten wir schon. Ursache, zufrieden zu sein.

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Ihm sei bekannt, dass wir einen Theil des amerikanischen Marktes gewonnen hätten, auch der Absatz der Königlichen Porzellan-Manufaktur dorthin. Er wolle noch der Porzellan-Manufaktur und der Leitung der Reichsdruckerei, deren Publikationen musterhaft seien, seine volle Anerkennung aussprechen. Auch die Leistungen der Reichsdruckerei würden in der ganzen Welt kaum irgendwo erreicht. Er bitte •den Herrn Minister, für das Kunstgewerbe in der bisherigen "Weise weiter zu sorgen und danke ihm für die von ihm für "Westfalen und die Stadt Münster insbesondere geäusserten Absichten. Eine Kunstgewerbeschule könne eine erheblichere Sammlung kunstgewerblicher Gegenstände nicht entbehren. Eine solche Sammlung werde auch in "Westfalen geschaffen werden müssen, wie das in Düsseldorf geschehen sei. Das werde sich wohl auch erreichen lassen. Er behalte sich vor, auf diese Angelegenheit später zurückzukommen. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r erwidert, dass die Versammlung nicht den Eindruck gehabt habe, als ob Herr Freiherr von Heereman einen Tadel habe aussprechen wollen, sondern nur wünsche, dass die künstlerische Eigenart auf den Schulen möglichst gepflegt und dem Direktor darin freie Hand gelassen werde. Soweit ihm — dem Minister — die Verhältnisse an den Kunstgewerbeschulen bekannt seien, behandle der Direktor die besonders Befähigten individuell und habe auch vollständig Zeit und Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass die Lehrer ebenso verfahren. Geheimer Regierungsrath Professor R a s c h d o r f führt aus, dass der Aufschwung des deutschen Kunstgewerbes naturgemäss von der Nachahmung der alten, noch vorhandenen Kunstarbeiten ausgegangen sei. Das habe man auch in Grenzhausen und Höhr gethan. Dazu komme das unausgesetzte Herabdrücken der Preise •durch das Publikum und die Händler, welche dem Guten das ungefähr ebenso aussehende, aber billigere Schlechte vorzögen. Es halte schwer, neues, dem Geschmack •der Jetztlebenden Befriedigendes zu schaffen, weil dem Neuen die Autorität des Alten fehle und das Verlangen nach Neuem unersättlich sei. Seiner Ansicht nach seien die Leistungen des Kunstgewerbes in Wien und in Süddeutschland jetzt nicht bedeutender als in Berlin. Dem Münchener Kunstgewerbe fehlten jetzt die Bestellungen König Ludwigs II. Glänzende Bauten seien das beste Uebungs- und Lernmaterial für Lehrer, Schüler und Gewerbtreibende, das blosse Entwerfen, um zu entwerfen, trete dagegen ganz zurück. Ohne die Schule, welche alle betheiligten Gewerbtreibenden und Arbeiter an zahlreichen öffentlichen und privaten Bauten und zuletzt am Reichstagsbau durchgemacht hätten, würde es z. B. nicht möglich «ein, so schnell und gut, wie es jetzt geschähe, den Bau des neuen Doms im Lustgarten auszuführen. Ohne Bestellungen und Arbeit sei kein Fortschritt, ja nicht einmal das Bewahren des erworbenen Könnens möglich. Darauf ertheilt der Herr H a n d e l s m i n i s t e r dem Geheimrath Simon das "Wort zur Einleitung der Verhandlung über die Fortbildungsschulen. Geheimer Regierungsrath S i m o n : Meine Herren! "Was ich über die gewerblichen Fortbildungsschulen zu sagen habe, ist nur wenig und das "Wenige ist nicht erfreulich. Ihre Zahl hat sich im verflossenen Zeitraum nur wenig vermehrt. Die Hauptursache hierfür ist die Beschränktheit der zu Gebote stehenden Mittel gewesen. Schon in der Denkschrift von 1891 wurde darauf hingewiesen, dass eine erhebliche Verstärkung des Fonds nothwendig sei. Erst für 1895/96 ist dies aber möglich gewesen, indem der Fonds auf 550 000 Mark erhöht worden ist, also um 110 000 Mark; •dazu kommen noch 23 000 Mark, die früher für ländliche Fortbildungsschulen verwendet wurden, jetzt aber, da diese auf das Ressort des landwirtschaftlichen Ministeriums übergegangen sind, für die gewerblichen Fortbildungsschulen zur Verfügung stehen. Die Zahl der vorhandenen Schulen und ihr Besuch ergiebt sich aus den Tabellen auf S. 106—117 der Denkschrift. Die Vertheilung der Zuschüsse auf die einzelnen Regierungsbezirke finden Sie auf S. 118 daselbst. Danach erhielten im Jahre 1894/95 nur 484 gewerbliche und 22 kaufmännische Fortbildungsschulen einen Zuschuss aus Staatsfonds. Im laufenden Jahre ist mit Rücksicht auf die Erhöhung des Fonds eine kleine Besserung eingetreten. Ausreichend ist der Fonds indessen noch nicht; denn von dem Mehr von 133 000 Mark sind vorweg abzuziehen etwa 50 000 Mark, die die Inspektion der Fortbildungsschulen, nachdem sie überall eingerichtet sein wird, kosten dürfte; ausserdem ist zu berücksichtigen, dass in nächster Zeit ganz bedeutende Aufwendungen für das kaufmännische Fortbildungsschulwesen, das bei uns noch sehr im Argen liegt, gemacht werden müssen, und dass für die weiblichen Fortbildungsschulen bis jetzt so gut wie gar nichts

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hat geschehen können. Auch •wird die Erweiterung und Verbesserung der schon vorhandenen Schulen erhebliche Mittel in Anspruch nehmen. Die Beschränktheit der Mittel ist auch Schuld daran, dass die Ausbildung der Lehrer nicht so, wie es. nothwendig gewesen wäre, gefördert werden konnte. Für die Ausbildung der Lehrer im Deutschen und Rechenunterricht stehen überhaupt keine Gelder zur Verfügung; zu Zeichenkursen sind seit einer Reihe von Jahren im Extraordinariuni jährlich 17 600 Mark vorgesehen; dieser Betrag ist aber so gering, dass damit nur ein kleiner Theil der Lehrer hat ausgebildet werden können. Im Uebrigen erlaube ich mir auf den Inhalt der Ihnen vorliegenden Denkschrift zu verweisen. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r verliest den Antrag des Herrn von Schenckendorff: „Die ständige Kommission für den technischen Unterricht beschliesst, die Königliche Staatsregierung aufzufordern, der Förderung des Fortbildungsschulwesens künftig eine höhere Beachtung zuzuwenden." Herr von S c h e n c k e n d o r f f : Wir haben hier eingehend über die Fachschulen und ihren gegenwärtigen Stand verhandelt. Ich möchte Sie bitten, mit gleichem Interesse für die Fortbildungsschulen einzutreten. Die Frage hat nicht sowohl einen wirthschaftlichen Charakter als vielmehr einen sozialen, und ich werde mir erlauben, sie vom sozialen Gesichtspunkte aus zu besprechen. Einmal ist die Frage wichtig an sich und ferner ist sie wichtig um deswillen, weil ein ausgebreitetes Fortbildungsschulwesen die beste Grundlage für das Fachschulwesen ist. Ich will mich auf den ersten Punkt beschränken. Wenn Sie in Betracht ziehen wollen, dass es sieh bei allen gewerblichen Fachschulen, über die wir bis jetzt gesprochen haben, um etwa 16 000 Schüler im Ganzen handelt und bei den Fortbildungsschulen um etwa 124 000, so können Sie ermessen, um wie grosse und breite Massen es sich handelt. Die Fachschule ist sozusagen der Kopf der gewerblichen Bildung, während die Glieder von den grossen Massen der Fortbildungsschulen gebildet werden. Die Denkschrift von 1891 hat so ausführlich die Verhältnisse der Fortbildungsschulen dargelegt und das Interesse des Handelsministeriums in so weitgehender Weise bekundet, dass wir nur mit Dank anerkennen können, was uns versprochen wurde. Die gegenwärtige Denkschrift sagt sehr wenig über die Fortbildungsschulen, weil nicht viel zu berichten war. Die ganze S. 57 der Denkschrift spricht dies aus. Um den ganz unzureichenden Stand der Sache zu beleuchten, weise ich auf die etatsmässigen Mittel hin, die für die Fortbildungsschulen zur Verfügung gestellt sind. Nach S. 14 haben dem Minister von 1891 bis 1895 jährlich nur 440 000 Mark zur Verfügung gestanden, dazu sind im Etat pro 1895/96 110 000 Mark hinzugekommen, eigentlich jedoch 133 000 Mark, weil der Betrag von 23 000 Mark, den bisher die Handels- und Gewerbeverwaltung f ü r das l ä n d l i c h e Fortbildungsschulwesen, das auf das Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten übergegangen ist, verausgabt hatte, der Gewerbeverwaltung zur Verwendung für die g e w e r b l i c h e n Fortbildungsschulen verblieben ist. Die ländlichen Fortbildungsschulen beschäftigen uns nicht mehr. Wie Sie sehen, hatten wir von 1891 bis 1895 also vollen Stillstand; wir sind weit zurückgeblieben in der Entwickelung dieser Frage. Eine Erhöhung der Mittel scheint mir ausserordentlich geboten, und ich werde mir erlauben, die Gründe mit wenigen Worten darzulegen. Für die hier in Betracht kommenden Kreise, die einer Fortbildungsschule nicht angehören, müssen wir sagen, fehlt es in unserem öffentlichen Leben an jedem rechten erziehlichen Einfluss. Der Lehrling ist fast nirgends mehr ein Mitglied der Familie des Meisters, früher war seine Erziehung noch möglich; heute liegt die Sache anders, heute bekommt der Lehrling sein Kostgeld und kann damit machen, was er will, er treibt sich oft Sonntags herum und verloddert. Die Folge davon ist eine sittliche Verwilderung, die eine Gefahr für das Vaterland ist. Diese Jugend steht gerade in den Jahren der besten Entwickelung, und während die Kinder der höheren Klassen bis zum 16. oder gar 18. Jahre in strenger Schulzucht stehen, sind die jungen Leute aus der Volksschule ausserhalb der Werkstatt oder der Fabrik fast völlig sich selbst überlassen. Bekümmert sich im industriellen Leben der Arbeitgeber noch um den jüngeren Arbeiter? Es ist doch ein so junger Mensch in diesen Jahren den grössten Versuchungen ausgesetzt, wie leicht geräth er auf Abwege! Die jungen Leute sind auch gerade der Nährboden für die Sozialdemokratie. Deshalb sage ich, der erziehliche Einfluss muss geltend gemacht werden, weise, aber fest und entschieden. Die Frage ist jetzt soweit herangereift, dass wir der Gefahr unbedingt steuern müssen. Eine

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unserer Hauptaufgaben ist überhaupt diejenige, den Unterströmungen zu begegnen, der Unzufriedenheit, soweit sie unberechtigt ist, zu steuern. Die junge Generation kommt in Betracht, wenn diese so heranwächst, werden wir keinen Vortheil von all* unseren sozialen Massnahmen haben. Und die Zeit ist gekommen, wo die Massnahmen f ü r die grossen sozialen Reformen im Grossen und Ganzen erfüllt sind. Es tritt die Ansicht schon hervor, dass es nun einmal mit diesen Massnahmen genug sein möge, und dass die Belastung der Arbeitgeber mit sozialen Aufgaben nach der Geldseite hin schon jetzt zu stark ist. Es fragt sich nun, ob man auf dem "Wege stehen bleiben soll? Gewiss auf dem "Wege der äusseren Beformen; aber f ü r die inneren Reformen öffnet sich ein weites Feld, und hier muss eingesetzt werden. "Wenn ich dies als die allgemeinen Gründe voranschicken darf, so kann ich nicht umhin, im Besonderen die Förderung des Fortbildungsschulwesens zu besprechen, gerade hier im Kreise der Fachmänner, und ich darf wünschen, dass sie bei dieser Tragweite des Gegenstandes eine ausgiebige Debatte hieran anschliessen werden. Eine Fortbildungsschule in dem Sinne, wie ich sie im Auge habe, muss die Jugend erziehen. Wir müssen zweitens der obligatorischen Fortbildungsschule zustreben, und es müssen drittens diejenigen Mittel flüssig gemacht werden, welche es der Gemeinde und dem Staate ermöglichen, Fortbildungsschulen in grösserer Zahl zu errichten. Der Nutzen, den die Fortbildungsschule f ü r die Erziehung und die gewerbliche Ausbildung der jungen Gewerbetreibenden bringen kann, ist abhängig von der Ausbildung der Lehrer, der Art des allen gemeinsamen Unterrichts und der Beaufsichtigung der Schulen. Ich greife nur Einiges heraus. Die heute vorhandenen Lehrer sind grossen Theils nicht vollkommen geeignet, die ihnen gestellten Aufgaben zu erfüllen. Denn es handelt sich in den Fortbildungsschulen nicht um den gewöhnlichen Unterricht im Deutschen und im Rechnen, sondern darum, die jungen Leute durch diesen Unterricht in die gesammten gewerblichen Verhältnisse einzuführen und zugleich ihre allgemeine Bildung zu vertiefen. Die Grundlagen müssen hierfür gegeben sein. In der Denkschrift ist angeführt, wie Kurse für den Zeichenunterricht eingerichtet sind. Die drei Kurse durchzumachen, ist f ü r die Lehrer eine etwas schwere Aufgabe. Die Vorbereitung zur Ertheilung von Unterricht im Zeichnen allein genügt noch nicht, auch nach den anderen Richtungen hin müssen die Lehrer in den besonderen Beruf eines Fortbildungsschullehrers eingeführt werden, um auf die jungen Leute in gehöriger "Weise einwirken zu können. Da komme ich auf den Vorschlag der Denkschrift von 1891 zurück, nämlich ein Seminar f ü r Fortbildungsschullehrer einzurichten. Ich habe diesen Gedanken mit ausserordentlichem Interesse verfolgt. Richtiger wäre es noch, wenn man nicht ein Seminar f ü r den ganzen Staat, sondern thunlichst in jeder Provinz ein solches Seminar hätte, damit mehr individualisirt werden könnte. I m Westen liegen die Verhältnisse vielfach anders als im Osten. Aber auch, wenn wir solche Seminare haben, wird es noch manche Lehrer geben, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind, aber es wird dann doch schon vielen Mängeln abgeholfen sein. Was den Unterricht betrifft, so erinnere ich mich mit grossem Interesse der ersten Denkschrift über die Fortbildungsschulen, welche das Kultusministerium, als der gewerbliche Unterricht diesem Ressort eine Zeit lang unterstellt war, auch dem Abgeordnetenhause vorlegte. Darin war ausgeführt, dass eine Fortbildungsschule, die nur eine Fortsetzung des Volksschulunterrichts wäre, keinen Einfluss auf die Erziehung von Gewerbetreibenden ausüben könnte. Die allgemeinen f ü r den Unterricht in den Fortbildungsschulen ergangenen Vorschriften bezwecken daher, dass der Unterricht sich den allgemeinen Bedürfnissen des Lebens anpasst. Ich möchte auf zwei neuere Bestrebungen aufmerksam machen, die heute gar nicht mehr zurückzustellen sind. Es hat sich durch die ganz veränderten sozial-politischen und wirthschaftlichen Verhältnisse ein Leben in der Gemeinschaft gebildet, das sozusagen f ü r sich besteht und wiederum seine besonderen Anforderungen an den Einzelnen stellt. Ich will die paar Worte vorlesen, die in dem Werke „Die deutsche Bürgerkunde" stehen. Diese Worte lauten: „In einer Zeit, wo Staat und Gemeinde an den einzelnen Bürger immer dringender die Forderung stellen, an den mannigfachen Aufgaben mitzuwirken, beobachten ernste Männer schon längst mit Sorge, wie wenig die öffentlichen Einrichtungen Gemeingut des Volkes geworden sind. Vielleicht hängt dieser Mangel an Staatssinn mit der geringen Kenntniss des eigenen Staates zusammen."

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Ueber den letzten Funkt will ich hinweggehen. Die Bürgerkunde gehört aber zum nothwendigen Wissen eines jungen Mannes und ist für die breiten Massen des Volkes nöthig. Das genannte "Werk ist von jeder Tendenz frei und für die jungen Männer sehr geeignet. "Wer den Fortbildungsschulen nahe steht, kennt das, was fehlt und nothwendig ist. In den Fortbildungsschulen wird über die sozialen Gesetze schon Manches im Unterricht mitgetheilt, es fehlt aber ein bestimmter Plan. Und da sind die Fortbildungsschulen diejenige Stelle, wo einzusetzen ist. Eine zweite Sichtung ist die, welche Fortbildungsschulen für das weibliche Geschlecht anstrebt. Sie knüpft an Bestrebungen an, die sich, man möchte sagen in allen Kulturstaaten, in den letzten Jahrzehnten eingelebt haben. Auch in Deutschland ist man nicht zurückgeblieben. Schon 1891 haben Sie sich mit der Förderung der Haushaltungskunde beschäftigt. Die Bestrebungen für die Errichtung von Haushaltsschulen sind in Frankfurt am Main besonders vom Oberbürgermeister Adikes, in "Wiesbaden von den Herren Kalle und Kamp ausgegangen. "Wer übersieht, wie man der sozialen Noth auch durch die Ausbildung der Mädchen in der Haushaltung beikommen kann, der wird auch geneigt sein, nach dieser Richtung hin die Hand zu bieten. Der Schwerpunkt der Familie ist der Haushalt. Von einem geordneten Haushalt ist aber in unserem Arbeiterkreise nicht im gewünschten Masse die Rede. Und ich bin der Meinung, dass, wenn wir die Fortbildungsschulfrage besprechen, wir nicht vergessen dürfen, dass auch der Haushaltungsunterricht ganz besonders gepflegt werden muss. Es würde zu weit führen, wenn ich mich hierüber ausführlicher auslassen würde. So lange man nicht die allgemeine obligatorische Fortbildungsschule hat, wird es nothwendig sein, den Unterricht in besonderen Haushaltungsschulen zu pflegen. Ich habe eine ganze Reihe von solchen Schulen gesehen und habe mich überzeugt, wie ausserordentlich segensreich eine solche Vorbildung der weiblichen Jugend für ihren späteren Beruf als Hausfrau wirkt. Ein geordneter Haushalt ist ein guter Halt für den Mann gegenüber den bösen Einflüssen von aussen. Wenn wir mit den Massen rechnen, haben wir hierin einen Faktor, der segensreich einwirken kann. Es kommt aber ferner auf die Aufsicht an und da möchte ich erwähnen, dass die Aufsicht in der Hand der Kreisschulinspektoren bei den Fortbildungsschulen nicht recht angebracht ist. Auf dem Gebiete der Volksschulen mögen sie berufen sein, aber hier auf technischem Gebiete, wo besonders Zeichenunterricht ertheilt wird, nicht; denn welcher Schulinspektor ist wohl in der Lage, Zeichenunterricht zu geben? Die Aufsicht lässt viel zu wünschen übrig, und es ist erfreulich, dass der Herr Minister die Inspektion über die Fortbildungsschulen angeordnet hat; dadurch ist der Centralverwaltung die Möglichkeit gegeben, läuternd und anregend einzuwirken und die Fortbildungsschulen auf die richtige Höhe zu bringen. Es wäre sehr erfreulich, wenn die Sache der Aufsicht immer weiter fortschritte. Ich komme nun zu der Frage, ob der Besuch der Fortbildungsschulen obligatorisch werden soll. Ich habe Jahre lang dagegen Bedenken getragen. Ich glaubte, es müsse doch die Zeit kommen, wo die Erkenntniss von dem Nutzen in die breiteren Massen eindringen, wo das Fakultative des Besuches aufhören würde. Ich glaube, dass von dem § 120 der Gewerbe-Ordnung hätte mehr Gebrauch gemacht werden müssen. Aber ich überzeugte mich doch, dass auf diesem Wege, den wir beschritten haben, ein wirklich gedeihliches Ziel nicht erreicht wird. Ich habe aus den neuesten Berichten gesehen, dass die fakultative Fortbildungsschule zurückgeht, dass die obligatorischen zugenommen haben. Der Verband der deutschen Gewerbeschulmänner hat sich dafür .ausgesprochen, diese Frage mehr und mehr in den Kreis seiner Erwägungen zu ziehen. Der obligatorische Unterricht wird aus den verschiedensten Lagern heraus entschieden gefordert. Dass der Lehrerstand die obligatorische Fortbildungsschule anstrebt und dass die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung diese Frage in demselben Sinne entschieden hat, wird Ihnen bekannt sein. In Mittel- und Süddeutschland, in Sachsen, Württemberg, Bayern und Baden haben wir meist den allgemeinen obligatorischen Fortbildungsschidunterricht in Folge eines Landesgesetzes. Was dort möglich ist, sollte doch auch bei uns in Preussen möglich sein und sollte nicht daran scheitern, dass wir ein grösserer Staat sind, wo eine solche Einrichtung mehr Schwierigkeiten macht; aber wenn die Sache so heranreift, so muss man sich auch der grösseren Aufgabe gewachsen zeigen und aus unserer Mitte heraus auf die Notwendigkeit, auf eine solche Entwickelung hinzustreben, hinweisen. Ich erkenne an, dass es völlig verkehrt wäre, wenn wir hier auf der ganzen Linie auf einmal vorgingen. Ich möchte vorschlagen, dass an einem

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Funkte angesetzt werde, der es z. B. auch Berlin gestatten würde, ohne grosse Opfer und Schwierigkeiten Massnahmen zu treffen, dass bei den Lehrlingen des Handwerks angesetzt werde, — ich rechne auch die Lehrlinge in der Industrie dazu, sie nehmen dieselbe Stellung ein. Dagegen würde ich alle Uebrigen jetzt vom Zwange frei lassen, auch junge Kaufleute, das weibliche Geschlecht etc. Wir wollen auf diesem Gebiete nichts überstürzen. Ich glaube, die Frage liegt für uns so: gehen wir nicht zu sehr in die Breite, sammeln wir zuerst Erfahrungen. Die Zwischenzeit ist nicht verloren. Ich erwähnte Berlin; hier tritt die Frage am allerschärfsten hervor. Hannover hat schon die obligatorische Schule in diesem Umfange, und da zeigt sich, dass 1 Prozent, l'/ 2 bis l s / 4 Prozent der Bevölkerung die gewerbliche Fortbildungsschule besuchen müssen. Hier in Berlin würden 21000 Schüler auf die Fortbildungsschule kommen. Die Organisation muss so gehandhabt werden, dass man mit den Vierzehnjährigen beginnt. Die ganze Schülerzahl ist also durch vier zu theilen. In Berlin könnten ja auch gewisse Uebergangsbestimmungen zugelassen werden, weil hier die schwierigsten Verhältnisse vorliegen werden. Wenn Berlin in dieser Hinsicht "Wünsche äussert, würde die Regierung alle Veraulassung haben, ihnen Rechnung zu tragen. Nun habe ich noch die Frage nach der Beschaffung der Geldmittel zu erörtern. Es ist ganz erklärlich, dass auf diesem Gebiete ziemlich hohe Ausgaben erwachsen werden. Das alte Verhältniss, dass der Staat die eine Hälfte, die Kommune die andere Hälfte der Kosten übernimmt, wird bei einer allgemeinen Einführung des obligatorischen Unterrichts nicht beibehalten werden können. "Wir würden zu Summen kommen, die der Staat kaum geben könnte. Wenn wir mit den realen Verhältnissen rechnen, ist es nothwendig einzusehen, dass hier mehr das subsidiäre Verhältniss bei nicht leistungsfähigen Gemeinden eintreten muss. Kann man weitergehen, so bin ich der erste, der damit einverstanden ist. Aber ich glaube, wenn wir die Zahlen zusammenrechnen, so würde es bei der Ausdehnung und Entwickelung des Grundgedankens zu Summen führen, die die Sache wieder bedenklich erscheinen lassen. Aber was giebt nicht das Reich für die Arbeiterversicherung aus! Wenn die Invaliditäts- und Altersversicherung in den Beharrungszustand tritt, zahlt das Keich 70 Millionen jährlich. Wenn man dies nebeneinander hält, kann man wohl sagen, der Staat darf mit dem Gelde nicht so zurückhalten wie bisher, mit Rücksich auf den sozialen Charakter der Sache. Wir müssen daher für diesen Zweck Mittel bereitstellen. Diese Gelder wirken ja auch produktiv. Weitere Ausgaben werden entstehen für das Seminar und die Aufsicht. Für das Seminar etwa 50000 Mark. Das sind die allgemeinen Ausführungen in Kürze, und darüber, glaube ich, befinden wir uns in Uebereinstimmung. Die Zeit ist wirklich da, dass wir aus dem Kreis der Betrachtungen und Erwägungen heraustreten. Der Jugend fehlt die rechte Zucht, die Leitung und die Anregung zu ernstem Thun, die Erziehung zur Selbstständigkeit. Das ist der erziehliche Einfluss, dass die Jugend in die Zucht der Schule hineinkommt, dass sie nicht dem Draussenleben überlassen ist und zum Streben angehalten wird. Ich muss hervorheben, dass sich die Innungen und Vereine noch weit mehr in erziehlicher Weise der Jugend annehmen müssen. Eine sehr wichtige Aufgabe! Die Jugend ist vielfach beim Verlassen der Schule noch nicht sehr verdorben. Ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht, mit diesen jungen Leuten in Beziehung zu treten, wo ich nur Gelegenheit dazu habe. Ich habe gesehen, dass die Jugend nicht immer von vornherein verdorben ist, sie ist nur verlassen, die menschliche Gesellschaft nimmt sich ihrer nicht an. Die alten Stützen sind gefallen, und wir haben die Verpflichtung, neue Stützen aufzuführen, wenn wir die Zukunft des Vaterlandes im Auge haben. Wir haben uns der Jugend anzunehmen, wenn wir sie nicht in's sozialdemokratische Lager hineintreiben wollen. Ich bitte Sie, nehmen Sie meinen Antrag möglichst einstimmig an. Geheimer Regierungsrath Simon: Den Ausführungen des Herrn von Schenckendorff gegenüber möchte ich nur, um Irrthümer zu vermeiden, einige tliatsächliche Richtigstellungen vornehmen. Es ist nicht richtig, dass die Kreisschulinspektoren mit der Beaufsichtigung des Zeichenunterrichts betraut sind. Die Kreisschulinspektoren beaufsichtigen nur den Unterricht im Deutschen und Rechnen; die Revision des Zeichenunterrichts erfolgt durch besondere Fachmänner. Ferner wird in der Gesetzeskunde jetzt schon unterrichtet, und zwar gelegentlich des Unterrichts im Deutschen; man kann dabei aber nicht so weit gehen, wie es wohl wünschenswerte wäre, da hierzu die nöthige Zeit fehlt.

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Die Ausbildung der Lehrer im Zeichnen geschieht schon längst nicht mehr allein in Berlin, sondern es finden auch Zeichenkurse in Düsseldorf, Hannover. Posen und Elbing statt. Wir haben also verschiedene Seminare, im Osten und im Westen; und es wird zweckmässig sein, in dieser Weise weiter vorzugehen. Herr S e y f f a r d t : Ich will nur einige Worte über die Gehälter der Lehrer an Fortbildungsschulen sprechen und den Herrn Minister bitten, sie nicht gar zu karg zu bemessen. In Krefeld hat die Fortbildungsschule 31 Klassen; sie wurde 1894 im Sommer von 440 Schülern, im Winter von 490 Schülern besucht. Es wird Abends von 7 bis 10 Uhr unterrichtet. Die Stadt unterhält die Schule und der Staat giebt einen Zuschuss im Betrage der Hälfte der persönlichen Auslagen. Vor einem Jahre starb der Direktor der Anstalt und es war sehr schwer, einen neuen zu finden. Endlich ist es gelungen, einen neuen Direktor für eine Kemuneration von 2000 Mark anzustellen. Er unterrichtet selbst, hat die Direktorialarbeiten zu besorgen und daher einen Theil des Tages zu thun. Allerdings bleibt ihm ein Theil des Tages übrig, um sich etwas zu verdienen. Nun höre ich, dass der Herr Minister verfügt hat, dass das Gehalt dieses jungen Direktors auf 1000 Mark herabgesetzt werden müsse. Den neuen Direktor werden wir jetzt verlieren und für 1000 Mark nur eine höchst mittelmässige Kraft bekommen, und ich möchte doch fragen, ob die gute Leitung der Schule denn dem Staate nicht 500 Mark werth ist? Ich möchte den Herrn Minister bitten, den Verwaltungen der Städte freiere Hand in der Bemessung der Besoldungen der Leiter und Lehrer der Fortbildungsschulen zu lassen. Herr K a s e l o w s k y : Im Interesse der Maschinenbau-Industrie bitte ich die Königliche Staatsregierung dringend, das Fortbildungsschulwesen kräftig zu fördern. Herr von Schenckendorff hat schon bemerkt, dass es sich hierbei um eine soziale Frage handele. Ich kann bezeugen, dass die Leute, welche die Fortbildungsschule besuchen, in ganz anderer Weise arbeiten und auftreten als viele der anderen Arbeiter und sich von den sozialdemokratischen Bestrebungen frei halten. Es ist richtig, dass es sehr schwer ist, bei der Verschiedenheit des Materials, das in die Schule kommt und seiner Vorbildung die richtige Unterrichtsmethode zu finden. Die jungen Leute haben das Streben, ihr Wissen zu erweitern, sie besitzen aber nicht die Mittel, um Tages-Fachschulen zu besuchen. Wir müssen ihnen daher die Gelegenheit bieten, sich in der Fortbildungsschule zu unterrichten. Hier ist es sehr wichtig, dem Unterricht enge Grenzen zu ziehen. Mir sind Klagen darüber zu Ohren gekommen, dass man in Berliner Schulen zu weit geht, und die Grenzen, die durch die Vorbildung der jungen Leute und ihre Zwecke dem Unterricht gezogen werden, nicht innehält. Auch soll stellenweise im Zeichenunterricht zu viel Werth auf die s c h ö n e Ausführung der Zeichnungen gelegt werden, man malt Bilder. Die MaschinenIndustrie verlangt aber in erster Linie, dass die Leute die Elemente des Maschinenbaues kennen lernen, dass die Zeichnungen klar sind und die Masse hineingeschrieben werden. Auch lässt man zu grosse Berechnungen anstellen. Dadurch bekommen die Leute die Idee, dass sie zu etwas Höherem erzogen werden. Wir brauchen aber namentlich Arbeiter, welche die vorgelegten Zeichnungen, nach denen gearbeitet werden soll, verstehen, und dazu gehört, dass sie nicht über die Grenzen des hierzu Nöthigen hinaus unterrichtet werden; in der Fortbildungsschule sollen keine Ingenieure ausgebildet werden. Auch der Unterricht in der Mechanik soll so abgegrenzt werden, dass er nicht auf komplizirte Maschinen ausgedehnt wird, sondern man soll sich auf die einfachen Maschinenelemente, auf die Hülfswerkzeuge beschränken und dahin streben, dass der Arbeiter oder Lehrling jedesmal etwas Fertiges mit nach Hause nimmt. Man soll ihnen nur das geben, was sie begreifen und alle Tage brauchen. Auch die Frage des Sonntagsunterrichts ist für mich sehr wichtig. In Berlin ist die Sache glücklicherweise befriedigend geordnet. Den Kirchenbesuch soll man nicht hindern, der Kirchenbesuch muss möglich sein, aber man soll nicht die Zeichensäle während der Zeit des Gottesdienstes schliessen, wie das in den Provinzen mehrfach geschehen sein soll. Wer in der Praxis steht, weiss, dass viele junge Leute, die den ganzen Tag hart gearbeitet haben, nicht im Stande sind, des Abends bei Lampenlicht noch zu zeichnen. Die Leute können dazu nur den Sonntag verwenden. Einen Schulbesuch in schönen lichten Sälen im Kreise gleichgesinnter Jünglinge zu gestatten, ist von grösserem sittlichen Nutzen, als die Leute daran zu verhindern. Ich zweifle, dass der am Zeichnen gehinderte junge Mann in die Kirche gehen wird. Gewöhnlich finden Sie, dass er trotz der Vorschriften über die

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Sonntagsheiligung vom Meister mit Geinmachen und anderen Diensten beschäftigt wird. Ich war früher der Ansicht, dass ein Zwang zum Besuche der Fortbildungsschulen nicht ausgeübt werden solle, weil die Faulen den Fleissigen das Lernen verleiden würden. Es ist das aber unstreitig nicht der Fall. Ich habe gehört, dass dieser Zwang, die Leute zur Schule zu schicken, ein günstiges Resultat ergeben hat. Viele, die aus freiem Antriebe nicht hingehen würden, gemessen den Unterricht gern, wenn sie die Fortschritte sehen, die sie machen. Viele, die gerne hingehen würden, werden jetzt durch den Einfluss ihrer trügen oder zuchtlosen Genossen, noch mehrere aber durch die Arbeitgeber auf allerlei "Wegen vom Eintritt in die Fortbildungsschule abgehalten oder am regelmässigen Besuche des Unterrichts gehindert. Die Trägen halten in der obligatorischen Schule nur sich selbst zurück, sie bleiben in den untersten Klassen sitzen. Was die Beaufsichtigung der Fortbildungsschulen und die Ausbildung der Lehrer anbetrifft, so habe ich mit Freuden das auf S. 59 der Denkschrift Gesagte gelesen. Der Unterricht sollte in den Industriecentren möglichst von Fachmännern gegeben werden. An den grossen Werkstätten, deren Lehrlinge zur Fortbildungsschule gehen, sind Ingenieure in grosser Zahl vorhanden. Diese wissen genau, was zur Fortbildung der Leute nöthig ist, und ich habe selbst mehrere Ingenieure, die im technischen Zeichnen und in der Mechanik gern unterrichten, dafür sind sie die besten Lehrer. Es darf der Unterricht nicht schematisch ertheilt werden, dazu sind die Leute zu verschieden vorgebildet. Für die Maschinenbauer in den Fortbildungsschulen der Industriestädte brauchen wir nicht erst Lehrer auszubilden. Die Ingenieure der Fabriken werden auch mit einer geringen Remuneration zufrieden sein, da es sich für sie nur um einen Nebenverdienst handelt. Ebenso müssen auch die Revisionen von Männern, welche die Praxis kennen, vorgenommen werden, und ich glaube, dass sich in grösseren Städten Männer genug finden, die es als eine Ehre ansehen würden, sich dieser Aufgabe zu unterziehen. Ich habe mit Vergnügen gehört, dass die Maschinen- und Hüttenindustrie in Rheinland und Westfalen ihr Interesse am Fachschulwesen durch Leistung von Beiträgen bezeigt. Wenn die grösseren Fabrikanten und Aktiengesellschaften, Eisenwerke etc. in geeigneter Weise gebeten werden, etwas dazu beizutragen, dass die jungen Leute in den Fortbildungsschulen weiter gefördert werden als bisher oder mehr Schulen errichtet werden, so werden sie ihre Mitwirkung nicbt versagen. 20 Pfennig pro Kopf und Jahr ist ein unbedeutender Beitrag. Für die Berliner Maschinenbau-Actiengesellschaft, deren Direktor ich bin, würde es sich nur um 400 bis 500 Mark handeln. Ich schätze den Werth des Unterrichts viel höher und meine Gesellschaft und ich würden gewiss gern bereit sein, dass Unsrige beizutragen. In dieser Beziehung ist wohl zu wenig versucht. Es ist gar nicht bekannt, dass die Unterstützung der Fortbildungsschulen in irgend einer Richtung oder der Schüler durch Stipendien oder Erlass des Schulgeldes so dringend nothwendig ist. Damm wird die Unterstützung der Staatsregierung und der Gemeinden nicht entbehrlich, von diesen kann in dieser Beziehung nicht genug geschehen. Wer, wie ich, in der Industrie steht, der wird mir darin zustimmen, dass gute Fortbildungschulen ungemein segensreich wirken und dass man dies nur noch nicht allgemein begreift. Ich bitte die Staatsregierung, in möglichst umfassender Weise für die weitere Förderung des Fortbildungsschulwesens Sorge zu tragen. Direktor L a c h n e r : In kleinen Städten stehen technisch gebildete Lehrkräfte so gut wie gar nicht zur Verfügung. Hier muss, soweit möglich, durch LehrerZeichenkurse geholfen werfen. Wir können die Elementarlehrer zur Ertheilung des elementaren Zeichenunterrichts ebenso wenig wie für den Unterricht im Deutschen und Rechnen entbehren. Die stattgehabten Revisionen von Fortbildungsschulen haben die Nützlichkeit der Zeichenkurse für Volksschullehrer, die an Fortbildungsschulen unterrichten, erwiesen. Die Revisionen haben auch Gelegenheit gegeben zu erkennen, dass es Noth thut, die Lehrer nicht nur auszubilden, sondern auch zu beaufsichtigen und eine Verbindung zwischen den grossen und den kleineren Anstalten zu erhalten. Die Erziehung der Massen ist mit Recht als eine wichtige Aufgabe der gewerblichen Fortbildungsschule bezeichnet worden. Sie kann dies nur, wenn die Zwangsschule als ihre richtige Form anerkannt wird. In den Anstalten mit freiwilligem Besuche sind die Schüler an und für sich gut; aber die Leute, welche der Erziehung am meisten bedürfen, sind nur durch Zwang in die Schule zu bringen. Es ist ausserordentlich wichtig, dass die Schulleitung das Mittel in der Hand hat, sich gegen-

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über solchen Handwerksmeistern kräftig zu erweisen, die ihre Lehrlinge von der Fortbildungsschule auf allerlei Weise fernhalten. Die Durchführung des Zwangs ist für die grösseren Städte mit einigen Schwierigkeiten verknüpft. Die Schwierigkeiten sind aber durchaus nicht unüberwindlich, wie die in der Stadt Hannover gemachte Erfahrung zeigt. Der Begriff der Fortbildungsschule wird, wie mir scheint, nicht überall gleich Äufgefasst. Vielfach werden der Fortbildungsschule Aufgaben, die nur die Fachschule lösen kann, zugeschoben. Die TJnterrichtsgebiete der Fachschule und der Fortbildungsshule müssen auseinander gehalten werden. Man darf in der Fortbildungsschule nicht zu weit gehen. Lehrern, welche die Schüler mit Dingen beschäftigen, für die sie nicht reif sind, muss der Direktor bestimmt entgegentreten. Die Begabung und die Vorbildung der einzelnen Schüler müssen berücksichtigt werden. Das beste Mittel, um den sittlichen Zweck der Fortbildungschule und die Vortheile, die sie den Gewerben bringt, zu erlangen, ist die allgemeine Einführung •des Schulzwanges. Eisenbahndirektor Garbe stimmt den Ausführungen des Herrn von Schenckendorff bei. Nach seinen besonders unter der arbeitenden Bevölkerung im Osten Berlins gemachten Erfahrungen sei nichts dringlicher als die Einführung der allgemeinen obligatorischen Fortbildungsschule. Nachdem andere Schranken gefallen seien, müsse der Staat in der Schule der Verwahrlosung der körperlich und geistig noch unentwickelten arbeitenden Jugend durch die Erziehung in der Fortbildungsschule steuern, und wenn auch die allgemeine Fortbildungsschule, die im grössten Theile des übrigen Deutschlands schon durch Landesgesetze eingeführt sei, bei uns noch nicht durchzusetzen sei, so habe doch die Verwaltung des gewerblichen Unterrichts in der vorliegenden neuen Denkschrift ebenso wie in der Denkschrift von 1891 klar und deutlich erklärt, dass jedenfalls die obligatorische gewerbliche Fortbildungsschule nicht blos in Westpreussen und Posen, sondern in der ganzen Monarchie unentbehrlich sei. Sie erwarte die Zustimmung dieser Kommission zu •dieser Auffassung. Daher genüge ihm der Antrag des Herrn von Schenckendorff nicht, weil er zu unbestimmt sei, er sage nicht, worauf es ankomme und die Aeusserungen des Herrn Antragstellers, sozusagen die Motive seines Antrages, hülfen der Unklarheit nicht ab, da sie nur mündlich vorgetragen seien. Die obligatorische Fortbildungsschule lasse sich überall durchführen und wenn auch die gewerbliche Seite des Unterrichts, das Zeichnen, in den kleinen Orten manche Mängel zeigen werde, so komme das gegenüber der Erziehung durch die Schule nicht in Betracht. Er stelle daher den Antrag, die Kommission möge die folgende Resolution annehmen. ,.Die ständige Kommission für das technische Unterrichtswesen erklärt als dringendes Bediirfniss nicht nur für eine gesunde Entwicklung des gewerblichen Unterrichtswesens, sondern in gleichem Masse des Volks- und Staatswohles, dass die Königliche Staatsregierung der Förderung des Fortbildungsschulwesens künftig eine weit höhere Beachtung zuwendet als bisher und in Erwägung nimmt, ob der obligatorische Fortbildungsschulunterricht der noch nicht 18 Jahre alten gewerblichen Arbeiter (Lehrlinge etc.) in gewissem Umfange durch Gesetz anzubahnen sein wird." Oberbürgermeister E l d i t t bemerkt, dass der Zwang zum Besuche der in Elbing vor etwa 8 Jahren errichteten über 1000 Schüler zählenden staatlichen Fortbildungsschule ohne Schwierigkeiten eingeführt worden sei. Dies möge dadurch erleichtert worden sein, dass in Elbing schon 20 Jahre früher eine freiwillig besuchte Schule errichtet worden sei und dass der Direktor der neuen Anstalt sehr geschickt zu "Werke gegangen sei. Der Unterricht im Zeichnen gehe nicht über die durch die Bestimmung der Schule und die Vorbildung der Schüler gezogenen Grenzen hinaus und berücksichtige möglichst das praktische Bedürfniss der einzelnen Gewerbe. Die Bildung von Fachklassen werde allerdings sehr durch die grosse Schülerzahl und dadurch, dass die des Zeichnens Bedürfenden darin wöchentlich 4 Stunden unterrichtet würden, erleichtert. Als Lehrer wären nicht blos Ingenieure für die Maschinenbauer, sondern auch andere Fachleute für verschiedene Gewerbszweige tliätig. Durch die Ausdehnung und Gestaltung des Zeichenunterrichts werde das Interesse des Gewerhestandes für die Schule geweckt und Bestrafungen wegen Schul-

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Versäumnissen oder Zurückhaltens der Lehrlinge vom Unterricht seien sehr selten, obgleich zum Zeichnen noch 4 Stunden wöchentlichen Unterrichts im Deutscheit und im Rechnen hinzukämen. In den deutschen Stunden würden die Schüler der oberen Klassen auch mit den Einrichtungen des Staats und seiner Verwaltung mit weiser Beschränkung bekannt gemacht. An Sonntagen werde nicht unterrichtet, dafür aber mit der Billigung der betheiligten Gewerbkreise in der Woche nicht blos am'Abend nach 7 Uhr. Im Sommer hätten die Stubenmaler keinen Unterricht im Zeichnen und Malen, im Winter aber desto mehr. Es sei eine Freude zu sehen, mit welchem Interesse und Eifer die Schüler an dem Unterricht Theil nehmen. Er müsse übrigens konstatiren, dass der Erfolg des Abendunterrichts dadurch,, dass die Schüler den Tag über gearbeitet haben, durchaus nicht beeinträchtigt werde. Ausschreitungen der Schüler seien so gut wie gar nicht zu bestrafen, die guten Schüler bildeten so sehr die Mehrzahl, dass einzelne schlechte Subjekt» durch sie im Zaum gehalten und erzogen würden. Im Osten der Monarchie seien nicht genügend, zum Unterrichten befähigteTechniker vorhanden, man müsse daher dazu greifen, Volksschullehrer zur Ertheilung von Zeichenunterricht, auch in den Anfängen des Fachzeicknens, ia besonderen Kursen anzuleiten. In Elbing seien einige 40 Lehrer in 2 Kursen mit gutem Erfolge ausgebildet worden. Wenn solche Kurse an Ort und Stelle und nicht blos an einer Centralstelle abgehalten würden, so könnten in ihnen die besonderen gewerblichen Verhältnisse der einzelnen Provinzen berücksichtigt werden. Die Kreisschulinspektoren könnten den Zeichenunterricht natürlich nicht beaufsichtigen, daher seien damit in Westpreussen und Posen die Direktoren der grossen Fortbildungsschulen in Posen und Elbing beauftragt. In hohem Grade wichtig sei auch der Unterricht der jungen Mädchen nicht blos in gewerblichen Fächern, wie in der Buchführung, Konfektion etc., sondern auch in der Führung, des Hausstandes. Er glaube, dass es genüge, den Antrag des Herrn von Schenckendorff anzunehmen, und könne sich nicht mit der weitergehenden Resolution des Herrn Eisenbahndirektors Garbe befreunden. Stadtverordneten-Vorsteher Dr. L a n g e r h a n s : Dem Antrag von Schenckendorff könne er zustimmen, müsse sich aber mit aller Entschiedenheit gegen den. von den Lehrern vielfach gewünschten allgemeinen Schulzwang aussprechen. Die jungen Leute würden in den Berliner Fortbildungsschulen im Fachzeichnen nicht über die durch das Mass ihrer sonstigen, insbesondere ihrer mathematischen Kenntnisse hinaus geführt. Wenn Herr Kaselowsky behaupte, dass dies geschähe und dass die Maschinenbauer unverstandene Zeichnungen anfertigten, sozusagen Bilder malten, so kenne er die Schulen und ihre Arbeiten nicht. Etwas Tolleres als die Beschränkung der persönlichen Freiheit durch die Einführung des Schulzwanges für alle noch nicht achtzehnjährigen gewerblichen Arbeiter könne er sich nicht denken. Er sei überzeugt, dass die Schüler, da wo Schulzwang bestehe,, nichts Ordentliches lernten, jedenfalls bei Weitem nicht so viel wie in den Berliner Schulen. Die Beschränkung des Sonntagsunterrichts sei ein grosser Uebelstand. Trotzdem, dass in Berlin kein Schulzwang bestehe, nähme die Zahl der Schüler beständig zu. Es kämen auch Soldaten, Eisenbahnangestellte und Gewerbetreibende, die weit über 18 Jahre alt seien, in die Schule. Die Einführung des Zwanges müsse das Niveau herabdrücken. Die schlechten Schüler hielten die guten zurück; er würde auch den Eltern, deren Söhne etwas verdienen müssten und die weniger verdienen würden, wenn sie ihren Arbeitgebern und Meistern nicht Abends, zur Verfügung ständen, zur grossen Last sein. Staatssekretär a. D. Dr. von J a c o b i glaubt besonders vor der Einführung des Unterrichts in der Gesetzeskunde warnen zu müssen. Für einen solchen Unterricht seien die jungen Leute noch nicht reif und könnten auch keinen Nutzen davon haben. Die Frage des Sonntagsunterrichts sei jetzt gesetzlich geregelt. Es sei dringend nöthig, dass der Jugend die Ergebnisse des in der Volksschule genossenen Unterrichts erhalten blieben. Er glaube auch, dass die Fortbildungsschulen hinter den Fachschulen hätten zurückstehen müssen. Vielleicht sei es gut, die bisherige Centralisation zu ermässigen. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass die Anregungen auf diesem Gebiete sowohl für die Fach- als auch für die Fortbildungsschulen sehr wesentlich von der Centraibehörde ausgegangen sind. Bezüglich der Fachschule-

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wird dies auch heute noch richtig sein, ob auch für die Fortbildungsschulen, ist mir nicht unzweifelhaft. Uebrigens müssen auch die Provinzialbehörden weit mehr Interesse für die Fortbildungsschulen als bisher beweisen. Auch die Kommunalbehörden sind in stärkerem Masse für sie zu interessiren. — Vielleicht könne die sehr nothwendige Inspektion der Anstalten mit einer Kommission in "Verbindung gebracht werden, von dieser könnten auch die Lehrpläne aufgestellt werden. Man sollte die Organe in den Provinzen geradezu nöthigen, auf diesem- Gebiete wirksamer thätig zu sein. Für das Ministerium sei es ganz unmöglich, die grosse Zahl der vorhandenen und noch zu schaffenden Fortbildungsschulen direkt zu übersehen und zu verwalten. Die Ausführung dieses Gedankens werde in den Provinzen mehr latente Kräfte und Mittel mobil machen und der Staat finanziell entlastet werden. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r : Es ist nothwendig, die Volksschullehrer, die an den Fortbildungsschulen im Deutschen und im Eechnen unterrichten sollen, für die Ertheilung dieses Unterrichts, der hier nicht ebenso wie in der Volksschule zu geben ist, gleichfalls durch Uebungskurse vorzubilden. Diese Kurse können in eigenen Seminaren, an denen Fortbildungsschulklassen einzurichten sind oder mit grösseren Fortbildungsschulen, wie jetzt die Zeichenkurse, verbunden werden. Der letzte "Weg wird wohl der billigere sein. Mit der Zahl der Zeichenkurse werden auch die der Anstalten, an denen sie eingerichtet sind, vennehrt werden müssen. Die Begriffe Deutsch und Eechnen sind nach der Einrichtung und der Absicht der einzelnen Anstalten ebenso verschieden, wie der Begriff des Zeichnens. Auf diese drei Fächer muss sich die Fortbildungschule beschränken. Beim Unterricht im Eechnen und im Deutschen müssen die jungen Leute im gewerblichen und kaufmännischen Eechnen auch in der Buchführung, in der Abfassung von Geschäftsbriefen, einfachen Eingaben an Behörden und Verträgen unterwiesen werden. Die Schüler sollen die in der allgemeinen Schule erworbenen Kenntnisse sich erhalten und ausserdem mit gewerblichen Dingen bekannt gemacht werden, endlich ihre Sittlichkeit befestigt und die Liebe zum Vaterlande geweckt werden. Dies Alles müssen der Unterricht und die in der Fortbildungsschule gebrauchten Lesebücher berücksichtigen. Die Aufsicht über das Zeichnen müssen die Direktoren und einzelne tüchtige Lehrer von Fachschulen, die Aufsicht über den Eest des Unterrichts die Kreischulinspektoren führen. Auf die Frage des Sonntagsunterrichts brauche ich nicht einzugehen, das ihn auch für die nicht obligatorischen Fortbildungsschulen einschränkende Gesetz besteht einmal. Es kann sich nur um die richtige Auslegung der die Staatsregierung bindenden gesetzlichen Bestimmungen handeln. In Berlin ist die Sache übrigens in einer alle Bedürfnisse befriedigenden Weise geregelt worden. Herr Dr. von Jacobi will, dass die betheiligten Kreise in der Provinz bei dem Fortbildungsschulunterricht mehr als bisher mitwirken. Ich habe auch den Eindruck, dass selbst von manchen Behörden die Wichtigkeit des Fortbildungsschulunterrichts nicht völlig erkannt wird. Ich halte auch die Zuziehung von Laien für nützlich. Jedenfalls haben wir hier in dieser Kommission den Beweis, dass die Betheiligung des Laienelements nützlich wirkt. Sie auch für die Fortbildungsschulen in der Provinz herbeizuführen, wird wahrscheinlich leichter sein, als technische Lehrer in kleinen Orten für sie zu finden. Es ist erfreulich, dass die Frage der obligatorischen gewerblichen Fortbildungsschule jetzt eingehender als 1891 besprochen worden ist. Damals hatte ich mir darüber in der kurzen Zeit, die ich als Minister thätig war, ein abschliessendes Urtheil nicht bilden können. Ich habe seitdem die Ueberzeugung gewonnen, dass wir mit den bisherigen Bestimmungen und Massnahmen zu wenig erreicht haben. Es ist auffällig, wie langsam sich der gewerbliche Fortbildungsschulunterricht in Preussen entwickelt, wie minimal die Fortschritte sind, wie wenige Gemeinden in gewissen Grenzen den Besuch des Fortbildungsschulunterrichts zwangsweise vorschreiben. Wir haben in Posen und "Westpreussen eklatante Beispiele der Unzulänglichkeit der Einrichtung der freiwilligen Fortbildungsschule. Ein Gesetz vom 4. Mai 1886 autorisirt den Handelsminister, in "Westpreussen und Posen obligatorische Fortbildungsschulen auf Kosten des Staates zu errichten. Eine solche Schule wurde z. B. auch in der Stadt Bromberg eingerichtet, die, wie aus der Zusammenstellung auf S. 128 der Denkschrift hervorgeht, im Jahre 1890 357 Schüler zählte. Als

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aber ein Erkenntniss des Kammergerichts aussprach, dass die Polizeiverordnungen, welche die Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des den Schulzwang einführenden Ortsstatuts mit Strafe bedrohen, ungültig seien, sank der Besuch der Bromberger Anstalt bis zum Jahre 1894 auf 91 Schüler. "Von den 91 Schülern waren ungefähr 50, also über die Hälfte, von der sie beschäftigenden Königlichen Eisenbahn-Direktion in Bromberg zum Besuch der Fortbildungsschule gezwungen. Dieser Vorgang, dem noch viele andere zur Seite gestellt werden können, beweist, dass auf dem Wege der Freiwilligkeit, wenigstens an manchen Orten, nicht viel zu machen ist. Mehr und mehr habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass mit den jetzt zu Gebote stehenden Mitteln ein ausreichender Besuch der Fortbildungsschulen sich nicht erreichen lässt und dass der Besuch der Fortbildungsschulen in Preussen als ungenügend bezeichnet werden muss. Die "Verhältnisse in den Gemeinden sind indessen ungemein verschieden und ein Gesetz, das den allgemeinen obligatorischen Fortbildungsunterricht einführte, müsste der Staatsregierung eine gewisse Latitüde geben. "Wie das einzurichten sein möchte, kann ich Ihnen augenblicklich nicht sagen. Die mehrfach gegen die obligatorische Fortbildungsschule geäusserten Bedenken sind nicht ganz von der Hand zu weisen. In einer nur aus freiwillig kommenden Schülern bestehenden Klasse ist das Lernen und das Unterrichten oft leichter, als in einer, die auch widerwillige Schülcr enthält. Aber der Umstand, dass viele junge Menschen ohne jede Aufsicht und ohne moralischen Anhalt dastehen, fällt sehr schwer f ü r die obligatorische Fortbildungsschule ins Gewicht. Manche Gemeinden werden auch die grösseren Kosten scheuen, welche die allgemeine obligatorische gewerbliche Fortbildungsschule verursachen wird. Gegenwärtig haben wir, wenn ich nicht irre, etwa 122000 Fortbildungsschüler in Preussen, bei Einführung des Schulzwanges f ü r alle gewerblichen Fortbildungsschulen wird ihre Zahl wohl auf 3 bis 400000 steigen. In Posen und Westpreussen besuchen 2 Prozent der s t ä d t i s c h e n Bevölkerung die obligatorische Fortbildungsschule. Nach der Volkszählung von 1890 würden 2 Prozent der städtischen Bevölkerung in der ganzen Monarchie ca. 2(50000 Schüler ergeben, man muss aber berücksichtigen, dass in dem westlichen Theile der Monarchie und in vielen grossen Städten die unter 18 Jahre alten gewerblichen Arbeiter mehr als 2 Prozent der Bevölkerung ausmachen werden. Die f ü r die Städte aus der Verallgemeinerung des Schulzwangs sich ergebende Mehrbelastung wird man berücksichtigen müssen und ich muss dahingestellt sein lassen, wie man dem wird abhelfen können. So sehr ich auch die Vortheile einer stärkeren Anwendung des Zwanges anerkenne, so trage ich doch Bedenken, mich jetzt dafür auszusprechen. Die Fragte wird bei uns weiter erwogen und dieser Kommission in jedem Falle Gelegenheit gegeben werden, sich über die Einfühlung des obligatorischen Fortbildungsschulunterrichts auszusprechen und eventuell ihre Vorschläge zu machen, ehe der Entwurf eines die obligatorische gewerbliche Fortbildung allgemein einführenden Gesetzes dem Staatsministerium vorgelegt wird. Geheimer Eegierungsrath Dr. B e r t r a m : Es giebt Klagen, die in der Zeit liegen, aber darum nocli nicht alle begründet sind. Dazu gehört meines Erachtens auch die Klage über den Zustand cler heranwachsenden Jugend, der als besonders schlimm geschildert wird. Ich glaube, dass zu dieser Klage kein Anlass, wenigstens nicht in dem hier behaupteten Umfange vorliegt. Wir leben in einer Zeit, in welcher der allgemeine Schulzwang erst wirklich durchgeführt wird, und mm soll es mit den Erfolgen der Schule nichts sein. Von anderer Seite wird die Schuld anderen Verhältnissen, der Lockerung der Familienbande, der theilweisen Aufhebung des Lehrlingsverhältnisses etc. beigemessen. Wenn dem so ist, dann kann die Schule, auch die obligatorische Fortbildungsschule hier nicht helfen. Es ist sogar zu besorgen, dass wir das Uebel noch grösser machen. Wenn wir den Stellen, die jetzt noch das Bewusstsein haben, dass sie f ü r die Erziehung der ihnen anvertrauten Jugend einstehen müssen, sagen, das wird künftig an euerer Statt durch die obligatorische Fortbildungsschule besorgt werden, dann wird das Pflichtbewusstsein in der Familie und bei den Lehrherren noch mehr sinken. Ehe man einer Instanz eine Pflicht abnimmt und einer anderen überträgt, muss feststehen, dass die an ihre Stelle tretende neue Instanz kräftig genug ist, die Pflicht zu übernehmen. Die obligatorischen Fortbildungsschulen sind überall auf wenige Stunden in der Woche beschränkt. Wie Sie in den wenigen Stunden einen Ersatz für die Einflüsse, die jetzt ausser Funktion gesetzt werden sollen, finden wollen, ist mir unerklärlich. Ich bin beruhigt durch die Erklärung des Herrn Ministers, dass wir zunächst ein Gesetz über eine allgemeine Einführung obligatorischen Unterrichts nicht zu erwarten

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haben. In der That würde eine solche Einrichtung eine Menge hoffnungsreicher Anfänge zerstören. Dass man von der obligatorischen Fortbildungsschule nicht viel erwartet, zeigt der "Umstand, dass z. B . in Württemberg von dem Besuche desobligatorischen Unterrichts, der allerdings auf zwei Stunden in der "Woche beschränkt ist, befreit wird, wer die sogenannte Gewerbeschule, die sechs bis acht Stunden wöchentlichen Unterricht hat, besuchen will. Auch wollen Sie bedenken,, dass die Idee der Fortbildungsschule noch jung ist, ihre Ausführung nimmt j e nach den verschiedenen Verhältnissen verschiedene Formen an. Es ist daher noch nicht an der Zeit, eine bestimmte Form durch Gesetz für alle Orte festzustellen. Ich wende mich zu den einzelnen Bemerkungen, die hier gemacht worden sind. Da soll das Hauptaugenmerk darauf gelichtet werden, dass nicht zu viel gelernt wird. Die Fortbildungsschulen sollen in den einzelnen Disciplinen nicht zu weit gehen. Wir haben hier im Laufe von 20 Jahren die Erfahrung gemacht, dass die 1871 ganz elementar eingerichteten Fortbildungsschulen keinen Anklang fanden: erst als wir in eine solche Anstalt Schüler ungleichen Alters: Knaben r Jünglinge und Männer aufnahmen und die verschiedenartigen Schüler in gleichartige Gemeinschaften theilten, erwachte der Lerneifer. So sind diese Schulen der Nährboden für eine Anzahl Fachschulen geworden, die später entstanden sind. "Wir hüten uns wohl, mit den Schülern Dinge zu treiben, die über ihren Horizont gehen, aber die fortschreitenden Schüler sollen bei uns so weit geführt werden, wie ihr Lerneifer, ihre Fähigkeiten und ihr gewerbliches Interesse sie treibt. In Folge dessen sind eine Anzahl von Fachschulen für die einzelnen Gewerbe entstanden, zu deren B e such die Lehrlinge von ihren Lehrherren angehalten werden. Tüchtige Gewerbtreibendenehmen Theil an der Aufsicht über den Gang des Unterrichts. Der Widerstand der Meister gegen diese Schulen beginnt zu verschwinden. In einem Gewerbe, dem der Stellmacher, werden die Lehrlinge schon auf den Wunsch der Meister an einem Wochentage von fünf bis neun Uhr Abends unterrichtet. Herr Kaselowsky hat geäussert, dass man im Unterricht der Maschinenbauer zu weit gehe. Er hat vom Malen unverstandener Bilder im Zeichenunterricht gesprochen. Ich bitte ihn, die Fachklassen der Maschinenbauer, Mechaniker und Klempner zu besuchen und nach solchen Bildern zu suchen, er wird sie nicht finden. Ich freue mich von ihm zu höreD, dass die grossen Etablissements geneigt sein werden, für die Förderung der Schule Beiträge zu geben. Allmählich vollzieht sich in Berlin die Einrichtung von Fortbildungsschulgottesdiensten. Wir haben an zwei Fortbildungsschulen in den Aulen von 8 bis & und in der zweiten Handwerkerschule Gottesdienste eingerichtet und dadurch die Möglichkeit gewonnen, von 9 Uhr ab weiter in allen Gegenständen zu unterrichten. W i r hoffen, diesen Weg weiter verfolgen zu können. In den Fortbildungsschulen,, für die diese Einrichtung noch nicht besteht, wird nur von 8 bis 3 / 4 10 unterrichtet. — Unsere Fortbildungs- und Fachschulen werden jetzt von rund 12000 Lehrlingen,. Gehülfen, Gesellen, Arbeitern und Leuten aus anderen Berufszweigen besucht. Von Jahr zu Jahr nimmt die Theilnahnie am Unterricht zu. Auf dem Wege der Sitteund wenn die Familie und der Lehrherr mit-Nachdruck für die Schulen eintreten, so kann man auch nach und nach auf dem Wege des freiwilligen Besuches dasselbe Ziel erreichen, welches durch die obligatorische Fortbildungsschule erreicht werden soll. Die Einführung des Schulzwanges bei der Fortbildungsschule würde unsere blühende Institution zerstören, weil sie die Kräfte und den Sinn für die Förderung der Schule auf den Zweck, die obligatorische Fortbildungsschule einzuführen, ablenken würde. Ich kann also nur dem Herrn von Schenckendorff in dem Wunsche zustimmen, dass überhaupt das Fortbildungsschulwesen weiter energisch gefördert wird und auch die dazu nöthigen Mittel beschafft werden. Auch den Wunsch habe ich, dass irgend welche geeigneten Einrichtungen getroffen werden, um auch den Lehrern, die an den Fortbildungsschulen im Deutschen und Rechnen unterrichten sollen, hierzu Anleitung zu geben. Ich bitte aber, dies auch auf die Lehrer der Physik, Chemie und der Naturwissenschaften überhaupt auszudehnen. Der Umstand, dass wir eine Keihe verschiedenartiger Lehrstoffe nicht vernachlässigen dürfen, die in den Kähmen der Fortbildungsschule hineingehören, spricht auch für die fakultative Schule, denn es kann nicht mit einem Male und in demselben Jahre eine Beihe von Lehrgegenstanden im Ganzen in l 1 / , Stunden wöchentlich betrieben werden, sondern nur in der Reihenfolge der Jahre. Die jungen Leute, die sich an den Besuch einer Fortbildungsschule gewöhnt haben, bleiben ihr mehr als vier Jahre treu, um nach und nach die wissenschaftlichen Kenntnisse zu sammeln, die sie bedürfen, um sich in

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XLIX.

dem praktischen Leben zurecht zu finden. Es kann ja sein, dass die obligatorischen Fortbildungsschulen sich in anderen Städten ganz gut bewährt haben, aber man kann von ihnen nicht erwarten, dass sie die Jugend zu selbstständig denkenden und handelnden Menschen erziehen sollen. "Wenn Sie die Jugend bis zum 14. Jahre in die Volksschule, vom 14. bis zum 18. Jahre in die Fortbildungsschule und dann noch auf zwei oder drei Jahre in die Armee bringen, so weiss ich nicht, wann der selbstständige "Wille und Charakter sich bilden sollen. Die Schattenseite der obligatorischen Fortbildungsschule ist die Unselbstständigkeit, und je weniger wir die Selbstständigkeit und den selbstständigen "Willen pflegen, desto mehr überantworten wir das heranwachsende Geschlecht denen, welche die bestehende Gesellschaftsordnung bekämpfen. Herr F e l i s c h : Seit dem Erlass der Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund von 1869 giebt es im Handwerk keine eigentlichen Meister mehr, sondern nur noch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Meister war früher der Vater nicht nur für seine Familie, sondern auch f ü r den Kreis seiner jugendlichen Arbeiter. Seitdem dies anders geworden ist, ist in der That eine grosse Menge von Zucht und Ordnung aus dem Handwerk und der Industrie geschwunden. Ich glaube, dass man durch die obligatorische Fortbildungsschule einen ganzen Theil davon der Jugend zurückbringen kann. Herr Stadtrath Bertram irrt, wenn er glaubt, dass durch den Zwang, 0 Stunden wöchentlich vom 14. bis 18. Jahre zu zeichnen, deutsch zu schreiben und zu rechnen, die Bildung des Charakters behindert werde. Die Schule soll dem jungen Menschen einen sittlichen Halt in den gefährlichsten Jahren seiner Entwicklung gewähren, die Bildung seines Charakters und seines sittlichen "Willens unterstützen. Er hat übersehen, dass viele Tausende nicht in die Schule des Militärdienstes gelangen. Ich bin in der Ueberzeuguim' von der Xotlnvendigkeit der obligatorischen gewerblichen Fortbildungsschule durch die Ausführungen der Denkschrift und die Erklärung des Herrn Referenten, der mit Recht die langsamen Fortschritte des Fortbildungsschulwesens bedauert hat, bestärkt worden. Es ist doch sehr zu bedauern, dass uur 120000 junge Leute von 400000 Fortbildungsschulen besuchen. Aber ich halte es nicht f ü r schwierig, den Zwang durchzuführen und auch die dazu nöthigen Geldmittel sind von den Kommunen, dem Staate, den Gewerbetreibenden und den Innungen zu erlangen. Durch ein ¡Gesetz dürfte nicht zu bestimmen sein, dass die obligatorische Fortbildungsschule auf e i n m a l in ganz Preussen eingerichtet werden solle. Man muss damit in den einzelnen grossen Städten anfangen und nach und nach weiter gehen. Unsere Bevölkerung wird sich an den Zwang gewöhnen und sich von seiner Unentbelirlichkeit für die gewerbliche Erziehung unseres Volkes und die sittliche Erziehung des Gewerbestandes überzeugen. Ich bitte Sie, den Antrag von Schenckendorff anzunehmen. Herr Freiherr von H e e r e m a n : Auch ich bin der Ansicht, dass wir dasFortbildungsschulwesen fördern müssen und bin gern bereit, dem Antrag'.1 des Herrn von Schenckendorff zuzustimmen. Ich halte es f ü r ein Glück, dass die jungen Leute Gelegenheit zur Ausbildung finden. In dieser Beziehung lege ich grossen "Werth auf die Entwickelung des Fortbildungsschulwesens. Manches von d' in aber, was ich heute hier gehört habe, hat mich geradezu entsetzt. "Wenn Sie glauben, dass die ganze Erziehung der jungen Leute durch die Fortbildungsschule bewirkt werden soll, und dass diese Schule an die Stelle der natürlichen Faktoren der Erziehung treten soll, so ist das ein grosser Irrthum. Die Erziehung ist nothwendig, aber man muss die natürlichen Kräfte dazu nehmen, das sind die Eltern: der Staat kann sie nicht übernehmen. Sind die Eltern nicht da, so treten die Meister und Vorgesetzten der Kinder an ihre Stelle, sie müssen auch verpflichtet sein, die jungen Leute in die Fortbildungsschule zu schicken. Aber glauben Sie doch nicht,, meine Herren, dass die jungen Leute durch einige Stunden Fortbildungsschulunterricht in einen anderen geistigen Zustand gebracht werden können. Das kann nur auf religiöser Grundlage und nicht durch den Staat oder die Fortbildungsschule geschehen. Jetzt will man noch Gottesdienst in den Fortbildungsschulen einrichten. Für die Katholiken ist der Besuch des Gottesdienstes eine Pflicht und dieser wirkt auf sie viel erziehlicher, als der Besuch einer Schule, in der man Rechnen und Sehreiben lernt. Die Einwirkung des Gottesdienstes kann nicht durch ein paar Stunden Unterricht, der überdies am Sonntag Morgen crtheilt wird, ersetzt werden. Mau soll auf den Gottesdienst nicht weniger V e r t h legen, als auf den Unterricht. Der Staat hat an sich nicht die Aufgabe, allen möglichen Zwang zu konstituiren. Ich gebe zu, dass f ü r die Erziehung ein gewisser Zwang nothwendig ist. Aber der S i m o n , Die Fachbildung des Preussischen Gewerbe- und Handelsstandes (Anlage).

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Zwang muss doch einmal aufhören, und er kann nur von den Elementen ausgeübt werden, welche die Familie darstellen. Ich halte es für einen Uebergriff des Staates, hier Zwang ausüben zu wollen. Es ist ja nicht abzusehen, was zu lernen dem Einen oder dem Anderen befohlen werden wird. Herr K a s e l o w s k y : Ich habe das "Wort nur zu meiner Rechtfertigung erbeten. Herr Dr. Langerhans, der leider jetzt nicht zugegen ist, hat mir vorgeworfen, dass ich über einen Gegenstand gesprochen habe, über den ich nicht genügend informirt wäre. Ich habe zwar nicht alle Ausstellungen von Schülerarbeiten aus den hiesigen Fortbildungsschulen besucht, aber doch genug, um den Unterricht beurtheilen zu können. Meine Aeusserungen stützen sich nicht allein auf meine eigenen "Wahrnehmungen, sondern auch auf Mitteilungen Anderer. Ich habe geäussert, dass ein zu grosser Werth auf das Schönzeichnen gelegt werde, dass „Bilder' angefertigt würden. Dieses Urtheil basirt auf Mittheilungen von Ingenieuren, die in den hiesigen Gewerbesälen unterrichten. Ich werde Herrn Dr. Langerhans direkt nähere Mittheilungen machen und ihm die Namen der Betreffenden und die Zeichnungen bezeichnen. Auch bin ich gern bereit, ihn in einen Gewerbesaal zu begleiten und ihn auf die Mängel aufmerksam zu machen. Da ich 35 Jahre in Berliner Fabriken thätig bin, so weiss ich, was der Maschinenbau braucht. Die Fortbildungsschulen sollen die früher erworbenen Kenntnisse befestigen und ergänzen und die jungen Leute zu tüchtigen Arbeitern, aber nicht zu Ingenieuren ausbilden. Eisenbahndirektor G a r b e äussert sich anerkennend über die Berliner Fortbildungsschulen und theilt die von ihm mit den Lehrlingen der von ihm geleiteten Eisenbahnbetriebswerkstätte gemachten Erfahrungen mit. Es gelinge ihm, sie nicht allein zum regelmässigen Besuch des Fortbildungsschulunterrichts, sondern auch des Gottesdienstes und des Jünglingsvereins an den Sonntagen zu bestimmen. Die Berliner Fortbildungsschulen könnten durch die Einfühlung des Schulzwanges nicht verlieren, da dieser ohne Einfluss auf die Eintheilung der Klassen, die Ausdehnug des Unterrichts und die Fortsetzung des Unterrichts für alle, die ihn, ohne verpflichtet zu sein, weiter besuchen wollten, sein werde und müsse. Er empfiehlt die obligatorische Fortbildungsschule für alle noch nicht 18 Jahre alten Personen, auch f ü r die dem Gewerbestande nicht angehörenden. Oberbürgermeister B e c k e r ist der Ansicht, dass der Zwang nur das alleräusserste Mittel sein kann, wenn andere Mittel nicht verschlügen. Der Beweis seiner Unentbehrlichkeit sei nicht erbracht. Das Fortbildungsschulwesen sei noch zu wenig entwickelt. Es fehle an Lehrern, an Inspektoren, an Lehrpläuen und besonders am Gelde, und deshalb sei die Entwickelung so wenig vorwärts gegangen. Da dürfe man nicht auf einmal die Schülerzahl verdreifachen oder vervierfachen und müsse sich auf die Annahme des Schenckendorff'schen Antrags beschränken. Herr v o n S c h e n c k e n d o r f f bemerkt noch, Herr Direktor Garbe habe ihm aus der Seele gesprochen. Sie scheide nur die verschiedene Auffassung der praktischen Lage der Dinge. Er habe seinen Antrag allgemein gehalten, weil gegenwärtig nur eine Anregung gegeben werden könne. Er werde gegen Herrn Garbe stimmen, weil er besonders nach den Erklärungen des Herrn Ministers es nicht f ü r zeitgemäss halte, einen solchen Antrag zu unterstützen. Früher habe er auch auf dem Standpunkte des Herrn Dr. Bertram gestanden. Die Denkschrift weise nach, dass der Besuch der Freiwilligen im Allgemeinen zurückgehe. "Wenn das in Berlin anders gewesen sei, so sei damit noch lange nicht die Entbehrlichkeit des Zwanges bewiesen. Niemand habe etwas dagegen zu erinnern, dass der Besuch der höheren und besseren gewerblichen Schule von dem der obligatorischen Fortbildungsschule befreie. Herrn Freiherrn von Heereman erwidere er, dass auch er nicht alles Heil von der Fortbildungsschule erwarte. Die anderen Faktoren sollten gegen sie nicht zurücktreten, weder die Eltern noch der Meister oder der religiöse Einfluss. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r lässt, da sich Niemand mehr zum "Worte gemeldet hat, zuerst über den A n t r a g G a r b e abstimmen. Der Antrag wird mit allen Stimmen gegen eine abgelehnt. Der A n t r a g von S c h e n c k e n d o r f f wird dann einstimmig angenommen. Der Herr H a n d e l s m i n i s t e r : Als ich im Sommer 1891 die Ehre hatte, die Sitzung der ständigen Kommission für das technische Unterrichtswesen zu schliessen,

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sprach ich. die Hoffnung aus, dass bald Anlass sein verde, Sie wieder zu berufen. Dies ist allerdings unterblieben, und zwar deshalb, weil wesentliche Aenderungen in der Entwickelung des Fortbildungs- und Fachschulwesens nicht eingetreten waren. Zum Abweichen von den Wegen und Zielen der weiteren Entwickelung des gewerblichen Unterrichts, über die wir uns verständigt hatten, fand sich kein Anlass und fehlte es um so mehr an Stoff f ü r Ihre Berathungen, als auch die zur Verfügung stehenden Geldmittel nicht wesentlich vermehrt werden konnten. Da die Finanzlage jetzt die raschere Entwickelung der Schulen gestattet und beabsichtigt wird, die "Webeschulen wesentlich umzugestalten, so war Grund zur Versammlung der Kommission vorhanden. "Wenn ich Ihnen auch heute den Zeitpunkt nicht sagen kann, wie bald Ihre gütige Mitwirkung- wieder in Anspruch genommen werden wird, so dürfen Sie doch versichert sein, dass es geschehen wird, sobald eine erhebliche Aenderung geplant wird. Ich halte es f ü r besser, die Kommission immer dann zu versammeln, wenn eine Frage von prinzipieller Bedeutung zu entscheiden ist, würde aber auch einem Antrage, regelmässig, vielleicht alle 2 Jahre eine Sitzung abzuhalten, nicht entgegen sein. Alljährlich eine Sitzung zu veranstalten, scheint mir nicht zweckmässig zu sein. Ich danke Ihnen, meine Herren, für das Interesse, mit dem Sie auch diesmal an der Berathung Theil genommen haben. Herr Oberbürgermeister B e c k e r : Ich glaube im Namen der ganzen Versammlung zu sprechen, wenn ich Sr. Excellenz, dem Herrn Minister, der trotz schwerer persönlicher Sorge heute erschienen ist und die Verhandlungen so umsichtig geleitet hat, deu Dank der Kommission ausspreche (Allgemeine Zustimmung.) Die Sitzung wird um 6 1 /, Uhr Abends aufgehoben.

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Verhandlungen über

das kaufmännische Unte rrichtswesen in Preussen am 31. Januar und 1. Februar 1898. *) Verfasst im Ministerium für Handel und Gewerbe nach kurzschriftlichen Aufzeichnungen.

Tagesordnung für

die Berathangen über das kaufmännische Unterrichtswesen am 31. Januar und 1. Februar 1898. I. E i n t h e i l u n g u n d B e z e i c h n u n g d e r k a u f m ä n n i s c h e n U n t e r r i c h t s anstalten.. (Fortbildungsschulen, Handelsschulen, höhere Handelsschulen, Handelshochschulen.) II. K a u f m ä n n i s c h e F o r t b i l d u n g s s c h u l e n . 1. Feststellung der Orte, in denen die Errichtung kaufmännischer Fortbildungsschulen als selbstständiger Anstalten oder im Anschluss an bestehende andere Schulen anzustreben ist. 2. Träger der Schulen (Kommunen, Handelskammern, freie kaufmännische Vereinigungen u. s. w.). 3. Zusammensetzung und Befugnisse der Sclmlvorstände (Kuratorien). 4. Lehr- und Stundenvertheilungspliine, obligatorische und fakultative Lehrfächer, Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden, Aufnahmebedingungen, Beginn und Ende der Schulpflicht; Entlassungsprüfungen; Zeugnisse. 5. Unterrichtszeit. 6. Beaufsichtigung der Schulen; Anstellung von Gewerbeschulräthen. 7. Zusammensetzung und Ausbildung des Lehrpersonals. 8. Aufbringung der zur Einrichtung und Unterhaltung der Schulen erforderlichen Geldmittel (Schulgeld, Leistungen und Zuschüsse der kommunalen und kaufmännischen Korporationen und des Staates). i n . H a n d e l s s c h u l e n und höhere Handelsschulen. Bezüglich der Begründung und Einrichtung dieser Anstalten kommen dieselben Fragen wie bei den kaufmännischen Fortbildungsschulen zur Erörterung. IV. H a n d e l s h o c h s c h u l e n . 1. Sind in Preussen neben den höheren Handelsschulen noch Handelshochschulen oder besondere Einrichtungen an vorhandenen Hochschulen (an Universitäten, Polytechniken) zur Ausbildung des Kaufmannsstandes erforderlich, und wie müssten diese beschaffen sein? (Lehrdisciplinen, Dauer des Studiums, Zulassungsbedinguugen f ü r ordentliche und ausserordentliche Hörer u. s. w.:). ') Den Verhandlungen lag zu Grande eine ..Uebersicht über die kaufmännischen Unterrichtsanstalten in Preussen. Nach dem Stande vom Dezember 1897 aufgestellt im Königl. Preuss. Ministerium f. Handel u. Gewerbe."

Anlage II.

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2. Wie hoch, sind die einmaligen und laufenden Kosten solcher Einrichtungen zu schätzen, und wie sind sie aufzubringen? 3. "Welche Städte wären f ü r die Begründung von Handelshochschuleinrichtungen nach ihrer Grösse, Lage, Bedeutung für Handel und Industrie und ihren sonstigen Verhältnissen geeignet?

Theilnehmer an den Berathungen Uber das kaufmännische Untcrrichtswesen am 31. Januar und 1. Februar 1898.

I. V e r t r e t e r v o n S t ä d t e n : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Altona: Berlin: „ Breslau: Cöln: Danzig: Frankfurt a. M.: Hannover: Königsberg: Magdeburg:

Oberbürgermeister Dr. G i e s e . Geheimer Regierungsrath, Professor Dr. B e r t r a m , Stadtrath Dr. W e i g e r t . Oberbürgermeister B e n d e r , „ Becker, „ Delbrück, „ Adickes, Stadtdirektor T r a m m , Bürgermeister B r i n k m a n n , Oberbürgermeister S c h n e i d e r .

II. V e r t r e t e r d e s H a n d e l s - u n d G e w e r b e s t a n d e s : 11. Aachen: 12. Altona: 13. Berlin: 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.

Kommerzienrath D e l i u s , Fabrikbesitzer M e n c k , die Aoltosten der Kaufmannschaft, Generaldirektor G o l d schmidt, ,, der Verein Berliner Kaufleute, Geheimer Kommerzienrath Goldbcrger, „ der Vorsitzende des Deutschen Handelstages, Geheimer Kommerzienrath F r e n t z e l , Breslau: Handelsrichter Dr. M u g d a n , Cöln: Geheimer Kommerzienrath M i c h e l s , Danzig: Kommerzienrath D a m m e . Frankfurt a. M.: „ Xeufville. Halberstadt: ,, Allendorf, Hannover: „ v. C ö l l n , Königsberg: Kommerziell- und Admiralitätsrath E i t z h a u p t , Krefeld: Kommerzienrath S e y f f a r d t , Magdeburg: „ Hubbe, Stettin: Stadtrath Dr. D o h m , Generalsekretär des Deutschen Handelstages, Dr. S o e t b e e r in Berlin, Generalsekretär S t u m p f in Osnabrück, Handelskammersekretär Dr. L e h m a n n in Aachen, ,, Dr. V o e l c k e r in Oppeln, z. Z. Berlin, Reichsamt des Innern. III. L e i t e r v o n k a u f m ä n n i s c h e n U n t e r r i c h t s a n s t a l t e n :

30. Leiter der kaufmännischen Fortbildungsschule in Berlin, Dr. E n g e l m a n n , 31. „ „ „ ,, ,, Bielefeld, Direktor der höheren Mädchenschule Dr. G e r t h . 32. Direktor der Handelsschule in Cöln, Professor Dr. T h o m t ' . 33. Leiter der kaufmännischen Fortbildungsschule in Dortmund, Realgymnasialdirektor Dr. A u l e r , 34. Direktor der "Wohlerschule in Frankfurt a. M., Dr. Z i e h e n ,

Anlage ü .

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35. Leiter der kaufmännischen Fortbildungsschule in Halberstadt, E b e l i n g , 36. „ „ „ „ „ Koblenz, Dr. Z i m m e r m a n n , 37. „ „ „ „ „ Krefeld, Dr. S c h u m a c h e r . 1?. ? e r t r e t e r von H o c h s c h u l e n : 38. Professor v a n d e r B o r g h t in Aachen, 39. „ Dr. E h r e n b e r g in Göttingen. V. K o m m i s s a r e d e s H e r r n

Finanzministers:

40. "Wirklicher Geheimer Oberfinanzrath G r a n d k e , 41. Geheimer Finanzrath L e i p o l d t . VI. K o m m i s s a r e d e s H e r r n M i n i s t e r s d e r g e i s t l i c h e n u. s. w. Angelegenheiten: 42. Geheimer Oberregierungsrath Dr. W e h r e n p f e n n i g , 43. „ ,, Dr. K ö p k e , 44. „ Regierungsrath Dr. E l s t e r . 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51.

VII. Vom M i n i s t e r i u m f ü r H a n d e l u n d G e w e r b e : Seine Excellenz der Herr Staatsminister B r e f e l d , Unterstaatssekretär L o l i m a n n , Ministerialdirektor H o o t e r , "Wirklicher Geheimer Oberregierungsrath L u d e r s , Geheimer Regierungsrath S i m o n , Oberlehrer Dr. V e l d e , Regierungsassessor Dr. v. S e e f e l d .

Auf Einladung des Ministers für Handel und Gewerbe hatten sich die in dem vorstehenden Verzeichnisse aufgeführten Herren in Berlin eingefunden, um über das kaufmännische Unterrichtswesen zu beratlien. Der Minister eröffnete die Sitzung, indem er die Erschienenen begrüsste und auf die hohe Bedeutung des kaufmännischen Unterrichtswesens hinwies. Wenn auch in letzter Zeit f ü r das gewerbliche Schulwesen in Preussen viel geschehen sei, so habe doch f ü r die Ausbildung des k a u f m ä n n i s c h e n Nachwuchses noch nicht in hinreichender "Weise gesorgt werden können. Diese Lücke so bald wie möglich auszufüllen, sei aber um so nothwendiger, als die Aufgaben, die der Kaufmannsstand zu erfüllen habe, infolge der raschen Entwickelung von Handel und Verkehr in den letzten Jahren bedeutend gewachsen seien. Vor allen Dingen komme es darauf an, einen festen Plan zur Ausgestaltung des kaufmännischen Unterrichtswesens zu gewinnen; er habe es deshalb für nöthig erachtet, Vertreter von Handel und Gewerbe und grösserer kommunaler Körperschaften, ferner Leiter von Handclslehranstalten und andere sachverständige Herren zu einer Besprechung einzuladen, um die bisher gesammelten Erfahrungen auszutauschen und sich über die künftig zu befolgenden Grundsätze zu verständigen. Den Berathungen solle die in den Händen der Herren befindliche Tagesordnung zu Grande gelegt werden (abgedruckt Seite 3).') Bezüglich des Punktes I dieser Tagesordnung sei zu bemerken, dass eine vorgängige allgemeine Erörterung nicht beabsichtigt sei, die Teilnehmer würden vielmehr bei Punkt II. I H und IV der Tagesordnung Gelegenheit haben, auch allgemeine Fragen zu erörtern. Der Geheimrath S i m o n würde, bevor in die Besprechung der einzelnen Punkte eingetreten werde, einen einleitenden Bericht erstatten. Geheimer Regierungsrath S i m o n : Man kann die vorhandenen kaufmännischen Unterrichtsanstalten in drei Gruppen theilen, nämlich in 1. Kaufmännische Fortbildungsschulen, 2. Handelsschulen, 3. Höhere Handelsschulen. Zu den kaufmännischen Fortbildungsschulen rechnen wir a l l e Anstalten, die für b e r e i t s im G e s c h ä f t t h ä t i g e junge Leute bestimmt sind und in denen daher nur, soweit es die Geschäftszeit gestattet, also in wenigen Stunden der Woche, >) Siehe oben S. L H u. L E I .

Anlage II.

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unterrichtet wird. Handelsschulen und höhere Handelsschulen dienen zur Ausbildung solcher jungen Leute, die n o c h n i c h t in e i n G e s c h ä f t e i n g e t r e t e n s i n d , sondern sich zunächst die für den kaufmännischen Beruf erforderlichen Fachkenntnisse aneignen und ihre g a n z e Z e i t dieser Aufgabe widmen wollen. Während die Handelsschule mit der Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst abschliesst, nehmen die höheren Handelsschulen nur solche Schüler auf, die diese Berechtigung bereits erlangt haben. Eine vierte Gattung kaufmännischer Bildungsanstalten sind die Handelshochschulen. Diese giebt es in Deutschland bis jetzt noch nicht; der erste Versuch soll demnächst in Leipzig gemacht werden, jedoch sind auch in Preussen mehrfach Bestrebungen auf Gründung solcher Anstalten hervorgetreten, daher werden auch sie in den Bereich der Erörterungen zu ziehen sein. Nach diesen Grundsätzen sind die Tagesordnung und die Uebersicht aufgestellt worden. Aus der letzteren ist zu ersehen, dass wir zur Zeit 186 Schulen mit 14 935 Schülern und 591 Schülerinnen haben. Am besten vertreten ist Schlesien, wo der Regierungsbezirk Oppeln, in dem sich die Handelskammer um die Förderung des kaufmännischen Fortbildungsschulwesens sehr verdient gemacht hat, allein 28 Schulen besitzt. Im übrigen Preussen ragt allein der Regierungsbezirk Magdeburg mit 14 Schulen hervor, wo die Handelskammer in Ilalberstadt eine rege Thätigkeit entfaltet hat. Von Städten mir über 100 000 Einwohnern haben noch zwei keine selbständige kaufmännische Fortbildungsschule, nämlich Danzig und Charlottenburg; von Städten zwischen 50000 und 100 000 Einwohnern noch vier: Duisburg, München-Gladbach, Spandau und Münster, von denen mit 30 000 bis 50 000 Einwohnern acht: Bromberg, Mülheim a. d. Ruhr, Oberhausen, Remscheid, Rheydt, Solingen, Linden und Thorn, von solchen zwischen 12 000 bis 30000 Einwohnern 65 und von denen mit 10000 bis 12 000 Einwohnern 31. Im Ganzen haben demnach 110 Städte mit mehr als 10000 Einwohnern keine solche Anstalt. Wenn man davon ausgeht, dass an allen Orten, wo sicli die genügende Schülerzahl findet, auch eine kaufmännische Fortbildungsschule am l'latze ist, so wird mau unbedenklich sagen können, dass dies in allen Städten über 12 0O0 Einwohner zutreffen wird. Selbstverständlich wird auch in kleineren Stiidten, wo ein günstiger Boden f ü r solche Schulen vorhanden ist, deren Einrichtung anzustreben sein. Wo kaufmännische Fortbildungsschulen als selbstständige Anstalten nicht möglich sind, wird die Einrichtung von Kaufmannsklassen im Anschluss an die gewerblichen Fortbildungsschulen zu erwägen sein. Bei der sich hieran anschliessenden Erörterung ist Stadtrath Dr. W e i g e r t der Ansicht, dass es sich nicht empfehle, die Gründung kaufmännischer Fortbildungsschulen von dem Vorhandensein einer bestimmten Einwohnerzahl in einem Orte abhängig zu machen, vielmehr müsse lediglich das örtliche Bedürfnis« entscheiden. Auch sei es zweifelhaft, ob nicht besser die Kaufleute zusammen mit den Handwerkern in den vorhandenen gewerblichen Fortbildungsschulen unterrichtet würden. Das sei z. B. in Berlin geschehen, und man habe damit ganz gute Erfahrungen gemacht. Der Handwerker bedürfe heutzutage so ziemlich derselben Kenntnisse wie der Kaufmann. Auch in sozialer Beziehung sei es wünschenswerth, Handwerker und Kaufleute in gemeinsamen Unterriehtsaustalten zu vereinigen. Namentlich sei auch zu beachten, dass durch die Gründung besonderer kaufmännischer Fortbildungsschulen grosse Kosten entständen, die vermieden werden könnten, wenn die jungen Kaufleute der allgemeinen gewerblichen Fortbildungsschule zugewiesen würden. Professor Dr. v a n d e r B o r g h t befürwortet, auch in Städten von weniger als 12 000 Einwohnern kaufmännische Fortbildungsschulen zu errichten, wenn sich die nöthige Schülerzahl finde. Das Bediirfniss nach kaufmännischen Unterriehtsaustalten sei überall da als vorhanden anzuerkennen, wo Handel und Industrie entwickelt sind, auch nehme er wohl mit Recht an, dass der Geheimrath Simon, wenn er die Notwendigkeit, der Errichtung kaufmännischer Fortbildungsschulen in Städten von über 12 000 Einwohuern betont habe, damit nur eine allgemeine Richtschnur habe geben wollen. Dr. E n g e l m a n n tritt der Forderung des Stadtraths Dr. Weigert, von der Gründung selbstständiger kaufmännischer Fortbildungsschulen abzusehen, entgegen. Er will nur an solchen Orten Kaufleute und Handwerker in einer Schule vereinigt sehen, wo das nicht zu vermeiden ist. Es müsse das immer als ein Nothbehelf angesehen werden, zu dem man nur in ganz kleinen Orten greifen dürfe, wo die

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Aufbringung der Mittel besondere Schwierigkeiten verursache. Daher müsste auch in Städten mit unter 12 000 Einwohnern die Begründung s e l b s t ä n d i g e r Anstalten angestrebt werden. Generalsekretär S t u m p f tritt ebenfalls für die Errichtung selbständiger kaufmännischer Fortbildungsschulen ein und wünscht diese überall da gegründet zu sehen, wo mindestens 20 Schüler und die erforderlichen Lehrkräfte vorhanden sind. Für die Heranbildung der Lehrer durch besondere Ausbildungskurse müsse die Regierung sorgen. Direktor Dr. Z i m m e r m a n n hält ebenfalls eine Verbindung zwischen kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungsschulen für unerwünscht, da die Erfahrung lehre, dass darunter die Ausbildung der jungen Kaufleute leide. Einen geeigneten Maassstab bei Prüfung der Frage, wo kaufmännische Fortbildungsschulen bestehen könnten, bilde die Gewerbesteuer, von der auf die Zahl der in der Stadt vorhandenen Kaufmannslehrlinjre geschlossen werden könnte. Oberbürgermeister S c h n e i d e r hält die Gewerbesteuer für keinen geeigneten Maassstab. Er ist vielmehr der Ansicht, dass die Einwohnerzahl maassgebend sein müsse, und glaubt, dass in der vorgeschlagenen Zahl von 12 000 im Allgemeinen das Richtige getroffen sei. Im Uebrigen tritt auch er für eine gesonderte Ausbildung der Kaufleute ein, besonders dann, wenn es sich um die Ausbildung von jungen Leuten handelt, die in grösseren kaufmännischen Geschäften tliätig sind. Geheimer Regierungsriith S i m o n bemerkt, dassnacli den bisherigen Erfahrungen in Städten von 12 000 Einwohnern auf etwa 75 Schüler selbst da gerechnet werden könne, wo der Unterricht fakultativ sei. Diese Schülerzahl ermögliche einen wohlgeordneten, planmässigen Aufbau, deshalb habe er die erwähnte Einwohnerzahl vorgeschlagen, womit natürlich die Errichtung von Schulen auch in kleineren Orten nicht ausgeschlossen weiden solle, wenn die örtlichen Verhältnisse dies gestatten. Oberbürgermeister B e n d e r wünscht kaufmännische Fortbildungsschulen da errichtet zu sehen, wo geeignete Lehrer zur Verfügung ständen, da es hieran vielfach noch fehle, müsse für ihre Heranbildung Sorge getragen werden. Beim Unterricht in den Elementarfächern sei vielleicht eine Vereinigung von Kaufleuten und Handwerkern möglich. Der H a n d e l s m i n i s t e r : Wenn wir die Begründung von Fortbildungsschulen in Städten mit mindestens 12000 Einwohnern für nothwendig erklärt haben, so sind wir dabei davon ausgegangen, dass in diesen Orten die Möglichkeit für das Vorhandensein der nüthigen Schülerzahl mehr gegeben ist als bei einer geringeren Einwohnerzahl. Das ist die einzige Bedeutung dieser Zahl; ich möchte ihr nicht die Bedeutung beigemessen wissen, als ob es sich dabei um eine schematische Begrenzung handele. Der Gewerbeverwaltung würde es durchaus erwünscht sein, wenn auch aus kleineren Städten die Anregung zur Gründung von Fortbildungsschulen an sie herantrete. "Wo die Voraussetzungen für die Lebensfähigkeit solcher Anstalten vorliegen, sei die Staatsregierung stets bereit, ihre Gründung zu unterstützen. Geheimer Regierungsrath B e r t r a m empfiehlt, die jungen Leute nicht nach Berufsarten, sondern nach dem Grade ihrer Vorbildung zu trennen und daher solche Kaufmannslehrlinge, die nur die Volksschule besucht haben, der gewerblichen Fortbildungsschule zuzuweisen, diejenigen aber, die über grössere Vorkenntnisse verfügten, in den eigentlichen kaufmännischen Fachschulen unterrichten zu lassen. Auch wenn die jungen Kaufleute der gewerblichen Fortbildungsschule zugewiesen würden, stände ihnen die "Wahl frei, welche Kurse sie besuchen wollten. In Berlin hätten im Februar 1897 überhaupt 3540 Handelsbeflissene am gewerblichen Unterricht theilgenommen; davon seien 1S07 in die eigentliche kaufmännische Fortbildungsschule gegangen. "Wichtig sei es, dass kaufmännische Fortbildungsschulen überall da errichtet würden, wo dies von den Handelskammern und sonstigen kaufmännischen Korporationen für nothwendig gehalten werde. Geheimer Koimnerzienrath G o l d b e r g e r tritt dem Geheimen Regierungsrath Bertram darin bei, dass es eine Pflicht der Handelskammern und kaufmännischen Vereinigungen sei, die Xothwendigkeit der Errichtung besonderer kaufmännischer Fortbildungschulen zu prüfen und gegebenenfalls mit der Gründung solcher Anstalten vorzugehen. AVo es an solchen kaufmännischen Korporationen oder Vereinigungen fehle, müsse die Kommunalverwaltung sich der Angelegenheit annehmen. Dort, wo

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selbständige Anstalten nicht lebensfähig seien, müsse die Angliederung von kaufmännischen Fachklassen an die vorhandenen gewerblichen Fortbildungsschulen in Aussicht genommen werden. Oberbürgermeister D e l b r ü c k hebt hervor, dass in Danzig früher eine kaufmännische Fortbildungsschule bestanden habe, die aber später in der gewerblichen Fortbildungsschule aufgegangen sei. Im Uebrigen sei die Errichtung besonderer kaufmännischer Fortbildungsschulen für diejenigen Handelsbeflisseuen anzurathen, die über ein grösseres Maass von Kenntnissen verfügten, als die gewerbliche Fortbildungsschule im Allgemeinen voraussetze. "Was die Bestimmung der Orte betreffe, in denen das Bedürfniss nach einer besonderen kaufmännischen Fortbildungsschule zu bejahen sei, so könne zwar die Einwohnerzahl von 12000 als allgemeiner Maassstab gelten, doch solle man sich hüten, zu scheniatisiren. Man müsse stets die allgemeinen wirthschaftlichen Verhältnisse und die Zahl der vorhandenen Kaufmannslehrlinge ebenso wie das Vorhandensein geeigneter Lehrkräfte im Auge behalten. Handelsrichter Dr. M u g d a n führt an, dass in Breslau über 3000 Lehrlinge vorhanden seien, von denen etwa 1500 den Fortbildungsschulen zuzuweisen sein würden. Thatsächlich besuchten aber 10 Prozent vun diesen 1500 die vorhandenen Anstalten. "Wenn hier "Wandel geschaffen werden solle, so müsse nothwendig der Fortbildungsschulzwang eingeführt werden. Es sei zu wünschen, dass die Regierung nach dieser .Richtung ihren ganzen Einfluss auf die Kommunen und kaufmännischen Korporationen geltend mache. Im Uebrigen müsse darüber, ob der kaufmännische Unterricht in besonderen Anstalten oder in besonderen Klassen gewerblicher Fortbildungsschulen zu ertheilen sei, das örtliche Bedürfniss entscheiden. Bürgermeister B r i n k m a n n bringt zur Sprache, dass die jungen Leute, die sich dem Kauf man nsstande widmen, häufig nur ganz mangelhafte Vorkenntnisse besitzen, und dass die Lücken in ihrer Bildung sich auch noch zeigen, wenn sie Gehülfen oder selbständige Geschäftsherren geworden sind. Dies mache sich im kommunalen Leben oftmals unangenehm fühlbar. In Königsberg besuchten trotz der sehr grossen Zahl von Kaufleutcn nur etwa 40 Schüler die kaufmännische Fortbildungsschule. Die Frage, ob eine Trennung von kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungsschulen zweckmässig sei, hänge von der Schülerzahl ab. In grösseren Orten werde es jedenfalls nothwendig sein, selbständige Anstalten zu gründen. Ein Antrag auf Schluss der Erörterung über diesen Punkt wird angenommen. Der H a n d e l s m i n i s t e r bemerkt, dass nicht beabsichtigt sei, durch förmliche Beschlussfassungen die Tagesordnung zu erledigen, der Zweck der Besprechung sei nur der, die Staatsregierung über die in den betheiligten Kreisen herrschenden Ansichten zu unterrichten. Deshalb wolle er sich auch darauf beschränken, den Inhalt der Berathungen kurz zusammenzufassen. Im Allgemeinen sei man der Meinung gewesen, dass es nicht rathsam sei, die Errichtung kaufmännischer Fortbildungsschulen von dem Vorhandensein einer bestimmten Einwohnerzahl abhängig zu machen. Die Zahl von 12000 Einwohnern solle vielmehr nur einen ungefähren Maassstab abgeben, entscheidend müssten die örtlichen Verhältnisse sein; namentlich sei festzustellen, ob die nöthigo Schülerzahl und geeignete Lehrkräfte vorhanden seien. Ebenso müssten f ü r die Entscheidung der Frage, ob selbständige kaufmännische Fortbildungsschulen oder Kaufmannsklassen an vorhandenen gewerblichen Fortbildungsschulen einzurichten seien, die Umstände des einzelnen Falles maassgebend sein. Darauf ertheilt der Minister zu Punkt 2 und 3 der Tagesordnung das "Wort dem. Geheimen Regierungsrath S i m o n . Punkt 2 und 3 der Tagesordnung betreffen in der Hauptsache die ä u s s e r e O r g a n i s a t i o n der Schule: wer sie gründen, unterhalten und leiteu soll. Die vorhandenen kaufmännischen Fortbildungsschulen verdanken ihre Entstehung zumeist dem Vorgehen doiykaufmännischen Korporationen oder Vereine, nur in wenigen Fällen haben die städtischen Behörden die Gründung in die Hand genommen, aber sich hierbei der Mitwirkung kaufmännischer Verbände bedient. Dieser Zustand, wie er sich naturgemäss entwickelt hat, scheint mir auch der gesundeste zu sein. Es wird sich empfehlen, auch in Z u k u n f t keiner bestimmten Korporation die Aufgabe vorzubehalten, für die Gründung und Unterhaltung kaufmännischer Unterrichtsanstalten zu sorgen. Vielmehr werden die örtlichen Verhältnisse im Auge zu behalten seiu; man wird es stets begrüssen müssen, wenn irgend eine Stadt, Handelskammer oder ein kaufmännischer Verein in dieser Frage vorgeht. Neuerdings bietet das Handelskammergesetz in § 38 eine Handhabe, auf die

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Entstehung neuer Schulen hinzuwirken; es darf wohl erwartet werden, dass die Handelskammern von dieser ihnen hier ertheilten Befugniss Gebrauch machen und f ü r die Förderung des kaufmännischen Unterrichts in ihrem Bezirke rasch und nachdrücklich eintreten werden, sei es, dass sie auf die Kommunen oder örtlichen kaufmännischen Vereine einwirken, sei es, dass sie selbständig mit der Gründung von kaufmännischen Fortbildungsschulen vorgehen. Vorbildlich in dieser Beziehung ist namentlich die Handelskammer in Halberstadt geworden, die in verhältnissinässig kurzer Zeit eine grosse Zahl von Schulen auf recht gesunder Grundlage ins Leben gerufen hat. Die Verwaltung der kaufmännischen Fortbildungsschulen im Einzelnen wird überall besonderen Schulkuratorien zu übertragen sein, in denen f ü r eine angemessene Vertretung aller Interessenten zu sorgen ist; also der Handelskammer, der städtischen Behörden, namentlich dann, wenn diese sich in erheblichem Umfange finanziell an der Einrichtung und Unterhaltung der Anstalten betheiligen, des örtlichen Kaufmannstandes und schliesslich des Leiters, der über den inneren Betrieb der Schule wohl am eingehendsten unterrichtet und die Wirkung etwa beabsichtigter Maassnahmen auf den Betrieb und die Entwickelung der Anstalt am besten zu übersehen in der Lage ist. Zu den Befugnissen der Schulvorstände würde ich rechnen die Feststellung der Lehr- und Stundenpläne, der Schulordnung, die Bestimmungen über die Befreiung vom Schulgeld, die Annahme und Entlassung von Lehrkräften, die Veranstaltung von Prüfungen, die Abnahme der Schulrechnungen und den Entwurf des Schuletats. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass die H a u p t g r u n d s ä t z e f ü r die Einrichtung und Verwaltung der Schulen, f ü r die Lehr- und Stundenpläne u. dergl. durch den Herrn Minister generell geregelt werden, und dass für deren strenge Befolgung im Einzelfalle durch eine staatliche technische Beaufsichtigung gesorgt wird. Direktor Dr. G e r t h glaubt, dass die Leitung kaufmännischer Fortbildungsschulen den Gemeinden übertragen werden müsse, da bei diesen eine grössere Gewähr für einen geordneten Betrieb zu finden sei, als bei den Handelskammern. Den letzteren könnten Einrichtung und Verwaltung der Handelsschulen vorbehalten bleiben. Oberbürgermeister G i e s e schlägt vor, die Berathungen zugleich auch auf Punkt 8 der Tagesordnung auszudehnen, und bittet mitzutheilen, in welchem Unifange die Staatsregierung zur Einrichtung und Unterhaltung der kaufmännischen Fortbildungsschulen beizutragen bereit sei. Da sich hiergegen ein "Widerspruch nicht erhebt, ertheilt der Minister zur Beantwortung der Frage das "Wort dem Geheimen Regierungsrath S i m o n . Bisher ist von der Staatsregierung in der Kegel verlangt worden, dass die Kosten der Beschaffung der Schulräume, ihrer Unterhaltung und, wenn nicht besondere Umstände etwas Anderes rechtfertigen, auch die der Heizung und Beleuchtung vorweg von den Betheiligten getragen werden. Ausserdem müssen sie noch einen angemessenen Baarzuschuss zu den durch die eigenen Einnahmen nicht gedeckten Kosten übernehmen. Die Höhe des Staatszuschusses richtet sich in erster Linie nach der Leistungsfähigkeit der Interessenten, demnächst kommt auch in Betracht, welchc Bedeutung die Staatsregierung der Errichtung der Schule im einzelnen Falle beimisst. Die Zuschüsse sind bis zur Höhe von 5/:i der laufenden Unterhaltungskosten gewährt worden, soweit diese nicht nach dem vorhin Gesagten von den Betheiligten vorab zu übernehmen sind; ausserdem hat in der letzten Zeit der Staat im Bedarfsfalle die erstmalige Beschaffung der Lehrmittel, unter Umständen auch die gesammten erstmaligen Einrichtungskosten vorweg übernommen. Diese Grundsätze dürften auch in Zukunft vorerst maassgebend bleiben. Kommerzienvath A l l e n d o r f tritt den Ausführungen cles Dr. Gerth entgegen und fordert dringend, dass die Einrichtung und Ueberwachung der kaufmännischen Fortbildungsschulen durch die Handelskammer und kaufmännischen Korporationen erfolge, denn nur dann sei eine Gewähr dafür geboten, dass Schulen geschaffen würden, die den Bedürfnissen des Kaufmannsstandes thatsächlich gerecht werden. "Wenn die Städte die Anstalten gründeten und leiteten, so liege die Gefahr nahe, dass die eigentliche Fachbildung zu Gunsten der sogenannten allgemeinen Bildung zu kurz komme. Es hänge da Alles von der Einsicht des betreffenden Stadtraths ab, und die Kegel sei wohl, dass dieser über das Fortbildungsbediirfniss der jungen Kaufleute nicht genügend unterrichtet sei. Der Bürgermeister selbst könne sich, da er mit anderen Dingen reichlich zu thun habe, um die Gestaltung der kauf-

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männischen Fortbildungsschulen weniger kümmern. Auch habe Redner leider die Erfahrung machen müssen, dass die städtischen Behörden vielfach die "Wichtigkeit des kaufmännischen Unterrichts nicht genügend zu würdigen verständen, was z. B. daraus hervorgehe, dass sich manche Gemeinden im Handelskammerbezirke Halberstadt erst nach vielem Drängen der Handelskammer hätten bereit finden lassen, den Schulbesuch durch Ortsstatut obligatorisch zu machen, obwohl innerhalb des Handelskammerbezirks allseitiges Einverständnis« darüber herrsche, dass Schulen, deren Besuch nicht obligatorisch sei, auf die Dauer nicht lebensfähig bleiben könnten. Im Schulvorstande niüsste natürlich neben einem Mitgliede der Handelskammer, einem Mitgliede des örtlichen kaufmännischen "Vereins und dem Leiter der Schule auch der Magistrat durch ein Mitglied vertreten sein. Durch eine derartige Betheiligung aller Interessenten werde eine gesunde Forteutwickelung der einzelnen Anstalten gefördert. Den Vorständen der einzelnen Schulen sei, soweit es die Gesammtorganisation zulasse, freie Hand zu lassen. Die Verwaltung der Schulen im Handelskammerbezirk Halberstadt liege einem von dieser gebildeten besonderen Schulausschusse ob, der periodisch zusammentrete und mit den Schulvorständen in den einzelnen Städten in steter Fühlung bleibe. Die Aufbringung clor Unterhaltungskosten sei bei den Schulen seines Bezirks meistens so geregelt, dass '/ 3 der Staat, 1 / 3 die Gemeinde und 1 / 3 die Handelskammer übernommen habe. Oberbürgermeister D e l b r ü c k schliosst sich der Ansicht des Geheimen Begierungraths Simon an und empfiehlt auch seinerseits, der Entwickelung des kaufmännischen Unterrichts möglichst freien Spielraum zu lassen nnd daher die Begründung von Fortbildungsschulen weder den Handelskammern und kaufmännischen Korporationen noch auch den Kommunen ausschliesslich zuzuweisen. Oberbürgermeister B e n d e r möchte als Kegel hingestellt wissen, dass man die kaufmännischen Fortbildungsschulen den Gemeinden unterstelle. "Wenn die letzteren sich bisher diesen Anstalten gegenüber etwas kühl verhalten hätten, so habe dies darin seinen Grund gehabt, dass man sich nicht klar darüber gewesen sei, ob der kaufmännische Fortbildungsschulunterricht ein öffentliches Interesse beanspruche. "Wenn durch Anstellung tüchtiger Lehrer und durch eine fachliche Aufsicht des Staates den Städten dafür Gewähr geleistet würde, dass das Geld, welches sie für diesen Zweck hergeben, gut angelegt sei, dann würden sie auch gern geneigt sein, mehr Opfer als bisher zu bringen. Es sei gar nicht schwor, f ü r eine Schulform, die dem besseren Mittelstande diene und Vertrauen geniesse. städtische Mittel flüssig zu machen. "Wenn die Handelskammern Gelder zur Unterhaltung der Schulen bewilligten, so müsse man selbstverständlich auch ihnen einen angemessenen Einfluss bei der Verwaltung einräumen, denn sonst würden sie sich sehr bald zurückziehen und das nöthige Interesse verlieren. "Wenn er auch den "Wunsch habe, dass dem Schulvorstande möglichste Freiheit gelassen werde, so müsse dieser doch derjenigen Instanz, die das Geld f ü r die Unterhaltung der Anstalt hergebe, in allen wichtigen Dingen, so namentlich auch bezüglich der Annahme der Leiter und Lehrer, untergeordnet bleiben. Oberbürgermeister B e c k e r ist ebenfalls der Meinung, dass die Gemeinden auf die Dauer wohl die regelmässigen Träger der Schule sein werden; so lange aber das vorhandene Bediirfniss so wenig befriedigt sei wie jetzt, würde es ein Fehler sein, den beiden anderen Organen, den Handelskammern und den kaufmännischen Vereinen, die Befugniss zu versagen, auch ihrerseits solche Schulen ins Lebeu zu rufen. Li Cöln habe zunächst ein kaufmännischer Verein eine Fortbildungsschule gegründet, die später die Stadt übernommen habe, und das scheine ihm der richtige Weg zu sein. Xichts einzuwenden habe er dagegen, dass die Schulvorstände aus allen betheiligten Faktoren zusammengesetzt würden. "Was die Aufbringung der Kosten anlange, so sei nicht abzusehen, warum die kaufmännische Fortbildungsschule anders als die übrigen gewerblichen Unterrichtsanstalten behandelt werden solle, die geringe Zahl der zur Zeit bestehenden kaufmännischen Fortbildungsschulen sei sicherlich dem Unistande zuzuschreiben, dass die Staatsregierung zu wenig Zuschüsse dafür hergegeben habe. Kommerzienrath v. C ö l l n tritt der Ansicht des Geheimraths Simon bei und empfiehlt ebenfalls, die Begründung und Unterhaltung der kaufmännischen Fortbildungsschulen je nach Lage der örtlichen Verhältnisse der Stadt, der Handelskammer oder kaufmännischen Vereinigungen zu überlassen. Die Hauptsache sei,

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möglichst rasch viele gute Schulen einzurichten. Der .Handelsstand habe dabei nur das Interesse, die Schulen zu nehmen, wo er sie bekommen könne. Der gleichen Ansicht ist auch der Handelsrichter Dr. M u g d a n . Realgymnasialdirektor Dr. A u l e r weist auf die Notwendigkeit hin, dass auch, die Leiter der Schulen dem Kuratorium angehören müssten, und bittet, bei Bemessung der Staatszuschüsse nicht zu karg zu sein, namentlich nicht auf eine Herabsetzung der persönlichen Ausgaben zu dringen, wenn es sich darum handele, tüchtige Lehrer f ü r den Unterricht zu gewinnen. Generaldirektor G o l d s c h m i d t glaubt zwar, dass die Handelskammer die Bedürfnissfrage am besten zu entscheiden vermöge, bittet aber, auch den Veranstaltungen anderer kaufmännischer Vereinigungen kein Hemmniss in den "Weg zu legen. Wenn auch die Handelskammern sich bis vor Kurzem der Frage des kaufmännischen Unterrichtswesens gegenüber abwartend verhalten hätten, so sei hierin doch jetzt ein "Wandel eingetreten; eine Reihe von Handelskammern gebe sich die grösste Mühe, das kaufmännische Fortbildungsschulwesen in ihren Bezirken weiter auszubilden. "Wichtig sei es aber, dass der Herr Handelsminister sobald als möglich allgemeine Grundsätze feststelle, nach denen die kaufmännischen Fortbildungsschulen in Preussen zu begründen, zu verwalten und zu beaufsichtigen seien. Dr. E n g e l m a n n tritt dafür ein, dass der Leiter der Schule im Schulvorstande nicht nur eine l>erathende, sondern auch eine beschliessende Stimme habe. Das sei nothwendig. um ihm eine gleichberechtige Stellung mit den anderen Mitgliedern des Kuratoriums zu geben und seinen Rathschlägen den nöthigen Nachdruck zu sichern. Da sich Niemand mehr zum "Worte gemeldet hat, schliesst der M i n i s t e r die Besprechung über diese Punkte der Tagesordnung, indem er feststellt, dass die Herren, die sich an der Debatte betheiligten, den Vorschlägen des Berichterstatters in der Hauptsache zugestimmt haben. Was die Frage betreffe, wie die durch eigene Einnahmen nicht gedeckten Unterhaltungskosten der Schulen aufzubringen seien, so müsse hierüber vor Eröffnung der Schule Entscheidung getroffen werden, und sei es Aufgabe der Staatsregierung, dafür zu sorgen, dass die Regelung der Billigkeit entspreche. Je nach Umständen würden sich die Gemeinden oder die Handelsorgane oder beide mit Beiträgen betheiligen müssen. Es sei selbstverständlich, dass diejenigen, die Opfer für die Schule brächten, auch im Schulvorstande vertreten sein müssten. Nach einer Pause übernimmt Ministerialdirektor H o e t e r in Vertretung des durch anderweitige Dienstgeschäfte verhinderten Handelsministers den Vorsitz und ertheilt das "Wort zu Punkt 4 und 5 der Tagesordnung dem Geheimen Regierungsrath S i m o n . Nach der gedruckten „Uebersicht" sind die Lehr- und Stundenvertheilungspläne der einzelnen kaufmännischen Fortbildungsschulen ausserordentlich verschieden, was sich sachlich kaum wird begründen lassen. Auffallend ist, dass die Schulen, je kleiner sie sind, in der Regel eine um so grössere Zahl von Unterriehtsgegenständen in den Lehrplan aufnehmen. Ich mache z. B. auf Neheim aufmerksam, wo sich in einer Klasse bei drei wöchentlichen Unterrichtsstunden acht Unterrichtsfächer finden. Aehnlich verhält es sich in Langcnbielau, Ohlau, Reichenbaeh, Marburg, Kolberg u. A. Die natürliche Folge ist, dass jedem Gegenstande nur ein geringer Zeitraum gewidmet werden kann, 1 /, und Stunden sind dabei nichts Seltenes, in Kolberg finden sich sogar 1 „ und 5 / l s Stunden. Das geht meiner Ansicht nach über die berechtigten Eigentümlichkeiten hinaus, da bei solchen Zerstückelungen ein erfolgreicher Unterricht nicht möglich ist. Man wird daher in dieser Beziehung allgemein bindende Normen aufstellen müssen, deren Festsetzung natürlich noch eingehender Erwägungen bedürfen wird. Im Allgemeinen scheint mir die Handelskammer in Halberstadt bei ihren Lehrplänen das Richtige getroffen zu haben. Die Durchführung des für gewerbliche Fortbildungsschulen vorgeschriebenen Stufensystems wird voraussichtlich auch bei kaufmännischen Fortbildungsschulen von Nutzen sein. Weiter bin ich der Ansicht, dass man mit allem Nachdruck auf die Einführung des obligatorischen Schulbesuchs wird dringen müssen, wenn auch noch nicht im Wege des Gesetzes, so doch auf dem des Ortsstatuts. Erfreulicherweise bricht sich auch immer mehr die Ueberzeugung Bahn, dass die obligatorische Fortbildungsschule vor der fakultativen eine grosse Zahl von Vorzügen

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hat, durch welche die nicht ganz zu verkennenden Nachtheile reichlich aufgewogen werden. So hat sich z. B. der Kaufmännische Verein in Breslau in seinem Jahresbericht 1896/97 für die Einführung von Zwangsunterricht ausgesprochen. Auch bei den im Juni v. Js. in Leipzig gepflogenen Verhandlungen des Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen wurde die Notwendigkeit des obligatorischen Schulbesuchs von den verschiedenen Seiten betont. Es ist dies auch erklärlich, wenn man z. B. findet, dass in einer Stadt wie Breslau nur 300 Schüler, in Königsberg gar nur 41 Schüler die kaufmännische Fortbildungsschule besuchen, während z. B. in Halberstadt, wo der Unterricht obligatorisch ist, die Anstalt 157 Schüler zählt. Es liegt der Staatsregierung überhaupt in Bezug auf die Erfolge oder richtiger Misserfolge des fakultativen Schulbesuchs ein ziemlich umfangreiches Material vor, mit dessen Vortrag ich Sie aber nicht aufhalten will. Nur einzelne charakteristische Zahlen führe ich an: So fand sich bei der ßevisiou einer fakultativen Fortbildungsschule, an der der Unterricht planmässig um 71/» Uhr beginnen sollte, um 7 U h r 50 Minuten folgende Klassenfrequenz: In Klasse P I waren 6 Schüler von 22 anwesend, in IIO 13 von 20, in I P I 16 von 33, in einer Parallelklasse I P I 9 von 38, in Klasse I I I 6 von 34, in I V 15 von 37. Nach Aussage des Leiters dieser A n stalt kann der Unterricht immer erst um 8 bis 8'/2 Uhr beginnen, und auch dann ist kaum mehr als die Hälfte der Schüler anwesend. In einer anderen Anstalt, in der'von 7 bis 9 Uhr unterrichtet wird, wurden um 7'/4 Uhr folgende Besuchsziffern in den einzelnen Klassen festgestellt: 10 Schüler von 26, 8 „ „ 25, 6 „ „ 24, 8 „ 22, 9 „ ,. 24,

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13 Schüler von 27, 18 „ „ 30, 5 ,, „ 19, 12 „ .. 21, 10 „ .. 17.

Noch von einer dritten Schule mag die Klassenfrequenz, die 10 Minuten nach Beginn des Unterrichts festgestellt wurde, angeführt werden. Es waren anwesend in den einzelnen Klassen t 4 Schüler von 19, 3 „ ., 31, 4 „ 21, 11 „ ,, 23, 3 „ „ 18,

17 Schüler von 23, 4 „ „ 18, 5 „ „ 20, 2 „ „ 23, 3 „ ., 21.

Welche Lehrfächer obligatorisch und welche fakultativ sein sollen, wird von den lokalen Verhältnissen abhängen. Unter allen Umständen dürfte obligatorisch zu machen sein: Deutsch, einschliesslich Schönschreiben untl kaufmännischer Korrespondenz, kaufmännisches Rechnen. Buchführung, Handels- und "Wechsellehrc. Zur einigermaassen gründlichen Durcharbeitung dieses Stoffes werden meiner Ansicht nach in der Regel sechs wöchentliche Unterrichtsstunden erforderlich sein. Schliesslich noch einige Worte in Bezug auf die Unterrichtszeit. Leider bildet bei den kaufmännischen Fortbildungsschulen ebenso wie bei den gewerblichen der Abendunterricht noch die Kegel. Nur in einzelnen seltenen Fällen wie z. B. in Coblenz, Nordhausen, Hameln, Hannover, Guben, Spremberg, Bielefeld findet der Unterricht am Tage statt. Mehrere Städte haben sich neuerdings entschlossen, wenigstens einen Theil des Unterrichts in die Tageszeit zu verlegen. Bei den unleugbaren Uebelständen, die der Abendunterricht zur Folge hat, wird er grundsätzlich zu verwerfen und mit allem Nachdruck der Tagesunterricht anzustreben sein, ich sehe nicht ein, warum das, was in den vorher von mir genannten Städten möglich ist, nicht auch in anderen durchführbar sein soll. Auch im Königreich Sachsen ist der Tagesunterricht vorherrschend. Ausschliesslich am Tage wird im Herzogthum Braunschweig unterrichtet. Mir scheint auch, dass bei k a u f m ä n n i s c h e n Fortbildungsschulen der Tagesunterricht leichter durchfuhrbar ist als bei den g e w e r b l i c h e n , da die Handlungslehrlinge in manchen Tagesstunden leichter als am Abend zu entbehren sind. Schliesslich möchte ich mich noch dafür aussprechen, dass regelmässige Prüfungen eingeführt werden, an denen sich auch der Schul verstand zu betheiligen hat. und dass sowohl während der Schulzeit als auch bei ihrer Beendigimg w a h r h e i t s g e t r e u e Zeugnisse ausgestellt werden. Professor Dr. van •der B o r g t rügt iiuch seinerseits das Bestreben kleiner Schulen, in möglichst vielen Fächern Unterricht zu ertheilon. Bei einer solchen

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Art von Betrieb könnten die Anstalten kaum noch irgend welchen Werth haben. Auch sei es nicht zu billigen, wenn in die Lehrpläne Unterrichtsgegenstände aufgenommen würden, die in die kaufmännischen Fortbildungsschulen nicht gehören, wie z. B. Volkswirtschaftslehre. Generaldirektor G o l d s c h m i d t schliesst sich den Ausführungen des Vorredners an und glaubt mit ihm, dass sich namentlich im Fortbildungsschulwesen in der Beschränkung erst der Meister zeige. Ausserdem tritt er f ü r den obligatorischen Unterricht und namentlich auch für die Verlegung des Unterrichts aus den Abendstunden in die Tageszeit ein. In Hamburg suchten sowohl die grossen wie die kleinen Kaufleute eine Ehre darin, ihre jungen Leute in die Fortbildungsschule zu schicken, so müsse es auch in Preussen sein. Schliesslich empfiehlt Redner, auch die russische Sprache als fakultativen Lehrgegenstand in den Lehrplan der Fortbildungsschulen mit aufzunehmen, was an die Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft gerichtete Eingaben zahlreicher Firmen gewünscht haben, da der geschäftliche Verkehr mit Russland unter dem Mangel der Kenntniss dieser Sprache sehr leide. Dr. E n g e l m a n n tritt ebenfalls f ü r die Aufstellung eines festeD Lehrplans ein und wünscht, dass in jeder kaufmännischen Fortbildungsschule unter allen Umständen Deutsch, Rechnen und Buchführung gelehrt und dass jedem dieser Unterrichtsfächer mindestens je zwei Stunden wöchentlich gewidmet werden; es sei das Mindeste, was verlangt werden müsse. W o Zeit und Mittel vorhanden seien, könnten dann auch noch Handelsgeographie, Französisch, Englisch und andere Fächer gelehrt werden. Ausserdem hält Redner zwar die obligatorische Fortbildungsschule sowie den Tngesunterricht f ü r wünschenswerth, fürchtet aber, dass sich dieses Ziel bei den grossen Geldmitteln, die zu seiner Erreichung erforderlich seien, und dem Widerspruch der Prinzipalität so bald nicht würde erreichen lassen. Oberbürgermeister B e c k e r betont, dass das kaufmännische Fortbildungsschulwesen noch sehr in den Kinderschuhen stecke; es fehle noch an rationellen Lehr- und Stundenplänen, an den nöthigen Lehrkräften und an dem vollen Verständniss der Prinzipale f ü r den Unterricht. Unter diesen Umständen dürfe es vorzuziehen sein, zunächst die bestehenden Schulen zweckmässig einzurichten, ehe man zum Zwang übergehe. Was die Unterrichtszeit anlange, so sei es ja zweifellos, dass der Tagesunterricht besser sei als der Abendunterricht, doch müsse man auch hier schrittweise vorwärts gehen. Im Uebrigen schliesst sich Redner den Vorschlägen des Berichterstatters an. Generalsekretär S t u m p f ist ebenfalls der Meinung, dass zunächst die vorhandenen Schulen ordnungsmässig auszubauen seien und* namentlich einen zweckentsprechenden Lehrplan erhalten müssten, ehe der Besuch obligatorisch gemacht werde. In jeder Schule müsse kaufmännisches Rechnen, Schönschreiben, Deutsch und Buchführung, vielleicht auch noch Stenographie gelehrt werden. Von Waareuund Handelskunde brauche der junge Kaufmann nicht mehr zu lernen, als sich mit diesen Fächern verbinden lasse. Ausserdem komme es darauf an, möglichst viele neue kaufmännische Fortbildungsschulen zu gründen, denn jeder junge Kaufmann bedürfe ihrer, sowohl derjenige, welcher mit der Bürgerschulbildung in die Lehre trete, als auch d e r , der das Einjährig-Freiwilligen- oder gar das Maturitätsexamen gemacht habe. Heute sei es f ü r den jungen Kaufmann viel schwieriger, sich die erforderlichen kaufmännischen Kenntnisse anzueignen, als vor etwa 40 Jahren, wo sich der Prinzipal noch selbst um die Fortbildung des jungen Mannes habe kümmern können. Was die Unterrichtszi'it betreffe, so habe man in Osnabrück mit dem Abendunterricht kerne ungünstigen Erfahrungen gemacht, wenn auch zugegeben werden müsse, dass der Tagesunterricht vorzuziehen sei. Direktor Dr. Z i m m e r m a n n tritt auch der Auffassung bei, dass man in den kaufmännischen Fortbildungsschulen zunächst nur solche Unterrichtsgegenstände berücksichtigen dürfe, die, wie kaufmännisches Rechnen, Buchführung, Schönschreiben, Kurzschrift, Handelskunde und AVechsellehre f ü r jeden Kaufmann unbedingt nüthig seien. In grösseren Städten könne man den Schulen grössere Ausdehnung geben. Es müsse indess stets daran festgehalten werden, dass jeder Schüler in jedem Lehrgegenstande mindestens zwei Stunden wöchentlich erhalte; zur Zeit sei die Anzahl d e r Lehrfächer vielfach noch zu gross. Mit dem stufenmässigen Aufbau der Schule sei er einverstanden, doch müsse von Fall zu Fall entschieden werden, wieviel Stufen an jeder Anstalt zu bilden seien. Bezüglich der Unterrichtszeit sei er unbedingt f ü r den Tagesunterricht, doch setze dieser auch die hauptamtliche und

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feste Anstellung von Lehrkräften voraus, die leider bisher nur in sehr geringem Maasse erfolgt sei. Geheimer Kommerzienrath G o l d b e r g e r findet den Grund der so geringen Zahl der kaufmännischen Fortbildungsschulen hauptsächlich darin, dass sich bisher die Städte dieser Anstalten nicht genügend angenommen, vielmehr das "Vorgehen in der Kegel den Handelskammern und kaufmännischen Korporationen, meistens den kaufmännischen freien Vereinigungen tiberlassen hätten. Diesen Körperschaften aber ständen nicht immer die nothwendigen Mittel zur A'erfügung, um Fortbildungsschulen zu begründen und auszubauen. Abgesehen von diesen finanziellen Schwierigkeiten, mit denen das kaufmännische Fortbildungsschuhvesen zu kämpfen gehabt habe, komme auch die Abneigung der Prinzipale in Betracht, die ihren Lehrlingen die Zeit zum Unterricht nicht gern frei geben wollen. So habe man in Berlin n u r die späten Abendstunden für den Fortbildungsschulunterricht zur Verfügung, und gerade in einer Stadt wie Berlin habe der Abendunterricht mehr Bedenken als in anderen Orten. Es würde schon mit Freuden zu begrüssen sein, wenn es gelänge, die Prinzipale zu bestimmen, dass sie ihre Angestellten um (3'/> U h r entliessen, dann konnte mit dem Unterricht wenigstens um 7 U h r begonnen werden. Er glaube, wenn der Herr Handelsminister an die Berliner Kaufmannschaft ein entsprechendes Ersuchen richte, würde das sicherlich von Erfolg sein. Auf die Dauer würde man allerdings den Schulzwang, bei dessen Festsetzung dann auch die Unterrichtszeit angemessen zu regeln sein werde, nicht vermeiden können; denn wenn das kaufmännische Fortbildungsschulwesen wirklich gedeihen solle, sei auch auf diesem Gebiete der Zwang nothwendig. Vorläufig möchte er indessen es der Erwägung der einzelnen Gemeinden überlassen wissen, ob der Schulzwang nach Lage der örtlichen Verhältnisse zweckmässig und durchführbar sei. Oberbürgermeister S c h n e i d e r : Soll die Fortbildungsschule dazu dienen, jedem Kaufmann das Mindestmaass von Kenntnissen, das er f ü r seinen Beruf gebraucht, zu vermitteln, so wird man ohne "Weiteres zugeben müssen, dass dann der Zwang gerechtfertigt ist. Mit dem fakultativen Unterricht ist nicht viel zu erreichen, das hat die bisherige Erfahrung gezeigt. Der Zwang ist besondere nothwendig in kleineren Gemeinden, in denen nur eine verhältnissmässig geringe Zahl von Kaufleuten vorhanden ist. Wenn liier ein Zwang ausgeübt wird, so kann bei etwa üO Lehrlingen eine gute und lebensfähige Schule mit etwa drei Stufen eingerichtet werden. Sieht man dagegen vom Zwang ab, so treten von den 60 Lehrlingen höchstens IS bis 20 ein, oder aber es kommt überhaupt keine Schule zu Stande. In grossen Städten hat gegenüber der grossen Zahl von Lehrlingen nur ein verschwindender Bruchtheil von der so wohlthätigen und nothwendigen Fortbildungssehuleinrichtung Gebrauch gemacht. Auch finanzielle Gründe sprechen f ü r den Zwang, denn die Gesammtkosten einer Schule wachsen durchaus nicht im Verhältniss zur Zahl der Bevölkerung. 500 Schüler kosten nicht das Doppelte von dem, was 250 kosten; im GegentheiL, die Gesammtkosten verringern sich mit der Grösse der Stadt. Bei Festsetzung des Lehrplans muss man allerdings als obligatorische Lehrfächer nur die f ü r die Kaufmannschaft unbedingt nothwendigen Kenntnisse berücksichtigen; was darüber hinausgeht, ist. fakultativ zu machen, namentlich also der Unterricht in fremden Sprachen, Handelsgeographie u. s. w. Schliesslich ist unbedingt der Tagesuuterricht anzustreben ; wenn dieser auch nicht mit einem Schlage zu erreichen sein wird, da bei seiner Durchführung mit ziemlichen Schwierigkeiten zu rechnen ist, so kann man doch wenigstens die späten Abendstunden vermeiden und anstatt S bis 10 oder 7 bis 9 Uhr die Zeit von G bis S U h r oder noch besser von 5 bis 7 Uhr wählen. Einzelne Lehrgegenstände, die eine besondere geistige Frische erfordern, müssen in eine noch frühere Zeit verlegt werden. Direktor Dr. G e r t h macht darauf aufmerksam, dass in Bielefeld der Nachmittagsunterricht schon seit vier Jahren eingeführt sei und die Prinzipale sich jetzt ganz gut daran gewöhnt hätten, wenn auch bei der Einführung Schwierigkeiten zu überwinden gewesen seien. Im Uebrigen tritt auch er f ü r den obligatorischen Unterricht ein, damit alle jungen Kaufleute des grossen Nutzens der kaufmännischen Fortbildungsschule theilhaftig würden, der nicht nur in der Erwerbung tüchtiger Kenntnisse, sondern auch in der erziehlichen Beeinflussung liege. Oberbürgermeister A d i c k e s glaubt auch, dass man bei der Durchführung des Schulzwanges mit Schwierigkeiten zu rechnen habe, doch dürfe man vor ihnen nicht zurückschrecken. Es nütze nichts, den Zwang vom Standpunkte der Theorie

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aus als notkwendig zu bezeichnen, wenn man sich scheue, die praktischen Folgerungen zu ziehen. Mit dem einfachen Abwarten komme man in der Sache nicht weiter. Auch tritt Redner f ü r den Tagesunterricht ein, der ebenfalls nur im Wege des Zwanges durchgeführt werden könne. Wenn von 500 Prinzipalen auch 200 sich bereit erklärten, ihre Lehrlinge am Tage freizugeben, so blieben immer noch die anderen 300, die es nicht thäten. Es gehe damit wie mit der Sonntagsruhe; wie diese, so Hesse sich auch ein geordneter Fortbildungsunterricht nur im "Wege des allgemeinen Zwanges erfolgreich durchführen. Auch in Frankfurt a. M. sei man augenblicklich lebhaft mit der Regelung des gewerblichen Schulwesens beschäftigt, und er glaube schon jetzt sagen zu dürfen, dass man ohne Zwang nicht werde auskommen können. Selbstverständlich werde man bei seiner Einführung allmählich und nach Maassgabe der vorhandenen Mittel vorgehen müssen. Darauf wird die Erörterung über diesen Punkt geschlossen und vom Ministerialdirektor H o e t e r eine Uebersicht über die bei ihr hervorgetretenen Ansichten gegeben. Es bestehe Uebereinstimmung darüber, dass eine verständige Beschränkung der Unterrichtsfächer anzustreben sei, um in den einzelnen bessere Erfolge zu erzielen. Als Mindestmaass f ü r die wöchentliche Unterrichtszeit sei von vielen Seiten die Zahl von 6 Stunden hingestellt worden. Bezüglich der Frage, ob der Schulbesuch obligatorisch oder fakultativ sein solle, sei wohl Einverständniss darüber vorhanden, dass die Einführung der Schulpflicht wiinschenswerth sei. Nur darüber gingen die Meinungen auseinander, ob f ü r die völlige Durchführung dieses Grundsatzes die Zeit schon gekommen sei. Hiergegen werde geltend gemacht, dass die Ziele und Grundlagen der kaufmännischen Fortbildungsschulen noch nicht genügend festständen; andererseits werde aber hervorgehoben, dass kein Fortschritt zu ervarten sei, wenn nicht bald mit der grundsätzlichen Einführung der Schulpflicht Ernst gemacht werde. — Was die Unterrichtszeit betreffe, so erscheine es erwünscht, sie in die Tagesstunden zu verlegen und die Abendstunden thunlichst zu vermeiden. Ein grosser Theil der Redner halte ein Vorgehen in dieser Richtung schon jetzt für angezeigt, während andere befürchten, dass es vielleicht an verfügbaren Schulräumen fehlen werde. Nach diesen Ausführungen ertheilt er zu Punkt 6 der Tagesordnung das Wort dem Geheimen Regierangsrath S i m o n . Dieser führt aus: Die Aufsicht über die kaufmännischen Fortbildungsschulen ist nach meiner Meinung auszuüben in örtlicher Beziehung durch die Schulvorstände, für die grösseren wirthschaftlichen Bezirke durch die Handelskammern und ihnen gleich stehende kaufmännische Korporationen, und in oberster Instanz durch die geordneten staatlichen Organe. Dass der Schulvorstand die ihm unterstellten und von ihm zu leitenden Anstalten gründlich zu beaufsichtigen hat, bedarf keiner weiteren Ausführung. Die Verpflichtung der Handelskammer, für eine geordnete Ausbildung des kaufmännischen Unterrichtswesens in ihrem Bezirke zu sorgen, folgt aus § 1 des Handelskamniergesctzes, wonach die Handelskammern die Interessen des Kaufmannsstandes wahrzunehmen haben. Zu diesen Interessen gehört unbestreitbar auch die Ausbildung des kaufmännischen Nachwuchses. Abgesehen hiervon ist auf den schon früher angeführten § 38 des Ilandelskammergesetzes hinzuweisen, in dem ausdrücklich gesagt ist, dass die Handelskammern die Befugniss haben, „Anstalten, Anlagen und Einrichtungen, die die Förderung von Handel und Gewerbe sowie die technische und geschäftliche Ausbildung, die Erziehung und den sittlichen Schutz der darin beschäftigten Gehülfen und Lehrlinge bezwecken, zu begründen, zu unterhalten und zu unterstützen-. Zu einer ordnungsmässigen Ausübung der staatlichen Aufsicht müssten allerdings erst besondere Organe g e s c h a f f e n werden, denn zur Zeit fehlt es den Provinzialbehörden noch an den erforderlichen technischen Kräften, um diese Aufsicht sachgemäss durchführen zu können. Unter diesen Umständen liegt zur Zeit die gesammto staatliche Aufsicht, wenn auch nicht formell, so doch thatsäehlich in der Centraiinstanz, was weder zweckmässig noch überhaupt auf dio Dauer durchführbar ist. Auch auf diesem Gebiete ist eine Decentralisation des gewerblichen Unterrichts durchaus nothwendig. Daraus ergiebt sich die Notwendigkeit, den Regierungspräsidenten besondere technische Beamte, Gewerbeschulräthe. beizugeben, die ihnen als berathende Organe bei der Verwaltung der Fortbildungsschulen zu dieneu und letztere innerhalb näher zu bestimmender Grenzen fortgesetzt selbstständig zu beaufsichtigen haben.

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Geheimer Kommerzienrath F r e n t z e l tritt den Ausführungen des Berichterstatters durchaus hei, indem auch er die Aufsicht über die kaufmännischen Fortbildungsschulen dem Schulvorstande, den Handelskammern und den berufenen staatlichen Aufsichtsbehörden übertragen wissen will. Auch ist er der Meinung, dass es zur Zeit dem Handelsministerium noch an den nöthigen Organen fehle,, um das gewerbliche Schulwesen in der Provinz ordnungsmässig beaufsichtigen zu lassen. Er tritt ebenfalls für die Schaffung von besonderen Beamten ein, die über den Fortgang und den Betrieb des kaufmännischen Fortbildungsschulunteri'ichts zu berichten und den Herrn Handelsminister über alle Vorgänge auf diesem Gebiete und namentlich auch über die noch vorhandenen Mängel regelmässig aufzuklären haben. Oberbürgermeister B e n d e r betont auch lebhaft die Notwendigkeit der Schaffung besonderer technischer Räthe bei den Regierungen. Zur Zeit sei ein sachverständiges Urtheil dort nicht immer zu finden. Im Uebrigen ist auch er der Ansicht, dass ausser der staatlichen Aufsicht der Schul vorstand die Schule zu überwachen habe, kann sich aber nicht von der Notwendigkeit überzeugen, dass auch noch andere Instanzen eingeschoben werden. "Wenn mehrere Schulen in einer Stadt si.'ien, wie es z. B. in Berlin, Breslau u. s. w. vorkommen könne, so dürfte es zweckmässig sein, alle diese Schulen e i n e m Schulvorstande zu unterstellen, denn es könne nicht fruchtbringend sein, wenn über jede einzelne Schule jeder Schulvorstand mit den Behörden verhandeln sollte. Geheiinrath S i m o n bemerkt diesen Ausführungen gegenüber, dass die Handelskammer keine neue Instanz für den Schulvorstand werden solle, denn selbstverständlich sei der Schulvorstand abhängig von denjenigen Behörden, die die Schule gegründet haben. Die Handelskammern hätten aber ihrerseits die Aufgabe, auch, abgesehen von den Fällen, wo sie eine Schule begründet oder an ihrer unmittelbaren Verwaltung betheiligt seien, das gesammte kaufmännische Fortbildungsschulwesen innerhalb ihres Bezirkes im Auge zu behalten und darauf hinzuwirken, dass an allen Schulen sachgemäss und zielbewusst gearbeitet werde. So sei es z. B. die Pflicht der Handelskammern, auf die Abänderung verbesserungsbedürftiger Lehrpläne, die etwa nothwendige Vermehrung der Stundenzahl, die Verlegungdes Unterrichts in die Tageszeit, die Einführung guter Lehrmittel und dergleichen, mehr hinzuwirken, sei es unmittelbar bei den betreffenden Schulen, sei es durch geeignete Vorstellungen bei den berufenen Instanzen. Handelskammer-Syndikus Dr. Völker schliesst sich diesen Ausführungen an und bittet, den hier anerkannten Grundsätzen auch im Regierungsbezirk Oppeln Geltung zu verschaffen. Die Handelskammer habe sich bemüht, das kaufmännische Fortbildungsschulwesen innerhalb ihres Bezirks zu regeln, sei dabei-aber anfänglich einem gewissen Widerstände begegnet. Es sei zu wünschen, dass feste Grundsätze dafür aufgestellt würden, welcher Antheil der Handelskammer an der Verwaltung der von ihr unterstützten Fortbildungsschulen einzuräumen sei. Auch würde es sich empfehlen, die staatliche Aufsicht über die Schulen einem Gewerbeschulrathi oder einem anderen sachverständigen Organ zu übertragen, da es darauf ankomme, dass die Aufsichtsbeamten auf die Eigenart der kaufmännischen Schulen die nöthige Rücksicht nähmen. Generalsekretär S t u m p f tritt ebenfalls für die Anstellung von Gewerbeschulräthen ein, die weniger Aufsichtsbeamten als Mittelspersonen sein müssten und zwischen der Aufsichtsinstanz und den Schulen aufklärend und anregend zu wirken hätten. Sie brauchten nicht sogleich für jeden Regierungsbezirk geschaffen zu werden, zunächst würde für jede Provinz vielleicht einer ausreichend sein. Im Uebrigen theile er die Meinung des Dr. Völker, dass die Handelskammer bei der Verwaltung und Ausgestaltung des kaufmännischen Fortbildungsschulwesens innerhalb ihres Bezirks in umfassender Weise betheiligt werden müsse, da sie sonst eine ihrer wichtigsten Aufgaben nicht erfüllen könne. Die Handelskammer verfüge auf diesem Gebiete über das grösste Sachverständniss und wisse am besten zu beurtheilen, was der junge Kaufmann brauche. Direktor Dr. Z i m m e r m a n n bittet, bezüglich der Beaufsichtigung die Erfahrungen des Auslandes sich nutzbar zu machen. In Frankreich und Oesterreich beständen schon Gewerbeschulinspektoren, die die Schulen jährlich wenigstenseinmal zu besuchen und über ihre "Wahrnehmungen zu berichten hätten. Ueber den Gewerbeschulinspektoren ständen die Bezirksschulinspektoren und über S i m o n , Die Fachbildung des Preussischen Crewerbe- und Handelsstandes (Anlage).

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diesen die Landesinspektoren, die dem Handelsministerium unterständen. Ausserdem sei bei der höchsten Instanz ein ständiger Ausschuss aus Kaufleuten und Industriellen geschaffen, der bei allen Fragen des Handelssehuhvesens zu Ratho gezogen werde. Kominerzienrath A l l e n d o r f befürwortet auch seinerseits die Anstellung von Gewerbeschulräthen, um eine einheitliche und zweckmässige Verwaltung aller Schulen zu sichern; wenn die Regierung Geld gebe, habe sie auch die Pflicht, danach zu sehen, dass es gut angewendet werde. Selbstverständlich aber müsse auch der Handelskammer der nöthige Einfluss eingeräumt werden, damit sie dafür wirken könne, dass die einzelnen Anstalten in kaufmännischem Sinne geleitet würden. Generaldirektor G o l d S c h m i d t bedauert, dass in Preussen nicht das gewerbliche und das allgemeine Unterrichtswesen in einer Hand liege. "Wenn die Volksschule nicht das leiste, was von ihr erwartet werde, so glaube er, dass der Grund dafür in dieser Trennung zu suchen sei. Ein Schlussantrag wird angenommen. Ministerialdirektor H o e t e r stellt fest, dass die vom Berichterstatter aufgestellten Gesichtspunkte im Wesentlichen die Zustimmung der Versammlung gefunden hätten; eine Meinungsverschiedenheit habe sich nur scheinbar bezüglich der Stellung der Handelskammern ergeben. Diese würden keine besondere Aufsichtsinstanz bilden können, wie das auch nicht die Meinung des Berichterstatters gewesen sei. Es sei der Wunsch hervorgetreten, dass Gewerbeschulräthe angestellt werden möchten, denen die Obliegenheiten einer Zwischeninstanz zwischen den einzelnen Schulen und der Zentralbehörde zufallen würde. Darauf ertheilt er zu Punkt 7 der Tagesordnung das "Wort dem Geheimen Regierungsrath S i m o n : Das Lehrpersonal besteht, wie aus der Ihnen vorliegenden „Uebersicht" hervorgeht, in der Hauptsache aus nebenamtlich wirkenden Herren. Dieses nebenamtliche "Wirken ist eiu Uebelstand, der aber kaum ganz zu beseitigen sein wird. An den meisten Fortbildungsschulen wird so wenig Unterricht ertheilt, dass f ü r einen Lehrer im Hauptamte nicht die genügende Beschäftigung vorhanden sein würde. Mit dieser Schwierigkeit werden wir also rechnen müssen, wenn wir die Frage der Ausbildung der Lehrer an kaufmännischen Fortbildungsschulen erörtern. Anders liegt die Sache bei der Ausbildung der Lehrer an Handelsschulen und höheren Handelsschulen, für die nöthigenfalls die Einrichtung der Handelshochschulen nutzbar gemacht werden könnte. Die Fortbildungsschullehrer werden meistens nicht einmal die Zeit haben, eine Handelshochschule längere Zeit zu besuchen. Unter diesen Umständen werden nach meiner Meinung nur die Einführung von periodisch abzuhaltenen Lehrkursen, die Veranstaltung von Studienreisen, Fachkonferenzen, die längere Beschäftigung von Lehrern in grösseren Geschäften und ähnliche Maassnahmen in Frage kommen können. AVenn wir erst Gewerbeschulräthe haben, so wird auch von diesen bei dem ihnen möglichen häufigeren Schulbesuch auf einen zweckentsprechenden Unterricht hingewirkt werden können. Auf diese "Weise werden wir zu einem besseren Lehrpersonal gelangen, wenn ich mir auch nicht verhehle, dass dabei von einer gründlichen Aus- und Durchbildung nicht die Rede sein kann. Direktor E b e l i n g beklagt es ebenfalls, dass die meisten Fortbildungsschullehrer nur nebenamtlich wirken, da es einem solchen Lehrer stets schwer werden würde, sich in das Fach einzuarbeiten, aber man werde auf nebenamtliche Kräfte immer angewiesen sein. Die erwähnten Ausbildungskurse seien ein Xothbehelf, ihr Hauptnutzen sei. dass die Lehrer in die Fachliteratur eingeweiht würden und eine gewisse Richtschnur erhielten. Es sei zu erwägen, ob nicht schon jetzt zur Gründung eines Seminars mit halbjährigem Kursus geschritten werden könne, wo hauptamtlich anzustellende Lehrer auszubilden wären. Abgesehen vom Besuch eines solchen Seminare nuisste diesen Lehrern zur Pflicht gemacht werden, vor ihrer Anstellung mindestens ein Jahr praktisch in einem Geschäfte zu arbeiten. Professor Dr. E h r e n b e r g meint, dass die Ausbildungskurse sich auf Rechnen, Buchhaltung und Korrespondenz, allenfalls noch auf "Waarenkunde zu beschränken haben dürften, ein eingehender Unterricht könne freilich auch darin nicht ertheilt werden. Für Handelsschullehrer müsse eine gründliche Vorbildung in einem kaufmännischen Seminar eintreten, in dem auch die Leiter grösserer Fortbildungsschulen,

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die hauptamtlich wirken sollten, sich auf ihren Beruf vorbereiten könnten; die Letzteren inüssten ausserdem noch ein bis zwei Jahre in der Praxis thätig gewesen Bei hervorragender praktischer Befähigung sein, wenn möglich, noch länger. könnten vielleicht Ausnahmen zugelassen weiden. Dr. E n g e l m a n n berichtet, dass das Kuratorium der kaufmännischen Fortbildungsschule in Berlin die Absicht habe, zur Ausbildung von Lehrern halbjährige Kurse f ü r einzelne Fächer einzurichten, und zwar f ü r Handels- und Wechselrecht, Buchführung, Korrespondenz obligatorisch und fiir Kontorpraxis fakultativ. Ausserdem sollten die auf diese AVeise heranzubildenden Lehrer mustergültigen Unterrichtsstunden in den kaufmännischen Fortbildungsschulen beiwohnen und selbst Probeunterricht ertheilen, um dann f ü r etwaige Lücken vorgemerkt zu werden. Vom praktischen Eintritt in ein Geschäft verspreche er sich nicht viel, weil er glaube, dass sich die Prinzipale hiergegen ablehnend verhalten würden. Es sei auch kaum möglich, dass ein Lehrer, der nur einige freie Stunden im Geschäfte zubringe, das ganze Geschäftsgebahren kennen lerne. Direktor Dr. Z i m m e r m a n n ist der Ansicht, dass nicht nur an grösseren Plätzen, sondern auch in kleineren Orten die Anstellung von hauptamtlich wirkenden Lehrern möglich sei. Die Unterscheidung zwischen der Ausbildung von Lehrern f ü r kaufmännische Fortbildungsschulen und solchen f ü r Handelsschulen könne er nicht als berechtigt anerkennen, denn in den kaufmännischen Fortbildungsschulen würden nicht nur Schüler mit Yolksschulbildung unterrichtet, sondern auch mit dem Einjährig-Freiwilligen- und dem Maturitätszeugniss. Diese Letzteren zu unterrichten, erfordere eine eingehende Vorbildung. Die Ausbildung der Lehrer könne erfolgen durch Vorlesungen an Universitäten oder durch einen fakultativen Unterricht an Schullehrer-Seminarien. Auch könnte man Schulamtskandidaten den kaufmännischen Fortbildungsschulen oder Handelsschulen zur Ausbildung überweisen und ihnen diese Beschäftigung auf das Probe- oder Seminarjahr anrechnen. Eine praktische Beschäftigung dieser Kandidaten in einem Geschäfte wäre ebenfalls ausserordentlich nützlich. Wichtig sei übrigens auch, dass die Gehalts- und Pensionsverhältnisse der Lehrer an kaufmännischen Unterrichtsanstalten geregelt würden, damit diejenigen, die sich diesem Berufe widmen wollten, in materieller Beziehung genügend gesichert seien. In Sachsen habe man zu dein Zwecke eine Pensionskasse gegründet. Dr. S c h u m a c h e r f ü h r t aus, dass man an der kaufmännischen Fortbildungsschule in Krefeld im Grossen und Ganzen immer die nöthigen Lehrer habe finden können. Realgymnasialdirektor Dr. A u l e r meint, man müsse bei der Verwendung der einzelnen Lehrer Unterschiede machen. Die seminaristisch gebildeten Herren gebrauche er in der kaufmännischen Schule zu Dortmund gern auf der untersten Stufe, man müsse sich eben nach der Befähigung der Einzelnen lichten. Gut wäre es, wenn man den Kaufleuten, die in kaufmännischen Fortbildungsschulen zu unterrichten haben, einmal Gelegenheit gäbe, etwa 14 Tage lang dem Unterricht an einer gut entwickelten Anstalt beizuwohnen; es frage sich nur, ol> die Betreffenden von ihren Prinzipalen den erforderlichen Urlaub erhielten. Geheimrath S i m o n bemerkt mit Bezug auf die Aeusserungen einzelner Vorredner, dass auch er die Verwendung hauptamtlich beschäftigter Lehrer f ü r das Wünschenswerthere halte, doch werde man immer noch mit einer grossen Zahl nebenamtlich beschäftigter rechnen und f ü r deren Ausbildung sorgen müssen. E r gebe gern zu, dass es besser sei, die Lehrer auf sechs Monate statt auf wenige Wochen zu ihrer Ausbildung einzuberufen, doch sei es ihm fraglich, ob die Lehrer so viel Zeit erübrigen könnten. Der praktischen Ausbildung der Lehrer in Geschäften lege er grossen Werth bei, doch dürfe das selbstverständlich nicht zu kurze Zeit und zu oberflächlich geschehen. Damit werden die Verhandlungen des ersten Tages geschlossen; am folgenden Tage ertheilt der Minister zu Punkt I I I und IV der Tagesordnung das Wort dem Geheimen Kegierungsrath S i m o n . Dieser bemerkt zunächst, dass es sich empfehlen dürfte, die Handelsschulen, höheren Handelsschulen und Handelshochschulen gemeinsam zu besprechen, und dass er daher in seinem Bericht auf alle drei Schulgattungen kurz eingehen werde. E r bespricht dann an der Hand der gedruckten „Uebersicht" zunächst die Verhältnisse der Handelsschulen und höheren Handelsschulen; sodann weist er in etwa folgenden Ausführungen auf die mehrv»

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fachen Bestrebungen hin, die in neuerer Zeit auf Gründung einer Handelshochschule abzielen. In letzter Zeit ist die Angelegenheit auf Veranlassung der Stadt Köln im Eheinischen Provinziallandtage erörtert worden. Dieser lehnte es ab, seinerseits eine bestimmte Stellung in der Sache einzunehmen, wollte es vielmehr den einzelnen Betheiligten überlassen, ihrerseits die Angelegenheit zu betreiben. Bei den Verhandlungen, die damals im Provinziallandtage gepflogen wurden, machte man für die Nothwendigkeit einer Handelshochschule besonders geltend, dass für die Grossindustriellen die Möglichkeit einer weiteren wissenschaftlichen Ausbildung, als sie zur Zeit möglich sei, geschaffen werden müsse. Das gleiche Bedürfniss sei für eine grosse Zahl von Beamten vorhanden, die wirtschaftliche Verhältnisse zu beurtheilen hätten. Es wurde dabei namentlich auf die Konsularbeamten, die Beamten der allgemeinen Verwaltung und die Handelskammersekretäre hingewiesen. Ferner begründete man die Nothwendigkeit einer Handelshochschule mit dem Mangel an Handelsschullehrern, die dort ihre Ausbildung finden könnten. Schliesslich machte man auch darauf aufmerksam, dass bei der Bedeutung, die der Handelsstand schon jetzt habe, und die er im öffentlichen Leben immer mehr beanspruchen müsse, es nothwendig sei, ihn zu befähigen, auch in politischen Stellungen seinen Einfluss geltend zu machen und ihm das erforderliche Ansehen bei den gebildeten Ständen zu sichern. Von gegnerischer Seite wurde geltend gemacht, dass eine Handelshochschule für die jungen Leute nicht nur nicht nützlich, sondern vielfach schädlich sein werde, weil sie zu alt würden, ehe sie zu einer praktischen Thätigkeit kämen. Man sagte, junge Herren, die bis zur Prima einer neunklassigen Schule gekommen seien, wären auf den Kontoren schon nicht mehr recht brauchbar, wie würde es erst werden, wenn sie, nachdem sie „Handelsstudenten" gewesen, eine praktische Thätigkeit entwickeln und sich mit mechanischen Arbeiten beschäftigen sollten. Auch auf die Gefahren in sittlicher Beziehung, die das studentische Leben mit sich bringe, wurde mit dem Bemerken hingewiesen, dass es besonders für den Kaufmannsstand nothwendig sei, ihn davor zu bewahren. Weiter wurde geltend gemacht, dass eine Handelshochschule überhaupt nicht geeignet sei, einen praktischen Kaufmann auszubilden. Dazu gehöre die Praxis selbst, und es liege die Gefahr nahe, dass die jungen Leute das nöthige praktische Verständnis^ verlieren würden, wenn man ihnen zu viele theoretische Kenntnisse beibringe. Schliesslich wurde erwähnt, dass die Zahl derer, die eine Handelshochschule besuchen könnten, nur sehr gering sei; es kämen dabei nur die reichen Grosskaufleute und Grossindustriellen und einige Beamtengruppen in Frage, die wohl auch jetzt schon auf unseren Universitäten und technischen Hochschulen genügend Gelegenheit zu ihrer Ausbildung fänden. Nachdem der Provinziallandtag beschlossen hatte, die Sache nicht weiter zu verfolgen, ruhte sie, bis der „Deutsche Verband für das kaufmännische Unterrichtswesen" sie wieder aufnahm. Dieser hat in anerkennenswerther Weise und mit grosser Geschicklichkeit und Gründlichkeit die Frage erörtert und es verstanden, das Interesse vieler kaufmännischer Kreise für die Sache wachzurufen. Bei den Berathungen des Verbandes zu Leipzig im Juni v. .Ts. fand dieser Gegenstand der Tagesordnung besonderes Interesse. Ich habe den Verhandlungen persönlich beigewohnt und muss gestehen, dass die Idee der Handelshochschule mit grosser Einhelligkeit begrüsst wurde, und dass selbst schüchterne Versuche, die Sache etwas mehr vom Standpunkte des nüchternen Kaufmanns zu betrachten, recht unliebsam aufgenommen wurden. Ich hatte das Gefühl, dass von allen Gründen, die man für die Handelshochschule anführen kann, der von mir zuletzt erwähnte wohl bei den Meisten den Ausschlag gegeben hat. Man glaubte in der Handelshochschule ein Mittel gefunden zu haben, die gesellschaftliche Stellung lind den politischen Einfluss des Kaufmanns im Allgemeinen, sowie insbesondere die materielle und soziale Stellung der Handelsschullehrer zu heben. Es sollte etwas geschaffen werden, wodurch der Kaufmannsstand den akademisch Gebildeten gleichgestellt würde. Im Anschluss an diese Verhandlungen hat dann der Ausschuss des Verbandes zwei Sitzungen, eine in Eisenach und eine in Hannover, abgehalten, in denen Aufnahmebedingungen und Lehrprogramm für die neu zu gründenden Handelshochschulen festgestellt wurden. Im weiteren Verfolg ist dann die Gründung einer solchen Anstalt in Leipzig und zwar in Verbindung mit der dortigen Handelslehranstalt und der Universität beschlossen worden. Die Unternehmerin ist die Leipziger Handelskammer, die dabei durch Zuschüsse von Staat und Stadt unterstützt wird. Weiterhin geht man in Aachen mit der Absicht

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um, in Verbindung mit der dortigen technischen Hochschule eine Handelshochschule zu schaffen. Auch einige andere Städte, namentlich Hannover, haben den Wunsch zu erkennen gegeben, eine ähnliche Einrichtung zu erhalten. Bei der heutigen Erörterung kommt es nun darauf an, festzustellen, ob und welche Arten von Handelsschulen, höheren Handelsschulen und Handelshochschulen nöthig sind. Dass die Gründung besonderer Handelsschulen ein Bedürfniss ist, dürfte kaum zweifelhaft sein. Es geht das schon aus der Besuchsziffer der jetzt bestehenden Schulen hervor. Ob diese Schulen besser als selbständige Anstalten oder in Verbindung mit den vorhandenen allgemeinen Lehranstalten, namentlich den Bealschulen, zu begründen sein möchten, dürfte von Fall zu Fall zu erwägen sein. "Was die höheren Handelsschulen betrifft, so kann man, wenn man sich die Besuchsziffern ansieht, über ihre Daseinsberechtigung zweifelhaft sein. Fraglich ist indessen, ob der mangelhafte Besuch nicht in einer fehlerhaften Organisation der vorhandenen Anstalten liegt. "Wenn man bedenkt, dass z. B. die höheren Handelsschulen in Dresden und Leipzig jährlich über 40 bis 50 Schüler verfügen (in Dresden sind allerdings eine grosse Anzahl Ausländer), so wird man doch nicht bestreiten können, dass wenigstens f ü r einen Theil des Handelsstandes das Bedürfniss vorliegt, sich nach Erlangung des Einjahrig-Freiwilligen-Scheines in fachlicher Beziehung weiter auszubilden. Wo die Mängel bei den höheren Handelsschulen in Aachen und Frankf u r t a. M. liegen, wird näher untersucht werden müssen, vielleicht wird dort dem allgemeinen Fachbedürfniss zu wenig Rechnung getragen, vielleicht sind dort die Kurse zu lang. Möglich ist auch, dass der Zusammenhang dieser Handelsabtlieilungen mit den allgemeinen Bildungsanstalten auf erstere ungünstig wirkt. Die Handelsklasse wird mehr als etwas Nebensächliches angesehen, und dadurch sinkt ihr AVerth in den Augen der Lehrer und Schüler. Es dürfte sich wohl lohnen, an grossen Handelsplätzen, wie Berlin, Breslau, Köln, Frankfurt a. M. und Magdeburg, besondere höhere Handelsschulen nach dem Muster der alten bewährten und gut besuchten Leipziger Anstalt zu gründen. Allerdings würde nach meiner Meinung, wenn Handelsschulen und höhere Handelsschulen in Preussen gedeihen sollen, viererlei nöthig sein: 1. dass der Fachunterricht, namentlich in den höheren Handelsschulen, eine ausreichende Berücksichtigung findet; 2. dass den Handelsschulen die Befugniss zur Gewährung der Einjahrig-Freiwilligen-Berechtigung ertheilt wird, die ihnen kaum wird vorenthalten werden können, da die Leipziger und andere Anstalten sowie auch die landwirtschaftlichen Schulen sie schon besitzen.; 3. dass ein tüchtiges Lehrerpersonal vorhanden ist, das mit dem der allgemeinen Bildungsanstalten bezüglich der Besoldungs-, Anstellungs- und Pensionsverhältnisse gleichzustellen sein wird; 4. dass eine genügende fachliche Aufsicht vorhanden ist. Zur Zeit stehen die Handelsschulen und höheren Handelsschulen in erster Linie unter dem Minister der geistlichen Angelegenheiten und dem Provinzial-Schulkollegium. Ich habe nun zwar alle Hochachtung vor den Erfahrungen und Kenntnissen der Herren dieses Ressorts, aber es ist ihnen schlechterdings nicht zuzumuthen, sich in alle Einzelheiten des handelswissenschaftlichen Unterrichts so einzuarbeiten, wie es f ü r die Durchführung der Aufsicht nothwendig ist. Meiner Meinung nach würden eine zweckmässige Instanz zur Beaufsichtigung solcher Schulen die zu schaffenden Gewerbeschulräthe sein, welche als Kommissare des Handelsministers zu fungiren hätten. Die f ü r und gegen die Errichtung einer Handelshochschule geltend gemachten Gründe werden noch reiflich erwogen werden müssen, ehe man endgültig zu der Sache Stellung nimmt; namentlich verdient die Frage eine eingehende Prüfung, ob wir in Preussen dauernd die nöthige Schülerzahl für eine Handelshochschule haben werden, wenn erst in Leipzig eine solche Anstalt errichtet sein wird. Leipzig bietet für ein derartiges Unternehmen wohl den günstigsten Boden in ganz Deutschland, und ob neben der dortigen Handelshochschule noch eine oder gar mehrere solche Anstalten werden bestehen können, ist doch recht fraglich. Einfacher liegt die Sache schon, wenn man sich darauf beschränkt, an die vorhandenen Hochschulen besondere Abtheilungen f ü r Handelswissenschaften anzugliedern, wie man das in Aachen beabsichtigt. Ob Aachen gerade ein günstiger Platz f ü r einen solchen Versuch ist, lasse ich dahingestellt Jedenfalls würden, wenn man lediglich die Lage des Ortes betrachtet, Berlin, Breslau und Hannover den Vorzug verdienen. Oberbürgermeister B e c k e r schildert die Verhandlungen, die der Begründung der Handelsschulen in Köln vorausgegangen sind. Dort habe man sich entschlossen,

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eine selbständige Handelsschule von unten herauf zu schaffen. Man habe sich hierbei vornehmlich durch die Erwägung leiten lassen, dass es nothwendig sei, f ü r diejenigen jungen Leute eine Schule zu begründen, die von vornherein f ü r die kaufmännische Laufbahn bestimmt seien, und das sei immerhin in einer Stadt wie Köln eine grosse Zahl. Die hiergegen etwa geltend zu machenden Bedenken, dass man dadurch die Laufbahn eines jungen Menschen zu früh festlege, habe man als stichhaltig nicht anerkennen können, da in den untersten Klassen von einem umfassenden einseitigen Unterricht in handelstechnischer Beziehung wohl kaum die Rede sein könne und ein späterer Uebergang zu einer anderen Schule daher immer noch offen bliebe. Hierzu sei die Erwägung gekommen, dass die Knaben bei "Weglassung der unteren Klassen erst in eine andere Schule eintreten, diese starlc füllen und sie dann beim 12. Lebensjahre wieder verlassen. Die Schule unterstehe der gemeinsamen Aufsicht des Handelsund des Kultusministers, sie sei zunächst mit drei Klassen eröffnet und weise einen recht guten Besuch auf. Wenn die Schule ausgebaut sei, beabsichtige man auch die zur Zeit in Köln vorhandenen Handelsfachklassen, die beim Eintritt die EinjährigFreiwilligen-Berechtigung voraussetzen, auf sie zu übertragen. Ausserdem tritt Redner für die Errichtung einer selbständigen Handelshochschule ein und führt an, dass ein hochverdienter Kölner Bürger, ein erfahrener Kaufmann, f ü r die Errichtung einer Handelsakademie in Köln sich ausgesprochen und zu dem Zwecke sogar eine besondere Stiftung gemacht habe. Ferner Wierde der Handelsstand erst dann wirklich zur Geltung kommen, wenn man für seine höhere Ausbildung auch eine eigene, selbständige, seinen besonderen Bedürfnissen entsprechende Anstalt schaffe. Natürlich müssten auf dieser Handelshochschule auch allgemein bildende Vorlesungen gehalten werden. Der ungünstige Ausgang der Verhandlungen im Rheinischen Provinziallandtage dürfe nicht bedenklich machen, da dort die Angelegenheit zu wenig vorbereitet gewesen sei. Uebrigens habe der Landtag sich auch nicht gegen die Errichtung einer Handelshochschule ausgesprochen, sondern nur erklärt, dass er hierzu nicht berufen sei, das sei Aufgabe des Staates. Professor Dr. v a n d e r B o r g h t bittet, statt die Gründe und Gegengründe, die bei der Errichtung einer Handelshochschule geltend gemacht werden könnten, immer wieder zu erörtern, einmal einen praktischen Versuch zu machen. Da die Bedürfnissfrage noch nicht hinreichend geklärt sei, so werde man ohne einen solchen Versuch nicht feststellen können, ob eine derartige Anstalt die nöthige Schülerzahl haben werde oder nicht. Freilich werde gegenwärtig das Bedürfniss in weiten Kreisen so stark angezweifelt, dass er den Augenblick f ü r die Errichtung einer s e l b s t ä n d i g e n Handelshochschule noch nicht f ü r gekommen erachte, dagegen solle man das in Aachen geplante Unternehmen, in Vorbindung mit einer technischen Hochschule, eine Handelshochschule zu schaffen, unterstützen. An der Aachener Hochschule sei bereits ein grosser Theil der Fächer, die f ü r die Handelshochschule in Betracht kämen, vertreten, es brauchten nur einige neue Professuren geschaffen zu werden. Man beabsichtige, da es sich lediglich um einen Versuch handele, den Staat in keiner "Weise zu belasten. Die Lehrer hätten sich bereit erklärt, gegen ein geringes Entgelt den Unterricht zu übernehmen, und die erforderlichen Mittel seien zunächst auf zehn Jahre von den Interessenten zur Verfügung gestellt. Es würde nichts weiter verlangt, als die Erlaubniss, im Interesse der Gesammtheit diesen Versuch machen zu dürfen. Die Aachener Bestrebungen schlössen keinerlei andere Bestrebungen in dieser Beziehung aus. Da der Staat eine Verantwortlichkeit nicht übernehme, so liege kein Grund vor, dem A'ersuche Schwierigkeiten zu machen. In Aachen lägen die Verhältnisse f ü r eine Handelshochschule deshalb besondere günstig, weil dort ein grosser Fabrikhandel getrieben werde, zu dem eine umfassende kaufmännisch-technische Bildung erforderlich sei. Geheimer Ober-Regierungsrath Dr. " W e h r e n p f e n n i g führt aus. dass der Gedanke der Errichtung einer kaufmännischen Hochschule in Aachen in Verbindung mit der dortigen technischen Hochschule von den Aachener Industriellen, insbesondere der dortigen Handelskammer und zwei grossen Gesellschaften, ausgegangen sei. Diese hätten auch die Mittel zur Verfügung gestellt, die nach ihrer Meinung zur Verwirklichung ihres Gedankens ausreichten und die sie nöthigenfalls auch noch ergänzen wollten. Auch die Professoren der technischen Hochschule hätten sich entgegenkommend gezeigt, indem sie sich erboten, keinen Anspruch auf Entschädigung zu erheben, soweit es sich um Vorlesuugen handele, die bereits an der technischen Hochschule vorhanden seien, nur für die neu einzurichtenden Kollegien

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•wünschten sie eine besondere Vergütung. Da es sicher sei, dass eine selbständige Handelshochschule in absehbarer Zeit mangels der dazu erforderlichen erheblichen Mittel nicht errichtet werden würde, so bliebe nur übrig, die kaufmännische Hochschule an eine andere Anstalt, eine Universität oder eine technische Hochschule, anzugliedern. In Leipzig sollte sie, wenn auch nur lose, mit der Universität verbunden werden; es könne daher vielleicht ganz erwünscht sein, einen ähnlichen Versuch mit einer technischen Hochschule zu machen. Wenn sich herausstellen sollte, dass der Besuch zu gering sei, so schade das nichts, da es sich in dem vorliegenden Falle nur um einen Versuch handele. Gelinge dieser nicht, so sei f ü r Niemand ein Schaden daraus erwachsen, die Abtheilung werde wieder aufgehoben, und die technische Hochschule bleibe davon unberührt. Kommerzienrath D e l h i s weist darauf hin, dass es in der Rheinprovinz und in Westfalen vorwiegend Industrielle und verhältnissmässig wenig eigentliche Kaufleute gebe, die Industriellen seien ihre eigenen Kaufleute. In der Handelskammer zu Aachen seien von 18 Mitgliedern 15 Industrielle; das zeige deutlich, dass der Handel mit der Industrie aufs Innigste verknüpft sei. Infolgedessen besuchten auch die technische Hochschule in Aachen eine Anzahl Schüler, die sich später dem Kaufmannsstande widmen wollten. Für Techniker, die kaufmännisch thätig sein sollten, sei es nothwendig, sich auch die erforderlichen theoretischen Kenntnisse zu erwerben. Wenn sich daher möglicherweise f ü r eine Handelshochschule in Aachen anfangs nicht viele Schüler finden sollten, die lediglich der rein kaufmännischen Ausbildung wegen zur Hochschule kämen, so würden sicherlich sehr viele Schüler der technischen Hochschule mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, sich in kaufmännischem Wissen auszubilden. Auch der deutsche Ingenieurvorband habe auf die Nothwendigkeit hingewiesen, die jungen Techniker mit kaufmännischem Wissen und namentlich fremden Sprachen bekannt zu machen, besonders, wenn sie im Auslande Stellung suchten. Sollten die von den Aachener Industriellen zur Verfügung gestellten Mittel nicht reichen, so werde von ihnen ein weiterer Garantiefonds bereitgestellt werden. Professor Dr. E h r e n b e r g betont, dass, wenn er sieh für die Handelshochschule ausspreche, er doch die Gründe, die gegen deren Errichtung geltend gemacht würden, wohl zu würdigen wisse. Für ihn handele es sich bei diesen Anstalten in erster Linie um eine allgemeine Bildung des Geistes, um eine Schulung des Sinnes f ü r das öffentliche Leben; die Fachbildung komme erst in zweiter Linie, ebenso die Hebung der sozialen Lage des Kaufmannstandes. Die Schattenseiten des studentischen Lebens seien zwar vorhanden, aber gegenüber der Bedeutung der Handelshochschulen verschwindend. Schwer falle f ü r ihn ins Gewicht, dass thatsächlich das Bedürfniss nach einer Handelshochschule ziemlich eng begrenzt und dass es gefährlich sei, die Idee der Schule durch Gründung zu vieler Anstalten in Frage zu stellen. Die Versuche in Leipzig und Aachen begrüsse er mit Freuden, wenn auch nicht zu verkennen sei, dass Aachen weniger Aussicht auf Erfolg biete als Leipzig. Jedoch sei für Aachen der Umstand von Vortheil, dass dort geeignete Dozenten und eine geeignete Hochschule zur Verfügung ständen, die den ganzen Apparat für die technischen Fächer lieferten; auch liege die Stadt inmitten eines grossen Industriebezirks. Er bitte deshalb, die Regierung möge sich des Aachener Versuchs mit Wohlwollen annehmen und abwarten, was dabei herauskomme. Stadtrath Dr. D o h m bittet, den Werth der Fachschulbildung nicht zu hoch anzuschlagen, und wünscht, dass nicht besondere Handelsschulen geschaffen, vielmehr einige Fachklassen an die bestehenden allgemeinen Bildungsanstalten, etwa die Realschulen, angegliedert würden. Von den zur Zeit vorhandenen Handelsschulen machten auf ihn einige den Eindruck von Anstalten, in denen junge Leute zur Einjährig-Freiwilligen-Berechtigung herangepresst würden. Redner sucht dies an der Hand der Lehrpläne verschiedener Handelsschulen näher zu erläutern. In Stettin beständen seit einer Reihe von Jahren besondere kaufmännische Kurse, die Winter für AVinter von vielen jungen Kaufleuten besucht würden. Auch stände dort eine Bibliothek zur Verfügung, die zum Selbststudium vielfach benutzt werde. Für die Einrichtung einer Handelshochschule könne e r sich nicht aussprechen, da eine solche Anstalt mit der praktischen Thätigkeit eines Kaufmanns sich nicht wohl verbinden lasse. Es fänden sich zwar einige Leute aus den reichsten Kaufmannsfamilien, die den Wunsch hätten, ihre Söhne

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noch anders als durch, die Praxis auszubilden, für diese sei aber hierzu reichlich Gelegenheit an den Universitäten und technischen Hochschulen geschaffen, an denen man je nach Bedürfniss noch einige neue Professuren einrichten könne, bei denen den kaufmännischen "Wissenschaften mehr Rechnung getragen werde. Dadurch würde nicht nur für eine begünstigte Minorität im Kaufmannsstande, sondern auch für diejenigen Beamten gesorgt, die sich mit kaufmännischen Dingen befassen müssen, und ebenso auch für die Lehrer an Handelsschulen. Eine besondere Handelshochschule werde den Kastengeist fördern, was gerade bei dem deutschen Kaufmann vermieden werden müsse. Geheimer Ober-Regierungsrath Dr. K ö p k e bespricht an der Hand der Programme und auf Grund der von ihm gemachten Erfahrungen einzelne Lehrpläne der zur Zeit vorhandenen Handelsschulen und ermahnt zur Vorsicht bei der Werthschätzung dieser Anstalten für den kaufmännischen Beruf. Handelskammersekretär Dr. L e h m a n n tritt der Ansicht des Berichterstatters entgegen, als ob der geringe Besuch der Handelsschule in Aachen auf Mängel im Lehrplane zurückzuführen sei; er glaubt, dass der Besuch sich in Zukunft heben werde, namentlich wenn der Anstalt besondere Berechtigungen zuerkannt werden würden. Handelsschuldirektor Professor Dr. T h o m e begründet die Nothwendigkeit, in Köln eine Handelsschule so zu errichten, wie es geschehen ist, damit, dass es daselbst zahlreiche junge Leute gebe, die von vornherein für den Kaufmannsstand bestimmt seien. Die Kölner Handelsschule sei keine Fachschule, sondern eine allgemeine Bildungsanstalt, bei der indessen der zukünftige Beruf der Schüler im Auge behalten werde. Möglich sei es, dass man später einmal die Klassen von Obersekunda ab zu einer reinen Fachschule ausgestalte. Oberbürgermeister D e l b r ü c k bittet, bei der Frage der Errichtung von Handelsschulen den örtlichen Verhältnissen möglichst Rechnung zu tragen. In Danzig habe früher eine sogenannte Handelsakademie bestanden; diese sei eingegangen und in eine sechsklassige lateinlose Realschule umgewandelt worden. Zugleich habe man dieser Realschule eine Handelsklasse angegliedert, und man hoffe, damit sowohl die Interessen der allgemeinen Bildung wie die des Berufs entsprechend berücksichtigt zu haben. Die Nothwendigkeit der Gründung einer Handelshochschule kann Redner nicht anerkennen. Der Kaufmannsstand besitze schon jetzt die ihm gebührende soziale Stellung und auch genügendes Selbstbewusstsein. Es wäre nur zu wünschen, dass auch die Angehörigen der anderen Stände sich über die Bedeutung des Handelsstandes klar wären. Der Kaufmann habe ein ausserordentliches Interesse daran, gediegene Kenntnisse über das, was der Handel wolle und gebrauche, in weiten Kreisen zu verbreiten. Es sei von wesentlicher Bedeutung, dass die Richter, die in Handelssachen entscheiden sollten, ferner die Verwaltungs- und Konsulatsbeamten schon bei ihrer Vorbildung auf der Universität die Möglichkeit erhielten, sich umfassende gediegene Kenntnisse in Handelssachen anzueignen. Aus diesen Gründen halte er es für richtiger, die vorhandenen Hochschulen auszubauen, statt eine grosse Handelshochschule zu errichten. "Wenn eine oder zwei Handelshochschulen gegründet würden, so wäre es nur einem beschränkten Theile des Handelsstandes möglich, diese Anstalten zu besuchen. Auch der von den Freunden der Handelshochschulen angeführte Zweck, die allgemeine Bildung der Kaufleute zu erweitern, werde besser erreicht, wenn die Studirenden des Handelsfachs die vorhandenen Hochschulen besuchten. Die Angliederung der handelswissenschaftlichen Studien an die Hochschulen sei besonders für das wirtschaftliche Leben im Osten wichtig, da auf diese Weise auch der Landwirth Gelegenheit erhalte, sich etwas kaufmännisches Wissen anzueignen. Es würden sicherlich viele Landwirthe an den kaufmännischen Vorlesungen theilnehmen. Den Versuch in Aachen, eine solche Angliederung an die technische Hochschule vorzunehmen, könne er nur billigen, und er hoffe, dass sich recht viele Polytechniker finden würden, die diese Gelegenheit benutzen, sich kaufmännische Kenntnisse anzueignen. Direktor Dr. Z i m m e r m a n n bespricht die Entwickelung der Handelsschulverhältnisse im Auslände und bittet, die dort gemachten Erfahrungen bei der Organisation des Handelsschulwesens in Preussen nutzbar zu machen; namentlich könnte Oesterreich für uns vorbildlich werden. Dort sei der Gesichtspunkt festgehalten worden, dass erst für die formale und dann für die fachliche Bildung gesorgt werden müsse. Redner spricht sich seinerseits für eine starke Betonung des

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fachlichen Unterrichts aus, hält aber die Bildung von Vorklassen für zweckmässig. Die Berechtigung der höheren Handelsschulen sei ihm bei dem geringen Besuch dieser Anstalten zweifelhaft, die vorhandenen würden wahrscheinlich aufgesaugt werden, wenn Handelshochschulen gegründet würden. Im Uebrigen sei er gegen selbständige Handelshochschulen und empfehle, statt dessen handelswissenschaftliche Vorlesungen an die vorhandenen Universitäten und Polytechniken anzugliedern. Geh. Kommerzienrath G o l d b e r g e r ist der Ansicht, dass sich die Gründung v o l l e r Handelsschulen nicht empfehle, dass es aber zweckmässig sei, von einer höheren Klasse ab an den Unterbau der bestehenden Unterrichtsanstalten (Realschulen oder Realgymnasien) besondere Handelsfachkurse anzugliedern. Für die Errichtung selbständiger Handelshochschulen vermöge er nicht einzutreten, da er ein Bedürfniss zu solchen Anstalten nicht anerkennen könne. Wenn sich Männer in Aachen gefunden hätten, die einen Versuch machen und die erforderlichen Mittel aufbringen wollten, so sei dagegen nichts einzuwenden, die Regierung möge solche Bemühungen nur fördern, kaufmännische Universitäten seien dagegen nicht gerechtfertigt. Wenn die Nothwendigkeit der Errichtung von Handelshochschulen damit begründet werden sollte, dass die jungen Kaufleute eine Schulung des Sinnes für das öffentliche Leben nöthig hätten, so sei zu bedenken, dass die Leute nicht als Grosskaufleute auf die Welt kämen, in vielen Fällen entwickle sich der spätere Grosskaufmann und Grossindustrielle aus kleinen Verhältnissen heraus. Wenn aber thatsächlich einmal der Sohn eines Grosskaufmanns sich einen weiteren Blick für das öffentliche und parlamentarische Leben erwerben solle, so reichten die bestehenden Hochschulen in vollem Umfange aus. Ebenso sei es verfehlt, auf das moralische und erziehliche Moment der Handelshochschule hinzuweisen. Der Kaufmann wisse selbst, dass Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit, Treue und Glauben die ersten Erfordernisse des Handelsbetriebes seien. Erziehlich zu wirken, sei die Aufgabe jeder Schule und demnach auch die Handelsschule. Dieses Moment dürfe aber nicht in den Vordergrund gestellt werden. Im Uebrigen würde eine besondere Handelshochschule auch innerhalb der Gehülfenschaft Gegensätze erwecken, nämlich zwischen den Minderbemittelten und denjenigen, denen ihre Mittel den Besuch der Handelshochschule erlaubten; das sei ein sehr wichtiger sozialpolitischer Gesichtspunkt, der beachtet werden müsste. Gegen die Errichtung einzelner Lehrstühle für Handelswissenschaften an schon bestehenden Hochschulen habe er nichts einzuwenden. Schliesslich giebt Redner im Auftrage der anwesenden Vertreter der kaufmännischen Körperschaften von Altona, Berlin, Breslau, Königsberg i. Pr. und Stettin die Erklärung ab, „dass sie ein Bedürfniss für die Errichtung selbständiger Handelshochschulen als vorhanden nicht anerkennen, dass sie es dagegen für zweckmässig halten, an die bestehenden Hochschulen handelswissenschaftliche Lehrfächer anzugliedern, ohne den besonderen Bestrebungen der einzelnen Städte vorzugreifen.'1 Kommerzienrath v. C ö l l n befürwortet die Errichtung von Lehrstühlen für kaufmännische Disziplinen an den vorhandenen Hochschulen und bittet, dabei Hannover mit zu berücksichtigen. Oberbürgermeister A d i c k e s bittet, aus der geringen Schülerzahl der Handelsschule zu Frankfurt, die in persönlichen und lokalen Verhältnissen ihren Grund habe, nicht den Schluss zu ziehen, dass für derartige Anstalten kein Bedürfniss vorhanden sei. Er warnt sodann davor, mit der Fachbildung zu früh zu beginnen, und betont den Werth der allgemeinen Bildung, die jedoch mehr als bisher dem modernen Leben angepasst und von der kaufmännischen Bildung und Entwickelung durchtränkt werden müsse. Um den Wissensdrang der bereits im Geschäft stehenden Kaufleute zu befriedigen, seien Handelshochschulen allein nicht ausreichend; er empfiehlt, es den einzelnen Städten zu überlassen, zu diesem Zwecke die erforderlichen Einrichtungen zu treffen. Generalsekretär S t u m p f spricht sich gegen die Einrichtung selbständiger Handelshochschulen aus, da ein Bedürfniss für sie nicht vorhanden sei; er hält es für ausreichend, wenn an den bestehenden Hochschulen die kaufmännischen Wissenschaften etwas mehr berücksichtigt würden, und bittet, falls dahingehende Versuche gemacht werden sollten, sich nicht auf Aachen zu beschränken. Die Gründung von Handelsschulen hält er für wünschenswert!», da die Bildung, die auf den Realschulen erworben werde, für den kaufmännischen Beruf nicht genüge.

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Generalsekretär Dr. S o e t b e e r hebt hervor, dass betreffs der Handelshochschule die Meinung des eigentlichen Kaufmannsstandes bis jetzt noch zu wenig bekannt sei. Er hält es deshalb f ü r nöthig, durch eine Umfrage im weitesten Sinne mit Hülfe der Handelskammern festzustellen, welche "Werthschätzung die nächstbetheiligten Kreise der Ausbildung auf einer Handelshochschule beimessen, und ob Neigung zum Besuch einer solchen vorhanden ist. Dabei müsste die Fragestellung so sein, dass sowohl diejenigen, die als Zweck der Hochschule die weitere Ausbildung f ü r die Geschäftsführung hinstellen, als auch die, die die Förderung der allgemeinen Bildung betonen, zu "Worte kommen könnten. Auch über die Anforderungen, die bei der Aufnahme zu stellen seien, müsste die Meinung der Kaufleute gehört werden. Schliesslich bittet Redner die Staatsregierung, die in Aachen hervorgetretenen Bestrebungen thunlichst zu unterstützen. Direktor Dr. Z i e h e n tritt der Ansicht des Berichterstatters bei, dass der schwache Besuch der Frankfurter Handelsschule in der ungeeigneten Organisation zu suchen sei. Kommerzienrath S e y f f a r d t wünscht, dass der in Aachen geplante Versuch ausgeführt werde, wenn auch die Handelskammer in Krefeld die Nothwendigkeit zur Schaffung von Handelshochschulen nicht anerkennen könDe. Geheimer Ober-Regierungsrath Dr. W e h r e n p f e n n i g bezweifelt, dass die von Dr. Soetbeer empfohlene Umfrage von Nutzen sein würde, da sowohl die Frage, ob nur junge Leute mit der Berechtigung zum Universitätsstudium oder auch solche mit dem Einjährig-Freiwilligen-Zeugniss zum Besuch der Handelshochschulen zugelassen werden sollten, als auch die, ob die Hochschulen zur Ausbildung im Geschäftsbetriebe oder mehr zur Entwicklung der allgemeinen geistigen Bildung dienen solle, sehr verschieden beantwortet werden und eine Klärung nicht erfahren würde. Er empfiehlt, zunächst die Erfolge des in Aachen angestellten Versuchs abzuwarten. Kommerzienrath D a m m e kann die Errichtung von Handelshochschulen, zu deren Besuch die jungen Kaufleute keine Zeit hätten, nicht empfehlen. Er glaubt, dass etwaige Lücken in der Bildung durch Kurse und Vorträge ausgefüllt werden könnten. Oberbürgermeister B e n d e r spricht sich gegen die Errichtung von Handelsschulen aus, empfiehlt aber, den einzelnen Gemeinden Freiheit in der Ausgestaltung ihrer Schulen zu lassen; dann würde es z. B. möglich sein, an Realschulen einige Stunden kaufmännischen Fächern zu widmen, wenn dies dem örtlichen Bedürfniss entspreche. Auch die Nothwendigkeit selbständiger Handelshochschulen vermag er nicht anzuerkennen; es genüge, wenn an Universitäten und Polytechniken Verkehrsund Handelswissenschaften gelehrt würden. Professor Dr. E h r e n b e r g führt aus, dass das Vorhandensein verschiedener Ansichten über die Ziele der Handelshochschule nicht gegen die Nothwendigkeit solcher Anstalten spreche. "Wenn er auch zugeben wolle, dass hervorragend praktische Leute f ü r ihren Beruf keiner Hochschule bedürften, so sei es für den Kaufmannsstand im Allgemeinen doch wünschenswerth, seinen Gesichtskreis zu erweitern. Der Ansicht des Oberbürgermeisters Delbrück, dass es sich empfehle, in die akademisch gebildeten Kreise etwas mehr kaufmännisches Wissen hineinzubringen, trete er bei. Da weitere Redner nicht zum "Worte gemeldet sind, wird die Erörterung über die Handelsschulen, höheren Handelsschulen und Handelshochschulen geschlossen. Auf die Frage des Geheimraths F r e n t z e l , ob es nicht möglich sei, die Ergebnisse der gegenwärtigen Berathungen in irgend einer Weise auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen, antwortet der M i n i s t e r f ü r H a n d e l und G e w e r b e , dass der Inhalt der Verhandlungen zusammengestellt und den Theilnehmem übersandt werden würde. Sodann tritt der Minister der von einem der Theilnehmer anscheinend gehegten Ansicht entgegen, dass die Konferenz veranlasst worden sei durch den Gedanken, unser Kaufmaunsstand stehe nicht auf der vollen Höhe der Intelligenz und Ausbildung; gerade das Regent heil sei der Fall: unser Kaufmannsstand sei au Kenntnissen und gründlichem Wissen dem der übrigen Welt mindestens ebenbürtig, wenn nicht überlegen. Trotzdem aber müsse dafür gesorgt werden, dass unsere Jugend den grossen Aufgaben,

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die die Zukunft bringen werde, gewachsen sei. In den vorausgegangenen Verhandlungen habe sich die Mehrzahl der Redner dafür ausgesprochen, dass man den besonderen Bedürfnissen des praktischen Erwerbslebens Rechnung tragen und die Fachbildung stärker als bisher betonen müsse. Bezüglich der Handelsschulen seien die Meinungen getheilt gewesen, mehrere Herren hielten es f ü r wünschenswerth. mit dem Fachunterricht möglichst frühzeitig zu beginnen, während andere glaubten, dass es nicht unbedenklich sei, Schüler im Alter von 12 Jahren schon zu einem bestimmten Berufe hinzudrängen. Der letzteren Ansicht sei dann entgegengehalten worden, dass es eine grosse Zahl von Kindern gebe, bei denen es von vornherein feststehe, dass sie in dem Berufe ihrer Eltern verbleiben, und diesen dürfe man die Möglichkeit, ihre Ausbildung nach einer bestimmten Richtung schon in den unteren Klassen höherer Lehranstalten zu beginnen, nicht nehmen. Auch darüber, ob es zweckmässig sei, die Handelsschulen zu selbständigen Anstalten zu macheu oder sie an vorhandene Unterrichtsanstalten anzulehnen, gingen die Meinungen auseinander. Bei der Hochschulfrage scheine das Eine die Zustimmung Aller zu haben, dass es erwünscht wäre, die Wissenschaften, die zur Handelslehre im weiteren Sinne gehören, in akademische Kurse an Universitäten oder anderen Hochschulen einzubeziehen und diese dem Handelsstande zu erschliessen. Ueber die Art des Anschlusses seien die Ansichten getheilt; von Einigen werde die Einrichtung einer selbständigen Abtheihmg gewünscht, von Andern werde empfohlen, an möglichst vielen Universitäten u. s. w. Lehrstühle und Kurse f ü r die verschiedenen Unterrichtszweige einzurichten. Dieser Ansicht neige auch er zu; eine solche Einrichtung biete die Möglichkeit, dass diejenigen, die sich dem Handelsstande widmen wollten, nicht bloss für ihre Fachausbildung, sondern auch für die Ausbildung in anderen Wissenschaften Gelegenheit fänden. Ausserdem sei dann auch denen, die sich einem anderen Berufe widmen wollten. Gelegenheit geboten, ihre Kenntnisse in handclswissenschaftlichcr Beziehung zu ergänzen. So sei es beispielsweise erwünscht, dass die jungen Verwaltungsbeamten sich in Fragen des wirthschaftlichen Lebens ein gründlicheres "Wissen und besseres Verständniss erwerben möchten, als sie jetzt im Durchschnitt besässen. Darauf schliesst der Minister die Berathungen, indem er den Theilnehmern seinen Dank ausspricht f ü r die Bereitwilligkeit, mit der sie der Einladung gefolgt seien, und für die gründlichen und sorgfältigen Aufklärungen, die sie über die in ihren Kreisen vertretenen Ansichten gegeben hätten. Zum Schluss stattet Oberbürgermeister B e c k e r unter dem Hinweis darauf, dass die Verhandlungen dem Handelsstande von grossem Nutzen sein würden, dem Herrn Minister im Namen Aller den tiefgefühlten Dank ab für die umsichtige Leitung der Berathungen.

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Vorschriften für die

Aufstellung von Lehrplänen und das Lehrverfaliren im Deutschen und Rechnen an den vom Staate unterstfitzten gewerblichen Fortbildungsschulen vom 5. Juli 1897.') (Mit wöchentlich 4—6 Unterrichtsstunden für jeden Schüler.2)

A. Allgemeine B e s t i m m u n g e n . Bei Aufstellung der Lehrpläne für gewerbliche Fortbildungsschulen ist davon auszugehen, dass der Unterrichtsstoff vorzugsweise für das bürgerliche Leben von Nutzen sein und den Lebens- und Berufsinteressen der Schüler dienen soll. Dabei ist auf die örtlichen gewerblichen Verhältnisse (Ueberwiegen eines bestimmten Berufes usw.) Rücksicht zu nehmen und zugleich die Pflege des religiösen Sinnes und der Liebe zum Vaterlande im Auge zu behalten. 1. L e h r g e g e n s t ä n d e und Zahl der U n t e r r i c h t s s t u n d e n . In jeder Klasse müssen wöchentlich mindestens vier Unterrichtsstunden ertheilt werden, von denen je zwei dem Unterricht im Deutschen und Rechnen (einschliesslich Buchführung) zu widmen sind. Bei fünf Stunden sind zwei auf Zeichnen und drei auf Deutsch und Rechnen, bei sechs je zwei auf Zeichnen, Deutsch und Rechnen zu verwenden. "Werden m e h r als sechs S t u n d e n e r t h e i l t , so k ö n n e n e n t w e d e r die Z e i c h e n s t u n d e n v e r m e h r t oder f ü r G e s e t z e s k u n d e , B u c h f ü h r u n g , R a u m l e h r e u. s. w. b e s o n d e r e S t u n d e n a n g e s e t z t oder auch n e u e U n t e r r i c h t s f ä c h e r , wie P h y s i k , Chemie u. s. w. e i n g e f ü h r t werden. 3 ) Die Lehrstunden sind so zu vertheilen, dass, abgesehen vom Zeichnen, für gewöhnlich dieselben Schüler in dem gleichen Lehrgegenstande nicht zwei Stunden hintereinander unterrichtet werden. 2. G l i e d e r u n g d e r Schule. Der Unterricht im Deutschen und Rechnen ist in je vier aufsteigenden Stufen zu ertheilen, für die thunlichst besondere Klassen einzurichten sind. Haben zwei oder mehr Stufen zusammen weniger als 30 Schüler, so sind sie in einer Klasse in getrennten Abtheilungen zu unterrichten; zählt dagegen eine Stufe mehr als 40 Schüler, so sind Parallelklassen zu schaffen. Jeder Schüler ist nötigenfalls nach voraufgegangener 'Prüfung derjenigen Stufe zu überweisen, in die er nach seinen Vorkenntnissen gehört. Aus denjenigen Schülern, die noch nicht für die unterste Stufe reif sind, werden besondere Vorbereitungsklassen gebildet. 3. B e z e i c h n u n g d e r K l a s s e n . Die einzelnen aufsteigenden Klassen sind mit römischen Ziffern, und zwar die oberste mit I, die unterste mit IV zu bezeichnen; bei Parallelklassen wird der Beilage zu No. 7 des M i n i s t e r i a l - B l a t t e s d e r H a n d e l s - und Gew e r b e - V e r w a l t u n g von 1891. 2 ) Gestrichen laut Erlass vom 29. März 1899. s ) Eingefügt laut Erlass vom 29. März 1899.

Anlage III.

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Buchstabe a, b, c u. s. w. der Zahl hinzugefügt. Die Vorbereitungstiassen heissen „Vorklassen'1. B. B e s t i m m u n g e n ü b e r den U n t e r r i c h t im D e u t s c h e n . 1. L e s e n . Aufgaben des Leseunterrichts. Durch den Leseunterricht sollen die Schüler in der Lesefertigkeit gefördert, zu verständiger Auffassung und richtiger Beurtheilung des Gelesenen befähigt und an nützlichen Kenntnissen auf den verschiedenen Gebieten des gewerblichen Lebens bereichert werden. Ausserdem sind sie durch den Leseunterricht zu selbständiger Beschäftigung mit guter Lektüre anzuregen und in ihrer Gemüths- und Charakterbildung zu fördern. Lesebuch und Auswahl der Lesestücke. Dem Unterricht ist ein gutes Lesebuch zu Grunde zu legen, dessen Inhalt das Interesse der Schüler für ihren Beruf zu fördern, ihren sittlichen "Willen zu stärken und die Vaterlandsliebe zu beleben geeignet ist. Lesebücher, deren Inhalt die Angehörigen verletzen könnte, sind nicht gestattet; auch ist die Benutzung von Lesebüchern, die in den Volksschulen gebraucht werden, zu vermeiden. Schüler, denen das mechanische Lesen noch Schwierigkeiten bereitet, sind nach einer Fibel zu unterrichten. Die zu behandelnden Lesestücke sind im Lehrplan für jede einzelne Stufe genau zu bezeichnen und so auszuwählen, dass ein Fortschritt vom Leichteren zum Schwereren stattfindet. Auf jeder Stufe sind Lesestücke zu berücksichtigen, deren Inhalt entnommen ist: 1. dem religiös-sittlichen Leben, 2. der Gewerbekunde, 3. der Naturwissenschaft, Geschichte und Geographie, 4. der Gesetzeskunde und Volkswirthschaftlehre. Aus der Gesetzeskunde sind im Anschluss an geeignete Lesestücke die Grandzüge der Verfassung des Deutschen Reichs und des Preussischen Staats, die Vorschriften der Gewerbeordnung über die Arbeiterverhältnisse (einschliesslich der Gesellen- und Lehrlingsverhältnisse), das Gesetz über die Gewerbegerichte und die Versicherungsgesetzgebung zu behandeln. Belehrungen aus dem Gebiete der Volkswirtschaft haben sich auf die Erläuterung wichtiger Einrichtungen des heutigen wirthsckaftlichen Lebens (wie Sparkassen, Genossenschaftswesen, Besteuerung u. s. w.) zu beschränken, wobei theoretische Erörterungen der Grundbegriffe nach Möglichkeit zu vermeiden sind. Lehrverfahren. Bei Besprechung der Lesestücke ist zu beachten, dass die in der Volksschuleübliche Lehrweise nicht ohne "Weiteres auf die Fortbildungsschulen übertragen werden kann; es ist vielmehr auf das Alter und auf den Umstand Rücksicht zu nehmen, dass die Schüler bereits im praktischen Leben stehen und von jedem Lesestück einen Gewimi für ihre allgemeine oder gewerbliche Bildung erwarten. Zergliederungen des Gelesenen bis ins Enzeine sind nicht zweckmässig; grammatische Erörterungen sind nur insoweit statthaft, als sie zum sprachlichen Verständniss eines Satzes unerlässlich sind. Dagegen ist besonderer "Werth darauf zu legen, dass die Schüler den Hauptinhalt der gelesenen Stücke klar und gewandt wiedergeben lernen. Poetische Stücke sind nur in beschränkter Zahl zu behandeln. 2. A u f s ä t z e . Die Aufsatzübungen haben den Zweck, die Schüler zu befähigen, sich über einfache, ihrem Anschauungskreise und Berufsleben naheliegende Fragen klar und bestimmt schriftlich auszudrücken. Auch sollen sie die Form der im bürgerlichen und geschäftlichen Leben vorkommenden Arbeiten kennen lernen (Geschäfsaufsätze). Alle vierzehn Tage ist abwechselnd ein Aufsatz allgemeinen Inhalts und ein Geschäftsaufsatz anzufertigen. Diese Arbeiten dürfen nicht so vorbereitet werden, dass die Schüler die einzelnen Sätze auswendig lernen und dann fast wörtlich niederschreiben. Die Schüler sind vielmehr an die selbständige Wiedergabe der Gedanken Anderer und demnächst auch an eigenes Entwerfen zu gewöhnen. Die Aufsätze müssen nach der Vorbereitung zunächst im Tagebuche entworfen, dann unter Zugrundelegung dieser Entwürfe gemeinsam besprochen und, nachdem

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sie von den Schülern, nochmals durchgesehen und nötigenfalls verbessert sind, in das .Reinheft eingetragen werden. Dabei ist jeder Aufsatz mit einer fortlaufenden Nummer und mit dem Datum des Ablieferungstages zu versehen. Der Lehrer hat die Aufsätze zu Hause sorgfältig durchzusehen, die Fehler zu unterstreichen und sein Urtheil über die Arbeit unter Beifügung des Datums der Durchsicht darunter zu setzen. Nachdem die orthographischen, grammatischen und stilistischen Fehler, die sich der Lehrer gruppenweise zusammenstellen muss, mit der ganzen Klasse besprochen sind, haben die Schüler eine Fehlerverbesserung anzufertigen, die bei der Korrektur der nächsten Arbeit mit durchzusehen ist. Die Aufsätze allgemeinen Inhalts sollen sich möglichst an die durchgenommenen Lesestücke anschliessen; einfache Umsetzungen von Gedichten in Prosa sind nicht zulässig. Bei der Anfertigung von Geschäftsaufsätzen sind die Schüler über die richtige Form und Fassung von Briefen, Rundschreiben, Rechnungen, Quittungen, Geschäftsanzeigen, Lehrverträgen, Eingaben an Behörden, Anträge auf Erlass von Zahlungsbefehlen u. s. w., sowie über die wichtigsten Bestimmungen des Post-, Telegraphen-, Telephon- und Eisenbahn-Verkehrs zu belehren. Dabei empfiehlt es sich, auf den unteren Stufen von einem den Schülern vorliegenden Musterbeispiel auszugehen und es unter Anpassung an ähnliche Verhältnisse, wobei auf den Beruf der verschiedenen Schüler Bücksicht zu nehmen ist, nachbilden zu lassen. Dagegen ist auf den oberen Stufen die Benutzung von Mustern thunlichst zu vermeiden und dahin zu streben, dass die Schüler derartige Schriftstücke selbständig abfassen lernen. Auf die sprachlichen Missbräuche des sogesannten kaufmännischen Geschäftsstils ist fortgesetzt aufmerksam zu machen. 3. S p r a c h l e h r e , R e c h t s c h r e i b u n g u n d S c h ö n s c h r e i b e n . Ein planmässiger Unterricht in der Sprachlehre und Rechtschreibung kann in der Fortbildungsschule nicht ertheilt werden; es wird sich indessen bei der Besprechung der in den Aufsätzen von den Schülern gemachten Fehler Gelegenheit bieten, die in Betracht kommenden Regeln kurz zu wiederholen. Auf den unteren Stufen wird es ferner nöthig sein, häufiger Diktate schreiben zu lassen. Diese sind so einzurichten, dass diejenigen Wörter und Sprachformen geübt werden, deren Schreibweise den Schülern erfahrungsmässig besondere Schwierigkeiten bietet. Ein besonderer Unterricht im Schönschreiben ist in der Regel nicht zu ertheilen; zur Erzielung einer gefälligen Handschrift ist aber streng darauf zu halten, •dass alle schriftlichen Arbeiten sauber und so gut wie möglich angefertigt werden. Auf den oberen Stufen sind die Schüler im Schreiben ohne Linien zu üben. C. B e s t i m m u n g e n ü b e r d e n R e c h e n u n t e r r i c h t . Aufgabe des R e o h e n u n t e r r i c h t s . Durch den Rechenunterricht soll unter steter Berücksichtigung der Anforderungen des gewerblichen Lebens die Rechenfertigkeit der Schüler erhalten und gesteigert werden. Lehrstoff. Der Lehrstoff ist auf die vier Stufen in der Regel in folgender "Weise zu vertheilen: S t u f e IV. Die vier Grundrechnungsarten mit unbenannten und benannten ganzen Zahlen sind gründlich zu wiederholen, wobei auf die Uebungen im Zahlenkreise von 1—100 besonderes Gewicht zu legen ist. Ferner ist das Deutsche Münz-, Mass- und Gewichts-System und die abgekürzte Schreibweise einzuprägen. S t u f e III. Das Rechnen mit gewöhnlichen und Dezimalbrüchen ist eingehend zu behandeln und demnächst an Sortenverwandlungs- und Regeldetri-Aufgaben, sowie an einfachen Beispielen aus der Zinsrechnung zu üben. S t u f e II. Die Prozentrechnung (Zins-, Diskont-, Rabatt-, Gewinn- und Verlust- und Tara-Rechnung, Aufgaben über Lebens- und Feuerversicherung, Berechnung von Staats- und Kommunalsteuern u. s. w.) muss hier gründlich durchgenommen werden; ferner sind Aufgaben aus der Flächen- und Körperberechnung zu behandeln, auch Gesellschafts- und Mischungsrechnung an einigen Beispielen zu erläutern. S t u f e I. Zunächst sind schwierigere Aufgaben aus den vorher behandelten Gebieten, besonders aus der Flächen- und Körperberechnung, zu wiederholen. Bei

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den Aufgaben aus der Diskontrecknung sind die wichtigsten Bestimmungen der Wechselordnung einzuprägen. Sodann sind Aufstellungen von Lohnlisten und Kostenanschlägen vorzunehmen, wobei namentlich auf die richtige Berechnung der Geschäftsunkosten Gewicht zu legen ist; ferner sind solche Aufgaben zu behandeln, die sich auf die Arbeiterversicherungsgesetze (Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung) beziehen. Lehrverfahren. In jeder Lelirstunde müssen mündliche und schriftliche Uehungen mit einander abwechseln. Der schriftlichen Ausrechnung schwieriger Aufgaben muss die mündliche Lösung leichter und übersichtlicher Beispiele derselben Gattung vorangehen. Die Lösung ist von den Schülern unter Anleitung des Lehrers zu finden; durch selbständiges Vorrechnen in möglichst knapper Form haben die Schüler den Beweis zu liefern, dass sie die Aufgaben und den Gang der Lösung verstanden haben. B e i den mündlichen Uebungen ist der Gebrauch eines Rechenbuchs für Lehrer und Schüler nicht statthaft. Auszuschliessen sind Aufgaben mit zu grossen Zahlen, sowie solche, deren Lösung nur eine gewisse Geistesgymnastik bezweckt, die aber für die Ausübung des gewerblichen Berufes ohne Nutzen sind. Auch ist zu beachten, dass verschiedene Lösungen derselben Aufgabe die Schüler mehr fördern, als die Lösung vieler Aufgaben nach derselben Schablone. "Wenn auch Operationen mit unbenannten Zahlen, besonders heim Kopfrechnen, nicht auszuschliessen sind, so sollen doch in der Regel eingekleidete Aufgaben, zu denen der Stoff möglichst dem Gewerbe der Schüler zu entnehmen ist, gewählt werden. Damit bei Stellung der Aufgaben alle Annahmen und Angaben (Preise, Entfernungen, Gebräuche beim Ein- und Verkauf u. s. w.) den thatsächlichen Verhältnissen entsprochen, muss sich der Lehrer durch häufigen Besuch von Werkstätten verschiedener Art und durch persönlichen Verkehr mit Handwerkern und anderen Gewerbetreibenden über die einschlägigen gewerblichen Verhältnisse seines Bezirks genau unterrichten. Um bei den Schülern die Zahlenkenntniss zu heben, ist das Zerlegen der Zahlen in Faktorenpaare, das Aufsuchen der Maasse, des grössten gemeinschaftlichen Maasses zweier Zahlen, ihres kleinsten gemeinschaftlichen Vielfachen u. s. w. schon auf der untersten Stufe zu pflegen. Auch sind die Schüler von vornherein dazu anzuleiten, etwa sich darbietende Rechenvortheile zu benutzen. Die Bruchrechnung ist kurz und knapp zu behandeln, alles unnöthige Beiwerk, z. B . das Auswendiglernen überflüssiger Definitionen, das Aufsuchen des Generalnenners von Zahlen, die im praktischen Leben gar nicht oder nur selten als Nenner eines Bruches vorkommen, ist zu vermeiden; die als Prozentsätze häufig benutzten Theilzaklen von 100 ( ' / „ V 3 , ''4, Vi, :Vi, Ys, 7m Ys u - s - W - X 100) sind den Schülern fest einzuprägen. Bei der Prozentrechnung ist darauf aufmerksam zu machen, dass durch die Prozentbestimmung verschiedene Beziehungen zwischen den von ihr abhängenden Grössen zum Ausdruck gebracht werden. So wird z. B . durch die Angabe „12 1 /, 0 /» Gewinn" nicht allein ausgedrückt, dass bei. einem Einkaufspreis von 100 Mark der Verkaufspreis 1127 2 Mark und der Gewinn 12 1 /, Mark beträgt, sondern auch, dass der Verkaufspreis !, / s mal so gross ist als der Einkaufspreis, und dass der Gewinn der 8. Theil des Einkaufs- und der 9. Theil des Verkaufspreises ist u. s. w. D. B e s t i m m u n g e n Buchführung.

über

den

Unterricht

in

der

gewerblichen

Auf der I. Stufe sind die Schüler während eines halben Jahres wöchentlich in einer Stunde, um die der Rechenunterricht zu kürzen ist. in der gewerblichen Buchführung zu unterweisen. Dabei sind theoretische Erörterungen, soweit sie zum Verständniss nicht unbedingt nothwendig sind, zu vermeiden; das Hauptgewicht ist auf praktische Uebung in der Eintragung der verschiedenen Geschäftsvorfälle zu legen, wobei möglichst jeder Schüler Vorfälle aus seinem Gewerbe buchen muss. Die für Handwerker bestimmte Buchführung ,muss möglichst einfach und leicht fasslich sein. Aus den Geschäftsbüchern soll der Verbleib des Geldes, der "Waaren

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und sonstigen Besitzgegenstände, das Verhältniss des Geschäftsinhabers zu seinen Gläubigern und Schuldnern und die jeweilige Vermögenslage zu ersehen sein. Auch sollen sie Auskunft geben über die Höhe der Geschäftsunkosten, den Werth des verarbeiteten Rohmaterials, die gezahlten Löhne und die Haushaltskosten der Gewerbetreibenden. I. Xaclitrag. Der Minister für Handel und Gewerbe. Berlin, den 19. März 1898. Die meisten der bereits eingereichten Lehrpläne für gewerbliche Fortbildungsschulen enthalten so viele Mängel, dass ich mich genöthigt sehe, den unterm 5. Juli v. J. erlassenen ,,Vorschriften" einige B e s t i m m u n g e n ü b e r die A b f a s s u n g u n d P r ü f u n g d e r L e h r p l ä n e folgen zu lassen. Für die zutreffende Gestaltung der Lehrpläne ist es von wesentlicher Bedeutung, dass der bei A 2 der ,,Vorschriften'1 aufgestellte Grundsatz der S t u f e n b i l d u n g richtig verstanden wird. Vielfach findet sich die Auffassung, dass alle neu eintretenden Schüler der untersten Stufe zugewiesen werden müssten und dass in Folge dessen bei nur dreijährigem Schulbesuch die Bildung von vier aufsteigenden Stufen nicht möglich sei. Diese Ansicht ist irrig. Die „Vorschriften" sagen ausdrücklich, dass jeder Schüler derjenigen Stufe überwiesen werden muss, in die er n a c h s e i n e n V o r k e n n t n i s s e n g e h ö r t . Von vornherein soll der Schüler mit besserer Vorbildung von dem mit geringeren Kenntnissen getrennt und der begabte und strebsame nicht durch den unfähigen und unfleissigen aufgehalten werden. Hieraus ergiebt sich, dass, wenn auch eine grosse Zahl von Schülern mit der Durcharbeitung des Pensums der IV. Stufe wird beginnen müssen, doch viele nach zwei Jahren oder auch in kürzerer Zeit die Reife zum Eintritt in die I. Stufe erlangt haben können, und dass demnach auch bei dreijährigem Schulbesuch die Bildung von vier aufsteigenden Stufen möglich und nothwendig ist. Auch der mehrfach aufgetretene Einwand, dass die Stufenbildung an denjenigen Anstalten nicht durchführbar sei, bei denen wegen zu geringer Schülerzahl nur eine oder zwei Klassen eingerichtet werden können, ist ungerechtfertigt. In diesen Fällen sind mehrere Stufen in einer Klasse zu vereinigen und Abtheilungen zu bilden. Bei Aufstellung der Lehrpläne ist ferner zu beachten, dass jeder Plan für eine b e s t i m m t e S c h u l e gelten soll. Daraus folgt, dass einerseits allgemeine Betrachtungen über den Nutzen der Fortbildungsschulen entbehrlich sind, andererseits aber alles das geboten werden muss. was nöthig ist, um einen geregelten Unterrichtsbetrieb in jedem Lehrfach in einer den besonderen örtlichen Verhältnissen entsprechenden Weise zu sichern. In der Regel wird es sich empfehlen, den Lehrplan in zwei Abschnitte zu gliedern: I. Bemerkungen über die Einrichtungen der Schule, II. Stoffvertheilungsplan. I. Im ersten Theile ist auszuführen, in welchen Lehrfächern unterrichtet wird, und wieviel Stunden jedem Unterrichtsgegenstande wöchentlich gewidmet werden sollen; ferner, ob für jede Stufe eine besondere Klasse vorhanden ist oder ob mehrere Stufen in einer Klasse vereinigt sind. Ist das Letztere der Fall, so ist anzugeben, in welchen Fächern die Schüler gemeinsam und in welchen sie getrennt unterrichtet werden. Sind Parallelklassen eingerichtet, so ist zu bemerken, nach welchen Grundsätzen die Vertheilung der Schüler erfolgt, ob beispielsweise der Beruf dabei berücksichtigt wird. Es ist auch Aufschluss darüber zu geben, ob die am Zeichnen nicht teilnehmenden Schüler statt dessen andern Unterricht und welchen, erhalten. Schliesslich darf auch eine Bemerkung darüber nicht fehlen, ob es nach den Verhältnissen des Ortes nothwendig ist, für diejenigen Schüler, die noch nicht für die IV. Stufe reif sind, eine besondere Vorklasse einzurichten, oder ob es genügt, für diese eine Unterabtheilung der IV. Stufe zu bilden. II. Bei der Stoffverteilung sind zunächst die zu Grunde liegenden Lehrbücher zu nennen. Dann ist das Jahrespensum für die einzelnen Stufen festzustellen und die Vertheilung des Lehrstoffs auf kleinere Zeitabschnitte ("Wochen, mindestens aber Monate) vorzunehmen. Dabei empfiehlt es sich, für jede Stufe zwei Kreise von Lesestücken aufzustellen, damit Schülern, die zwei Jahre derselben Stufe angehören, nicht zweimal derselbe Lesestoff geboten wird. Bei der Stoffauswahl für den Unterricht in der Volkswirtschaftslehre und Gesetzeskunde genügt es nicht,

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die diesen Gebieten entnommenen Lesestücke anzugeben. Hier mass vielmehr auch, gesagt werden, welcher Stoff im Anschluss an die einzelnen Stücke behandelt werden soll. Für die schriftlichen Arbeiten im Deutschen bedarf es der Angabe der Themata für die Aufsätze allgemeinen Inhalts nicht, da der Lehrer damit in jedem Jahre wechseln wird; dagegen ist bei den Geschäftsaufsätzen eine Stoffvertheilung vorzunehmen, die einen Fortschritt vom Leichteren zum Schwereren erkennen lässt. Die in den „Vorschriften" gegebenen Grundzüge für die Pensenvertheilung im Rechnen müssen für die Einzellehrpläne nach den örtlichen Verhältnissen spezialisirt werden, wobei auch Abweichungen von den „Vorschriften" nicht unzulässig sind. So kann beispielsweise das Vorwiegen eines bestimmten Berufes unter den Schülern das Bedürfniss ergeben, einzelne Rechnungsarten auf Kosten anderer eingehender zu behandeln. Ebenso kann bei verhältnissmässig guter Vorbildung der Schüler ein Theil des für die dritte Stufe vorgesehenen Pensums bereits auf der vierten behandelt und der Stoff für die oberen Stufen erweitert werden. Auch ist es nicht ausgeschlossen, dass einzelne leichtere Aufgaben aus den für die oberen Stufen bestimmten Gebieten schon auf den unteren besprochen werden. Mit der m e t h o d i s c h e n B e h a n d l u n g des U n t e r r i c h t s s t o f f s wird sich der Lehrplan nur dann zu befassen haben, wenn es erforderlich scheint, neben den in den „Vorschriften" getroffenen Bestimmungen noch mehr ins Einzelne gehende Anweisungen zu geben. Im Uebrigen ist besonderes Gewicht darauf zu legen, dass die in den „Vorschriften" aufgestellten Grundsätze über das Lehrverfahren richtig verstanden und durchgeführt werden. Es wird Aufgabe der Leiter und Revisoren der Fortbildungsschulen sein, diesem Punkte ihre ständige Aufmerksamkeit zu widmen und immer wieder die erforderlichen belehrenden Hinweise zu geben. Namentlich wird sich häufig Anlass bieten, daran zu erinnern, dass bei allem Fortbildungsschulunterricht der gewerbliche Beruf der Schüler in erster Linie berücksichtigt werden muss, und dass daher alle Belehrungen an bekannte, womöglich dem Geschäftsleben der einzelnen Schüler entnommene Vorkommnisse anzuknüpfen sind; auch ist besonders wichtig, dass die Schüler fortgesetzt auf den Werth des in der Schule erworbenen "Wissens für die Praxis hingewiesen weiden. Für jede Fortbildungsschule Ihres Bezirks liegen drei Abdrücke dieses Erlasses bei. "Weitere Abdrücke sind von der Geheimen Kanzlei meines Ministeriums zu beziehen. Im Auftrage: Hoeter. An die Herren Regierungs- Präsidenten mit Ausnahme des Herrn PolizeiPräsidenten von Berlin. II. Nachtrag. Ministerium für Handel und Gewerbe. E. 4354. Berlin, den 1. November 1898. A u s z u g aus den B e r i c h t e n ü b e r die R e v i s i o n e n g e w e r b l i c h e r Fortbildungsschulen. A. Allgemeines. Bei den meisten gewerblichen Fortbildungsschulen tritt der Charakter als gew e r b l i c h e Lehranstalt nicht deutlich genug hervor, da die Lehrer sich vielfach darauf beschränken, das im Volkssclxul-Unterricht Gelernte zu wiederholen und zu ergänzen, ohne die Bedürfnisse des praktischen Lebens, die örtlichen Verhältnisse und die Berufsinteressen der Schüler gebührend zu berücksichtigen. Die Gliederung der Schüler und der Aufbau der Klassen für den Unterricht im Deutschen und Rechnen entsprechen nur in wenigen Anstalten den Vorschriften für die Aufstellung von Lehrplänen u. s. w. vom 5. Juli v. J. Nur in ganz seltenen Fällen ist ein Schüler mit ungleichen Leistungen im Deutschen und Rechnen verschiedenen Stufen in diesen Unterrichtsgegenständen zugewiesen, und doch würde es vielfach, besonders bei Schülern, deren Muttersprache nicht die deutsche ist, zweckmässig sein, sie im Deutschen einer niedrigeren Stufe zu überweisen als im Rechnen. Auch darin ist den „Vorschriften" mehr Beachtung zu schenken, S i m o n , Dio Fachbildung des Preussischen Ctowerbe- und Handelsstandes.

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dass Schüler, welche für die unterste Stufe nicht reif sind, zu einer Vorbereitungsklasse vereinigt werden müssen. Gerade diese Vorbereitungsklassen verdienen besondere Berücksichtigung; in ihnen sind die tüchtigsten Lehrer zu beschäftigen^ die es verstehen, mit Geschick und Ausdauer die Schüler zu fördern, die der Unterweisung am meisten bedürfen. Es empfiehlt sich, für diese Stufe m i n d e s t e n s vier Stunden Deutsch anzusetzen und sie möglichst als besondere Klasse, nicht als 2. Abtheilung der untersten, gewöhnlich stark besetzten Klasse einzurichten. Iii den Fällen, in denen die Schülerzahl nicht ausreicht, für jede Stufe eine besondere Klasse zu bilden, werden zweckmässiger zwei obere als zwei untere Stufen vereinigt, da die ersteren in manchen Unterrichtszweigen gemeinsam unterwiesen werden können. B. U n t e r r i c h t im D e u t s c h e n . Beim Unterricht im Deutschen wird vielfach das in der Volksschule übliche Verfahren angewandt; die Behandlung der Lesestücke beschränkt sich meist darauf, dass der Inhalt der einzelnen Abschnitte Satz für Satz abgefragt und dann von den Schülern im Zusammenhang wiedergegeben wird, wobei sie recht häufig die nöthige Selbständigkeit vermissen lassen. Namentlich auf den oberen Stufen sollte man den Schülern die richtige Auffassung des Gelesenen zutrauen und sich bei der Behandlung nicht zu sehr in Einzelheiten verlieren. Dann würde auch Zeit gewonnen, wirkliche Schwierigkeiten gründlich zu besprechen; die erforderlichen ergänzenden Belehrungen in der Gesetzeskunde, Gewerbekunde und Volkswirtschaftslehre zu geben und die Sprachfertigkeit der jungen Leute, die meist ungemein gering ist, mehr zu üben. Ferner ist mit dieser Lehrweise der Vortheil verbunden, dass der Unterricht für die Schüler fesselnder und interessanter wird, während er, wenn er sich in den Geleisen der Volksschulunterweisungen bewegt, die jungen Leute leicht ermüdet und langweilt. Bei der "Wiedergabe des Inhalts der gelesenen. Stücke sind die Schüler durch die Fragestellung zu nöthigen, den Hauptgedanken in den Vordergrund zu stellen, die bei der Besprechung entwickelten Gedankenreihen zusammenzufassen und die Anwendung auf das praktische Leben nach eigener Auffassung darzustellen. Die Forderung der „Vorschriften", dass die Schüler den Hanptinhalt der gelesenen Stücke klar und gewandt wiedergeben lernen sollen, scheint bei einzelnen Lehrern dahin missverstanden zu sein, dass es auf das Einprägen einer genauen Disposition des Lesestückes ankomme. Mehrfach wurde eine solche wie etwas Auswendiggelemtes, nicht als Produkt logischer Beurtheilung vorgetragen. Beim Unterricht in der Volkswirtschaftslehre und Gesetzeskunde wird noch immer zu viel Gewicht auf die theoretische Erörterung der Grundbegriffe und systematische Darstellungen gelegt. Definitionen volkswirtschaftlicher Begriffe (Arbeit, Kapital, Spekulation u. s. w.) zu geben oder wohl gar auswendig lernen zu lassen, ist nicht Aufgabe dieses Unterrichts, vielmehr sollen Einrichtungen des. Staates und der Gemeinde, die für den Handwerker von besonderer Bedeutung sind, an der Hand guter Lesestücke besprochen werden. Da, wo das Lesebuch den geeigneten Stoff nicht bietet, sind in den Einrichtungen der Heimath reichliche Anknüpfungspunkte für die notwendigen Belehrungen zu finden. Das Amtsgericht der eigenen oder benachbarten Stadt, das Statut der Ortskrankenkasse, der Genossenschaften, die städtische Sparkasse, der Haushaltsplan der eigenen Stadt, das Steuerzettelformular, alles das sind Ausgangspunkte für Belehrungen in der Gesetzeskunde und Volkswirtschaftslehre. Bei der Auswahl der Aufsätze allgemeinen Inhalts scheinen einzelne Lehrer die Ansicht zu vertreten, dass diese Arbeiten keinen mit dem Gewerbe in Zusammenhang stehenden Inhalt haben dürfen, während doch die ,,Vorschriften" ausdrücklich anordnen, dass diese Aufsätze Fragen aus dem Anschauungs- und Berufskreise des Lehrlings behandeln sollen. Fast ausnahmslos beschränkt man sich darauf, Inhaltsangaben der gelesenen Stücke aufertigen zu lassen, und doch bieten gerade die vom Lehrer bei ihrer Besprechung gegebenen Belehrungen, Ergänzungen und Anwendungen auf das praktische Leben eine sehr geeignete Grundlage für die Aufsätze allgemeinen Inhalts. Sehr zu empfehlen ist es auch, häufiger Arbeiten in Briefform anfertigen zu lassen. "Wenn auch bei den Geschäftsaufsätzen die schwierigeren Stoffe (Verträge, Eingabe u. s. w.) vorwiegend den oberen Stufen zufallen müssen, so sind doch auf' a l l e n Stufen diejenigen Formen der schriftlichen Arbeiten, welche am häufigsten

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im gewerblichen Leben vorkommen (Rechnungen, Quittungen, Anfragen, Mittheilungen, Bestellungen u. s. w.), immer wieder zu üben. Bei der "Wiederholung dieser Stoffe wird es genügen, entsprechende Entwürfe im Tagebuch anfertigen oder blos mündlich darstellen zu lassen. Die für den Verkehr bestimmten Geschäftsaufsätze (Postkarten, Briefe, Postanweisungen, Packetadressen, Depeschen, Frachtbriefe u. s. w.) sind postfertig herzustellen und zwar unter Benutzung der Formulare, deren sich der heutige Verkehr wirklich bedient. C. R e c h e n u n t e r r i c h t . Im Rechenunterricht wird der gewerbliche Beruf der Schüler noch immerzu wenig berücksichtigt. Das liess sich u. a. daraus erkennen, dass 1. zu viel Operationen mit unbenannten Zahlen ausgeführt, 2. zu viel Rechenaufgaben ausgewählt wurden, deren Lösung lediglich eine gewisse Geistesgymnastik fördert, 3. die angewandten Aufgaben aus den bürgerlichen Rechnungsarten vielfach falsche Angaben enthielten und nach ihrer ganzen Anlage den thatsächlichen Verhältnissen nicht entsprachen, 4. für Kostenanschläge, namentlich für Verrechnung der Geschäftsunkosten kein ausreichendes Verständniss vorhanden war. Es ist ferner aufgefallen, dass im Allgemeinen keine genügende Kenntniss unseres Münz-, Maass- und Gewichtssystems vorhanden war. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, sind auch auf den oberen Stufen planmässige Wiederholungen anzustellen. Im Kopfrechnen wird noch viel Zeit verschwendet durch "Wiederholung der Aufgabe und langathmige Angabe des Lösungsverfahrens. Es muss demgegenüber darauf hingewiesen werden, dass das Vorrechnen in möglichst knapper Form zu erfolgen hat. D. U n t e r r i c h t in d e r B u c h f ü h r u n g . Dem Unterricht in der Buchführung ist in vielen Schulen noch nicht der richtige Platz angewiesen. Es widerspricht den „Vorschriften", wenn dieser Lehrgegenstand, wie es vielfach noch geschieht, mit dem Unterricht im Deutschen verbunden wird, die Buchungen als Geschäftsaufsätze betrachtet und mit diesen zusammen in bunter Folge in ein Schreibheft eingetragen werden. Die Belehrungen in der Buchführung sind vielmehr in besonderen Stunden zu ertheilen, um die der R e c h e n Unterricht zu kürzen ist. Die dem Gewerbe der Schüler entnommenen Buchungen sind in besondere dafür bestimmte Hefte einzutragen. Dabei empfiehlt es sich nicht, die einzelnen Bücher nacheinander zu vollenden, zweckmässiger ist es, sie nebeneinander zu führen, wie es der Geschäftspraxis entspricht. Der Minister für Handel und Gewerbe. E. 1562.

III. Nachtrag:.

Berlin, den 29. März 1899. Bei der Fassung der Vorschriften vom 5. Juli 1897 für die Ausstellung von Lehrplänen u. s. w. an den vom Staate unterstützten gewerblichen Fortbildungsschulen kann es zweifelhaft sein, ob diese auch für solche Schulen Geltung haben, an denen wöchentlich mehr als sechs Unterrichtsstunden in jeder Klasse ertheilt werden. Zur Hebung dieses Zweifels bestimme ich deshalb, 1. dass in der Ueberschrift die Worte „mit wöchentlich vier bis sechs Unterrichtsstunden für jeden Schüler" gestrichen werden; 2. dass unter AI der Vorschriften zwischen den Worten „zu verwenden.'und „Die Lehrstunden" folgender Satz eingefügt wird: „Werden mehr als sechs Stunden ertheilt, so können entweder die Zeichenstunden vermehrt oder für Gesetzeskunde. Buchführung, Raumlehre u. s. w. besondere Stunden angesetzt oder auch neue Unterrichtsfächer wie Physik, Chemie u. s. w. eingeführt werden." Ich ersuche Sie, die Vorstände der staatlich unterstützten gewerblichen Fortbildungsschulen hiervon zu benachrichtigen. Eine ausreichende Anzahl von Abdrücken dieses Erlasses liegt bei. Im Auftrage: Ho et er. An die Herren Regierungs-Präsidenten.

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IV. Xaehtrag. Der Minister für Handel und Gewerbe. Berlin "W. 66, den 14. Dezember 1901. Mehrfach bin ich um Entscheidung darüber angegangen worden, nach welchen Grundsätzen die Vertheilung der Schüler auf die einzelnen Klassen der gewerblichen Fortbildungsschulen vorzunehmen sei. Ich bemerke dazu im Anschluss an die Vorschriften für die Aufstellung von Lehrplänen vom 5. Juli 1897 und den Erlass vom 19. März 1898 Folgendes: Für den Unterricht im Deutschen und Rechnen sind den erwähnten „Vorschriften" gemäss die Schüler n a c h i h r e n V o r k e n n t n i s s e n im allgemeinen auf v i e r a u f s t e i g e n d e S t u f e n zu vertheilen. Es ist jedoch nicht unbedingt erforderlich, dass an jeder Anstalt alle vier Stufen vorhanden sind. Bei besonderen Verhältnissen, z. B. wenn es sich um neugegründete Schulen oder um solche mit ungewöhnlich mangelhaft vorgebildetem Schülermaterial handelt, werden häufig die oberen Stufen fehlen, während an Anstalten, in die durchweg gut vorgebildete Schüler eintreten, die vierte Stufe bisweilen entbehrlich sein wird. Zählt eine Stufe mehr als 40 Schüler, so sind für diese Parallelklassen zu bilden, auf welche dann die Schüler so zu vertheilen sind, dass einzelne oder verwandte Berufe vereinigt werden. Hat eine Anstalt weniger als vier Klassen, so empfiehlt sich eine Trennung nach Berufen nicht, da sonst in einer Klasse Schüler mit ganz verschiedenen Vorkenntnissen vereinigt werden müssten. "Wollte man diese gemeinsam unterweisen, so würden entweder die wenig vorgeschrittenen Schüler dem Unterricht nicht zu folgen vermögen oder die weiter geförderten ihm nur geringes Interesse entgegenbringen. "Würde man aber die Schüler nach ihren Vorkenntnissen getrennt in derselben Klasse, jedoch in verschiedenen Abtheilungen unterrichten, so könnte der Lehrer dem einzelnen Schüler weit weniger Zeit widmen als bei gemeinsamem Unterricht, und die Erfolge müssten dementsprechend geringer werden. Dieser Uebelstand lässt sich zwar bei einklassigen Fortbildungsschulen nicht vermeiden, darf aber nicht unnöthigerweise herbeigeführt werden. Bei Anstalten mit vier Klassen wird ebenfalls im allgemeinen aus den angeführten Gründen von einer Trennung nach Berufen abgesehen werden müssen. Unter bestimmten Verhältnissen, z. B. beim Vorwiegen eines Berufs oder einer Berufsgruppe (Metallarbeiter, Holzarbeiter) ist es jedoch zulässig, die beiden oberen Stufen zu vereinigen und Parallelklassen zu bilden, auf die dann die Schüler nach ihren Berufen vertheilt werden. Diese Einrichtung ist an einzelnen Schulen mit gutem Erfolge versucht worden, und es hat sich gezeigt, dass dabei die erwähnten Nachtheile soweit vermieden werden, dass der Vortheil, den die Vereinigung von Schülern gleicher oder verwandter Berufe in einer Klasse mit sich bringt, überwiegt. Für die Schüler der beiden unteren Stufen empfiehlt sich eine Vereinigung in Parallelklassen nicht, da ihre Vorbildung zu verschieden ist und es sich bei ihnen in erster Linie um die Aneignung allgemeiner für jeden Beruf nothwendiger Grundkenntnisse handelt, wobei die gemeinsame Unterweisung von Angehörigen verschiedener Berufe weniger Schwierigkeiten bietet. Bei Schulen mit mehr als vier Klassen, an denen aber die Bildung von Parallelklassen nur für die u n t e r e n Stufen möglich ist, lässt sich für die beiden oberen Stufen dieselbe Einrichtungtreffen. Der Lehrstoff für eine so gebildete Oberklasse muss selbstverständlich derart vertheilt werden, dass den Schülern nicht zweimal dasselbe, sondern in jedem Jahre etwas Neues geboten wird. Die vorstehenden Ausführungen gelten nicht für die Vertheilung der Schüler auf die Z e i c h e n k l a s s e n . Hierfür sind die besonderen Bestimmungen in den Lehrplänen für den Zeichenunterricht massgebend.

Stichworte. (Die Zahlen weisen auf die Seiten hin.) Abendunterricht in Fortbildungssclnilen 496. Akademie der Künste 2, 134, 642 ff. Akademische Künstler 2,134,657,689. Allgemeine Bildungsanstalten im 18. Jahrhundert 601 ff. Architektonische Lehranstalt zu Berlin 679. Ausbildung von Fortbildungsschullehrern 862. Bauakademie zu Berlin 650,677 ff., 742. Baugewerkschulen, Unterricht für Bauhandwerker, 91, 96, 598. 681 ff., 712, 713, 733, 735, 739, 741, 747 ff., 780, 821, Anl. I, S. II ff. Befähigungsnachweis f. Meister, auch bezüglich des Rechts, Lehrlinge zu halten und Innungen beizutreten, 13. 17 ff., 35, 39 ff., 43 ff., 51 ff., 61 ff.; nach den Gewerbegesetzen von 1810 und 1811, 66, 68; für Inhaber von Privatschulen, 70ff.; Medizinalpersonen 75 ff.; Abdecker ^88; Bauhandwerker aller Art und Schornsteinfeger 89 ff.; Schiffer, Steuerleute, Lootsen, Schiffsbaumeister 107 ff.; Mäkler, Dispacheurs, Schiffsabrechner, Schaffner, Güterbestätiger, Messer, "Wäger, Braker, Stauer, Feldmesser, Oekonomie-Kommissarien, Auktionatoren, Dolmetscher, Uebersetzer, Schreib- und Rechenmeister, Juwelire, Gold- und Silberprobirer 118. 119; seine Beurtheilung durch die Gegner der Gewerbegesetze von 1810 und 1811, 119 ff.: in den Vorverhandlungen zur Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845, 133ff., 141 ff., 148 ff., 157 ff., 167, 168, 171ff., 201; nach der Gewerbeoidnung vom 17. Jan. 1845, 187, 191, 195; bei den Vorverhandlungen zur Verordnung vom !). Februar 1849, 197 ff.; nach der Verordnung vom 9. Februar 1849, 216 ff., 227; die "Wirkungen des Be-

fähigungsnachweises 273 ff. ; nach den Berichten der Regieningen 277 ff., 280, 288; Streit über ihn vor Erlass der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869, 304ff.; bei den Vorberathungen zur Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869, 321 ff., 327ff., 341 ff.; nach dem Gewerbegesetz vom S.Juli 1868. 335ff.; nach der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869, 425; nach der Novelle vom 18. Juli 1881, 471, 474, 478, 485, 487; nach der Novelle vom 6. Juli 1887, 491; bei den Vorverhandlungen zur Novelle vom 26. Juli 1897, 500, 502, 505. 508, 510, 523; in der Novelle vom 26. Juli 1897, 526. 529. 549. 570. 572, 576, 580 ff., 761. Berglehranstalten 707 ff., 743, 915 ff. Deutsche Schulen 601 ff. Erwerbschulen 640 ff. Fachgenossenschaften 504 ff. Fortbildungsschulen, Fortbildung der Lehrlinge und Gesellen, 6, 137, 169, 170, 192, 193. 207. 222, 226, 286, 347, 426, 439, 447, 449, 453, 466, 492 ff.. 525, 528, 530, 548, 552. 565, 566.573, 576. 577, 590ff., 732, 835 ff., Anlage I, S. XXXVII ff.. Anlage i n , S. LXXVlIff.; siehe auch Sonntagsschulen, Mädchen-Fort- und Fachbildung. Freimeister 1, 3. Geselle, zur Zunftzeit, 13 ff.; nach Einfühlung der Gewerbefreiheit im Jahre 1810 und 1811, 60ff.; nach der Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845, 188 ff. ; nach der Verordnung vom 9. Februar 1849, 216ff.; nach dem Gewerbegesetz vom 8. Juli 1868, 335 ff. ; nach der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 , 426 ff.; nach der Novelle vom 17. Juli 1878, 462 ff., vom 18 Juli 1881. 467 ff., vom 6. Juli

LXXXVI 1887, 490 ff., vom 1. Juni 1891,491 ff., vom '26. Juli 1897, 524 ff., 560 ff. Gesellenprüfungen 11. 64, 68, 78, 83, 120 ff.. 138, 139, 147, 156, 169, 185, 195. 207, 217 ff., 230 ff., 278, 287, 337; 429, 439, 447, 449, 453. 472. 506, 509, 526, 547, 577. Gewerbeakademie 736, 742. Gewerbe-Institut 134,238,726 ff., 730 ff. Gewerberath 205, 216 ff., 268 ff. Gewerbeschulen 726ff.: s. auch Handwerkerschuleo. Kunstschulen. Gewerbliche Vereine 134,142 ff., 152 ff., 162 ff. Handelsschulen und Handelshochschulen 691 ff., 830, 872 ff., 912, Anl. II, S. LXVIIff. Handschuhnähschule 909. Handwerkerschulen, Gewerbeschulen, Zeichenschulen 40. 100, 169, 212, 226, 601,635, 649, 657, 667 ff., 726 ff., 811 ff. s. auch Innungsschulen. HandwerksausschUsse 517, 521. Handwerkskammern 439, 488, 501, 504, 507, 511, 514, 517, 521, 546ff. Hausindustrie, Fachschulen für, 633 ff., 907 ff. Hebammenlehranstalten 379. Heckers Realschule zu Berlin 620ff., 691, 707. HoIzschnitz8chulen 811. 909. Hilttenschulen 779 ff. Industrieschulen 633 ff. Innungen, Innungsausschüsse, Innungsverbände, 188 ff., 221 ff., 227, 335 ff., 424, 467 ff., 473ff., 489, 490, 524ff. s. auch „Gewerbliche Vereine". Innungsschulen 472, 474, 490, 506, 508, 518, 525, 527, 530, 548, 557, 821, 866ff. Kaufmännische Unterrichtsanstalten 691 ff., 673, 864ff., 872ff.; Anl. II, S. LH ff. Keramische Fachschulen 832, 833. Kleineisenindustrie, Fachschulen für, 781. Korbflechtschulen 907. Künstler, 1. akademische, 2, 134. KunstgewerbemuseumzuBerlin, Unterrichtsanstalt am, 720. Kunstgewerbeschulen, Kunstschulen 91, 96, 663, 667 ff., 709 ff., 741, 747, 749, Anl. I, S. XXXlIff. Kupferschmiedefachschule 802. Land-Handwerker 4, 61, 66, 178, 335. Latein- und Gelehrtenschulen 609 ff. Lehrling, Ausbildung in der Zunftzeit, Iff., nach Einführung der Gewerbefreiheit 1810 und 1811, 60ff.; nach

der Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845, 188ff.; nach der Verordnung vom 9. Februar 1849, 216ff.. 230; nach dem Gewerbegesetz vom 8. Juli 1868,335 ff.; nach der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869, 426ff: nach der Novelle vom 17. Juli 1878, 462ff; vom 18. Juli 1881, 467ff.; vom 6. Juli 1887. 490; vom 1. Juni 1891, 491ff; vom 26. Juli 1897, 524ff., 560ff. — B e g r i f f , 222, 428. 464. Lehrlingswerkstfltten 570, 729, 778. 781. Mädchen-Fort- und Fachbildung 493. 589 ff., 632, 636ff., 719, 721, 775, 776, 815, 816, 828, 830, 832, 835 ff.. 849, 864, 866, 907, 908, 909, 910 ff. Maschinenbauschulen 779ff.,821, Anl. I, S. XV ff. Mathematische und mechanische Realschule zu Halle 615ff. Meister, zur Zunftzeit, dem Lehrling gegenüber, lff., dem Gesellen gegenüber, 13 ff., Meisterprüfung, 17 ff., Meisterstücke, 21 ff.; nach der Gewerbegesetzgebung von 1810 und 1811, 60ff.; nach der Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845, 187ff.; nach der Verordnung vom 9. Februar 1849, 216ff.; nach dem Gewerbegesetz vom 8. Juli 1868,335ff.: nach der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869, 424ff.; nach der Novelle vom 17. Juli 1878, 462ff., vom 6. Juli 1887, 490, vom 1. Juni 1891, 493, vom 26. Juli 1897, 524 ff., 560ff. Meisterkurse, Meisterfortbildung, 51. 869. Meisterprüfungen, s. Befähigungsnachweis, Meisterstücke, Prüflings Vorschriften. Meisterstücke 19ff., 36, 51,92, 94.101. 105, 136, 209, 221, 230, 235. 238, 240, 243, 244, 245, 247, 248, 289, 337, 425, 510, 583ff., 761. Meistertitel 167, 347, 472. 481. 488, 505, 510, 518, 523, 576. Militärwaisenhaus z. Potsdam 634 ff. Navigationsschulen 803 ff.

107,

265,

386,

Pfuscher 37, 41, 281. Polirschulen 761. Privatschulen 70ff. Provinzial-Gewerbeschulen 729,730ff. Provinzial-Kunstschulen s. Kunstgewerbeschulen. Prüfungsvorschriften für Handwerksmeister zur Zunftzeit 17ff. Abdecker, Viehkastrirer 88, 264. 342. Aerzte 76 ff., 255 ff., 349ff.

LXXXVII Apotheker 82ff., 372 ff. Bandagisten 262. Brunnen- und Röhrenmacher lOOff., 106, 236, 247 ff. Buchhändler und Buchdrucker 325. Chirurgen (Heildiener) 78, 260, 381. Chirurgische Instrumentenmacher 262. Feldmesser 253, 416ff. Hebammen 87, 88, 263, 379. Hühneraugenoperateure 382. Hufschmiede 413. Markscheider 324, 407ff. Maurer 93ff., 236ff., 242, 338. Mineralwasser-Verkäufer 263. Mühlenbauer 95 ff., 236, 245 ff. Patentanwälte 423. Privatbaumeister 251 ff. Schiffer, Steuerleute, Looteen, Schiffsbauer, Maschinisten auf Seeschiffen, 107 ff., 254, 265, 383ff. Schornsteinfeger 89, 234ff. Steinhauer 102ff., 236ff., 243. Thierärzte 86, 366ff. Zimmerleute 102ff., 236ff., 243. 338. Handwerker nach der Gewerbeo r d n u n g s - N o v e l l e vom 26. J u l i 1897, 577 ff., 761. Schulen: Baugewerkschulen 750, 758 ff. Maschinenbauschulen 790 ff. Textilfachschulen 776 ff. Realschulen 40. 615 ff., 780. Regierungs- und Gewerbeschulräthe 863 ff. Schifferschulen 405, 803ff. Schnitzschulen 811, 835, 909. Schreib- und Rechenmeister 119, 692. Schuhmacherschule 811, 835. Seedampfschiffs-Maschinistenschulen 809. Sonntagsschulen 226, 604ff.. 658, 789, 835 ff. s. auch Fortbildungsschulen. Sonntagsunterricht 492, 658.

Spinnschulen 763, 776. Spitzennähschulen 909. Ständige Kommission f. d. technische Unterrichtswesen, Verhandlungen vom 13. und 14. Januar 1896. Anl. I, S. I f f . Stahlwaaren - Industrie, Fachschulen für, 781. Steinmetzschule 755. Stickschulen 777, 909. Technische Hochschulen 727, 736, 741 ff. Technisches Institut 134, 238, 726 ff, 730 ff. Technische Zentralstelle fOr Textilindustrie 776. Textilfachschulen 763 ff., Anlage I, S. XXI II ff. Tief bauabtheilungen an den Baugewerkschulen 754. Unterrichtsanstalt am Kunstgewerbemuseum zu Berlin 720 ff. Volkschule im 18. Jahrhundert, 601 ff. Vorschriften für die Aufstellung von Lehrplänen und das Lehrverfahren im Deutschen und Rechnen an den vom Staate unterstützten gewerblichen Fortbildungsschulen vom 5. Juli 1897. Wandern der Gesellen 14 ff.. 36, 40, 41, 50. 51, 137, 144. 170, 193, 201, 208, 312, 427. Wanderunterricht f. Weber 908. Webelehranstalten 779. Webereilehrwerkstätten 778, 908. Webeschulen 763ff.. Anl. I, S.XXUIff. Zeichenakademie zu Hanau 831. Zeichenschulen, s. Handwerkerschulen und Kunstgewerbeschulen. Zeichenwerke 688, 813. 814. Zentralstelle f ü r Textilindustrie 776.