Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte: Allgemeine Geschichte der germanischen Völker bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts [Reprint 2019 ed.] 9783486737004, 9783486736991

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Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte: Allgemeine Geschichte der germanischen Völker bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts [Reprint 2019 ed.]
 9783486737004, 9783486736991

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Die Germanen als Gesamtvolk
II. Die germanischen Einzelstämme
Register
Zusätze und Berichtigungen

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HANDBUCH DER

MITTELALTERLICHEN UND NEUEREN GESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON

G . v. BELOW

UND

F. MEINECKE

PROFESSOREN AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG i. B.

ABTEILUNG II

POLITISCHE GESCHICHTE L U D W I G SCHMIDT

ALLGEMEINE GESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER BIS ZUR MITTE DES SECHSTEN JAHRHUNDERTS

MÜNCHEN UND BERLIN DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

1900

ALLGEMEINE GESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER BIS ZUR

MITTE DES SECHSTEN JAHRHUNDERTS

VON

PROF. DR-

LUDWIG SCHMIDT

BIBLIOTHEKAR AN DER KGL. OFF. BIBLIOTHEK IN DRESDEN

MÜNCHEN UND BERLIN DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

1909

Vorwort. Die älteste deutsche Geschichte pflegt man in der Regel im Zusammenhange mit der römischen darzustellen. Eine solche Methode leidet, obwohl sie in Rücksicht auf den Charakter unserer Überlieferung in mancher Hinsicht zweckmäßig erscheinen mag, an dem Übelstande, daß die Entwickelung der einzelnen Stämme, deren Verhältnis zueinander nicht genügend zum Ausdruck kommt und den römischen Beziehungen gegenüber allzusehr in den Hintergrund tritt. Die Geschichte der Deutschen spielt sich aber in jener Zeit mehr noch als später in den einzelnen Stämmen ab, die im allgemeinen nur als Vertreter ihres eigenen Interessenkreises handelnd auftreten, wenn ihnen auch das Gefühl einer nationalen Zusammengehörigkeit durchaus nicht abgegangen ist. Aus diesem Grunde erschien es angemessen, den Stoff im vorliegenden Buche ethnographisch zu gruppieren. Einzelne Abschnitte sind aus meinem, seit 1904 im Erscheinen begriffenen, größer angelegten Buche: Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgange der Völkerwanderung, Berlin, Weidmann, auszugsweise, hier und da berichtigt, übernommen. Von der ungeheueren Literatur konnten nur die aller wichtigsten und neuesten Arbeiten angeführt werden.

D r e s d e n , im Januar 1909.

Ludw. Schmidt

Inhalt. I. Die Germanen als Gesamtvolk s. i-48. a) Quellenkunde S. 1—18. L i t e r a r i s c h e Ü b e r l i e f e r u n g S. 1—14. Älteste Kenntnis durch den Zinn- und Bernsteinhandcl. Pytheas und die griechischen Geographen S. 2, 3. Cäsar S. 3. Quellen aus der Zeit des Kaisers Augustus S. 4. Vellejus Paterculus. Aufidius Bassus. Mela. Plinius. Tacitus. Frontinus. Plutarch S. 5. Quellen aus dem 2. u. 3. Jahrh. n. Chr. S. 6. Aus dem 4. Jahrh. S. 7, 8. 5. Jahrh. S. 8—10. 6. Jahrh. S. 10—13. 7. Jahrh. S. 13. Epische Überlieferung, Gesetze, Korrespondenzen, Denkmäler u. dgl. S. 14—15. I n d i r e k t e Z e u g n i s s e S. 15—18. Sprachforschung S. 15. Prähistorische Archäologie S. 15, IG. Anthropologie S. 16. Historische Landschaftskunde. Volkskunde. Recht S. 17. Wirtschaftsgeschichte S. 18. b) Ursltze und Ausbreitung der Indogermanen und Germanen S. 18—25. Urheimat der Indogermanen S. 19. Älteste Sitze der Germanen S. 20. Die Kelten in Deutschland S. 20, 21. Die Slawen S. 21, 22. Ausbreitung der Germanen in Skandinavien S. 22; in Deutschland S. 23, 24. Besiedelung Ostdeutschlands, Entstehung der ostgermanischen Gruppe S. 24. c) Die Ursachen der Ausbreitung der Germanen S. 25—27. Wirtschaftliche Momente S. 25, 26. und äußeren Politik S. 27.

Kriegslust S. 26.

Vorgänge der inneren

d) Der Name Germanen S. 27—28. e) Zur Geschichte der rifmlseh-germanlschen Grenzbeziehungen S. 28—42. Cäsar und die Germanen S. 28, 29. Die Offensivpolitik des Kaisers Augustus (Drusus, Tiberius, Domitius Ahenobarbus) S. 29—32. Feldzüge des Germanicus S. 32, 33. Caligula, Claudius I. S. 33. Besetzung des rechtsrheinischen Gebietes unter Vespasian S. 34. Der Limes Domitians S. 34, 35. Ausbau des Limes durch Trajan S. 35. Defensive Politik Hadrians S. 36. Der Markomannenkrieg Mark Aurels S. 36, 37. Commodus S. 37. Germanische Offensive unter Caracalla und Severus Alexander S. 37. Verlust des rechtsrheinischen und transdanubianischen Reichsgebietes unter Gallienus S. 38. Befestigung der Rhein- und Donaugrenze unter Postumus, Aurelian, Probus, Maximian, Diokletian, Konstantin d. Gr. S. 38, 39. Erneuerung der germanischen Offensive unter den Nachfolgern Konstantins. Kriege Julians und Konstantius II. am Rhein und an der Donau S. 39, 40. Sicherung des Limes durch Valentinian I., Valens, Gratian S. 41. Stilicho am Rhein S. 41. Germanische Invasion Galliens im J. 406. Konstantin HI. Abwehr der Rheingermanen durch Aetius. Definitiver Verlust des linksrheinischen Gebietes nach dem Tode des Aetius S. 41. Der Einfall der Hunnen in Europa und seine Folgen für die

VIII

Inhalt

Donauländer S. 41. Wiederherstellung der Römerherrschaft an der Donau nach Attilas Tode. Noricum und Rfltien nördlich der Alpen von Odowakar aufgegeben. Die Reichsgrenzen unter Justinian S. 42. f) Die Oermanen Im rSmlsehen Reieke 8.43—47. Kriegsdienste bei den Mazedoniern, anter Mithradates, bei den Galliern S. 43 ; bei den Römern 8. 43—46. Eolonen. Lftten. Gentilen S. 46. Das Föderatwesen 8. 47. gr) Zur BeySlkemn^statistik S. 47, 48.

II. Die germanischen Einzelstämme

s. 49-230.

i . Allgemeines: Die Gruppierung der Stimme S. 49, 50. B. Die Ostgermaneit S. 61—143. 1. D i e B a s t a r n e n S. 52, 53. Älteste Sitze an den Karpathen. Ausbreitung bis zum Schwarzen Meere um 200 v. Chr. S. 61. Die Bastarnen kämpfen auf Seite der Mazedonier 184—168 v. Chr.; unter Mithradates 88—61 v. Chr.; Kämpfe mit den Römern seit 60 v. Chr. S. 51. Siedeln auf römisches Gebiet über 280 und 295 n. Chr. S. 52. 2. D i e V ö l k e r g r u p p e d e r L u g i e r S.53—67. a) Ä l t e s t e G e s c h i c h t e b i s zur G r ü n d u n g d e s a f r i k a n i s c h e n W a n d a l e n r e i c h e s S. 53—57. Älteste Sitze der Lugier an der Ostseeküste, dann in Schlesien. Auflösung der Kultgenossenschaft infolge der gotischen Wanderung. Niederlassung der Asdingen an der oberen Theiß (ca. 170), der Silingen am oberen Main (ca. 250) S. 53, 54. Kämpfe der Asdingen mit den Westgoten im 4. Jahrh. König Wisumar f . Einfall der Asdingen, Silingen, Alanen und Sweben in Gallien 406, in Spanien 409. König Gnnderich S. 55. Vernichtung der Silingen und Alanen durch die Westgoten 418. 8. 56. Ubergang der Asdingen nach Afrika 428. König Geiserich S. 57. b) D a s w a n d a l i s c h e R e i c h i n A f r i k a S. 57—67. Vertrag vom 11. Febr. 435: die Wandalen in Numidien als Föderaten angesiedelt. Eroberung Karthagos 19. Okt. 439. S. 58. Mißglückte byzantinische Expedition gegen die Wandalen 440/41. Das Wandalenreich als souveräner Staat anerkannt 442 S. 59. Plünderung Roms 455 S. 60. Besetzung der übrigen römischen Provinzen Afrikas. Mißglückte Expedition Majorians 460 S. 61. Mißglückter Feldzug der Byzantiner 467/68 S. 62. Geiserichs Tod. Beginnender Verfall unter Hunerich 477—484. Katholikenverfolgungen S. 63. König Gunthamund 484—96. Mildere Behandlung der katholischen Kirche. Regierung Thrasamunds 496—523. Neue Katholikenverfolgungen. Anschluß an das ostgotische Reich S. 64. König Hilderich 523—30. Begünstigung der katholischen Kirche; Anlehnung an Byzanz; Abfall vom ostgotischen Bündnis. Fortschritte der Mauren. Hilderich abgesetzt S. 65. König Gelimer 530—33. Einmischung der Byzantiner. Belisar nach Afrika, siegt bei Decimum, besetzt Karthago (Sept. 533) und schlägt die Wandalen entscheidend bei Tricamarum (Dez. 533). Gelimer flüchtig, Frühjahr 534 gefangen nach Byzanz abgeführt S. 66—67.

Inhalt

IX

3. D i e B u r g u n d e r 8.68—76. ») V o r g e s c h i c h t e S.68—70. Uraitze zwischen mittlerer Oder and Weichsel. Ein Teil des Volkes zieht am 260 an das Schwarze Meer and wird dort ca. 290 von den Goten vernichtet. Die übrigen Bargander setzen sich am Main fest S. 68, schieben sich Ende des 4. Jahrh. an den Rhein vor, den sie im J. 406 überschreiten. Verträge mit den Kaisern Eonstantin HL, Jovinas and Honorias; Ansiedelung am Mainz und Worms 413; ein kleinerer Teil des Volkes bleibt rechts vom Rhein S. 69. König Gundahar. Übertritt zum Christentum. Gundahar fallt 436 gegen eine hunnische Streifschar 5. 70. b) D a s b u r g u n d i s c h e R e i c h im s ü d l i c h e n G a l l i e n S. 70—76. Ansiedelung in der Sapaudia 443. Beteiligung an der Völkerschlacht bei Troyes 461. König Gundowech (— ca. 470) S. 70, 71. Okkupation der Provinz Lugdunensis I 457. König Chilperich I., ca. 470 — ca. 480. Weitere Ausbreitang in Gallien. Verlust der Südprovence an die Westgoten 476 S. 72. Grenze gegen die Alamannen S. 73. König Gundobad ca. 480—516. Beginnender Verfall. Verbindung mit den Ostgoten 494. Krieg gegen Godigisel und die Franken 600—602. Die Burgunder kämpfen auf Seite der Franken gegen die Westgoten 507, werden 508/9 von den Ostgoten geschlagen und verlieren ihre Eroberungen S. 73—76. König Sigismund 516—523. Begünstigung der Katholiken. Konflikt mit den Ostgoten. Einfall der Franken und Ostgoten 523 S. 75, 76. König Godomar, 523—632, behauptet sich gegen die Franken. Reorganisationsversuche. Bündnis mit den Ostgoten. Erneuter Angriff der Franken ; Ende des burgundischen Reiches 532—534. S. 76. 4. Die L a n g o b a r d e n S. 77—82. Herkunft aus Gotland S. 77. Älteste Sitze in Deutschland an der Niederelbe. Kampfe mit den Römern. Die Langobarden halten anfänglich zu Marbod, treten aber 17 n. Chr. zu Arminius über S. 78. Wanderung nach der Donau. Besetzung Rugilands unter König Godeoc, ca. 490 S. 79. Den Herulern zinspflichtig. König Claffo, ca. 500. Wanderung nach der Theißebene unter König Tato. Vernichtung des Herulerreiches, ca. 606. Ausbreitung der langobardischen Macht unter König Wacho, f ca- 640- Verlegung der Sitze nach Fannonien unter König Audoin, ca. 646 8. 80. Kämpfe mit den Gepiden 548, 549, 551. König Alboin. Bündnis mit den Awaren, Vernichtung des Gepidenreiches 567 S. 81. Abzag nach Italien 8. 82. 6. D i e G o t e n 8.83—130. a) Die G o t e n b i s zur h u n n i s c h e n I n v a s i o n S. 83—88. Älteste Sitze an der unteren Weichsel. Abzug um die Mitte des 2. Jahrh. nach dem Schwarzen Meere. Eroberung der Städte Olbia und TyTas, ca. 236. Einfälle in Mösien 248 und 260 8. 83. Niederlage des Kaisers Decius bei Abrittns 250. Einfall in Griechenland 264. Besetzung Daziens ca. 267. Aufkommen der Namen Terwingen und Greutungen 8. 84. Piratenzüge der Jahre 256, 268, 263—66, 267, 269 8. 85. Sieg des Kaisers Claudias II. bei Naissus 269. Sicherung der Donaugrenze. Kämpfe der Westgoten mit den Nachbarvölkern Ende des 3., Anf. des 4. Jahrh. Sieg der Römer im Sarmatenlande 332 S. 86. Die Westgoten römische Föderaten. Angriffskriege des Kaisers Valens 367 und 369. Christenverfolgungen Athanarichs 369 — 372. Konflikt zwischen Athanarich und Frithigern 8. 87. Frithigern siegt mit römischer Hilfe und wird Christ; die Goten vereinigen sich wieder unter Athanarichs Führung. — Das ostgotische Reich unter Ostrogotha und Ermenrich S. 88.

X

Inhalt.

b) D i e O s t g o t e n b i s t o i B e g r ü n d u n g d e s i t a l i e n i s c h e n R e i c h e s S. 88—95. Einbrach der Hunnen in Europa; Ermenrich f ca. 370. Ein Teil der Ostgoten zieht sich nach dem Dnjestr zurück, geht über die Donau und wird 380 in Pannonien angesiedelt; die anderen bleiben in der Heimat unter hunnischer Botmäßigkeit Züge des Odotheus und Radagajs 386, 405 8. 89. Herrschaft der drei Brüder Walamer, Thiudimer, Widimer seit ca. 440. Vernichtung der Hunnenherrschaft 453; die Goten siedeln nach Pannonien über S. 90. Kämpfe mit den Donaugermanen 469. Die Goten ziehen nach Niedermöaien 471. König Theoderich S. 91. Rivalität zwischen dem Amaier Theoderich und dem im römischen Dienste stehenden Söldnerführer Theoderich Strabo S. 92. Zug der Goten im Auftrage des Kaisers nach Italien 488 S. 93. Odowakar wird in drei Schlachten geschlagen 489, 490. Einnahme Ravennas 493. Odowakar ermordet S. 94, 95. c) T h e o d e r i c h s H e r r s c h a f t in I t a l i e n S. 95—99. Rechtsstellung der Goten in Italien. Bündnisse mit den Franken, Burgundern, Westgoten, Wandalen, Herulem S. 95—97. Krieg mit den Franken; Besetzung der Provence 508. Union des westgotischen und ostgotischen Reiches 510. Ostgotische Schutzherrschaft über einen Teil der Alamannen S. 97. Bündnis mit den Thüringern. Erwerbung von Sirmium und Obermösien 504, 505. Konflikt mit Byzanz. Wachsende innere Schwierigkeiten S. 98. Burgund nördlich der Durance besetzt 523. Konflikt mit den Wandalen; Theoderich f 526 S. 99. d) Die N a c h f o l g e r T h e o d e r i c h s b i s z u m U n t e r g ä n g e d e s R e i c h e s S. 99—111. Thronbesteigung Athalarichs, Regentschaft der Amalaswintha 526 S. 99. Opposition der gotischen Nationalpartei; Schwäche des Reiches im Inneren und nach außen. Verhandlungen mit dem Kaiser S. 100, 101. Tod Athalarichs; Amalaswintha als Königin ausgerufen, von Theodahad abgesetzt 634 S. 101. Intervention der Byzantiner; Beiisar landet in Sizilien 635; Theodahads Feigheit S. 102. Neapel von Beiisar erobert. Erhebung des Witigis 536 S. 103. Witigis tritt die Provence und Alamannien an die Franken a b ; belagert vergeblich Rom 537/38 S. 104. Verzweifelte Lage der Goten; Witigis in Ravenna belagert S. 105. Verhandlungen der Goten mit dem Kaiser und Beiisar; Ravenna kapituliert; der König gefangen 540. Erhebung Hildebads S. 106. Hildebad ermordet; die Rugier erheben den Erarich zum Könige 541. Totila König. Zwei römische Heere geschlagen 542; Neapel erobert 643 S. 107. Rom eingenommen 546 und 549. Vergebliche Verhandlungen Totilas mit dem Kaiser S. 108. Germanus und nach dessen Tode Narses zum Befehlshaber des kaiserlichen Heeres gegen die Goten ernannt 551. Totila fällt bei Tadinae 552 S. 109. Teja fällt am Milchberg 553. Ende der gotischen Herrschaft in Italien S. 110, 111. e) D i e W e s t g o t e n b i s z u r B e g r ü n d u n g d e s t o l o s a n i s c h e n R e i c h e s S. 111-120. Ein Teil der Westgoten unter Alaviv und Frithigem geht über die Donau 376; ein anderer unter Athanarich setzt sich in Siebenbürgen fest S. 111. Unentschiedene Schlacht be_i Ad Salices 377. Römische Niederlage bei Adrianopel 378. Theodosius Kaiser 379 S. 112. Die Goten werden zurückgedrängt, behaupten sich aber in Niedermösien 379. Erneutes Vordringen der Goten 380. Athanarich tritt auf römisches Gebiet über 381. Friedensschluß; die Goten Föderaten in Niedermösien 382 S. 113. Alarich König 395; Einbruch der Goten in Griechenland 395—96 S. 114. Stilicho gegen die Goten 397—98. Alarich Statthalter von Illyricum Orientale 399. Insurrektion des Gainas 400 S. 115. Alarich nach Italien; unentschiedene Schlacht bei Pollentia 401—402. Alarich fällt 403 zum zweiten Male

Inhalt.

XI

i n Italien e i n ; von Stilicho geschlagen; setzt sich 408 in Noricum fest S. 116. Alarich zieht 408 zum dritten Male näch Italien, erhebt den Attalas 409 zum Gegenkaiser, den er 410 wieder absetzt S. 117. Alarich nimmt Born ein, versucht hierauf vergeblich Afrika zu erobern; stirbt 410. Athaulf König, zieht 412 nach Gallien, beseitigt den Usurpator Jovinus. Differenzen mit dem Kaiser wegen der Placidia S. 118. Athaulf begibt sich 415 nach Spanien, wo er stirbt. Könige Sigerich, Wallia 415. Wallia versacht vergeblich nach Afrika überzusetzen 416, zieht im Auftrage des Kaisers gegen die Wandalen, Alanen und Sweben in Spanien zu Felde 416—418. Die Goten werden als Föderaten in Aquitanien angesiedelt 418 S. 119. f) D a s t o l o s a n i s c h e R e i c h d e r W e s t g o t e n S. 120—130. Tod Wallias 418. Theoderich I. König. Rechtsstellung der Goten in Gallien. Bruch d e s F o e d u s ; die Goten unabhängig, 422—26 S. 120. Kämpfe mit den Römern 435—39. Bündnisse mit d e n Wandalen und Sweben 442—49. Die H u n n e n unter Attila S. 121. Attila fällt 451 in Gallien ein; die Goten auf Seite Roms S. 122. Schlacht bei Troyes; Theoderich fällt; Thorismud König 461, wird 453 ermordet S. 123. Theoderich II. König; schließt sich zunächst an Rom a n ; fördert die Erhebung des Kaisers Avitus 455. Bruch mit Rom nach der Erhebung des Kaisers Majorianus 457 S. 124. Theoderich von Majorian zum Frieden gezwungen 458—59. Die Goten nehmen Narbonne, werden aber bei Orleans von Aegidius geschlagen, 462—464. Theoderich 466 ermordet; Eurich König S. 125. Expansion der Goten in Gallien und Spanien 469 ff. Das erste Aquitanien erobert. Friede vom J. 475; die Souveränität des westgotischen Reiches anerkannt S. 126. Eroberung der Südprovence und der Tarraconensis 477. Verfahren gegen den katholischen Klerus 5. 127. Äußerer Glanz des Reiches. Eurich stirbt 484; Alarich II. König. Beginnender Verfall. Krieg mit den Franken 494 ff. Hochverräterisches Verhalten des katholischen Klerus S. 128. Vergebliche Versöhnungsversuche; Konzil zu Agde, Erlaß der Lex Rom. Visig. 506. Angriff Chlodowechs 507 S. 129. Schlacht bei Vouglö, Ende des tolosanischen Reiches S. 130. 6. D i e G e p i d e n .

Taifalen.

Rugier.

Turkilingen.

Skiren.

Heruler.

D a s R e i c h O d o w a k a r s S. 131—141. a) Die Gepiden S. 131—133. b) Die Taifalen S. 133. c) Die Rugier S. 133—135. d) Die Turkilingen S. 135. e) Die Skiren S. 135—136. f) Die Heruler S. 136—138. g) Das Reich Odowakars S. 138—141. 7. S c h l u ß S. 141-143. Die Gothi minores S. 141. Die Gothi confessores. Die tetraxitiscben und Krimgoten. Reste der Ostgermanen in Deutschland S. 142, 143. Geschichtliche Mission der Ostgermanen S. 143. C. Die Westgermanen S. 144—230. 1. D i e I n g w ä o n e n S. 144—161. a) D i e K i m b e r n , T e u t o n e n u n d A m b r o n e n S. 144—147. Heimat der Kimbern, Teutonen und Ambronen in der jütischen Halbinsel S. 144, 145. Ziehen um 120 v. Chr. nach Süden, fallen in die Gebiete der Bojer, Skordisker und Taurisker ein, schlagen die Römer bei Noreja (113) S. 145; wandern alsdann zu den Helvetiem und brechen, von zwei helvetischen Gauen begleitet, in Gallien ein. Siege über die Römer 109, 107 (bei Agen), 105 (bei Arausio). Die Kimbern gehen über die Pyrenäen, die Teutonen, Ambronen, Helvetier bleiben in Gallien. Marius erhält den Oberbefehl über die Römer S. 146; schlägt 102 die

xn

Inhalt

Teutonen und Ambronen bei Aqaae Sextiae. Die Kimbern brechen in Italien ein, werden 101 von den Römern bei Vercellae vernichtet S. 147. b) Die A n g e l n a n d W a r n e n 148—151. Die Nerthusvölker sind Beate der Teutonen. Hauptvolk die Angeln. Heimat der Warnen S. 148. Die Awionen Reste der Ambronen. Die Eudosen = Euten. Die Reudigner. Angeln und Warnen setzen Bich seit dem 8. Jahrh. am Niederrhein (est 8. 149. Das niederrheinische Warnenreich wird um die Mitte des 6. Jahrh. von den Franken unterworfen. Die Angeln siedeln nach Britannien über 8. 160. Herrschaft von Angeln und Warnen in Thflringen. Die Haruden 8.151. c) Die C h a u k e n u n d S a c h s e n S. 151—157. Die Chauken wohnen ursprünglich zwischen Ems und Elbe, halten anfänglich zu den Römern, als deren Feinde sie seit d. J. 28 n. Chr. auftreten. Vertreiben 58 die Amsiwarier und Chasuarier 8. 152, alsdann die Angriwarier und unterwerfen einen Teil der Cherusker. Vereinigung mit den Sachsen (Reudignem) 8. 153. Verdrängen die Salier. Raubzüge nach Gallien S. 154. Sächsische Niederlassungen an der flandrisch-französischen Küste 8.155. Ausbreitung der Sachsen im Inneren Deutschlands: Angliederung der Barden, Angriwarier, Nordthüringer 8. 156. d) Die A m s i w a r i e r u n d F r i e s e n S. 157—158. Die Amsiwarier Anwohner der unteren Ems; 58 von den Chauken vertrieben; Bestandteil der Franken. Die Friesen Bewohner des Küstengebietes zwischen Ems und Vlie 8. 157, bis ins 3. Jahrh. römische Reichsuntertanen, dann selbständig S. 158. e) D i e g e r m a n i s c h e B e s i e d e l u n g E n g l a n d s S. 158—161. Unsicherheit der Uberlieferung. Niederlassungen von Sachsen in Britannien schon seit Ende des 3. Jahrh. S. 159. Häufige Piratenzüge der Nordseegermanen nach der Insel im 4. Jahrh. Einfälle der Pikten und Skoten. Die Briten rufen die Euten unter Hengist und Hors zu Hilfe 428. Übergriffe der Germanen, die fortgesetzt Zuzug aus der Heimat erhalten. Sieg der Briten am mons Badonis (um 500) 8.160. Ausgangspunkt der germanischen Züge nach England zunächst die französische Küste und der Niederrhein, dann die kimbrische Halbinsel S. 161. 2. D i e H e r m i n o n e n

8. 162—206.

a) Die C h e r u s k e r S. 162—167. Wohnen von den Gebirgen westlich der Weser bis zur rius unterworfen 8. 162. Die Tat des Arminius S. 163—167. rusker nach Armins Tode; sie verlieren große Gebietsteile Chauken und kommen schließlich unter die Herrschaft der Sachsen 8. 167.

Elbe hin; von TibeNiedergang der Chean die Chatten und Thüringer, dann der

b) D i e S w e b e n 8.168—200. a) V o r g e s c h i c h t e S. 168-172. Heimat des swebischen Urvolkes zwischen Havel und Spree; Entstehung der Einzelvölker durch Abwanderung S. 168. Ariowist 8. 169—170. Ausbreitung der Mainsw6ben. Die Markomannen und Quaden ziehen nach Böhmen und Mähren 8. 171. ß) D i e M a r k o m a n n e n u n d Q u a d e n S. 172—178. Marbod 8. 172—173. Das vannianische Swebenreich S. 173—174. Der Markomannenkrieg unter Mark Aurel S. 174—176. Das Klientelverhältnis zu Rom ge-

xm

Inhalt

löst seit Mitte des 3. Jahrh. S. 176. Kämpfe Eonstantins II. mit den Quaden 357/358. Valentinian I. und die Quaden 374/375. Markomannen als Föderaten in Noricum und Pannonien. Ein Teil der Quaden zieht mit den Wandalen nach Gallien. Die Znr&ckbleibenden erscheinen nur unter dem Namen Sweben. Kämpfe derselben mit den Hunnen und Ostgoten im 5. Jahrh. S. 177. Die Sweben von den Herulern, dann von den Langobarden unterworfen 8. 178. y) D i e B a y e r n

S. 178—180.

Herkunft der Bayern von den Markomannen S. 178. Auszug aus Böhmen am 500; zunächst Ufernoricum, dann Rätien besetzt. Besiedelung des Nordgaues zu Anf. des 6. Jahrh. Unter Theudebert den Franken botmäßig 8.179, 180. 8) D a s s p a n i s c h e S w e b e n r e i c h

S. 180—182.

Die spanischen Sweben stammen von den Quaden ab. Aufsteigen der swebischen Macht in Spanien unter Rechila und Rechiar S. 180. Wechselnde Beziehungen zu den Westgotenkönigen Theoderich II. und Eurich 8.181,182. ¿) D i e H e r m u n d u r e n u n d T h ü r i n g e r

8. 182—187.

Heimat der Hermunduren zwischen Harz, Thüringer Wald und Elbe S. 182. Ansiedelung eines Volksteiles im früheren Markomannenlande (1 n. Chr.). Beziehungen zu Rom, zu Marbod. Eingreifen des Königs Yibilius in die Verhältnisse Böhmens und Ungarns (ca. 20—50) S. 183. Kämpfe mit den Chatten 58. Verschwinden des Hermundurennamens. Die südlichen Hermunduren identisch mit den Juthungen; aus den nördlichen Hermunduren, sowie Angeln und Warnen entsteht das Volk der Thüringer 8. 184. Größte Ausdehnung des thüringischen Reiches um 500 S. 185. Untergang des Reiches 531 S. 186. Die niederrheinischen Thüringer 8. 187. » S) D i e S e m n o n e n u n d A l a m a n n e n

S. 187—200.

Heimat der Semnonen in der Mark Brandenburg. Abzug nach dem Main um 170. Identität der Semnonen und Alamannen. Zerstörung des Limes um 260 S. 188, 189. Die Juthungen S. 190. Ausdehnung des alamannischen Gebietes am Ende des 3. Jahrh. S. 191. Kämpfe mit den Römern unter Konstantius H. und Julian S. 192—195, unter Valentinian I. S. 195. Schlacht bei Argentaria 378 8. 195, 196. Die Alamannen verlieren das Land rechts des Maines an die Franken, das Gebiet zwischen Main und Neckar an die Burgunder. Beziehungen zu den Gegenkaisern Konstantin UI. und Jovinus S. 196. Expansion nach dem Tode des Aetius über Elsaß, Pfalz, Schweiz, Rätia H S. 197. Kein Einkönigtum, nur Zusammenfassung mehrerer Gaue zu größeren Verbänden S. 198. Ein Teil des Volkes wird 496 von Chlodowech unterworfen; die Gaue in der Schweiz und Rätien kommen unter gotische Schutzherrschaft 536. Das gotische Alamannien an die Franken abgetreten S. 199. Die Nordschwaben Reste der Semnonen S. 199, 200. c) D i e C h a t t e n

S. 200—203.

Wohnen in der Gegend von Fritzlar. Kämpfe mit Drusus 8. 200, 201. Beziehungen zu den Cheruskern; die Vormachtstellung in Deutschland geht nach Armins Tod auf die Chatten über S. 201. Domitians Chattenkrieg. Erhebung zur Zeit des Markomannenkrieges. Kämpfe mit Caracalla S. 203. Die Chatten verlieren hierauf das Maingebiet an die Alamannen S. 203. d) Die B a t a w e r u n d K a n n e n e f & t e n

S. 203—206.

Die Batawer im J . 12 v. Chr., die Kannenefaten im J . 4 n. Chr. den Römern botmäßig S. 203. Römischer Kriegsdienst. Aufstand des Julius Civilis S.204, 205. Beide Völker bilden keinen Bestandteil der Franken S. 206.

XIV

Inhalt

3. D i e I s t w ä o n e n 6.206—230. a) Die S u g a m b r e r , M a r s e n S. 207, 208. Die U s i p i e r u n d T e n k t e r e r 8.209,210. Die T u b a n t e n . C h a s u a r i e r S. 210. Die B r u k t e r e r S. 210, 211. D i e C h a t t u a r i e r , C h a m a w e n , S a l i e r , T u i h a n t e n S. 211. Die U b i e r S. 211, 212. b) D i e F r a n k e n S. 213—280. o) V o r g e s c h i c h t e 8. 213—222. Die Salier Anwohner der Yssel, nicht aus der Vereinigung der Batawer, Kannenefaten, Kugerner hervorgegangen. Herkunft der Mittelfranken von den Chamawen, Brukterern, Amsiwariern, Chattuariern, Tubanten u. Tenkterern, der Oberfranken von den Chatten und Usipiern S. 213, 214. Beteiligung der Franken an der Zerstörung des Limes. Übersiedelung der Salier nach der Veluwe S. 216. Siege Konstantins d. Gr. und Julians. Die' Salier siedeln nach Toxandrien über S. 216, 217. Die Franken nehmen um 380 den Alamannen das Gebiet nördlich vom Main ab. Arbogasts Zug aber den Rhein 392/93. Verträge mit den Römern S. 217. Sicherung der Rheingrenze durch Aetius. Nach dessen Tode nehmen die Chattuarier das Land der Kugerner, die Brukterer das Ubierland, die Chamawen den Maasgau in Besitz. Besiedelung des Mosellandes durch Oberfranken S. 218, 219. Expansion der salischen Franken unter den ersten Merowingern. Chlojo, Merowech, Childerich. Childerich im Bunde mit Rom S. 220, 221. ß) C h l o d o w e c h , s e i n e S ö h n e u n d E n k e l S. 222—230. Chlodowechs Charakter. Sieg über Syagrius. Ende der römischen Herrschaft in Gallien. Bekehrung Chlodowechs zum Christentum. Sieg über die Alamannen. Krieg mit Burgund. Schlacht bei Vouglä S. 222—224. Chlodowech römischer Honorarkonsul S. 225. Angliederung der noch selbständigen fränkischen Herrschaften. Unterwerfung der niederrheinischen Thüringer und Heruler S. 226. Chlodowech f 511. Teilung des Reichs unter Chlodowechs Söhne Theuderich, Chlodomer, Childebert, Chlotachar. Einfall des Gautenkönigs Chochilaich ca. 616. Burgundischer Krieg 523—524. Chlodomer f 524; in sein Reich teilen sich Childebert und Chlotachar S. 227. Untergang des thüringischen und burgundischen Reiches. Theuderich f 534. Sein Sohn Theudebert. Eingreifen in die Verhältnisse Italiens. Unterwerfung der Bayern, Nordscbwaben, Euten und Warnen S. 228, 229. Childebert und Chlotachar gegen die Westgoten 542. Theudeberts Plan der Eroberung des byzantinischen Reiches S. 230.

I. Die Germanen als Gesamtvolk. a) Quellenkunde. L i t e r a t u r . Von zusammenfassenden Arbeiten seien hier hervorgehoben: M ö l l e n h o f f , Deutsche Altertumskunde I—V. Berlin 1870—1908. B r e n n e r , Nord- und Mitteleuropa in den Schriften der Alten bis zum Auftreten der Cimbern und Teutonen. München 1877. J e e p , Quellenuntersuchungen zu den griechischen Kirchenhistorikern : Jahrbücher für klassische Philologie. Suppl. 14 (1885). H o f f , Die Kenntnis Germaniens im Altertum bis zum 2. Jahrh. n. Chr. Coesfeld 1890. T e u f f e i , Geschichte der römischen Literatur. 5. Aufl. I. II. Leipzig 1890. R i e s e , Das rheinische Germanien in der antiken Literatur. Leipzig 1892. M i l l e r , Mappae mundi. Die ältesten Weltkarten. Stuttgart 1895—98. K r u m b a c h e r , Geschichte der byzantinischen Literatur von Justinian bis zum Ende des oströmischen Reiches. 2. Aufl. München 1897 (Iwan Müllers Handbuch der klass. Altertumswissenschaft IX). P e t e r , Die geschichtliche Literatur über die römische Kaiserzeit bis Theodosius I. und ihre Quellen I. II. Leipzig 1897. B r e m e r , Ethnographie der germanischen Stamme (S.A. aus der 2. Aufl. von Pauls Grundriß der german. Philologie). Straßburg 1899. 8. 7ff. S c h a n z , Geschichte der römischen Literatur. 2. Aufl. I—IV. München 1899—1905 (Iwan Müllers Handbuch VIII). G r o s s , The sources and literature of English history from the earliest times to about 1485. London 1900. Mol i n i e r , Les sources de l'histoire de France I. Paris 1901. A r b o i s d e J u b a i n v i l l e , Principaux auteurs de l'antiquité à consulter sur l'histoire des Celtes. Paris 1902 (Cours de littérature celtique 12). B e r g e r , Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen. 2. Aufl. Leipzig 1903. Ludw. S c h m i d t , Geschichte der deutschen Stämme 1,1. Berlin 1904. S. l t f . D e t l e f s e n , Die Entdeckung des germanischen Nordens im Altertum. Berlin 1904. D e r s e l b e , Ursprung, Einrichtung und Bedeutung der Erdkarte Agrippas. Berlin 1906 (Quellen und Forschungen zur alten Geschichte u. Geographie, hgg. von Sieglin. H. 8. 13). W a t t e n b a c h , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. 7. Aufl. I. Stuttgart 1904. S i e g l i n , Entdeckungsgeschichte von England im Altertum : Verhandlungen des 7. internationalen Geographenkongresses 1899. II. Berlin 1905. S. 845S. C h r i s t , Geschichte der griechischen Literatur bis auf die Zeit Justinians. 4. Aufl. München 1905 (Iwan Müllers Handbuch VII). Vgl. D a h l m a n n - W a i t z , Quellenkunde der deutschen Geschichte. 7. Aufl., hgg. von E. Brandenburg. Leipzig 1906. Nr. 2277 ff., 2456 ff., 2624 ff, 2787 ff., 2923 ff.

Die Quellen, aus denen wir die Kenntnis der ältesten deutschen Geschichte schöpfen, zerfallen in zwei Kategorien, die literarische Überlieferung und die indirekten Zeugnisse, die aus einzelnen Hilfswissenschaften zu gewinnen sind. Es liegt auf der Hand, daß die erstere als die wichtigste Grundlage unseres Wissens zu gelten hat, da sie allein feste Daten und Namen zu bieten vermag, während die 9 c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

1

2

I. Die Germanen als (resamtvolk.

Ergebnisse aus den mittelbaren Quellen im allgemeinen nur zur Erläuterung und Ergänzung jener verwertet werden können. Die erste Kunde, die der antiken Welt über den Norden Europas zukam, ist durch den Zinn- und Bernsteinhandel vermittelt worden. Das Zinn, dessen man in erster Linie zur Herstellung der Bronze bedurfte, wurde hauptsächlich in der Bretagne und in England, und zwar schon seit dem Ausgang des zweiten Jahrtausends v. Chr., gewonnen. Die Frage, wo der in vorchristlicher Zeit verwendete Bernstein herstammte, ob von der Nordsee- oder der Ostseeküste, ist noch unentschieden1). Der Vertrieb befand sich anfänglich ganz in den Händen der Phönizier, namentlich der Karthager, die beide Produkte teils über Land im Tauschverkehr von Volk zu Volk teils durch direkte Fahrten zur See nach den Ursprungsländern (aber sicher nicht über die Nordsee hinaus) bezogen. Die Schilderungen, die die Werke der älteren griechischen Dichter und Schriftsteller über jene Gegenden enthalten, beruhen im wesentlichen auf Berichten der Phönizier, sind aber, da diese ein Interesse daran hatten, andere Völker in Unkenntnis zu erhalten, um sie von ähnlichen Reisen abzuschrecken, nur verworren und von Fabeln erfüllt. Das Dunkel lichtete sich erst, als die Griechen, die Bewohner von Massilia, im vierten Jahrhundert Handelsverbindungen über Land mit dem Norden anknüpften; bahnbrechend für die Erweiterung des geographischen Wissens wirkte namentlich die Fahrt, die um 345 v. Chr.2) P y t h e a s von Massilia auf den Wegen der Phönizier nach den unbekannten Ländern unternahm. Pytheas hat als Leiter einer wissenschaftlichen Forschungsexpedition nach einer Bereisung Britanniens bis zu den Shetlandsinseln (?) das Wattenmeer (aestuarium) an der deutschen Nordseeküste besucht. Dort lernte er das Volk der Guionen und die durch reiche Bernsteinfunde ausgezeichnete Insel Abalus (wohl eine der ostfriesischen Inseln; sicher nicht Helgoland) kennen, deren Bewohner das Fossil an die zunächst wohnenden Teutonen (an der Elbemündung) weiter zu verhandeln pflegten. Die Ergebnisse seiner Forschungen legte er nieder in einer Schrift ¿regí anuavov, die leider nur in dürftigen Fragmenten, besonders bei Diodor, Strabo und Plinius, auf uns gekommen ist. Einen wissenschaftlichen Nachfolger hat er nicht gefunden; aber auch Kauffahrer scheinen den neu erschlossenen Seeweg nach den Produktionsländern des Zinns und Bernsteins zunächst nicht wieder eingeschlagen zu haben. So ist es erklärlich, daß Pytheas auf lange Zeit hinaus der hauptsächlichste Gewährsmann der späteren geographischen und historischen Schriftsteller für den Norden gewesen ist. Seine Angaben liegen namentlich den verlorenen Werken des Historikers T i m ä u s *) Ubersicht über den Stand der Frage bei K r e t s c h m e r , Historische Geographie von Mitteleuropa. München und Berlin 1904. S. 169 f. *) Die Reise muß vor der Erwerbung der südspanischen Küste durch die Karthager stattgefunden haben (zwischen 348 und 348), da hierdurch die Straße von Gibraltar für griechische Fahrzeuge gesperrt wurde. Vgl. Sie gl in a. a. O. S. 860.

3

a) Quellenkunde.

von Tauromenium (352—256 v. Chr.)1) und des Geographen E r a t o s t h e n e s (275—194 v. Chr.)2) zugrunde. Andere suchten seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern, ohne aber etwas Wesentliches gegen ihn beibringen zu können. Zu seinen schärfsten Tadlern gehörte der Geschichtschreiber' P o 1 y b i u s (ca. 205—123 v. Chr.), der, obwohl weitgereist, Germanien nicht aus eigener Anschauung kannte und nur über das germanische Volk der Bastarnen am Pontus einige selbständige Nachrichten zu geben vermochte8). Neuen Stoff und Anregung zu genaueren Erkundigungen über den germanischen Norden brachte die Wanderung der Kimbern und Teutonen. Die vermehrte Kenntnis tritt vor allem in den leider nur fragmentarisch erhaltenen Schriften des P o s i d o n i u s von Apamea (ca. 125—40 v. Chr.)4) hervor: in dem Geschichtswerke, das neben verschiedenen Problemen der germanischen Ethnogonie ausführlich und zuverlässig die Kimbernkriege behandelte und für diese die Grundlage der späteren Überlieferung (besonders Plutarch im Leben des Marius, Strabo, Livius) gebildet hat, sowie in dem geographischen Buche über den Ozean, aus dem Plinius und Mela mittelbar oder unmittelbar einen Teil ihrer Angaben über die Nord- und Ostsee geschöpft zu haben scheinen. Dagegen beschränkten sich die griechischen Nachfolger des Posidonius, wie Diodor, Timagenes, Isidor von Charax, fast nur auf Wiederholungen aus älteren Quellen. Seit Cäsar beginnen auch die Römer sich eingehend mit den germanischen Verhältnissen zu beschäftigen. Cäsar besiegte im Jahre 58 v. Chr. den germanischen König Ariowist und ist zweimal, 55 und 53 v. Chr., über den Rhein in Deutschland eingedrungen. Seine von scharfer Beobachtungsgabe zeugenden, wenn auch nicht immer einwandfreien Schilderungen hat er in den im Jahre 51 v. Chr. veröffentlichten Kommentarien über den Gallischen Krieg6) niedergelegt. Was anderseits sein jüngerer Zeitgenosse C o r n e l i u s N e p o s in einem verloren gegangenen geographischen Werke über Germanien beigebracht hat, scheint keinen erheblichen Wert besessen zu haben6). Eine umfassende Kenntnis des Inneren und der Küsten ward erst durch die Feldzüge unter der Regierung des Augustus erworben: auf dem Lande drangen die Römer bis zur Elbe, zur See bis zur Spitze Jütlands vor. Eine solche, im Jahre 12 v. Chr. unter Drusus unternommene Fahrt in die Nordsee hat A l b i n o v a n u s P e d o in einer Dichtung geschildert, von der ein Bruchstück durch den Rhetor Seneca (Suas. 1, 12) auf uns gekommen ist. Der Kaiser hat selbst einen Be') G e f f c k e n , Timaios' Geographie des Westens. Berlin 1892 (Philologische Untersuchungen H. 13). *) B e r g e r , Die geographischen Fragmente des Eratosthenes. Leipzig 1880. *) Erhalten bei Livius und bei Plutarch, Leben des Ämilius Paulus. 4 ) Fragmente bei M ü l l e r , Fragmenta historicorum Graecorum. III. Paris 1849. Sp. 245 ff. ») ed. K ü b l e r . Leipzig 1893. *) Quae supersunt ed. H a l m . Leipzig 1871. S. 126. 1*

4

L Die Germanen als Gesamtvolk.

rieht über seine Taten (erhalten in dem M o n u m e n t u m A n c y r a n u m } verfaßt, in dem er seiner Siege über die deutschen Völker kurz gedenkt1). Eng mit seiner Persönlichkeit ist sodann die r ö m i s c h » R e i c h s k a r t e verknüpft, die auch ein Bild Germaniens enthielt. Dieselbe ist von M. V i p s a n i u s A g r i p p a entworfen und nach dessen Tode (12 v. Chr.) auf Anordnung des Augustus vollendet und in der Säulenhalle auf dem Campus Agrippae aufgetragen worden (um lO n. Chr.). Ihre Form war wahrscheinlich die kreisrunde; Osten lag oben. Für die kartographischen Darstellungen der Folgezeit ist die Karte in der Porticus Vipsania von der größten Bedeutung gewesen. Sie ward im ganzen römischen Reiche in Kopien verbreitet und verschiedenen Bearbeitungen nach dem jeweiligen Stande des geographischen Wissens unterworfen; auf ihr fußen im Grunde Strabo, Pomponius Mela, Tacitus, Ammianus Marcellinus, Orosius, Julius Honorius, Jordanis bzw. Cassiodor, Isidor von Sevilla, Paulus Diaconus, der Anonymus Ravennas, die Verfasser der Tabula Peutingeriana, des Itinerarium Antonini usw. Bei den wiederholten Redaktionen, die mit dem Original vorgenommen wurden, ist es geschehen, daß häufig veraltete Angaben stehen blieben, keine Verbesserung erfuhren; dies gilt namentlich für die Darstellung Germaniens, deren Quellenwert daher nur ein geringer ist. Gleichzeitig mit der Reichskarte wurde eine Begleitschrift, die sog. Kommentarien des Agrippa, herausgegeben , die namentlich von Plinius, ferner in zwei kleinen Schriften aus dem Ende des 4. Jahrhunderts, der Dimensuratio provinciarum und der Divisio orbis2), benutzt ist. Der bedeutendste Geschichtschreiber der augusteischen Zeit,. Titus L i v i u s , hat nach den allein erhaltenen Inhaltsangaben in Buch 45, 47, 48 seiner Historien den Kimbernkrieg, in Buch 104, 105, 107 die Geographie und Ethnographie Germaniens sowie die germanischen Expeditionen Cäsars, im 138.—142. Buche die Feldzüge des Drusus, die letzteren als Zeitgenosse, geschildert8). Er hat den späteren Historikern vielfach als Quelle gedient, und so ist un» der Inhalt der verlorenen Bücher noch teilweise bei Florus, Orosius, Cassius Dio u. a. erhalten. Eine wertvolle Fundgrube sind die r&ay^atpmt£ S t r a b o s (f circa 19 n. Chr.), deren siebentes Buch Germanien ausführlich behandelt4). Das Werk ist wohl schon vor Christi Geburt abgefaßt und später von einem anderen unter Einfügung der von Strabo am Rande seines Manuskriptes beigeschriebenen Zusätze in den Text herausgegeben worden. Die Darstellung ist auf ein reiches Quellenmaterial gegründet, darf aber, da vielfach ältere und gleichzeitige Berichte durcheinander gearbeitet sind, nur mit Vorsicht verwertet werden. ') ') ») *)

Res gestae divi Augusti ed. M o m m s e n . 2. Aufl. Berlin 1883. ed. R i e s e , Geographi latini minores.' Heilbronn 1878. 8. 9 ff. Hist. Rom. ed. Madvig. Hannover 1866. Vol. IV, 2. Sonderausgabe von M ü l l e n h o f f , Germania antiqna. Berol. 1873. 8. 63 ff.

a) Quellenkunde.

5

V e l l e i u s P a t e r c u l u s bietet in seinem um 30 n. Chr. verfaßten Geschiciitsabriß') einige gute Nachrichten über die Feldzüge des Tiberius in Germanien und Pannonien, an denen der Autor als Offizier teilgenommen hatte; etwas gemindert wird freilich der Wert seiner Angaben durch die unbegrenzte Bewunderung, die er seinem Vorgesetzten entgegenbringt. Sehr zu bedauern ist der Untergang der zu derselben Zeit geschriebenen Libri belli Germanici des A u f i d i u s Bassus 2 ), in denen die germanischen Kriege unter Augustus und Tiberius unter besonderer Betonung der Verdienste des letzteren erzählt waren. Das älteste uns erhaltene geographische Werk der römischen Literatur, die um 43 n. Chr. verfaßte Chorographie des P o m p o n i u s Mela s ), enthält auch einige Mitteilungen über Germanien. Die Arbeit ist die Begleitschrift einer Karte und fußt auf einer älteren, unbekannten Quelle, die auch von Plinius stark ausgebeutet worden ist. Der ältere P l i n i u s (f 79), der wiederholt selbst in Deutschland gewesen ist, darf als einer der besten Kenner germanischer Verhältnisse angesehen werden. Unter seinen Schriften sind zunächst hervorzuheben: die leider verlorene Geschichte der germanischen Kriege (bellorum Germanicorum libri XX) bis zur Expedition des Corbulo gegen die Chauken und Friesen (47 n. Chr.), ferner das ebenfalls untergegangene, 31 Bücher umfassende Geschichtswerk A fine Aufidii Bassi, worin u. a. namentlich des Bataweraufstandes ausführlich gedacht war. Erhalten ist nur die Historia naturalis, in der sich besonders im 4. Buche wertvolle Nachrichten über Deutschland finden *). Plinius war ein Hauptgewährsmann für P. Cornelius Tacitus (ca. 50—120), •dessen Werke die reichhaltigste Quelle des Altertums für unsere Urväter darstellen. Es kommen hier in Betracht die leider nicht vollständig erhaltenen »Annalen« und »Historien«, in denen die Geschichte der Jahre 14—68 und 69—96 dargestellt ist, sowie die im Jahre 98 «ntstandene Broschüre »Germania«, eine zur Rechtfertigung der längeren Abwesenheit des Kaisers Trajan verfaßte Schilderung von Land und Volk der Germanen5). Des Tacitus Zeitgenossen waren S e x t u s J u l i u s F r o n t i n u s , dessen Strategemata einige brauchbare, aus unbekannten Quellen stammende Notizen zur Geschichte der Germanischen Kriege von Cäsar bis Domitian enthalten6), und P l u t a r c h von Chaeronea, dessen Leben des Marius, weil aus Posidonius geschöpft, eine Hauptquelle für die Geschichte des kimbrischen Zuges ist7). Unter den römischen Historikern, die unter Kaiser Hadrian ') Hist. Rom. ed. Haaae. Leipzig 1874. *) Fragm. bei P e t e r , Historicorum Rom. fragmenta. Leipzig 1873. S. 29811. ») M ö l l e n h o f f , Germ. ant. S. 78 ff. 4 ) Die geographischen Bücher der Nat. hist. hgg. von D e t l e f s e n . Berlin 1904 (Quellen u. Forach. z. alt. Gesch. u. Geogr. Heft 9). Opera ed. Nipperdey. Berlin 1871 ff. Beste Ausgabe der Germania bei M ö l l e n h o f f , Germ. ant. S. 1 ff. *) ed. G u n d e r m a n n . Leipzig 1888. ') Vitae ed. Sintenis. Leipzig 1879 ff.

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I. Die Germanen ale Gesamtvolk.

lebten, gewähren einige Ausbeute für die deutsche Geschichte: S u e t o n i u s in seinen Kaiserbiographien (Cäsar bis Domitian) 1 ) und F l o r u s , dessen hauptsächlich aus Livius geschöpfter Geschichtsabriß 2 ) besonders für die Germanischen Kriege des Augustus in Betracht kommt. Unter Mark Aurel (161—180) schrieb P t o l e m ä u s seine Geographie, die im 2. Buche Kap. 11 eine ziemlich ausführliche Darstellung Germaniens enthält und im wesentlichen auf dem von Mar i n u s von Tyrus zu Anfang des 2. Jahrhunderts zusammengebrachten umfänglichen Materiale beruht. Das Werk ist die Beschreibung einer demselben beigegebenen Sammlung von Karten, wie solche noch in einzelnen Handschriften überliefert sind. Der Wert dér Ptolemäischen Angaben ist aber nur sehr gering einzuschätzen; zahlreiche Flüchtigkeiten und wissentlich falsche Ansetzungen lassen bei ihrer Benutzung die größte Vorsicht geboten erscheinen 8 ). Von der römischen Geschichte des C a s s i u s D i o (f ca. 235), die bis zum Jahre 229 n. Chr. geführt war, sind nur die Bücher über die Jahre 68 v. bis 47 n. Chr. einigermaßen vollständig erhalten, während der übrige Inhalt, also auch die vom Verfasser selbst erlebte Zeit nur in Fragmenten und Auszügen vorliegt, eine brauchbare, wenn auch nicht immer zuverlässige Quelle 4 ). Der wichtigste Historiker des 3. Jahrhunderts ist der Athener D e x i p p u s , Verfasser von XQOVIXÚ bis auf Claudius II. und von -Y.v(Geschichte der Germaneneinfälle ca. 238—271), von denen leider nur einzelne Fragmente vorliegen 4 ). Dexippus bildet die Grundlage für die dieselbe Zeit behandelnden späteren Historiker: die Scriptores hist. Aug., Zosimus, Petrus Patricius und Syncellus. Die sog. S c r i p t o r e s h i s t o r i a e A u g u s t a e schrieben unter Diokletian Und Konstantin d. Gr. und behandeln die Geschichte der Kaiser von Hadrian bis Numerian (117—284) mit einer Lücke von 244 bis 260®). Die Biographien bis Elagabal beruhen auf dem verlorenen Werke des Marius Maximus und sind durchaus zuverlässig; die übrigen enthalten viel gefälschtes Material und sind nur insoweit, als sie aus Dexippus geschöpfte Daten enthalten, einigermaßen verwertbar. Manch' wichtige Notiz verdanken wir den in der Sammlung der X I I p a n e g y r i c i v e t e r e s enthaltenen, der Zeit 289—389 angehörenden Lobreden auf Maximian, Constantius Chlorus, Konstantin d. Gr., Julian und Theodosius I. 7 ), ferner den Geschichtsabrissen des *) Caesares ed. I h m . Leipzig 1907. ) Epitomae ed. R o ß b a c h . Leipzig 1896. •) ed. Carl M ü l l e r . Paris 1883 ff. (mit Atlas). 4 ) ed. Boissevain. Berlin 1895 ff. ') M ü l l e r , Fragm. hist. Gr. III, 666 ff.; ed. d e B o o r , Excerpta de legationiBerol. 1903. •) ed. P e t e r . Leipzig 1884. ') ed. B a e h r e n s . Leipzig 1874. 2

bus.

a) Quellenkunde.

7

A u r e l i u s V i c t o r (Caesares, bis 360) 1 ), F e s t u s (bis 369) 2 ), E u t r o p i u s (bis 364) s ) und der fälschlich dem Aurelius Victor zugeschriebenen Epitome (bis 395)1). Für die Zeit Konstantins d. Gr. ist der erste Teil des sog. A n o n y m u s V a l e s i a n u s 4 ) eine Hauptquelle; nur geringer Wert kommt dagegen dem Leben Konstantins und der Kirchengeschichte des E u s e b i u s (bis 324) zu6). Die ursprünglich in Italien zusammengestellten K o n s u l l i s t e n wurden unter Konstantin d. Gr. in Byzanz fortgeführt und mit geschichtlich wichtigen Zusätzen versehen6). Benutzt wurden dieselben von Hieronymus für seine Chronik von 326—378; ein bis 395 geführtes Exemplar liegt mit einer spanischen Fortsetzung bis 468 in den sog. F a s t i H y d a t i a n i vor; andere Redaktionen bis ins 6. Jahrhundert hinein bieten namentlich das Chronicon paschale und der Chronist Marcellinus Comes. Wahrscheinlich aus dem 4. Jahrhundert stammt die T a b u l a P e u t i n g e r i a n a 7 ) , eine zu Reisezwecken in Streifenform hergestellte Redaktion der römischen Reichskarte, sowie der Anhang zu dem Provinzialverzeichnis von 297, der sog. Laterculus Veronensis, ein Verzeichnis der Völker, die damals das römische Reich bedrohten8). Von den Werken des Kaisers J u l i a n (331—363) kommen besonders die Reden und Briefe sowie die Schrift Kaiaaqeq als geschichtliche Quellen in Betracht 9 ); sehr zu bedauern ist der Verlust einer Schrift über den mit den Alamannen geführten Krieg, die von Ammian und Libanius benutzt worden zu sein scheint. Wertvolles Material enthalten auch die Reden und Briefe des L i b a n i u s (314-393) 1 0 ), des T h e m i s t i u s (circa 330—390; besonders für die Beziehungen zu den Goten)11), des J o h a n n e s C h r y s o s t o m u s (347—407)12), des S y n e s i u s von Kyrene (ca. 370—413, besonders die Rede iteqi ßaoiketat; und die romanhafte Schrift Alyiuxioi R TZEQL ;cQovotceg über den Gotenführer Gainas)13), des A m b r o s i u s von Mailand (ca. 3 4 0 - 397) 1 4 ),desQ. A u r e l i u s S y m m a c h u s (ca. 345—405) 16 ); ferner die Gedichte und die Danksagungsrede des A u s o n i u s (oa. 310 bis 390)16). Die Usurpation des Gainas behandelten poetisch der Scho') ») *) *) ») •) ') ') ,0) ") ") ») ") ») »•)

ed. G r u n e r . Erlangen 1787. ed. F ö r s t e r . Wien 1874. ed. D r o y s e n . Berlin 1879 (Mon. Germ. Auct. antiquiss. II). ed. M o m m s e n . Berlin 1892 (M. G. Auct. ant. I X , S. 7 ff.). ed. D i n d o r f . Leipzig 1867 ff. ed. M o m m s e n . M. G. Auct. ant. I X , S. 206 ff. Die Weltkarte des Castorius, hgg. v. K. M i l l e r . Ravensburg 1888. K i e s e , Geogr. lat. min. S. 128. ed. H e r t l e i n . Leipzig 1876. ed. R e i s k e . Altenburg 1784 ff. ed. F ö r s t e r . Leipzig 1903ff. ed. D i n d o r f . Leipzig 1832. Migne, Patrol. Graec. 47—54. Migne, Gr. 66. Migne, Lat. 15. 16. M. G. A. a. VI, 1. M. G. A. a. V, 2.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

laeticus E u s e b i u s (gleichzeitig) und A m m o n i u s (im Jahre 438); beide jetzt verlorene Gedichte wurden von dem Kirchenhistoriker Sokrates benutzt. Für die Verbreitung des Christentums unter den Goten in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts bieten wichtige gleichzeitige Zeugnisse die Akten über das Martyrium des heil. Sabas1) und der 26 Märtyrer2) sowie die Epistula de fide, vita et obitu Wulfilae des Bischofs A u x e n t i u s von Durostorum8). Von den Werken des H i e r o n y m u s Stridonensis (ca. 340—420) sind besonders wichtig die Bearbeitung und Fortsetzung der Chronik des Eusebius bis 378 und die Briefe4). Die Kirchengeschichte des Eusebius ward von R u f i n u s ins Lateinische übersetzt und bis 395 fortgeführt 5 ). Um 390 ist das Geschichtswerk des A m m i a n u s Marc e l l i n u s entstanden, das die Zeit von 96—378 behandelte und von dem die Bücher 14—31 (353—378) noch erhalten sind6), eine äußerst wertvolle Quelle für diese Zeit, da der Verfasser selbst den Ereignissen vielfach nahe gestanden hat und aufrichtig bemüht gewesen ist, die Wahrheit zu sagen. Die geschichtlichen Gedichte des C l a u d i u s C l a u d i a n u s 7 ) auf Ereignisse der Zeit 395—404 sind wichtig für die Geschichte Stilichos und dessen Beziehungen zu den germanischen Völkern, besonders zu den Westgoten, aber wegen ausgesprochener Parteinahme für den Heermeister nicht immer zuverlässig. Aus dem Anfange des 5. Jahrhunderts stammt die Erdbeschreibung des J u l i u s H o n o r i u s 8 ) , die sich selbst ausdrücklich als Auszug aus einer Karte, d. h. einer Redaktion der römischen Reichskarte bezeichnet. Das im Jahre416 verfaßte Gedicht des R u t i i i u s N a m a t i a n u s de reditu suo9) bietet manche brauchbare Notiz zur Zeitgeschichte, insbesondere zur Kenntnis der Zustände Galliens, das unter den damaligen Kriegszügen der Westgoten so schwer zu leiden hatte. Der Abriß der Weltgeschichte des Spaniers P a u l u s O r o s i u s bis 4t7 10 ) ist trotz des einseitigen, christlich-orthodoxen Standpunktos des Verfassers von 378 ab eine gute Quelle. Die älteren Partien des Werkes beruhen zum großen Teile auf Livius und haben, soweit sie ') Acta SS. E. 12. April II, 88 ff., 966 f. (nicht von Wulfila verfaßt, vgl. P f e i l e c h i f t e r , Kein neues Werk des Wulfila: Veröffentlichungen aus dem kirchenhist. Seminar München. Reihe III, 1. S. 192 fi.) ») A c h e I i s , Zeitschr. f. neutest. Wiss. I (1900), S. 318 ff. ') ed. K a u f f m a n n , Texte u. Untersuchungen z. altgerm. Religionsgeschichte I. Straßburg 1899. S 73 ff. *) Die Chronik, herausgeg. von A. S c h ö n e . Berlin 1866 (Ausg. des Eusebius Bd. II), Briefe bei Migne, Lat. 22. «) Migne, Lat. 21. •) ed. G a r d t h a u s e n . Leipzig 1874 f. ') M. G. A. a. X. ») R i e s e , S. 24 ff, *) ed. V e s s e r e a u . Paris 1904. ,0 ) ed. Z a n g e m e i s t e r . Wien 1882.

a) Quellenkunde.

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aus den verlorenen Büchern geschöpft sind, selbständigen Wert. Von den Werken seines berühmten Zeitgenossen A u g u s t i n u s (f 430) bieten die Abhandlung de civitate Dei und die Briefe einiges für unsere Zwecke Brauchbare.1) Das Leben Augustins behandelte kurz nach dessen Tode P o s s i d i u s , der hierbei auch den Einfall der Wandalen in Afrika schildert2). Eine wertvolle Geschichtsquelle, die seit dem 5. Jahrhundert in immer steigendem Maße an Bedeutung gewinnt und auch noch für das 6. Jahrhundert von großer Wichtigkeit ist, sind die mit historischen Daten versehenen i t a l i e n i s c h e n K o n s u l a r f a s t e n 3 ) , die einer ganzen Reihe ost- und weströmischer Chronisten als Grundlage gedient haben. Zu letzteren gehört vor allem P r o s p e r T i r o aus Aquitanien, der seine Chronik in erster Redaktion bis 445, in zweiter bis 455, als Fortsetzung des Hieronymus, geführt hat4). Seine Mitteilungen für das 5. Jahrhundert — er berichtet von ca. 425 ab als Zeitgenosse — sind von großem Werte, wenn auch wegen mancher Flüchtigkeiten mit Vorsicht zu benutzen. Nicht minder wichtig für die Geschichte der germanischen Völker in Gallien und der germanischen Eroberung Britanniens ist die bis 452 reichende südg a l l i s c h e C h r o n i k (Chronicon imperiale), trotz zahlreicher chronologischer Fehler 6 ). Besonders für Spanien kommt die ausgezeichnete Chronik des Bischofs H y d a t i u s (bis 467) in Betracht6), in der von 427 ab selbst erlebte Ereignisse geschildert sind. Das um 450 in Südgallien geschriebene Werk des Presbyters S a l v i a n u s , de gubernatione Dei 7 ), ist eine Fundgrube für die Kenntnis der sozialen, wirtschaftlichen und sittlichen Zustände im sinkenden Römerreiche, aber auch für die germanischen Völker nicht ohne Bedeutung. Unter den nur trümmerhaft überlieferten Schriften des Spaniers M e r o b a u d e s (Mitte des 5. Jahrhunderts) sind geschichtlich wichtig die Panegyriken auf das zweite und auf das dritte Konsulat des Aetius (437 und 446).8) Eine Hauptquelle für die Geschichte des tolosanischen Reiches der Westgoten sind die Briefe und Gedichte des A p o l l i n a r i s S i d o n i u s (ca. 430—485) 9 ). Ein Freund des Sidonius, C o n s t a n t i u s , beschrieb um 480 das Leben des Bischofs Germanus von Auxerre (+ 448)10). Die Historia persecutionis Africanae provinciae des V i c t o r >) Briefe bei Migne, Lat. 33. ') Migne 32, Sp. 33 ff. >) M. G. A. a. IX, S. 274 ff. 4) Ebenda S. 385 ff. 6) Ebenda S. 646 ff. •) M. G. A. a. XI, S. 13 ff. ') Ebenda I, 1. ») Ebenda XIV. •) Ebenda V m . ,0 ) Acta SS. 7. Juli, S. 200 ff.

De civ. Dei ed. Ho f f m a n n .

Wien 1899 ff.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

Vitensis (geschr. um 4 8 6 ) b i e t e t trotz ihres einseitigen Parteistandpunktes wichtige Angaben über die Geschichte der Wandalen. Victors Landsmann und Zeitgenosse war der Dichter D r a c o n t i u s , dessen satisfactio ad Gunthamundum regem Guandalorum (484—496) an dieser Stelle Erwähnung verdient2). Reicheren Stoff als die okzidentalischen Geschichtschreiber des 5. Jahrhunderts bieten die oströmischen, griechischen Quellen. E u n a p i u s schrieb als Fortsetzer des Dexippus vom heidnischen Standpunkte eine Geschichte der Zeit bis 404 unter Benutzung Ainmians. O l y m p i o d o r behandelte die Jahre 407—425. Während diese beiden Autoren nur noch in Fragmenten vorliegen8), ist die bis zum Jahre 410 reichende Kaisergeschichte des Z o siraus 4 ) noch erhalten. Zosimus schöpfte bis 270 aus Dexippus, bis 404 aus Eunapius, sodann aus Olympiodor. Vielleicht gehört hierher auch der ziemlich rätselhafte Historiker A b l a b i u s , den wir nur aus Anführungen in der Gotengeschichte des Cassiodor-Jordanis kennen. Einzelne Bruchstücke besitzen wir noch von den trefflichen zeitgenössischen Darstellungen des Priscus (über die Zeit ca.440—472), des M a l c h u s (473—480) und des C a n d i d u s (457—491)6). Wichtiges Material verdanken wir auch den Kirchenhistorikern. Der Arianer P h i l o s t o r g i u s (geb. ca. 365) behandelte die Zeit von 300—425, wobei er die Profangeschichte hauptsächlich aus Eunapius und Olympiodor entnahm6). S o k r a t e s benutzte in seiner um 440 geschriebenen Kirchengeschichte7) (306—439) namentlich den Philostorgius, Olympiodor, die oströmischen Konsularfasten und eine Sammlung von Kaiserbiographien, die auch dem Anon. Valesianus und Zonaras vorgelegen hat. S o z o m e n u s , dessen Werk die Jahre 324—425 umfaßt (der bis 439 gehende Schluß ist verloren)8), folgte hauptsächlich seinem Zeitgenossen Sokrates, hat aber auch dessen Quellen selbständig benutzt und aus diesen seine Vorlage wesentlich ergänzt und erweitert. Auch das 6. Jahrhundert hat eine große Zahl wichtiger Quellen hervorgebracht, die jedoch leider ebenfalls zum großen Teile nur in Bruchstücken auf uns gekommen sind. Aus Gallien stammt die besonders für die westgotische Geschichte wichtige Chronik des sog. Severus S u l p i c i u s (Chron. Gall. ad a. 511), die auf einer in Arles hergestellten Redaktion der italienischen Konsular') M. G. A. a. HI, 1. ') Ebenda XIV. 3 ) M ü l l e r Fragm. IV. Eunap. auch in Excerpta de legationibus ed. de Boor II. (1908) S. 591 ff. Exc. de sententiis ed. Boissevain (1906) 8. 71 ff. 4 ) ed. M e n d e l s s o h n . Leipzig 1887. ») M ü l l e r Fragm. IV. Prise, u. Maech. auch in Exc. de legat. I, 1211t'., 155 ff. II, 575 ff. •) Migne, Gr. 65. ') Migne, Gr. 67. •) Migne, Gr. 6Í.

a) Quellenkunde.

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fasten beruht, derselben Quelle, die bis 450 in dem sog. Chron. imperiale uns vorliegt1). Diese südgallischen Annalen sind ferner auch von Gregor von Tours, Marius von Aventicum, dem Continuator Prosperi Havniensis benutzt worden. Ferner gehören hierher die Briefe des Bischofs A v i t u s von Vienne (+ ca. 525), eine wertvolle Quelle für die burgundische Geschichte2); des V e n a n t i u s F o r t u n a t u s ( f c a . 600) Gedichte de excidio Thoringiae und ad Artachim sowie die Vita s. Radegundis3); die treffliche Chronik des Bischofs M a r i u s von Aventicum (t 594)4) von 455—581, die, soweit sie nicht Selbsterlebtes schildert, auf gleichzeitigen annalistischen Aufzeichnungen beruht; die einige brauchbare Notizen enthaltenden Vitae des Bischofs Solemnis von Chartres (f ca. 511)6) und des Bischofs Cäsarius von Arles (f542) 6 ) und vor allem die bis zum Jahre 591 reichende ausgezeichnete fränkische Geschichte des G r e g o r von Tours (f 594)7). Gregor stützte sich für die Geschichte des 4. und 5. Jahrhunderts auf zwei leider verlorene Historiker, S u l p i c i u s A l e x a n d e r und Renatus P r o f u t u r u s Frigeridus, ferner auf südgallische Annalen sowie zahlreiche Legenden und Traditionen. Aus Spanien stammt die Chronik des M a x i m u s von Zaragoza, von der nur Fragmente über die Zeit von 450—568 erhalten sind8). In Afrika schrieben der Chronist V i c t o r von Tonnena (444—566 betr.)9), Corippus, der Dichter der Johannis10), der anonyme Biograph des Bischofs Fulgentius von Rüspe11) und die Dichter des Codex Salmasianus12), wichtige Quellen für die Geschichte der wandalischen Herrschaft. Für die Kenntnis der Zustände in den Donauländern im ausgehenden 5. Jahrhundert ist von unschätzbarem Werte die Lebensbeschreibung des hl. Severinus (f482) von E ugippius (sehr. 51 l) ,s ). Für die Gesohichte der Angelsachsen ist die vor 547 verfaßte Schrift des Briten G i l d a s de excidio et conquestu Britanniae u ) eine Hauptquelle. Was aus Italien an geschichtlicher Literatur auf uns gekommen ist, stammt in der Hauptsache aus der Regierungszeit des Ostgotenkönigs Theoderich. Eine Hauptrolle spielen die Konsularfasten. Von Ennodius, Bischof von Pavia (f 521), kommen der Panegyricus auf Theoderich, die Vita Epifanii episcopi Ticinensis und die Briefe16) für ») ») s ) *) ») •) ') ») •) l0 ) ") ") ") '«) ")

M. G. A. a. IX, S. 632 ff. Ebenda VI, 2. Ebenda IV. Ebenda XI, S. 232 ff. ed. L e v i s o n , Bonner Jahrbücher 103 (1898), S. 67 ff. M. G. SS. rer. Merov. HI, S. 433 ff. M. G. SS. rer. Merov. I. M. G. A. a. XI, S. 222 f. Ebenda XI, S. 184 ff. Ebenda III, 2. Migne, Lat. 67. Anthologia latina ed. R i e s e . I, 1. Leipzig 1894. S. 33ff. ed. M o m m s e n . Berlin 1898. M. G. A. a. XIII, S. 25 ff. Ebenda VII.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

die Zeitgeschichte in Betracht. Besonders sind zu erwähnen die Schriften des C a s s i o d o r u s , des Ministers Theodericbs. Die auf Befehl des Königs verfaßte, zwischen 526—533 vollendete Geschichte der Goten in 12 Büchern, die nur in dem von Jordanis 551 zu Konstantinopel verfertigten Auszuge vorliegt 1 ), ist ein erbärmliches Machwerk, das zwar auf guten Quellen — griechischen und römischen Historikern, gotischen Volksüberlieferungen — beruht, aber entsprechend der zugrunde gelegten Tendenz, den Goten eine möglichst alte und ruhmvolle Geschichte zuzuweisen und das amalische Königshaus zu verherrlichen, von Entstellungen und Fälschungen wimmelt. Fast nur ein Auszug aus den Konsularfasten ist die Chronik 2 ), die bis 519 reicht und die mangelhafte historische Begabung des Verfassers so recht deutlich zur Anschauung bringt. Größeren Wert besitzen allein Cassiodors Variae, eine Sammlung von Aktenstücken aus der ostgotischen Kanzlei, die als Musterbeispiele zu dienen bestimmt waren 8 ). Der zweite Teil des A n o n y m u s V a l e s i a n u s 4 ) , eine vorzügliche Quelle für die Geschichte Odowakars und Theoderichs, ist wahrscheinlich ein Bruchstück aus der Chronik des Bischofs von Ravenna (seit 546) M a x i m i a n , der die Konsularfasten und andere zeitgenössische Berichte zugrunde lagen. Wertvolles Material zur Geschichte des sechsten Jahrhunderts verdanken wir wiederum den byzantinischen Geschichtschreibern. In lateinischer Sprache schrieben M a r c e l l i n u s C o m e s , dessen treffliche, hauptsächlich auf den oströmischen Konsularfasten basierte Chronik im Anschluß an Hieronymus bis 518 bzw. 534 reicht und von einem anderen bis 548 fortgesetzt ist 5 ), sowie J o r d a n i s , von dem die 551 vollendete Historia Romana, eine ungeschickte und unbedeutende Kompilation 6 ), hier noch zu erwähnen ist. G r i e c h i s c h e A u t o r e n : Verloren ist das bis 502 geführte Geschichtswerk des E u s t a t h i u s 7 ) , in dem gute Quellen, besonders Priscus, benutzt waren. Die ebenfalls zum größten Teil untergegangenen 'laxoqiai des P e t r u s P a t r i c i u s (f ca. 575) 8 ) behandelten wahrscheinlich nur die Zeit von Augustus bis Diokletian und waren hauptsächlich aus Cassius Dio, Herodian und Dexippus geschöpft. Der bedeutendste Geschichtschreiber jener Epoche ist P r o k o p von Cäsarea, der getreue Begleiter und Sekretär Beiisars. Von seinen Schriften sind hier als besonders wichtig zu nennen die Beschreibungen der Kriege gegen die Wandalen und Goten (bis 553), in denen auch der ») M. G. A. a. V, 1. «) Ebenda XI, S. 120 ff. ») M. G. A. a. XII. *) Ebenda XI, S. 306 ff. •) M. G. A. a. XI, S. 60 ff. •) Ebenda V. 1. ') M ü l l e r , Fragm. IV. *) Ebenda. Exc. de legat. II, 391 ff. de sententiis S. 241 ff.

a) Quellenkunde.

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Vorgeschichte dieser und anderer germanischer Völker gedacht wird. Vielfache Ergänzungen und Berichtigungen der hier gegebenen »offiziellen« Darstellung bietet seine 550 verfaßte, aber erst nach Justinians Tode herausgegebene gehässige Geheimgeschichte1). Einen würdigen Fortsetzer für die Zeit von 553—559 fand Prokop in- A g a t h i a s 2 ) , an den sich wiederum M e n a n d e r P r o t e c t o r anschloß, dessen leider nur fragmentarisch erhaltenes Geschichtswerks) die Zeit von 558—582 behandelte. Ganz minderwertig, wenn auch in Einzelheiten nicht unbrauchbar, ist die bis 563 reichende Weltchronik des J o h a n n e s M a l a l a s 4 ) , von der die ersten 17 Bücher zwischen 528 und 540, das 18. bald nach 565 oder 573 verfaßt sind. Von den Kirchenhistorikern kommen in Betracht T h e o d o r u s L e c t o r (sehr, unter Justinian; bis 518) 6 ) und E u a g r i u s (f Ende des 6. Jahrhunderts), dessen Werk 6 ) von 431—593 geführt ist und für die Profangeschichte der uns hier interessierenden Zeit vornehmlich auf Eustathius, Prokop und Menander beruht. Einige Ergänzungen zu diesen Überlieferungen bieten auch die orientalischen Chroniken, so besonders die um 570 entstandene syrische Kompilation, in welche die um 518 verfaßte Kirchengeschichte des Z a c h a r i a s von Mytilene aufgenommen ist 7 ), sowie die nur teilweise erhaltene Kirchengeschichte des J o h a n n e s von Ephesus (f nach 585), die von Julius Cäsar bis Mauricius reichte 8 ). Von abendländischen Quellen des siebenten Jahrhunderts kommen hier noch folgende in Betracht: Die Chronik sowie die Volksgeschichten der Westgoten, Sueven und Wandalen des I s i d o r von Sevilla (f 636) 9 ); der sog. C o n t i n u a t o r P r o s p e r i H a v n i e n s i s (bis 641) 10 ), der die italienischen und gallischen Konsularfasten ausschrieb und wichtige Nachrichten schon vom 5. Jahrhundert an bringt; der um 670, im Anschluß an den Königskatalog vor dem Edikt Rotharis entstandene, aus Volksüberlieferungen geschöpfte Abriß der langobardischen Geschichte, d i e O r i g o g e n t i s L a n g o b a r d o r u m 1 1 ) ; der L i b e r p o n t i f i c a l i s 1 2 ) , dessen erste Ausgabe in dieses Jahrhundert fällt; die ältere Redaktion der Historia Britonum des sog. Nennius 1 8 ). Auch das geographische Werk des A n o n y m u s R a v e n n a s (verf. um 670)14) ist für die ältere Geschichte nicht ohne Wert. ) ed. H a u r y . Leipzig 1905—1907. ') ed. D i n d o r f , Historici Graeci minores. II, Leipzig 1871. S. 132 ff. *) M ü 11 e r Fr. IV. Exc. de legat. I, 170 ff. II, 442 ff. Exc. de sententiis 8.18 ff 4) ed. D i n d o r f . Bonn 1831. ') Migne, Gr. 86, 1, Sp. 157 ff. •) edd. B i d e z e t F a r m e n t i e r . London 1898. ') Kirchengeschichte übers, v. A h r e n s u. K r ü g e r . Leipzig 1899. 8 ) Kirchengeschichte übers, v. S c h ö n f e l d e r . München 1862. •) M. G. A. a. XI, S. 267 ff. , 0 ) Ebenda IX, 8. 298 ff. " ) M. G. SS. rerum Langobardfcarum et Italicarum saec. VI—IX, 8 . 1 ff. " ) M. G. Gestorum pontificum Romanorum vol. I. " ) ed. Mommsen M. G. A. a. XIII, S. 147 ff. Revue celtique 15 (1894) S. 175 ff. " ) edd. P i n d e r u. P a r t h e y . Berlin 1860. l

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

Im oströmischen Reiche schrieb J o h a n n e s Antiochenus eine nur in Bruchstücken erhaltene Weltchronik, die namentlich für die Geschichte Odowakars und Theoderichs von Wert ist1). Die Paschalchronik (bis 627)2) ist zum größten Teile eine Bearbeitung der oströmischen Konsularfasten; nur der Abschnitt über das 7. Jahrhundert ist selbständig. Aus späteren Jahrhunderten sind noch hervorzuheben: die Kirchengeschichte Englands von B e d a (f 735)8); die Historia Romana4) und die Historia Langobardorum 8) des P a u l u s D i a c o n u s (t ca. 797); die Bistumsgeschichte von Ravenna des A g n e l l u s 6 ) (ca. 850), weil in diesen Werken ältere verlorene Quellen benutzt sind. Aus demselben Grunde sind auch einige spätere byzantinische Geschichtschreiber namhaft zu machen: Georgius S y n c e l l u s (f nach 810), dessen bis 284 reichende ER*FOOY+ IOTOQHÜV ) wichtig ist wegen der Benutzung der Chronik des Dexippus. Sein Fortsetzer für die Jahre 284—813, T h e o p h a n e s Confessor8), benutzte die Fasten von Konstantinopel, Priscus u. a. Gute Quellen liegen auch den Kompendien des C e d r e n u s 9 ) und des J o h a n n e s Zonaras 1 0 ) (12. Jahrhundert) zugrunde. Schließlich sei auch der beiden in der vorliegenden Gestalt dem 8. Jahrhundert angehörenden angelsächsischen epischen Dichtungen S c o p e s Widsidh 1 1 ) und Beowulf 1 2 ) gedacht, die zahlreiche echte historische Züge aus der Wanderzeit überliefert haben. Zu den literarischen Zeugnissen gesellen sich als wichtige Quellen auch der politischen Geschichte die Sammlangen der Gesetze und Verordnungen aus dem Römerreiche und den germanischen Volksstaaten (besonders der Codex Theodosianus, der Codex Justinianeus, nebst Novellen, die Lex Salica, das Gesetzbuch des westgotischen Königs Eurich, die Lex Romana Visigothorum, die Lex Burgundionum, der Edictus Rotharis), das offizielle Staatshandbuch des ostund weströmischen Reiches (die Notitia dignitatum, deren Schlußredaktion ins Jahr 425 fällt)13), amtliche Korrespondenzen (wie die Papstbriefe14); die Mon. Germ, epist. IV veröffentlichten Epistolae 7

») M ü l l e r Fragm. IV. V. Exc. de virtutibus et vitiie I (1906) S. 164 ff. Exc. de insidiis (1905) S. 58 ff. ') Chronicon paschale ed. D i n d o r f . Bonn 1882. ») ed. P l u m m e r . Oxford 1896. 4 ) ed. D r o v s e n . Berlin 1879. ») 88. rer. Langob. S. 47 ff. •) Ebenda 8. 275 ff. ») ed. D i n d o r f . Bonn 1829. *) ed. de Boor. Leipzig 1883 ff. •) ed. B e k k e r . Bonn 1888 f. ,0 ) edd. P i n d e r u. B ü t t n e r - W o b s t Bonn 1841—1897. ll ) M ö l l e r , Das alt-englische Volksepos. T. II. «Kiel 1883. S. 1 ff. ") Ubers, u. erläutert von G e r i n g . Heidelberg 1906. '») ed. O. S e e c k . Berlin 1876. ") Epistolae pontificum Romanorum genuinae I. (461—523). ed Thiel. Braunsberg 1868. Epistolae imperatorum, pontificum etc. (Ayellana collectdo) ed. G a n t h e r . Wien 18%.

a) Quellenkunde.

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Arelatenses, Austrasicae, aevi Merovingici; die Variae Cassiodors), die Konzilsakten1), Inschriften2), Denkmäler (die Marcussäule*), eine bildliche Darstellung des Markomannenkrieges; die Theodosiussäule4) auf die Siege Theodosius'I. über die, Goten 386; die 403 errichtete Arcadiussäule6) auf den Aufruhr des Gainas) sowie Münzen der römischen Kaiser und der germanischen Könige 6 ). Der Wert der Ergebnisse der H i l f s w i s s e n s c h a f t e n für die Geschichte wird je nach dem Standpunkte der Vertreter der einzelnen Disziplinen verschieden eingeschätzt. Eine wichtige Stellung gebührt unstreitig der Sprachforschung 7 ). Die Sprachvergleichung hat die Zugehörigkeit der Germanen zur indogermanischen Völkerfamilie erwiesen und Licht über die Kulturzustände des indogermanischen Urvolkes verbreitet; doch hat sie die Frage nach der Urheimat der Indogermanen, das Problem der Verwandtschaftsverhältnisse der indogermanischen Sprachen noch nicht in einer allseitig befriedigenden Weise zu lösen vermocht. Ebensowenig ist es gelungen, die Ausbreitung der Germanen auf Grund sprachgeschichtlicher Momente (Lautverschiebung) örtlich und zeitlich näher zu bestimmen, auch ruhen die Versuche, eine Gruppierung der germanischen Stämme vor der Völkerwanderung vorzunehmen, auf durchaus unsicherer Grundlage. Denn von den Goten abgesehen, sind Sprachdenkmäler aus jener Epoche nur in dürftigen Resten vorhanden; die späteren mundartlichen Verschiedenheiten aber mit den ethnographischen Verhältnissen der älteren Zeit in Beziehung zu bringen, erscheint in Anbetracht der stattgefundenen gewaltigen Umwälzungen und Mischungen nicht ohne weiteres zulässig. Die früher allzusehr mißachtete p r ä h i s t o r i s c h e A r c h ä o l o g i e hat sich in der neuesten Zeit eine achtunggebietende Stellung errungen, beginnt aber jetzt wieder infolge der unberechtigten Prätensionen einzelner Forscher wesentlich an Ansehen zu verlieren. Für die Richtigkeit des von K o s s i n n a 8 ) aufgestellten Fundamentalsatzes, daß die ') M a n s i , Conciliorum nova et amplissima collectio. Florent. 1769 fi. Merowingische Konzilien auch Mon. Germ. Legum sectio III, 1. ') Besonders in der Sammlung des Corpus inscriptionam Latinarum; Auswahl von D e s s a u . Berlin 1892 S. Eine Auswahl der auf die Germanen bezügl. Inschr. bereite ich mit 0. Fiebiger vor. *) Die Marcussäule auf der Piazza Colonna in Rom. München 18%. *) B a n d u r i , Imperium orientale II. Venet. 1729. S. 381 ff. *) A. G e f f r o y , Fondation Eugène Piot. Monuments et mémoires. II. Paris 1895. S. 99 ff. pl. X—XIII. ") C o h e n , Description des médailles frappées sous l'empire Romain 2. éd. Paris 1880 ff. E n g e l & S e r r u r e , Traité de numismatique du moyen âge. I. Paris 1891. S. 17 fi. ^ B r e m e r , Ethnographie. S. 12ff. Derselbe: Politische Geschichte u. Sprachgeschichte in der Historischen Viertel]ahrsschrift V (1902), S. 316 ff. Dagegen W r e d e , Ethnographie u. Dialektwissenschaft in der Historischen Zeitschrift 88 (1902), S. 22 ff. •) Zeitschrift für Ethnologie 34 (1902), S. 162.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

von Süden nach Norden eilenden Ausbreitungswellen einer Kultur im allgemeinen nur für Kulturwellen, dagegen die umgekehrt von Norden nach Süden gerichteten Verpflanzungen zusammenhängender Kulturen oder charakteristische Teile derselben für Ergebnisse von Völkerbewegungen zu halten seien, ist bisher noch kein Beweis erbracht worden. Die Funde ermöglichen uns nur, gewisse Kulturkreise zu bestimmen, deren Grenzen aber keineswegs notwendig mit ethnischen zusammenfallen müssen. Dazu kommt die Unsicherheit in der Feststellung der relativen Chronologie der unterschiedenen Kulturgruppen. Das skeptische Urteil eines angesehenen Archäologen x ) über den Wert der von ihm vertretenen Disziplin für die Geschichte und Stammeskunde verdient daher volle Zustimmung: »Die schwierige Frage nach der Einwanderung neuer Völker scheint hier (in bezug auf die Eisenzeit) ebenso beantwortet werden zu müssen, wie es oben bei der Besprechung der Stein- und Bronzezeit geschehen ist: von archäologischer Seite muß sie noch unbeantwortet bleiben. Wo der Kulturgegensatz zwischen der älteren und der neu auftretenden Bevölkerung groß ist, dort gibt sich eine Einwanderung in den archäologischen Funden klar zu erkennen: slavische und germanische Funde unterscheiden sich deutlich, die Hinterlassenschaft der Germanen auf römischem Boden, der Kelten in Italien und der nordischen Wikinger im christlichen Westen sind leicht nachweisbar. Wo es sich dagegen wie hier um v e r w a n d t e Völker, andere nordische oder germanische Stämme, um ein andauerndes Zuströmen, um eine langsame und vielleicht nicht immer kriegerische Verschiebung handelt, können die Funde keine deutlichen Spuren enthalten*).«

Der A n t h r o p o l o g i e , der Lehre von den physischen Merkmalen des Menschen (Schädelform, Farbe der Haare, Haut, Augen, Körpergröße), ist nur eine sehr geringe Bedeutung in ethnologischen Fragen beizumessen. »Überall ist man zu dem Ergebnis gekommen, daß innerhalb einer Stammeseinheit die verschiedensten Schädelformen in unzähligen Abstufungen nebeneinander vorkommen. Wie bei den amerikanischen, den ozeanischen und anderen Völkern, so finden sich auch in Europa, und zwar schon in den ältesten erreichbaren prähistorischen Epochen Dolichozephale, Mesozephale und Brachyzephale neben- und durcheinander« 3 ). Das Gleiche gilt von der Verwertung der Farbe als Rassezeichen. Blondhaarige kommen z. B. bei den Juden, bei den Berbern in Nordafrika in großem Prozentsatz vor, ohne daß daraus auf fremde, speziell indogermanische oder germanische Mischung geschlossen werden darf 4 ). Wir können bis jetzt nur *) Sophus M ü l l e r , Nordische Altertumskunde, deutsch von J i r i c z e k . n . Straßburg 1898. S. 148 f. ') Vgl. auch S c h r ä d e r , Sprachvergleichung und Urgeschichte. 3. Aufl. I. Jena 1906. S. 117 ff. *) K r e t s c h m e r , Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache. Göttingen 1896. S. 40. Vgl. auch S c h r ä d e r I, 107 ff. *) K r e t s c h m e r , S. 45. Ludw. S c h m i d t , Gesch. d. Wandalen. Leipzig 1901. S. 151. Die Arbeiten L. W o l t m a n n s : Die Germanen und die Renaissance. Leipzig 1906; Die Germanen in Frankreich. Jena 1907, die die germanischen Elemente der Italiener und Franzosen aus anthropologischen Merkmalen zu ermitteln suchen, sind ganz verfehlt. Vgl. H. W i t t e , Germanische Bestandteile der romanischen Völker : Deutsche Erde, Jahrg. VI (1907), S. 172 ff.

a) Quellenkunde.

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sagen, idaß die Entwicklung der Sprache und die des physischen Typus jede ihren eigenen Weg geht und ein Schluß von der einen auf die andere nicht ohne weiteres gestattet ist.« Die h i s t o r i s c h e L a n d s c h a f t s k u n d e 1 ) gibt uns Aufschluß über die Veränderungen, denen in geschichtlicher Zeit der deutsche Boden unterworfen gewesen ist: so über die wichtigen Fragen nach der Konfiguration der Seeküsten, dem Laufe der Flüsse, der Verbreitung der Pflanzen- und Tierwelt, der Ausdehnung des Kulturlandes. Eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis hat die geographische Namenkunde gebracht; doch erscheint vorläufig den Ergebnissen dieser noch in den Kinderschuhen steckenden Wissenschaft gegenüber größte Vorsicht geboten 2 ). Die bisher unternommenen Versuche, die verschiedenen Ortsnamen als Charakteristiken bestimmter deutscher Stämme nachzuweisen, haben zum großen Teile ernsthafter Kritik nicht standzuhalten vermocht. Dies gilt vor allem für die Formen auf heim, ing(en) und leben, die gemeingermanisch, nicht besondere Kennzeichen der Franken, bzw. der Alamannen sind. »Die Ortsnamenformen sind nicht Merkmale eines Stammes, sondern einer Zeit8).« Eine wichtige Quelle sind die geographischen Namen für die Ausbreitung der Kelten in Deutschland, ferner für die Lage der Sitze der dem Frankenreiche einverleibten Stämme, da bei der fränkischen Gaueinteilupg vielfach die alten Völkerschaftsgrenzen zugrunde gelegt wurden. NUE wenig oder nichts ergibt sich aus der V o l k s k u n d e und deren Einzelzweigen. Man hat wohl einen ostgermanischen und einen westgermanischen Haustypus zu konstruieren versucht, ohne aber damit viel Beifall zu finden. Andere Merkmale, wie die verschiedenen Formen der Schwerter, Lanzenspitzen, Urnen u. dgl. kommen für ethnographische Unterscheidungen a l l e i n ernstlich nicht in Frage, da sie auf einfachen Übertragungen durch den Handelsverkehr beruhen können. Auf Grund der R e c h t s v e r h ä l t n i s s e hat J u l i u s F i c k e r 4 ) eine Sonderung der Germanen in zwei große Gruppen, West- und Ostgermanen, vorgenommen, zu welchen letzteren er die nordischen Germanen, die Goten, Burgunder, Warnen, Friesen, Langobarden zählt. ') Vgl. besonders K. H o f f , Geschichte der durch Uberlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche. I—in. Gotha 1822 ff. W i m m o r , Historische Landschaftskunde. Innsbruck 1885. D e r s e l b e , Geschichte des deutschen Bodens. Halle 1905. G r a d m a n n , Das mitteleuropäische Landschaftsbild nach seiner geschichtlichen Entwicklung: Geographische Zeitschrift VH (1901), 8. 361 ff. K r e t s c h m e r , Hist. Geographie von Mitteleuropa. München 1904. R. K ö t z s c h k e , Im Grundriß der Geschichtswissenschaft, herausgegeben von A . M e i s t e r . Bd. I. Leipzig 1906. S. 397 ff. *) Begründet von Wilh. A r n o l d , Ansiedelungen und Wanderungen deutscher Stämme, zumeist nach hessischen Ortsnamen. Marburg 1875. ») Vgl. K ö t z s c h k e a. a. O. S. 419 ff. *) Untersuchungen zur Rechtsgeschichte. Innsbruck 1891 ff. Vgl. S c h r ö d e r , Lehrbuch d. deutschen Rechtsgeschichte 5. Aufl. Leipzig 1907. S. 12, S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

2

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

Doch haben diese Aufstellungen im einzelnen vielfach Widerspruch gefunden, und zwar nicht ohue Grund, da die Verwandtschaft von Rechtssätzen untereinander nicht eine ursprüngliche zu sein braucht, sondern auch auf spätere Beeinflussungen zurückgeführt werden kann. Endlich sei noch der W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t e gedacht, die insofern eine wichtige Quelle darstellt, als sie uns von der Ausbreitung der Germanen auf fremdem Boden durch den Charakter der verschiedenen Siedelungsformen teilweise bessere Kunde zu geben imstande ist, als aus den schriftlichen Zeugnissen entnommen werden kann*).

b) Ursitze und Ausbreitung der Indogermanen und Germanen. Wichtigste neuere Literatur zur indogermanischen Frage: K o s s i n n a , Die indogermanische Frage archäologisch beantwortet: Zeitschrift für Ethnologie 34 (1902), 8. 161 fE. (Dazu H ö r n e s im Globus 83, 161 f., S c h r ä d e r , Sprachvergl. I, 119 ff.), de Mi c h e I i s , L'origine degli Indo-Europei. Torino 1903. Matth. M u c h , Die Heimat der Indogermanen im Lichte der urgeschichtlichen Forschung. 2. Aufl. Berlin 1904. H o o p e , Waldbäume und Kulturpflanzen im germanischen Altertum. Straßburg 1905. Rud. M u c h , Deutsche Stammeskunde. Leipzig 1905 (Göschen). (Diese sämtlich für Europa; M i c h e l i s für die mittlere Donaugegend; B. M a c h fQr Mitteleuropa einschließlich Südskandinaviens; H o o p s für Deutschland, besonders Norddeutschland, vielleicht mit Einschluß Dänemarks; M . M u c h und K o s s i n n a für Norddeutschland und die nordischen Länder.) S c h r ä d e r , Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde; Straßburg 1901 (für das Land im Norden und Westen des Schwarzen Meeres); d e r s e l b e , Sprachvergleichung etc. 3. Aufl. Jena 1906/7, L. E r h a r d t , Die Einwanderung der Germanen in Deutschland und die Ursitze der Indogermanen: Historische Vierteljahrsschrift VIII (1905), S. 473 ff. (für Transkaukasien). Vgl. auch B e t h g e , Ergebnisse und Fortschritte der germanistischen Wissenschaft im letzten Vierteljahrhundert. Leipzig 1902. S. 529 ff. G e r m a n e n : Allgemeines: U s i n g e r , Die Anfänge der Deutschen Geschichte. Hannover 1875. H e n n i n g , Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern: Westdeutsche Zeitschrift VIII (1889), S. 1 ff. Z i p p e l , Deutsche Völkerbewegungen in der Römerzeit. Königsberg 1895. R. M u c h , Deutsche Stammsitze (8. A. aus den Beiträgen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 17). Halle 1892; d e r s e l b e , Stammeskunde 1905. B r e m e r , Ethnographie 1899. K o s s i n n a , Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde VI (1896), S. 1 ff.; d e r s e l b e , Die ethnologische Stellung der Ostgermanen: Indogermanische Forschungen VII (1897), S. 276 ff.; d e r s e l b e , Verzierte Eisenlanzenspitzen als Kennzeichen der Ostgermanen: Zeitschr. f. Ethnol. 37 (1905), S. 369ff. (überwiegend auf Grund des archäologischen Materials). Sophus M ü l l e r , Nordische Altertumskunde, Straßburg 1897 f.; d e r s e l b e , Urgeschichte Europas. Straßburg 1905. y. E r c k e r t , Wanderungen und Siedelungen der germanischen Stämme. Berlin 1901. Ludw. S c h m i d t , Geschichte der deutschen Stämme 1,1,1904. M ü l l e n h o f f , D. A. bes. Bd. I I ' . 1906. l

) Hauptwerk: M e i t z e n , Siedelung u. Agrarwesen der Westgermanen, Ostgermanen etc. Berlin 1895.

b) Ursitze und Ausbreitung der Indogermanen und Germanen.

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Speziell Uber die Beziehungen zu den K e l t e n : E r h a r d t , Älteste germanische Staatenbildung. Leipzig 1879. 3. I S . A r b o i s de J u b a i n v i l l e , Les origines Gauloises. L'empire celtique au 4 ' siècle : Revue historique 30 (1886), S. 1ÉE.; d e r s e l b e , Les premiere habitants de l'Europe II. 2. Aufl. Paris 1894. S. 369S. ; d e r s e l b e , Les Celtes depuis les temps les plus anciens jusqu'au l'an 100 av. n. ère. Paris 1904. K o s s i n n a , Der Ursprung des Germanennamens: Beitrage z. Gesch. d. deutsch. Sprache u. Lit. 20 (1895), S. 258ff. J u l l i a n , Histoire •de la Gaule I. Paris 1908. S. 281ff. In Nordwestdeutschland: M e i t z e n , Siedelung etc. H, S. 77ff. S. M ü l l e r , Die Heimat der Volcae: Beiträge z. Gesch. d. •d. Spr. 24 (1899), S. 537 ff. In Thüringen: K e g e l , Thüringen. Jena 1897. S. 85. In Süddeutschland : W e i l e r , Die Ansiedelungsgeschichte des württembergischen Frankens rechts vom Neckar: Württembergische Vierteljahrshefte N.F. III (1894), S. 2 ff. N i e s e , Zur Geschichte der keltischen Wanderungen : Zeitsch. f. deutsch. Altertum 42 (1898), S. 129ff. S i x t , N e s t l e und H e r t l e i n in: Fundberichte aus Schwaben VI (1898), S. 37 ff., 41 ff., XII (1901), S. 60 ff. F a b r i c i u s , Die Besitznahme Badens durch die Römer: Neujahrsblätter der bad. hist. Kommission N. F. VIII (1905), S. 12 ff. L a c h e n m a i e r , Die Okkupation des Limesgebietes: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte XV (1906), ' S.187 ff. Uber die S l a w e n : K r e k , Einleitung in die slaviBche Literaturgeschichte. 2. Aufl. Graz 1887. P e i s k e r , Die alteren Beziehungen der Slawen zu Tnrkotataren und Germanen und ihre sozialgeschichtliche Bedeutung: Vierteljahrsschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. III. (1905), 8. 187 ff. Uber S k a n d i n a v i e n : M o n t e l i u s , Uber die Einwanderung unserer Vorfahren in den Norden: Archiv f. Anthropologie 17 (1888), S. 151 ff.; d e r s e l b e , Kulturgeschichte Schwedens. Leipzig 1906 (mit Karte der Verbreitung der Steinzeitfunde). H a n s e n , Landn&m i Norge. Kristiania 1904 (dazu B r e n n e r in der Beilage zur Allgem. Zeitung 1904, 8. 481 ff.). D a h l m a n n - W a i t z Nr. 23101Ï.

Die vergleichende Sprachwissenschaft hat längst erwiesen, daß die Germanen mit einer großen Zahl asiatischer und europäischer Völker, den Indo-Iraniern, Armeniern, Griechen, Italikern, Thrakern, Illyriern, Kelten, Balten und Slawen, in enger Sprach- und Stammesverwandtschaft stehen, die auf gemeinsame Abstammung von e i n e m Volke, den sog. Indogermanen, hinweist. Die Frage, wo die Heimat dieses Urvolkes vor der Trennung zu suchen sei, ist unendlich oft behandelt worden, ohne daß es bis jetzt gelungen wäre, eine allseitig anerkannte Lösung zu finden. Doch scheint neuerdings die auf sprachwissenschaftliche, archäologische und anthropologische Kriterien gegründete Ansicht mehr an Boden zu gewinnen, daß der nördliche Teil Mitteleuropas einschließlich Dänemarks und Südskandinaviens als solche zu gelten habe. Sicher ist, daß die Zeit, in der die Indogermanen noch ungetrennt beisammen lebten, mit der sog. neolithischen Periode zusammenfällt. Das Urvolk stand bereits auf einer verhältnismäßig hohen Kulturstufe und trieb Ackerbau und Viehzucht; ein großer Teil unserer jetzigen Kulturpflanzen und Haustiere ist ihm bereits bekannt gewesen. Die Trennung der Indogermanen, die durch Abwanderung einzelner Teile bewirkte Entstehung der verschiedenen Nationalitäten vollzog sich dagegen mit der Einführung der Bronzekultur; wie und auf welchen Wegen, vermögen wir freilich nach dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft nicht zu sagen. 2*

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L Die Germanen als Gesamtvolk.

Als die ältesten erkennbaren Sitze, die die Germanen nach ihrer Ausbildung zu einer besonderen Nation eingenommen haben, darf man mit größerer Wahrscheinlichkeit das östliche Hannover, Mecklenburg, Westpommern, Schleswig-Holstein, Dänemark und Südskandinavien bezeichnen. Doch wird der Schwerpunkt in der jütischen Halbinsel gelegen haben. Daß die Germanen in frühester Zeit Anwohner des Meeres gewesen sind, geht aus der großen Zahl der allen altgermanischen Sprachen gemeinsamen, auf das Seeleben bezüglichen Ausdrücke hervor. Ebendahin, speziell auf die Nordseeküste, weist auch der uralte Handel mit Bernstein, der mit den südlichen Völkern gegen Erz und Gold ausgetauscht wurde. Weitere Schlüsse sind aua den Grenzverhältnissen der Nachbarvölker zu ziehen. Wir wissen, daß ein großer Teil Deutschlands ursprünglich von den Kelten bewohnt war, wovon uns besonders eine Anzahl geographischer Namen (deren Deutung freilich vielfach streitig ist), auch schon einige literarische Zeugnisse aus dem klassischen Altertum Kunde geben, während die Funde keine für sich allein entscheidende Resultate liefern1), da es trotz allen gegenteiligen Behauptungen nicht möglich ist, einefeste archäologische Grenze zwischen Kelten und Germanen zu ziehen. Als Ostgrenze des keltischen Gebietes in Nord- und Mitteldeutschland wird gewöhnlich eine Linie mit dem ungefähren Lauf Lüneburger Heide—Aller—Magdeburg—Saale—Elster angenommen. Als keltisch sind anzusehen vor allem die besonders in Hessen und Umgebung häufigen Flußnamen auf affa bzw. apa, ferner die Namen der Flüsse Rhein, Main, Sieg, Ruhr, Lahn usw., der Wümme und Leine recht» der Weser, der Gebirge Fergunna (deutsches Mittelgebirge), Finne, Taunus, Semana (Ptolemäische Bezeichnung des Thüringer Waldes). Auch das in Westfalen vorherrschende Einzelhofsystem ist, wie Meitzen. wahrscheinlich gemacht hat, keltischen Ursprungs und von den nachrückenden Germanen nur übernommen worden. Von einstigen Sitzen der Kelten rechts des unteren Rheins weiß noch eine durch Timagenes (ca. 50 v. Chr.) bei Ammianus Marcellinus 15, 9, 4 überlieferte Tradition der Druiden zu berichten 2 ). Dagegen ist die besonders von A r b o i s de J u b a i n v i l l e und B r e m e r vertretene Ansicht, daß die Keltenherrschaft sich östlich noch über die Elbe hinaus auf die dort wohnenden germanischen Stämme erstreckt habe, sicher falsch und durch keinerlei beweiskräftige Argumente zu erhärten (vgl. weiter unten). Unter den keltischen Einzelstämmen, die in Norddeutschland, wahrscheinlich an der unteren Weser, an germanisches Gebiet grenzten, sind allein die Volcae näher bekannt. Nach diesen als dem Volke, ') Dies gilt auch von den Münzen; denn wenn auch deren keltischer Ursprung sicher zu bestimmen ist, so können dieselben doch erst in späterer Zeit an ihre Fundorte gelangt sein und müssen nicht notwendig auf keltische Niederlassungen hinweisen. ') Druidae memorant re vera fuisse populi partem indigenam, sed alios quoque ab insulis extimis confluxisse et tractibus transrhenanis, crebritate bellorum et adluvione fervidi maris sedibus suis expulsos.

b) Ursitze and Ausbreitung der Indogermanen und Germanen.

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•das zuerst in ihren Gesichtskreis trat, haben die Germanen die Gesamtheit der Kelten, später auch die Romanen genannt (Walchen, Welsche). Der Name lebt in zahlreichen Ortsnamen, besonders Süd-deutschlands, noch heute fort. In Thüringen scheint der keltische Stamm der Teurier ansässig gewesen zu sein. Ptolemäus (geogr. 2, 11, 23) verzeichnet hier einen (fälschlich als Volksnamen aufgefaßten) Landschaftsnamen Teuriochaimai, d. h. das (ehemalige) Heim der Teurier, gebildet wie Bojoheim, das einstige Land der Bojer. Während •diese Gebiete schon früh von den Kelten geräumt worden sind, erscheinen Süddeutschland und Böhmen noch in geschichtlicher Zeit in deren Besitz. Nach Tacitus (Germ. c. 28), der wohl an dieser Stelle aus Posidonius schöpfte, wohnten in dem Lande zwischen Rhein, Main und der silva Hercynia (der Rauhen Alb) die Helvetier, die vor 70 v. Chr. nach der Schweiz auswanderten. Das von ihnen (zum größten Teile) verlassene Land erscheint auch auf der Karte des Ptolemäus (geogr. 2, 11, 6) als helvetische Einöde: » riov 'Ekovi/riiov ¿Qrjuog ittxQi '-^4htdüiv oytwv. Ferner sind noch in der römischen Kaiserzeit am Main sowie am Neckar nachweisbar Santonen, Kubier, Turonen und Bojer, Überreste der von hier im 4. Jahrhundert v. Chr. nach Gallien bzw. den Donauländern ausgezogenen großen Keltenstämme. Die Spuren der ehemaligen Keltenherrschaft in diesen Gegenden spiegeln sich in zahlreichen Fluß- und Ortsnamen wieder: Tauber, Neckar, Jagst, Kocher, Sülm u.a.; Tarodunum (bei Freiburg), Brigobanne (unweit der Donau quelle), Sumelocenna (Rottenburg), Lopodunum (Ladenburg), Segodunum (Würzburg?). Das geschichtliche Reich der Bojer, deren Namen sich noch heute in »Böhmen« erhalten hat, erstreckte sich außer über Böhmen wohl über einen großen Teil Bayerns, ferner über Mähren und Nordungarn. Um 60 v. Chr. wurde dasselbe vernichtet; nur Trümmer blieben südlich und nördlich der Donau zurück. Die keltischen Cotini, die noch zu Tacitus' Zeit (Germ. 43) in Mähren wohnten, werden ein Teilvolk der Bojer gewesen sein. Auch Schlesien ist wohl zum Teil in keltischen Händen gewesen; doch fehlt es hierfür an sicheren Beweisen. Denn ob die von Ptolemäus in Ostgermanien aufgeführten, unzweifelheft keltischen Ortsnamen, wie Budorigon (Brieg?), Lugidunon (Liegnitz?), Karrodunon (Krappitz?) wirklich in Schlesien zu lokalisieren sind, ist noch sehr die Frage. Von welchen Bevölkerungselementen die übrigen Gebiete Deutschlands vor der Ausbreitung der Germanen bewohnt gewesen sind, wissen wir nicht. Vielleicht waren es teils illyrische Stämme teils nach Westen vorgeschobene Angehörige der baltischen und slawischen Völkergruppen. Daß die Slawen oder, wie sie von den Germanen genannt wurden, die Wenden in einer Zeit, die vor der Übersiedelung der Skandinavier nach Ostdeutschland liegt, mit den Germanen in den Gegenden zwischen Oder und Weichsel in enge Berührung gekommen sind und teilweise auch unter deren Herrschaft gestanden haben, beweisen einige soziologisch wichtige Lehnwörter im Slawi-

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

sehen, die westgermanisch, und zwar nicht althochdeutsch sind: plugT» (Pflug), mlöko (Milch), nuta (Rind), skoti. (Vieh, Schatz); der Name der Weichsel ist slawisch, der der Oder sicher deutsch. Doch lagen die Ursitze der Slawen weiter östlich, etwa ain mittleren und oberen Dnjepr, jedenfalls jenseits der Ostgrenze des Verbreitungsgebietes der Buche, der Linie Königsberg—Odessa, da der slawische Name dieses Baumes erst später von dem Germanischen entlehnt worden ist, nicht aus dem Indogermanischen stammt. Nördlich von den Slawen an der Küste der Ostsee saßen die Balten oder Aesten, die später in die Stämme der Preußen, Litauer und Letten zerfielen. Daß Skandinavien, und zwar zunächst Schonen, schon in der Steinzeit eine indogermanische bzw. germanische Bevölkerung gehabt hat, ergibt sich aus der Verbreitung und dem Charakter der archäologischen Funde. Den Norden der Halbinsel hatten finnisch-lappische Stämme inne, die, von wenigen geringfügigen Ausnahmen abgesehen, südlich nicht weiter als bis Gestrikland und Dalarne reichten und deren Hinterlassenschaften deutlich als ungermanisch sich zu erkennen geben. Die Ausbreitung der Germanen erstreckte sich naturgemäß zunächst auf die Gebiete, die sich noch nicht im Besitze anderer Völker befanden. Dies gilt vor allem von Skandinavien. Noch vor Ende der Steinzeit hat in Schweden auch die Westküste (Halland, Bohuslän), sodann im Innern Westergötland, Dal und das südwestliche Wermland, ferner Blekinge, Smäland und das westliche Ostergötland dichte Besiedelung erhalten. In den folgenden archäologischen Epochen ist ein weiteres Vordringen der Germanen nach Norden und Osten ersichtlich; in der Bronzezeit schieben sie ihr Gebiet bis zur Dalelf r in der Eisenzeit noch weiter nordwärts hinauf, wobei die eingeborene Bevölkerung teils unterworfen teils vertrieben wurde. Analog gestalteten sich die Verhältnisse in Norwegen, wo ebenfalls schon in der Steinzeit germanische Ansiedler sich im Süden festgesetzt haben. Weniger gut ist die Ausbreitung der Germanen in Deutschland erkennbar. Denn aus den archäologischen Funden sind hier keine beweiskräftigen Ergebnisse zu gewinnen, ebensowenig aus der Sprachgeschichte, da wir über die Umstände, unter welchen die germanische Lautverschiebung eintrat, gar nichts Näheres wissen. Die literarische Überlieferung aber schweigt, zunächst wenigstens, völlig. Nach K o s s i n n a standen die Germanen um 1000 v.Chr. in der Nähe des Harzes im Bodetal; im 8.—7. Jahrhundert reichten sie am linken Saaleufer aufwärts bis an die Unstrutmttndung. Die Finne wurde im 5. Jahrhundert überschritten, während Gotha und Gera im 5.—4. Jahrhundert noch nicht erreicht waren. Die Weser ward im 9.—8. Jahrhundert südlich des 53. Grades überschritten, an der Mündung noch früher, gleichzeitig oder noch etwas eher das Emsgebiet von der Mündung bis an die hannöverisch-westfälische Grenze, endlich die holländischen Provinzen Drenthe und Groningen besetzt. Im 5.—4. Jahrhundert sind die Gegenden zwischen oberster Hunte und Hase erreicht, ebenso unter Umgehung de» Teutoburger Waldes das mittlere Lippegebiet, ferner auch die Gegend um Dresden und Pirna. Im Osten haben die Germanen im Laufe der jüngeren norddeutschen Bronzezeit, die um 750 oder 700 v. Chr. schließt, Hinterpommern und Westpreußen

b) Ursitze und Ausbreitung der Indogermanen und Germanen.

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bis gegen die Weichsel hin besiedelt. Um 700 v. Chr. beginnt die Übersiedlung skandinavischer Germanen nach Ostdeutschland, die sich mit den dort ansässigen CWest-)Germanen zu einem neuen Volke, den sog. Ostgermanen, verschmelzen: zuerst die Wandilier, um 150—100 v. Chr. die Burgunder, um Christi Geburt die Goten.

Einigermaßen sichere Anhaltspunkte geben allein folgende Daten: Im Laufe des 4. Jahrhunderts v. Chr. beginnen die Germanen gegen ihre keltischen Nachbarn im Westen vorzurücken und diese aus ihren Sitzen zu vertreiben; denn daß die Auswanderung der Kelten aus Deutschland zum größten Teile nicht freiwillig erfolgt ist, steht außer allem Zweifel und wird auch durch das Zeugnis Cäsars (bell. Gall. H, 24) bestätigt 1 ). Pytheas von Massilia (um 345 v. Chr.) kennt an der deutschen Nordseeküste, vermutlich in Friesland, das germanische Volk der Guionen (Gutonen, Inguaeonen ?). Um 300 v. Chr. wanderten die Volcae nach Süden und ließen sich teils im narbonensischen Gallien, teils in Kleinasien, teils am Fuße der Ostalpen (im oberen Sautale) nieder (Justin 32, 3 vgl. mit Cäsar, bell. Gall. 6, 24). Dagegen sind die früheren bekannten großen Keltenzüge (Ende des 6. und Anfang des 4. Jahrhunderts) nicht auf das Vordringen der Germanen zurückzuführen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. hatten die Germanen den Mittel- und Niederrhein erreicht; denn um diese Zeit haben sich mehrere Stämme bereits in Gallien niedergelassen: die Nervier, die Germani cisrhenani im engeren Sinne (Hauptvolk die Eburonen), vielleicht auch die Treverer, deren aller deutsche Abkunft durch Cäsar und Tacitus bezeugt wird, die aber, indem sie sich mit der dort ansässigen, numerisch stärkeren keltischen Urbevölkerung mischten, im 1. Jahrhundert ganz oder fast ganz keltisiert waren. Der große Zug der Kimbern und Teutonen am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. ist für die Ausdehnung des germanischen Gebietes nur indirekt von größerer Bedeutung gewesen; denn infolge der Einbußen, die sie hierdurch erlitten, verließen die Helvetier ihre Sitze, die nunmehr zum großen Teile von swebischen Abteilungen aus dem Innern Deutschlands besetzt wurden, und zogen nach der Schweiz. Doch sind nicht unansehnliche Keltenreste in Süddeutschland zurückgeblieben. Von dem keltischen Volke der Aduatuker westlich der Maas gibt Cäsar (b. G. 2, 29) an, daß dasselbe von einem in Gallien zurückgelassenen Teile der Kimbern und Teutonen abstamme. (Keltiaierte) Überbleibsel dieser beiden Völker sind auch am Main in der Gegend von Miltenberg durch spätere inschriftliche Zeugnisse nachgewiesen. Bald nach der Räumung Süddeutschlands wurden auch Böhmen und Mähren von den Kelten in der Hauptsache aufgegeben. Um 71 v. Chr. überschritt Ariowist mit einem aus verschiedenen Stämmen, besonders Sweben, zusammengesetzten Heerhaufen den ') Paulatim assuefacti nuperari multis victi proeliis ne se qaidem ipsi (Galli) cum illis (Germanis) virtute comparant. Freilich spricht Cttsar von einer früheren Überlegenheit der Gallier, doch sicher mit Unrecht; diese Angabe folgt aus der von ihm vertretenen falschen Ansicht, daß die Kelten in vorher germanisches Gebiet erobernd eingedrungen seien.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

Oberrhein und setzte sich im Elsaß und in der Pfalz fest; im Jahre 58 waren swebische Scharen im Begriff, den Mittelrhein zu überschreiten; im Winter 56/55 setzten die Usipier und Tenkterer. über den Niederrhein und versuchten sich im Gebiete der Eburonen anzusiedeln. Die Besetzung Mährens erfolgte um 8 v. Chr. durch die Mainsweben, wahrscheinlich gleichzeitig mit dem von Marbod geleiteten Zuge der südlich vom Main ansässigen Markomannen nach Böhmen. Die durch Cäsar eingeleitete Festlegung der römischen Reichsgrenze hat die westlichen Germanen auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt und für geraume Zeit an einer weiteren Ausbreitung auf Kosten ihrer römischen Nachbarn erfolgreich verhindert. Daß an der Besiedelung O s t d e u t s c h l a n d s die Germanen Skandinaviens einen erheblichen Anteil gehabt und dort die Bildung einer besonderen ethnographischen Gruppe, der sog. Ostgermanen, herbeigeführt haben, lehren die Beziehungen zwischen den archäologischen Funden beider Länder, ferner eine Anzahl übereinstimmender Völkernamen, wie Goten und Gau ten, Rugier in Pommern und im norwegischen Rogaland, Burgunder und Burgundarholm (Bornholm). Ein engerer Zusammenhang zwischen den nordischen und ostdeutschen Germanen ergibt sich sodann aus rechtshistorischen Argumenten sowie aus der Sprache, insofern wenigstens das Gotische einzelne auffallende Übereinstimmungen mit dem Nordischen aufweist. Skandinavien als älteste Heimat erscheint auch in den nationalen Überlieferungen einzelner Stämme, wie der Goten und der Langobarden. Die Einwanderung der Nordgermanen erfolgte teils direkt über die Ostsee, teils über die jütische Halbinsel, auf welcher letzteren auch einzelne Teile zurückgeblieben sind. So erklärt es sich, daß wir Haruden in Norwegen und in Jütland, ferner Wandalen (Wendlas) und Warnen sowohl in der jütischen Halbinsel als in Ostdeutschland finden. (Einzelne Forscher, z. B. Bremer, nehmen vielmehr an, daß Skandinavien von Deutschland aus besiedelt worden sei.) Wahrscheinlich der erste ostgermanische Stamm, der auf deutschem Boden erschien, sind die Bastarnen gewesen, deren Sitze am weitesten nach Süden vorgeschoben waren. Diesen folgten zunächst die Wandalen (Wandilier), weiterhin die Burgunder, die Langobarden, zuletzt die Goten. Daß die Wandalen bereits vor Ankunft der Goten und Langobarden in Deutschland ansässig waren, bezeugen auch die Stammsagen der beiden letzteren Völker. Spätestens zu Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. scheinen die Ostgermanen ihre ersten geschichtlichen Wohnsitze erreicht zu haben; denn um diese Zeit ließen sich die Bastarnen wohl infolge des Nachdrängens der in ihrem Rücken wohnenden Stämme am Schwarzen Meere nieder1). ') Vgl. auch S e g e r , Die vorgeschichtlichen Bewohner Schlesiens: teilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde H. 17 (1907), S. 17.

Mit-

c) Die Ursachen der Ausbreitung der Germanen.

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Bis zur Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts hat in ganz Germanien verhältnismäßige Ruhe geherrscht, wenn es auch an Reibereien der einzelnen Stämme unter sich und mit ihren barbarischen Nachbarvölkern nicht gefehlt haben mag. Es war die Wanderung der Goten nach dem Schwarzen Meere, die den Anstoß zu einer großen allgemeinen Völkerbewegung gab, welche in ihrem Verlaufe schließlich zur Vernichtung des römischen Reiches und zur Gründung germanischer Staaten auf römischem Boden führte.

c) Die Ursachen der Ausbreitung der Germanen. Literatur : P1 a t n e r, Über die Art der deutschen Völkerzüge zur Zeit der Wanderung: Forschungen zur deutschen Geschichte 20 (1880), S. 165ff. D a h n , Die Landnot der Germanen: Festschrift zum Doktorjubiläum von B. YVindscheid. Leipzig 1888. S. l f f . Ludw. S c h m i d t , Die Ursachen der Völkerwanderung : Neue Jahrbücher für das klassische Altertum 11 (1903), S. 340 ff. H o o p s a. a. 0. S. 485ff.

Die Ursachen der soeben besprochenen Völkerbewegungen liegen auf verschiedenen Gebieten. Ein Hauptgrund ist ohne Zweifel in den wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen. Aus der Verbreitung der prähistorischen Funde ersehen wir, daß das von den Germanen besetzte Gebiet keineswegs zum größte Teile, wie die Römer glaubten, von Sümpfen und Urwäldern bedeckt war, sondern daß hier uralter Kulturboden sich über weite Gegenden erstreckt hat. Als Ernährungsfaktor nahm die Viehzucht noch zur Römerzeit die erste Stelle ein; doch spielte der Ackerbau daneben eine nicht bloß untergeordnete Rolle. Die Besorgung des letzteren lag den Frauen und schwächeren Familienangehörigen ob, während die Beschaffung der animalischen Nahrung Aufgabe der Männer war (Tac. Gerrp. 15). Bei dieser wirtschaftlichen Organisation konnte aber das von einem Stamme okkupierte Land auf die Dauer nicht zum Unterhalte aller ausreichen, wenn die Bevölkerung sich vermehrte und überdies durch plötzlich auftretende Naturereignisse, wie Sturmfluten, Flußüberschwemmungen u. dgl., eine Schmälerung des kulturfähigen Bodens herbeigeführt wurde. Den so entstehenden Nahrungssorgen zu entgehen, gab es drei Auswege: Auswanderung, Übergang zu einer höheren Stufe des Ackerbaues, Erwerbung von Knechten und Hörigen, denen die Aufgabe intensiverer Bodennutzung zur Ernährung ihrer Gebieter zufallen sollte. Gegen die Anwendung des zweiten Mittels haben sich die Germanen besonders lange gesträubt, da es dem Krieger unbequem war und unwürdig erschien, selbst, wie es nunmehr nötig gewesen wäre, Hand an den Pflug zu legen; eine Vermehrung des Kulturlandes innerhalb der Stammesgrenzen durch Roden der Wälder und Austrocknen der Sümpfe war aber ausgeschlossen, da es in jener frühen Zeit an geeigneten Werkzeugen gänzlich gebrach. Es waren in der Regel nur einzelne Gaue einer Völkerschaft, die auf Grund eines Volksbeschlusses

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

das Stammesgebiet verließen, um den daheim Bleibenden Raum für die Fortführung ihrer Wirtschaft in der hergebrachten Weise zu schaffen. So sind von den Kimbern, die durch Sturmfluten aus Jütland vertrieben wurden, ansehnliche Reste zurückgeblieben; von den Langobarden wanderte nach einheimischer Überlieferung ein Drittel des Stammes, durch das Los bestimmt, aus der skandinavischen Urheimat aus (Paul. Diac., hist. Lang. 1, 2. 3); ein Teil der Wandalen verließ seine Sitze in Ungarn, um den übrigen Volksgenossen Platz zu machen (Prok. bell. Vand., 1, 22). Dieselbe Erscheinung ist bei den großen, um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. einsetzenden Abwanderungen der östlichen Germanen zu beobachten; nur sehr allmählich ist die Räumung Ostdeutschlands erfolgt und Splitter sind bis zuletzt dort sitzen geblieben, um dann unter den nachrückenden Slawen aufzugehen. Ein weiteres wichtiges Motiv entsprang dem kriegerischen Geiste, der die ganze Nation beherrschte und sie vor ihren Nachbarn, insbesondere den Slawen, auszeichnete. Das Waffenhandwerk galt als der eigentliche Beruf des freien Germanen; den Bedürfnissen des Kriegswesens wurden alle anderen Verhältnisse untergeordnet. l ) Diese Auffassung hat auch auf die Gestaltung der wirtschaftlichen Verfassung entscheidend eingewirkt. Daß der waffenfähige Freie es unter seiner Würde hielt, selbst die Bestellung des Bodens zu besorgen, wurde schon hervorgehoben. Zur Zeit Casars war der gesamte Grund und Boden Eigentum des Staates und wurde den Sippen nur zur Nutznießung auf ein J a h r überwiesen ; alljährlich fand zugleich ein Wechsel der Wohnungen statt. Es hatte dieses Verfahren ohne Zweifel den Zweck, eine straffe Organisation zu erhalten und das Aufkommen egoistischer Sonderinteressen zu verhindern. In der taciteischen Epoche war bei den zu ruhigerem Verhalten gezwungenen Westgermanen das Land in den festen Besitz der Sippen, Haus und Hof in das Eigentum der einzelnen Familien übergegangen, während die in ihrer kriegerischen Betätigung weniger behinderten Ostgormanen auch weiterhin in den früheren Zuständen beharrten. Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob dem Vordringen germanischer Scharen wirtschaftliche Motive oder bloße Kampf- und Raublust zugrunde lagen ; häufig wirkte beides zusammen. Von den Sweben erzählt Cäsar (b. G. 4, 1), daß sie alljährlich eine Anzahl Bewaffneter zu kriegerischen Unternehmungen aussandten. Unter den vorwiegend zu Kriegszwecken unternommenen Wanderungen sind besonders die späteren Züge der Ostgermanen, der Goten, Wandalen etc. hervorzuheben. Neben solchen von Völkern oder Volksteilen auf Beschluß der Gesamtheit ausgehenden Expeditionen erscheinen die Abenteuerzüge einzelner Fürsten, die Freiwillige zur Heerfahrt in die Fremde aufriefen (Cäs., b. G. 6, 23). Auch diese (halbamtlichen) Privatunternehmungen haben nicht selten Reichsgründungen im Auslande zur ') Vgl. dazu besonders Seneca, dial. 3,11,3. Tac., hist. 4, 16. 64; Germ. 14.

cT Der Name Germanen.

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Folge gehabt: so vor allem die Wikingerfahrten der nordischen Seekönige, in gewissem Sinne auch der Zug der Ostgoten unter Theoderich nach Italien. Zu den Ursachen der germanischen Völkerbewegungen gehören endlich auch Vorgänge der inneren und äußeren Politik. Streitigkeiten der Gaue untereinander konnten zur Auflösung des gemeinsamen Bandes und zur Konstituierung neuer Staaten auf fremder Erde führen, wie dies bei den von den Chatten ausgegangenen Batawern und Kannenefaten der Fall war (Tac., hist. 4, 12. 15; Germ. 29). Von den Sequanern gerufen, ging Ariowist über den Rhein und setzte sich in Gallien fest. Eine wichtige Rolle spielten die Bedrängungen durch äußere Feinde; es sei hier unter zahlreichen Beispielen namentlich an den folgenschweren Einbruch der Hunnen erinnert. J e mehr die Widerstandskraft des römischen Reiches abnahm, um so lebhafter drängten die Germanen nach den Grenzen desselben vor; es trieb sie dahin nicht allein die zu erwartende reiche Beute sondern auch der Wunsch, in einem wohlangebauten, klimatisch begünstigten, mit allen Vorzügen der Zivilisation ausgestatteten Lande zu wohnen und als Grundherren sich von der dort ansässigen abhängigen Bauernschaft ernähren zu lassen.

(1) Der Name Germanen. Literatur: M ü l l e n h o f f , l>. A. II, 18911., IV, 129ff. K o s a i n n a , Der Ursprung des Germanennamens: Beiträge zur Geschichte d. deutsch. Sprache 20 (1895), S. 258 ff. H o l d e r , Altceltischer Sprachschatz I. Leipz. 1896. S. 2011. B r e m e r , Ethnogr. S. 5f. H i r s c h f e l d , Der Name Germani bei Tacitus u. sein Aufkommen bei den Römern: Beiträge zur alten Geschichte u. Geographie. Festschrift für Heinr. Kiepert. Berlin 1898. S. 25911. M u c h , Stammeskunde S. 65 f. Vgl. B e t h g e 8.552. D a h l m a n n - W a i t z Nr. 2415.

Die Frage nach Herkunft und Bedeutung des Namens Germani oder, wie auch überliefert ist, Garmani ist noch nicht endgültig entschieden. Doch kann als erwiesen gelten, daß derselbe in die Literatur zuerst durch Cäsar eingeführt worden ist ; diesem ist er wiederum durch die Gallier, und zwar durch das Volk der Remer übermittelt worden (Cäs., b. G. 2, 4, eine Stelle, die der vielbesprochenen Angabe des Tac., Germ. 2 zugrunde liegt)1). Ursprünglich nur an einer einzelnen Völkerschaft, den in mehrere Unterabteilungen zerfallenden Germani cisrhenani im engeren Sinne (vgl-, oben), haftend, ist er allmählich mit der Erweiterung der geographischen Kenntnis auf die Gesamtnation übertragen worden, ein Vorgang, der der Benennung der Deutschen als Allemands durch die Franzosen, der Kelten als Walchen durch die Germanen analog ist. Gewöhnlich ') Die in den römischen Triumphalfasten zum J . 222 v. Chr. erwähnten Germani beruhen auf einer späteren Interpolation; es sind die keltischen Gaesati zu verstehen.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

wird keltischer Ursprung des Namens angenommen (Nachbarn, Rufer im Streit u. a.), doch ist die Deutung aus dem Germanischen nicht von der Hand zu weisen; die naheliegende Erklärung als »Germänner« ist freilich sprachlich unmöglich. Die Germanen haben selbst keine für ihre Gesamtheit geltende heimische Bezeichnung geführt, wie sie denn seit ihrem Auftreten in der Geschichte ohne politischen Zusammenhang erscheinen, wenn ihnen auch zuzeiten das Bewußtsein ihrer nationalen Zusammengehörigkeit sicher nicht ganz gefehlt hat. Das Wort »Deutsch« kommt erst im 11. Jahrhundert als politische Bezeichnung und Gesamtname zu völliger Geltung. Der antiken Welt war anfänglich das Verständnis für die ethnographische Stellung der Germanen verschlossen; man nannte sie Kelten oder Galater oder Keltoskythen oder faßte sie mit den Sarmaten, Slawen usw. unter der Bezeichnung Skythen zusammen. Die durch Cäsar gewonnene bessere Erkenntnis ward in der augusteischen und darauffolgenden Zeit vertieft aind erweitert; doch fallen die späteren Autoren, namentlich die Griechen (vor allen Cassius Dio und Appian), vielfach wieder in die alten Irrtümer zurück. So werden auch die Ostgermanen (Goten usw.) von den übrigen Germanen unterschieden; die Bezeichnung Germani auf Inschriften und Münzen der römischen Kaiserzeit gilt regelmäßig nur für die westlichen Stämme. Die byzantinischen Historiker (besonders Prokop) verstehen unter Germanen gewöhnlich die Franken.

e) Zur Geschichte der römisch-germanischen (Jrenzbeziehungen. Literatur: K o r n e m a n n , Die neueste Limesforschung (1900—1906) im Lichte der römisch-kaiserlichen Grenzpolitik: Klio, Beiträge zur alten Geschichte VII (1907), S. 73ff., und die dort angeführten Arbeiten. Ferner: S e e c k , Die Zeit des Vegetius: Hermes 11 (1876), S. 61 ff. S c h i l l e r , Geschichte der römischen Kaiserzeit I. II. Gotha 1884—87. passim. J u n g , Römer und Romanen in den Donauländern. 2. Aufl. Innsbruck 1887. K a n i t z , Römische Studien in Serbien: Denkschriften der Wiener Akademie 41 (1892), II. R i e s e , Das rheinische Germanien in der antiken Literatur. Leipzig 1892. N e s t l e , Funde antiker Münzen im Kgr. Württemberg. Stuttgart 1893. S. 27ff. S t r a k o s c h G r a ß m a n n , Geschichte der Deutschen in Österreich-Ungarn I. Wien 1895. passim. S e h m s d o r f , Die Germanen in den Balkanländem. Leipzig 1899. E g g er, Die Barbareneinfälle in die Provinz Rätien : Archiv für österreichische Geschichte 90 (1901), S. 77ff. A s b a c h , Zur Geschichte und Kultur der römischen Rheinlande. Berlin 1902. M o m m s e n , Römische Geschichte V. 5. Aufl. Berlin 1904. S. 107ff. G a r d t h a u s e n , Augustus und seine Zeit. T. I, Bd. 3. Leipzig 1904. S. 1060ff. F r a n z i ß , Bayern zur Römerzeit. Regensburg 1906. Gg. W o l f f , Die Römerstadt Nida bei Heddernheim und ihre Vorgeschichte. Frankfurt a. M. 1908. Vgl. D a h l m a n n - W a i t z Nr. 2542ff.

Durch die Siege Cäsars über Ariowist und die Usipier und Tenkterer war die Rheinlinie als Grenze des römischen Reiches gegen die

e) Zur Geschichte der römisch-germanischen Grenzbeziehungen.

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Germanen festgelegt worden. Die drei von Ariowist am linken Ufer des Stromes angesiedelten Völker, die Triboker, Nemeter, Wangionen, wurden von Cäsar dort belassen, aber zur Verteidigung der neugewonnenen Grenze gegen ihre Landsleute verpflichtet, also in Reichsuntertänigkeit versetzt. Die beiden Expeditionen, die Cäsar hierauf ins Innere Germaniens unternahm, hatten nur den Zweck, die Deutschen einzuschüchtern. Das erstemal überschritt er im Jahre 55 auf einer Pfahlbrücke den Rhein; aber die Sugambrer und die Sweben, gegen die als Friedensstörer der Zug gerichtet war, wichen einer Begegnung nyt den Legionen aus, und er ging nach 18tägigem Aufenthalte, die Brücke hinter sich abbrechend, wieder über den Strom zurück. Auch der zweite Rheinübergang (53) führte zu keinem Zusammenstoße, da die Sweben abermals sich in ihre unzugänglichen Wälder zurückzogen; aber diesmal ließ Cäsar einen Teil der Brücke stehen und durch Befestigungen sichern. (Die Frage, wo die beiden Brücken gestanden haben, ist noch unentschieden; wahrscheinlich sind sie im Neuwieder Becken zu suchen.) 1 ) Die Germanen hielten denn auch Ruhe, solange Cäsar lebte; nach dessen Tode aber begannen die Bewegungen von neuem. Die Römer, zunächst durch die Bürgerkriege in Anspruch genommen, hatten alle Hände voll zu tun, die sich immer wiederholenden Angriffe abzuwehren; im Jahre 37 v. Chr. ging Agrippa über den Rhein, aber nur um die wegen ihrer Römerfreundlichkeit hart bedrängten Ubier auf das linke Ufer zu verpflanzen, ut arcerent, non ut custodirentur, sagt Tacitus. Das Land der Ubier ward den Chatten überlassen, von denen der Gau der Mattiaker südlich vom Taunus hier dauernd unter römischer Herrschaft zurückgeblieben ist. Vielleicht damals ist Neuß befestigt und mit Truppen belegt worden (das römische Hauptheer stand weiter im Innern Galliens, in der Gegend von Reims, Dijon und Poitiers). 16 v. Chr. erlitten sogar die römischen Truppen unter Lollius durch Sugambrer, die den Strom überschritten hatten, eine empfindliche Niederlage. Der Kaiser Augustus erschien damals persönlich in Gallien, um die Neuorganisation des Landes durchzuführen (das linke Rheinufer kam zur Provinz Belgica), zugleich aber auch den großen Angriffskrieg vorzubereiten, der die Unterwerfung Germaniens bis zur Elbe bezweckte und für das bedrohte Gallien ein befriedetes Vorland schaffen sollte. Zunächst wurden alle Truppen aus dem Innern am Rhein konzentriert und als Hauptwaffenplätze die Standlager auf dem Fürstenberg bei Xanten (Castra Vetera) und zu Mainz eingerichtet: die Täler der Lippe und des Mains sollten die Einfallstraßen der Römer nach Deutschland sein. In engem Zusammenhange damit stand der Feldzug des Jahres 15 v. Chr., der die Besetzung Rätiens und Vindeliziens zur Folge hatte. In Vindonissa (Windisch, am Zusammenflusse der Aare, Reuß und Limmat) wurde ein Waffenplatz angelegt, dem die Aufgabe zufiel, die Verbindung der Rheinlinie mit Italien zu sichern; »er bildete den l

) Vgl. besonders H. N i s s e n Bonner Jahrbücher 104 (1899), S. 1 ff.

und C. K o e n e n ,

Cäsars Rheinfestung:

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

Stütz- und Ausgangspunkt für die der oberen Donau entlang ziehende Etappenstraße und gleichzeitig das Mittelglied zwischen dem rheinischen und dem illyrischen Heere, dessen Stellungen man in derselben Zeit bis an die Donau vorzuschieben begann.« Der weitere Ausbau der militärischen Anlagen erfolgte durch Drusus, den Augustus bei seiner Rückkehr nach Italien (13 v. Chr.) zum Oberbefehlshaber der Rheinarmee ernannte. Es ward eine den Rhein entlang von Augusta Rauracorum (Äugst) bis zur Mündung laufende Straße gebaut und durch eine Kette von Kastellen und Verschanzungen — damals sind u. a. Straßburg, Worms, Bonn, Köln, Neuß, Nijmegen gegründet bzw. neu befestigt worden — gesichert. In Xanten und Mainz standen je zwei, in Neuß (Novaesium; später in Köln, oppidum Ubiorum) und Vindönissa je eine Legion; die Zwischenkastelle waren mit aufgebotenen Kriegern der betr. hier ansässigen Völkerschaften belegt. Der ebenfalls auf Drusus zurückgehende Bau eines Schiffahrtsweges vom Rhein nach dem Flevo- (Zuider-) See stellte für die römische Rheinflotte eine kürzere und gefahrlose Verbindung nach der Nordsee her; zum Schutze dieser Anlagen ward an der Ausmündung des Flevosees in das Meer das Kastell Flevum errichtet 1 ). Im Sommer 12 v. Chr. begann Drusus mit der Offensive; nach Zurückweisung eines neuen Einfalles der Sugambrer unterwarf er die Batawer im Rheindelta und drang verheerend im Gebiete der Sugambrer und Usipier vor. Von hier an den Rhein zurückkehrend, führte er die römische Flotte in die Nordsee, brachte die Friesen zur Anerkennung der römischen Oberhoheit, erstürmte die Insel Borkum, wo er eine Flottenstation anlegte, fuhr in die Ems ein, an deren Mündung er ein Kastell errichtet zu haben scheint, und segelte dann weiter bis zur Küste der Chauken (etwa bis zur Weser), um von da wieder heimzukehren. Die Nordseeküste bis wenigstens zur Ems war damit in ein festes Abhängigkeitsverhältnis zu Rom gebracht. Die Expedition des folgenden Jahres war bestimmt, die Völker des inneren Deutschlands zur Unterwerfung zu bringen. Im Batawerlande den Rhein überschreitend, züchtigte Drusus zunächst die Usipier, ging sodann über die Lippe ins Sugambrerland und weiter ostwärts bis zu den Cheruskern; hier kehrte er, durch Proviantmangel gezwungen, um. Auf dem Rückmarsch durch die nachfolgenden Germanen überfallen, gelang es ihm, sich siegreich durchzuschlagen. Als Stützpunkt für weitere Expeditionen errichtete er am Zusammenflusse des Elison (Alme?) mit der Lippe das Kastell Aliso, das durch eine von zahlreichen Kastellen (darunter das jetzt ausgegrabene bei Haltern) 2 ) ge') Uber die geographischen Verhältnisse der Niederlande in der Römerzeit vgl. G a r d t h a u s e n , Augustus S. 1071 ff. B i t t e r l i n g macht wahrscheinlich, daß der Drusnskanal nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, nördlich von Kleve sondern bei Vechten unweit Utrecht vom Alten Rhein abzweigte. *) Die vielumstrittene Frage nach der Lage des Kastells Aliso ist noch nicht entschieden; die Annahme, daß es am Oberlaufe der Lippe zu suchen ist, hat die meiste Wahrscheinlichkeit.

e) Zur Geschichte der römisch-germanischen Grenzbeziehnngen.

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schützte Militärstraße mit Castra Vetera verbunden wurde und der Hauptwaffenplatz der Römer in Deutschland werden sollte. Der dritte Feldzug (10 v. Chr.) richtete sich gegen die mit den Sugambrern verbündeten Chatten und ging von Mainz aus; damals ist zur Deckung der Mainlinie eine Reihe von Befestigungen angelegt worden, von denen in Wiesbaden, Höchst u. a. Spuren nachgewiesen sind. Auch die vierte, erfolgreichste Expedition, die die römischen Truppen durch das Chatten-und Cheruskerland bis zur Elbe führte, nahm von Mainz ihren Ausgang; auf dem Rückweg, der die Saale aufwärts eingeschlagen wurde, starb Drusus infolge eines Sturzes vom Pferde (9 v. Chr.). Tiberius, der an Stelle des Bruders den Oberbefehl übernahm, führte die Okkupation Germaniens in zwei Feldzügen (8 und 7 v. Chr.) fort. Sugambrer wurden damals am linken Rheinufer angesiedelt; andere deutsche Stämme, wie die Markomannen und Quaden, wichen, um dem römischen Joch sich zu entziehen, in das Innere zurück. Aber infolge des Rücktrittes des Tiberius vom Kommando (6 v. Chr.) kamen die Operationen der Römer zum Stillstand, und die Germanen begannen alsdann wieder unruhig zu werden. L. Domitius Ahenobarbus der im Jahre 1 n. Chr. von der Donau durch die Oberpfalz in Deutschland einmarschierte, die Elbe nördlich von Böhmen überschritt, dann westwärts zum Rhein sich wandte und unterwegs im Moorgebiet zwischen Ems und Rhein einen Knüppeldamm anlegte, stieß allerdings nirgends auf Widerstand; aber schon sein Nachfolger M. Vinicius hatte einen Aufstand der Deutschen zu bekämpfen. Tiberius fand, als er den Oberbefehl wieder übernahm, unhaltbare Zustände vor. Im Jahre 4 n. Chr. überschritt er den Rhein, unterwarf die Kannenefaten, Chattuarier, Brukterer, brachte die Cherusker zum Gehorsam zurück und legte seine Truppen nach Aliso in die Winterquartiere. Im folgenden Jahre wurde die Unterwerfung vollendet. Tiberius drang mit dem Landheer bis zur Elbe vor, wo er mit der Flotte zusammentraf, die inzwischen die Nordseeküste bis zur Nordspitze Jütlands besucht hatte; selbst Völker von jenseits des Stromes suchten um die Freundschaft des Kaisers nach. Es begann die Einrichtung der neuen Provinz unter der Leitung des Sentius Saturninus; die Hauptstadt sollte Köln mit einer Kultusstätte des Augustus (Ära Ubiorum) sein. Die römischen Truppen wurden dauernd im Lande stationiert, weitere Kastelle errichtet, neue Straßen angelegt; die Deutschen mußten Steuern entrichten und sich der römischen Rechtsprechung unterwerfen. Solange aber das Reich der Markomannen in Böhmen bestand, konnte die römische Herrschaft in Westdeutschland noch nicht als gesichert gelten. Tiberius beschloß daher, auch jenes durch einen Doppelangriff zu vernichten; während er selbst von Süden, von der Donau her anmarschierte, rückte Saturninus den Main aufwärts gegen Böhmen vor. Da brach ein gefährlicher Aufstand in Pannonien aus, der die Römer nötigte, umzukehren und mit Marbod Frieden zu schließen (6 n. Chr.). An eine Wiederholung der Expedition konnte

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

vorerst nicht gedacht werden, und als der Friede nach dreijährigen Kämpfen an der Donau wiederhergestellt war, ging die Provinz Germanien für immer verloren. Quintilius Varus, der dort seit dem Jahre 6 als Statthalter regierte, fand mit den damals rechts des Rheins stehenden drei Legionen (zwei andere hielten an der Rheingrenze Wacht) den Untergang; die Stämme des Binnenlandes eroberten alle römischen Zwingburgen bis auf Aliso, das aber schließlich von den Römern selbst geräumt wurde, und nur die Nordseevölker blieben dem Kaiser treu. Der Schrecken in Rom war ungeheuer; die germanische kaiserliche Leibwache ward aufgelöst, die Stadt in Belagerungszustand versetzt. Augustus gab den Gedanken an eine Wiedereroberung des Landes auf; er übertrug den Namen Germanien auf den schmalen Grenzdistrikt am linken Rheinufer, den er in zwei Militärbezirke, einen oberen (Hauptorte Mainz und Straßburg) und einen unteren (Mittelpunkt Vetera) zerlegte und stellte dort acht Legionen auf. Die Neuordnung der Verhältnisse übernahm wieder Tiberius, der in den Jahren 11 und 12 sogar wieder den Rhein überschritt und dort mit der Wiederherstellung einzelner Kastelle und der Neuanlage von Heerstraßen begonnen zu haben scheint, ohne jedoch weiter ins Innere vorzudringen. (Die gewöhnliche Annahme, daß Tiberius eine Grenzwehr (limes) am rechten Rheinufer angelegt habe, ist nicht haltbar)1). Im Jahre 12 trat an des Tiberius' Stelle der Sohn des Drusus, Germanicus. Dieser nahm nach dem Tode des Augustus — mehr auf eigene Faust — die Offensive wieder auf. Im Jahre 14 unternahm er einen Zug gegen die Marsen, deren Gebiet er auf barbarische Weise verwüstete. Im folgenden Jahre rückte er von Mainz gegen die Chatten vor, während Cäcina mit den niederrheinischen Legionen die Marser und Cherusker in Schach hielt, und ging dann weiter ins Cheruskerland. Nach der Rückkehr erfolgte der Hauptangriff. Die Römer zogen in drei Abteilungen (4 Legionen unter Germanicus zur See, 4 Legionen unter Cäcina, ferner die Reiterei zu Lande) nach dem Emsgebiet, wo sie sich vereinigten, verheerten das Land der Brukterer, machten von da einen Abstecher nach dem Schlachtfelde des Varus und unternahmen einen ergebnislosen Vorstoß gegen die Cherusker. Die Heimkehr erfolgte auf demselben Wege wie der Hinmarsch, aber unter großen Gefahren. Cäcina wurde von Arminius überfallen und entging nur mit knapper Not der drohenden Vernichtung; zwei Legionen, die die Flotte des Germanicus an der Nordseeküste begleiteten, gerieten in eine Sturmflut und retteten kaum das nackte Leben. Der Feldzug des Jahres 16 begann mit dem Entsatz des bedrohten Kastells Aliso und der Anlage neuer Befestigungen an der Lippestraße sowie mit einem Streifzuge ins Chattenland; dann ging Germanicus mit dem gesamten Heere auf dem Seewege nach ') Der sog. limes des Tiberius war vielmehr eine die Lippe entlang laufende neue Militärstraße, vgl. O x 6 in den Bonner Jahrbüchern 114 (1906), 8.122 ff.

c) Zur Geschichte der römisch-germanischen Grenzbeziehungen.

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der Ems, marschierte von da zur Weser und trug über die Germanen in zwei Schlachten, bei Idisiawiso und am Angriwarierwall, Erfolge davon; auf dem Rückwege erlitt die römische Flotte durch Stürme sehr schwere Verluste. Nachdem Germanicus noch einige Vorstöße gegen die Marsen und Chatten vom Rheine aus unternommen, wurde er von Tiberius abberufen, nicht aus Mißgunst, wie Tacitus behauptet, sondern weil der Kaiser die Erfolglosigkeit dieser ziemlich planlosen, ohne strategisches Geschick ausgeführten Operationen erkannt hatte und nicht noch mehr Soldaten der Ruhmsucht seines Neffen opfern wollte. Am 26. Mai 17 triumphierte Germanicus in Rom über die Cherusker, Chatten, Angriwarier und »was sonst für Stämme bis gegen die Elbe hin wohnen«. Der Plan der Eroberung Deutschlands ward jetzt endgültig begraben, das rechtsrheinische Gebiet jedoch keineswegs vollständig aufgegeben; die römische Machtsphäre erstreckte sich wie bisher über die Kannenefaten und Friesen, in deren Gebieten ständige Besatzungen lagen, ferner über einen zum größten Teile entvölkerten Landstreifen am Niederrhein und über das Mattiakerland mit Wiesbaden gegenüber von Mainz. Befestigte Brückenköpfe, besonders Deutz und Kastel, sicherten den Übergang über den Strom. Die Politik der Zurückhaltung befolgte Tiberius fortan in so weitgehendem Maße, daß er in den letzten Jahren seiner Regierung sogar Einfälle der überrheinischen Völker ungeahndet ließ. Er begnügte sich damit, auf friedlichem Wege, auf die bei fast allen Germanenstämmen vorhandenen römerfreundlichen Parteien sich stützend, den Einfluß des Reiches geltend zu machen. — Von den den Donauprovinzen benachbarten. Germanen standen die Hermunduren seit der Expedition des Domitius in freundschaftlichen Beziehungen zu Rom. Nach dem Sturze Marbods war auch von den Markomannen nichts mehr zu besorgen. Diese und die Quaden erscheinen fortan in einem Abhängigkeitsverhältnis, das in der Stellung von Hilfstruppen und der Einholung der kaiserlichen Bestätigung bei Häuptlings wählen zum Ausdruck gelangte. Einen wirksamen Grenzschutz bildete der in Oberungarn von Tiberius gegründete swebische Klientelstaat, dem der Quade Vannius vorstand. Eine erneute Expansion der Römer fand unter den Nachfolgern des Tiberius statt. Der große von Caligula im Jahre 40 ins Werk gesetzte Angriffskrieg, der keineswegs ein bloßes Possenspiel war, geriet allerdings bald ins Stocken, führte aber wenigstens zu einer Besiegung der Chatten und zur Anlage von Kastellen im Mattiakerlande, z. B. von Hofheim a. M.1). Unter Claudius wurden die abtrünnigen Friesen zum Gehorsam zurückgebracht; aber die Absicht des Generals Corbulo, auch das Chaukenland zur römischen Provinz zu machen, durchkreuzte der Kaiser, der die römischen Truppen vom rechten Ufer des Niederrheins zurückzuziehen befahl, ja sogar das ') Vgl. R i t t e r l i n g , Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde 34 (1504), S. 21. S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

Straßburger Legionslager aufhob, um einen Teil des rheinischen Heeres zur Eroberung Britanniens verwenden zu können. Trotzdem sind die Kannenefaten und zum Teil die Friesen Reichsuntertanen geblieben. Den Rheingau hielt man auch fernerhin militärisch besetzt; nach dem Chattenfeldzuge des Jahres 50 scheint zudem eine provisorische Okkupation der Wetterau stattgefunden zu haben. Den erwähnten Oedlandstreifen am Niederrhein suchten die Römer fortgesetzt frei zu halten; als unter Nero germanische Scharen sich dort niederlassen wollten, wurden sie mit Gewalt vertrieben. Der Bataweraufstand (69/70), der auch ostrheinische Germanenstämme in Bewegung setzte, gefährdete ernstlich den Bestand der römischen Herrschaft am Rhein; nach dem Siege der Römer aber ward die Rheinlinie, an der alle Staudlager mit Ausnahme von Mainz und Windisch der Zerstörung anheimgefallen waren, von neuem gesichert, auch wieder eine Legion nach Straßburg gelegt. Kaiser Vespasian ging aber noch einen Schritt weiter. Sein Feldherr Cornelius Clemens unterwarf in den Jahren 73 und 74 das südliche Baden und das obere Neckargebiet, wo von altersher keltische Reste sich erhalten hatten, neuerdings aber auch Chatten sich festgesetzt zu haben scheinen, und ließ eine Militärstraße von Straßburg aus über den Rhein durch das Kinzigtal und über den Schwarzwald hinweg nach Rottweil (Arae Flaviae) und weiter nach der Donau bei Tuttlingen erbauen, um die Verbindung der Legionslager am Rhein mit Rätien und den übrigen Donauprovinzen abzukürzen. In Rottweil wurde diese Trasse gekreuzt, von einer ebenfalls noch unter Vespasian angelegten, von Windisch nach Rottenburg (Sumelocenna) laufenden Straße. Domitian schob die römische Grenze noch weiter vor; nach den Chattenkriegen der Jahre 83 und 89 ward die Wetterau und das Land nördlich vom Taunus definitiv zum Reiche geschlagen, bald darauf auch das Gebiet südlich vom Main mit dem von Vespasian erworbenen oberrheinischen Besitz vereinigt und die große Heerstraße von Mainz über GroßGerau, Ladenburg, Neuenheim bei Heidelberg, Stettfeld, Cannstatt und weiter nach der Donau bei Faimingen angelegt. Damals sind auch, allerdings nur vorübergehend, die Usipier in Reichsuntertänigkeit versetzt worden. /Die Grenze gegen das Barbarenland bildete überall da, wo sie sich nicht an Flußläufe anschloß, ein Grenzweg, der Limes ¿m' ¿¿.oyjr, der im Norden des Mains von der Mündung des Vinxtbachs bei Rheinbrohl (wo die Grenze zwischen dem oberund untergermanischen Kommandobezirke lag) bis zur Mündung der Kinzig in den Main, südlich vom Main über den Kamm des Odenwaldes nach dem Neckar bei Wimpfen lief. Die wie bisher am Rhein stationierten Legionen bildeten die Generalreserve; jenseits standen nur Auxiliartruppen (Kohorten und Alen) in zahlreichen, im Binnenland liegenden Kastellen, von denen einzelne Detachements an die mit Wachttürmen und Erdverschanzungen besetzte, streckenweise auch durch einen Flechtwerkzaun gesperrte äußere Linie als Vorposten vorgeschoben waren. Diese Verschanzungen der äußeren Linie waren

e) Zur Geschichte der römisch-germanischen (irenzbeziehungen.

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mit den Lagern der inneren Linie möglichst geradlinig verbunden. Da jedoch, wo der Limes mit einem Flusse zusammenfiel, sowie im Odenwald, lagen die Auxiliarkastelle unmittelbar an der äußeren Grenze. Hatten bisher nur Schiff- oder Holzbrücken den Übergang über den Rhein vermittelt, so wurde jetzt bei Mainz eine steinerne Brücke erbaut. — Im Donaugebiete bildete von Faimingen ab der Lauf des Stromes die Grenze. Die Legionslager waren hier bis an den Fluß vorgeschoben und durch eine, durch Zwischenkastelle gedeckte Militärstraße verbunden; speziell dem Schutze gegen die Markomannen und Quaden, mit denen Domitian langwierige Kämpfe zu bestehen hatte, dienten die Lager zu Vindobona und Carnuntum sowie eine Flotte. Trajan führte die Politik seines Vorgängers in dem gleichen Sinne fort. Von Rätien aus wurden die Truppen über den schwäbischen und den südlichen Teil des Fränkischen Jura vorgeschoben, Kastelle in Lorch, Schierenhof, Schwäbisch-Gmünd, Aalen zum Schutze der Remstalstraße erbaut. Der Limes erreichte jetzt bei Ingolstadt die Donau. Dagegen ward das Legionslager zu Windisch aufgehoben. In das Jahr 100 fällt die Vollendung der Heerstraße von Mainz nach Offenburg. Unter Trajan ist auch der erwähnte Grenzstreifen am Niederrhein zum eigentlichen Reichsgebiete gezogen und durch Einverleibung der Gebiete einiger angrenzender Stämme (der Usipier, Tenkterer, Tubanten, Chasuarier am Mittelrhein sowie der Tuihanten, Chamawen [?] und Salier [?]) erweitert worden 1 ); eine Grenzsperre wurde jedoch hier nicht angelegt. Daran schloß sich die politische Organisation des Okkupationsgebietes. Die bisherigen Militärbezirke Ober- und Untergermanien wurden infolge des rechtsrheinischen Gebietszuwachses von Belgica abgelöst und in eigene Provinzen (Hauptstädte Köln und Mainz) umgewandelt; Hand in Hand damit ging die Einführung der Gemeindeverfassung (unter den neugebildeten rechtsrheinischen civitates in Obergermanien sind die germanischen civitates Mattiacorum, Taunensium und Sueborum Nicretum hervorzuheben) und die Besetzung der bisher herrenlosen, zu kaiserlichen Domänen erklärten Distrikte, der sog. Dekumatenäcker, mit Kleinpächtern. 105—107 wurde Dazien zur römischen Provinz gemacht und durch einen dem germanischen ähnlichen Limes gesichert. Kaiser Hadrian verließ wieder die Bahnen seiner Vorgänger und ging von der Offensive zur strengsten Defensive über. Er ließ die ') Dies ergeben Funde aus einer großen rechtsrheinischen militärischen Zentralziegelei aus der Zeit 89—105, vgl. L e h n e r , Bonner Jahrbb. 111/112, S. 295 ff. Die Veroneser Völkertafel nennt als reichsangehörig vor Gallienus die civitates der Usipier, Tenkterer (so ist statt der überlieferten Nictrenses zu lesen; die Neckarsweben kommen nicht in Betracht, da sonst keine innerhalb des Limes gelegene civitas hier erwähnt wird; vgl. R i t t e r l i n g , Bonner Jahrbb. 107, S. 116), Tnbanten und Chasnarier. Die Tuihanten (Twente in Holland) erscheinen als Reichsuntertanen auf Inschriften zu Beginn des 3. Jahrhunderts. Die Usipier und Tenkterer waren zur Zeit des Tacitus (98) unabhängig. 3»

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

rückwärts im Binnenlande gelegenen Kastelle räumen und verlegte die Kohorten an die äußere Linie in dort neuerrichtete Steinkastelle; der Limes, dessen Trasse bisher vielfach gewunden und geknickt verlief, wurde ohne Rücksicht auf das Terrain gerade gelegt und mit einem Pallisadenzaun versehen. Diese militärisch völlig unverständlichen Maßnahmen lehren, daß man größere feindliche Einfälle nicht mehr befürchtete und nur noch mit Grenzverletzungen durch einzelne Räuberbanden rechnen zu dürfen glaubte. »Der Limes wurde zur Grenzsperre, und die Hauptaufgabe der Truppen beschränkte sich fortan darauf, die Sperre aufrecht zu erhalten und das Überschreiten der Grenze auf die dafür bestimmten Stellen zu beschränken und dort zu überwachen.« Neben die Auxilien, die jetzt eine schwerere Ausrüstung erhielten, traten als leichte Truppengattung die »numeri«, die aus der in den Grenzgebieten ansässigen Bevölkerung sowie aus vom Auslande dorthin verpflanzten barbarischen Völkerschaften (besonders Britonen) formiert und in kleineren Kastellen untergebracht wurden; es ist damals der Grund gelegt worden für das spätere System der milites limitanei. Erst gegen das Ende seiner Regierung hat Hadrian die Reichsgrenzen wieder etwas hinausgeschoben. Wohl schon unter ihm ist mit dem Bau des obergermanischen Limes von Miltenberg am Main nach Lorch begonnen worden, den Antoninus Pius vollendete und durch einen, hinter dem Pallisadenzaun angelegten 2 m hohen Erdwall und einen 6 m breiten, 2 m tiefen Graben, den »Pfahle oder »Pfahlgraben« sicherte. Doch wurden nicht alle Truppen jetzt wieder an die äußerste Linie vorgeschoben, sondern zur Aufrechterhaltung der Verbindung mit den Rheinlagern einzelne Abteilungen an der hinteren Linie zurückbehalten. Ebenso fällt unter Hadrian die Weiterführung des rätischen Limes, der nun bei Hienheim, oberhalb Regensburg, sein definitives Ende fand. Bald nach dem Regierungsantritte des Kaisers Mark Aurel (161) trat eine plötzliche Änderung der Lage ein; die Hoffnung, daß der bis dahin an den Grenzen herrschende Friede von Dauer sein würde, erwies sich als trügerisch. Der gewaltige, durch die Abwanderung ostgermanischer Stämme veranlaßte Ansturm germanischer, slawischer und sarmatischer Völkerschaften traf daher die Römer völlig überraschend und unzureichend gerüstet. Auf der weiten Strecke zwischen Straßburg und Wien gab es kein Legionslager; die Hermunduren sowie die Markomannen und Quaden, deren Lehensverhältnis erst kürzlich bestätigt worden war, galten als zuverlässige Freunde Roms. Es erwies sich als ein verhängnisvoller Fehler, daß man nach der Eroberung Daziens durch Trajan nicht auch von der mittleren Donau aus das Reichsgebiet bis an die nördlichen Gebirgswälle vorgeschoben hatte. Die Bewegung brach gleichzeitig am Oberrhein (am Niederrhein blieb alles still) und an der ganzen Donaulinie aus; doch kann von einer förmlichen Konföderation der beteiligten Stämme keine Rede sein. Der Krieg begann 162 mit einem Einfalle der Chatten in Obergermanien und Rätien; vier Jahre später drangen die Barbaren

e) Zur Geschichte der römisch-germanischen Grenzbeziehungen.

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bis nach Oberitalien vor. Nachdem der Kaiser mit unendlicher Mühe die heimgesuchten Provinzen von den Feinden gesäubert und durch Errichtung der beiden Legionslager in Regensburg und Lauriacum an der Enns gesichert hatte, überschritt er angreifend die Donau. Unterstützt von einigen, damals bis in die frähe der römischen Grenze vorgedrungenen ostgermanischen Völkerschaften (Wandalen, Lakringen u. a), unterwarf er nach hartem Kampfe die gefährlichsten Gegner: 171—173 die Markomannen und Quaden, 174—175 die Jazygen zwischen Theiß und Donau. Die Besiegten mußten einen breiten Grenzstreifen an der Donau räumen und römische Truppen bei sich aufnehmen. Nachdem ein Aufstand dieser Völker niedergeworfen worden war (177—180), beabsichtigte der Kaiser, das früher Versäumte nachzuholen und Böhmen, Mähren und die Theißebene bis an den Fuß der Karpathen in römische Provinzen umzuwandeln. Aber sein frühzeitiger Tod verhinderte die Ausführung dieses Planes. Commodus gab freiwillig die Eroberungen seines Vaters auf, zog die Besatzungen zurück und bestand nur auf der Freilialtung eines Oedlandstreifens an der Grenzlinie; er kehrte also wieder zur früheren Defensivpolitik zurück, die auch in zahlreichen Neubauten am Limes (Errichtung von kleinen Zwischenkastellen, sog. burgi; Bau des Kastells Niederbieber; Erweiterung der Kastelle Osterburken, Böhming, Pfünz) zum Ausdruck kommt. Alle verfügbaren Truppen wurden jetzt an die äußerste Linie vorgeschoben; ebenso fällt wohl noch unter Commodus der Bau einer massiven 1 m dicken und mindestens 21/2 m hohen Steinmauer am rätischen Limes. Einen genügenden Grenzschutz stellten diese Sperren darum nicht dar; die in einer unendlich langen Kordonstellung verzettelten Truppen konnten einer größeren feindlichen Invasion keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen. Wenn trotzdem der Friede für längere Zeit nicht gestört wurde, so war dies den Nachwirkungen der kräftigen Offensive des Kaisers Marcus zu danken. Erst unter Caracalla setzen wieder die Angriffskriege der Germanen ein. Der obergermanische Limes ward 213 von Chatten und Alamannen durchbrochen. Der Kaiser zog persönlich gegen diese von Rätien aus zu Felde, lieferte ihnen am Main eine Schlacht und ordnete die Wiederherstellung und den Neubau verschiedener Kastelle an. Auch unter Severus Alexander ist in dieser Hinsicht eine lebhafte Bautätigkeit bemerkbar: Kastellumbauten auf dem Zugmantel, auf der Saalburg und der Capersburg. Auf denselben Kaiser geht auch eine wichtige Änderung der Stellung der Grenztruppen zurück: diese wurden mit Grundbesitz ausgestattet, der mit der Dienstpflicht auf die Söhne übergehen sollte. Die Auxiliarier und Legionare sanken damit auf dieselbe Stufe mit den Mannschaften der numeri; sie wurden zu militärisch organisierten Bauern, zur Lokalmiliz. Aber am Ende der Regierung Alexanders durchbrachen die Germanen abermals den Limes und zerstörten zahlreiche Kastelle. Der Kaiser begnügte sich damit, den Frieden durch Geldzahlung zu erkaufen, was seine

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Ermordung durch die erbitterten Soldaten zur Folge hatte (235). Sein Nachfolger Maximin rächte die erlittene Schmach, schlug die Feinde in ihrem eigenen Lande und setzte die Grenzlinie wieder instand (236); sein tatkräftiges Vorgehen bewirkte, daß wieder auf ca. 20 Jahre der Friede im wesentlichen erhalten blieb. (Eine Inschrift von Jagsthausen vom Jahre 248 ist die späteste genau datierte Urkunde vom germanischen Limes.) Als aber 253 ein Teil der Grenztruppen nach Italien abzog, um den Kaiser Valerian auf den Thron zu setzen, brachen die Germanen von neuem los. Wie die Münzfunde lehren, ist damals das ganze Gebiet innerhalb des obergermanisch-rätischen Limes sowie der Besitz am rechten Ufer des Mittel- und Niederrheins den Römern für immer verloren gegangen. Die Spuren der erbitterten Kämpfe sind noch an den Überresten einzelner Kastelle erkennbar; keiner Abteilung der mit dem Boden verwachsenen Grenztruppen ist es gelungen, sich nach dem Rhein oder der Donau in Sicherheit zu bringen. Eines der letzten Bollwerke der römischen Macht war das Kastell Niederbieber, dessen Zerstörung in das Jahr 259 oder 260 fällt1). Ebenso schlimm gestalteten sich zu derselben Zeit die Verhältnisse an der unteren Donau. Die Goten, die seit ca. 230 in der Nähe der Grenze standen, besetzten um 257 dauernd Dazien und die Walachei. Wie unter Augustus waren die Römer jetzt wieder auf die Rhein- und Donaulinie zurückgeworfen; der zu Obermösien gehörende Distrikt zwischen Temes und Donau war in der Hauptsache das einzige Stück des transdanubianischen Reichsgebietes, das vorläufig noch gehalten wurde. Die späteren Kaiser haben sich damit begnügt, die Flußgrenzea durch Neuanlage von Befestigungen zu sichern, auf eine Wiedereroberung des Verlorenen aber definitiv verzichtet. Schon die gallischen Imperatoren Postumus (258—268) und Laelianus haben am rechten Rhein ufer, gegenüber den wichtigeren linksrheinischen Festungen, Kastelle angelegt, die den Zweck hatten, den Übergang über den Strom zu sperren. Damals sind auch die Städte Kölu, Trier, Kreuznach, Andernach, Remagen mit Mauern umgeben worden; Windisch ward wiederhergestellt und mit einer Legion belegt. Aurelian, der die römischen Truppen aus dem Banat zurückzog, war besonders für den Schutz des Donaulimes tätig. Probus warf die Germanen aus Gallien hinaus, verfolgte sie über den Neckar und die Alb und baute die rechtsrheinische Befestigungslinie weiter aus; die besiegten Stämme mußten 16000 Rekruten für das römische Heer stellen. Maximian unternahm, nachdem er im Jahre 286 eine Invasion von Burgundern, Alamannen, Herulern etc. in Gallien zurückgewiesen, 288 vom Mittelrhein aus einen Einfall in Germanien, 291 oder 292 einen Plünderungszug von Mainz bis Günzburg a. d. D.2); 289 drang Diokletian von ') Vgl. R i t t e r l i n g , Bonner Jahrbb. 107, S. 96 ff. ') Die Formation der nach rechtsrheinischen Germanenstämmen benannten auxilia palatina des römischen Heeres geht zum großen Teile auf die Feldzüge Maximians zurück.

e) Zur Geschichte der römisch-germanischen Grenzbeziehnngen.

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Rätien aus bis an die Donauquellen vor. Nach diesen Vorstößen ward eine planmäßige Organisation der GreuzVerteidigung vorgenommen. »Da das Römerreich überall an seinen Grenzen durch die Umsicht Diokletians mit Städten, Kastellen und Türmen abgeschlossen war und das ganze Kriegsheer in diesen Wohnung nahm, war den Barbaren das Überschreiten der Grenzen unmöglich«, sagt Zosimus 2, 34. Unter den damals ausgeführten Neubauten sind hervorzuheben: die Kastelle von Vitudurum (Oberwinterthur), Tasgaetium (Burg bei Stein am Ausflusse des Bodensees), Arbor felix (Arbon am Bodensee), Zurzach, Kaiseraugst, Basel, Horburg; ferner an der Donau die Brückenköpfe contra Aquincum (Pest) und Bononia (Banoätor). Gleichzeitig erfolgte eine Neueinteilung der Provinzen (im nördlichen und östlichen Gallien Belgica I. II, Germania I. II, Sequania [später Maxima Sequanorum]; an der Donau Raetia I. II, Noricum ripense et mediterr., Pannonia I. II, Valeria, Savia, Moesia superior, Dacia ripensis et medit., Moesia inf., Scythia), die Trennung des militärischen Kommandos von der Zivilverwaltung, Scheidung der Armee in ein Feldheer und Grenztruppen. Die letzteren, milites limitanei oder riparienses, wie bisher militärisch organisierte Bauern, stehen unter den duces bzw. comites der einzelnen Grenzabschnitte (der Kommandobezirk an der Nordküste Galliens heißt tractus Armoricanus et Nervianus; Germania I ist geteilt in die beiden Bezirke tractus Mogontiacensis und tractus Argentoratensis)1). Die Hauptwaffenplätze an der Donau waren Castra Regina (Regensburg), Castra Batava (Passau), Lauriacum (Lorch), Vindobona (Wien), Carnuntum (Petronell), Brigetio (bei Komorn), Aquincum (Ofen), Singidunum (Belgrad), Viminacium (Kostolatz), Ratiaria (Ardscher bei Widin), Oescus (Gigen), Novae (Schistowa), Durostorum (Silistria), Troesmis (Iglitza), Noviodunum (Isakscha). Auch Konstantin der Große hat dem Grenzschutz seine besondere Fürsorge angedeihen lassen; unter ihm wurden die Befestigungen am Donaulimes auf beiden Ufern verstärkt, steinerne Brücken über die Donau von Gigen (Oescus) nach Celeiu, über den Rhein von Köln nach Deutz erbaut; die Goten in Dazien erkannten die römische Oberhoheit an. Dagegen ist das Batawerland, das noch 293 von den Römern behauptet worden war, aufgegeben und den Franken überlassen worden. Die nach dem Tode Konstantins ausgebrochenen Wirren führten ein abermaliges Anschwellen der bis dahin eingedämmten germanischen Flut herbei. Als der Cäsar Julian das Kommando in Gallien übernahm (355), hatten die Germanen die Befestigungslinie am Rhein vom Ursprung bis zur Mündung durchbrochen, 45 Städte, darunter 8traßburg, Mainz, Köln, Bonn, Neuß erobert und das römische Gebiet überschwemmt. Das Elsaß war von den Alamannen, Toxandrien ') Nach der Not. dign., deren ältere Bestandteile aus der Zeit Diokletians stammen. Occ. I. 47, V. 141 ist za lesen dux Germaniae s e c u n d a e statt p r i m a e . Ein dux Germ. I hat neben dem dux Mogont. und comes Argent. keinen Sinn. Der Germ. II behandelnde Abschnitt ist ausgefallen.

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L Die Germanen als Gesamtvolk.'

(Brabant) von den salischen Franken besetzt. Im Jahre 356 zog Julian von Autun nach dem Elsaß, während gleichzeitig der Kaiser Konstantius von Rätien aus vorstieß, schlug die Alamannen und marschierte alsdann nach Köln, das er wieder einnahm und mit Truppen belegte. Im Juli nächsten Jahres erfocht Julian den großen Sieg bei Straßburg über die Alamannen, überschritt alsdann den Rhein bei Mainz und stellte ein von Trajan errichtetes Kastell im Maintale wieder her. 358 ließ er eine Rheinflotte erbauen und trieb die Chamawen über den Rhein zurück, während er die Salier im Besitze Toxandriens unter römischer Oberhoheit bestätigte; hierauf fiel er verheerend in das alamannische Gebiet ein. 359 zog er wieder an den Niederrhein, brachte die Batawerinsel zum Reiche zurück und ging noch einmal ins Dekumatland hinüber, das er bis zum früheren Limes durchstreifte. Mit einer Expedition gegen die Chattuarier (360) beschloß er seine kriegerische Tätigkeit in den Rheinlanden, deren Resultat die völlige Sicherung der Rheingrenze und die Wiederherstellung sämtlicher Kastelle am Strome war; die Absicht einer Eroberung rechtsrheinischen Gebietes lag ihm gänzlich fern. Zu derselben Zeit (357/58) wurde auch die Ruhe in den von Juthungen, Sarmaten und Quaden bedrohten Donauprovinzen hergestellt; der Kaiser Konstantius überschritt den Strom und suchte die Feinde in ihrem eigenen Lande heim. Julian hat dann, nachdem er den Kaiserthron bestiegen (361), seine Fürsorge auch der Bewachung des Donaulimes angedeihen lassen. Aber schon unter seinem Nachfolger trat wieder eine Vernachlässigung des Grenzdienstes sowohl am Rhein wie an der Donau ein; die Folge war, daß die Germanen abermals in Bewegung gerieten. Die Kaiser Valentinian I. (im Westen) und Valens (im Osten) (seit 364) sind noch einmal für die Sicherung des Limes durch zahlreiche Neuanlagen und Verstärkungen von Befestigungen diesseits und jenseits der beiden Grenzflüsse energisch tätig gewesen und haben auch wieder den Krieg in Feindesland getragen. 368 ging Valentinian über den Rhein in der Gegend der Neckarmündung, legte dort ein Kastell, Alta Ripa, an und schlug die Alamannen am oberen Neckar bei Soliciniuni; 372 fiel er vom Mittelrhein aus in den Gau des Alamannenkönigs Makrian ein, während der General Theodosius von Rätien aus einen Vorstoß in das feindliche Gebiet unternahm. 374 ward mit den Alamannen Friede geschlossen. 375 überschritt der Kaiser die Donau bei Aquincum und züchtigte die Quaden. Ebenso griff Valens die Westgoten zweimal, 367 und 369, wegen Verletzung des einst mit Konstantin dem Großen geschlossenen Vertrags in ihrem Lande an, ohne jedoch zum Kampfe zu kommen, worauf er mit ihnen Frieden schloß. Valentinians Nachfolger Gratian ging 378 angreifend über den Rhein, nachdem er die ins Elsaß eingefallenen Alamannen bei Argentaria geschlagen hatte; gegen die Franken, die 388 den Limes durchbrachen, zog Arbogast 392 mit Erfolg zu Felde; 393 schloß der Kaiser Eugenius mit den Alamannen und Franken vor

o) Zur Geschichte der römisch-germanischen Grenzbeziehungen.

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teilhafte Verträge ab. 396 visitierte Stilicho den Rheinlimes und erneuerte die mit den Germanen geschlossenen Verträge; die Grenzwehr befand sich also damals noch in leidlich gutem Zustande, wenn auch die Erhaltung des Friedens weniger dem Ansehen der römischen Waffen, als römischem Golde zu danken war. Als 401 die Goten Italien bedrohten und Stilicho sich genötigt sah, einen großen Teil der römischen Truppen vom Rhein abzukommandieren, brachen die Wandalen, Alanen und Sweben sowie die Alamannen und Burgunder in Gallien ein (406); doch gelang es dem Kaiser Konstantin III., die Grenze wieder zu sichern, indem er mit den Alamannen, Franken und Burgundern neue Verträge abschloß und die letztgenannten am linken Rheinufer als Föderaten ansiedelte. Wenn auch weiterhin hier die römische Reichsgewalt aufrecht erhalten blieb, so war dies wesentlich das Verdienst des Aetius, der alle Übergriffe der Rheingermanen erfolgreich zurückwies. Sogleich nach dem Tode dieses Staatsmannes ging jedoch das linksrheinische Gebiet dauernd den Römern verloren. In den Donauländern*) wurde der Zusammenbruch der römischen Reichsgewalt eingeleitet durch die Invasion der Hunnen in Europa und die damit in Zusammenhang stehende große ostgermanische Völkerbewegung. Nach der Schlacht bei Adrianopel (378) war die ganze Balkanhalbinsel in den Händen der Goten. 380 erhielten die Östgoten des Alatheus und Safrac, sowie Hunnen und Alanen in Pannonien, 382 die Westgoten in Niedermösien Wohnsitze; diesen Völkern war jetzt der Schutz der Donaugrenze anvertraut, von der die römischen Grenztruppen in der Hauptsache zurückgezogen wurden. 395 zogen die Westgoten von dort ab; römische Truppen übernahmen wieder die Grenzwacht an der Donau. Zu derselben Zeit fielen Markomannen und Quaden in Noricum und Pannonien ein. Stilicho stellte hier die Ruhe bald wieder her; wahrscheinlich hat er damals Teile der Markomannen, die in der Not. dign. in den Ducaten Pannonia I und Noricum ripense erscheinen, angesiedelt. 401 fielen die Wandalen und Alanen in Noricum und Rätien ein; Stilicho bekämpfte sie mit Erfolg und wies ihnen Sitze in den Alpenländern an; doch zogen sie schon wenige Jahre später wieder fort, um in Gallien einzubrechen. 408 räumten auch die pannonischen Goten ihre Sitze. Oberpannonien erscheint seit 409 wieder vollständig in römischem Besitz; Generidus, der als Grenzkommandant hier sowie in Noricum und Rätien fungierte, war bemüht, die Verteidigung zu reorganisieren und den Limes wieder instand zu setzen. Das übrige Pannonien mußte man dagegen den Hunnen überlassen. Erfolgreich für die Aufrechterhaltung der Reichsgewalt war auch Aetius tätig, der durch Vertrag Pannonien von den Hunnen zurückgewann und 430/31 siegreich in Noricum und Raetia II kämpfte. Aber die Früchte dieser Bemühungen gingen wieder ver') Seit 379 gehörte Ostillyricum (Epirus, Obermösien, Dazien, Mazedonien, Achaja) zum oströmischen Reiche.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

loren, als Attila an die Spitze des Hunnenvolkes trat und die beiden römischen Reichshälften völlig unter seinen Einfluß brachte. Um 433 mußte Westrom formell die östlichen Teile Pannoniens abtreten; das oströmische Gebiet am rechten Donauufer ward durch fortwährende Kriegszüge zur Einöde gemacht, die Grenzfestungen fielen der Zerstörung anheim. Als nach Attilas Tode das Hunnenreich zerfiel, wurde die römische Autorität an der Donau wiederhergestellt; die Völker am linken Ufer traten in ein Bündnisverhältnis zum Reiche; die Ostgoten ließen sich in Nordpannonien Land zur Niederlassung unter römischer Oberhoheit anweisen. Splitter anderer Völker fanden gegen die Verpflichtung des Grenzschutzes Aufnahme in Uferdazien, UntermÖsien und in der Dobrudscha. Noricum und Rätien waren auch während der Hunnenherrschaft von den Römern behauptet worden; im Jahre 448 wird ein Präfekt von Noricum erwähnt. Aber bald nachher ist Raetia II von den Alamannen besetzt worden; Ufernoricum östlich der Enns kam unter die Herrschaft der Rugier; nach Innernoricum drängten die Goten von Pannonien aus vor; die Thüringer setzten sich in Passau fest und verheerten gemeinsam mit Alamannen und Herulern den westlich der Enns gelegenen Teil Noricums. Die römische Bevölkerung strömte in den alten Grenzfestungen zusammen, von denen aber eine nach der andern geräumt werden mußte. Es entsprach nur den tatsächlichen Verhältnissen, wenn Odowakar als Vertreter der römischen Reichsgewalt nach Beendigung des Rugischen Krieges die Provinzen nördlich der Alpen offiziell aufgab und den Germanen überließ. Odowakars Rechtsnachfolger Theoderich hat allerdings wieder das rätische Alamannenland sowie die Nordschweiz zu seinem Reiche gezogen; aber nach der Eroberung Italiens durch die Oströmer ist die römische Grenze nicht wieder bis an die Donau vorgeschoben worden. Pannonien würde nach dem Abzüge der Ostgoten (471) im Norden von den Herulern, im Süden (Sirmium) von den Gepiden besetzt. Um 646 ließen sich in Nordpannonien auf Grund eines Vertrages mit dem Kaiser, der hier wieder seine früheren Hoheitsrechte geltend zu machen suchte, die Langobarden nieder. Diese zogen 568 nach Italien, ihr Gebiet den Awaren überlassend; 567 kam Sirmium wieder in kaiserlichen Besitz. Weiter donauabwärts ist der Lauf des Stromes als.Grenze zunächst gegen die Gepiden, nach deren Vernichtung (567) gegen die Awaren u. a. behauptet worden. Dem Schutze der Grenzen hat namentlich Kaiser Justinian besondere Fürsorge angedeihen lassen, wobei er ganz nach den Grundsätzen des früheren Verteidigungssystems verfuhr. Der Sicherung Italiens diente eine die Alpenübergänge sperrende Kette von Kastellen; an der Donau wurde der Festungsgürtel auf beiden Seiten des Stromes erneuert und verstärkt. Die Stellung der Grenztruppen blieb dieselbe wie die der früheren milites limitanei.

f) Die Germanen im römischen Reiche.

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f) Die Germanen im römischen Reiche. J. R o s e n s t e i n , Die germanische Leibwache der jalisch-claudischen Dynastie: Forschungen zur deutschen Geschichte 24 (1884), S. 371 ff. M o m m s e n , Die Konskriptionsordnung der römischen Kaiserzeit: Hermes 19 (1884), S. 1 ff. D e r s e l b e , Das römische Militärwesen seit Diokletian: Hermes 24 (1889), S. 195 ff. B e n j a m i n , De Justiniani imp. aetate quaestiones militares. Berlin 1892. S e e c k , Geschichte des Unterganges der antiken Welt I. 2. Aufl. S. 391 ff., II, 1 ff. Berlin 1897—1901. D e r s e l b e , Das deutsche Gefolgswesen auf römischem Boden: Zeitschr. der Savignystift. f. Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 17 (1896), S. 97ff. H a l b a n , Das römische Recht in den germanischen Volksstaaten I. Breslau 1899. D e l b r ü c k , Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte II. Berlin 1902. S. 259ff. B a n g , Die Germanen im römischen Dienst bis zum Regierungsantritt Konstantins I. Berlin 1906. B r u n n e r, Deutsche Rechtsgeschichte I. 2. Aufl. Leipzig 1906. S. 51 ff. F a b r i c i u s , Das römische Heer in Obergermanien und Rätien: Hist. Zeitschr. 98 (1906), S. 1 ff.

Die überschäumende Kampfeslust der Germanen fand sehr häufig in der Betätigung für die Sache des eigenen Volkes nicht volle Befriedigung, sondern drängte einzelne wie ganze Stämme dahin, in fremde Dienste einzutreten und um klingenden Lohn für fremde Interessen ihre Haut zu Markte zu tragen. Germ. 14 sagt Tacitus: »wenn ihr eigener Stamm in langem Frieden müßig liegt, zieht oft die adelige Jugend hinaus zu dem Volke, das gerade Krieg führt«. Schon bald nach dem Eintritt der Nation in die Geschichte, im Jahre 184 v. Chr., suchte König Philipp V. von Mazedonien die Hilfe der Bastarnen gegen die Dardaner und Römer zu gewinnen; doch gelangte das Unternehmen, zu dem jene 30000 (?) Mann gestellt hatten, nicht zur vollständigen Durchführung. Den ihm für den mazedonisch-römischen Krieg angebotenen Zuzug eines bastarnischen Korps von 20000 Mann verscherzte sich König Perseus durch seinen Geiz (168 v. Chr.). .Zahlreiche bastarnische Söldner kämpften sodann auch unter den Fahnen des Mithradates gegen die Römer (88—64 v. Chr.). Im Dienste der Sequaner zog Ariowist um 71 v. Chr. mit seinen sich fortwährend verstärkenden Scharen über den Rhein. Später kam naturgemäß nur der römische Heerdienst in Betracht. Die Verhältnisse der Zeit vor Konstantin dem Großen sind von denen der späteren Jahrhunderte wesentlich verschieden. Zuerst begegnen uns hier Germanen unter Cäsar (seit 52 v. Chr.). Die damals verwendeten Hilfstruppen setzten sich teils aus Freiwilligen, die um Sold und Kriegsbeute dienten, teils aus den von abhängigen Völkerschaften vertragsmäßig gestellten Kontingenten zusammen, bildeten eigene Abteilungen von beliebiger Stärke, die zum Teil unter der Führung von Stammeshäuptlingen standen, und waren nur für bestimmte Zeiträume und Gelegenheiten eingestellt. Unter Augustus verschwinden diese ephemeren Bildungen und machen festgefügten Truppenkörpern von bestimmter Anzahl (Auxiliar-Kohorten und -Alen) Platz, die aus den reich sangehörigen Stämmen ausgehoben wurden, deren Namen

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

trugen, gewöhnlich von eingeborenen Offizieren befehligt waren und vorwiegend in ihrer Heimat Verwendung fanden. Infolge des Bataweraufatandes (70 n. Chr.) wurden die germanischen Auxilien im Ausland verteilt, nicht mehr aus ihren ursprünglichen Aushebungsbezirken, sondern aus den Provinzen, wo sie gerade standen, ergänzt, also ihres germanischen Charakters allmählich entkleidet. Erst im 2. Jahrhundert, durch Hadrian, wurden wieder Truppenkörper von nationaler Homogenität eingerichtet, die numeri und cunei, leichtbewaffnete Infanterieund Reiterkorps, die aber grundsätzlich nur außerhalb der Provinz Verwendung fanden, aus der sie sich rekrutierten: die Germanen besonders in Britannien, während umgekehrt die Britonen namentlich am obergermanischen Limes stationiert waren. Die nationale Zusammensetzung der germanischen numeri fand auch äußerlich ihren Ausdruck in dem Vorrecht, das diese genossen, nicht die römischen Heeresgötter, sondern ihre eigenen Gottheiten zu verehren. Eine große Rolle spielte das germanische Element in den kaiserlichen Leibwachen. Aus Germanen, und zwar aus reichsangehörigen Stämmen, insbesondere aus Batawern (weshalb sie auch technisch Germani oder Batavi heißen), setzten sich die corpore custodes der julisch-claudischen Dynastie zusammen. Diese waren eine zum persönlichen Schutze des Herrschers und der Mitglieder des Kaiserhauses bestimmte Reitertruppe; in der Mehrzahl aus Freien, nicht, wie früher angenommen wurde, aus Sklaven bestehend, erscheinen sie durchaus als Soldaten. Von Augustus eingerichtet, dann vorübergehend suspendiert, wurden sie unter Galba endgültig aufgelöst. Im 3. Jahrhundert, und zwar seit dem germanenfreundlich gesinnten Kaiser Caracalla, begegnen uns dann wieder ebenfalls zum großen Teil aus Germanen zusammengesetzte Leibwachen, die protectores, die sich allmählich zu einer Pflanzschule des Offizierskorps entwickelten. Verschieden von den Leibwachen ist das in der Zeit von Hadrian bis Severus Alexander nachweisbare hauptstädtische Gardekavallerieregiment der equites singulares, in dem Germanen, freie und römische, und zwar wiederum Batawer, einen erheblichen Prozentsatz ausmachten. Seit Vespasian" treten (reichsangehörige) Germanen in größerer Zahl auch in den Legionen auf, besonders häufig in den beiden germanischen Provinzen selbst sowie in den Donauländern, während sie im Flottendienst und unter den Prätorianern nur in verschwindender Zahl vorkommen. Dazu kamen die früher nur in unbedeutendem Maße, seit Mark Aurel immer häufiger und ausgiebiger herangezogenen, auf Grund besonderer Abmachungen gestellten Hilfstruppen der freien Germanen. Eine wichtige Veränderung trat ein infolge der von Diokletian angebahnten, von Konstantin dem Großen durchgeführten Heeresreform, die in einer Vermehrung der Truppenzahl und in der Scheidung der ganzen Streitmacht in ein kaiserliches Feldheer und in Grenztruppen gipfelte. Hatte sich bisher das reguläre römische Heer im wesentlichen aus Reichsangehörigen, Bürgern und Peregrinen, ergänzt,

f) Die Germanen im römischen Reiche.

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so gewinnt jetzt der Eintritt von Ausländern, dem steigenden Bedarf an Mannschaften und der wachsenden Verschlechterung des verfügbaren inländischen Menschenmaterials gemäß, immer größere Bedeutung. Die Legionen treten an Ansehen zurück hinter den zahlreichen aus (reichsangehörigen und ausländischen) Barbaren formierten Auxilien; »in dieser Epoche gilt jede Truppe um so mehr, j e weiter sie sich von römischer Nationalität und römischer Formation entfernt«. Auch die bevorzugtesten Truppenkörper der scholae palatinae, die von Konstantin d. Gr. eingerichtet und an Stelle der protectores sowie der jetzt aufgelösten Prätorianer für die persönliche Bedeckung des Kaisers bestimmt waren, haben anfänglich vorwiegend aus Germanen bestanden. Infolge dieser höheren Bewertung des Barbarentums erlangten nun zahlreiche freie Germanen Zutritt zu den höheren Militärämtern sowie zu den Zivilämtern, die ihnen bisher verschlossen waren. Die Inhaber solcher Stellen, deren Bekleidung an den Besitz des römischen Bürgerrechts geknüpft war, führen seit dem 4. Jahrhundert den kaiserlichen Geschlechtsnamen Flavius. Nach Konstantin dem Großen war es namentlich Theodosius I., welcher die Germanen zu fördern suchte, ja geradezu verhätschelte. Germanischer Brauch machte sich allenthalben im Heerwesen geltend. Die Schlacht bei Straßburg (357), ein Gefecht mit den Westgoten (377) wurden römischerseits mit dem bekannten germanischen Schildgesang (barritus) eröffnet. Die Ausrufung Julians zum Augustus durch die Truppen war von einer Schilderhebung begleitet. Germanischer Sitte entsprechend, wurden seit dem 5. Jahrhundert auch Sklaven zum Heerdienste zugelassen. Einen erheblichen Einfluß hat namentlich das deutsche Gefolgswesen ausgeübt. Schon die oben erwähnte, von Caracalla eingerichtete Leibwache der protectores war unverkennbar nach germanischem Vorbilde gestaltet. Das gleiche gilt von den bucellarii, den von Privatleuten unterhaltenen Gefolgschaften, die zuerst vereinzelt unter der Regierung der Kaiser Arcadius und Honorius auftauchen, später aber so häufig werden, daß fast alle höheren Offiziere und sehr viele Zivilbeamte von solchen Trabanten umgeben erscheinen. Germanen sind es demgemäß, die seit dem Ende des 4. Jahrhunderts im Westen und zeitweilig auch im Osten die faktische Herrschaft ausüben. Es sei unter anderen an Männer wie Magnentius, Silvanus, Merobaudes, Arbogast, Fravitta, Gainas, Stilicho, Rikimer, Aspar, Theoderich Strabo erinnert. Es entsprach nur den historisch entwickelten Tatsachen, daß Odowakar im Jahre 476 als Führer der in Italien garnisonierenden germanischen Soldtruppen den Scheinkaiser Romulus absetzte und sich zum König der Barbaren und Beherrscher des damals noch übrig gebliebenen Restes des weströmischen Reiches machte. War das römische Heer zuletzt zum großen Teile germanisiert, so hat auch die ansässige Bevölkerung des Reiches nach und nach einen starken Zusatz germanischer Elemente erhalten. Schon infolge der Unterwerfung Galliens durch Cäsar war eine Anzahl germanischer

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

Stämme unter römische Botmäßigkeit gekommen: die Triboker, Wangionen und Nemeter im Elsaß und in der Pfalz. Unter Augustus kamen dazu die Völker zwischen Rhein, Main und Elbe, von denen aber nur die Mattiaker am Taunus, die im Rheindelta ansässigen Batawer, die Kannenefaten und die Friesen für längere Zeit in Reichsuntertänigkeit verblieben, ferner die auf die linke Rheinseite verpflanzten Sugambrer und Ubier, später, bei Einrichtung des obergermanischen Limes, die seit Ariowists Zeiten am Neckar ansässigen Sweben (Suebi Nicretes). Die massenhaften Kriegsgefangenen, die die Römer in den jahrhundertelangen Kämpfen mit den Germanen erbeuteten, fanden, wenn sie nicht sogleich in das Heer eingestellt wurden, als Sklaven, Kolonen, Läten, Gentilen Verwendung. Die Entstehung des K o l o n a t e s ist wahrscheinlich auf eine Maßregel Mark Aurels zurückzuführen. Der Markomannenkrieg und die ihn begleitende Pest hatten große Lücken in die ackerbautreibende Bevölkerung der betreffenden Grenzprovinzen sowie in das Heer gerissen. Der Kaiser verteilte die ihm in die Hände gefallenen Barbaren unter die Grundbesitzer und auf den Domänen (nach germanischem Vorbild?) als Kleinpächter, die an die Scholle gefesselt waren, aber ihre persönliche Freiheit behielten, um im Heerdienst verwendet werden zu können. Ansiedelungen germanischer Kolonen begegnen uns in fast allen Teilen des Reiches, besonders in Gallien, Britannien, den Donauprovinzen und Kleinasien. Den von ihnen gestellten Soldaten war es nicht zum geringsten Teile zu danken, wenn das römische Reich nicht schon früher, als es tatsächlich geschah, dem Ansturm der Barbaren erlag. Höher als die Kolonen standen die L ä t e n , die uns seit dem Ende des 3. Jahrhunderts in Gallien begegnen und wahrscheinlich hauptsächlich aus kriegsgefangenen Franken hervorgegangen sind. Sie waren in geschlossenen Gruppen auf Staatsländereien angesiedelt, standen unter dem Befehle eines Präfekten und waren zu erblichem Kriegsdienste verpflichtet, hatten aber korporative Verfassung und lebten unter sich nach heimischem Rechte. Eine weniger selbständige Stellung nahmen ein die seit dem 4. Jahrhundert in Italien und Gallien auftretenden G e n t i l e n , aus unterworfenen Völkern der Donauländer gebildete Truppenkörper, die, wie es scheint, nicht fest angesiedelt waren, sondern als örtliche Besatzungen dienten. Von großer, folgenschwerer Bedeutung waren in der Epoche des sinkenden römischen Reiches die mit Barbaren eingegangenen Föderationsverträge. Bisher waren solche nur mit den den Grenzen vorgelagerten Stämmen abgeschlossen worden; jetzt wurden derartige Vereinbarungen auf die in das eigentliche Reichsgebiet aufgenommenen Völkerschaften ausgedehnt. Die Föderaten blieben in ihrem nationalen Verbände und lebten unter ihren angestammten Fürsten weiter; das Nationalrecht schloß sie vom Reichsbürgerrecht aus, so daß sie keine Ehe mit römischen Bürgern eingehen durften; sie waren dazu ver-

g) Zur Bevölkerungsstatistik.

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pflichtet, mit ihrem eigenen zugleich das römische Gebiet zu verteidigen, sowie an den Kriegen der Römer sich durch Zuzug zu beteiligen, so oft und so lange es begehrt wurde, und galten als kaiserliche milites; aber ihre Kontingente wurden nicht zum Reichsheere gerechnet und bildeten selbständige Truppenkörper nationaler Formation, deren Befehlshaber die vom Volke selbst, bzw. vom König, nominierten Führer waren. Regelmäßige Rekrutenstellung zum römischen Heere lag ihnen nur ausnahmsweise ob. Diese Völker vermochten so eher das Bewußtsein ihrer Nationalität den Römern gegenüber zu bewahren; das Föderatwesen, wie es in dieser Art zuerst bei den Westgoten Anwendung fand (376), ist daher der Ausgangspunkt jener Entwickelung gewesen, die mit dem Zerfall des Westreichs und der Gründung der römisch-germanischen Königreiche endete.

g) Zur Bevölkerungsstatistik. D a h n , Landnot S. 1 ff. D e l b r ü c k , Der urgermanische Gau u. Staat: Preußische Jahrbücher 81 (1895), S. 471 ff. D e r s e l b e , Gesch. d. Kriegskunst II, 298 ff. r,. S c h m i d t , Gesch. d. d. Stämme 1,46 ff. H o o p s , Waldbäume. S. 495 ff.

Von großer Wichtigkeit auch für die politische Geschichte ist die Frage nach der Volkszahl der Germanen. Leider besitzen wir nur wenige sichere Anhaltspunkte, um eine der Wahrheit nahe kommende Berechnung vorzunehmen. Den von den Griechen und Römern überlieferten Zahlen ist im allgemeinen nur geringe Glaubwürdigkeit beizumessen. Denn diese beruhen nur zum geringsten Teile auf wirklichen Zählungen, in der Hauptsache vielmehr auf Hörensagen oder oberflächlichen Schätzungen. Der Irrtum einer Überschätzung der Anzahl der waffenfähigen Männer konnte aber leicht daraus entstehen, daß die germanischen Volksheere in der Regel von Weibern, Kindern und Sklaven begleitet waren. Ferner lag es nur zu nahe, die häufigen Siege der Germanen mit deren numerischen Überlegenheit zu entschuldigen. Auffallend ist sodann die öftere Wiederkehr gewisser Zahlen, die also von vornherein als verdächtig angesehen werden müssen. Daß selbst Männer wie Cäsar in dieser Hinsicht vor wissentlichen Fälschungen nicht zurückschreckten, hat Beloch *) an dem Beispiele der Helvetier klar nachgewiesen. Es ist daher auch den allgemein gehaltenen Angaben der Geschichtschreiber über die gewaltige Menge und Fruchtbarkeit der Deutschen kein besonderes Gewicht beizulegen2). Es seien hier einige Zahlen angeführt, die als gesichert gelten können 3 ). Die Angabe, daß das Aufgebot des von ') Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt. Leipzig 1886. 8. 45011. *) Cäsar, b. G. 8, 7, 5: quorum multitudo esset infinita. Tac., Germ. 4: in tanto hominum numero. 19: in tarn numerosa gente. Ammian. 28, 5, 9 von den Alamannen : inmanis enim natio . . . . saepius adulescit. *) Ganz unzulässig ist es, auf Grund der zweifellos verkehrten Angabe Cäsars, b. G. 4,1 von den 100 Gauen der Sweben, die je 2000 Bewaffnete stark waren, Berechnungen anzustellen.

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I. Die Germanen als Gesamtvolk.

dem Markomannenkönige Marbod begründeten, aus etwa fünf Stämmen bestehenden Völkerbundes 74000 Mann stark gewesen sei, wird deshalb richtig sein, weil ca. 100000 Mann römische Truppen dagegen ins Feld rückten; auf die Markomannen selbst werden etwa 25000 Mann entfallen. Die Wandalen und Alanen zählten nach dem von Geiserich angeordneten Zensus im Jahre 429 80000 Seelen, also etwa 16000 Krieger, wovon etwa 2/s auf die Wandalen kommen 1 ). Rechnet man die auf der Wanderung erlittenen Verluste und die nicht unbeträchtliche Menge der in den Stammsitzen zurückgebliebenen hinzu, so gelangt man zu dem Schlüsse, daß die Wandalen in der Heimat 80—100000 Köpfe stark gewesen sind. Die Alanen waren nach einem bestimmten Zeugnisse ihren wandalischen Wandergenossen numerisch überlegen, bis sie durch die Westgoten dezimiert wurden (418), werden also auf ca. 100000 Seelen zu schätzen sein ; daraus folgt wieder mit großer Wahrscheinlichkeit, daß ihre westgotischen Besieger damals mindestens über die gleichen Streitkräfte verfügten. Die Alamannen, die Julian mit 13000 Mann besiegte, werden kaum viel stärker als die Römer gewesen sein. Das aus dem Gros der Westgoten sowie aus ostgotischen und alanischen Hilfstruppen zusammengesetzte Heer, das bei Adrianopel siegte, zählte wahrscheinlich nicht mehr als 15000 Mann. Es sind also verhältnismäßig niedrige Ziffern, die sich aus diesen Beispielen ergeben; mit größeren Zahlen dürfen wir in der Regel nur bei den aus mehreren Einzelstämmen gebildeten Völkerbünden 2 ) rechnen. Über die Bevölkerungsdichtigkeit Galliens im 1. Jahrhundert v. Chr. besitzen wir einen zuverlässigen Anhaltspunkt in dem Zensus, den Cäsar mit den Helvetiern vornehmen ließ; es ergeben sich hieraus etwa 440 Menschen auf die Quadratmeile. Die Besiedelung Germaniens muß also, den niedrigeren Kulturverhältnissen entsprechend, erheblich geringer gewesen sein und kann kaum mehr als 300—350 Köpfe auf die Geviertmeile betragen haben. Wie in Gallien war natürlich auch hier die Bevölkerung sehr ungleich verteilt, und in einzelnen Gegenden wird diese Durchschnittsziffer wesentlich überschritten worden sein, wie sich auch aus den Funden ergibt. Die Zahl aller Germanen zur Zeit Cäsars annähernd zu schätzen, stößt auf große Schwierigkeiten, da der Umfang des von diesen damals besetzten Gebietes nicht näher sich bestimmen läßt; doch dürfte dieselbe schwerlich höher als auf 5—6 Millionen zu veranschlagen sein. ') Vgl. darüber zuletzt meine Ausführungen in der Byzantinischen Zeitschrift 15 (1906), S. 620 ff. *) Als solche sind in gewissem Sinne auch die Gepiden, Heruler, Langobarden, Goten in späterer Zeit zu betrachten, da diese sich auf der Wanderung durch Aufnahme anderer Elemente in den Volksverband erheblich verstärkt haben.

II. Die germanischen Einzelstämme. A. Allgemeines: Die Gruppierung der Stämme. Literatur: K o s s i n n a , Indog. Forsch. VII, 276ff. (vgl. oben S. 18). L ö w e , Die ethnische und sprachliche Gliederung der Germanen. Halle 1899. B r e m e r , Ethnogr. S. 69ff. M ö l l e n h o f f , D. A. I V , 116ff. M u c h , Stammesk. S. 70. L. S c h m i d t , Gesch. d. d. St. I, 30ff. B r u n n e r , Reehtsgesch. I \ 36ff. Vgl. B e t h g e S. 554 ff.

Iii der Naturgeschichte 4, 99 teilt Plinius die Germanen in fünf Gruppen ein: in Vandili, zu denen die Burgunder, Wariner, Chariner, Gutonen gezählt werden, Ingwäonen (Kimbern, Teutonen, Chauken), Istwäonen am Rhein (Sicambrer), Herminonen im Binnenlande (Sweben, Hermunduren, Chatten, Cherusker) sowie die Peucini-Basternae 1 ). An anderer Stelle nennt derselbe noch die Hilleviones, wie es scheint ein Gesamtname für die skandinavischen Stämme. Unklar und einander widersprechend sind die Angaben des Tacitus über die Gliederung der Germanen. Dieser teilt einmal in der Germania a l l e Germanen ein in Sweben und Nichtsweben, indem er wahrscheinlich unter den ersteren die vor der Erhebung des Arminius freien Völkerschaften versteht. Außerdem erwähnt er eine germanische Sage von einer erdgeborenen Gottheit Tuisto, deren Sohne Mannus und dessen drei Söhnen, nach welchen letzteren die germanischen Hauptstämme der Ingaevones (am Meere), der Herminones (im Binnenlande) und der Istaevones benannt waren, und daneben noch eine andere Version, der zufolge die Germanen in Marsen, Gambrivier, Sweben und Wandilier zerfielen (Germ. c. 2). Die Wandilier sind aus Plinius bekannt; die Marsen nebst den ihnen nahe verwandten Gambriviern, d. i. Sugambrern, sowie die Sweben stehen wahrscheinlich für die Istävonen und Herminonen als deren Hauptvölker. Nur kurz werden die Herminonen auch von Mela 3, 32 und die Ingwäonen (Guionen?) von Pytheas (s. oben) erwähnt. Daß die Angabe des Plinius nicht gelehrten Ursprunges ist, sondern aus germanischer Quelle stammt, kann bei den trefflichen Informationen dieses Autors als ausgemacht ') Germanorum genera quinque: Vandili, quorum pars Burgodiones, Varinnae, Charini (1. Charii), Gutones; alterum genus Ingyaeones, quorum pars Cimbri, Teutoni ac Chaucorum gentes. Proximi autem Rheno Istvaeones, quorum pars Sicambri; mediterranei Hermiones, quorum Suebi, Hermunduri, Chatti, Cherusci. Quinta pars Peucini, Basternae (nach der Textrezension Detlefsens). S c b m i 9 1 , Geschichte der germanischen Völker.

4

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II. Die germanischen Einzelstimme.

gelten; daß aber die Germanen selbst ohne realen Grund zur Aufstellung einer solchen Gruppierung gekommen sein sollten, ist ganz undenkbar. Zahlreiche Beispiele aus der Zeit der Völkerwanderung lehren, daß das Gefühl der Verwandtschaft, der engeren Zusammengehörigkeit auch nach langjähriger Trennung bei den einzelnen Stämmen sich frisch und kräftig erhalten hat. Berücksichtigen wir nun, daß die deutschen Ostgermanen von den Skandinaviern, die Bastarnen wahrscheinlich wiederum von jenen in historisch erkennbarer Zeit sich abgezweigt haben (vgl. oben), so kämen wir auf eine in die Urzeit zurückreichende Gliederung in vier Stämme: Ingwäonen, Istwäonen, Herminonen und Nordgermanen (Hillevionen?). Die Götternamen Ingo, Isto, Hermino, die die Sage bei Tacitus voraussetzt, sind offensichtlich Abstraktionen aus den Volksnamen, wie der Vergleich mit anderen Ethnogonien, besonders den griechischen, zeigt. Der weitere Entwicklungsgang vollzog sich nun in der Weise, daß von jenen ältesten politischen Bildungen sich einzelne Volksteile ablösten und zu selbständigen Staaten erwuchsen. Diese letzteren blieben häufig noch miteinander in engerer Verbindung, indem sie eine Kultgenossenschaft (Amphiktyonie) bildeten. In historischer Zeit waren zu solchen sakralen Verbänden vereinigt die civitates der ostgermanischen Lugier, der ingwäonischen Nerthusvölker, der herminonischen Sweben, die istwäonischen Völkerschaften, deren Heiligtum sich bei den Sugambrern (Marsen) befand. Neben solchen in der Hauptsache auf Blutsverwandtschaft begründeten Vereinigungen finden wir schon frühzeitig auf freiwilligem oder erzwungenem Zusammenschluß beruhende Bündnisse einander nicht näher stehender Völker lediglich zu politischen Zwecken unter der Herrschaft eines mächtigeren Stammes. Letztere treten besonders während der Völkerwanderung hervor und sind der Ausgangspunkt einer bedeutenden Umwälzung in den deutschen Stammesverhältnissen geworden. Die neuen großen Stämme, in die sich nunmehr die Germanen gliederten, stellen zum großen Teile Gebilde dar, bei deren Entstehung zwar verwandtschaftliche Verhältnisse mitgewirkt, äußere Momente aber, politische Notwendigkeit und nachbarliche Beziehungen, einen entscheidenden Einfluß ausgeübt haben.

B.

Die Ostgerinanen.

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B. Die Ostgermanen. Daß die Zusammenfassung einer Anzahl ostdeutscher Germanenstämme zu einer besonderen ethnographischen Gruppe auf deren Abkunft aus Skandinavien sich gründet, wurde schon oben ausgeführt. Die engere Zusammengehörigkeit der Ostgermanen findet namentlich in der germanischen Ethnogonie ihren Ausdruck, wenn auch der Name Wandilen als Gesamtname schwerlich bei jenen selbst heimisch gewesen, sondern wahrscheinlich analog der späteren Anwendung des Gotennamens von dem Einzelstamme der Wandalen (Lugier) durch deren westgermanische Nachbarn auf die übrigen Völker der Gruppe übertragen worden ist. Dazu kommen die Zeugnisse der Byzantiner Prokop (bell. Vand. 1, 2 ; bell. Goth. 1, 1. 3, 2) und Agathias (1, 3), die die Ost- und Westgoten, Wandalen, Gepiden, Rugier, Skiren, Alanen (d. h. die germanisierten Wandergenossen der Wandalen) und Burgunder als näher einander verwandte (»gotische«) Völker bezeichnen, und die um so wichtiger sind, als zu der Zeit, aus der sie stammen, die Ostgermanen sich längst voneinander getrennt hatten.

1. Die Bastarnen. Literatur: Z e u ß , Die Deutschen und die Nachbarstämme. München 1837. S. 127ff. S e h m s d o r f , Die Germanen in den Balkanländern. Leipzig 1899. S. 2ff. S t ä h e i i n , Der Eintritt der Germanen in die Geschichte: Festschrift für I'lüß. Basel 1905. S. 56ff. M ö l l e n h o f f D. A. I I ' , 10411.

Die ältesten nachweisbaren Sitze der Bastarnun (Basternen) lagen am Nord und Ostabhange der Karpathen, die noch auf der römischen Reichskarte (Tabula Peuting.) als Alpes Bastarnicae erscheinen. Von hier aus hat sich das Volk um die Wende vom 3. zum 2. vorchristlichen Jahrhundert bis zum Schwarzen Meere ausgebreitet; ein Fragment des griechischen Geographen Demetrius von Kallatis (um 2 0 0 v. Chr.) nennt die Bastarnen »Ankömmlinge«; am Pontus. Sie zerfielen in mehrere Unterstämme, von denen die Atmonen, Sidonen (an der oberen Weichsel) und besonders die Peucinen (die Bewohner der Donauinsel Peuce) genannt werden 1 ). Die letzteren, mit denen die Römer zumeist in Berührung kamen, werden häufig mit dem ganzen Volke identifiziert. Im Vereine mit den Skiren bedrängten sie um 190 v. Chr. die Griechenstadt Olbia; in dem berühmten Psephisnia dieser Stadt treten sie unter dem Namen Galater auf 2 ). ') Noch andere Völkernamen sacht M u c h (Beiträge z. Gesch. d. deutsch. •Sprache 27, 39 ff.) für die Bastarnen aus Ptolemäus gewinnen, aber ohne Berechtigung. *) N i e s e , Geschichte der griechischen und mazedonischen Staaten. III, Gotha 1903. S. 30 hält sie deshalb für Kelten; doch steht ihre germanische Abkunft außer allem Zweifel, vgl. namentlich M ü l l e n h o f f a. O. 4•

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II. Die germanischen Einzelstämme.

Kurz darauf scheinen sie sich auch weiter östlich in der Walachei festgesetzt zu haben. In den Jahren 184 und 182 v. Chr. verhandelte König Philipp V. von Mazedonien mit ihnen wegen eines Bündnisses; es ward vereinbart, daß die Bastarnen zunächst die Dardaner jenseits der Donau vertreiben und sodann die Römer in Italien angreifen sollten. Aber erst drei Jahre später, unter Philipps Nachfolger Perseus, setzten sich die Bastarnen unter der Führung des C o t t o gegen die Dardaner in Bewegung (179). Nachdem sie im Kampfe mit den Thrakern erhebliche Verluste erlitten, wandte sich ein Teil nach der Heimat zurück, während die übrigen, angeblich 30000 Mann stark, unter C l o n d i c u s sich im Lande der Dardaner festsetzten. Von den Römern, an die sich die bedrängten Dardaner um Hilfe gewandt hatten, zur Verantwortung gezogen, leugnete Perseus jeden Anteil an der bastarnischen Expedition ab. Bald darauf gewannen die Dardaner aus eigener Kraft die Oberhand und trieben die Feinde wieder aus ihrem Lande hinaus (Winter 175); beim Übergange über die zugefrorene Donau büßten zahlreiche Bastarnen ihr Leben ein. Im Jahre 168 v. Chr. war Clondicus wiederum bereit, mit 20000 Mann in mazedonische Dienste zu treten, und erschien an der mazedonischen Grenze; aber die Verhandlungen scheiterten an der Knauserei des Perseus, der infolgedessen bei Pydna den Römern erlag. Für geraume Zeit verschwinden nun die Bastarner aus der Geschichte, bis sie wieder unter den Soldtruppen des pontischen Königs Mithradates auftreten (zum ersten Male im Jahre 88 v. Chr.). Sie zeichneten sich durch ihre große Tapferkeit aus; namentlich waren sie bei der Belagerung von Kalchedon im Jahre 74 in hervorragender Weise beteiligt. In dem Verzeichnis der Völker, über die Pompejus nach der endlichen Niederwerfung des Mithradates im Jahre 61 triumphierte» werden daher auch die Bastarnen aufgeführt. Aber schon um 60 v. Chr. brachten sie, von den pontischen Griechenstädten gegen die Bedrückungen der Römer zu Hilfe gerufen, dem Statthalter von Mazedonien C. Antonius eine Niederlage bei. Nach dem Zerfalle des Reiches der Daker, unter deren Botmäßigkeit sie längere Zeit standen, griffen sie wieder südlich der Donau um sich. Im Auftrage Octavians zog M. Licinius Crassus gegen sie zu Felde und besiegte sie zweimal, in den Jahren 29 und 28 v. Chr., wobei ihr König D e l d o den Tod fand. Die Sidonen, die sich damals im oberen Waagtal festgesetzt zu haben scheinen, wurden im Jahre 14 v. Chr. von M. Vinicius angegriffen und unter römische Botmäßigkeit gebracht. Von einer Unterwerfung des ganzen Stammes konnte freilich keine Rede sein; auch Augustus, der die Donaulinie zur Reichsgrenze machte, sagt auf dem Monumentum Ancyranum nur, daß die Fürsten der Bastarnen seine Freundschaft nachsuchten. Unter Tiberius bedrohten Bastarnen wieder die römische Grenze; aber zur Zeit Neros erlitt die Machtstellung des Volkes durch das Vordringen der Jazygen eine wesentliche Schmälerung, die nur durch das Eingreifen der Römer etwas vermindert wurde. Die Südwanderung der Goten scheuchte auch die Bastarnen auf und

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B. Die Ostgermanen.

trieb sie gegen das römische Gebiet; doch ist über ihre Beteiligung an den gewaltigen Kämpfen, die wir unter dem Namen des Markomannenkrieges zusammenzufassen pflegen, nichts genaueres überliefert. Sicher bezeugt ist ihre Teilnahme an den gotischen Raubzügen der Jahre 248 und 269 (S. 83, 85). Von den Goten aus den schon damals wesentlich eingeschränkten Sitzen vertrieben, trat der größte Teil dés Volkes (100000 Köpfe stark) im Jahre 280 und ein letzter Rest 295 auf römisches Gebiet über und wurde in Thrazien angesiedelt. Damit verschwinden die Bastarnen aus der Geschichte; ihre späteren Erwähnungen bei einigen Dichtern sind nichts weiter als poetische Zutaten. Fürsten: Cotto (179); Clondicus (179—168); Deldo ( f 2 9 v. Chr.).

2. Die Völkergrappe der Lugier. Literatur: Z e u ß, S. 442ff. P a p e n c o r d t , Geschichte der vandalischen Herrschaft in Afrika. Berlin 1837. G a u p p , Die germanischen Ansiedlungen und Landteilungen. Breslau 1844. S. 432 ff. D a h n , Die Könige der Germanen I. Würzburg 1861. S. 140ff.; d e r s e l b e , Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker I. 2. Aufl. Berlin 1899. S 147ff. « H o d g k i n , Italy and her invaders II. 2. Aufl. London 1892. G ö r r e s , Kirche und Staat im Wandalenreiche 429—534: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 10 (1893), S. 14 ff. B r e m e r , Ethnographie. S. 89f. H a l b a n , Das römische Recht in den germanischen Volksstaaten I. Breslau 1899. S. 60ff. S c h ü c k i n g , Der Regierungsantritt. I. Leipzig 1899. S. 23ff. M ü l l e n h o f f , D. A. IV, 484ff. Ludw. S c h m i d t , Geschichte der Wandalen. Leipzig 1901; d e r s e l b e , Gesch. d. deutsch. Stilmme I, 354ff. M a r t r o y e , Genseric. Paris 1907.

a) A l t e s t e G e s c h i c h t e b i s z u r G r ü n d u n g afrikanischen Wandalen reiches.

des

Die Lugier bildeten zur Zeit des Tacitus eine Kultgenossenschaft, an deren Spitze das Volk der Naharvalen 1 ) stand und zu der die sonst nicht weiter bekannten Harier (die plinianischen Charii?), Helvaeonen, Manimer und Helisier, ferner die Buren und Asdingen 2 ), wahrscheinlich auch die Lakringen und Viktofalen gehörten. Der Stamm, aus dem diese Einzelvölker hervorgegangen sind, scheint in ältester Zeit den Namen Wandalen geführt zu haben, worauf auch die nordjütischen Wendlas hindeuten; dieser Name ist nach Auflösung des sakralep Verbandes auf das führende Volk, die NaharvalenSilingen, und die Asdingen übergegangen. Die ältesten Sitze des lugischen Urvolkes in Deutschland befanden sich an der Küste der Ostsee; die Wandersagen der Langobarden und der Goten wissen ') Wohl identisch mit den zuerst von Ptolemäus genannten Silingen, in deren Gebiete der noch bei den Slawen geheiligte Zobtenberg lag. Silingen ist der eigentliche Volksname, Naharvalen der hieratische Name. ') Asdingen (Hazdingen) hieß eigentlich nur das Herrscherhaus; wie das Volk selbst sich nannte, ist unbekannt. An die Viktofalen (so M ü l l e n h o f f und M u c h ) ist nicht zu denken.

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II. Die germanischen Einzelstämme.

von heftigen Kämpfen zu erzählen, die diese beiden Völker nach der Ankunft aus Skandinavien mit den »Wandalen» zu bestehen hatten. In geschichtlicher Zeit erscheinen die Lugier im Besitze des weiten Gebietes zwischen Sudeten und Weichsel; näher bestimmbar sind die Sitze der Silingen (der spätere pagus Silensis: Kreise Breslau, Schweidnitz, Nimptsch 1 ) und der Buren (an den Quellen der Oder und Weichsel). Um Christi Geburt waren sie Zugehörige des großen, von Marbod gegründeten germanischen Völkerbundes. Wohl hauptsächlich den Buren sind die Lugier zuzuzählen, die im Jahre 50 n. Chr. sich an der Vertreibung des Swebenkönigs Vannius beteiligten. In den Jahren 86—89 lagen sie im Kampfe mit den benachbarten Markomannen und Quaden und wurden dabei von den Römern unterstützt. Der durch die Abwanderung der Goten (mittelbar) veranlaßt« Aufbruch eines Teiles der Burgunder (Mitte des 2. Jahrhunderts) wurde für die Lugier verhängnisvoll. Die Kultgenossenschaft löste sich auf; einzelne Abteilungen schlössen sich den Burgundern an und zogen mit diesen später nach Westen weiter; andere drängten nach Ungarn und Mähren vor, wiederum die dort siedelnden, der römischen Grenze vorgelagerten Völkerschaften in Aufruhr versetzend. Die Lakringen erschienen etwa im Jahre 169 an der römischen Grenze und wurden als Föderaten im nördlichen Dazien angesiedelt. Das gleiche fand wohl mit den Viktofalen statt, die in der nächsten Zeit nicht wieder hervortreten, .im 4. Jahrhundert aber im Besitze eines Teiles von Siebenbürgen sich befinden. Die Buren, die damals ihre Sitze bis ins obere Marchtal vorgeschoben zu haben scheinen, wurden im Jahre 171 vom Kaiser Mark Aurel unterworfen. Ungefähr zu derselben Zeit ließen sich die Asdingen unter Raus und Raptus im Gebiet der Kostoboken an der oberen Theiß nieder und traten, nachdem sie durch die benachbarten Lakringen eine empfindliche Schlappe erlitten, in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Rom. In dem Frieden, der den sog. Markomannenkrieg abschloß (180), wurden die Beziehungen dieser Völker zueinander und zu Rom fest geregelt. Die Buren verschwinden fortan aus der Geschichte; sie sind wohl unter den Nachbarvölkern oder unter den später nachrückenden Herulern aufgegangen. Die durch den Markomannenkrieg neu gewonnene geographische Kenntnis Deutschlands spiegelt sich in der Angabe des Cassius Dio wieder, daß die Elbe in den >Wandalischen (d. h. silingischen) Bergen« (Riesengebirge) entspringe, während bisher die Moldauquelle mit dem Ursprünge der Elbe identifiziert wurde. Um die Mitte des 3. Jahrhunderts haben auch die silingischen Wandalen und andere lugische Scharen im Gefolge der Burgunder ihre Heimat verlassen. In den siebziger Jahren treten sie am mittleren Main auf; von hier aus fielen sie in das römische Gebiet, namentlich in Rätien ein, wurden aber von Kaiser Probus 278 geschlagen. — Die Asdingen haben sich in ihren neu gewonnenen Sitzen an der ') P a r t s c h , Schlesien I. Breslau 1896. S. 32. 330.

B. Die Ostgermanen.

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oberen Theiß für längere Zeit behauptet. Im Jahre 24$ nahinen sie an der gotischen Expedition nach Mösien teil (S. 83); 270 fielen sie unter der Führung zweier nicht genannter Könige gleichzeitig mit den Sarmaten in Pannonien ein, wurden aber vom Kaiser Aurelian geschlagen und zur Stellung von Hilfstruppen, deren Überbleibsel die in der Not. dign. erwähnte ala VIII Vandilorum ist, genötigt. Im Bestreben, ihr Gebiet zu erweitern, stießen die Wandalen sowohl mit den Westgoten wie mit den Sarmaten zusammen (ca. 280— 290); doch scheinen die Goten die Oberhand behalten zu haben. Die Grenzstreitigkeiten zwischen den Goten und Wandalen setzten sich bis ins 4. Jahrhundert fort und führten schließlich zu einer großen Entscheidungsschlacht, in der die letzteren eine große Niederlage erlitten, und ihr König W i s u m a r getötet wurde. Diese Kämpfe haben das Volk so geschwächt, daß es für längere Zeit aus der Geschichte verschwindet. (In jene Periode dürfte die Bekehrung der Wandalen zum arianischen Christentum fallen.) Um 400 hatte ihre Zahl wieder »im soviel zugenommen, daß das Land an der Theiß nicht mehr zur Ernährung aller ausreichte, und der größere Teil unter der Führung des asdingischen Königs G o d i g i s e l sich zur Auswanderung entschloß. Im Jahre 401 erschienen sie im Verein mit den Alanen in Noricum und Rätien, wahrscheinlich mit der Absicht, bis nach Italien vorzudringen, wurden aber von Stilicho geschlagen und als Föderaten in den Alpenländern angesiedelt. Die Erhebung der Westgoten hatte die Zurückziehung der römischen Truppen von der Donau- und Rheingrenze nötig gemacht; infolgedessen setzten sich die Wandalen und (pannonischen) Alanen, denen sich weiterhin auch die Quadensweben anschlössen, wenige Jahre später gegen das unbeschützte Gallien in Bewegung. Die schon von Zeitgenossen aufgestellte Behauptung, daß eine Berufung durch Stilicho den Anlaß gegeben, ist dagegen zweifellos eine Verleumdung. Am Main stießen zu den verbündeten Germanen noch die silingischen Wandalen. Nach heftigen verlustreichen Kämpfen mit den Franken, die als römische Föderierte die Rheingrenze bewachten, gelang es ihnen, den Übergang über den Rhein zu erzwingen (bei Mainz): am letzten Tage des Jahres 406 überschritten die ersten Scharen — die asdingischen Wandalen unter Führung von Godigisels Sohn G u n derich — den wahrscheinlich zugefrorenen Strom. Verheerend ergoß sich die Flut der Einwanderer über ganz Gallien; der Gegenkaiser Konstantin (III.), der im Jahre 407 von Britannien nach dem Festlande übersetzte und im südlichen Frankreich mit den Wandalen zusammenstieß, trug zwar einige Erfolge über die Feinde davon, vermochte aber nicht sie völlig niederzuwerfen. Da ihre Lage hier für die Dauer nicht gesichert erschien, benutzten die vier Völker die günstige Gelegenheit, die sich ihnen durch die Nachlässigkeit der römischen Truppen in der Bewachung der Pyrenäenpässe bot, um im Herbst 409 in die blühenden Gefilde der iberischen Halbinsel einzubrechen. Zwei volle Jahre zogen sie verheerend, vornehmlich in den westlichen

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II. Die germanischen Einzelstämme.

und südlichen Provinzen, umher, ohne sich irgendwo festzusetzen; erst als dort Hungersnot und Seuchen ausbrachen und dadurch ihre eigene Existenz bedroht erschien, wurden sie zu friedlicherem Verhalten bewogen. Sie schlössen im Jahre 411 einen Vertrag mit dem Kaiser, demzufolge sie als Föderaten Land zur Niederlassung empfingen. Die Verteilung der Provinzen, in denen die einzelnen Völker angesiedelt werden sollten, erfolgte durch das L o s : den Asdingen und Sweben fiel Galicien zu, während die Silingen Baetica und die Alanen, das numerisch stärkste Volk, Lusitanien und Carthaginiensis erhielten. Vermutlich fand eine Landteilung mit den römischen Grundbesitzern statt. Der so geschaffene Frieden ist jedoch nicht von langer Dauer gewesen; die kaiserliche Regierung hat ihn offenkundig nur als vorübergehenden Zustand angesehen. Bereits im Jahre 416 erschien der westgotische König Wallia mit einem starken Heere in Spanien, um im Namen des Kaisers das Land von den Barbaren zu befreien. Zunächst wurden die Silingen angegriffen und in wiederholten Kämpfen fast völlig aufgerieben (418); ihr König Fredbai mußte als Gefangener nach Italien wandern. Auch die Alanen, gegen die Wallia nunmehr vorging, wurden empfindlich geschlagen und dermaßen geschwächt, daß das Volk nach dem Tode seines Königs Addac beschloß, kein eigenes Oberhaupt wieder zu wählen, sondern sich den asdingischen Wandalen anzuschließen, deren Könige fortan den Titel reges Vandalorum et Alanorum führten (418). Vor dem ihnen gleichfalls drohenden Schicksale der Vernichtung blieben jedoch die Asdingen und Sweben durch die Abberufung Wallias (Ende 418) bewahrt. Die ersteren griffen nun mächtig um sich; sie wandten sich zunächst gegen ihre swebischen Nachbarn, die sich wieder dem Kaiser genähert hatten, und brachten diese in"den Bergen Cantabriens in große Bedrängnis, aus der sie nur durch ein zu Hilfe eilendes römisches Heer befreit wurden (419). Zum Abzüge nach Baetica genötigt, stießen die Wandalen 421 oder 422 mit einem starken römischen Heere unter Castinus zusammen, erfochten aber infolge der Treulosigkeit der auf kaiserlicher Seite kämpfenden westgotischen Truppen einen glänzenden Sieg. Dieser Erfolg steigerte die Macht und den Expansionstrieb der Wandalen in hohem Grade. Zu ihrer später so gefürchteten Seemacht haben sie damals den Grund gelegt; wir vernehmen, daß sie im Jahre 425 die Balearischen Inseln und die Küste Mauretaniens heimsuchten. Zu derselben Zeit fielen auch Carthagena und Sevilla, die letzten Bollwerke der Römer in Südspanien, in ihre Gewalt. Drei Jahre später starb Gunderich, der seit 406 über die Wandalen geherrscht hatte, und ihm folgte sein Halbbruder G e i s e r i c h 1 ) ') Eigentlich Geisarix (got. Gaizareiks), vgl. W r e d e , Uber die Sprache der Wandalen. Straßburg 1886. S. 56ff. Für Gensirix K a u f f m a n n in der Zeitschrift für deutsche Philologie 33 (1901), S. l f f . , und B r u n n e r , Deutsche Rechtsgeschichte I ' , 62 N. 2; doch ist das n erst unter romanischem Einfluß hereingekommen (vgl. Transamundus); das Wortspiel mit gens im Liber genealogus beweist also nichts für die Richtigkeit dieser Form.

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(geboren um 400, der Sohn Godigisels und einer Sklavin), eine der glänzendsten Gestalten der Völkerwanderungszeit, auf den Thron (428). Ein Jahr nach seinem Regierungsantritt führte Geiserich sein Volk nach Afrika hinüber. Es war dies ein Unternehmen, dem dieselben politischen Erwägungen zugrunde lagen, wie sie vorher für die Westgotenkönige Alarich und Wallia maßgebend gewesen waren: die Beherrscher jener Provinz, der der Hauptanteil an der Getreideversorgung Italiens zukam, hatten das Schicksal des römischen Westreichs in ihrer Hand, befanden sich aber selbst, wenn ihnen eine tüchtige Kriegsflotte zur Verfügung stand, in einer fast unangreifbaren Position. Den direkten Anlaß gaben die zu jener Zeit in Afrika herrschenden Wirren, die Aufstände der Mauren, die revolutionären Erhebungen der arg bedrückten Kleinbauern (Circumcellionen) und der kirchlichen Sekten, besonders der Donatisten, ferner die überall zutage tretende Schwäche des römischen Verteidigungssystems und endlich ein Konflikt, der damals zwischen dem Militärgouverneur von Afrika, Bonifatius, und der kaiserlichen Regierung ausgebrochen war. Die bekannte Erzählung, daß Bonifatius selbst die Wandalen ins Land gerufen habe, um sich wegen erlittener Kränkungen zu rächen, ist dagegen eine Fabel, die erst in römischen Quellen späterer Zeit auftritt und erfunden worden ist, um die wahren Gründe zu verschleiern. 1 ) Der Übergang fand statt bei Julia Traducta, jetzt Tariia, im Mai 429. Kurz vor der Einschiffung kehrte der Wandalenkönig noch einmal zurück und schlug die Sweben, die, den Abzug ihrer Feinde sich zunutze machend, in Lusitanien eingefallen waren, in einer blutigen Schlacht bei Merida aufs Haupt. Nach einer glaubwürdigen Angabe zählte das Volk Geiserichs damals rund 80000 Seelen, d. h. etwa 15000 waffenfähige Männer. Diese Masse setzte sich aus Wandalen, Alanen und westgotischen Volkssplittern, die einst in Spanien zurückgeblieben waren, zusammen 2 ). b) D a s w a n d a l i s c h e R e i c h in A f r i k a . Auf ernstlichen Widerstand stießen die Germanen in Afrika erst, als sie im Jahre 430 in Numidien einzogen: Bonifatius stellte sich ihnen hier mit einigen zusammengerafften Truppen entgegen, wurde aber geschlagen. Nun war das flache Land völlig den Feinden preisgegeben; nur einige Festungen, Hippo regius (jetzt Bone), Cirta (Constantine) und Karthago wurden von den Römern behauptet. Da es den in der Belagerungskunst unerfahrenen Barbaren nicht möglich war, diese Stützpunkte zu nehmen, und die Römer inzwischen zur ') Vgl. F r e e m a n n , Aetius and Boniface: Western Europe in the 5. Century (London 1904) 8. 305ff. L. S c h m i d t , Bonifatius und der Ubergang der Wandalen nach Afrika: Hiat. Vierteljahrsschrift II, (1899), S. 449ff. D e r s e l b e , Zur Geschichte der Wandalen : Byzantinische Zeitschrift 12 (1903), S. 601 ff. ') Vgl. L. S c h m i d t , Zur Frage nach der Volkszahl der Wandalen: Byzant. Zeitschrift 15 (1906), S. 620 f.

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See Verstärkungen unter Aspar nach Karthago hereinbrachten, entschloß sich Geiserich nach schweren Verlusten, mit dem Kaiser in Friedensunterhandlungen einzutreten. Am 11. Februar 435 wurde zu Hippo mit dem kaiserlichen Unterhändler Trigetius ein Vertrag abgeschlossen, demzufolge die Wandalen als Föderaten in die Dienste des Reiches traten und im prokonsularischen Numidien (Hauptstadt Hippo) angesiedelt wurden, vermutlich nach derselben Form, wie früher in Spanien; eine förmliche Gebietsabtretung fand also auch hier nicht statt. Geiserich hat aber die geschaffenen Verhältnisse ohne Zweifel nur als Provisorium betrachtet; nachdem er erst seine Kräfte wieder einigermaßen konsolidiert hatte, spielte er sich als völlig selbständigen Herrscher in dem ihm zugewiesenen Gebtete auf. Zu den KompetenzÜberschreitungen, die er sich erlaubte, gehörte die von ihm verfügte Absetzung einer Anzahl orthodoxer Geistlicher, die der Abhaltung arianischen Gottesdienstes Schwierigkeiten zu bereiten versucht hatten. Wandalische Piraten fuhren auf dem Mittelmeer umher und plünderten sogar die Küsten Siziliens (437). Am 19. Oktober 439 aber überfiel Geiserich unvermutet Karthago und brachte diese Stadt ohne Schwertstreich in seine Gewalt. Eine allgemeine Plünderung folgte der Besetzung, wobei es naturgemäß nicht ohne Gewalttätigkeiten abging, wenn auch von einer mutwilligen Zerstörung oder Beschädigung einzelner Gebäude nicht die Rede sein kann. Die hier wohnenden katholischen Kleriker und Adeligen traf das Los der Verbannung oder der Knechtschaft; sämtliche innerhalb sowie einige außerhalb der Stadt gelegenen Gotteshäuser wurden für den orthodoxen Gottesdienst gesperrt und mit dem Kirchenvermögen der arianischen Geistlichkeit überwiesen. Mit der Besitzergreifung Karthagos war das Schicksal des ganzen römischen Afrikas entschieden. Um durch fortwährende Beunruhigung, namentlich aber durch Wegnahme der nunmehr für die Kornversorgung Italiens hauptsächlich in Betracht kommenden Inseln Sardinien und Sizilien das Westreich in den Zustand dauernder Hilflosigkeit zu versetzen und an etwaigen Wiedereroberungsversuchen zu hindern, rüstete Geiserich im Frühjahr 440 im Hafen von Karthago eine starke Flotte aus. Obwohl umfassende Verteidigungsmaßregeln angeordnet worden waren, landeten die Wandalen, ohne Widerstand zu finden, auf Sizilien und streiften dort sengend und brennend umher, kehrten aber noch in demselben Jahre 440 auf die Nachricht von dem Herannahen einer byzantinischen Hilfsexpedition nach Afrika zurück. Die angekündigte griechische Flotte erschien nun zwar 441 in den sizilischen Gewässern; die Führer derselben verbrachten aber die Zeit ihrer Anwesenheit mit nutzlosem Zaudern, und als die Perser ünd die Hunnen in die von Truppen entblößten Grenzlande einfielen, wurde die ganze Streitmacht, ohne das Geringste ausgerichtet zu haben, wieder zurückberufen. Unter diesen Umständen sah sich der weströmische Kaiser genötigt, mit Geiserich Frieden zu schließen, dessen

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Herrschaft als eine selbständige offiziell anzuerkennen; es heißt in den Quellen, daß Afrika zwischen den beiden Mächten geteilt worden sei. Die besten Stücke des Landes: das tingitanische Mauretanien (wodurch die Meerenge von Gibraltar beherrscht wurde), Zeugitana oder Proconsularis, Byzacenu, Numidia proconsularis fielen an die Wandalen, während das cäsareensische und sitifensische Mauretanien, Numidien mit der Hauptstadt Cirta sowie Tripolis bei dem römischen Reiche verblieben (442). Dieser Vertrag bezeichnet einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der Wandalen und zugleich den Abschluß der Wand'erzeit. Nunmehr fand eine endgültige Regelung der Ansiedelungsverhältnisse statt. Die Wandalen ließen sich in den ländlichen Distrikten der Provinz Zeugitana im Umkreis von Karthago in geschlossener Masse nieder: militärische Gründe, die ein Zusammenbleiben des Volkes, und zwar in der Nähe der Hauptstadt wünschenswert erscheinen ließen, sowie der Umstand, daß dort sich das fruchtbarste Ackerland befand, sind hierfür in erster Linie maßgebend gewesen. Den bisherigen Grundeigentümern wurde — soweit diese nicht schon bei der Eroberung getötet oder vertrieben worden waren — die Wahl gelassen, ob sie nach Verlust ihres liegenden Besitzes als Freie ihren Aufenthalt anderswo nehmen, oder als Knechte, d. h. wahrscheinlich als Kolonen, auf ihren früheren Gütern zurückbleiben wollten. Das gleiche Schicksal wie die Possessoren traf die katholischen Geistlichen, die innerhalb der sog. Wandalenlose (sortes Vandalorum) residierten, eine Maßregel, die hauptsächlich der von dieser Seite zu befürchtenden politischen Propaganda vorbeugen sollte. In den übrigen Provinzen, wie überhaupt in den Städten, blieben die Besitzverhältnisse der Römer im allgemeinen unangetastet; doch galten diese prinzipiell als Unterworfene, das Land als Eigentum des Staates, bzw. des Königs. Die hier wohnenden zahlreichen maurischen Stämme behielten dagegen, wie unter der römischen Herrschaft, zumeist ihre Autonomie und erkannten nur die Oberhoheit der neuen Gebieter Afrikas an. Um den zu fürchtenden inneren wie äußeren Feinden jeden Stützpunkt zu nehmen, ließ Geiserich damals die Befestigungen der meisten Ortschaften schleifen; ausgenommen wurden nur das Kastell Septem an der Meerenge von Gibraltar sowie die Städte Hippo und besonders Karthago, das Hauptbollwerk der wandalischen Macht. Ihren äußeren Ausdruck fand die errungene Souveränitätsstellung des Wandalenreiches in der gesetzlichen Einführung der Datierung nach Königsjahren, vom 19. Oktober 439, der Einnahme Karthagos, ab als Neujahr gerechnet; von einer Rechnung nach Konsulatsjahren oder Indiktionen, wie sie namentlich in dem Reiche der Burgunder, die fortdauernd formell sich als Angehörige des römischen Reiches betrachteten, im Gebrauche war, ist hier seitdem keine Spur nachzuweisen. Mit der Erlangung der Souveränität fällt zeitlich auch die Begründung der absoluten Gewalt des Königtums zusammen: zwei Aufstände des Adels, der als Verfechter der Volksrechte auftrat,

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wurden blutig unterdrückt (442). Damals suchte der Westgotenkönig Theoderich I. Geiserichs Bundesgenossenschaft zu gewinnen; eine Tochter des ersteren wurde mit dem wandalischen Königssohn Hunerich, dem präsumtiven Thronfolger, vermählt. Langen Bestand hat jedoch dieses Verhältnis nicht gehabt; unter dem Vorwand, daß ihn seine Schwiegertochter habe vergiften wollen, schickte Geiserich diese, verstümmelt an Nase und Ohren, an ihren Vater zurück. Wahrscheinlich ist die Auflösung dieser für Rom so bedrohlichen Koalition auf einen diplomatischen Schachzug des Aetius zurückzuführen, der dem Wandalenkönige eine eheliche Verbindung seines Sohnes mit einer Tochter des Kaisers Valentinian III. in Aussicht stellte. Ist es nun auch zu der geplanten Heirat nicht gekommen, so traten doch bald bessere Beziehungen zwischen den Wandalen und Römern ein, die bis zum Jahre 455 dauerten; Geiserich ließ sich jetzt sogar bereit finden, die Wiederbesetzung des seit 439 verwaisten Bischofsstuhles von Karthago zu bewilligen (Oktober 454). Dieses Verhältnis wurde aber sofort gelöst, als der Kaiser Valentinian, der Mörder des Aetius, von dessen Gefolge getötet worden war (16. März 455). Geiserich erklärte, daß er den neuen Kaiser Maximus, der bei der Ermordung des Aetius und Valentinians seine Hand im Spiele gehabt und die Kaiserin-Witwe Eudoxia zur Ehe gezwungen hatte, nicht als würdigen Nachfolger auf dem Kaiserthron anerkennen könne. Unter diesem Vorwande ging er sofort mit einer großen Flotte, die schon seit längerer Zeit in Erwartung kommender Ereignisse ausgerüstet gewesen zu sein scheint, nach Italien unter Segel. Die bekannte Erzählung, daß Eudoxia den König herbeigerufen habe, ist unhistorisch. Ohne Widerstand zu finden, landeten die Wandalen, unter denen sich auch Mauren befanden, in dem Hafen Portus und zogen auf der Via Portuensis der ewigen Stadt zu. Ein großer Teil der Einwohnerschaft begab sich auf die Flucht; als Maximus das gleiche zu tun sich anschickte, ward er von den Soldaten seiner Leibwache getötet (31. Mai). Am 2. Juni rückte Geiserich in Rom ein. An der Via Portuensis empfing ihn Papst Leo I., der durch seine Bitten den König bewogen haben soll, wenigstens von Mord und Brand abzustehen und sich mit bloßer Plünderung zu begnügen. In der Tat haben die Wandalen während ihres vierzehntägigen Aufenthaltes in Rom ihr Augenmerk wesentlich nur auf Gewinnung wertvoller Beute gerichtet. Mordtaten und Brandstiftungen sind, wie zuverlässig bezeugt ist, nicht vorgekommen; ebensowenig fand eine mutwillige Demolierung von Gebäuden und Kunstwerken statt. Sehr zu Unrecht ist daher mit dem übrigens erst Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich aufgekommenen Wort »Wandalismus« dem Volke Geiserichs ein Brandmal aufgedrückt worden1). Unter den zahlreichen Gefangenen, die die Wandalen hauptsächlich des Lösegeldes ') K l e i n s c h m i d t , Uber den sog. Vandalismns. Torgau 1875 (Progr.). M i e d e l , »Vandalismus«, in der Zeitschrift des allg. deutschen Sprachvereins, Jahrg. 20 (1905), 8p 305 ff.

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wegen mit fortschleppten, befanden sich auch die Kaiserin-Witwe Eudoxia mit ihren beiden Töchtern Eudoxia und Placidia sowie der Sohn des Aetius, Gaudentius; viele derselben wurden in Afrika von dem Bischof Deogratias durch Veräußerung von Kirchengeräten losgekauft. Für Geiserich war die Erbeutung der Kaiserin Eudoxia und ihrer Töchter ein wertvolles Pfand, um sein Reich vor den zu erwartenden feindlichen Angriffen zu bewahren. Er war jetzt völlig Herr der Situation. Die wandalische Flotte beherrschte das Mittelmeer und schnitt von Italien alle Zufuhr ab, so daß dort eine große Hungersnot ausbrach. Um diesen unerträglichen Zuständen ein Ende zu machen, schickte der neue weströmische Kaiser Avitus (seit 9. Juli 455) eine Gesandtschaft nach Byzanz, um den Kaiser Marcian zu einer gemeinsamen Aktion gegen das Wandalenreich zu veranlassen. Marcian aber beharrte, wahrscheinlich beeinflußt durch den im Osten allmächtigen Heermeister Aspar, in Untätigkeit und begnügte sich damit, Geiserich aufzufordern, von weiteren Feindseligkeiten gegen Italien abzusehen und die Gefangenen aus dem Kaiserhause wieder auszuliefern, ein Vorgehen, das natürlich völlig ergebnislos blieb. Infolge der Tatenlosigkeit der beiden römischen Reichshälften waren die Wandalen in den Stand gesetzt, die übrigen noch römisch gebliebenen Provinzen Afrikas zu besetzen; auch die hier wohnenden maurischen Stämme scheinen die wandalische Oberhoheit ohne wesentlichen Widerstand anerkannt zu haben. Ferner schloß Geiserich ein Bündnis mit den Sweben in Spanien, die verheerend in die Provinz Tarraconensis einfielen (456). Gleichzeitig verwüstete eine wandalische Flotte Sizilien und die Küstengebiete Unteritaliens. Einige Erfolge der römischen Waffen zu Lande bei Agrigent und zur See bei Korsika waren ohne nachhaltige Wirkung. Von dem durch die andauernde Hungersnot aufgeregten Volke gezwungen, mußte Avitus nach Gallien flüchten, wo er Ende 456 starb. Sein Nachfolger auf dem Kaiserthron, Majorianus (seit 1. April 457), nahm die Pläne zur Vernichtung des Wandalenreiches sofort in energischer Weise wieder auf. Mit einem stattlichen Heere zog er im November 458 von Italien nach Gallien; nachdem er dort die von Rom abgefallenen Westgoten und Burgunder zur Anerkennung der kaiserlichen Autorität gebracht und damit den von Geiserich angestrebten Abschluß eines westgotisch-swebisch-wandalischen Bündnisses vereitelt hatte, überschritt er im Mai 460 die Pyrenäen und marschierte nach Carthagena, um von da nach Afrika überzusetzen. Durch die aufgebotene Macht eingeschüchtert, bat der Wandalenkönig vergeblich um Frieden. Die Expedition kam aber überhaupt nicht zur Ausführung, da es den Wandalen glückte, einen großen Teil der römischen Schiffe, die außerhalb des Kriegshafens bei dem heutigen Elche lagen, durch Verrat wegzunehmen. Majorian mußte sich wohl oder übel dazu verstehen, mit Geiserich Frieden zu schließen; sein Ansehen

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war aber durch diesen Mißerfolg so erschüttert, daß er im August 461 seiner Würde verlustig ging. Die Erhebung eines neuen Kaisers, Severus, hatte zur Folge, daß Geiserich wiederum die vor kurzem abgeschlossenen Verträge als gelöst erklärte; von neuem begann er seine Seezüge nach Italien und Sizilien. Die Botschaften, die sowohl der abendländische wie der oströmische Kaiser (Leo) an ihn abgehen ließen, hatten weiter keinen Erfolg, als daß er die Witwe Valentinians und deren Tochter Placidia gegen Lösegeld zurückgab; die ältere Prinzessin Eudoxia hatte er schon vorher seinem Sohne Hunerich zur Ehe gegeben. Die Feindseligkeiten gegen das Westreich wurden nicht eingestellt, da Rikimer die Forderung des Königs, daß der abendländische Kaiserthron mit Olybrius, dem Schwager Hunerichs, besetzt werde, abschlug. Die Gefahr erreichte ihren Höhepunkt, als der Heermeister Aegidius, der sich in Gallien in unabhängiger Stellung behauptete, mit Geiserich in Verbindung trat und mit diesem einen kombinierten Angriff gegen Italien verabredete; doch wurde die Ausführung diese.« Plane* durch den plötzlichen Tod dos Aegidius (464) vereitelt. Zu einem tatkräftigen Vorgehen der Römer gegen die Wandalen kam es erst im Jahre 467. Leo wußte sich jetzt dem Einflüsse des wandalenfreundlichen Aspar zu entziehen; nachdem er einen neuen Kaiser, den Anthemius, in Westrom eingesetzt, drohte er dem Piratenkönig mit Krieg, wenn dieser nicht endlich seine Raubfahrten einstellen würde. Da Geiserich nunmehr die Küsten des Ostreiches heimsuchte, rüstete Leo ein Heer von 100000 Mann aus, das das Wandalenreich von drei Seiten angreifen sollte. Die Hauptmacht unter Basiliscus war bestimmt, zur See direkt gegen Karthago vorzugehen, während ein anderes Korps von Ägypten aus auf dem Landwege nach Westen vordringen, eine von Marcellinus befehligte Flottenabteilung aber die Stützpunkte der Wandalen im Mittelmeere wegnehmen sollte. Indessen auch diesmal war das Kriegsglück den Wandalen hold. Es gelang ihnen, die Schiffe des Basiliscus, die bereits am promunturium Mercurii (jetzt Kap Bon) angekommen waren, zur Nachtzeit zu überfallen und teils durch Brandlegung zu vernichten, teils in die Flucht zu schlagen (468). Die nicht unbedeutenden Erfolge, die die anderen byzantinischen Generale inzwischen errungen hatten, konnten diese Niederlage nicht wettmachen; dazu kam, daß Marcellinus, als er eben im Begriffe stand, nach Karthago zu segeln, durch Meuchelmord beseitigt wurde (August 468). Der Kaiser war daher gezwungen, alle weiteren Unternehmungen aufzugeben und mit Geiserich wieder Frieden zu schließen. Die Ruhe dauerte aber wiederum nur wenige Jahre an. Nach Leos Tode (Januar 474) verwüsteten die Wandalen von neuem die griechischen Küstengebiete. Der Kaiser Zeno besaß nicht die Macht, dem Unwesen zu steuern, und bat selbst um Frieden. In dem hierauf abgeschlossenen Vertrage verpflichtete sich der König, den Katholiken in Karthago freie Religionsübung zu gewähren und die Rückkehr der wegen verschiedener staatsgefährlicher Bestrebungen verbannten

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Geistlichen zu gestatten, wenn er auch nicht zu bewegen war, die Wiederbesetzung des seit Deogratias' Tode (457) verwaisten karthagischen Bischofsstuhles zu genehmigen. Dagegen ist ohne Zweifel die Anerkennung des wandalischen Reiches in seinem damaligen Umfange: es umfaßte die ganze römische Provinz Afrika, die Balearen, Pithyusen, Korsika, Sardinien, Sizilien — vom Kaiser als dem Oberherren beider Reichshälften ausgesprochen worden (Herbst 476). Sizilien überließ Geiserich bald darauf an Odowakar gegen Zahlung eines Jahrestributs, indem er sich nur die Stadt Lilybaeum, die als Ausfallstor gegen Afrika strategische Bedeutung besaß, vorbehielt. Eine seiner letzten politisch bedeutsamen Regierungsmaßregeln war der Erlaß des sog. Senioratsgesetzes, das die Individualsukzession und die Thronfolge des jeweils Altesten aus Geiserichs männlicher Nachkommenschaft festsetzte. — Am 25. Januar 477 starb der König in hohem Alter. Er hatte das Wandalenreich durch diplomatisches und militärisches Geschick mit kleinen Mitteln zu einer gebietenden Macht emporgeführt. Aber dieser seiner Schöpfung konnte keine rechte Zukunft beschieden sein; sie war zu sehr von den Qualitäten der Persönlichkeit ihres Leiters abhängig, entbehrte der inneren Festigkeit. Dazu kamen die ungünstigen Einwirkungen des heißen Klimas und der römischen Überkultur, die an dem Marke des Volkes zehrten und dessen kriegerische Tüchtigkeit mehr und mehr beeinträchtigten. So trat schon unter Geiserichs Nachfolger und ältestem Sohn H u n e r i c h ein deutlicher und plötzlicher Niedergang ein. Bald nach dessen Regierungsantritt gelang es den im Aurasischen Gebirge wohnenden maurischen Stämmen, nach wechselvollen Kämpfen die Oberherrschaft der Wandalen abzuschütteln. In einem wegen Herausgabe des Vermögens der Eudoxia ausgebrochenen Konflikt mit dem oströmischen Reiche wich Hunerich aus Furcht vor einem kriegerischen Zusammenstoße sehr bald zurück und zeigte sich sehr nachgiebig; ja er ließ sich sogar bereit finden, die Wiederbesetzung deis Bischofsstuhles von Karthago zu genehmigen (481) und den Katholiken in seinem Reiche größere Bewegungsfreiheit zu gewähren. Erst als er erkannte, daß von Bvzanz Feindseligkeiten nicht zu befürchten waren, zeigte er sich in seiner wahren Gestalt, als ein Tyrann der schlimmsten, blutgierigsten Art. Zunächst wütete er gegen die Glieder seines eigenen Hauses und die Freunde seines Vaters, die er teils verbannte, teils hinrichten ließ, um die Thronfolge seinem Sohne Hilderich zu sichern. Als ihm in dieser Hinsicht nichts mehr zu tun übrig blieb, schritt er zur Unterdrückung seiner katholischen Untertanen. Unter den von ihm getroffenen Maßnahmen ist am wichtigsten das berüchtigte Religionsedikt vom 24. Februar 484, worin der König die Anwendung der von den römischen Kaisern erlassenen Ketzergesetze gegen alle katholischen Untertanen anordnete, die sich bis zum 1. Juni ds. Js. nicht zum Arianismus bekannt haben würden. Die Ausführung der einzelnen Bestimmungen gab Hunerich in die Hände der arianischen Geistlichkeit, die die angedrohten Strafen mit der empörendsten

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II. Die germanischen Einzelstimme.

Grausamkeit vollstreckte. Wiederholte Interventionen des Kaisers und des Papstes blieben, da sie sich auf bloße Vorstellungen beschränkten, gänzlich wirkungslos. Vielleicht wäre es so gelungen, den Katholizismus in Afrika ganz auszurotten, wenn nicht ein frühzeitiger Tod den König am 23. Dezember 484 von dieser Welt abberufen hätte. Unter seinem Nachfolger und Neffen G u n t h a m u n d traten aber bald bessere Zeiten für die bedrängte orthodoxe Kirche ein. Bereits im Jahre 487 wurden die meisten katholischen Gotteshäuser wieder geöffnet und die verbannten Priester zurückberufen. Die Gründe dieses veränderten Verhaltens liegen teils in dem persönlichen Charakter des Königs, teils in dem Abfalle des Kaisers von der römischen Kirche, wodurch Konspirationen der katholischen Untertanen init Byzanz ausgeschlossen erschienen, teils in den jetzt immer größere Dimensionen annehmenden Erhebungen der Mauren. Wohl gelang es Gunthamund, die letzteren in ihre Schlupfwinkel zurückzuweisen; aber eine entscheidende Niederwerfung ist ihm nicht geglückt. Einen völligen Mißerfolg hatte er, als er versuchte, während der Kämpfe zwischen Odowakar und Theoderich sich wieder Siziliens zu bemächtigen. Die dorthin gesandte Expedition wurde von den Ostgoten vertrieben und der König genötigt, auch auf den bisher entrichteten Tribut Verzicht zu leisten (491). Gunthamund starb am 3. September 496; T h r a s a m u n d , sein Bruder, ausgezeichnet durch Schönheit, Liebenswürdigkeit und vielseitige Bildung, folgte ihm auf den Thron. Den Katholiken gegenüber verfolgte er wieder eine andere Politik als sein Vorgänger. Wie Hunerich suchte er den Arianismus in seinem Reiche zu verbreiten; doch vermied er im allgemeinen die gewaltsamen Maßregeln, die dieser angewendet hatte. So wurden wieder mehrere Bischöfe, darunter auch der von Karthago, in die Verbannung geschickt, dort aber gut behandelt. Dieses Vorgehen ist wesentlich durch religiösen Fanatismus bestimmt worden, denn zu politischem Mißtrauen lag wenigstens für den größten Teil seiner Regierungszeit kein Grund vor; mit dem schismatischen Kaiser Anastasius stand der König sogar in freundschaftlichen Beziehungen. Erst seit dem Regierungsantritt des orthodoxen Kaisers Justinus (518) erscheint die Aversion Thrasamunds gegen die Katholiken begreiflicher, um so mehr, als jener Schritte tat, um die Lage des orthodoxen Episkopats in Afrika zu verbessern. Eine wesentliche Stütze fand die äußere Machtstellung des Wandalenreiches durch die Verbindung mit den Ostgoten. .Theoderich vermählte Thrasamund, dessen erste Gemahlin kinderlos gestorben war, mit seiner verwitweten Schwester Amalafrida. Diese traf mit einem ansehnlichen Geleite in Karthago ein und brachte ihrem königlichen Gatten den Teil der Insel Sizilien um Lilybäum als Mitgift zu (500). Eine vorübergehende Störung dieser Verbindung der beiden Staaten trat ein in den Jahren 510—511, indem Thrasamund den von Theoderich nicht anerkannten westgotischen Thronprätendenten Gesalech

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unterstützte, auf die Vorstellungen seines Schwagers aber alsbald reumütig um Entschuldigung bat. Ernstliche Schwierigkeiten erwuchsen dem Wandalen reiche wieder -durch die Mauren. Namentlich waren es die tripolitanischen Stämme, •denen es gelang, sich unabhängig zu machen. Der König selbst zog gegen diese am Ende seiner Regierung zu Felde, erlitt aber eine Niederlage. Thrasamund starb am 6. Mai 523; ihm folgte der schon betagte, gänzlich verweichlichte, dem Kriegswesen abgeneigte Sohn Hunerichs und der Eudoxia, H i l d e r i c h . Thrasamund hatte diesem, in Vorahnung künftiger Ereignisse, das eidliche Versprechen abgenommen, •den vertriebenen Katholiken weder ihre Kirchen noch ihre Privilegien zurückzuerstatten; Hilderich aber umging diese Verpflichtung, indem er noch vor dem förmlichen Regierungsantritt die verbannten Kleriker zurückrief und Neuwahlen an Stelle der verstorbenen anordnete. Auch in der äußeren Politik wandte sich der König ganz von -dem bisherigen Kurs, der Anlehnung an das Ostgotenreich ab, und schloß sich eng an Byzanz an, wo der Neffe des alternden Kaisers Justin, Justinian, tatsächlich bereits das Szepter führte. Den Widerstand, den dieses Verhalten bei Amalafrida und ihrem Gefolge fand, beseitigte er dadurch, daß er die Goten sämtlich umbringen, die Schwester Theoderichs aber in den Kerker werfen ließ. Den ihm angetanen Schimpf zu rächen, rüstete der Gotenkönig eine starke Flotte aus; aber sein Tod (526) verhinderte die Ausführung des Zuges. Theoderichs Enkel und Nachfolger Athalarich oder vielmehr dessen Mutter Amalaswintha begnügte sich mit Vorwürfen, die natürlich keine Beachtung fanden. — War somit von den Ostgoten nichts zu fürchten, so drohte eine um so größere Gefahr von den Mauren. Das cäsareensische Mauretanien mit Ausnahme der Hauptstadt — das tingitanische war schon früher aufgegeben — ebenso die sitifensische Provinz und das südliche Numidien scheinen nach dem Jahre 525 völlig in ihre Gewalt gekommen zu sein. Besonders verhängnisvoll in ihren weiteren Folgen aber war die Erhebung des Antalas, der an der Spitze einiger Stämme im südlichen Teile von Byzacena diese Provinz immer ärger heimsuchte und schließlich den herbeigeeilten wandalischen Truppen unter Oamer, einem Vetter Hilderichs, eine schwere Niederlage beibrachte. Die ohnehin längst bei den Wandalen bestehende Abneigung gegen den König kam durch diesen Mißerfolg zum vollen Ausbruch. Hilderich wurde von dem heimkehrenden geschlagenen Heere abgesetzt und mit seinen Anhängern eingekerkert, an seiner Statt aber der nächst berechtigte Thronerbe G e l i m e r (Geilamir), ein Urenkel Geiserichs, zur Herrschaft berufen (19. Mai 530). Dem Kaiser, der jedenfalls schon seit längerer Zeit seinen später deutlich ausgesprochenen Plan, alle zum alten römischen Reiche gehörenden Gebiete unter seinem Szepter zu vereinigen, im Sinne hatte, S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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II.

Die germanischen Einzelstaaten.

kamen diese Ereignisse äußerst erwünscht. Wie nachher als Rächer der Amalaswintha, so spielte er sich jetzt als der berufene Schützer der Rechte des abgesetzten Königs auf. Er forderte Gelimer zunächst in durchaus gemäßigter Sprache auf, das von Geiserich erlassene, bisher stets respektierte Thronfolgegesetz nicht offen zu verletzen, sondern sich mit der tatsächlichen Ausübung der Herrschergewalt zu begnügen und den alten König als Schattenkönig in seiner Stellung zu belassen. Gelimer würdigte den Kaiser zunächst keiner Antwort; als dieser aber einen schrofferen Ton anschlug und die Auslieferung der Gefangenen verlangte, wies er die Einmischung in stolzer Sprache zurück. Justinian w&r nunmehr entschlossen, die Waffen entscheiden zu lassen, und schloß schleunigst mit den Persern Frieden (532). Freilich stieß er sowohl im Kronrat als bei seinen Truppen auf starke Opposition, die ihn beinahe veranlaßte, den Plan aufzugeben; doch wurde er durch den Einfluß der katholischen Geistlichkeit, die den Krieg gegen die Wandalen als einen gottgefälligen hinstellte, in seinen Absichten wieder bestärkt. Beiisar, vorher Oberbefehlshaber im Perserkrieg, ward an die Spitze der Expedition mit unbeschränkter Vollmacht gestellt. Sehr zustatten kam dem Kaiser, daß die Ostgotenkönigin Amalaswintha von vornherein auf seine Seite trat und die Lieferung von Proviant und Pferden auf Sizilien in Aussicht stellte; dazu kam, daß der wandalische Statthalter von Sardinien, Godas, sich gegen Gelimer empörte und um Zusendung von Truppen bat, um sich behaupten zu können, ferner daß die Bevölkerung von Tripolis sich für den Anschluß an Byzanz erklärte. Ende 1 ) Juni 533 stach die byzantinische Flotte — 500 Transport-, 92 Kriegsschiffe —, auf der ein Heer von 21000 Mann (darunter die 5000 Mann starke Garde Beiisars) befördert wurde, und auf der sich auch der Geschichtschreiber Prokop befand, in See und ging nach einem kurzen Aufenthalte in Sizilien im September 533 an der afrikanischen Küste beim Vorgebirge Caput Vada (Ras Kaboudia) vor Anker. Den Wandalen kam der byzantinische Angriff völlig unerwartet; die besten Truppen unter des Königs Bruder Tzazo waren auf 120 Schiffen nach Sardinien gegen den aufständischen Godas geschickt worden, die übrige Streitmacht unter Gelimer selbst kämpfte im Innern der Byzacena gegen die Mauren. Die gesamten waffenfähigen Mannschaften der Wandalen zählten damals kaum mehr als 12—15000 Mann; die Befestigungen Karthagos, wo ein anderer Bruder Gelimers, Ammatas, kommandierte, waren seit längerer Zeit verfallen. Ungestört schiffte Beiisar seine Truppen aus und marschierte, vorsichtig sich deckend, von der Flotte begleitet, die Küste entlang auf die Hauptstadt zu. Jetzt traf auch Gelimer seine Gegenmaßregeln: nachdem er sich an den Westgotenkönig Theudis um Hilfe gewendet und Befehl gegeben hatte, den ' ) Vgl. zum folgenden auch v. P f l u g k - H a r t t u n g , Beiisars Wandalenkrieg: Histor. Zeitschrift 61 (1889). S. 69 ff. D i e h l , L'Afrique byzantine. Paris 1896. S. 3 ff.

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König Hilderich zu ermorden, und die in Karthago weilenden, des Verrates verdächtigen byzantinischen Kaufleute zu verhaften, rückte er unbemerkt dem Heere Beiisars nach: er wollte dieses bis Decimum (15 km von Karthago, auf der Südseite des Sees von Tunis), wo eine Unterstützung seitens der Flotte ausgeschaltet war, kommen lassen, dort aber durch einen kombinierten Angriff auf drei Seiten (Ammatas von vorn, Gibamund mit 2000 Mann auf der linken Flanke, der König selbst im Rücken) vernichten. Der wohl berechnete Plan scheiterte aber gänzlich; die drei wandalischen Abteilungen wurden von den Byzantinern einzeln geschlagen und zerstreut; Gelimer mußte nach Numidien flüchten, während Beiisar in Karthago einzog (15. September 533) und die Stadt von neuem befestigte. Nachdem der König die Seinigen wieder gesammelt, auch Mauren angeworben und die Kerntruppen unter Tzazo aus Sardinien zurückberufen hatte (die erbetene westgotische Hilfe blieb aus), rückte er gegen Karthago vor, ohne jedoch einen Angriff auf die Mauern zu unternehmen, und nahm schließlich bei Tricamarum (30 km von Karthago) eine Stellung ein, die Byzantiner zur entscheidenden Schlacht erwartend. Nach kurzem Kampfe, an dem nur die Garden Beiisars und die Truppen Tzazos beteiligt waren, wurde das wandalische Heer zum größten Teile vernichtet oder gefangen genommen (Mitte Dezember 533). Gelimer floh, noch bevor die definitive Entscheidung gefallen war, heimlich davon und suchte in einem entlegenen -Felsenneste Numidiens bei befreundeten Mauren Schutz, wo er sich nach längerer Belagerung ergeben mußte (Frühjahr 534), während die Byzantiner, ohne weiteren Widerstand zu finden, nach und nach die noch nicht in Beschlag genommenen Teile des Wandalenreiches besetzten. Der König ward als Gefangener nach Byzanz gebracht und in dem Triumphzug Beiisars aufgeführt (Sommer 534); er lebte fortan von den Einkünften eines Landgutes in Kleinasien. Die übrigen gefangenen Wandalen wurden unter die kaiserlichen Soldaten eingereiht; ein nicht unbeträchtlicher Teil des Volkes war aber in Freiheit in Afrika zurückgeblieben und hat bald nachher in der Geschichte der Provinz eine größere Rolle gespielt. Könige : Baus und Raptus (ca. 170), Wisumar (f ca. 350), Godigiael (f 406), Gunderich (406—428), Geiaerich (428—477), Hunerich (477—484), Gunthamund (484—496), Thrasamund (496—523), Hilderich (523—530), Gelimer (530—533).

3. Die Burgunder. Literatur: Z e u l i , Die Deutschen. S. 133. 465ff. G a u p p , Germ. Ansiedlungen. S. 274 ff. B i n d i n g , Geschichte des burgundisch-romanischen Königreichs. Leipzig 1868. J a h n , Die Geschichte der Burgundionen und Burgundiens 1. II. Halle 1874. L o n g n o n , Géographie de la Gaule au 6. siècle. Paris 1878. S. 65 ff. D a h n , Urgeschichte IV (1889), -S. 102 ff. F u s t e 1 d e C o u l a n g e s , Histoire des institutions politiques de l'ancienne France. L'invasion germanique, rev. par C. Jullian. Paris 1891. S. 439ff. H a l b a n , Das römische Recht I, 238ff. S c h ü c k i n g , Der Regierungsantritt. I, 100ff. B r e m e r , Ethnographie S. 90f. D a h n , Könige der Germanen XI. Leipzig 1908. 5*

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II. Die germanischen Einzelstaaten.

a) V o r g e s c h i c h t e . Auf deutschem Boden werden die Burgunder (Burgundionen) 1 ) zuerst von Plinius erwähnt; die Lage ihrer Sitze ergibt sich aus Ptolemäus, der sie als Bewohner des Warthe- und Netzedistriktes zwischen mittlerer Oder und Weichsel bezeichnet. Um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. begannen sie gleichzeitig mit den Goten dieses Gebiet zu räumen und nach Süden abzuziehen. Die Völkerbewegungen während des sog. Markomannenkrieges, insbesondere die Abwanderung der Lugier, sind zum großen Teile auf das Vordringen der Burgunder zurückzuführen. Die Hauptmasse des Volkes scheint sich hierauf zunächst im nördlichen Schlesien festgesetzt zu haben, während einzelne Abteilungen noch im Stammlande zurückbliebeu. Letztere wurden um die Mitte des 3. Jahrhunderts von den Gepiden besiegt und zum Abzüge nach dem Schwarzen Meere gezwungen; sie ließen sich dort in der Nachbarschaft der Goten und Alanen nieder und beteiligten sich an den großen Raubzügen der Ostgermanen gegen das römische Reich zur Zeit der Kaiser Valerian und Gallienus. Um 290 gerieten sie mit den Ostgoten in Konflikt und wurden völlig' aufgerieben; als ihre Rächer traten die Alanen auf. Die in Schlesien ansässigen Burgunder haben ebenfalls um 250 ihre Sitze aufgegeben und, gefolgt von (silingipchen) Wandalen und anderen Scharen der ehemaligen lugischen Völkergruppe, sich im Tale des oberen und mittleren Mains festgesetzt. Sie nahmen hier das bisherige Gebiet der Alamannen ein, die unter Gallienus (t 268) den römischen Grenzwall durchbrochen und sich im Dekumatlande eingenistet hatten. Durch diese von den lockenden Gefilden Galliens abgesperrt, suchten sie ihre Beutelust anderwärts zu befriedigen; bei einem Raubzuge, den sie im Verein mit ihren lugischen VVandergenossen nach Rätien unternahmen, erlitten sie am Lech (?) durch den Kaiser Probus im Jahre 278 eine schwere Niederlage. Um 285 setzten sie sich in einem Teile des Dekumatlandes fest, von wo aus sie im Vereine mit alainannischen Scharen in Gallien einbrachen; doch wurden sie vom Kaiser Maximian durch Aushungern bezwungen (286). Den Alamannen gelang es sodann, ihre Rivalen wieder aus ihrem Lande hinauszuwerfen. Der römische Grenzwall hat seitdem fast ein Jahrhundert lang die Grenze zwischen beiden Stämmen gebildet. Im Jahre 370 reichte das burgundische Gebiet im Süden bis mindestens in die Gegend von Schwäbisch-Hall; denn dort sind wohl die Salzquellen zu suchen, wegen deren die Burgunder mit den Alamannen im Streite lagen. Im Norden, an der Rhön, stießen jene mit den Chatten zusammen. ') Ihre Sprache zeigt überwiegend ostgermanischen Charakter; einzelne westgermanische Elemente erklären sich aus ihrer Wanderung, die sie in engere Berührung mit den Westgermanen brachte. Dazu stimmt auch die Stellung des bnrgundischen Rechts.

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Das gemeinsame Interesse, die Feindschaft gegen die Alamannen, führte dahin, daß die Burgunder zu den Römern wohl schon seit Anfang des 4. Jahrhunderts in guten Beziehungen standen. Während der alamannischen Feldzüge Kaiser Konstantius II. und Julians scheinen sie wenigstens eine wohlwollende Neutralität beobachtet zu haben. Im Winter 369/70 standen sie mit dem Kaiser Valentinian wegen Stellung von Hilfstruppen in Unterhandlung. Im Laufe des Jahres 370 erschien auch ein starker burgundischer Heerhaufe, der sich in siegreichen Kämpfen durch alamannisches Gebiet südlich vom Main einen Weg gebahnt hatte, am Rhein, mußte aber, von den Römern in Stich gelassen, unverrichteter Sache wieder heimkehren, da der Kaiser in ihrer unerwartet großen Zahl eine Gefahr und die Absicht einer dauernden Festsetzung an der gallischen Grenze erblickte. Dennoch scheint es den Burgundern schon in der nächsten Zeit gelungen zu sein, ihre Gebietsgrenzen bis an den Rhein vorzuschieben und die Alamannen weiter nach Süden zu drängen. Soviel steht fest, daß, als die asdingischen Wandalen, Alanen und Sweben Ende 406 den Rhein überschritten, sich ihnen die Burgunder und silingischen Wandalen anschlössen. Unter den zahlreichen Römerstädten am Rhein, die damals den Germanen in die Hände fielen, dürften speziell Mainz und Worms von den Burgundern erobert worden sein. Diese haben seitdem den Boden Galliens nicht wieder verlassen. Der 407 erhobene Gegenkaiser Konstantin (III) war, außerstande, die Germanen hinauszuwerfen, genötigt, mit den Burgundern zu paktieren, indem er ihnen als Föderalen, gegen die Verpflichtung die Rheingrenze zu schützen und ihm Zuzug zu leisten, Land am linken Ufer des Rheins abtrat. In der Hoffnung, seine Herrschaft dadurch zu festigen, sah sich Konstantin freilich getäuscht. Denn als sein Stern im Erlöschen war, fielen die föderierten Germanen von ihm ab und schlössen sich dem neuen Gegenkaiser Jovinus an. Es wird berichtet, daß an dessen Erhebung, die im Sommer 411 zu Mainz erfolgte, der »Phylarch« der Burgunder Gundahar (Gundicar) besonderen Anteil hatte. Burgunder werden demgemäß neben Alamannen, Franken und Alanen unter den Truppen aufgeführt, die Jovinus nach Südgallien führte, wohin er alsbald den Schwerpunkt seiner Herrschaft verlegte. Zwar wurde auch dieser Usurpator schon 413 durch den Westgotenkönig Athaulf beseitigt und die Reichseinheit wiederhergestellt; aber die germanischen Bundesgenossen Jovins mußte der Kaiser Honorius in Gallien belassen. Die Burgunder wurden im Besitze des ihnen bereits von Konstantin und Jovinus zedierten Landes, der Stadtgebiete von Mainz und Worms, unter den bisherigen Bedingungen bestätigt (413). Es war nicht das ganze Volk, das sich damals unter römische Oberhoheit begab ; ein Teil, 3000 Krieger stark, blieb auf der rechten Seite des Rheines zurück. Dieser behielt seine hergebrachte republikanische Verfassung, während die anderen gemäß dem aus dem fortdauernden Kriegszustande entsprungenen Bedürfnisse nach einer einheitlichen Leitung sich einen König erkoren. Der erste geschieht-

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II. Die germanischen Einzelstaaten.

lieh nachweisbare Herrscher war der erwähnte G u n d a h a r aus dem Geschlechte der Gibikungen (Giukungen der nordischen Sage)1), aus dem wohl schon vorher einzelne Gaufürsten gewählt worden sind: als solche werden die im burgundischen Gesetzbuche als Gundobads Vorgänger genannten Gibica, G u n d o m a r und G i s l a h a r zu gelten haben 2 ). Über die Geschichte der burgundischen Herrschaft am Rhein ist nur wenig bekannt. Ob eine Landteilung mit den römischen Grundbesitzern stattfand oder das Volk bei diesen nur einquartiert war, geht aus unserer Überlieferung nicht hervor. Das bemerkenswerteste Ereignis ist der um 416, und zwar auf Beschluß der Landesgemeinde erfolgte, Übertritt des linksrheinischen Volkes zum katholischen Christentum 3 ). Als im Jahre 430 eine hunnische Streifschar die ostrheinischen Burgunder bedrohte, ließen auch diese sich von einem gallischen Bischof taufen und errangen im Vertrauen auf den Christengott einen glänzenden Sieg über ihre überlegenen Feinde. Im Bestreben, sein Gebiet zu erweitern, fiel Gundahar 435 in die benachbarte Provinz Bélgica ein, wurde aber von einem römischen Heere unter Aetius geschlagen. Der darauf geschlossene Friede ward im folgenden Jahre von Aetius gebrochen; ein in römischem Solde stehendes hunnisches Korps überfiel die Burgunder und brachte ihnen jene schwere Niederlage bei, die den geschichtlichen Kern des Nibelungenepos bildet. Gundahar fiel im Kampfe, mit ihm auch seine ganze Sippe und ein ansehnlicher Teil des Volkes (angeblich 20000 Mann)4). b) D a s b u r g u n d i s c h e R e i c h i m s ü d l i c h e n

Gallien.

Die Überlebenden brachte Aetius im Jahre 443 in der Landschaft Sapaudia, wahrscheinlich im Stadtgebiete von Genf, also im nördlichen Teile der Provinz Viennensis 8 ) unter. Hier traten die Burgunder wieder als Föderaten in die Dienste Roms6). Zunächst lagen sie wohl als ') Diesem Geschlechte gehörte wohl auch an der Hariulfus protector domesticus fllius Hanhavaldi regalis (Prinz) gentis Burg., dessen Grabinschrift noch erhalten ist.. Ephemeris epigr. V, 125. ') Gibica ist jedoch möglicherweise nur der mythische Stammvater des Herrschergeschlechts, keine historische Persönlichkeit. Gundomar ist altnordisch Gattorm, im Nibelungenlied Gern6t. — Daß Gundahar, Gundomar, Gislahar Brüder gewesen seien, wie vielfach angenommen wird, läßt sich nicht erweisen. ») Vgl. H a u c k , Kirchengeschichte Deutachlands I 4 . Leipzig 1904. S. 97ff. *) Vgl. W a i t z , Der Kampf der Burgunder und Hünen: Forschungen zur deutschen Geschichte I (1862), S. l f f . *) Die Sapaudia umfaßte das Gebiet südlich vom Genfer See mit den Städten Genf, Ebrudunum (Villeneuve, am Einfluß der Rhone in den See, nicht Yverdun) und Grenoble, erstreckte sich nicht auch nördlich vom See. Vgl. M o m m s e n in der Ephemeris epigr. IV (1881) S. 517. *) Die Abwehr der Alamannen ist nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, für den Ort der Ansiedlung maßgebend gewesen, da die ganze Schweiz damals noch römisch war; das aufrührerische Volk wieder zu Grenzwftchtern zu machen, wäre sehr verkehrt gewesen.

B. Die Ostgermanen.

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hospites bei den Römern in Quartier; alsdann fand eine Landteilung statt. Anfangs erhielten die Burgunder die Hälfte des liegenden Besitzes, später, als ihr Reich selbständiger, der Gebietsumfang größer geworden war und die Volkszahl sich vermehrt hatte, zwei Drittel des Ackerlandes und ein Drittel der Sklaven während es hinsichtlich der Hofstätten, Gärten, des Wald- und Weidelandes bei der ursprünglichen Halbteilung blieb. (Die mit Königsschenkungen Bedachten und die später Zugewanderten nahmen an der Aufbesserung nicht teil 1 ).) Wie die Ostgoten so haben auch die Burgunder an ihrer Zugehörigkeit zum Imperium mit kurzen Unterbrechungen bis zuletzt festgehalten. Die Könige sind zugleich kaiserliche Beamte, magistri militum bzw. patricii, Militär- und Zivilstatthalter, eine Stellung, die die Ausbildung des Absolutismus begünstigte. Die Burgunder werden kaiserliche milites genannt, der Kaiser dominus; die gewöhnliche Datierung ist die konsularische. Tatsächlich war freilich das burgundische Reich seit dem letzten Drittel des 5. Jahrhunderts völlig unabhängig. — Wie in allen Föderatstaaten lebten die Römer und Germanen nach «igenem Rechte; aber ein schroffer Gegensatz bestand nicht. Das Eheverbot ist schon früh beseitigt worden; Römer dienten im burgundischen Heere; beide Nationen waren denselben Behörden unterstellt. Auch der religiöse Antagonismus — die Burgunder sind noch im Laufe des 5. Jahrhunderts zum größten Teile zum Arianismus übergetreten — hat hier keine so erhebliche Rolle gespielt, wie in den anderen arianischen Staaten der Germanen. In ihren neuen Sitzen treten die Burgunder zuerst im Jahre 451 geschichtlich hervor. Dem Vertrage gemäß stellten sie dem Aetius «in Kontingent zur Abwehr der Hunnen. Dasselbe scheint in der Völkerschlacht bei Troyes sehr bedeutende Verluste erlitten zu haben, da in dem burgundischen Volksrechte vom Ende des 5. Jahrhunderts alle Rechtssachen, die vor dieser Schlacht nicht zum Austrag gekommen waren, für verfallen erklärt werden: der Tod so vieler streitbarer und eidesfähiger Männer ließ es als aussichtslos erscheinen, aus der Zeit vor jenem Ereignis vollgültige Zeugnisse zu erbringen 2 ). König war schon damals ohne Zweifel G u n d o w e c h (Gunduic, Gun•dioc), der im Jahre 456 zum ersten Male bestimmt bezeugt ist. Wann und unter welchen Umständen dessen Erhebung erfolgt ist, wissen wir nicht 3 ); sicher ist mit ihm ein neues Geschlecht auf den Thron ') S a l e i l l e s , De l'^tabliesement des Burgundes sur les domaines des GalloRomains: Revue bourguignonne 1891. D e l b r ü c k , Geschichte der Kriegskunst II. Berlin 1902. S. 331 ff. B r u n n e r , Deutsche Rechtsgeschichte I». Leipzig 1906. S. 75f. S c h r ö d e r , Lehrbuch der deutsch. Rechtsgeschichte Leipzig 1907. S. 104. *) Aus dem Cod. Euricianus, vgl. Z e u m e r im Neuen Archiv 23 (1898) S. 460ff. ®) Einsetzung durch das Volk bzw. den Adel ist für alle burgundischen Könige der Folgezeit aus dem Vorhandensein eines Oberkönigtums zu folgern (wie bei den Ostgoten), während bei den Franken die Teilungen der Herrschaft nach dem Grundsatze völliger Gleichheit stattfanden, ein Oberkönigtum demgemäß nicht existierte und eine Mitwirkung des Volkes ausgeschlossen war. Vgl. S c h ü c k i n g S. 105.

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gekommen, das höchstens in einem entfernten verwandtschaftlichen Zusammenhange mit der früheren Dynastie gestanden hat1). Dagegen sind die ostrheinischen Burgunder zunächst in ihrer alten Heimat verblieben. 451 kämpften sie im Heere Attilas, dem sie sich auf seinem Zuge nach Gallien freiwillig oder unfreiwillig angeschlossen haben. Mit ihren Stammesgenossen an der Rhone blieben sie aber fortdauernd in enger Verbindung; die Mehrzahl ist nach und nach zu jenen übergesiedelt: es sind zum Teil wenigstens die Nachzügler, deren dieLex Burgundionum Erwähnung tut. Im Auftrage des Kaisers Avitus kämpften im Jahre 456 burgundische Truppen unter Führung von Gundowech und dessen Bruder Chilperich (I) vereint mit den Westgoten siegreich gegen die Sweben in Spanien. Nach ihrer Rückkehr aber nahmen die Burgunder eigenmächtig unter Bruch des Foedus mit westgotischer Hilfe einen Teil der Provinz Lugdunensis 1 mit Lyon in Beschlag, ein Vorgehen, das durch die dortige römische Aristokratie direkt begünstigt wurde (457). Ende 458 kam der Kaiser Majorian mit Heeresmacht nach Gallien und eroberte Lyon zurück: die Burgunder wurden gegen Anerkennung der römischen Oberhoheit im Besitze des okkupierten Landes belassen, mußten indes die Hauptstadt selbst räumen. Aber schon 461 ist Lyon wieder von den Burgundern besetzt und zum Mittelpunkt ihres sich immer mehr vergrößernden Gebietes erhoben worden. Im Jahre 463 erstreckte sich ihre Macht südwärts bis mindestens über die Stadt Die (an der Dröme). Daß die Burgunder in jener Zeit (um 468) neben den Westgoten als das mächtigste Volk in Gallien angesehen wurden, erhellt aus dem Vorschlage, den der praefectus praetorio Arvandus dem Könige Eurich machte, dieser solle mit den Burgundern behufs friedlicher Teilung Galliens ins Einvernehmen treten. Bald darauf wird Gundowech, der mit einer Schwester Rikimers vermählt war, gestorben sein; ihm folgte sein Bruder C h i l p e r i c h (I), der bis dahin als Unterkönig einen Teil des Reiches beherrscht zu haben scheint. Während des westgotischen Eroberungskrieges 469 u. ff. stellten die Burgunder dem Foedus gemäß ein ansehnliches Kontingent zu den Besatzungstruppen von Clermont, vermochten aber den Fall dieser Stadt (475) nicht zu hindern. Dagegen gelang es ihnen, die über die Rhone vorgedrungenen Westgoten wieder zurückzuweisen; sie haben damals, immer unter der Fiktion des Föderatentums, sich des ganzen Galliens zwischen Rhone, Mittelmeer und Alpen bemächtigt (ca. 471). Daß ihnen die Städte Vienne und Vaison im Jahre 474 unterworfen waren, ist zudem durch das Zeugnis des Dichters Sidoniusbelegt. Als aber im Jahre 476 Eurich den Krieg erneuerte, hatten die Burgunder keine Erfolge aufzuweisen; sie mußten die Provence südlich der Durance an die Westgoten abtreten. Schwierig ist es, die Ausdehnung des burgundischen Reiches nach Norden örtlich und ') Vgl. namentlich W a i t z a . a . O . S. 8. Verwandtschaft mit dem Westgotenfürsten Athanaricli (Greg. Tur. hist. Franc. 2, 28) ist nicht wahrscheinlich.

B. Die Ostgermanen.

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zeitlich zu bestimmen. Wahrscheinlich ist aber schon in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts der größte Teil der Provinz Maxima Sequanorum mit der Hauptstadt Besançon unter Zurückdrängung der Alamannen von den Burgundern besetzt worden Im großen und ganzen dürfte die deutsch-französische Sprachgrenze mit der alamannisch-burgundischen Stammesgrenze zusammenfallen. Als ein Punkt der Ostgrenze gegen die Alamannen wird die Gegend von Avenches genannt; Windisch (Vindonissa am Zusammenflusse von Aare und Limmat) hat sicher nicht zu Burgund gehört, obwohl ein Bischof von dort 517 an dem burgundischen Konzile teilnahm 1 ). Im Westen erstreckte sich das Reich wohl schon um 470 über die g a n z e Provinz Lugdunensis I, zu der auch die Stadt Nevers zu rechnen ist (Langres wurde den Alamannen abgenommen). Um 480 scheint C'hilperich I. gestorben zu sein; ihm folgten in der Herrschaft die Söhne seines Bruders, G u n d o b a d , G o d i g i s e l , C h i l p e r i c h I I . und G o d o m a r , der erstgenannte als der eigentliche König mit dem Sitze in Lyon 2 ). Von Godigisel wissen wir, daß er in Genf Hof hielt; wo die beiden anderen Brüder residierten, ist unbekannt. Über die Rolle, die Gundobad vor dem Regierungsantritt in den Jahren 472—473 in Italien als weströmischer patricius gespielt hatte, siehe S. 138 3 ). Im Jahre 494 ist von Gundobads Brüdern allein Godigisel noch am Leben gewesen; Chilperich und wahrscheinlich auch Godomar waren spätestens um 490 gestorben (daß Chilperich und seine Gattin von Gundobad ermordet worden seien, ist spätere fränkische Überlieferung, während man in Burgund [Zeugnis des Avitus] von einer solchen Untat nichts gewußt zu haben scheint). Mit Gundobad beginnt bereits der Verfall der burgundischen Macht. Der König besaß keinen weiten Blick und entbehrte der ausdauernden Tatkraft. Bedeutendes hat er nur durch seine gesetzgeberische Tätigkeit, die Publikation der Lex Burgundionum und der Lex Romana Burg, geleistet 4 ). Hatten schon seine Vorgänger die katholische Kirche sehr begünstigt, so zeigte er dem unter Führung des Bischofs Avitus von Vienne stehenden orthodoxen Episkopat trotz der offenkundigen hochverräterischen Bestrebungen desselben das äußerste Maß von Entgegenkommen, ohne zu erkennen, daß sein Bemühen, eine Aussöhnung herbeizuführen, ergebnislos bleiben mußte. Von einer königlichen Genehmigung zur Abhaltung von Konzilien ist keine Rede; Gundobad hielt selbst noch am Arianismus fest, •) Vgl. J a h n II, 367ff. ') Die Stellung Gundobads seinen Brüdern gegenüber ergibt sieb aus Ennodius, Vita Epifanii, vgl. G a u p p S. 289ff. Die zumeist (zuletzt auch D a h n ) vertretene Anschauung von dem privatrechtlichen Charakter der burgundischen Thronfolge ist nicht aufrecht zu erhalten, vgl. bes. S c h ü c k i n g a. O., ferner auch B r u n n e r I», 497. ®) Von den Burgundern, die mit Gundobad nach Italien zogen, sind noch später einzelne dort nachweisbar; vgl. B r u c k n e r , Die Sprache der Langobarden. Straßburg 1895. S. 5. Vgl. B r u n n e r , Eechtsgesch. I» S. 497ff.

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II. Die germanischen Einzelstaaten.

ließ es aber geschehen, daß Angehörige seines Hauses, darunter auch seine Söhne Sigismund und Godomar, den orthodoxen Glauben annahmen x). Zu dem benachbarten Ostgotenreiche stand er anfangs in guten Beziehungen. Während des Krieges zwischen Odowakar und Theoderich hatte er einen Raubzug nach Italien unternommen (c. 490); den Bemühungen des Bischofs Epiphanius von Ticinum, der im Auftrage Theoderichs im Jahre 494 zu Gundobad und Godigisel sich begab, gelang es aber, die Rückgabe der von den Burgundern fortgeschleppten Gefangenen zu erwirken und ein Bündnis zustande zu bringen, das durch die Verlobung Sigismunds mit Ariagne, einer Tochter des Ostgotenkönigs, besiegelt wurde. Dagegen drohte von der aufstrebenden Macht der Franken eine beständige Gefahr. Allerdings hatte Cblodowech 492 oder 493 eine burgundische Prinzessin, Chilperichs II. (katholische) Tochter Chrodechilde, (von Caretene [t 506] )2) geheiratet, aber sicher nur in der geheimen Absicht, um aus dieser Ehe Ansprüche auf das Reich herzuleiten 3 ). Wenige Jahre nachdem der Frankenkönig zum orthodoxen Glauben übergetreten war, wodurch er die Bundesgenossenschaft der römischen Kirche gewann4), schritt er zum Angriff. Er schloß mit Godigisel, der, nach Selbständigkeit strebend, mit seinem Bruder sich verfeindet hatte, einen Allianzvertrag, in dem er sich die Abtretung eines Teiles burgundischen Gebietes versprechen ließ. Gundobad wurde von den Verbündeten bei Dijon geschlagen und mußte nach Avignon flüchten, während Godigisel in Vienne einzog (500). Das Eintreffen westgotischer Truppen scheint aber Chlodowech veranlaßt zu haben, die Einschließung Avignons aufzugeben und den Rückzug anzutreten; Gundobad bekam wieder die Oberhand, zog gegen Vienne, erstürmte die Stadt und ließ seinen Bruder hinrichten (501). Zum Danke für die geleistete Unterstützung hat er wahrscheinlich damals die Stadt Avignon an die Westgoten abgetreten. Der Vermittelung des Ostgotenkönigs war es zu danken, daß der Krieg nicht weiter fortgesetzt wurde; es kam zum Abschlüsse von Verträgen zwischen den kriegführenden Parteien (ca. 502). Aber statt nun auch weiterhin Anschluß an die Ost- und Westgoten zu suchen, beging Gundobad den verhängnisvollen Fehler, sich ganz in die Arme des gefährlichen Frankenkönigs zu werfen. In dem 507 ausgebrochenen Kriege der Franken gegen die Westgoten leistete er ersteren Zuzug. Burgundische Truppen, zeitweise vom Könige selbst geführt, kämpften in der Schlacht bei ') L ö n i n g , Geschichte des deutschen Kirchenrechts I. Straßburg 1878. 8. 553 ff. ') Nach anderen wäre Caretene die Gemahlin Gundobads gewesen. s ) Uber epische Bearbeitungen der Heiratsgeschichte Chlodowechs s. V o r e t z s c h in: Philologische Studien. Festgabe für Sievers. Halle 1896. S. 87 ff. Anfänge der Sagenbildung finden sich schon bei Gregor v. Tours. 4 ) Die früher vielbenutzte collatio episcoporum coram rege Gundebaldo vom J. 499 ist eine Fälschung, vgl. H a v e t , Oeuvres. Toni. I. Paris 1896. S. 46ff.

B. Die Ostgermanen.

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Vougle, eroberten hierauf Narbonne und belagerten gemeinsam mit einem fränkischen Korps die Stadt Arles, deren westgotische Besatzung verzweifelten Widerstand leistete. Durch das Eintreffen eines ostgotischen Heeres unter Ibba erfuhr die Lage aber eine völlige Änderung. Dieses schlug die Verbündeten bei Arles und entsetzte die Stadt, überschritt sodann die Durance, bemächtigte sich Avignons und drang bis gegen Valence vor, während ein anderes gotisches Korps unter Mammo über die Alpen in das burgundische Gebiet einfiel (508/09). Nachdem hierauf auch Narbonne den Burgundern wieder abgenommen worden war, befand sich die ganze Provence im unbestrittenen Besitz der Ostgoten. Ein förmlicher Friedensschluß zwischen den beteiligten Mächten scheint nicht stattgefunden zu haben. Während die Franken und Ostgoten aus dem Kriege einen erheblichen Gewinn durch Vergrößerung ihres Gebietes zogen, blieben die Burgunder, von ihren Aliierten im Stich gelassen, im wesentlichen auf ihre bisherigen Grenzen beschränkt. Alle ihre Eroberungen waren verloren gegangen, selbst Avignon mußten sie ihren Gegnern belassen ; ein Gürtel von Grenzkastellen an der Durance sicherte dauernd das ostgotische Gebiet gegen etwaige Expansionsgelüste des Nachbarreiches 1 ). Nur der am rechten Rhoneufer gelegene, bisher westgotische Teil der Provinz Viennensis um Viviers ist damals zu Burgund gekommen. Im Jahre 516 starb Gundobad; ihm folgte sein Sohn S i g i s m u n d . Dieser hatte bisher als Nachfolger Godigisels einen Teil des Reiches als Unterkönig mit dem Sitze in Genf regiert und als solcher den Titel rex geführt 2 ); noch bei Lebzeiten seines Vaters war ihm die Würde des Patriziats vom oströmischen Kaiser verliehen worden. Ein eifriger Katholik, der schon vor seiner Thronbesteigung durch seine Maßnahmen gegen die Ketzer sich ausgezeichnet hatte, beugte er sich ganz unter den Willen der orthodoxen Geistlichkeit, die aber trotz ihrer günstigen Position fortfuhr, mit den Franken zu konspirieren. Ein im Jahre 517 zusammengetretenes burgundisches Reichskonzil zu Epao (Yenne) war bestimmt, in Rücksicht auf die durch die Thronbesteigung Sigismunds geschaffenen veränderten Verhältnisse die kirchliche Disziplin neu zu ordnen und zum Arianismus Stellung zu nehmen. Ferner suchte der König engen Anschluß an das byzantinische Reich, geriet aber dadurch in Zwiespalt mit seinem Schwiegervater Theoderich, der mit Recht in einer solchen Verbindung eine Gefahr für seino Herrschaft erblickte und die burgundischen Gesandten auf ihrer Reise nach Konstantinopel in Italien festhalten ließ. Zum völligen Bruch mit den Ostgoten kam es aber, da Sigismund, angeblich aufgehetzt durch s e i n e zweite (dem Namen nach ') Orange (Arausio) ist nicht ostgotisch geworden, wie vielfach behauptet wird ; 517 gehörte es sicher zu Burgund. s ) Diese vielfach bestrittene Tatsache erhellt aus den Briefen des Avitus, B. ep. 8 (p. 40): in urbe, quae r e g n i sui Caput est (Genf).

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II. Die germanischen Einzelstarten.

unbekannte) Gemahlin, seinen Sohn Sigerich (von Theoderichs Tochter Ariagne) ermorden ließ (522). Diese Umstände benutzend 1 ), fiel der Frankenkönig Chlodomer, unterstützt durch seine Brüder Childebert und Chlotachar — Theuderich, der eine Tochter Sigismunds, Suavegotta, zur Frau hatte, verhielt sich neutral — im Jahre 523 in Burgund ein. Sigismund und sein Bruder Godomar (dieser scheint eine ähnlich» Stellung wie jener vor seinem Regierungsantritt eingenommen zu haben) wurden in einer Schlacht unbekannten Ortes geschlagen : Godomar brachte sich in Sicherheit ; Sigismund suchte in dem Kloster Agaunum (St. Maurice) Schutz, wurde aber von seinen eigenen Untertanen an Chlodomer verraten, der ihn, seine Gattin und seine SöhneGundobad und Gisklahad nach der Gegend von Orleans bringen und dort bald darauf in einen Brunnen werfen ließ. Zu derselben Zeit überschritt auch ein ostgotisches Heer unter Tuluin die burgundische Grenze und nahm das Land bis zur Isère mit den Städten Valence, Orange, Die u. a. für Theoderich in Besitz. Wider Erwarten setzten aber die Burgunder unter der tatkräftigen Leitung G o d o m a r s den Widerstand fort. Chlodomer, diesmal unterstützt von Theuderich, sah sich genötigt, von neuem gegen sie zu Felde zu ziehen, wurdeaber bei Véseronce (in der Nähe von Vienne) geschlagen und getötet (524). Der Krieg war damit zu Ende, Godomar unbestritten Herr von Burgund. Trotzdem blieb die Lage unsicher und bedrohlich. In richtiger Würdigung dieser Umstände suchte der König durch, eine wohlbedachte innere und äußere Politik seine Macht zu festigen. Die vorhergegangenen Kämpfe hatten große Verluste an Menschen zur Folge gehabt ; dem um 524 einberufenen Reichstag von Ambérieux fiel vornehmlich die Aufgabe zu, durch gesetzliche Regelung der Ansiedelungsverhältnisse den Zuzug von Einwanderern (besonders solchen burgundischer Nationalität) zu fördern. Daß der König als Katholik die römische Kirche schützte, ist selbstverständlich ; doch scheint er sich den Ansprüchen der Hierarchie gegenüber wesentlich zurückhaltender gezeigt zu haben als sein Vorgänger. Ferner ließsich Godomar gern bereit finden, mit den Ostgoten wieder ein Bündnis abzuschließen, um so mehr als Amalaswintha freiwillig den Burgundern die 523 gemachten Eroberungen zurückgab. Das Verhängnis war aber nicht mehr aufzuhalten. 532 griffen die Frankenkönige Chlotachar und Childebert (Theuderich lehnte eine Mitwirkung ab) von neuem an und belagerten die Stadt Autun. Godomar, der zum Entsatz dieser Stadt herbeieilte, wurde geschlagen und gefangen genommen (?) ; doch war die Eroberung erst 534 beendet. In diesem Jahre teilten sich Chlotachar, Childebert und Theuderichs Sohn Theudebert in das Land, dessen Bewohner jedoch ihr Recht und ihre Stammeseigentümlichkeit bewahrten. ') Nach der späteren sagenhaften Uberlieferung hätte Chrodechilde ihre Söhne zum Kriege gedrängt, um den Tod ihres Vaters an Gundobads Sohn zu rächen.

IS. Die Ostgermanen.

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B u r g u n d i s c h e H e r r s c h e r , Gaufitrsten: Gibica, Gundoinar, Gislghar, Gundahar. Könige: Gundahar (ca. 406—436), Gundowech (ca. 413—ca. 470; Unterkönig Chilperich I.), Chilperich I. (ca. 470—ca. 480), Gundobad (ca. 4 8 0 - 5 1 6 ; Unterkönige : Godigisel [f 501], Chilperich II., Godomar I., Sigismund), Sigismund (516—523; Unterkönig: Godomar II.), Godomar II. (523—53-J\

4. Die Langobarden. Literatur: Z e u ß , S. lODff., 471ff. v. H a m m e r s t e i n - L o x t e n , Der Bardengau. Hannover 1869. L o s e r t h , Die Herrschaft der Langobarden in Böhmen, Mähren und Rugiland : Mitteilungen des Instituts für Österreich. Geschichtsforschung II 1881), S. 355ff. Ludw. S c h m i d t , Zur Geschichte der Langobarden. Leipzig 1885. D a h n , Urgeschichte IV. Berlin 1889. S. 189 ff. H o d g k i n , Italy and her invaders V. London 1895. S. 68ff. S t r a k o s c h - G r a ß m a n n , Geschichte •der Deutschen in Österreich-Ungarn I. Wien 1896. S. 276ff. B r e m e r , Ethnographie S. 191 ff., 214 ff. H a r t m a n n , Geschichte Italiens im Mittelalter 11,1. Leipzig 1900. S. l f f . H a l b a n , Das römische Recht in den germanischen Volksstaaten II. Breslau 1901. 8 . 1 ff. V i l l a r i , Le invasioni barbaricho in Italia. Milano 1901.- S. 251 ff. W e s t b e r g , Zur Wanderung der Langobarden: Mémoires de l'académie des sciences de St. Pétersbourg VI, 5. Pétors bourg 1904. W i e s e , Die Langobarden. Sprachliche Untersuchungen zu ihrer Vorgeschichte: Festschrift zur Feier des 250 j. Bestehens des Kgl. Gymnasiums zu Hamm i. W. 1907. S. 92 ff. History of the Langobards by l'aul the Deacon transi, by W. D. Foulke. New York 1907. B l a s e l , Die Wanderzüge der Langobarden. Breslau 1909 (mit erschöpfendem Literaturverzeichnis zur ältesten Zeit).

Die ethnographische Stellung der Langobarden ist streitig. Nähern sich diese in Wortschatz, Mythus, Recht und Tracht in mancher Hinsicht den Sachsen und Angelsachsen, so weisen doch anderseits ihre Sprachdenkmäler auch auf Verwandtschaft mit den hochdeutschen Stämmen, einzelne ihrer Rechtssätze und Rechtsausdrücke auf enge Beziehungen zu den Skandinaviern, insbesondere den Bewohnern der Insel Gotland hin1). Man hat deshalb die Langobarden teils zu den Sweben, teils zur ingwäonischen (anglofriesischen) Völkergruppe, teils zu den Ostgermanen gerechnet. Die Frage dürfte durch die nationale Überlieferung entschieden werden, in der Skandinavien als Urheimat bezeichnet wird ; nach dem eben Bemerkten werden die Stammsitze in Gotland zu suchen sein. Die niederdeutschen Analogien finden in den nachmaligen langjährigen Wohnsitzen an der Unterelbe, die hochdeutschen Beeinflussungen der Sprache durch spätere Beziehungen zu den Bayern ihre hinreichende Erklärung; auch ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß die Langobarden auf ihrer Wanderung zahlreiche Splitter anderer, zum Teil westgermanischer Stämme in den Volksverband aufgenommen haben. (Die Zurechnung der Langobarden zu den Sweben bei Strabo, Ptolemäus und Tacitus ist für ihre ethnographische Stellung bedeutungslos, da die Römer vor der Erhebung des Arminius die freien Germanen nach dem führenden Volke, den swebischen Markomannen, Suebi nannten.) ') Vgl. die übermcht bei B r u n n e r , Rechtsgesch. I, 269. 536 ff., wo auch «lie Literatur verzeichnet ist. Vgl. auch Vol t e i l n i bei J. J u n g , Julius Ficker. Innsbruck 1907. S. 530 ff.

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II. Die germanischen Einzelstaaten.

Über die Einwanderung der Langobarden in Deutschland gibt die Tradition einen in ihren Grundzügen sicher geschichtlichen Bericht. Nach der Version, wie sie bei Paulus Diaconus vorhegt1), zog ein Teil des Volkes unter Führung der Herzöge I b o r und Agio wegen Übervölkerung nach Scoringa d. h. Uferland, der festländischen Ostseeküste, kämpfte siegreich mit den dort, wahrscheinlich in der Gegend der Weichselmündung, herrschenden Wandalen und nahm alsdann anstatt des ursprünglichen Namens Winniler, den Namen Langobarden ana). Helleres Licht fällt auf die Langobarden erst nach ihrer Niederlassung am linken Ufer der unteren Elbe, im Lüneburgischen, dem mittelalterlichen, nach ihnen benannten Bardengau, wo sie auch die Hist. Lang. cod. Goth., freilich unter Vermengung mit der skandinavischen Urheimat (Scatenauge Albiae fluvi ripa) kennt 3 ). Hier treten sie zuerst im Jahre 5 n. Chr. geschichtlich hervor; Tiberius drang damals unter schweren Kämpfen durch ihr Gebiet bis zur Elbe vor, ohne daß es ihm gelungen wäre, sie unter seine Botmäßigkeit zu bringen, da sie sich auf die andere Seite des Stromes zurückzogen. Sie begaben sich hierauf unter die Schutzherrschaft des Markomannenkönigs Marbod; nach der Niederlage des Varus müssen sie aber ihre früheren Sitze wieder eingenommen haben, wenn auch einzelne Teile rechts der Elbe geblieben sein mögen. Als 17 n. Chr. der Krieg zwischen Marbod und Arminius ausbrach, standen sie auf Seite des letzteren. Im Jahre 47 n. Chr. setzten sie den vertriebenen König der Cherusker, Italicus, in seine Rechte wieder ein. Während des Markomannenkrieges, zwischen 166 bis 169, zog eine kriegs- und beutelustige langobardische Schar nach der Donau und fiel in Oberpannonien ein, wurde aber von den Römern geschlagen und gezwungen, wieder nach Hause zurückzukehren. Das nächste beglaubigte Faktum der langobardischen Geschichte ist der Einzug des Volkes in Rugiland um 490; über die dazwischen liegende Zeit weiß allein die Sagendichtung zu erzählen, die zwar unzweifelhaft historische Reminiszenzen enthält, aber als Quelle doch nur mit äußerster Vorsicht verwertet werden darf. Ihre große Wanderung werden die Langobarden etwa zu Beginn des 4. Jahrhunderts ange') Die älteste, von gelehrten Entstellungen völlig freie Fassung der langobardischen Wandersage bietet die Origo g. L., die aber nur mehrfach verkürzt auf uns gekommen zu sein scheint. Diese wurde benutzt und auf Grund von Volksüberlieferungen erweitert und umgestaltet von Paulus Diac. und dem Verfasser der Hist. Lang, codicis Gothani (9. Jahrhundert). Die Sage vom Ursprung des Volkes aus Skandinavien und der Entstehung des Langobardennamens auch schon bei Fredegar 3 , 65. Vgl. über den Stand der Frage B e r n h e i m , Uber die origo g. L. im Neuen Archiv 21, 391 fl. *) Ob die von den Langobarden selbst aufgebrachte, von neueren akzeptierte Deutung als »Langbärte« richtig ist, muß bezweifelt worden; denn B a r d e n ist der eigentliche Volksname gewesen. An Benennung nach einer nationalen Waffe (Barte) ist freilich wahrscheinlich ebensowenig zu denken, vgl. B r u c k n e r , S. 33 ') Fehlt in der Origo und bei Paulus gänzlich.

B. Die Ostgermanen.

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treten haben. Es war wiederum nur ein Teil des Volkes, der die Heimat verließ; die zurückgebliebenen, die durch ihre Kriegstüchtigkeit ausgezeichneten Bardi, werden später noch mehrfach erwähnt. Als Ursache des Auszuges werden Überschwemmungen der Elbe, angedeutet in der Sage durch Schlangen, anzunehmen sein. Die Richtung des Weges genauer zu bestimmen, ist unmöglich; die vielen Versuche neuerer Forscher, Klarheit zu schaffen, sind nichts als Vergeudung des besten Scharfsinns. Westberg, der sich zuletzt besonders eingehend mit diesem Thema beschäftigt hat, nimmt an, daß die Langobarden die Ostseeküste entlang bis nach Littauen, von da südwärts bis an die Karpathen und weiter durch Schlesien und Mähren nach der Donau gezogen seien 1 ). Wirklich brauchbare Anhaltspunkte geben allein die Station Burgundaib, das Gebiet der Burgunder zwischen Oder und Weichsel, und die Erzählung von den Kämpfen mit den Bulgaren (Hunnen). Der Zusammenstoß mit den letzteren fand ohne Zweifel in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts im Norden der Karpathen am Oberlaufe der Weichsel statt und endete mit einer Niederlage der Hunnen. Daß die Langobarden östlich über die Weichsel vorgedrungen seien, ist wenig wahrscheinlich. Den Weg nach der Donau können sie nur das Marchtal aufwärts eingeschlagen haben. Wie bei allen derartigen Völkerzügen ward in bestimmten Gegenden ein längerer oder kürzerer Aufenthalt genommen. Die dort angetroffene Bevölkerung wurde in Hörigkeit versetzt; die Langobarden treten also schon in jener frühen Zeit als ausgesprochenes Herrenvolk auf. Die Gefahren, die der nur kleinen Schar sich allenthalben entgegenstellten, riefen das Bedürfnis nach engerem Zusammenschluß, nach einer dauernden einheitlichen Leitung hervor: in die Zeit der Wanderung fällt die Entstehung des Königtums; die überlieferten Namen der ältesten Könige, A g i l m u n d , L a m i s s i o , L e t h , G i l d e o c , gehören freilich schwerlich der Geschichte an: erst mit G o d e o c aus dem Geschlechte der Lethinger (Ende des 5. Jahrhunderts) dürfte die beglaubigte Herrscherreihe beginnen. Dieselben Verhältnisse waren es, die zur Aufnahme von Angehörigen fremder Völkerschaften sowie von freigelassenen Sklaven in den Volksverband behufs Verstärkung des Heeres führten; die straffere, von besonnenen Führern geleitete Organisation machte sich auch hier insofern geltend, als eine rechtliche Sonderstellung dieser neuen Elemente nicht geduldet und damit deren völliges Aufgehen im langobardischen Volke vorbereitet wurde. 487/88 zerstörte Odowakar das Reich der Rugier im heutigen Niederösterreich und die Langobarden unter König Godeoc rückten in das freigewordene Gebiet ein (ca. 490). In Rugiland verweilten die Langobarden etwa 10 Jahre. In dieser Zeit, in welche die Regierung des *) Völlig verfehlt ist auch der Versuch, den Weg der Langobarden auf Grund der archäologischen Funde zu bestimmen, da diese nicht den geringsten positiven Anhaltspunkt geben (Archiv für Anthropologie 22. [1894] S. 248). Gegen Westberg vgl. auch die Ausführungen Blasels, dessen tüchtige Abhandlung mir erst nach Beginn des Druckes zuging.

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II. Die germanischen Einzelstaaten.

Königs C l a f f o fällt, traten sie zum arianischen Christentum über und wurden von den benachbarten mächtigen Herulern unterworfen, denen sie Tribut zahlen mußten. Nachdem sie ihre Sitze unter König T a t o nach den Ebenen »Felde zwischen Donau und oberer Theiß verlegt hatten, gewannen sie ihre politische Selbständigkeit wieder und vernichteten in einer blutigen Schlacht das Herulerreich für immer {ca. 505). Mit diesem Siege beginnt die glänzendste Zeit in der Geschichte des langobardischen Volkes. König W a c h o , der seinen Oheim Tato vom Throne stieß, dehnte das Reich namentlich westwärts auf der linken Seite der Donau aus: die Sweben in Nordungarn, Reste der alten Quaden, wurden unterworfen, Niederösterreich, wo sich die flüchtigen Heruler vergeblich zu behaupten versuchten, Mähren und Böhmen besetzt; noch im 9. Jahrhundert sollen Reste eines langobardischen Königspalastes in Böhmen zu sehen gewesen sein 1 ). Durch diese erhebliche Gebietserweiterung wurden die Langobarden im Westen Nachbarn der Bayern, die kurz vorher Böhmen geräumt und sich südlich der Donau in Vindelizien östlich vom Lech und einem Teile Noricums niedergelassen hatten, sowie der Thüringer und, nach deren Unterwerfung, der Franken; gegen Südosten grenzten sie an die Gepiden. Wie der Ostgote Theoderich, so suchte auch Wacho seine Herrschaft durch Allianzverträge mit seinen Nachbarn zu festigen. Er war in erster Ehe mit Radegunde, einer Tochter des Thüringerkönigs Bisinus, in zweiter mit der gepidischen Prinzessin Austrigusa, in dritter mit Silinga, einer Tochter des gefallenen Herulerkönigs Rodulf, vermählt. Von den beiden Töchtern Austrigusas heiratete die eine, Wisigarda, den Frankenkönig Theudebert (die Verlobung fand um 530, die Vermählung erst 7 Jahre später statt), die andere, Walderada, Theudeberts Sohn Theudebald und nach dessen Tode (555) den Bayernherzog Garibald. Ferner wissen wir, daß um 539 auch ein Vertragsverhältnis mit dem oströmischen Kaiser bestand ; doch wurde dieses bald gelöst, indem die Langobarden sich bereit finden ließen, die gegen Byzanz gerichteten imperialistischen Pläne Theudeberts zu unterstützen. Wacho wird bald nach 540 gestorben sein; ihm folgte sein minderjähriger Sohn W a l t a r i unter der Vormundschaft Audoins aus dem Geschlechte der Gausen; als Waltari nach wenigen Jahren starb, bestieg A u d o i n den Thron (ca. 546). Kaiser Justinian brachte es dahin, daß dieser sich von dem Bündnis mit den Beranken und Gepiden lossagte; er genehmigte, daß die Langobarden sich auf römischem Reichsboden, in Teilen von Pannonien (Pann. I und Valeria) und Noricum, niederließen und bewilligte ihnen ansehnliche Jahrgelder. Wie nicht anders zu erwarten, kam es bald zu Zusammenstößen zwischen den Gepiden und Langobarden, welch letztere jenen den Besitz von Sirmium nicht gönnten. Der Ausbruch des Konfliktes ') Aber nicht in Kamberg bei Prag, wie Lqserth S. 362, eine Äußerung Bluhmes mißverstehend, sagt.

B. Die Ostgermanen.

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ward dadurch gefördert, daß Hildichis, ein Enkel des von Wacho gestürzten Königs Tato, der letzte noch lebende Sproß der Dynastie der Lethinger, zu den Gepiden flüchtete und deren Unterstützung erbat, um seine Ansprüche auf den langobardischen Thron geltend zu machen. Nach zweimaligen ergebnislos verlaufenen Begegnungen (548 und 549) kam es 551 zu einer blutigen Schlacht, in der die Langobarden Sieger blieben; der Kaiser aber, der eine Störung der Gleichgewichtsverhältnisse befürchtete, führte den Abschluß eines Friedensvertrages auf Grund des status quo herbei Hildichis und der zu den Langobarden geflüchtete gepidische Thronprätendent Ostrogota wurden als Friedensstörer heimlich beseitigt. Audoin heiratete auf Veranlassung Justinians in zweiter Ehe (seine erste Gattin war Rodelinda, Alboins Mutter) eine Tochter des letzten Thüringerkönigs Herminafrid, die nach dem Untergange des vaterländischen Reiches nach Italien geflohen und von da mit König Witigis nach Byzanz gebracht worden war, und ließ zu dem gegen die Ostgoten marschierenden kaiserlichen Heere ein ansehnliches Kontingent stoßen (552). Die so angebahnten guten Beziehungen zwischen den Langobarden und Gepiden erlitten, solange Audoin und der Gepidenkönig Turisind lebten, keine weiteren Störungen; dagegen scheint das Verhältnis der beiden Völker zum römischen Reiche bald gelöst worden zu sein. Die Langobarden traten wieder in nähere Verbindung mit den Franken, indem Alboin sich mit Chlodoswintha, der Tochter Chlotachars I., vermählte, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie an den Kämpfen zwischen den Franken und Byzantinern um den Besitz Oberitaliens nach der Vernichtung des ostgotischen Reiches beteiligt gewesen sind. Unter Audoins und Turisinds Nachfolgern A l b o i n und Kunimund machte sich aber der alte, nur mühsam überbrückte Gegensatz zwischen den Langobarden und Gepiden von neuem geltend. Um 565 kam es zu einem kriegerischen Zusammenstoße, wobei die Langobarden unterlagen. Alboin bewarb sich nun um die Bundesgenossenschaft des mächtigen Chakans der Awaren Baianus, der aber nur unter sehr schweren Bedingungen — die Langobarden sollten vor Beginn des Krieges den zehnten Teil ihres Viehes abgeben, nach errungenem Siege aber nur die Hälfte der Beute erhalten und auf jeden Anteil an dem feindlichen Gebiete verrichten — sich zur Hilfeleistung bereit erklärte. Noch vor der Vereinigung der Verbündeten trafen die Gepiden mit den Langobarden zusammen, wurden aber von diesen nach erbittertem Kampfe fast völlig vernichtet (567). Die Awaren ergriffen nun von dem ausbedungenen Siegespreis Besitz; die Langobarden mußten aber bald einsehen, daß die neuen Nachbarn ihnen noch gefährlicher sein würden als die Gepiden, und hielten es daher für geboten, sich eine neue Heimat zu suchen. Schon seit längerer Zeit mochte in ihnen der Wunsch rege gewesen sein, sich in den gesegneten Gefilden Italiens niederzulassen, von denen die im kaiserlichen Heere gegen die Ostgoten dienenden langobardischen S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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II. Die germanischen Einzelstttmme.

Hilfstruppen genauere Kunde mit nach Hause gebracht hatten; als nun die Nachricht eintraf, daß der von allen äußeren Feinden gefürchtete Statthalter Narses abberufen worden sei, zögerten sie nicht, nach dem Süden aufzubrechen. Die bekannte Erzählung, daß Narses selbst die Langobarden aus Rachsucht herbeigerufen habe, ist erwiesenermaßen völlig unhistorisch.1) Nach Abschluß eines Vertrages mit den Awaren, denen die Langobarden ihre bisherigen Wohnsitze unter Vorbehalt des Eigentumsrechtes für den Fall des Mißlingens der Expedition überließen, setzte sich das Volk, begleitet von zahlreichen Schwärmen der verschiedensten Nationen (darunter namentlich 30000 [?] Sachsen), am 2. April 568 in Bewegung. Welchen Weg Alboin eingeschlagen hat, vermögen wir aus den Quellen nicht mit Sicherheit zu ersehen; doch spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß er die große, von Pannonien über Celeia, Emona und den Birnbaumer Wald nach Aquileja führende römische Heerstraße benutzte, dieselbe auf der vor ihm schon die West- und Ostgoten nach Italien gezogen waren.2) Bereits im Mai 568 betrat die Vorhut des langobardischen Heeres, den Römern völlig überraschend, den italienischen Boden. L a n g o b a r d i s c h e H e r r s c h e r : (Herzöge: Ibor und Agio; Könige: Agilm u n d , LamiBsio, Leth, Gildeoc; sagenhaft). Könige: Godeoc (um 490), Claffo (— ca. 500), Tato (ca. 605), Wacho (f ca. 540), Waltari (f ca. 546), Audoin (ca. 546 bis ca. 565), Alboin (ca. 565—572).

5. Die Goten. Literatur: M a n s o , Geschichte des ostgotischen Reiches in Italien. Breslau 1824. A s c h b a c h , Geschichte der Westgoten. Frankfurt 1827. Z e u ß , S. 401 ff. G a u p p , Die germanischen Ansiedlungen und Landteilungen. Breslau 1844. S. 372 ft'., 462 ff. K ö p k e , Deutsche Forschungen. Die Anfänge des Königthums bei den Gothen. Berlin 1859. D a h n , Die Könige der Germanen II. München 1861. V. Würzburg 1870. VI. 2. Aufl. Leipzig 1885. Urgeschichte d. germ. Völker I. 2. Aufl. Berlin 1899. S. 227ff. B o s s e l , Goten: Ersch und Grubers Encyklopädie 75. Leipzig 1862. S. 98ff. v. W i e t e r s h e i m , Geschichte der Völkerwanderung 2. Aufl. I. U. Leipzig 1880. v. S y b e l , Entstehung des deutschen Königthums. 2. Aufl. Frankfurt 1881. S. 174ff. G r e g o r o v i u s , Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. 4. Aufl. I. Stuttgart 1886. S. 253ff G a u d e n z i , Sui rapporti tra l'Italia e l'impero d'Oriente (476—555). Bologna 1888. M o m m s e n , Ostgotische Studien: Neues Archiv der Gesellschaft f. ält. deutsche Geschichtskunde 14 (1889). S. 225ff. B u r y , History of the later Roman empire. London 1889. S. 61ff. v. Pf 1 u g k - H a r t t u n g , Zur Thronfolge in den germanischen Stammesstaaten: Zeitschrift der Savignystiftung. Germ. Abt. 10 (1889), S. 202ff. 11 (1890), S. 186ff. H o d g k i n , Italy and her invaders. 2. ed. I. HI. IV. London 1892—96. H a r t m a n n , Geschichte .Italiens I. Leipzig 1897. B r e m e r , Ethnographie. S. 83ff. R a p p a p o r t , Die Einfälle der Goten in das römische Reich. Leipzig 1899. S c h ü c k i n g , Der Regierungsantritt I. Leipzig 1899. S. 30 ff. H a 1 b a n , Das römische Recht in den germanischen Volks') Vgl. namentlich G r o h , Geschichte des oströmischen Kaisers Justin H. Leipzig 1889. S. 75 ff. *) Vgl. W a n k a E d l e r v. R o d l o w , Der Verkehr über den Paß von Pontebba-Pontafel und den Predil. Prag 1898 (Prager Studien a. d. Geb. d. Geschichtsvriss. H. 3). S. 14S. gegen V i r c h o w , Auf dem Wege der Langobarden (Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie etc. 1888), S. 508 ff.

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B. Die Ostgermanen.

Staaten I. Breslau 1899. S. 94ff. V i l l a r i , Le invasioni barbaricbe in Italia. Milano 1901. S. 146 ff. L . S c h m i d t , Gesch. d. d. Stämme I. 49ff. Streitb e r g , Gotisches Elementarbach. 2. Aufl. Heidelberg 1906.

a) D i e G o t e n b i s z u r h u n n i s c h e n

Invasion.

Die Goten (Gutos oder Gutans in ihrer eigenen Sprache) erscheinen in ältester geschichtlicher Zeit als Bewohner des Landes rechts der unteren Weichsel; hier kennen sie Plinius, besonders aber Tacitus und Ptolemäus. Nach ihrer Stammsage, die unzweifelhaft einen historischen Kern enthält (Jordanis, Get. 25, 94), waren sie einst unter König Berig von Skandinavien auf drei Schiffen, von denen das eine, etwas zurückgebliebene, die späteren Gepiden trug, ausgefahren und hatten nach heftigen Kämpfen mit den Rugiern und Wandalen die Festlandsküste an der Weichsel- oder Odermündung besetzt. Um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. begannen sie ihre Sitze in Deutschland zu räumen und in einzelnen Abteilungen (als Führer einer solchen nennt die Sage den König Filimer) südostwärts nach dem Schwarzen Meere zu vorzudringen. Die großen Völkerbewegungen während des sog. Markomannenkrieges (166—180), ferner die wiederholten Unruhen der an der Grenze der römischen Provinz Dazien ansässigen Stämme zu Anfang des 3. Jahrhunderts sind wenigstens zum Teil durch diese Wanderung veranlaßt worden; im Jahre 214 kam es auch schon zu einem Zusammenstoße zwischen Goten und Römern an der dazischen Grenze. Spätestens um 230 scheinen die Goten in den neuen Sitzen im südlichen Rußland sich konsolidiert, zu einer neuen civitas sich zusammengeschlossen zu haben, wenn es auch zur Wiederherstellung des zur taciteischen Zeit bestehenden Königtums nicht gekommen ist: das Volk erscheint fortan zunächst unter der Vielherrschaft von Gaufürsten. Die Folge ihrer Vereinigung waren die nunmehr beginnenden energischen Angriffe gegen das die Beutegier der Barbaren reizende römische Gebiet. Um 235 nahmen sie die Griechenstädte Olbia und Tyras am Schwarzen Meere ein; 238 überschritten sie im Bündnis mit den Karpen die Donau, ließen sich aber durch Bewilligung von Jahrgeldern zum Abzüge bewegen. Zehn Jahre lang hielten sie nun Ruhe; als römischerseits die Zahlungen eingestellt wurden, fielen sie, verbündet mit Karpen, Taifalen, Wandalen und Bastarnen, in großer Anzahl unter Führung von A r g a i t h und G u n d e r i c h in Niedermösien ein und belagerten Marcianopel, zogen aber, durch energische Defensivmaßregeln der Römer veranlaßt, bald wieder heim (248). Schon zwei Jahre später fand ein neuer Kriegszug statt. Während die Karpen Dazien verheerten, brachen die Goten unter ihrem angeblichen Könige K n i w a 1 ) in Mösien ein. Eine Abteilung der letzteren schritt zur Belagerung der Städte Novae und Nikopolis, während eine andere den ') Dieser ist wahrscheinlich identisch mit einem gotischen Fürsten C a n n a b a (Cannabaudes), der unter Kaiser Aurelian 271 getötet wurde, und von Cassiodor fälschlich in eine frühere Zeit gesetzt worden. 6*

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II. Die germanischen Einzelstämme.

Hämus passierte und sich gegen Philippopel wandte. Der rascb herbeigeeilte Kaiser Decius siegte zwar bei Nikopolis über die ersteAbteilung, erlitt aber bei der Verfolgung durch Unachtsamkeit bei Beroö (Traiana) am Südfuße des Hämus eine Niederlage. Philippopel fiel infolgedessen in die Hände der Goten; doch schlugen dies^ hierauf, mit der gemachten Beute zufrieden, den Weg nach ihrer Heimat ein. Bei Abrittus (östlich von Silistria) kam es zwischen den Goten und den Römern zu einem neuen Zusammenstoße, in dem difr ersteren einen vollständigen Sieg erfochten und der Kaiser selbst sein Leben einbüßte (250). Der Nachfolger des Decius, Trebonianus Gallus, schloß mit den Goten sofort Frieden, indem er ihnen ihre Kriegsbeute beließ und sich wieder zur Zahlung von Jahrgeldern verpflichtete. Die Ruhe dauerte aber nur wenige Jahre; wenn es auch den Römern gelang, 253 einen gotischen Einfall abzuweisen, so hatte ein solcher Erfolg angesichts der wachsenden Schwäche des Reiches keine nachhaltige Wirkung. Die von den Ostgermanen drohendeGefahr erreichte ihren Höhepunkt unter der Regierung der Kaiser Valerian und Gallienus (253—268). Die Einfälle erfolgten nun nicht allein zu Lande sondern auch zur See; an den Piratenzügen waren namentlich die inzwischen von Norden her angekommenen Heruler sowie die Boraner, die Goten der Krim, beteiligt. Im Jahre 254 ging eine gotische Schar über die Donau und drang bis nach Thessalonike vor. Die Bevölkerung Griechenlands geriet in äußerste Bestürzung; eiligst wurden die Thermopylen besetzt, die Festungswerke Athens wiederhergestellt und der Peloponnes durch Befestigung des Isthmus geschützt. Doch kehrten die Goten, denen die Besatzung Thessalonikes erfolgreichen Widerstand leistete, alsbald wieder in ihre Sitze zurück. Fast alljährlich wiederholten sich nun die Züge der Barbaren mit immer steigendem Erfolge. Die Goten und ihre Nachbarvölker, darunter besonders die Karpen, ergriffen von Dazien Besitz. Um 257 ist diese Provinz dauernd dem Reiche verloren gegangen. Die römischen Truppen verließen ihre Standquartiere, und die Bevölkerung flüchtete massenhaft, ihre Kostbarkeiten bis zur Wiederkehr besserer Zeiten vergrabend, über die Donau. Die seit jener Zeit auftretenden Namen der beiden Hauptstämme, in die die Goten wohl bald nach der Ankunft am Pontus sich gespalten haben, Terwingen und Greutungen, bedeuten Bewohner der Sandsteppen und der Waldgegenden und scheinen nach der Eroberung des waldreichen Daziens, dem Charakter des besetzten Gebietes entsprechend, gebildetzu sein; nachdem die Goten die Länder nördlich der Donau verlassen, sind die wohl älteren Bezeichnungen Ostrogoten und Wesegoten wieder in Geltung getreten.1) ') Der Name der Ostrogoten ist wohl von germanisch *austra, glänzend, abzuleiten, der der Wesegoten Ton germanisch • wesu, gut; Beziehung auf die Himmelsgegenden Ost und West ist nicht wahrscheinlich. Doch ist in dieser Darstellung, dem herkömmlichen Gebrauch entsprechend, weiter von Ost- und Westgoten die Rede, wie ich denn auch sonst die jetzt geläufigen Xamensformen gewählt habe.

B. Die Ostgennanen.

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Der erste Piratenzug wurde von den Boranern von der Mäotis aus im Jahre 256 unternommen und richtete sich gegen die kleinasiatische Küste; ein zweiter mit demselben Ziele unter Beteiligung von Ostgoten folgte bereits im nächsten Jahre. Zu Anfang des Jahres 258 setzte sich eine westgotische Expedition von der Mündung des Dnjestr zu Schiff und zu Lande die Küste entlang in Bewegung, überschritt den Bosporus, nahm die Städte Kalchedon, Nikaea, Nikomedia, Kius, Apamea, Prusa ein und zog hierauf mit reicher Beute "wieder heimwärts, ohne irgendwo auf Widerstand gestoßen zu sein. Fünf Jahre später gingen gotische Scharen unter R e s p a , V e d u c u s und T h e r v a r u s wieder über den Hellespont, zerstörten u. a. Ilion, Ephesus mit dem berühmten Artemistempel sowie auch Kalchedon. An weiteren Verwüstungen wurden sie durch einen Sieg, den die römischen Truppen über sie davontrugen, gehindert (263). Raubzüge der Boraner bis ins Innere Kleinasiens hinein fanden in den Jahren 264 und 265 statt; unter den damals aus Kappadozien fortgeschleppten Gefangenen befanden sich auch einige christliche Kleriker, die ihren Glauben unter den Barbaren verbreiteten und bald zahlreiche Anhänger fanden. Einer der gefährlichsten jener Zeit war der Piratenzug des Jahres 267. Dieser ging von den Herulern von der Mäotis aus; die Beteiligung von Goten ist ungewiß. Auf 500 Schiffen fuhren die Heruler zunächst nach der Donaumündung, liefen den Fluß aufwärts und verheerten die angrenzenden Landstriche. Von da vertrieben, gingen sie wieder auf See, überrumpelten in rascher Fahrt Byzanz und Chrysopolis (Skutari) und suchten hierauf die Stadt Cyzicus, die Inseln Lemnos und Skyros sowie einen großen Teil Griechenlands (Athen, Korinth, Sparta, Argos) heim. Von römischen Truppen unter Mitwirkung des Historikers Dexippus zu Lande geschlagen, durch eine römische Flotte, die ihnen ihre Schiffe wegnahm, von der See abgeschnitten, zogen sie sich wieder zurück, erlitten aber an der Grenze von Thrazien und Mazedonien am Flusse Nestus eine neue Niederlage. Immerhin erreichte eine ansehnliche Zahl die Heimat, wo nun in Gemeinschaft mit den Nachbarvölkern die Vorbereitungen zu einem großen Rachezug getroffen wurden. Im Frühjahr 269, unter der Regierung des Kaisers Claudius II., setzte sich eine gewaltige Schar, bestehend aus Ost- und Westgoten, Herulern, Bastarnen, Karpen und Gepiden gegen das römische Reich in Bewegung. Ihre Gesamtmenge wird auf ca. 300000 Streiter angegeben, was natürlich viel zu hoch gegriffen ist. Die Barbaren standen unter keiner einheitlichen Leitung; wie bisher immer setzte sich das Heer aus Volksteilen zusammen, die unter Führung einzelner Fürsten sich durchaus selbständig an dem Abenteuer beteiligten; ein eigentlicher Volkskrieg, ein von der Gesamtheit ausgehendes Unternehmen war dieser Zug ebensowenig wie die früheren Expeditionen. Ein Teil, besonders die Heruler, zog wieder zur See; die Hauptmasse schlug den Landweg ein. Die Römer traf der Ansturm jedoch nicht unvorbereitet. Die bedrohten Städte und

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die Balkanpässe waren in Verteidigungszustand gesetzt. Nach einem mißglückten Angriff auf die Städte Tomis und Marcianopel ergoß sich das Landheer der Germanen plündernd über das flache Land der Provinz Niedermösien, während die Flotte durch den Hellespont ins Agäische Meer segelte und teils die Belagerung von Kassandreia und Thessalonike vornahm, teils besonders die kleinasiatischen Küstengebiete brandschatzte. Auf die Nachricht von dem Anmarsch eines kaiserlichen Heeres gaben die vor Thessalonike stehenden Scharen die Belagerung auf und wandten sich nach Norden, wo sie mit ihren Bundesgenossen zusammenstießen. Bei Naissus (Nisch) kam es zur Entscheidungsschlacht zwischen den vereinigten Barbaren und den Römern, die mit einer vollständigen Niederlage der ersteren endete. Die dem Blutbade entronnenen Germanen wurden in den Hämus gedrängt, wo sie noch längere Zeit, bis zum Jahre 270, Widerstand leisteten, aber schließlich völlig aufgerieben wurden, während die in den kleinasiatischen Gewässern sich aufhaltende Flotte ungehindert das Schwarze Meer erreichte. Der Sieg der römischen Waffen war von nachhaltiger Wirkung; denn auf ein Jahrhundert hinaus haben die Donaugermanen es nicht wieder gewagt, in größeren Massen die Grenzen zu überschreiten. Die Einfälle, die die Nachfolger des Kaisers Claudius II. (Goticus) abzuwehren hatten, waren ohne größere Bedeutung. Nicht wenig zur Erhaltung des Friedens trug auch bei, daß Aurelian offiziell das transdanubianische Reichsgebiet aufgab und die dadurch frei werdenden militärischen Kräfte zur Bewachung und Befestigung der Donaugrenze verwandte. Die Goten richteten nun ihre Angriffe vorwiegend gegen die barbarischen Völker ihrer Nachbarschaft. Es kam zu heftigen Zusammenstößen mit den Karpen und Bastarnen (274 und 280), ferner zwischen den mit Taifalen verbündeten Terwingern und den Wandalen und Gepiden sowie zwischen Ostgoten einerseits, Alanen und Burgundern anderseits (ca. 290). Infolge dieser Bewegungen gestalteten sich nun am Ende des 3. Jahrhunderts die Besitzverhältnisse in den Ländern nördlich der Donau so, daß die heutige Moldau und große Walachei, ferner ein Teil Siebenbürgens in den Händen der Westgoten sich befand, während im Banat und in der kleinen Walachei die Taifalen, im westlichen und nördlichen Siebenbürgen die Viktofalen und Gepiden hausten. Unter Konstantin d. Gr. gelangte die Konsolidation des Reiches der Goten jenseits der Donau zum völligen Abschluß. An der Ausbreitung über römisches Gebiet durch den von diesem Kaiser sorgfältig weiter ausgebauten Grenzschutz gehindert, suchten die Terwinger und Taifalen die Sarmaten aus ihrem Gebiete zwischen Theiß und Donau zu vertreiben, wurden aber von den Römern am 30. April 332 entscheidend geschlagen. In diesen Kämpfen fand auch der Gotenfürst Widigoja, (dem Namen nach) der Witege der späteren Heldensage, den Tod. Der Kaiser schloß hierauf einen förmlichen Friedens-

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vertrag mit den Goten (an deren Spitze A r i a r i c h und A o r i e h erscheinen) und Taifalen ab: diese traten zum Reiche in das Verhältnis von Föderaten ein mit der Verpflichtimg, die Grenze zu schützen und an den vom Kaiser zu führenden Kriegen sich mit einem bestimmten Kontingente zu beteiligen, wofür ihnen jährliche Subsidien gezahlt wurden. Der so geschaffene Friedenszustand hat volle 35 Jahre gedauert. Die Goten, d. h. die Terwinger, wandten sich nun einer seßhafteren Lebensweise zu und begannen sich römischen Kultureinflüssen zu beugen. Der solange unterbrochene Handelsverkehr nach Altdazien lebte wieder auf, wie zahlreiche Münzfunde lehren; vermutlich in diese Epoche fällt die Ausbildung der Runen, jener hauptsächlich aus griechischen, teilweise auch aus lateinischen Einwirkungen entsprossenen Schriftart. Ihrer Dienstpflicht als Föderaten sind die Goten mehrfach in den von den Kaisern geführten Kriegen nachgekommen. Wohl ebenfalls in der Eigenschaft als Föderaten haben sie um die Mitte des 4. Jahrhunderts unter der Führung G e b e r i c h s gegen die Wandalen siegreich gekämpft. Hier und da kam es aber schon wieder zu Mißhelligkeiten, die schließlich unter der Regierung des Kaisers Valens zum offenen Bruche führten. Die Goten hatten im Jahre 365 auf Grund des mit dem Reiche geschlossenen Foedus dem Gegenkaiser Prokopius ein Hilfskorps gesandt; Valens nahm dies zum Vorwand, um im Sommer 367 die Donau zu überschreiten. Die Goten, unter Führung des Fürsten A t h a n a r i c h , zogen sich aber, ohne Widerstand zu leisten, nach dem Hochlande von Siebenbürgen zurück, wo sie der Kaiser nicht anzugreifen wagte. Im Sommer 369 wurde der Feldzug wiederholt, aber mit dem gleichen Resultat. Da beide Teile die Beendigung des Kriegszustandes wünschten, kam es noch in demselben Jahre zum Abschlüsse eines Friedensvertrages. Die Verhandlungen fanden auf einem Schiffe auf der Donau statt. Das Föderatverhältnis der Goten zum Reiche wurde förmlich aufgehoben, die jährliche Subsidienzahlung demgemäß eingestellt. Die Donaulinie ward beiderseitig als Grenze anerkannt, ihre Überschreitung zu Handelszwecken nur an zwei Punkten gestattet. Der tiefgewurzelte Haß Athanarichs gegen alles Römische war durch den Krieg mit Valens natürlich noch erheblich vermehrt worden. Derselbe fand jetzt seinen Ausdruck in den großen Verfolgungen, die seit 369 bis mindestens ins Jahr 372 hinein die gotischen Fürsten auf Betreiben Athanarichs allenthalben über die Anhänger des Christentums, das hier seit Ende des 3. Jahrhunderts Wurzel gefaßt und besonders durch Wulfila (Bischof der Christen im Gotenlande seit 341, vertrieben ca. 348) weitere Verbreitung gefunden hatte, verhängten. Doch scheint es, daß nicht alle Gotenfürsten oder einzelne derselben nur lau sich an den Maßregeln gegen die Christen beteiligten. Der in jener Zeit entstandene Konflikt zwischen F r i t h i g e r n und Athanarich wurzelte allerdings in erster Linie in politischen Motiven und in der Rivalität der einzelnen principes untereinander und in dem Argwohn des Volkes, daß Athanarich, der bis dahin eine

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führende Stellung einnahm, nach der Königsherrschaft strebe; aber es mögen auch damals die religiösen Fragen schon dabei eine Rolle gespielt haben. Frithigern gewann einen Teil der Goten für sich, vermochte aber gegen seinen mächtigeren Gegner nichts auszurichten; er flüchtete daher auf römisches Gebiet und rief die Hilfe des Kaisers an. Dieser zögerte nicht, von der günstigen Gelegenheit, Germanen durch Germanen zu vernichten, Gebrauch zu machen und befahl den in Thrazien stationierten Truppen, die Partei Frithigerns zu unterstützen. Athanarich wurde geschlagen; Frithigern aber trat zum Arianismus, dem Bekenntnis des Valens, über. Bald darauf fand jedoch eine Aussöhnung der beiden Gegner statt; das Volk vereinigte sich wieder unter Athanarichs Führung, bis der Hunnensturm eine neue Spaltung der Westgoten hervorrief1). Über die Geschichte der dem römischen Gesichtskreis entrückten O s t g o t e n (Greutungen) fehlt es, besonders seit dem Ende des dritten Jahrhunderts, fast ganz an Nachrichten. Soviel steht aber fest, daß bei diesen sich frühzeitig ein Stammeskönigtum entwickelt hat, während die Westgoten bei ihrer republikanischen Verfassung beharrten. Der erste historisch beglaubigte ostgotische König war O s t r o g o t h a , dessen Zeit sich aber nicht mit Sicherheit bestimmen läßt. Vor dem Jahre 375, also sicher seit Mitte des 4. Jahrhunderts, herrschte der sagenberühmte2) König E r m e n r i c h , dessen Herrschaft sich über den größten Teil des europäischen Rußlands erstreckte und dem die Heruler an der Mäotis, die Aesten an der Ostsee sowie zahlreiche Völker finnischer und slawischer Nationalität bis gegen das Uralgebirge hin untertänig waren8). Die Ostgrenze gegen das Gebiet der Alanen bildete der Don, die Grenze gegen die Westgoten, die niemals in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Ostgoten gestanden haben, lag in der Nähe des Dnjestr.

b) D i e ö s t g o t e n bis z u r B e g r ü n d u n g d e s i t a l i e n i s c h e n Reiches. Das Volk der Hunnen (Hiung-nu)4), das berufen war, eine gewaltige Umwälzung in den Verhältnissen des Abendlandes herbeizuführen, entstammte den Steppen Hochasiens. Durch den Bau der chinesischen Mauer gezwungen, sich nach Westen auszubreiten, erscheint es schon l ) K r a f f t , Kirchengeschichte der germanischen Völker 1,1. Berlin 1864. K a u f m a n n , Kritische Untersuchungen der Quellen zur Geschichte Ulfilas: Zeitschrift für deutsches Altertum 27 (1883), S. 193 ff. ') Vgl. J i r i c z e k , Deutsche Heldensagen I. Straßburg 1898. 8. 57ff. ') v. G r i e n b e r g e r , Ermanariks Völker: Zeitschrift fttr deutsches Altertum 39(1896), S. 154ff. M a r q u a r t , Osteuropäische und ostasiatische Streifzüge. Leipzig 1903. S. 363 ff. *) H i r t h , Über Wolga-Hunnen und Hiung-nu: Sitzungsberichte der bayer. Akademie, phil.-hist. Kl. 1899. n , 245 ff.

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im 2. Jahrhundert n. Chr. an der Ostgrenze Europas. Um 355 wurden die Alanen unterworfen und bald darauf in einem plötzlichen Ansturm deren Westnachbarn, die Ostgoten, angegriffen. Ermanrich versuchte zwar, längere Zeit standzuhalten, aber in seiner Widerstandskraft durch den ungewohnten Anblick der wilden Steppensöhne gelähmt, gab er, noch bevor es zu einer Entscheidungsschlacht gekommen war, an der Zukunft verzweifelnd, sich selbst den Tod (ca. 370). Sein Nachfolger W i t h i m e r vermochte sich zunächst zu behaupten, unterlag aber schließlich in einer großen Schlacht und wurde getötet. Die Aussichtslosigkeit weiteren Widerstandes erkennend, wichen die Fürsten A l a t h e u s und S a f r a c , die im Namen des unmündigen Königssohnes W i d e r i c h die Regierung übernahmen, mit einem Teile des Volkes nach dem Dnjestr zurück, während die übrigen Goten sich den Hunnen unterwarfen. Nach dem Übergang der Westgoten über die Donau (Frühjahr 376) passierten auch die Goten des Alatheus und Safrac den Strom und nahmen an der Schlacht bei Adrianopel teil {9. August 378). Dieselben fielen 380 verheerend in Pannonien ein und wurden dort von Theodosius I. als Föderaten angesiedelt. Als ihr König erscheint später der Schwager des Westgotenkönigs Alarich I., A t h a u l f , der im Jahre 408 mit seinem Volke nach Italien zog und sich daselbst mit den Westgoten vereinigte. Über die Geschichte der unter hunnischer Botmäßigkeit zurückgebliebenen Volksteile wissen wir dagegen außerordentlich wenig. Was Jordanis-Cassiodor darüber überliefert hat, ist teils Sage, teils gelehrte Erfindung und geschichtlich völlig wertlos1); nur einige von diesen Goten ausgegangene Expeditionen gegen das römische Reich, die mehr für Aus wand erungs- als Kriegszüge zu halten sind, lassen erkennen, daß innere Kämpfe und Versuche, das hunnische Joch abzuschütteln, dort wiederholt stattgefunden haben müssen. Im Jahre 386 wurde eine große Schar Greutungen unter Odotheus, die Aufnahme ins Reichsgebiet begehrte, von den Römern auf treulose Weise vernichtet. Das gewaltige Heer, das unter der Führung des R a d a g a i s von den Donauländern bis nach Italien vordrang, erlag bei Fäsulä der überlegenen Kriegskunst des Heermeisters Stilicho (404). Die letztere Niederlage muß auf die Goten in der Heimat einen erheblichen Eindruck ausgeübt haben; die Zurückbleibenden, geschwächt durch den starken Abfluß, haben sich nunmehr widerstandslos der hunnischen Herrschaft gebeugt. Infolge dieses Verhaltens ist ihnen gestattet worden, sich wieder eigene Könige zu setzen2); zu Anfang des 5. Jahrhunderts muß der dem Namen nach unbekannte Amalerkönig regiert haben, der der Vater der Brüder W a l a m e r , T h i u d i m e r und W i d i m e r war und mit dem das berühmte Amalergeschlecht zuerst in sichere geschichtliche Beleuchtung tritt. Nach ') Vgl. hierzu außer L. Schmidt und v. Sybel auch v. G u t s c h m i d , Kleine Schriften V (Leipzig 1894), S. 293 ff. *) Die von der gotischen Uberlieferung an Ermenrich angeknüpften Könige Winithar, Hunimund, Thorismud sind erdichtet.

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dessen Tode wollten die Goten den Nichtamaler Gesimund zum Herrscher wählen, weil die berechtigten Thronerben noch nicht wehrhaft waren; doch schlug dieser die ihm angetragene Königswürde aus, um sie für die jungen Königssöhne zu bewahren. Als die letzteren die Großjährigkeit erlangt (ca. 440), haben sie die Herrschaft unter sich geteilt, jedoch in der Weise, daß die Reichseinheit gewahrt blieb und einer der Brüder (Walamer) als der eigentliche König die Oberhoheit über die anderen, die eine nur untergeordnete und lokale Herrschaft ausübten, besaß. Unter der Herrschaft Attilas nahmen die Ostgoten mit ihren drei Königen an der großen Völkerschlacht auf dem mauriacensischen (catalaunischen) Felde bei Troyes teil (451). Als nach des Hunnenkönigs Tode dessen Reich in mehrere Teile zerfiel, schlössen sich die botmäßigen germanischen Völker unter Führung des Gepidenkönigs Ardarich zusammen und lieferten den Söhnen Attilas am Flusse Nedao (?) in Pannonien eine große Schlacht, die mit der völligen Niederlage und Zerstreuung der Hunnen endete (453). Bei der Verteilung der Siegesbeute nahmen die Goten das nördliche Pannonien für sich in Beschlag und ließen sich im Besitze dieses Gebietes als römische Föderaten durch den byzantinischen Kaiser bestätigen. Der unter Walamer stehende Volksteil hatte das Land zwischen Leitha und Raab inne, während die Goten Widimers zwischen Raab und Plattensee, die unter Thiudimer an diesem See selbst und wohl weiter östlich bis zur Donau hin saßen. Es waren freilich nicht alle Teile des ostgotischen Volkes damals unter der Herrschaft der drei amalischen Brüder in Pannonien vereinigt. In der Balkanhalbinsel an verschiedenen Orten zerstreut standen zahlreiche Goten in kaiserlichen Diensten; die militärischen Kommandos lagen zumeist in germanischen, speziell gotischen Händen. Solcher Abkunft waren vor allem die Truppen, auf die der oströmische Heermeister Aspar — der selbst gotisches Blut in seinen Adern hatte — und später dessen Schwager, der Ostgote Theoderich, des Triarius Sohn, genannt Strabo, sich stützten. Mit den pannonischen Goten, als einem selbständigen, wenn auch unter römischer Oberhoheit stehenden Volke, können aber diese Goten, die als vom Reiche angeworbene, römisch disziplinierte Söldner aus dem nationalen Verbände ausgeschieden waren, nicht in Parallele gestellt werden; ihre Geschichte gehört daher mehr der römischen als der germanischen an. Kaum hatten die Goten in ihrer neuen pannonischen Heimat festen Fuß gefaßt, als sie auch schon wieder in Kämpfe verwickelt wurden. Die Hunnen, unter Führung von Söhnen Attilas, fielen in den Reichsteil Walamers ein, wurden aber von ihm zurückgeschlagen (um 455). Als Kaiser Leo I. nach seinem Regierungsantritt (457) die Fortzahlung der den Goten bisher gewährten Subsidien verweigerte, verheerten sie Illyrien und nahmen einige Städte, darunter die reiche Handelsstadt Dyrrachium ein (459), kehrten aber schließlich wieder in das alte Vertragsverhältnis zurück. Als Geisel ging der junge Sohn Thiudimers von dessen Beischläferin Erelieva, Theoderich (geb.

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um 455), nach K o n s t a n t i n o p e l E i n e eigentliche Erziehung hat derselbe zwar nicht genossen — er war bis zu seinem Lebensende des Schreibens völlig unkundig — ; wohl ist aber ohne Zweifel während dieses längere Zeit dauernden Aufenthaltes in der Reichshauptstadt in dem begabten Knaben zu der ihn später auszeichnenden Bewunderung des römischen Staatswesens und der römischen Kultur der Grund gelegt worden. — Der so geschaffene Friedenszustand behagte indessen den Goten nur wenig; den Byzantinern gegenüber vertragsmäßig gebunden, suchten sie nach anderer Richtung hin ihren Tatendrang zu befriedigen. Auch das arianische Christentum, zu dem sie sich jetzt wohl in ihrer Gesamtheit bekannten — zur Zeit der Hunnenherrschaft waren sie noch in überwiegender Zahl Heiden —, hat keinen dämpfenden Einfluß auf ihre überschäumende Kriegslust auszuüben vermocht. Mehrfach schlugen sie sich mit den Nachbarvölkern herum; namentlich kam es mit den nördlich der Donau wohnenden Sweben, Skiren, Rugiern und Gepiden zu heftigen Zusammenstößen, die mit einem entscheidenden Siege der Goten am Flusse Bolia endeten (469). In diesen Kämpfen hatte Walamer den Tod gefunden; seine Herrschaft fiel nun an Thiudimer, der seitdem auch die Rechte eines Oberkönigs über die Gesamtheit dos Volkes ausübte. Das Ansehen der Goten war jetzt so gestiegen, daß der Kaiser Leo, der bisher ihre Widersacher unterstützt hatte, sich mit ihnen gut zu stellen suchte und den jungen Theoderich aus freien Stücken in seine Heimat entließ. Dieser sammelte aber gleich nach seiner Rückkehr ohne Wissen seines Vaters eine stattliche Schar um sich und nahm die kaiserliche Stadt Singidunum (Belgrad), wo sich inzwischen der Sarmatenkönig Babai festgesetzt hatte, ein. Hierdurch ermutigt beschlossen die Goten, das ausgesogene Pannonien überhaupt aufzugeben und sich bessere Wohnsitze zu suchen. Durch das Los wurde bestimmt, daß Thiudimer mit seinem Volk gegen Byzanz, Widimer gegen das weströmische Reich sich wenden sollte. Letzterer zog durch Noricum nach Italien, wo er starb; sein gleichnamiger Sohn führte auf Veranlassung des Kaisers Glycerius (473—474) die Scharen nach Gallien, wo sie mit den Westgoten sich vereinigten. Thiudimer ging über die Save und drang bis Naissus vor; unterwegs ereilte ihn aber der Tod, und es folgte ihm sein Sohn T h e o d e r i c h in der Regierung (471). Während das ostgotische Volk sich in Niedermösien in der Gegend von Novae (Schistowa) festsetzte, empörten sich die germanischen Truppen, die Aspar um sich geschart hatte, um die Ermordung ihres Herrn zu rächen, in Thrazien gegen den Kaiser Leo (471), traten aber wieder in den Reichsdienst zurück, als ihr nunmehriger Führer Theoderich Strabo als ihr König anerkannt und zum kaiserlichen magister militum praesentalis ernannt wurde. Dagegen stützte sich LeosNachfolger ') Vgl. zum Folgenden auch M a r t i n , Theoderich d. Gr. bis zur Eroberung Italiens. Freiburg 1888. Willi M ü l l e r , Die Herrschaft Theoderichs d. Gr. vor seinem Zuge nach Italien. Greifswald 1892.

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auf dem Kaiserthrone, Zeno (seit 474), auf die Goten- des Amalers, den er durch Waffenleihe adoptierte und in den Patriziat erhob, indem er gleichzeitig Strabo aller seiner Würden entsetzte (476), weil dieser gegen ihn konspiriert hatte. Das treulose Verhalten des Kaisers, dessen Politik offenkundig das Ziel verfolgte, die Germanen gegeneinander zu hetzen, führte 478 zu einem Bündnis der beiden Gotenführer, das aber nur von kurzer Dauer war. Strabo, eifersüchtig auf das Kriegsglück des Amalers, schloß sich wieder an Zeno an und wurde völlig restituiert, während Theoderich seiner römischen Würden verlustig ging. Die erlittene Unbill zu rächen, brach der Amaler mit den Seinigen verheerend in Mazedonien ein und setzte sich in der Provinz Epirus nova1) um Dyrrhachium fest; Verhandlungen mit dem Kaiser, der den Goten Wohnsitze in der Provinz Dardania um Pautalia (Köstendil) anbot, zerschlugen sich, als es dem römischen General Sabinianus glückte, einen Teil des gotischen Heeres, das Theoderichs Bruder Thiudimund führte, zu vernichten (479). Bald trat aber für die Goten eine wesentliche Besserung ihrer Lage ein. Strabo überwarf sich mit dem Kaiser und schloß wieder ein Bündnis mit seinem Rivalen (480). Der kriegstüchtige Sabinian fiel 481 durch Meuchelmord, und in demselben Jahre starb auch Strabo. Dessen Sohn Rekitach übernahm die Führung der auf 30000 Mann angewachsenen Truppen; aber eine besondere Rolle haben diese nicht mehr gespielt, da ein großer Teil nunmehr zu den freien Goten überging. Mit seiner erheblich verstärkten Macht durchzog Theoderich plündernd Mazedonien und Thessalien und nahm eine Anzahl Städte ein. Zeno sah sich genötigt, wieder mit ihm zu paktieren (483); er ernannte ihn zum magister militum praesentalis, wies ihm Wohnsitze in Uferdazien und einem Teile Niedermösiens an und designierte ihn für das folgende Jahr zum Konsul. Für den Kaiser zog der Gotenkönig 484 gegen den aufständischen Illus in Kleinasien zu Felde, wurde aber noch vor Beendigung der Feindseligkeiten aus Mißtrauen wieder abberufen. Das gute Einvernehmen dauerte infolgedessen auch nicht lange. Im Jahre 486 kam es zum völligen Bruche. Theoderich brach mit den Goten von seiner Residenz Novae auf und rückte verheerend in Thrazien ein. Im folgenden Jahre wurde dieser Zug wiederholt; ohne Widerstand zu finden, drang er bis in die Nähe von Konstantinopel vor, ließ sich aber durch Bitten seiner am byzantinischen Hofe weilenden Schwester bewegen, wieder nach Novae zurückzukehren (487). Während dieses Konfliktes zwischen Theoderich und dem Kaiser hatte auch Odowakar, um die Lage zur Befestigung seiner italienischen Herrschaft auszunutzen, zu einer Expedition gegen das Ostreich gerüstet. Die Rugier, die Zeno, um den neuen Feind von sich abzulenken, zu einem Einfalle in Italien angestiftet hatte, wurden in zwei ') Uber den damaligen Umfang der römischen Provinzen Ulyricums s. die Karte im C. I. L. HL Suppl. (1902).

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Feldzügen völlig besiegt (487, 488); der rugische Königssohn Friedrich flüchtete zu Theoderich nach Novae, wo er in Rücksicht auf das bestehende Verwandtschaftsverhältnis freundliche Aufnahme fand. Diese Vorgänge gaben den Anlaß, daß der Gotenkönig und der Kaiser einander wieder näher traten; das gemeinsame Interesse, die Beseitigung Odowakars, war es, das beide jetzt zusammenführte. Schon längst waren Theoderichs Augen auf Italien gerichtet, wo er für sein Volk eine bessere Versorgung zu finden hoffen durfte; anderseits mußte dem Kaiser daran gelegen sein, den immer gefährlicher werdenden Nachbar baldmöglichst aus der Balkanhalbinsel und der Nähe der Reichshauptstadt zu entfernen. Von welcher Seite die Anregung zu der gotischen Expedition gegeben worden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen; soviel steht aber fest, daß Theoderich nur im Auftrage des Kaisers dieselbe unternommen hat. Es ward ein förmlicher Vertrag zwischen beiden abgeschlossen des Inhalts, daß der Gotenkönig nach Besiegung Odowakars in derselben Stellung, wie sie dieser innegehabt, über das ehemalige weströmische Reich herrschen sollte, d. h. als magister militum praesentalis mit erweiterter Kompetenz mit dem Titel patricius, als Verweser, Regent des Westreiches im Namen des Kaisers, also als römischer Beamter, nicht als selbständiger Herrscher. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist der Zug gegen Odowakar von einschneidender Bedeutung gewesen. Die Ostgoten Theoderichs stellten bisher ein V o l k in nationalem Verbände dar; das Königtum war nationalen Ursprungs. Diese Verhältnisse erfuhren jetzt eine gänzliche Umgestaltung. Die Expedition nach Italien war nicht Volkssache, sondern ein Unternehmen freiwillig sich entschließender Goten und anderer Barbaren unter Führung des kaiserlichen Heermeisters Theoderich. Nicht unbedeutende gotische Scharen blieben in den Donauländern zurück, während anderseits zahlreiche Nichtgoten, insbesondere die Rugier unter Friedrich, auch einzelne Römer an dem Zuge teilnahmen. Die Befehlsgewalt, die Theoderich über diese Scharen ausübte, war ausschließlich die eines römischen Generals; das gotische Volkskönigtum Theoderichs war erloschen. Erst in Italien, nach der Niederwerfung Odowakars, haben die Teilnehmer des Feldzuges den Amaler zum Könige erkoren und sich damit zu einem selbständigen Volke konstituiert; insofern die Hauptmasse sich aus Ostgoten zusammensetzte, kann allerdings wieder von einem gotischen Königtum gesprochen werden ; aber die Grundlagen desselben waren nunmehr völlig verändert. Von der Aufrechterhaltung nationaler Einrichtungen konnte jetzt keine Rede mehr sein; der Volksverband war zerstört, und nur die Sippen scheinen sich teilweise erhalten zu haben. Im Herbst 488 setzte sich das Volk Theoderichs von Novae aus in Bewegung; wie zumeist auf den früheren Zügen waren die streitbaren Männer von ihren Frauen und Kindern begleitet, die nebst der gesamten Fahrhabe auf zahlreichen Wagen Platz gefunden hatten.

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Die Gesamtmenge der Auswanderer dürfte auf etwa 100000 Köpfe oder 20000 Krieger zu veranschlagen sein; Angaben, die auf größere Zahlen schließen lassen, verdienen keinen Glauben1). Der Zug bewegte sich auf der römischen Heerstraße, die die Donau entlang nach Singidunum (Belgrad) und weiter über Sirmium nach Emona (Laibach) und Aquileja führte. Die Gepiden, die bei Sirmium die Goten aufzuhalten suchten, wurden nach hartem Kampfe zurückgeworfen. An der Isonzobrücke erwartete in wohlverschanzter Stellung Odowakar den Gegner, erlitt aber am 28. August 489 eine Niederlage. Auch eine zweite Schlacht im September d. J. vor den Mauern Veronas endete mit einem Siege der Goten. Mit dem Reste seiner Truppen suchte Odowakar in Ravenna Schutz, während Theoderich in Mailand einzog und dort die Anzeige von der Unterwerfung des größten Teiles Italiens entgegennahm. Auch der Heermeister Odowakars, Tufa, ging zu Theoderich über, schloß sich aber bald darauf seinem früheren Herrn wieder an und lieferte diesem die unter sein Kommando gestellten gotischen Soldaten gefesselt aus (Anfang 490). Dadurch gewann Odowakar wieder die Oberhand; er nahm Cremona und Mailand ein und belagerte den Gotenkönig in Pavia, wurde aber durch das Eintreffen eines den Ostgoten zu Hilfe gesandten westgotischen Korps wieder züm Abzüge gezwungen. Am 11. August 490 kam es an der Adda zu einer großen Schlacht, aus der Theoderich trotz starker Verluste zum dritten Male als Sieger hervorging. Mit Mühe entkam Odowakar nach Ravenna, wo er von den ihm folgenden Goten eingeschlossen wurde. Theoderich betrachtete sich jetzt als den Herrn Italiens; in seinem Auftrage ging noch im Jahre 490 der Senator Faustus von kom nach Konstantinopel, um mit dem Kaiser Zeno über die Feststellung der Rechte des neuen Gebieters zu verhandeln, insbesondere für diesen die Genehmigung zur Anlegung der Abzeichen der kaiserlichen Gewalt zu erbitten. Aber die Herrschaft der Goten war noch keineswegs gesichert. Noch behaupteten sich zahlreiche Anhänger Odowakars an verschiedenen Orten des Landes; dazu kamen Beunruhigungen durch auswärtige Völker, wie die Burgunder und Wandalen. Auch die Rugier fielen von Theoderich ab und vereinigten sich mit den Truppen Tufas (491). Freilich vertrugen sich die Verbündeten nicht lange; in der Gegend zwischen Verona und Trient lieferten sie sich eine Schlacht, in der Tufa sein Leben einbüßte, worauf die Rugier wieder zu den Goten zurückkehrten (492). Namentlich aber solange Ravenna sich noch in den Händen Odowakars befand, konnte von einem festen Besitze Italiens keine Rede sein. Die Stürme der Goten auf diese uneinnehmbare Festung wurden sämtlich abgeschlagen; erst als Theoderich eine Flotte requirierte und die Zufuhr der Lebensmittel von der Seeseite her abschnitt, kam nach 2^jährigem Ringen, am 25. Februar 493, ein Ausgleich zwischen den ') Vgl. dazu auch D e l b r ü c k , Geschichte der Kriegskunst II, 303 ff.

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beiden Gegnern zustande, demzufolge Theoderich und Odowakar fortan gemeinsam von der Residenz Ravenna aus über Italien herrschen sollten. Am 5. März zog Theoderich in die heißumstrittene Stadt ein; aber er war von vornherein nicht gesonnen, sich an den durch feierliche Eide beschworenen Vertrag zu halten. «Schon 10 Tage später stieß er den ihn vertrauensvoll besuchenden Odowakar im Palaste meuchlings mit eigener Hand nieder, und zu der gleichen Zeit wurden auch die Mannschaften des unglücklichen Königs mit ihren Familien in ganz Italien auf Grund eines vorher ergangenen Befehls sämtlich ermordet1). c) T h e o d e r i c h s H e r r s c h a f t i n I t a l i e n 2 ) . Bald nach dem Tode Odowakars ließ sich Theoderich von seinen Truppen zum Könige ausrufen, noch bevor die erbetene Anerkennung aus Byzanz eingetroffen war. Der neue Kaiser Anastasius (seit April 491) war freilich nicht gesonnen, diesen Schritt, der eine völlige Verschiebung der Rechtslage bedeutete, ohne weiteres gutzuheißen. Denn durch die Königswahl war das kaiserliche Heer zu einem selbständigen Volke, der kaiserliche General zu einem regierenden Lehnsfürsten geworden, dessen Gewalt nicht mehr allein in dem ihm vom Kaiser übertragenen Amte beruhte3). Besonders in Italien aber mußte die Konstituierung eines germanischen Föderatstaates von so bedeutender militärischer Macht bedenklich erscheinen; war doch auch die Herrschaft Odowakars, der über eine weit geringere Truppenzahl verfügte als Theoderich, nur widerwillig und, wie es scheint, niemals vollständig anerkannt worden. Erst im Jahre 497 kam ein neuer Vertrag zustande, durch den das frühere Abkommen wesentlich erweitert und die Grundlage für die Neuordnung der staatsrechtlichen Verhältnisse geschaffen wurde. Das von den Ostgoten beherrschte Gebiet (d. h. Italien mit Sizilien, Dalmatien, Savia, Rätien und Noricum, wozu später die Provence, Teile von Sequania (Schweiz), Pannonia n und ein Teil Obermösiens traten) bildete einen Bestandteil des römischen Gesamtreiches. Die Bevölkerung schied sich in Römer und Goten; die letzteren ') Die offizielle gotische Version, die den Odowakar als Verräter hinzustellen sucht, liegt namentlich vor im Anonymus Valesianus und in der Chronik Casaiodors, während die byzantinischen Quellen (bes. Joh. Antiochenus) den Vertragsbruch Theoderichs hervorheben. Unter dem Namen Ermenrichs wurde Odowakar in die gotische Heldensage eingeführt, ebenso wie der Verräter Tufa als Witege. s ) Vgl. noch S c h n ü r e r , Das Papsttum zur Zeit Theoderichs : Histor. Jahrbuch der Görresgesellschaft IX (1888), S. 251 ff. Pf e i l s c h i f t e r , Der Ostgotenkönig Theoderich und die katholische Kirche. Münster 1896. D u m o u l i n , Le gouvernement de Théodoric: Revue historique 78. 79 (1902). s ) Vgl. namentlich S y b e l , Königtum. S. 292. Mo m m s e n , Ostgotische Studien a. a. O. H a r t m a n n I, 84ff. Dagegen behaupten D a h n , Könige II, 124ff., Urgeschichte 1,293 und ähnlich H a l b a n , S. 99, den Fortbestand des alten gotischen Volkskönigtums.

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waren ausschließlich zum Militärdienst berechtigt, galten als Ausländer, hatten ihr eigenes Personalrecht, ihren besonderen Gerichtsstand und ihre eigene, die arianische Kirche; Eheschließungen mit den Römern waren unzulässig. Die Römer bildeten den Zivilstand; Theoderich, deiv selbst römischer Bürger war und als solcher den kaiserlichen Geschlechtsnamen Flavius führte, regierte sie als Stellvertreter des Kaisers, mit dem Rechte, das Purpurgewand und die sonstigen Abzeichen der imperatorischen Würde zu tragen, und der Befugnis, die römischen Beamten, auch einen der Konsuln, zu ernennen. Dem Kaiser blieb vorbehalten die Gesetzgebung, die Verleihung des römischen Bürgerrechts und das Münzrecht. Der römische Verwaltungsorganismus blieb in der hergebrachten Form bestehen und selbst das Militärwesen war zum großen Teile nach römischer Art geordnet, wie es denn überhaupt Theoderichs Bestreben war, römischem Wesen und römischer Zivilisation allenthalben Eingang und Verbreitung zu schaffen. Die Ansiedelung der Goten erfolgte im Anschlüsse an die von Odowakar durchgeführte Landabtretung, indem jede Familie ein Drittel eines römischen Gutes (fundus) mit dem gesamten lebenden und toten Inventar, auch den Kolonen, zu freiem Eigentum, jedoch mit der Verpflichtung zur Entrichtung der römischen Grundsteuer erhielt. Von diesen Landanweisungen, deren Ausführung der Leitung des praefectus praetorio Liborius unterstand, wurde hauptsächlich der Norden und Osten Italiens betroffen; insbesondere Sizilien und Süditalien bis gegen Benevent hin, Campanien und das Gebiet von Rom waren ganz frei von gotischen Siedelungen. Starke Besatzungen befanden sich überdies in den wichtigsten Städten, z. B. in Syrakus, Neapel, Rom, Trient, ferner in Salonae (Dalmatien) und Sirmium (Pannonien), namentlich aber in den Kastellen, die die Alpenübergänge beherrschten. Die von der Teilung nicht betroffenen römischen Güter waren mit einer ein Drittel der Einkünfte betragenden Abgabe belastet, aus der die Kosten der Besoldung der Truppen bestritten wurden. Theoderich hatte in seinem Leben die Treulosigkeit der byzantinischen Politik zu oft kennen gelernt, um nicht gegen diese von starkem Mißtrauen erfüllt zu sein. Er suchte daher durch enge Verbindung mit den übrigen auf dem Boden des ehemaligen weströmischen Reiches gegründeten germanischen Staaten, mit denen er überdies, soweit sie überhaupt dem Christentum anhingen, durch die gleichen konfessionellen Interessen verbunden war, ein Bollwerk gegen etwaige Restaurationsgelüste des oströmischen Kaisertums zu schaffen. Bereits im Jahre 493 heiratete er Audefleda, die Schwester des mächtigen Frankenkönigs Chlodowech; ferner wurde zu derselben Zeit der burgundische Königssohn Sigismund mit Ariagne (Ostrogotho), einer Tochter Theoderichs aus erster Ehe, verlobt, deren Schwester Thiudigotho wiederum den Westgotenkönig Alarich II. heiratete. Infolge dieser Verbindungen gaben die Burgunder 6000 aus Ligurien

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fortgeschleppte Gefangeue frei und versprachen keine weiteren Feindseligkeiten gegen Italien zu unternehmen. Im Jahre 500 ward auch ein Bündnis mit den Wandalen, den Beherrschern des Mittelmeeres, geschlossen: Theoderichs verwitwete Schwester Amalafrida ging als Gattin des Königs Thrasamund nach Afrika und brachte diesem als Mitgift den strategisch wichtigen Teil Siziliens um Lilybftum zu. Ferner trat der Allianz auch der König der Heruler an der Donau, Rodulf, bei. Diese Konföderation wurde freilich bald durch die fränkische Expansionspolitik zerstört. Chlodowech, der 496 zum Katholizismus übergetreten war und sich dadurch die Bundesgenossenschaft der Kirche sowie aller Römer erworben hatte, brachte zunächst die Burgunder unter seinen Einfluß (502) und ging sodann, ohne sich um die Vermittelungsversuche des Ostgotenkönigs zu kümmern, gegen die Westgoten vor, die er 507 bei Vougle entscheidend schlug. Um ein Eingreifen der Ostgoten zu verhindern, ließ der mit Chlodowech verbündete Kaiser Anastasius die Küsten Italiens verheeren, während der Wandalenkönig sich in geheimem Einverständnis mit den Byzantinern befand (507/8). Theoderich konnte aber nicht dulden, daß ganz Gallien, insbesondere der an Italien grenzende Teil, unter fränkische Botmäßigkeit kam. Im Sommer 508 überschritt ein ostgotisches Heer unter dem Oberbefehle des Ibba die Seealpen, entsetzte Arles und drängte die verbündeten Franken und Burgunder aus Südgallien hinaus. Die Provence wurde hierauf dem ostgotischen Reiche einverleibt, Gesalech, der von einem Teile der Westgoten erhobene König, vertrieben und in den unter westgotischer Herrschaft verbleibenden Gebieten (Spanien und Septimanien mit der Hauptstadt Narbonne) für Amalarich, den unmündigen Sohn Alarichs II., die vormundschaftliche Regierung Theoderichs eingerichtet (510)1). Es ist charakteristisch für die staatsrechtliche Auffassung, daß im autonomen westgotischen Reiche fortan nach Regierungsjahren Theoderichs, im ostgotischen, zum Imperium gerechneten Gebiete nach Konsulatsjahren gerechnet wurde. Gesalech suchte und fand bei Thrasamund Schutz und Hilfe, wurde aber bei der versuchten Rückkehr getötet. Als Theoderich deswegen bei dem Wandalenkönige Beschwerde erhob, beeilte sich dieser, sein Verhalten zu entschuldigen (511). Ebenso nahm sich der Ostgotenkönig der von den Franken bedrohten Alamannen an; einen Teil derselben, d. h. wohl denjenigen, der in der Schweiz und in Raetia II ansässig war, stellte er unter seinen Schutz, gliederte deren Gebiet als ehemalige weströmische Provinzen seinem Reiche an und erzielte damit den Zweck, die Franken von der Grenze Italiens fernzuhalten2). Das Heruler') Nach anderer Ansicht hat sich die 510 eingerichtete ostgotische Eigenherrschaft bis an die Pyronften, die vormundschaftliche Regierung Theoderichs nur auf Spanien erstreckt und ist erst 526 das rechtsrhodanische Gallien den Westgoten abgetreten worden. Vgl. K i e n e r , Verfassungsgeschichte der Provence. Leipzig 1900. S. 5 ff. *) Demgemäß werden noch ca. 535 bei Cassiod. Var. 12,4 Rhein und Donau als Grenzen des ostgotischen Reiches bezeichnet. S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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reich war um 505 von den Langobarden vernichtet worden; dafür trat aber jetzt der gefährliche Nachbar der Franken, der Thüringerkönig Herminafrid durch Heirat mit Theoderichs Nichte Amalaberga den Alliierten der Ostgoten bei. Das Übergewicht des ostgotischen Reiches über die Staaten Westeuropas schien durch diesen Machtzuwachs für die nächste Zeit gesichert. Auch die seit einiger Zeit gestörte Eintracht mit dem byzantinischen Reiche ist damals wiederhergestellt worden. Zur Sicherung seiner Ostgrenze hatte der Gotenkönig im Jahre 504 durch seinen General Pitzia die Gepiden mit Krieg überzogen und ihnen die Provinz Pannonia II mit der wichtigen Festung Sirmium abgenommen. Als hierauf in der Nähe der neuen gotischen Grenzprovinz ein Abenteuerer, Mundo, einen Raubstaat begründete und ein kaiserliches Heer zu dessen Bekämpfung ausrückte, gab Theoderich seinen Truppen Befehl, jenem Hilfe zu leisten, mit dem Erfolge, daß die Byzantiner eine schwere Niederlage erlitten und einen Teil Obermösiens (besonders Singidunum) verloren (505). Dadurch wurde der Kaiser Anastasius veranlaßt, die Politik Chlodowechs in der schon erwähnten Weise zu unterstützen; der Sieg der ostgotischen Waffen führte aber dazu, daß das Kriegsbeil vorläufig begraben und Friede auf Grund des damaligen Besitzstandes geschlossen wurde (510). In diesen Beziehungen bereitete sich aber ein großer, die Existenz des ostgotischen Reiches bedrohender Umschwung vor, als im Jahre 518 Kaiser Justinus I., ein eifriger Orthodoxer, den Thron bestieg. Der Streit, der zwischen der abendländischen Kirche und der kaiserlichen Regierung unter Zeno und Anastasius entbrannt war, wurde alsbald geschlichtet; während der Kaiser in seinem Reiche die Arianer unterdrückte, schloß sich der Klerus mit dem römischen Adel im Vertrauen auf oströmische Hilfe zusammen, um die Herrschaft der ketzerischen Barbaren in Italien zu stürzen. Die nationalen Gegensätze erfuhren eine immer steigende Verschärfung; es zeigte sich jetzt deutlich, daß der gotische Staat der inneren Kraft und Festigkeit entbehrte. Die Vorstellungen, die Theoderich beim Kaiser wegen der Verfolgung seiner Glaubensgenossen erhob, hatten nur teilweisen Erfolg; die vom Bosporus zurückgekehrten Gesandten, darunter der Papst Johannes, wurden, des Einverständnisses mit Byzanz bezichtigt, ins Gefängnis geworfen. Die hochverräterischen Bestrebungen der Aristokratie kamen durch den Prozeß gegen den Patrizier Albinus ans Tageslicht; als Opfer fielen Boethius und sein Schwiegervater Symmachus unter dem Beile des Henkers (526). Und nicht bloß nach dieser Seite hin ergaben sich in den letzten Jahren von Theoderichs Regierung Schwierigkeiten. Im Jahre 522 war es wieder zum offenen Bruche mit den Burgundern gekommen, weil der König Sigismund seinen Sohn Sigerich, einen Enkel Theoderichs, ermordet hatte. Dadurch veranlaßt rückten die Franken in Burgund ein; Sigismund wurde geschlagen und getötet. Um zu verhindern, daß das Land jenen ganz in die Hände fiel, sandte Theo-

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derich den General Tuluin über die Alpen, der, ohne Widerstand zu finden, das Gebiet nördlich der Durance bis zur Isère besetzte und dem gotischen Reiche angliederte (523). Zwar kam es jetzt noch nicht zur Auflösung des burgundischen Staates; aber indem diese sich als unvermeidlich erwies, war die Frage der Entscheidung nahe gerückt, ob die Ostgoten noch imstande sein würden, ihren gallischen Besitz weiter zu behaupten. Noch bedenklicher waren die Vorgänge im Wandalenreiche. Hilderich, der Nachfolger Thrasamunds (seit 523), wandte sich bald nach seinem Regierungsantritt von der ostgotischen Allianz ab und warf sich ganz dem Kaiser in die Arme; als er deswegen bei der Witwe Thrasamunds Amalafrida auf heftigen Widerstand stieß, ließ er diese mit ihrem Gefolge umbringen. Theoderich konnte den Schimpf nicht ungerächt hingehen lassen; er gab Befehl, eine Flotte zu bauen, die die Wandalen in Afrika angreifen und zugleich die italienischen Küsten gegen etwaige Angriffe der Byzantiner schützen sollte. Aber noch bevor die Schiffe auslaufen konnten, starb er, am 30. August 526. d) D i e N a c h f o l g e r T h e o d e r i c h s b i s z u m U n t e r g a n g e Reiches1).

des

Zum Thronfolger hatte Theoderich mit kaiserlicher Zustimmung seinen Schwiegersohn, den Gatten der Amalaswintha2), Eutharich, einen Spanier von angeblich amalischer Abkunft, bestimmt, der aber schon 522 aus dem Leben geschieden war3). Als der greise König sein Ende nahen fühlte, designierte er zum Herrscher Eutharichs unmündigen, zehn Jahre alten Sohn A t h a l a r i c h , für den Amalaswintha bis zu seiner Regierungsfähigkeit das Szepter führen sollte. Der Thronwechsel vollzog sich ohne Schwierigkeiten ; einer noch von Theoderich getroffenen und bereits bei dessen Lebzeiten in bezug auf die Bevölkerung Ravennas durchgeführten Anordnung gemäß, wurden die Goten und Römer in allen Provinzen für Athalarich vereidigt, der seinerseits den Schwur leistete, daß er in Gerechtigkeit und Milde zum Besten des Volkes herrschen wolle. Die in Gallien wohnenden Römer und Goten ließ man überdies in Anbetracht der dort bestehenden besonderen Verhältnisse sich gegenseitig Treue schwören. Dem rauhen Barbarentum abhold, suchte die feingebildete Regentin den Römern und dem Kaiser auf jede Weise entgegenzukommen. In unterwürfigem Tone meldete sie den Thronwechsel nach Byzanz ; die Kinder des Boethius und Symmachus erhielten das beschlagnahmte Vermögen ihrer Eltern zurück; den Mitgliedern des Senats wurde eine bevor*) Vgl. auch Horst K o h l , Zehn Jahre ostgotischer Geschichte (526—636). Leipzig 1877. L e u t l i o l d , Untersuchungen zur ostgotischen Geschichte der Jahre 635—87. Jena 1908. ') Tochter Theoderichs von Âudefleda. *) 518 ward er vom Kaiser Justin durch Watfenleihe adoptiert und mit dem römischen Bürgerrecht beschenkt ; 519 bekleidete er das Konsulat. 7*

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zugte Rechtsstellung eingeräumt, die katholische Kirche in verschiedener Weise begünstigt. Der Römer Liberius erhielt das Amt eine» patricius praesentalis, das zugleich militärische Funktionen in sich schloß, und ward dem Goten Tuluin an die Seite gestellt. Die Römer wurden trotz alledem nicht versöhnt, wohl aber die Goten in offen» Opposition gedrängt. Um ihren schwindenden Einfluß am Hofe wiederherzustellen, erhoben die gotischen Großen die auch mit Erfolg gekrönte Forderung, daß Athalarich nicht mehr wie bisher nach römischer Art, sondern umgeben von gotischen Altersgenossen erzogen werde. Der junge König wurde durch diese gegen seine Mutter aufgehetzt und zugleich zu Ausschweifungen verführt, die seine Gesundheit völlig untergruben. Amalaswintha suchte sich der drei gefährlichsten Führer der Opposition zu entledigen, indem sie dieselben an verschiedene Orte der Grenzbezirke mit militärischen Aufträgen sandte; als aber trotzdem das Ränkespiel nicht aufhörte, gab sie Befehl, jen© zu ermorden, nachdem sie sich für den Fall des Mißlingens des Schutzes des Kaisers Justinian versichert und ein Schiff zur Flucht bereitgestellt hatte. Die Bluttat gelang, ohne daß sich jemand zum Rächer auf warf; die Herrschaft der Regentin schien äußerlich gesicherter denn je; aber von ihrem Volke hatte sich die Tochter Theoderichs für alle Zeiten gelöst. Den wachsenden Schwierigkeiten im Inneren entsprach der Niedergang des Ansehens nach außen. Nur auf einer Seite hatten die Goten damals einige Erfolge aufzuweisen: die Gepiden, die 530 Sirmium wieder zu gewinnen versuchten, wurden zurückgewiesen. Die durch Theoderichs Tod herbeigeführte Auflösung der Union mit dem Westgotenreiche bedeutete eine wesentliche Einbuße der ostgotischen Macht. Amalaswintha erkannte den Amalarich als selbständigen Herrscher an, gab den Kronschatz heraus und verzichtete auf die Fortentrichtung der bisher von den Westgoten nach Italien entrichteten Steuern. 531 fiel das Thüringerreich, ohne daß die ostgotische Regierung einzugreifen wagte. Als die Franken weiterhin auch die Burgunder bedrohten, schloß Amalaswintha mit diesen ein Bündnis und trat ihnen das 523 besetzte Gebiet nördlich der Durance wieder ab; aber bei der Katastrophe des Burgunderreiches spielte das an der Grenze zusammengezogene ostgotische Heer den untätigen Zuschauer (532—534). Auch die geplante Strafexpedition gegen die Wandalen kam nicht zur Ausführung; die Tochter Theoderichs begnügte sich mit Vorwürfen und Protesten und kündigte den Abbruch der diplomatischen Beziehungen an, vermied es aber, mit Krieg zu drohen. Dagegen leistete sie, von dem Bestreben geleitet, sich mit Byzanz gut zu stellen, dem Unternehmen Justinians gegen das Wandalenreich direkten Vorschub, indem sie den Kaiserlichen auf Sizilien eine Rast- und Sammelstätte sowie Gelegenheit zum Einkauf von Proviant und Pferden gewährte (533). Mit Recht waren die gotischen Führer über diese Italien schwer gefährdende Politik empört; ohne eine Entscheidung von Ravenna abzuwarten, nahmen sie eigenmächtig Lilybäum wieder für das ostgotische Reich

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in Besitz. Da jedoch Beiisar auf dieselbe Stadt Anspruch erhob, kam man überein, auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen einen Ausgleich über diese und andere Streitpunkte herbeizuführen. Im Sommer 534 reiste deswegen der kaiserliche Gesandte Alexandros nach Italien, der zugleich den geheimen Auftrag hatte, die von Amalaswintha mit dem byzantinischen Hofe angeknüpften Beziehungen weiter auszugestalten. Daß die Regentin, wie Prokop erzählt, an Justinian ganz Italien auszuliefern versprochen habe, ist wegen ihrer notorischen Herrschsucht nicht glaubhaft; wohl aber ist anzunehmen, daß sie im Hinblick auf die bevorstehende Auflösung ihres Sohnes und die wachsende Mißstimmung der Goten die Unterstützung kaiserlicher Truppen zur Behauptung der Herrschaft gegen eine Gebietsabtretung nachgesucht hat. Und auch von anderer Seite wurde der byzantinischen Regierung Gelegenheit geboten, in die Verhältnisse des ostgotischen Reiches einzugreifen. In Tuscien lebte auf seinen ausgedehnten Gütern noch ein Gote amalischer Abkunft, Theodahad, ein Sohn Amalafridas aus deren erster Ehe, der von Theoderich bei der Regelung der Nachfolge beiseite geschoben worden war und deswegen, sowie weil er bei seinen Übergriffen auf fremdes Eigentum wiederholt die verdiente Zurückweisung hatte erfahren müssen, der Opposition gegen Amalaswintha angehörte: auch dieser knüpfte mit dem Kaiser Beziehungen an, wie es scheint, um seinen nach Recht und Brauch wohlbegründeten Ansprüchen auf den demnächst zur Erledigung kommenden Thron einen größeren Nachdruck zu verschaffen. Aber noch bevor die Entscheidung von Byzanz eingetroffen war, starb Athalarich, 18 Jahre alt, am 2. Oktober 534. Es geschah ohne jeden Rechtsgrund, als A m a l a s w i n t h a sich jetzt, wahrscheinlich von einigen ihr ergebenen Palastbeamten, zur Königin ausrufen ließ; denn durch den Tod ihres Sohnes war das ihr von Theoderich erteilte Mandat erloschen. Sie hoffte aber Anerkennung und eine Stütze zu finden, indem sie den T h e o d a h a d zum Mitregenten ernannte, von dem sie erwartete, daß er sich mit dem Königstitel begnügen, ihr selbst aber die eigentliche Herrschaft überlassen würde. Dem Kaiser und dem Senat teilte sie den Regierungswechsel mit, während bezeichnenderweise eine Anzeige an das gotische Volk oder gar eine Aufforderung zur Zustimmung unterblieb. Sie hatte sich aber in ihrem Vetter arg getäuscht. Dieser, der keineswegs gesonnen war, sich mit der ihm zugedachten kläglichen Rolle zufriedenzugeben, umgab sich mit Goten der Nationalpartei, ließ •einige Anhänger der Königin beseitigen und sie selbst nach einem Kastell auf einer Insel des Bolsener Sees bringen (November 534). Jetzt war für Justinian, dessen Absichten dahin gingen, das ganze Abendland wieder dem kaiserlichen Szepter zu unterwerfen, ein unmittelbarer Anlaß zur Intervention gegeben. Wie er kurz vorher für den abgesetzten Wandalenkönig Hilderich eingetreten war, so beauftragte er seinen Gesandten Petrus, in Italien öffentlich zu verkünden, daß die Tochter Theoderichs unter seinem Schutze stehe, und

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schritt, als diese inzwischen mit Ein willigang Theodahads (schwerlich wie Prokop in der Geheimgeschichte angibt auf Betreiben der Kaiserin Theodora) ermordet wurde (30. April 535), sofort zum Kriege. Die Aussichten, unter denen die Feindseligkeiten eröffnet wurden, waren für die Goten die denkbar ungünstigsten. Während der Kaiser nach einem wohlüberlegten Plane vorging und gut ausgerüstete Truppen unter bewährter Führung zur Verfügung hatte, überdies auch auf die Bundesgenossenschaft der mächtigen Franken rechnen durfte, waren die Goten gänzlich unvorbereitet, untereinander uneinig, ihre Streitkräfte zersplittert und ohne einheitliche, kundige Leitung: König Theodahad erscheint als ein energieloser, feiger, unkriegerischer Charakter, der typische Vertreter der Dekadenz, ein Seitenstück zu dem letzten Wandalenkönig Gelimer. Dazu kam, daß die Italiener, bestürzt über das gewaltsame Ende der ihnen wohlgesinnten Regentin, anfingen, schwierig zu werden. Als der König eine Heeresabteilung nach Rom legen wollte, schloß die Stadt aus Furcht vor Gewalttätigkeiten die Tore; er mußte sich entschließen, dem Senat und Volk eine alle Besorgnisse zerstreuende eidliche Versicherung abzugeben t und seine Truppen in außerhalb der Mauern gelegenen Quartieren unterbringen. Während der magister militum Mundo in Dalmatien einfiel und die wenigen dort stationierten gotischen Truppen mit leichter Mühe besiegte, landete Beiisar mit der byzantinischen Hauptmacht (7500 Mann außer der mehrere Tausend zählenden Garde) in Sizilien und brachte in kurzer Zeit, ohne wesentlichen Widerstand zu finden, die ebenfalls nur schwach besetzte Insel in seine Gewalt (Ende 535). Diese schwerwiegenden Erfolge — Sizilien war damals die Kornkammer Italiens — raubten dem feigen Könige alle Besinnung; er bot dem noch an seinem Hofe weilenden Gesandten Petrus zuerst die Abtretung Siziliens und Verzicht auf eine Anzahl wichtiger Hoheitsrechte, schließlich sogar die Auslieferung des ganzen ostgotischen Gebietes an, wenn ihm dafür eine behagliche und ehrenvolle Existenz am byzantinischen Hofe gewährt werde. Justinian war natürlich bereit, hierauf einzugehen. Theodahad hielt sich aber an seine Zusage nicht mehr gebunden, als die Goten in Dalmatien einige Erfolge davontrugen und Beiisar genötigt wurde, sich von Sizilien nach Afrika wegen einer dort ausgebrochenen gefährlichen Meuterei zu begeben (Frühjahr 536); er ließ die kaiserlichen Gesandten unter Verletzung des Völkerrechtes einkerkern und Münzen prägen, die gegen den bisherigen Brauch sein Bildnis anstatt des kaiserlichen zeigten1). Irgendwelche umfassende Defensivmaßregeln gegen den nunmehr unvermeidlichen Angriff der Byzantiner ergriff er, unfähig, die Lage zu überschauen, jedoch nicht; nur mit den Franken — diese, d. h. die ihnen unterworfenen Burgunder und Alamannen, scheinen damals einen Streifzug nach Oberitalien unternommen zu haben —, knüpfte er, ergebnislos, Verhandlungen an, um sie als ') E n g e l & S e r r u r e , Traite de numismatique I, 27.

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Bundesgenossen zu gewinnen. So kam es, daß die Kaiserlichen, als sie im Sommer 536 die Feindseligkeiten erneuerten, wiederum große Erfolge erzielten. Ungehindert überschritt Beiisar die Straße von Messina und drang in Süditalien vor; ebenso fiel den Byzantinern Dalmatien bis gegen Ravenna hin ohne Kampf zu. Ein kleines gotisches Heer, das unter dem Kommando von Theodahads Schwiegersohn, Evermud, in Bruttium stand, ging zu den Kaiserlichen über. Ernstlichen Widerstand leistete nur Neapel, das, von einer starken Besatzimg tapfer verteidigt, erst nach dreiwöchiger Belagerung erstürmt wurde (November 536). Theodahad verharrte indes weiter in Untätigkeit; wie er es unterließ, den Verteidigern von Neapel Hilfe zu schicken, so traf er auch köine Anstalten, die in Norditalien stehenden Truppen zusammenzuziehen und dem Feinde entgegenzuwerfen. Waren die Goten bisher nur widerwillig und wesentlich aus Anhänglichkeit an das Geschlecht der Amaler dem Könige gefolgt, so ließ dessen nur durch Verrat zu erklärendes Verhalten den Zorn der national denkenden Volksgenossen in hellen Flammen auflodern. Das bei Rom lagernde Heer' trat auf dem Felde von Regeta zusammen, erklärte Theodahad seiner Würde verlustig und setzte einen seiner Offiziere, den W i t i g i s , einen erprobten Kämpfer niederer Geburt, durch Schilderhebung zum Könige ein 1 ) (November 536): ein Akt, der das Wiederaufleben der alten Rechte des versammelten Volkes bedeutete; demgemäß tritt der unter Theoderich völlig ausgeschaltete Einfluß der Freien bzw. des Adels auf die Gestaltung der gotischen Politik fortan wieder stärker hervor. Theodahad floh aus Rom, wo er sich bisher aufgehalten, wurde aber durch einen von dem neuen Könige gedungenen Mörder unterwegs niedergemacht (Anf. Dezember 536). Witigis erwies sich jedoch nicht als der geeignete Mann, dem Gotenreiche ein Retter zu werden. Seine vielgerühmte persönliche Tapferkeit und sein redlicher Wille konnten die ihm mangelnde strategische und politische Begabung nicht wettmachen. Er beging gleich zu Anfang seiner Regierung den Fehler, daß er Rom nicht selbst mit allen ihm zurzeit zur Verfügung stehenden Streitkräften gegen Beiisar zu halten suchte, sondern, nur einen Teil seines Heeres in der Stadt zurücklassend, im kindlichen Vertrauen auf den Treueid, den er den Römern auferlegt hatte, sich nach Ravenna zurückzog. Hier leitete er die Mobilisierung der in Norditalien angesiedelten Goten; zunächst aber scheint er auf die Befestigung seines Königtums bedacht gewesen zu sein. Er erließ an alle Goten eine Kundgebung mit der Aufforderung, seiner Wahl, an der nur ein Bruchteil des Volkes, beteiligt gewesen war, beizutreten, und heiratete die Tochter Amalaswinthas, Mataswintha, gegen deren Willen, um sich auch hierdurch eine gewisse Legitimität zu verschaffen. Demgemäß wurden von Justinian später alle von den gotischen Königen bis einschließlich Witigis erlassenen Ver') Fragmente einer Lobrede Cassiodors auf W. im Anhang zu Mommeens Auagabe der Varíen S. 473 ff.

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fügungen als rechtmäßige anerkannt. Doch hat sich diese erzwungene Verbindung mit dem Amalerhause für den gotischen Staat als unheilvoll erwiesen: die Enkelin Theoderichs ist aus Rache zur Verräterin ihres Volkes geworden. Ferner suchte Witigis den Kaiser versöhnlich zu stimmen und zum Frieden zu bewegen; er ließ auch wieder Münzen mit dem Bildnis Justinians schlagen: ein höchst unkluger Schritt, der angesichts der bisherigen Waffenerfolge der Byzantiner ergebnislos bleiben mußte und nicht anders als ein Zeichen der Schwäche aufgefaßt werden konnte. Erst als er eine ansehnliche Truppenmacht 1 ) zusammengebracht und die unsichere Zusage fränkischer Hilfeleistung durch Abtretung der Provence — die allerdings nach der Vernichtung des burgundischen Reiches nur mit einem großen militärischen Aufgebot zu halten gewesen wäre — sowie des gotischen Alamanniens erkauft hatte, wagte er wieder dem Feinde entgegenzutreten. Inzwischen war aber Rom von Beiisar besetzt worden: die Bevölkerung, an der Spitze der Papst Silverius, öffnete ihm die Tore, während die gotische Besatzung, ohne Widerstand zu leisten, sich zurückzog (9./10. Dez. 536). Kurz darauf hatten die Kaiserlichen auch Narni, Spoleto und Perugia eingenommen. Witigis fiel nun die schwere Aufgabe zu, Rom durch Belagerung wiederzugewinnen. Nachdem es ihm geglückt war, eine an der Aniobrücke aufgestellte Truppenabteilung in die Flucht zu schlagen, schloß er die Stadt mit sieben Lagern ein (21. Febr. 537). Aber alle Stürme der Goten scheiterten an den festen Mauern und der umsichtigen Leitung der Verteidigung durch Beiisar; Seuchen und Mangel an Lebensmitteln entmutigten die Belagerer immer mehr, und als schließlich Verstärkungen aus Byzanz eintrafen, bot Witigis Frieden an, indem er sich zur Abtretung von Sizilien und Campanien sowie zu einer Tributzahlung verpflichtete. Beiisar verwies die gotischen Gesandten an den Kaiser; bis zu ihrer Rückkehr sollte Waffenruhe herrschen. Diese wurde von der kaiserlichen Heeresleitung sehr vorteilhaft ausgenutzt, während die Goten untätig blieben und eine Position nach der anderen aufgaben. Noch vor Ablauf der Vertragsfrist wurden die Feindseligkeiten wieder eröffnet. Witigis versuchte noch einmal, sich Roms zu bemächtigen, wiederum ohne Erfolg; dagegen drang der kaiserliche Offizier Johannes mit einer Streifschar in Picenum ein, schlug die ihm entgegentretenden gotischen Truppen und besetzte Ancona sowie Ariminum (Rimini), von wo aus er mit der Königin Mataswintha Beziehungen anknüpfte. Im Rücken bedroht, sah sich Witigis genötigt, die Einschließung Roms aufzugeben; dem abziehenden, arg zusammengeschmolzenen Heere brachte Beiisar noch erhebliche Verluste bei (März 538). Während der König auf einem Umweg den Apennin überschritt und sich gegen Ariminum wandte, das er einschloß, schickte Beiisar von Rom aus zu Schiff nach Genua eine Heeresabteilung, die ohne große Mühe in ') Angeblich 150000 Mann, eine sicher übertriebene, wahrscheinlich um ein Zehntel zu reduzierende Zahl.

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kurzer Zeit Mailand und ganz Ligurien gewann; er selbst marschierte zu Beginn des Sommers nach der adriatischen Küste, wo er sich bei Firmum mit den 7000 ihm von Byzanz zu Hilfe geschickten Truppen unter Narses vereinigte, und zwang die Goten, die Belagerung von Ariminum aufzugeben und sich nach Ravenna zurückzuziehen. Narses und Johannes trennten sich jetzt von dem übrigen Heere und drangen eigenmächtig in die Aemilia vor; der Oberfeldherr nahm Urbinum und Orvieto, vor dem wichtigen Auximum ein Beobachtungskorps zurücklassend, und bezog sodann die Winterquartiere. Inzwischen war im Nordwesten durch das Eingreifen der Franken ein wesentlicher Umschwung zugunsten der Goten eingetreten. Durch burgundische Hilfstruppen, die der Frankenkönig gesandt hatte, verstärkt, ergriff das dort unter Uraja stehende gotische Heer die Offensive und zwang Mailand zur Übergabe: die Stadt wurde völlig zerstört, die Zivilbevölkerung teils niedergemacht, teils verknechtet und hierauf ganz Ligurien zurückerobert. Aber Beiisar war durch diesen Mißerfolg nicht entmutigt. Durch die Abberufung des Narses gewann er wieder das volle Verfügungsrecht über die kaiserlichen Truppen; im Frühjahr 539 zog er vor Auximum, das er nach siebenmonatiger Belagerung in seine Gewalt brachte, während eine andere Abteilung Fäsulä zur Übergabe nötigte und ein drittes Korps, das bei Dertona stationiert wurde, die Goten unter Uraja in Schach hielt. Die tapfere Besatzung von Auximum trat auf Grund einer Vereinbarung in das kaiserliche Heer ein, ein nicht vereinzelt dastehender Fall, der deutlich zeigt,. daß ein eigentliches Nationalgefühl dem Volke gänzlich gebrach, wie dies bei den bestehenden staatsrechtlichen Verhältnissen ja auch nicht anders sein konnte. Ein Einfall der Franken, die die Lage für sich auszunutzen suchten und sowohl den Goten wie den Byzantinern Verluste beibrachten, blieb ohne Einfluß auf den Gang der Ereignisse; denn die wilden Scharen zogen, nachdem sie furchtbar im Lande gehaust, durch Hunger und Seuchen dezimiert, alsbald wieder heim, und nur ein Teil Oberitaliens blieb fortan in fränkischen Händen. Vergeblich suchte Witigis, der seit Jahresfrist ziemlich untätig in Ravenna weilte, die Hilfe des mächtigen Langobardenkönigs Wacho zu gewinnen: dieser lehnte in Rücksicht auf einen kürzlich mit Justinian geschlossenen Vertrag ab. Beiisar zog die Truppen, die soeben siegreich gegen die nach Dalmatien gesandten Goten gekämpft hatten, heran und schloß Ravenna von der Land- und Seeseite ein (Herbst 539); auf Entsatz war nicht zu rechnen, nachdem der Versuch Urajas, ein größeres Heer aus den in den Alpentälern angesiedelten Goten zu bilden, durch eine Diversion des Johannes vereitelt worden war. Bald machte sich in der Stadt, der alle Zufuhren abgeschnitten waren, großer Mangel an Lebensmitteln fühlbar; die königlichen Getreidemagazine gingen durch Brandstiftung, an der Mataswintha beteiligt gewesen sein soll, in Flammen auf. Jetzt boten sich die Franken an, den Goten zu helfen gegen Abtretung der Hälfte von Italien; Witigis aber wies mit Zustimmung seiner Umgebung den

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Antrag, den er nicht für ernst nahm, zurück und zog es vor, sich mit dem Kaiser zu verständigen. Und dieser zeigte sich auch geneigt, die Feindseligkeiten zu beendigen; denn der Perserkönig Chosroes, an den die Goten sich ebenfalls mit der Bitte um Hilfe gewendet hatten, drohte wieder mit Krieg. Die nach Ravenna geschickten kaiserlichen Gesandten wurden ermächtigt, Frieden zu bewilligen, wenn die Goten das Land südlich vom Po abtreten und die Hälfte des Königsschatzes ausliefern würden. Witigis und die Seinen waren bereit, zuzustimmen unter der Voraussetzung, daß auch Beiisar einverstanden sei: aber dieser weigerte sich, einen solchen Vertrag zu unterschreiben; er wollte die günstige Gelegenheit, ganz Italien zu gewinnen und den König als Kriegsgefangenen in Byzanz aufzuführen, sich nicht entgehen lassen. So nahm die Belagerung ihren Fortgang. In der höchsten Not verfielen die gotischen Großen auf den Ausweg, der allein die Möglichkeit zu bieten schien, sie vor dem drohenden Schicksal, aus Italien und von ihren Besitzungen weichen zu müssen, zu bewahren: sie boten Beiisar die gotische Königskrone an, wenn er sich (von seinen Truppen) zum weströmischen Kaiser ausrufen ließe und sich verpflichte, keinen Goten an Leib und Gut zu schädigen1). Auch Witigis erklärte sich aus freien Stücken bereit, auf die Krone zu verzichten, um der ihm in erster Linie drohenden Kriegsgefangenschaft zu entgehen. Beiisar ging zum Schein auf diese Anträge ein und verstand es, die Goten zu überzeugen, daß ihm an der Gewinnung der Herrschaft sehr viel gelegen sei, obwohl er in Wahrheit nicht daran dachte, dem Kaiser die Treue zu brechen. Die Goten sahen daher kein Bedenken, ihm die Tore Ravennas zu öffnen (Anfang 540). Zunächst noch das bisherige Trugspiel fortsetzend, nahm er Witigis in ehrenvolle Haft, ergriff von dem Königshort Besitz und entließ die südlich des Po ansässigen Goten in ihre Heimat, um sie unschädlich zu machen, während er sich von den noch unbezwungenen Besatzungen Norditaliens huldigen ließ. Alsdann aber warf er die Maske ab und trat, da inzwischen die Abberufungsorder des mißtrauischen Kaisers eingetroffen war, die Reise nach Byzanz an, den König, die Königin und eine Anzahl Gotenhäuptlinge sowie den Kronschatz mit sich führend. Mit Recht waren die Goten über den an ihnen geübten Verrat empört. Die Führer der nördlich vom Po angesiedelten Scharen traten zusammen und boten dem Neffen des Witigis, Uraja, der in Pavia befehligte, die Krone an. Aber dieser lehnte ab und lenkte die Wahl auf den Kommandanten von Verona, H i l d e b a d , den außer seiner Tapferkeit namentlich seine Verwandtschaft mit dem Westgotenkönig Theudis empfahl. Die Verhältnisse lagen für eine Wiederaufrichtung des gotischen Reiches nicht ungünstig. Die in Italien zurückgelassenen kaiserlichen Truppen waren weit über das Land l ) Die Darstellung dieser Vorgänge bei Prokop bell. Goth. 2, 29 ist nicht ganz durchsichtig. Es ist nicht ganz klar, welche staatsrechtliche Stellung Beiisar einnehmen sollte.

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zerstreut und entbehrten der einheitlichen Leitung; in der römischen Bevölkerung aber brach sich allmählich die Erkenntnis Bahn, daß die milde gotische Herrschaft doch dem jetzt mit aller Härte eingeführten byzantinischen Besteuerungssystem vorzuziehen sei. Hildebad sammelte die versprengten Goten um sich und schlug, verstärkt durch byzantinische Überläufer, ein kaiserliches Korps bei Treviso, wurde aber bald darauf von einem Gepiden, der für sich und den auf Befehl des Königs ermordeten Uraja Rache nahm, getötet. Die hierdurch entständen en Wirren benutzend, erhoben die Rugier, die, getrennt von den Goten siedelnd, eine gewisse Sonderstellung im italienischen Reiche einnahmen, aus ihrer Mitte den E r a r i c h zum Könige (Frühjahr 541). Aber unter den Goten fand dieser nur wenig Anhänger; denn statt den Krieg fortzusetzen, verharrte er in Untätigkeit; er trat sogar mit Justinian in Verbindung, dem er öffentlich die Abtretung des Landes nördlich vom Po, im geheimen aber die Auslieferung ganz Italiens gegen Zusicherung einer Pension anbot. Nach nur fünfmonatiger Herrschaft endete er durch Meuchelmord und Hildebads Neffe, T o t i l a (richtiger Badwila), der, schon an der Zukunft des gotischen Reiches verzweifelnd, mit der von ihm befehligten Besatzung von Treviso zum Kaiser hatte übergehen wollen, übernahm die ihm angetragene Königswürde. Es zeigte sich sofort, daß die Wahl des Volkes auf den richtigen Mann gefallen war. Ein trefflicher Feldherr und kluger Politiker, verstand es Totila, die augenblickliche Lage zu seinen Gunsten auszunutzen: er ergriff trotz unzureichender militärischer Mittel energisch die Offensive, ohne sich lange mit der Belagerung schwer einzunehmender Orte aufzuhalten, und suchte in der unterdrückten arbeitenden Landbevölkerung durch Milde und Gerechtigkeit eine Stütze zu gewinnen. Zunächst erlitt ein 12000 Mann starkes kaiserliches Heer, das nach einem mißglückten Handstreich gegen Verona sich auf Faenza zurückgezogen hatte, durch die nur 5000 Mann zählenden Goten eine schwere Niederlage. Kurz darauf wurde ein zweites römisches Heer, das zum Schutze von Florenz heranmarschierte, ebenfalls (bei Mucella) geschlagen und zerstreut; die byzantinischen Generale aber zogen sich in die Festungen zurück, ohne an eine gemeinsame Aktion gegen den Feind weiter zu denken (542). So kam es, daß Totila, der nun direkt nach Süden sich wandte, nirgends auf offenem Felde einem Widerstand mehr begegnete. Die festen Plätze, die er unterwegs einnehmen konnte, so namentlich das wichtige Benevent, ließ er schleifen, um zu verhindern, daß die Byzantiner sich, hier wieder festsetzten. Im Frühjahr 543 gewann er Neapel durch Hunger, nachdem zwei kaiserliche Entsatzflotten von schnell requirierten gotischen Kriegsschiffen zerstreut worden waren, und weiterhin, von Hydrunt (Otranto) abgesehen, ganz Süditalien, das, weil es bisher am wenigsten gelitten hatte, für die Getreideversorgung seiner Truppen von besonderer Wichtigkeit war. Sein Heer hatte inzwischen durch Aufnahme zahlreicher übergetretener byzantinischer

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Söldner, Sklaven und Kolonen eine ansehnliche Stärke erreicht; seinen Kriegsschatz füllte er, indem er die Pachtzinsen und Abgaben der hörigen Bauern in die Staatskasse fließen ließ; er konnte jetzt daran denken, den Vormarsch gegen Rom anzutreten. Beiisar, der wieder die Kriegführung in Italien übernahm (544), vermochte, da es ihm an geübten Mannschaften gebrach, nichts Erhebliches gegen die Goten auszurichten, die allmählich fast alle die Apenninenübergänge beherrschenden Festungen einnahmen (545) und endlich auch Rom einschlössen. Am 17. Dezember 546 öffnete die ewige Stadt, durch die bitterste Not gezwungen, ihre Tore; die Bevölkerung aber wurde von dem Sieger in kluger Berechnung mit größter Schonung behandelt. Vergebens suchte Totila den Kaiser zu bewegen, ihm Frieden und Wiederherstellung des Verhältnisses, wie es zwischen Theoderich und Anastasius bestanden, zu bewilligen: Justinian weigerte sich, mit dem »Tyrannen« zu verhandeln. Die Erfolge, die inzwischen die Kaiserlichen unter Johannes in Süditalien davongetragen, veranlaßten den König, Rom nach Zerstörung eines Teiles der Mauern zu Anfang des Jahres 547 zu verlassen und mit der Hauptmacht nach den bedrohten Gegenden abzumarschieren. Nachdem er dort siegreich mit den Byzantinern gekämpft, ohne freilich diese ganz zu überwinden, zog er gegen Ravenna. Beiisar säumte nicht, diesen Fehler zu benutzen; er setzte sich in Rom fest, nachdem er ein in der Nähe lagerndes gotisches Korps geschlagen, und ließ eilends die Befestigungen reparieren Sofort kehrte Totila um, aber es gelang ihm nicht, die Stadt mit Sturm zu nehmen, und er machte sich zunächst daran, das wichtige Perusia zu erobern. Auf Befehl des Kaisers begab sich Beiisar mit einer Heeresabteilung nach Hydrunt, um von dort aus vereint mit den übrigen, durch Zuzug verstärkten Truppen vorzustoßen (Winter 548); aber die Ausführung des Planes wurde durch die Schnelligkeit der Goten und die Uneinigkeit der kaiserlichen Heerführer vereitelt. Im Begriff wieder nach Rom zu gehen, wo die Besatzung gemeutert hatte, wurde Beiisar von Justinian nach Byzanz zurückberufen (Sommer 549). Totila rückte nun von neuem vor Rom und erzwang nach mehrmonatiger Belagerung die Übergabe. Die Stadt, deren beschädigte Gebäude und Festungswerke er gründlich wiederherstellen ließ, sollte fortan die Hauptstadt des neu aufgerichteten gotischen Reiches sein. Noch einmal versuchte er den Kaiser zum Frieden zu bestimmen; seine Anerbietungen erfuhren wiederum eine schroffe Abweisung. Nun spielte er sich auch offen als unabhängiger Herrscher auf: die Münzen aus seiner Regierungszeit, die anfänglich das Porträt Justinians, später das des Anastasius trugen, also noch die Absicht der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Byzanz zum Ausdruck brachten, zeigen jetzt nur noch das Bildnis des Königs mit der Stirnbinde. Eine Umgestaltung der inneren Verhältnisse seines Reiches in national-gotischem Sinne hat er aber, soweit wir wissen und wahrscheinlich, nicht angestrebt; eine angeblich aus einem griechischen Historiker jener Zeit

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Die Ostgermanen.

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stammende Notiz bei Petrus Alcyonius 1 ), Attila (1. Badwila?) habe die lateinische Sprache zugunsten der gotischen ausrotten wollen, dürfte wohl kaum als echt anzusehen sein. Noch waren aber wichtige Teile des Landes in den Händen der Kaiserlichen, und solange dies der Fall, konnte Totila seine Herrschaft nicht als völlig gesichert ansehen. Die Feindseligkeiten wurden daher fortgesetzt, und zwar gotischerseits mit wachsendem Erfolg. Unterstützt durch eine starke, hauptsächlich aus byzantinischen Kriegsschiffen bestehende Flotte, kämpften die Goten erfolgreich in Dalmatien, nahmen eine Anzahl wichtiger italienischer Küstenstädte weg, besetzten Sizilien bis auf Messina und bedrohten Ravenna. Die Neutralität der Franken hatte sich der König durch einen Vertrag, der jenen ihren Besitzstand in Oberitalien garantierte, gesichert. Aber jetzt raffte sich auch Justinian, durch die Vorstellungen der in Byzanz weilenden römischen Emigranten beeinflußt, zu einer energischeren Kriegführung auf. Er ernannte zum Oberbefehlshaber seinen Neffen Germanus, von dem zu erwarten war, daß er als Gemahl der Mataswintha viele der Goten auf seine Seite ziehen werde. Die geplante Expedition lockte zahlreiche Söldner zum Dienst unter den kaiserlichen Fahnen; schon war das in Illyrien zusammengezogene Heer zum Abmarsch bereit, als Germanus plötzlich an einer Krankheit starb (550). Auf die Nachricht von der drohenden Gefahr verließ Totila eilends Sizilien, um Maßregeln zur Abwehr zu treffen. Seine Flotten kreuzten im Adriatischen Meere, kaperten die kaiserlichen Proviantschiffe, brandschatzten die Küste von Epirus und besetzten die Inseln Sardinien und Korsika. Aber diese Erfolge wurden reichlich aufgewogen durch einen Seesieg der Byzantiner bei Sinigaglia, der die Befreiung der von den Goten belagerten Stadt Ancona zur Folge hatte, und durch den Verlust Siziliens (551). Wiederum bat Totila um Frieden gegen Verzicht auf Dalmatien und Sizilien und Anerkennung der Tributpflichtigkeit. Der Kaiser blieb unerbittlich, und zwar um so mehr, als der jetzt von Narses mit großen Mitteln vorbereitete Feldzug Aussicht auf eine baldige Beendigung des Krieges zugunsten der Byzantiner zu bieten schien. Die bisherige Taktik, die Süditalien als Operationsbasis gewählt hatte, ändernd, beschloß der neuernannte Generalissimus von Nordosten her, wo Ravenna einen wichtigen Stützpunkt darbot, in das gotische Gebiet einzufallen. Zu Beginn des Jahres 552 setzte er sich von Salonae aus in Bewegung und schlug den Landweg die Küste entlang ein, das fränkische Gebiet in Venetien und die von Teja an der oberen Etschlinie angelegte Sperre umgehend; im Frühjahr erschien er, den Goten völlig unerwartet, bei Ravenna. Von hier südwärts vordringend, stieß er bei dem Orte Busta Gallorum, unweit des Städtchens Tadinae (nicht Taginae; jetzt Gualdo Tadino, im umbrischen Apennin) mit dem gotischen Heere zusammen, das Totila eilends ') de exilio libri II. Lips. 1707. p. 213. nique II ,1906), S. 472 ff.

Vgl. S. Reinach in der Revue germa-

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H. Die germanischen Einzelstämme.

von Rom auf der via Flaminia herangeführt hatte. Die Schlacht entschied zugunsten der numerisch und taktisch weit überlegenen Byzantiner; der König selbst fand im Kampfe den Tod, und mit ihm fiel der größte Teil seiner Truppen. Es kam der letzte Akt des Dramas. An eine Wiederaufrichtung des gotischen Staates war nicht mehr zu denken. Dennoch riefen die Goten in Pavia, wo sich ein Teil des Königshortes befand, einen neuen König, den tapferen T e j a , aus. Dieser rüstete mit großer Energie und zog alle verfügbaren Streitkräfte zusammen; aber er war allein auf die wenigen noch überlebenden Männer seines Volkes angewiesen: die Italiener und die aus dem kaiserlichen Heere übergelaufenen Söldner, mit denen Totila seine Truppen verstärken konnte, hatten schon bei der Ankunft des Narses begonnen, die gotischen Fahnen zu verlassen. Auch die Franken, an die sich Teja sofort um Hilfe wandte, ließen ihn im Stich. Um das Vordringen der Goten nach Süden zu verhindern, stellte Narses Truppenabteilungen am Po und in Tuscien auf; er selbst zog gegen Rom, nahm die nur schwach besetzte Stadt im ersten Anlaufe und ließ Cumae belagern, wo Tejas Bruder, Aligern, kommandierte und ein anderer Teil des gotischen Schatzes aufbewahrt wurde. Teja aber umging, an der Küste des Adriatischen Meeres hinziehend, die feindlichen Stellungen und erschien unerwartet in Campanien, um zunächst Cumae zu entsetzen. Furchtbar wüteten die Goten, die jetzt keine staatsrechtlichen Rücksichten mehr zu nehmen Veranlassung hatten, auf ihrem Wege gegen die römische Zivilbevölkerung, insbesondere gegen die Aristokratie; vor allem wurden die Geiseln, die Totila in Pavia interniert hatte, sämtlich niedergemacht. Wenn gleichwohl der letzte Gotenkönig Münzen mit dem Bilde des Anastasius hat schlagen lassen, so dürfte dies lediglich aus finanzpolitischen Gründen geschehen sein. Auf die Nachricht von dem Anmarsch des Narses nahmen die Goten am Veeuv auf dem linken Ufer des Flüßchens Dracon (Sarnus) eine feste Stellung ein, in der sie durch ihre Flotte sich verproviantieren konnten. Die Gegner standen zwei Monate einander untätig gegenüber; als aber die gotischen Schiffe durch Verrat den Kaiserlichen in die Hände fielen, zog sich Teja mit den Seinigen auf den dem Vesuv gegenüberliegenden Milchberg (mons Lactarius) zurück, um hier den Heldentod zu sterben. Alle Angriffe der Kaiserlichen auf die uneinnehmbare gotische Stellung schlugen fehl; als aber der König gefallen war, traten die gotischen Führer mit Narses in Verhandlung, der ihnen freien Abzug aus Italien unter Mitnahme ihrer Habe bewilligte (Anfang 553?). Die Reste der Ostgoten haben auch nach der definitiven Vernichtung des italienischen Reiches eine nicht unbedeutende geschichtliche Rolle gespielt. Wohin die Schar, die den erwähnten Vertrag mit Narses abgeschlossen, sich gewendet hat, ist unbekannt; vielleicht hat sie sich in der Schweiz bei den Alamannen niedergelassen. Die Besatzungen einzelner Städte leisteten den byzantinischen Truppen noch längere Zeit heftigen Widerstand: im Süden war es die Stadt

B. Die Ostgermanen.

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Cumae, die von Aligern erst nach Jahresfrist, und zwar freiwillig, übergeben wurde. Zur Unterstützung der Goten erschien im Herbst 553 ein starkes fränkisch-alamannisches Heer unter Leuthari und Butilin in Italien; aber dieses erlag teils Krankheiten, teils in einer blutigen Schlacht am Flusse Casilinus bei Capua dem Schwert der Byzantiner (Herbst 554). Der letzte Stützpunkt der Goten war das Apenninenkastell Compsae, wo sich noch 7000 Mann zusammengefunden hatten; diese wurden im Winter 555 zur Kapitulation gezwungen und unter die im Osten des byzantinischen Reiches kämpfenden Truppen eingereiht. Wohl sind einzelne Goten nachweisbar nach der Eroberung in Italien auf ihren Besitzungen zurückgeblieben, aber das Fortbestehen von Ansiedelungen größerer Massen hat die kaiserliche Regierung wegen der Gefahr eines Aufstandes zweifellos nicht geduldet. Es ist ein grober Irrtum, wenn man dem gotischen Elemente einen Einfluß auf die Bildung der italienischen Nation einräumen zu müssen geglaubt hat1). e) D i e W e s t g o t e n b i s z u r B e g r ü n d u n g d e s t o l o s a n i s c h e n Reiches. Als die Nachricht von der Katastrophe des ostgotischen Reiches sich verbreitete (S. 89), schlugen die Westgoten unter Führung Athanar i c h s am Dnjestr ein festes Lager auf, um ihre Ostgrenze zu sichern. Ein unvermuteter Angriff der Hunnen zwang sie jedoch, diese Stellung aufzugeben. Ein Teil des Volkes, der bei Athanarich blieb, zog sich an den Fuß der Karpathen zurück; ein anderer, unter A l a v i v und F r i t h i g e r n , flüchtete nach der Donau und erbat Aufnahme in das römische Gebiet. Nach längeren Verhandlungen kam ein Vertrag des Inhalts zustande, daß die Goten als Föderaten in Thrazien angesiedelt werden sollten. Der Übergang über die Donau fand im Frühjahr 376, wahrscheinlich bei Durostorum (jetzt Silistria) statt; die Zahl der Ubergetretenen dürfte auf ca. 8000 wehrhafte Männer oder 35—40000 Köpfe zu veranschlagen sein. Während die Ankömmlinge, die alsbald wegen mangelhafter Verpflegung anfingen, aufsässig zu werden, unter militärischer Bedeckung ins Innere abgeführt wurden, überschritten auch die Ostgoten unter Alatheus und Safrac (vgl. oben) sowie eine dritte westgotische Abteilung unter F a r n o b i u s die jetzt von Truppen entblößte Donaugrenze; dagegen zog es Athanarich vor, sich in dem Hochlande von Siebenbürgen häuslich einzurichten. Nach der Ankunft der Goten Alavivs und Frithigerns bei Marcianopel kam es zum offenen Konflikt; in einem unweit dieser Stadt gelieferten Treffen wurden die römischen Truppen geschlagen (Ende 376). Nun überschritten die Goten unbehindert den Balkan; verstärkt durch Überläufer verheerten sie weit und breit das Land, die festen Plätze, auf deren Belagerung sie sich nicht verstanden, sorgfältig meidend. ') Vgl. darüber zuletzt L. S c h m i d t , Das germanische Volkstum in den Reichen der Völkerwanderung: Deutsche Erde 1904 S. 136 ff.

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n . Die germanischen Einzelstämme.

Auf die Nachricht von diesen Vorgängen schickte der Kaiser Valens, der damals in Antiochia weilte, die armenischen Legionen nach den bedrohten Gegenden ab. Diese Truppen drängten, vereint mit einem weströmischen Hilfskorps, die Goten über den Balkan zurück und lieferten ihnen bei »Ad Salices«, unweit Tomis, in der Dobrudscha ein TrefEen, das zwar unentschieden blieb, den Barbaren aber erhebliche Verluste beibrachte (Sommer 377). Vergeblich suchte Frithigern, der fortan als der eigentliche Leiter der Operationen, als »Herzoge, erscheint, den Balkan wiederzugewinnen; als er aber hunnische und alanische Hilfstruppen heranzog, gab der oströmische General Saturnin us die Pässe frei, von den Goten verfolgt, die seine Arriferegarde überfielen und völlig aufrieben. Auch der weströmische General Frigeridus, der südlich vom Schipkapaß stand, mußte sich zurückziehen; doch gelang es ihm, die westgotische Abteilung des Farnobius zu vernichten. Von neuem wurden die Balkanländer verheert; die Goten drangen bis Konstantinopel, nach Mazedonien und Thessalien vor (Ende 377). Jetzt sah sich auch Valens veranlaßt, persönlich einzugreifen. Im'Frühjahr 378 begab er sich nach Konstantinopel, wo er ein Heer von ca. 15000 Mann zusammenzog. Im Juli d. J. marschierte er gegen Adrianopel, um dort mit dem erwarteten Hilfsheer des weströmischen Kaisers Gratian zusammenzutreffen. Aber noch bevor die Vereinigung der beiden Armeen stattfand, ließ sich Valens verleiten, die Goten, die bei Demeranlija ostnordöstlich von Adrianopel sich aufgestellt hatten, anzugreifen. Die Schlacht endete mit einer schweren Niederlage der Römer; der größte Teil derselben, darunter der Kaiser selbst, fiel unter den Schwertern der Feinde (9. August 378)1). Der Sieg der Goten rief natürlich in der ganzen zivilisierten Welt die größte Bestürzung hervor. Gratian, jetzt das alleinige Oberhaupt des gesamten Reiches, zog sich schleunigst nach Sirmium zurück; das flache Land der ganzen Balkänhalbinsel war von neuem den Barbaren preisgegeben, die nach vergeblichen Versuchen, Adrianopel, Perinth und Konstantinopel zu nehmen, in einzelne Scharen zerstreut, ihrer Raubund Mordlust die Zügel schießen ließen. In der Zeit der höchsten Not gelang es Gratian in der Person des früheren Kommandanten von Obermösien, T h e o d o s i u s , eine Kraft zu gewinnen, die geeignet erschien, dem tief gesunkenen Ansehen des römischen Reiches wieder aufzuhelfen; am 19. Januar 379 wurde derselbe zu Sirmium zum Kaiser des Ostens erhoben2). Theodosius schlug in Thessalonike sein ') Vgl. J u d e i c h , Die Schlacht bei Adrianopel: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft VI (1891), S. 1 ff. D e l b r ü c k , Gesch. d. Kriegskunst II, 280 ff. R u n k e l , Die Schlacht bei Adrianopel. Diss. Rostock 1903. ') K a u f m a n n , Kritische Untersuchungen zu dem Kriege Theodos. d. Gr. m. d. Goten: Forschungen z. deutschen Gesch. 12 (1872), S. 411 ff. R a u s c h e n , Jahrbücher der christlichen Kirche unter Theodosius. Freiburg 1897. S t e p h a n , Kritische Untersuchungen zur Geschichte der Westgoten I. II. (379—395). Progr. Siegburg 1889 — Köln 1897.

B. Die Ostgermanen.

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Hauptquartier auf, wo er Truppen zusammenzog, zu denen die Goten selbst ein nicht unerhebliches Kontingent stellten. Nach Beendigung der Rüstungen marschierte er im Sommer 37y nach Vicus Augusti an der Donau, von wo aus er durch detachierte Korps das Land von den Barbarenhorden säubern ließ. Gegen Ende des Jahres waren die Balkanländer bis auf Niedermösien und die Dobrudscha wieder in die Gewalt der Römer gelangt. Aber im Frühjahr 380 brach der Krieg von neuem aus. Frithigern, der wieder die Oberleitung übernommen hatte, zog mit den Westgoten nach Süden, um Theodosius, der seit dem Winter 379/80 wieder in Thessalonike weilte, anzugreifen, während die Ostgoten, Hunnen und Alanen sich nach Westen wandten. Der Kaiser, durch den plötzlichen Angriff völlig überrascht, wurde empfindlich geschlagen und verfiel, nachdem er als Flüchtling nach Thessalonike zurückgekehrt war, in eine schwere Krankheit, die ihn bis gegen Ende des Jahres 380 an der Weiterführung des Krieges hinderte. Mazedonien und Thessalien gerieten wieder in die Gewalt der Goten; doch wurden diese durch ein weströmisches Hilfskorps nach Niedermösien zurückgetrieben. Als überwunden konnten die Goten freilich keineswegs gelten, und es mußte jederzeit mit einem neuen Ausbruche des Krieges gerechnet werden. Wenn es gleichwohl nicht wieder zu Feindseligkeiten kam, so war dies wesentlich dem Verhalten des Theodosius gegenüber Athanarich zu verdanken. Dieser überschritt, vertrieben von einer Partei der mit ihm in Siebenbürgen zurückgebliebenen Goten, im Winter 380/81 mit seinem Gefolge die Donau und betrat am 11. Januar 381 Konstantinopel, wo ihm ein äußerst glänzender Empfang zuteil wurde. Theodosius zog ihm eine Wegstrecke entgegen, erwies ihm königliche Ehren und ließ ihm nach seinem schon am 25. Januar 381 erfolgten Tode ein prunkvolles Begräbnis ausrichten. Der Kaiser bezweckte damit, auf die Goten, bei denen Athanarich auch jetzt noch das größte Ansehen genoß, Eindruck zu machen, ihnen zu schmeicheln und sie versöhnlich zu stimmen. In der Tat kam es auch nach längeren Verhandlungen am 3. Oktober 382 zum Abschlüsse eines Friedensvertrages. Die Westgoten erhielten unter den bekannten Bedingungen als Föderaten Land zur Ansiedelung, wahrscheinlich in Niedermösien. Die Ruhe für die so schwer geprüften Balkanländer war damit vorläufig wiederhergestellt; aber sie sollte nicht lange Bestand haben. Schon unter Theodosius begegnen uns die Anzeichen starker Gärungen im westgotischen Volke; wir erfahren von dem Vorhandensein einer starken Partei, die der Abhängigkeit von Rom überdrüssig war und die Vernichtung und Eroberung des ganzen römischen Reiches anstrebte. Die Tendenzen dieser Nationalpartei sind offensichtlich dieselben, die in dem berühmten politischen Programm des Königs Athaulf mit voller Deutlichkeit zum Ausdruck gelangten und die auch weiterhin mit kurzen Unterbrechungen die Politik der westgotischen Führer bestimmten: Athaulf erklärte es als sein Ziel, das Römertum ganz auszutilgen, das römische Reich durch einen gotischen Nationalstaat zu S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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II. Die germanischen Einzelstimme.

ersetzen und selbst an die Stelle des Kaisers zu treten. Um das J a h r 390 kam es zu einem offenen Bruche des Vertrages. Gotische Scharen, geführt von dem jungen Alarich aus dem Geschlechte der Balthen, fielen verheerend in Thrazien ein und brachten den kaiserlichen Truppen wiederholt schwere Niederlagen bei, bis es dem Heermeister Stilicho gelang, sie zu bezwingen (391—392). Das Volk beteiligte sich hierauf dem Foedus gemäß an dem Kriege des Theodosius gegen den Usurpator Eugenius mit einem Kontingent, das wiederum Alarich kommandierte (394). Dieses erlitt in der entscheidenden Schlacht am Frigidus schwere Verluste; die naheliegende Vermutung, daß die Römer ihre Bundesgenossen auf einen gefährlichen Posten gestellt hätten, um sich ihrer zu entledigen, rief bei den gotischen Truppen eine solche Mißstimmung hervor, daß sie Stilicho alsbald, nach dem Tode des Theodosius, wieder in ihre Heimat entließ. Hier aber brach der glimmende Zündstoff in hellen Flammen aus. Verstärkt durch Zuzug zahlreicher Stammesgenossen von jenseits der Donau, riefen die Goten den A l a r i c h zum Herzoge oder Könige aus, um sie zum Kampfe gegen Rom zu führen (Anfang 395) x ). Etwa im März 395 setzten sich die Goten von Mösien aus in Bewegung. Wenn sie zunächst das Ostreich angriffen, so geschah es deshalb, weil dessen Hauptarmee sich zurzeit noch in Italien befand. Ohne Widerstand zu finden, rückten sie bis Konstantinopel vor, schritten aber nicht zur Belagerung, sondern begnügten sich damit, die Umgegend gründlich auszuplündern; alsdann zogen sie wieder ab, von dem Prätorianerpräfekten Rufinus wahrscheinlich durch reichliche Geldzahlungen dazu bewogen. Alarich nahm nun seinen Weg durch Mazedonien nach Thessalien; in der Nähe von Larissa stieß er mit einem aus ost- und weströmischen Truppen bestehenden Heer© unter Stilicho zusammen, der dorthin aufgebrochen war, um Ostillyricum wieder in die Verwaltung des Westreiches zu übernehmen. Zu einer Schlacht kam es jedoch nicht, da der römische Heermeister Befehl erhielt, sofort die oströmischen Soldaten zu entlassen und sich selbst nach Italien zurückzubegeben (Sommer 395). Die Goten, von einer großen Gefahr befreit, überschritten nun die Thermopylen, deren Besatzung sich ohne Gegenwehr zurückzog, verheerten Böotien und Attika, brachten Athen zur Übergabe und zogen dann über Eleusis und Megara nach dem Peloponnes, wo sie mühelos Korinth, Argos und Sparta in ihre Gewalt brachten (396). Soviel auch die Goten damals in Griechenland zerstört haben mögen, so wäre es doch grundfalsch, ihnen die Hauptschuld an dem Untergange der antiken Denkmäler beizumessen. ') Vgl. K o c h , Claudian und die Ereignisse der Jahre 396—398: Rheinisches Museum. N. F. 44 (1889), S. 575ff. B i r t , praef. zu Claudian (M. G. Auct. ant. X), p. X X V I f f . (für die Zeit 395 -403). M o m m s e n , Stilicho und Alarich: Hermes 38 (1903), S. 101 ff. — v. S y b e i , 8. 254ff. bestreitet, daß die Erhebung Alarichs als ein national-gotischer Akt anzusehen sei und behauptet, daß dessen Ehrgeiz niemals über den Gedanken einer mächtigen Stellung innerhalb des römischen Staatswesens hinausging; vgl. dagegen meine Geschichte der d. Stämme I. 189.

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Inzwischen hatte aber Stilicho eine neue Expedition vorbereitet. Im Frühjahr 397 setzte er mit einer Flotte von Italien nach Griechenland über und drängte die Goten nach wiederholten Gefechten nach der • Hochebene von Pholoe in Elis, wo ihnen infolge der Abschneidung des Wassers und der Zufuhren Hunger und Seuchen arg zusetzten. Gleichwohl ließ Stilicho den Gegner entkommen; er schloß hierauf mit ihm ein Bündnis, dessen Spitze sich ohne Zweifel gegen das Ostreich richtete (398). Während der Heermeister aus unbekannten Gründen nach Italien zurückkehrte, fiel Alarich verheerend in Epirus ein; die oströmische Regierung zog ihn aber schließlich auf ihre Seite, indem sie ihn zum Militärstatthalter von Illyricum ernannte und seinem Volke Wohnsitze in Epirus vetus und nova anwies (399). Es war unter diesen Umständen kein Wunder, wenn auch unter den im regulären römischen Heere dienenden gotischen Söldnern sich Selbständigkeitsgelüste regten. Eine besondere Beachtung verdient namentlich die von dem Westgoten G a i n a s geleitete Insurrektion, die zu einer wirklichen Gefahr für das Reich anwuchs. Im Jahre 39D hatten die in Kleinasien stationierten, von einem gewissen Tribigild befehligten ostgotischen Truppen gemeutert; zu ihrer Bekämpfung wurde Gainas mit einem vornehmlich aus westgotiscben Soldaten bestehenden Korps abgesandt. Aber dieser begünstigte durch sein zweideutiges Verhalten das Umsichgreifen des Aufstandes, um die Absetzung des ihm verhaßten Oberkämmerers Eutropius durchzusetzen. Als an des letzteren Stelle Aurelianus, ein energischer Gegner des Barbarentums, die Leitung Ostroms übernahm, schritt Gainas zur offenen Empörung, vereinigte sich mit Tribigild und zwang den Kaiser, die Führer der römischen Nationalpartei ihm auszuliefern. Er trat nun in Konstantinopel, gestützt auf die Truppen germanischer Nationalität, als der tatsächliche Machthaber auf; doch fand sein Regiment ein rasches Ende. Nachdem er selbst mit dem größten Teile seines Heeres die Stadt geräumt hatte, schlössen die Einwohner die Tore, metzelten die zurückgebliebenen Goten nieder und wiesen alle Stürme auf die Mauern mit Erfolg ab. Nachdem er bei einem Versuche, den Hellespont zu überschreiten, große Verluste durch die kaiserliche Flotte unter Fravitta erlitten, suchte er mit dem Reste der Seinigen jenseits der Donau ein Asyl, wurde aber von dem Hunnenfürsten Uldin geschlagen und getötet 1 ) (Ende 400). Alarich hatte sich inzwischen nicht untätig verhalten und für neue Unternehmungen gerüstet. Zur Durchführung seiner imperialistischen Pläne mußte er vor allem in den Besitz Italiens zu gelangen suchen; es waren dieselben Beweggründe, wie sie später die deutschen Könige über die Alpen trieben. Den direkten Anlaß zum Aufbruche der Goten gab ein Einfall der Wandalen und Alanen in Noricum und Rätien, durch den die Streitkräfte des weströmischen Reiches stark ') S i e v e r s , Studien zur Geschichte der röm. Kaiser. Berlin 1870. S. 356ff. M o m m s e n , Die Diokletianische Reichspräfektur: Hermes 36 (1901), S. 210ff.

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in Anspruch genommen wurden (401). Im November 401 passierte Alarich den Birnbaumer Wald (Alpis Julia); im Laufe des Winters 401/2 brachte er ganz Venetieu in seine Gewalt und schritt sodann zur Belagerung von Mailand, wo der Kaiser Honorius sich aufhielt. Der Anmarsch eines römischen Heeres unter Stilicho, der inzwischen die Ruhe in den Alpenländern wiederhergestellt hatte, zwang ihn, die Einschließung der Stadt aufzugeben; in der Absicht, die Küstenstraße nach Rom einzuschlagen, wandte er sich über Pavia, Valenza, Asti nach Pollentia (Pollenzo), wo er die nachrückenden Römer erwartete. Am Ostertage (6. April) 402 kam es zur Schlacht, die beiden Parteien große Verluste, keiner aber den Sieg brachte. Alarich drang weiter bis Tuscien vor; Stilicho, außerstande, seinen Vormarsch aufzuhalten, schloß mit ihm einen Vertrag, in dem sich der Gotenkönig verpflichtete, Italien zu verlassen und als weströmischer magister militum bei der geplanten Wiedergewinnung von Illyricum Orientale für das Westreich seine Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Alarich erkannte zu spät, daß er sich hatte überrumpeln lassen und daß er Bedingungen eingegangen war, die den tatsächlichen Machtverhältnissen nicht entsprachen; freilich befand sich seine Familie, die in der Schlacht von Pollentia gefangen genommen worden war, in der Gewalt der Römer. E r setzte sich daher unfern der italienischen Grenze in Istrien oder Dalmatien fest und suchte seine arg mitgenommenen Truppen zu ergänzen und neu auszurüsten. Aber auch Stilicho traf energische Defensivmaßregeln, und so kam es, daß Alarich, als er im Sommer 403 von neuem in Italien einbrach, einem wohlorganisierten Widerstande begegnete. Zunächst wurde er bei Verona von Stilicho empfindlich geschlagen. Als er hierauf über den Brenner nach Gallien durchzubrechen suchte, verlegte ihm Stilicho den Weg und schloß ihn im Gebirge ein, ließ ihn aber wiederum frei, nachdem er ihn von neuem als Bundesgenossen gegen das Ostreich verpflichtet hatte. Verschiedene Umstände verhinderten jedoch die Ausführung der illyrischen Expedition; Alarich, der nach Epirus beordert war, um sich dort mit den Truppen Stilichos zu vereinigen (406), wurde des Wartens überdrüssig und begab sich nach Noricum (Anfang 408), von wo aus er durch eine Gesandtschaft die Summe von 4000 Pfund Goldes als Entschädigung für seine Bemühungen forderte. Stilicho setzte nicht ohne Mühe die Bewilligung dieser Forderung im Senate durch und beschloß, Alarich nach Gallien zur Bekämpfung des Gegenkaisers Konstantin zu senden. Dieser Auftrag kam aber nicht zur Ausführung, da Stilicho auf Betreiben der römischen Nationalpartei gestürzt und am 23. August 408 hingerichtet wurde. Als hierauf die Römer auch gegen die Angehörigen der in Italien stehenden barbarischen Truppen Gewalttätigkeiten verübten, verließen diese, angeblich 30000 Mann stark, die kaiserlichen Fahnen und schlössen sich den Goten an. Alarich bot trotzdem die Hand zum Frieden und erklärte sich bereit, gegen eine Geldentschädigung und Empfang von Geiseln Noricum zu räumen und sich nach Pan-

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nonien zu begeben. Der Kaiser aber verweigerte seine Zustimmung, und nun rückte Alarich über die Karnischen Alpen in Italien ein und marschierte direkt nach Rom, ohne irgendwo Widerstand zu finden. Den Bewohnern der ewigen Stadt wurde eine gewaltige Kontribution und die Verpflichtung auferlegt, beim Kaiser einen Friedensschluß auf Grund der früheren Bedingungen zu erwirken. Alarich begab sich hierauf nach Tuscien in die Winterquartiere, wo er sein Heer durch den Zulauf zahlreicher germanischer Sklaven sowie durch die Truppen seines Schwagers Athaulf verstärkte (Ende 408). Honorius aber beharrte auf seinem Standpunkte, mit den Barbaren sich auf keinerlei Verträge einzulassen. Den Vorschlag seines Ministers Jovius, der mit Alarich in Unterhandlung trat, diesem die verlangte Einräumung von Venetien, Noricum und Dalmatien als Ansiedelungs.gebiet, ferner Jahrgelder und Lebensmittellieferungen zu bewilligen, eventuell auch das Amt eines magister militum praesentalis zu übertragen, wies er schroff zurück und verhielt sich auch dann noch ablehnend, als der Gotenkönig, durch Mangel gezwungen, seine Forderungen wesentlich ermäßigte und unter Verzicht auf römische Würden — ein Beweis, daß er auf solche kein Gewicht legte — nur Noricum und Getreidelieferung beanspruchte (409). Alarich zog nun von neuem gegen Rom und zwang den Senat, den Stadtpräfekten Priscus Attalus, in dem er ein gefügiges Werkzeug seiner Pläne zu gewinnen glaubte, zum Kaiser zu erheben (409). An eine Abschaffung des Kaisertums überhaupt konnte er angesichts der augenblicklichen politischen Lage nicht denken. Attalus war freilich nicht gesonnen, das Reich den Germanen auszuliefern, sondern plante, mit deren Hilfe dasselbe wieder zur alten Macht und Größe zu bringen. Aber er fand trotz seiner vornehmen Abstammung nur geringen Anhang unter den Römern, die er durch seinen Übertritt zum Arianismus gegen sich einnahm. Zunächst zog er mit dem Heere Alarichs, den er zum magister peditum ernannte, gegen Ravenna, wo Honorius residierte, und dieser bot ihm im ersten Schrecken — vergeblich — die Teilung des Abendlandes an; aber er s&h sich bald genötigt, die Belagerung aufzugeben, da Heraklian, der Statthalter von Afrika, die Getreidezufuhren sperrte und dadurch in ganz Italien eine furchtbare Hungersnot hervorrief. Ein mit unzureichenden Streitkräften unternommener Versuch, Afrika zu erobern, schlug fehl; er geriet darüber in Differenzen mit Alarich, der sich mit Honorius verständigte und den Schattenkaiser im Frühjahr 410 feierlich seiner Würde entkleidete. Es fanden hierauf zwischen dem Könige und Honorius Friedensverhandlungen statt, die aber von ersterem abgebrochen wurden, als Sarus, ein westgotischer Adliger, der sich vor mehreren Jahren mit seinem Gefolge von den übrigen Goten getrennt hatte und zu den Kaiserlichen übergetreten war, einen Überfall auf das gotische Lager unternahm. Über den anscheinenden Verrat empört, marschierte Alarich auf der via Flaminia zum dritten Male gegen Rom. In der Nacht zum 24. August 410 drangen die Goten

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durch Verrat in die Stadt ein; eine allgemeine Plünderung folgte, doch wurde das Leben der Bewohner im allgemeinen geschont, auch das Asylrecht der Kirchen respektiert. Aber schon nach drei Tagen (27. August) verließen die Goten wieder Rom mit unermeßlicher Beute beladen und mit zahlreichen Gefangenen, unter denen sich des Kaisers Schwester, Placidia, befand, und marschierten nach dem Süden der Halbinsel, um von dort aus nach Afrika, von dessen Besitz, wie die Erfahrung gelehrt hatte, die Behauptung Italiens abhängig war, überzusetzen. Als dieser Plan durch Stürme in der Meerenge von Messina vereitelt worden war, wandte sich Alarich wieder nordwärts, erlag aber unterwegs einer Krankheit und wurde im Bette des Flusses Basentus bei Consentía begraben (Ende 410). Als sein Nachfolger wurde A t h a u l f zum westgotischen König eingesetzt. Da die Eroberung Afrikas angesichts der Stellung des Statthalters Heraklian auch fernerhin aussichtslos erschien und er sich infolgedessen in Italien nicht halten konnte, begab er sich, wahrscheinlich über den Mont Genévre, im Jahre 412 nach Gallien. Hier schloß er sich zunächst an den im Sommer 411 erhobenen Gegenkaiser Jovinus an, der namentlich in der Auvergne festen Fuß gefaßt hatte. Dieser war aber über die Ankunft der Westgoten wenig erfreut, die ihm bei seinen auf die Beherrschung ganz Galliens gerichteten Absichten im Wege standen. Es kam daher bald zum offenen Bruche zwischen den beiden Machthabern, namentlich als Jovinus nicht den Gotenkönig, wie dieser gehofft, sondern seinen Bruder Sebastianus zum Mitregenten ernannte. Athaulf schlug sich auf die Seite des Kaisers Honorius und versprach gegen die Zusicherung von Getreidelieferungen (und Landanweisung) die Köpfe der beiden Usurpatoren einzuliefern und Placidia freizugeben. Eá gelang ihm auch ohne große Mühe, die beiden Usurpatoren zu beseitigen; da aber Honorius die Proviantlieferungen zurückhielt und Athaulf, hierüber aufgebracht, nun die Placidia nicht freigab, kam es wieder zu Feindseligkeiten zwischen den Goten und den Römern. Nach einem mißglückten Handstreiche auf Marseille nahm Athaulf die Städte Narbonne, Toulouse und Bordeaux mit Waffengewalt ein (413). Aber bald darauf vollzog sich ein völliger Umschwung in der Gesinnung des Königs, und zwar infolge des Einflusses der Placidia, die er im Januar 414 zu seiner (zweiten) Gemahlin erhob. Wie er selbst wiederholt aussprach, sagte er sich jetzt völlig los von dem schon erwähnten traditionellen Programm und erklärte es als sein Ziel, sein Volk ganz im römischen Staatswesen aufgehen zu lassen; er lenkte also ganz in die Bahnen ein, wie sie später der Ostgotenkönig Theoderich bei der Begründung des italienischen Reiches einschlug. Trotzdem verweigerte der Kaiser ihm jedwedes Zugeständnis; er betrachtete, beeinflußt durch den General Konstantius, der selbst die Hand der schönen Prinzessin begehrte, die Vermählung seiner Schwester mit dem Barbarenfürsten als eine schwere Beschimpfung seines Hauses. Hierdurch wurde Athaulf wieder gezwungen, dem Reiche feindlich gegenüber-

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zutreten; er ernannte zunächst einen Gegenkaiser in der Person des Attalus, ohne jedoch mit diesem Schritte einen Erfolg zu erzielen, weil Attalus in Gallien gar keinen Anhang besaß. Als nun Konstantius mit seiner Flotte die Häfen Südgalliens blockierte und die Zufuhren abschnitt, wurde die dortige Position der Goten völlig unhaltbar, so daß sich Athaulf entschloß, in Spanien eine Zufluchtsstätte zu suchen. Unter furchtbaren Verwüstungen räumte er Gallien und besetzte die spanische Provinz Tarraconensis (Anfang 415), ohne jedoch den Gedanken an eine dereinstige Verständigung mit der kaiserlichen Gewalt völlig aufzugeben. In Barcelona gebar ihm Placidia einen Sohn, der in der Taufe den Namen Theodosius erhielt, aber bald verstarb. Und nicht lange nachher fand auch der König den Tod infolge einer schweren Verwundung, die ihm einer seiner Gefolgsleute aus Rache beigebracht hatte (Sommer 415). Nach Athaulfs Tode kamen die niemals ganz unterdrückten römerfeindlichen Bestrebungen unter den Westgoten wieder zum Durchbruch. Zahlreiche Prätendenten bewarben sich um die Krone, aber alle, wie es scheint, von dem Gedanken beseelt, in Unabhängigkeit, nicht in Untertänigkeit von Rom zu herrschen. Zunächst gelangte S i g e r i c h , der Bruder des Sarns, durch einen Gewaltstreich auf den Thron. Dieser ließ sofort Athaulfs Kinder aus erster Ehe beseitigen; Placidia erfuhr durch ihn die unwürdigste Behandlung. Aber nach nur siebentägiger Herrschaft wurde auch er ermordet, und zwar auf Veranlassung W a l l i a s , der nun an die Spitze der Goten trat (Herbst 415). Wallia, der, obwohl nicht minder Römerfeind als sein Vorgänger, doch der kaiserlichen Prinzessin sofort eine humanere Behandlung zuteil werden ließ, suchte zunächst die in Spanien begründete Herrschaft weiter auszubauen. Da aber auch hier die kaiserliche Flotte alle Zufuhren abschnitt und infolgedessen Hungersnot ausbrach, nahm er Alarichs Plan, die Eroberung Afrikas, wieder auf. Aber das Unternehmen kam nicht zur Ausführung, indem der Untergang einer vorausgeschickten Abteilang in der Meerenge von Gibraltar als ein schlimmes Vorzeichen angesehen wurde (416). Durch die Not gezwungen, schloß der König mit Konstantius einen Vertrag, in dem «r sich verpflichtete, gegen Lieferung von 600000 Maß Getreide seitens des Kaisers, Placidia zurückzugeben, Spanien von den dort hausenden Wandalen, Alanen und Sweben zu befreien und Geiseln zu stellen. In langwierigen heftigen Kämpfen warf das gotische Heer zunächst die silingischen Wandalen, sodann die Alanen nieder (416—418). Als Wallia aber hierauf auch gegen die asdingischen Wandalen und die Sweben in Galicien vorgehen wollte, wurde er von Konstantius, der die Goten nicht zu mächtig werden lassen wollte, plötzlich abberufen und ihm Land zur Ansiedelung seines Volkes in der Provinz Aquitanica secunda (zwischen Loire und Garonne; umfassend die Munizipien von Bordeaux, Agen, Angoulßme, Saintes, Poitiers und

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Périgueux) 1 ) sowie in einigen angrenzenden Stadtgebieten, von denen das von Toulouse besonders genannt wird, angewiesen (418). f) D a s t o l o s a n i s c h e R e i c h d e r

Westgoten2).

Nicht lange nachdem die Goten in das ihnen überlassene Gebiet eingezogen waren, starb Wallia (noch im Jahre 418); ihm folgte durch Volkswahl T h e o d e r i c h I. (richtiger Theodorid) auf den Thron. Über die ersten Jahre von Theoderichs Regierung schweigt die geschichtliche Überlieferung ; sie wurden ausgefüllt durch die schwierige Regelung und Durchführung der Landteilung mit der eingesessenen römischen Bevölkerung. Die Goten erhielten zwei Drittel vom Ackerlande sowie von Vieh, Sklaven und Kolonen zu steuerfreiem Eigentume. Ihre rechtliche Stellung war die gleiche, wie sie in den früheren Föderationsverträgen bestimmt worden war: sie behielten ihre nationale Verfassung und waren dem römischen Reiche zu militärischer Hilfe verpflichtet; sie galten als Reichsausländer; Eheschließungen zwischen ihnen und den Römern waren verboten. Der König stand unter dem Oberbefehle des Kaisers ; eine eigentliche Herrschergewalt besaß er nur über sein Volk, während er den römischen Provinzialen gegenüber keine legalen Befugnisse hatte. Die strenge Scheidung der beiden Nationen ist beibehalten worden, auch als die Goten die Oberhoheit des Imperiums abgeschüttelt hatten und der gotische König der Souverän der eingeborenen Bevölkerung Galliens geworden war. Die Hauptstadt war Toulouse, nach der das gallische Westgotenreich den Namen »das tolosanische« erhalten hat. 421 oder 422 erfüllte Theoderich seine Vertragspflicht, indem er zu dem gegen die Wandalen geschickten römischen Heere ein Kontingent stoßen ließ ; in der entscheidenden Schlacht fiel aber dieses den Römern in den Rücken und verhalf so den Wandalen zu einem glänzenden Sieg. Trotz dieses Treubruches gingen die Goten straflos aus; j a sie konnten es wagen, südwärts nach der Küste des Mittelmeeres vorzudringen. Im Jahre 425 stand ein gotisches Korps vor der wichtigen Festung Arles, dem vielbegehrten Schlüssel des Rhonetales; doch wurde dasselbe durch ein herbeieilendes Heer unter Aelius zum Abzug gezwungen. Nach längeren Kämpfen, über die leider nichts Näheres berichtet wird, wurde Friede geschlossen und den Goten gegen Rückgabe aller Eroberungen die volle Souveränität über die ihnen bisher nur zur teilweisen Besiedelung überlassenen Pro') Über den damaligen Umfang der römischen Provinzen Galliens vgl. Desj ardin s, Géographie hist. et adm. de la Gaule romaine. III. Paris 1885. S. 486 ff. *) P é t i g n y , Etudes sur l'histoire, les lois et les institutions de l'époque mérovingienne. II. Paris 1851. G. K a u f m a n n , Über das Föderatverhältnis de» tolosanischen Reiches zu Rom: Forschungen zur deutschen Geschichte VI (1866), S. 433ff. L o n g n o n , Géographie de la Gaule (1878), S. 39ff. Historia général de Espaûa escr. por individuos de numéro de la real acad. de la hist. I. Madrid 1890. S. 127ff. F u s t e l de C o u l a n g e s , Histoire des institutions politiques etc. L'invasion germ. (1891), S. 424ff. M o m m s e n , Aetius: Hermes 36 (1901), S. 516ff.

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vinzen Aquitanica II und die nordwestliche Ecke von Narbonensis I zugestanden (um 426). Der Friede hatte für einen längeren Zeitraum Bestand und wurde nur durch den mißlungenen Versuch eines Handstreiches der Goten gegen Arles (430) unterbrochen. Als aber 435 in Gallien neue Wirren ausbrachen, nahm Theoderich seine auf Gewinnung des ganzen narbonensischen Galliens gerichteten Pläne wieder auf. Im Jahre 436 erschien er mit starker Heeresmacht vor der Stadt Narbonne, die indes nach langer Belagerung durch römische (hunnische) Truppen entsetzt wurde (437). Auch weiterhin kämpften die Goten ohne Glück und wurden schließlich bis gegen Toulouse hin zurückgedrängt. Aber in der entscheidenden Schlacht, die vor den Mauern dieser Stadt geschlagen wurde (439), erlitten die Römer eine schwere Niederlage, und nur die starken Mannschaftsverluste, die die Goten selbst gehabt hatten, mögen den König bestimmt haben, in die vorläufige Wiederherstellung des status quo zu willigen. Tlieoderich war freilich nicht gesonnen, sich auf die Dauer mit dem ihm abgetretenen engen Gebiete zu begnügen. Seit ca. 442 finden wir ihn daher wieder auf der Seite der Feinde Roms. Zunächst trat er in enge Beziehungen zu dem Wandalenkönige Geiserich, dessen Sohn Hunerich eine westgotische Königstochter heiratete; doch wurde diese für das römische Reich so gefährliche Koalition durch die überlegene Diplomatie des Aetius gesprengt und die Ehe alsbald wieder gelöst. Er suchte hierauf Anschluß an das mächtig aufstrebende Reich der Sweben, indem er dem König Rechiar eine seiner Töchter zur Ehe gab und dessen Vordringen in Spanien durch Stellung von Hilfstruppen unterstützte (449). Erst die der ganzen zivilisierten Welt durch das Emporsteigen der Macht der Hunnen drohende Gefahr brachte die Goten wieder mit den Römern zusammen. Das in zahlreiche Einzelstämme gespaltene Volk der Hunnen war unter König Rua (f ca. 433), weiter unter der Regierung der Brüder Bleda und Attila, besonders aber unter der Alleinherrschaft des letzteren (seit 445) zu einer strafferen Einheit zusammengefaßt worden. Die Konsolidation der Kräfte im Inneren hatte eine Ausdehnung der äußeren Macht zur Folge. Attila beherrschte ein Gebiet, dessen Mittelpunkt in der Theißebene lag, und das sich östlich bis über das Schwarze Meer hinaus, westlich bis über Mittel- und Süddeutschland erstreckte1). Beide römische Reichshälften waren ganz von ihm abhängig; besonders Ostrom mußte sich die größten Demütigungen gefallen lassen; im Westreich konnte Aetius die kaiserliche Autorität nur mit Hilfe hunnischer Söldner einigermaßen aufrechterhalten. Den Anlaß zu ernsten Verwickelungen mit den Römern ') Der Umfang des hannischen Reiches steht nicht ganz fest und wird gewöhnlich übertrieben. Von germanischen Völkern beherrschte Attila, soweit mit Sicherheit festzustellen, die Gepiden, Ostgoten, Bugier, Skiren, Heruler, Quadensweben, Thüringer; die Rheingermanen, die 451 in seinem Gefolge erscheinen, haben sich erst während des Zuges z. T. freiwillig angeschlossen.

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gab einerseits die Einstellung der bisherigen Tributzahlungen, anderseits das Verhalten der Schwester des weströmischen Kaisers Valentinian III. Honoria, die sich insgeheim dem Hunnenkönige als Gattin antrug, deren Auslieferung aber verweigert wurde, da Attila verlangte, daß ihr als väterliches Erbe die Hälfte des Westreiches übergeben werde. Attila entschloß sich, zunächst Westrom, und zwar wiederum zuerst Gallien anzugreifen ; denn hier durfte er mit Bestimmtheit auf die Unterstützung eines Teiles der durch Parteikämpfe gespaltenen (ripuarischen) Franken, mit Wahrscheinlichkeit aber mindestens auf eine wohlwollende Neutralität der Westgoten rechnen. Die Erzählung, daß ihn Geiserich aus Furcht vor der Rache Theoderichs zum Kriege gegen die Westgoten aufgestachelt habe, ist wohl eine Fabel, da das afrikanische Reich einen Angriff von dieser Seite nicht zu fürchten hatte; immerhin mag aber der Wandalenkönig seine Hand im Spiele gehabt haben, um das weströmische Reich weiter zu schwächen. Den gleichwohl möglichen Fall einer Annäherung der Goten und Römer annehmend, schrieb Attila sowohl an Theoderich wie an den weströmischen Kaiser, daß er nicht gegen sie, sondern gegen ihre Feinde zu FeMe ziehe. Zu Anfang des Jahres 451 setzte sich das gewaltige, angeblich eine halbe Million starke Heer Attilas von Ungarn aus in Bewegung, überschritt in der Osterzeit den Rhein, fiel in Belgien ein und eroberte Metz (7. April). Erst jetzt dachte Aetius an Widerstand; aber die ihm zur Verfügung stehenden Truppen (besonders die Kontingente der föderierten Franken, Burgunder u. a.) waren nicht im entferntesten ausreichend, dem furchtbaren Gegner die Spitze zu bieten. Er sah sich daher genötigt, die Hilfe des Westgotenkönigs anzurufen, und dieser, obwohl er anfänglich gewillt war, sich neutral zu verhalten und die Entwicklung der Dinge in seinen Sitzen abzuwarten, hielt es nach längerem Zaudern in Rücksicht auf die eigenen Interessen für geboten, dem Rufe Folge zu leisten. Mit einem stattlichen Heere, das er selbst, begleitet von seinen Söhnen Thorismud und Theoderich (II.) anführte, schloß sich Theoderich den Römern an. Attila war inzwischen bis Orleans vorgedrungen, das ihm der König der dort angesiedelten Alanen, Sangiban, in die Hände zu spielen versprach. Der beabsichtigte Verrat wurde aber vereitelt, da die Verbündeten noch vor der Ankunft der Hunnen zur Stelle waren und vor der Stadt ein befestigtes Lager bezogen. Einen Angriff auf die starken Verschanzungen glaubte Attila mit seinen vorwiegend aus Berittenen bestehenden Truppen nicht wagen zu können ; er zog sich daher auf Troyes zurück und nahm l 1 ^ km vor dieser Stadt bei der Ortschaft Maurica 1 ) auf einer sich dort hinziehenden Ebene Stellung, ') Die Lage des Schlachtfeldes (pugna Mauriacensis ; campus Mauriacus) ist streitig (Moirey nach Longnon, Géographie de la Gaule. S. 334 ff. ; Méry-sur-Seine nach Hodgkin); vgl. darüber zuletzt Girard, Le campus Mauriacus : Revue historique 28 (1885), S. 321 ff. Weitere Literaturangaben bei C h e v a l i e r , Répertoire des sources hist. du moyen-âge. Topo-bibliographie II. Montbéliard 1903. Sp. 1877.

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um das ihm folgende gotisch-römische Heer zum entscheidenden Kampfe zu erwarten. Auf hunnischer Seite hatte Attila das Zentrum mit den Kerntruppen seines Volkes inne, während die beiden Flügel aus den ihm botmäßigen fremden Völkerschaften gebildet wurden. Seine Gegner waren in der Weise aufgestellt, daß Theoderich mit der Hauptmasse der Westgoten den rechten Flügel einnahm; das linke Treffen bildete Aetius mit den Römern und oinein Teile der Goten unter Thorismud, während die unzuverlässigen Alanen in der Mitte standen. Zunächst versuchte Attila eine das Schlachtfeld beherrschende Anhöhe zu besetzen; aber Aetius und Thorismud kamen ihm zuvor und wiesen alle Angriffe der Hunnen auf ihre Stellung mit Erfolg zurück. Nun stürzte sich der Hunnenkönig mit großer Wucht auf die westgotische Hauptmacht unter Theoderich. Nach langem Ringen gelang es den Goten, die Hunnen in ihr Lager zurückzuwerfen; große Verluste waren auf beiden Seiten zu verzeichnen; unter den Gefallenen befanden sich auch der greise Gotenkönig sowie ein Verwandter Attilas 1 ). Die Schlacht war unentschieden geblieben, indem beide Teile das Feld behaupteten; aber der Glaube an die Unüberwindlichkeit des gewaltigen Hunnenkönigs hatte eine starke Erschütterung erlitten. Anfänglich wurde beschlossen, die Hunnen in ihrer Wagenburg einzuschließen und durch Aushungern zu bezwingen. Als jedoch die Leiche Theoderichs, den man bisher immer noch unter den Lebenden geglaubt hatte, gefunden und bestattet worden war, rief T h o r i s m u d , den das Heer nun zum König einsetzte, die Seinigen zur Rache und zur Erstürmung der feindlichen Stellung auf. Aber Aetius, der die Goten nicht zu mächtig werden lassen wollte, gelang es, Thorismud von seinem Plan abzubringen und zur Rückkehr nach Toulouse zu bewegen, um etwaigen Versuchen seiner Brüder, sich mit Hilfe des dort befindlichen Königshortes der Krone zu bemächtigen, zuvorzukommen. So wurden die Goten um die Früchte ihrer ruhmvollen Tätigkeit gebracht; unbehelligt kehrten die Hunnen wieder in ihre Heimat zurück. Thorismud zeigte sich bestrebt, die von seinem Vater eingeschlagene nationale Politik im gleichen Sinne weiterzuführen. Nachdem es ihm gelungen war, sich vorläufig im Besitze des Thrones zu behaupten, unterwarf er die bei Orleans angesiedelten Alanen und bereitete damit eine Ausdehnung des gotischen Gebietes über die Loire hin vor. Sodann suchte er Arles in seine Gewalt zu bringen, kehrte aber unverrichteter Sache wieder in seine Heimat zurück, wo inzwischen seine Brüder Theoderich und Friedrich einen Aufruhr angestiftet hatten. Nachdem es zu wiederholten kriegerischen Zusammenstößen gekommen war, fand Thorismud den Tod durch Meuchelmord (453). ') G. K a u f m a n n , Uber die Hunnenschlacht des Jahres 451: Forschungen i d. Gesch. VID (1868), S. 115 ff.

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Als sein Nachfolger bestieg T h e o d e r i c h (II.) den Thron, nicht durch einen förmlichen Wahlakt, sondern unter bestätigender Anerkennung des Volkes. Die Herrschaft des neuen Königs erhält ihr charakteristisches Gepräge durch den engen, wenn auch zeitweilig unterbrochenen Anschluß an Rom. Das unter dem ersten Theoderich gelöste Foedus, also die Oberhoheit des Imperiums über das tolosanische Reich, ward sofort nach dem Regierungsantritt wiederhergestellt. Im übrigen aber wurde dieses Verhältnis von Theoderich nie recht ernst genommen; es galt ihm vielmehr in der Hauptsache nur als ein Mittel zu dem von seinen Vorgängern auf geradem Wege vergebens erstrebten Ziele: der Erweiterung des westgotischen Gebietes sowohl in Gallien, wie besonders in Spanien. Bereits im Jahre 454 fand Theoderich Gelegenheit, sich im Interesse des römischen Reiches zu betätigen; ein gotisches Heer unter Friedrich rückte in Spanien ein und brachte die aufständischen Bagauden zur Ruhe. Nach der Ermordung Valentinians III. (März 455) ging Avitus als magister militum nach Gallien, um die maßgebenden Faktoren des Landes für den neuen Kaiser Petronius Maximus zu gewinnen. Vermöge seines persönlichen Einflusses — er hatte früher Theoderich in die Kenntnis der römischen Literatur eingeführt — gelang es ihm auch, den Gotenkönig zur Anerkennung des Maximus zu bewegen. Als aber bald darauf die Nachricht von der Ermordung des Kaisers (31. Mai) eintraf, forderte ihn Theoderich auf, selbst die Regierung zu übernehmen. Am 9. Juli zum Imperator ausgerufen, zog Avitus, begleitet von gotischen Truppen, nach Italien, wo er auch % allgemeine Anerkennung fand. Das enge Verhältnis zwischen dem Reiche und den Goten trat fernerhin auch den Sweben gegenüber in Wirksamkeit. Da diese wiederholt verheerend in das römische Gebiet einfielen, zog Theoderich mit größerer Streitmacht, zu der auch die Burgunder ein Kontingent stellten, im Sommer 45G über die Pyrenäen, schlug sie in der Schlacht am Flusse Urbicus (Orbigo) bei Astorga (5. Oktober), nahm den König Rechiar gefangen und ergriff von einem großen Teil Spaniens, angeblich für das Reich, tatsächlich aber für sich, Besitz. Die Sachlage änderte sich aber mit einem Schlage, als Avitus im Herbste des Jahres 456 des Purpurs verlustig gegangen war. Ein Interesse, an dem Imperium festzuhalten, bestand jetzt für Theoderich nicht mehr. Er hatte seinerzeit die Erhebung des Avitus gefördert, weil dieser in Gallien großes Ansehen genoß und in dem dort ansässigen Adel eine starke Stütze besaß; die Freundschaft mit ihm konnte dem Gotenkönige in Rücksicht auf die im tolosanischen Reiche wohnenden römischen Provinzialen nur von Nutzen sein. Die Erhebung des neuen Kaisers Majorianus (seit 1. April 457) war aber in direktem Gegensatze zu den Ansprüchen der gallo-römischen Nobilität, den Kaiserthron mit einem der Ihrigen zu besetzen, erfolgt. . Die hierdurch in Gallien hervorgerufene Mißstimmung benutzend, trat Theoderich alsbald als offener Feind der römischen Reichsgewalt auf. E r selbst

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rückte mit Heeresmacht in das narbonensische Gallien ein und begann wiederum mit der Belagerung von Arles; ferner sandte er Truppen nach Spanien, die dort aber nur mit wechselndem Erfolge kämpften und einem erneuten Umsichgreifen der Sweben keinen Einhalt zu tun vermochten (457—459). Vergeblich suchte Geiserich die Goten mit den ihm verbündeten Sweben auszusöhnen und ein gemeinsames Vorgehen gegen das weströmische Reich herbeizuführen. Im Winter 458 aber erschien der Kaiser mit ansehnlichen Streitkräften in Gallien, brachte die aufständischen Burgunder zur Ruhe und zwang die Westgoten, die Einschließung von Arles aufzuheben und zum Frieden zurückzukehren (Frühjahr 459). Obwohl nun schon im Jahre 461 ein neuer Wechsel auf dem Kaiserthrone stattfand, hielt es Theoderich doch für vorteilhafter, zunächst wenigstens formell am Imperium festzuhalten. Dagegen trat der Heermeister Aegidius, ein treuer Anhänger Majorians, gestützt auf .ein stattliches Heer, gegen das neue Reichsregiment auf. In dem hierdurch entstandenen Konflikt bot sich für Theoderich eine günstige Gelegenheit, seine Expansionspolitik in Gallien wiederaufzunehmen. Auf den Hilferuf des comes Agrippinus, der in Narbonne kommandierte und von Aegidius hart bedrängt wurde, rückte er in das römische Gebiet ein und belegte diese wichtige Stadt mit gotischen Truppen unter dem Befehle seines Bruders Friedrich (462). Aus Südgallien verdrängt, wandte sich Aegidius nach Norden, wohin ihn ein gotisches Heer unter Friedrich verfolgte. Bei Orleans kam es zu einer großen Schlacht, in der die Goten namentlich durch die Tapferkeit der ihnen gegenüberstehenden salischen Franken eine schwere Niederlage erlitten und auch ihren Anführer durch den Tod verloren (463). Aegidius begann nun, den Sieg benutzend, erobernd in das westgotische Gebiet einzudringen; doch ward er durch einen plötzlichen Tod an der Ausführung seiner Absichten verhindert (464). Von seinem gefährlichsten Feinde befreit, säumte Theoderich nicht, die erlittenen Einbußen wieder wettzumachen; er wurde aber schon im Jahre 466 aus dem Leben abberufen, und zwar durch die Mörderhand seines Bruders E u r i c h , der, ein Vertreter der gotischen Nationalpartei, nunmehr den Thron bestieg1). Der neue König wird von den Zeitgenossen übereinstimmend als eine Persönlichkeit von großer Tatkraft und hervorragender kriegerischer Tüchtigkeit geschildert; wir dürfen auf Grund der geschichtlichen Tatsachen hinzufügen, daß er auch ein Mann von bedeutender politischer Begabung gewesen ist. Der leitende Gedanke seiner Politik, die Loslösung von jeder, wenn auch nur formellen Oberhoheit des römischen Reiches, trat sogleich nach seinem Regierungsantritt in Wirksamkeit. Wie es scheint, trat er zunächst durch eine Gesandtschaft mit dem oströmischen Kaiser in Unterhandlung, um die Anerkennung der westgotischen Souveränität zu fordern. Als hierüber *) Y v e r, Euric, roi dos Wisigoths : Etudes d'histoire du moyen-âge dédiées à G. Monod. Paris 1896.

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auf diesem Wege keine Einigung erzielt werden konnte, suchte er ein Bündnis mit den Wandalen und Sweben zustande zu bringen; doch zerschlugen sich die Verhandlungen, als eine starke oströmische Flotte in den afrikanischen Gewässern erschien (467). Eurich verhielt sich zunächst abwartend; als aber die mit so gewaltigen Kraftanstrengüngen ins Werk gesetzte römische Expedition gegen das Wandalenreich einen so kläglichen Ausgang genommen hatte (468) (S. 62), zögerte er nicht, offen als Angreifer hervorzutreten, indem er gleichzeitig seine Truppen in Gallien und in Spanien vorrücken ließ. Die Sweben wurden aus Lusitanien vertrieben und diese Provinz dauernd dem gotischen Reiche angegliedert. Die Feindseligkeiten in Gallien eröffnete Eurich 469 mit einem plötzlichen Angriffe auf die föderierten Bretonen, die der Kaiser nach der Stadt Bourges dirigiert hatte; bei D^ols, unweit Chateauroux, kam es zu einer Schlacht, in der die Bretonen unterlagen. Dagegen gelang es den Goten nicht, nach Norden über die Loire vorzudringen; der comes Paulus trat ihnen hier, unterstützt durch fränkische Hilfstruppen, mit Erfolg entgegen. Eurich konzentrierte daher seine ganze Macht teils auf die Eroberung der Provinz Aquitanica I, teils auf Gewinnung des langbegehrten Arles. Ein Heer, das der weströmische Kaiser Anthemius zum Entsätze dieser Stadt nach Gallien schickte, wurde im Jahre 470 oder 471 geschlagen und, allerdings zurzeit nur vorübergehend, ein großer Teil der Provence von den Goten besetzt. Auch im ersten Aquitanien fiel eine Stadt nach der anderen in die Hände von Eurichs General Victorius; allein die Hauptstadt der Auvergne, Clermont, trotzte hartnäckig den wiederholten, durch mehrere Jahre sich hinziehenden Angriffen der Barbaren. Die Seele des Widerstandes war dort der tapfere Ecdicius, ein Sohn des früheren Kaisers Avitus, und der Dichter Apollinaris Sidonius, der seit ca. 470 daselbst die bischöfliche Würde bekleidete, und dessen Briefe uns ein anschauliches Bild von dem auf beiden Seiten mit der größten Erbitterung geführten Kampfe geben 1 ). Das völlig ohnmächtige abendländische Kaisertum vermochte für die Bedrängten nichts zu tun. Der im März 473 erhobene Kaiser Glycerius trug sogar zur Stärkung der westgotischen Macht bei, indem er die in Italien eingefallenen Ostgoten unter Widimer veranlaßte, nach Gallien zu ziehen, wo sie sich ihren Stammesverwandten anschlössen (S. 91). Im Jahre 475 wurde endlich zwischen dem Kaiser Nepos (seit Juni 474) und Eurich unter Vermittlung des Bischofs Epiphanius von Ticinum Friede geschlossen. Die Bedingungen sind leider nicht näher bekannt; doch kann kein Zweifel darüber obwalten, daß außer den bisher eroberten Gebieten in der Pyrenäischen Halbinsel (den Provinzen Baetica, Lusitania und Carthaginiensis) das Land zwischen Loire, Rhone, Pyre') G. K a u f m a n n , Die Werke des C. Sollius Apoll. Sid. als eine Quelle für die Geschichte seiner Zeit. Göttingen 1864. D e r s e l b e im Neuen Schweizer. Museum Y (1865), S. lff. B t i d i n g e r , Ap. S. als Politiker: Sitzungsberichte d. Wiener Akad. 97 (1880), S. 915ff. M o m m s e n , A. S. u. seine Zeit: Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1885, S. 215 ff.

B. Die Ostgermanen.

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•äen und den beiden Meeren an Eurich zu s o u v e r ä n e m B e s i t z e abgetreten worden ist. Damit war also auch die so hart umstrittene Auvergne den Goten ausgeliefert. Trotz dieses bedeutenden Erfolges war der Gotenkönig noch keineswegs ans Ende seiner Wünsche gelangt; aus der weiter von ihm verfolgten Politik ist zu erkennen, daß ihm jetzt der Zeitpunkt gekommen zu sein schien, das schon von Alarich I. erstrebte Ziel, die "Unterwerfung des ganzen Abendlandes, zur endlichen Ausführung zu bringen. Der Friede dauerte daher nur ein Jahr, das durch Erledigung innerer Angelegenheiten ausgefüllt wurde. Das wichtigste Ereignis der Regierungstätigkeit Eurichs in dieser Zeit ist die Publikation eines Gesetzbuches, das die Rechtsverhältnisse der Goten unter sich und im Verkehr mit den unter gotischer Herrschaft stehenden Römern zu regeln bestimmt w a r W i l l k o m m e n e n Anlaß, die Feindseligkeiten zu erneuern, gab dem Könige die Entthronung des letzten weströmischen Kaisers Romulus durch den Söldnerführer Odowakar (September 476), indem er den mit dem Imperium geschlossenen Vertrag als gelöst betrachtete. Ein gotisches Heer überschritt die Rhone und nahm die ganze Südprovence bis an die Seealpen mit den Städten Arles und Marseille im siegreichen Kampfe mit den Burgundern, die diese Landschaft unter römischer Oberhoheit beherrschten, definitiv in Besitz. Als aber Eurich ein Korps auch in Italien einrücken ließ, erlitt dieses durch die Offiziere Odowakars eine Niederlage. Es kam infolgedessen unter Beteiligung des oströmischen Kaisers Zeno und des Königs der Burgunder zum Abschlüsse eines Vertrages, demzufolge den Goten das von ihnen neu eroberte Gebiet in Gallien (zwischen Rhone und Alpen südlich der Durance) von Odowakar abgetreten wurde, während Eurich sich wahrscheinlich verpflichtete, keine weiteren Feindseligkeiten gegen Italien zu unternehmen (ca. 477). Zu derselben Zeit hatten gotische Truppen erfolgreich auch in Spanien gekämpft und die Provinz Tarraconensis, wo der Adel aus eigenen Mitteln einen Widerstand organisiert hatte, dem Imperium entrissen. Den so errungenen gewaltigen Besitzstand gegen innere und äußere Feinde zu schützen, war Eurich unablässig bemüht. Häufigen Anlaß zum Einschreiten gab namentlich das Verhalten des katholischen Klerus, der offen seinen Haß gegen die Herrschaft der arianischen Goten zur Schau trug und wie im Wandalenreiche vor hochverräterischen Handlungen nicht zurückschreckte; doch scheint es nur in seltenen Fällen zu Gewalttaten und Grausamkeiten gekommen zu sein. Eine Anzahl von Bischöfen ward verbannt und die Wiederbesetzung erledigter Bischofssitze verboten. Die sächsischen Seeräuber, die nach ') B r u n n e r , Deutsche Rechtsgeschichte I ' . Leipzig 1906. 8. 482ff. Z e u m e r , Geschichte der westgot. Gesetzgebung: Neues Archiv f. ält. deutsche Gesch. 23. 24. 26. (1898. 1899. 1901.).

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II. Die germanischen Einzelstämme.

alter Gewohnheit die Küsten Galliens heimsuchten, wurden durch eine neugeschaffene Kriegsflotte nachdrücklich gezüchtigt. Bei der großen Machtstellung des Westgotenreiches ist es nicht verwunderlich, daß Eurichs Hilfe vielfach auch von anderen Völkern begehrt wurde, so von den Herulern, Warnen und Thüringern, die, in den Niederlanden ansässig, von der emporstrebenden Macht der Franken sich bedroht sahen und dem Einschreiten des Königs die Erhaltung ihrer politischen Selbständigkeit verdankten. Der Dichter Sidonius hat eine farbenprächtige Schilderung hinterlassen, wie damals die Vertreter der verschiedensten Völkerschaften am westgotischen Hofe um die Person Eurichs sich drängten; sogar die Perser sollen diesem ein Bündnis gegen die Oströmer angetragen haben. Wie es scheint, sind auch Vertreter der römischen Bevölkerung Italiens in Toulouse erschienen, um den König zur Vertreibung Odowakars, dessen Herrschaft von den Italienern nur widerwillig ertragen wurde, aufzufordern. Wir wissen nicht, ob Eurich die Absicht gehabt hat, dem letzteren Verlangen Rechnung zu tragen; jedenfalls wurde die Ausführung solcher Pläne durch seinen Tod, der im Dezember 484 in Arles erfolgte, vereitelt. Sein ihm von ltagnahild geborener Sohn A l a r i c h II., der ihm am 28. Dezember auf dem Throne folgte, war ganz das Gegenteil seines Vaters: eine schlaffe, verweichlichte Natur, ohne Tatkraft und kriegerische Tüchtigkeit, wie deren uns so viele in den auf römischem Boden gegründeten germanischen Reichen als eine Folge des fortschreitenden Romanisierungsprozesses begegnen. Diese Eigenschaften machten sich alsbald in fühlbarer Weise geltend. So ließ er sich herbei, den Syagrius, dem er nach der Schlacht bei Soissons 486 Aufnahme in sein Reich gewährt hatte, auszuliefern, als der siegreiche. Frankenkönig mit Krieg drohte. Der unvermeidliche Austrag der Rivalität zwischen den beiden Hauptmächten Galliens durch die Waffen wurde durch diese Nachgiebigkeit natürlich nur etwas hinausgeschoben. Um 494 kam es zum Kriege 1 ), der mehrere Jahre hindurch andauerte und von den beiden Parteien mit wechselndem Erfolge geführt wurde. Beendet wurden die Feindseligkeiten unter Vermittlung des Ostgotenkönigs Theoderich, der inzwischen Alarichs Schwiegervater geworden war, durch den Abschluß eines Friedensvertrages auf Grund des damaligen Besitzstandes (ca. 502); aber dieser Zustand konnte kein dauernder sein, denn die Gegensätze hatten durch den im Jahre 496 (25. Dez.) erfolgten Übertritt Chlodowechs zur katholischen Kirche sich noch erheblich verschärft. Demgemäß stellte sich der größte Teil der römischen Untertanen Alarichs, an ihrer Spitze natürlich der Klerus, auf die Seite der Franken und war eifrig bemüht, die Unterwerfung des westgotischen Reiches unter deren Herrschaft herbeizuführen. Alarich sah sich genötigt, gegen solche hochverräterische ') L e v i s o n , Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech: Bonner Jahrbücher 103 (1898), S. 42 ff.

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Gelüste in einzelnen Fällen schärfere Maßregeln zu ergreifen; aber im allgemeinen suchte er durch Milde und Gewährung von Vergünstigungen die Romanen für sich zu gewinnen, ein Bemühen, das bei dem herrschenden unüberbrückbaren Antagonismus freilich völlig ergebnislos bleiben mußte und eher das Gegenteil bewirkte, da es nur als Schwäche ausgelegt wurde. So ließ er zu, daß die unter Eurich erledigten Bistümer wieder besetzt wurden; ferner bewilligte er den gallischen Bischöfen ein Konzil, das im September 506 zu Agde abgehalten und — charakteristisch für das zweideutige Verhalten der Geistlichkeit — mit einem Gebete für das Gedeihen des westgotischen Reiches eröffnet wurde1). Den wichtigsten Versöhnungsakt stellte die Publikation der sog. Lex Romana Visigothorum (Breviarium Alaricianum) dar2). Dieses Rechtsbuch, das von einer Kommission von Rechtsgelehrten, und zwar Geistlichen und edlen Laien, durch Exzerpierung und Erläuterung römischer Rechtsquellen hergestellt worden war, wurde, nachdem es die Zustimmung einer Versammlung von Bischöfen und vornehmen Provinzialen gefunden hatte, vom Könige unter dem Datum Toulouse, 2. Februar 506, sanktioniert und war für den Gebrauch der römischen Bevölkerung im gotischen Reiche bestimmt. Die Entladung des angehäuften Zündstoffes verzögerte sich aus nicht näher bekannten Gründen bis zum Jahre 507. Daß der Frankenkönig der Angreifer war, steht unzweifelhaft fest; ein Vorwand, den Krieg zu eröffnen, war für ihn, indem er als Vorkämpfer und Beschützer der katholischen Christenheit sich aufspielte, leicht gefunden in den durchaus berechtigten Maßregeln Alarichs gegen die hochverräterische orthodoxe Geistlichkeit. Die nicht zu verachtenden Machtmittel des westgotischen Reiches in Erwägung ziehend, hatte Chlodowech erhebliche Streitkräfte aufgeboten; ein wesentliches Kontingent stellten dazu die ripuarischen Franken; die verbündeten Burgunder waren von Osten her im Anzug, um die Goten in der Flanke zu fassen. Zu den Alliierten Chlodowechs zählten ferner auch die Byzantiner, die mit ihrer Flotte die italienischen Küsten beunruhigten, um die Ostgoten an einem rechtzeitigen Eingreifen zugunsten ihrer Stammesverwandten zu hindern. Auch Alarich hatte den kommenden Ereignissen nicht müßig zugesehen; aber seine Vorbereitungen wurden gehemmt durch den schlechten Zustand der Finanzen seines Reiches; er sah sich genötigt, um die erforderlichen Mittel zu beschaffen, minderwertige Goldmünzen schlagen zu lassen, die bald überall in Verruf gerieten3). Augenscheinlich war das westgotische Heer den Streitkräften Chlodowechs gegenüber in der Minderheit; wenn aber die in Aussicht gestellten ostgotischen Truppen zur rechten Zeit eintrafen, durfte Alarich hoffen, den Gegner mit Erfolg zu bestehen. Vor der ') Die Unterschriften der Konzilsakten geben einen wichtigen Anhalt zur Bestimmung der damaligen Grenzen des westgotischen Reiches. *) B r u n n e r , Rechtsgeschichte I 5 1 0 f f . ') Vgl. E n g e l & S e r r u r e a. a. O. I, 41. S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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II. Die germanischen Einzelstimme.

Ankunft dieser Hilfe eine Entscheidung herbeizuführen, mußte daher des Frankenkönigs Bestreben sein. Wohl im Frühjahr 507 überschritt er plötzlich die Loire und marschierte in der Richtung auf Poitiers zu, wo er sich wahrscheinlich mit den Burgundern vereinigte. Auf dem »vogladensischen Felde«, zehn Meilen von Poitiers1), hatten die Westgoten Aufstellung genommen. Alarich zögerte, eine Schlacht anzunehmen, in Erwartung der ostgotischen Truppen; als diese aber ausblieben, beschloß er, durch das Heer gedrängt, sich in den Kampf einzulassen, statt wie es klug gewesen wäre, den Rückzug anzutreten. Nach kurzem Gefechte wandten sich die Goten zur Flucht; bei der Verfolgung ward der Gotenkönig erschlagen, angeblich von Chlodowechs eigener Hand (507). Mit dieser Niederlage ward der Herrschaft der Westgoten in Gallien für alle Zeiten ein Ende gemacht; nur der Küstenstrich westlich der Rhone und ein schmaler Landstoeifen zwischen Garonne und Pyrenäen blieb ihnen dort, dank dem endlichen Eingreifen der Ostgoten (508), erhalten. Der imperialistische Zukunftstraum des westgotischen Volkes war nicht verwirklicht worden. G o t i s c h e H e r r s c h e r . 1. Vor der Trennung in Ost- und Westgoten: König Berig (um Christi Geb.?; sagenhaft). Gaufürsten: Filimer (ca. 150 n. Chr.); Argaith und Gunderich (248); Respa, Veducus, Thervarus (263). 2. Ostgoten. Könige: Ostrogotha (Ende 3. Jahrh. ?), Ermenrich (ca. 350 — ca. 370), Withimer (ca. 370 — ca. 375). a) Fannonischer Zweig: Widerich (anfänglich unter Vormundschaft von Alatheus und Safrac, + ca. 400); Athaulf (bis 408). b) Hauptvolk, anfänglich unter hunnischer Oberhoheit: (Könige Winithar, Hunimund, Thorismud, erdichtet). Fürsten: Odotheus (f 386), Radagais (f 405). Könige aus amalischem Geschlecht: Ungenannt, Anf. des 5. Jahrh. Walamer (f 469), Thiudimer (f 471), Widimer (f 473) (anfänglich unter der Vormundschaft Gesimunds), Theoderich (471—526), Amalaswintha (526 bis 535), (Athalarich 526—534), Theodahad (534—536), Witigis (536—540), Hildebad (540 bis 541), Erarich (541), Totila (541—552), Teja (552—553). 3. Westgoten. Gaufürsten bezw. Herzöge: Cannaba (Cannabaudes, Kniwa) (f 271), Widigoja (f 332), Ariarich und Aorich (332), Gebericb (ca. 340), Athanarich (ca. 345—381), Frithigern (ca. 360 bis ca. 385), Alaviv (376), Farnobius (f 377). Könige: Alarich I (395—410), Athaulf (410—415), Sigerich (415), Wallia (415—418), Theoderich I (418—451), Thorismud (451—453), Theoderich II (453-466), Eurich (466—484), Alarich II (484—507). ') Die Lage des Schlachtfeldes ist viel umstritten. Vgl. K u r t h , Clovis Tours 1896. S. 431 ff. und Revue des questions historiques N. S. 20 (1898), S. 172 ff. (für Vouillé, älter Vouglé, nw. Poitiers), L i è v r e , Le lieu de rencontre des Francs et des Wisigothe: Revue historique 66 (1898), S. 90 ff. (für Saint Cyr nördl. Poitiers). Vgl. die Literatur bei C h e v a l i e r , Répertoire. Topo-bibliographie II, 8p. 3325.

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6. Die Gepiden. Taifalen. Rugier. Turkilingen. Skiren. Heruler. Das Beich Odowakars. Literatur: Z e u ß , S. 436ff., 433ff., 484ff., 476ff. A s c h b a c h , Geschichte der Hernler und Gepiden. Frankfurt 1835. G a u p p , Germ. Ansiedelungen S. 456ff. D a h n , Könige der Germanen II. Urgeschichte I , 657 ff. P a l l m a n n , Geschichte der Völkerwanderung II. Weimar 1864. K r o p a t s c h e k , De Gepidarum rebus. Halle 1869. S i e v e r s , Westrom 455—480: Studien zur Geschichte der römischen Kaiser. Berlin 1870. S. 517ff. J u n g , Römer und Romanen in den Donauländera. 2. Aufl. Innsbruck 1887. S. 195ff. G a u d e n z i , Sui rapporti tra l'Italia etc. M o m m s e n , Ostgotische Studien (N. A. 14). H o d g k i n , Italy and her invaders II. S t r a k o s c h - G r a ß m a n n , Geschichte der Deutschen in Österreich - Ungarn I. H a r t m a n n , Gesch. Italiens I, 51 ff. H a l b a n , Das römische Recht I, 87ff. S e h m s d o r f , Die Germanen in den Balkanländern S. 4 ff. E g g e r, Die Barbareneinfälle in die Provinz Rätien : Archiv für österreichische Geschichte 90 (1901), S. 77ff. S t ä h e l i n in der Festschrift für Plüß S. 46ff. L. S c h m i d t , Gesch. d. d. Stämme I, 305ff.

a) Die G e p i d e n sind, wie sich aus der gotischen Überlieferung bei Jordanis ergibt, aus einem vorläufig im Weichsel-Nogatdelta zurückgebliebenen Teile des großen gotischen Stammes zu einem selbständigen Volke erwachsen. Aber schon um die Mitte des dritten Jahrhunderts haben auch sie sich auf die Wanderung begeben, und zwar in direkt südlicher Richtung. Geführt vom König Fastida stießen sie mit den Burgundern zusammen, die sie aus ihrem Lande vertrieben (S. 68). Bald darauf erscheinen sie in der Nachbarschaft der Westgoten im nördlichen Dazien. Von hier aus beteiligten sie sich 269 an dem' großen Angriffskriege der Ostgermanen gegen die Römer (S. 85). Im Begriff, ihr Gebiet weiter auszudehnen, wurden sie von den Westgoten in einer großen Schlacht bei der Stadt Galtis am Flusse Auha (Aluta?) geschlagen (um 290). Seit dem Ende des 4. Jahrhunderts standen sie unter der Botmäßigkeit der Hunnen; ihr König A r d a r i c h nahm am Hofe Attilas eine angesehene Stellung ein. In der Entscheidungsschlacht bei Troyes (451) spielte das gepidische Kontingent eine nicht unbedeutende Rolle. Die Zerstörung der hunnischen Macht durch das Treffen am Flusse Nedao (453) war wesentlich Ardarichs Werk. Von der Siegesbeute nahmen die Gepiden das Land zwischen Theiß, Donau, Aluta (?) und Karpathen für sich in Besitz, indem sie zugleich mit dem oströmischen Reiche einen Bündnisvertrag abschlössen. Sie traten hier als Herrenvolk an die Stelle der Hunnen, insofern diese wesentlich von den Arbeitserträgnissen einer mit ihnen ins Land gekommenen ackerbautreibenden Bevölkerung (wohl hauptsächlich Slawen) gelebt hatten. Wenig später werden sie auch zum arianischen Christentum übergetreten sein. Mit den pannonischen Ostgoten lebten sie in bestfindiger Feindschaft; sie beteiligten sich daher auch an der Koalition der Donauvölker gegen König Thiudimer, die durch die Schlacht am Flusse Bolia (469) zersprengt wurde (S. 91). Nach dem Abzüge der Goten aus Pannonien (471) ergriffen sie von dem freigewordenen Gebiete um Sirmium Besitz; Theoderich mußte sich 488 den Durchzug 9*

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II. Die germanischen Einzelstämme.

nach Italien mit schweren Opfern erkämpfen (S. 94). Sirmium blieb gepidisch bis 504, von besonderen Königen (Thraustila und nach ihm Thrasarich, letzterer ein Zeitgenosse des im Stammlande herrschenden Königs Gunderith) regiert. In dem genannten Jahre wurde es von •den Ostgoten besetzt, fiel aber während( des ostgotisch-byzantinischen Krieges ca. 535 an die Gepiden zurück, die schon 530 einen vergeblichen Versuch der Wiedergewinnung gemacht hatten. Sirmium erscheint fortan als Hauptstadt des gepidischen Reiches; als König des Gesamtvolkes herrschte damals (bis ca. 548) Elemund. Inzwischen hatten sich die Langobarden in der Nachbarschaft der Gepiden in den ungarischen Pußten niedergelassen und das mächtige Herulerreich um 505 völlig zerstört. Beide Völker traten zunächst in enge Verbindung; der langobardische König Wacho nahm eine Tochter Elemunds, Austrigusa, zur Ehe. Dieser Koalition traten später auch die Franken bei: von den beiden Töchtern Austrigusas wurde die eine, Wisigarda, mit König Theudebert (534—548), die andere, Walderada, mit Theudeberts Sohn, Theudebald (+ 555), vermählt. Theudebert beabsichtigte, mit Hilfe seiner Verbündeten das römische Reich zu zerstören und sich selbst an die Stelle des Kaisers zu setzen. Im Jahre 539 gingen die Gepiden über die Donau, schlugen ein römisches Heer unter Calluc und nahmen das aurelianische Dazien in Besitz, während die Franken sich in Oberitalien festzusetzen suchten. Weitere Unternehmungen gelangten infolge des Todes des Frankenkönigs (548) nicht zur Ausführung; dazu kam, daß das freundschaftliche Verhältnis zwischen den Gepiden und Langobarden gestört wurde, nachdem letztere sich im Einverständnis mit dem Kaiser Justinian in Pannonien und Noricum niedergelassen hatten (ca. 546) und nun Anspruch auf Sirmium erhoben. Der Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen beiden Völkern wurde dadurch begünstigt, daß der langobardische Kronprätendent Hildichis zu dem Gepidenkönig Turisind — dieser hatte ca. 548 unter Verdrängung des unmündigen Ostrogota, Elemunds Sohn, den Thron bestiegen — flüchtete und dessen Hilfe anrief. Zur Unterstützung der Langobarden rückte ein kaiserliches Heer ins Feld; doch mußte dieses unverrichteter Sache wieder heimkehren, da die beiden Gegner sich inzwischen miteinander ausgesöhnt hatten (548). Auch der im Jahre 549 von neuem entbrannte Streit wurde in friedlicher Weise durch einen Vergleich beendet. Zu ernsten Kämpfen kam es erst zwei Jahre später. Die Langobarden, vom Kaiser nur unzureichend unterstützt, brachten zwar den Gepiden eine Niederlage bei, waren selbst aber so geschwächt, daß sie an eine Ausnutzung ihres Sieges nicht denken konnten. Es ward darauf »ewiger« Friede zwischen Langobarden, Gepiden und dem römischen Reiche geschlossen; um eine Störung der guten Beziehungen zu verhindern, kamen die beiden Könige Audoin und Turisind überein, die Thronprätendenten Hildichis und Ostrogota, die sich damals bei den Gepiden bzw. Langobarden schütz- und hilfesuchend aufhielten, heimlich aus dem Wege zu räumen (551). Gepidische wie langobardische Hilfs-

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Die Ostgermanen.

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truppen dienten damals unter den kaiserlichen Fahnen gegen die Ostgoten. Das gute Verhältnis zwischen den beiden Völkern blieb ungetrübt, solange Audoin und Turisind lebten; unter ihren Nachfolgern Alboin und K u n i m u n d brach aber die alte Feindschaft wieder aus, nach einer sagenhaften Erzählung deshalb, weil Alboin die schöne Tochter des Gepidenkönigs (Rosamunde) entführt hatte. In dem um 565 begonnenen Kriege wurden die Langobarden zunächst von den Gepiden mit oströmischer Hilfe geschlagen. Alboin erkaufte hierauf mit schweren Opfern ein Bündnis mit den Awaren; die Vereinigung der mächtigen Gegner zu verhindern, zog Kunimund, vom Kaiser im Stich gelassen, gegen die von Westen heranrückenden Langobarden zu Felde, wurde aber in einer blutigen Schlacht überwunden; er selbst fiel von Alboins Hand und mit ihm der größte Teil seines Heeres. Das Gepidenreich war damit vernichtet (567). Die Uberreste des Volkes zogen teils mit den Langobarden nach Italien, teils gerieten sie unter die Knechtschaft der Awaren, die dem mit Alboin geschlossenen Vertrage gemäß das ganze Gepidenland besetzten.

b) Wie die Gepiden, so sind wohl auch die T a i f a l e n als engere Verwandte der Goten, mit denen sie fast immer in Verbindung erscheinen, anzusehen. Ihrer kleinen Anzahl entspricht die geringe geschichtliche Rolle, die sie gespielt haben. Sie werden zuerst im Jahre 248 als Teilnehmer an der gotischen Expedition unter Argaith und Gunderich (S. 83) erwähnt. In den folgenden Jahren setzten sie sich im Banat und in der Kleinen Walachei fest. Um 290 kämpften sie verbündet mit den Westgoten gegen die benachbarten Wandalen und Gepiden. Auch in dem Sarmatenkriege des Jahres 332 standen sie auf der Seite der Goten; mit diesen traten sie nach dem Friedensschlüsse als Föderaten in die Dienste des römischen Reiches, ein Verhältnis, das bis zum Jahre 369 Bestand hatte. Als die Hunnen in Europa einbrachen, zogen sich die Taifalen aus der Ebene nach dem siebenbürgischen Hochlande zurück, wurden aber von den ebenfalls dort Schutz suchenden Westgoten unter Athanarich vertrieben (376). Sie schlössen sich hierauf der von Farnobius geführten westgotischen Abteilung an und wurden 377 von dem weströmischen General Frigeridus zum größten Teile aufgerieben. Der Rest geriet in Gefangenschaft und ward zunächst in Italien bei Mutina, Regium und Parma angesiedelt, später, wie es scheint, nach Gallien verpflanzt, wo taifalische Gentilen in der Gegend von Poitiers zu Anfang des 5. Jahrhunderts erwähnt werden.

c) Die ältesten nachweisbaren Sitze der R u g i e r in Deutschland sind an der Oder- oder Weichselmündung zu suchen. Von da durch die Goten vertrieben (s. die gotische Ursprungssage), hat sich das

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IL Die germanischen Einzelstämme.

Volk im heutigen Hinterpommern niedergelassen. Hier kennen die Rugier sowohl Tacitus (als Nachbarn der sonst unbekannten Lemovier) als Ptolemäus. Nach Ausweis der römischen Münzfunde in Pommern, die mit Konstantin d. Gr. (f 337) plötzlich abbrechen, müssen die Rugier in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts ihre Heimat verlassen haben; vermutlich sind sie die Weichsel aufwärts gezogen und haben sich, die Karpathen übersteigend, nach dem Abzüge der Wandalen (ca. 400) an der oberen Theiß niedergelassen. Hier gerieten sie unter die Botmäßigkeit der Hunnen, in deren Gefolge sie 451 nach Gallien zogen; zwei Jahre später halfen sie den Gepiden das hunnische Reich vernichten. Sie nahmen hierauf das Land am linken -Donauufer, gegenüber von Noricum ripense, das heutige Nieder Österreich, in Besitz, während ein Teil des Volkes damals auf römisches Gebiet übertrat und in Thrazien angesiedelt wurde. Zum römischen Reiche standen die Rugier anfänglich in einem Vertragsverhältnisse; dagegen lebten sie in bitterer Feindschaft mit den Ostgoten, namentlich als diese auch Inner-Noricum besetzten (ca. 467) und ihnen dadurch den Zugang nach Italien versperrten. Als daher unter der Führung des Swebenkönigs Hunimund ein großer Bund der Donaugermanen gegen die Goten sich bildete, trat demselben auch der rugische König Flaccitheus bei; die Koalition ward aber durch die Schlacht am Bolia völlig zersprengt (469). Erst nach dem Abzüge der Goten (471) konnten sie daran denken, ihre Herrschaft auch über das benachbarte römische Gebiet auszudehnen. Unter dem Sohne und Nachfolger des Flaccitheus, F e l e t h e u s oder Fewa (seit ca. 475), erstreckte sich ihre Macht über Ufer-Noricum im Westen bis etwa zur Enns, im Osten ungefähr bis zur pannonischen Grenze bei Klosterneuburg und in entsprechender Weise über das nördlich der Donau gelegene Land; doch fand eine Besiedelung Noricums durch Rugier nicht statt. Das eroberte römische Gebiet bildete eine tributäre Provinz des rugischen Reiches; die Römer galten prinzipiell als Unterworfene. Wenn trotzdem sich ein leidlich gutes Verhältnis zwischen Siegern und Besiegten herausbildete, so war dies wesentlich dem Einflüsse des hl. Severinus, dessen Biographie eine Hauptquelle für die damaligen Zustände in den Donauländern ist, zu danken. Das Verhältnis der Rugier zu Odowakar scheint fortwährend ein gutes gewesen zu sein, erfuhr aber im Jahre 486 eine vollkommene Störung. Damals forderte der Kaiser Zeno, von Odowakar mit Krieg bedroht, den Feletheus auf, einen Einfall nach Italien zu unternehmen. Aber noch bevor die Rugier sich in Bewegung gesetzt hatten, ging Odowakar im Winter 487 mit Heeresmacht über die Donau, um jene in ihrem eigenen Lande zu bekämpfen. Nach heftigem Widerstande erlitten die Rugier eine völlige Niederlage (15. Nov. oder 18. Dez.); ein großer Teil geriet in Gefangenschaft und ward nach Italien abgeführt, darunter auch der König und seine Gemahlin (Giso). Letztere wurden später hingerichtet, während die übrigen Kriegsgefangenen wahrscheinlich in das . Heer Odowakars eintraten. Dagegen war

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F r i e d r i c h , der Sohn des Feletheus, mit einem Teile seiner Volksgenossen dem Tode und der Gefangenschaft entronnen. Als dieser nun im Jahre 488 in seine Heimat zurückkehrte, sandte Odowakar wieder ein Heer unter Führung seines Bruders Hunwulf über die Donau. Friedrich vermochte sich liier nicht zu behaupten und suchte und fand bei König Theoderich Schutz. Die Rugier nahmen hierauf an der ostgotischen Expedition nach Italien, zu der die Flucht Friedrichs einen Anlaß gab, teil. Als Besatzung nach Pavia gelegt, benahmen sie sich gegen die dortigen Einwohner in der ungebührlichsten Weise (490); als Theoderich dagegen einschritt, zogen sie sich nach den Alpengegenden zurück und traten zu Odowakars General Tufa über (491), dem sie aber bald darauf feindlich gegenübertraten (492). Von Theoderich wieder aufgenommen, bildeten sie unter dessen Herrschaft eine selbständige Gruppe und hielten sich von engeren Beziehungen zu den Goten fern. Nach König Hildebads Tode erhoben sie im Frühjahr 541 einen König aus ihrer Mitte, den Erarich, der aber nach nur fünfmonatlicher Regierung ermordet wurde. Seitdem verschwinden die Rugier aus der Geschichte; sie wurden mit den Goten von den Byzantinern vernichtet. d) Die T u r k i l i n g e n werden nur einmal unter den Soldtruppen erwähnt, die unter Odowakars Führung das weströmische Reich stürzten. Sie waren offenbar nur ein kleines unbedeutendes Volk, das, wohl ursprünglich an der Ostseeküste seßhaft, von da im 4. Jahrhundert nach Süden gezogen war und sich dann in der Nachbarschaft der Rugier usw. an der Donau niedergelassen hatte. Die Annahme Möllenhoffs (D. A. IV, 494), daß sie gar kein selbständiges Volk, sondern mit den Skiren identisch seien, deren Fürstengeschlecht den Namen Turkilingen geführt habe, ist schwerlich richtig. e) Neben den Bastarnen sind die S k i r e n das erste germanische Volk gewesen, das im Bereiche der antiken Kulturwelt aufgetreten ist. Ihre ältesten bekannten Sitze lagen östlich der unteren Weichsel, wo sie Plinius erwähnt. Von hier aus unternahmen sie um das Jahr 190 v. Chr. einen Raubzug nach dem Nordufer des Schwarzen Meeres und bedrohten u. a. die Griechenstadt Olbia, die deshalb, wie wir aus dem berühmten, inschriftlich erhaltenen Psephisma erfahren, ihre Stadtmauern wiederherstellen ließ. Dem Beispiel der Goten folgend, wanderten sie, wohl im Laufe des 3. Jahrhunderts, nach Süden und ließen sich im heutigen Galizien nieder; hier gerieten sie unter die Herrschaft der Hunnen. Der Einfall, der sie im Winter 380/81 oder 381/82 über die Donau führte, dürfte mit ihrer Unterwerfung in ursächlichem Zusammenhange stehen. Zu Anfang des 5. Jahrhunderts gehorchten sie dem Hunnenfürsten Uldin, dessen Herrschaftsgebiet sich über einen großen Teil der Walachei erstreckte; es scheint

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II. Die germanischen Einzelstämme.

hiernach, daß die Skiren ihre bisherigen Sitze mit weiter südlich gelegenen vertauscht hatten. Im Gefolge Uldins überschritten sie im Winter 408/9 verheerend die Donau, wurden aber auf dem Rückzüge von den römischen Truppen empfindlich geschlagen. Seitdem haben sie nur noch eine bescheidene geschichtliche Rolle gespielt. Mit Attilas Heere zogen sie 451 nach Gallien; sie waren aber auch unter den Völkern, die sich 453 zur Abschüttelung des hunnischen Joches vereinigten. Ein Teil der Skiren begab sich damals unter römische Oberhoheit und erhielt Land zur Ansiedelung an der unteren Donau, in Niedermösien, während das Hauptvolk sich in der Gegend zwischen Waag und den Kleinen Karpathen niederließ. Im Jahre 469 geriet das letztere mit den pannonischen Ostgoten in Konflikt. Ein skirisches Heer fiel in das Gebiet Walamers ein, wurde aber empfindlich geschlagen; auch als die Skiren unter Führung von Edica und dessen Sohn Hunwulf im Bündnis mit den germanischen Nachbarvölkern und den Oströmern ein zweites Mal einen Angriff versuchten, blieben die Goten Sieger (Schlacht am Flusse Bolia). Die Reste der Skiren zerstreuten sich; ein Teil, darunter Hunwulf und dessen Bruder Odowakar, traten auf römisches Gebiet über, um unter den kaiserlichen Fahnen zu dienen. f) Während die Goten und Rugier bereits in vorgeschichtlicher Zeit Skandinavien verlassen haben, sind die H e r u 1 e r (richtiger Eruier) erst verhältnismäßig spät auf dem Festlande erschienen. Aus ihren Stammsitzen im südlichen Schweden um die Mitte des 3. Jahrhunderts von den Dänen vertrieben, setzten sie teils über die Ostsee, um den Spuren der Goten zu folgen, teils wanderten sie über die jütische Halbinsel nach der holländischen Nordseeküste. Die ö s t l i c h e Abteilung der Heruler tritt 267 zum erstenmal in ihren neuen Sitzen am Asowschen Meere auf; über ihren damaligen Piratenzug und ihre Beteiligung an der großen Expedition der Donaugermanen im Jahre 269 s. oben S. 85. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts, als König Alarich über sie herrschte, wurden die Heruler von dem Ostgotenkönig Ermenrich unterworfen; mit den Ostgoten wurden sie sodann Untertanen der Hunnen. Nach der Zerstörung des hunnischen Reiches ließen sie sich wahrscheinlich im Rücken der Skiren und Sweben zwischen March und Eipel nieder (453). Nach dem Abzüge der Goten aus Pannonien griffen sie mächtig um sich und fielen wiederholt verheerend in Noricum und Pannonien ein; um 480 zerstörten sie die Stadt Joviacum (Schlögen zwischen Passau und Lorch). Einige der benachbarten Völkerschaften wurden von ihnen unterworfen und zinspflichtig gemacht; so vor allem die Langobarden, ferner wahrscheinlich die Buren, Turkilingen, die ungarischen Sweben, vielleicht auch die Markomannen, Überreste der Skiren und asdingischen Wandalen sowie auch slawische Stämme, namentlich an der oberen Theiß. Nach dem Untergange des Rugierreiches haben sie wahrscheinlich auch

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über Ufer-Noricum geherrscht; freilich sind dort speziell in der Gegend von Pöchlarn nachgewiesene Ortsnamen wie Herilungoburg Herilungevelt usw. schwerlich auf herulische Niederlassungen zu deuten 1 ). Um 501 trat der Ostgotenkönig Theoderich mit dem König Rodulf in enge Verbindung und machte diesen zu seinem Waffensohne. Aber bald darauf ging das mächtige Reich in Trümmer, indem die Langobarden sich gegen ihre Bedrücker empörten und diese in einer blutigen Schlacht aufs Haupt schlugen (ca. 505). Die Heruler zogen sich zunächst nach Rugiland zurück, konnten sich aber dort nicht behaupten und begaben sich unter den Schutz der Gepiden. Da diese ihnen aus Konnivenz gegen die Langobarden eine sehr schlechte Behandlung zuteil werden ließen, ging die Hauptmasse des Volkes über die Donau und ließ sich mit Genehmigung des Kaisers auf römischem Gebiete, vermutlich in Uferdazien, nieder (512); ein anderer Teil, mit den Angehörigen des königlichen Geschlechtes, beschloß in die nordische Heimat zurückzukehren. Der denkwürdige Zug dieser letzteren Abteilung ging die Donau stromabwärts, im Tale des Pruth aufwärts nach der oberen Weichsel, von da durch Schlesien, Brandenburg, Mecklenburg nach der jütischen Halbinsel und weiter über das Meer nach Skandinavien. Um 535 wurden die in römische Dienste getretenen Heruler nach der Gegend um Singidunum (Belgrad) zum Grenzschutz gegen die Gepiden verpflanzt. Erst damals fand das Christentum bei ihnen Eingang; doch nahm ein Teil unter dem Häuptling Gretes den katholischen Glauben an, während die Mehrzahl zum Arianismus übertrat. Die konfessionelle Verschiedenheit und weiterhin Streitigkeiten wegen der Besetzung des Thrones nach dem Tode des Königs O c h u s , der vom Volke aus nichtigen Gründen abgesetzt und ermordet worden war, führten zu einer politischen Trennung: die arianische Partei unter D a t i u s (ca. 3000 Krieger stark) sagte sich von der römischen Oberhoheit los und schloß sich den Gepiden an (ca. 545), wurde aber bald darauf von einem byzantinischen Heere zum größten Teile aufgerieben; die Anhänger des katholischen Glaubens (ca. 1500 Mann) hielten dem Kaiser die Treue und blieben zunächst in ihren Sitzen, haben aber keine selbständige Rolle weiter gespielt. Die W e s t h e r u l e r müssen bereits um 280 in die Nähe der römischen Grenze am Niederrhein (wahrscheinlich an der Küste der Batawerinsel), wo sie später bestimmt nachweisbar sind, vorgerückt sein. Im Jahre 286 brach eine Schar Heruler und Chaibonen in Gallien ein, wurde aber vom Kaiser Maximian geschlagen. Seitdem tritt das Volk erst wieder im 5. Jahrhundert hervor. Hieronymus führt in dem '409 geschriebenen Briefe ad Ageruchiam unter den Gallien heimsuchenden Völkern auch die Heruler auf. Im Jahre 456 (?) verheerte eine zu Schiff gekommene herulische Abteilung von 400 Mann die Nordküste Spaniens; drei Jahre später wurde dieser Raubzug wiederholt und bis an die Südspitze Spaniens ausgedehnt. Die aufstrebende *) So M a 11 h ä i , Rüdiger von Bechlaren und die Harlungensage: Zeitschrift für deutsches Altertum 43 (1899), S. 305 ff.

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IL Die germanischen Einzelstämme.

Macht der Franken ward aber bald dem kleinen'¡Volke gefährlich, und so erklärt es sich, daß wir von weiteren Seezügen desselben nichts vernehmen. In ihrer Selbständigkeit bedroht, wandten sich die Heruler um 475 an den mächtigen Westgotenkönig Eurich, der ihnen auch seinen Schutz angedeihen ließ. Als der Konflikt zwischen Chodowech und Alarich II. ausbrach, forderte der Ostgotenkönig Theoderich (um 501) die Könige der einander benachbarten Heruler, Warnen und Thüringer auf, den Frankenkönig zur Einstellung der Feindseligkeiten zu bewegen. Der Katastrophe des tolosanischen Reiches muß bald auch die Vernichtung der politischen Selbständigkeit der Westheruler gefolgt sein: diese verschwinden seitdem gänzlich aus der Geschichte1). Kaum ein anderes germanisches Volk ist unter den regulären und irregulären Truppen des römischen Reiches so häufig und so stark vertreten gewesen wie das herulische. Die Söldner, die in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts in Italien dienten und im Jahre 476 das weströmische Reich stürzten, setzten sich vorwiegend aus Herulern, nur zum geringen Teile auch aus Angehörigen anderer Donaugermanen, wie der Skiren und Turkilingen, zusammen; es ist daher angemessen, die Geschichte der Herrschaft Odowakars an die der Heruler anzuschließen. g) Odowakar war, wie schon oben bemerkt, ein Skire, ein Sohn des Fürsten Edica; nach der Vernichtung seines Volkes ging er um 470 nach Italien und trat in die kaiserliche Garde ein, in der er im Jahre 472 zum erstenmal erwähnt wird. Die barbarischen Soldtruppen hatten damals im weströmischen Reiche, das fast ausschließlich auf Italien beschränkt war, längst die tatsächliche Macht in den Händen; gleichwohl waren noch immer, unter Aufrechterhaltung des Scheines, Kaiser ernannt worden, die freilich nur als Kreaturen ihrer Generale eine rein nominelle Herrschaft ausübten. Der Swebe Rikimer, der bald nach dem Tode des »letzten Römers« Aetius in das Amt eines Patricius eintrat (456) hat bis zu seinem Tode (472) ein unumschränktes Regiment geführt und fünf Kaiser nach Willkür ein- und abgesetzt, wie er denn auch Münzen mit seinem Monogramm prägen ließ2). Sein Nachfolger, der burgundische Königssohn Gundobad, der den Glycerius zum Kaiser erhob, kehrte bald wieder in seine Heimat zurück; der von Ostrom 474 eingesetzte Kaiser Nepos mußte nach seinem Erbreich Dalmatien flüchten, als der von ihm zum Patricius ernannte Orestes sich gegen ihn auflehnte und alsdann seinen Sohn Romulus (spöttisch genannt Augustulus) auf den Thron setzte (31. Oktober 475). Aber auch die Herrschaft des Kaiserleins war nicht von langer Dauer. *) Die von einigen Forschern, besonders von S e e 1 m a n n (Das norddeutsche Herulerreich: Jahrbuch des Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung 12 (1886), S. 53 ff.) angenommene Existenz eines Heralerreiches in der Mark Brandenburg ist völlig unbeweisbar. ') F r i e d l ä n d e r , Die Manzen der Vandalen. Leipzig 1849. S. 54f.

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Die germanischen Söldner hatten bisher bei den römischen Possessoren in Quartier gelegen; nach den gesetzlichen Vorschriften (Verfügung vom Jahre 398; Cod. Theod. VII, 8, 5) hatten sie ein Drittel des Hauses zu beanspruchen, während sie Verpflegung (annona) aus den fiskalischen Magazinen empfingen. Um sich wirtschaftlich selbständig zu machen, verlangten sie von Orestes Anweisung eines Drittels der italischen Ländereien. Als dies abgeschlagen wurde, erbot sich Odowakar, seinen Kameraden zur Erfüllung ihres Wunsches zu verhelfen, wenn sie ihm die Herrschergewalt übertragen würden. Am 23. August 476 zum Könige ausgerufen, marschierte Odowakar gegen Pavia, wo sich Orestes aufhielt, und erstürmte die Stadt; Orestes wurde auf der Flucht ergriffen und am 28. August bei Piacenza hingerichtet, während sein Bruder Paulus vor den Toren Ravennas Schlacht und Leben verlor (4. September). Nach diesen entscheidenden Erfolgen befand sich ganz Italien in der Gewalt der Aufständischen; Romulus wurde in Ravenna des Purpurs entkleidet, sein Leben aber geschont. Zunächst bemühte sich Odowakar die Anerkennung des oströmischen Kaisers, des nunmehrigen alleinigen Oberhauptes des römischen Reiches, zu erlangen; er war nur König der barbarischen, nicht einmal sehr zahlreichen Truppen, die nicht der Trieb nach staatlicher Selbständigkeit, sondern materielle Interessen zusammengeführt hatten; um über die Italiener zu herrschen, konnte er eines ihm vom Kaiser verliehenen Rechtstitels nicht entbehren. Auf seine Veranlassung schickte Romulus in Verbindung mit dem Senate eine Gesandtschaft nach Konstantinopel, die die Abzeichen der kaiserlichen Gewalt überbrachte und die Erklärung abgab, die Italiener bedürften eines eigenen Kaisers nicht mehr; ein gemeinsamer Kaiser genüge für Ost- und Westrom, Zeno möge dem Odowakar den Patriziat und die Verwaltung des Westens übertragen. Gleichzeitig erbat aber Nepos von Zeno Truppen und Geld, um sich wieder in den Besitz Italiens zu setzen. Zeno nahm diesen beiden einander entgegenstehenden Wünschen gegenüber eine zweideutige Haltung ein; er wies die Gesandten an den noch lebenden Kaiser Nepos, den sie zurückführen möchten, und von dem Odowakar sich den Patriziat erbitten solle, redete aber doch in einem Handschreiben Odowakar schon mit dem Titel Patricius an. Eine förmliche Anerkennung der Herrschaft des Söldnerkönigs hat er niemals ausgesprochen, wie denn auch die Rücksendung der kaiserlichen Insignien unterblieb; aber er hat wenigstens später die von Odowakar nach des Nepos Tode (480) ernannten weströmischen Konsulen bestätigt. Trotz dieser unklaren Verhältnisse glaubte sich Odowakar berechtigt, als Mandatar des Kaisers aufzutreten. Sein Gebiet stellte einen integrierenden Bestandteil des römischen Staates dar. Der römische Verwaltungsapparat blieb in der bisherigen Form bestehen; Odowakar ernannte die Beamten, auch die Konsuln'), nur im Namen des ') Die Konsularnennung wird von H a l b a n a. 0. I, 90 bestritten.

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II. Die germanischen Einzelstimme.

Kaisers. Die Germanen, deren König er war, bildeten den streng von den Römern geschiedenen Wehrstand und wurden, ihrem Verlangen gemäß, vornehmlich in Oberitalien angesiedelt. Es bestanden also im wesentlichen dieselben Verhältnisse, wie später unter ostgotischer Herrschaft: das römisch-germanische Italien, welches uns als ostgotisches Reich und Schöpfung Theoderichs zu gelten pflegt, ist in seiner Eigenart vielmehr eine Schöpfung Odowakars, die wiederum direkt an die Zustände der letzten Kaiserzeit anknüpfte (Mommsen). Das kluge und maßvolle Regiment des germanischen Königs hat für Italien eine lange Zeit der Ruhe und Sicherheit gebracht. Konnte Odowakar auch nicht das römische Besteuerungssystem umstoßen, so hat er doch dessen Härten nach Möglichkeit zu mildern sich bemüht. Der orthodoxen Kirche stellte er, der Arianer, sich wohlwollend und rücksichtsvoll gegenüber, wenn er auch ein allgemeines Oberaufsichtsrecht seiner Regierung in Anspruch nahm und sich namentlich einen Einfluß auf die Besetzung des päpstlichen Stuhles zu sichern suchte. Trotzdem gelang es ihm nicht, die Liebe seiner römischen Untertanen zu erwerben. Seine äußere Politik war vornehmlich durch den Gedanken der Sicherung der Grenzen Italiens beherrscht. Durch einen Vertrag mit dem Wandalenkönig Geiserich gewann er den größten Teil Siziliens (Ende 476) (S. 63). Im Einvernehmen mit Zeno schloß er Frieden mit den Westgoten, die über die Rhone vorgedrungen waren und sogar einen Einfall in Italien unternommen hatten, indem er ihnen die Südprovence bis an die Seealpen abtrat (ca. 477) (S. 127). Auch mit den Burgundern scheint es damals zum Abschlüsse eines Bündnisses gekommen zu sein. Als im Frühjahr 480 Nepos durch Meuchelmord endete, besetzte Odowakar unter dem Vorwande, als Rächer des Kaisers zu kommen, Dalmatien, um zu verhindern, daß diese Provinz als Basis eines Angriffes gegen Italien benutzt werde (481/82). Einem Hilferufe des Illus, der sich 484 gegen Zeno empörte, leistete er keine Folge, ließ sich aber, als der Ostgotenkönig Theoderich mit dem Kaiser zerfiel (486), hinreißen, zu einer Expedition gegen Ostrom zu rüsten. Zeno suchte den neuen Feind von sich abzulenken, indem er die Rugier anstiftete, einen Einfall nach Italien zu unternehmen. Odowakar kam den Rugiern zuvor und zerstörte deren Reich (487, 488), gab aber trotzdem die römischen Provinzen nördlich der Alpen, Ufer-Noricum und Raetia II, die er mit seinen geringen militärischen Mitteln gegen den Andrang der anderen Donaugermanen (Heruler, Thüringer, Alamannen) doch nicht dauernd halten konnte, völlig auf. Die romanische Bevölkerung dieser Gegenden wurde nach Italien abgeführt; doch blieben nicht unbedeutende Reste derselben, namentlich Bauern, dort zurück. Daß die Flucht der überlebenden Rugier zu den Ostgoten den Anlaß zu dem im Namen des Kaisers unternommenen Zuge Theoderichs nach Italien gab, ist oben ausgeführt worden. Durch die Überlegenheit der Gegner war Odowakar von vornherein in die Defensive gedrängt; aber er hat den Kampf mit aller Energie aufgenommen. Das Verhältnis zum römischen Reiche

B. Die Ostgermanen.

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betrachtete er jetzt als gelöst: er ernannte seinen Sohn Thela zum Cäsar; aus jener Zeit stammen wohl auch die autonomen Münzen, die sein Bildnis statt des des Kaisers zeigen1). Obwohl in mehreren Schlachten besiegt, vermochte er sich doch in Ravenna zu halten; nur durch schnöden Verrat konnte Theoderich ihn beseitigen und sich in den unbestrittenen Besitz der Herrschaft Italiens setzen (493) (vgl. S. 94f.). H e r r s c h e r : a) Gepiden. Könige: Fastida (ca. 250), Ardarich (ca. 450), Gunderith (ca. 500). (Seitenlinie in Sirmien Thraustila, dann Thrasarich, Ende 5. und Anf. 6. Jahrh.). Elemund (bis ca. 548), Turisind (ca. 548 — ca. 560), Kunimund (ca. 560—567). b) Rugier. Könige: Flaccitheus (ca. 460 — ca. 475), Feletheus oder Fewa (ca. 475—487). c) Skiren. Herzog (?) Edica (f 469). d) Hernier. Könige: Alarich (ca. 350), Rodulf (ca. 500), Ochua (ca. 540), Datius (ca. 545), Odowakar (476 bis 493).

7. Schlufs. Von den Westgoten und Langobarden abgesehen, haben die Ostgermanen es zu keiner das 6. Jahrhundert überdauernden Reichsgründung gebracht. Die Stämme sind aber nicht nur ihrer politischen Existenz verlustig gegangen, sondern auch zum größten Teil durch das Schwert ihrer Gegner vernichtet worden. Die Bastarnen verschwinden schon gegen Ende des 3. Jahrhunderts aus der Geschichte. Die Wandalen erliegen 533, die Ostgoten zwanzig Jahre später den Byzantinern; die Burgunder kommen 534 unter fränkische Herrschaft; das Reich der Gepiden wird 567 von den Langobarden zerstört, nachdem die Skiren 469, die Rugier 488, das Reich Odowakars 493, die Donau-Heruler ca. 505 untergegangen waren. Einzelne Splitter, die die Völker hiir und dort zurückgelassen haben, sind für die allgemeine Geschichte ohne Bedeutung. Erwähnenswert sind besonders die sog. Gothi minores, eine Schar arianischer Westgoten, die, von ihren heidnischen Stammesgenossen im Jahre 348 vertrieben, unter Wulfilas Führung die Donau überschritt und in Moesia inferior am Fuße des Hämus bei Nikopolis vom Kaiser Konstantius Wohnsitze erhielt. An ihrer Spitze als geistlicher und weltlicher Leiter stand Wulfila bis zu seinem 383 erfolgten Tode2); als sein Nachfolger wirkte der Bischof Selinus. Sie werden dort noch von Jordanis erwähnt als ein zahlreiches Hirtenvolk, das friedlich von den Erträgnissen seiner Viehzucht sich nährte. Schwerlich ist aber die Nachricht Walafrid Strabos, daß noch im 9. Jahrhundert in der Gegend von Tomis gotisch gepredigt worden sei, auf die Gothi minores zu beziehen. Niedermösien ist wiederholt von Goten bewohnt gewesen; zu beachten ') E n g e l & Serrure a. O. S. 24. Die Münzen mit dem Bildnis des Kaisers Anastasius sind wohl in der Zeit der gemeinschaftlichen Herrschaft Theoderichs und Odowakars geprägt worden. *) Die Annahme, daß W. Bischof von Durostorum (Silistria) gewesen Bei, ist irrig.

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II. Die germanischen Einzelstämme.

ist namentlich, daß einem sicheren Zeugnisse zufolge nicht alle Ostgoten an der italienischen Expedition Theoderichs sich beteiligt haben, sondern manche derselben in den Donauländern zurückgeblieben sind. Eine andere christliche (aber orthodoxe) Gotengemeinde in der Balkanhalbinsel waren die Gothi confessores, die die Aufforderung der Goten Frithigerns, sich ihnen anzuschließen, zurückwiesen und gegen Horn die Treue bewahrten.1) Besonderes Interesse beanspruchen die Reste der Ostgermanen am Schwarzen Meere. Dahin gehören die zuerst im 8. Jahrhundert erwähnten roz&oyqal-Aoi, ein Mischvolk von Ostgoten und Griechen in Kleinasien an der Propontis ; die Eudusiani (Heruler?) an der kaukasischen Küste (um 480 genannt); endlich die tetraxitischen Goten auf der Halbinsel Taman und die Goten in der Krim (ihr Land heißt Dory oder Doros), wohl Nachkommen der im 3. Jahrhundert genannten Boraner. Die Tetraxiten und Krimgoten erscheinen schon zu Anfang des 4. Jahrhunderts als katholische Christen : im Jahre 325 wird ein Bischof Theophilus von Gotien erwähnt; 404 finden wir einen von Joh. Chrysostomus eingesetzten Bischof Unila. Beide Völker standen unter eigenen Herrschern (Toparchen); über ihre numerische Stärke gibt die Angabe Aufschluß, daß die Tetraxiten 2000, die Krimgoten 3000 Krieger stellten. Mitte des 4. Jahrhunderts wurden sie von den Hunnen unterjocht. Besonders treten die Tetraxiten im 6. Jahrhundert hervor, als sie mit den Uturguren in Kampf gerieten, denen sie fortan Heeresfolge leisten mußten. Uber ihre späteren Schicksale wissen wir nichts Bestimmtes. Genauer sind wir dagegen über die Geschichte der Krimgoten unterrichtet. Diese standen im 6. und dann vom 10.—13. Jahrhundert unter byzantinischer Oberherrschaft, im 7. und 8. unter den Chazaren, seit dem 13. unter den Tataren. Ihre politische Selbständigkeit, die sie bisher bis zu einem gewissen Grade bewahrt hatten, büßten sie im Jahre 1475 ein, nachdem die Türken ihre Hauptstadt Mankup erobert hatten. Ihre Sprache ist aber erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts ausgestorben 2). Auch in der deutschen Heimat haben die Ostgermanen nicht unwesentliche Spuren hinterlassen. Die archäologischen Funde lehren, daß dort bis gegen 500 eine wenn auch dünne germanische Bevölkerung sich gehalten hat. Die Sage der Langobarden berichtet, daß diese auf ihrer Wanderung u. a. auch in ihren Stammsitzen zwischen Weichsel und Oder zurückgebliebene Burgunder unterworfen haben. Diese Germanenreste sind unter den seit dem 6. Jahrhundert in Ostdeutschland einrückenden Balten und Slawen aufgegangen. Jordanis ») Vgl. K a u f m a n n in der Zeitschrift f. deutsch. Altertum 27 (1883), S. 240 ff. ) Hauptwerk: R. L ö w e , Die Reste der Germanen am Schwarzen Meere. Halle 1896 (dazu T o m a s c h e k im Anzeiger für deutsches Altertum 23 [1897], 5. 121 ff.). P a u l y - W i s s o w a , Realenzyklopädie D l (1897), 2260. d e B a y e , Les Goths de Crimée : Bulletin et mémoires de la société des antiquaires de France. Sér. VIL tom. 6 (1907), S. 255ff. 7 (1908), S. 72ff. Weitere Literatur, bei S t r e i t b e r g , Gotisches Elementarbuch S. 36. J

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erwähnt an der Weichselmündung das aus der Mischung von Gepiden mit Aestiern hervorgegangene Volk der Vidivarier. So erklärt es sich auch, wenn germanische Volksnamen bei den Slawen fortlebten (Maurungani; Slezane = Silingi) und Flüsse wie Oder, Havel, Spree u. a. ihre deutschen Namen behielten. Schwerlich sind aber die zurückgebliebenen germanischen Elemente bedeutend genug gewesen, um auf die spätere Entwickelung der slawischen Stämme einen hervorragenden Einfluß auszuüben 1 ). Die gewaltigen Opfer, die die Ostgermanen gebracht haben, sind darum nicht umsonst gewesen, die Kräfte nicht völlig nutzlos vergeudet worden. Die Ostgermanen haben die Aufgabe erfüllt, das zu Beginn ihrer Wanderung noch kräftige Gefüge des römischen Imperiums zu lockern und dessen Auflösung vorzubereiten. Die auf römischem Boden gegründeten Reiche der Wandalen, Goten und Burgunder waren Frühgeburten und konnten deshalb nicht lebensfähig sein; aber sie bilden ein notwendiges Glied in der Kette der späteren Entwickelung. Die Saat, die die Ostgermanen in die Erde gelegt, haben die Franken geerntet, die berufen waren, die Neugestaltung der staatlichen Verhältnisse des Abendlandes durchzuführen. ') Für die Erhaltung germanischer Beste in Deutschland bis ins Mittelalter hinein F i a t n e r , Uber Spuren deutscher Bevölkerung zur Zeit der slawischen Herrschaft in den östlich der Elbe und Saale gelegenen Ländern: Forschungen zur deutschen Geschichte 17 (1877), S. 409ff. (zu weit gehend). M u c h , in den Beiträgen z. Gesch. d. deutsch. Sprache 17 (1893), S. 83; Deutsche Stammeskunde * S. 128. 136. Dagegen G. W e n d t , Die Nationalität der Bevölkerung der deutschen Ostmarken vor dem Beginne der Germanisierung. Göttingen 1878. M ü l l e n h o f f , D. A. LP, 372 ff. (vgl. S. 78. 92 ff.).

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II. Die germanischen Einzelstämme.

C. Die Westgermanen. L Die Ingwäonen. Als hervorragendste ingwäonische Stämme führt Plinius die Kimbern, Teutonen und Chauken auf; man darf hierzu noch die Friesen, Amsiwarier, Angriwarier (?) und die übrigen zur Römerzeit in der jütischen Halbinsel ansässigen Völker rechnen. Die Ingwäonen sind die Völker des anglofriesischen Sprachstammes1). a) D i e K i m b e r n , T e u t o n e n u n d A m b r o n e n . Literatur: Z o u ß , S. 141 ff. F a l l m a n n , Die Kimbern und Teutonen. Berlin 1870. D e s j a r d i n s , Géographie de la Gaule romaine II. Paris 1878. S. 302ff. M o m m s e n , Römische Geschichte I I 7 . Berlin 1881. S. 171 ff. M a r e k s , Die römische Flottenexpedition zum Kimbernlande: Bonner Jahrbücher 95 (1894), S. 29 ff. H e l b l i n g , Der Zug der Kimbern und Teutonen. Winterthur 1898. M a t t h i a s , Über Wohnsitze und den Namen der Kimbern. Berlin 1904. M. C l e r c , La bataille d'Aix. Études critiques sur la campagno de C. Marius en Provence. Paris 1906 (dazu C. J u l l i a n im Journal des savants 1907, 8. 151 ff.). M ü l l e n h o f f , D. A. II», 112ff. 282ff.

Es steht außer allem Zweifel, daß die Heimat der Kimbern im nördlichen Teile der jütischen Halbinsel zu suchen ist. Dorthin verlegen sie schon Philemon (um 100 v. Chr.) und Posidonius, die Gewährsmänner des Plinius und Strabo. Kimbern fand in ihren ursprünglichen Sitzen noch die im Jahre 5 n. Chr. unternommene römische Flottenexpedition vor ; promunturium Cimbrorum heißt die Nordspitze Jütlands bei Plinius; der Volksname2) lebt heute noch in dem dänischen Bezirke Himmerland oder Himmersyssel (früher Himbusyssel) mit der Hauptstadt Aalborg fort. (Die auf völlig unzureichende Gründe gestützte Behauptung Möllenhoffs, daß die Kimbern Anwohner dpr mittleren Elbe gewesen seien, kann als völlig abgetan betrachtet werden3).) Wandergenossen der Kimbern waren die Teutonen und Ambronen. Die letzteren, wohl ein Teilvolk der Teutonen, hatten ihre Sitze auf den nordfriesischen Inseln und dem angrenzenden Küstengebiete; an sie erinnert der Name der Insel Amrum (älter Ambrum). Die Teu') Vgl. S i e b s , Zur Geschichte der englisch-friesischen Sprache I. Halle 1889. B r e m e r , Ethnographie. S. 108 ff. ') Die Frage, ob derselbe deutsch oder keltisch, ist noch nicht entschieden. Sicher aber sind die Kimbern Germanen. Vgl. auch A r b o i s d e J u b a i n v i l l e , Les Cimbres et les Cymry: Revue celtique 29 (1908), S. 215 ff. •) Neuerdings hat G. W i l k e (Wo lag die Heimat der Kimbern u. Teutonen?: Deutsche Geschichtsblätter VII [1906] S. 291 ff.) unter souveräner Verachtung der Quellenzeugnisse und der modernen Literatur die Müllenhoffsche Hypothese wieder aufgewärmt und durch die archäologischen Funde zu stützen versucht, trotz der Warnung Sophus Müllers, Nordische Altertumskunde U, 149. Der Aufsatz liefert wieder den Beweis, wie gering der Wert der Archäologie für die Geschichte der germanischen Völkerzüge einzuschätzen ist.

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tonen kennt schon Pytheas als Anwohner der Nordseeküste in der Gegend der Elbmündung; ebendahin setzt sie auch Mela nach einer älteren Quelle. Der Volksname ist unzweifelhaft deutsch 1 ); die Müllenhoffsche Annahme, daß er die keltische Gesamtbezeichnung der germanischen Nordseevölker sei, ist zurückzuweisen; ebensowenig ist es berechtigt, die Teutonen als einen Stamm der Helvetier anzusprechen. Tacitus nennt an Stelle der Teutonen die Gruppe der Nerthusvölker, die wahrscheinlich aus zurückgebliebenen Teilen des großen teutonischen Stammes sich gebildet hat2). Nach der durchaus glaubwürdigen, von Posidoniiis aus Unkenntnis der lokalen Verhältnisse bekämpften römischen Tradition waren es gewaltige Sturmfluten, die die Kimbern, Teutonen und Ambronen um 120 v. Chr. veranlaßten, ihre Gebiete zum Teil zu räumen und sich anderwärts eine Heimat zu suchen. (Müllenhoffs Annahme von der Übertragung der keltischen Flutsage auf die Kimbern ist von verschiedener Seite gründlich widerlegt worden.) Der Weg, den die drei Völker 3 ) einschlugen, ging die Elbe aufwärts. Unterwegs schlössen sich ihnen zahlreiche Schwärme der in jenen Gegenden wohnenden Germanen an; dies ergibt sich aus den Funden, die von der mittleren La-T&ne-Zeit an eine plötzliche und starke Abnahme zeigen. Der auch weiterhin fortdauernde Zufluß anderer Elemente erklärt die gewaltige numerische Stärke, in der die Auswanderer nach der griechisch-römischen Überlieferung erscheinen, wenn auch die hier gegebenen Zahlen (300000 Krieger nach Plutarch) sicher einer starken Reduktion bedürfen. Anderseits haben sich auch während der Wanderung zahlreiche Splitter abgelöst und sind unterwegs sitzengeblieben. Nach Überschreitung des Erzgebirges fielen die Germanen in Böhmen ein; von den dort wohnenden Bojern geschlagen, zogen sie donauabwärts zu den Skordiskern (zwischen Drau und Save), die ihnen ebenfalls eine Niederlage beibrachten (114) (ein Teil der Teutonen scheint dort zurückgeblieben zu sein, wie der Ortsname Teutoburgion bei Ptolmäus andeutet), und sodann ins Gebiet der mit Rom befreundeten Taurisker (in Noricum). Bei Noreja (Neumarkt in Steiermark) kam es mit dem zum Schutze der Alpenpässe aufgestellten römischen Heere unter Papirius Carbo zu einem Zusammenstoße, aus dem die Germanen als Sieger hervorgingen (113). Gleichwohl wandten sich diese nicht nach Italien, das ihnen wehrlos preisgegeben war, sondern zogen ') Vgl. K l u g e , Wortgeschichtliches über Herkunft und Geschichte der Teutonen: Zeitschrift für deutsche Wortforschung VII (1905), S. 165 ff. *) Die Erwähnung der Teutonen bei Ptolemäus hat für dessen Zeit keine Gültigkeit mehr. Auf seiner Karte erscheint das Volk überdies an ganz falscher Stelle, in Mecklenburg. *) Die Annahme einiger Forscher, daß die Teutonen und Ambronen einen anderen Weg genommen und sich erst später mit den Kimbern vereinigt hätten, ist an sich wenig wahrscheinlich und wird auch durch die Quellen selbst widerlegt, vgl. M ü l l e n h o f f S. 290ff. Nicht unmöglich ist allerdings, daß ein Teutonenschwarm sich gleich zu Anfang abgesondert hat und nach Westfalen gezogen ist (Teutoburger Wald). S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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langsam die Donau aufwärts nach dem Lande der Helvetier, mit denen sie sich friedlich verständigten. Sowohl kimbrische wie teutonische Abteilungen haben sich damals in Südwestdeutschland dauernd niedergelassen, wie Inschriften des 3. Jahrhunderts n. Chr. mit Mercurius Cimbri(an)us (aus der Gegend von Miltenberg und Heidelberg) und Toutoni (ebenfalls von Miltenberg) beweisen *). Von zwei helvetischen Gauen, den Tigurinern und Toygenern 2 ) gefolgt, fielen die Germanen über den Rhein in Gallien ein; im Norden von den tapferen Beigen zurückgeschlagen, wandten sie sich südwärts, wo sie das römische Gebiet berührten. Vom römischen Senat mit ihrer später noch öfter wiederholten Bitte um Anweisung von Land und Saatkorn abgewiesen, griffen sie das vom Konsul Junius Silanus befehligte römische Heer an und errangen einen glänzenden Sieg (109; Ort der Schlacht unbekannt). Ebenso schlugen die Tiguriner im Jahre 107 das Heer des Konsuls Cassius Longinus bei Agen an der Garonne. Zum Schutz der italienischen Grenze stellten nun die Römer drei Armeen an der Rhonelinie auf: das eine unter dem Prokonsul Caepio stand im Westen der Rhone, das zweite unter dem Konsul Mallius Maximus an der Ostseite des Stromes, das dritte unter dem Legaten Aemilius Scaurus nach Norden hin im Gebiet der Allobroger. Aber infolge der Rivalität der Feldherrn kam es auf römischer Seite zu keinem Zusammenwirken. Zunächst wurden die Truppen des Scaurus von den vereinigten Barbaren vernichtet. Die beiden anderen römischen Heere kamen nun zwar bei Arausio (Orange) zusammen; während aber Mallius den Weg der Unterhandlungen beschritt, griff Caepio allein an und unterlag. Die Niederlage des Mallius folgte auf dem Fuße (6. Oktober 105). Die Verluste der Römer waren ungeheuer; die Gefangenen wurden von den Germanen mitsamt der ganzen Beute den Göttern geopfert. Aber auch jetzt wieder kam es nicht zu der gefürchteten Invasion Italiens. Die Barbaren trennten sich, ohne den Sieg auszunutzen. Die Kimbern überschritten die Pyrenäen und schlugen sich in Spanien mit den Keltiberern herum, die ihnen tapferen Widerstand leisteten, während die Teutonen, Ambronen und Helvetier es sich in Gallien wohl sein ließen. Die Römer erhielten dadurch hinreichend Zeit, ihre Kräfte wieder zu konsolidieren. Mit der Führung des kimbrischen Krieges wurde der soeben aus Afrika zurückgekehrte Besieger Jugurthas, Marius, betraut (104). Dieser nahm mit Energie die Reorganisation des verfallenen römischen Militärwesens vor und stellte in Gallien ein neues, aus den untersten Klassen der Bürgerschaft rekrutiertes Heer auf, das er durch sorgfältige Schidung und Anwendung eiserner Disziplin schlagfertig machte. Um die Verproviantierung der Truppen von der See her zu erleichtern, ließ er an der versandeten Rhonemündung einen Kanal, die fossa Mariana, >) C. I. L. XIII, 2, nr. 6402. 6604. 6606. 6610. *) Für Ttovytvoi bei Strabo hat man Tevxovoi gelesen, mit Unrecht, da die Griechen stets Ttvzovts schreiben.

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graben. Im Jahre 102 erschienen die Kimbern wieder in Gallien, wo sie von neuem von den Beigen geschlagen wurden, und vereinigten sich im Gebiet der Veliocasses an der unteren Seine mit den anderen Barbaren. Da Gallien völlig ausgesogen war, wurde der Zug nach Italien beschlossen. Ein Heerhaufe von 6000 Mann blieb zur Bewachung der ungeheueren Beute zurück (die späteren Aduatuker). Die Kimbern und Helvetier ¡sollten von Norden her, die Teutonen und Ambronen von Südgallien aus eindringen. Marius hatte am Einfluß der Isère in die Rhone ein wohl verschanztes Lager errichtet, das die Teutonen drei Tage lang vergeblich bestürmten. Als die Germanen dann weiterzogen, folgte ihnen Marius nach der Gegend von Aquae Sextiae (Aix) und überfiel die die Nachhut bildenden Ambronen, deren größter Teil vernichtet wurde. Am folgenden Tage errangen die Römer mit Hilfe eines Hinterhaltes auch über die Teutonen einen vollständigen Sieg. Die Mehrzahl der letzteren ward erschlagen; die übrigen, darunter der »König« T e u t o b o d , geriet in Gefangenschaft (102). Glücklicher waren anfangs die Kimbern gewesen. Diese hatten einen Paß der Ostalpen (ob der Brenner zu verstehen, ist fraglich) überschritten und ungehindert das Etschtal erreicht. Das südlich von Trient aufgestellte Heer des Lutatius Catulus wich zurück, Oberitalien zwischen Alpen und Po den Germanen preisgebend, die sich in dem gesegneten Lande häuslich einrichteten (Herbst 102). Zu Beginn des Jahres 101 erschien Marius, zum fünftenmal Konsul, in Italien, vereinigte sich mit Catulus und überschritt im Sommer 101 angreifend den Po. Die erneute Bitte der Kimbern um Landanweisung wies er höhnisch ab. Die Entscheidung fiel, nach vorheriger Verabredung, auf dem raudischen Felde südlich von Vercellae am 30. Juli 101. Die Kimbern, durch die Hitze in ihrer Widerstandsfähigkeit geschwächt, erlitten eine vollständige Niederlage. Zwei Kimbern»könige« Bojorix und L u g i u s fanden den Tod mit der Hauptmasse ihres Volkes; die Uberlebenden wurden gefangen, darunter die Fürsten Claodicus und C a e s o r i x . Auf die Nachricht von dem Untergange ihrer Bundesgenossen kehrten die Tiguriner, die in den norischen Alpen stehengeblieben waren, wieder in ihre Heimat zurück. Zum letztenmal werden in der Geschichte die Kimbern im Jahre 5 n. Chr. erwähnt. Die in Jütland Zurückgebliebenen schickten damals, durch das Erscheinen einer römischen Flotte an ihrer Küste eingeschüchtert, Gesandte mit Geschenken nach Rom und baten den Kaiser um seine Freundschaft. Die späteren Erwähnungen des Volkes in der geographischen Literatur gehen sämtlich auf die unter Augustus gewonnene Kenntnis zurück. Als ein Gauvolk der Kimbern müssen die in der angelsächsischen Dichtung mehrfach erwähnten Wendlas angesehen werden, ohne Zweifel ein Teil der Wandalen (Lugier), der bei dem Auszug aus Skandinavien an der Nordspitze Jütlands sitzengeblieben ist. Fürsten, a) kimbrische : Bojorix, Lugius, Claodicus, Caesorix. Teutobod.

b) teutonische : 10*

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b) D i e A n g e l n und W a r n e n . Literatur: Z e u ß , S. 152ff.495ff. M ö l l e n h o f f , Die deutschen Völker an Nordund Ostsee in ältester Zeit: Nordalbingische Studien I. Kiel 1858. S. 111 ff. Beovulf. Berlin 1889. D. A. IV, 463 ff. M ö l l e r , Das altenglische Volksepos. Kiel 1883. S e e l m a n n im Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 12 (1887), S. 7ff. T e n B r i n k , Beowulf. Straßburg 1888. 8. 194ff. W e i l a n d , Die Angeln. Festgabe für Georg Hanssen. Tübingen 1889. S. 119ff. E r d m a n n , über die Heimat und den Namen der Angeln. Upsala 1890—91 {dazu: M ö 11 e r im Anzeiger für deutsches Altertum 22 [1896], S. 129 ff.). B. M u c h, Goten und Ingwäonen in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache 17 (1893), S. 191 ff. K ö g e l , Geschichte der deutschen Literatur I, 1. Straßburg 1894. S. 152ff. S a c h , Das Herzogtum Schleswig. Abt II. Halle 1899. B r e m e r , Ethnogr. S. 115ff. H o o p s , Waldbäume, S. 566ff. D a h n , Könige der Germanen X. Leipzig 1907. S. 14 ff. K r o m, de populis Germanis antiquo tempore patriam nostram incolentibus Anglosaxonumque migrationibus. Lugd. Bat. 1908. S. 115 ff.

Erheblichere Reste als von den Kimbern scheinen von den Teutonen im Norden zurückgeblieben zu sein. Zu diesen dürfte, wie schon erwähnt, die zuerst von Tacitus genannte, zum Dienste der Göttin Nerthus verbundene Völkergruppe der Angeln, Warnen (Warin er, Weriner), Reudigner, Awionen, Eudosen, Suardonen und Nuithonen zu zählen sein. Die gemeinsame Kultusstätte war ein heiliger Hain auf einer Insel des Ozeans, d. h. der Ostsee (nicht der Nordsee, da die Nordseeinseln der Stürme wegen fast baumlos sind). Das führende Volk dieser Amphiktyonie werden die Angeln gewesen sein. Diese wohnten in Schleswig, hatten aber, da sie später als ein Stamm von ansehnlicher Stärke erscheinen1), ein erheblich größeres Gebiet inne als die noch heute nach ihnen benannte Landschaft zwischen Flensburger Föhrde und Schlei umfaßt2) (mit Unrecht bestreitet Erdmann, daß Angeln jemals in Schleswig gesessen hätten; das Zeugnis des Ptolemäus, der das Volk nach Nordthüringen versetzt und zu den Sweben rechnet, kommt ganz außer Betracht). Nordnachbarn der Angeln waren die Warnen, an die Namen wie Warnaes = Warna naes d. i. promunturium Varinorum, die Nordostecke von Sundewitt, jetzt Warnitz, erinnern. Die Warnen stammten vermutlich aus Skandinavien; auf ihre dortigen Ursitze acheint der Ortsname Varnes in Norwegen hinzuweisen; das anglowarnische Volksrecht zeigt nach Ficker Verwandtschaft mit den ostgermanischen Rechten. Plinius nennt ostgermanische Varini, die nach Ptolemäus (Ortsname OÚQOWOV ; die offenbar identischen Volksnamen OUIQOVVOI und -AI aqnoi [lies ^4VOQVOI] werden irrig in Lauenburg und Mecklenburg lokalisiert)s) östlich der ') Das Zeugnis des Ptolemäus (fiéytorov l'&vos) fällt freilich weg, da dieses auf der falschen AnBetzung auf seiner Karte beruht. ') Nach B r e m e r saßen Angeln auch auf Fünen; aber seine aus den Buneninschriften gezogenen Schlüsse sind hinfällig, vgl. Wimmer bei J e s s e n , Manuel historique de la question du Slesvig. Copenhague 1906. ') Der Flußname Warnow in Mecklenburg ist slawisch und hat mit den germanischen Warnen nichts zu tun. — Warnen werden von Ptolemäus auch an die obere Weichsel gesetzt; da sie hier in Nachbarschaft der Ombronen (d. i. Ambronen) erscheinen, gehören sie in die kimbrische Halbinsel.

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Oder gewohnt zu haben scheinen. Dieser wohl direkt über See in Deutschland eingewanderte Zweig des Volkes hat geschichtlich keine Rolle gespielt. — Die Awionen, »Inselbewohner«, dürften mit den zurückgebliebenen Resten der Ambronen zusammenfallen. Vielleicht sind sie identisch mit den "Oßioi, von denen eine beutelustige Schar im Verein mit Langobarden während des Markomannenkrieges einen Streifzug nach Süden unternahm. Im Laufe des 3. Jahrhunderts n. Chr. scheinen sie, von den Herulern (S. 136) veranlaßt, ihre Sitze nach der oldenburgischen Küste (Ammerland, Ambria) verlegt zu haben, von wo aus sie als Chaibones im Jahre 286 einen Raubzug nach Gallien unternahmen. Seitdem verschwinden sie aus der Geschichte; sie sind wahrscheinlich in den S a c h s e n aufgegangen. — Die nach Tacitus nördlich von den Warnen anzusetzenden Eudosen werden schon unter den Hilfsvölkern Ariowists (bei Caesar Sedusii) erwähnt. Das ziemlich zahlreiche Volk verlegte etwa im 4. Jahrhundert n. Chr. seine Sitze weiter südwärts, vermutlich nach der flandrisch-französischen Küste oder an den Niederrhein. Von hier zog dasselbe zum großen Teil nach Südostengland; die Zurückbleibenden gerieten um 540 unter fränkische Botmäßigkeit (in einem Briefe König Theudeberts werden sie Saxones Eucii = Eutii genannt). Doch waren auch ansehnliche Reste in der kimbrischen Halbinsel verblieben; diese erwuchsen durch Vermischung mit den Dänen zu einem nordgermanischen Stamme (Jüten; altnord. Jötar; Venantius Fortunatus nennt sie Euthiones und setzt sie zwischen Sachsen und Dänen)1). — Über die Suardonen und Nuithonen ist nichts weiter bekannt. Die Reudigner, etwa nördlich von Hamburg anzusetzen, sind das Stammvolk der späteren Sachsen. Auch die Angeln und Warnen haben sich an der Völkerwanderung beteiligt; aber wann sie sich in Bewegung gesetzt haben, ist schwer festzustellen. Das Widsidhlied besingt einen anglischen König O f f a , der erfolgreich die (von der See her andringenden) Dänen abwehrte und die Eider als Reichsgrenze gegen die Myrgingen (Sachsen) festsetzte. Hat dieser König wirklich, wie meist angenommen wird, um die Mitte des 4. Jahrhunderts gelebt, so muß das anglische Reich damals noch in voller Integrität in der kimbrischen Halbinsel bestanden haben. Wahrscheinlich haben sich aber schon im 3. Jahrhundert einzelne Scharen von Angeln und Warnen den von Skandinavien gekommenen Herulern angeschlossen und am Niederrhein als Stützpunkte für ihre Piratenzüge Niederlassungen gegründet. Darauf deutet zunächst das in der Notitia dignitatum aufgeführte auxilium palatinum der Anglevarii (d. i. wohl Angli [et] Varini), dessen Aufstellung wahrscheinlich mit den siegreichen Kämpfen des Constantius Chlorus (293) oder Julians (358/59) in den Niederlanden zusammenhängt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß unter den »Sachsen«, die die l

) Die Identität der Namen Jüten und Euten steht fest, vgl. T e n B r i n k , S. 204. Vgl. auch Euthungi (inschriftlich) = Juthungi. Die Annahme, daß die jütischen Besiedler Englands Nordgermanen gewesen seien, ist unhaltbar.

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Franken aus Batawien verdrängten (S. 154), auch Warnen und Angeln zu verstehen sind. Sicher bezeugt ist ein warnisches Reich am r e c h t e n Ufer des Niederrheins seit dem Ende des 5. Jahrhunderts. Von den Franken bedroht, wurde dasselbe durch den Westgotenkönig Eurich geschützt. Der Ostgotenkönig Theoderich forderte um 501 den König der Warnen gleichwie die Herrscher der benachbarten Thüringer und Heruler (S. 138) auf, ihn in seinen Bemühungen um Erhaltung des Friedens zu unterstützen1). Bald darauf finden wir die Warnen in engen Beziehungen zu den Franken und den britannischen Angeln. Nach einer freilich von der Sage beeinflußten Erzählung Prokops (b. G. 4, 20) hatte der Warnenkönig H e r m e g i s k l u s , der in zweiter Ehe mit der Schwester des fränkischen Königs Theudebert vermählt war, seinen Sohn Radiger aus erster Ehe mit der Schwester des Königs der Angeln verlobt. Als Hermegisklus sein Ende nahen fühlte, gab er seinem Sohne und Nachfolger aus politischen Rücksichten den Rat, seine Braut im Stiche zu lassen und seine fränkische Stiefmutter zu heiraten. Aber die verlassene anglische Königstochter rüstete eine Flotte aus, lieferte den Warnen an der Rheinmündung eine Schlacht und nahm Radiger gefangen, der nunmehr Theudeberts Schwester heimschickte und die Britin ehelichte (um 540). Wahrscheinlich ist hierdurch ein Konflikt mit den Franken heraufbeschworen worden, der mit dem Untergange des Warnenreiches endete. Dagegen werden die niederländischen Angeln in der Geschichte nicht weiter erwähnt; sie sind schon gegen Mitte des 5. Jahrhunderts fast vollständig nach Britannien übergesiedelt2) und haben dort die ihnen gegenüberliegenden Küstengebiete von Norfolk und SufEolk besetzt. Ihre Sitze lagen an der unteren Maas, wie der Ortsname Angledura im Mosago andeutet (Sach S. 74 N. 2). Ferner gehört hierher ein aus guter alter Überlieferung beruhendes Zeugnis Adams von Bremen (1, 3)8). Andere Teile beider Völker haben sich auch nach Mitteldeutschland gewendet, wo sie mit den Hermunduren zu dem Stamme der Thüringer erwuchsen4). Die Angeln saßen hier in größeren Massen im Unstrutgebiete (pagus Engilin; Ortsnamen Angelhausen, Kirch-, Holz-, Feld- und Westerengel), die Warnen zwischen Saale und Mulde ') Die Behauptung, daß die mitteldeutschen Warnen und Thüringer gemeint seien, wird leider neuerdings von D a h n , S. 39 f. wiederholt. Vgl. dazu meine Ausführungen Gesch. d. deutsch. Stämme I, 346, N. 1. ') Vor 500, da Theoderich in dem erwähnten Schreiben sich wahrscheinlich auch an die Angeln gewendet haben würde. *) Igitur Saxones primo circa Benum sedes habebant [et vocati sunt Angli], quorum pars inde veniens in Brittanniam Romanos ab illa insula depulit Altera pars Thuringiam oppugnans tenuit illam regionem. ') M ü l l e n h o f f s Annahme, daß hier die Ursitze der Angeln und Warnen zu suchen und daß von hier aus Schleswig besiedelt worden sei, ist durchaus abzulehnen; ebensowenig ist es zulässig, die thüringischen Angeln als ein von den schleswigschen ethnographisch verschiedenes Volk zu bezeichnen.

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im später sog. Werenofeld (Wernsdorf bei Teuchern; ein zweiter Ort gleichen Namens zwischen Zeitz und Gera) und wohl auch im Weringau am Main (die Verbreitung der Ortsnamen auf leben, die namentlich von Seelmann mit den Warnen in Beziehung gebracht worden ist [eher wäre noch an die Angeln zu denken], darf keinesfalls als Beleg dienen). Im Jahre 531 erlag das thüringische Reich den Franken; die Namen der Angeln und Warnen werden aber auch später noch erwähnt. (Einige Forscher identifizieren die sogenannten Nordschwaben, die, um 540 von den Franken unterworfen, im Jahre 568 das bisher von den Sachsen innegehabte Gebiet rechts der Bode besetzten, mit den Warnen, durchaus mit Unrecht, da diese keine Sweben, sondern Niederdeutsche waren.) Im Jahre 594 lehnten sich die Bewohner des Werenofeldes gegen die fränkische Herrschaft auf, wurden aber besiegt und angeblich fast völlig aufgerieben. Das Werenofeld ward alsdann (im 7. Jahrh.) von den Slawen in Besitz genommen. Die Hauptmasse der Angeln ist etwa gegen Ende des 5. Jahrhunderts von der kimbrischen Halbinsel direkt nach Ostengland übergesiedelt; doch sind einzelne Splitter von ihnen, sowie namentlich von den Warnen, in der alten Heimat zurückgeblieben. Warnen trafen dort die Heruler an, als sie ihren denkwürdigen Zug von der Donau nach dem Norden unternahmen. Nur so erklärt sich auch das Fortleben anglischer Überlieferungen bei den Dänen, in deren Stammsage Dan und Angul als Stammväter des Volkes erscheinen. Aber im großen und ganzen lag das Land nach dem Abzüge beider Völker für lange Zeit öde und verlassen, wie aus dem Zeugnisse Bedas und aus den Funden sich ergibt (Sach II, 1 ff.). Zu den geschichtlich bedeutenderen Völkern der kimbrischen Halbinsel gehören endlich die Haruden. Diese waren aus Norwegen (Hördar, Hördaland; Arochi bei Jordanis) in Jütland eingewandert, wo- sie die Westküste südlich vom Limfjord bewohnten (an ihre dortigen Sitze erinnert das heutige Harsyssel, älter Harthesyssel). Eine Streifschar von ihnen, angeblich 24000 Köpfe stark, kämpfte unter Ariowist gegen Cäsar. Ferner werden sie unter den Völkern erwähnt, die nach der Demonstration der römischen Flotte im Jahre 5 n. Chr. dem Kaiser ihre Huldigung darbrachten. Sie sind alsdann, etwa gleichzeitig mit den Angeln und Warnen, nach Süden gewandert und haben sich am Harz niedergelassen (ihr Gebiet, der Hardego, heißt 852 Harudorum pagus), wo sie von den Thüringern unterworfen wurden. c) D i e C h a u k e n und S a c h s e n . Literatur: Z e u ß , 8. 138ff., 380ff. G a u p p , Recht und Verfassung der alten Sachsen. Breslau 1837. S c h a u m a n n , Geschichte des niedersächsischen Volks. Göttingen 1839. H o c k e n b e c k , de Saxonum origine et rebus ab iis gestis. Diss. Monast. 1868. W a i t z, Deutsche Verfassungsgeschichte i n 1 . Kiel 1883. S. 118 ff. H e i n e m a n n , Geschichte von Braunschweig und Hannover I. Gotha 1884. S. lff. W o r m s t a l l , Uber die Chamaver, Brukterer und Angri-

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n. Die germanischen Einzelstämme.

varier. Mit Rücksicht auf den Ursprang der Franken u. Sachsen. Münster 1888. D a h n , Urgeschichte IV (1889), S. 171 ff. J a c o b i , Quellen zur Geschichte der Chauken u. Friesen in der Römerzeit. Progr. Emden 1895. M e i t z e n, Siedelung und Agrarweeen der Westgermanen und Ostgermanen I, 513 ff. 11,1 ff. D e t l e f s e n , Die Beziehungen der Römer zur Nordseeküste zwischen Weser u. Elbe : Jahresbericht der Männer vom Morgenstern, H. 1 (1898), S. 91 ff. Much, Zur Stammeskunde der Altsachsen : Korrespondenzblatt der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie etc. 29 (1898), S. 113ff. B r e m e r , Ethnographie, S. 123ff. B u n t e , Beiträge zur Geschichte der Friesen u. Chauken: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst u. vaterländ. Altertümer zu Emden. 13. 14. (1899—1902). B l o k , Geschichte der Niederlande I. Gotha 1902. S. 35 ff H o o p s, Waldbäume etc. S. 678 ff. K r o m, De populis Germanis, S. 83 ff.

Die Chauken gehörten zu den bedeutendsten der germanischen Völker ; Vellejus und Tacitus heben ihre große Zahl und Kriegstüchtigkeit rühmend hervor. Sie bewohnten anfangs das Gebiet östlich der unteren Ems bis zur Elbe hin ; die Weser schied sie in zwei Teile, die großen und kleinen Chauken. Plinius schildert nach eigener Anschauung die armselige Lebensweise des Volkes, das sich von Fischfang nährte und in Hütten, die auf Erdhügeln errichtet waren, wohnte; doch hat er nur'die Anwohner der Küste, nicht auch die Bevölkerung des inneren Landes kennen gelernt, die ohne Zweifel ein weit behaglicheres Dasein führte. Zum erstenmal treten sie im Jahre 12 v. Chr. in der Geschichte hervor. Drusus drang damals auf seiner Flottenfahrt bis zu ihrem Gebiete vor und knüpfte mit ihnen Beziehungen an. Tiberius, der im Jahre 5 n. Chr. das Land der Chauken berührte, schloß mit ihnen einen neuen Vertrag, in dem sie sich verpflichteten, den Römern Hilfstruppen zu stellen und römische Besatzungen, die an den wichtigsten Küstenpunkten, besonders an der Wesermündung stationiert waren, bei sich aufzunehmen. Die Chauken blieben auch nach der varianischen Niederlage den Römern treu; ein praesidium in Chaucis wird noch im Jahre 14 n. Chr. erwähnt ; ihre Mannschaften dienten 15 und 16 n. Chr. im Heere des Germanicus und nahmen teil an der Schlacht bei Idisiawiso. Als die römische Flotte in der Nordsee Schiffbruch erlitt (16 n. Chr.), hielt sich Germanicus längere Zeit am Strande der Chauken auf, wo er die unversehrt gebliebenen Schiffe wieder sammelte. Die Beziehungen zu Rom wurden aber nach dem friesischen Aufstande 28 n. Chr. gelöst. Im Jahre 41 besiegte der Statthalter von Untergermanien, Gabinius Secundus, chaukische Seeräuberscharen, die die niederrheinische Küste heimsuchten, und erhielt dafür den Ehrentitel Cauchius. Sechs Jahre später plünderten Chauken, geführt von dem Kannenefaten Gannascus, die Küste Galliens ; der Statthalter Corbulo vernichtete ihre SchifEe, mußte aber seinen Plan, ihr Gebiet zur römischen Provinz zu machen, auf Befehl des Kaisers Claudius aufgeben und seine Truppen über den Rhein zurückziehen. In der Folgezeit befindet sich die Macht der Chauken in fortgesetztem Aufsteigen. Im Jahre 58 vertrieben sie die Amsiwarier, die damals wahrscheinlich an der unteren Ems wohnten, und die Chasuarier an der Hase aus ihren Sitzen. Gegen die Römer kämpften sie im bata-

C. Die Westgermanen.

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wischen Kriege (69). Um dieselbe Zeit breiteten sie sich weseraufwärts im Binnenlande aus, verdrängten die Angriwarier und unterwarfen einen Teil der Cherusker (westlich der Ocker). Zur Sicherung dieses Gebietes scheint eine chaukische Kolonie vorgeschoben worden zu sein, die den späteren Gau Falaha oder Falhon besetzte, von welchem die Namen Ost- und Westfalen ihren Ausgang genommen haben. Tacitus gibt an (Germ. c. 35, eine Stelle, deren Richtigkeit mehrfach zu Unrecht bestritten worden ist), daß zu seiner Zeit (98) die Chauken an die Chatten (etwa in der Gegend der Süntel) grenzten. Auch die Seeräuberzüge nach Gallien wurden fortgesetzt; einen solchen wehrte um 170 der Legat von Belgien Didius Julianus mit Erfolg ab. Spätestens im Laufe des 3. Jahrhunderts müssen die Chauken sich mit den Sachsen vereinigt haben. Der Name der Sachsen, wohl eine Kurzform von Sahsnötas, Schwertgenossen, Schwertleute1), erscheint zuerst bei Ptolemäus (nach älterer Quelle) und ist wahrscheinlich nur eine andere Bezeichnung für die Reudigner des Tacitus. Dieses Volk hatte Holstein und einige nicht näher bestimmbare Inseln der Nordsee inne. Aber erst im Jahre 286 treten die Sachsen in der Geschichte hervor. Gemeinsam mit den Franken plünderten sie an der nordfranzösischen Küste; mit der Bekämpfung dieses Unwesens wurde vom Kaiser Carausius beauftragt, der mit seiner Flotte von Boulogne aus die Piratenschiffe abfing, die Beute aber für sich behielt und sich dann in Britannien selbständig machte. Schwerlich sind diese Seeräuber von den nordalbingischen Sachsen ausgegangen; man wird vielmehr an die den Franken bereits damals benachbarten Chauken zu denken haben. Daß diese einen Hauptbestandteil des großen sächsischen Stammes gebildet haben, wird jetzt fast allgemein angenommen ; dafür sprechen zunächst allgemeine Wahrscheinlichkeitsgründe; es bliebe sonst unerklärt, was aus dem so mächtigen Volke geworden sein sollte. Ferner kommt das Zeugnis des Zosimus in Betracht (3,6), der die Chauken (deren Name höchst wahrscheinlich anstatt des überlieferten der Quaden in den Text zu setzen ist)2) als einen Teil der Sachsen bezeichnet. Nach Much sollen die Chauken aus ihrem Stammlande ausgewandert sein, um nachmals als Franken aufzutreten; aber das von ihm beigebrachte Argument, daß der poetische Name der Franken Hugones, ags. Hugas, von den Chauken herzuleiten sei, ist keineswegs zwingend; es sind auch andere Erklärungen möglich3). Vor allem ist es undenkbar, daß der kleine nordalbingische Stamm eine so gewaltige l

) Sie heißen so, nicht weil der sahs ihre unterscheidende Waffe war, sondern weil dieses kurze Schwert für den an der Beratung teilnehmenden Mann Bedeutung hatte (Laistner). •) Vgl. namentlich die Nachweisungen W e i 1 a n d s , Die Angeln, S. 147 f. An anderer Stelle bei Zosimus sind freilich unter den Quaden die Chamawen zu verstehen. ') Vgl. u. a. G r i m m , Geschichte der deutschen Sprache Leipzig 18H8. S. 468. D i p p e , Hugdieterich, die Hugenlieder und der Wodanmythus. Wandsbeck 1902. B u n t e a. 0. 13, 186ff.

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II. Die germanisch en Einzelstimme.

Volkskraft hätte entwickeln können, um das Chaukenland zu besetzen und Kolonien nach Frankreich wie nach England zu entsenden; andernfalls müßte Holstein vollständig entvölkert worden sein, was aber den Tatsachen nicht entspricht. Es ist endlich auch bemerkenswert, daß die sächsische Stammsage (Widukind, res gestae Saxon. 1, 3) die ältesten Sitze des Volkes in Deutschland nach dem linkselbischen Lande, nach Hadeln, verlegt. Der Anschluß der Chauken kann nur auf friedlichem Wege geschehen sein; hätte eine gewaltsame Unterwerfung durch die Ursachsen stattgefunden, so würde diese die Ausbildung einer strafferen, einheitlichen staatlichen Organisation zur Folge gehabt haben, von der weder früher noch später die geringste Spur bemerkbar ist1). Vielmehr haben hier wie bei den Franken, Alamannen usw. die Gemeinsamkeit der Interessen, das Gefühl engerer nationaler Zusammengehörigkeit eine allmähliche Annäherung bewirkt. Das Vorhandensein von Bundeseinrichtungen ist zu keiner Zeit nachweisbar; die einzelnen Teile des Stammes sind durchaus selbständig und gehen nur dann und wann in Fragen der äußeren Politik zusammen. Unter den an der Spitze stehenden Adelsgeschlechtern scheinen allerdings die ursächsischen einen größeren Einfluß auf die Politik gewonnen und so den Anlaß zur weiteren Ausdehnung des Sachsennamens gegeben zu haben. Der ohnehin lebhafte Expansionsdrang der Chauken wurde durch die Vereinigung mit den Sachsen und wahrscheinlich auch durch den Anstoß, den die Wanderung der Heruler gab, erheblich gesteigert. Um 285 räumten die Salier ihre Sitze östlich der Yssel infolge des Vorrückens der Sachsen und ließen sich in der Veluwe (südlich des Zuidersees) nieder. Um- 310 setzten sie sich in der Batawerinsel fest, von wo sie um 355, wiederum von den benachbarten Sachsen bedroht, sich über Toxandrien ausbreiteten. Der Cäsar Julian bestätigte die Salier im Besitze ihres neugewonnenen Gebietes, während er die gleichzeitig eingefallenen Chamawen über den Rhein zurücktrieb, wo sie sich gegen die Sachsen behaupteten (358). Diesen Verhältnissen entspricht es, wenn die Tab. Peut. und der Dichter Claudian die Chauken als Anwohner des unteren Rheines nennen. Daß die Sachsen um 350 in der Nähe der römischen Grenze Galliens standen, geht auch daraus hervor, daß sie zu dem Heere des Usurpators Magnentius Zuzug stellten. Das Vordringen der Sachsen gegen Gallien findet fortan überwiegend auf dem Wasserwege statt, auf dem sie durch ihre nautischen Kenntnisse und Schnelligkeit jeder anderen Macht weit überlegen waren. Von den unzähligen Expeditionen, die auch die Küsten Britanniens berührten, sind uns nur einige besonders bemerkenswerte überliefert. Nicht immer freilich muß, wenn von Sachsen die Rede ist, speziell an dieses Volk gedacht werden; es ') Vgl. K e n t z l e r , Zur Verfassungsgeschichte der alten Sachsen: Zeitschrift d. hist. Vereins für Niedersachsen 1870. S. 164ff. W a i t z III», 123.

C. Die Westgermanen.

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können auch andere Seegermanen (Angeln, Warnen, Euten u. a.) darunter begriffen sein. Im Jahre 370 plünderten sie in ansehnlicher Stärke an den Gestaden Nordfrankreichs; von der gegen sie aufgebotenen römischen Heeresmacht eingeschüchtert, baten sie um Frieden, der ihnen, nachdem sie eine größere Zahl Rekruten (auf diese geht die in der Not. dign. erwähnte ala der Sachsen zurück) gestellt hatten, gewährt wurde. Auf der Heimkehr aber wurden sie von den Römern unter Bruch des Vertrags in einem Hinterhalt vernichtet. 373 drangen Sachsen (zu Lande?) durch das fränkische Gebiet bis Deuso (Duisburg?, nicht Deutz) vor, wo sie der Kaiser Valentinian zurückschlug. Vielleicht sind damals die Falchovarii, wohl ein Gauvolk der westlichen Chauken, das aus dem Gau Falaha stammte, für den römischen Kriegsdienst verpflichtet worden (einzige Erwähnung in der Not. dign.). Aber diese Erfolge der Römer waren ohne nachhaltige Wirkung; es gelang den Sachsen, in der Folgezeit sich dauernd an der nordfranzösischen Küste, wenn auch zunächst in Abhängigkeit von Rom, festzusetzen. In der Not. dign. (um 400) heißt die gallische Nordküste von der Bretagne bis zur Scheide litus Saxonicum, d. h. das von Sachsen besetzte, nicht das sächsischen Einfällen ausgesetzte Gestade. Aus diesen Gegenden stammten wohl die sächsischen Hilfstruppen, die 451 unter Aetius gegen Attila kämpften. Seit Mitte des 5. Jahrhunderts treten sie auch an der Westküste, besonders an der Loiremündung, auf, von wo sie weiter ins Innere einzudringen versuchen ; als ihr Führer in jener Zeit wird Adowakar genannt. Ihre Angriffe wurden von den mit den Römern föderierten Franken unter Childerich (469) und sodann von den Westgoten (um 475) energisch zurückgewiesen. Aber noch gegen Ende des 6. Jahrhunderts sind sächsische unabhängige Niederlassungen in der Gegend von Nantes und bei Bayeux (Saxones Bajocassini) bezeugt. Nach Meitzen wurde die Grenze zwischen den salischen Franken in Brabant und den Sachsen Westflanderns durch den Lauf der Lys bis Gent und weiter durch den Kanal von Gent gebildet; die obere Lys schied das Sächsische vom Wallonischen. Noch im 14. Jahrhundert hieß der alte Hafen von Hülst Saxhaven, Saxiportus1). Über die sächsische Kolonisation Britanniens siehe S. 159ff.). Die fortwährenden See-Expeditionen hatten eine allmähliche Entvölkerung des norddeutschen Küstengebietes zur Folge, in dem sich nun von Westen her bis über die Weser hinaus die Friesen ansiedelten. Nur unvollkommen sind wir über die Ausbreitung der Sachsen im Inneren Deutschlands unterrichtet. Daß überwiegend eine gewalt') Uber die Bächsischen Kolonien in Frankreich und Belgien vgl. auch L o n g n o n , Géographie de la Gaule S. 172 ff. L. V a n d e r k i n d e r e , Les origines de la population flamande: Balletins de l'acad. roy. des sciences de Belgique. Année 55. ser. III. tom 10 (1885), S. 431 ff. 56. m . 11 (1886), S. 211 ff. K u r t h , La frontière linguistique en Belgique et dans le nord de la France : Mémoires couronnés publ. p. l'acad. roy. de Belgique 4 8 , 1 . Bruxelles 1896. S. 533. D e L o i s n e , La colonisation saxonne dans le Boulonnais : Bulletins et mémoires de la soc. nat. des antiquaires do France. Sér. VII. tom 5. (1906), S. 139 ff.

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II. Die germanischen Einzelstamme.

same Unterwerfung der hier wohnenden Völkerschaften angenommen werden muß, zeigt der später in so erheblicher Stärke auftretende Stand der Hörigen (Liten). Wahrscheinlich bald nach dem Abzüge der Langobarden haben die Sachsen deren Gebiet im Lüneburgischen besetzt und die dort zurückgebliebenen Teile des Volkes, die B a r d i , einverleibt. Man wird hierbei an einen Vorstoß der nordalbingischen Sachsen zu denken haben, von denen auch die Bevölkerung des pagus Sturmi um Verden an der Aller (ein holsteinisches Gauvolk waren die Sturmarii) ausgegangen ist. Zu derselben Zeit dürfte auch die Angliederung der A n g r i w a r i e r erfolgt sein. Diese, ein ingwäonischer oder herminonischer Stamm, saßen ursprünglich zu beiden Seiten der Weser, im Norden begrenzt von den Chauken, im Süden von den Cheruskern, von denen sie durch einen Grenzwall (etwa in der Gegend des Steinhuder Meeres) geschieden waren. Seit 9 n. Chr. standen sie auf der Seite der Cherusker; nach den beiden Schlachten, die Germanicus im Jahre 16 bei Idisiawiso und bei jenem Grenz walle den Germanen lieferte, unterwarfen sie sich freiwillig dem Kaiser und lieferten später die ins Innere verschlagenen Römer von der durch den Sturm zerstreuten Flotte den Ihrigen zurück. Nach der Rückkehr triumphierte Germanicus auch über die Angriwarier. Um 98 von den Chauken verdrängt, griffen sie die Brukterer an und nahmen deren Gebiet, das Münsterland, zum großen Teile in Besitz, wo sie etwa zu Anfang des 4. Jahrhunderts den Sachsen botmäßig wurden. Die späteren Engern, Angarii oder Angrarii, ein Teil des Sachsenvolkes im Wesergebiet, haben mit den Angriwariern nur den Namen gemein, sind ethnographisch nicht mit diesen identisch, wenn auch einzelne Splitter derselben in ihren alten Sitzen zurückgeblieben sein mögen. Im Jahre 531 vereinigten sich die Sachsen mit den Franken zur Vernichtung des thüringischen Reiches und nahmen von diesem das Gebiet zwischen Ohre, Elbe, Saale, Unstrut, Helme und Ocker (Norththuringa, Suevon, Hassago, Hardago, Derlingo) für sich in Besitz (S. 186). Die Nordgrenze in der kimbrischen Halbinsel erfuhr keine Verschiebung. Durch diese und die früheren Erwerbungen war der größte Teil des ehemaligen Cheruskerlandes sächsisch geworden. Zu den Völkern, die zur Bildung des Sachsenstammes beigetragen haben, gehören also vor allem die Ursachsen (Reudigner), Chauken, Angriwarier, Cherusker, ferner einige kleinere Stämme, wie die Ambronen, Fosen (an der Mittelelbe), Haruden und die Barden. Der Anteil der Cherusker ist freilich sehr überschätzt worden. Dieses einst so bedeutende, zur herminionischen Gruppe gehörende Volk muß im Laufe der Zeit auch numerisch stark zurückgegangen sein, da zur Besiedelung ihres Gebietes später teilweise zahlreiche fremde Kolonisten (Friesen, Hessen) herangezogen wurden. (Schwerlich ist aus einer Stelle des Venantius Fortunatas carm. 3, 4, 9 zu folgern, daß die Sachsen um Nantes cheruskischer Abkunft gewesen, wie Dahn a. O. S. 176 will.) Kurz nach der thüringischen Katastrophe beginnt der Niedergang der Macht der Sachsen. Das ehemals thüringische (keinesfalls

C. Die Westgermanen.

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aber das ganze) Sachsenland ist bereits noch unter Theuderich (t 534) von den Franken abhängig geworden, denen die Bewohner einen Tribut zu zahlen hatten. d) D i e A m s i w a r i e r u n d F r i e s e n . Literatur: Z e u ß , S. 90. 136 ff. B o s e n s t e i n in den Forschungen zur deutschen Geschichte 24 (1884), S. 400ff. D a h n , Urgeschichte IV, 161 ff. S i e b s , Zur Geschichte der englisch-friesischen Sprache I (1889), S. 7ff. J a c o b i , Quellen z. Gesch. d. Chauken u.Friesen. M e i t z e n , Siedelung u. Agrarwesen II, 1 ff. B u n t e , Beiträge z. Gesch. d. Friesen. B r e m e r , Ethnographie, S. l l l f f . , 171ff. B l o k , Gesch. d. Niederlande I, 35ff. M ö l l e n h o f f , D. A IV, 428ff. B r u n n e r , Rechtsgeschichte I*. 46.

Die A m s i w a r i e r oder Ampsiwarier, wie ihr Name besagt, Anwohner der (unteren) Ems, hielten zur Zeit des Cheruskeraufstandes zu den Römern; in ihrem Gebiete befand sich ein von Drusus (?) erbautes römisches Kastell (Amisia); ihren Führer Bo j o c a l u s ließ Arminius, der ihn in der Umgebung des Varus antraf, in Fesseln legen. Für ihren Abfall im Jahre 16 n. Chr., an dem Bojocalus nicht beteiligt gewesen zu sein scheint, wurden sie von Germanicus hart gezüchtigt (falls die Vermutung richtig ist, daß in dem verworrenen Bericht des Tacitus ann. 2, 9 statt der Angriwarier die Amsiwarier einzusetzen sind). Von den westwärts drängenden Chauken im Jahre 58 vertrieben, wollten sie sich unter des greisen Bojocalus Führung in dem öde liegenden rechtsrheinischen Grenzterrain zwischen Lippe und Yssel als römische Untertanen niederlassen, wurden aber von dem Statthalter Avitus daran gehindert. Sie versuchten hierauf ihr Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen, fanden aber bei den Brukterern, Tenkterern u. a. Völkern, deren Hilfe sie anriefen, keine Unterstützung. Lange Zeit zogen sie nun heimatlos umher, ohne irgendwo Aufnahme zu finden. Angeblich wurden sie auf ihrer Wanderung völlig aufgerieben ; doch können ihre Verluste nicht so schlimm gewesen sein, da sie im 4. Jahrhundert als ein Teilstamm der Franken, etwa an der oberen Wupper, auftreten. Die F r i e s e n hatten in historischer Zeit zunächst das Küstengebiet zwischen Ems und Vlie, dem Ausfluß des Flevo(Zuider)Sees inne; ihre Urheimat lag aber vielleicht in Skandinavien, da das friesische Recht nach Ficker ostgermanische Elemente enthält. Drusus brachte sie im Jahre 12 v. Chr. ohne Kampf zur Anerkennung der römischen Oberhoheit; sie verpflichteten sich zur Lieferung eines jährlichen Tributs von Rinderhäuten und stellten seekundige Führer sowie Hilfstruppen, die die römische Flotte zu Lande begleiteten und ihr auf der Rückkehr bei einem Unfälle wertvolle Dienste leisteten. Gleich den Chauken hielten sie auch fernerhin an dem geschlossenen Vertrage fest; die in ihrem Lande stehenden römischen Truppen, insbesondere die Besatzung des Kastells Flevum sorgten schon dafür, daß Unabhängigkeitsgelüste nicht aufkommen konnten. Es war lediglich die Schuld der Römer, die die Abgaben unter unerträglichen Schikanen erhoben, daß das friedliche Volk im Jahre 28 n. Chr. sich

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II. Die germanischen Einzelstämme.

zum Aufstande erhob. Die Friesen belagerten das Kastell Flevum; ein zu Hilfe eilendes römisches Heer brachte diesem zwar Entsatz, erlitt aber in wiederholten Kämpfen empfindliche Verluste und mußte unverrichteter Sache wieder heimkehren. Jene blieben nun längere Zeit unbehelligt; als sie sich aber im Jahre 47 an dem Einfalle der Chauken (S. 152) beteiligten, stellte der Statthalter Corbulo das frühere Verhältnis wieder her, legte Besatzungen in ihr Gebiet und führte eine Neuordnung ihres Gemeinwesens durch. Wahrscheinlich ist damals ein Teil deB Volkes westlich des Vlie angesiedelt worden; es sind die später so genannten Frisii minores oder Frisiavones. Obwohl hierauf die römischen Truppen über den Rhein zurückgezogen wurden, blieb doch das Land der Friesen der römischen Oberhoheit unterworfen. Direkt reichsuntertänig waren auch fernerhin die Frisiawonen, während die Ostfriesen (Frisii maiores) wenigstens die Autorität des Kaisers für eine Zeitlang anerkannten. Als letztere im Jahre 58 ihre überschüssige Mannschaft nach dem erwähnten rechtsrheinischen Ödlande abschieben wollten und der Statthalter Avitus ihnen die Genehmigung zur dortigen Niederlassung verweigerte, riefen sie die Entscheidung des Kaisers Nero an, der ihre Gesandten, die Fürsten V e r r i t u s und Malorix, zwar ebenfalls abschlägig beschied, aber dieselben mit dem römischen Bürgerrechte beschenkte. Doch mußten die Friesen schließlich aus dem okkupierten Terrain mit Gewalt vertrieben werden. Im Jahre 69 beteiligten sie sich am batawischen Aufstande; aber das alte Verhältnis zum römischen Reiche ward bald darauf wiederhergestellt, wie die zahlreichen, namentlich aus Inschriften bekannten Frisii und (cives) Frisiavones im römischen Militärdienst lehren*). Seit Ende des 3. Jahrhunderts erscheinen sie selbständig. Im Jahre 293 fielen sie in Gallien ein; Constantius Chlorus schlug sie zurück und siedelte einen Teil von ihnen auf römischem Boden an. (Die cohors Frisiavonum der Not. dign. stammte von diesen nach Gallien verpflanzten Friesen.) Seitdem sind sie aus dem Gesichtskreis der Römer verschwunden; ihre Erwähnungen auf den Redaktionen der römischen Reichskarte aus dem 4. Jahrhundert dürften ältere Reminiszenzen sein. Erst im 7. Jahrhundert treten sie wieder in das Licht der Geschichte; doch ist die Ausbreitung ihres Gebietes nach Süden über das Gebiet der Kannenefatfen sowie gegen Osten über die Küste des Chaukenlandes (S. 155) wohl schon im 4. bzw. 5. Jahrhundert erfolgt. e) D i e g e r m a n i s c h e B e s i e d e l u n g E n g l a n d s . Literatur: L a p p e n b e r g , Geschichte von England I. Hamburg 1834. Z e u ß S. 491 ff. v. S y b e 1, Entstehung des deutschen Königtums. S. 324 ff. W i n k e l m a n n , Geschichte der Angelsachsen. Berlin 1883. M ö l l e r , Das altenglische Volksepos I. Kiel 1883. S. 86f. T e n B r i n k , Beowulf. Straßburg 1888. S. 194ff. M ö l l e n h o f f , Beovulf. Berlin 1889. 8. 53ff. S i e b s , Zur Geschichte der eng') Die cives Tuihanti im cuneus Frisiorum (vgl. S c h e r er in den Sitzungsberichten der Preuß. Akad. 1884 S. 571 ff.) können nicht ein friesisches Gauvolk sein, wie B r u n n e r , Rechtsgesch. I s , 46, meint, da das Gebiet der Friesen sich schwerlich über den nachmaligen Gau Twente erstreckt hat.

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lisch-friesischen Sprache I. Halle 1889. S. 23 Ö. Z i m m e r , Nennius vindicatus. Uber Entstehung, Geschichte und Quellen der Historia Brittonum. Berlin 1893. T h u r n e y s e n , Wann sind die Germanen nach England gekommen?: Englische Studien Bd. 22, 2. Leipzig 1895. D e r s e l b e , in der Zeitschrift für deutsche Philologie 28 (1896), S. 80ff. G r e e n , The making of England. 2. ed. London 1897. H o w o r t h , The beginnings of Wesses: English historical review 13 (1898), 8. 667ff. S t e v e n s o n , The beginnings of Wessex: ebenda 14 (1899), S. 32ff. B r e m e r , Ethnographie. S. 115 ff. S h o r e , Origin of the AngloSaxon race. London 1906. H o d g k i n , The history of England from the earliest times to the Norman conquest. London 1906 (Political history of England vol. I). H o o p s , Waldbfiume etc. S. 566ff. C h a d w i c k , The origin of the English nation. Cambrigde 1907. R. J o r d a n , Die Heimat der Angelsachsen: Verhandlungen der 49. Versammlung deutscher Philologen u. Schulmänner 1907. S. 138ff. C r o m , de populis Germanis. S. 129ff.

Die Gründungsgeschichte der germanischen Reiche in England liegt ganz im Dunkeln. Unsere Quellen sind erstens einzelne zerstreute Notizen römischer und byzantinischer Chronisten; zweitens britische (keltische) Berichte: Gildas de excidio et conquestu Britanniae (geschr. vor 547) und die Historia Brittonum des sog. Nennius (älteste Redaktion vom 7. Jahrhundert). Sind schon die dürftigen Angaben des Gildas von der Sage beeinflußt und vielfach ungenau, so gilt dies in noch viel höherem Maße von der Erzählung der Hist. Britt. Unbrauchbar sind die geschichtlichen Überlieferungen angelsächsischen Ursprungs. Die Königsgenealogien 1 ) (bei Nennius, Beda, der angelsächsischen Chronik u. a.) haben, wenn sie auch einzelne wirklich historische Namen enthalten mögen, für die ältere Zeit keinen größeren Quellenwert als beispielsweise die Stammtafel der Amaler bei Cassiodor. Beda (Kirchengeschichte und Chronik) fußt fast ganz auf bekannten Quellen, namentlich auf Gildas und der Hist. Britt.; seine chronologischen Fixierungen sind ganz willkürliche. Die scheinbar genauen Angaben, die die angelsächsische Chronik 3 ) zu einzelnen Jahren bringt, beruhen nicht auf gleichzeitigen Aufzeichnungen, sondern sind aus mündlicher Tradition, Dichtung und Sage geschöpft und erst im 9. Jahrhundert niedergeschrieben. Es lassen sich daher nur wenige einigermaßen beglaubigte Tatsachen hier aufführen. Schon gegen Ende des 3. Jahrhunderts hatte Britannien unter den Plünderungen germanischer Piraten zu leiden und bereits damals haben einzelne Scharen von Sachsen oder anderen Nordseegermanen an der Südostküste (als römische Militärkolonisten, wahrscheinlich angeworben von Carausius) festen Fuß gefaßt. Die Not. dign., deren britannische Kapitel nach Mommsen nicht später als ca. 300 abgefaßt sind, führt einen comes litoris Saxonici per Britanniam (in Kent) auf. Größere Dimensionen aber nahmen die Heimsuchungen ') Vgl. G r i m m , Deutsche Mythologie. Göttingen 1835. Anhang. K e m b l e , Uber die Stammtafel der Westsachsen. Münster 1836. H e n n i n g , Sceaf u. die westsächsische Stammtafel: Zeitschrift f. deutsches Altertum 41 (1897), S. 156 ff. ') edd. Earle & Plummer, vol. I. II. Oxford 1892—99. — Über den geschichtlichen Unwert der angelsächs. Chronik bes. Howorth; dagegen ohne zureichende Gründe Stevenson a. O.

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II. Die germanischen Einzelstimme.

der Insel seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts an. Allerdings glückte es dem kaiserlichen General Theodosius im Jahre 368 eine sächsische Flottille zu vernichten; aber es trat nur eine vorübergehende Friedenszeit ein, da das sinkende römische Reich Mühe hatte, sich der zahllosen inneren und äußeren Feinde auf dem Festlande zu erwehren. Im Jahre 407 erhoben die römischen in Britannien stehenden Legionen den Soldaten Konstantin (III) zum Kaiser, der alsbald nach Gallien übersetzte und dadurch die Insel ganz von Truppen entblößte. Dieser Umstand gab den Pikten und Skoten sowie den germanischen Seevölkern Anlaß zu erneuten großen Einfällen (um 409 nach der südgallischen Chronik). Die Britannier, vom Kaiser Honorius zum Aushalten ermahnt, rafften sich zur Selbsthilfe auf und schlugen dio Feinde zurück, verjagten dann aber auch die römischen Behörden und richteten eine eigene Regierung ein. Als trotzdem die Raubzüge bald darauf wieder begannen und die Not im Lande aufs höchste stieg, nahm der an der Spitze der zahlreichen Häuptlinge als Oberkönig stehende Fürst Wortigem eine Schar Germanen (wahrscheinlich Euten, die auch sonst unter dem Namen Sachsen erscheinen) unter Führung von H e n g i s t und H o r s (die Namen sind wohl historisch) in Sold und räumte ihr die Insel Tanet an der Ostspitze von Kent zur Niederlassung ein (428)1). Mit dieser Hilfe gelang es den Briten, die Gegner entscheidend zu schlagen (hierauf wird auch die sagenhaft entstellte Erzählung der vita s. Germani von einem im Jahre 429 errungenen Siege über die Pikten und Sachsen zu beziehen sein). Nach und nach verstärkten sich aber die Germanen durch Zuzug aus der Heimat, und die Briten, die darin mit Recht eine Gefahr erblickten, waren nicht geneigt, diese ungeheißen kommenden Gäste unterzubringen und zu verpflegen. So kam es zum Kriege: die Germanen, durch die Zwietracht der britischen Fürsten begünstigt, waren siegreich und drangen unter furchtbaren Verwüstungen weit ins Innere vor (441/42 nach der südgallischen Chronik). Vergebens riefen die Briten im Jahre 446 die Hilfe des Aetius an; das römische Reich hatte die Insel längst aufgegeben. Auf eigene Kraft angewiesen, scharten sich die Briten um den tapferen Ambrosius, den Abkömmling einer römischen Beamtenfamilie, dem es gelang, die Seinen zum Siege zu führen. Aber neue germanische Scharen, jetzt besonders Sachsen und Angeln, kamen ins Land, und der Kampf wurde mit wechselndem Erfolge weitergeführt. Im großen und ganzen gewannen jedoch die Germanen die Oberhand, bis ihr weiteres Vordringen durch den entscheidenden Sieg, den die Briten am mons Badonicus oder Badonis (wahrscheinlich nicht Bath, sondern der Berg Badon südlich der mittleren Themse in Berkshire) angeblich unter Führung des sagenberühmten Helden Arthur erfochten (um 500), für ein halbes Jahrhundert zum Stillstand gebracht ward; zu der Zeit, als Gildas seine ') Dieses Datum ergibt sich aus der britischen Überlieferung und ist auch an sich glaubwürdig. Bedas Berechnung (449) ist ganz ohne Wert.

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C. Die Westgermanen.

Klageschrift verfaßte, hielten die äußeren Feinde Ruhe, während im Inneren der Bürgerkrieg tobte. Der Ausgangspunkt der germanischen Züge nach England ist wenigstens in der ersten Zeit an der nordfranzösischen Küste und am Niederrhein zu suchen, wo wir Niederlassungen von Sachsen, Angeln, Euten, Warnen u. a. nachgewiesen haben: dies ergeben sprachliche, kulturgeschichtliche und pflanzengeographische Argumente, auf die besonders Hoops aufmerksam gemacht hat. Es sind daher auch zunächst die jenen Gebieten gegenüberliegenden Distrikte der Insel besetzt worden. Die drei Hauptstämme, die an der Kolonisation Englands Anteil hatten, waren noch zu Bedas Zeit (vgl. das wichtige Zeugnis hist. eccl. 1,15) *) ihrer ethnographischen Stellung nach erkennbar. Die Euten haben Kent, die Insel Wight und den ihr gegenüberliegenden Teil von Hampshire eingenommen; von den Sachsen sind zuerst Sussex und Wessex, von den Angeln Norfolk und Suffolk besiedelt worden. Später, aber noch gegen Ende des 5. Jahrhunderts, erfolgte die Eroberung von Essex und des Gebietes zwischen Wash und Förth durch Sachsen und Angeln, die direkt aus ihrer Heimat nach England übergesiedelt sind 2 ): es stimmt hierzu, daß die Könige von Mercien ihren Stammbaum auf den alten König Offa (S. 149) zurückführten. Waren die germanischen Niederlassungen, dem Entwickelungsgang der Okkupation entsprechend, anfänglich in einzelne kleine Herrschaftsgebiete zersplittert, so ist in der auf die Niederlage am mons Badonis folgenden Ruhezeit eine Konsolidation und Zusammenfassung zu größeren Staaten eingetreten; in der Hist. Britt. (S. 200 Mommsen) heißt es, daß die Sachsen damals »reges a Germania deducebant.t Die Angeln, d. h. wahrscheinlich die Bewohner von Norfolk und Suffolk, erscheinen nach der schon angeführten Erzählung Prokops (b. G. 4, 20) um 540 unter der Herrschaft eines Königs. Wie sich aber die Verhältnisse am Ende der hier behandelten Epoche gestaltet haben, darüber fehlt es ganz an zuverlässigen Nachrichten; erst in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts beginnt sich das Dunkel zu lichten, und sind uns seitdem beglaubigte Herrschernamen überliefert (Aethelbert für Kent seit 563, Aelli für Deira seit ca. 585 u. a.). ') Advenerant de tribus Germanise populis fortioribus, id est Saxonibus, Anglis, Iutis. De Iutarum origine sunt Cantuarii et Victuarìi, h. e. ea gens, quae Vectam tenet insulam, et ea, quae usque hodie in provincia Occidentalium Saxonum Iutarum natio nominator, posita contra ipsam insulam Vectam. De Saxonibus . . . venere Orientales Saxones, Meridiani Saxones, Occidui Saxones. Porro de Anglis . . . . Orientales Angli, Mediterranei Angli, Merci, tota Nordanhymbrorum progenies . . . . ceterique Anglorum populi sunt orti. Spuren von Niederlassungen der Friesen und Warnen in England vgl. S i e b s S. 11 ff. S a c h , Schleswig II, 75. Die Nordhumbrer werden in der Hist. Britt. Ambrones genannt, haben aber mit diesem Volke nichts zu tun, vgl. Thurneysen in der Zeitschr. f. deutsche Philol. 28 (1896), S. 83. ') Belege hierfür aus der Archäologie bei S a l i n , Die altgermanische Tierornamentik. Stockholm 1901. S. 359 (S. scheint das Iitus Sax. in Hannover zu suchen !). S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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II. Die germanischen Einzelstämme.

2. Die Herminonen. a) D i e C h e r u s k e r . Literatur: Z e u ß , S. 105 ff. 383 ff. H e y c k , Die Staatsverfassung der Cherusker: Neue Heidelberger Jahrbacher V (1895), S. 131 ff. M ö l l e n h o f f , D. A. IV, 439ff. D e v r i e n t , Die Heimat der Cherusker: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum V (1900), 8. 617ff. H e l m k e , Die Wohnsitze der Cherusker und Hermunduren. Emden 1903. G a r d t h a u s e n , Augustus. 1,3, 8.1194ff. 11,3, 789 ff.

Die Cherusker wohnen bei ihrem Eintritt in die Geschichte von den Gebirgen westlich der Weser bis gegen die Elbe hin, im Südosten durch den Harz von den Hermunduren, im Norden durch einen Grenzwall von den Angriwariern geschieden, im Westen an die Brukterer und Sugambrer grenzend; die silva Bacensis trennte sie von den Sweben (darüber weiter unten S. 171)1). Zuerst, aber nur beiläufig, werden sie bei Cäsar erwähnt; zu geschichtlicher Bedeutung gelangten sie erst durch die Angriffskriege der Römer unter Augustus. Im Jahre 11 v. Chr. drang Drusus ohne Kampf in ihrem Gebiete bis zur Weser vor; auf dem Rückwege trug er über die ihn verfolgenden Germanen bei Arbalo (im Teutoburger Walde (?) einen glänzenden Sieg davon. 9 v. Chr. griff Drusus die Chatten und Mainsweben an, wandte sich dann nordwärts gegen die Cherusker, überschritt die Weser und rückte bis zur Elbe vor, ohne auch diesmal auf ernsten Widerstand zu stoßen, da die Cherusker sich in ihre Wälder, teilweise auch über die Elbe zurückzogen. Tiberius scheint dann in den Jahren 8—7 v. Chr. die Cherusker zur Anerkennung der römischen Hoheit gebracht zu haben; aber infolge seines Rücktrittes erlitt das Ansehen der Reichsgewalt eine wesentliche Einbuße. So vermochte es L. Domitius Ahenobarbus, als er auf seinem Zuge durch Deutschland das Cheruskerland berührte, nicht, die Zurückführung einiger vornehmer Cherusker, die vermutlich wegen ihrer römerfreundlichen Gesinnung die Heimat hatten verlassen müssen, durchzusetzen. Erst im Jahre 4 n. Chr. stellte Tiberius die früheren Verhältnisse wieder her; die Cherusker verpflichteten sich, den Römern Hilfstruppen zu stellen. In den folgenden Jahren gewann die römische Herrschaft immer festeren Boden; daß der Plan des Kaisers, Germanien zwischen Rhein und Elbe zur römischen Provinz zu machen, nicht zur Ausführung gelangte, und die unterjochten Deutschen sich noch in letzter Stunde der fremden Botmäßigkeit zu entziehen vermochten, war das unbestreitbare große Verdienst des Cheruskers Arminius. ') D e v r i e n t sucht, völlig verfehlt, im Anschluß an eine ältere Idee Warneburgs, Thüringen als Heimat der Cherusker nachzuweisen. Dagegen auch H e l m k e , der jedoch ohne Grund behauptet, daß die Ch. zeitweilig das Land südlich vom Harz innegehabt hatten.

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C. Die Westgermanen.

Arminius wurde als Sohn des Fürsten (princeps) S e g i m e r im Jahre 16 v. Chr.1) geboren. Der Name seiner Mutter, die noch 16 n. Chr. lebte, wird nicht genannt. Sein Bruder war F l a v u s , seines Vaters Bruder Inguiomer. Das Geschlecht des Arminius wird stirps regia genannt, nicht weil es früher im Besitze der Königswürde gewesen, sondern weil aus ihm die Mehrzahl der Gaufürsten hervorgegangen ist2). In den Jahren 4—6 n. Chr. diente er mit seinem Bruder als Führer der cheruskischen Hilfstruppen im römischen Heere und erhielt das römische Bürgerrecht und den Ritterrang. Mit dem Bürgerrecht empfing er die üblichen drei römischen Namen (Pränomen und Gentile vom Kaiser oder einem Mitgliede der Dynastie, also Gaius oder Tiberius Julius, denen als cognomen der latinisierte einheimische Name Ermino, abgekürzt für Erminmer, beigefügt wurde)3). In jener Stellung erlernte er die lateinische Sprache und erwarb er sich die genaue Kenntnis der römischen Militärtechnik, die ihn in Verbindung mit natürlicher strategischer Begabung zu seiner späteren Rolle in so hohem Maße befähigte. 6 n. Chr. übernahm Varus die Statthalterschaft von Germanien, und etwa im folgenden Jahre kehrte Arminius in die Heimat zurück, während sein Bruder im römischen Kriegsdienste verblieb. Mag auch Varus das gewöhnlich über ihn gefällte vernichtende Urteil nicht in vollem Maße verdienen, so steht doch fest, daß er nicht der geeignete Mann für jenen schwierigen Posten war4). Statt die Germanen mit Takt und Milde zu behandeln und allmählich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen, suchte er die römische Verwaltungspraxis mit brutaler Rücksichtslosigkeit ohne Übergangsstadium durchzuführen. Die wachsende Erbitterung führte bei den einzelnen unterworfenen Stämmen zur Bildung von Nationalparteien, die die Wiedergewinnimg der Unabhängigkeit anstrebten; natürlich stand der Adel und vor allem die adlige Jugend auf Seite der Patrioten-. Außer bei den Cheruskern regte sich der Freiheitsdrang namentlich bei den ') Nach Tac. ann. 2, 88 war er 12 Jahre Inhaber seiner Machtstellung, die füglich nur von der Varusschlacht ab gerechnet werden kann. s ) x x UcromeruB

Segimer

Segestes

Inguiomer

Ramis — Segithank Segimund Thusnelda

Segimer

— Arminius I Thumelicus

Flavus

Catnmerus

— x I Italicus I (?) Chariomerus ») Erminmer ist zu vermuten, weil bei den Germanen der Sohn in der Regel einen Teil des Namens seines Vaters beibehielt. Die oft ausgesprochene Vermutung, daß Arminius Siegfried geheißen habe und mit dem Helden des Nibelungenliedes identisch sei, ist unbegründet. Die historischen Grundlagen der uns überlieferten Heldensage weisen nicht in eine so frühe Zeit zurück. Vgl. besonders U h l , Das Porträt des Arminius. Königsberg 1898. S. 16ff. Literatur bei G a r d t h a u s e n 11,3, 793. ') Die Quellenzeugnisse Uber Varus sind zusammengestellt in der Prosopographia imperii Romani HI (Berlin 1898), S. 118 ff. 11*

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II. Die germanischen Einzelstämme.

Brukterern, Marsen, Chatten, Angriwariern, während die rheinischen Stämme, die Friesen, Chauken, Amsiwarier und Batawer den Römern treu blieben und Marbod sich neutral verhielt. Die Seele der ganzen Bewegung war Arminius, der den Kriegsplan ausarbeitete und die in Anbetracht des deutschen Nationalcharakters nicht leichte Aufgabe, ein einheitUches Zusammenwirken der Beteiligten herbeizuführen, glänzend zu lösen verstand. Varus verweilte in dem entscheidenden Jahre 9 n. Chr. im Sommerlager an der Weser; das römische Heer war 3 Legionen, 3 Alen und 6 Kohorten, zusammen etwa 20000 Mann stark, zu denen sich noch zahlreiche Nichtkombattanten gesellten. Im römischen Lager verkehrten auch, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, die Häupter der Verschworenen und wurden von Varus häufig zur Tafel gezogen. Dieses Verhalten machte den Statthalter so sicher, daß er die Warnungen des römerfreundlichen S e g e s t e s in den Wind schlug. Der Übereinkunft gemäß empörte sich ein entfernter wohnender Stamm (die Brukterer?), um die Römer nach einem für sie ungünstigen Terrain zu locken. Nachdem Varus dorthin aufgebrochen war, loderte allenthalben der Aufstand in hellen Flammen auf. Die vaterländische Begeisterung riß auch die Lässigen und Widerstrebenden mit fort; der Krieg gegen Rom wurde zur Volkssache erklärt, Armin von der Gesamtheit zum Herzog gewählt. Schon am ersten Marschtage kam es zu Zusammenstößen; doch vermochton die Römer die Ordnung zu bewahren und ein festes Lager aufzuschlagen. Größere Erfolge erzielten die Germanen durch ihre fortgesetzten AngrifEe am folgenden Tage, und am dritten Gefechtstage fanden die Reste des römischen Heeres in einem Engpasse den Untergang; Varus stürzte sich, um der Gefangenschaft zu entgehen, in sein Schwert (Herbst 9 n. Chr.) Es ist bis jetzt unmöglich gewesen, die Lokalität der Varusschlacht genauer zu bestimmen, da 'aus den Quellen (allein Tacitus ann. 1, 60 hat einige genauere Angaben) sich keine sicheren Anhaltspunkte ergeben, die Beziehung des vielbesprochenen Barenauer Münzfundes auf jene Katastrophe aber als äußerst zweifelhaft gelten muß. Fest steht nur, daß das Schlachtfeld nördlich von der Lippe, östlich von der Ems, westlich der Weser in einer Gebirgsgegend zu suchen ist1). Die nächste Folge der römischen Niederlage war, daß die römischen Kastelle auf deutschem Boden den Germanen ohne Mühe in die Hände fielen; die Besatzung von Aliso leistete allein tapferen Widerstand, war aber schließlich infolge Proviantmangels gezwungen, die schützenden Wälle zu verlassen, und schlug sich unter großen Schwierigkeiten nach Castra Vetera durch, wo inzwischen die beiden in Mainz stationierten Legionen unter Asprenas eingetroffen waren. Aber die Germanen machten keine Anstalten, auch über den Rhein vorzudringen; denn die Bemühungen Armins, den mächtigen Marko') Zusammenstellung der ungeheueren Literatur bei G a r d t h a u s e n , II, 3, 808 ff.

C. Die Westgermanen.

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mannenkönig zum Anschluß an die Konföderation zu bewegen, blieben erfolglos; und als vollends Tiberius im Jahre 10 mit neuen Truppen am Rhein erschien und die Grenzverteidigung neu organisierte, mußte jeder Versuch der Germanen, den Krieg weiter auf das römische Gebiet zu tragen, als aussichtslos erscheinen. Dazu kam, daß jetzt wieder innere Fehden die notdürftig zustandegekommene Einigung in Frage stellten. Der alte Gegensatz zwischen Armin und Segest, welch letzterer durch Volksbeschluß gezwungen worden war, gegen die Römer das Schwert zu ziehen, artete in heftige Kämpfe aus, als Armin Segests Tochter Thusnelda1), die einem andern verlobt war, aus dem väterlichen Hause entführte und heiratete. Im Jahre 15 gelang es Segest, sich seiner Tochter wieder zu bemächtigen; von Armin in seiner Burg eingeschlossen und hart bedrängt, rief er die Intervention des Germanicus an, der nach Beendigung des gegen die Chatten unternommenen Feldzuges mit einem Heerhaufen zur Stelle eilte, die Belagerer vertrieb und Segest mit seinem Anhange, darunter auch Thusnelda, auf römisches Gebiet brachte. Armins Gattin hat die Heimat nicht wiedergesehen; bald nach ihrer Gefangennahme gebar sie einen Sohn Thumelicus8), der mit seiner Mutter den Triumphzug des Germanicus am 26. Mai 17 zierte und später ein unwürdiges Ende fand. Durch den Verlust seiner Gattin aufs äußerste gereizt, rief Armin die Cherusker und ihre Verbündeten zu den Waffen; auch Inguiomer, der sich bis dahin ferngehalten, trat mit seinem zahlreichen Anhang zu den Patrioten über, ohne sich jedoch dem Oberbefehl seines Neffen zu unterstellen. Dem gewaltigen, 8 Legionen starken Heere, das Germanicus jetzt gegen die Konföderierten heranführte8), waren diese in keiner Weise gewachsen. Armin ließ daher die Römer unbehelligt, als sie vom Bruktererlande aus das varianische Schlachtfeld besuchten und die umherliegenden Gebeine bestatteten. Erst als das Heer beim weiteren Vorrücken auf unwegsames Terrain kam, fielen die Deutschen aus einem Hinterhalt über die Reiterei und die Kohorten her und hätten diese vernichtet, wenn nicht Germanicus zur rechten Zeit auf dem Kampfplatz erschienen wäre. So mußten die Römer unverrichteter Sache den Rückmarsch antreten. Arminius verfolgte die Heeresabteilung unter Cäcina, die den Weg durch das gefährliche Moorgebiet westlich der Ems nach Vetera einschlug, anfänglich mit der größten Aussicht auf Erfolg. Zwei Marschtage hindurch erlitten die Römer durch die fortgesetzten Angriffe der aus l)

Uber die Deutung des Namens Gardthausen II, 3, 795.

•) Der Name ist nicht deutsch, sondern ein gewöhnlicher römischer Sklavenname (Gardthausen II, 3, 797). Die von Tacitus ann. 1, 68 versprochene Angabe Aber das spätere Schicksal des Thumelicus ist leider nicht mehr erhalten. ®) K n o k e , Die Kriegszüge des Germanicus in Deutschland mit 2 Nachträgen. Berlin 1887—97. D a h m , Die Feld zöge des Germanicus in Deutschland. Trier 1902 (Westdeutsche Zeitschrift, Ergänzungsheft 11). S p e n g e ! , Zur Geschichte des Kaisers Tiberius: Sitzungsberichte der philos.-philol. u. hist. Kl. d. K. B. Akad. d. WisB. München 1903. S. 22 ff. Die Lokalitäten sind auch hier streitig.

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II. Die germanischen Einzelstämme.

den Wäldern hervorbrechenden Deutschen schwere Verluste; als diese aber auf Inguiomers Rat gegen Armins Willen einen Sturm auf das römische Lager unternahmen, wurden sie mit blutigen Köpfen heimgeschickt. Unbehelligt gelangten die Truppen Cäcinas nach Vetera, wo man sie schon verloren gegeben hatte und aus Furcht vor einem weiteren Vordringen der siegreichen Germanen die Rheinbrücke hatte abbrechen wollen (15). Der römische Feldzug des Jahres 16 führte ebenfalls zu keiner Entscheidung. Von der Emsmündung, bis wohin er zur Erleichterung des Transportes den Seeweg eingeschlagen hatte, marschierte 6ermanicus nach der Weser, überschritt diese, während die Reiterei den Feind beschäftigte, in der Gegend der Porta Westfalica (?) und lieferte den Konföderierten, zu denen auch die Amsiwarier übergetreten waren, auf dem Felde Idisiawiso zwischen der Weser und einer bewaldeten Hügelkette eine Schlacht, in der die Römer das Feld behaupteten; Arminius, selbst verwundet, und Inguiomer retteten sich durch eilige Flucht. Eine wirkliche Niederlage hatten die Germanen jedoch nicht erlitten; denn diese stellten sich den weitermarschierenden Legionen bald darauf ein zweites Mal am Grenzwalle der Angriwarier »in einer von Fluß und Wäldern umschlossenen Gegend« entgegen. Wiederum wurden sie nach hartem Kampfe zum Weichen gebracht; Germanicus errichtete auf der Kampfstätte ein Siegeszeichen, trat aber dann den Heimweg an1). Germanicus kehrte nicht wieder nach Deutschland zurück; das Ergebnis seiner Feldzüge, die so viel Opfer gekostet, war für die Römer ein völlig negatives, für die Germanen aber insofern von Bedeutung, als bei ihnen das Gefühl der Einheit und Zusammengehörigkeit festere Wurzeln schlug und immer mehr an Boden gewann. Marbod hatte dem großartigen Befreiungskampfe untätig zugesehen; sein zweideutiges Verhalten ward ihm jetzt zum Verhängnis. Die Semnonen und Langobarden fielen von ihm ab, traten dem cheruskischen Bunde bei und gaben so den Anstoß zum Kriege gegen den Verräter an der nationalen Sache. Dagegen ging Inguiomer zu Marbod über, weil er nicht unter seinem berühmten Neffen eine untergeordnete Stellung einnehmen wollte. Die Schlacht, die wohl in einer Gegend zwischen Saale und Elbe geschlagen wurde, blieb unentschieden; aber Marbod räumte das Feld und zog sich nach Böhmen zurück, ein Schritt, der sein Ansehen wesentlich erschütterte und den Zusammenbruch seiner Macht vorbereitete (17). Auf welches Ziel Armins weitere Pläne gerichtet waren, vermögen wir nicht zu erkennen. Wenn der Cheruskerfürst auch nicht ') Der Bericht des Tacitus (ann. 2, 8 ff.) leidet an Unklarheit und ist wahrheitswidrig ausgeschmückt. Die Erzählung von dem Gespräch, das Armin und Flavus über die Weser herüber geführt haben sollen, ist zweifellos von A — Z erfunden. Die beiden Schlachten werden zu großen Siegen des Germanicus, des Lieblingshelden des Tacitus, aufgebauscht.

C. Die Westgermanen.

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die Absicht gehabt haben sollte, die angesehene, einflußreiche Stellung, die er durch seine Großtaten errungen, zur Monarchie auszugestalten, so war doch der Argwohn des freiheitsliebenden Volkes, besonders natürlich des Adels, leicht erregt, und wahrscheinlich haben die Römer nicht versäumt, hier einzugreifen und das erwachende Mißtrauen weiter zu schüren. Tiberius hatte recht, wenn er dem Germanicus vorhielt, daß durch kluges Intriguenspiel die germanischen Naturkinder leichter zu bezwingen seien, als durch das Aufgebot gewaltiger Heeresmassen. Von seinen Verwandten befehdet, fiel Armin, 37 Jahre alt, durch Meuchelmord (21); aber das Andenken des großen Mannes lebte im Herzen des Volkes fort und ward noch lange im Heldenliede gefeiert. Sein Werk, die Befreiung Germaniens von der Fremdherrschaft, sichert ihm ewigen Dank: ohne ihn gäbe es heute keine deutsche Nation, keine deutsche Sprache, wäre Deutschland ein romanisches Land. — Die entfesselten Leidenschaften tobten sich auch nach Armins Tode in heftigen Kämpfen aus, die den Untergang des gesamten Adels der Cherusker und der dominierenden Stellung des Stammes zur Folge hatten. Die führende Rolle als Vertreter der nationalen Idee übernahmen nunmehr die Chatten. Als im Jahre 47 die Cherusker den letzten noch lebenden Sprößling ihres Fürstenhauses, den ganz in römischen Anschauungen aufgewachsenen Sohn des Flavus, I t a l i c u s , von Rom als ihren König beriefen, schritten namentlich die Chatten dagegen ein; Itaheus mußte flüchten und vermochte nur mit Hilfe der Langobarden die Herrschaft wiederzuerlangen. Auch des Itaheus Sohn (?) und Nachfolger (?) Chariomerus geriet mit den Chatten wegen seiner römerfreundlichen Gesinnung in Konflikt und erbat die Hilfe Kaiser Domitians, der ihm aber nur Geld, keine Truppen schickte (um 90). Infolge dieser Kämpfe sanken die Cherusker immer tiefer; zur Zeit des Tacitus (98) erscheinen sie als ein ganz heruntergekommenes Volk und auf das Gebiet an der Nordseite des Harzes beschränkt; ihre Gaue in der Wesergegend kamen unter die Herrschaft der Chatten und Chauken. Tacitus ist der letzte, der von ihnen sichere Kunde gibt; alle späteren Erwähnungen der Cherusker sind wahrscheinlich nichts als gelehrte Reminiszenzen1). Der Rest des Volkes wurde von den Thüringern unterworfen, die in unbekannter Zeit das Land nördlich vom Harz ihrem Reiche angliederten (vgl. S. 185), und kam alsdann unter die Herrschaft der Sachsen (S. 156). ') Dies gilt auch von der Stelle Nazarias, paneg. Const. 18 (geschrieben 821), wo von einem an sich höchst unwahrscheinlichen Siege Konstantins über die Cherusker u. a. die Rede ist. Die Namen der hier aufgeführten Völker sind zum Teil wohl nur von einer Redaktion der römischen Weltkarte abgelesen. Ob die Crhepstini der Tab. Peut. die Cherusker sind, ist mehr als zweifelhaft; mit M u c h aber an die Friesen zu denken, ist kaum statthaft. Die Cherusker bei Claudian, IV. cons. Hon. 450 (z. J. 396) wird jeder Einsichtige nur für dichterische Ausschmückung halten.

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II. Die germanischen Einzelstimme.

b) D i e S w e b e n . a)

Vorgeschichte.

Literatur: Ze aß, S. 55ff. 130ff. R i e s e , Die Stieben: Rheinisches Museum N. F. 44 (1889), 6. 331 ff. Westdeutsche Zeitschrift IX (1890), 8. 339 ff. X (1891), S. 293f. K o s s i n n a , Die Sweben: Westd. Ztechr. IX, 190ff. X, 104ff. M u c h , Die Südmark der Germanen: Beitrage z. Gesch. d. deutsch. Sprache 17 (1893),. S. 17 ff. D e r s e l b e , Die Herkunft der Quaden: ebenda 20 (1895), S. 20ff. Z i p p e 1, Deutsche Völkerbewegungen S. 24 ff. B r e m e r , Ethnographie S. 61 ff. Mfllle n h o f f , D. A. IV, 450ff. D e v r i e n t , Die Sweben u. ihre Teilstämme: Histor. Vierteljahrsschrift VI (1903), S. 1 ff.

Die Sweben erscheinen in historischer Zeit als eine durch gemeinsamen Kultus (des Gottes Ziu) verbundene Gruppe verschiedener Völker, haben aber einst eine politische Einheit, e i n e n Stamm gebildet. Die Heimat dieses swebischen Urvolkes fällt im wesentlichen mit dem Lande der S e m n o n e n zusammen, die im Gebiete der Havel und Spree und weiter nördlich bis nahe an die Elbemündung wohnten. Tacitus (Germ. c. 39) bezeugt, daß die Semnonen als das älteste und edelste Volk der Sweben galten, daß in dem swebischen Nationalhöiligtum, dessen Hüter sie waren, die Wiege des Stammes gesucht wurde. Über die Zugehörigkeit zu den Sweben differieren die Angaben der griechisch-römischen Schriftsteller, so daß es schwer ist, zur Klarheit durchzudringen. Am weitesten geht Tacitus in der Germania, der außer den Herminonen (von Chatten und Cheruskern abgesehen) auch alle ingwäonischen Völker sowie die Nord- und Ostgermanen dazu rechnet, d. h. alle vor der Erhebung des Arminius freien Germanen, weil diese unter der Vorherrschaft der MarkomannenSweben standen. Als wirkliche Sweben können außer den Semnonen nur die Hermunduren, Markomannen, Quaden, Naristen oder Waristen, Wangionen, \ Triboker, Nemeter, Juthungen angesprochen werden. Während bei den meisten Swebenstämmen die Sondernamen ausschließliche Geltung erlangten, sind die Semnonen und Quaden später allein die Träger des alten Bundesnamens geworden. Die allmähliche Ausbreitung der Sweben und die damit verbundene Entstehung der Einzelstämrae läßt sich noch mit ziemlicher Genauigkeit verfolgen. Von dem Stammlande aus haben sie zunächst die Provinz Sachsen um Halle, Thüringen und das Königreich Sachsen besiedelt; das Volk, das aus den Bewohnern dieser Gegend erwuchs, nahm wahrscheinlich den Namen Markomannen, d. h. Grenzmannen (gegen die Kelten) an. Das Königreich Sachsen wurde aber schon um 120 v. Chr. von den Sweben, die sich den Kimbern und Teutonen anschlössen, fast vollständig geräumt (S. 145) und ist seitdem bis zur Einwanderung der Slawen leer geblieben. Von Thüringen aus erfolgte um 100 v. Chr. ein weiterer Vorstoß nach Südwesten und die Besetzung des Maingebietes und der bisher von den Helvetiern bewohnten Distrikte Süddeutschlands. Markomannen hießen fortan die an die Kelten Vindeliziens grenzenden Abteilungen, während die thüringischen Sweben sich Hermunduren nannten; außer den Marko-

C. Die Westgermanen.

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mannen (etwa zwischen Bamberg und Regensburg) bildeten sich hier die Einzelvölker der Quaden1), Wangionen, Nemeter, Triboker2). Ein Stillstand trat aber damit in den Bewegungen der Sweben noch nicht ein. Herbeigerufen von den keltischen Sequanern, die mit den Häduern in Streit lagen, überschritt Ariowist, ein Mann von großer militärischer und politischer Begabung, um 71 v. Chr. mit einem Heerhaufen, der zunächst aus Tribokern8) bestand, durch Zuzug anderer Germanen aber sich beständig vermehrte, den Rhein, schlug die Häduer in wiederholten Kämpfen, namentlich in der entscheidenden Schlacht bei Admagetobriga (um 61 v. Chr.) und machte sie tributpflichtig. Vergeblich wandte sich eine Gesandtschaft der Häduer nach Rom, den Senat um Hilfe zu bitten; vielmehr ward Ariowist im Jahre 59 in das Verzeichnis der den Römern befreundeten Könige eingetragen. Die Germanen begannen sich nun häuslich auf der linken Rheinseite einzurichten; selbst von den Sequanern, die ihre Gäste vergeblich wieder los zu werden suchten, nahmen sie ein Drittel des Gebietes und forderten später von ihnen die Abtretung eines zweiten Drittels. Zuletzt sollen etwa 120000 Deutsche in Gallien gestanden haben, eine freilich sicher stark übertriebene Zahl; außer den Tribokern waren es namentlich Nemeter, Wangionen und Haruden, ferner Abteilungen von Markomannen, Quaden, Sedusiern. Cäsar, der im Jahre 58 die Statthalterschaft im narbonensischen Gallien antrat, beschloß in richtiger Erkenntnis der Sachlage einzuschreiten und der drohenden Überflutung Galliens Einhalt zu tun. Nachdem er einen Auswanderungsversuch der Helvetier mit Waffengewalt zurückgewiesen hatte, knüpfte er, von einer allgemeinen Versammlung der Keltenstämme um Beistand angerufen, mit Ariowist Unterhandlungen an, forderte die Rückgabe der von den Häduern gestellten Geiseln und die Zusicherung, keine weiteren Scharen über den Rhein zu führen. Als der König im Vollgefühle seiner Macht dieses Ansinnen zurückwies, brach Cäsar mit seinen Truppen auf, besetzte, den Germanen zuvorkommend, die Hauptstadt der Sequaner Vesontio (Besançon) und' gelangte von da nach 7tägigem Marsche in die Nähe von Ariowists Stellung, der eine Meile vom Rhein entfernt lagerte. Eine persönliche Unterredung, die hier zwischen den beiden Heerführern stattfand, führte, wie zu erwarten, zu keinem Ergebnis ; Ariowist zeigte sich bei dieser Gelegenheit mit den Verhältnissen in Rom sehr vertraut und erklärte sich bereit, Cäsar bei der Erlangung der Herrschaft in Italien behilflich zu sein, wenn dieser ihm in Gallien freie Hand lasse. Ariowist nahm hierauf eine neue Stellung ein, von der aus er ') Die Quaden werden unter diesem Namen erst später erwähnt, sind aber wahrscheinlich mit den Sweben Cäsars identisch. *) Die Triboker wohnten in der Gegend von Stuttgart, wo noch im 2. Jahrhundert n. Chr. ein Rest des Volkes nachweisbar ist, vgl. F a b r i c i u s , Besitznahme Badens durch die Römer, S. 19. •) Ariowist war König der Triboker, vgl. Hermes 42 (1907), S. 609 f.

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II. Die gennamachen Einzelstämme.

den Römern die Zufuhren abschnitt. Um die unterbrochenen Verbindungen wiederherzustellen, schlug Cäsar oberhalb des germanischen Lagers ein zweites kleineres Lager auf, in das er zwei Legionen und Auxiliartruppen legte. Nachdem ein Angriff, den Ariowist gegen dieses unternahm, fehlgeschlagen war, rückte Cäsar mit den gesamten Legionen gegen das germanische Lager angreifend vor. Auf beiden Seiten siegten zuerst die rechten Flügel. Durch das Eingreifen der Reserven ward die Schlacht zugunsten der Römer entschieden (14. September 58). Das germanische Heer löste sich auf und floh dem Rheine zu; angeblich vermochten nur wenige, darunter der König selbst, sich über den Strom zu retten. Cäsar schonte die Besiegten, um sie fernerhin zum Schutze der Grenze zu verwenden; die bereits zur festen Ansiedelung gelangten Wangionen (um Worms), Nemeter (um Speyer), Triboker (im Unterelsaß) wurden in ihren Sitzen bestätigt; hier sind diese Völker rasch der Keltisierung und Romanisierung verfallen. Die anderen Abteilungen kehrten in die Heimat zurück. Die Niederlage Ariowists war von weittragender Bedeutung; hätten die Römer nicht gesiegt, so würde ganz Gallien unter germanische Herrschaft gekommen, Frankreich jetzt von Deutschen bewohnt sein1). Als die Nachricht von der Katastrophe eintraf, kehrten die »100 Gaue der Sweben«, die unter der Führung der Brüder N a s u a und Cimberius am Rheine erschienen waren und Anstalten machten, nach dem Lande der Treverer überzusetzen, wieder um. Die Sweben, d. h. der Stamm der Quaden griffen nun mächtig im Inneren Deutschlands um sich. Die Ubier (zwischen Lahn und Main) machten sie sich tributpflichtig, ebenso wahrscheinlich die Chatten (um Fritzlar); die im heutigen Oberhessen wohnenden Usipier und Tenkterer verdrängten sie nach mehrjährigen Kämpfen aus ihrem Gebiete. Nach Cäsars Informationen2) lag auf der Rückseite der Sweben ein großes ') Aus der umfänglichen Literatur über den Kampf zwischen Cäsar und Ariowist (vgl. D a h l m a n n - W a i t z , Nr. 2495) ist hervorzuheben: v. G ö l e r , Cäsars gallischer Krieg. 2. Aufl. Th. I. Tübingen 1880. S. 36 ff. M o m m s e n , Rom. Gesch. III 254 ff. S t o f f e l , Guerre de César et d' Ario viste. Paris 1890. C o l o m b , Campagne de César contre Arioviste: Revue archéologique. Ser. III. tom. 33 (1898), S. 21 ff. H o l m e B , Caesar's conquest of Gaule. London 1899. S. 36 ff. S t o l l e , Wo schlug Cäsar den Ariovist? Straßburg 1899 (mit Literaturverzeichnis). Zuletzt C. W i n k l e r , Der Caesar-Ariovistsche Kampfplatz. Mülhausen 1907. (Dazu: F a b r i c i u s , Zur Ariovistschlacht: Zeitschr. für die Gesch. d. Oberrheins 63 [1909], S. 7 ff.) Die Lage des Schlachtfeldes ist streitig. G ö l e r : bei Cernay unweit Mülhausen. S t o f f e l : zwischen Zellenberg u. Ostheim. C o l o m b und S t o l l e : bei Arcey 10 km östlich von Mömpelgard. W i n k l e r : zwischen Epfig, Stotzheim, Eichhofen und Ittersweiler, nördlich von Schlettstadt. *) Cäsars Angaben (b. G. 4, 3. 6,10) über die Sweben geben vielfach zu Bedenken Anlaß. Die >100 Gaue« beruhen sicher auf einer die Stärke ihrer Feinde begreiflicherweise übertreibenden Mitteilung der Treverer ; Schlußfolgerungen auf die Stärke des Volkes zu ziehen, wäre ganz verkehrt. Wie alle Germanen, so haben auch die Sweben ihr Gebiet mit einem wüsten Grenzgürtel umgeben; aber daß dieser 600 oder wie auch gelesen wird, 100 römische Meilen, d. i. 900 bzw. 150 km (1) breit gewesen sei, wird wohl niemand glauben. Das Ödland auf das damals un-

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600 (?) römische Meilen breites Ödland; die silva Bacenis schied sie von den Cheruskern. In den Jahren 55 und 53 ging Cäsar über den Rhein, hauptsächlich um die Sweben zu züchtigen; den Anlaß gab das eine Mal ein Hilferuf der hart bedrängten Ubier, das andere Mal die Unterstützung, die jene den aufständischen Treverern gewährt hatten; doch wichen die Germanen in ihre unzugänglichen Wälder zurück. Nach dem Abzüge der Legionen nahmen aber die Bedrückungen der Ubier durch die Sweben ihren Fortgang, und so entschloß sich der Kaiser, jene auf das linke Rheinufer zu verpflanzen und ihr bisheriges Gebiet den Chatten, die sich inzwischen von den Sweben unabhängig gemacht, zu überlassen." Im Jahre 29 v. Chr. setzten swebische Scharen sogar über den Rhein, wurden aber zurückgeschlagen. Die Angriffskriege der Römer unter Drusus führten dann die Auflösung der Swebenherrschaft in den Maingegenden herbei. Im Jahre 9 v. Chr. besiegte Drusus die Markomannen und Quaden; um die drohende Abhängigkeit von Rom abzuwenden, stellte sich Marbod, ein markomannischer Edler, der vorher im römischen Heere gedient und wegen seiner kraftvollen Persönlichkeit die Aufmerksamkeit des Kaisers erregt hatte, unter Verdrängung des bisherigen römerfreundlichen Königs 1 ) an die Spitze seines Volkes und führte dieses nach dem von der Natur geschützten Lande Böhmen, dessen Bewohner, die keltischen Bojer, schon um 60 v. Chr. von den Dakern unter Beihilfe der Markomannen vertrieben worden waren2). Zur gleichen Zeit mit dem Zuge der Markomannen erfolgte die Abwanderung der damals unter der Herrschaft des Tudrus stehenden Quaden, die in Mähren eine neue Heimat fanden (ca. 8 v. Chr.)3). Einzelne swebische Abteilungen blieben jedoch in Süddeutschland zurück: so namentlich die Naristen (in der Gegend von Regensburg; wohl Nachkommen der Markomannen; vielleicht identisch mit den nur selten genannten Armalausen) und die erst neuerdings aus Inschriften bekannt gewordenen Suebi Nicretes mit dem Vorort Lopodunum, die unter Vespasian reichsuntertänig wurden: auf letztere sind in der Regel die im römischen Heerdienste uns begegneten Sweben zu beziehen4). Eine Erinnerung an die früheren Gebietsverhältnisse haben einige Geographen noch lange bewahrt: so Strabo, der die Sweben bewohnte Böhmen zu beziehen, dürfte kaum statthaft sein. Unter der silva Bacenis versteht man den Harz oder die Rhön mit ihren Ausläufern bis zum Meißner; etwas Genaueres laßt sich nicht ermitteln, da nur von einem W a l d , nicht von einem G e b i r g e die Rede ist. Auch sonst läßt sich nachweisen, daß Cäsar den Flunkereien seiner Berichterstatter allzugroßes Vertrauen geschenkt hat. ') Vgl. N i e s e in der Zeitschrift für deutsches Altertum 42 (1898), S. 160. *) Monum. Ancyr. 6,3. Tudrus hier für den ausgefallenen Namen des Markomannenkönigs einzusetzen, ist mehr als bedenklich. ') Die Ergänzung einer Inschrift, - nach der schon um 14 v. Chr. Quaden in Mähren ansässig gewesen wären ( P r e m e r s t e i n , Jahreshefte des österr. archäolog. Inst. VII [1904], S. 220 ff.) ist durchaus unsicher. *) Vgl. Z a n g e m e i s t e r , Zur Geschichte der Neckarländer in römischer Zeit: Neue Heidelberger Jahrbücher III (1893), S. 1 ff. Corpus inscr. Lat. XIII, 2, S. 231.

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IL Die germanischen Einzelstamme.

von der Elbe bis zum Rheine wohnen läßt, so die Tabula Peutingeriana, auf der ein Land Suevia auf der rechten Rheinseite zwischen Mainz und Straßburg erscheint. '/1) Die M a r k o m a n n e n und Quaden. Literatur: Z e u ß, S. 114 S. D a h n , Die Könige der Germanen I. Manchen 1861. S. 104ff. IX, 2. Leipzig 1905. Q a i t z m a n n , Die älteste Geschichte der Baiern bis z. J. 911. Braunschweig 1873. M a c h , Die Herkunft der (^aaden: Beitrage zur Gesch. d. deutsch. Sprache 20 (1895), 8. 20ff. S t r a k o s c h - G r a ß m a n n , Gesch. d. Deutschen in Österreich-Ungarn I, 12ff. B a c h m a n n , Geschichte Böhmens I. Gotha 1899. S. 32 ff. D e v r i e n t, Hermunduren and Markomannen : JahrbQcher für d. klass. Altertum VII (1901), S. 61 ff.

Marbod hatte während seines Aufenthaltes in Rom die Grundlagen kennen gelernt, auf denen sich die Macht des römischen Staatswesens aufbaute; nachdem er an die Spitze der Markomannen getreten war, gelang es ihm, die geringen Machtbefugnisse, die einem germanischen Könige von Haus aus zustanden, zu erweitern und eine Monarchie zu gründen, die durch ihre straffere Leitung in vieler Beziehung der römischen ähnelte. Außer über sein Volk, gebot er über die Quaden, Hermunduren, Semnonen, Langobarden, Lugier u. a. (aber nicht über die Goten!); seine wohl disziplinierte Streitmacht wurde auf 70000 Mann Fußtruppen und 4000 Reiter geschätzt. Den Mittelpunkt des Reiches bildete die befestigte Hauptstadt und die dabei gelegene Königsburg, wo der Herrscher, umgeben von einer Leibwache, Hof hielt. Das Ansiedelungsgebiet der Markomannen ist nach Ausweis der archäologischen Funde ohne Zweifel überwiegend im nördlichen Böhmen, in den Stromgebieten der Eger, Beraun, Elbe und unteren Moldau, d. h. in den fruchtbarsten Distrikten des Landes, zu suchen1). Die Lage der Hauptstadt ist unbekannt2). Erst später haben die Markomannen auch über das südliche Böhmen und weiter bis zur Donau hin sich ausgebreitet. Die Entstehung einer so bedeutenden Militärmacht schaffte dem Kaiser begreiflicherweise nicht geringe Sorgen. Obwohl Marbod sorgfältig jedem Konflikt mit den Römern aus dem Wege gegangen war, ward im Jahre 6 n. Chr., nachdem Tiberius Deutschland bis zur Elbe unterworfen hatte, ein großartiger Angriffskrieg mit einem Aufgebote von zwölf Legionen gegen ihn ins Werk gesetzt. Während Sentius Saturninus vom Main her anmarschierte, ging Tiberius von Carnuntum aus gegen Böhmen vor. Aber kurz vor der Vereinigung der beiden Heere brach der gefährliche pannonische Aufstand aus, der die Römer zur schleunigen Umkehr zwang. Marbod tat jedoch ') Dafür spricht auch die Angabe des Vellejus, daß das Markomannenreich 200 Millien (295 km) von der Grenze Italiens entfernt gewesen sei. ') Wohl im Osten, wegen Katwaldas Unternehmung (vgl. unten). Sicher nicht der Hradischt bei Stradonitz (so P i c, Die Urnengräber Böhmens. Leipzig 1907, 8p. XVI ff.), der vielmehr als eine Burg der Bojer zu gelten hat, vgl. D i c h e l e t t e , Le hradischt de Stradonic in: Les fouilles du Mont Beuvray. Paris 1904. S. 127 ff.

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nichts, um die für ihn jetzt so günstige Lage auszunutzen; er ließ sich mit Tiberius in Unterhandlungen ein und schloß mit ihm Frieden und Bündnis. An der bisher befolgten Politik des Abwartens hielt der Marko mannenkönig auch weiterhin fest. Armin schickte ihm nach der Teutoburger Schlacht den Kopf des Varus, eine stumme aber deutliche Mahnung, der Konföderation beizutreten, wenn er nicht das gleiche Schicksal wie der römische Feldherr gewärtigen wolle. Marbod verhielt sich ablehnend; er wollte Armins Ansehen nicht stärken, sandte jedoch auch den Römern, als sie wieder in Deutschland einfielen, keine Hilfe. Die Erbitterung der Patrioten über dieses feige Verhalten, zu der sich die gemeingermanische Abneigung gegen die straffe Königsgewalt gesellte, kam näch dem Abzüge des Germanicus zum vollen Ausbruch. Die Semnonen und Langobarden sagten sich von dem Markomannenkönig los, während zu diesem der Cheruskerfürst Inguiomer mit seinem Anhange übertrat. Die Schlacht, in der Armin und Marbod ihre Kräfte miteinander maßen, blieb ohne Entscheidung; indem letzterer aber seinem Gegner das Feld überließ, erweckte er den Anschein, daß er sich für unterlegen hielt. Massenhafte Desertion lichtete die Reihen seiner Truppen, und er sah nach der Rückkehr nach Böhmen seine Macht auf sein eigenes Volk beschränkt. Vergeblich erbat er römische Hilfe; es ward ihm der Bescheid, daß er auf eine solche nicht rechnen dürfe, da er im römisch-cheruskischen Kriege seine Bundespflicht nicht erfüllt habe (17 n. Chr.). Zwei Jahre später ging seine Herrschaft völlig in Trümmer. Katwald a, ein markomannischer Edler, der, aus der Heimat vertrieben, bei den Goten Zuflucht gefunden hatte, fiel, wahrscheinlich von den Römern angestiftet, in das Markomannenland ein, gewann den dortigen Adel für sich und erstürmte die Königsburg. Marbod trat mit einer noch ansehnlichen Streitmacht auf römisches Gebiet über, wurde aber von den Seinigen getrennt und in Ravenna interniert, wo er noch 22 Jahre als römischer Pensionär lebte. Das gleiche Schicksal traf bald darauf den Katwalda: auch dieser, unter der Mitwirkung des Hermundurenkönigs Vibilius vertrieben, mußte bei den Römern Schutz suchen, und es ward ihm Forum Julii (Frejus) als Aufenthaltsort angewiesen 1 ). Dem Anhang der beiden Fürsten wies die römische Regierung eine Heimstätte zwischen den Flüssen Marus (March) und Cusus (Eipel ?) an und gab ihm ein Oberhaupt in der Person des Quaden V a n n i u s . Vielleicht noch unter Vannius ist eine Verschmelzung dieses Staates mit dem der Quaden eingetreten, so daß deren Name nun auch in Oberungarn herrschte. Die Markomannen und Quaden erscheinen fortan in einem Klientelverhältnis zu Rom; sie ') Die Annahme D e v r i e n t s , daß Vibilius infolge dieser Ereignisse König der Markomannen und Quaden geworden sei, ist durchaus unberechtigt. Tacitus sagt ausdrücklich, daß diese beiden Völker bis auf seine Zeit von Königen aus dem Geschlechte Marbods und des Tudrus beherrscht wurden.

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waren verpflichtet, Hilfstruppen zu stellen*) ; die Wahl ihrer Herrscher unterlag der römischen Bßstätigung. In diesem Verhältnis trat auch keine Änderung ein, als Vannius wegen seiner Räubereien durch die Nachbarvölker vertrieben wurde (50); seine Neffen und Nachfolger Wangio und Sido, die das Reich unter sich teilten, hielten an der Treue fest; im Jahre 69 fochten Sido und sein Mitherrscher I t a l i c u s , wohl Wangios Nachfolger, im Heere Vespasians. Trübungen in diesen Beziehungen kamen allerdings dann und wann vor. Während des Dakerkrieges 86—89 gerieten die Markomannen und Quaden mit den Lugiern in Konflikt, verweigerten dem Kaiser die schuldige Heeresfolge und schritten im Jahre 89 im Verein mit den Sarmaten zum Kriege (offiziell bezeichnet bellum Suebicum et Sarmaticum), der erst im Jahre 92 nach heftigen, für die Römer verlustreichen Kämpfen beendet wurde2). Neue Zusammenstöße zwischen den Römern und »Sweben« fanden in den Donauländern im Herbst 97 unter der Regierung Nervas statt, worauf das alte Klientelverhältnis wiederhergestellt wurde. Dagegen machten sich die Quaden die benachbarten Osen und Cotiner tributpflichtig. Im Zusammenhang mit jenen Kämpfen stand wohl ein Wechsel der Dynastien : an Stelle der Könige aus Marbods und Tudrus' Geschlechte traten Fürsten fremden Stammes. Noch unter Antoninus Pius wird die Einsetzung eines quadischen Königs durch den Kaiser erwähnt. Aber bald nach dem Regierungsantritte seines Nachfolgers Marcus Aurelius brach jene furchtbare Erhebung der Donauvölker aus, bei der die Markomannen und Quaden eine Hauptrolle spielten und die das römische Reich auf das schwerste gefährdete8). Die damals geführten Kämpfe zerfallen in vier Abschnitte, in die der Jahre 166—167, 169—173 (offiziell bezeichnet als bellum Germanicum); 174—175 (bellum Sarmaticum); 177—180 (expeditio Germanica secunda). Als Ursache wird das Vordringen barbarischer Völker von Norden her angegeben; die Markomannen und Quaden wurden wohl durch die von den Burgundern verdrängten Lugier in Bewegung gesetzt. Doch war es vielfach auch bloße Kriegs- und ') Nach dem Markomannenkrieg stellten die Qnaden 13000 Mann, die Markomannen etwas weniger. >) M o m m s e n , Der sueb.-sarmat. Krieg Domitians: Hermes III (1869), S.ll&fi. A s b a c h , Die Kriege der Flavischen Kaiser an der Ostgrenze des Reiches: Bonner Jahrbücher 81 (1886), S. 37 ff. G s e 11, Essai sur le règne de l'emp. Domitien. Paris 1894. S. 224 ff. Fi l o w , Die Legionen der Prov. Moesia: Klio, Beiträge zur alten Geschichte, Beiheft VI (1906), S. 36 ff. ') Die Geschichte des sog. Markomannenkrieges liegt infolge der trümmerhaften Uberlieferung (Cass. Dio Buch 71 [72]; Hist. Aug. vita Marci) sehr im Dunkeln. Die Marcussäule in Rom stellt wahrscheinlich die Ereignisse der Jahre 171—175 dar. Vgl. C o n r a d , Mark Aurels Markomannenkrieg. Neu-Ruppin 1889. v. D o m a s z e w s k i , Die Chronologie des bell. Germ, et Sarm. 166—175: Neue Heidelberger Jahrbücher V (1895), 8.107 fi. D e r s e l b e , Der Völkerbund des Markomannenkrieges : Scrta Hartcliana, "Wien 1896. S. 8ff. D e r s e l b e , Die Marcussäule. Textbd. München 1896. S. 105ff. M o m m s e n , ebenda, S. 21 ff. Cass. Dio ed. B o i s s e v a i n . vol. HL Berol. 1901. p. 250ff.

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Beutelust, die einzelne Scharen in den Kampf trieb. Ein planmäßiges Zusammenwirken der beteiligten Völkerschaften fand nicht statt; nur die Markomannen, Quaden und Jazygen erscheinen in engerer Verbindung; den Römern mußten freilich die gleichzeitigen Invasionen als Folgen eines ad hoc geschlossenen Bündnisses erscheinen. Im Jahre 166 überschritten die Markomannen und Quaden die Donau, schlugen den Gardepräfekten Furius Victorinus und drangen bis nach Italien vor, wo sie die Städte Aquileja und Oderzo zerstörten. Mark Aurel und sein Bruder Verus eilten hierauf nach Aquileja, warfen die Feinde aus Italien hinaus und säuberten im Jahre 167 die Provinzen nördlich der Alpen. Die Markomannen, unter König Ballomarius, die Quaden und die anderen damals beteiligten Völker schlössen mit den Römern Verträge und kehrten zum Frieden zurück; die Quaden erbaten sich die Bestätigung ihres neugewählten Königs Furtius. Im Jahre 169 aber setzte ein neuer Ansturm der Barbaren, begünstigt durch die im römischen Reiche ausgebrochene Pest, ein; der Gardepräfekt Macrinius Vindex erlitt durch die Markomannen eine schwere Niederlage. Wahrscheinlich durch die Markomannen bedrängt, suchte ein Teil der Naristen auf römischem Gebiete Schutz. Kaiser Marcus begab sich wieder in die bedrohten Provinzen, traf umfassende Maßnahmen zur Reorganisation der Armee und überschritt im Jahre 171 angreifend die Donau. Die Quaden wurden zuerst bezwungen und erhielten Frieden unter der Bedingung, die Gefangenen und das geraubte Vieh zurückzugeben und jeder Verbindung mit den Markomannen und Jazygen zu entsagen. Hierauf erfolgte im Jahre 172 mit Hilfe germanischer Bundesgenossen die Unterwerfung der Markomannen und (Winter 172/73) die der Jazygen. Der Kaiser hielt damit den Krieg für beendet, was sich freilich alsbald als ein Irrtum erwies. Die Quaden erfüllten die mit ihnen vereinbarten Friedensbedingungen nur mangelhaft und setzten an die Stelle ihres Königs Furtius den römerfeindlichen A r i o g a e sus. Diese Herausforderung zwang den Kaiser nochmals, gegen die Quaden zu Felde zu ziehen, die, nach hartem Kampfe besiegt, den Ariogaesus auslieferten, die Gefangenen herausgaben und sich verpflichten mußten, römische Besatzungen bei sich aufzunehmen und mit ihren Wohnplätzen 7 km von der Donau entfernt zubleiben; dieselben Bedingungen wurden den Markomannen auferlegt. Nachdem auch die Jazygen unterworfen worden waren (174. 175), hielt der Kaiser in Rom am 23. Dezember 176 einen Triumph über Germanen und Sarmaten ab. Die Besiegten ertrugen aber nur widerwillig das ihnen auferlegte Joch; die römischen Besatzungen erlaubten sich fortgesetzt Übergriffe, trieben den Markomannen und Quaden das Vieh weg und verwüsteten ihre Äcker. Es kam daher zum Aufstande; Marcus eilte wieder an die Donau (177) und warf zuerst die Quaden, die an der beabsichtigten Auswanderung zu den Semnonen mit Gewalt gehindert wurden, sodann die Markomannen nieder, während er den Jazygen günstigere Bedingungen als vorher gewährte, um sie gegen

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jene als Bundesgenossen zu gewinnen. Die weiterbin geplante Umwandelung des Markomannen- und Quadenlandes in eine römische Provinz kam infolge des Todes des Kaisers nicht zur Ausführung; sein Sohn Commodus schloß mit den Germanen sofort Frieden, zog die römischen Truppen zurück und begnügte sich im wesentlichen damit, das frühere Klientelverhältnis in einer etwas verschärften Form (die Volksversammlungen sollten nur einmal monatlich an einem bestimmten Ort im Beisein eines römischen Offiziers abgehalten werden) wiederherzustellen1). Diese Maßnahmen des Commodus haben vielfachen Tadel gefunden, sicher nicht ganz mit Recht; denn es trat nunmehr an der mittleren Donaugrenze völlige Ruhe ein. Wohl aber wandten die Germanen nunmehr ihre Waffen gegeneinander; zur Zeit Caracallas schlugen sich die Markomannen mit den silingischen Wandalen herum, und der Kaiser benutzte die Gelegenheit, die Zwietracht der beiden Völker noch weiter zu schüren (ca. 214). Den Quadenkönig G a b i o m a r u s ließ Caracalla auf eine Anklage hin töten, ohne daß es zu einer Erhebung gegen Rom gekommen wäre. Aber seit Mitte des 3. Jahrhunderts treten die Markomannen und Quaden wieder als Reichsfeinde auf2). Unter Valerian, als das römische Reich, von innen und außen bedrängt, der Auflösung nahe schien, überschritten die Markomannen verheerend die Donau (253); eine Abteilung derselben unter Attalus ist damals auf römischem Boden zurückgeblieben und von Valerians Sohn und Mitregenten, Gallienus, in Oberpannonien angesiedelt worden. Dagegen ist eine Beteiligung von Markomannen an dem Zuge der Juthungen und Alamannen nach Italien 270/271 unter Aurelian nicht erweislich3). Einfälle der Quaden (zumeist im Bunde mit den Sarmaten) werden aus der Zeit des Gallienus und Numerianus (ca. 260. 284) gemeldet; erst durch Diocletians Mitregenten Galerius wurde nach häufigen Kämpfen 293—296 der Friede an der Donau von neuem gesichert, ohne daß es jedoch zu einer Wiederherstellung des Klientelverhältnisses der beiden Völker gekommen wäre. Neue Bedrohungen der römischen Grenze durch die Sarmaten und die mit ihnen verbündeten Quaden fanden zu Anfang 357 statt. Bei diesen begegnet uns jetzt an Stelle der früheren Monarchie eine Vielherrschaft von Gaufürsten (genannt werden gleichzeitig A r a h a r i , Viduarius, dessen Sohn V i t r o d u r u s , Agilimund): der Übergang zur republikanischen Verfassung hängt wohl mit der Gewinnung der Unabhängig') W i d e m a n n (Herkunft der Baiern, Tgl. unten) meint, was durchaus nicht erweislich, daß die Markomannen während des großen Krieges Böhmen geräumt und sich in Nordwestungarn niedergelassen hätten. Nach D a h n wohnten sie schon vor dem Markomannenkriege in Pannonien (!). Ganz verkehrt ist es, die ptolemäischen BaXfiot heranzuziehen; Ptol., der mehrere Karten durcheinander arbeitete, hat das Land Böhmen ganz willkürlich nach Ungarn geschoben. *) Vielleicht schon unter Severus Alexander, unter dem ein Einfall von Germanen in Pannonien erwähnt wird. J ) Die Markomannen werden. Higt Aug. vita Aurel, nur infolge einer Verwechslung statt der Alamannen genannt.

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keit von Rom zusammen; die gleichen Verhältnisse dürfen wir auch bei den Markomannen annehmen. Ein Teil der Sarmaten steht unter der Botmäßigkeit eines quadischen Häuptlings. Der Kaiser Konstantius begab sich im Mai 357 nach Pannonien und veranlaßte die Barbaren zum Friedensschlüsse. Als schon 358 neue Einfälle erfolgten, überschritt der Kaiser im April d. J. die Donau und züchtigte die Quaden und Sarmaten in ihren eigenen Gebieten. Die gewaltigen Festungsbauten, die der Kaiser Valentinian I. auf beiden Ufern der Donau errichten ließ, veranlaßten die Quaden, wegen der dabei erfolgten Verletzungen ihres Gebietes, durch ihren Fürsten G a b i n i u s Beschwerde zu erheben; als dieser unter Bruch des Völkerrechtes hinterlistig getötet wurde, verheerten sie Pannonien und vernichteten zwei Legionen (374). Der Kaiser zog im Jahre 375 persönlich gegen sie zu Felde und brachte sie nach barbarischer Verwüstung ihres Landes zum Frieden zurück. Diese Kämpfe scheinen das Volk stark geschwächt zu haben; Ammian sagt, daß es zu seiner Zeit (ca. 390) viel von seiner früheren Macht eingebüßt hätte. Völlig ruhig haben sich die Quaden darum nicht verhalten; ein 396 geschriebener Brief des Hieronymus erwähnt sie unter den Völkern, die damals die Donauländer heimsuchten. Treten somit die Quaden auch im 4. Jahrhundert mehrfach geschichtlich hervor, so schweigen über die Markomanüen in dieser Zeit die Quellen völlig. Erst um 395 wird eine christliche Markomannenkönigin F r i t i g i l erwähnt, die mit dem Bischof Ambrosius von Mailand in Beziehung stand und die den Übertritt des von ihrem Gatten beherrschten Gaues auf römisches Gebiet veranlaßte; es sind dieselben Markomannen, die nach der Notitia dignitatum als Grenzsoldaten in Noricum ripense und Pannonia I standen und auch zum kaiserlichen Feldheere Kontingente stellten. Zu Anfang des 5. Jahrhunderts zogen die Wandalen und Alanen von Ungarn nach Gallien; ihnen schloß sich auch ein Teil der Quaden an. Die Zurückgebliebenen, die fortan nur unter dem Namen Sweben erscheinen, gerieten unter die Botmäßigkeit Attilas und nahmen an dessen Expedition gegen die Westgoten teil. Die Schlacht am Flusse Nedao (453) brachte ihnen die Befreiung vom hunnischen Joch; ihre Sitze sind zwischen Waag und Eipel zu suchen. Mit den Ostgoten in Pannonien lebten sie in bitterer Feindschaft; als sie um 467 unter H u n i m u n d einen Raubzug nach Pannonien und Dalmatien unternahmen, wurden sie von jenen am Plattensee empfindlich geschlagen. Hunimund hetzte hierauf gegen die Goten die Skiren auf; als diese unterlagen, bildete er eine Koalition der nördlich der Donau wohnenden Germanen, die aber durch einen neuen Sieg der Goten (am Flusse Bolia 469) zersprengt wurde (S. 91). Der Gotenkönig Thiudimer ging hierauf im Winter 469/70 über die Donau und suchte die Sweben in ihrem eigenen Lande heim, ohne sie jedoch völlig zur Unterwerfung zu bringen. Zur Zeit Severins (ca. 480) überfiel ein Hunumund, vielleicht der S c h m i d t , Geschichte der germanischen Völker.

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erwähnte Swebenkönig, Passau1). Bald darauf gerieten wohl die Sweben unter die Herrschaft der Heruler; nach dem Untergange des Herulerreiches wurden sie von den Langobarden unterworfen, mit denen sie auch nach Italien zogen, wo ihre Siedelungen noch zur Zeit des Paulus Diaconus erkennbar waren. M a r k o m a n n i s c h e Herrscher. Könige: Marbod (ca. 9 v.—19 n. Chr.). Katwalda (19 n. Chr. — ca. 20). Ballomarius (ca. 167). Q u a d i s c h e Herrscher. Könige: Tudrus (ca. 9 v. Chr.). Vannius (ca. 20—50). Wangio, Sido, Italiens (60 — ca. 70). Furtius (ca. 167). Ariogaesns (ca. 173). Gabiomarus (ca. 216). Gaufürsten: Arahari, Vidnarius, Agilimund (ca. 367). Gabinins (374). Hnnimnnd (König? ca. 470).

y) Die Bayern. Literatur (vgl. auch ß): Z e u ß , 8. 364 ff. D e r s e l b e , Die Herkunft der Bayern von den Markomannen. Neue Ausg. München 1867. B a c h m a n n , Die Einwanderung der Baiern: Sitzungsberichte d. Wiener Akad. Phil.-hist. Kl. 91 (1878), S. 815ff. R i e z l e r , Geschichte Baierns. I. Gotha 1878. M u c h , Die Anfange des bayer.-österr. Volksstammes: Beiträge zur Anthropologie u. Urgeschichte Bayerns 12(1898), S. lff. Egger, Die Barbareneinf&Ile in die Prov. Rätien: Archiv f. österr. Geschichte 90 (1901), S. 362ff. Döberl, Entwickelungsgeschichte Bayerns. I. München 1906. B i g e l m a i r , Die Anfänge des Christentums in Bayern: Veröffentlichungen des kirchenhist. Seminars München. HI, 1 (1907), S. lff. W i d e m a n n , Die Herkunft der Baiern: Forschungen z. Geschichte Bayerns 16 (1908), 8. 30 ff.

Die Markomannen werden seit dem Ende des 4. Jahrhunderts nicht wieder genannt; ihre Erwähnung unter den der Herrschaft Attilas unterworfenen Völkern bei Paul. Diac. (hist. Rom.) beruht wahrscheinlich auf einer willkürlichen Kombination dieses Autors. Sie erscheinen auch nicht unter den Germanen, die zur Zeit Severins die Donauländer heimsuchten. Die Frage, was aus dem mächtigen Volke geworden sei, wird von der ernsthaften neueren Forschung nach dem Vorgange von Zeuß fast übereinstimmend dahin beantwortet, daß wesentlich aus ihm die Bayern hervorgegangen sind. Den Beweis liefert zunächst die Sprache, da das Bayerische ein ausgesprochen westgermänisbhes Idiom ist, ferner der Name der Bayern, Bajowaren, der an den der Bojer anknüpft und die Herkunft aus Bojoheim oder Baja bezeichnet. Ein erheblicher Anteil der Quaden an der Bildung des Bayernstammes ist nach den obigen Ausführungen ausgeschlossen, ebenso ein solcher der Naristen, die zur Zeit der Einwanderung der Bayern bereits ihre Sitze am Regen verlassen hatten. Ostgermanische Elemente kommen ebenfalls nicht in Frage; einige Beziehungen des Bayerischen zum Gotischen erklären sich aus Beeinflussungen durch die Nachbarvölker (Rugier etc.), vermutlich auch aus der Herrschaft der Heruler, unter der die Markomannen eine >) Wenn die Sweben einen Streifzug nach einer so entlegenen Stadt unternehmen konnten, so ist die Unternehmung der Heruler von Ungarn gegen Joviacam nicht wunderbar und die darauf gegründete Annahme, daß die Heruler damals in Böhmen gewohnt hätten, durchaus unberechtigt.

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Zeitlang gestanden zu haben scheinen1). Der neue Name ist erst, nachdem diè Markomannen Böhmen verlassen, in Gebrauch gekommen (die ptolemäischen Baiochaimoi bzw. Baimoi, die zweifellos nur mißverstandene Landesnamen sind, gehören nicht hierher); er kommt zuerst bei Jordanis (wohl nach Cassiodors Gotengeschichte, also aus der Zeit 526—33 vor2), wo die Bayern als Ostnachbarn der Alamannen erscheinen3). Die Auswanderung des Volkes fand also statt vor 526/33 (dazu stimmt die Besetzung Böhmens durch die Langobarden unter König Wacho [fca. 540], die eine vorherige Räumung des Landes voraussetzt) und nach der Aufgabe Ufernoricums durch Odowakar (488). Denn zunächst haben die Bayern Ufernoricum links der Enns, sodann westwärts vordringend Raetiall bis zum Lech besetzt, wo sie mit den Alamannen zusammenstießen. Dieser Fluß bildete die Grenze zwischen beiden Völkern bestimmt um 5654) und ist sie auch weiterhin geblieben. (Die Ursachen der Auswanderung aus Böhmen sind nicht bekannt, aber sicher nicht in einem Vordringen der Tschechen zu suchen.) Erst nach der Besetzung des Flachlandes folgte das Vordringen in die Alpentäler ; um 565 scheint das bayerische Gebiet sich nicht weiter als bis gegen Kufstein erstreckt zu haben6). Wohl noch im Anfang des 6. Jahrhunderts fand die Besiedelung des Nordgaues, des Landes um Altmühl, unterer Nab und Regen statt, aus dem die Thüringer, deren Herrschaft zu Ende des 5. Jahrhunderts sich nachweislich bis zur Donau erstreckte (S. 185), mit Gewalt verdrängt wurden. (Das obere Nabtal bis zum Fichtelgebirge, das vorwiegend mit Urwald bestanden war, ist nicht vor dem 9. Jahrhundert kolonisiert worden.) Die Einwanderung in die romanischen Länder vollzog sich allmählich und in durchaus friedlicher Weise, wie die Fortexistenz erheblicher Reste des Romanentums beweist und das Schweigen der Quellen andeutet. Daß die Bayern Rätien und Noricum zunächst unter ostgotischer Herrschaft besessen hätten, ist weder erweislich noch wahrscheinlich; sicher aber sind sie schon unter König Theudebert (534—548) von den Franken abhängig geworden6). Der Anschluß an diese geschah jedoch nicht durch gewalt') Brunner, Rechtsgeach. I', 49. Note führt eine Stelle der Origo g. Langob. an, wo der Bayernherzog Garibald als filius regia Herulorum bezeichnet sei. So steht aber nur in der älteren Ausgabe der Mon. Germ. ; der neuere Text bietet eine ganz andere Lesart. ») Angeblich frühere Erwähnung in der sog. fränkischen Völkertafel; aber deren Datierung (nach M ö l l e n h o f f ca. 520) ist durchaus unsiçher. •) Get. 280, sicher nicht erst von Jord. herrührend. Eine andere Stelle des Jord. (Get. 114) über die Markomannen ist aus einer älteren Redaktion der röm. Reichskarte geflossen. *) Venantius Fort. carm. praef. 4. ») Ders. vit» Martini 4, 644. Egger S. 368. Die lovaßot Prokops (b. G. 1,12) und die Suebi, die nach Cassiod. var. 12, 7 in Venetien einfielen (536), sind sicher nicht auf die Bayern zu beziehen. •) Theudebert rühmt sich in einem Schreiben an Justinian (M. G. epist. III. no. 20), daß sich seine Herrschaft über die Donauländer bis Pannonien hin erstrecke. Das Zeugnis des Byzantiners Agathias 1, 4 (Theudebert habe die Alamannen und andere benachbarte Völker unterworfen) gehört schwerlich hierher.

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same Unterwerfung, sondern auf Grund eines Vertrages: keine fränkische Quelle berichtet von einem Siege, keine bayerische Überlieferung läßt einen Gegensatz zwischen beiden Völkern erkennen; die Bayern waren zu keiner Tributzahlung verpflichtet; die Agilolfinger, unter deren Führung die Einwanderung sich vollzogen hatte, blieben als Herzöge an der Spitze des Volkes (die Annahme, das agilolfingische Herzogtum sei aus einem vom Frankenkönige eingesetzten Amtsherzogtum hervorgegangen, ist unbegründet). Der erste geschichtlich bekannte Bayernherzog ist G a r i b a l d um 555, der sich mit Walderada, einer Tochter des Langobardenkönigs Wacho, vermählte. Neben dem Herzogsgeschlecht erscheinen im bayerischen Volksrecht noch fünf edle Geschlechter, die Huosi, Drozza, Fagana, Hahilinga und Anniona, wohl die Fürstengeschlechter gleichbenannter markomannischer Gaue. Was aus den schon früher auf römischem Boden angesiedelten markomannischen Abteilungen geworden ist, vermögen wir nicht zu sagen; wahrscheinlich waren diese zur Zeit der Einwanderung der Bayern längst im römischen Kriegsdienst untergegangen.