Handbuch Bestattung: Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis [2 ed.] 9783666652783, 9783525652787

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Handbuch Bestattung: Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis [2 ed.]
 9783666652783, 9783525652787

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Heinzpeter Hempelmann / Benjamin Schließer / Corinna Schubert / Markus Weimer (Hg.)

Handbuch

Bestattung Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis

KIRCHE UND MILIEU 3 Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN



Kirche und Milieu Band 3

Herausgegeben von Heinzpeter Hempelmann und Markus Weimer in Verbindung mit Ulrich Heckel, Matthias Kreplin, Benjamin Schließer und Corinna Schubert

Heinzpeter Hempelmann/Benjamin Schließer/ Corinna Schubert/Markus Weimer (Hg.)

Handbuch Bestattung Impulse für eine milieusensible kirchliche Praxis Mit 43 Abbildungen und 12 Tabellen 2., durchgesehene Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.de abrufbar. © 2019, 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © zizi_mentos – Shutterstock Satz: Dorothee Schönau, Wülfrath Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-65278-3

Inhalt

Einleitung Vorwort .......................................................................................................................... 9 Matthias Kreplin / Ulrich Heckel Zur Einführung............................................................................................................ 11 Teil I Wandel und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis Von der Experten- zur Laienkultur .......................................................................... 21 Reiner Sörries Eine Schneise durch den aktuellen »Buch-Wald« Weiterführende Literatur für verschiedene Zielgruppen....................................... 37 Corinna Schubert Milieus, Megatrends und Mentalitäten Beobachtungen zur Ausdifferenzierung der Bestattungskultur............................ 52 Heinzpeter Hempelmann Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur als Herausforderung.................................................................................................... 74 Heinzpeter Hempelmann Der Weg zur Bestattung Ein Durchgang ............................................................................................................. 86 Rainer Heimburger Die evangelische Trauerfeier als Ritual Thesen zur Gestaltung von Bestattungen................................................................. 91 Matthias Kreplin / Ulrike Beichert

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Inhalt

Bestattung aus biblisch-theologischer Perspektive Eine Orientierung........................................................................................................ 96 Ulrich Heckel / Frank Zeeb Kasualien als Religionsproduktion ......................................................................... 108 Fritz Lienhard Veränderungen in der Bestattungskultur und ihre Auswirkungen für Pfarrerinnen und Pfarrer Beobachtungen aus pastoraltheologischer Perspektive........................................ 114 Christoph Doll Biographie und Eschatologie Eine Umfrage zur Bestattungspredigt in Württemberg ....................................... 122 Birgit Weyel / Tobias Weimer Milieusensible Bestattungskultur und Kirchenrecht ............................................ 129 Reiner Braun Der Wandel der Bestattungskultur aus der Sicht eines Bestatters Der Bestatter Kurt Stier im Interview mit Benjamin Schließer .......................... 131 Kurt Stier / Benjamin Schließer Teil II Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung – Einführung ................ 139 1 Konservativ-etabliertes Milieu ........................................................................... 159 2 Liberal-intellektuelles Milieu .............................................................................. 169 3 Milieu der Performer ........................................................................................... 180 4 Expeditives Milieu ................................................................................................ 191 5 Milieu der Bürgerlichen Mitte ............................................................................ 201 6 Adaptiv-pragmatisches Milieu ............................................................................ 212 7 Sozialökologisches Milieu .................................................................................... 223 8 Traditionelles Milieu............................................................................................ 235 9 Prekäres Milieu ..................................................................................................... 246 10 Hedonistisches Milieu ......................................................................................... 256 Auswahlbibliographie ............................................................................................... 266 Beteiligte ..................................................................................................................... 269 Abbildungen (zum Aufsatz von Reiner Sörries) ................................................... 272

Einleitung

Vorwort

Sterben und Tod, Bestattung und Trauer werfen elementare religiöse Fragen auf, deren seelsorgerliche Begleitung und gottesdienstliche Gestaltung zu den wichtigsten Aufgaben der Pfarrerinnen und Pfarrer gehört, weil die Kirche hier nahe bei den Menschen ist. Die kirchliche Tradition hat eine Prägekraft, die weit in die Gesellschaft ausstrahlt. Doch erleben wir gegenwärtig einen rasanten gesellschaftlichen Wandel, der auch viele Gepflogenheiten, Einstellungen und Haltungen im Umfeld einer Bestattung betrifft. Für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Entwicklungen hat in den letzten Jahren die Milieuforschung ein neues Instrument erschlossen. Davon können auch die Kirchen profitieren. Darum haben die württembergische und die badische Landeskirche die Sinus-Kirchenstudie »Evangelisch in Baden und Württemberg« in Auftrag gegeben, die 2015 in einer gedruckten Fassung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Die Ergebnisse dieser Studie sind in beiden Landeskirchen mit großem Interesse aufgenommen worden. Und sie haben mancherlei Impulse für die unterschiedlichsten Felder kirchlicher Arbeit gesetzt. Eine erste Frucht bildete das »Handbuch Taufe«, das 2013 mit zahlreichen Anregungen für eine milieusensible Taufpraxis erschienen ist. Die positive Aufnahme und Würdigung dieses Bandes hat uns schon bald veranlasst, ein entsprechendes Projekt zur Bestattung zu planen. Dazu fand am 2. Oktober 2014 in Karlsruhe ein Symposium statt, das Erfahrungen, Beobachtungen und Fragestellungen zur Bestattung von unterschiedlichster Seite beleuchtete. Die Referate und Diskussionen dieses Studientags sind im vorliegenden Band gebündelt und durch weitere Beiträge ergänzt worden. Auch für die Gestaltung von Bestattungen kann die sozialwissenschaftliche Analyse keine fertigen Lösungen bieten; sie vermag aber sehr wohl die Augen für gesellschaftliche Phänomene zu öffnen und für mancherlei Unterschiede bei den einzelnen Milieus zu sensibilisieren. Die Konfrontation mit dem Tod ist eine existenzielle Erfahrung, die alle Menschen betrifft, doch kann diese je nach sozialer Herkunft und religiöser Prägung sehr unterschiedlich erlebt werden. Milieustudien ersetzen nicht die theologische Arbeit, aber sie können in der Wahrnehmung der einzelnen Menschen in ihrer konkreten Situation hilfreich sein.

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Vorwort

Wir danken allen, die durch ihre beherzte Initiative und engagierte Mitarbeit zur Entstehung und Fertigstellung dieses Bandes beigetragen haben. Wir freuen uns, dass mit diesem Handbuch Bestattung ein weiterer Band in der Reihe KIRCHE UND MILIEU erscheint. Möge er allen kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Bestattungen vorzubereiten haben, vielfältige Anregungen bieten für die seelsorgerliche Begleitung und gottesdienstliche Gestaltung, damit das Evangelium von der Auferstehung Jesu Christi auch in einer sich immer rascher wandelnden Gesellschaft aufstrahlen und zum Tragen kommen kann, auch über eine Bestattung hinaus Hoffnung zu eröffnen, Trost zu spenden und Kraft zu geben vermag. Für die Evangelische Landeskirche in Baden Oberkirchenrat Dr. Matthias Kreplin Für die Evangelische Landeskirche in Württemberg Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel

Vorwort zur zweiten Auflage

Wir freuen uns aufrichtig über die positive Resonanz der Reihe »Kirche und Milieu«. Die drei Bände »Handbuch Taufe«, »Auf dem Weg zu einer milieusensiblen Kirche« und »Handbuch Bestattung« haben weit über den protestantischen Bereich hinaus freundliche Aufmerksamkeit und durchweg positive Aufnahme gefunden. Für die nun nötig gewordene Neuauflage des »Handbuchs Bestattung« wurden Versehen korrigiert und in geringem Umfang Aktualisierungen vorgenommen. Wir danken Herrn Zacharias Shoukry für seine engagierte Durchsicht des Typoskripts und seine Korrekturvorschläge. Dank gebührt auch Frau Jana Harle für die erfreuliche Zusammenarbeit und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für den reibungslosen Verlagswechsel und sein Interesse an der Fortführung der Reihe. Im Verlauf des Jahres wird der Band »Milieusensible Kommunikation des Evangeliums« erscheinen. Alle Bände der Reihe sind dem Anliegen verpflichtet, die theologische Relevanz und das kreative Potenzial der Milieudifferenzierung und -sensibilisierung vor Augen zu führen und Wege in die kirchliche Praxis aufzuzeigen. Unser Dank gilt allen, die diese Wege mit uns beschreiten!

Zur Einführung

»Kirche und Milieu« Im Jahr 2013 erschien in der neu begründeten Reihe »Kirche und Milieu« als erster Band ein Handbuch Taufe1. Ziel war es, für ein zentrales kirchliches Handlungsfeld exemplarisch die Relevanz der Milieudifferenzierung und Milieusensibilisierung aufzuweisen.2 Wir dürfen heute, zwei Jahre später, dankbar sagen, dass unser Band sowohl von der Zielgruppe, also den Pfarrerinnen und Pfarrern, als auch von Seiten der Fachwelt in vielen Rezensionen3 sehr freundlich aufgenommen worden ist. Als Band 2 der Reihe erscheint in 2015 »Auf dem Weg zu einer milieusensiblen Kirche. Die Sinus-Studie Evangelisch in Baden und Württemberg und ihre Perspektiven für kirchliche Handlungsfelder«. Nachdem die Kirchenleitungen in Karlsruhe und Stuttgart die Dokumentation der 2012 durchgeführten ersten großen Kirchenstudie des Sinus-Instituts für evangelische Landeskirchen 2014 genehmigt und im Herbst 2014 den Auftrag der Edition erteilt hatten, konnte dieses Projekt innerhalb eines Jahres realisiert werden. Die SSBW (Abkürzung für: Sinus-Studie für Baden und Württemberg) enthält nicht nur eine Einführung in die Lebensweltperspektive insgesamt und in das Sinus-Milieu-Modell 1

Heinzpeter Hempelmann / Benjamin Schließer / Corinna Schubert / Markus Weimer, Handbuch Taufe. Impulse für eine milieusensible Taufpraxis, Neukirchen-Vluyn 2013. 2 Vgl. zum Projekt Heinzpeter Hempelmann, Milieusensibel taufen. Impulse für eine differenzierende Praxis der Initiation, in: Lebendige Seelsorge (6/2014 – Taufe als Motor von Identitäts- und Kirchenentwicklung), 386–392. 3 Das gilt sowohl interkonfessionell (vgl. die katholischen und evangelischen Besprechungen in ihrer ganzen Bandbreite) wie international (vgl. neben den deutschen die niederländische bzw. schweizerische Besprechung): Anzeiger für die Seelsorge, 3/2014, 41f; Stephan Bieri, Taufe à la Carte. Taufe in unterschiedlichen Lebenswelten, in: Reformierte Presse Nr. 23, 6. Juni 2014, 13; Matthijs Schuurmann, Doop en soziaal milieu, in: Confessioneel 126. Jg., 5. März 2014, 9–11; Christian Grethlein, Rezension, in: Liturgie und Kultur 2014/1, 73f; Judith Kubitscheck, Taufe im Schwimmbad oder bei Kerzenschein. Theologen sprechen sich für eine flexible Taufpraxis aus, epd 08.08.2014; Markus Dobstadt, Wie die Taufe milieusensibel gestaltet werden kann, in: PublikForum 5/2015, 30; Fritz Röcker, Rezension, in: ThBeitr 45. Jg. (2014), 69f; Helge Stadelmann, Rezension, in: Jahrbuch für evangelikale Theologie 28. Bd. (2014), 344–347; amazon-Buch-Rezensionen vom 4. Dez. 2013; 7. September 2014; Franziska Beetschen, Rezension, in: Theologische Literaturzeitung 140 (2015), 369f.

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insbesondere, sondern auch eine Basisinformation über die Anlage der Studie und eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Eine Typologie von acht Einstellungen zu Glaube, Gott und Gemeinde ist ein Alleinstellungsmerkmal dieser Studie. Der ca. dreihundertseitige, zusätzlich auf 70 Seiten mit Kommentaren versehene Bericht selbst ist auf einer CD eingelegt. Wir sind dankbar, in dieser Reihe nun als dritten Band das Handbuch Bestattung vorstellen zu können. Wir haben – anders als im Band 1 – auf eine ausführliche Einleitung in das Sinus-Milieu-Modell verzichtet4 und verweisen alle Interessierten auf die beiden ersten Bände der Reihe und auf eine von den beiden Kirchen unterstützte und vom Sinus-Institut autorisierte Einführung in die Lebensweltforschung und ihre Rezeption für den kirchlichen Bereich5. Eine Karte der 10 Sinus-Milieus nach dem letzten Upgrade des Milieu-Modells im Jahr 2010 ist zur besseren Orientierung und einfacheren Handhabung eingelegt. Unser Dank geht an das Sinus-Institut, das uns erneut den kostenlosen Abdruck der geschützten »Kartoffelgraphik« erlaubt hat. Gliederung und Geschichte des Handbuchs Bestattung Wie das Handbuch Taufe ist auch das Handbuch Bestattung in zwei große Teile gegliedert. Im ersten Teil finden sich wieder grundsätzliche Beiträge. Diesmal werden das Thema Bestattung und der Wandel der Bestattungskultur aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Die Aufsätze gehen fast alle auf ein Symposion zum Thema Wandel der Bestattungskultur zurück, das am 2. Oktober 2014 in Karlsruhe zur Vorbereitung des Editionsprojekts von den Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg, dem Netzwerk churchconvention und dem Tangens-Institut für Kulturhermeneutik und Lebensweltforschung durchgeführt wurde. Wir danken auch an dieser Stelle allen Mitwirkenden, dass sie uns ihre Beiträge – teilweise in überarbeiteter Form – zur Verfügung gestellt und dadurch das Erscheinen dieses Bandes gefördert haben. Der zweite Teil des Handbuchs enthält in bewährter Weise ein Manual, das bezogen auf alle 10 Sinus-Milieus nicht nur exemplarisch in jeweils ein Milieu einführt, die wichtigsten Kennzeichen benennt, auf die es pastoraltheologisch zu achten gilt, sondern auch die Kasualie Bestattung mit ihren verschiedenen Etappen und Stationen durchgeht und milieusensibel Hinweise gibt, worauf bei der Gestaltung zu achten ist. Ein exemplarisch ausgearbeiteter Teil einer Ansprache und andere Vorschläge zur Gestaltung der Liturgie für eine durch das jeweilige Milieu bestimmte liturgisch-homiletische Situation gibt Anregungen, die vor allem das Interesse der Praktikerinnen6 finden werden. 4

Vgl. immerhin die Übersicht im Artikel »Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur als Herausforderung« in Teil A dieses Bandes. 5 Heinzpeter Hempelmann, Gott im Milieu. Wie Sinusstudien der Kirche helfen können, Menschen zu erreichen, Gießen 22013. 6 Aus sprachästhetischen Gründen verzichten wir auf eine durchgehende Doppelung der Genderdifferenzierung und bitten unsere Leserinnen und Leser, unseren Sprachgebrauch

Zur Einführung

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Die Beiträge des ersten Teils des Handbuchs Bestattung – ein kurzer Überblick Die drei ersten Beiträge des ersten Teils ermöglichen eine erste Orientierung. Der Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, Prof. Dr. Reiner Sörries, gibt in seinem Aufsatz »Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis. Von der Experten- zur Laienkultur« einen luziden, durch die Interpretation von Abbildungen unterstützten diachronischen Querschnitt, indem er die wichtigsten Ereignisse aufzählt und wertet, die zum Wandel der Bestattungskultur beigetragen haben. Es wird nicht nur anschaulich, wie bunt und differenziert sich heute das Bestattungswesen präsentiert; Sörries macht den Wandel auch an konkreten gesellschaftlich relevanten Daten fest. – Corinna Schubert, eine der Herausgeberinnen dieses Handbuchs und des Handbuchs Taufe, schlägt »Eine Schneise durch den aktuellen ›Buch-Wald‹« und weist auf aktuelle und wichtige weiterführende Literatur für verschiedene Zielgruppen hin. Wer exemplarische Entwürfe, Impulse für verschiedene Kasus oder vertiefende Reflexionen sucht, findet hier reiche Anregungen, wo er weitergucken kann. – Der Wissenschaftliche Direktor von Tangens, Prof. Dr. Heinzpeter Hempelmann, ebenfalls Herausgeber dieses Bandes, trägt »Beobachtungen zur Ausdifferenzierung der Bestattungskultur« bei. Er berücksichtigt neben der Milieuperspektive auch die Kategorien Megatrends und Mentalitäten und fragt, wie diese auf die Bestattungskultur einwirken, welche Interdependenzen es gibt und wie differenzierte evangelische Reaktionen auf die sich ergebenden Herausforderungen aussehen können. Mit diesem Ansatz soll der Einsicht Rechnung getragen werden, dass die Differenzierung der unterschiedlichen Lebenswelten alleine nicht ausreicht, um der Ausdifferenzierung und dem Veränderungsprozess in der Bestattungskultur gerecht zu werden. Es folgt eine Reihe von Aufsätzen, die einzelne Fragen und Perspektiven fokussieren. Dekan Rainer Heimburger, Breisgau/Hochschwarzwald, geht mit uns Lesern einen erfahrungsgesättigten, an Ratschlägen reichen »Weg zur Bestattung«. Er betont die Bestattung als wichtigste Amtshandlung, die ein vergleichsweise breites Milieuspektrum erreicht, und zeigt, wie der »Weg zur Bestattung« zwangsläufig ein Weg in und mit einer milieuspezifischen Kultur ist. – Oberkirchenrat Dr. Matthias Kreplin und Pfarrerin Ulrike Beichert verstehen »die evangelische Trauerfeier als Ritual« und legen »Thesen zur Gestaltung von Bestattungen« vor, in denen aus kirchenleitender Sicht wichtige, auch heikle Fragen angesprochen und aus einer dezidiert evangelischen Perspektive angegangen werden. – Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel und Kirchenrat Dr. Frank Zeeb geben einen biblisch-theologischen, Altes und Neues Testament unterscheidenden Querschnitt zu Bestattung und Trauer. Der Beitrag zeigt, wie milieu-unspezifisch die biblischen Aussagen sind und wie sehr es darauf ankommt, sie je neu zu kontextualisieren und die Kernaussagen des Evangeliums durchweg als implizit zu verstehen, auch da, wo wir nur die männliche oder nur die weibliche Form verwenden.

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unter unterschiedlichen kulturellen Rahmenbedingungen zur Geltung zu bringen. – Der Aufsatz des Praktischen Theologen Prof. Dr. Fritz Lienhard knüpft in der Sache hier an. Er plausibilisiert aus milieutheoretischer Sicht, wie es in der Begegnung von Evangelium mit neuen kulturellen Kontexten zu Prozessen kreativer Religionsproduktion kommt. – Pfarrer Christoph Doll, Studienleiter am Evangelischen Pfarrseminar Stuttgart-Birkach, referiert »Veränderungen in der Bestattungskultur«, fragt speziell nach den Auswirkungen für Pfarrerinnen und Pfarrer und liefert wertvolle Beobachtungen aus pastoraltheologischer Perspektive. – Die Tübinger Praktologin Prof. Dr. Birgit Weyel und ihr vormaliger Mitarbeiter Pfarrer Tobias Weimer fassen in ihrem Aufsatz »Biographie und Eschatologie. Eine Umfrage zur Bestattungspredigt in Württemberg« die wichtigsten Ergebnisse einer empirisch-homiletischen Studie zusammen, die bemerkenswerte Parallelen zur Frage nach Milieus und Mentalitäten eröffnet. – Der in Mainz lehrende Kirchengeschichtler Pfarrer Dr. Reiner Braun trägt eine interessante aktuelle Miniatur bei. Er fragt danach, wie sich der Wandel der Bestattungskultur in gegenwärtig gültigen Agenden niederschlägt bzw. welche Spielräume erkennbar und wünschenswert sind. – Einen ganz speziellen Blick auf den Wandel der Bestattungskultur und die veränderte Rolle von Kirche und kirchlichen Amtsträgern ermöglicht das Interview mit dem Bestatter Kurt Stier. Stier betreibt mehrere Trauerhäuser; er verfügt über jahrzehntelange Erfahrung, und er redet nicht nur als Praktiker, sondern als jemand, der Glaube, evangelischer Kirche und ihrem Auftrag verbunden ist und auch theologisch relevante Beobachtungen formuliert. Besondere Erwähnung verdient der zu Beginn des zweiten Teils dieses Handbuchs zu findende einführende Essay, in dem der Zürcher Theologe Dr. Benjamin Schließer, einer der Herausgeber und redaktionell Hauptverantwortlichen des Handbuchs, in Aufnahme unserer einführenden Überlegungen im Handbuch Taufe zusammenfasst, welche Überzeugungen und Entscheidungen konzeptionell auch für diesen Band leitend sind. Spezielle Herausforderungen In der Vorbereitung dieses zweiten Handbuches wurden die Herausforderungen noch einmal verschärft deutlich, vor die unsere Zielsetzung stellt, die Milieuperspektive als Konsequenz der Fragmentierung unserer Gesellschaft und nachfolgend der Volkskirchen für kirchliche Handlungsfelder fruchtbar zu machen. – Es ist ja schon wissenschaftstheoretisch völlig einsichtig, dass auch die Milieuperspektive nur ein – sozialwissenschaftliches – Modell unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit liefert und diese nicht als solche adäquat 1:1 abbildet. Insofern möchten wir auch an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich davor warnen, die Milieuperspektive, so fruchtbar sie ist, als hermeneutischen und praktisch-theologischen Universalschlüssel misszuverstehen. – Die Wahrnehmung des rapiden Wandels der Bestattungskultur macht deutlich, wie – noch einmal anders als bei der Tauf-Kasualie – die Milieuperspek-

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tive allenfalls einen Teil der zu beachtenden Änderungen in den Blick bringt. Sinnvoll und hilfreich ist es etwa, auch Megatrends in den Blick zu nehmen. Gegenläufig zur Zergliederung der Gesellschaft in immer kleinere lebensweltliche Einheiten fragen sie nach dem, was alle verbindet, wovon alle betroffen sind. Es zeigt sich freilich, dass auch diese Megatrends sich in unterschiedlicher Weise auf die verschiedenen Lebenswelten auswirken. Eine weitere, hier entfaltete Kategorie ist die der Mentalität. Als Grundorientierung besitzt sie einen philosophisch bestimmbaren kognitiven Kern. Dieser wirkt sich ebenfalls aus, wenn es um Tod, Sterben und die Frage des Lebens über den Tod hinaus geht. – Was bei der Tauf-Kasualie mehr am Rande zu berücksichtigen war, nahm in allen Aussprache- und Reflexionsrunden zu einer milieutheoretischen Betrachtung von Bestattung von vornherein einen zentralen Raum ein: Auf welches Milieu sollen wir uns eigentlich einstellen, wenn wir milieusensibel handeln wollen? Unterscheiden sich nicht die Milieus von Verstorbenen und Hinterbliebenen? Treffen wir nicht auch in der Trauergemeinde immer wieder auf völlig unterschiedliche, ja gegensätzlich ausgerichtete Lebenswelten und entsprechende Orientierungen wie Erwartungen? Wir reflektieren in diesem Band an verschiedenen Stellen, wie dieser Herausforderung zu begegnen ist, die nicht nur, aber in besonderer Weise für die Bestattungskasualie eine Rolle spielt. – Mit der Kategorie der »evangelischen Provokationen« haben wir ganz bewusst versucht, ein Gegengewicht zu der naheliegenden Versuchung zu schaffen, sich in einer bloß adaptiven Weise auf die unterschiedlichen Lebenswelten und ihre Dos und Don’ts einzulassen. Während weltanschauliche Konflikte bei einer etwa im Sinne einer rite de passage verstandenen Taufe eher selten sind (wer wünscht sich für ein Kind zu Beginn seines Lebens nicht Schutz, Segen, eine gute, gnädig gestimmte Vorsehung im weitesten Sinne?), liegen die Dinge erheblich anders beim Kasus Bestattung. Auch »in der Kirche«, sprich: unter ihren, dem christlichen Glauben mehr oder minder verbundenen Mitgliedern, stoßen wir auf säkular-distanzierte oder postmodernindividualistische Haltungen – bei den Verstorbenen, für die wir zu reden, oder bei den Hinterbliebenen, zu denen wir zu reden haben. Auch eine milieusensible Kommunikation kann und wird in dieser Situation nicht darauf verzichten können, den Kern christlicher Hoffnung – ggf. als Provokation im doppelten Sinne des Wortes – zu entfalten und so die Relevanz des Evangeliums auch angesichts einer rein (materialistisch-naturalistisch geprägten) Diesseitsorientierung oder einem postmodernen Individualismus zu entfalten, der den Wert des einzelnen Lebens allein dem Individuum als Subjekt aufbürdet, einem Subjekt, das diese Last ja gerade im Tod erkennbar nicht mehr tragen kann. Das wird nicht triumphalistisch geschehen, sondern – im modernen Kontext – als tastender, selber fragender Versuch der Vergewisserung der Tragfähigkeit christlicher Hoffnung und im postmodernen Kontext als letztlich angesichts des Todes verzweifelte Hoffnung, dass nicht der Mensch, sondern der Gott, der sich in Jesus Christus als Liebe geoffenbart

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hat, das Subjekt unserer Geschichte und Weltgeschichte ist. Zu sagen ist eben dies: »Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit. Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.« (1. Petr 1,3ff) Auch an dieser Stelle verweisen wir gerne auf die weiterführenden Reflexionen von Benjamin Schließer zu Beginn des zweiten Teils dieses Handbuchs und auf unsere bisherigen Veröffentlichungen (vgl. die in den Anmerkungen angeführte Literatur). Dank an die Kirchenleitungen Ein besonderer Dank gebührt den Kirchenleitungen der Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg, die die Publikation aller drei Bände der Reihe »Kirche und Milieu« ideell und finanziell maßgeblich gefördert haben und damit der Überzeugung einen sichtbaren Ausdruck verleihen, dass eine Kirche, die in der sich rasch wandelnden Gesellschaft mitleben will, sich für die Lebensweltperspektive und die durch sie erkennbare Segmentierung, ja Fragmentierung öffnen muss.7 7

Die beiden Kirchen setzen damit ein Zeichen, das im EKD-Umfeld umso mehr auffällt, als in der Vorstellung der Fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zu lesen ist: »Die V. KMU legt keine weitere Lebensstil- bzw. Milieutypologie vor.« (Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Hannover [März] 2014) Neuere Lebensweltexplorationen liegen nicht vor, so dass man jetzt EKDweit mit Daten arbeiten muss, die vom Ende des letzten bzw. Beginn dieses Jahrhunderts stammen. Es muss nicht eigens betont werden, welche Bedeutung in diesem Kontext der Sinus-Studie »Evangelisch in Baden und Württemberg« zukommt, deren Daten aus dem Jahr 2012 stammen. Sie sind repräsentativ für die badische und württembergische Landeskirche und geben zumindest Anhaltspunkte für die Verhältnisse im Rest der EKD. Vgl. zur Sache Heinzpeter Hempelmann, Kirchendistanz oder Indifferenz? Wie die Kirche von der Typologie der Lebensweltforschung profitieren kann. Ein kritischer Abgleich der Sinus-Studie für Baden-Württemberg mit der 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, in: ThBeitr 45 (2014), 284–303. Aktuelle Informationen zur Milieuthematik finden sich im Portal www.milieuskirche.de, und die Facebook-Seite »Kirche und Milieu« bietet fortlaufend praktische Impulse für milieusensibles kirchliches Handeln, Gestaltungsideen und ein offenes Diskussionsforum.

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Bleibende Herausforderungen Damit ist nachhaltig unterstrichen: Der Orientierung an den sehr unterschiedlichen Milieus kommt eine ähnlich große und elementare Bedeutung zu wie der Berücksichtigung der Dimensionen ökologischer Nachhaltigkeit, des demographischen Wandels, der Geschlechtergerechtigkeit und der sozialen Chancengleichheit. Wer sich der Frage nach einer milieusensiblen Kirche entzieht oder diese als unwichtig abtut, muss sich die ideologiekritische Rückfrage gefallen lassen, welche Interessen an Dominanz und soziokultureller Selbstbehauptung für ihn/sie bestimmend sind. Die Forderung nach einer milieusensiblen Kirche ist in der Sache nichts anderes als die Forderung nach einer Volkskirche, in der – anders als in unserer Gesellschaft – alle eine soziokulturelle, ihnen entsprechende mentale Beheimatung finden (können sollen). Es ist die Forderung nach einer Kirche, die ihre angestammt bildungsbürgerlich-konservative, neuerlich vor allem sozialökologische Prägung aufbricht und alternativen Formaten nicht nur an ihren Rändern und versorgt durch bezeichnenderweise als solche apostrophierte »Sonderpfarrämter« etc. Raum gibt. Dank an die Mitarbeiter Als Herausgeber danken wir den Personen, die sich mit unserem Projekt identifiziert und in unterschiedlicher Weise zu seinem Gelingen beigetragen haben: Regine Born, Konrad Maihöfer, Jan Rüggemeier, Dr. Christine Schließer. Ein besonderer Dank für redaktionelle und inhaltliche Mitarbeit gilt Steffen Malich, Assistent am Institut Tangens, Evangelische Hochschule Tabor. Für die Beiträge im Manual zeichnen im Einzelnen verantwortlich: Dr. Reiner Braun für das Konservativ-etablierte Milieu; Dr. Wolfram Kerner für das Liberal-intellektuelle Milieu; Markus Weimer für das Performer-Milieu; Sebastian Steinbach und Cornelius Küttner für das Expeditive Milieu; Bettina Schwentker und Alexander Philipp für das Bürgerliche Milieu; Dr. Benjamin Schließer für das Adaptiv-pragmatische Milieu; Dr. Dirk Kellner für das Sozial-ökologische Milieu; Corinna Schubert für das Traditionelle Milieu; Kolja Koeniger für das Prekäre Milieu und Michael Born für das Hedonistische Milieu. Heinzpeter Hempelmann Benjamin Schließer Corinna Schubert Markus Weimer

Teil I Wandel und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur

Ein halbes Jahrhundert Bestattungspraxis Von der Experten- zur Laienkultur∗ Reiner Sörries

Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg genügend Experten, die wussten, wie man bestattet und wie Friedhöfe mit ihren Grabstätten gestaltet sein müssen. Dafür erließen Gesetzgeber und Friedhofsträger entsprechende Vorschriften, und die Menschen waren daran gewöhnt, das zu tun, was die Obrigkeit befiehlt. Ein Übriges tat die Tradition, der sich die meisten Menschen verpflichtet fühlten. Hüter dieser Konventionen waren auch die Bestatter, die ihr herkömmliches Agieren als Traditionspflege deklarierten. Auch Grabmalschaffende und Friedhofsgärtner hatten sich mit dieser Situation gut arrangiert und vermarkteten ihre standardisierten Produkte. Die wichtigsten Eckpunkte waren Trauerfeiern, die zum allergrößten Teil noch als christliche Begräbnisgottesdienste stattfanden bei einem überwiegenden Anteil von Erdbestattungen, die verpflichtende Beisetzung auf einem hoheitlichen kommunalen oder kirchlichen Friedhof und die Gestaltung der Grabstätte nach vorgegebenen Richtlinien. Davon ist im 21. Jahrhundert kaum etwas übrig geblieben, und man spricht von einem radikalen Wandel der Bestattungs- und Friedhofskultur. Was aber hat sich in den vergangenen 50 Jahren ereignet, das diesen Wandel herbeigeführt hat? Ganz generell gilt die Antwort, dass sich die Gesellschaft insgesamt und die sie bestimmenden Faktoren ebenso grundlegend gewandelt haben, sodass die Veränderungen in der Trauerkultur als logisch und konsequent erscheinen; alles andere wäre verwunderlich und erklärungsbedürftig. Gleichwohl sollen hier aus historischer Perspektive die einschneidenden Ereignisse aufgeführt werden, die sich zumeist sogar an konkreten Jahreszahlen festmachen lassen. Der Versuch einer solchen Gliederung mag den Nachteil haben, dass manche Entwicklungen scheinbar unverbunden hintereinander stehen, aber sie sind allesamt als Ursachen für den Wandel auszumachen. Und in dieser Unverbundenheit mögen sie sogar zum Ausdruck bringen, dass der Wandel nicht monokausal zu begründen ist, sondern sich aus einem Bündel von Entwicklungen speist.

1963 urteilte das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil (Az. VII C 48.60 vom 8.11.1963), dass der Friedhofsträger die Gestaltungsfreiheit der Reiner Sörries, Ein letzter Gruß. Neue Formen der Bestattungs- und Trauerkultur, Kevelaer 2016.



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Reiner Sörries

Grabnutzer nicht willkürlich und vor allem nicht auf dem gesamten Friedhof aufgrund eigener ästhetischer Vorstellungen einschränken darf. So muss es seitdem auf Friedhöfen auch Bereiche geben, die frei sind von zusätzlichen Gestaltungsrichtlinien, und diese Regelung wird im Fachjargon als Zweifelderwirtschaft bezeichnet. Es war das erste Mal, dass sich Laien mit Erfolg gegen eine von Experten verordnete Friedhofskultur durchgesetzt hatten. Hintergrund war eine Klage gegen die Richtlinien der Stadt Aschaffenburg, die auf allen Friedhöfen ein generelles Politurverbot für Grabmale erlassen hatte. Das Gericht sah darin eine unzulässige Einschränkung der Gestaltungsfreiheit der Nutzungsberechtigten. Egal wie man zu der ästhetischen Erscheinung von hochglanzpolierten Granitgrabsteinen steht, so dürfen gestalterische Maßstäbe nicht so verallgemeinert werden, dass daraus Verbote oder Gebote entstehen. Somit markiert dieses Urteil den Beginn einer Entwicklung, die zunehmend zu einer Entschärfung der Normen und einer Hinterfragung der Expertenkultur führte. Dass auch wirtschaftliche Interessen der Grabmalindustrie dahinter standen, sei zwar erwähnt, aber wichtig ist, dass man begann, die Bestattungskultur im Sinne der Laien und ihrer Bedürfnisse zu liberalisieren. Und insgesamt bereitete sich die Gesellschaft darauf vor, die Prinzipien der Demokratie und der Eigenverantwortung einzuklagen und durchzusetzen. Große Auswirkungen auf die allgemeine Trauerkultur hatte dieses Urteil noch nicht, und es dauerte noch einmal zwei Jahrzehnte, bis sich die Grundsätze der Autonomie und Selbstbestimmung artikulierten, zunächst auf einem ganz anderem Gebiet.

Nach 1984 begann sich die Hospizbewegung nach anfänglicher Ablehnung in Deutschland zu etablieren, und es kam zur Gründung der ersten ambulanten und stationären Hospize. Der wichtigste Grundgedanke der Hospizbewegung bestand in der Betonung der Würde und Selbstbestimmung der Menschen am Lebensende. Man spürte zunehmend, dass die medizinische Versorgung schwer Kranker und Sterbender zwar technisch einen hohen Standard erreicht hatte, doch wuchs die Skepsis gegenüber einer von den Experten verordneten Intensivmedizin. Die Menschen fürchteten sich davor, am Ende ihres Lebens einsam und isoliert, angeschlossen an Apparate und Schläuche auf Intensivstationen zu sterben. Bereits 1982 war von Nobert Elias das schmale Bändchen mit dem Titel »Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen« erschienen, das diese Sorge programmatisch formulierte. Und noch ein Jahr zuvor hatte Ivan Illich »Von den Grenzen des Gesundheitswesens« geschrieben in seinem Buch »Die Nemesis1 der Medizin«. Immer mehr Menschen empfanden die Hochleistungsmedizin als eine Perversion, eben als eine Rachegöttin, die ärztliches Handeln zum Wohl des Menschen ins Gegenteil verkehrte. Man begann nach Zuwendung zu fragen und danach, ob denn die Bedürfnisse der Sterbenden überhaupt noch berücksichtig werden. 1

Nemesis ist in der griechischen Mythologie die Rachegöttin.

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Zur selben Zeit formierten sich zunächst in kleinen Selbsthilfegruppen Väter und Mütter von Kindern, die nicht lebensfähig waren. Früh- und Totgeburten unter 1000 Gramm durften nicht bestattet werden, sondern mussten mit dem Klinikabfall entsorgt werden. Ganz im Gegensatz zu jenen Experten, die davon ausgingen, dass man um diese Kinder nicht trauert, reklamierten die solcherart betroffenen Eltern ihr Recht auf Trauer. Wenn auch aus anderer Perspektive stand hier ebenfalls das Bedürfnis nach Trauer und das Selbstbestimmungsrecht der Eltern im Mittelpunkt. Es waren genau solche Autonomiebestrebungen, die immer lauter und nachhaltiger das gesamte Feld der Bestattung- und Trauerkultur verändern sollten. 1984 fand im Münchner Stadtmuseum eine bemerkenswerte Ausstellung statt unter dem Titel »Die letzte Reise«. Es war die erste große und überregional beachtete Ausstellung, die sich mit Sterben und Tod befasste zu genau jenem Zeitpunkt, als sich das Unbehagen über den Umgang damit zu artikulieren begann. Genau dieses Unbehagen nahmen die Kuratoren der Ausstellung Peter Steiner und Christoph Stölzl zum Anlass für ihr Projekt. So formulierten sie es in ihrem Vorwort zum Ausstellungskatalog: »Der Tod ist ins Gerede gekommen. Allerorten beklagt man heute das anonyme Sterben in der Klinik, die Verdrängung des Todes. Als Ursachen sind der Schwund des Religiösen, die Lockerung der Familienbande, die Auflösung gewachsener Lebenszusammenhänge, die Verstädterung und Einigelung auf Kleinstgruppen oder Isolierte genannt worden.« Dagegen wollten sie ankämpfen und unterlagen nur dem Irrtum, das Los der Sterbenden und Trauernden könne durch die Rückbesinnung auf alte Traditionen erleichtert werden, weshalb sie »Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern« – wie es im Untertitel hieß – in den Mittelpunkt ihrer Ausstellung stellten und damit die Verhältnisse in einer ländlichen, katholisch geprägten Region. Die Menschen dagegen erwarteten zeitgemäße, aktuelle Antworten auf ihre Fragen und nicht den nostalgisch anmutenden Rekurs auf alte Traditionen.

1986 spielte es noch eine untergeordnete Rolle, als in der DDR auf dem Westfriedhof in Rostock die erste Aschestreuwiese eingerichtet wurde (Abb. 1∗). Bereits 1980 sah die Verordnung über das Bestattungs- und Friedhofswesen vom 17. April der DDR die Möglichkeit vor, dass die Beisetzung Verstorbener oder deren Aschen auf Friedhöfen in Gräbern, Urnenstellen, Gemeinschaftsanlagen oder auf Aschestreuwiesen erfolgen könne. Es schien weder für die DDR, erst recht nicht für die BRD ein Moment von historischer Bedeutung zu sein, aber die Spur war gelegt, die ökonomischen Lasten einer Bestattung weiter zu reduzieren sowohl für den Friedhofsbetreiber wie für die Angehörigen. Weitere Schritte in dieser Richtung verhinderte zwar zunächst der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, aber die Idee war nicht gescheitert. In den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Die Abbildungen zu diesem Beitrag finden sich aus drucktechnischen Gründen am Ende dieses Buches auf den Seiten 272–288.



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Thüringen und Sachsen gewährten auch die neuen Friedhofsgesetze den Friedhofsbetreibern die Möglichkeit, solche Bestattungsflächen für die Verstreuung der Asche auszuweisen. Und als einer der wenigen kulturellen Ost-WestExporte geriet die Aschestreuwiese auch ins Friedhofsgesetz von NordrheinWestfalen. Die Verstreuung der Asche auf ausgewiesenen Friedhofsflächen hat bis heute weder in den neuen Ländern noch in dem alten Bundesland NRW einen großen Anteil an den Beisetzungen, aber die damit ausgedrückte Tendenz zur Ressourcenminimierung hat allgemein um sich gegriffen. Es ist zwar nicht nachgewiesen, aber man kann es durchaus vermuten, dass durch die Wiedervereinigung 1990 der Trend zur anonymen Beisetzung oder – wie es in der DDR hieß – zur Urnengemeinschaftsanlage, kurz UGA, an Fahrt aufgenommen hat. Immerhin ist ein dadurch ausgelöster Säkularisierungsschub gesamtdeutsch entstanden. Hatte die DDR die ressourcensparende Bestattung zu einem ökonomischen und gesellschaftspolitischen Ziel gemacht, so lieferte sie damit durchaus den ideologischen Überbau, um sich bei einer kostensparenden Bestattung nicht schlecht zu fühlen. Hier Kosten zu sparen, konnte hüben wie drüben gesellschaftlich akzeptiert und anerkannt werden; erst recht dann, wenn man sogar statt zugedachter Kranz- und Blumenspenden um eine Überweisung an eine soziale oder karitative Einrichtung bat. Bei der Bestattung zu sparen, wurde immer seltener als taktloser Verlust an Pietät geächtet.

1993 schloss von der Öffentlichkeit kaum beachtet der Leitfriedhof in Bielefeld seine Pforten. Doch dieses scheinbar marginale Ereignis zeigt wie kaum ein zweites, dass die Experten, die wussten, »wie Friedhof geht«, ihr Heft aus der Hand geben mussten. Die Idee eines Leitfriedhofes war 1978 in Nürnberg entstanden mit dem Ziel, beispielhaft gute Grabstättengestaltungen zu zeigen. Sie fußten auf den Gestaltungsrichtlinien, die seit den 1920er Jahren von den Experten ungebrochen favorisiert und mittels Friedhofssatzungen durchgesetzt wurden. Noch 1987 wurde in Bielefeld der Leitfriedhof eröffnet. Als die dort präsentierten Grabgestaltungen immer weniger auf das Verständnis der Bevölkerung stießen, hatte der Bielefelder Leitfriedhof schon wieder ausgedient. Die Überzeugung keimte, dass sich die Laien nicht mehr von den Experten diktieren lassen wollten, wie Grab und Trauer zu funktionieren haben. Der Nürnberger Leitfriedhof fristet immer noch sein Dasein, aber nunmehr völlig bedeutungslos und eher als museales Denkmal einer vergangenen Kulturepoche.

1994 formulierten die Deutschen Bischöfe in ihrem Hirtenschreiben Nr. 53 ihre »Sorge um die Toten und die Hinterbliebenen« und versuchten eine Analyse und eine Antwort auf die mittlerweile eingetretenen Veränderungen: »Zuerst fast unbemerkt, aber nun immer offenkundiger zeigt sich, daß die veränderte Einstellung zu Sterben und Tod sich auch auf die Bestattungs- und Trauerkultur auswirkt. Seit Jahrhunderten bestehende Formen der Bestattung und der Begleitung der Angehörigen werden vielen fremd. Ein Zeichen für diese Entwicklung

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ist die Zunahme der sogenannten anonymen Bestattungen.« In der Tat war es die seit den späten 1980er Jahren stark angestiegene anonyme Beisetzung unter der grünen Wiese, die am offenkundigsten den Wandel der Bestattungskultur offenbarte, der dynamische Geschwindigkeit anzunehmen begann. Es spielten natürlich finanzielle Erwägungen eine Rolle, denn die Bestattungskosten hatten für viele Menschen Größenordnungen erreicht, die sie sich nicht mehr leisten konnten oder wollten. Außerdem konnte man mit einer anonymen Beisetzung die Angehörigen von der Grabpflege entlasten. Für nicht wenige war die anonyme Beisetzung jedoch eine Form des Protests gegen eine nach wie vor reglementierte und fremdbestimmte Trauerkultur – und zwar die einzige Alternative, die damals möglich war. Ähnlich den Deutschen Bischöfen begannen vor allem die betroffenen Gewerke mit einer Suche nach den Gründen für solche Verhaltensweisen. Für die »Schuldigen« hielt man die Verdrängung des Sterbens aus der Gesellschaft, die Tabuisierung des Todes, den fehlenden Zusammenhalt in den Familien und schließlich sogar eine kostenschonende Pietätlosigkeit, selbst der Slogan von der Geiz-ist-geil-Mentalität wurde bemüht, um der Gesellschaft den schwarzen Peter zuzuschieben. Nicht erkannt wurde dagegen, dass die Angebote der standardisierten Trauerkultur den Bedürfnissen der Menschen nicht mehr gerecht wurden. Die meisten unzufriedenen Menschen beließen es bei diesem stillen Protest und dem Gang in die Anonymität, während die Auflehnung gegen die Norm von den Rändern der Gesellschaft her mit Inhalt gefüllt wurde.

1995 hat der Hamburger Verein Memento e.V. die erste Gemeinschaftsgrabstätte für Menschen eingerichtet, die an AIDS verstorben waren. Zu diesem Zweck hatte der Verein eine Grabstätte mit einem historischen Grabmal von 1897 erworben, an der keine Nutzungsrechte mehr bestanden (Abb. 2). Man übernahm die Totenfürsorge für Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen und teilweise sogar von ihren eigenen Familien gemieden wurden. Die Wahlfamilie trat an die Stelle der biologischen Familie, und so kreierte die AIDS-Szene eine neue tragfähige Form der Totenfürsorge. Zudem verabschiedete man sich vom tristen Schwarz der Trauerfarbe und gestaltete Begräbnisfeiern bunt mit Luftballons, einer Jazzkapelle oder auch einem Glas Prosecco am Grab. Hier wurde vorgeprägt, was heute viele Bestatter als sog. Event-Bestattung im Repertoire haben. Damals allerdings galten Bestatter und zunehmend Bestatterinnen als alternativ, die schwule und farbenfrohe Trauerfeiern zu inszenieren wussten. Bunt wurden sogar die üblichen tristen Todesanzeigen mit schwarzem Trauerrand, die Freunde und Angehörige von schwulen Verstorbenen in den Szenemagazinen veröffentlichten (Abb. 3). Während die Worte der Bischöfe fast ungehört verhallten – auch ihr Expertentum ist immer weniger gefragt –, begann die Feier des gelebten Lebens als Form der Verabschiedung Schule zu machen. Wenig später wurden die AIDS-Grabstätten, die ursprünglich aus der Not geboren waren, zu unmissverständlichen Bekenntnissen zum eigenen Lebens-

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entwurf. So ist auf der Berliner AIDS-Grabstätte auf dem Alten St. Matthäuskirchhof, eingerichtet 2000, die Tafel mit den Umrissen eines sich umarmenden Männerpaares angebracht (Abb. 4). Der Ort der letzten Ruhe entwickelte sich zu einer bekenntnishaften Stätte, welche die Identität des Verstorbenen über den Tod hinaus bewahrt. Und die Gesellschaft begann zu lernen, dass Trauerfeier und Grab Orte der Bezeugung der Individualität einer Person sein können.

1998 öffnete die »Marko – First Hall of Memory« ihre virtuellen Pforten und schuf das erste Internetbasierte Trauer- und Gedenkportal in Deutschland. Mag dieses Angebot für den deutschen Markt vielleicht zu früh gekommen sein, so muss dieses Datum dennoch für eine Entwicklung festgehalten werden, die der Trauerkultur neue Wege öffnete. Und während die First Hall of Memory entgegen aller Ewigkeitsversprechen sehr schnell das Zeitliche segnete, so erlangten die digitalen Medien in der Folgezeit eine immer größere Bedeutung. Virtuelle Gedenkstätten wurden gerade für bestimmte Schicksalsgemeinschaften wie etwa verwaiste Eltern zu einem wichtigen Ausdrucksmittel ihrer Trauer. Manchen geriet das Gedenken im Netz zu einem Bezugspunkt, während die reale Grabstätte als Ort der Trauer an Bedeutung verlor. Traueranzeigen erscheinen in digitalen Medien und bringen die Verlage der Tageszeitungen in wirtschaftliche Nöte, und erst recht wird die Generation der Digital Natives Trauer und Kondolenz via Twitter, Facebook und Co. als selbstverständlich erachten. Hier zeigt sich der Umbruch der Generationen besonders deutlich, wenn die Älteren, die noch eine handschriftliche Beileidsbekundung gewohnt sind, hier einen Verlust des Anstands und der Pietät sehen, während die Jungen so selbstverständlich mit Tastatur und Smartphone hantieren. Neue Herausforderungen bringt mit, was wir heute als digitalen Nachlass bezeichnen. Was geschieht mit unseren Accounts in sozialen Netzwerken oder Internetshops? Finden wir Mechanismen, wie sie mit unserem Ableben ebenfalls die digitale Welt verlassen, oder ahnen wir dort eine ungeahnte Form posthumer Ewigkeit? Bereits heute wächst die Zuversicht, unsere leibliche Existenz in den Cyberspace zu translozieren, um tatsächlich die Ewigkeit zu ergreifen. Unter den Trans- und Posthumanisten, wie man diese Neu-Gläubigen nennt, gibt es ernst zu nehmende Forscher, welche solche Visionen naturwissenschaftlich zu untermauern wissen. Damit haben sie den herkömmlichen Religionen eine Konkurrenz bereitet, deren Erfolg noch nicht richtig eingeschätzt werden kann. Insgesamt aber liegt die Vermutung nahe, dass die digitale Welt unsere Trauer- und Gedenkkultur umfänglicher verändern wird als alle anderen Phänomene der Postmoderne. Allerdings ist das nicht verwunderlich, denn schon bisher haben neue Medien jeweils starken Einfluss auf unser Trauerverhalten ausgeübt. Von der Erfindung des Buchdrucks, der die gedruckte Leichenpredigt als sepulkrales Zeugnis zur Folge hatte, bis zur Erfindung der Fotografie, die die bildliche Erinnerung an Verstorbene zum Allgemeingut machte, hat jede technische Neuerung Einfluss auf die Sepulkralkultur ausgeübt.

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2000 schuf das Münchner Künstlerpaar Karolin und Daniel Bräg das Kunstobjekt »Schilder«, Wegweiser zu Friedhöfen, die zunächst unverständlich, ironisch, elitär oder ausgrenzend erscheinen, wenn es da den »Friedhof der Schrebergärtner« oder den »Friedhof der Kelly-Family« gibt, den »Porschefriedhof« oder den »Ausländerfriedhof« (Abb. 5). Stutzig kann man werden, wenn man vom »Friedhof der Ungeborenen« liest, denn Gemeinschaftsgrabstätten für Früh- und Totgeburten gibt es mittlerweile auf vielen Friedhöfen (Abb. 6). Die Eltern dieser Sternenkinder, wie sie heute gerne genannt werden, hatten sich allmählich durchgesetzt, und ihre Trauer wird anerkannt. Doch auch sonst sollten die Brägs Recht behalten. Die AIDS-Betroffenen hatten es vorgemacht, und die Gemeinschaftsgräber für Gruppen und Clans, ob religiös, weltanschaulich oder nur einfach interessengeleitet, werden in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen. Es sind keineswegs nur Fußballfans, deren Grabfelder mittlerweile in Hamburg und Gelsenkirchen entstanden sind, auch andere Gruppen sehen hierin eine Art der posthumen Identitätssicherung. Fußballfriedhöfe sind lediglich die medienwirksame Spitze eines Eisberges. Unter der Oberfläche haben längst kirchliche Gruppen und Atheisten, Hospize und Pflegeeinrichtungen oder die Mitglieder des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge ihre eigenen Gemeinschaftsgräber, auf denen sie über den Tod hinaus miteinander verbunden bleiben. Mit dem Nachlassen familiärer Bande und dem Schwinden der Bedeutung der Familie für die Totenfürsorge treten die Wahlfamilien an ihre Stelle. Sie befreien die Menschen von der Sorge um das eigene Grab, sichern ihnen zu, dass die leiblichen Angehörigen von der Grabpflege entlastet werden, und sichern ihnen ihre Identität. Für viele Menschen gewinnt das Motto an Bedeutung, das sich Mitglieder der Hamburger St. Michaelisgemeinde schon 1997 erwählt hatten, als sie sich ihre gemeinschaftliche Grabstätte geschaffen hatten. Dort liest man auf einer Bronzetafel: »Gemeinsam wollen wir leben, im Sterben einander beistehen und im Tod beieinander bleiben.« (Abb. 7) Die Gemeinschaft in der Wahlfamilie ist zum Familiengrab der Postmoderne geworden. All das, was nun gegenwärtig und erst recht in Zukunft zu einem bestimmenden Faktor der Bestattungskultur wird, war 2000 erst in Ansätzen vorhanden, und das Schilderprojekt der Brägs kann durchaus visionär genannt werden. Manchmal bewahrheitet es sich, dass Kunst prophetisch sein kann.

2001 folgte mit der Eröffnung des ersten Friedwaldes in Deutschland und der Möglichkeit, außerhalb von Friedhöfen in der Natur zu bestatten, der bedeutsamste Impuls für die Bestattungskultur der Gegenwart und Zukunft (Abb. 8). Nicht in der Weise, dass nun alle Menschen die Bestattung im Wald jener auf dem Friedhof vorziehen – ihr Anteil dürfte bisher kaum über 5 % hinausgehen –, aber allein das Wissen um diese Alternative veränderte einerseits die Einstellung zum Friedhofswesen und hatte andererseits stets neue Alternativen zur Folge. Nun herrschte tatsächlich Wahlfreiheit, und die seit den Anfängen der Hospizbewegung eingeforderte Selbstbestimmung erstreckte sich jetzt auch auf die

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Wahl der letzten Ruhe. Friedhof oder Wald blieben nicht die einzigen Alternativen, auch die (länger schon, teils mit Auflagen mögliche) Seebeisetzung erfuhr zusätzliche Nachfrage. Nischenprodukte wie die Verstreuung der Asche vom Ballon aus oder vom Flugzeug, die sog. Weltraumbestattung oder auch der Erinnerungsdiamant weckten das Bedürfnis, die Art der Bestattung und Beisetzung solle doch zum Verstorbenen passen. Irgendwie schien nun alles möglich – zumindest solange es sich um die hygienisch unbedenkliche Asche der Verstorbenen handelte. Mittlerweile hat mit geschätzten 60 bis 65 % die Feuerbestattung den Anteil der Erdbestattungen längst überrundet. Die neue Möglichkeit, sich in der Natur bestatten zu lassen, hat der Dynamik der Veränderungen einen enormen Schub verliehen – aus zweierlei Gründen. Zum Einen nutzten viele innovative Köpfe die Situation, um weitere alternative Bestattungsprodukte im Markt zu etablieren, zum anderen reagierten aber auch die in Bedrängnis geratenen öffentlichen Friedhöfe mit neuen Angeboten. In Nachahmung der Waldbestattungen richteten sie ähnliche Ruhehaine auf eigenem Territorium ein und entwickelten das Gemeinschaftsgrab zur Lösung der Bedürfnisse nach einem zwar gestalteten und gepflegten Grab bei gleichzeitiger Entpflichtung der Angehörigen von der Grabpflege. Denn die Grabpflege war nicht nur zu einem Kostenfaktor, sondern zudem für die mobile Gesellschaft zu einem Problem geworden. Bei einer immer stärker geforderten Flexibilität hinsichtlich von Wohnort und Arbeitsstätte wurde das von der Familie unterhaltene Grab immer mehr zu einem Störfaktor. Alle am Friedhofswesen beteiligten Gewerbetreibenden hatten erkennen müssen, dass das traditionelle Grab, das ihnen Auskommen und Wohlstand sicherte, zu einem Auslaufmodell zu werden drohte. Dass man deshalb für Grab und Friedhof Werbung machen muss, war eine der daraus gewonnenen Erkenntnisse. Seit 2001 laden deshalb zahlreiche Friedhöfe jährlich einmal zum »Tag des Friedhofs« ein, um den Friedhof als Bestattungsort im Bewusstsein zu halten. Die Friedhofsgärtner starteten 2010 die Imagekampagne »Es lebe der Friedhof« mit groß angelegter Plakat- und Radiowerbung (Abb. 9). Die Grabmalschaffenden machten Werbung für das Grab mit dem Motto »Orte, die gut tun«.

2002 ließ die schwedische Biologin Susanne Wiigh-Mäsak nach jahrzehntelanger Forschung in 36 Ländern ein Verfahren zur Beseitigung von Leichen patentieren, das als Promession bezeichnet wird, eine Bestattungsmethode durch Gefriertrocknen des Leichnams und anschließendes Kompostieren des entstandenen Granulats. Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, den technischen Prozess eingehender zu beschreiben, vielmehr ist herauszustellen, dass in der Vermarktung dieses Verfahrens damit argumentiert wird, es sei wesentlich ökologischer und umweltfreundlicher als herkömmliche Bestattungsarten. Selbst die Feuerbestattung sei um ein vielfaches umweltschädlicher als die Promession. Auch diese Argumentation soll hier nicht hinterfragt werden. Wichtig ist ledig-

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lich, dass das in der Gesellschaft angekommene ökologische Bewusstsein in der Bestattung seinen Niederschlag finden soll. Schon früher als in Deutschland ist der Slogan vom greener way to go in Großbritannien populär geworden. Früher als hierzulande waren dort die ersten Naturbestattungen in Form von nature burial grounds angeboten worden, und der Anteil an biologischen eco coffins hat laut Berichten die 50 Prozentmarke erreicht. So weit ist es in Deutschland noch nicht, zumal sich die einflussreiche Bestatterlobby entschieden gegen Papp- oder Weidensärge wendet, weil sie um den Erhalt der Bestattungskultur fürchtet. Erst recht ist hierzulande von Promession noch nicht offiziell die Rede. Allerdings hat das gewachsene ökologische Bewusstsein zur Akzeptanz von Friedwäldern und Ruheforsten beigetragen. Für Menschen mit einem hohen Umweltbewusstsein gilt die Waldbestattung als umweltverträglicher als die Beisetzung auf einem Friedhof. Asche bleibt zwar Asche, ob im Wald oder auf dem Friedhof, aber die Naturbestattung verleiht das Gefühl einer Beisetzung mit Nachhaltigkeitswert. Bestattung war nie rational geleitet, sie ist es auch heute nicht. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Menschen nach der Öko-Bilanz einer Bestattung fragen, aber einzelne Aspekte stehen schon im Fokus. Erinnert sei an die Diskussion um Grabmale aus Kinderarbeit, die sogar Gerichte beschäftigt hat. Manche Friedhöfe verlangen Zertifikate, die solches ausschließen. Der bei Grabmalen entstehende Raubbau an der Natur ist an den Wunden abzulesen, die Steinbrüche in die Landschaft schlagen. Dass die ökologische Bestattung ein Zukunftsthema ist, hat die Branche in Teilen erkannt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass neben der Promession bereits eine weitere Bestattungsalternative kreiert wurde, die den Leichnam nicht gefrieren lässt, sondern im Gegenteil kocht. Wie die Promession wirbt das Resomation genannte Verfahren auf der Basis der alkalischen Hydrolyse mit seiner hohen Umweltverträglichkeit. Emissionsarm auf die letzte Reise lauten dann die entsprechenden Schlagzeilen in den Medien. Doch auch ohne Zukunftsvisionen achtet man auf die umweltverträgliche Beseitigung der sterblichen Überreste. So gilt für Krematorien derzeit die »siebenundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, auch: Verordnung über Anlagen zur Feuerbestattung«, um die bei der Einäscherung freigesetzten Schadstoffe gering zu halten. Große Investitionen waren notwendig, um nicht mehr taugliche Feuerbestattungsanlagen stillzulegen, andere zu modernisieren oder Neubauten zu errichten. 1999 war das Krematorium Baumschulenweg in Berlin in Betrieb gegangen, das nicht nur modernen Umweltstandards genügt, sondern nahezu voll automatisiert funktioniert. Auch die Architektur der international renommierten Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank kann als beispielhaft für eine neue Sepulkralarchitektur gelten, die Technik, Effizienz und Repräsentation miteinander vereint (Abb. 10).

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2003 hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland den Sargzwang für Muslime abgeschafft, und in der Folge zogen weitere Bundesländer nach. Dieses Datum markiert insofern einen Einschnitt, als die Politik in Folge des verstärkten Zuzugs von Migranten muslimischen Glaubens ihren Bedürfnissen weitestgehend nachkommen will. Muslimische Friedhöfe gibt es zwar bereits seit den 1960er Jahren in Deutschland, aber zahlreichen kulturellen bzw. religiösen Erfordernissen konnte nicht entsprochen werden. Ihnen soweit als möglich gerecht zu werden, ist nun das Bestreben vieler Politiker. Viele, die ehedem als Gastarbeiter kamen, sind geblieben; andere können aufgrund der politischen Lage in ihrer Heimat nicht zurück, und so stellt eine kulturell angemessene Bestattungsmöglichkeit eine notwendige Voraussetzung für ihre Integration dar. Formal betrachtet bilden die fremden Ethnien und Kulturen ebenfalls Wahlfamilien innerhalb der Mehrheitsgesellschaft. Überall wo sich größere Gemeinschaften mit anderem kulturellen Hintergrund befinden, wächst der Wunsch nach eigenen Friedhöfen. Das gilt nicht nur für Muslime. Hierzulande gibt es u.a. Friedhöfe für Yeziden (Abb. 11), Buddhisten, Vietnamesen, Chinesen oder Zoroastrier.

2004 wurde das über die Jahre bereits stufenweise reduzierte Sterbegeld endgültig aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen gestrichen, wodurch der finanzielle Aspekt der Bestattung sich in den Vordergrund drängte. War das Sterbegeld ehedem so bemessen, dass sich die Bestattungskosten daraus begleichen ließen, so stellen diese für viele nun eine erhebliche Hürde dar. Als kostengünstigste Lösung erhielt das anonyme Urnengrab nochmals einen Schub, und die Suche nach finanziell tragbaren Lösungen bestimmt das Bestattungsverhalten vieler Menschen. Es etablierten sich zunächst sog. Billigbestatter und Sarg-Discounter, die ihren Anteil am kleiner werdenden Kuchen der Bestattungsmilliarden sichern wollten. Die Grabsteine wurden billiger aus Drittweltländern importiert, und Friedhofsgärtner versuchten es mit kostengünstigen Angeboten. Konterkariert wurde diese Entwicklung durch kontinuierlich steigende Grabgebühren, doch die Klage, die durchaus in den Medien darüber geführte wurde, verhallte ungehört. Das Gebührenrecht ließ keine andere Wahl, und die stets steigenden Betriebskosten mussten auf immer weniger Friedhofsnutzer umgelegt werden. Die gesellschaftliche Spreizung zwischen arm und reich hatte den Friedhof erreicht. Kontinuierlich steigt der Anteil der Sozialbestattungen, für deren Kosten das Sozialamt aufkommen muss. Hier achten die Kämmerer strikt darauf, die Kosten gering zu halten, erst recht bei den Bestattungen durch das Ordnungsamt im Zuge der Ersatzvornahme. Für jene, die zu Lebzeiten am Rande der Gesellschaft standen, gilt das auch nach ihrem gelebten Leben. Eine anonyme Sammelbestattung ist oft das Letzte, was ihnen bleibt. Anderseits werden postmoderne Mausoleen errichtet, deren Kosten rasch einen sechsstelligen Euro-Betrag erreichen können. So grüßt die Sepulkralkultur des 19. Jahrhunderts, als sich die soziale Stellung eines Menschen in der Gesellschaft in der Grablage

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zwischen den Erbbegräbnissen entlang der sog. Millionen-Alleen und den Armengräbern spiegelte.

2006 hatten sich die beiden Aachener Gemeinden St. Josef und Fronleichnam aufgrund eines erheblichen Rückgangs der Gemeindemitglieder dazu entschlossen, eine ihrer beiden Gemeindekirchen zur Begräbniskirche umzufunktionieren. In der St. Josefs-Kirche wurde ein Ort für die Beisetzung von Urnen geschaffen (Abb. 12). Nur wenige Jahre nach der Einrichtung des ersten Friedwaldes war eine weitere Alternative zum herkömmlichen Friedhof geschaffen. Dies zeigt, wie unterschiedlich die Bestattungswünsche auseinanderdriften. Suchen die einen die letzte Ruhe unter dem natürlichen Laubdach der Bäume, so halten die anderen das Dach der Kirche für angemessen. Immer deutlicher zeigt sich daran, dass die Wahl des Bestattungsortes mit sehr konkreten Vorstellungen korrespondiert. Man kann regelrecht von Bildern sprechen, die Menschen mit dem Ort der letzten Ruhe verbinden. Ob man nun verstreut werden will in alle vier Winde oder geborgen bleiben möchte unter dem schützenden Dach einer Kirche, lässt erkennen, wie unterschiedlich die Mentalitäten sind. Alle Alternativen zusammen stehen seitdem als Wahlorte zur Disposition im Gegensatz zum bis dahin verordneten und nicht hinterfragten Grab auf dem Friedhof. Man muss sich dabei die Frage stellen, warum sich die Wahl des Bestattungsplatzes gerade in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft zu einer fast existenziellen Bedeutung entwickelt hat – ohne darauf wirklich eine Antwort geben zu können. Aber vielleicht wird gerade der Verlust religiöser Jenseitserwartungen durch andere posthume Emotionen ersetzt. Das muss man sich ebenso fragen, wenn bei einer weltlichen Trauerfeier zum Ende der Zeremonie rote Luftballons oder weiße Tauben in den Himmel steigen. Wer oder was schwebt da wohin? (Religions-)Soziologen sehen zwar eine Entkirchlichung der Gesellschaft, aber zugleich eine gestiegene spirituelle Erwartung. Diese ist zum Beispiel mit dem Wald verbunden, wenn dort die Asche im Wurzelwerk der Bäume in den ewigen Kreislauf der Natur zurückkehrt. Bestattung und Tod sind keineswegs bedeutungslos geworden, doch dort, wo die traditionellen Antworten nicht mehr geglaubt werden, sucht der Mensch nach eigenen oder neuen fremden Antworten. Esoterisch gestimmte Friedhöfe werden so nicht lange auf sich warten lassen, und es gibt sie sogar schon. Der »Garten des Friedens« genannte Naturfriedhof in Fürstenzell bei Passau wurde nach den Kriterien des Feng Shui angelegt, und durch die verschiedenen Kraftorte windet sich landschaftsgärtnerisch gestaltet eine Schlange als Ursymbol, als »komplexes Sinnbild für Verführung und Heilung, für Erneuerung und Fruchtbarkeit, für Weisheit und Vermittlung zwischen Himmel und Erde«, lassen die Betreiber des Friedhofs verlauten (Abb. 13). Bereits 1999 war auf dem Wiener Zentralfriedhof der »Park der Ruhe und Kraft« nach geomantischen und radiästhetischen Gesichtspunkten eingerichtet worden. Auf dem Altkatholischen Friedhof der Kirchengemeinde in Graz bietet die »Himmelsspirale« genannte

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Urnenanlage »an einem positiven, energetischen Naturplatz […] Wiederkehr und Erneuerung«, erläutert der private Betreiber. Kirchen haben als geistliche Ideengeber Konkurrenz bekommen, und es ist spürbar, dass sie die neue Situation ernst nehmen. Die Kirchenkolumbarien, die anfangs der Not ausgedienter Gotteshäuser geschuldet waren, zeugen gleichermaßen noch von einer anderen Entwicklung. Etliche Gemeinden, die heute Urnenkirchen betreiben, haben die Trauerpastoral zu einem Schwerpunkt ihrer Gemeindearbeit erkoren. Doch darüber hinaus haben viele Theologen/Theologinnen und Pastoren/Pastorinnen erkannt, dass die Seelsorge an Sterbenden und Trauernden zu den Kernaufgaben und Essentials des Christentums und diakonischen Handelns gehört. Die Frage nach dem Wesen der kirchlichen Bestattung und der Gestaltung eines kirchlichen Friedhofs beschäftigt viele Gemeinden und ihre Gremien. Die Bereitschaft zu solchen Diskursen wächst mit der Einsicht, dass man sich auf einem Markt der Weltanschauungen bewegt, auf dem es die neuen Anbieter scheinbar leichter haben als die etablierten. Zwar bilden die katholischen und evangelischen Kirchen mit jeweils einem Drittel Anteil an der Bevölkerung immer noch die Mehrheit. Doch gleich groß mit wachsender Tendenz ist inzwischen mit einem weiteren Drittel die »Konfession« der Religionslosen. Und immer mehr Kirchenmitglieder sind zwar noch da, aber gedanklich oft schon abgewandert. Um die Abgewanderten oder die, die noch nie dazu gehörten, bemüht sich in exemplarischer Weise der Liturgiewissenschaftler und Weihbischof von Erfurt, Reinhard Hauke. Dort, wo sich weniger als zehn Prozent zu einer der christlichen Kirchen bekennen, hat er modellhaft kirchliche Angebote für jene entwickelt, die dem Glauben ferner stehen, aber nicht weniger als religiöse Menschen nach Halt und Ritualen suchen. Dazu zählen das Weihnachtslob für jene, denen der dogmatische Gehalt der Geburt Jesu fremd ist, der Segnungsgottesdienst am Valentinstag für christliche und nichtchristliche Paare oder schließlich das monatliche Totengedenken, ein Angebot für alle Menschen, die in ihrer Trauer einen Halt suchen. Nach Bekenntnis oder Taufschein wird bei all diesen Feiern nicht gefragt. Das mag als ein Beispiel dienen, dass Kirche sich in einer säkularen Welt bewegt und diese Herausforderung annimmt.

2008 machte das erste Grabfeld für Fußballfans Schlagzeilen. In Hamburg wurde in unmittelbarer Nachbarschaft des Stadions ein eigenes Feld für die Fans des HSV eingeweiht (Abb. 14). In den Niederlanden gab es längst einen Friedhof für die Fans von Ajax Amsterdam, und in Großbritannien ist die Stadionbestattung für Fußballfans seit den 1990er Jahren Ehrensache. Viele Entwicklungen kommen in Deutschland etwas später als im benachbarten Ausland, und wirklich neu war dieser Clanfriedhof der Fans auch nicht, wenn man die gruppenspezifischen Gemeinschaftsgräber insgesamt betrachtet, die mit den AIDS-Gräbern ihren Anfang genommen haben. Mittlerweile gibt es ein Bestattungsareal für die Fans von Schalke 04 in Gelsenkirchen, und andere Fußballvereine werden fol-

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gen. Im Stadion von Schalke 04 gibt es eine eigene Kapelle. Christentum und Fußball als Fast-Religion verbinden sich. Ein Jahr später richtete der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Berlin eine Gemeinschaftsgrabstätte für Mitglieder, Spender und Stifter ein (Abb. 15) und begründete dies so: »Gemeinschaftsgrabstätten gewinnen immer mehr an Bedeutung. Viele Menschen fürchteten nicht nur das Vergessenwerden, sondern auch, dass ihr Grab nicht gepflegt wird. Das gilt besonders für diejenigen, die keine Angehörigen haben, oder deren Kinder weit weg leben.« Dieses Beispiel wird erwähnt, um zu zeigen, dass sich der Wunsch nach einer gemeinschaftlichen Bestattung durch alle gesellschaftlichen Kreise zieht.

2014 war die Aufmerksamkeit der Medien bei der Eröffnung des ersten Lesbenfriedhofs in Berlin (Abb. 16) kaum weniger groß als bei der Einweihung des Grabfeldes für die Fans des HSV in Hamburg vor sechs Jahren. Es waren diesmal allerdings auch spöttische bis ablehnende Stimmen vor allem in den sozialen Netzwerken zu lesen, die Unverständnis zum Ausdruck brachten, dass nun ausgerechnet Lesben auch nach dem Tod männerfeindlich seien. Viele haben nicht verstanden, dass dieses bescheidene Areal auf dem evangelischen Friedhof Georgen-Parochial I am Prenzlauer Berg die konsequente Fortsetzung der Idee des inzwischen verbreiteten Clanfriedhofs ist, die mit den AIDS-Gemeinschaftsgräbern in den 1990er Jahren begonnen hatte. So führen eigene Lebensentwürfe zu eigenen Wünschen, auch in Bezug auf Sterben und Tod. Und überraschend kam der Lesbenfriedhof beileibe nicht. Emanzipierte Frauen hatten bereits 2001 den »Garten der Frauen« in Hamburg auf dem Ohlsdorfer Friedhof eingerichtet, oder es ist auf das Gräberfeld FrauenWohnen eG mit Namen »Schiefe Kiefer« auf dem Friedhof München-Riem zu verweisen (Abb. 17). 2008 war der erste schwule Friedhof in Kopenhagen eingeweiht worden. Schaut man sich sonst in der Szene um, so entstanden die Bedürfnisse nach stilgerechten Gaybestattungen ebenso wie nach schwulen Pflegeeinrichtungen und Hospizen. Schwule und Lesben zelebrieren mit dem Christopher Street Day ihre eigene Kultur, und dazu gehört mittlerweile auch eine eigene Trauerkultur, wenn am Vorabend des Welt-AIDS-Tages ein menschenreicher Trauermarsch in Erinnerung an die Toten aus den eigenen Reihen durch Berlin zieht und am Ende ein Kerzenmeer die AIDS-Schleife als Lichtskulptur inszeniert. 2014 fiel in der Bremer Bürgerschaft die Entscheidung, den Friedhofszwang fallenzulassen, zumindest unter bestimmten Voraussetzungen. Federführend waren Grüne Politiker/innen, die mit dem ureigenen Recht auf Selbstbestimmung argumentierten, das auch und gerade im Blick auf die Art und Weise der Bestattung Geltung haben müsse. Jedem müsse das Recht eingeräumt werden, seine Bestattung gemäß seinen Wünschen und Vorstellungen zu organisieren. Und dazu zähle etwa auch das Verstreuen der Asche im eigenen Garten. Ob dies der Weg in eine bessere Bestattungs- und Friedhofskultur ist, bleibt freilich umstritten. Wie das in den einzelnen Bundesländern jetzt und künftig

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gehandhabt wird, hängt nicht zuletzt vom politischen Farbenspiel ab. Fragt man die Menschen, so erwarten sie mehrheitlich eine größere Freiheit in Bestattungsangelegenheiten, selbst wenn sie diese gar nicht nutzen. Wichtiger scheint ihnen zu sein, die Freiheit des Handelns zu haben. Heftigen Widerspruch erfährt die Preisgabe des Friedhofszwangs dann nur von jenen, die ihr Auskommen auf dem Friedhof finden, von den Friedhofsbetreibern natürlich, die um ihre Monopole fürchten, sowie ebenfalls von den Kirchen. Ob ihre Vorbehalte allerdings theologisch motiviert sind oder der Tatsache geschuldet sind, dass sie selbst als Friedhofsbetreiber Einbußen befürchten, sei an dieser Stelle dahingestellt. Schon als mit den ersten Friedwäldern und Ruheforsten der Friedhofszwang partiell umgangen war und Bestatter/innen auf dem Umweg über das benachbarte Ausland die Urne auch nach Hause lieferten, war abzusehen, dass der deutsche Sonderweg eine Sackgasse sein würde. In einer globalisierten, zumindest europäischen Gemeinschaft setzen sich immer die liberaleren Lösungen durch, soweit die Gesellschaft dabei keinen Schaden nimmt. Unsere Nachbarländer kennen solche strengen Vorschriften nicht, während Deutschland den Verhältnissen in den Nachbarländern immer etwas hinterherhinkt. Dabei ist die Frage, ob der Friedhofszwang förderlich oder hinderlich ist für die Trauerkultur, durchaus unterschiedlich zu bewerten – je nach eigenem Standpunkt. Gesellschaftspolitisch ist seine Preisgabe nur erwartbar gewesen und konsequent. Wo der Gesetzgeber seinen Bürger/innen immer mehr Lasten und Verantwortung aufbürdet, auch etwa durch den Wegfall des Sterbegeldes, zeigt er sich in Dingen, die ihn wenig berühren, reichlich liberal. Nicht bedacht wird dabei, dass bei einer sinkenden Auslastung der Friedhöfe, die ein geringeres Gebührenaufkommen nach sich zieht, die Kosten auf weniger Nutzungsberechtigte verteilt werden müssen bzw. in absehbarer Zeit der Friedhof nur noch aus dem allgemeinen Haushalt und damit mit dem Geld der Steuerzahler finanziert werden muss.

2015 diskutiert der deutsche Bundestag über eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe mit dem Ziel, im Herbst des Jahres eine Lösung zu verabschieden. Während der Debatte am 2. Juli herrschte allerdings wie erwartet große Uneinigkeit: »Einige wollen die Suizid-Beihilfe generell verbieten, andere den Ärzten freie Hand lassen – Abgeordnete uneinig, ob Sterbehilfevereine verboten werden sollen oder nicht – Mehrere Politiker kritisieren Gewerbsmäßigkeit der Suizidhilfe.« Mit diesen Worten war die Debatte auf dem Liveticker von Focus Online zu verfolgen. Wenn man den Umfragen glauben darf, stehen vier Fünftel der Deutschen der Sterbehilfe aufgeschlossen gegenüber (ARD-Deutschlandtrend 2014). 67 Prozent sprechen sich dafür aus, in Deutschland die aktive Sterbehilfe für unheilbar kranke Menschen zu erlauben (Institut für Demoskopie Allensbach). Die Menschen haben gelernt, was Selbstbestimmung bedeutet. Die Protagonisten der Hospizbewegung, die mehrheitlich gegen die Sterbehilfe sind, müssen

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letztlich einsehen, dass ihnen die Forderung nach Selbstbestimmung am Lebensende zu verdanken ist. Mögen sie es anders und nicht so weitreichend gemeint haben, aber den Keim der Autonomie haben sie gelegt. Wahrscheinlich ist es so, dass auch künftig – wie auch immer das Gesetz ausfällt – die wenigsten Menschen von aktiver Sterbehilfe Gebrauch machen werden, aber es bewegt fast alle die Hoffnung, im Ernstfall ihrem Leiden nicht ausgeliefert zu sein. Wenn etwas die Veränderung der Sepulkralkultur entscheidend beeinflusst hat, dann ist es der Wunsch, das eigene Lebensende von der prämortalen bis zur posthumen Phase selbst gestalten zu können. 2015 ist noch ein Ereignis zu vermelden, das im Vergleich zur existentiellen Frage der Sterbehilfe eher banal erscheint, aber nicht weniger typisch ist. Seit längerer Zeit keimte der Wunsch vieler Tierliebhaber, mit ihrem geliebten Haustier gemeinsam bestattet zu werden. Lange hielten die Schranken, die solches Verlangen als pietätlos ablehnten und um die Vorrangstellung des Menschen als Krone der Schöpfung fürchteten. Es waren beileibe nicht nur Kirchenvertreter, die solchen Wünschen ablehnend gegenüberstanden, auch die kommunalen Friedhöfe wollten sich diesem Gedanken nicht öffnen. Aufhalten ließ sich die Entwicklung nicht, und im Juni des Jahres öffneten die ersten beiden Friedhöfe, die Herrchen bzw. Frauchen ein gemeinsames Grab mit ihrem geliebten Tier ermöglichen. Einmal mehr ist es in Gestalt der Deutschen Friedhofsgesellschaft ein privater Betreiber, der diesen Weg bahnt. »Unser Hafen« heißen die beiden ersten Friedhöfe in Essen und Braubach, auf denen sich Menschen gemeinsam mit ihrem Haustier bestatten lassen können (Abb. 18). Damit sind wir zwar am Ende unserer Zeitreise durch die Wandlungen der Sepulkralkultur angelangt, aber einen Schlusspunkt setzt die Tier-MenschBestattung nicht. Vielmehr werden die Veränderungsprozesse weitergehen, in denen die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen die Oberhand über bestehende Gesetze, Normen und Traditionen gewinnen werden. Zudem wird der Markt weiterhin diese Prozesse mit neuen Produkten und Dienstleistungen steuern, während die traditionellen Werteinstitutionen an Einfluss verlieren werden. Und mitten drin agiert der Mensch, der Trauernde, das Individuum, der Kunde auf einem Terrain, dessen vormals eng gesteckte Grenzen immer weiter verschoben werden. Eine Zusammenfassung macht deutlich, dass die Veränderungen in der Bestattungs- und Trauerkultur nicht monokausal zu erklären sind. Vielmehr sind es verschiedene Stränge, die teils parallel laufen, teils miteinander verwoben sind. Zunächst sind es die Stichworte Gestaltungsfreiheit, Selbstbestimmung und Autonomie, deren Grundsätze es erlauben, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche auch gegen traditionelle Regelungen und Verhaltensweisen durchzusetzen. Diese wiederum sind bestimmt von den persönlichen Voraussetzungen der handelnden Personen. Eine Bestattung kann für sie eine unumgängliche Notwendigkeit darstellen, der sie möglichst kostensparend gerecht werden wollen, oder ein tiefer emotionaler Einschnitt, den sie höchst individuell bewältigen

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wollen. Das Spektrum reicht von der Wahl der anonymen grünen Wiese bis zur Sicherung der Identität über den Tod hinaus. Dabei spielt die Konkurrenz der Weltanschauungen mittlerweile eine beachtliche Rolle. Befördert werden die Veränderungen durch die Demographie und die wachsende Mobilität ebenso wie durch die Veränderungen in den familiären Strukturen. Hinzu kommt die soziale Spreizung in der Gesellschaft. Ein wachsender Anteil der Bevölkerung kann sich die Kosten einer Bestattung nicht mehr leisten. Der Markt ist bestrebt, sich all diesen Veränderungen anzupassen, generiert stets neue Produkte und Dienstleistungen. Damit beeinflusst er zugleich das Bestattungsverhalten, indem er mit Angeboten eine Nachfrage weckt, die es vorher nicht gab. Für viele ist das Streben nach Ressourcenminimierung zum leitenden Motiv geworden, wiederum auf verschiedenen Ebenen. Es geht darum, Kosten zu reduzieren. Und dies ist oft verbunden mit der Entlastung von der Grabsorge. Schließlich entwickelt sich die Frage nach der ökologischen Nachhaltigkeit einer Bestattung immer mehr zum leitenden Kriterium. Angesichts dieser Entwicklung befindet sich die Politik in dem Dilemma, einerseits der Bedürfnisorientierung durch weitgehende Liberalisierungen zu begegnen, etwa auch im Hinblick auf Menschen mit Migrationshintergrund, und andererseits dennoch einen rechtlichen Rahmen für die Fragen um Sterben, Tod und Bestattung schaffen zu müssen. Die betroffenen Menschen besitzen nun bisher nicht gekannte Freiheiten, die einerseits individuelles Verhalten ermöglichen, andererseits zu Unsicherheit und sogar Fehlentscheidungen führen können.

Eine Schneise durch den aktuellen »Buch-Wald« Weiterführende Literatur für verschiedene Zielgruppen Corinna Schubert

Dieses Kapitel bietet einen Überblick über eine Reihe von aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Bestattung. Sie sind unterteilt in die Rubriken »Literatur für Seelsorger/innen«, »Literatur für Sterbende und Angehörige, die den Abschied bewusst gestalten wollen« und »Forschung«. Dabei folgt einer Inhaltsbeschreibung ein Fazit mit inhaltlichen Kommentaren und Empfehlungen für bestimmte Zielgruppen. In dem grauen Kasten finden sich jeweils die Stärken des Bandes im Überblick. 1 Zielgruppe: Seelsorger/innen Adrian Warzecha (Hg.), Du hast Worte ewigen Lebens. Neue Traueransprachen, 2 Schwabenverlag, Ostfildern 2013.

Dieser Band enthält knapp vierzig Traueransprachen und dazu passende Fürbitten unterschiedlicher Autoren mit katholischem Hintergrund. Die Ansprachen sind biblisch zentriert und legen Bilder und Worte Jesu aus den Evangelien aus. Zu jeder Ansprache ist eine mögliche Trauersituation genannt, wie z.B.: »Menschen, deren Lebenshoffnung noch nicht erfüllt war«, »Menschen mit langem Todeskampf«, »Menschen, die offene Fragen haben«, »Menschen, die resigniert haben« oder »Menschen, die viel Liebe geschenkt haben«. Ein Viertel der Ansprachen thematisieren Trauerfeiern zu bestimmten Zeiten im Kirchenjahr, bei denen die Verknüpfung mit der Biographie des Verstorbenen meistens etwas zurücktritt. Fazit: In weiten Teilen sind die Ansprachen sehr anregend. Die Beschäftigung mit Bibeltexten, die im Umfeld von Bestattungen eher ungewöhnlich sind, ermutigt dazu, nach passenden Bildern für das Leben und Sterben eines Menschen zu suchen. Da die gebotenen Texte nicht so sehr an konkrete Fälle angelehnt sind wie in vielen anderen Arbeitshilfen, können sie sehr leicht adaptiert

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werden. Die Ansprachen zu bestimmten Zeiten im Zahlreiche AnspraKirchenjahr bieten sich an, wenn nicht viel zur Biograchen phie der Verstorbenen bekannt ist und eher eine allBiblisch zentriert gemeine Predigt gehalten wird. Einige wenige AnspraEher allgemein chen, vor allem zu den Reich-Gottes-Gleichnissen, sind gehaltene Anspraexegetisch eher fragwürdig. Wenn das Gleichnis vom chen, die leicht zu Schatz im Acker dahingehend ausgelegt wird, dass der adaptieren sind Verstorbene sich einer Sache (etwa einem Hobby) ganz gewidmet hat, dann muss doch gefragt werden, ob dieses Gleichnis nicht diametral entgegen seiner ursprünglichen Aussageintention gebraucht wird. Da es sich hierbei aber nur um wenige Ansprachen handelt, ist der Band insgesamt dem Pfarrer, der nach neuen Impulsen für seine Bestattungsansprachen sucht, zu empfehlen. Hans Lachenmann / Jürgen Kegler (Hg.), Calwer Predigthilfen. Beerdigung. Sonderband, Calwer Verlag, Stuttgart 2000.

In diesem Sonderband der Calwer Predigthilfen werden charakteristische Bestattungskontexte exemplarisch behandelt: Tod im Alter, nach langer Krankheit, nach plötzlichem Körperversagen, nach Gewalteinwirkung, nach einem Unfall, infolge einer Drogensucht, durch Suizid, und Tod von Kindern und Jugendlichen und Obdachlosen. In den Abschnitten ist jeweils eine »Annäherung« an den besonderen Todesfall zu finden, in der zum Beispiel bedacht wird, welchen Lebensstil ein Mensch, der an einem Herzinfarkt gestorben ist, gehabt hat. Es werden Fragen nach dem Sinn des Leidens und nach etwaigen Schuldgefühlen bei Angehörigen thematisiert, oder es wird erläutert, was es für Angehörige bedeutet, wenn sie einen Menschen durch einen Unfalltod verloren haben: Die Kriminal- und Verkehrspolizei und die Staatsanwaltschaft ermitteln, es muss eventuell eine Autopsie durchgeführt werden, und bei all dem sind viele Behördengänge vonnöten. Durch die Hintergrundinformationen sowie Beschreibungen der eigenen Gefühle und Reaktionen nehmen die Autoren die Leserinnen und Leser dabei in eine sensible Suchbewegung für ein angemessenes Verstehen mit hinein. Es folgen ausführliche »Exegetische Überlegungen«, eine ausformulierte Predigt, sowie Vorschläge für Gebete und Lieder und weitere Literaturhinweise. Den Praxisentwürfen werden drei grundlegende Beiträge zum Thema Bestattung vorausgeschickt, die etwa ein Drittel des Bandes ausmachen. Gerhard Hennig nimmt die »Kasualien in einer sich wandelnden Volkskirche« in den Blick. Eine erste Beobachtung von ihm: Das Verhältnis vieler Menschen zur Kirche kann als »Kirche bei Gelegenheit« bezeichnet werden. Hennig fordert,

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diese Haltung zu respektieren und die Christen, die Kirche in dieser Weise in Anspruch nehmen, nicht als »Christen minderen Ranges« zu »denunzieren«. Gleichwohl bedürfe es neben einer »Kirche bei Gelegenheit« auch einer »Kirche in Stetigkeit«, die er vor allem in der parochialen Struktur gewährleistet sieht (151). Eine zweite Beobachtung und Problemanzeige bei Bestattungen: Wir haben es immer mehr mit einer »stummen Gemeinde« zu tun, die nicht mehr in der Lage ist, zu singen oder das Vaterunser zu sprechen. Eine dritte Beobachtung: Die seelsorgerliche Begleitung im Umfeld eines Trauerfalls kann nur noch als ein »verkürzter Weg« bezeichnet werden. Die dreißig Minuten auf dem Friedhof und das vorbereitende Gespräch können Hennig zufolge nicht als ausreichend bezeichnet werden. Er fordert deshalb, dass dem Pfarrer und der Pfarrerin wieder mehr Zeit für die Schwerpunkte Seelsorge, Katechumenat und Gottesdienst bleiben, auch wenn er die ehrenamtlichen Bemühungen nicht abwerten will (17). Im Blick auf die Bestattungsliturgie fordert er »Elemente der Wiedererkennbarkeit«, die nach seiner Ansicht schon an sich »ein Stück Seelsorge« darstellen (18). Und hinsichtlich der »stumme(n) Gemeinde« erinnert er an die Reformation als eine »Memorierbewegung«, die ihren »Sitz im Leben« im Sterbefall hatte (19). Er meint damit wohl, dass Menschen mit einem auswendig gelernten Repertoire an biblischen Texte oder Liedtexten sich in Krankheitszeiten, auf dem Sterbebett und in Trauerzeiten selbst und gegenseitig Seelsorge geben können. Mithilfe der Texte würden sie in ihrer Trauer sprachfähig und könnten zudem so auch aktiver an der Bestattungsliturgie partizipieren. In einem zweiten Beitrag nimmt Richard Mössinger den »Weg zum Trauergottesdienst« in den Blick und bedenkt grundlegende Aspekte: 1) die unterschiedlichen Gegebenheiten in der Stadt und auf dem Land, 2) die Bedeutung der seelsorgerlichen Begegnung mit Trauernden, die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit fordert und 3) den Weg von der Seelsorge zum Gottesdienst. Er betont darin, wie wichtig es ist, die Biographie des Verstorbenen zu würdigen, da dies persönliche Betroffenheit ermögliche. Mössinger wendet sich damit gegen eine »Form Barthscher Theologie«, die nur ein Bibelwort hin und her bewegt. Ein Durchgang durch die liturgischen Stücke, in denen Mössinger seine persönliche Praxis reflektiert, mündet in einem Abschnitt zu neuen Konventionen bei Bestattungen. »Schweren Herzens« habe er sich durchgerungen, diese individuellen Wünsche, die vor allem in der Stadt zunähmen, zu integrieren. Schließlich beschäftigt sich Eugen Wölfles Beitrag mit der Frage nach der »Bestattung von aus der Kirche Ausgetretenen«. Seine Zusammenstellung von rechtlichen Rahmenbedingungen sowie theologischen und seelsorgerlichen Überlegungen ist sehr hilfreich. Fazit: Der Band ist vor nunmehr fünfzehn Jahren erschienen. Die Autoren haben eine Ahnung davon, dass sich ein Wandel in der Bestattungskultur vollziehen wird, der – wie vor allem bei Mössinger – durch die Ausführungen zum Stadt-Land-Gefälle zum Ausdruck gebracht wird. Hennigs Position, die einen 1

Diese und die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf die jeweils besprochenen Bücher.

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neuen Schwerpunkt auf der Seelsorge, dem KatechuAusführliche Übermenat und dem Gottesdienst im pastoralen Dienst legungen zur fordert, ist prominent und sicherlich zu bedenken. Sein Trauersituation Plädoyer für eine Stetigkeit in den liturgischen ForAusführliche exegetische Überlemen, die auch eine Form von Seelsorge gewähren gungen könnte, ist als eine Form der »evangelischen ProvokaAusformulierte tion« gegenüber allen Individualisierungstendenzen zu Predigten bedenken. Dennoch ist immer abzuwägen, wo eine ProVorschläge für vokation angebracht und wo eine Anknüpfung hilfLieder und Gebete reich ist. Als die Lösung kann dieser Vorschlag deshalb Theologische, wohl nicht verstanden werden. Gleiches muss in Bezug seelsorgerliche auf sein Desiderat einer Wiederbelebung protestantiund rechtliche scher Memorierkultur gesagt werden, die zu einer gröÜberlegungen zum ßeren Kompetenz im Gottesdienst und zur SelbstseelThema »Bestatsorge führen soll. Dies ist vielleicht wünschenswert, tung von Ausgemuss aber wohl als realitätsfremd eingestuft werden. tretenen« Und gegenüber seiner Forderung nach einer »Kirche in Stetigkeit« in Form der parochialen Struktur muss gefragt werden, ob die Kontinuität der Kirche nicht vielmehr christologisch als strukturell zu begründen ist. Die Praxisentwürfe sind ungeachtet dieser Kritik durchaus sehr hilfreich. Da es sich insgesamt nur um zehn Entwürfe handelt, kann nicht von einer Materialsammlung gesprochen werden. Die Konzeption dieses Bandes zeichnet sich durch die ausführlichen Hinführungen und Vorüberlegungen aus, mithilfe derer eine Seelsorgerin sich (neu) für die durchaus komplexen Situationen, auf die sie im Kontakt mit Angehörigen trifft, sensibilisieren lassen kann. Diese werden dann in den exegetischen Überlegungen und schließlich der Ansprache und den Gebeten weitergeführt. Beate Kowalski (Hg.), Er wischt die Tränen ab von jedem Gesicht. Predigten und pastorale Hilfen für Begräbnisfeiern, Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2011.

Dieses Buch hat einen katholischen Hintergrund und nimmt die Situation von immer größer werdenden Seelsorgeeinheiten in den Blick, die der evangelischen Kirche allen Prognosen nach auch bevorsteht. Es wendet sich primär an pastorale Mitarbeiter/innen, die den Dienst des christlichen Begräbnisses unter den gegebenen kirchlich-strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen leisten. Zu den Hilfen gehören Predigtentwürfe und Vorschläge für alternative Begräbnis- oder Abschiedsfeiern mit christlicher Prägung, Bausteine für Gottesdienste und theologische Reflexionen für den Pro-

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zess der Trauerbegleitung, für Trauerfeiern bei anonymen Begräbnissen, beim Tod eines Kindes und nach dem Suizid eines Menschen. Einen weiten Blick auf die Phänomene und Herausforderungen im Kontext der Trauerbegleitung verspricht der Autorenkreis, der konfessionell gemischt ist, aus Haupt- und Ehrenamtlichen besteht und über den deutschen Sprachraum hinausgeht. Im ersten Teil werden ausformulierte Ansprachen geboten, die zum einen sehr konkret sind, zum anderen aber so häufige Situationen repräsentieren, dass die Predigten leicht adaptiert werden können. Als Beispiel findet sich eine Ansprache zum Tod einer pensionierten Religionslehrerin, eines Heimatvertriebenen, einer gläubigen und einer kirchlich distanzierten Krebspatientin, einer verunglückten Studentin und einer liebevollen Mutter. Daneben werden zudem Beispiele für »Extremfälle« wie der Tod eines Kindes oder die Bestattung eines Jugendlichen nach einem Suizid besprochen. Der zweite Teil bietet eine Fülle von Predigtanregungen. Beate Kowalski entfaltet zunächst Beobachtungen und Überlegungen zu den Schriftlesungen für Begräbnisfeiern. Dabei plädiert sie dafür, auf vertraute Texte zurückzugreifen, die bei den Hörern z.B. noch aus der Schulzeit bekannt sind. Denn in der Trauersituation an sich seien schon genug Fremdheitsgefühle enthalten. »Bei der Auswahl unbekannter Lesungen kann bei Kirchenfernstehenden der Eindruck entstehen, als ob sich alles in der Kirche seit ihren Kindertagen geändert habe und nicht einmal mehr die Kirche Heimat und Geborgenheit zu vermitteln vermag.« (60f.) Unter dieser Prämisse würde die Auswahl der Texte sich wohl auf sehr wenige Bespiele reduzieren. Dennoch bietet die Autorin unter dem Vorzeichen, dass es eine Verbindung zum Leben des Verstorbenen geben sollte, eine Fülle von möglichen Lesungstexten. Einige Beispiele nimmt sie unter der Überschrift »Exegetische Erschließung und Anregungen für die Predigt« auf. So entfaltet sie etwa die Josefsgeschichte als eine Familiengeschichte, in der es um Eifersucht, aber auch um einen Reifungsprozess im familiären Zusammenleben geht. Unter der Überschrift »Gottesdienstentwürfe« wird ein möglicher Ablauf für einen ökumenischen Gottesdienst für »Unbedachte«vorgestellt, also für Menschen, die ohne die Beteiligung von Angehörigen beigesetzt wurden. Des Weiteren finden sich hier einzelne wenige Bausteine wie Meditationen zu Ps 23, 33 und 103 sowie einige Fürbitten, die an Beispiele aus den Predigtentwürfen anknüpfen. Besonders beachtenswert sind noch einmal die Ausführungen im letzten Kapitel, das zum einen theologische Reflexionen zum »Gottesdienst für Unbedachte« entfaltet und zum anderen eine Übersicht enthält, was im Falle des Todes eines Kindes mit den erwachsenen Hinterbliebenen zu bedenken ist und wie die Begegnung mit trauernden Kindern und mit Angehörigen nach einem Suizid zu gestalten ist. Fazit: Dieses Buch hat einen hohen Praxiswert. Es beinhaltet theologische Grundsatzüberlegungen, kann aber auch einfach kurz zur Hand genommen und überflogen werden, wenn nach einer geeigneten Bibelstelle für einen konkreten

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Fall gesucht wird. Es kann außerdem der inneren VorAnsprachen zu bereitung auf ein Gespräch dienen, in dem es um den konkreten, repräsentativen Fällen Tod eines Kindes, um einen Suizid oder um eine Begegnung mit trauernden Kindern geht. Zahlreiche Predigtanregungen Eine Anmerkung zum Thema »Anknüpfung« sei (auch) zu Bibelnoch gemacht. Beate Kowalski fordert, wie oben zitiert, texten, die bei Bedass man sich auf die Auswahl vertrauter Bibeltexte stattungen eher beschränken sollte. Da aber die Kenntnis biblischer Texselten verwendet te und Traditionen immer mehr abnimmt, sollte meines werden Erachtens darüber hinaus gedacht werden. Im GeReflexionen zum spräch mit den Hinterbliebenen kann zum einen herThema »Tod eines ausgefunden werden, wo die Anknüpfung an VertrauKindes« und tes für diese eine seelsorgerliche Hilfestellung bietet. »Trauer von KinZum anderen kann aber auch ein bisher unbekannter dern« Text angeboten werden, der das Leben des Verstorbenen auf unerwartete Weise zu deuten vermag. Anregungen bietet dieser besprochene Band dafür reichlich, der darum für die pfarramtliche Praxis ohne Einschränkungen zu empfehlen ist. Ulrike Voigt (Hg.), Trauer und Abschied. Das große Werkbuch für Gottesdienst und Gemeinde, Schwabenverlag, Stuttgart 2010.

Das Werkbuch will Anregungen für Situationen bieten, in denen auch »geübten Trauerbegleitern« oft die Worte fehlen (10). Dazu wurden zahlreiche Beiträge von unterschiedlichen Autoren zusammengetragen, die Bezug nehmen auf das Sterben und den Tod in verschiedenen Lebensphasen oder Situationen, auf das Kirchenjahr, auf Jahrestage und Anlässe wie Katastrophen, den Volkstrauertag oder den 9. November. Dem Praxisteil vorgeschoben sind drei Aufsätze zum Umgang mit Trauer, Abschied und Tod. Hervorzuheben ist hier der Beitrag von Karin Kiworr zur »Kommunikation im Angesicht des Todes«. Sie zeigt auf, wie sich die Sprache von Sterbenden verändert: Sterbende sprechen häufig in bildhafter Sprache, vermischen Realität und Irrealität oder geraten in Verwirrtheitszustände; sie sind manchmal nur noch zu nonverbaler Kommunikation fähig und dabei offen für Rituale und Gebet. Die Autorin zeigt an Beispielen auf, wie manche Bilder für Ungeklärtes im Leben oder für Schuld stehen können, und sie gibt hilfreiche Hinweise, wie die »Gesprächsimpulse« der Sterbenden aufgenommen und weitergeführt werden können. Anton Seeberger widmet sich in einem weiteren Beitrag den Veränderungen im Bestattungswesen. Sein Fazit ist, dass das Bestattungswesen heute »vielfältig«, »kreativ« und »lukrativ« ist. Die Kirche müsse sich darauf einstellen, dass sie mit ihrem rituellen Angebot nur

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ein Anbieter unter vielen anderen ist. Deshalb fordert er: »Es ist höchste Zeit, sich in diesen kreativen Prozess einzubringen, indem wir den Reichtum unserer Möglichkeiten mit allen anderen am Bestattungswesen Beteiligten kommunizieren. Tun wir es nicht, werden die Bestattungsinstitute das Terrain vollends besetzen. Sie tun es heute schon oft einfühlsamer, kreativer, authentischer und – sage und schreibe – mitunter sogar frömmer als mancher kirchliche Amtsträger!« (26) Konkret schlägt er vor, dass die Kirche flexibler reagieren könnte angesichts der strengen Zeitpläne auf Friedhöfen: »Warum erfinden wir nicht Möglichkeiten, die Toten in unseren Kirchen aufzubahren, möglicherweise in einer Seitenkapelle? Warum halten wir die Trauerfeiern vor der Kremation nicht in unseren Kirchen? […] Warum bringen wir den Sarg oder die Urne eines Verstorbenen nicht in die werktägliche Abendmesse, um des Verstorbenen zu gedenken und seine Angehörigen zu begleiten? In unseren eigenen Räumen könnten Trauerfeiern auch nach Feierabend oder auch am Samstag durchgeführt werden.« (26) Die erste Rubrik der Ansprachen und Entwürfe widmet sich dem Thema »Beerdigung und Trauerfeiern im Kirchenjahr«. Es wird entweder auf Bibeltexte oder traditionelle Kirchenlieder Bezug genommen. Anders als im Band von Adrian Warzecha, wo die Anknüpfung an das Kirchenjahr sehr niederschwellig und allgemeinverständlich ist, stehen den Autoren dieser Entwürfe wohl stark kirchlich sozialisierte Trauergemeinden vor Augen. Das wiederholte Anführen und Auslegen von lateinischen Zitaten grenzt die Zielgruppe zudem auf Zuhörer aus dem konservativ-etablierten Milieu ein. Die zweite Rubrik bilden »Trauerfeiern für Verstorbene verschiedenen Alters«, angefangen vom Tod kurz nach der Geburt bis hin zum Tod in »gesegnetem Alter«. Bei den Ansprachen stehen in der Regel Symbole oder ein »Lebensbild« im Zentrum. Vereinzelt werden Vorschläge für Symbolhandlungen gemacht. Die Qualität der Ansprachen ist unterschiedlich, manche sind trotz der Schwere des »Falles« sowohl seelsorgerlich als auch theologisch stark, andere dagegen wirken etwas hilflos. Aus Milieuperspektive ist eine größere Vielfalt geboten als in Beitrag zur »Komder ersten Kategorie. Die dritte Rubrik bilden »Trauermunikation von feiern für besondere Sterbesituationen«. Zum Beispiel Sterbenden« geht es darin um einen HIV-positiven Mann, eine psyBeitrag zu »Veränchisch Kranke, einen Suizid im Alter wegen Einsamderungen im Bekeit, den Tod bei einer Operation oder den Tod eines stattungswesen« Unbekannten. Die vierte Rubrik bilden »Besondere Vielfältige Zugänge Abschiedsrituale«. Hier werden Vorschläge gemacht zur Gestaltung der für ein Ritual bei einer Katastrophe, eine Trauerfeier an Trauerfeier Ansprachen zu einer Schule für den verstorbenen Rektor und kurze Symbolen und Liturgien für eine Aussegnung am Totenbett, eine An»Lebensbildern« dacht zur Aufbahrung oder eine Urnenbeisetzung mit Beiliegende CDoder ohne kirchliche Beauftragte. In der Regel finden ROM mit allen sich hier kurze Ansprachen und Gebete und vereinzelt Texten Vorschläge für Symbolhandlungen. Die fünfte Rubrik

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bilden schließlich »Rituale zum Jahresgedächtnis / an den Gedenktagen für verstorbene Angehörige«. Hier nimmt die Herausgeberin des Werkbuchs auch die Zeit nach der Trauerfeier in den Blick – ein Unterschied zu vielen anderen Materialhilfen. Fazit: Der Herausgeberin des Werkbuchs gelingt es, eine Vielzahl von Zugängen zu präsentieren, aus denen die Seelsorgerin auswählen kann, um so einen geeigneten Anknüpfungspunkt für ihren konkreten Fall zu finden. Da der Schwerpunkt – auch in dem Kapitel »Besondere Abschiedsrituale« – aber auf den Ansprachen liegt, bleibt in diesem Buch noch etwas Luft nach oben, was den »kreativen Prozess« angeht, den Anton Seeberger sich in seinem einleitenden Kapitel wünscht. Das Register am Ende des Buches und die beigefügte CDROM mit allen Texten sind praktische Hilfsmittel zur individuellen Arbeit mit dem Gebotenen. Georg Schwikart, Praxisbuch Trauerfeier, Patmos Verlag, Mannheim 2010.

Das Praxisbuch ist ein Ratgeber für alle, die Trauerfeiern zu gestalten haben. Das erste Drittel des Buches dürfte vor allem für diejenigen interessant sein, die noch keine Routine entwickelt haben. Ihnen bietet ein erster Überblick über die Rahmenbedingungen Antworten auf die Fragen, was eine Trauerfeier »leisten« kann, welche Formen der Bestattung es gibt, an welchen Orten gefeiert werden kann und wer die Akteure einer Trauerfeier sind. Ein zweiter Teil bietet Hilfestellungen zur inhaltlichen Vorbereitung. Darin enthalten sind Hinweise zum liturgischen Verhalten auf dem Friedhof, aber auch eine Checkliste für das Trauergespräch, grundlegende Hinweise zur Gestaltung der Ansprache und Erklärungen zu den möglichen Elementen einer Trauerfeier. Ein Kapitel »Gottesund Jenseitsglaube« beschreibt das Proprium kirchlicher Bestattungen, erläutert die Bedeutung von christlichen Symbolen und nennt Fragen, die bei Trauerfeiern für Verstorbene aus nicht-christlichen Kulturen bedacht werden müssen. Schließlich gibt Schwikart noch Hinweise im Blick auf Musik, Schweigen, Kleidung und Kinder bei einer Trauerfeier. Dieser grundlegenden praktischen Einführung folgt eine große Text- und Musiksammlung. Es handelt sich dabei um Sinnsprüche, Gedichte und Erzählungen aus verschiedenen Religionen, aus der Literatur und Dichtung, die der Autor den Kategorien »Mit der Endlichkeit versöhnen«, »Vom schmerzlichen Abschied«, »Ausblick ins Leben« und »Getragen vom Vertrauen« zugeordnet hat. Die Musikvorschläge enthalten Stücke aus Klassik, Popmusik und aus religiösem Liedgut.

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Ein letzter Teil enthält sieben Entwürfe zu konkreten Fällen, wie sie auch in vielen anderen Praxisbüchern zu finden sind. Einige Vorschläge beschränken sich auf die Ansprache, wogegen bei anderen alle liturgischen Elemente ausgeführt werden. Fazit: Georg Schwikart, der mit Fritz Roth das unten ebenfalls besprochene Buch »Nimm den Tod persönlich« herausgegeben hat, wirbt für einen kreativen Umgang mit dem Trauerprozess. Wer dies weiß, würde in dem vorliegenden Band vielleicht mehr ungewöhnliche Elemente erwarten. In weiten Teilen lehnt er sich aber an Traditionen und Konventionen an und hebt auch immer wieder hervor, dass die vertrauten Elemente Halt in der Trauer geben können. Auch ein vertrauter Trauergottesdienst nach Agende gehöre dazu und bringe zudem die Einheit der Kirche zum Ausdruck. Dennoch, so gibt Schwikart zu bedenken, sind viele nicht mehr mit den Traditionen vertraut, und somit werden sie auch nicht per se als hilfreich empfunden. Deshalb wirbt er für eine behutsame Anpassung an die individuelle Situation. Als Ausdruck Einführung in die dieser behutsamen Anpassung kann die umfangreiche Bestattungspraxis Text- und Musikauswahl verstanden werden. Dieses Text- und MusikBuch sei deshalb all denen zu empfehlen, die den Weg sammlung einer Anpassung an sich wandelnde Konventionen Einige konkrete, gehen wollen, ohne das Vertraute einfach hinter sich zu ausformulierte lassen. Daneben ist es, wie bereits erwähnt, für alle zu Entwürfe empfehlen, die sich als Vikarin, Prädikanten oder freie Zwischen Tradition Rednerin auf dem Feld der Bestattung einarbeiten wolund neuen Wegen len. Ihnen werden Checklisten und viele grundlegende Überlegungen an die Hand gegeben. Lutz Friedrichs (Hg.), Bestattung – Anregungen für eine innovative Praxis, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013.

Bewegt von den Umbrüchen in der Bestattungskultur und überzeugt davon, dass die Bestattung eine Stärke der evangelischen Kirche ist, hat sich der Herausgeber dieses Bandes, Lutz Friedrichs, auf die Suche nach anregenden Materialien gemacht. Unter anderem hat er dabei andere Orte der Bestattung, neue Formen von Trauerfeiern, einen kreativen Umgang mit »Lieblingsliedern« der Verstorbenen und biographisch ausgerichtete Predigten, die das Evangelium in »tastender Gewissheit« weitergeben, im Sinn. Im dritten Teil des Buches hat er Bestattungsansprachen zusammengetragen, unter denen sich z.B. eine Predigt findet, die die Lieder »I did it my way« und »Befiehl du deine Wege« miteinander ins Gespräch bringt. Ein anderer Entwurf ent-

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stand anlässlich der Bestattung eines katholischen Mannes in einem Friedwald durch einen evangelischen Geistlichen, weil der katholische Kollege eine derartige Bestattung abgelehnt hatte. Alle Entwürfe enthalten eine ausführliche Situationsbeschreibung mit weiterführenden Überlegungen und entsprechende Ansprachen, die sich jeweils durch eine besondere individuelle Zuspitzung auszeichnen. Der zweite Teil enthält zunächst »Anregungen für Beiträge zum Trauergottesdienste«. Unter dieser Überschrift werden Wandel in der Bepraktische Erwägungen zum Umgang mit Urnen, aber stattungskultur auch liturgische Abläufe und Textentwürfe zu »ungeExemplarische wöhnlichen Situationen« dargeboten. Z.B. findet sich Fallbeschreihier ein Ablauf für eine Trauerandacht für Angehörige bungen mit Reflevon Verstorbenen, die eine anonyme Bestattung gexionen wünscht haben. Ein weiteres Beispiel ist die BeschreiReflexionen zum bung von einer Urnenbeisetzung, bei der der demenzThema »Musik bei kranke Witwer der einzige Anwesende ist. Ihre Stärke Bestattungen« haben diese Beispiele darin, dass sie den Leser mitKreative Anspranehmen in ihrem Ringen um eine angemessene Trauchen zu beliebten erfeier. Des Weiteren enthält dieser Abschnitt eine Liedern Sammlung von liturgischen Stücken, z.B. mit einem Praktische HilfeGebet für Kinder auf dem Friedhof, und schließlich stellungen für »besondere SituaÜberlegungen zu aktuellen Trends in der Bestattungstionen« musik. Hier wie bei den Praxisbeispielen wird deutlich, wie stark inzwischen der Einfluss nichtkirchlicher Musik auf die Gestaltung der Trauergottesdienste ist. »Sie wird primär mit dem Anliegen integriert, biographische Individualität im Horizont des christlichen Glaubens zu würdigen.« (32) Die theologische Grundlegung für Chancen und Grenzen neuerer Entwicklungen bietet der erste Teil. Unter den Stichworten »Pluralisierung, Ökonomisierung, Ästhetisierung« werden die aktuellen Herausforderungen analysiert. Es folgen historische Betrachtungen zum Wandel in der Bestattungskultur. Die Überschrift zu dem Abschnitt knüpft an eine revolutionäre Aussage Luthers an, der auf dem Hintergrund von Hygienefragen im Zusammenhang mit der Pest auf die Frage nach dem Begräbnisplatz recht pragmatisch antwortet – es sei ohne Belang, ob Tote »ynn der Elbe oder ymm walde« begraben werden (22f.). Als Konsequenzen für die Bestattungspraxis fordert Lutz Friedrichs deshalb: 1) auf andere Orte zugehen, 2) sich neuen Formen öffnen, 3) Erlebnisdichte fördern, 4) in tastender Gewissheit reden, 5) Musik als Lebenshilfe begreifen – dies aber alles unter dem Vorzeichen, dass evangelische Grundsätze erkennbar bleiben und die Art und Weise, wie Kirche mit den Verstorbenen umgeht, als Impuls in die Gesellschaft hineinwirkt. Fazit: Dieses Buch ist ein Muss für alle, die sich mit den neuen Trends in der Bestattungskultur theologisch auseinandersetzen wollen, freilich nicht wissenschaft-

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lich forschend, sondern immer mit dem Blick auf die Bestattungspraxis. Zudem werden für den Umgang und die Umsetzung hilfreiche Praxisbeispiele geboten. 2 Zielgruppe: Sterbende und Angehörige, die den Abschied bewusst gestalten wollen Frank Maibaum, Das Abschiedsbuch. Trost erfahren – Trost spenden – Die Trauerfeier gestalten, J.F. Steinkopf Verlag, Kiel, zweite überarbeitete Auflage 2015.

Das Buch wendet sich an Trauernde und Menschen, die sich mit dem Sterben auseinandersetzen. Ihnen soll es eine Hilfe bei der Planung der Bestattungszeremonie sein und sie ermutigen, sich an der Trauerfeier aktiv zu beteiligen. In Vorüberlegungen zeigt der Autor verschiedene Bestattungsmöglichkeiten auf, die sich primär auf den Ort der Trauerfeier beziehen; er bietet eine Checkliste für das Trauergespräch an und gibt Hinweise zur musikalischen Gestaltung. Der erste Hauptteil des Buches enthält eine genaue Erklärung des Ablaufs, angefangen beim Glockengeläut bis hin zu »Geleit und Grablegung als eigene Andacht«. Enthalten in diesem Teil sind auch Vorschläge für Symbolhandlungen, die nicht in den Agenden vorkommen. Im zweiten Hauptteil bietet der Autor Geschichten, Gedichte, Gebete, Sprüche sowie Bibelverse. Er stellt beliebte Trauerüberschriften zusammen und Worte, die Hinterbliebene einer verstorbenen Person nachrufen können. Diese Sammlung kann aber ebenso für Pfarrer interessant sein, die einen passenden Text suchen. Besonders sei auf die Lesetexte zu aktuell beliebten Bestattungsliedern hingewiesen. Der Autor bietet deutsche Texte zu englischen Liedern wie »Tears in Heaven«, »Memory«, »My Way« oder »Over the rainbow« an. Dabei handelt es sich nicht um wörtliche Übersetzungen, sondern um Übertragungen, die von dem Original inspiriert sind. Sie können als voiceover gelesen werden, wenn nur die Melodie des Originals erklingt, nach dem Hören des Orginals oder zwischen dem Singen von einzelnen Liedversen, etwa von »Amazing Grace«. Für Laien

Fazit: Für den Laien, der aktiv eine christliche Bestattung planen will, ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen. Für Pfarrer ist die Textsammlung ebenfalls sehr interessant. Sie seien aber auch auf die website www.abschiedstrauer.de verwiesen, auf der viel Material aus dem Buch zu finden ist. Es lohnt sich aber, dieses Buch auf jeden Fall im Regal zu haben, um es inte-

Hilfe zum Verständnis und zur Gestaltung einer Trauerfeier von A bis Z Große Text- und Liedsammlung

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ressierten Gemeindegliedern auszuleihen. Darüber hinaus könnte man mithilfe dieses Buches einen Informationsabend in der Gemeinde zum Thema veranstalten und damit zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem »Fall der Fälle« anregen. Fritz Roth / Georg Schwikart, Nimm den Tod persönlich: Praktische Anregungen für einen individuellen Abschied, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009.

Fritz Roth war Bestatter und Trauerbegleiter. Er hat sich leidenschaftlich für einen anderen Umgang mit Tod und Trauer eingesetzt und wurde dafür auf der einen Seite vielfach ausgezeichnet, auf der anderen Seite von Kollegen aber als Enfant terrible verschrien. Das Zentrum seiner Arbeit bildet das »Haus der menschlichen Begleitung« in Bergisch Gladbach, das eher einem Landhotel als einem Bestattungsinstitut ähnelt. Hier finden sich die »Private Trauer Akademie«, die »Villa Trauerbunt« für trauernde Kinder, die Gärten der Übergänge und Deutschlands erster rein privater Urnenfriedhof. Zusammen mit Georg Schwikart, Religionswissenschaftler und Theologe, hat er diesen Band herausgegeben. Der Band versammelt zahlreiche Antworten unterschiedlicher Praktiker auf die Frage, wie die Zeit zwischen Tod und Beerdigung individuell gestaltet werden kann. Alles, was nach dem Tod eines Menschen getan werden kann, wird hier ausführlich und konkret erläutert: von der Versorgung des Leichnams über das Formulieren und Verschicken der Todesanzeige, dem Aussuchen und individuellen Gestalten von Sarg oder Urne bis hin zu einer passenden Trauerfloristik. Neben der Neugestaltung von traditionellen Elementen finden sich aber auch eher unbekannte und ungewöhnliche Ideen und Anregungen, wie die Formung einer Totenmaske, die professionelle Fotografie von Verstorbenen, die Erstellung eines »Lebensfilms« und die Aufführung eines »Lebenstanzes« auf der Trauerfeier. Fazit: Fürs Erste ist mancher Vorschlag sicherlich gewöhnungsbedürftig. Mit der Milieubrille gelesen kann das Buch aber ein Augenöffner für aktuelle und kommende Entwicklungen sein. So wurden auch viele Vorschläge in den Praxisteil dieses Buches aufgenommen und den einzelnen Kreative Ideen zur Milieus zugeordnet. Wer mehr an der Reflexion der Gestaltung der Veränderungen im Bestattungswesen von Fritz Roth Zeit zwischen Tod interessiert ist, sei auf Buch »Das letzte Hemd ist und Beerdigung bunt. Die neue Freiheit in der Sterbekultur« von ihm verwiesen.

Eine Schneise durch den aktuellen »Buch-Wald«

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Nicole Rinder / Florian Rauch, Das letzte Fest. Neue Wege und heilsame Rituale in der Zeit der Trauer, Irisiana, München 2012.

Dieses Buch steht exemplarisch für ein wachsendes Angebot zum Thema Bestattung im Ratgeberbereich. Die Autoren sind Bestatter und wollen »neue ganzheitliche und überkonfessionelle Ansätze« bieten, um die Zeit der Trauer zu gestalten. Sie werben besonders darum, bewusst vom (Leib des) Toten Abschied zu nehmen, da dadurch eine entscheidende Grundlage für den gesamten Trauerprozess gelegt würde. Sie ermutigen dazu, diese Zeit individuell zu gestalten und dazu etwa alte Traditionen wie das eigenhändige Waschen und Ankleiden des Verstorbenen oder die Aufbahrung im eigenen Haus wieder zu entdecken. Daneben nennen sie als mögliche Rituale das Bemalen des Sarges, das Gestalten von Sargbeigaben und das Schließen des Sarges. Die Autoren verstehen sich nicht nur als Bestatter, sondern auch als Trauerbegleiter, die z.B. Trauergruppen anbieten oder Feiern zu Jahrestagen veranstalten. Damit stehen sie für eine wachsende Gruppe von Bestattern, die zunehmend Aufgaben übernehmen, die klassischerweise in der christlichen Seelsorge zu verorten sind. Fazit: Dieses konkrete Buch muss man als Pfarrerin Überkonfessionicht gelesen haben. Es kann aber horizonterweiternd nelle Hilfestellunsein, einmal in der Ratgeberecke einer Buchhandlung gen zur bewussten in derartiger Literatur zu blättern, um einen Eindruck Gestaltung des Abschieds davon zu bekommen, was sich fernab von kirchlichem Bestattungsdienst entwickelt. Denn die Anzahl der Veröffentlichungen von Ratgebern für den Trauerfall und von Anleitungen zur Gestaltung von (nichtkirchlichen) Trauerfeiern und Trauergruppen ist in den letzten Jahren immens gestiegen. 3 Forschung Julia Schäfer, Tod und Trauerrituale in der modernen Gesellschaft. Perspektiven einer alternativen Trauerund Bestattungskultur, ibidem-Verlag, Stuttgart, zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage 2011.

Julia Schäfer ist Soziologin und Kulturwissenschaftlerin, Bestatterin und Trauerbegleiterin. Die Forschungsarbeit ist zunächst rein theoretisch entstanden und dann nach einigen Jahren Praxiserfahrung noch einmal überarbeitet worden.

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Die Arbeit ist gegliedert in eine Grundlegung, eine Reflexion von Praxisfeldern und in Schlussbetrachtungen. Die Grundlegung beschäftigt sich mit der »These der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes«, mit der »Trauer zwischen Normierung und Individualisierung« und der Klärung des Ritualbegriffs. Als Praxisfelder werden unter ritualtheoretischen Aspekten folgende Bereiche berücksichtigt: das Bestattungsrecht und die Rolle von Bestattern im Übergangsritual, etwa bei der hygienischen Versorgung, der Hausaufbahrung und der Einbindung von Angehörigen. Die Trauerrituale werden dabei einerseits als strukturierende und sinngebende Handlungen beschrieben, andererseits als Traditionen, die als starr und sinnentleert empfunden werden. Mögliche Alternativen einer sich weiter entwickelnden Trauer- und Bestattungskultur werden dann im folgenden Kapitel vorgestellt. Thematisiert werden hier: Veränderungen im Umgang mit dem frühen Tod eines Kindes, der Einfluss der HospizBewegung, Abschiedsformen in der Aids-Bewegung, Einflüsse verschiedener Religionen, frauenspezifische Ansätze, progressive Bestattungsunternehmen und unabhängige Organisationen und virtuelle Gedenkstätten und Trauerforen. Schäfer deutet diese Entwicklungen als ein gutes Zeichen im Kampf gegen die Verdrängung von Tod und Trauer. Eine Re-Ritualisierung im Trauerprozess, auf die sonst vielfach gehofft wird, hält sie für wenig erfolgversprechend bzw. für fragwürdig, wenn sie als gesteuerte Maßnahme begriffen wird. Aber aus mutigen Impulsen einzelner Initiativen, Unternehmen und Betroffener, aus einem öffentlichen Diskurs und dem Veränderungswunsch Einzelner erwachsen derzeit wesentliche Entwicklungsprozesse in der Trauer- und Bestattungskultur, so Schäfers Resümee. Während dieses Fazit der Arbeit optimistisch bis überschwänglich im Blick auf die Etablierung neuer kreativer Formen klingt, sei hier noch auf das Vorwort zur Neuauflage hingewiesen, die nach mehreren Jahren in der Praxis herausgegeben wurde. Darin betont sie, dass die – teilweise widersprüchlichen – Tendenzen sich zunehmend verstärken: Zum einen werden Tod und Trauer immer mehr anonymisiert, auf der Wissenschaftliche anderen Seite werden individualisierte Formen des AbReflexionen aus schieds stärker. Letztere sind aber in der Regel durch der Zeit der ersten den Prozess der Professionalisierung begleitet. D.h., man Umbruchsphase lässt die Trauerfeier individueller gestalten, ist aber nicht im Bestattungsdaran interessiert, selbst aktiver zu werden, etwa bei der wesen Versorgung und Einbettung des Leichnams. Daher hält Aktualisierung in die Verfasserin im Blick auf die aktuellen Entwicklunder Neuauflage gen fest: »Insofern gibt es zwar viel Wissen, innovative mit BerückIdeen und auch bereits neue Praktiken. Ob sie in breisichtigung der Weiterentwicklung terer Form umgesetzt werden und ihren festen Platz in der letzten Jahrder Gesellschaft finden, ist jedoch noch ungewiss (9).« zehnte Es sei noch erwähnt, dass Schäfer den Prozess als zuInsgesamt eine nehmende Distanzierung von kirchlichen Traditionen Herausforderung versteht. In diesem Zusammenhang zitiert sie Martina für kirchliche Praxis Görke-Sauer: »Immer mehr Menschen möchten beim

Eine Schneise durch den aktuellen »Buch-Wald«

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Abschied ganz individuell trauern und von ›ihrem Verstorbenen‹ hören und nicht von einem Mann, der vor mehr als 2000 Jahren gestorben ist und für ihr Leben keine Bedeutung mehr hat. Im ganz persönlichen Abschiedszeremoniell wird der Mensch nicht mehr als Teil der (christlichen) Gemeinschaft empfunden, sondern steht als Individuum im Mittelpunkt der Trauer« (151). Eine positive Rolle der Kirchen im Veränderungsprozess scheint sie nicht im Blick zu haben. Damit ist wohl die aktuelle Herausforderung für die kirchliche Bestattung auf den Punkt gebracht, nämlich einen angemessenen Weg zu finden, das Individuum zu würdigen und gleichzeitig das Evangelium profiliert zur Sprache zu bringen. 4 Abschlussbemerkungen Es gibt auf dem Buchmarkt einen wachsenden Anteil an Literatur zu Fragen der Gestaltung von Trauerzeit und Bestattung, die sich an sogenannte Laien richtet. Hier zeigt sich, dass immer mehr Menschen daran Interesse haben, das Angebot im Bereich Trauer und Bestattung auszuloten. Sie verlassen sich dabei keineswegs mehr ausschließlich auf Pfarrer und Bestatter als die traditionellen Profis. Letztere unterstützen die so suchenden Menschen aber vermehrt in diesem Bestreben; sie beflügeln mit ihrem ausdifferenzierten Angebot diese Entwicklungen. Von Seiten der Pfarrerinnen gibt es meines Erachtens eher noch eine Zurückhaltung im Blick auf die (kreative) Gestaltung von Trauerfeiern durch die Angehörigen. Eine Ausnahme bilden die Liedwünsche aus dem säkularen Bereich, die zunehmend mehr oder weniger selbstverständlich berücksichtigt werden. Viele Pfarrerinnen haben hier – immer noch – eine innere Abwehrhaltung und tun sich schwer, diese produktiv zu verarbeiten und zu integrieren.2 An Praxishilfen für Pfarrerinnen, besonders mit Materialsammlungen für Ansprachen, mangelt es nicht. Wer auf der Suche nach Anregungen für Bestattungspredigten und Impulse für die Gestaltung einer Trauerfeier ist, dürfte in der vorgestellten Literatur fündig werden. Es finden sich darin sowohl eher traditionell orientierte Entwürfe wie auch solche, die auf eine sich immer weiter ausdifferenzierende Bestattungspraxis antworten. Viele enthalten zudem tiefgehende seelsorgerliche und theologische Reflexionen zur jeweiligen (Trauer)Situation, einige thematisieren speziell den Wandel in der Bestattungspraxis. Die Auswahl der Ansprachen ist in vielen Fällen am Lebensalter oder an der Todesart orientiert. Ein Zugang über Milieus ist bisher nicht zu finden. Damit wählt der vorliegende Band einen völlig neuen Weg, indem er die gesellschaftliche Schicht und Mentalität des Verstorbenen berücksichtigt. Die hier besprochenen Literatur wurde unter diesem Blickwinkel ausgewertet und wo möglich einzelnen Milieus zugeordnet. Entsprechende Hinweise sind im Praxisteil dieses Buches zu finden. 2

Hervorzuheben ist in diesem Kontext deshalb besonders der besprochene Beitrag von Frank Maibaum, der gerade für diejenigen konzipiert ist, die selber die (kirchliche) Bestattung aktiv gestalten wollen.

Milieus, Megatrends und Mentalitäten Beobachtungen zur Ausdifferenzierung der Bestattungskultur Heinzpeter Hempelmann

These 1 Die Unterscheidung von sozialer Lage, Mentalitäten und Milieus reicht nicht aus, um der Vielfalt der Phänomene in der heutigen Bestattungskultur gerecht zu werden. Die Wahl eines Billigbestatters und Sargdiscounters oder die Entscheidung für ein anonymes Urnengrab sind sicher auch Ausdruck der sozialen Lage, in diesem Fall: der finanziellen Möglichkeiten eines Menschen. Ob ich bei der eigenen Bestattung wie für mein Leben so auch für dessen Abschluss ein Maximum an Selbstbestimmung einfordere, bis hin zur testamentarisch verfügten Verstreuung der Asche im eigenen Garten; ob ich aus pragmatischen Gründen und im Hinblick auf die Angehörigen ein kostensparendes Begräbnis wünsche oder ob ich meine Identität auch über den Tod hinaus sichern möchte, durch einen Grabstein mit meinem eingemeißelten Namen: Das sind Entscheidungen, die auch mit der Mentalität zusammenhängen, aus der heraus jemand handelt und denkt. Und natürlich ist die Sorge um eine umweltverträgliche Entsorgung des Angehörigen durch dessen Gefriergetrocknung und anschließende Kompostierung oder durch das noch energiesparendere Kochen des Leichnams auch Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Lebenswelt und der für diese zentralen Werte. Und dennoch reichen diese Unterscheidungen von sozialer Lage, Mentalitäten und Milieus nicht aus, um der Vielfalt der Bewältigung des Lebensendes und der Gestaltungen von Bestattungen gerecht zu werden.1 Die auffällige Pluralität der Bestattungskultur(en) ist ja in sich schon ein bemerkenswertes Phänomen. In ihr bündeln sich zusätzlich verschiedene Megatrends, die sie einerseits erst möglich machen (Säkularisierung und Traditionsabbruch), sie auf der anderen Seite aber zur Selbstverständlichkeit werden lassen (Individualisierung, Pluralisierung). Sie tragen selbst auf diesem kommunikativen Feld, das ja noch stärker als das der Sexualität durch Tabus bewehrt war, dazu bei, dass eine nur noch von einer Minderheit negativ konnotierte Buntheit der Gestaltungen und Anschauungen entstanden ist. 1

Ich verweise zur Veranschaulichung auf die im ersten Teil dieses Bandes versammelten Beiträge und beziehe mich vor allem auf den Aufsatz von Reiner Sörries.

Milieus, Megatrends und Mentalitäten

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These 2 Um den Wandel in der Bestattungskultur zu verstehen, bedarf es neben der auf Milieus und damit soziale Lage wie Mentalitäten abhebenden Lebensweltperspektive auch der Berücksichtigung der unsere Gesellschaft bestimmenden Megatrends. Megatrends2 zeichnen sich durch drei Merkmale aus. Sie – bezeichnen Transformationsprozesse, die nicht nur kurzfristiger Natur sind, sondern sich über längere Zeit erstrecken (es geht also nicht um bloße Trends, Moden), – wirken global, weltweit, haben allerdings unterschiedliche regionale oder lokale Auswirkungen, – haben Einflüsse auf den Einzelnen und seine Lebenswelt, auf die Gesellschaft und die Institutionen, die in ihr tätig sind; sie prägen – oft unbewusst – die Beziehungen der Menschen zueinander mit. Megatrends werden unterschiedlich bestimmt. Unbestritten gehören dazu: Pluralisierung (inkl. Säkularisierung), Individualisierung (inkl. der Folge der Optionsgesellschaft), Globalisierung (inkl. Ökonomisierung), Digitalisierung, demographischer Wandel, Flexibilisierung und Mobilisierung und ökologischer Wandel.3 All diese Megatrends schlagen sich global nieder, beeinflussen das gesamte gesellschaftliche Leben, damit auch das kommunikative Feld Bestattung. Nicht zu vernachlässigen ist aber dabei, dass sich diese Großentwicklungen eben unterschiedlich auswirken, je nach Lebenswelt, auf die sie treffen. Individualisierung als Megatrend betrifft alle, aber die einen werden ihn verstehen als Imperativ, ein authentisches, selbstbestimmtes, sich von anderen maximal unterscheidendes Leben zu führen; die anderen werden gerade angesichts der durch den Individualisierungsimperativ entstandenen Vielfalt nach dem fragen und suchen, was das Bleibende, das Gültige, das eigentlich Wahre, weil Beständige ist. Pluralisierung als Megatrend ist geradezu die Anweisung dazu, die Segmentierung und Fragmentierung der Gesellschaft in total gegensätzliche Lebensräume ernst zu nehmen und danach zu fragen, wie sich die Großtrends individuell und gruppenspezifisch auswirken. Festhalten an dem, wie man es bisher und früher gemacht hat, etwa auch bei der Bestattung, sprich Beerdigung, verstehen Traditionsorientierte und Konservative als ein Handeln, das der eigenen Lebensweltlogik folgt, das also selbstverständlich ist, sich – für sie – von selbst versteht. Es 2

Vgl. die grundlegende Arbeit von John Naisbitt, Megatrends. Ten New Directions Transforming our Lives, New York 1984 (und spätere Auflagen). 3 Vgl. die zusammenfassende und die Bedeutung für die Kirchen skizzierende Darstellung bei Heinzpeter Hempelmann, Gesellschaftlicher Wandel: Megatrends, in: Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), Handbuch Kirche und Regionalentwicklung. Region, Kooperation, Mission, Leipzig 2014, 78–85.

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Heinzpeter Hempelmann

entspricht ihrer Einstellung, dass sie die Pluralisierung selbst dieses Bereiches als fremdartig empfinden oder ablehnen werden. Bunte Luftballons am Grab, das geht gar nicht. Ist das nicht ein Tabubruch? Friedhöfe für Fußballvereine? Sind wir vor Gott nicht alle gleich? Verlieren im Licht der Ewigkeit diese Gruppenbildungen nicht ihre Bedeutung? Die traditionelle Orientierung ist im Licht der Megatrends aber auch nur eine Option, eine Wahl von einer unter vielen Möglichkeiten – so selbstverständlich sie den Traditionsorientierten zu sein scheint. Sie hat – entgegen ihrem Selbstverständnis – Teil an der Optionsgesellschaft. Tradition wird zur Option. Recht verstanden stehen Megatrendperspektive und Milieuperspektive nicht in einem Gegensatz zueinander, sondern ergänzen sich und bedingen sich wechselseitig. Wir schreiten die Mentalitätendeklination, die Megatrends und die Milieuperspektive4 ab, um ein Koordinatensystem zu gewinnen, in dem der Wandel der Bestattungskultur abgebildet werden kann. These 3 Prämoderne, moderne und postmoderne Grundorientierungen (»Mentalitäten«5) bestimmen das Verständnis von Tod und das Verhältnis zum Tod und seiner »Begehung«. Ob der Tod prämodern verstanden wird – als Scheide zwischen Diesseits und Jenseits, sterblichem und unsterblichem Leben und dabei genau diese Ontologie mit ihrer Distinktion von Immanenz und Transzendenz voraussetzt, – als Übergang vom uneigentlichen zum eigentlichen Leben (bei Gott, im Paradies, im Himmel), – als Eintritt in eine andere, qualitativ bessere Welt, in der man u.a. »seine Lieben wiedersehen wird«, – als Abschied auf Zeit und als bloßes – letztlich zu vernachlässigendes – Durchgangstor; oder ob er modern verstanden wird, – als (naturwissenschaftliches) Faktum, »natürliches« Ereignis, als das, was feststeht, – als unausweichlich, als Grenze des Machbaren, 4

Vgl. den sich anschließenden Beitrag: Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur als Herausforderung. 5 Vgl. zur Mentalitätendeklination als theoretischem Hintergrund des Folgenden Heinzpeter Hempelmann, Prämodern, Modern, Postmodern. Warum »ticken« Menschen so unterschiedlich? Basismentalitäten und ihre Bedeutung für Mission, Gemeindearbeit und Kirchenleitung, Neukirchen-Vluyn 2013. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, Prämoderne, Moderne und Postmoderne nicht als Bezeichnungen für einander ablösende Epochen zu verstehen, sondern als Grundorientierungen, die koexistieren und konkurrieren.

Milieus, Megatrends und Mentalitäten

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– als definitives Ende des Lebens und als dessen Grenze, – als Inbegriff der Verfasstheit des Lebens (»Sein zum Tode«; M. Heidegger), das durch nichts so sehr bestimmt ist wie durch den Tod, ja das gerade dadurch sein menschliches Profil erhält, dass es sterblich ist,6 – als Paradox und Skandal,7 – als Inbegriff der Endlichkeit, Hoffnungslosigkeit, der Sinnlosigkeit und als Grund des Nihilismus; oder ob der Tod postmodern verstanden wird, – als das, was man nur verdrängen kann, weil es nicht zum Leben gehört, – als Übergang in eine andere Existenzform, – als Ereignis, das es anzunehmen und in das Leben zu integrieren gilt, – als Befreiung der Seele vom Körper, als Bedingung neuer Inkorporation. Der Fülle der Einstellungen wird nur gerecht, wer die ganze Breite der Orientierungen und Haltungen ernst nimmt und nicht etwa von dem modernen Tod(esverständnis)8 spricht, als wenn es nur eines gäbe oder – noch problematischer: als wenn das spezifisch moderne das moderne im Sinne von das gültige, vorherrschende Verständnis des Todes wäre. Es gibt in unserer Gesellschaft eine große Spreizung von Haltungen, die sich eben auch in entsprechenden Gestaltungen des Todes niederschlägt. Natürlich existieren anthropologische Konstanten. Es ist aber bezeichnend, wie sich diese, je nach Mentalität, unterschiedlich darstellen. Das zeigt sich exemplarisch bei den Themen Abschied, Trost und Sinn. Alle Elemente gehören in nahezu jeder Bestattungskultur dazu, nur eben völlig unterschiedlich akzentuiert:

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Vgl. etwa an jüngeren Positionen Martha C. Nussbaum, The Therapy of Desire. Theory and Practice in Hellenistic Ethics, Princeton 1994, oder Bernard Williams, Life as Narrative, in: European Journal of Philosophy 17 (2007), 305–314. Ihnen widerspricht – von einer philosophisch-analytischen Position aus (!) – Marianne Kreuels, Über den vermeintlichen Wert der Sterblichkeit. Ein Essay in analytischer Existenzphilosophie, Berlin 2015 (stw; 2150). – Wie sehr der Gedanke der Sterblichkeit philosophisch über den individuellen Tod hinaus von Bedeutung ist, zeigt der amerikanische Philosoph Samuel Scheffler in seinem faszinierenden Gedankenexeperiment: Der Tod und das Leben danach, Berlin 2015. 7 Klassisch vertritt diese Position der moderne französische Philosoph Vladimir Jankélévitch in seinem Hauptwerk: La mort, Paris 1977, deutsch: Der Tod, Frankfurt a.M. 2005. – Ein kurzer Überblick jetzt bei Reiner Sörries, Vom guten Tod. Die aktuelle Debatte und ihre kulturgeschichtlichen Hintergründe, Kevelaer 2015, 93–109. 8 Das ist ja die Pointe der im Übrigen überaus verdienstvollen »Geschichte des Todes« von Philippe Ariès (Paris 1976; München 112005).

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Heinzpeter Hempelmann

Mentalität/ Prämodern/TradiItem tionsorientiert

Modern/ Kritisch

Postmodern/ Pluralistisch

Abschied

… auf Zeit. Es gibt ein Wiedersehen mit dem Toten. Tod ist keine Grenze und hat keine endgültige Bedeutung

… unwiderruflich. Ein Wiedersehen ist ungewiss; ein Jenseits unsicher; die Vorstellung entspringt einem religiösen Wunschtraum

(falls nicht esoterischreligiös formatiert): … total, von dem, der sein Leben gelebt hat, dessen Individualität jetzt ausgelöscht ist

Trost

… als Vertröstung auf das Jenseits. Ggf. Zumutung, nicht zu trauern, denn »der Angehörige hat es jetzt besser«

… allein durch Bezug auf das Diesseits. Es bleibt eigentlich nur »Trauerarbeit« und Erinnerungskultur

… im Vergessen dessen, der nicht mehr ist; in der Konzentration auf die, die zurückbleiben und leben müssen wie leben wollen; Begräbnis als event

Sinn

… liegt womöglich nicht im irdischen, sondern im ewigen Leben

… liegt in der Bedeutung, die wir dem eigenen und dem Leben des anderen geben

… konstituiert das Individuum als Subjekt seines Lebens selber; ist es nicht mehr, existiert auch kein Sinn mehr

Es sind metaphysische Konzepte oder – im Falle postmoderner Mentalität – die Abwehr und Abkehr von solchen, die diese Haltungen generieren und sich dann auch in der Bestattungskultur niederschlagen: Mentalität/ Prämodern/TradiItem tionsorientiert

Modern/ Kritisch

Postmodern/ Pluralistisch

Gott, Freiheit, Unsterblichkeit als Postulate der reinen Vernunft (I. Kant): aufgeklärte Haltung verzichtet auf Substantialisierung dieser Ideen

Das Ich ist sich sein eigenes Universum. Es trägt seine Welt, ist Garant seiner Welt und verliert sie, wenn es sich verliert

Einstellung zum Tod: weltanschaulicher Rahmen

Himmel und Erde; Diesseits und Jenseits; irdisches und ewiges Leben

Erkenntnis

Tradition; religiöNaturwissenschaft als ser Konsens; Offen- zentrale, verlässliche barungsreligion Quelle; Skepsis hinsichtlich metaphysischer Spekulation über Jenseits; religionskritische Einstellung gegenüber Jenseitserwartung

das Individuum ist religions- und weltanschauungsproduktiv

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Milieus, Megatrends und Mentalitäten

Artikulation

Trauer und Hoffnung

Format des Tod als BrückenTodes ereignis; ritualisiert und ritualisierbar

Skepsis, Zweifel Erinnerung; evtl. Hoffnung auf einen immer noch größeren Gott

Verzweiflung, Vergessen; der »dionysische Rausch« (F. Nietzsche)

Tod als radikal diesseitiges Ereignis

Diffusion; Sprach- und Gestaltlosigkeit

These 4 Die unterschiedlichen Einstellungen zu Tod und Sterben9 wirken sich – unterschiedlich – auf die Bestattungs- und Trauerkultur aus und sind ein Grund für ihre Pluralisierung. Die prämodern-traditionsorientierte Mentalität kennt eine objektive, unabhängig vom Subjekt existierende Wahrheit und unterstellt eine Wirklichkeit, die diese garantiert.10 Ein als gewiss geltender metaphysisch(-religiöser) Rahmen sichert die individuelle Identität, auch über den Tod hinaus. Das schlägt sich in einer Kultur nieder, die sich einerseits der Identität des Verstorbenen erinnert, diese aber von einer umfassenderen Wirklichkeit umfangen und garantiert weiß. Menschliche Erinnerung ist wichtig, aber nicht alles; sie vergeht und hat nur vorläufige Bedeutung. Der Tod ist ein Teil der gesamten Existenz; er ist begehbar. Es gibt Formen, in denen er grundsätzlich zu bewältigen ist. Der modern-kritischen Mentalität ist einzig der Konstruktcharakter von solchen metaphysisch-religiösen Erwartungen gewiss.11 Dem Akt der Trauer kommt überragende Bedeutung zu, weil sie das letzte Mal die Möglichkeit bietet, die Identität des Verstorbenen – etwa durch biographische Würdigung – zu 9

Vgl. den hilfreichen Überblick bei Stephan Schaede, Der Unfasslichkeit des Todes die richtige Fassung geben? Einige Überlegungen zum Tod und der Schwierigkeit, ihm liturgisch zu begegnen, in: Thomas Klie (Hg.), Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung, Stuttgart 2008, (101–120) 104–113. 10 In exemplarischer Weise entfaltet Josef Pieper die klassischen metaphysischen Fragen und sucht eine Verbindung mit der christlichen Anthropologie in: Tod und Unsterblichkeit (1968), hg. von Berthold Wald, Kevelaer 2012; Schaede (Unfasslichkeit, 109ff) weist mit Recht darauf hin, dass die aristotelische, recht »modern« anmutende Position im Abendland lange Zeit nur in einer platonisierenden Rezeption wirksam werden konnte. – Die mentalitätstheoretische Unterscheidung soll nur eine erste Orientierung anbieten und nicht zu zwanghafter, immer zu grober Klassifikation Anlass geben. 11 Vgl. exemplarisch den mit agnostischen Mitteln zu atheistischen Positionen kommen wollenden Essay von Karl Czasny, Die letzten Undinge. Eine erkenntniskritische Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Tod, Freiburg/München 2014.

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Heinzpeter Hempelmann

konstruieren und zu konstituieren. Das Individuum scheint ein letztes Mal als individuelles, selbstbestimmtes Subjekt auf und wird – soweit möglich – auch als solches gewürdigt.12 Alles Weitere ist – maximal – ungewiss. Der Tod wird zu einem ganz und gar diesseitigen Ereignis. Die Würde und Individualität des hier Lebenden bzw. Sterbenden oder Verstorbenen steht im Fokus. Die postmodern-pluralistische Grundorientierung verzichtet darauf, sich in objektivierenden, überindividuellen, als spekulativ und wirklichkeitsfern empfundenen Sinnkonstruktionen festzumachen und zu bergen. Sinn, Identität garantiert und stiftet das Subjekt selbst, als seine Wahrheit. Das gilt selbstverständlich auch für die Fragen nach Tod und Sterblichkeit. Die spezifisch moderne, religionskritische, jenseitsskeptische, sich teilweise zu einem positivistischen »Mit dem Tod ist alles aus« verdichtende, sich als einzig wissenschaftlich gerierende Haltung der Moderne ist für viele postmodern eingestellte Menschen aber ebenfalls nur eine, eben moderne Erzählung;13 eine Geschichte, die die Wissenschaft erzählt, die aber auch nicht die ganze Wirklichkeit vermisst. Diese ist ja immer mehr, als wir feststellen können. Hier bildet sich dann im Bereich postmoderner Vor- und Einstellungen ein Raum für das Revival teilweise sehr alter religiös-weltanschaulich-philosophischer Erwartungen.14 Entscheidend ist für diese Gedankenwelt ein Detail, das sie spezifisch von prämodernen unterscheidet: Sie sind nicht mit objektiven Geltungsansprüchen verbunden. Sie sind »die« Wahrheit des Subjektes, das sie denkt, solange es existiert. Der »Zwang zur Häresie« (Peter L. Berger15) bringt es mit sich, dass der Einzelne trotz aller antidogmatischen und antimetaphysischen Haltung frei ist, sich in unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Traditionen zu bedienen.16 Stirbt ein Mensch, ist es mit ihm aus. Mit ihm geht ja auch die von ihm geleistete Identitätskonstruktion.17 Konsequenz ist eine Konzeptlo12

»Eine weitere, grundlegende und unhintergehbare Verstörung menschlicher Ich-Erfahrung strahlt vom Ende des Lebens in das Leben hinein.« Zur überragenden Bedeutung der Kategorien Individualität, Identität für das moderne Verständnis des Menschen als Subjekt vgl. aus theologischer Perspektive Hans-Martin Gutmann, Tod und Subjekt, in: Thomas Klie / Martina Kumlehn / Ralph Kunz / Thomas Schlag (Hg.), Praktische Theologie der Bestattung, Berlin 2015, 331–342 (das Zitat ebd., 333) und aus philosophischer, die Überforderung und Überdehnung von Selbstbestimmung als Schlüssel für Identität aufweisender Perspektive Michael Quante, Personales Leben und menschlicher Tod. Personale Identität als Prinzip der biomedizinischen Ethik, Frankfurt a.M. 2002 (stw; 1573). 13 Vgl. Jean F. Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, hg. von Peter Engelmann, Wien 31994 (franz.: La condition postmoderne, 1979). 14 Diese werden umso selbstbewusster vertreten, je mehr klar ist, dass ja auch die institutionalisierte Religion ihre Wahrheiten nicht beweisen kann. 15 Vgl. ders., Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Freiburg i.Br. 1992. 16 Postmodern geprägte Personen unterscheiden sich in dieser Hinsicht von prämodern und modern bestimmten nicht grundsätzlich, sondern nur im Ausmaß und in der Programmatik, in der dies geschieht. 17 Kein geringerer als Gilles Deleuze stellt fest: »Man bewahrt das Ich nicht, wenn man nicht auch an Gott festhält. Der Tod Gottes bedeutet seinem Wesen nach, hat seinem Wesen nach

Milieus, Megatrends und Mentalitäten

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sigkeit, auch Sprachlosigkeit, oft Hilflosigkeit gegenüber dem, was nur verdrängt werden konnte, weil es einzig als Bedrohung, als Ende und Verlöschen der Individualität verstanden werden kann. Es ist plausibel, dass diese unterschiedlichen Grundorientierungen angesichts des Todes zu ebenso unterschiedlichen Verhaltensweisen und Haltungen in Punkto Bestattung führen: – Ist der Begräbnisort als Tempel oder als beeindruckende Repräsentation des Verstorbenen gestaltet, steht die Erwartung einer Fortexistenz im Jenseits Pate, unter sicherer Erwartung einer auch im Jenseits herausgehobenen Existenz. Der in Stein gehauene Name analogisiert die – hier nur zeichenhaft abbildbare – ewige Existenz. – Das anspruchsvolle moderne Gedenken hält sich in puncto Jenseitshoffnung sehr oder ganz zurück und konzentriert sich auf die biographische Würdigung der Verstorbenen und ihre Lebensleistung. – Die anonyme Bestattung ist Konsequenz der Unterstellung: Mit dem Tod ist »eh alles aus«, und der Sprach- und besonderen Hilflosigkeit, mit der man hier dem Ende des Individuums begegnet. Grabstätten sind nicht mehr spirituelle Parkplätze; sie sind – wie etwa die Fußballfriedhöfe in Gelsenkirchen oder Hamburg – Bekenntnisse zum eigenen Lebensentwurf. Die Art der Bestattung gibt Auskunft darüber, wie wir leben: Steht das Recht zur individuellen Selbstbestimmung und die Würde wie das Andenken der Person im Mittelpunkt? Fragen wir nach der Identität des Menschen über den Tod hinaus? Oder bestimmen pragmatische Gesichtspunkte einer mobil-flexiblen Lebensführung unser Bestattungshandeln? Theologisch führt das zu sehr grundsätzlichen Fragen, denen weiter unten noch nachzugehen sein wird: – Wie reagieren Theologie und Verkündigung darauf, dass es phänomenologisch nicht nur die moderne, in der Öffentlichkeit dominant kommunizierte Haltung zum Tod gibt? Faktisch existiert eine riesige Palette von Einstellungen zum Tod und von daraus abgeleiteten Haltungen zur Bestattung, die natürlich auch durch die Dreiergliederung der Grundorientierungen nur sehr grob erfasst ist. Spannend ist der Sachverhalt, dass diese vielfältigen Haltungen in der Kirche selbst begegnen. – Ist nur die prämodern-traditionsorientierte Grundorientierung, ihre Haltung zum Tod und die daraus abgeleitete Bestattungskultur christlich? Ist nur sie kirchlich akzeptabel? Im Raum der Kirche begegnen ja bei Kirchenmitgliedern auch moderne und postmoderne Einstellungen.18 Bemerkensdie Auflösung des Ich zur Folge: Das Grab Gottes ist auch der Untergang des Ich.« (Logik des Sinns [franz. 1969], Frankfurt a.M. 1993, 356 [es; 1707]). 18 Vgl. dazu Heinzpeter Hempelmann / Ulrich Heckel / Karen Hinrichs / Dan Peter (Hg.), Auf dem Weg zu einer milieusensiblen Kirche. Die Sinus-Studie Evangelisch in Baden und Württemberg und ihre Perspektiven für kirchliche Handlungsfelder, Neukirchen-Vluyn 2015 (Kirche und Milieu; Bd. 2).

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wert ist der Sachverhalt, dass in einer der größten religionssoziologischen Umfragen der letzten Jahre die Hoffnung, einmal kirchlich bestattet zu werden, den höchsten Zustimmungswert erhielt.19 – Wie sind diese Erwartungen und Einstellungen aufzugreifen? Worin liegen vielleicht sogar die besonderen Chancen solcher Haltungen? Stehen Kirche und Theologie nicht vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen, auf die sie differenziert reagieren müssen? These 5 Megatrends wie Säkularisierung und Traditionsabbruch, Optionsgesellschaft und Individualisierung, Flexibilisierung und Mobilisierung sowie demographischer Wandel und Digitalisierung wirken sich auf die Gestaltung von Bestattung aus. Grundsätzlich ist die methodische Bemerkung zur Absicherung wichtig, dass die diversen Megatrends nur in der Theorie begrifflich unterschieden werden können, in der Realität gesellschaftlichen Zusammenlebens aber interdependent sind, ja sogar aspektiv zu sehen sind. Säkularisierung meint sehr allgemein, dass der Einfluss von Religion in moderner werdenden Gesellschaften zurückgeht. Systemtheoretisch zeigt sich dies etwa dann, wenn der verdutzte Pfarrer an Weihnachten von seinem Bestatter ein Geschenk erhält. Im Klartext bedeutet dies: Du, Pfarrer, Kirche, bist Dienstleister für mich, den Bestatter, der ich inzwischen Chef des Verfahrens bin. Systemtheoretisch: Kirche ist nicht mehr Herrin des Verfahrens. Sie managt die Beerdigung nicht, sie ist Teil eines Wirtschaftszweiges, des Bestattungswesens. Dieses ist vor allem in den großen Städten und Ballungsräumen hoch professionalisiert. In einem von anderen geschaffenen Rahmen nimmt der kirchliche Funktionär eine konkrete Aufgabe wahr. Und wehe, er funktioniert nicht, hält sich nicht an die Zeitvorgaben, nach denen in großen Krematorien in einem bestimmten Takt Menschen eingeäschert werden! Religion, so ist hier mit Händen zu greifen, ist ein Subsystem von Gesellschaft. Eine Folge ebenso wie Ursache von Säkularisierung ist die multireligiöse Verfasstheit unserer Gesellschaft. Es dominiert nicht mehr eine Religion das, was zu tun und wie in verschiedenen Lebenssituationen zu handeln ist. Dies zeigt sich vielfältig. Im Land Nordrhein-Westfalen und jetzt auch in Baden-Württemberg20 entfällt die Sargpflicht, vor allem aus Rücksichtnahme auf muslimische Mitbürger. Verschiedene Religionen haben eigene Friedhöfe oder Areale auf Friedhöfen. Allein die Existenz andersreligiöser Praktiken trägt natürlich zur Auflösung der Verbindlichkeit herkömmlich dominanter Religion bei. Ganz offensichtlich kann man alles oder mindestens sehr vieles auch anders machen. Für das Profil christlicher Konfessionen bedeutet dies, dass kirchliche Bestat19 20

Vgl. ebd., auf der Berichts-CD, S. 79 (Zustimmung 83 %). Süddeutsche Zeitung, 25.3.2014.

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tungen ganz ausgesprochen christliche Gottesdienste darstellen und dass sich diese nicht einfach von selbst verstehen, in Nord- und Ostdeutschland ohnehin sehr viel weniger als noch in vielfach ländlich geprägten süddeutschen Gebieten. Nicht nur das Sprachrohr der Deutschen, die BILD-Zeitung, dokumentiert verschiedene »Fälle« von Trauerfeier-Eklats, etwa wenn ein Witwer in eine andere Gemeinde ausweichen muss, um dort den letzten Wunsch seiner verstorbenen Frau zu erfüllen: »Ich bete an die Macht der Liebe« von Ivan Rebroff von der CD in der Bestattungskapelle abzuspielen;21 oder wenn anderswo ein Pfarrer einer todkranken Frau ebenfalls ihren letzten Wunsch verwehrt, »Aber die Liebe bleibt« von Nana Mouskouri auf ihrer Trauerfeier abzuspielen: CD-Musik sei in der Kirche verboten.22 Und selbst SPIEGEL ONLINE ist es eine Meldung (»Kirche verbietet BVB-Grabstein«) wert,23 dass eine katholische Kirchengemeinde es untersagt, auf dem Grabstein eines verstorbenen Neunjährigen das Club-Logo von Borussia Dortmund zu verewigen. Spannend ist nicht nur der Streit-Gegenstand, der mit viel Engagement jeweils im Internet hin und her bewegt wird: Bezeichnend ist, dass überhaupt gestritten wird. Kirche hat in Deutschland die Hoheit über Bestattung verloren. Ihre Autorität gilt auch in diesem letzten, lange noch Tabu-geprägten religiösen Areal nicht mehr selbstverständlich. Für die Medien spielt natürlich auch eine modern angebahnte, postmoderne Institutionenkritik eine Rolle. Eine Folge wie auch Wirkung von Säkularisierung als Verlust an religiöser Prägekraft ist der sog. Traditionsabbruch. Er zeigt sich nicht nur in der »stummen Gemeinde«, die auch dann nicht mehr mitsingt, wenn es sich um die bekanntesten Gesangbuchlieder handelt, und die auch dann nicht mehr oder nur noch vereinzelt mitspricht, wenn das Vater-Unser gesprochen wird. Auch wenn sehr viele Menschen noch eine kirchliche Bestattung begehren, in vielen Fällen sogar nichtkirchliche für ihre für kirchlich gehaltenen Angehörigen, ist in kirchlichen Trauergottesdiensten weithin (wiederum von ländlichen Gebieten abgesehen) ein Atmosphären-switch passiert: Die Traditionen tragen nicht mehr; sie bergen weithin nicht mehr; sie sind eine fremde Größe, die weithin verunsichert. Sie können von daher auch einen Trauergottesdienst mit einer Trauergemeinde oft nicht mehr liturgisch »tragen«. Traditionsabbruch bedeutet konkret: Die Kenntnis der Ortstraditionen wie der tragenden christlichen Überzeugungen, der Kerntexte und bekanntesten Lieder, der Gebete und der liturgischen Stücke, die zur Mitwirkung einladen,24 ist weitgehend verloren gegangen. Soll eine Bestattung vorbereitet werden, äußert sich Traditionsabbruch vor allem als Hilf- und Orientierungslosigkeit. Traditionen, die man nicht kennt, können nicht binden und prägen. Andere Üblichkeiten können Platz greifen. Warum auf dem Friedhof beerdigen? Wäre ein Friedwald nicht auch eine schöne, friedlich anmutende Vorstellung? Friedhöfe, in kommunaler oder kirchli21 22 23 24

BILD, 11.4.2013. BILD, 11.4.2013. 12.11.2012. Und praktisch dadurch erst zum Teil der Gemeinde werden lassen.

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cher Trägerschaft, verlieren so sehr an Bedeutung, dass an vielen Orten über ihre Umnutzung und alternative Verwendungen nachgedacht werden muss.25 Ihr »Betrieb« hat ja auch eine wirtschaftliche Seite. Der genannte Traditionsverlust ist aber nicht nur eine Schwäche, der durch verstärkte Anstrengungen etwa im Bereich der Konfirmanden-, Jugend- oder Erwachsenenbildung zu begegnen wäre. Er ist nicht nur ein soziologisches Phänomen mangelnder mentaler Vertrautheit mit christlich-kirchlichen Überzeugungen. Er stellt vielmehr in der Summe vor eine viel tiefer liegende theologisch-philosophische Herausforderung. Die ja auch früher vielfach schweigende Gemeinde ist zur stillen Gemeinde geworden. Wo früher Konsense aufgerufen oder performativ bestätigt werden konnten, da existieren diese heute weithin nicht mehr. Wo christliche Überzeugungen nicht mehr gekannt und mindestens ansatzweise anerkannt sind (etwa mangels Kenntnis anderer, alternativer), da gewinnen Unverständnis, Fragen und Skepsis Raum. Es zeigt sich ein Doppeltes: Die hergebrachte standardisierte Trauerkultur wird den Bedürfnissen der Menschen nicht mehr gerecht. Sie bedeutet für sehr viele einen Fremdkörper (s.o.). Es gibt aber vielfach auch keine Konventionen und Konsense mehr, die eine inhaltliche Brücke darstellen könnten. Der Abbruch der Verbindlichkeit christlicher Traditionen hat seinerseits eine Reihe von Ursachen, die mit den Megatrends Flexibilisierung und Mobilisierung der Lebensverhältnisse gegeben sind: Die oft sehr frühe Lockerung der Familienbande, die Auflösung gewachsener, etwa im Dorf oder Quartier gegebener Lebenszusammenhänge, die Verstädterung und damit einhergehend Anonymisierung, der Zwang zur Mobilität und zu einem flexiblen, nicht in erster Linie an sozialen Bindungen orientierten Leben, etwa in Form einer durch häufige Umzüge bestimmten Patchworkbiographie, stellen Medien und Kommunikationswege in Frage und schwächen die, die für die Weitergabe und Normativität religiöser Überzeugungen von grundlegender Bedeutung sind. Die Konzeption und Aufrichtung einer Trauerhaltestelle,26 die als mobiles Gebäude an unterschiedlichen Orten errichtet und präsent sein kann, ist eine Reaktion auf eine Gesellschaft, die vielfach den Weg in die Kirche kaum noch findet, zu denen die Kirche aber mit einem solchen Angebot nun selbst den Weg findet. Die Flexibilisierung der Lebensweise und die erhöhte Mobilität bedeuten aber auch, dass die früher selbstverständliche Grabpflege zur Belastung wird, ja zur Herausforderung, der man nur mit unverhältnismäßigem Aufwand entsprechen kann. War das Familiengrab über viele Generationen hinweg der selbstverständliche Usus, so weicht es heute immer mehr pragmatischen und wenig aufwendigeren Lösungen wie einer Urnenbestattung. Die Schwächung der normativen Kraft der Religion im öffentlichen Leben ist einerseits Voraussetzung eines weiteren, sich ebenfalls im Wandel der Bestattungskultur auswirkenden Megatrends: der Individualisierung der Lebenswei25

Alternativen bevorzugt: Bestattungskultur im Wandel – serviceseiten 50plus – Informatives Portal und Club für Leute über 50, download 21.6.14, 18:16. 26 idea, 11.9.2014.

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sen, ist andererseits aber auch Folge der zunehmenden, teilweise programmatischen Imperative zur Individuierung des eigenen Lebens. Die zu beobachtende und auch in diesem Band vielfach beschriebene Pluralisierung der Bestattungskultur ist wiederum einerseits Konsequenz der Individualisierung, andererseits aber auch Motor der Distanzierung von dem Althergebrachten. Ob eine Seebestattung gewählt wird, ob man in einem Friedwald die letzte Ruhe finden möchte, ob die Asche verstreut werden soll, auf einer Aschewiese, aus dem Flugzeug, im Weltraum, ob ich die letzten Überreste meines Angehörigen zu einem Diamanten pressen lasse, den ich immer mit mir führen kann: Das und vieles andere sind die Möglichkeiten, denen wir inzwischen auch im vormals letzten Residuum religiöser Tabus gegenüberstehen. Heute geht es nicht mehr nur um die Wahl zwischen Fichten- und Eichensarg. Bestattungskultur ist umfassend Angebotskultur.27 Die Ökonomisierung der Lebensverhältnisse in der Formatierung von wählbaren, kalkulierbaren und in der Verantwortung des Einzelnen stehenden, eben auch seine weltanschaulichen Einstellungen widerspiegelnden Optionen hat auch den letzten Lebensabschnitt erreicht. So bilden Säkularisierung, Traditionsabbruch, Individualisierung und Pluralisierung, Ökonomisierung und Optionsgesellschaft einen einzigen, in sich strukturierten und differenzierten Zusammenhang. Die Konsequenzen für Kirche und Bestattung sind: Kirche ist auf dem Markt.28 Ca. 5000 sog. freie Trauerredner29 machen nicht nur gerne, was Kirche nicht an Bestattungen wahrnehmen möchte. In vielen Gebieten sind sie bereits die erste oder selbstverständliche Wahl. Verwunderlich ist das nicht. Der Prozentsatz der Konfessionslosen, von denen nur eine verschwindende Minderheit zu evangelischen Freikirchen oder anderen religiösen 27

»Als äußeres Spiegelbild soziokultureller Veränderungen in der deutschen Gesellschaft kann auf ideale Weise der Hamburger Friedhof Ohlsdorf dienen. Er ist kein Friedhof im klassischen Sinn, kein christlich umflorter Gottesacker. Er ist ein Parkfriedhof, ein Naturpark mit Toten, der nun der Pluralisierung und Partikularisierung der Gesellschaft Rechnung trägt. Da gibt es einen Bereich für totgeborene Kinder, eine Rasenfläche für anonyme Beisetzungen, einen urwaldartigen Ruheforst mit Urnengräbern um Stieleichen, Rotbuchen und Waldkiefern. Da gibt es das erste Gemeinschaftsgrabfeld von Aids-Toten genauso wie den von einem privaten Verein betriebenen ›Garten der Frauen‹ im Geiste der Frauenbewegung, in dem prominente und nicht prominente Damen ruhen und in dem Muße, Poesie und die Ästhetik des Arrangements das Gefühl einer postmortalen Heimat hervorrufen. Während Einzel- wie Familiengräber an Bedeutung verlieren und klassische Begräbnisse den immer beliebter werdenden Feuerbestattungen weichen, entstehen, wie der Hamburger Kulturwissenschaftler Norbert Fischer sie nennt, ›gruppenspezifische Miniaturlandschaften‹: Begräbnisanlagen jener sozialen Gemeinschaft, der sich der Tote zu Lebzeiten zugehörig fühlte. Das können Grabanlagen von HSV- oder Schalke-04-Anhängern sein, von Kirchengemeindemitgliedern und Kegelvereinen. Freundeskreise und Fans bestimmter Bands sind im Tode vereint wie vorher im Clubhaus oder in der Südkurve.« (Christian Schüle, Der Tod kehrt ins Leben zurück, ZEIT-online, 8.11.2012). 28 Vgl. Ingo Reuter, Totenrede oder Predigt? Zur Plausibilität christlicher Verkündigung angesichts des Todes auf dem Markt der Abschiedsangebote, in: Klie (Hg.), Performanzen, 159–175. 29 So die Angabe in idea-Spektrum 45/2013, 20.

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Gemeinschaften gehört, liegt bei ca. 40 %, und er steigt weiter. Bestattungsunternehmen überbieten sich nicht nur gegenseitig im Angebot aller möglichen Gestaltungsmöglichkeiten, über die oft schon entschieden ist, bevor die Hinterbliebenen auf die Pfarrerin treffen. Sie helfen, den Bestattungsvorgang individuell zu gestalten, und machen qualifizierte Angebote zur Trauerbegleitung.30 Auch hier sieht sich Kirche mit einem Mal in Konkurrenz auf einem Feld, das sie vormals nahezu allein dominierte. Es ist noch nicht allzu lange her, da war es Inbegriff bürgerlichen Ansehens und Anstands, kirchlich beerdigt zu werden. Die vor allem in den Städten hohe Zahl an Gemeindegliedern und der immer weiter ansteigende Anteil an Bestattungen (und Taufen) setzen der pastoralen Trauerbegleitung oftmals enge Grenzen. Dem stehen in vielen Städten Trauerhäuser mit einem auch spirituell-religiösen Angebot gegenüber. Die Herauslösung aus historisch gegebenen, überkommenen Gestalten des Zusammenlebens, die Diffusion und schließlich Auflösung der normativen, aber ebenso auch tragenden Kraft des Herkömmlichen und darum auch heute Gültigen manifestieren sich individuell immer mehr in einer Sprach- und Hilflosigkeit angesichts des Todes und der Frage, wie ihm nun angemessen zu begegnen ist. Neben der psychischen und mentalen Schwäche zeigt sich eine diese verstärkende kognitive und religiöse Orientierungslosigkeit. Was macht man, wenn ein Angehöriger verstorben ist? Was ist nun überhaupt mit dem Verstorbenen? Wie kann, wie soll ich mir das vorstellen? Individualisierung bedeutet zweierlei: Einerseits tritt in ihr neben den eigenen way of life nun programmatisch auch der eigene Weg im selbstbestimmten Umgang mit Trauer, Tod und Bestattung, andererseits ist sie Teil der Risikogesellschaft (U. Beck31). Das Individuum mutet sich in einer Lage eine selbständige Orientierungsleistung zu, in der es ohnehin unter besonderem Stress steht. Dabei gibt es keine Unterstützung durch das ja verlorengegangene traditionelle Handlungswissen. Es gibt nur eine Minderheit von Personen, vor allem aus dem Liberal-intellektuellen Milieu, die diese Situation antizipieren und in weiser Voraussicht alle entsprechenden Angelegenheiten vorher regeln. Trauer und Bestattung sind Lebenssituationen, in denen diese Entwicklungen in besonderer Weise manifest werden. Der Pfarrer kommt durch die Individualisierung und resultierend Pluralisierung der Bestattungskultur, oft aber auch qua Amt zwischen Hammer und Amboss. Die Hinterbliebenen, die die Bestattung gestalten wollen, sind oft ortsfremd. Sie wissen vielfach nicht, was die Ortstraditionen – vor allem auf dem Land – sind. Und oft interessieren sie sich auch nicht dafür. Noch schwieriger wird es, wenn die Personen, auf die er trifft, verschiedenen Milieus angehören 30

Vgl. die Beschreibung der Veränderungen bei Konrad Baumgärtner, Wir gedenken der Toten – nicht damit, sondern weil sie leben. Christlicher Umgang mit den Toten angesichts des derzeitigen Wandels der Bestattungskultur, in: Zs. f. med. Ethik 60. Jg. (2014), (311–326) 313ff. 31 Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M. 1986 (und weitere Auflagen).

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und sich diese lebensweltlichen Prägungen auch in divergierenden Vorschlägen zur Gestaltung der Trauerfeier niederschlagen – von der Frage einmal ganz abgesehen, ob das Milieu der Angehörigen sich auch nur einigermaßen mit dem des Verstorbenen deckt. In Konflikte führt auch die vielfach offenbare Differenz zwischen dem, was kirchlich üblich ist, was der Pfarrer für geboten und »theologisch« verantwortbar hält einerseits, und was die Wünsche von oft unkirchlich sozialisierten Angehörigen sind. Aus der Perspektive der Lebensweltforschung ist die Einsicht fundamental, dass Tradition einen neuen und anderen Stellenwert bekommt. Sie verliert nicht generell an Bedeutung. Sie hat eine neue, andere Bedeutung. Wenn Michael Nüchtern schreibt »Inszenierung und Option lösen Konvention und Tradition ab«,32 dann ist das unpräzise, weil unterbestimmt. Tradition bleibt ja eine Option. Es gibt sie nach wie vor. Aber sie wird jetzt eben zur Option. Sie hat ihre Selbstverständlichkeit verloren. Wir entscheiden uns heute dafür, etwas so zu machen, wie man es früher gemacht hat. Die Differenzen und Konflikte im Kontext der Gestaltung der Bestattung entzünden sich und bündeln sich geradezu an den artikulierten Musikwünschen. Diese sind nicht irgendein Detail. Musik ist heute eher noch wichtiger, als sie es früher war. Sie ist nicht nur musikalisch Begabten vorbehalten, sondern der tägliche, lebenslange Begleiter. Oft ist sie das medium individuationis. Wenn also ein bestimmtes Lied für die Trauerfeier gewünscht wird, dann ist dieses nicht nur irgendein beliebiger Beitrag, sondern Platzhalter für den Verstorbenen, Expression seiner, in dieser Feier zu würdigenden Individualität. Pastoraltheologisch und -psychologisch ist in diesem Zusammenhang relevant, dass auch die Pfarrperson, wie es in falscher Abstraktheit und unterstellter Neutralität im Beamtendeutsch heißt, eben auch Milieu ist. Auch sie hat ästhetische Vorlieben; auch sie hat musikalische Ekelgrenzen. Und natürlich besteht die Gefahr, die eigenen ästhetischen Urteile theologisch zu überhöhen. Nicht nur der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, wie auch die Digitalisierung und also die virtual reality zum Wandel der Bestattungskultur und ihrer Ausdifferenzierung beiträgt.33 Manche mögen es vielleicht noch für ein Gimmick halten, dass es Friedhöfe, z.B. in Aschersleben, gibt, auf denen Gräber eine digitale Kennzeichnung erhalten.34 Der QR35-Code ist mit Smartphones lesbar, auf denen dann die gewünschten biographischen Daten des hier liegen32

Michael Nüchtern, Bestattungskultur in Bewegung, in: ders., Kirche evangelisch gestalten (Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie, Bd. 13), Berlin 2008, 85. 33 Zur Sache vgl. Andreas Mertin, Der Tod im Cyberspace, in: Klie (Hg.), Performanzen, 195–207; bezeichnenderweise unter dem Gesichtspunkt »Friedhof« behandeln Ilona Nord und Swantje Luthe raumtheoretisch »virtuelle Bestattungs- und Gedenkräume und ihre Bedeutung für die Diskussion um den Wandel in der Friedhofskultur« (so der Untertitel ihres Beitrages »Räume, die die Selbstvergewisserung ermöglichen«, in: Klie/Kumlehn/Kunz/ Schlag (Hg.), Theologie der Bestattung, 307–328. 34 Leipziger Volkszeitung 20.4.2014. 35 QR steht für quick response.

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den Verstorbenen erscheinen. Für andere entspricht dies exakt der Formatierung ihrer Lebenswelt und ihrer Lebenspraxis, in der das intelligente Handy der Zugang zu allem Relevanten ist. Konkret wichtig ist es, das digitale Medium nicht zu übersehen, wenn entsprechende Adressatenkreise erreicht werden sollen. Im »Netz« gibt es nicht nur virtuelle Gedenkstätten, sondern etwa auf Facebook – auch regelrechte Traueranzeigen. These 6 Der gesellschaftliche und kulturelle Wandel macht eine Neupositionierung von Kirche in Gesellschaft und Kultur sinnvoll. Es ist richtig. Kirche verändert sich nicht oder nur wenig. Man kann das auch theologisch unterlegen: Kirche bleibt ihrem Wesen nach gleich. Aber das ist eben eine theologische und keine religionssoziologische Aussage. Wenn sich der Kontext, in den sie eingebunden ist, dramatisch und radikal wandelt und sie gleichzeitig gleichbleibt, verändert sich dennoch, auch ohne ihr Zutun, ihre Relation und Rolle in den unterschiedlichen sozialen, kulturellen, ökonomischen Bezügen. Kirche ist nicht mehr das Weltkind in der Mitten; sie ist nicht mehr »Kirche im Dorf«, Mittelpunkt des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Das alles wissen wir. Wir müssen aber ein kommunikatives Feld nach dem anderen buchstabieren und jeweils die Rolle von Kirche neu justieren. In der Sache geht es um die schöne und herausfordernde Aufgabe, ein neues Kapitel »Kirche und Kultur« zu schreiben. Aufschlagen können wir es nicht, weil es erst noch konzipiert werden muss. In diesem Band hat Fritz Lienhard den zu gehenden Weg sehr einleuchtend als Religionsproduktion beschrieben. Kirche trifft heute auf Kulturen und lebensweltliche Orientierungen, die ihr fremd sind, weil sie noch nicht einmal gegen sie oder in Abgrenzung von ihr, sondern schlicht ohne sie und neben ihr in dieser Gesellschaft entstanden sind. Postmodern-pluralistische Einstellungen und Haltungen fordern sie anders heraus als traditionsorientierte, weitgehend noch christlich geprägte, oder modern-kritische, mit denen ein moderner Protestantismus sich inzwischen arrangiert und auf die er sich eingestellt hat. Trifft man auf eine unbekannte Kultur und begegnet man ihren Imperativen, gilt es zwei verschiedene extreme Reaktionsmöglichkeiten zu vermeiden: kritiklose Anpassung, Anbiederung oder aber Widerstand und ästhetisch-kulturelle Selbstbehauptung. Kirchliche Bestattung muss einen Weg finden jenseits von Selbstbedienung und Selbstbehauptung, einer à-la-carte-Mentalität einerseits und einer stacheligen Abwehrhaltung andererseits, der die ganze Richtung nicht passt. Mindestens ein Vierfaches ist für dieses Weiterschreiben und Neuschreiben von Kirche und Kultur zu beachten: (1) Kirche muss neu die Frage stellen: Was sind die Essentials für eine christliche Bestattung, und was sind sie nicht? Für die Antwort käme es darauf an,

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nicht immer bedingte, historisch gewordene, auch lieb und selbstverständlich gewordene Ästhetisierungen mit der Sache selbst zu identifizieren oder besser zu verwechseln. Diese Essentials – das zeigt die missionstheologische Reflexion der Begegnung von Evangelium mit bis dato evangeliumsfremden Kulturen – vollzieht sich einerseits im konkreten Nachvollzug der soziokulturellen Einstellungen und Haltungen der Menschen, die ich erreichen will, andererseits im Anschluss an die christliche Tradition, wie sie sich uns vor allem in den biblischen Schriften zeigt. Integration vollzieht sich hier als wechselseitige Interpretation und Bereicherung.36 Es könnte sich etwa zeigen, dass nach der Krise und – postmodern – Verabschiedung einer metaphysischen Rahmung christlicher Eschatologie andere Aussage- und Entfaltungsweisen nötig werden, für die ebenfalls an die biblischen Zeugnisse angeknüpft werden kann.37 (2) Da das Evangelium nicht im Sinne einer platonischen Idee als ein an sich gegebener, an sich bestehender Inhalt zu denken ist, sondern sich im Gegenüber und in der Interaktion mit dem Gegenüber bildet, ist dieser Prozess keine kommunikative Einbahnstraße. Das Evangelium erschließt sich neu; es zeigt sich auf bisher ungewohnte Weise, wo es auf andere Reflexionsflächen trifft. (3) Wo das Evangelium auf eine sich verändernde oder gar neue Kultur trifft, da wird zu unterscheiden sein zwischen Evangelium pro und Evangelium contra. Evangelium wird einerseits zum Zuspruch werden, andererseits angesichts gewisser kultureller Erscheinungen von seinen Kernanliegen her auch auf Korrektur drängen und auch als kritischer Einspruch heilsam und insofern Evangelium sein. 36

Wenn postmodern das herkömmliche Ordnungsdenken, wie es Implikat jedes metaphysischen Ansatzes ist, nicht mehr gedacht werden kann, müssen christliche Theologie und Kirche überlegen, in welcher anderen Gestalt das Evangelium für postmoderne Kulturen entfaltet werden kann, nach dem »Tod Gottes« und dem »Ende der Metaphysik«. Vgl. exemplarisch zur Sache: Heinzpeter Hempelmann, Kommunikation des Evangeliums in postmodernen Zeiten – Zwischen Fanatismus und Wahrheitsanspruch, Gleichgültigkeit und Toleranz, in: Christian Herrmann (Hg.), Rechenschaft des Glaubens. Festschrift für Rolf Hille zum 60. Geburtstag, Wuppertal 2007, 5–38; ders., Das Kriterium der Milieusensibilität in Prozessen postmoderner Glaubenskommunikation. Religionsphiolosophische, ekklesiologische und institutionelle Gesichtspunkte, in: Matthias Sellmann / Gabriele Wolanski (Hg.), Milieusensible Pastoral. Praxiserfahrungen aus kirchlichen Organisationen, Würzburg 2013, 13–52. 37 So ist es ja durchaus diskutierenswert, ob ein Weltordnungsdenken, das die Wirklichkeit als einen sinnhaft und vernünftig durchdachten und durchstrukturierten Raum begreift und das für sehr viele Menschen heute existentiell wie philosophisch nicht mehr nachvollziehbar ist, nicht ersetzt werden kann durch ein Denken, Erfahren und Erfassen der Wirklichkeit in dynamisch-relationalen, auch apokalyptischen Kategorien, wie wir sie im NT und AT finden (zur Rehabilitierung und Bedeutung apokalyptischen Denkens vgl. jüngst Thomas Pola, Gewalt und ihr Ende in der biblischen Apokalyptik, in: Wilhelm Eppler [Hg.], Fundamentalismus als religionspädagogische Herausforderung, Göttingen 2015, 47–69).

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(4) Um nicht hinter den mentalitätstheoretisch erreichten Differenzierungsgrad zurückzufallen, gilt es, die abstrakte Rede von »der Kultur« hinter sich zu lassen und zu realisieren, dass es das Evangelium in sehr unterschiedlicher, mentalitätstheoretisch deklinierter Weise auf prämodern-traditionsorientierte, modern-kritische und postmodern-pluralistische Einstellungen und Haltungen zu beziehen gilt. Wir verfolgen nicht das Verfallsmodell, das von Kirche fordert, angesichts der Degenerationserscheinungen in der Kultur unverrückt bei dem Ihren zu bleiben. Wir folgen auch nicht dem Adaptionsmodell, das den Modernismen nachläuft, nur weil sie modern sind und »darum« Anspruch auf Geltung haben. Wir versuchen einen kontextuellen Ansatz, der Kernüberzeugungen der christlichen Auferstehungshoffnung in Beziehung zu der Kultur setzt, mit der die Begegnung gesucht wird. These 7 Die unterschiedlichen Mentalitäten bedürfen kommunikativ einer differenzierten Reaktion. Zuspruch und Widerspruch, Trost des Evangeliums und evangelische Provokation38 gestalten sich für prämodern-traditionsorientierte, modernkritische und postmodern-pluralistische Grundorientierungen ganz unterschiedlich. Mentalität/ Prämodern/ Item Traditionsorientiert

Modern/ Kritisch

Postmodern/ Pluralistisch

Hochschätzung

… einer lebendig erfahrenen Geborgenheit in der alles umfassenden Wirklichkeit Gottes

… der Würde eines Menschen, seines Willens zur Leistung und Selbstentfaltung

… der Individualität des Menschen; jeder Mensch als individueller Gedanke Gottes

Einspruch gegen

… falsche Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten; nichts(mehr)sagende Traditionen und Trauerkultur

… Fixierung auf die Lebensleistung eines Menschen; exklusive Diesseitsorientierung; Distinktionen im Tod

Verlust der Individualität durch den Tod; anonyme Bestattungen; Verlust der Möglichkeit zur Erinnerung; Privatisierung der Bestattung

38

Die Unterschiede zwischen Trauerrede und evangelischer Predigt, Bestattungsritual und christlicher Liturgie arbeitet schön heraus Ingo Reuter, Totenrede.

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Zuspruch

Der Tod ist nicht nur Tor; er zwingt zum Abschied; er bedeutet Schmerz und braucht Trauer

Verzicht auf dogmatische Richtigkeiten Hilfe durch

Erläuterung, Verlebendigung von erstarrter und unverstandener Tradition

Es gibt – bei aller berechtigten philosophischen, agnostischen Skepsis – einen Grund für die Hoffnung über den Tod hinaus: in der Erinnerung an die Machttat Gottes an Jesus Christus

Gott weiß den Namen; die Identität des Menschen ist nicht allein durch seine Subjektivität gesichert; Mensch als göttlicher Gedanke

falsche Sicherheiten – oder – Verschweigen der Hoffnung

metaphysische Einkleidung christlicher Auferstehungshoffnung

begründete Hoffnung; tastende Gewissheiten; Argumente gegen den Tod als absolute Grenze

Sprach- und Artikulationshilfe; Gestaltgebung des Todes; Ansätze zu einer innovativen, kreativen Bestattungspraxis, die das neue Leben antizipiert; Reaktion auf Bedürfnis nach Regrounding: Neuinterpretation und Vitalisierung alter Rituale; Angebot von Aussegnung, Aufbahrung, Trauerbegleitung

Die jeweilige Einstellung bringt unterschiedliche Saiten im Evangelium zum Klingen; lässt unterschiedliche, bis dato vielleicht auch nicht gehörte oder weniger wahrgenommene Töne in Erscheinung treten. Prämodern-traditionsorientiert ist christlich das Konzept einer überlegenen, Diesseits und Jenseits, Vergangenheit und Zukunft umfassenden personalen Macht anschlussfähig, die Trost und Geborgenheit zu schenken vermag. Modern-kritisch ist die Betonung der Würde, Individualität, Leistung und Selbstverwirklichung, die ein Mensch in seinem Leben erreicht hat, dominant. Das ist ein Aspekt, der manchen »Leistungsträgern« im modernen Protestantismus und Neupietismus zu kurz kommt, der aus Sorge, der »Werkerei« zu frönen und Menschen groß zu machen, lieber von dem schweigt, was Menschen aus dem Geschenk Gottes, das ihr Leben darstellt, gemacht haben. Postmodern-pluralistisch gilt es, die Hochschätzung, ja Letztgeltung der Person als Individuum theologisch in ihrer Bedeutung aufzunehmen. Postmoderner Individualismus erinnert Theologie und Kirche daran, dass man eigentlich nicht höher über den Menschen denken kann, als dass man jeden Einzelnen als individuellen Gedanken, als göttlichen Gedanken begreift und behandelt.

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Christliche Theologie wird – geleitet vom Evangelium – aber nicht nur selber lernen und sich bereichern lassen, sondern auch den Mut zum Widerspruch und zu evangelischen Provokationen finden müssen. Die bestehende prämodern-traditionsorientierte Trauerkultur ist nicht in sich gut; wo sie erstarrt ist, wo sie zur Form geworden ist, wo sie nichts (mehr) sagt, oder auch wo sie gedankenlose Konsense aufsucht, da trägt sie nicht, und da ist auch das Evangelium nicht zu hören. Der Einspruch des Evangeliums gilt genauso einer modernkritischen Haltung, die allein diesseitsorientiert ist und letztlich den Wert und die Identität des Menschen in seiner Leistung und Selbstverwirklichung begründet sieht. Das Evangelium angesichts des Todes besteht eben just darin, dass trotz aller Lebensleistung, und sei sie noch so groß, entscheidend ist, wie wir vor Gott stehen und wie Gott uns sieht. Dabei ist es nicht gleichgültig, was wir aus unserem Leben gemacht und ob wir es nach seinem Willen gelebt haben (vgl. 1. Kor 3,12ff), aber entscheidend ist das nicht. In analoger Weise ist gegenüber dem alles dominierenden postmodernen Imperativ des Individuellwerdens und seiner Krise am Grab, nach dem Ende und Verlöschen des Individuums, das die entscheidende Zusage: Individuell-Werden, Authentisch-Sein, ein Leben gestalten – das bricht jetzt mit dem Tod nicht einfach ab; dieses Leben hat nicht von jetzt auf gleich keinerlei Bedeutung mehr. Es hat vielmehr über das Grab und das Ende hinaus Bestand. Evangelium wird hier zur Zusage im Angesicht des Nihilismus. Dem entsprechend wird vom Evangelium her gegen jede Formatierung der Bestattung zu protestieren sein, die den Tod anonymisiert und die Erinnerung verhindert und dem Tod genau damit eine Macht gibt, die ihm nicht zusteht und die er nicht mehr hat. Eine innovativ-kreative Trauerpraxis, die dieses betont: »nicht vergeblich!«; die das Neue inszeniert (Neues, eine neue Schöpfung ist geworden), hat eine neutestamentliche Grundlage und einen biblischen Bezugspunkt (vgl. 1. Kor 15,54–58; 2. Kor 5,17). Vom Evangelium her dürfen wir dann in sehr unterschiedlicher Weise Trost zusprechen. Da, wo prämodern in vielen religiös besonders geprägten Szenarien Trauer fast als unchristlich, weil als Zeichen mangelnden Glaubens gilt – weil man den Angehörigen doch wiedersieht; weil es sich doch nur um einen Abschied auf Zeit handelt etc. –, müssen wir zur Entlastung der Hinterbliebenen »einräumen«: Tod ist Trauma; Tod ist Schmerz. Trauer braucht Zeit und darf Kraft kosten. Nur so werden wir der von Gott gestifteten Geschöpflichkeit inkl. Endlichkeit gerecht. Gegenüber einer modern-skeptischen Orientierung, die vielfach unausgesprochen naturalistisch-reduktionistische Züge trägt, bringen wir das Evangelium nicht als alternative Weltanschauung zur Geltung, die »etwas anderes glaubt«, sondern als zögernde Gewissheit, als tastende Hoffnung, die sich an der im Neuen Testament erzählten Machttat Gottes an dem Einen, Jesus Christus, orientiert. Im postmodernen Horizont bedeutet das Evangelium von der Liebe Gottes, die Identität auch über den physischen Tod hinaus garantiert, die einzige Botschaft im Horizont eines sonst unausweichlichen Nihilismus. Dem entsprechend ist vom Evangelium her sensibel auf die immanenten Logiken der jeweiligen Grundorientierung Rücksicht zu nehmen und auf gängige,

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manchmal naheliegende »Versuchungen« zu verzichten: prämodern auf die Entfaltung von dogmatischen Richtigkeiten; gerade am Grab ist es wichtig, dass christlicher Glaube mehr ist als eine richtige Weltanschauung, die man für wahr halten muss. Im modernen Kontext besteht die Gefährdung darin, entweder vollmundig Gewissheiten gegenüber der latenten Skepsis auszusprechen oder aber auf ein klares Aussprechen der Hoffnung, die christlichen Glauben auszeichnet, zu verzichten. Im postmodernen Kontext mit seinem Verlust metaphysischer Orientierung ist die Konstruktion der metaphysischen Theorieelemente, die christliche Eschatologie herkömmlich tragen, wenig hilfreich, weil diese schlicht nicht mehr verstanden werden. Heute wird die immer schon durch das Existential Tod gegebene Hilflosigkeit in vielen Fällen kulturell gesteigert. Hilfe ist notwendig und wird erwartet, allerdings wiederum in differenzierter Weise: prämodern in der Verlebendigung, ggfs. auch Elementarisierung dessen, was tragen soll und woran man ja gerne festhalten möchte. Im modernen Kontext können es schlicht auch Denkhilfen sein, die die Skepsis und Diesseitsorientierung zurückdrängen und der Auferstehungshoffnung einen Raum geben. In einem Kontext, in dem Gott, Freiheit und Unsterblichkeit nicht mehr einen religiösen Hintergrund haben (wie noch bei I. Kant), sondern lediglich und im besten Fall (und oft natürlich nur in einer sehr popularisierten Form) regulative Ideen der Vernunft, der Art und Weise, wie wir Menschen im Rückblick auf ihr Leben anschauen wollen, tritt der theologische Kern christlicher Hoffnung ganz neu hervor. Was christliche Kirche in elementarer Weise an Trauerarbeit und Trauerhilfe zu leisten vermag, zeigt sich dann besonders, wenn sie dazu anleitet, dem Tod einen Namen zu geben, seine Relevanz zu artikulieren, Trauer begehen zu können. Hier gibt es in postmodernen Lebenswelten eine weit verbreitete Bereitschaft, auch auf alte und sehr alte Rituale und Liturgien zurückzugreifen, sofern sie als Artikulations- und Sprachhilfe erkennbar werden. These 8 Der Wandel der Bestattungskultur stellt vor eine Reihe von pastoraltheologischen Herausforderungen, die eine hohe kulturhermeneutische Kompetenz des Pfarrers und der Pfarrerin erfordern. Die bisherigen Überlegungen lassen sich bündeln, wenn man sie noch einmal als pastoraltheologische Herausforderungen begreift: – Pfarrerin und Pfarrer wissen die Basismentalitäten Prämoderne, Moderne und Postmoderne zu unterscheiden. Sie nutzen sie nicht als Schubladen und um Menschen zu kategorisieren, sondern als erste Hilfe zur Sensibilisierung für die Frage: Wer begegnet mir denn da? Worin liegen die Unterschiede? Wie sind sie begründet? – Sie reflektieren, dass sie – etwa angesichts der Gestaltungswünsche, vor allem im Bereich Musik – »selber Milieu« sind, durch eigene »Ekelschranken« be-

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Heinzpeter Hempelmann

stimmt werden und nicht einfach eine herkömmliche, etwa kirchengemeindlich übliche Kultur mit dem Christlichen identifizieren dürfen. Sie begegnen in einer segmentierten und lebensweltlich fragmentierten Gesellschaft gerade beim Trauer-Kasus einer Vielfalt von Lebensformen und -einstellungen, die oft zueinander in Spannung stehen und gleichwohl um Einfluss auf die Gestaltung der Trauerfeier etc. ringen. In diesem Szenario wächst ihnen oft genug die Rolle der Mediatoren und Moderatoren zu, die nicht nur das Evangelium sensibel in eine bestimmte Situation hinein kommunizieren, sondern auch noch zwischen aufeinandertreffenden Lebensweltlogiken und Selbstverständlichkeiten vermitteln. Zu dieser kulturhermeneutischen Aufgabe gehört schließlich auch, die kirchlichen Vorgaben in Form der Agende mit den oft recht »unkirchlichen« Vorstellungen und Wünschen abzugleichen. Wo sie auf eine weitverbreitete Hilf- und Sprachlosigkeit angesichts des Todes treffen, geben sie Sprachhilfe, und sei es, um die Unbegreiflichkeit des Todes zu artikulieren. Menschen können dabei in der Begegnung mit Kirche neu die Erfahrung der spirituellen Gastfreundschaft machen, wenn wir ihnen unsere Sprache und Rituale, unsere Hoffnungen und Erwartungen zur Verfügung stellen.39 Und wenn ein Gast gute Erfahrungen gemacht hat, kommt er vielleicht auch gerne wieder. Pastoraltheologisch bedeutet Säkularisierung und Pluralisierung der Gesellschaft extra et intra ecclesiam aber auch, dass die Mühe der Verkündigungsaufgabe ganz neu in den Mittelpunkt rückt – kommt es doch darauf an, gegenüber der jeweiligen Grundorientierung oder Lebensweltlogik das Evangelium so zu kommunizieren, dass es überhaupt verstanden und dann in seiner für diese soziokulturellen Zusammenhänge spezifischen Bedeutung auch gehört werden kann. In den Transformations- und Kontextualisierungsprozessen dürfen sie dann das Evangelische, spezifisch Christliche – bei allem SichEinlassen auf eine Mentalität oder Lebenswelt – heilvoll in Anknüpfung und Widerspruch, Zuspruch und Anspruch erkennbar werden lassen. Das kirchliche Handlungsfeld ist exemplarisch für die theologische, liturgische, ästhetische, homiletische Herausforderung, sich einzulassen, aber nicht anzupassen; anzudocken, ohne sich aufzugeben. Gerade in diesem speziellen

39 »Manchmal borgen sich Menschen für einen Tag oder vielleicht für eine Stunde unsere Sprache aus. Wir sind nicht die Meister ihres Glaubens, und wir haben diesen Glauben auf Zeit zu ehren und ihm zu dienen. Eine der Aufgaben der Kirche ist es, mit ihrer Sprache, mit ihren Gesten, mit ihren Räumen und Zeiten zur Verfügung zu stehen, wenn Menschen uns brauchen. […] Menschen sind auf Zeit Gast in einem Haus, das ihnen nicht gehört und in dem sie nicht zuhause sind. Sie leihen sich Sprache, Räume, Zeiten und Gesten für die Not oder das Glück ihres Herzens. Sie brauchen das Haus, aber sie wollen dort nicht zuhause sein. Sie wollen, dass wir uns nicht verleugnen. Sie wollen nicht, dass wir die Sprache und die Gesten zu Tode erklären.« »Auch das ist Mission – die Masken des Glaubens und der Hoffnung auf Zeit zu verleihen.« (Fulbert Steffensky, Kleine Herde, großer Verein, in: Hans-Georg Filker / Fulbert Steffensky / Beate Jakob, Kirche wächst – einladen, glauben, heilen, Holzgerlingen 2008).

Milieus, Megatrends und Mentalitäten

73

Horizont kommt ja alles darauf an, dass das Evangelium gehört werden kann, im inhaltlichen wie im rezeptionsästhetischen Sinne. – Pfarrerin und Pfarrer stehen darüber hinaus auch ekklesiologisch vor einer Herausforderung. Ist die stumme, immer mehr verstummende Gemeinde Kirche im theologischen Sinne? Wer nicht bereit ist, sich auf den immer noch verbreiteten, aber immer weniger Sinn machenden ekklesiologischen Doketismus einzulassen, darf sich hier nicht durch eine reine DefizitPerspektive leiten lassen. Es gilt die Frage: Wie wird diese Gemeinschaft der Trauernden, die sich durch Kirche hat einladen lassen und die nun kirchliche Gastfreundschaft unter einem kirchlichen Dach und im Kontext eines christlichen Trauergottesdienstes genießt – wie wird sie zur Gemeinde? Ist Kirche nicht immer schon Kirche bei Gelegenheit (Mt 18,20)? Ist Gemeinde nicht Gemeinschaft derer, die sich haben herausrufen und einladen lassen? Das sind mindestens Ansatzpunkte. Wie kann eine Trauerfeier in einem säkular-distanzierten oder postmodern-pluralistischen Umfeld aber einen evangelischen Charakter gewinnen, ohne dass deren »Christlichkeit« nicht einfach unterstellt und eine Identität übergestülpt, als fremde aber schlicht ertragen wird? Das sind außerordentlich herausfordernde Fragen, die auch eine vertiefte missionstheologische Kompetenz der Pfarrerin verlangen. Die sich hier dokumentierenden theologischen und kulturhermeneutischen (Selbst-)Reflexionserfordernisse lassen erkennbar werden, wie sehr der Pfarrberuf auch in Zukunft eine anspruchsvolle Qualifikation braucht und wie spannend die Pfarrberufung in Zukunft noch werden kann.

Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur als Herausforderung Heinzpeter Hempelmann

Vorbemerkungen – In den vier Spalten werden jeweils für jedes der zehn Sinus-Milieus1 nacheinander abgehandelt: (1) Kurzkennzeichnung nach Sinus, prozentualer Anteil an der Bevölkerung, Schichtzugehörigkeit, Durchschnittsalter, bemerkenswerte soziodemographische Merkmale, Lebensweltlogik (LWL; gibt Hinweise auf die mentale Orientierung), (2) Verhältnis zu Glaube, Religion, Kirche, inkl. eigener religiöser Praxis, (3) Projektionen: was ist auf Grund des Milieuprofils im Hinblick auf die Bestattungspraxis zu erwarten? Was sind die Erfahrungen, die Pfarrerinnen und Pfarrer auf drei Pfarrkonventen in Fokusgruppen und Plenumsveranstaltungen geäußert und den einzelnen Milieus zugeordnet haben? (4) Was sind die goes und die no-goes in der jeweiligen Lebenswelt? Was sind mögliche kommunikative Brücken in die Milieus hinein? Es werden hier nicht die für alle Personen, jede Kommunikation und alle 10 Milieus geltenden Selbstverständlichkeiten genannt, sondern spezifische, teilweise auch allgemeine Gesichtspunkte, die pastoraltheologisch eine sensible Haltung und ein eigenes Weiterdenken ermöglichen. – Die Tabelle ist Basis des Handbuchs im zweiten Teil dieses Bandes und gleichzeitig durch die dort zu findenden Konkretionen zu ergänzen. – Der Schwerpunkt der Beerdigten liegt naturgemäß in der A- und B-Säule, der Schwerpunkt der Beerdigenden in der B- und C-Säule. Beide Gruppen sind zu berücksichtigen: die einen wegen des von ihnen hinterlassenen Willens, die anderen, weil sie ihre Prägung in die Bestattung mit einbringen.

1 Um Doppelungen zu vermeiden, werden die Sinus-Milieus hier nicht noch einmal vorgestellt. Vgl. meine Einführungen in: Heinzpeter Hempelmann / Benjamin Schließer / Corinna Schubert / Markus Weimer, Handbuch Taufe. Impulse für eine milieusensible Taufpraxis, Neukirchen-Vluyn 2013, oder in: Gott im Milieu. Wie Sinusstudien der Kirche helfen können, Menschen zu erreichen, Gießen 22013, 11–32. Viele der dort zu findenden Gesichtspunkte gelten nicht nur für die Taufe, sondern mutatis mutandis auch für Trauergottesdienst und Bestattung.

Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur

75

– Bezeichnenderweise befindet sich der Schwerpunkt der notierten Auffälligkeiten im Bereich der kirchengemeindefernen Milieus (v.a. HED). Die traditionsorientierte, herkömmliche Kultur hat ja ihre Formen. Postmoderne Milieus (EPE, HED, auch PER) ringen um solche Formate. – Umfragebedingt reflektieren die Wahrnehmungen auf den Pfarrkonventen Erfahrungen im ländlichen Raum. Bemerkenswert: bisher gibt es keine Notate für SÖK, der Schwerpunkt der Notate liegt bei HED. Quellen – MDG-Milieuhandbuch 2013. Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus, im Auftrag der MDG Medien-Dienstleistung GmbH, Heidelberg/München 2013 (ausgesprochen katholische Bezüge getilgt) – Hinzuweisen ist auf Frank Thieme, Alles Geschmacksache? Bestattungskultur und soziale Milieus in Deutschland. Große Studie zur Bestattungskultur in Deutschland. Die Ergebnisse, Teil 1, in: Bestattungskultur 2013 / H. 8, 8– 14. Ich habe auf Grund der massiven methodischen Schwächen und Lücken des Beitrags auf die Auswertung dieser an sich einschlägig sehr interessanten Studie verzichtet, möchte hier aber wenigstens auf sie verweisen. – Heinzpeter Hempelmann, Milieusensibles Marketing für Kurse zum Glauben. Zur Bedeutung der Sinus-Milieuforschung für missionarische Bildungsangebote, in: Handbuch Erwachsen glauben. Missionarische Bildungsangebote. Grundlagen – Kontexte – Praxis, hg. von der Arbeitsgemeinschaft missionarischer Dienste (AMD) Berlin, Gütersloh 22013, 26–86 – Umfragen auf den Pfarrkonventen Gladenbach (EKHN, 25. Juni 2014), Heidenheim (ELKWü, 9. Juli 2013) und Bad Urach / Münsingen (ELKWü, 16. Juli 2015). Die Aussagen sind nicht repräsentativ, haben aber exemplarische Bedeutung auf der qualitativen Ebene (Fokus-Gruppen).

LWL: E • Erfolg • Exklusivität • Entre-nous • (hohe) Erwartung, an sich und andere

• • • •

häufig verh. Kinder 10 % der Bevölkerung gehobene Mittelschicht/ Oberschicht • zw. 40 und 60 Jahre • ∅ 49 Jahre • überwiegend Akademiker

• Religion als Teil der Familientradition • Religion als gesellschaftliches Bindemittel und Hüterin traditioneller Werte • Häufig intellektuelle Auseinandersetzung mit Fragen des Glaubens, der Ethik und Moral

KET Das alte deutsche Bildungsbürgertum: konservative Kulturkritik, humanistisch geprägte Pflichtauffassung und gepflegte Umgangsformen

• regelmäßiger Gottesdienstbesuch • Interesse an theologischen Vorträgen, Seminaren, Kursen • Kirchenmusik • Wertschätzung kirchlicher Trägerschaft von Einrichtungen • Vertrautheit mit christlichen Traditionen

Christliches Leben, religiöse Praxis • christliche Werte als Leitfaden für das Alltagshandeln • Bewahrung (konservativer) Werte und Tugenden • individuelle Zwiesprache mit Gott • Pflege kirchlicher Rituale

Glaube, Religion, Kirche

Milieukennzeichnung

Notate • Begegnung mit KET im Kontext der Trauerbegleitung durch Hospiz-Verein, wo sich KET ehrenamtlich engagieren • wenig Auffälligkeiten

Zu erwarten: • Vertrautheit mit christlichen Traditionen • Status auch im Tod und für die Hinterbliebenen • hohe Ansprüche • Memorialkultur • hohe Bereitschaft, etwas zu investieren (finanzieller und kultureller Aufwand) • Inszenierung

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

Brücken • Ansprache: intellektuell anspruchsvoll; historisch eingebunden • Auseinandersetzung über christliche Themen • Wertewandel und Werteverfall • Kirche, Gemeindeleben, Veranstaltungen mit Anspruch, Profil und Niveau • Hochkultur(elle Bezüge)

Was gut kommt: • Status • Anspruch • Kultur • Leistung • Disziplin

Was nicht gut kommt: • alles, was unter dem eigenen Niveau ist • das Schäbige, Abgestoßene • das Unschöne und Vulgäre

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

76 Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur

Konservativ-Etabliertes Milieu

LWL: V • Verlust • Vergangenheit • Verstimmung

• 5 % der Bevölkerung • untere Mittelschicht und Unterschicht • hoher Frauenanteil • ∅ 65 Jahre • überwiegend Hauptschul- und Realschulabschlüsse

Glaube • vielfach hochverbundene Kirchenmitglieder/ Kirchgänger – von Kindheit an (traditionelle Volkskirche) • kaum kritische Auseinandersetzung mit Glaube, Religion und Kirche • Religion ist Lebensgrundlage und Lebenssinn, gibt Halt und Struktur

TRA Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegsgeneration: • verwurzelt in der kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur • Pflicht-, Akzeptanz-, Autoritätswerte: Sauberkeit, Ordnung • Rustikalität

Christliches Leben, religiöse Praxis • Der christliche Glaube bestimmt oft (noch) den Alltag • Hinwendung zum »Herrgott«, Gebete haben einen festen Platz • Kirchgang am Sonntag als Teil des eigenen Lebens

Kirche als • heimatliche Volkskirche • das Gewohnte und Bekannte • identitätsstiftend • Teil des eigenen Lebenslaufes und Alltags (»Kirchgänger«)

Glaube, Religion, Kirche

Milieukennzeichnung

Notate • Unverständnis für Abweichungen von der Norm, den Ortstraditionen • die Gepflogenheiten vor Ort als das, was – für alle – gilt • Erzählungen vor Pfarrer(in), »wie gut« der Verstorbene war (Tendenz zur Glorifizierung)



• • •



leichten (Altersbedingte Einschränkungen) Wertschätzung des Tröstenden und Haltenden Erinnerungskultur Jenseitsorientierung das Jenseits als Sehnsuchtsort de mortuis nihil nisi bene

• Wertschätzung des Pflege-

kömmlichen

• Wertschätzung des Her-

Zu erwarten:

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

Anleitungen für persönliche, rituelle und liturgische Frömmigkeit

Brücken über • das Persönliche, das Verbindliche • das Wurzelnde, das Tragende • das Herkömmliche

Anknüpfen an das • lokal Relevante • was betroffen macht

Was gut kommt: • für Werte eintreten • das Bewährte anerkennen

Was nicht gut kommt: Veränderung des Gewohnten Abweichung von dem, was »man« macht kritische Auseinandersetzung Reflexion, Infragestellung Popmusik das/ der Fremde »Experimente«, Veränderung der Liturgie, »modische Trends« • theologische und andere Fremdwörter • Ökumene, ökumenische Gottesdienste

• • • • • • •

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

Traditionsorientiertes Milieu

77

Traditionsorientiertes Milieu

LWL: L • Liberalität • Leistung • Leiten (wollen)

Anliegen/ Werte • das Leben ganzheitlich erfassen und gestalten • differenzieren und tolerant sein • eigene Selbstverwirklichung und Gerechtigkeit für andere • Verantwortung übernehmen und das Leben genießen • Bildung und Kompetenz besitzen • moderne, exquisite Formensprache

Bildungsniveau

• 7 % der Bevölkerung • Oberschicht • zw. 40-50 Jahre ∅ 45 Jahre • überdurchschnittlich hohes

LIB Die aufgeklärte Bildungselite: liberale Grundhaltung und postmaterielle Wurzeln; Wunsch nach selbstbestimmtem Leben; vielfältige intellektuelle Interessen

Milieukennzeichnung

Zu erwarten:

Was nicht gut kommt:

Gesamteindruck der Befragten: deutlich unterdurchschnittlich präsent (ländlicher Kontext! kleines Milieu!)

Thematische Aspekte: • Religionskritik • Religionsphilosophie • Religionssoziologie

Brücken: Kommunikationsweise: • intellektuell • rational • reflektiert

Was gut kommt: • sachkundiger, selbstbewusster, selbstkritischer Auftritt • offene, argumentative und kundige Kommunikation über Gott und die Welt

urteilt zu sein

• zur Passivität ver-

(»ideologisch«)

• kultureller und religiöser Anspruch • Intoleranz • keine Inszenierungen • Engstirnigkeit (»dogmatisch«) • Zurückhaltung gegenüber Glaubensüberzeugungen • Arroganz • missionarischer Ton Notate

Aber auch: • intensive Beschäftigung mit dem • religions- und institutionenkritisch Thema Bestattung (Besuch von Kre• säkular-distanzierte Grundhaltung Informationsbeschaffung • vielfach: Reflexion über Kirchenaustritt matorien; betr. Bestattungsformen) Kirche als wichtige gesellschaftliche • rationale Herangehensweise Institution mit sozialer Verantwortung; • kritisch-zwiespältiges Verhalten Träger von traditioneller Hochkultur gegenüber Kirche • Trauerbegleitung über Hospiz-Verein Christliches Leben, religiöse Praxis • Menschen, die sich Gedanken • christliche Ethik, aber Relativierung machen des dogmatischen Glaubenssystems • die aus der Kirche ausgetretene • kleine, selbst geschaffene Rituale Ehefrau des Verstorbenen (Juristen) im Alltag will ihren Mann nicht kirchlich be• verbreitet: Glaubenspraxis Meditation erdigen lassen und holt Trauerredner • vielfach: Verständnis von Gott als • individuelle Repräsentation als Form allem innewohnende Kraft der Menschenwürde • kritische Haltung auch als Ausdruck • Tod einer bekannten Kulturschafvon Engagement fenden: Tochter will den Lebenslauf • Souveränität im Umgang mit Kirchenam liebsten selber vortragen regeln

Glauben und Religion(en) • Religion als zentraler Bestandteil kulturellen Lebens • Glaube als Basis einer ethischen Grundhaltung • Wunsch nach religiöser Vielfalt und Ökumene • spirituelles Grundbedürfnis

• interessiert-kritischer Zugang zu

Glaube, Religion, Kirche

Projektionen: Was ist auf Grund des Goes und No-goes / Milieuprofils zu erwarten? / Notate Brücken und Empfehlunaus den Umfragen auf den Pfarrkongen venten

78 Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur

Liberal-intellektuelles Milieu

Kirche als • ein Stück Heimat (Jugenderinnerungen) • familiäre Nahwelt: erweiterte Familie (vgl. familia Dei) • religiöse Lebensgemeinschaft vor Ort mit v.a. familienbezogenen Einrichtungen und Angeboten Gottesdienst und kirchliches Leben haben keine Priorität; Angebote der Kirche sind gut, aber man selbst braucht sie nicht Mitarbeit bei geselligen Anlässen

• 14 % der Bevölkerung • mittlere Mittelschicht,

LWL: F • Familie • Freunde • Fleiß • Format (bürgerl.)

Ambiente; umgeben von gleich-gesinnten und ähnlich situierten Freunden • Sport, Weiterbildung, Computer, Musik, Verein • gediegen bis repräsentativ, konventionell bis modern • convenienceorientiert

• cocooning im gepflegten

se

• zw. 30–50 Jahre ∅ 52 Jahre • mittlere Bildungsabschlüs-

Christliches Leben, religiöse Praxis • Orientierung an den Zehn Geboten • Gottesbegegnungen im Gottesdienst, durch Beten • religiöse Praktiken sind traditionell überlieferte Pflicht • das kirchliche Leben hat keine Priorität • wenig Eigeninitiative

Glaube: Glaube kann (in unsicheren Zeiten) Rückhalt und Orientierungshilfe sein Glaube, Religion und Kirche gehören zusammen; Kirche ist fester Bestandteil des sozialen Gefüges Akzeptanz der ritualisierten religiösen Praxis (z.B. Gebete)

BÜM Der statusorientierte moderne Mainstream: Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen

gehobene Unterschicht

Glaube, Religion, Kirche

Milieukennzeichnung

Notate: • nachbarschaftliches Engagement • Trauerbegleitung (Hospiz etc.) • Tod eines jungen Mannes: Lieblingsgegenstände stehen auf dem Sarg; Mitschüler sagen, was ihnen wichtig ist • Frage nach Konventionen; Wunsch nach familiärem Charakter (beziehungsorientiert)

Verstorbenen (als Teil der Familie) • Bedeutung der Hoffnung auf ein Wiedersehen

• Wertschätzung des

nymen

• Zurücktreten des Ano-

Zu erwarten:

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

Anlassbezogen: • Familienbezug • Rücksichtnahme auf familiären Rahmen

Brücken: • lokal relevant für das (familiäre) Leben vor Ort • familiärer Bezug von Glaube, Gemeinde, Gott • Glaube als Orientierungshilfe und Lebenshilfe • Gegenwartsfragen mit familiärem Bezug

Was gut kommt: • das Moderne • das, was in ist • das, was vernünftig ist • Fleiß • was der Familie/ den Kindern dient

Was nicht gut kommt: das Exzentrische das Unvernünftige das Spießige das Kleinbürgerliche das Experimentelle

• • • • •

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

Bürgerliche Mitte

79

Bürgerliche Mitte

und Kirchenvertreter und Abwendung vom Glauben

• verbreitet Enttäuschung durch Kirche

spendet ihr Glauben Trost und Hoffnung

• Den wenigen (oft schlicht) Gläubigen

Glaube, Konzentration auf das Diesseits und Unbeholfenheit

• Unsicherheit (wie ver-

• Fremdheit, Unwohlsein

sachlich

Zu erwarten:

• Distanz, emotional und

Glaube

• häufig fehlende Bezüge zu Religion und

Glaube, Religion, Kirche

klingt

• alles »Akademische« • alles, was man nicht

• alles, was überheblich

Was nicht gut kommt:

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

versteht halte ich mich angemes- • alles, was die eigenen sen?) Minderwertigkeitsempfindungen stärkt Kirche • 9 % der Bevölkerung Notate: • Untere Mittelschicht, Unterschicht • als diakonische Helferin und • Pfarrer nur bei Urnen- Was gut kommt: • Wertschätzung • als dem eigenen Milieu gegenüber • prekäre Bildungsverhältnisse gang erwünscht • klare Regeln distanzierte Bildungsinstitution • zw. 30–60 Jahre • Notwendigkeit, sich • Ordnung ∅ 51 Jahre Ruhe zu verschaffen • Christliches Leben, religiöse Praxis • Hilfestellungen • Ambivalenz: Suche • viele alleinstehend oder geschieden • Erfahrung, dass das eigene Leben • Absicherungen nach Trost, aber »kir• Diskriminierungs-, Exklusions- und »christlichen« Wertvorstellungen nicht • Harmonie chenfern« Benachteiligungserfahrungen entspricht • Unterhaltung (volksLeben im Dorf, aber • einfache, schlichte, körperbetonte • Gebete um Veränderung oder Linderung • tümlich) dort kein Rückhalt; völKommunikation der prekären Lage • was »man« (= das BÜM) lige Hilflosigkeit • Spaß, Bequemlichkeit, Unterhaltung, • Empfänglichkeit für esoterische und tut sektiererische Angebote • Anti-Intellektualität Brücken: • Anti-Alternativ-Haltung • teils »kindliche« Anhänglichkeit, teils • kein/kaum Interesse an • Interesse an Technik Abwendung aufgrund von schlechten religiösen oder kirchliLWL: B Erfahrungen chen Themen • benachteiligt • pragmatische Inanspruchnahme von • nichts Theoretisches sozialen Einrichtungen • bemüht (Anschluss zu halten) • körperbetonte Aktionen • beunruhigt • Beratungsangebote sind wenig gefragt

PRE Die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht mit starken Zukunftsängsten und Ressentiments: Häufung sozialer Benachteiligungen, geringe Aufstiegsperspektiven, reaktive Grundhaltung; bemüht, Anschluss zu halten

Milieukennzeichnung

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

80 Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur

Prekäres Milieu

media-Kompetenz

LWL: A • Anspruch • Avantgarde • Antrieb • Abwechslung • Abgrenzung

• zw. 30 und 50 Jahren • ∅ 41 Jahre • hohes Bildungsniveau

obere Mittelschicht

• Lifestyle-Avantgarde • 7 % der Bevölkerung • Oberschicht und

Christliches Leben, religiöse Praxis • Prinzip der Nächstenliebe als Fundament der Gesellschaft • Ablehnung von Frömmigkeit und Gottesfurcht • Wenig spirituelle Erfahrungen • Gebet als innerer Dialog

Kirche • Kirche als virtuelle Dienstleisterin • Kirche ist gut als Kirche für andere • »Kirche ist da, wo ich nicht bin«; »Kirche braucht mich nicht« • Angst vor Missionierung

Glaube • Glaube widerspricht den Kernwerten Rationalität und Eigenverantwortung • Glaube als »Exit-Strategie« aus den Zwängen des Alltags • Vorbehalte gegenüber den etablierten Religionen; • Distanz zur Kirche als Institution • kirchliches Leben ist kaum anschlussfähig an das moderne Leben

PER Die multioptionale, effizienzorienterte Leistungselite: global-ökonomisches Denken; Konsum- und Stil-Avantgarde

• hohe IT- und Multi-

Glaube, Religion, Kirche

Milieukennzeichnung

Mutter (überzieht dabei die Zeit)

• Sohn formuliert Lebenslauf der

Lebenswürdigung

• Aufklärung: Beerdigung mehr als

Sachverhalte nötig (und möglich)

• Traditionsabbruch • Aufklärung über grundsätzliche

»passiert«

• keine Ahnung, wie Bestattung

Notate: allgemeiner Eindruck (vermutlich wg. ländlicher Prägung): PER sind unterrepräsentiert

fundenen Regelungen/Konventionen, Ritualen, dogmatischen (erstarrten) Überzeugungen • Wille zur Mitgestaltung von Bestattung/Trauergottesdienst, inkl. konreter Planungen (bei Verstorbenem und Hinterbliebenen)

• Interesse an Neuem, Anderen • Kritik an festen, als starr emp-

Zu erwarten:

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

Brücken: • willkommen: sachliche Information; Überblick, historisch, ordnend • Themen: Erfolg, Effizienz, Leistung, Karriere • Brücken: Events, Herausforderungen, Projekte

Was gut kommt: • Leistungsbereitschaft, Zielstrebigkeit • Streben nach Effizienz • anspruchsvolles, modernes Design • Distinktionsmöglichkeiten

Was nicht gut kommt: • das Prinzipielle • das Unbewegliche • das bloß Behauptete • Scheu vor Risiko und Veränderung • Orientierung an Konventionen • triviale Kultur • billiges Design • mangelnde Professionalität

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

Performer-Milieu

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Performer-Milieu

LWL: I • Individualismus (extrem) • Inszenierung von Individualität • Innovation: das Neue ist angesagt • Interesse

finanz. Ressourcen

• hohe Bildung +

Eltern wohnhaft

• viele Ledige; bei

kerung

• ∅ 28 J. • 7 % der Bevöl-

EPE Die ambitionierte kreative Avantgarde: mental und geografisch mobil, online und offline vernetzt und auf der Suche nach neuen Grenzen und neuen Lösungen

Milieukennzeichnung

Zu erwarten: sondern die Hinterbliebenen, die die jungen Menschen bestatten müssen • Interesse an Eventisierung auch der Trauerfeier • Wunsch nach Beteiligung an Trauergottesdienst/ Bestattung

• Interesse an Alternativen • im Fokus nicht die Verstorbenen,

Notate: • Wunsch nach Bestattung als individuellem und individuierenden Akt • Beerdigung im Künstler-Milieu, intellektuell geprägt Christliches Leben, religiöse Praxis Lieblingsmusik wichtig • • Zehn Gebote als Universalwerte Spannung zu TRA-Umfeld im Dorf • Ablehnung kirchlicher Praxis • (mit seinen Erwartungen) • gelebte Spiritualität in der Auseinander• sehr häufig Bestattungen in Friedwälsetzung mit sich selbst dern (wg. Individueller Gestaltungs• Glaube kann interessant sein, wo und möglichkeiten) wenn man mit dem eigenen Tod konfronwenig Bezug zum Ortsfriedhof (wg. • tiert wird und Kirche Antworten bietet geographischem Ungebunden-Sein) Geborgenheit angesichts der Ungewiss• Pfarrer und Pfarrerin nur noch als • heit des Todes Liturg • Lied mit elektr. Anlage gesungen; mit • keine Beteiligung, kein Interesse Smartphone wird gefilmt, wie der • der eigene Glaube wird außerhalb der Sarg versenkt wird; Pfr. als Moderator Kirche gelebt

Kirche • Kirchengemeinde als No-go-Area • Kirche als evtl.e Möglichkeit: gut für andere, man selbst braucht die Kirche nicht

Glaube • Glaube als individuelles Konzept jenseits der bestehenden Religionen • Offenheit für unterschiedlichste spirituelle Angebote; häufig Patchwork-Glauben • Ablehnung institutionalisierten religiösen Lebens und jeder Art von religiösem Fanatismus

Glaube, Religion, Kirche

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

Anlassbezogen: • Erfahrungsangebote (sinnlich) • Aussegnung • Kreuz auf die Stirn der Angehörigen

Brücken: • Narrative • horizonterweiternd • stylisch • undogmatisch • spirituell ausgefallen • eventformatiert

Was gut kommt: • Herausforderungen • Dynamik • Grenzen überschreiten

Was nicht gut kommt: das Normale das Übliche das, was man tut kirchliche Gebäude

• • • •

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

82 Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur

Expeditives Milieu

LWL: P • pragmatisch • persönlich • passend

• • • •

9 % der Bevölkerung ∅ 36 Jahre 50 % verh. Bildung + Finanzen: mittel – gehoben • Eines der drei MitteMilieus

PRA Die moderne junge Mitte unserer Gesellschaft mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül: • Wunsch nach spirituellen Wellness- Angeboten • zielstrebig und kompromissbereit, • hedonistisch und konventionell, • flexibel und sicherheitsorientiert • starkes Bedürfnis nach Verankerung und Zugehörigkeit

Milieukennzeichnung

Christliches Leben, religiöse Praxis: • die Frage nach Gott spielt im Alltag keine Rolle • christliche Rituale als Markierungspunkte von Lebensphasen • Beten nur mit Kindern • Feste ohne Kirche nicht vorstellbar, sonst wenig Berührungspunkte • Kirche mit lebenszyklischer und jahreszyklischer Begleitung, Unterteilung und Orientierung • Sicherheit durch Regeln, aber kein Zwang • Nützlichkeitsaspekte (Kirche als ServiceAgentur) • Kirche hat keine Alltagsrelevanz

Kirche: • Kirche ggf. als Service-Agentur (Nützlichkeitsaspekte) • Kirche hat keine Alltagsrelevanz • keine ausgeprägte Austrittsneigung

Glaube: • Glaube und Religion sind alltagsfern; aber Offenheit für Kasualien • Religion und Glaube werden unter Nützlichkeitsaspekten betrachtet; Kirche als Dienstleisterin • Wunsch nach spirituellen WellnessAngeboten

Glaube, Religion, Kirche

Notate: • »Etwas soll bleiben« • »Bedeutung, sich in einem Übergreifenden zu verorten« • relevant und fragwürdig werden Antworten auf die Frage: »Was tröstet (jetzt)?«









punkte sind wichtig: Handling How-to-Fragen: Wie macht man das, Bestattung etc.? im Widerspruch dazu: was gibt Halt? (Regrounding) evtl. auch: Was passiert beim Tod, im Tod, nach dem Tod? Wie rede ich mit meinen Kindern über den Tod von X?

tion mangelnder Praxisbezug alles Ideologische traditionelle Werte Hochkultur

Bestattung

• Antworten, etwa für Kinder • Informationen über kirchliche

von Tod und Trauer

• Glaube als Hilfe zum Leben • Glaube als Hilfe zum »Begehen«

relevant, wo sie ins persönliche Leben hineinragen und einen konkreten Nutzen haben

• Kirche und Glaube sind da

Brücken: • praktisch, übersichtlich • praxisrelevant

Was gut kommt: • Offenheit, Flexibilität • Sich-Auskennen und Können • Absicherung und - nichtbürgerliche Geborgenheit

• • • •

Was nicht gut kommt:

• abgehobene Glaubensinforma-

Zu erwarten:

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

• pragmatische Gesichts-

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

Adaptiv-pragmatisches Milieu

83

Adaptiv-pragmatisches Milieu

LWL: G • Gerechtigkeit (für alle als Ziel) • Gewissen • Gefährdung (der Welt als Fokus)

Glaube: • kirchen(-institutionen-)kritische Grundhaltung • der persönliche Glaube ist nicht an eine Religion gebunden, häufig individuelles Glaubens-Patchwork • Faible für fernöstliche spirituelle Angebote

SÖK Konsumkritisches / -bewusstes Milieu mit normativen Vorstellungen vom »richtigen« Leben: • ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen • Globalisierungs-Skeptiker • Bannerträger von Political Correctness und Diversity • ∅ 48 J. • 7 % der Bevölkerung • Bildung: gehoben • Finanzen: mittel - gehoben

keits-Veranstaltungen

• Unterstützung von Wohltätig-

Angebote

• Bildungsangebote, kulturelle

Christliches Leben, religiöse Praxis: • christliche Werte als Grundlage einer solidarischen Gesellschaft • als Christ(in) Vorbild sein, selbstverantwortlich handeln • Ideologie-kritische Auseinandersetzung mit Religion und Kirche

Kirche: • als soziale Bewegung • als Projekt • als Kontrastbewegung

Glaube, Religion, Kirche

Milieukennzeichnung

Notate: Holz und Kerzen als Medien der Erinnerung









Kirchlichen, Liturgischen, Frommen, Konventionellen Wertschätzung der ethischen Leistung des Verstorbenen Berücksichtigung von sozialökologischen Gesichtspunkten für die Gestaltung von Bestattung und Trauerfeier Kommunikation: aus (religions-) kritischer Perspektive; distanziert; verantwortungsethisch relevant Wunsch nach Selbstbeteiligung

• Zurückhaltung gegenüber dem

Zu erwarten:

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

Tonalität der Ansprache: • Verbindung von Glaube und gesellschaftlicher Verantwortung • Kirchliche Kritik an Missständen • Aneignung durch Kritik

Brücken: Schonung von Ressourcen und Energie beim Kasus

Was gut kommt: • Ressourcen schonen • Verantwortung zeigen: global, generationenübergreifend • Zivilisationskritik • Sensibilität für Interessen und Gesichtspunkte der SÖKLebenswelt

Was nicht gut kommt: autoritär-autoritative Vorgaben dogmatische Zumutungen Intoleranz das Protzige, Luxus das Trendige

• • • • •

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

84 Milieusegmentierung und Ausdifferenzierung der Bestattungskultur

Sozialökologisches Milieu

Glaube, Religion, Kirche

Glaube und Kirche: • Glaube und Religion haben im Alltag wenig Bedeutung • die Bestimmungen der (christlichen) Religion sind einengend und spaßfeindlich • stark individualisierte Glaubenskonzepte – losgelöst von Kirche, Religion oder sogar Gott • 15 % der Bevölke- • gegen religiöse Konrung ventionen • Unterschicht, un- • Kirche als Inbegriff tere Mittelschicht bürgerl. Konventionen • ∅ 39 Jahren Christliches Leben, reli• einfache bis mittgiöse Praxis: lere Abschlüsse, oft ohne Schulab- • Ablehnung religiöser Ge- und Verbote schluss • diffuser Gottesbegriff Subdifferenzierung: • großes Interesse an esoterischen Angebo• Experimentalisten ten und Praktiken • Konsum-Hedo• keine Gebete im »klasnisten sischen Sinn« LWL: Sp • teils empfänglich für die besondere Atmo• Spontaneität sphäre von Gottes• Spaß diensten • Spannung • teils ist Kirche »im Moment nicht dran«

HED Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht / untere Mittelschicht: Leben im Hier und Jetzt, Verweigerung von Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft

Milieukennzeichnung

(nach der Bestatterstudie zweithöchster Wert der Für Experimentalisten: Feuerbestattungen: knapp 60 %; 15 % anonyme • GD.e zu ungewöhnlichen Zeiten; GD.e am Bestattungen; Urnen-Grab als Favorit; ein Drittel Nachmittag/ späten Abend/ in der Nacht; der Gräber ohne Grabstein) GD.e an Heterotopien • viele Veranstaltungen, die nicht als GD.e Notate: formatierbar sind: Voten von HED-Hinterbliebenen: mystische und feierliche Inszenierungen • nach dem Tod kommt ja nichts • • musikalische und symbolische Handlungen • der Name nutzt nur so lange etwas, wie man lebt sinnliche und Sinnerfahrungen • ich hab’ mit dem Tod nichts zu tun. Ich bin nicht • Inszenierung von Ritualen • dabei (ist nicht mein Tod) Improvisationen und stilistische Experimente • Erinnerungskultur: unökonomisch und »unnötig« • Was gut kommt / käme, auch für Konsum-HedoRahmenbedingungen: nisten: • Torwart-Trikot im offenen Sarg (Torwart-Hand• das Ungewöhnliche, das Extreme schuhe, Bayern-München-Fan-Kleidung) • das Spontane, Spannende, Neue • Trauergespräch im Wintergarten, in kurzen • das Ausprobieren Hosen; kein Bezug zur Kirchengemeinde, aber • das Chillige; teilw.: das Schrille; das Stylische Wunsch nach kirchlicher Bestattung; kurze RühBrücken über rung am Grab, sonst unberührt • offene, abwechslungsreiche, flexible, evtl. Pastorale Herausforderung: mobile Gestaltung des Trauergottesdienstes • Rauchen und Schwätzen während der Trauerfeier • direktes Ansprechen existentiell wichtiger Fragen • Musikwünsche als Teil der Biographie • ungewöhnliche Situierung: hinsichtlich Zeit, • Pfr. wird vom Bestatter angerufen, weil dieser Ort, Ablauf Hilfe braucht bei einem Hinterbliebenen, der sei- • initiative, kreative, ausgefallene Gestaltung nen Angehörigen nicht bestatten lassen will • Event-Formatierung

• nicht erinnert und nicht aufgehalten werden wollen Was gut kommt: • keinen Aufwand treiben Frage des Submilieus (konsum-hedonistisch oder • pragmatisch-pflegeleichte Gestaltung experimentalistisch)

der große Spaßverderber

Was nicht gut kommt: • was einengt • was keinen Spaß macht • was regelmäßig und geplant abläuft

Zu erwarten:

Goes und No-goes / Brücken und Empfehlungen

• gegen das, was alle machen • Unbehagen: der Tod als Feind des Lebens und

Projektionen: Was ist auf Grund des Milieuprofils zu erwarten? / Notate aus den Umfragen auf den Pfarrkonventen

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Hedonistisches Milieu

Der Weg zur Bestattung Ein Durchgang Rainer Heimburger

Die kirchliche Bestattung ist eine Kasualie, eine Amtshandlung in einem besonderen »Fall«. Die Bestattung ist im Alltag des Pfarramtes der »Ernst-Fall«: Der Tod bricht ins Leben. In dieser Situation wird der Kirche immer noch eine besondere Kompetenz zugetraut. Das macht die Bestattung zur vielleicht bedeutsamsten kirchlichen Amtshandlung. Ernst zu nehmen ist sie auf jeden Fall für die Kirchenmitgliedschaft. Kirchlich bestattet zu werden, ist ein starkes Motiv, in der Kirche zu sein, zu bleiben oder wieder einzutreten. Diese Motivation ist jedoch im Schwinden. Denn den Kirchen ist ernst zu nehmende Konkurrenz entstanden. Sie kommt meist aus den Reihen der bisherigen »Marktpartner« der Kirchen, den Bestattern, zum Teil auch von alternativen Anbietern von Trauerbegleitung und Bestattung. Ihr Pfund, mit dem sie wuchern, ist die »individuelle Gestaltung« von Trauerfeiern bzw. Bestattungen. Implizit wird damit den Kirchen vorgeworfen, sie böten bei Bestattungen nur Routine statt persönlicher Begleitung, nur Formeln statt individuellem Zuspruch. Menschen suchen sich heute nicht nur den eigenen »way of life« aus, sondern auch ihren eigenen Umgang mit Tod, Trauer und Bestattung. Dieser richtet sich oft an aktuellen Moden (abzulesen an den Musikwünschen) oder neuen Üblichkeiten aus (in den Friedhofskapellen finden sich neben traditionellen Gestecken und Kränzen inzwischen ganze »Kerzenmeere«). Auch im Zusammenhang von Sterben, Trauer und Bestattung wirkt hier das Paradigma der Individualisierung: Es löst aus historisch vorgegebenen Sozialformen. Traditionales Handlungswissen und leitende Normen gehen verloren. Im besten Fall finden Menschen in der Konsequenz ihre eigene Form.1 Die Individualisierung der Kasualie Bestattung bietet durchaus Anknüpfungspunkte für kirchliche Seelsorge, Verkündigung und (neue) Riten. Die Agenden räumen dafür die Möglichkeit ein, sehr individuelle Elemente des Abschiednehmens in den Ablauf des Bestattungsgottesdienstes zu integrieren. Sie ermöglichen es, Würde, Wert und Individualität eines Menschen zu entfalten. Diese Individualität kann theologisch, seelsorglich und liturgisch fruchtbar gemacht werden.

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Ulrich Beck, Die Risikogesellschaft, Frankfurt/M. 1986, 206.

Der Weg zur Bestattung

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Wer von der unverwechselbaren Persönlichkeit eines Menschen und von dem, was er anderen Menschen bedeutet hat, erzählen will, muss sich auf einen Weg begeben. 1 Der Weg zur Bestattung 1.1 Der Besuch am Sterbebett »Herr Pfarrer, Frau X geht es nicht gut. Da sieht es schlimm aus. Es wäre gut, wenn Sie da mal vorbeischauen könnten.« Im Pfarramtsalltag ist immer viel los. Da kommt ein ungeplanter Besuch ungelegen. Trotzdem habe ich gelernt, diese Sätze (nicht: »Frau X würde sich über Ihren Besuch freuen.«) ernst zu nehmen. In zwei von fünf Fällen habe ich die besagte Person fröhlich beim Kaffeetrinken angetroffen. In weiteren zwei Fällen war sie zwar noch im Bett, aber auf dem Weg der Besserung. In allen vier Fällen habe ich als Gemeindepfarrer »gepunktet« (»Der kümmert sich.«) Nur in einem von fünf Fällen ging es wirklich aufs Sterben zu. Aber da war es besonders hilfreich, da zu sein – nicht nur weil geistliche Sterbebegleitung und seelsorgliche Begleitung der Angehörigen wahrgenommen werden konnte, sondern weil sich hier schon früh die Möglichkeit bot, im Gespräch mit dem Sterbenden und seinen Angehörigen die Person, ihre Angehörigen und ihr Umfeld kennenzulernen. Im städtischen Kontext wird das nicht allzu oft gelingen. Aber wenn es gelingt, ist es ein seelsorglicher Glücksfall. Diesem Glück kann man aber immer wieder auf die Sprünge helfen, indem man im Laufe der Zeit ein Netzwerk aufbaut: Gemeindeglieder, die wissen, ihre Pfarrerin / ihr Pfarrer geht hin, wenn ich sie/ihn darauf hinweise; Mitarbeitende in Pflegeheimen, Krankenhäusern und im Hospizdienst, die Zutrauen zur Pfarrperson gefasst haben. 1.2 Die Aussegnung Die Situation nach dem Eintritt des Todes ist hoch bedeutsam. Der bewusst vollzogene Abschied vom toten Körper beeinflusst den Trauerverlauf meist positiv. Trauernde sind in dieser Zeit offen für religiöse Deutungen und Rituale. Eine Aussegnung hilft ihnen auf dem Weg der Trauer weiter. Sie bietet auch die Möglichkeit, markante Erinnerungen an die/den Verstorbenen in die Abschiedszeremonie einzubringen. So steht die Person, von der Abschied genommen wird, nochmals vor Augen. In (kirchlichen) Pflegeheimen gehört ein »Abschiedsraum« inzwischen zum Standard. Er bietet die Möglichkeit, ruhig und intensiv Abschied von den Toten zu nehmen. Die Möglichkeit, die zu Hause Verstorbenen noch eine Weile in der eigenen Wohnung zu belassen und dort auszusegnen, bevor der Bestatter die Leiche

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abholt, sollte der Gemeinde immer wieder bekannt gemacht werden. Die wohltuende Wirkung eines solchen Abschieds spricht sich schnell herum. Wer sich als Pfarrperson auf diesen hilfreichen Weg einlässt, muss aber für eine verlässliche Erreichbarkeit sorgen. Dienstgruppen von mehreren Kolleginnen und Kollegen sind entlastend. 1.3 Das Gespräch vor der Bestattung Das vorbereitende Gespräch vor der Bestattung sollte zeitnah, möglichst 24 bis 48 Stunden nach Eintritt des Todes geführt werden. Idealer Ort des Gesprächs ist die Wohnung des Verstorbenen oder seiner nächsten Angehörigen. Wer die Trauerfeier milieusensibel gestalten will, muss das Umfeld, in dem die/der Verstorbene lebte, kennen (lernen) und sich mit seinen persönlichen »Ekelschranken« auseinandersetzen. (Ganz selbstverständlich läuft auch neben dem Trauergespräch das Nachmittagsprogramm von Vox. In einem anderen Fall läuft im Hintergrund eine CD der »Castelruther Spatzen«. »Das war seine Lieblingsmusik!« Oder ich sitze beim Trauergespräch auf einem italienischen Designersofa, das teurer ist als ein Mittelklassewagen, und mir werden die Golf-Trophäen des Verstorbenen gezeigt.) Das Umfeld spricht deutlich über die Person. Zu Beginn lasse ich die Angehörigen vom Weg ins Sterben und vom Sterben berichten. Wie verlief die Krankheit? Waren Sie dabei? Wie ist es dem/der Sterbenden ergangen? Hatte er/sie Schmerzen? Noch einmal haben sie so die Möglichkeit, sich den Tod ihres/ihrer Verstorbenen vor Augen zu führen, bevor sie sich auf den Weg in die Zukunft ohne sie/ihn machen. Manchmal glimmt hier schon ein Funke Trost beim Durchgang durch die Trauer auf. Im Mittelpunkt des Trauergesprächs steht das Erzählen. Falls nötig, gebe ich Hilfestellung, indem ich nachfrage: Was sind wichtige Lebensstationen gewesen (Beruf, Familie)? Was war dem Verstorbenen wichtig (Hobbys, Musik, Reisen)? Wie war sie/er? Ich halte diese Phase des Gesprächs für zentral. Kirche »kann heute nur reden, wie sie reden soll, wenn sie zunächst mit sich reden läßt. Sie muss sich im eigentlichen Sinn des Wortes herausfordern, in die ihr unbekannten Lebenssituationen […] hineinberufen, über sie informieren […] lassen, wenn sie das notwendige Wort finden will, in dem die Verheißung durchbricht.«2 Sich zu erinnern, zu erzählen und sich darin auseinanderzusetzen mit der Beziehung zum Toten: Was war gut? Was verdanken wir einander? Wo haben wir es miteinander schwer gehabt? Was ist an belastenden Konflikten und Versäumnissen übrig geblieben? Noch ist die/der Verstorbene noch ganz gegenwärtig, und doch führt das Gespräch die Trauernden einen Schritt weiter auf dem Weg des Abschiednehmens. 2

Ernst Lange, Der Pfarrer in der Gemeinde heute, in: ders., Predigen als Beruf, München 1982, 127.

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Erst gegen Ende des Gesprächs kläre ich den Ablauf und Gestaltungswünsche der Bestattung ab. Die Agenden bieten inzwischen Freiräume für persönliche Worte und Abschiedsgesten, wenn sie gewünscht werden. 1.4 Musik Die Musik hat bei der Gestaltung einen hohen Stellenwert.3 Sie ist oft noch vor der Ansprache und den Gebeten der »mood manager« des Bestattungsgottesdienstes, steuert also die Befindlichkeiten und Gefühle. Für die Angehörigen ist klar: Die Musik soll den Verstorbenen / die Verstorbene repräsentieren. Deshalb werden Musikstücke gewählt, die sich an der Lebenswelt der beteiligten Menschen orientieren. Sie dient dazu, eine Verbindung zwischen dem Leben der Betroffenen und dem Gottesdienst herzustellen. Das gelingt nur, wenn die Musik authentisch ist, ganz gleich ob sie den gottesdienstlichen Traditionen entspricht oder zuwiderläuft. Diese Spannung zwischen kirchlicher Tradition und den Sichtweisen und Bedürfnissen der Angehörigen macht die Wahl der Musikstücke zur »Verhandlungssache« im Trauergespräch. Musikwünsche lehne ich nur ab, wenn meine Einwände aus inhaltlichen Gründen massiv sind. Auf traditionelle Kirchenmusik zu verzichten ist jedoch nicht sinnvoll, sie verleiht der Trauerfeier einen durchaus auch von den Angehörigen gewünschten würdigen Rahmen und setzt sie so vom Alltag ab. Die im Trauerhaus gemachten Beobachtungen und die »ausgehandelten« Musikstücke werden zu Bausteinen eines kreativen »Einschmelzungsprozesses«. Nicht als »Anpassung opportunistischer Art an die Milieus«, sondern als ein Weg, »mit ihnen und dem in ihnen vorhandenen kulturellen und sozialen Material zu arbeiten«.4 Wo ergeben sich Anknüpfungspunkte für die Verkündigung? Wo entdecke ich in der Wohnung, im Umfeld des Toten oder in dieser Musik etwas, das ich für die Bestattung und in Korrelation mit Biblischem verwenden kann? 2 Die Predigt bei der Bestattung Der Wunsch nach einer möglichst individuellen Bestattung und dem Eingehen auf die Persönlichkeit des/der Verstorbenen und auf die Situation der Angehörigen ist eigentlich der Wunsch nach einer »Wieder-Holung« dessen, was einem mit ihr/ihm verbunden hat. Dabei geht es nicht um ein umfassendes (Verlesung des Lebenslaufs), sondern um ein exemplarisches Erinnern und Erzählen, das biographische Episoden aufsucht, in denen sich ausdrückt, was die Person in 3 Vgl. hierzu Stephan Alexander Reinke, Kasualgottesdienst. Musikalische Aushandlungsfragen, in: ders. (Hg.), Werkbuch Musik im Gottesdienst, Gütersloh 2014, 48–54. 4 Petra-Angela Ahrens / Gerhard Wegner, Soziokulturelle Milieus und Kirche, Lebensstile – Sozialstrukturen – kirchliche Angebote, Stuttgart 2013, 135.

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ihrer Individualität ausmacht. Das kann ebenso tröstliche wie schmerzliche, aber auch konfliktträchtige Aspekte beinhalten. Es geht dabei für den Predigenden in der Vorbereitung auch um die Entdeckung und Entfaltung dessen, was dieser Mensch als Geschenk Gottes für seine Angehörigen und auch für die Welt gewesen ist. Dag Hammarskjöld hat das einmal so formuliert: »Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes, ausgesprochen im Augenblick seiner Geburt und zuendegedacht in dem Moment, da er stirbt.« Die Perspektive, die der Pfarrer / die Pfarrerin dabei einnimmt, ist mehr und anders als ein würdigender und dankbarer Rückblick. Es geht nicht nur darum, wie er/sie »wirklich« gewesen ist, sondern darum, was der/die Verstorbene im »Licht des Evangeliums« ist. Ein Leben im Licht der Gnade kann auch Fehler und Sprünge aushalten. Und es kann nie umfassend, sondern nur fragmentarisch und deshalb ergänzungsbedürftig, sogar revisionsbedürftig gesehen und dargestellt werden (»Dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin«, 1Kor 13,12). Die biblische Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ist eine Hoffnung auf Verwandlung (1Kor 15,35–49): Ansonsten bleiben die biblischen Hoffnungsbilder sehr zurückhaltend. Sie schildern das Sein bei Gott metaphorisch als Raum, in dem gehalten und geheilt wird (Joh 14,2; 2Kor 5,1; Offb 21). Das reicht der Bibel als Trost und sollte unserer Fantasie in der Trauerpredigt ebenfalls Grenzen setzen. Auch die tröstlichste Predigt wirkt in eine Situation höchster Betroffenheit hinein. Da ist es gut, die Predigtgedanken noch einmal nachlesen zu können. Deshalb gebe ich den Text aus der Hand (manchmal unmittelbar nach der Bestattung, oft später s.u.). Die Predigt kann in den Wochen und Monaten nach der Bestattung den Angehörigen dabei helfen, den Weg über die Schwelle in eine neue Lebenssituation zu gehen. 3 Und danach? Die großen Änderungen im Leben brauchen Zeit. Und manchmal auch Begleitung. Wie viel Nähe ist notwendig, wie viel Distanz? Wann ist ein (Nach-)Besuch hilfreich? Ein auf diese Aufgabe hin fortzubildender Besuchsdienstkreis mit lebenserfahrenen Menschen entlastet die Pfarrperson. Die Zeit spielt eine wichtige Rolle. Zu sensiblen Terminen schreibe ich Briefe oder eine Karte zum Todestag: nach vier Wochen, auf jeden Fall nach einem Jahr, und lege die Predigt zur Trauerfeier bei. Ich signalisiere damit: Ich denke an euch. Ich bete für euch. Ich stehe als Ansprechpartner zur Verfügung – auch über den »Fall« Bestattung hinaus.

Die evangelische Trauerfeier als Ritual Thesen zur Gestaltung von Bestattungen Matthias Kreplin / Ulrike Beichert

a) Grundelemente zum Verständnis von Trauerfeiern und Bestattungen 1. Ausgangspunkt eines evangelischen Bestattungsverständnisses ist, dass die Trauerfeier für die Lebenden gestaltet wird. Die verstorbene Person können wir nur noch der Gnade Gottes anbefehlen. Sie in Ehren zu bestatten, ist das Letzte, was wir noch für sie tun können. 2. Zum Dienst an den Lebenden gehört es allerdings, ihnen einen guten Abschied von ihren Toten zu ermöglichen und sie dabei seelsorglich zu begleiten. Die »Zeit mit den Toten« im Vorfeld der Bestattung in evangelischer Verantwortung mitzugestalten, sie als wichtige Phase der Seelsorge wahrzunehmen und die Angehörigen auch in der Zeit nach der Bestattung zu begleiten, gehört deshalb mit zum Auftrag der Bestattung. 3. Eine evangelische Bestattung ist ein im Namen des dreieinigen Gottes gefeierter Gottesdienst mit einer Würdigung des Verstorbenen durch Dank – und eventuell auch Klage, der Verkündigung der Auferstehungsbotschaft als Hoffnung über den Tod hinaus, der Fürbitte für die Trauernden, der unter Bibelwort und Gebet vollzogenen Bestattung mit Anbefehlung des/der Verstorbenen in Gottes Hand, der Entlassung der Versammelten mit dem Segen. 4. Eine evangelische Trauerfeier ist ein Ritual zur Gestaltung des Abschieds von der verstorbenen Person und des Übergangs in ein Leben ohne die (leibliche) Gegenwart der verstorbenen Person. 5. Als Ritual lebt eine Trauerfeier von vorgegebenen, vertrauten Elementen und ist zugleich offen für neue Elemente. Ein Ritual erfordert darum eine bewusste Gestaltung von Handlungsvollzügen, Gesten, Worten, Musik und Zeichen. 6. Eine evangelische Trauerfeier geht individuell auf den jeweiligen Fall ein. Sie versucht eine christliche Lebens- und Todesdeutung angesichts eines konkreten Lebens und dessen Endes. Christliche Tradition ist auf diesen konkreten Fall hin zur Sprache zu bringen. Bei aller Hochschätzung des Rituellen darf eine Trauerfeier nicht zum formelhaft erstarrten Ritual ver-

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kommen. Hier ist kreative und elementare Sprache und bewusste situationssensible Gestaltung des Ritus erforderlich. Zur evangelischen Bestattung gehört die seelsorgliche Begleitung der Trauernden – beginnend vielleicht sogar mit der Sterbebegleitung oder einer Aussegnung, auf jeden Fall mit einem intensiven Gespräch zur Vorbereitung der Trauerfeier und – wenn möglich – mit Nachbesuch(en). In der Seelsorge braucht es Milieusensibilität, um anderen Trauerkulturen (zum Beispiel in Hinblick auf den Umgang mit dem Leichnam, auf das Verhalten vor, während und nach der Trauerfeier, auf die Wahl der Kleidung, auf Gestaltungswünsche) mit Akzeptanz und ohne Vorurteile begegnen zu können. Diese Herausforderung zeigt sich vor allem, wenn Gestaltungswünsche der Angehörigen von der Pfarrperson als kitschig oder protzig wahrgenommen werden. Dabei gilt es, die eigene Milieuverhaftung der Pfarrperson nicht zu schnell mit einer christlichen Trauerkultur zu verwechseln. Je mehr es gelingt, in der Zeit zwischen Sterben und Trauerfeier seelsorglich präsent zu sein, desto leichter wird es sein, eine Trauerfeier und die Bestattung angemessener und für die Angehörigen hilfreich zu gestalten. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der Institutionen außerhalb der Kirche (Hospize, Pflegeheime, Bestattungsunternehmen) sich der »Zwischenzeit« zwischen Tod und Bestattung vermehrt annehmen und dafür Raum und Rituale anbieten. Wenn diese ursprünglich wesentliche Aufgabe christlicher Gemeinde und dieser Teil des christlichen Umgangs mit dem Tod so »auswandert«, führt das gelegentlich dazu, dass die eigentliche Bestattung für die Trauernden an Wert verliert: Das emotional Wichtigste (der Abschied) ist ja schon gestaltet. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, die »Zwischenzeit« mit ihren spezifischen Formen (Totenwache, Aussegnung etc.) wieder mehr in den Blick zu nehmen und dafür Verantwortung zu übernehmen. Durch die Bestattung wird ein Mensch der Ewigkeit Gottes anvertraut (Anbefehlung) und damit den Lebenden entzogen. Zur Bestattung gehört die Distanzierung der Lebenden von dem Verstorbenen. – Dies widerspricht einem ungesunden Festhalten an den Verstorbenen (z.B. dem Wunsch, die Urne eines Verstorbenen im Wohnzimmer aufzuheben oder die Asche eines Verstorbenen zu einem Diamant zu pressen). Es braucht einen Ort der Erinnerung für Verstorbene, an den Trauernde kommen können, um Abschied zu nehmen, und an den spätere Generationen kommen, um sich ihre Wurzeln zu vergegenwärtigen. Dazu gehört, dass dieser Ort namentlich gekennzeichnet ist. Die Landeskirchen treten deshalb dafür ein, dass niemand (z.B. aus finanziellen Gründen) anonym bestatten werden muss. Die Entwicklung auf vielen Friedhöfen, ansprechend gestaltete Urnenfelder mit den Namen der Bestatteten einzurichten, ist ausdrücklich zu begrüßen. Wird der Wunsch nach einer anonymen Bestattung vorgetragen, so ist mit der Trauerfamilie stets auszuloten, ob es auch Alternativen gibt. Wo anonyme Bestattungen ohne Trauerfeiern statt-

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finden (Sozialbestattungen ohne Angehörige), versucht die Landeskirche (evtl. in Kooperation mit anderen Kirchen), Trauerfeiern oder zumindest liturgische Bestattungsformen anzubieten. 12. Eine nachlaufende seelsorgliche Begleitung Angehöriger ist wünschenswert, in vielen Fällen aber angesichts der hohen Anforderungen an den Pfarrberuf nicht durchgängig leistbar. Hier haben sich besondere Angebote für Trauernde (z.B. Trauercafés, ehrenamtlicher Besuchsdienst) wie auch jährliche Gedenkfeiern (z.B. mit persönlicher Einladung aller Angehörigen zum Gottesdienst am Ewigkeitssonntag) sehr bewährt. b) Zur Gestaltung von Bestattungen und Trauerfeiern 13. Im Bemühen, eine persönlich passende Gestaltung zu finden, kann die Milieuperspektive hilfreich sein. Sie ersetzt aber nicht das genaue Wahrnehmen und Eingehen auf die individuelle Situation. 14. Ein Kennzeichen der Gegenwart ist, dass die Selbstverständlichkeit christlicher Trauerrituale zerbrochen ist. Ein Element der seelsorglichen Vorbereitung der Trauerfeier und Bestattung ist es deshalb, den Ablauf der Trauerfeier sehr detailliert miteinander zu besprechen und ggf. auch miteinander zu entwickeln. 15. Die Teilnehmenden an Trauerfeiern kommen häufig aus sehr verschiedenen Milieus. Hier ist darauf zu achten, dass bestimmte Milieus nicht durch Gestaltungselemente so sehr mit Ungewohntem konfrontiert werden, dass sie nicht mehr mitfeiern können. 16. Eine Trauerfeier ist so zu gestalten, dass auch Menschen, die keine kirchliche Sozialisation mitbringen oder denen der Glaube an die Auferstehung der Toten schwerfällt, so weit als möglich in das Ritual einbezogen bleiben, ohne dass es zu problematischen inhaltlichen Anpassungen und Reduktionen kommt. 17. Ein wesentliches Gestaltungselement ist die Musik. Sie erfüllt verschiedene Funktionen und dient der Einstimmung – z.B. als Hintergrundmusik oder als Eingangsmusik; der Vergewisserung von Gemeinschaft untereinander und mit Gott – vor allem beim gemeinsamen Singen; dem Gedenken an die verstorbene Person – insbesondere dann, wenn Lieblingsstücke dieser Person vorgetragen oder eingespielt werden; zur Begleitung von Handlungsvollzügen – zum Beispiel beim Auszug zum Grab. 18. Problematisch kann es sein, wenn Musik Stille verdrängt, weil es schwer ist, Stille und Leere auszuhalten. 19. Oft ist es schwierig, mit der (manchmal sehr kleinen und ungeübten) Trauergemeinde christliche Lieder zu singen. Dann gibt es die Möglichkeit, Melodien instrumental zu spielen und Texte zu verlesen. Im Ausnahmefall

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können Melodien oder Begleitungen auch elektronisch von CD eingespielt werden, allerdings ist unmittelbar aufgeführter Musik immer der Vorzug zu geben. Musikwünsche der Trauerfamilie können (auch als elektronische Aufnahme) in einer Trauerfeier aufgenommen werden, wenn die betreffenden Stücke nicht explizit antikirchlich/antichristlich sind und wenn die biografische Verbindung zum Verstorbenen im Rahmen der Trauerfeier durch Anmoderation oder in der Ansprache deutlich gemacht wird. Je fremder ein Stück der christlichen Tradition ist, desto mehr aktive Einbettung ist erforderlich. Dabei kann gerade auch ein säkulares Musikstück, das in enger Beziehung zu der/dem Verstorbenen steht, einen guten Anknüpfungspunkt für eine Traueransprache darstellen. Hilfreich ist es, wenn Gemeinden die Begleitung von Trauerfeiern durch (Senioren-)Chöre oder durch Instrumentalensembles anbieten können. Dies kann ein wichtiger Dienst der Kirche für Trauerfamilien sein. Menschen anderer Religionen können in eine Trauerfeier aktiv einbezogen werden nach den Regeln interreligiöser Feiern: Es wird nicht gemeinsam gebetet, sondern jeder betet in Anwesenheit der anderen. Die einzelnen Teile der Feier sind klar voneinander getrennt. Es wird den Teilnehmenden immer deutlich, wer gerade aus welchem religiösen Hintergrund heraus agiert. Die aktive Beteiligung von Angehörigen und Freunden der verstorbenen Person ist selbstverständlich möglich und zu fördern – aber sicher nur in manchen Milieus willkommen. Unkritisch ist dies, wenn Angehörige Texte lesen, die von der liturgisch verantwortlichen Person vorgegeben werden oder mit ihr abgesprochen wurden. Persönliche Worte Angehöriger und Nachrufe sind dagegen inhaltlich durch die liturgisch Verantwortlichen nicht zu steuern. Es ist darum sinnvoll, durch eine entsprechende Anmoderation deutlich zu machen, dass für das Vorgetragene die Vortragenden Verantwortung tragen (vgl. Grundsätze für interreligiöse Feiern). Die Gestaltung des Gottesdienstes liegt grundsätzlich in der Hand der liturgisch Verantwortlichen. Wenn diese Gestaltungshoheit durch äußere Bedingungen (Festlegungen des Bestatters, Vorgaben der Trauerfamilie etc.) so eingeschränkt wird, dass die Trauerfeier nicht mehr als christlicher Gottesdienst erkennbar ist, dann ist die Gestaltung der Trauerfeier abzulehnen. Mitarbeitende der Landeskirche (Pfarrerinnen, Diakoninnen, Prädikantinnen) gestalten Trauerfeiern ausschließlich als christliche Gottesdienste (dann auch konsequent in Amtstracht). Das Angebot der Gestaltung einer Trauerfeier mit Verzicht auf essenzielle Elemente wird von Mitarbeitenden der Landeskirche nicht eröffnet. Gottesdienste sind grundsätzlich öffentlich. Problematisch sind alle Feiern, in denen Menschen auf irgendeine Weise ausgeschlossen werden – etwa

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dadurch, dass sie nicht informiert werden oder dass der Ort der Feier für sie nicht zugänglich ist. 28. Oft entstehen Wünsche für kleinere Rituale, eingebettet in die oder am Rande der Trauerfeier (z.B. Gegenstände mit ins zu Grab legen). Hier ist mit großer Freiheit alles zuzulassen, was dem christlichen Charakter der Trauerfeier nicht ausdrücklich widerspricht. Hilfreich ist es, wenn es gelingt, solche Wünsche positiv aufzunehmen und sie im Kontext der Elemente der Trauerfeier (z.B. Ausdruck von Dankbarkeit) positiv zu würdigen. 29. Mitarbeitende der Landeskirche bieten bei Trauerfeiern vor Kremationen an, auch die Urnenbestattung liturgisch zu begleiten. Auch hierfür sind jeweils milieusensible Formulare erforderlich. So wird etwa die Neuauflage des »Ökumenischen Liederbuchs zur Bestattung« der ACK dazu ein kleines Formular enthalten, das auch selbständig von Angehörigen und/oder Friedhofsangestellten genutzt werden kann.

Bestattung aus biblisch-theologischer Perspektive Eine Orientierung1 Ulrich Heckel / Frank Zeeb

Vorbemerkung These 1: Bestattungsriten sind stets abhängig vom jeweiligen kulturellen Umfeld und insbesondere von der in der jeweiligen Gruppe vorherrschenden Vorstellung von einem nachtodlichen Leben. Im Folgenden soll diese These dadurch erhärtet werden, dass vier Paradigmen aus unterschiedlichen Zeiten hinsichtlich der Bestattungsriten vorgestellt werden, die sich aus den jeweiligen Quellen erheben lassen: vorbiblisch die syrischkanaanäische Welt aus Ugarit, biblisch das Alte Testament und das Neue Testament sowie das reformatorische Paradigma. Neben den Texten werden soweit als möglich auch materiale Quellen berücksichtigt und die »Milieuperspektive« eingenommen. Einige abschließende Folgerungen für die Gegenwart beschließen den Beitrag. 1 Ein vorbiblisches Beispiel: Der Ahnenkult in Ugarit These 2: Eine Kultur, die davon ausgeht, dass die Toten die Jetztwelt beeinflussen können und ihrerseits von der Jetztwelt beeinflusst werden, sucht den steten Kontakt zu den Toten. Im Jahr 1929 wurde bei Latakia an der syrischen Küste die alte Handelsstadt Ugarit entdeckt. Die dort gefundenen Tontafeln machten schnell klar, dass es sich um eine kanaanäische Kultur handelt, die ca. 1200 v.Chr. (also in der biblischen Chronologie kurz vor der Einwanderung der Israeliten) zu Ende ging. Die religiösen und literarischen Texte entsprechen cum grano salis dem, was das Alte Testament als Gegenkultur der Vorbewohner schildert, die noch in staatlicher Zeit eine ständige Bedrohung war: Götter wie Baal und El kommen vor, ebenso Göttinnen wie Aschera und Anat.

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Ulrich Heckel, Bestattung. Eine biblisch-theologische Orientierung, in: DtPfrBl 11 (2015), 617–622.

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Hinsichtlich der Vorstellung vom Leben nach dem Tod sind zwei unterschiedliche Linien festzustellen: a) Die »offizielle« Theologie, die sich in mythologischen Texten ausdrückt, geht von einer jahreszeitlich-zyklischen Auffassung aus: Der Hauptgott Baal, der die Fruchtbarkeit garantiert, kämpft gegen den Todesgott Mot, unterliegt, und muss mit diesem in das Totenreich ziehen. Durch die Hilfe seiner Geliebten, der Göttin Anat, kann Mot besiegt werden, Baal kehrt zurück, es wird ein großes Fest gefeiert, die Fruchtbarkeit des Landes ist wiederhergestellt. Dieser Mythos wird im Herbst zum Neujahrsfest als einem Fest der Fruchtbarkeit kultisch rezitiert und nachvollzogen, um den jährlichen Sieg der Ordnung über das Chaos neu ins Werk zu setzen. Die Welt der Lebenden und die Welt der Toten sind dabei streng geschieden, es gibt keine Verbindung zwischen beiden. Die Formulierungen des Mythos zeigen nach neueren Forschungen, dass es sich hier vor allem um eine staatstragende Angelegenheit handelt, die primär das Königshaus und die ihm eng verbundene Priesterschaft angeht – milieutheoretisch gesprochen also eher ein hochkulturell-traditionelles Milieu. b) In anderen Texten – und archäologisch belegt – findet sich eine zweite Linie: Es gab einen Ahnenkult mit der Vorstellung, dass die Toten sich mit ihren Ahnen vereinen (vgl. 1Kön 15,24 u.ö.). Sie haben Einfluss auf die Welt der Lebenden. Daher werden sie in der Regel im Haus begraben, Gräber außerhalb der Häuser wurden bei den Ausgrabungen fast nicht gefunden. Da die Wirkung der Toten auf die Jetztwelt positiv und negativ sein kann, versucht man sie gnädig zu stimmen. Hierfür dient besonders das sogenannte marzichu-Mahl (vgl. Am 6,7; Jer 16,5), eine hochritualisierte, opulente Feier, die mit der Hoffnung auf Segen und Hilfe durch die Verstorbenen verbunden ist. Diese bleiben also mit der Jetztwelt verbunden. Unter Milieugesichtspunkten ist festzustellen, dass die Mehrheit der schriftlichen Belege aus dem Umfeld des Königshauses sowie der Oberschicht stammt, die Vorstellung aber aufgrund der archäologischen Belege wesentlich verbreiteter gewesen sein muss. Die beiden Linien – offizielle Staatstheologie und Volksfrömmigkeit – sind »liturgisch« so verbunden, dass im Baal-Mythos der Gott Baal bei seiner Rückkehr ein Festmahl auf dem Götterberg feiert, zu dem er die »Totengeister« einlädt. Fazit: Das Zusammenspiel von Archäologie und Texten deutet an, dass es in Ugarit eine Art milieuspezifischer Bestattungspraxis gab. Die »offizielle Theologie« passte sich dabei an die Vorstellungen der breiten Menge an.

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2 Altes Testament These 3: Das Alte Testament hat keine einheitliche Lehre vom Tod und vom nachtodlichen Leben, daher sind auch dessen Aussagen zur Bestattungskultur uneinheitlich. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Texte einen Zeitraum von fast 1000 Jahren umspannen und verschiedenen historischen und soziologischen Zusammenhängen angehören. Je nach Datierung der Einzeltexte entstammen die frühesten Abschnitte des AT aus der vorstaatlichen Zeit (ca. 11. Jh. v.Chr.), die spätesten aus der Mitte des 2. Jh. v.Chr. Auch wenn man sich neueren Forschungen anschließt, die manche Texte eher später datieren, ist auf der Textebene immer noch ein Zeitraum von mehreren Jahrhunderten abgedeckt. Unbestritten ist ferner, dass die Texte aus verschiedenen räumlichen Kontexten stammen: Jerusalem, ländlicher Raum in Judäa, Nordisrael, Babylonien, evtl. auch andere Orte der Diaspora. In diesem Zeitraum liegen ferner verschiedene Sozialformen als Folie der Textwerdung zugrunde: Die Eigenstaatlichkeit Israels/Judas unter Königen, das Leben einer exilierten Oberschicht in Babylonien, eine Art Autonomie in der Perserzeit und später die hellenistische Zeit. Zudem ist die Redaktionsgeschichte zu bedenken, nach der Texte oftmals überarbeitet, ältere Schichten nach den Vorstellungen einer späteren Zeit korrigiert wurden. Unter Milieugesichtspunkten wird auch hier zu bedenken sein, dass die Mehrheit der Belege eine »offizielle« Theologie widerspiegelt, wie sie in der Oberschicht, also vor allem von königlichen bzw. staatsleitenden Kreisen sowie am Tempel und in priesterlichen bzw. levitischen Kreisen gepflegt wurde. Über die Vorstellungen des »einfachen Volkes« lässt sich weitaus weniger sagen, sie treten oft nur via negativa zutage, nämlich in den Positionen, die von der »offiziellen« Theologie abgelehnt und bekämpft werden. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass während der Zeit des Alten Testaments die Vorstellung eines »Totenreiches« (hebr. sche'ol) gängig war. Dieses stellte man sich als einen Ort unter der Erde vor, an dem man »Gottes nicht gedenkt und ihm nicht dankt« (Ps 6,6). Alle Verstorbenen steigen dorthin hinab (Ps 28,1), um fortan ein Leben in Trostlosigkeit als Schattenexistenzen »im Staub« (Ps 22,20) zu führen. Diese Vorstellung ist gemeinorientalisch. Ob Jahwe wie in den Umweltreligionen auch in der Unterwelt herrscht oder diese als Ort der absoluten Gottesferne (Ps 88) zu betrachten ist, lässt sich nicht eindeutig sagen, jedenfalls kann er von dort auch wieder heraufführen (1Sam 2,6). Die Trennung von Jahwe und den Toten wird erst in Jes 26,19 aufgehoben. Offenbar – so die Geschichte von der Totenbeschwörerin von En-Dor (1Sam 28) – herrschte im Volk der Glaube, dass man unter Anwendung gewisser mantrischer Praktiken mit den Toten in Kontakt treten kann – eine Praxis, die allerdings »offiziell« verpönt war. Erst in nachexilischer Zeit kommt eine Auferstehungshoffnung auf, die sich in Hes 37 andeutet und in der Jesaja-Apokalypse (Jes 25,8) und vollends im

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Buch Daniel (2. Jh. v.Chr., Dan 12,2f) zum Ausdruck kommt. Erst in der zwischentestamentlichen Literatur (2Makk 7,9ff) begegnen wir einer explizit ausgesprochenen Rede von der Auferstehung, die wohl auch im Zusammenhang mit der damals vorherrschenden Apokalyptik steht. Auffallend ist zudem, dass archäologische Funde oftmals den Textbefunden widersprechen, m.a.W. die textlichen Aussagen spiegeln nicht immer die Wirklichkeit wider, sondern es gibt eine Diskrepanz zwischen theologischer Wunschvorstellung und gelebter Wirklichkeit. Archäologisch zeigt sich bei den Bestattungen eine Kontinuität zwischen kanaanäischer Umwelt und israelitisch-judäischem Befund. In der Regel lässt sich auf rein archäologischem Weg nicht feststellen, ob eine Bestattung aus dem Kontext des »Volkes Gottes« stammt oder aus dem eines Nachbarvolkes. Hier ist Eindeutigkeit nur in den seltenen Fällen zu gewinnen, wo eindeutige Grabbeigaben oder gar Schriftfunde vorliegen. Die vorherrschende Bestattungsform ist die Erdbestattung im Familiengrab. In der Oberschicht sind Felsgräber üblich, die oft über lange Zeit wiederbelegt wurden. Üblich war – wie in der Umwelt – die Mitbestattung von Grabbeigaben, oft Gebrauchsgegenständen, aber auch Amuletten, nicht selten mit nichtjahwistischem Hintergrund. Diese Form zieht sich über die Jahrhunderte hinweg, in späterer Zeit kommen katakombenartige Anlagen auf, teilweise mit Sarkophagen und Ossuarien. Familiengräber sind textlich belegt, z.B. bei Abraham und seiner Familie in Hebron (Gen 23,19ff), vor allem aber bei den Königen (1Kön 14,31, die so genannten »Königsgräber« in Jerusalem sind aber späteren Datums). Die »einfachen Leute« wurden wohl (vgl. 2Kön 23,6) vor der Stadt in einfacheren Gräbern bestattet. Gelegentlich werden Gräber durch eine Massebe2 – auch das ein ursprünglich außerisraelitischer Brauch – gekennzeichnet (Gen 35,20). Die Feuerbestattung kommt nur bei Saul vor (1Sam 31,12) und gilt ansonsten als verpönt (Am 2,1). Man drückte dem Verstorbenen die Augen zu (Gen 46,24). Die Einbalsamierung (Gen 50,1–3) ist wohl dem Lokalkolorit der Geschichte (Ägypten!) geschuldet und kann für Palästina nicht ausgewertet werden. Die Totenklage (Jer 22,18 u.ö.) galt als selbstverständlich, sie wurde in der Regel von Frauen ausgeübt, die diese Aufgabe nicht selten auch »gewerblich« betrieben. Einige Beispiele sind überliefert, die aber ebenfalls nicht typisch sind, z.B. die Totenklage Davids um Jonathan (2Sam 1,19–27) und Abner (2Sam 3,33f) – hier handelt es sich wohl eher um einen literarischen Topos (vgl. die Totenklage Gilgameschs um Enkidu in der babylonischen Epik). In der Poesie scheint durch, dass die Totenklage ein eigenes Genus war und im sogenannten Qinah-Metrum (vgl. Jer 9,20) vorgetragen wurde. Die Deutung wird allerdings dadurch erschwert, dass die Gattung in den überlieferten Texten in der Regel verfremdet benutzt wird.

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Einen behauenen oder unbehauenen Stein.

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Einige weitere Riten und Bräuche sind belegt. Man zerriss die eigenen Kleider (Gen 37,34), legte ein Trauergewand (saq, daher die Wendung in Sack und Asche; Jes 58,5) an (2Kön 6,30) und streute sich Erde aufs Haupt (Jos 7,20), scherte sich auch Bart und Haare (Am 8,10), verhüllte das Antlitz (2Sam 19,5) und bedeckte den Bart (Hes 24,17). Ob man fastete (1Sam 31,13) oder vielmehr ein Trauermahl zu sich nahm (Jer 16,7), lässt sich nicht ermitteln. Nach Dtn 26,14 war es auch üblich, den Toten eine Speise mit ins Grab zu geben. Die gängige Deutung ist die, dass die Trauer ganz immanent ist, keinen weiteren Gottesbezug hat und Selbstminderungsriten beinhaltet. Eine Gesamtschau ist nicht leicht zu formulieren, auch weil die gesamte Forschung im Fluss ist. Eine ansprechende Annahme ist es, dass sich die Jahweverehrung erst relativ spät durchgesetzt hat. In vorexilischer Zeit dürfte die Familienreligion vorherrschend gewesen sein, die – bis hinein in höchste Kreise – an gemeinorientalischen Vorstellungen und Riten festhielt. Es dürfte also sehr lange eine Art Totenkult gegeben haben. Erst in deutlich nachexilischer Zeit setzte sich der Monotheismus theologisch durch, so dass abweichende Auffassungen und Praktiken (1Sam 28) theologisch gedeutet und abgelehnt wurden. Dieser Prozess könnte so verlaufen sein, dass unter dem Eindruck der Exilserfahrung – die man im altorientalischen Paradigma als Niederlage des Nationalgottes hätte deuten müssen – der Gott Israels als Welten- und Schöpfergott gedeutet wurde, wodurch das polytheistische Deutungsmuster durchbrochen werden konnte. Da damit die Geschichte quasi »entmythologisiert« wurde und die Hoffnung auf Wiederherstellung auf eine Endzeit projiziert werden konnte, die den Schöpfungszustand wiederherstellt (sogenanntes Tabnit-Denken), legte es sich nahe – in Analogie zu persischen Vorstellungen – die nachtodliche Existenz des Individuums mit dieser nichtimmanenten Zukunftsperspektive zu verbinden und also eine individuelle Auferstehung des Leibes anzunehmen. Zur Zeit Jesu war diese Annahme im Judentum weit verbreitet, jedoch noch nicht allgemein anerkannt (vgl. Joh 11,24 mit Mk 12,18). 3 Neues Testament These 4: Die Botschaft des Neuen Testamentes ist zentral davon bestimmt, dass im Christusereignis der Tod seine absolute Macht verloren hat. Die Verkündigung Jesu richtet sich wesentlich auf die anbrechende Gottesherrschaft. Die frühen Christen verkündeten den Tod Jesu – und seine Auferstehung – in der Erwartung des Gottesreiches. Angesichts dieser Erwartung tritt die Bestattungskultur in den Texten zurück. Von zentraler Bedeutung ist im Neuen Testament die Ankündigung Jesu, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist (Mk 1,15). Im Blick auf die Bestattung sind hier vor allem die Aussagen über die Zukunft von Interesse, die über den Tod hinausweisen. Aus der Verkündigung Jesu ist zunächst der Gedanke

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des Eingehens in die Gottesherrschaft (Mk 9,47; 10,23–25; Joh 3,5) bzw. ins Leben (Mk 9,43.45) zu erwähnen. Motive der endzeitlichen Tischgemeinschaft im Reich Gottes (Mt 8,11 par) begegnen in der Ankündigung Jesu bei seinem letzten Abendmahl (Mk 14,25) und im Gleichnis vom großen Festmahl (Lk 14,15–24) bzw. Hochzeitsmahl (Mt 22,1–10; vgl. Mk 2,18f). In der Passionserzählung sagt Jesus zu dem einen Übeltäter, der mit ihm gekreuzigt wird: »Heute wirst du mit mir im Paradies sein« (Lk 23,43). Sichtbar wird das Reich Gottes auch in den Wundern Jesu, vor allem in der Überwindung von Krankheit und Tod in seinen Krankenheilungen und Totenauferweckungen wie beim Jüngling von Nain (Lk 7,11–17) oder bei Lazarus (Joh 11,1–44). In ihnen wird schon ein Stück neue Welt ohne Leid zeichenhaft konkret verwirklicht. Hier nimmt Jesus bereits etwas vorweg von der Vollendung der Welt, in der Gott alle Tränen abwischen wird, in der der Tod nicht mehr sein wird, in der es keine Trauer, kein Klagegeschrei, keinen Schmerz mehr geben wird (Offb 21,4). Aus diesen Grundlinien lassen sich die theologischen Aussagen über das nachtodliche Leben bei den neutestamentlichen Autoren nachzeichnen: Die älteste Bekenntnisformulierung in 1Kor 15,3b–5 ist bereits vorpaulinisch und gehört also zum Kernbestand christlicher Theologie. Die Botschaft vom stellvertretenden Tod und der Auferstehung Jesu ist das grundlegende Bekenntnis, das die Christenheit von Anfang an begründet, verbindet und zusammenhält. Fundamental ist das nachösterliche Bekenntnis, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat bzw. dass Jesus auferweckt wurde oder auferstanden ist. Diese Botschaft steht auch im Zentrum, wo in den neutestamentlichen Briefen Menschen mit dem Tod konfrontiert sind. Die charakteristische Neuerung im Glauben der ersten Christen war die Annahme, dass die endzeitliche Heilszeit mit dem Auftreten Jesu bereits angebrochen ist und bei der nahe bevorstehenden (Röm 13,11f; Phil 4,5) »Wiederkunft Christi« (1Thess 4,15f) am »Tag des Herrn« (5,2) vollendet wird, die jedenfalls noch zu ihren Lebzeiten erwartet wurde (4,17; 1Kor 15,52). In den Paulusbriefen selbst findet sich – schon in der ältesten Schrift des NT – der erste Beleg für die individuelle Auferstehungshoffnung (1Thess 4+5). Das konkrete Problem der Gemeinde in Thessalonich bestand darin, dass die Gemeindeglieder aus der Auferstehung Jesu die persönliche Hoffnung auf einen direkten Übergang ins ewige Leben abgeleitet und mit der jüdisch-apokalyptischen Erwartung eines neuen Äons verbunden hatten. Deshalb hofften sie, nicht mehr sterben zu müssen, sondern noch zu ihren Lebzeiten die Wiederkunft Christi zu erfahren, dabei in den Himmel entrückt zu werden und für immer bei Christus zu bleiben. In dieser Erwartung gingen sie davon aus, dass es nach der Auferstehung des Herrn keinen Tod mehr gäbe. Eben diese Hoffnung – und damit die Naherwartung – ist aber durch einige Todesfälle in der Gemeinde schwer erschüttert worden. In 1Thess 4,14–18 antwortet Paulus grundsätzlich, indem er seelsorgerlich auf die Trauer der Thessalonicher eingeht und sie an die charakteristische

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christliche Hoffnung erinnert, die vom Bekenntnis zu Jesu Tod und Auferstehung ausgeht. Diese gipfelt in dem Vertrauen, dass wir »bei dem Herrn sein (werden) allezeit« (V. 17). Paulus schließt seine Antwort ab mit der Mahnung: »So tröstet euch mit diesen Worten untereinander« (V. 18) – für uns heute ein Hinweis, dass nicht nur der Apostel zu trösten vermag, sondern die Aufgabe des Tröstens auch den Gemeindegliedern untereinander zukommt (5,11). Ist nun das christliche Verständnis des Trostes von der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten bestimmt, so erschöpft es sich doch nicht in einer Vertröstung auf das Jenseits. Vielmehr besteht der Trost für Paulus in dem Gottvertrauen, dass Gott beides vermag, nämlich sowohl vor dem Tod zu bewahren als auch diesen zu überwinden. Dass der Trost beide Möglichkeiten umfasst, zeigt Paulus an anderer Stelle an zwei Beispielen aus seiner eigenen Lebenserfahrung (2Kor 1,8–11 bzw. 12,7–10). In jedem Fall besteht die Aufgabe des Tröstens darin, das Vertrauen in die Kraft Gottes zu stärken, die durch Heilung oder Stärkung zum Ertragen und Aushalten von Leid beitragen kann, in jedem Fall aber die Gewissheit vermittelt, dass am Ende der Tod nicht das letzte Wort behält, sondern das Leben mit Christus den Sieg davontragen wird. Über das Wie der Auferstehung handelt Paulus in 1Kor 15: In Adam sterben alle Menschen, in Christus werden sie alle lebendig gemacht. Alle Menschen müssen sterben, daher erweist sich der Tod als »der letzte Feind« des Lebens, aber er behält nicht das letzte Wort, sondern er wird »vernichtet« (15,26; vgl. den Sieg über den Tod 15,54f) durch die lebenschaffende Kraft Gottes, die sich in der Auferweckung Jesu manifestiert hat. Nachdem Paulus das »Dass« der Auferstehung aus dem Geschick Jesu abgeleitet (15,3b–5)und die eschatologische Hoffnung auf die Vollendung der Welt ausgeführt hat, nimmt er die Fragen nach dem »Wie« auf (15,35ff): Die Art und Weise, wie man sich die Auferstehung des Leibes vorstellen kann, bereitet nicht erst heute Schwierigkeiten, sondern war auch schon für die ersten Christen schwer nachvollziehbar. Jeder Erklärungsversuch kann nur annäherungsweise geschehen. Er muss in Anknüpfung und Widerspruch zu anderen Phänomenen menschlicher Erfahrung erfolgen (z.B. beim Weizen die unterschiedliche Gestalt von Samenkorn und Pflanze, beim Fleisch die Unterschiede zwischen Mensch und Vieh, Vögeln und Fischen oder der unterschiedliche Glanz von himmlischen und irdischen Körpern, von Sonne, Mond und Sternen). Dabei wird jeder Erklärungsversuch im besten Fall ansatzweise gelingen, immer aber hinter der Fülle des neuen Lebens zurückbleiben. Die körperliche Auferweckung bedeutet keine Wiederbelebung des Leichnams und auch nicht die Rückkehr in die irdische Materialität, sondern das Empfangen eines neuen Körpers, der es dem Menschen ermöglicht, dem kommenden Christus zu begegnen und mit ihm zu kommunizieren. Dabei geschieht eine Verwandlung in ein anderes Leben mit einem neuen, durch den göttlichen Geist »regierten« Leib, der unsterblich sein und nicht mehr vergehen wird. »Geistlich« ist dieser neue Leib nicht im Gegensatz zur Materie, sondern im Gegensatz zur Sünde. Er zeichnet sich durch eine total veränderte pneumatische

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Existenz aus. Sein ganzes Wesen und Handeln ist – statt fleischlich, d.h. sündig, zu sein (15,56; Röm 7,5.7–25) – durch und durch vom Geist, d.h. der Kraft und dem Willen Gottes, beherrscht (wie bei den Engeln). Durch die Leiblichkeit wird die Kontinuität zwischen der irdischen und der himmlischen Existenzweise gewahrt. Was Paulus als Verwandlung des Leibes zu umschreiben versucht, ist die Verbindung von Kontinuität und Diskontinuität, von irdischem und endzeitlichem Leben, von Biographie und Eschatologie. Mit dem Motiv der Leiblichkeit versucht er, an der unverwechselbaren individuellen Persönlichkeit eines Menschen als geliebtem Geschöpf Gottes festzuhalten, diese zugleich aber mit der festen Hoffnung auf eine umfassenden Verwandlung und Neuschöpfung der bisherigen Existenz zu einem gänzlich anderen Leben ohne Leid und Not bei Christus zu verbinden. Paulus hält auch den Gedanken des Gerichts nach Werken fest, wenn er auf das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi hinweist, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse (2Kor 5,10). Dort wird jeder für sich selbst vor Gott Rechenschaft zu geben haben (Röm 14,10.12). Besonders intensiv wird der Ausblick auf die neue Welt mit der Vollendung der Lebensgemeinschaft mit dem Vater und dem Auferstandenen in den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium: »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen«. Jesus verspricht hinzugehen, um – in Anknüpfung an das Ichbin-Wort von der Auferweckung des Lazarus – den Seinen den Zugang zu verschaffen (Joh 14,2ff): »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich (V. 6) [...] Ich lebe und ihr sollt auch leben (V. 19) […] In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (16,33). In den späteren Schriften des Neuen Testaments tritt die Naherwartung zurück, aber die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi wird nicht aufgegeben. So heißt es im zweiten Petrusbrief, der jüngsten Schrift des Neuen Testaments aus dem ersten Viertel des zweiten Jahrhunderts, »dass ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag [Ps 90,4]. Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde« (2Petr 3,8f). Einen eindrucksvollen Ausblick bietet das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, in der die unterschiedlichsten Bildmotive aus der ganzen biblischen Tradition zusammengeführt werden. In einer Vision sieht der Seher Johannes den Thron Gottes mit dem Lamm (Christus), der vom himmlischen Hofstaat mit Lobgesängen gepriesen wird (Offb 4,1–5,14). Am Ende steht eine umfassende Vision von der Vollendung der ganzen Welt, die nichts weniger ist als eine völlige Neuschöpfung nach dem Motto: »Siehe, ich mache alles neu« (21,5). So schaut der Seher einen neuen Himmel und eine neue Erde, das himmlische Jerusalem (vgl. Gal 4,25; Phil 3,20; Hebr 12,22–24), das wie eine geschmückte Braut vom Himmel herabkommt, die unmittelbare Gemeinschaft

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Gottes mit den Menschen, eine paradiesische Welt, in der es Tod und Leid nicht mehr geben wird (Offb 21,1–22,5). Das letzte, eigentliche Ziel ist die direkte Gemeinschaft mit Gott bzw. Christus, deren unvermittelte Gegenwart, die ungetrübte Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht (vgl. 1Kor 13,12). Deshalb kann im Neuen Testament auch der Gedanke der Ewigkeit nicht von Gott bzw. Christus abgelöst werden. Die Ewigkeit ist im Gegensatz zur irdischen Zeit nicht die Zeitlosigkeit, sondern die Fülle der Zeit, keine Langeweile, sondern ein erfülltes und gelungenes Leben in der Sphäre Christi. Dieser Überblick über die Theologie macht deutlich, weshalb im Neuen Testament nirgends eine christliche Bestattung überliefert ist, erst recht kein Trauergottesdienst und schon gar keine Leichenpredigt: Das Interesse gilt dem Anbruch des Gottesreichs, dem Durchbruch einer neuen Welt, der Auferstehungshoffnung jenseits aller Todeswirklichkeit. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass im Neuen Testament nur an drei Stellen Hinweise auf eine Bestattung zu finden sind. Alle drei spiegeln die konkreten Verhältnisse Palästinas und lassen die einschlägigen Gepflogenheiten im zeitgenössischen Judentum sichtbar werden. Das Erzählinteresse liegt – auch in den Geschichten vom Jüngling zu Nain und von Lazarus – ganz auf der Verkündigung der Botschaft von der Auferweckung der Toten durch Jesus. Die Geschichte von Lazarus (Joh 11,21– 27) ist deutlich als Vorabbildung der Auferweckung Jesu dargestellt und wird damit selbst zum Zeichen des ewigen Lebens. Unmittelbar vor der Passionsgeschichte erwidert Jesus die Frage der Sadduzäer nach der Auferstehung (Mk 12,18–27 par) zum einen mit dem Hinweis auf die »Kraft Gottes«, die auch für Paulus den Schlüssel zum Verständnis der Auferweckung bildet (s.o.). Zum anderen folgert er aus der alttestamentlichen Rede vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, dass »Gott nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden« ist. Auch das Begräbnis Jesu durch Joseph von Arimathäa (Mk 15,42ff) ist nicht die letzte Station seiner Geschichte, sondern nur die Durchgangsstation für eine gänzlich neue Situation: Als die Frauen am Ostermorgen zum Grab kommen, sehen sie einen Jüngling mit einem langen weißen Gewand, der zu ihnen sagt: »Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier« (Mk 16,6). Erzählerisch noch stärker zugespitzt wird von Lukas der Kontrast zwischen der Trauer der Frauen, die hier noch ganz auf den toten Leib fixiert sind, und der Botschaft der Engel: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen. […] Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den elf Jüngern und den andern allen« (Lk 24,5–9). Diese Osterbotschaft ist der Zielund Höhepunkt nicht nur der Passionsgeschichte, sondern des ganzen Lebens und Wirkens Jesu, wie es in allen vier Evangelien dargestellt ist – und damit der Angelpunkt des gesamten Neuen Testaments.

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Unter Milieugesichtspunkten wird man feststellen müssen, dass Texte und Theologie des Neuen Testamentes kaum unter dieser Fragestellung auszuwerten sind. Wo bei Bestattungen Milieus sichtbar werden, ist offenkundig ein eher gehobenes, traditionell jüdisch lebendes Milieu die Erzählfolie. Dies nimmt nicht wunder, da die zugrundeliegende Botschaft sich eben nicht als gruppenspezifisch versteht, sondern als »milieuüberschreitende« Antwort auf Grundfragen menschlicher Existenz und nicht-milieuspezifischer transzendenter Realität. Für die gegenwärtige Diskussion könnte dies bedeuten, dass die konkrete Ausgestaltung von Riten und Aussageweisen ein zweitrangiges Anliegen darstellt. Angesichts des Todes ist die Botschaft von der Auferstehung auszurichten, die ihrem Gehalt nach Angehörige und Hinterbliebene aller Milieus gleichermaßen trifft. Die homiletische, liturgische und rituelle Ausgestaltung kann demnach milieuspezifisch ausgearbeitet werden. 4 Reformationszeit These 5: Reformatorische Theologie lehnt jeden Einfluss der Jetztwelt auf die nachtodliche Welt ab. Sie ordnet die Bestattungsbräuche ganz dem Zweck der Verkündigung der Auferstehungsbotschaft und dem Gedenken unter. Die Reformationszeit kann als gutes Paradigma für These 1 gelten, dass Formen und Riten nach Auffassung und Lehre von der menschlichen Existenz nach dem Tod konstruiert werden. Die Reformatoren hatten sich scharf gegen die im Mittelalter vorherrschende Lehre gewendet, man könne auf das Ergehen der Toten Einfluss nehmen und durch Riten, Gebete, Stiftungen etc. deren Schicksal beeinflussen, insbesondere deren Verweildauer im Fegefeuer abkürzen. Aufgrund dieser Vorstellung galt auch der Begräbnisplatz als wesentlich: Je näher bei den heiligen Reliquien ein Toter bestattet wurde, desto positiver war es, daher galt ein Grab innerhalb der Kirche als erstrebenswert, die Friedhöfe waren nach Möglichkeit in direktem Umfeld zur Kirche als »Kirchhöfe« angelegt. Damit verbunden war die Vorstellung, dass die eigentliche Scheidelinie zwischen Leben und Tod nicht der leibliche Tod ist, sondern das zukünftige Gericht. Die Toten waren somit noch Teil der Jetztwelt, ihre Präsenz im Gemeindekontext Anlass zum ständigen memento mori. Die Reformatoren ließen diese Auffassung nicht gelten. Sie konnten die Vorstellung eines Zwischenzeitraumes zwischen leiblichem Tod und jüngstem Gericht ebenso wenig mit der Schrift vereinbaren wie die Existenz eines Fegefeuers, auf das man Einfluss nehmen konnte. Vielmehr erachteten sie platonische Gedanken – vor allem angesichts von 1Kor 15 – für schriftgemäß: Im Moment des physischen Todes vergeht der irdische Leib und trennt sich von der unsterblichen Seele, letztere kommt unmittelbar an ihren letztgültigen Ort. Dabei wird in der Reformationszeit selbstverständlich angenommen, dass dieser Ort auch

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die »Hölle« sein kann (vgl. CA XVII). Da mithin der Leib, der »alte Madensack« nur mehr reine Materie ist und bestattet wird, verschiebt sich der Schwerpunkt: Die Form der Bestattung wird zu einem Adiaphoron: Es ist auffällig, dass sich weder im Luthertum noch in der reformierten Tradition eine einheitliche Bestattungsordnung ausgebildet hat. Da die Bestattung »nur noch« den verweslichen Leib anlangt, das »Eigentliche« aber längst geschehen ist, ist die Bestattung eine Handlung für die Hinterbliebenen. Ihnen ist das Evangelium zu verkündigen, sie sind an ihre eigene Sterblichkeit und Sündhaftigkeit zu gemahnen, aber eben auch an die Hoffnung auf die Auferstehung. Damit wird die Handlung von einem Ritus für den Verstorbenen (samt allen Seelenämtern) verschoben, auf eine Gedenkkultur. Paradigmatisch fasst dies die Württembergische Kirchenordnung von 1536 in drei Hauptpunkten zusammen: die Verkündigung der Auferstehung von den Toten, der öffentliche Beweis der Liebe zu dem verstorbenen Menschen und die Erinnerung an das eigene Sterben.3 Beim gottesdienstlichen Akt sind also vor allem die Angehörigen und die Gemeinde im Blick. Das Totengedenken wird demzufolge nicht mehr als verdienstvolles Werk betrachtet, sondern als eine private Angelegenheit der Hinterbliebenen, die auf das Seelenheil der Verstorbenen keinen Einfluss hat. Im reformierten Bereich wird es fast einhellig abgelehnt. Johannes Bugenhagen unterscheidet das private Gedenken als eine seelsorgerliche Angelegenheit von öffentlichen Gedenkfeiern, die als unbiblisch abzulehnen sind. Sinnenfällig wird diese Verschiebung auch durch den Ort der Bestattung. Die Gottesdienste werden in der Kirche gehalten, die letzte Ruhestätte aber wird – wo immer möglich – aus dem Gemeindebezirk hinaus verlegt. Friedhöfe sind Orte des Gedenkens und damit öffentlich zugänglich zu halten. Abschließend sei Martin Luther (1527) zitiert, der das protestantische Verständnis zusammenfasst: »ein begrebnis solt ja bilich ein feiner stiller ort sein, der abgesondert were von allen oertern, darauff man mit andacht gehen und stehen kuendte, den tod, das Juengst gericht und aufferstehung zu betrachten und zu beten«4 5 Folgerungen Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eine milieusensible Bestattungskultur beide Pole in Betracht nehmen muss, zum einen die biblisch-theologische Wahrheit, zum anderen die gesellschaftlichen Anforderungen und Deutungen. Aus den 3

Gut zugänglich im Vorspruch zur Württembergischen Bestattungsagende: Gottesdienstbuch für die Evangelische Landeskirche in Württemberg, Band II: Sakramente und Amtshandlungen, Teilband: Die Bestattung, Stuttgart 2000; vgl. L. Lorber, Die Sterbe- und Ewigkeitslieder in deutschen lutherischen Gesangbüchern des 17. Jahrhunderts, Göttingen 2012, 600–605. 4 Ob man vor dem Sterben fliehen möge, WA 23, 375.

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biblischen Texten selbst lässt sich keine Bestattungsform bzw. kein Ritus theologisch verbindlich machen. Die drei Punkte reformatorischer Theologie, die sich in der Württembergischen Kirchenordnung finden – Verkündigung der Auferstehungsbotschaft, öffentliche Würdigung und Erinnerung an den eigenen Tod – sind wichtige Eckpfeiler kirchlichen Bestattungshandelns, an denen auch angesichts des neueren Wandels in der Bestattungskultur kirchlicherseits festzuhalten ist. Durch milieusensible Gestaltung dieser Punkte kommt Kirche ihrem Auftrag nach, »den Dienst der Liebe an jedermann zu tun« – gerade angesichts des Todes und der mit ihm oftmals verbundenen Sinnkrisen. Die Milieuperspektive kann dabei hilfreich sein, Wünsche der Hinterbliebenen zu verstehen, deren Deutungsmuster einzuordnen und mit der Botschaft des Evangeliums ins Gespräch zu bringen.

Kasualien als Religionsproduktion Fritz Lienhard

Durch die Milieuuntersuchungen werden Theologen und kirchliche Akteure sich bewusst, dass sie in ihrem alltäglichen Geschäft mit Fremdheit konfrontiert sind. Missionstheologische Fragestellungen sind nicht der Mission in Übersee vorbehalten, und »wir« sind in Europa nicht »unter uns«, in einer homogenen Christenheit. Durch die Milieuuntersuchungen hat sich unser Bewusstsein verändert. Wir entdecken nun, dass sich die Gesellschaft in Deutschland in verschiedene Kulturen und entsprechende Lebensstile differenziert. Darunter sind viele Milieus, die eher kirchenfern sind. Hier müssen wir fragen, wie die Kirchen diesen Milieus mit ihrer Botschaft begegnen und wie sie sie z.B. im Abendmahl versammeln können. Denn in den Kasualien begegnen die Kirchen in der Tat allen Milieus. So lässt sich anhand von Kasualgesprächen beobachten, was passiert, wenn diese Begegnung stattfindet. Im günstigsten Fall gibt es in dieser Situation eine Art »Religionsproduktion« (Manfred Ferdinand), im Sinne der Entstehung einer mehr oder weniger neuen Gestalt von Christentum, die dem jeweiligen Milieu entspricht. Was sind hierfür die theologischen und praktischen Voraussetzungen? Beobachtungen Durch die Vervielfältigung in Milieus haben wir in der Christenheit verschiedene Religionskulturen, die in Kasualgesprächen aufeinander treffen. Klassisch wurde in diesem Rahmen zwischen primärer und sekundärer Religion unterschieden. Zur ersten gehören die Gemeinschaft in der Familie, die Nähe zur Erde, die Tradition, die Betonung des Segens und also des Reichtums und der Gesundheit. Zur zweiten gehören die universale Kirche, die Theologie, die Betonung des Heils, in einer gewissen Distanz zu den »irdischen Gütern«. Faktisch nehmen die Kasualien ihren Ausgangspunkt in Anliegen, die zunächst zur primären Religion gehören. Hier werden die Diskurse in einem Prozess ausgearbeitet, so dass sie nun in der sekundären Religion einen Ort finden können (Christian Grethlein). Dieses Modell ist interessant, insofern hier sowohl Spannung wie Kooperation zwischen primärer und sekundärer Religion gedacht werden, jedoch bleibt es noch zu einfach. Die Milieuuntersuchungen weisen aus, dass die Religionskulturen noch viel differenzierter sind.

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Von daher ist im Kasualgespräch von einer gewissen Spannung auszugehen. Die verschiedenen Teilnehmer vertreten die Anliegen unterschiedlicher Religionskulturen. Die Anfragenden vertreten ihre Familien, ihren Freundeskreis, oft orientieren sie sich auch an den medialen Diskursen, die in der Gesellschaft wabern, mit der impliziten Frage, inwiefern die Kirche vor Ort diesem (positiven oder negativen) Bild der Kirche entspricht. Amtsträger vertreten die Institution, das Kirchenrecht, die Theologie, die Liturgie, aber auch die »Gemeinde«, die Versammlung vor Ort, und also die eher kirchennahen und traditionellen Milieus. Gegenstände dieser Spannung können Lieder, Texte in der Liturgie, unterschiedliche Beiträge etc. sein. Sie stehen von daher in einer Spannung zu Anfragenden anderer Milieus. Dabei ist jedoch festzustellen, dass jenseits dieser Spannung ein Wille zur Kooperation zu beobachten ist. Die Kasualanfragenden wissen, dass sie sich an eine Kirche wenden, die ihre eigenen Regeln hat. Sie wollen auch, dass der Verlauf der Kasualie »ordentlich« vollzogen wird, freilich nach den eigenen Kriterien. Neben dem »imperativen Mandat« der Familie und des Freundeskreises gibt es eine Bereitschaft, sich auf den kirchlichen Diskurs einzulassen, wobei davon ausgegangen wird, dass die Kirche ihre Botschaft der Nächstenliebe praktiziert und also auf die eigenen Anliegen eingeht. Hier besteht ein entscheidender Spielraum. Positionen Wie ist mit religionskultureller Fremdheit umzugehen? Die verschiedenen Möglichkeiten innerhalb des Kasualgesprächs lassen sich anhand der klassischen Positionen in der Religionstheologie deklinieren. Der Exklusivismus geht davon aus, dass christlicher Glaube und Religion einander gegenüberstehen. Die anderen Religionen führen weder zur Wahrheit noch zum Heil. Im Kasualgespräch sind die »religiösen Anfragen« eine Versuchung für den Amtsträger, der den »Glauben« allein, im Gegensatz zur »Religion«, vertreten soll. Daraus entsteht ein grundsätzliches Misstrauen den Anfragenden gegenüber. Die kritischen Argumente gegen diese Position sind bekannt: Ist die Liebe Gottes so eingeschränkt, dass so vielen Menschen Heil und Wahrheit entzogen bleiben? Besteht diese Position nicht darin, einen falschen »Besitz« des Heils und der Wahrheit zu beanspruchen? Lässt sich ernsthaft mit Menschen ins Gespräch kommen, wenn davon ausgegangen wird, dass nichts von ihnen zu lernen sei? Im Kasualgespräch verschärft sich die Kritik, insofern die Amtsträger es mit getauften Christen zu tun haben. Die evangelische Ekklesiologie entscheidet sich an diesem Punkt nicht: Einerseits spricht sie vom allgemeinen Priestertum, und also hat jeder das Recht und die Pflicht, auf seine eigene Weise verantwortlicher Christ zu sein, innerhalb seiner besonderen Kultur. Andererseits ist eine Kasualie eine öffentliche Evangeliumsverkündigung, und es wird davon ausgegangen,

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dass keiner, der nicht regelrecht berufen ist, in diesem Rahmen das Wort ergreifen soll. So wird die Spannung in keine Richtung aufgelöst. Im Gegenteil, sie verstärkt sich, insofern die Amtsträger die Vertreter der »von außen« kommenden Verkündigung sind, die letztlich durch Christus eingesetzt wird. Die Kasualanfragenden verweisen ihrerseits auf die Vielfalt der Geistesgaben und auf ihr singuläres, vom Geist generiertes inneres Erlebnis. Eine zweite klassische Position ist der Inklusivismus. Laut dieser Position können Menschen, die ihren eigenen, nichtchristlichen religiösen Traditionen auch außerhalb der Kirche treu sind, am Heil durch Jesus Christus teilhaben. Zudem finden sich auch Teile der Wahrheit in anderen Religionen. Dabei kommt aber weiterhin primär die Heilsfunktion der eigenen Religion zur Geltung. Die eigene christliche Religion gilt als überlegen; das Fremde ist eine davon defizitäre Form. So haben die nichtchristlichen Religionen nur einen Wert der Vorbereitung für das Evangelium. In der Kasualpraxis führt diese Position dazu, Elemente anderer Religionskulturen zu integrieren, jedoch behalten Amtsträger und die von ihnen vertretenen Instanzen eine Position der grundsätzlichen Überlegenheit den kirchenfernen Milieus gegenüber. Kritisch ist jedoch zu fragen, ob diese Position der prinzipiellen Überlegenheit sich plausibel vertreten lässt. Das gilt im Religionsgespräch spätestens seit dem Ersten Weltkrieg, wo der »christliche Westen« versagt hat, aber auch im Gespräch zwischen Religionskulturen innerhalb der Kirche. Herabneigendes Wohlwollen wird von kirchenfernen Milieus, besonders wenn sie sozial eher benachteiligt sind, wenig geschätzt. Pluralismus unterscheidet sich von den eben genannten Formen dadurch, dass das Christentum relativiert wird. Alle Religionen sind in einem historischen, sozialen und kulturellen Kontext zu verstehen, von denen sie nicht zu trennen sind. Sie manifestieren sich in der Vielfalt ihrer besonderen Formen; es lässt sich in ihnen keine absolute und transzendente Wahrheit finden. Der englische Theologe John Hick gebraucht die Metapher der Planeten, die um eine Sonne kreisen, um Gott als transzendente Wirklichkeit jenseits aller besonderen Religionen zu versinnbildlichen. Eine neuere Form des Pluralismus verzichtet auf den Verweis auf eine transzendentale Einheit. Die Religionen bleiben dann inkommensurabel. Im Rahmen der Kasualien würde diese Position zum Verzicht auf eine Kohärenz führen. Die verschiedenen Diskurse bestehen nebeneinander, respektieren sich, aber versuchen nicht, miteinander zu interagieren. So wird die Chance einer Entwicklung der verschiedenen Positionen verpasst. Genauso wird dieser Position vorgeworfen, dass zum Gespräch zwischen Religionskulturen auf Kontroverse und Mission nicht verzichtet werden muss. Mission, mit dem Ziel Konversion, gehört genuin zum Christentum, wie zu anderen Religionen. Schließlich blendet diese Gestalt der Religionstheologie die eigene Perspektivität aus; nimmt sie doch einen Standpunkt über allen Religionen, eine Art »Vogelperspektive« ein. Dabei gehört die Selbstwahrnehmung und -relativierung zu den wichtigsten Ergebnissen der Milieuforschung.

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Die kritischen Gesichtspunkte zum pluralistischen Ansatz wurden von der komparativen Religionstheologie in Betracht gezogen. Dieser Ansatz ist für die Kasualpraxis besonders relevant, denn er verzichtet zunächst auf die pauschalen Schemen und vergleicht einzelne religiöse Themen und Handlungen. Seine Ausführungen bleiben bewusst in der eigenen Konfession verankert. In der komparativen Religionstheologie kann das Gespräch zwischen Religionskulturen die Sachverhalte betreffen, die in der gegebenen Kasualie an der Tagesordnung sind: Verständnis der Geburt bei der Taufe, des Erwachsenwerdens bei der Konfirmation, der Sexualität und Liebe bei der Trauung, des Todes bei der Bestattung, alles Themen, die in allen Kulturen vorkommen. Das Ziel ist, bestimmte theologische Fragen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, ohne aufzuhören, konfessorische Wege zur Wahrheit zu suchen. Die fremde Religionskultur ist wie eine zweite erste Sprache zu erlernen; also gilt es, fast wie ein Anhänger der anderen Religion zu werden, bei bleibender eigener Identität. Die Glaubenssätze sind mit der Lebens- und Ritualpraxis verbunden und hier also auszuhandeln. Das Annehmen der eigenen Perspektivität führt dazu, einen »mutualen Inklusivismus« anzubieten. In jeder Tradition wird versucht, die Fragestellungen der Menschen unserer Zeit aufzugreifen, und es wird davon ausgegangen, dass die eigene Tradition Heil und Wahrheit bietet. In diesem Rahmen wird dann der Blick der anderen Traditionen sowohl auf die Fragestellung wie auf sich selbst einbezogen. Diese Position verlässt jedoch einen prinzipiellen Superiorismus, indem sie dem Vertreter einer anderen Religionskultur das Recht einräumt, genauso mit der eigenen Religionskultur zu verfahren. Als Amtsträger instrumentalisiere ich die kulturellen Motive der Anfragenden im eigenen Vorhaben. Ich gewähre ihnen jedoch das Recht, ihrerseits das gleiche mit mir zu tun. Die komparative Religionstheologie bietet von daher am ehesten eine theoretische Grundlage, um neue Impulse in den milieuspezifischen Religionskulturen adäquat zu begegnen. Praxis Synkretismus bezeichnet keine religionstheologische Position, sondern eine besondere Form der Wechselwirkung und des Austauschs zwischen den verschiedenen Religionen, wie sie in der komparativen Theologie gedacht werden: Faktisch wachsen in Europa das »Zusammenbasteln« und die multireligiöse Identitätsbildung, auch innerhalb des Christentums und selbst der »Kerngemeinde«. Die »Planeten« der klassischen pluralistischen Position sind längst in einer starken Interaktion zu verstehen. In den Kasualgesprächen wird dieser Synkretismus ausgehandelt. Es wird von »Inkulturation« gesprochen; gemeint ist damit der Prozess der Begegnung der christlichen Botschaft mit der Vielfalt der Kulturen, als eine besondere Gestalt der »Inkarnation«. Religionsproduktion ist als eine Art Synkretismus zu verstehen. Kirche-Sein wird hier in der Pluralität der Milieus und Lebensstile ausgehandelt, so dass eine neue Gestalt entsteht. Synkretismus muss nicht als Zusammenmischen von heterogenen Elementen

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verstanden werden. Er besteht darin zu tun, was das Christentum immer schon getan hat. Die Kirchengeschichte zeigt, dass das Christentum nur unter Aufnahme der verschiedenen Kulturen seine Relevanz zur Geltung bringen kann. Bedingung der Möglichkeit dieser Religionsproduktion ist einerseits die Bewahrung der Spannung. Wenn Amtsträger sowie Anfragende zu schnell nachgeben und ihre spezifischen Anliegen aufgeben, wird die Chance verpasst, eine Art milieugemäßes Christentum miteinander zu erfinden. Andererseits muss ein ernsthafter Wille zur Kooperation bestehen, mit so wenig wie möglich »imperativen Mandaten«, so dass jeder aus seiner vorgefassten Position heraustreten und sich auf das Gegenüber einlassen kann. Alles hängt am Spielraum. Das wichtigste Argument gegen den Synkretismus ist die Bedrohung der Identität. Synkretismus modifiziert den Sinn bestimmter Glaubensinhalte. Auf diese Befürchtung ist zu antworten, dass Transformationen nicht als Verlust verstanden werden müssen. Zunächst ist festzustellen, dass sich christliche Identität nicht abstrakt und statisch definieren lässt. Historisch gab es zu keiner Zeit ein reines Christentum, und das Christentum hat vielfache Veränderungen durchlaufen, indem es jüdische, hellenistische und germanische Elemente aufgenommen hat. Zudem gilt die eschatologische Perspektive, laut der die christliche Identität weder vollständig noch abgeschlossen ist. Zweitens gilt es, zwischen Christentum als menschlicher Antwort auf die christliche Botschaft, in seinem Gefüge von Erfahrung, Theologie, kirchlicher Praxis, ethischen Entscheidungen, und dem existenziellen Bezug zu Christus zu unterscheiden. Letzterer kann in sehr unterschiedlichen Lebensstilen stattfinden und ist nicht an eine spezifische Kultur gebunden, auch wenn er immer von kulturellen Elementen getragen wird und diese Kulturen verändert hat und verändern kann. So sind Veränderungen im Christentum kein Verlust der letzten christlichen Identität, die an der Christusbeziehung hängt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Kriterien für die Aufnahme fremder Elemente und für die entsprechenden Transformationsprozesse anzuwenden sind. Der Christusbezug ist das wichtigste Kriterium. Darüber hinaus steht zur Debatte, auf welcher Grundlage dieser Synkretismus gestaltet werden kann. Hier ist das Christusgeschehen entscheidend. In Christus wird die Menschheit in ihrer Gesamtheit und Vielfalt aufgenommen. Aber das Kreuz funktioniert auch als Absage an die Abgötterei, die mit der gegenseitigen Ausgrenzung der verschiedenen Milieus zusammenhängt. Diese Abgötterei besteht darin, durch die Absolutsetzung der eigenen Kultur die Fähigkeit zu verlieren, Brücken über Kulturgrenzen zu bauen. Jedoch bietet das Kreuz auch die Möglichkeit, seine eigenen Schwächen in einer neuen Identität vor Gott anzunehmen, statt sie zu verneinen. Das leere Grab verweist auf Gottes Entzug jedem Versuch gegenüber, ihn zur Konstitution der eigenen Identität zu vereinnahmen. Die Gegenwart des Auferstandenen auf dem Weg in die Mission gewährt eine zwischenpersönliche Beziehung jenseits der besonderen Kulturen. Das führt zu einer praktischen Gestaltungsaufgabe, die mit der Religionsproduktion zusammenhängt.

Kasualien als Religionsproduktion

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Die Relativierung der Kulturen in Christus führt dazu, die anfänglich asymmetrische Machtkonstellation auf dem Hintergrund einer Selbstrelativierung einzuholen. Um der Kultur der Anfragenden Sprache zu gewähren, muss sich der Amtsträger bemühen, die eigene Kompetenz, den eigenen Status und noch mehr die eigene Kultur – die oft auch die der Kerngemeinde ist – zurückzustellen. Erst dann lassen sich Theologie, Liturgie und kirchliche Ordnung mit der Kultur der Anfragenden verbinden. Bei wichtigen Gegensätzen sollte man nicht zögern, sich etwas Zeit zu lassen. Die Aussage »Ich muss darüber nachdenken« zeugt nicht von einem Mangel an Kompetenz, sondern davon, dass man das Gegenüber ernst nimmt. Bei Bestattungen ist eine Tendenz zu beobachten, den Verstorbenen immer mehr oder weniger zu vergöttlichen. Auf diese Weise gibt sich die Familie indirekt eine positive Identität. Das Gegenteil aber, den Verstorbenen in seiner Menschlichkeit wahrzunehmen, ist Bedingung für die Möglichkeit einer Trauerarbeit. Hier ist ein theologisches Ringen angesagt, aber auch ein entmythologisierender Humor, auch und gerade bei einer Bestattung. Die schönsten Trauerreden laden nicht nur zum Weinen, sondern auch zum Schmunzeln ein. Auch die Definition der theologischen Kompetenz ist dabei neu zu denken. »Die Mission ist die Mutter der Theologie« (M. Kähler): Diese klassische Aussage führt zu einem besonderen Verständnis der Theologie. Die theologische Kompetenz besteht darin, christliche Texte und Themen in einem neuen Kontext verstehen zu können. Genauso gehört zu dieser Kompetenz die Fähigkeit, die Religionskultur des Gegenübers wahrnehmen zu können, um beides in einem verantwortlichen und kreativen Diskurs zu verbinden. So ist Theologie kein Distinktionsmerkmal, das von anderen, nicht intellektuellen, Milieus abhebt, sondern eine Funktion der Kirche und Bedingung der Möglichkeit für eine Zukunft der Kirche. Die religionsproduktive Kooperation in der Spannung ist für die Kirche eine große Chance. Sie besteht darin, gemeinsam neue Formen des Christentums zu erfinden, die einem kirchenfernen Milieu entsprechen können. Durch diese Herausforderung werden Kirche und Theologie dazu gebracht, sich selbst neu zu erfinden. Die Erfahrungen aus der Kirchengeschichte und der Ökumene sind dabei eine Hilfe. Aktuell verlegt sich der Schwerpunkt des Christentums von Europa nach Südamerika. Die Aufgabe besteht auch darin, den Übergang von den traditionellen Milieus, die immer kleiner werden, zu den postmodernen Milieus, die wachsen, zu bewältigen. So kann die Kirche aus der aktuellen Adaptationskrise herauskommen.

Veränderungen in der Bestattungskultur und ihre Auswirkungen für Pfarrerinnen und Pfarrer Beobachtungen aus pastoraltheologischer Perspektive Christoph Doll

1 Die Bestattung – schon lange ein Bündel anspruchsvoller Aufgaben Für viele Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer gehört die Begleitung von Trauernden und die Gestaltung von Bestattungsgottesdiensten zu denjenigen Kernaufgaben, die als besonders zeitaufwändig und kräftezehrend erlebt werden. Bei entsprechender Altersstaffelung ihres Seelsorgebezirks stehen nicht wenige von ihnen sogar mehrmals in der Woche auf dem Friedhof. Ein hohes Maß an Flexibilität und eine vorausschauende Ressourcenplanung ist dafür unabdingbar. Zeit für Aussegnungen, für Gespräche in der Trauerbegleitung und zur Vorbereitung der Bestattungsgottesdienste muss oft sehr kurzfristig gefunden werden. Dazu kommt die Anforderung, mit großer Sensibilität die persönlichkeitstypischen und milieuspezifisch gefärbten Ausdrucksformen von Trauer auszuloten und im Gesprächskontakt darauf angemessen zu reagieren. Im Blick auf den Bestattungsgottesdienst gilt es weiter, den Lebensweg des oder der Verstorbenen wenigstens in Ausschnitten zu rekonstruieren oder von biografischen Knotenpunkten aus zu bedenken. Zugleich wird es im Trauergespräch immer auch darum gehen, Deutungen des nun abgebrochenen Lebens im Verstehenshorizont der Hinterbliebenen wahrzunehmen und um christliche Deutungsangebote anzureichern, die sich aus der biblischen Tradition, insbesondere der christlichen Auferstehungshoffnung ergeben. Zu den essentiellen Elementen des Trauergesprächs gehört weiter ein Gang durch die Liturgie des Bestattungsgottesdienstes. Die einzelnen liturgischen Elemente werden dabei nicht nur exemplarisch und adressatensensibel in ihrer Bedeutung und in ihrer Funktion für das Ganze des Trauergottesdienstes erschlossen. Die trauernden Hinterbliebenen bekommen dabei auch Möglichkeiten zur individuellen Variation und Mitgestaltung aufgezeigt. Bibelworte, die als Basis für die Bestattungspredigt in Betracht kommen, werden vorgestellt, Liedvorschläge unterbreitet und diverse musikalische Elemente auch über das traditionelle Orgelspiel hinaus in Erwägung gezogen. Gestaltungsideen und Sonderwünsche der Trauernden sind dabei sensibel zu berücksichtigen, so dass diese sich von der Pfarrerin oder vom Pfarrer ernst genommen und individuell abgeholt fühlen.

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2 Rollen-Konturen verschieben sich Das Ensemble der hier nur sehr holzschnittartig umrissenen Grundaufgaben, mit denen sich Pfarrerinnen und Pfarrer bei Bestattungen traditionell konfrontiert sehen, unterliegt seit gut drei Jahrzehnten weit reichenden Transformationen und erlebt z.T. massive Zuwächse. Einige davon sollen im Folgenden näher in den Blick kommen und auf ihre Implikationen für die pastorale Identität und die pastoralen Teilrollen im Bestattungskontext untersucht werden. Vor diesem Hintergrund werden abschließend einige konzeptionelle Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der kirchlichen Bestattungspraxis gezogen. 3 Bestattungskultur unter dem Einfluss der Multioptionsgesellschaft Die Spreizungen und Veränderungen des pfarramtlichen Aufgabenfächers im Kontext der Bestattung resultieren aus z.T. massiven gesellschaftlichen Umbrüchen, wie sie sich auch und gerade in der Bestattungskultur widerspiegeln. Im Rekurs auf Einsichten der Soziologie versucht die Praktische Theologie schon seit geraumer Zeit, »die Bestattung besonders vor dem Hintergrund jenes gesellschaftlichen Wandels im Umgang mit Tod und Trauer zu verstehen, der mit den Stichworten Individualisierung und Pluralisierung, Professionalisierung und Institutionalisierung sowie Privatisierung benannt ist«.1 Im Zuge dieser gesamtgesellschaftlichen Trends sieht sich das Individuum vor eine schon längst nicht mehr überschaubare Fülle an Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten gestellt. Zugleich entsteht damit ein Entscheidungsdruck, der inzwischen keinen Lebensbereich mehr ausspart. Schon allein die Webseiten von Bestattungsunternehmen machen deutlich: Die Multioptionsgesellschaft macht auch vor Särgen, Sargwäsche und Urnen nicht halt. Immer mehr betrachten Menschen das ganze Leben bis zum und über den Tod hinaus als vielschichtige und herausfordernde Inszenierungsaufgabe. Dadurch wird in überindividuellen Traditionen und tradierten Bewältigungsmustern seltener orientierende Kraft gesucht. Wo Menschen glauben, sich und ihr soziales Umfeld permanent nach eigenen Vorstellungen modellieren zu müssen, dort ist Vertrauen auf die orientierende Kraft von überindividuellen Traditionen und überkommenen Bewältigungsmustern spezifischer Lebenssituationen nichts Selbstverständliches mehr. »Inszenierung und Option lösen Konvention und Tradition ab.«2 Das gilt in starkem Maße auch für das christliche Bestattungsritual. Pfarrerinnen und Pfarrer bekommen diese Dynamik ungebremst zu spüren, insbesondere wenn sie im Trauerfall mit Menschen zu tun haben, die die SinusStudie »Evangelisch in Baden und Württemberg« als »Säkular Distanzierte«, als 1 Ursula Roth, Artikel »Bestattung«, in: Wilhelm Gräb / Birgit Weyel (Hg.), Handbuch Praktische Theologie, Gütersloh 2007, 458. 2 Michael Nüchtern, Bestattungskultur in Bewegung, in: ders., Kirche evangelisch gestalten (Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie Bd. 13), Berlin 2008, 85.

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»Enttäuschte Kritiker« oder »Wohlwollend Gleichgültige« typisiert. Nicht selten begegnen ihnen hier, wenn sie denn überhaupt um die Bestattung gebeten werden, zunächst massive Vorbehalte bis hin zu scharfer Kritik an der »Amtskirche« und ihren »steifen«, unpersönlichen und gefühlsarmen Formen. Konnten Pfarrer früher von einem Amtsbonus ausgehen, so sind sie heute nicht selten bei Erstbegegnungen herausgefordert, einem Amtsmalus entgegenzusteuern, Mauern der Skepsis und des Ressentiments zu durchbrechen und eine Vertrauensbasis allererst zu schaffen. Die einschlägigen Themen des Bestattungsgesprächs können oft erst dann angesteuert werden, wenn diese Basis gefunden wurde. Nicht selten braucht es nach einem vorbereitenden »Anbahnungsgespräch« ein zweites Gespräch, das dann stärker auf die Bestattung selbst fokussiert ist. Auch in den in der Evangelischen Kirche besonders stark repräsentierten Milieus der Traditionellen, der Bürgerlichen Mitte, der Sozialökologischen und der Konservativ-Etablierten machen Pfarrerinnen und Pfarrer immer öfter die Erfahrung, dass ein Bestattungsgespräch allein nicht ausreicht, um das tendenziell komplexer werdende Themenfeld im Vorfeld einer Bestattung zu bearbeiten. Starke Motoren dieser Entwicklung sind die Bestattungsunternehmen, die ihren Kunden eine ungemein breite Palette an möglichen Dienstleistungen im Umfeld der Bestattung anbieten. Das Angebot, das ihre Internetauftritte und ihre Kataloge widerspiegeln, fächert sich seit Jahren immer weiter auf. Grabsteine in vielfältigen Steinqualitäten vom schlichten Sandstein bis zum exquisiten Carrara-Marmor stehen zur Auswahl. Dem Wunsch nach individuellen Ausdrucksformen der Trauer und des Totengedenkens entsprechen Bestatter auch mit ganz neuen Angeboten. In Kooperation mit Steinmetzen bieten sie trauernden Hinterbliebenen z.B. an, beim Brechen des Rohlings für den Grabstein im Steinbruch aktiv mitzuwirken, und ebenso, bei dessen weiterer Bearbeitung mit Hammer, Meißel und Feile selbst Hand anzulegen. Vielerlei Möglichkeiten zur individuellen Gestaltung des Sarges werden inzwischen ebenfalls angeboten, von der Außenbemalung bis zur Innenausstattung mit besonderen Stoffen. Sehr im Trend liegen Sarg- und Grabbeigaben (Kinderbilder, Abschiedsbriefe, Kuscheltiere etc.). Gleiches gilt für allerlei neue Rituale im Rahmen der Trauerfeier. Viele Ideen lassen sich schon bei einem kleinen Aufpreis realisieren: seien es spezielle Kerzen, die exakt zum Ende der Trauerfeier abgebrannt sind, seien es Körbe voller Rosenblätter, die nach Verlesung der Vita des Verstorbenen vor oder über dem Sarg ausgeschüttet werden, seien es Bronzeanhänger mit einem Fingerabdruck des oder der Toten, die die Angehörigen sich im Rahmen der Feier wechselseitig umhängen. All diese Trends reflektieren Individualisierungsprozesse, die sich auf den gesamten pastoralen Begleitungsprozess auswirken. 4 Pfarrerinnen und Pfarrer als »Bestattungsreisende« Eine wohl überlegte Auswahl erfordert zunehmend auch der Ort der letzten Ruhe. Die traditionelle Erdbestattung auf dem Friedhof wird seltener. Wenn sie

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doch noch in Betracht kommt, spielen zunehmend auch ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle: Welcher Friedhof liegt besonders schön und ist deshalb vielleicht schon prämiert3 worden? Welches Grab in welcher Lage und Nachbarschaft entspricht der Persönlichkeit unseres Verstorbenen und unseren Bedürfnissen am besten? Von Pfarrerinnen und Pfarrern wird dann oft wie selbstverständlich erwartet, dass sie auch längere Fahrzeiten zu einem eigens ausgesuchten Friedhof in Kauf nehmen. Es entsteht die Gefahr, dass sie damit in die Rolle von »Bestattungsreisenden« gedrängt werden, die sich mobil und flexibel einzupassen haben in bereits festgelegte Arrangements. Weithin dominiert in Deutschland inzwischen allerdings die Feuerbestattung. Dieser Trend ist vermutlich nicht nur den geringeren Kosten geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass die Beisetzung der Asche sehr variantenreich gestaltet werden kann. Das Urnengrab auf dem Friedhof hat starke Konkurrenz bekommen. Wachsender Beliebtheit erfreuen sich Friedwald-Bestattungen, bei denen die (kompostierbare) Urne an den Wurzeln eines eigens ausgewählten Baumes eingelassen wird. Aber auch die Seebestattung wird immer häufiger nachgefragt, die Beisetzung der Asche auf Almwiesen, in Gebirgsbächen, in Kolumbarien oder auf anonymen Grabfeldern, wie sie inzwischen auf fast allen großen Friedhöfen Standard sind. Auch für solche Formen ist zunehmende Mobilität von Pfarrerinnen und Pfarrern gefragt. 5 Kompetente »Zweitberatung« gefragt In Anbetracht einer solchen Fülle an unterschiedlichen Möglichkeiten tun sich viele trauernde Hinterbliebene schwer mit der Auswahl und bringen diese Entscheidungsunsicherheit dann oftmals mit ins Bestattungsgespräch. Den Pfarrerinnen und Pfarrern wächst damit immer stärker auch die Rolle von Beraterinnen und Beratern zu, wobei ihnen in der Regel der Part der »Zweitberater« zukommt. Ihnen wird unterstellt, dass sie unabhängig von eigenen Geschäftsinteressen Gesichtspunkte ins Gespräch einbringen, die die Entscheidung des individuell stimmigen »Bestattungsdesigns« erleichtern. Diese zugedachte Rolle rückt Pfarrerinnen und Pfarrer fast automatisch in Konkurrenz zu den Bestattern, die in aller Regel als »Erstberater« agieren. Die kommunikative Qualität dieser Beratungen genügt heute in vielen Bestattungshäusern hohen Anforderungen, so dass sich Menschen in ihrer persönlichen Trauersituation und mit ihren spezifischen Bedürfnissen sensibel wahrgenommen und unterstützt fühlen. Bewusst oder unbewusst werden diese Standards an Zuwendung und an Aufgeschlossenheit für eigene Wünsche auch im Kontakt mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin erwartet. Das führt diese bisweilen in heikle Rollenkonflikte, insbesondere wenn ihnen daran liegt, die eigene Rolle von der des geschmeidigen 3

Vgl. die Meldung »Münsteraner Waldfriedhof Lauheide ist ›schönster Friedhof 2014‹. Tübinger Bergfriedhof auf Platz Drei« in epd-Südwest v. 30.10.2014.

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Dienstleisters abzuheben. Es scheint daher ratsam, die Beraterrolle nicht kategorisch abzuweisen, sondern sie anzunehmen, und zwar so, »dass die Individualität des Verstorbenen und seiner Angehörigen in hohem Maße Berücksichtigung findet«4. Die Herausforderung in der Gesprächsführung wird dann vor allem darin liegen, dem jeweiligen Gesprächspartner zu helfen, die für ihn relevanten Kriterien zu entdecken und zu gewichten. Eine wichtige pastorale Aufgabe ist es dabei, orientierende Maßstäbe einzubringen, wie z.B. die von Michael Nüchtern formulierten Leitfragen: »1. Was entspricht nicht nur dem Willen des Verstorbenen und seiner Angehörigen, sondern ist zugleich einer gesellschaftlichen Gedenkkultur angemessen? 2. Was entspricht aufgrund des Erfahrungswissens individuellen Trauerprozessen am besten?«5 Damit weitet sich zugleich die Beraterrolle, zu der anwaltschaftliche Dimensionen hinzukommen. 6 Anwaltschaftliche Rollenanteile Das passiert insbesondere dann, wenn der Seelsorger oder die Seelsorgerin Fürsprecher/in wird für trauernde Menschen aus dem Umfeld des Verstorbenen; wenn er/sie z.B. für entferntere Verwandte, für den geschiedenen Partner, für Nachbarn und Arbeitskollegen Partei ergreift und deren Bedürfnis, am Begräbnis teilzunehmen, zur Sprache bringt. Ein Beitrag kann außerdem sein, den Privatisierungstendenzen bei der Bestattung profiliert entgegenzuwirken und die Öffentlichkeit des Bestattungsgottesdienstes in ihrer Bedeutung zu erschließen. Damit wird die Pfarrerin und der Pfarrer zugleich zum Anwalt der evangelischen Bestattungstradition, die in ihren liturgischen Ausformungen allemal eine Trauergemeinde voraussetzt und sich darum mit manchen modernen Bestattungsformen (wie z.B. der anonymen Bestattung) nicht in Einklang bringen lässt. Eine besondere anwaltschaftliche Rolle kommt der Seelsorgerin zudem im Milieu der Prekären zu. Hier sind es oft harte wirtschaftliche Faktoren, die die Entscheidung für eine anonyme Bestattung nahelegen. Gleichwohl wird es gerade in solchen Settings Aufgabe der Pfarrerin sein, andere Möglichkeiten der Bestattung und des letzten Geleits aufzuzeigen und anwaltschaftlich die Würde des Verstorbenen zur Geltung zu bringen. Unwillkürlich öffnet sich damit die Rolle anwaltschaftlicher Begleitung und lässt die Theologin hervortreten, die unversehens bei ihrer Sache ist, wenn sie den Primat der Ökonomie in Frage stellt und angesichts des Lebensbogens, den der Verstorbene durchschritten hat, auf Gott den Schöpfer, Retter und Vollender verweist.

4

Birgit Weyel, Bestattung und Trauerkultur. Überlegungen zum kirchlichen Handeln angesichts des Wandels, in: Für Arbeit und Besinnung, Heft 19/2008, 17. 5 Nüchtern, a.a.O., 87.

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7 Konfliktlinien In der Wahrnehmung solch anwaltschaftlicher Rollen können Pfarrerinnen und Pfarrer indes rasch in Konflikt geraten zu den Bestattern, die es für gewöhnlich nicht gerne sehen, wenn ihre Arrangements konterkariert werden: wenn etwa ihre privaten Feierhallen ungenutzt bleiben oder wenn schon ins Auge gefasste Friedwald-Bestattungen storniert werden. Gelegentlich kann das dazu führen, dass Bestatter ihren Kunden »kooperationswillige« Pfarrerinnen und Pfarrer empfehlen oder gleich eigene Trauerredner und Trauerbegleiterinnen mit dem Argument, diese ließen sich viel persönlicher als ein normaler Pfarrer auf die Trauernden ein. Mit solchen Signalen seitens der Bestatter mag es zusammenhängen, dass die parochiale Zuständigkeit landeskirchlicher Pfarrerinnen und Pfarrer für bestimmte, klar definierte Seelsorgebezirke an Plausibilität verliert. Das Parochialsystem steht aber auch prinzipiell in Spannung zum Gedanken der Wahlfreiheit, wie er der primär als Dienstleistung verstandenen Bestattung inhärent ist. Für das kollegiale Miteinander von Pfarrerinnen und Pfarrern in einer Stadt oder einem Gemeindeverbund liegt in dieser kritischen Haltung zum gewachsenen Parochialmodell gehörig Konfliktstoff, zumal wenn sich Präferenzen für besonders beliebte »Bestattungspfarrer/innen« abzeichnen und unter der Hand »Rankings« kursieren. Hier sind klare und faire Absprachen unerlässlich und ebensolche Vereinbarungen mit den regional ansässigen Bestattungsunternehmen. Diese konkurrieren mit Pfarrerinnen und Pfarrern zunehmend auch in der Trauerbegleitung weit über den Bestattungstag hinaus. Eigens geschulte TrauerCoachs bieten regelmäßige Gespräche an, auch über längere Zeit. Manche Bestattungshäuser veranstalten Trauerseminare oder bieten in Kooperation mit Reiseunternehmen speziell für trauernde Hinterbliebene »Reisen ins Leben« an. Die Kombination von attraktivem Reiseziel einerseits und flankierenden Gruppen- und Einzelgesprächen mit psychologisch geschulten Trauerbegleiter/innen andererseits scheint eine Marktlücke im Reise-Business zu füllen. Im Wissen um solche Angebote tun Pfarrerinnen und Pfarrer gut daran, sich zu vergegenwärtigen, dass sie sich auch als Seelsorgerinnen und Seelsorger längst schon in einer Marktsituation vorfinden, in der sie mit anderen Marktteilnehmern konkurrieren, die seelsorgeähnliche Begleitmodelle anbieten. Das nötigt Pfarrer/innen unwillkürlich, deren Standards zumindest zur Kenntnis zu nehmen und das eigene theologische Profil zu schärfen. 8 Vielfalt gestalten durch gewagte neue Kontexte Unabdingbar für eine solche Profilschärfung der eigenen pastoralen Identität ist eine hoch entwickelte hermeneutisch-reflexive Kompetenz, die den Pfarrer und die Pfarrerin befähigt, Biografien und deren Deutungen, wie sie im Bestattungsgespräch deutlich werden, aber auch biblische Texte und Symbole, Lieder und

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theologische Denkfiguren in der je spezifischen Trauersituation zu erschließen. Dazu gehört insbesondere der Mut, die beigezogenen Traditionsstücke milieusensibel neu zu kontextualisieren. Das könnte z.B. so geschehen, dass ein bizarrer Musikwunsch zunächst als biografischer Marker des Gegenübers bzw. der verstorbenen Person ausgelotet und gewürdigt wird. Bisweilen bietet es sich in solchen Gesprächsgängen dann an, kühne Kontrastierungen zu wagen, die eine überraschende Verknüpfung herstellen etwa zwischen einem Popsong und einem Paul-Gerhardt-Lied, zwischen einer Filmmusik und einer Ostererzählung aus dem Neuen Testament. Interferenzen können so entstehen, die Wohlvertrautes verfremden und damit in einen überraschend weiten, neuen Horizont rücken. Solche gewagten Kontrastierungen können – eingebettet ins Bestattungsritual – ein enormes integratives Potenzial entfalten, insbesondere in Milieus, die sich selbst in großer Distanz zur Ausdrucks- und Sprachwelt der Kirche sehen. Die pastorale Rolle bei der Bestattung adäquat auszufüllen bedeutet somit, als »Diversity Manager«6 zu agieren. Denn eine der größten Herausforderungen in der Bestattungspraxis liegt heute in der Aufgabe, gleichsam Brücken zu bauen zwischen unterschiedlichen Milieus und ihren Sprach- und Ausdruckswelten. Dies kann nur gelingen, wenn die Pfarrerin und der Pfarrer sich der eigenen Milieuprägungen bewusst sind und diese zu relativieren wissen. Weiter erfordert die Rolle des »Diversity Managers« auch den Mut, sich auf fremdem Terrain verunsichern zu lassen und die Übersetzungsbedürftigkeit der eigenen sprachlichen und religiösen Codes zu erkennen. Als einem Fährmann zwischen den unterschiedlichen Lebens- und Deutungswelten kommt ihm die Aufgabe zu, Boote bereitzuhalten, die zum Einsteigen verlocken und Lust machen, fremde Ufer anzusteuern. Was sich bei solchen schaukelnden Transfers ereignet, haben Pfarrerinnen und Pfarrer nicht in der Hand. Aber sie können auf den zeigen, den sie am Ufer stehen sehen und der ihnen die Richtung weist (vgl. Joh 21,4). 9 Pastorale Bestattungspraxis hat Grenzen und bedarf der Ergänzung Die Ressourcen, die im Gemeindepfarramt für eine engagierte und profilierte Bestattungspraxis zur Verfügung stehen, sind im Portfolio aller pastoralen Aufgaben indes begrenzt. Umso wichtiger scheint es, die von Pfarrerinnen und Pfarrern geleistete Begleitung einzubetten in nicht kommerzialisierte Angebote 6

Den Begriff »Diversity Management« hat Jan Hermelink jüngst in die pastoraltheologische Debatte eingebracht. Er markiert für ihn ein Grundmodell pastoraler Praxis: »Insgesamt ist das pastorale Gestalten als ein religiös akzentuiertes ›Diversity Management‹ im Dienst der Inszenierung des christlichen Glaubens zu beschreiben.« Vgl. Jan Hermelink, Der evangelische Pfarrberuf: Ein kirchliches Leitungsamt im Kontext sozialer und organisatorischer Pluralität. Eine einleitende pastoraltheologische Skizze (2014), in: ders., Kirche leiten in Person. Beiträge zu einer evangelischen Pastoraltheologie, Leipzig 2014, 17.

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für Trauernde, für die die Kirchengemeinde oder der Kirchenbezirk verantwortlich zeichnet. Reflektierte Trauerbegleitung im Pfarrberuf schlösse dann auch ein, offensiv mit den Grenzen der eigenen Möglichkeiten umzugehen und flankierend die Rolle des Vermittlers einzunehmen. Konkret könnte das bedeuten, die Angehörigen Sterbender mit Hospizdiensten in Kontakt zu bringen, Witwen und Witwer auf Trauergruppen hinzuweisen (auch wenn sie in der Nachbargemeinde angeboten werden), sie zu besonderen Gottesdiensten (z.B. am Ewigkeitssonntag oder in der Osternacht) einzuladen und sie über kirchliche Ressourcen wie die psychologischen Beratungsstellen zu informieren. Eine wichtige vermittelnde Funktion nehmen Pfarrerinnen und Pfarrer auch dann wahr, wenn sie gelegentlich im Gottesdienst der Menschen fürbittend gedenken, die anonym bestattet wurden. In städtischen Gemeinden wäre auch daran zu denken, eine Gruppe Ehrenamtlicher zu initiieren und zu begleiten, die bei Bestattungen ohne Hinterbliebene dem Verstorbenen stellvertretend für die fehlende Trauergemeinde Respekt erweist. Symbolisch bringen ehrenamtliche Bestattungszeuginnen und -zeugen zugleich zur Darstellung, dass nach alter christlicher Tradition die Bestattung ein Werk der Liebe und Barmherzigkeit ist. Nicht zuletzt für Pfarrer/innen und Bestatter, die einem einsam verstorbenen Menschen das letzte Geleit geben, sind sie stärkendes Gegenüber und unterstreichen so die Gemeinschaft im »Leib Christi«, an der Tote und Lebende gleichermaßen Anteil haben. 10 Resümee und Ausblick Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen wird die Komplexität und Vielfalt der Aufgaben deutlich, die mit Bestattungen heute für Pfarrerinnen und Pfarrer einhergehen können. Erforderlich sind oftmals konzertierte Bewältigungsstrategien im Ensemble kooperierender und z.T. auch spezialisierter Haupt- und Ehrenamtlicher, die das Zusammenspiel ihrer unterschiedlichen Rollen sorgfältig reflektieren und konzeptionell abstimmen. So kann die Bestattungsaufgabe im Verlauf der Berufsbiografie der Pfarrerin oder des Pfarrers mit den Jahren idealerweise immer wieder anders gewichtet und akzentuiert werden. Im Zuge einer ausgearbeiteten Bestattungskonzeption auf Kirchenbezirksebene könnten einzelne Pfarrerinnen und Pfarrer für den ganzen Bezirk stellvertretend Aufgaben übernehmen, die dann auch mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet wären. Schließlich wäre die Möglichkeit, das Handlungsfeld »Bestattung« im Lauf eines Berufslebens immer wieder anders abzustecken, für viele Pfarrer/innen sicher ein wichtiger Faktor zur Stärkung der Berufszufriedenheit und ein Anreiz, sich neugierig auf die Veränderungsdynamik in der Bestattungskultur einzulassen.

Biographie und Eschatologie Eine Umfrage zur Bestattungspredigt in Württemberg1 Birgit Weyel / Tobias Weimer

1 Einführung Die Predigt am Grab ist vor besondere Herausforderungen gestellt. Anlässlich des Todes eines konkreten Menschen ist dieses eine unverwechselbare Leben zu würdigen und die Hoffnung auf Auferweckung zu verkündigen. Biblisch und liturgisch geprägter Symbolsprache vom ›Himmel‹, dem ›ewigen Leben‹, dem ›Geborgensein in Gottes Hand‹, der ›Auferstehung‹ müssen immer wieder neue Bilder und Ausdrucksformen zur Seite gestellt werden, die auf eine kulturelle Gegenwärtigkeit der Vorstellungen zielen, deren Gestalt aber immer wieder neu gefunden werden muss. Pfarrerinnen und Pfarrer sind gefragt, »Argumente gegen den Tod«2 zu finden, ohne den Tod zu negieren und ohne den Verstorbenen der anonymisierenden Gleichmacherei des Todes preiszugeben. Pfarrerinnen und Pfarrer wagen immer wieder aufs Neue eine christliche Lebensdeutung trotz der Bruchstückhaftigkeit menschlichen Lebens und nur begrenzter Einblicke in das Leben des Verstorbenen. Wie aber sieht die konkrete Praxis der Predigt anlässlich von Bestattungen aus? Welche eschatologischen Vorstellungen haben Pfarrerinnen und Pfarrer? Welche Bedeutung hat für sie die Biographie des Verstorbenen im Blick auf die Gestaltung ihrer Predigt? Wie nehmen sie ihre Aufgabe wahr? Ein Forschungsprojekt, das 2010–2012 am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen durchgeführt wurde,3 hat das theologische Verständnis von Biographie und Eschatologie sowie die eigene Bestattungspraxis von Pfarrerinnen und Pfarrern in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg untersucht. Neben einem Frage1

Eine ausführlichere Fassung des vorliegenden Beitrags findet sich in: Pastoraltheologische Informationen 33 (2013), 61–75 (mit Carmen Hoffmann). Vgl. auch Birgit Weyel, Lebensdeutung. Die Bestattungspredigt in empirischer Perspektive, in: Thomas Klie / Ralph Kunz / Martina Kumlehn / Thomas Schlag (Hg.), Praktische Theologie der Bestattung (Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs, Bd. 17), Berlin / New York 2014, 111–129. 2 Ursula Roth, Die Beerdigungsansprache. Argumente gegen den Tod im Kontext der modernen Gesellschaft (Praktische Theologie und Kultur, Bd. 6), Gütersloh 2002. 3 Das Projekt wurde finanziell unterstützt von der Evangelischen Landeskirche. Neben den Autoren hat Carmen Hoffmann wesentlich mitgearbeitet. Bei der Clusteranalyse hat Herr Andreas Kögel, Institut Schreier, Tübingen, beraten.

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bogen, der an die Pfarrerinnen und Pfarrer adressiert war, haben wir auch ausgewählte Predigten analysiert sowie Interviews mit denjenigen Personen geführt, die diese Predigten anlässlich der Bestattung eines nahen Angehörigen oder eher Fernstehenden gehört haben, um die Resonanzen und Relevanzen der Predigten einschätzen zu können. Im Folgenden stellen wir nur ein zentrales Ergebnis des Fragebogens vor. Die Selbstauskünfte der Pfarrerinnen und Pfarrer wurden statistisch ausgewertet. Durch eine Clusteranalyse konnten wir Predigttypen erstellen, die sich voneinander unterscheiden. Die Unterschiede liegen in ihren Einstellungen zur Eschatologie, und zwar sowohl der persönlich geglaubten als auch der öffentlich gepredigten Vorstellungen von einem Leben über den Tod hinaus. Aber auch im Blick auf ihren Umgang mit der Biographie des Verstorbenen und dem Verständnis der Predigtaufgabe sind Unterschiede nachweisbar. Tatsächlich ergeben sich insgesamt fünf prägnante Predigttypen, die wir näher vorstellen wollen. Freilich bleibt stets zu beachten, dass Typisierungen immer auch mit Vereinfachungen einhergehen. 2 Predigttypen Die Predigttypen sind – das ist noch einmal zu betonen – nicht etwa auf der Basis von Predigtanalysen gewonnen, sondern sie verdanken sich den Antwortmustern in unserem Fragebogen. Dieser umfasste 16 Seiten, er wurde an 265 Pfarrerinnen und Pfarrer der Landeskirche verschickt und hatte einen sehr guten Rücklauf (N = 194). Im Zentrum der Auswertung des Fragebogens standen Predigttypen, die durch fünf Kriterien gebildet wurden: (1) das prinzipielle Vorgehen bei der Erarbeitung einer Bestattungspredigt hinsichtlich der Struktur: Werden der Verkündigungsteil und biographische Daten streng getrennt oder verbunden? Und falls sie verbunden werden, wie werden sie verbunden? Das zweite Kriterium ist (2) die sprachliche Umsetzung. Werden geprägte Formeln, also rituell-formelhafte Sprache verwendet, oder wird nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten gesucht, also eine innovative Sprache angestrebt? Das dritte Kriterium für die Predigttypen ist (3) die prinzipielle Verhältnisbestimmung von Biographie und Predigttext. Was ist für die Verkündigung leitend? Als viertes Kriterium sind (4) die eigenen und als fünftes Kriterium (5) schließlich die in die Predigten einfließenden eschatologischen Vorstellungen zu nennen. Letztlich haben wir neben den fünf interpretierbaren Predigttypen eine heterogene Sammelgruppe mit 9,3 % der Befragten ermittelt, die wir aus methodischen Gründen (Verunklarung der Predigttypen) ausgeschieden haben.

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2.1 Die erste Gruppe mit 9,3 % der Befragten bildet der biblisch-konservative, Biographie-kritische Predigttyp.

Dieser Typ hat zu jeder der angesprochenen Kategorien eine ausgeprägte Meinung, die weniger durch Zustimmung als durch Ablehnung bestimmt ist. Bei der Frage nach der eigenen Eschatologie votiert er für eine ethisch-eschatologische Gerichtsvorstellung und lehnt eine poetisch-freie Eschatologie stark ab. Auch eine umfassende eschatologische Auferstehungshoffnung lehnt er ab. Positiv positioniert sich dieser Typ in der starken Bevorzugung des Predigttextes gegenüber der Biographie. Entsprechend werden eine Gleichgewichtung von Predigttext und Biographie zurückgewiesen. Ablehnend äußern sich die Personen dieses Typs zu einer Verknüpfung von Biographie und Verkündigungsteil unter Anwendung biblischer Bilder, einem sprachlich innovativen oder gar einem diesseitsgewandten Vorgehen, bei dem ohne neue Bilder gearbeitet wird. Ebenfalls nur negativ verhält sich dieser Typ zur gepredigten Eschatologie. Eine allgemein gehaltene eschatologische Gottesgemeinschaft wird stark abgelehnt, auch eine immanent-diesseitige Ausrichtung wird zurückgewiesen. Personen aus diesem Typ arbeiten verhältnismäßig häufig in dörflichen Strukturen. Dazu ist auffällig, dass hier die mittlere Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren schwächer vertreten ist, ebenso Frauen allgemein. Darüber hinaus geben überdurchschnittlich viele Personen dieser Gruppe an, nicht im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu stehen.

Biographie und Eschatologie

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2.2 Zum Eschatologie-betonten, sprachlich-traditionellen Predigttyp zählen 21,2 % der Pfarrerinnen und Pfarrer Württembergs.

Bei ihren Bestattungspredigten betonen die Pfarrerinnen und Pfarrer eine Eschatologie mit leiblicher Auferstehung. Befragt nach den eigenen eschatologischen Vorstellungen, äußern sich Personen dieses Typs ebenso wie die zuvor vorgestellte Gruppe positiv zu ethisch-eschatologischen Gerichtsvorstellungen. Ferner sprechen sie sich für eine Trennung von Biographie und Verkündigungsteil aus, bei dem sie Textbausteine verwenden, was auch mit einer positiven Bewertung rituell-formelhafter Sprache einhergeht. Bei der Gewichtung von Biographie und Predigttext sind sie ohne dezidierte Meinung. Es handelt sich um den einzigen Predigttyp, der sich in keinem Punkt ablehnend positioniert. Statistisch fällt auf, dass Personen dieser Gruppe überdurchschnittlich oft in dörflichen Strukturen anzutreffen sind. Mit dem nächsten Predigttyp kommen wir zu einem Predigttyp auf der Schwelle zwischen den beiden erstgenannten und den beiden abschließenden Predigttypen, da er im positiven Bereich Elemente der jeweiligen Seiten aufweist:

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2.3 Der sogenannte poetisch-kreative Predigttyp, dem ebenfalls 21,2 % der Pfarrerinnen und Pfarrer angehören, zeichnet sich dadurch aus, dass er Biographie und Verkündigungsteil miteinander verknüpft und dazu biblische Bilder verwendet. Dabei lehnt er jedoch rituell-formelhafte Sprache ab. Personen dieser Gruppe nehmen in ihren Predigten auf die eschatologische göttliche Gerechtigkeit Bezug. Die Ablehnung des Antwortmusters »diesseitsgewandtes Vorgehen, ohne neue Bilder« weist auf eine mögliche Eschatologiebetonung und die Verwendung neuer Bilder hin. Statistisch gesehen ist dieser Typ nicht weiter auffällig, außer dass er den Angehörigen die Predigt oft in schriftlicher Form weitergibt. Nach den besprochenen Eschatologie-betonten Predigttypen folgen schließlich noch zwei Predigttypen, die beide Diesseits-orientiert sind.

2.4 Der Diesseits-orientierte Predigttyp ist in der Pfarrerschaft mit 19,2 % vertreten.

Personen dieser Gruppe gehen diesseitsgewandt vor, ohne dabei neue Bilder zu verwenden. Ansonsten positioniert sich dieser Typ jedoch nur ablehnend, so z.B. gegen eine Gleichgewichtung mit gegenseitiger Erhellung von Biographie und Predigttext. Er lehnt ethisch-eschatologische Gerichtsvorstellungen sowohl bei der eigenen als auch der gepredigten Eschatologie ab, wo er sich zudem gegen eine Betonung der Eschatologie mit leiblicher Auferstehungshoffnung ausspricht. Dieser Gruppe gehören statistisch gesehen überdurchschnittlich viele Frauen sowie Personen im Alter von 50-59 Jahren an.

2.5 19,7 % der württembergischen Pfarrerinnen und Pfarrer gehören dem letzten Predigttyp an, den wir den Biographie-betonten, Diesseits-orientierten Predigttyp genannt haben.

Biographie und Eschatologie

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Personen dieser Gruppe verknüpfen Biographie und Verkündigungsteil unter Anwendung biblischer Bilder und gehen dabei diesseitsgewandt vor. Es wird Wert darauf gelegt, dass sich Biographie und Predigttext gegenseitig erhellen. In seiner eigenen Eschatologie ist dieser Typ eher auf das Diesseits hin orientiert, mit der Vorstellung, dass die Identität von Verstorbenen im Gedenken Gottes bewahrt wird. Zur gepredigten Eschatologie haben Personen dieser Gruppe keine homogene positive Einstellung, sie sind sich lediglich in der Ablehnung einer Eschatologiebetonung mit leiblicher Auferstehung einig. Statistisch lässt sich ergänzen, dass aus dieser Gruppe überproportional viele Personen angegeben haben, bei der Predigt mit freien Stichworten zu arbeiten, und dass sie die Veränderungen im Bestattungswesen eher positiv bewerten. 3 Beobachtungen Wenn man diese Befunde näher in den Blick nimmt, dann lässt sich Folgendes beobachten: Auffällig ist die erste Gruppe, der biblisch-konservative, Biographie-kritische Predigttyp. Diese Gruppe ist verhältnismäßig klein: 9,3 %. Sie hat eine stark ausgeprägte eigene Eschatologie: das Gericht. Die Gerichtsvorstellung ist dogmatisch von einem doppelten Ausgang geprägt. Es handelt sich hier um eine eindimensionale eschatologische Predigt. Die sachliche Traditionsorientierung wird durch die Verwendung geprägter Sprache bei diesem Typ noch verstärkt. Auch der zweite Typ, der Eschatologie-betonte, sprachlich-traditionelle Predigttyp (21,2 %), steht für eine betonte Eschatologie. Seine Eschatologie ist allerdings nicht auf die Gerichtsvorstellung beschränkt, sondern wird ergänzt durch eine leiblich gedachte Auferstehung. Für den dritten Predigttyp, den poetisch-kreativen Typ (21,2 %), spielt die Eschatologie auch eine wichtige Rolle, freilich nicht als Gerichtsvorstellung oder als leibliche Auferstehung, sondern eher im Sinne einer göttlichen Gerechtigkeit. Etwa die Hälfte aller Prediger und Predigerinnen predigen demnach Eschatologie am Grab. Die Akzente, die hier gesetzt werden, sind allerdings sehr unterschiedlich.

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Die Gruppen vier und fünf, mit jeweils 19,2 bzw. 19,7 %, sind dagegen stark Diesseits-orientiert. Blass bleibt der rein diesseitsorientierte Predigttyp, der wesentlich durch die Ablehnung von eschatologischen Vorstellungen geprägt ist. Anders als der fünfte, Biographie-betonte, Diesseits-orientierte Predigttyp fokussiert er auch nicht stattdessen auf die Biographiearbeit. Bei insgesamt fast 40 % der Prediger und Predigerinnen ist die Eschatologie somit eine Leerstelle. Nur ein einziger Predigttyp, der poetisch-kreative Predigttyp, verbindet Biographie, Verkündigung, Eschatologie. Die sprachliche Gestaltung der Predigt ist für das Selbstverständnis der Prediger und Predigerinnen von großer Bedeutung. Auffallend ist hier die starke Traditionsorientierung bei fast allen Predigten. Neue sprachliche Bilder und eine innovative sprachliche Gestaltung werden immerhin von vier Gruppen abgewiesen. Rituell formelhaftes Vorgehen findet zum Teil ausdrücklich Zustimmung. Allein der »poetisch-kreative« Predigttyp mit 21,2 % bildet hier eine Ausnahme. Vor dem Hintergrund, dass die Predigt zwar einerseits Teil des Rituals ist, andererseits aber auch eine flexible Komponente im Ritual der Bestattung darstellt, ist dieser Befund bemerkenswert. Es besteht die Gefahr, dass das Potential eschatologischer Vorstellungen, Leben zu deuten und Hoffnung zu wecken, verloren geht. Prediger und Predigerinnen, die im Laufe einer langen Ausbildung und ihrer Berufspraxis einen theologischen Standpunkt ausgebildet und Routinen erworben haben, wird man kaum kritisieren oder ihnen blinde Flecken vorwerfen dürfen. Die eigene Eschatologie ist ja nicht nur Teil des Berufswissens, sondern im Wesentlichen eine eigene Glaubensüberzeugung. Dennoch kann die Predigertypologie als ein Instrument eingesetzt werden, um Pfarrerinnen und Pfarrern die Möglichkeit zu bieten, ihre eigene Predigtpraxis selbstkritisch zu überdenken. In Fortbildungen und Vorträgen haben wir sehr deutlich gemerkt, wie bereitwillig ein großer Teil der Pfarrerinnen und Pfarrer über ihre Bestattungspredigten nachdenkt.

Milieusensible Bestattungskultur und Kirchenrecht Reiner Braun

Im Fokus geltender kirchenrechtlicher Bestimmungen für die Ausgestaltung des Bestattungsgottesdienstes ist vor allem die traditionelle Bestattungskultur. Eine Ausnahme stellt die erst 2013 in Kraft getretene Lebensordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) dar,1 die, soweit ich sehe, zuletzt revidierte Ordnung innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wie alle Kapitel, so ist auch das über die Bestattung in drei Teile aufgeteilt:2 Zuerst werden die »Herausforderungen« skizziert, dann »Biblisch-theologische Orientierungen« geboten, ehe »Richtlinien und Regelungen« entfaltet werden, die offen sind gegenüber solchen Gestaltungsformen, die etwa auch Angehörigen postmoderner Milieus zugänglich sind. So dürfte der Hinweis auf die Möglichkeit der Aufbahrung zuhause in den ersten 36 Stunden nach dem Tod oder der Totenwache im Krankenhaus nicht nur für Prämoderne, sondern auch für Postmoderne interessant sein. Die Aussegnung wird in der EKHN empfohlen: »Wenn man die Verstorbene oder den Verstorbenen sehen und berühren kann, fällt es leichter, sich von ihr oder ihm zu verabschieden« (286; vgl. 316). Beispielsweise die ritualisierte Berührung des Verstorbenen, dem man ein Kreuz auf die Stirn zeichnen kann, kommt als grenzüberschreitende Erfahrung etwa dem Expeditiven Milieu entgegen. Dass das Trauergespräch auch dazu dient, die rituellen Formen im individuellen Fall durchzusprechen und damit den Angehörigen Sicherheit zu geben, wird besonders hervorgehoben – und ist außerhalb der prämodernen Milieus unbedingt zu beherzigen (309). Dass für den Trauergottesdienst Wünsche geäußert werden, Musik, Bilder oder Texte einzubeziehen, die für den Verstorbenen/die Verstorbene bzw. die Hinterbliebenen wichtig sind, wird positiv gewertet (289f; 320). Vom Gesang als Standard hat sich die EKHN an dieser Stelle bereits verabschiedet und beschreibt damit die Realität in urbanen Räumen sowie überall in kirchenfernen Milieus (320). 1

Ordnung des kirchlichen Lebens in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Lebensordnung). Vom 15. Juni 2013 (Amtsblatt 2013, 242). Als Download: www.kirchenrechtekhn.de/document/18785 (Zugriff: 9.7.2015). 2 Vorbilder für diese Dreiteilung sind die Ordnungen der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz und der Evangelischen Landeskirche in Baden.

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Der Grundsatz für die Gestaltung des Trauergottesdienstes heißt: »Der Gottesdienst richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten und den Traditionen der jeweiligen Kirchengemeinde« (314). Dass diese Traditionen freilich aufgeweicht werden, zeigt sich an verschiedenen Stellen der Lebensordnung. So sind als Orte des Trauergottesdienstes nicht nur die Friedhofskapelle und der Kirchenraum möglich, sondern auch die Trauerhalle des Bestattungsunternehmens, sofern es sich um einen angemessenen und vor allem um einen öffentlich zugänglichen Ort handelt. Auch die gottesdienstliche Begleitung von »Baumund Seebestattungen« ist möglich (319). Dass die EKHN sich kritisch gegen anonyme Bestattungen äußert und die Bedeutung des Namens des Verstorbenen betont, dürfte besonders den Milieus entgegenkommen, die den Wert des Individuums besonders hervorheben. Die EKHN befürwortet eine Vielfalt an Formen der Verkündigung (299), bei gleichzeitiger Betonung der Essentials (312): Subjekt der »gottesdienstlichen Handlung« ist die Gemeinde, die »ihre verstorbenen Glieder zur letzten Ruhe geleitet, sie der Gnade Gottes befiehlt und bezeugt, dass Gottes Macht größer ist als der Tod. Die Gemeinde begleitet die Toten im Ritus der Bestattung. Sie begleitet die Hinterbliebenen mit Seelsorge und Fürbitte« (312). Dass die Gemeinde an dieser Stelle so betont wird, lässt etwa auch zu, dass bei Beisetzungen im engeren Kreis einzelne Teilnehmende Erinnerungen an den Verstorbenen äußern können, wie dies in Finnland etwa Tradition ist. Auf jeden Fall ist die Empfehlung zu beherzigen, einen guten Kontakt zu Bestatterinnen und Bestattern zu pflegen, die in fast allen Trauerfällen, milieuübergreifend, eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung des Abschieds spielen (292). Insgesamt ist festzustellen: Die Lebensordnung der EKHN eröffnet einen weiten Raum für die milieusensible Begleitung bei Trauerfällen und kann als Vorlage für andere Landeskirchen dienen, die ihr Kirchenrecht den aktuellen Herausforderungen anpassen wollen.

Der Wandel der Bestattungskultur aus der Sicht eines Bestatters Der Bestatter Kurt Stier1 im Interview mit Benjamin Schließer Kurt Stier / Benjamin Schließer

Sie haben fast 50 Jahre Erfahrung im Bestattungswesen. Wie war die Situation vor 50 Jahren? Als ich angefangen habe, war die Erdbestattung die unhinterfragte Normalform. Bestattet wurde auf dem Friedhof vor Ort, nach Möglichkeit in der Grabstätte der Familie. Verantwortlich war die kommunale Friedhofsverwaltung, und der Pfarrer führte eine kirchliche Amtshandlung durch. Ein Friedhofsgrab ist einerseits mit der Pflicht der Grabpflege verbunden, andererseits hat man einen Ort, an dem das Gedenken an die Verstorbenen über Generationen hinweg gepflegt werden kann. Wie hat sich die Bestattungskultur verändert? Der Umbruch in den 80er Jahren war nicht zuletzt mit einer massiven Erhöhung der Bestattungs- und Friedhofsgebühren verbunden. Viele Angehörige empfanden auch die Pflege des Grabes als Belastung. Es entwickelte sich ein Trend zur Feuerbestattung und zu den damit verbundenen vielfältigen Beisetzungsarten der Asche. Immer häufiger wählten die Menschen eine anonyme Bestattung, weil sie sagten: »Ich will meinen Kindern nicht die Grabpflege aufbürden«, bzw. »Wer soll das machen, wenn die Kinder weit weg wohnen und keine nahen Verwandten vor Ort sind.« Hält die Tendenz zur anonymen Bestattung weiter an? Meines Erachtens hat man viel zu spät begriffen: Anonym bedeutet weg! Es gibt keinen Ort der Trauer, an den man als Kind oder Ehepartner gehen könnte. Ich habe über die Jahre gemerkt, dass Hinterbliebene das Bedürfnis haben, den letz1

Kurt Stier (*1947) ist in einer Bestatterfamilie aufgewachsen und seit 1972 selbst als Bestatter tätig. Er ist Gründer und Mitinhaber der »Trauerhilfe Stier« in Karlsruhe, Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier e.V. (BATF) und war von 1999 bis 2010 im Vorstand des Verbandes Deutscher Bestattungsunternehmen (VDB Berlin). Beim Verband Dienstleistender Thanatologen (VDT) absolvierte er eine Ausbildung zum Thanatologen.

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ten Ruheort ihres Angehörigen zu kennen. Bis vor einigen Jahren wurden Kolumbarien als eine gute Lösung angesehen, auch in vielen Landgemeinden, doch mit der Zeit wurde auch diese Form als fremd empfunden. In Karlsruhe sind momentan über 40 % der Nischen leer. Häufig gab es Streit über den Platz der Blumenablage. Welche alternativen Bestattungsarten werden derzeit nachgefragt? Naturbestattungen erfreuen sich in den vergangenen Jahren immer größerer Beliebtheit. Allerdings sind auch Naturbestattungen im Grunde anonyme Bestattungen. Es gibt keine Bepflanzung, keine Bezeichnung der Grabstätte, höchstens eine kleine Plakette am Baum. Angehörige suchen ein Naturgrab erfahrungsgemäß recht selten auf. Ein Besuch wird witterungsbedingt erschwert, und häufig ist der Standort abgelegen. Zu den neueren Optionen gehören große Grabfelder auf den Friedhöfen, die wie eine Landschaft gestaltet und von der Kommune, von Genossenschaften oder Firmen betreut werden. Sie haben den Vorteil, dass einerseits die Befürworter der Naturbestattung auf ihre Kosten kommen und andererseits die Friedhöfe nicht öde und leer werden. In unseren Nachbarländern erlaubt der Gesetzgeber noch weitere Bestattungsarten. Wie stehen Sie dazu? In Frankreich, in der Schweiz und auch in Holland kann man die Asche kostengünstig im Rosenbeet oder auf der Wiese verstreuen. Seit dem Jahr 2015 ist das auch im Bundesland Bremen erlaubt. Auf dem eigenen Grund und Boden hat das auch für viele eine Bedeutung. Die Urne im Haus oder in der Wohnung aufzubewahren ist jedoch für den Trauerprozess nicht gerade förderlich. Als sinnstiftendes Element bleibt häufig nur noch die Verabschiedungsfeier. Ich bin der Meinung, die Feier sollte mit dem Verstorbenen im Sarg stattfinden. Dies würde der hierzulande zunehmenden Entwicklung hin zu einer Verabschiedungsfeier mit der Urne, manchmal Wochen nach dem Tod, entgegenwirken. Meist argumentieren die Leute ja pragmatisch: »Wir machen alles zusammen, Feier und Urnenbeisetzung.« Sie scheinen von dieser Form des Abschieds nicht überzeugt. Warum? Er kommt zu spät. Ein »richtiges« Verabschieden von der verstorbenen Person kann es so nicht geben. Die Verbindung zu der Asche in der Urne ist kaum möglich ohne einen würdevollen Abschied vom toten Menschen. Für die nächsten Angehörigen ist es schwer, aber immens wichtig, am Sterbebett zu stehen und den Tod wahrzunehmen. Rituale, die früher selbstverständlich zum Tode

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gehörten, sind ja fast gänzlich verschwunden: den Verstorbenen anfassen, die Kälte feststellen, die Kleider anlegen, ihn in den Sarg betten. Auch der Gesichtsausdruck eines Verstorbenen verändert sich, und dann stellten die Menschen beim Abschied am Sarg fest: »Er sieht friedlich aus. Er ist ruhig eingeschlafen. Es gab keinen schlimmen Todeskampf.« Es war selbstverständlich, am offenen Grab Abschied zu nehmen, zuzusehen, wie der Sarg versenkt wird. All das half den Trauernden, die Wirklichkeit des Todes anzunehmen. Auch waren sie so nicht alleine, sondern Teil einer Gemeinschaft, die die Trauer mittrug. Und heute? Tod und Trauer werden meiner Wahrnehmung nach als Phänomene der Schwäche erlebt. Deshalb finden sie nicht öffentlich, sondern in der Verborgenheit des Privaten statt. Der Schutzraum der schwarzen Trauerkleidung für die Dauer des Trauerjahres fällt fast ausnahmslos weg. Das Begreiflich-Machen fehlt, wenn die Verabschiedung am Sarg nicht erfolgt. Dieser Abschied ist besonders wichtig bei einem plötzlichen Tod. Der Satz einer Witwe, die nach einem Unfall nicht mehr Abschied nehmen konnte, geht mir nicht mehr aus dem Sinn: »Ich komm’ zwar zu diesem Grab, ich weiß aber nicht, ob tatsächlich mein Mann da beerdigt ist.« Gerade Kinder haben beim Anblick einer Urne ihre ganz großen Schwierigkeiten: »Was habt ihr denn mit Opa gemacht? Da soll der jetzt drin sein? Das glaub ich nicht.« Und damit kann auch keine Bindung zur Grabstelle entstehen, denn es wurde ja nur eine »Dose« vergraben, nicht der Opa … Von vielen Angehörigen bekomme ich immer wieder bestätigt, dass ihnen die Verbindung zum Verstorbenen in der Urnentrauerfeier nicht möglich war. Wie kann es dennoch gelingen, den Tod zu begreifen? Wir versuchen, durch das Aufstellen von Bildern, durch Abschiedsrituale wie etwa das Anzünden einer Kerze so viel wie möglich einzuholen. Oft gelingt es uns auch, die engsten Angehörigen von einer Verabschiedung im Kreis der Familie zu überzeugen, welche dann bei uns im Abschiedszimmer vor der Einäscherung erfolgt. Manchmal sind die Menschen auch von Geldsorgen umgetrieben. So gibt es von der Krankenkasse kein Sterbegeld mehr. Manche wollen die Bestattung möglichst kostengünstig durchführen, weil sie keinen Bezug zum Verstorbenen haben. Kinder sind ja zur Bestattung der Eltern verpflichtet, auch wenn keine Verbindung mehr besteht. Wer niemand mehr hat, muss sein Schicksal in die Hände des Ordnungsamtes legen, und damit ist das ein Fall für die »Entsorgung«, d.h. Einäscherung und Beisetzung in einem Sammelgrab. Immer mehr Feiern finden im kleinen Kreis statt, manchmal entfallen sie ganz.

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Ihr Bestattungsinstitut wirbt damit, zeitgemäß und kundenorientiert zu arbeiten. Was heißt das? Unser Unternehmen begann – wie viele zur damaligen Zeit – als Schreinerei mit Bestattungsdienst. Jetzt verstehen wir uns als Dienstleistungsunternehmen. Auf der einen Seite gibt es »Bestattungs-Discounter«, die teils über das Internet engagiert werden und die nur das Nötigste an Formalitäten erledigen und den Verstorbenen abholen. Den Rest müssen die Angehörigen selbst machen. Schlimm ist es, wenn so ein Sammeltransporter in der ganzen Republik die Leichen einsammelt und im Ausland einäschert, oder wenn die Urne mit dem Paketdienst zum Bestattungsplatz versandt wird. Trauernde kommen mit den Verstorbenen kaum noch in Berührung. Auf der anderen Seite gibt es solche Unternehmen, die sich als Dienstleister verstehen, die zuerst die Vorstellungen des Kunden anhören und sie individuell und zugewandt betreuen. Was zeichnet einen »Dienstleister« unter den Bestattern aus? Viele Menschen wissen gar nicht, wie die gesetzliche Lage ist, was sie entscheiden können und was für sie »gut« ist. Wir geben daher zunächst Auskunft über den Umgang mit dem Verstorbenen, dass er etwa bis zu 36 Stunden zuhause aufgebahrt werden kann. Wir sorgen nach Wunsch zu jeder Tag- und Nachtzeit für die Einbettung und Aufbahrung des Verstorbenen. In unserem Haus und mittlerweile auch bei sehr vielen unserer Kollegen wird großer Wert auf das Abschiednehmen am offenen Sarg gelegt, auch bei sensiblen Fällen wie Unfall oder Suizid, wenn der Verstorbene womöglich entstellt ist. Wir kümmern uns auch um vermeintliche Kleinigkeiten wie Sargbeigaben – zum Beispiel ein letzter Brief des Partners, eine Zeichnung des Enkels, persönliche Gegenstände. Wir klären gemeinsam den Ablauf der Feier, ob ein kirchlicher oder ein freier Redner gewünscht ist oder ob die Feier selbst gestaltet werden soll. Wir fragen nach Musikwünschen, engagieren bei Bedarf die Musiker, brennen die Lieder auf CD und überprüfen die Anlage. Wir besprechen weitere Gestaltungselemente wie Blumenschmuck, Bilder, Kerzen usw. Schließlich kümmern wir uns um die Terminabsprache mit den Geistlichen oder freien Trauerrednern und der Friedhofsverwaltung, weisen auf örtliche Besonderheiten hin, unterstützen bei der Gestaltung der Trauerkarten und Zeitungsannoncen, und immer häufiger geben wir erste Informationen zu Testaments- und Erbfragen. Natürlich beraten wir unsere Kunden ausführlich bei der Wahl der Bestattungsart. Insgesamt verstehen wir uns als Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Bestattung und zunehmend auch als Trauerbegleiter und erste Anlaufstelle für Rechtsfragen.

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Wo stößt Ihre Kundenorientierung an ihre Grenzen? Wozu sagen Sie »Nein«? Wir halten uns an gesetzliche Grenzen und appellieren bei ausgefallenen Wünschen an das sittliche Empfinden. So kann ich der Plastination eines Verstorbenen, obwohl gesetzlich erlaubt, nichts abgewinnen. Wollen die Angehörigen womöglich eine »Scheibe« vom Verstorbenen als Wandschmuck zuhause aufhängen? Bei Ihrer Arbeit sprechen Sie mit den Angehörigen auch über die Möglichkeit einer kirchlichen Bestattung. Was denken die Menschen von der Kirche? Früher wurde mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin nicht zur Beisetzung kommt, wenn der Verstorbene aus der Kirche ausgetreten war. Heute ist das für die meisten nachvollziehbar und wird auch nicht mehr in Frage gestellt. Bei denen, die Kirchenmitglied sind, hören wir immer öfter den Satz: »Er war noch in der Kirche, hatte aber keinen Bezug mehr zu ihr, wir wollen auch jetzt keinen Pfarrer.« Natürlich weisen wir dann darauf hin, dass die Kirchenzugehörigkeit selbst schon ein Zeichen für die Verbindung zur Kirche ist. Insgesamt nimmt der Wunsch nach einer kirchlichen Feier immer mehr ab. Und sobald es kleine Schwierigkeiten gibt – wegen des Termins oder wegen der Frage der Zuständigkeit –, schwenkt man ganz schnell zum freien Redner. In der katholischen Kirche beobachte ich viel Enttäuschung über die Institution Kirche oder über die Amtsperson. Die evangelische Seite wird häufig mit dem Argument kritisiert, dass niemand zu Geburtstags- oder Krankheitsbesuchen kam und niemand Anteil genommen hat am persönlichen Befinden. Manche beklagen sich auch, dass in Bestattungspredigten zu wenig auf das Leben der Verstorbenen eingegangen wird. Was wünschen sich Ihre Kunden von der Kirche? Sie wünschen sich mehr Flexibilität bei den Trauerfeiern, besonders bei den Musikstücken. Ich möchte mich jetzt nicht in den Streit hineinziehen lassen, ob das »Ave Maria« in der evangelischen Kirche immer noch ein No-Go sein soll. Bei unseren Kunden jedenfalls stößt eine solche Abwehrhaltung auf kein Verständnis. Schon gar nicht der Hinweis, dies sei eine kirchliche Veranstaltung, auf der säkulare Lieder wie »‘s ist Feierabend« oder »Time to Say Goodbye« nichts zu suchen haben. Manchmal gehen die Menschen nach ablehnenden Bemerkungen lieber zum freien Trauerredner. Schwierig und auch ärgerlich ist, wie gesagt, häufig die Terminfrage. Vor allem auf evangelischer Seite nehmen die Terminprobleme zu, wohl weil Pfarrer oder Pfarrerin immer mehr belastet

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werden und sie anderweitig gebunden sind. Dabei werden Trauerfeiern außerhalb der regulären Dienstzeiten immer mehr nachgefragt, und die Leute sind auch bereit, die Zusatzgebühren zu bezahlen. Eine Beerdigung am Samstag in Karlsruhe bedeutet immerhin einen Zuschlag von 100 %, also ca. 1000 Euro. Nur – ich finde meistens keinen Pfarrer! Was wünschen Sie sich von der Kirche? Ich würde mir wünschen, dass auch für Verstorbene, die nicht oder nicht mehr der Kirche angehören, Trauerfeiern in der Kirche zugelassen werden. Es ist doch eine gute Gelegenheit, Kirchenferne zu erreichen! Die Kirche könnte auch wieder mehr Verantwortung im Friedhofswesen übernehmen, zum Beispiel freiwerdende Friedhofsflächen in ihre Obhut nehmen und Alternativen anbieten zu anonymen Naturbegräbnisstätten. Zum Beispiel hat die Christengemeinschaft ein Grabfeld auf dem Karlsruher Hauptfriedhof. Auch der HSV und Schalke besitzen eigene Grabfelder auf ihren Friedhöfen. Warum also nicht die Ortsgemeinde? Die Evangelische Kirche im Rheinland hat einen wirklich guten Weg beschritten, indem sie auf ihren kirchlichen Friedhöfen Urnen-RasenReihengrabstätten anbot. Jede Grabstätte ist durch eine Grabplatte gekennzeichnet und dadurch leicht auffindbar. In Wuppertal ist so die Zahl anonymer Bestattungen auf ein Minimum geschrumpft. Ein Bestatter, der diese Form seinen Vorsorgekunden anbot, hat fast alle seiner Kunden davon überzeugen können. Ihr persönliches Fazit nach über 50 Jahren Bestattungserfahrung? Das Wichtigste für einen Bestatter ist es, sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst zu sein. Außerdem sollte der Tod wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt und das Abschiednehmen mehr aus einer ganzheitlichen Sicht betrachtet werden. Es kommt darauf an, die einzelnen Bereiche nicht noch mehr zu zergliedern, sondern zu verbinden. Anfänge sind schon gemacht. So wird z.B. im Hospiz und in den Palliativstationen offen mit Sterben und Tod umgegangen, auch bewusst Abschied genommen. Angehörige sollten, wenn sie den Wunsch haben, auch beim Einbetten, beim Waschen und in den Sarg-Legen mithelfen. Das Ritual der Aussegnung sollten wir wieder aufleben lassen, Trauerfeiern sollten persönlicher gestaltet und Angehörige eingebunden werden, eventuell mit eigenen Beiträgen. Analog zur Erdbestattung am Grab sollte es auch bei einer Feuerbestattung möglich sein, ein Abschiedsritual zu begehen – etwa im Krematorium vor der Einfahrt des Sarges in den Ofen. Manche Krematorien bieten so etwas an. Der Kreis wäre geschlossen, wenn danach, nach etwa zwei Stunden, die Beisetzung der Urne erfolgen und dem Grab ein Name und ein Ort gegeben würde.

Teil II Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung

Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung – Einführung

Das »Handbuch Bestattung« folgt dem »Handbuch Taufe« und wendet sich damit einem weiteren zentralen kirchlichen Handlungsfeld zu. Das Anliegen, das wir in diesem Band der Reihe »Kirche und Milieu« verfolgen, ist jedoch gleich geblieben. Wolfgang Huber brachte dieses Anliegen auf der EKD-Zukunftswerkstatt 2009 in Kassel prägnant zum Ausdruck. Er warnte vor der Gefahr einer mentalen Gefangenschaft im eigenen Milieu, vor dem auch kirchliche Amtsträger und Ehrenamtliche nicht gefeit sind: »Wir erleben es nicht nur individuell, sondern es wird uns auch empirisch aufgewiesen, dass uns als Kirche der Zugang zu bestimmten Milieus und Lebensstilen nicht zureichend gelingt und wir nicht dazu im Stande sind, ihnen die Relevanz unseres Glaubens nahe zu bringen … Wir wollen dem Volk aufs Maul schauen, aber wir hören nicht, was es sagt. Das ist geistlich besorgniserregend. Denn wir kennen den Kummer vieler Menschen nicht und auch nicht ihre Freude. Wir ahnen die Zweifel nicht, die sie in sich tragen, aber auch ihre Glaubensfestigkeit ist uns fremd. Wir würdigen das Engagement der Eliten nicht und sind sprachlos gegenüber den Ausgeschlossenen an den Rändern der Gesellschaft. Milieugrenzen zu überschreiten, ist der Kirche der Freiheit aufgegeben.«1

Die Fragen, die den Praxisteil des »Handbuchs Taufe« eröffneten, stehen deshalb auch dem Handbuch Bestattung voran: Wie kann die »Kirche der Freiheit« Milieugrenzen überschreiten und dabei glaubwürdig bleiben – ja, überhaupt erst glaubwürdig werden? Wie gelingt es, dem Volk aufs Maul zu schauen und sich dabei selbst nicht den Mund zu verbieten? Wie können wir Formen der Bestattung entwickeln, die die lebensgeschichtliche und lebensweltliche Situation der Menschen ernst nehmen? Wie mündet Milieutheorie in »Milieupraxis«?2 1

Wolfgang Huber, »Du stellst unserer Füße auf weiten Raum« – Positionen und Perspektiven einer Kirche im Aufbruch. Rede zur Eröffnung der Zukunftswerkstatt der EKD am 24. September 2009 in Kassel, Theologische Beiträge 41 (2010), 68–78, 71. 2 Das Interesse an der Milieuthematik ist ungebrochen. Ein Blick in die Fachliteratur zeigt jedoch: Einer wahren Flut an milieutheoretischen Veröffentlichungen steht ein kleines Rinnsal an Büchern zur praktischen Umsetzung der Erkenntnisse gegenüber. Diesem Ungleichgewicht treten wir mit der Reihe »Kirche und Milieu« entgegen – wohl wissend, dass es ein Wagnis ist, sich aus der Höhe der abstrakten Betrachtung in die Niederungen des Anschaulichen hinabzubegeben und konkrete Tools, Gestaltungsvorschläge und Methoden anzubie-

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Impulse für eine milieusensible kirchliche Bestattung – Einführung

Bevor in den folgenden Kapiteln Antwortversuche auf diese Fragen unternommen werden, ist es angebracht, einige konzeptionelle Bemerkungen vorauszuschicken. 1. Es ist unsere Absicht, entlang der einzelnen Sinus-Milieus Impulse, Ideen und Inspirationen für eine milieusensible Bestattungspraxis zu vermitteln. Wir haben uns entschieden, auf das Milieu des Verstorbenen als das Zielmilieu zu fokussieren. Das scheint auf den ersten Blick kontraintuitiv, hat aber neben pragmatischen auch sachliche Gründe: Zum einen trägt es dem Bedürfnis der Angehörigen Rechnung, das Wesen des Verstorbenen sichtbar und spürbar werden zu lassen, seine Vorlieben, sein Stil, seine Eigenarten; er soll in seiner lebensweltlichen und lebensgeschichtlichen Individualität gewürdigt werden. Zum anderen ist davon auszugehen, dass die nächsten Angehörigen und Freunde häufig in demselben oder wenigstens einem benachbarten Milieu beheimatet sind und ihre Lebensweltlogik mit derjenigen des Verstorbenen kompatibel ist. Die Tücken dieser Herangehensweise machen sich bei »jungen« Milieus bemerkbar, wenn sich etwa bei zu bestattenden non-konformistischen Expeditiven die ästhetischen Vorlieben der gesetzten, wohlsituierten Elterngeneration durchsetzen. Umgekehrt erfahren »prämoderne« Milieus oftmals eine kritische Bewertung durch die nachfolgende Generation. Trotz der Orientierung am Milieu des Verstorbenen gilt: Die Bestattung ist Dienst an den Lebenden, nicht Ritus für den Toten. 2. Daher ist die hermeneutische und theologische Kompetenz der Akteure im Falle der Bestattung noch mehr gefragt als etwa bei einer Taufe. Sie haben den idealtypisch angelegten Milieuansatz mit der komplexen vorfindlichen Situation zu vermitteln: Schon der Kreis der Angehörigen und Freunde ist natürlich nicht bloß einem Milieu zuzuordnen und bringt folglich ganz unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse mit – ob diese nun artikuliert werden oder nicht. Erst recht zeichnet sich die Trauergemeinde durch eine beträchtliche Milieudiversität, ja durch »Milieubrüche« aus. Solche Differenzen beeinflussen die Planung der Bestattung und damit unweigerlich auch die Dynamik des Trauergesprächs. Sie können als Anregung für »evangelische Provokationen« (s.u.) dienen und mit Fingerspitzengefühl auch in der Trauerfeier transparent gemacht werden – vielleicht sogar mit einem Augenzwinkern, das humorvoll die milieuspezifischen Eigenarten des Verstorbenen aufnimmt. Zu bedenken ist auch, dass die vorausgesetzten ästhetischen Vorlieben des Zielmilieus überlagert werden können durch dominante familiäre Traditionen, das Familiengedächtnis, konfliktbeladene Familienkonstellationen, das Bedürfnis, das Leben des Verstorbenen in einem positiven Licht erscheinen zu lassen, oder aber schlicht durch vorgängige Absprachen mit dem Bestattungsunternehmen. Ein Todesfall durchbricht die alltäglichen Lebensvollzüge rücksichtslos und führt einerseits dazu, dass Menschen in einen »Überlebensmodus« schalten und nach eingespielten Routinen »funktionieren«, andererseits ihre eigene Lebensweltlogik und die des Verstorbenen radikal auf den Prüfstand stellen. 3. Gerade im Blick auf die sensible Bestattungskasualie kann nicht häufig genug betont werden, dass es sich bei der Rede von Milieus immer um »verkürzte Rede« handelt. »Milieus sind eine Konstruktion … Milieus sind Idealtypen, keine Menschen, die sich ten. Wir freuen uns daher aufrichtig über die überwiegend positive Aufnahme des Bandes in der Fachwelt und unter Praktikerinnen und Praktikern Vgl. z.B. die Rezensionen von Christian Grethlein in: Liturgie und Kultur 1 (2014), 73f.; Stephan Bieri, in: Reformierte Presse Nr. 23, 6. Juni 2014, 13; Frank Reintgen, in: Anzeiger für die Seelsorge 3 (2014), 41.

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›im richtigen Leben‹ finden lassen.«3 Es gibt natürlich nicht die »Adaptiv-Pragmatische« oder den »Hedonisten«. Die Individualität der einzelnen Menschen transzendiert die um klare Begrifflichkeiten bemühten Charakteristiken und offenbart damit auch deren Erkenntnisgrenze. Überdies erhalten wir bei einer Bestattung in aller Regel nur einen vermittelten Einblick in die Lebenswelt des Verstorbenen, über die Erzählungen und Erinnerungen der Angehörigen. 4. Es geht uns im »Handbuch Bestattung« um Milieusensibilisierung, nicht um Milieuversklavung. Das Buch bietet keine Rezepte oder Patentlösungen, es will nicht aufzeigen, wie man eine Bestattung »richtig macht«,4 und es redet keiner Bestattung »à la carte« das Wort.5 Wir verstehen es aber durchaus als eine Einladung, sich über die eigene pastoraltheologische Haltung klar zu werden, die eigene Praxis zu reflektieren, eingeschlichene Verhaltensweisen und eingeschliffene Formen zu überprüfen und Handlungsoptionen aufzuzeigen, wie Milieus erreicht und Milieugrenzen überschritten werden können. Die Milieuperspektive ist eine »zauberhafte Sehhilfe,«6 die uns manches Unsichtbare entdecken lässt, aber kein universales Welterklärungsmodell. Das Neue, das sich durch die »Milieubrille« zeigt, stiftet zum theologisch verantwortlichen und am Leben der Menschen ausgerichteten Handeln an. 5. Wichtig ist uns schließlich der Hinweis, dass wir den milieuspezifischen Ansatz nicht unter Überschriften wie »Kirche im Reformstress« einerseits und »Ökonomisierung der Kirche« andererseits sehen. Paulus’ Motto, den Juden ein Jude zu werden (1Kor 9,20), ist kein Stresssymptom und zielt nicht auf die Profitfähigkeit der christlichen Bewegung. Paulus will den Mensch gewordenen Gott vor Augen malen und den Glauben an ihn wecken! Auf die heutige Situation und auf das Thema des vorliegenden Bandes gewendet könnte man sagen, »dass die Bestattung unter Bedingungen der postsäkularen Zeit ›missionarisch‹ in dem Sinn ausgerichtet sein muss, dass sie zum Glauben ›reizen‹ muss. Sie kann ihn als Basis von Sinnstiftung und Tröstung nicht voraussetzen, sondern muss ihn als solchen erst zugänglich machen und dabei die unterschiedlichen Nähen und Distanzen zur Kirche berücksichtigen.«7 Eine in diesem Sinn missionarisch-milieusensible Bestattungspraxis soll nicht zu einer Überforderung führen. Deshalb gehört eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Ressourcen wie in jedem anderen pastoralen Praxisfeld dazu. Welche Milieus kann ich bzw. meine Gemeinde erreichen? Worin liegen meine eigenen »Milieubarrieren«, worin meine »Milieuaffinitäten«? Welche Milieus spricht meine Nachbarpfarrerin bzw. meine Nachbargemeinde an? Wie gelingt überpariochiale lebensweltorientierte Gemeindearbeit? Wie finden und fördern wir Ehrenamtliche mit spezifischer »Milieukompetenz«? 3 Eberhard Hauschildt / Eike Kohler / Claudia Schulz, Wider den Unsinn im Umgang mit der Milieuperspektive, Wege zum Menschen 64 (2012), 65–82, 79. 4 So die auf das »Handbuch Taufe« gemünzte Unterstellung im Literaturbericht Liturgik von Jörg Neijenhuus, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 2014, Göttingen 2014, 135. 5 Helge Stadelmann fragte in seiner Besprechung des »Handbuchs Taufe«, ob nach dem »Trend zum ›Gottesdienst à la carte‹« in den 90er Jahren nun »die ›Taufe à la carte‹« folge (in: Jahrbuch für evangelikale Theologie 28 [2014], 344–347, 345). 6 Claudia Schulz / Eberhard Hauschildt / Eike Kohler, Milieus praktisch. Analyse- und Planungshilfen für Kirche und Gemeinde, Göttingen 2008, 13. 7 Lutz Friedrichs, Evangelische Bestattung im gesellschaftlich-kulturellen Wandel: Praktisch-theologische Grundlegung, in: ders. (Hg.), Bestattung. Anregungen für eine innovative Praxis, Göttingen 2013, 13–34, 25.

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Die einzelnen Milieu-Kapitel sind zweigeteilt. Sie setzen mit einer Beschreibung des jeweiligen Milieus unter der Perspektive der Bestattung ein und bieten davon ausgehend konkrete Anregungen für die Bestattungspraxis. Die Gestaltungsvorschläge und Textbausteine wurden teils eigens für die Handreichung erarbeitet, teils entstammen sie der umfangreichen Literatur zur Bestattung. Das Milieu Einstimmung Zu Beginn werden persönliche Eindrücke eines Pfarrers bzw. einer Pfarrerin geschildert, die auf Begegnungen mit dem jeweiligen Milieu im Rahmen einer Bestattung zurückgehen (z.B. beim Trauergespräch in der Wohnung des Verstorbenen). Ausgangssituation, Stimmungen und die Lebenswelt des Verstorbenen sollen lebendig werden. Häufig treffen Pfarrerin und Angehörige beim Trauergespräch erstmals zusammen, und doch gibt schon eine solche Erstbegegnung einen aufschlussreichen Einblick in die milieuspezifischen Lebenssituationen und -stile der Verstorbenen, ihre Werte und Abneigungen, ihr Selbstund Weltbild. Die Begebenheiten illustrieren zudem die Komplexität der familiären Wirklichkeit, die Vielfalt der Pfarrerbilder sowie die Einstellungen der Anwesenden zum christlichen Glauben und zur Kirche. Milieuprofil: Kurzcharakteristik und Bestattungsmusik Die Kurzcharakteristik fasst die Grunddaten zu sozialer Lage und Bildung, zu Lebensstil und Werteprofil sowie zu Mentalität und soziodemographischen Merkmalen des Milieus stichpunktartig zusammen. Anschaulicher noch wird die Milieuästhetik im Musikgeschmack. Die Frage, welche Lieder die Gemeinde bei der Trauerfeier singt, spielt aus Sicht der Angehörigen meist eine untergeordnete Rolle. Von Belang ist vielmehr das Anliegen, eine geeignete Bestattungsmusik auszuwählen, die zum Verstorbenen passt, die er sich selbst für seine Bestattung gewünscht hätte (bzw. sogar gewünscht hat) und die die Empfindungen der Angehörigen aufnimmt. Das Kriterium, das auch von den Bestattern in Broschüren und auf Internetseiten propagiert wird, lautet: Individualität. Individualität wiederum hat ihren Ort in einer milieuspezifischen Ästhetik. Kirchlicherseits sind die teils hitzig geführten Debatten über die »Liturgiefähigkeit« säkularer Lieder der Überzeugung gewichen, dass es fast keinen musikalischen Inhalt gibt, »der nicht auch mit Gewinn interpretiert werden könnte«.8 8

Eberhard Hauschildt, Unterhaltungsmusik in der Kirche, in: Gotthard Fermor / HansMartin Gutmann / Harald Schroeter (Hg.), Theophonie. Grenzgänge zwischen Musik und Theologie, Rheinbach 2000, 285–298, 296. Vgl. zur Bestattungskasualie jetzt Cäcilie Blume,

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Musik weckt Stimmungen und Erinnerungen, symbolisiert Lebensfülle und spendet Trost und kann somit einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Trauer leisten. Die hier und da zweifellos vorhandenen theologischen Vorbehalte können überführt werden in einen kreativen Umgang mit den Texten und in ein Gespräch mit biblischen Hoffnungsbildern (etwa in der Ansprache). »Nicht der Stil ist … entscheidend, sondern die Rezeptionshaltung.«9 Die »Musikfrage« stiftet jedoch nicht nur auf Seiten der kirchlichen Akteure Unsicherheit, sondern durchaus auch auf Seiten der Angehörigen: Die gewählte Musik soll den Wünschen und dem Wesen des Verstorbenen entsprechen, und zugleich will man nicht pietätlos erscheinen und niemanden vor den Kopf stoßen – weder den Verwandten noch der Trauergemeinde noch der Pfarrerin.10 Im Trauergespräch kann ein Weg gefunden werden, der für alle Seiten gangbar und stimmig ist.11 Laut einer Umfrage unter Bestattern und Angehörigen sind dies die »Top Ten der Trauerhits« des Jahres 2014: 1. Frank Sinatra, My Way, 2. Elton John, Candle in the Wind, 3. Whitney Houston, I Will always Love You, 4. Bob Dylan, Knocking on Heaven’s Door, 5. Franz Schubert, Ave Maria, 6. Sarah Brightman, Time to Say Goodbye, 7. Céline Dion, My Heart Will Go on, 8. John Legend, All of Me, 9. Enya, Only Time, 10. Adele, Someone Like You.12

Bestattung und Lebenswelt Im Abschnitt »Bestattung und Lebenswelt« kommt zur Sprache, welche Todesdeutungen und -bilder in dem betreffenden Milieu mutmaßlich anzutreffen sind, was die Menschen von der Kirche und von den Amtsträgerinnen und Amtsträgern halten, mit welchen Vorstellungen sie dem kirchlichen Vollzug der Kasualie begegnen und welche Wünsche, Erwartungen und Befürchtungen sie ggf. mitbringen. Das prekäre Milieu denkt anders über den Tod als das liberal-intellektuelle Milieu; es kennt andere Bilder vom Tod und von dem, was »danach« kommt; es geht anders mit dem Tod und den Toten um.

Populäre Musik bei Bestattungen. Eine empirische Studie zur Bestattung als Übergangsritual, Stuttgart 2014. 9 Stephan A. Reinke, Musik als Lebenshilfe begreifen, im Beitrag von Friedrichs, Evangelische Bestattung, 29–32, 32. »Andachtsfähig ist grundsätzlich jede Musik – und daher kann wohl grundsätzlich auch jede Musik in der Bestattung vorkommen.« 10 Die »Charts« sind zu finden auf dem Internetportal der Gesellschaft für Bestattungen und Vorsorge www.bestattungen.de (Rubrik »Wissenswertes«; Suchbegriff: »Trauerhits«). 11 Zu Frage des Gemeindegesangs im Gottesdienst s.u. (»Lieder zur Trauerfeier«). 12 Unsere Zuordnung von Liedern und Musikstücken zu bestimmten Milieus kann nicht auf empirische Erhebungen zurückgreifen, sondern fußt auf Erfahrungswerten, Gesprächen und Mutmaßungen. In den durch »Neuorientierung« charakterisierten Milieus (C-Segment) stellen die genannten Lieder nur eine Momentaufnahme dar. Alle angeführten Lieder sind z.B. auf www.youtube.de zu finden (Suchbegriffe: Liedanfang & Künstler).

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Eine (die Lebenswelten nicht berücksichtigende) Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2011 wollte von den 1001 Befragten wissen: »Was kommt nach dem Tod?« Die Rangfolge der Antworten lautete: 1. »Nichts« (27 %; 23 % im Westen, 44 % im Osten), 2. Weiterleben der Seele (25 %; 27 % W, 17 % O), 3. Auferstehung (10 %; 11 % W, 2 % O), 4. Wiedergeburt (8 %; 9 % W, 5 % O), 5. Verwandlung der Materie in Energie (7 %; 7 % W, 7 % O). Ein Fünftel der Befragten hatte keine Vorstellung davon, was nach dem Tod kommt. Unter den Protestanten glauben 27 % an ein Weiterleben der Seele nach dem Tod und 9 % an die Auferstehung, unter den Katholiken sind es 36 % bzw. 13 %.13

Die formative Kraft der Lebenswelt eines Menschen entfaltet auch am Ende eines Lebensweges ihre Wirkung; was das Leben geprägt hat, »überlebt« auch den Tod: »Status, Repräsentationsbedürfnis und ökonomische Zwänge«,14 aber auch ästhetische Vorlieben und Abneigungen. Der Bestattungsmarkt reagiert auf die lebensweltliche Segmentierung der Gesellschaft und schafft damit zugleich neue Bedürfnisse: Bestatter weiten ihre Dienstleistungsangebote massiv aus, die Zulieferindustrie sucht nach Absatzmöglichkeiten jenseits ihres Kernangebots (Särge, Urnen, Wäsche etc.),15 im Portfolio der Kommunen finden sich die unterschiedlichsten Bestattungsarten und -orte, die mit einer je eigenen Erinnerungs- und Gedenkkultur verbunden sind, und schließlich wird für Trauerzeremonien nach individuellem Design geworben.16 Der Bundesverband Deutscher Bestatter gab jüngst eine soziologische Untersuchung über den Wandel der Bestattungskultur in Deutschland in Auftrag und befragte zu diesem Zweck seine 3000 Mitgliedsunternehmen. Die Ergebnisse liegen mittlerweile vor und dienen dem Verband dazu, Hinweise für milieusensible und kundenorientierte Dienstleistungsangebote zu geben. Zwar kann noch von einer relativen Stabilität herkömmlicher Bestattungen gesprochen werden: »35 Prozent der Verstorbenen [wurden] in Erdwahlgräbern und 18,5 Prozent in Urnenwahlgräbern beigesetzt, während nur 13,1 Prozent in ›alternativen Grabarten‹ zur letzten Ruhe kamen.«17 Doch ist der Trend einer zunehmenden Ausdifferenzierung deutlich wahrnehmbar: Zum herkömmlichen Erdwahlgrab treten Baumgräber, Gemeinschaftsgrabstätten, Stelengräber, Urnenwände usw. Im High-End-Bereich reicht die Angebotspalette von der Almwiesen- über die Seebis hin zur Weltraumbestattung.18 Die Milieuzugehörigkeit bildet sich ab in der Wahl der Bestattungsart, in dem damit verbundenen Kosten- und Pflegeaufwand sowie im

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Vgl. auch Ulrich Eibach, Todesträume. Wandel der Hoffnung am Ende des Lebens, Deutsches Pfarrerblatt 114 (2014), 221–223. 14 Frank Thieme, Alles Geschmackssache? Bestattungskultur und soziale Milieus in Deutschland, in: Bestattungskultur 8 (2013), 8–14 (Teil I) und 9 (2013), 38–43 (Teil II), 14. Die Studie ist zugänglich auf dem Internetportal des Bundesverbandes Deutscher Bestatter www.bestatter.de (Suchbegriffe: »Sinus Studie«). 15 Vgl. das Internetportal des Verbands für das Bestattungsgewerbe www.sargwelten.de. 16 Die internationale Bestattungsfachmesse BEFA, die in einem Turnus von vier Jahren stattfindet, zeigt und diskutiert die neuesten Trends der Bestattungsbranche. 17 Thieme, Alles Geschmackssache? I, 9. 18 Vgl. auch die Übersicht auf www.bestattungen.de (Rubrik: »Ratgeber«).

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Öffentlichkeitsgrad.19 So wird der Sarg des Gemeinderatsvorsitzenden aus der bürgerlichen Mitte in einem Leichenzug zum Friedhof gebracht und vom Musikverein begleitet an prominenter Stelle beigesetzt. Eine Frau aus dem prekären Milieu hat verfügt, dass ihre Urne aus Kostengründen außerhalb des Friedhofs anonym bestattet werden soll. Die Angehörigen einer Frau mit sozialökologischer Gesinnung entscheiden sich für eine Baumbestattung mit einer biologisch abbaubaren Urne. Das Fazit der genannten SinusStudie lautet: »Die Bestattung ist zu einem Objekt des Marktes geworden.«20

Individuelle Vorstellungen von Tod und Jenseits begegnen uns natürlich nicht nur in der Wahl der Bestattungs- und Grabart. Menschen beschäftigen sich mit den »letzten Dingen« (Lektüre, Internetrecherche), tauschen sich mit Angehörigen und Freunden aus, schreiben ihre Gedanken gelegentlich nieder. Oft spielen uns Zufälligkeiten in die Hände. Da findet sich etwa im Nachttisch der Verstorbenen eine abgenutzte Bibel, die sich auf der Seite des Denkspruchs von selbst aufschlägt. Offensichtlich hatte sie einen Zugang zum Glauben gefunden, der nicht kirchlich vermittelt ist und der auch die engsten Angehörigen überrascht.21 Empirische Untersuchungen belegen überdies eine große Ernsthaftigkeit bei vielen Menschen, die für sich eine kirchliche Bestattung wünschen bzw. für ihre Angehörigen im Todesfall beanspruchen.22 Anderseits wird man auch der Analyse von Lutz Friedrichs zustimmen müssen: »Die christliche Todesdeutung, die Botschaft von der Auferstehung der Toten, verliert an Relevanz in einer Zeit, die nicht mehr an das ›ewige Leben‹ glaubt, sondern an Zeitgewinn durch Erlebnisdichte.«23 Die artikulierten und implizit vorhandenen Vorstellungen vom Tod – und wenn sie auf ein »Mit dem Tod ist alles aus« hinauslaufen (vgl. Koh 9,5) – können beim Trauergespräch und in der Trauerbegleitung mit der christlichen Auferstehungsbotschaft ins Gespräch gebracht und kontrastiert werden. Mit der »Sehhilfe« der Milieuperspektive ist dies differenzierter und sensibler möglich. Der statistische Befund zur Nachfrage nach einer kirchlichen Bestattung ist für unterschiedliche Deutungen offen. Neueren Erhebungen aus dem Jahr 2012 zufolge wird ein knappes Drittel (32,5 %) der Verstorbenen evangelisch bestattet (2010: 34,1 %), unter 19

Die Daten zu den Bestattungspräferenzen und den aufgewendeten Kosten, die wir jeweils am Ende der Rubrik »Bestattung und …« anführen, sind der genannten Bestatterstudie entnommen. An der Studie haben sich 463 Bestattungsunternehmen beteiligt, die 1376 standardisierte Fragebögen zu Bestattungsfällen eingesandt haben. Die Leitfrage der Studie lautete: »Welche sozialen Milieus haben welche Präferenzen bei der Frage nach Bestattungen von Angehörigen?«, d.h. das »Zielmilieu« ist das der Angehörigen, während sich das »Handbuch Bestattung« am Milieu der Verstorbenen orientiert. 20 Thieme, Alles Geschmackssache? II, 42. 21 Umgekehrt kann uns auch eine »stilisierte Christlichkeit« begegnen, wenn die Angehörigen im Gespräch eine ungebrochene christliche Biographie des Verstorbenen rekonstruieren. 22 Vgl. Kristian Fechtner, Kirche von Fall zu Fall. Kasualien wahrnehmen und gestalten, Gütersloh 22011, 53–79. 23 Friedrichs, Evangelische Bestattung, 13.

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den Kirchenmitgliedern sind es 80,7 % (2010: 82,9 %).24 Einerseits kann beklagt werden, dass sich seit den 90er Jahren bei den Amtshandlungen »ein massiver Einbruch« vollzogen hat und die evangelischen Bestattungen stark zurückgegangen sind.25 Andererseits zeigt sich, dass »auch ›Kirchenferne‹ von der Kirche Kompetenz in Bestattungsfragen« erwarten.26 Die häufig zitierte Passage aus dem Impulspapier »Kirche der Freiheit« hat u.E. nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: »Die Amtshandlungen sind so etwas wie der Lackmus-Test dafür, wie es um die evangelische Kirche heute steht. In den Zahlen, Quoten und Entwicklungen bei Taufe, Trauung und Bestattung spiegelt sich wider, wie stark die Kirche für die biographische Lebensbegleitung nachgefragt wird.«27 Eine Bestattungspraxis, die die Lebenswelt der Verstorbenen berücksichtigt, leistet einen wichtigen Beitrag für die »integrale Verbindung von Kasualpraxis und Gemeindeaufbau«28.

Dos und Don’ts Die Dos und Don’ts gehen zunächst auf die in den Sinus-Studien erhobenen Werteprofile der Milieus zurück, die dann durch Gespräche auf zahlreichen Pfarrkonventen, durch Milieuschulungen in Gemeinden und Bezirken sowie durch Erfahrungsberichte von Pfarrerinnen und Pfarrern mit der kirchlichen Wirklichkeit abgeglichen wurden. Verschiedenste Aspekte finden dabei Berücksichtigung – von der Haltung und dem Auftreten des Pfarrers über die Gestaltung der Liturgie, dem Charakter der Feier und mögliche Beteiligungsformen bis hin zum theologischen, literarischen oder intellektuellen Niveau der Ansprache. Anknüpfung und Widerspruch Mit den Überschriften Theologische Anknüpfung und »Evangelische Provokationen« kommen die integrative und die kontrakulturell-desintegrative Dimensionen der Bestattung zur Sprache. Schon in der frühen christlichen Bewegung war der Umgang mit den Toten ein Ausweis ihrer kulturellen Anschlussfähigkeit und ihrer Attraktivität. Manche außenstehende Beobachter setzten eine christliche Hausgemeinde gar mit einem »Verein« gleich, der wie im antiken Vereinswesen üblich den Verstorbenen ein würdiges Begräbnis gewährte und ihr Andenken bewahrte (trotz Lk 9,60; Mt 8,22!).29 Die Christen verstanden die Bestat24 EKD (Hg.), Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben 2014, Hannover 2014 (auf Basis der Erhebung 2012). 25 Rat der EKD (Hg.), Kirche der Freiheit. Ein Impulspapier, 2006, 23. Im Zeitraum von 1991 bis 2003 sind die evangelischen Bestattungen um 17 % zurückgegangen, von 1970 bis 2000 um ca. 25 % (vgl. Kerstin Lammer, Trauer verstehen. Formen, Erklärungen, Hilfen, Berlin/Heidelberg 42014, 9). Zum Vergleich: Taufen sind von 1991 bis 2003 um über 25 % zurückgegangen, Trauungen um 45 %. 26 Thieme, Alles Geschmackssache? II, 40. 27 Kirche der Freiheit, 23. 28 Kirche der Freiheit, 103. 29 Vgl. Reiner Sörries, Öffentlich und nicht geheim. Theologische Anmerkungen zur evangelischen Bestattungskultur, zeitzeichen 12/11 (2011), 22–24, 24: »Der große missionarische

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tung als Werk der Barmherzigkeit (vgl. Tobit 12) und adaptierten in ihrem Umgang mit Verstorbenen auch Bräuche ihrer religiösen Umwelt. Andererseits wurde das Bekenntnis zu Christus als dem Auferstandenen, das den christlichen Begräbnisriten zugrunde liegt, von Beginn an als unglaublich, töricht und mit der vorfindlichen Wirklichkeit unvereinbar empfunden. Auch unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen muss die kirchliche Bestattungspraxis eine Balance zwischen kritikloser Anknüpfung und realitätsfernem Widerspruch finden. Das Evangelium vergewissert und bestätigt, aber es stellt auch in Frage! Gerade die in der Bestattungspraxis alltäglichen »Milieubrüche« können eine Brücke zu kontrakulturellen Aspekten des Evangeliums bilden, und zwar in beide Richtungen: Das Festhalten an traditionellen Werten vs. postmoderner Relativierung, aber auch: Mut zu Neuem vs. Festhalten an alten Formen. Die Bestattung Wir plädieren in diesem Handbuch dafür, die Bestattungskasualie als einen mehrdimensionalen und ausgedehnten Prozess zu verstehen.30 Sie geht nicht in Trauergespräch und Bestattungsgottesdienst auf, sondern reicht von einer möglichst frühzeitig einsetzenden Begleitung bis hin zu weiterführenden Angeboten und Impulsen, die den Trauernden helfen, sich nach der Verlusterfahrung dem Leben wieder zuzuwenden, eine Erinnerungskultur zu pflegen, neue Beziehungen einzugehen und aus dem Osterglauben Kraft zu schöpfen. Wir machen uns dabei Einsichten der neueren Trauerforschung zu eigen, die u.a. von Kerstin Lammer für die evangelische Bestattung fruchtbar gemacht wurden.31 Ihrer Ansicht nach beginnen die Trauerbegleitung insgesamt und damit auch das kirchliche Handeln zu spät, obwohl doch »die Realisierung des Verlusts … die Voraussetzung zu seiner Bewältigung« sei.32 Zugleich endet die Trauerbegleitung in aller Regel zu früh und lässt die Chancen, die sich aus der Begegnung zwischen Pfarrerin und Angehörigen ergeben, ungenutzt. Immerhin hat sich die Familie der Pfarrerin in einem wichtigen lebensgeschichtlichen Umbruch anvertraut und ihr eine Deutung der Situation im Lichte des Evangeliums zugeErfolg der frühen christlichen Gemeinden beruhte nicht zuletzt darauf, dass den Gemeindemitgliedern ein zwar einfaches, aber kostenloses Grab in Aussicht gestellt war.« Sörries hinterfragt daher den Grundsatz, dass kirchliche Friedhöfe sich aus den Gebühren der Nutzer finanzieren müssen. 30 Vgl. jetzt auch Ralph Kunz, Ritus und Rede(n) am Grab, in: Thomas Klie / Martina Kumlehn / Ralph Kunz / Thomas Schlag (Hg.), Praktische Theologie der Bestattung, Berlin 2015, 141–167, 143, der das Kunstwort »Funeral« einführt und damit auf den Gesamtbogen verweist, der »vom Sterbebett bis zum jährlichen Gedenken am Ewigkeitssonntag Riten aneinander reiht.« 31 Vgl. zusammenfassend Lammer, Trauer verstehen. Ausführlicher Kerstin Lammer, Den Tod begreifen. Neue Wege in der Trauerbegleitung, Neukirchen-Vluyn 62013. 32 Lammer, Trauer verstehen, 45.

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traut. Wir wollen dem laut gewordenen Evangelium unsererseits zutrauen, dass es in den Herzen der Menschen Widerhall findet und weiterklingt, und wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, dass die Angesprochenen dem Geheimnis des Glaubens (neu) auf die Spur kommen. Uns ist bewusst, dass dieses Modell kirchlicher Trauerbegleitung anspruchsvoll, kräftezehrend und zeitaufwändig ist. Immer wieder stoßen wir auch in fachlicher Hinsicht an unsere Grenzen.33 Dennoch wird es sich lohnen, eine milieusensible Bestattungspraxis als Aufgabe – nicht nur des Pfarrers, sondern der ganzen Gemeinde – anzugehen und das Evangelium lebensnah und relevant am entscheidenden Lebensübergang, im »›Ernstfall‹ des Glaubens« zu kommunizieren. Denn in der Tat leisten christliche Gemeinschaften mit ihrer Präsenz im Todes- und Trauerfall »einen Dienst an den Betroffenen, an der Gesellschaft und an sich selbst.«34 Abschied am Sterbebett bzw. am Totenbett Der Dienst an Sterbenden und Trauernden kann mit dem Abendmahl am Sterbebett einsetzen. Eine solche Form wird erfahrungsgemäß nur noch von traditionell orientierten Milieus angefragt. Dennoch befindet sich in vielen Pfarrämtern, Krankenhäusern und Hospizen ein »Abendmahlskoffer«, der ohne großen Aufwand zum Einsatz kommen kann. Das kirchliche Angebot einer Feier am Sterbebett und die Bereitschaft der Pfarrerin, sie durchzuführen, muss bei Gelegenheit immer wieder publik gemacht werden.35 Auch andere liturgische Formen sind denkbar, ein Psalmgebet, das Vaterunser, eine Liedstrophe, eine Segenshandlung, eine Salbung. Manche Menschen verspüren den Wunsch, auf dem Sterbebett zu vergeben und Vergebung zu empfangen; eine Ermutigung

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Spezifische Herausforderungen evangelischer Bestattungspraxis bei besonderen Todesfällen (z.B. Fehl- und Totgeburten, Tod von Kindern, Tod behinderter Menschen, plötzlicher Unfalltod) oder bei besonderen biographischen Gegebenheiten (z.B. multireligiöse Familie) können in diesem Handbuch nicht eigens thematisiert werden. Vgl. z.B. den Entwurf für die Gestaltung einer »Feier zur Namensgebung« im Fall einer Totgeburt bei Christian Grethlein, Praktische Theologie, Berlin 2012, 354–356. Auch können wir die Trauerbegleitung von Kindern nicht eingehend berücksichtigen. Vgl. zu dieser wichtigen Aufgabe Diakonisches Werk der EKD (Hg.), Wie Kinder trauern. Kinder in ihrer Trauer begleiten, 2004; Hildegard Bargenda / Kerstin Lammer / Jens Terjung (Hg.), Kostbare Zeit – Was Eltern erleben, wenn ihr Kind stirbt, Göttingen 2013. 34 Lammer, Trauer verstehen, 8. 35 Eine Bestattung ist, anders als etwa eine Taufe oder Trauung, häufig ohne großen zeitlichen Vorlauf zu planen und steht unter gänzlich anderen emotionalen Vorzeichen. Im Gemeindekontext kann in regelmäßigen Informationsveranstaltungen oder durch Friedhofsführungen zu einer Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Bestattung angeregt werden und darüber aufgeklärt werden, was in einem Todesfall zu bedenken ist und welche Formate und Hilfen kirchlicherseits zur Verfügung gestellt werden.

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zur Beichte kann als Befreiung erfahren werden.36 Der Besuch der Pfarrerin dient nicht nur der Durchführung einer Liturgie, sondern umschließt Erzählen und Erinnern, Lachen und Weinen, Gesten und Berührungen. Aus evangelischer Perspektive ist nach wie vor ein Blick in Luthers frühe Schrift »Sermon von der Bereitung zum Sterben« (1519) gewinnbringend. Im Gegensatz zu den damals kursierenden Sterbeanleitungen entlastet er die Todesstunde von ihrem drückenden Gewicht und betont: »Es gibt kein anderes Bereitsein zum Sterben als Glauben, d.h. seines Heils im Vertrauen auf Gottes Überwindung von Tod, Sünde und Hölle gewiss sein.«37 Auch die Bitte um eine Aussegnung auf dem Sterbebett (Trauerhaus, Krankenhaus, Pflegeheim) erreicht Pfarrerinnen und Pfarrer recht selten; und doch ist es als eine »bemerkenswerte Entwicklung« der jüngeren Zeit zu werten, dass sie »zunehmend ins Bewusstsein der kirchlichen Öffentlichkeit geraten ist«38. Angesichts der Bedeutung perimortaler Trauerbegleitung in den ersten Stunden nach Eintritt des Todes ist es entscheidend, dass die Kirche an dieser Schlüsselstelle (wieder) auf den Plan tritt, hier, »wo Menschen angesichts des Todes existentiell angesprochen und ansprechbar sind«39. Eine gute Kooperation mit den Bestattern, die ja meist die ersten mit der Bestattung befassten Ansprechpartner sind, ist unabdingbar. Sie können die Angehörigen auf das kirchliche Begleitangebot aufmerksam machen. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass es in der Regel möglich ist, den Toten zum Abschiednehmen zu Hause aufzubahren (zwischen 24 und 36 Stunden); auch eine im Krankenhaus Verstorbene kann nach Hause überführt und dort aufgebahrt werden. Die Tatsache des Todes zu realisieren »ist die erste Aufgabe Trauernder und Voraussetzung für alle weiteren Schritte der Verlustbewältigung. Sie kann am besten ganz körperlich angegangen werden: Am Totenbett, wo die Veränderungen am leblosen Körper so ›sinnenfällig‹ werden, dass man den Tod sieht, hört, riecht, fühlt und im Wortsinn ›begreift‹.«40 Die Pfarrerin, aber auch andere »geeignete Gemeindeglieder«41 können helfen, liturgisch angemessene und lebensweltlich anschlussfähige Formen des Abschiednehmens zu finden: »Es ist die deutliche körperliche Zuwendung des Pfarrers oder der Pfarrerin, Geste, Blick und Stimme; seine Berührung, seine Bezeichnung mit dem Kreuz; die Handauflegung bei der Aussegnung …; die Ermutigung oder auch nur die leise Erlaubnis für die Angehörigen, sich selbst dem Toten ohne Scheu, aber doch ritualisiert körperlich zuzu36

Vgl. Manfred Seitz, Ermutigung zum Beichten, in: Peter Godzik (Hg.), Sterbebegleitung – herzlich und zugewandt: Mit zahlreichen praktischen Hilfen, Rosengarten bei Hamburg 2012, 72–74. 37 Berndt Hamm, Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 161. 38 Kunz, Ritus und Rede(n), 157. 39 Lammer, Den Tod begreifen, 22f. 40 Lammer, Trauer verstehen, 80. 41 So die theologische Kammer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck: Herbert Kemler / Klaus Röhring (Hg.), Zeichen der Hoffnung angesichts des Todes, Kassel 2000, 92.

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wenden, mit der Hand oder mit einem Kuss, mit persönlichen Beigaben wie Abschiedsbrief, Ehering, Reiseerinnerung; mit Gegenständen gelebter Frömmigkeit: Kreuz, Taufkerze, Gebetbuch; bei Kindern Zeichnungen, Kuscheltiere, Taufkerze (die bei der Aufbahrung entzündet werden kann).«42 Trauergespräch Selbst wenn die Erstbegegnung zwischen Angehörigen und Pfarrer erst im Trauergespräch stattfindet, können schon im Vorfeld milieurelevante Gesichtspunkte ausfindig gemacht werden – etwa über die Ortslage des Trauerhauses, Mitgliedschaften in Vereinen, ehrenamtliches Engagement usw. Auch die Aussagekraft der Traueranzeige ist aus milieutheoretischer Perspektive kaum zu überschätzen. Sie kann wichtige Impulse für das Trauergespräch liefern: Wie wird der Name präsentiert (Beruf, Titel, Kosename, Verwandtschaftsbeziehung zu den Unterzeichneten)? Wie wird das Faktum des Todes öffentlich gemacht? Wird die Todesursache genannt? Wie wird der Toten gedacht? Wie wird sie gewürdigt? Wer sind die Hinterbliebenen und wie unterzeichnen sie? Welcher Sinnspruch wird vorangestellt? Welches Symbol wird gewählt? Wie werden die Informationen zur Bestattung formuliert?43 Unter dem Kriterium der Milieusensibilität liegt es nahe, das Gespräch im »Trauerhaus« zu führen, denn nirgendwo wird die Lebenswelt eines Menschen greifbarer als in der Privatheit der eigenen vier Wände. Natürlich sind grundsätzlich auch stimmige Alternativen denkbar (z.B. Café, Kapelle). Wie in allen Kasualgesprächen geht es im Trauergespräch zunächst um den Austausch von Informationen: Die Pfarrerin erfragt Daten und Fakten zum Leben des Verstorbenen, darunter auch Details, die aus Milieusicht von besonderem Interesse sind wie etwa der Bildungsweg, die Berufswahl, die familiäre Situation, ehrenamtliches Engagement, aber auch ästhetische Vorlieben (z.B. Lieblingslieder, -filme, Gedichte) usw. Die Angehörigen erhalten Informationen über organisatorische Details sowie über die liturgischen Elemente der Feier, aber auch über weiterführende kirchliche (Seelsorge-)Angebote. Die Informationsdimension ist natürlich nicht abgekoppelt von der Hauptaufgabe des Gesprächs: der seelsorgerlichen Zuwendung zu den Trauernden. Im Gespräch erhält der Pfarrer Einblick in das Leben des Verstorbenen und der Trauernden. Die von Christoph Morgenthaler ausgeführte These, dass der Prozess der Trauer ein narrativer Prozess sei, »ein Prozess der Rekonstruktion von Erinnerung«, hat einiges für sich. »Trauer bringt einen Prozess der Rekonstruktion individueller 42

So die Bestattungsagende der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (Agende IV Bestattung 2006, 13; zitiert bei Friedrichs, Evangelische Bestattung, 27). 43 Vgl. Birgit Hosselmann, Jetzt wird gefeiert! Zur Geschichte und Bedeutung der Todesanzeige, in: Karl-Heinz Fix / Ursula Roth (Hg.), Lebensvergewisserungen. Erkundungsgänge zur gegenwärtigen Bestattungs- und Trauerkultur in Kirche und Gesellschaft, Gütersloh 2014, 164–189.

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Geschichten und Identitäten in Gang.«44 Im Kontext kirchlicher Trauerseelsorge bedeutet Trauer auch: »Deutung, Reframing einer menschlichen Geschichte im Licht der Gottesgeschichte und – vielleicht – gar: Reframing der Gottesgeschichte im Licht einer Menschengeschichte«45. Das Reden über den Tod und den Toten bringt die großen Fragen des Lebens ins Spiel: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was erwartet mich nach dem Tod? Werden wir uns wiedersehen? Was trägt im Leben und im Sterben? Individuelle »Bekenntnisse« werden laut, das prägende Werteprofil kommt zur Sprache, existentielle Themen werden bearbeitet. Die Aufgabe des Pfarrers liegt darin, die am Ende eines menschlichen Lebens nach oben gespülten Fragen ins Licht der göttlichen Verheißungen zu stellen. Seine Dialog- und Auskunftsfähigkeit speist sich aus seiner seelsorgerlichen und hermeneutischen Kompetenz, die ihrerseits durch Milieusensibilität profiliert wird. Das gemeinsame Erinnern und Erzählen setzt im komplexen »Mehrpersonensetting« eines Trauergesprächs eine Beziehungsdynamik frei, in die nun auch der Pfarrer eingebunden wird. Sein Wissen um lebensweltspezifische Werte und Mentalitäten wird es ihm erleichtern, seine Neutralität zu wahren und sich in Konfliktsituationen nicht vorschnell auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Es hilft ihm, in den teils widersprüchlichen Erzählversionen und Erzählabsichten, aber auch im Nichterzählten die sich Geltung verschaffenden Milieulogiken wahrzunehmen. So kann er den Trauernden helfen, in der Erinnerung an die Verstorbene zusammenzufinden und weiterzugehen. Das Andenken an die Verstorbene kann mit der Vertrauensbitte um Gottes »gnädiges, zurechtbringendes Gedächtnis« (Jürgen Moltmann) verbunden werden: Unsere Lebensspur prägt sich in Gottes Gedächtnis ein, und wir bitten ihn: »Gedenke meiner nach deiner großen Barmherzigkeit«.46

Die gottesdienstliche Feier schafft als öffentliches Abschiedsritual einen Rahmen, in dem die Rekonstruktion von Erinnerung »angestoßen, beschleunigt und verdichtet« wird.47 Ein wichtiges Thema des Trauergesprächs sind daher auch Beteiligungswünsche und -möglichkeiten der Angehörigen und Freunde. Nicht nur die Pfarrer, sondern auch die Bestatter beobachten eine zunehmende Bereitschaft, bei der Trauerfeier mitzuwirken. Etwa in einem Drittel der Fälle bringen Angehörige und Freunde individuelle Gestaltungselemente ein, Tendenz steigend.48 Ein Bestatter beschreibt den Trend so: »[D]ie Leute werden immer kreativer, Karaoke, Powerpoint, Sarg vom Pony ziehen lassen. Früher hätte ich gesagt, haben das eher die Intellektuellen, Lehrer, Akademiker gemacht, heute macht das auch die normale Arbeiterschicht. Die machen es aber anders, bringen Dekorationssachen mit, Figuren, Pokale o.ä. … Heute versuchen alle etwas 44

Christoph Morgenthaler, Zerbrochene Geschichten. Systemische Trauerseelsorge in narrativer Perspektive, Familiendynamik 31 (2006), 280–293, 286f. 45 Morgenthaler, Zerbrochene Geschichten, 287. 46 Jürgen Moltmann, Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens, Gütersloh 2014, 60. Es mag angebracht sein, im Trauergespräch darauf hinzuweisen, dass die Pfarrerin unter der Schweigepflicht steht, die mit dem Seelsorgegeheimnis verbunden ist. 47 Morgenthaler, Zerbrochene Geschichten, 287. 48 Vgl. Thieme, Alles Geschmackssache? II, 42.

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Individuelles zu machen.«49 Die Bestatter sehen eine wichtige Aufgabe darin, die Angehörigen in Fragen der Mitgestaltung zu beraten. Kirchliche Akteure sollten u.E. den Ball aufnehmen und ihrerseits mit einem wachen Blick für die Erfordernisse der Situation, aber auch für den christlichen Charakter der Feier, zu einer Mitgestaltung ermutigen. Gottesdienst und »Grabritus« Was den äußeren Rahmen der Bestattung anlangt, brachte die Reformation im Gegenüber zur spätmittelalterlichen Praxis einen revolutionären Neueinsatz. Was am Ende zählt, sind nicht »Vigilien, Seelenmessen, Begängnis, Fegefeuer und alles andere Gaukelwerk«,50 sondern der Glaube: Die Sterbenden sollen wie die Lebenden gelassen und furchtlos darauf vertrauen, dass Gott »an uns gegen Tod, Sünde und Hölle so wunderbar, reichlich und unermesslich Gnade und Barmherzigkeit übt.«51 Die Nähe des Grabes zur Kirche, zum Altar und zu den Reliquien kann getrost aufgegeben werden, da die Sakralität von Orten und Gegenständen keinen Einfluss auf den Verstorbenen hat. Für Luther kann gar ein Grabort außerhalb der Ortschaft, »in der Elbe oder im Walde«, angezeigt sein, wenn etwa der Verbleib der Leiche im Dorf eine Ansteckungsgefahr mit sich bringt.52 Der reformatorische Pragmatismus und der Fokus auf das Wesentliche ist für eine milieusensible Bestattungspraxis richtungweisend, insofern er eine theologisch oder kirchenrechtlich begründete Normierung von Rahmen, Ort und Zeit einer Trauerfeier aushebelt53 und zugleich die Tür weit aufstößt zu einer großen Vielfalt an individuellen Färbungen und Tonalitäten der Feiern. Die Kirche steht vor der Aufgabe, mit den lebensweltspezifischen Präferenzen (und Zwängen) einen konstruktiven Umgang zu finden und beispielsweise Agenden für Friedwaldbestattungen, Beisetzungen in Gemeinschaftsgräbern, aber auch für würdige Sozialbestattungen zu entwickeln. Reiner Sörries schlägt beispielsweise vor, angesichts immer kleiner werdender Trauergemeinden und der Zunahme von Ordnungsamtsbestattungen »analog zu Taufgottesdiensten mehrere Trauerfeiern zusammenzulegen, wo 49

Zitiert bei Thieme, Alles Geschmackssache? II, 42. Martin Luther, Vorrede zur Sammlung der Begräbnislieder (1542), in: Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart (hg. von Kurt Aland), Band 6: Kirche und Gemeinde, Berlin 1952, 170–175, 170. 51 Martin Luther, Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben (1519), in: Martin Luther. Deutsch-deutsche Studienausgabe, Band 1: Glaube und Leben (hg. von Dietrich Korsch), Leipzig 2012, 45–73, 73. 52 Martin Luther, Ob man vor dem Sterben fliehen möge (1527); zitiert bei Friedrichs, Evangelische Bestattung, 22. 53 Es gibt freilich auch andere, »nicht-dogmatische« Faktoren: Im städtischen Kontext lässt die Betriebsamkeit auf den Friedhöfen in der Regel kaum eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Zeit zu; auch der Pfarralltag erlaubt keine allzu große Flexibilität. Wo Einfluss genommen werden kann, sollte aber die Festlegung von Zeit und Ort in Rücksicht auf die Lebenssituation und die Präferenzen der Angehörigen erfolgen. 50

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dies zumindest unter städtischen Bedingungen bei einer entsprechenden Zahl von Sterbefällen möglich wäre.«54 In dörflichen Strukturen wäre ein solches Modell im Rahmen eines Projekts des Dekanats oder Kirchenkreises denkbar. Eine andere, bislang noch zu wenig bedachte Frage betrifft die Dramaturgie bei Feuerbestattungen mit den Stationen Verbrennung, Feier und Urnenbeisetzung bzw. Verstreuen der Asche. Auch hier ist zu überlegen, wie die Kirche – auch mit ehrenamtlicher Beteiligung – an den verschiedenen Stationen mit ihren je eigenen emotionalen Herausforderungen Präsenz zeigen und unterstützen kann.55

Aus evangelischer Sicht jedenfalls steht einer Ausdifferenzierung der äußeren Rahmenbedingungen von Bestattungen nichts im Wege. Entsprechendes gilt nun auch für die liturgische Gestaltung, die nicht nur die Trauerfeier in der Kapelle umfasst, sondern auch den Grabritus oder andere »Übergabemomente« in Friedhof, Friedwald, Streuwiese usw., die häufig den emotional dichtesten Augenblick eines Abschieds ausmachen. Liturgie Die Reformatoren bekräftigen, dass die Zeremonien rund um das Begräbnis nicht mehr »als Einwirkung auf das postmortale Geschick des Verstorbenen, sondern als Bezeugung des fröhlichen Artikels unseres Glaubens an die Auferstehung der Toten und damit als Gegengewicht ›und zu trotz dem schrecklichen Feinde, dem Tode‹« zu verstehen sind.56 Luther verfasste keine Musteragende für die Bestattung. Denn einerseits waren die lokalen Gebräuche zu vielfältig, andererseits legte er es in die Verantwortung der Akteure, überkommene Formen mit »evangelischem« Inhalt neu zu füllen. Aus Schrift und Bekenntnis lässt sich also weder die eine Begräbnisart noch die eine liturgische Form der Trauerfeier ableiten. Folgerichtig spricht das im Jahr 2004 veröffentlichte Diskussionspapier der EKD von einem »Spielraum«, der es erlaubt, »die Menschen in ihren Bedürfnissen wahrzunehmen und auch ihren Wünschen entgegenzukommen«57. Freilich wird der Spielraum in der alltäglichen Bestattungspraxis aus den verschiedensten, teils sehr nachvollziehbaren Gründen kaum genutzt. Doch vor dem Hintergrund eines evangelischen Kasualverständnisses ist es nicht nur 54

Sörries, Öffentlich und nicht geheim, 24. Der bei traditionellen Erdbestattungen kohärente Trauerweg wird bei Feuerbestattungen brüchig: »Was einst kirchliches Geleit war, wird zu einer Art ›Zwischenhalt‹, wenn es bei einer Trauerfeier zur Einäscherung bleibt, oder zu einem ›Nachgang‹, wenn nur noch die Urnenbeisetzung begleitet wird« (Lutz Friedrichs, Die kirchliche Bestattung: Tradition im Wandel, in: Klie u.a. (Hg.), Praktische Theologie der Bestattung, 63–85, 79, mit Verweis auf Kristian Fechtner). 56 Eberhard Winkler (und Ottfried Jordahn), Die Bestattung – Geschichte und Theologie, in: Hans-Christoph Schmidt-Lauber / Karl-Heinrich Bieritz (Hg.), Handbuch der Liturgik, Leipzig 32003, 531–550, 535, mit einem Zitat aus Luther, Vorrede zur Sammlung der Begräbnislieder, 171. 57 Kirchenamt der EKD (Hg.), Herausforderungen evangelischer Bestattungskultur. Ein Diskussionspapier, 2004, 12. 55

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erlaubt, sondern geboten, die Bestattung »in ihrer Struktur, Form und Sprache nicht primär an der kirchlichen Binnensicht, sondern an der lebensweltlichen ›Logik‹ des Trauerns« auszurichten.58 Wir wollen dazu ermutigen, mit Rücksicht auf die Lebenswelt der Trauernden die liturgischen Schätze der Tradition zu heben, alte Bräuche wieder aufleben zu lassen, örtlich etablierte Sitten zu würdigen und neue Formen symbolischer Kommunikation zu erproben – und dies alles in der Absicht, den »fröhlichen Artikel« unseres Auferstehungsglaubens lebendig werden zu lassen. In den beiden liturgischen Hauptsequenzen – klassisch: in der Kapelle und am Grab – geschieht dies auf je eigene Weise. Da ist auf der einen Seite des Wegs, in der Trauerfeier, die Vergegenwärtigung des gelebten Lebens im Licht der Ewigkeit, auf der anderen Seite, in der Beisetzung, der Abschied vom leiblichen Dasein und dessen Überantwortung in Gottes Hand. Beide Dimensionen, der »Ewigkeitsbezug des Zeitlichen« und der »Zeitlichkeitsbezug des Ewigen«59, sollen liturgisch realisiert werden, auch in einer variantenreichen, milieusensiblen Bestattungspraxis. Es ist nicht zuletzt der Segen, der die doppelte Ewigkeitsperspektive einfängt und eben auch »das entscheidende und qualitative Mehr darstellt, das die kirchlichen Trauerfeiern von weltlichen Bestattungen unterscheidet.«60 Lieder in der Trauerfeier Die Vertrautheit mit geistlichem Liedgut nimmt stetig ab; das gilt zunehmend auch für traditionell orientierte Milieus. Dennoch wird bei einer kirchlichen Trauerfeier in der Regel aus dem Repertoire des Liedheftes gesungen, das nun einmal für die Friedhofskapelle angeschafft wurde. Aus dieser Spannung entsteht häufig eine gewisse Verlegenheit, sowohl auf Seiten der Angehörigen wie auch auf Seiten der Pfarrerin. Ist es nicht peinlich, in der Öffentlichkeit zu singen? Kommt überhaupt ein Gemeindegesang zustande? Ist es heute noch zumutbar, ein Kirchenlied anzustimmen? Ist es ein Fehler, den Menschen den Schatz der alten Lieder vorzuenthalten? Auch hier eröffnet ein seelsorgerlich und lebensweltlich sensibler Zugang neue, alternative Wege: Ein Chor oder ein Ensemble trägt geistliches Liedgut vor, ein Gemeindeglied liest den Text einer Liedstrophe (während ggf. das Lied vom Band läuft), es werden Lieder gesungen, die vom Konfirmandenunterricht oder vom Schulgottesdienst her geläufig sind (evtl. mit Liedblatt) usw. Der Hinweis, dass eine Trauerfeier auch ohne Gesang wertvoll und »vollständig« ist, kann für manche Angehörige entlastend sein. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass Menschen sich auch von

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Friedrichs, Evangelische Bestattung, 25. Thomas Klie, Liturgien zwischen Fürsorge und Entsorgung, in: Klie u.a. (Hg.), Praktische Theologie der Bestattung, 105–118, 116. 60 Katharina Wiefel-Jenner, An den Rändern des Todes. Beobachtungen und Überlegungen zur liturgischen Gestaltung von Trauerfeiern, Pastoraltheologie 86 (1997), 414–428, 425. 59

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fremden musikalischen Formen und Worten in besonders tiefgehender Weise ansprechen und trösten lassen.61 Bestattungsansprache Die Bestattungsansprache umgreift drei Perspektiven: Theologie, Biographie und Trauergemeinde.62 In der Praxis werden die drei Bereiche in unterschiedlicher Weise gewichtet und aufeinander bezogen. Einigkeit herrscht wohl darüber, dass es zu einem »biographiebezogenen Kommunikationsprozess« kommen muss und nicht »eine einseitig statuierende ›Verkündigung‹ von Satzwahrheiten Raum greift«63. Das Kriterium, wie Biographie und Theologie aufeinander zu beziehen sind, welche Akzente in der Ansprache gesetzt werden, sollte nun nicht ausschließlich in der Frömmigkeit und der theologischen Überzeugung des Predigers liegen, sondern auch in der Lebenswelt der Angesprochenen. Ist es für das traditionelle Milieu schwer erträglich, wenn der Lebensweg und das Wesen des Verstorbenen in allzu farbigen Tönen gemalt werden, halten Menschen aus dem adaptiv-pragmatischen Milieu die theologisch allzu tiefgründige Rede eines »Ewigkeitsexperten« für lebensfern und weltfremd. Eine milieusensible Bestattungsansprache macht sich die Verschränkung von menschlicher Lebensgeschichte und Gottes Geschichte mit einem Menschen bewusst; sie sind zwei Seiten einer Medaille, die in den Worten des Pfarrers in angemessener Weise und in Rücksicht auf das Zielmilieu zum Leuchten gebracht werden. Die abgedruckten Textbausteine sind ein Versuch, dies umzusetzen. Weitere Predigtimpulse ergeben sich aus den Rubriken »Lieder«, »Evangelische Provokationen« und »Theologische Anknüpfung«, aus biblischen Texten und Motiven, aus Kunst und Literatur usw. Alles kirchliche Reden-Wollen und Handeln-Müssen angesichts des Todes tut gut daran, die Warnung Henning Luthers zu beachten, die er wenige Monate vor seinem eigenen Tod aussprach: »Der Gefahr bloßen Geredes, frommen Geredes, das dem Schrecken und der Verwüstung durch den Tod nicht standzuhalten vermag, entgeht sie nicht 61

Zur Frage, welche kirchlichen Lieder auf Trauerfeiern gesungen werden, listet das auf »Kundenseite« stehende Portal www.bestattungen.de folgende Titel: »Ins Wasser fällt ein Stein«, »Herr Deine Liebe«, »So nimm denn meine Hände«, »Lobe den Herren«, »Jesu, geh voran«, »Bis hierher hat mich Gott gebracht«, »O Welt, ich muss dich lassen«, »Ach bleib mit deiner Gnade«, »Befiehl du deine Wege«, »Jesu, meine Zuversicht«, »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende«, »Ich bete an die Macht der Liebe«, »Weißt Du, wie viel Sternlein stehen«, »Die Nacht ist vorgedrungen«. 62 So der Titel der Arbeit von Christoph Stebler, Die drei Dimensionen der Bestattungspredigt. Theologie, Biographie und Trauergemeinde, Zürich 2006. Zu den Akzentverschiebungen der jüngeren Bestattungshomiletik vgl. Ursula Roth, Anlässlich des Todes predigen. Entwicklungslinien der praktisch-theologischen Reflexion über die Bestattungsansprache, in: Fix / Roth (Hg.), Lebensvergewisserungen, 27–60. 63 Grethlein, Praktische Theologie, 349. Zu einer dramaturgischen Bestattungshomiletik vgl. Florian Kunz, Das Leben ins Bild setzen. Dramaturgisch predigen bei Bestattungen, Praktische Theologie 49 (2014), 112–122.

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schon dadurch, dass sie beansprucht, im Namen des ›ganz Anderen‹ zu reden. Nicht wenige Zeitgenossen jedenfalls fragen sich, ob sie denn gedeckt sind, die ›großen Worte‹, die sie spricht. – ›Auferstehung‹, ›ewiges Leben‹. Das Wort droht umso mehr zur ›frommen Verkündigungsfloskel‹ zu werden, die – der Bitterkeit des Todes nicht standhaltend – umso geschwätziger vorgetragen wird. Wer so immer sich reden hört, kann weder die Stille des Todes wahrnehmen noch das Verstummen der Trauernden hören.«64 Eine den Menschen zugewandte homiletische Haltung flieht die frommen Floskeln und lässt ab von den »Lügen der Tröster« (Henning Luther). Sie denkt zuerst »an den Tod des anderen … Ihr Tod ist der Tod, der wirklich betroffen macht. Mein Tod, den ich denke, ist immer nur ein fiktiver Tod, ein gedanklich vorweggenommener Tod. Der Tod der anderen ist schrecklich konkret.«65 Aus einer solchen Haltung entspringen Worte, die trösten, und Bilder, die befreien – oder ein Schweigen, das Leid teilt. Das »Hoffnungspotential des Evangeliums« kann dazu anstiften, »einen Schlusspunkt zu setzen, wo Endlosschlaufen drohen«, oder es stimmt ein »Protestlied« an, »weil es auch Gott ganz und gar nicht gefallen hat, dass einer sein Leben zu früh beendet hat.«66

Weiterführung Trauerbegleitung beginnt in der Regel nicht nur zu spät, sondern endet auch zu früh. Dabei sind viele Möglichkeiten denkbar, die Trauerseelsorge auch über die Bestattung hinaus weiterzuführen, in Einzelgesprächen, in Trauerkreisen, oder in gottesdienstlichen Feiern. Mit überschaubarem organisatorischem Aufwand kann nach einem Monat ein Ausdruck der Predigt geschickt oder vorbeigebracht werden. Oder es wird den engsten Angehörigen am ersten Todestag (oder am Geburtstag) eine Karte mit einem Wort des Trostes geschickt. In Gottesdiensten am Ewigkeitssonntag kann sich die Kirche als »lebensbegleitende Institution« zeigen und das Andenken an die Toten mit der christlichen Auferstehungshoffnung verknüpfen.67 Die katholische Tradition kennt das sog. »Sechswochenamt«, eine Messe, die sechs Wochen nach dem Tod in Anlehnung an die vierzigtägige Fastenzeit vor dem Auferstehungsfest begangen wird; ein Jahr nach dem Tod wird mit dem »Jahresamt« das traditionelle Trauerjahr abgeschlossen.68 Evangelische Variationen solcher Messformen – auch mit ehrenamtlicher Beteiligung – sind durchaus einer Überlegung wert. Natürlich sind nicht alle Milieus auf solche rituellen Anlässe ansprechbar. Eine individuellere Form der Trauerseelsorge können Menschen bieten, die ehrenamtlich Trauern64

Henning Luther, Tod und Praxis. Die Toten als Herausforderung kirchlichen Handelns. Eine Rede, ZThK 88 (1991), 407–426, 413. 65 Luther, Tod und Praxis, 422. 66 Kunz, Ritus und Rede(n), 165. 67 Vgl. Bettina Naumann, Totensonntagsgottesdienste, in: Fix / Roth (Hg.), Lebensvergewisserungen, 190–208. Auch können »regelmäßige monatliche Totengedenken der Anonymität wehren und Öffentlichkeit herstellen« (Sörries, Öffentlich und nicht geheim, 24). 68 Vgl. auch das monatliche Totengedenken in Erfurt, das jeweils am ersten Freitag des Monats zur Todesstunde Jesu stattfindet (www.bistum-erfurt.de, Rubrik: »Monatliches Totengedenken«).

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de begleiten. Kirchliche Einrichtungen bieten mittlerweile hochwertige Schulungen zur ehrenamtlichen Trauerbegleitung an.69 Andere wiederum schätzen die offene Atmosphäre eines Trauercafés, in der sie die Einsamkeit der Trauer überwinden und sich mit anderen Trauernden austauschen können. An manchen Orten gibt es gar Begegnungsstätten auf dem Friedhof.70 Auch »Trauerreisen« erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und finden sich mittlerweile vermehrt im Portfolio christlicher Reiseveranstalter. Auf Dekanatsebene oder in diakonischen Bezirksstellen sind vielerorts Anlaufstellen eingerichtet, an die sich Ratsuchende und Interessierte in Fragen des Umgangs mit Sterben und Tod wenden können, und im Internet hat die evangelische Kirche mit dem Portal »Trauernetz« ein Angebot für Trauernde eingerichtet.71 Versteht man Trauerbegleitung in einem weiteren Sinne als eine Hilfe, sich in einer neuen Lebenswirklichkeit zurechtzufinden und sich dem Leben wieder zuzuwenden, kommt die Kirchengemeinde auch mit ihrem »Normalangebot« ins Spiel: Sie lädt zu Veranstaltungen ein, schafft Begegnungsräume und bietet vielfältige Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement. Der rasante Wandel der Bestattungskultur ist nicht aufzuhalten; die kirchlich verantwortete Erdbestattung, die über Jahrhunderte unhinterfragt war, hat ihre Monopolstellung längst verloren. Aus theologischer Sicht spricht u.E. nichts dagegen, die Dynamik und Vielgestaltigkeit des Bestattungswesens selbstbewusst aufzunehmen und in ansprechende, milieuästhetisch stimmige Formen zu überführen.72 In postsäkularer Zeit ist – so Thomas Klie – »eine evangelische Deutung in Wort, Ritus und Realien gefordert. Je mehr sich der kulturelle Kontext des Ablebens und Verbleibens irritiert zeigt, desto mehr ist die Kirche den Zeitgenossen ihre Sicht der Dinge schuldig. In aller Regel tut sie dies, indem sie die Osterbotschaft homiletisch-liturgisch zur Darstellung bringt und auf den gemeindeeigenen Friedhöfen für Ordnung sorgt. Mit welchen Umgangsformen sie diese Deutungsarbeit verschränkt, ist kontingent. Die Kirche ist frei, in zeitgemäßen Riten und Worten die biblische Rede von der Auferstehung zu kultivieren.«73 In diesem Sinn zielt die in diesem Handbuch eingenommene Perspektive nicht auf Marktförmigkeit oder Modernisierung, sondern sie ist Ausdruck einer Haltung, der daran gelegen ist, die Auferstehungsbotschaft im Leben der Hinterbliebenen aufleuchten zu lassen. Wenn sich Sterbe- und Trauerbegleitung 69

Vgl. exemplarisch das Angebot »Achtsame Trauerwegbegleitung« des Ev. Diakoniewerkes Königin Elisabeth in Berlin (www.trauer-und-leben.de). 70 Vgl. z.B. das Gezeiten-Café in Neumünster (www.friedhof-neumuenster.de/gezeiten cafe.htm). 71 www.trauernetz.de. 72 Vgl. die Reflexionen von Christina Bernschein, Neuere Entwicklungen im Bestattungsgewerbe als Chancen und Herausforderungen für die kirchliche Praxis, Pastoraltheologie 103 (2014), 378–391. 73 Thomas Klie, Bestattungskultur. Umgangsformen angesichts des Todes Bestattungskultur, in: ders. / Martina Kumlehn / Ralph Kunz (Hg.), Praktische Theologie des Alterns, Berlin 2009, 498–428, 427.

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und die Gestaltung der Trauerfeiern an der Lebenswelt der Menschen ausrichten, dann trägt dies den Wunsch in sich, dass Sterbende und Trauernde sich »allein auf Gott ausrichten« mögen. So wird »Christus, des Lebens und der Gnade Bild, unser Trost gegenüber dem Bild des Todes«74.

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Luther, Sermon von der Bereitung zum Sterben, 49.57.

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Die Ehefrau eines Krebspatienten, der bettlägerig geworden ist, hat mich zum Gespräch eingeladen. Als ihr Gemeindepfarrer kenne ich die Familie als regelmäßige Gottesdienstbesucher. So parke ich nicht zum ersten Mal vor dem Einfamilienhaus, das vielleicht vor fünfzehn Jahren aufwändig modernisiert worden ist. Der Eingangsbereich ist mit viel Glas vorgebaut. Das enge Treppenhaus stammt ursprünglich aus den Siebzigern. Die dagegen überaus helle und weite Wohn-EssDiele hat man großzügig mit einem gläsernen Wintergarten versehen, so dass sich der Blick zum Waldrand hin öffnet. Den Anblick kann ich auf mich wirken lassen, denn die Ehefrau möchte bei ihm sein, während ihn der Pflegedienst versorgt. Mit einem Blick in den Spiegel kann ich mich vergewissern, dass mein Anzug sitzt und die Krawatte auch. Ich betrachte den Raum. Die Möbel sind geschmackvoll zusammengestellt: Einige dürften seit Generationen in der Familie sein. Die Bilder an der Wand erzählen die Geschichte der Familie. Nun kommt die Ehefrau, sie ist gefasst. Sie geleitet mich ins Schlafzimmer, rückt mir einen bequemen Stuhl neben dem Krankenbett zurecht, oder ist es schon das Sterbebett? Sie selbst setzt sich ans Fußende. Zuerst fragt der Patient nach mir. Dann erzählt er von sich, von seiner Rückschau auf sein Leben. Bald ist er Häuptling eines Pfadfinderstammes, bald Manager eines mittelständischen Unternehmens, bald Kommunalpolitiker, bald Jäger – und sehr ausführlich Vater. Ich merke: Er redet mit mir über sein Leben, damit ich Anhaltspunkte für seine Biographie habe, wenn ich ihn beerdige. Wichtig ist ihm, dass die Jagdhornbläser zum Zug kommen und »das letzte Halali« blasen und »den Trauerbruch« in sein Grab werfen. Das kenne ich von der Bestattung seines Freundes: Ein Jagdkamerad nimmt ein kleines Zweiggebinde von seinem Hut und wirft es ins Grab. Seine Frau betont, dass sie froh ist über seine Entscheidung, sich nicht im neuen Friedwald bestatten zu lassen, wie dieser Freund, sondern im nahe gelegenen Friedhof des Stadtteils, der so schön von alten Bäumen beschattet wird. So kann sie ihrem Mann auch danach noch nahe sein, wenn sie möchte.

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem konservativ-etablierten Milieu zugeordnet werden,

weisen eine ständisch abgegrenzte Grundorientierung auf, genießen es, Zeit unter ihresgleichen zu verbringen und dort den erarbeiteten Status standesgemäß zu pflegen, machen Führungsansprüche geltend, bewegen sich zwischen Tradition und Modernisierung, bauen auf Verantwortungs- und Erfolgsethik, erheben Serviceansprüche und setzen auf bewährte Marken und hohe Qualität, sind überdurchschnittlich gut ausgebildet (mittlere bis höhere Abschlüsse) und erstreben auch für ihre Kinder ein hohes Bildungsniveau, haben einen ausgeprägten Familiensinn, legen großen Wert darauf, bewährte Traditionen zu pflegen und zu bewahren, zeichnen sich durch hochkulturelle Interessen aus (klassische Konzerte, Oper, Museen, Kulturreisen, etc.), engagieren sich bei gesellschaftspolitischen und kirchlichen Angelegenheiten und fordern ihre Mitsprache ein. 10 % der Bevölkerung (Tendenz sinkend) Altersdurchschnitt 49 Jahre Bestattungsmusik »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren« (Musikalische Exequien) (Heinrich Schütz) »Ich weiß, dass mein Erlöser lebt« (Messias) (Georg Friedrich Händel) »Lacrimosa« (Requiem) (Wolfgang Amadeus Mozart) »Ave Maria« (Franz Schubert) »Ave Maria« (Charles Gounod) »Abendlied (Bleib bei uns)« (Josef Gabriel Rheinberger) »In Paradisum« (Requiem) (Gabriel Fauré) Bestattung und konservativ-etabliertes Milieu »Konservativ-Etablierte« kennen sich mit dem Sterben und dem Tod aus. Sie haben das in ihrer Familie schon mehrfach bewusst erlebt, tradieren entsprechende Erzählungen, gehen regelmäßig zu Trauerfeiern und anschließendem Leichenschmaus, haben ebenso regelmäßig niveauvolle Gestaltung

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goutiert wie sie Geschmacklosigkeiten abgekanzelt haben, haben vielleicht schon selbst Nachrufe verfasst oder verlesen, ungezählte Trauerkarten mit sehr persönlichen Worten versehen, Verse in Kondolenzbücher eingetragen. »Konservativ-Etablierte« engagieren den vollen Service eines professionellen Bestattungsunternehmens, das bei der Ausgestaltung nicht kleckert, sondern klotzt, den Pfarrer unterstützt, aber auch fordert – und zuweilen nervt. Da kann es schon mal eine derart üppige Ausgestaltung des Sargstandorts mit Blumen und Kerzen geben, dass der Pfarrer sehr auf seinen Talar achtgeben oder notfalls um kurzen Umbau bitten muss. Über die Hälfte entscheidet sich für eine Sargbestattung, der zweithöchste Anteil im Milieuvergleich. Anonyme Bestattungen (ca. 5 %) und alternative Bestattungs- bzw. Grabarten (ca. 13 %) kommen unterdurchschnittlich oft vor. Die aufgewendeten Kosten liegen im Mittel bei 4200 €, wobei ein knappes Drittel 5000 € und mehr ausgibt, der zweithöchste Wert.

»Contenance – auch angesichts des Todes.« Dos und Don'ts – Das Werteprofil des konservativ-etablierten Milieus Konservativ-Etablierte tun sich schwer, wenn …

neue Riten wie Pilze aus dem Boden wachsen und das Bewährte verdrängen, etwas unter ihrem Niveau ist, schäbig, abgestoßen, unschön, vulgär, Plastikblumen und -büsche in der Trauerhalle eingeschlossen, sie innerhalb des Bestattungsritus selbst etwas »machen« müssten, Gefühle über ein eng gestecktes Maß hinaus nach außen getragen werden, ein Hauch von Kritik am Verstorbenen laut würde – das gehört, wenn überhaupt, in den privaten Raum, traditionelle Trauerbräuche z.B. von Jägern oder Schützen kritisch beurteilt werden. Konservativ-Etablierte freuen sich, wenn …

die Ansprache theologisch anspruchsvoll ist, Traditionen und Symbole ästhetisch verbal entfaltet werden, die klassische Kirchenmusik gut vorgetragen wird, der Status des Verstorbenen sich widerspiegelt, historische Reminiszenzen vorkommen, v.a. Zitate und Trostgeschichten aus Bibel und christlicher Tradition, der Denkspruch in Liturgie und Ansprache einprägend wiederholt wird, traditionelle Werte hochgehalten werden, v.a. die Familie.

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Theologische Anknüpfung Die christliche Bestattungsfeier ist ein Bekenntnisakt, nicht zuletzt zur abendländischen Tradition und zur Volkskirche; die Erdbestattung kann das Bekenntnis zu einer leiblichen Auferstehung sein. Für den Gedanken des Gerichts ist man offen – aber mehr im Blick auf die anderen. Andererseits nimmt man traditionelle Formulierungen hin, wie die aus der Aussegnung: »Gott sei dir gnädig im Gericht …«. »Ihr wisst, dass unsere Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn« (1Kor 15,58). So bietet die Trauerfeier die Möglichkeit eines Rückblicks auf ein Leben als Gottesdienst. Der Gedanke der leiblichen Auferstehung passt zu dem des hohen Wertes des verstorbenen Individuums. Christus wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. »Deshalb ist Predigt auch nicht Gerichtspredigt über den Toten. Sondern sie hält das Leben und die Lebensgeschichten des Toten als Gleichnis der Liebe Gottes hinein in die Verheißungsgeschichten, die Christus mit uns macht, immer schon, gegen den Tod … Ohnmächtig ist allein der, der hier alle Macht gehabt zu haben scheint, der Tod. Er ist entmächtigt, kraftlos, und der Gipfel der Ohnmacht ist bezwungen, weil Jesus Christus ganz unten war und dort der lebendige Gott seine Macht ein für allemal erwies.« (Rudolf Landau) »Evangelische Provokationen« Der Gedanke, dass wir im Tod alle gleich sind und dass er die Standes- und Statusunterschiede beendet – ebenso wie dies schon in der Taufe der Fall war –, geht über das hinaus, was man denken will. »Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.« (Epheser 2,7). Im Zusammenhang der Bestattung eines Menschen aus dem konservativ-etablierten Milieus kann der Wunsch einer Würdigung aller Leistungen in Konkurrenz treten zum evangelischen »Sola gratia«. »Wenn wir sagen, wir haben keine Sünden, so betrügen wir uns selbst …« (1Joh 1,7). Die Rechtfertigung aus Gnaden bezieht sich auf Sünderinnen und Sünder, von denen niemand ausgenommen ist. Sowenig eine Traueransprache dazu dienen soll, Sünden beim Namen zu nennen, so wenig kann dem Wunsch entsprochen werden, die Thematik in derselben Weise auszublenden, wie es in diesem Milieu gerne getan wird.

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Die Teilnahme an Trauerfeiern ist für Konservativ-Etablierte eine Verpflichtung, so dass sie sich – selbst bei emotionaler Betroffenheit – auf relativ sicherem Terrain bewegen. Den Pfarrer ans Sterbebett zu rufen, gehört zu den Gepflogenheiten. Hier ist u.U. Gelegenheit, über die Wünsche bei der Bestattung zu fragen, falls der Sterbende nicht von sich aus davon anfängt oder seine Anordnungen bis hin zu Liedern und Texten nicht schon längst schriftlich festgehalten hat. Auch die Praxis der Aussegnung am Totenbett kennt man in der Regel als Teil der Tradition. Familie und engste Freunde nehmen sie zum Anlass, um persönlich Abschied zu nehmen. Die liturgischen Elemente sind vertraut. Die meisten werden das Angebot gerne und mit Würde in Anspruch nehmen. Wenn die Aussegnung am Totenbett nicht möglich ist, weil der Tod in einer Klinik eingetreten ist, wird häufig eine Aussegnung in der Halle gewünscht. Abschied am Sterbebett/Totenbett

Stille zu Beginn und am Ende als Gelegenheit, in Zwiesprache mit dem Verstorbenen – oder mit Gott – zu treten gemeinsames Sprechen des 23. Psalms Lesung eines Gedichts Ruth Fuehrer, »Loslassen« Nehmt Abschied, ihr Augen, von allem, was ihr in dieser Welt gesehen habt, und richtet euch auf die Herrlichkeit Gottes. Nehmt Abschied, ihr Ohren, von allem, was ihr auf dieser Welt gehört habt, und höret auf die Worte der Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Nimm Abschied, du Mund, von allen Worten, die du in diesem Leben gesprochen hast, und bereite dich, Gottes ewiges Lob zu sagen. Nehmt Abschied, ihr Hände, von eurem Arbeiten und Tun und öffnet euch für Gottes ewige Gaben. Nehmt Abschied, ihr Füße, von den Wegen dieser Erde Und bereitet euch, den Weg zu Gott zu gehen.

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Nehmt Abschied, ihr Gedanken, von dieser Welt Und richtet euch hin zur ewigen Liebe Gottes. Gott, der Herr, vergebe dir alles, was dich von ihm geschieden hat, und gewähre dir durch unsern Herrn Jesus Christus den Eingang in seine Herrlichkeit.

Valetsegen (EG 830) Bezeichnung des Verstorbenen mit dem Kreuz (evtl. durch die Angehörigen) Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Das Trauergespräch findet im Trauerhaus statt. Die Familie ist möglichst vollständig zugegen. Auch wer sich inzwischen vom Herkunftsmilieu distanziert hat, kennt die Gepflogenheiten. o Falls die Aussegnung nicht als eigene Handlung am Todestag stattgefunden hat, kann sie dem Gespräch unmittelbar vorausgehen. Themen des Gesprächs o Gestaltung der Trauerfeier, insbesondere die Musik und die Ausstattung, möglicherweise auch der Ort, falls die kommunale Trauerhalle als zu klein oder zu schäbig empfunden wird o Integration von Nachrufen bzw. Trauerritualen von Vereinen (z.B. wann die Vereinsfahne ins Grab gesenkt – und wieder hervorgeholt wird) o die Leistungen des Verstorbenen o Symbole für das Leben des Verstorbenen o die Werte des Verstorbenen und sein unermüdliches Eintreten für sie, die in der Familie weitergetragen werden sollen o theologische Fragen zu Trauer, Tod und Ewigkeit Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

In aller Regel findet die Bestattung entsprechend den lokalen Gebräuchen statt. Für die Trauerfeier könnte, falls das möglich ist, auch ein traditioneller Kirchenraum angefragt werden, wenn man mit besonders vielen Gästen rechnet. Oder man lädt nur Familie und Freunde ein. Der Zeitpunkt wird so gewählt, dass weit entfernt wohnende Freunde und Verwandte die Reise planen können. So können auch professionelle Musiker bzw. ein Chor engagiert werden sowie der anschließende Leichenschmaus.

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Tonalität der Trauerfeier

Die Liturgie orientiert sich weitgehend an den herkömmlichen örtlichen Gepflogenheiten. Liturgische Hochsprache, die Verwendung geprägter Formulierungen und die Berücksichtigung des Kirchenjahres sind möglich; dies wird von den meisten Konservativ-Etablierten wohl auch erwartet werden. Die Liturgie kann etwas ausführlicher sein und aus älterer Literatur schöpfen; die Begrüßung kann bereits etwas von der Bedeutung des Verstorbenen ausdrücken, aber auch den Gedanken der Gnade. Nachrufe können im Rahmen des Leichenschmauses stattfinden. Sie in den Trauergottesdienst einzubetten, kann eine Ansprache, die auf die Rechtfertigung allein aus Gnaden abzielt, konterkarieren. Die Angehörigen beteiligen sich an der Feier durch das gemeinsame Singen und Beten und durch ihre innere Anteilnahme; sie treten nicht mit individuellen liturgischen Gestaltungselementen oder persönlichen Worten aus dem Kreis der Gottesdienstgemeinde heraus. Texte von Dietrich Bonhoeffer, in dessen konservativ-etablierter Familie Contenance großgeschrieben wurde, eignen sich besonders. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Chor- oder Instrumentalmusik o Lesung eines literarischen Textes durch die Pfarrerin o Gebet im Rückblick auf das Leben Jörg Zink, Wie wir beten können, Stuttgart 1991, 201.

o Schuldbekenntnis im Rahmen der Fürbitten: »In der Stille nennen wir dir, was wir dem Verstorbenen schuldig geblieben sind und er uns. [Stille] Dich, heiliger Gott, bitten wir um Vergebung und um deinen Frieden.« o Einleitung der Prozession zum Grab durch das »In Paradisum« aus dem Requiem VELKD-Agende III/5: Die Bestattung, Hannover 1996, 54: »Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem. – Die Chöre der Engel mögen dich empfangen, und durch Christus, der für dich gestorben, soll ewiges Leben dich erfreuen.«

Beteiligungsmöglichkeiten o gemeinsames Sprechen eines bekannten Psalms (Ps 23) o musikalischer Beitrag eines Familienensembles o Vereinsbräuche

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Lieder

Die Lieder, meist »Klassiker«, sind im Trauergespräch ausgewählt worden. »Großer Gott, wir loben dich« (EG 331) »Von guten Mächten« (EG 65) »Christ ist erstanden« (EG 99) »Mitten wir im Leben sind« (EG 518) »Auf, auf, mein Herz, mit Freuden« (EG 112) »Befiehl du deine Wege« (EG 361) Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Das ewige Haus« Der Verstorbene war viele Jahre in der Pfadfinderbewegung aktiv. »So gleicht der Körper, in dem wir hier auf der Erde leben, einem Zelt, das eines Tages abgebrochen wird. Doch wir wissen: Wenn das geschieht, wartet auf uns ein Bauwerk, das nicht von Menschenhand errichtet ist, sondern von Gott, ein ewiges Haus im Himmel« (2Kor 5,1, Neue Genfer Übersetzung). Das war doch immer etwas Großes, wenn Herr T. mit seinen Pfadfindern auf einer möglichst leicht flach abfallenden Wiese eine Reihe von Zelten aufbaute. Alle mussten aufpassen, wo sie zwischen den Zelten hindurchgingen, denn da waren ja die Schnüre gespannt. Und wenn es regnete, durfte man nicht an die Zeltwand kommen, sonst wurde sie undicht. Ja, so ein Zelt ist eine unsichere Angelegenheit. Ein schwerer Regen, ein heftiger Sturm können da schon einmal zu großen Problemen führen. Paulus wird das – als Zeltmacher zumal, aber auch als Vielreisender – gewusst haben. Und gerade darum nutzt er dieses Bild, um den menschlichen Körper damit zu vergleichen. Unser Körper ist eben anfällig, zumal mit zunehmendem Alter … Ein Ausleger schreibt zu dieser Stelle, dass Paulus schon sehr die Grausamkeit des Leidens und Sterbens vor Augen hat, als er diese Worte formuliert. Und so ist es auch immer ein trauriger Anblick, eine Wiese zu sehen, auf der eben noch die Zelte gestanden haben. Am Ende eines Zeltlagers bleiben nur noch zertrampelte Wege und Flächen mit abgestorbenem Gras übrig. Damit ist unser Leben vergleichbar, das eines Tages abgebrochen wird wie ein Zelt. Und dann bleibt unser Körper zurück wie eine leere Hülle. Überlegen wir nur einmal, wie viel Zeit, Kraft, Energie wir in den Erhalt dieses Körpers, dieser irdischen Existenz investieren. Denken wir nur, wie groß das Bemühen ist, etwas zu leisten, etwas aufzubauen, Bleibendes zu hinterlassen. Paulus stellt uns vor die Frage: Steht das in einem Verhältnis zu der Bedeutung, die die irdische Existenz im Vergleich zu der himmlischen hat? Jemand hat die Beobachtung ausgesprochen, dass Menschen ohne Hoffnung auf die Ewigkeit verzweifelt versuchen, jede Sekunde ihres irdischen Lebens auskosten zu müssen. Sie müssen jetzt schon alles so schön und reich und

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himmlisch wie möglich gestalten – denn danach kommt ja nichts mehr. Für sie ist es umso wichtiger, die dunklen Seiten des Lebens auszublenden. Angeblich hat der Modeschöpfer Karl Lagerfeld angeordnet, dass in seiner Umgebung nicht über Krankheit, Leid und Tod gesprochen werden darf. Aber je intensiver wir das Dunkle ausblenden wollen, je intensiver wir das Leben genießen und genussvoll gestalten wollen, desto größer kann die Angst sein, etwas zu verpassen, und die Verzweiflung, dass am Ende alles nichts gewesen sein könnte. Bei Paulus ist das anders. Er stellt sich der dunklen Seite des irdischen Lebens. Denn Paulus weiß: Da kommt noch was! Nein, noch viel mehr: Es ist schon da: Es »wartet auf uns ein Bauwerk, das nicht von Menschenhand errichtet ist, sondern von Gott, ein ewiges Haus im Himmel.« Also: Unser zeltartiger, zerbrechlicher Körper wird ersetzt durch etwas Stabiles, Ewiges, das es schon gibt, sonst könnte es nicht auf uns warten. Damit widerspricht Paulus allen, die meinen: Die Seele müsste vom Leib befreit werden, um leiblos im Himmel herumzugeistern. Nein, auch im Himmel werden wir einen Körper haben. Aber eben einen anderen, einen ewigen. Möge Sie, möge uns alle der Heilige Geist über diesen Verlust hinweghelfen und in uns allen den Glauben und die Hoffnung nähren: Das Zeltlager ist wohl abgebrochen, aber das himmlische Bauwerk, das ewige Haus steht schon da. Weitere Impulse o »Ausgang und Eingang« (Ps 121,8) – Am Grab eines Statikers »Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!« Wie manchen Eingang und wie manchen Ausgang hat der Verstorbene erlebt: Die Lehre, das Studium, die Arbeit als Statiker und dann als technischer Leiter, die Selbständigkeit, die er erst vor fünf Jahren beendete. Und all die Aktivitäten auf Baustellen und über Bauplänen, wenn er selbst Ausgänge und Eingänge geplant hat, in der Politik, im Garten und beim Sport, bei seinen Bienen und auf Spaziergängen, vor allem aber die Zeit mit der Familie, den drei Töchtern und den neun Enkeln. Viele gesegnete Eingänge. Viele gesegnete Ausgänge.

o

»Der Mensch ist hier nicht zu Hause« (1Kor 13,12, mit Texten von Matthias Claudius und Khalil Gibran) Klaus Eulenberger, in: Friedrichs (Hg.), Bestattung, 79–84.

o

»Eigenartige und verheißungsvolle Übergänge« (Phil 2,6–11, mit Gedichten von Martin Gutl) Martin Stöffelmaier, in: Dieter Müller (Hg.), Wir sterben nicht, wir werden verwandelt. Beerdigungsansprachen, Ostfildern 2002, 103–105.

Weiterführung Die Trauerfamilie freut sich, den Text der Ansprache schriftlich und in ansprechender Form zu erhalten, selbst wenn der Trauergottesdienst gefilmt worden ist, nicht nur, um sie mit den Kondolenzkarten aufzubewahren, sondern um sie

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zu lesen – und evtl. Nachfragen zu stellen. Insbesondere wenn ein Lebenspartner zurückbleibt, wird dieser erwarten, in angemessener Zeit noch einmal besucht zu werden. Möglicherweise kommen dann dunkle, schuldhafte Aspekte des Verstorbenen oder der Beziehung zum Tragen, die man im Trauergespräch peinlich vermieden hat. Besuch einige Wochen nach der Bestattung (Überbringung der Traueransprache, Angebot eines seelsorgerlichen Gesprächs) Buchgeschenk für die Alltagsbewältigung im ersten Trauerjahr Ludwig Burgdörfer und Marthe Kuhm, Trauern braucht seine Zeit. Täglicher Begleiter durch das erste Trauerjahr, Gießen 32012 »366 sehr kurze, persönliche Texte aus seelsorgerlicher und psychologischer Sicht helfen Trauernden durch das erste Jahr nach dem Verlust eines geliebten Menschen. Behutsam nehmen sie Gefühle der Verzweiflung, des Zorns und der Ratlosigkeit auf und begleiten Trauernde bei der allmählichen Rückkehr ins Leben, wenn die Zeit dafür reif ist« (Klappentext).

Trauer-Lesekreis mit gemeinsamer Lektüre eines thematisch einschlägigen Buches Gian Domenico Borasio, Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen, München 52012.

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Liberal-intellektuelles Milieu

Als Pfarrer werde ich von Eltern der Verstorbenen kontaktiert, die an den Folgen einer Haut- und Organkrankheit verstorben ist. Ich treffe mich mit den Eltern in der schlicht, aber äußerst stilbewusst und hochwertig eingerichteten Wohnung der Verstorbenen. Sie erzählen mir von ihrer Tochter: Sie war Ende dreißig und leitete die Personalabteilung eines großen Unternehmens in der Chemiebranche. Studiert hatte sie neben Betriebswirtschaft auch Wirtschaftspsychologie, weil sie sich zum einen mit Grundfragen des menschlichen Lebens auseinandersetzen wollte, zum anderen aber auch eine attraktive und anspruchsvolle Tätigkeit im Personalmanagement eines globalen Unternehmens anstrebte. Nach ihrem Studium, das sie mit viel Engagement betrieben und mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, gelang ihr dann tatsächlich der Einstieg in die Personalabteilung des Unternehmens ihrer Wahl. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit lebte sie auch ihr kulturelles Faible aus, besuchte Kunstausstellungen und Konzerte und engagierte sich ehrenamtlich im städtischen Kunstverein. Vor einigen Jahren begann sie selbst zu malen und zu fotografieren. Die Herausforderung, eine anspruchsvolle berufliche Aufgabe mit einer ganzheitlichen Lebensgestaltung in Einklang zu bringen, beschäftigte sie einerseits in ihrem Unternehmen, wo sie sich Fragen der »Work-Life Balance« widmete, andererseits gewann sie auch für sie persönlich an Relevanz, als bei ihr vor sechs Jahren eine unheilbare Krankheit festgestellt wurde. Im Unternehmen setzte sie sich für eine menschenfreundliche, ganzheitliche Unternehmenskultur ein. Obwohl ihre Kräfte zunehmend schwanden, genoss sie bis zuletzt den intensiven Austausch und die Vorträge bei den monatlichen Zusammenkünften des Kunstvereins, die immer in ausgesuchten Restaurants und Hotels stattfanden.

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem liberal-intellektuellen Milieu zugeordnet werden,

gehören zur aufgeklärten Bildungselite (höchste akademische Qualifikationen) und zeichnen sich durch eine liberale Grundhaltung sowie vielfältige intellektuelle Interessen aus, denken global und zeigen sich anderen Positionen und Lebensauffassungen gegenüber meist offen und tolerant, streben nach Leistung, Selbstbestimmung, Selbstentfaltung und persönlicher Weiterentwicklung, suchen das Gleichgewicht von Körper, Seele und Geist und streben nach intellektueller Herausforderung (Kunst, Kultur, Musik, Bildung), zeichnen sich aus durch einen nachhaltigen, umwelt- und gesundheitsbewussten Lebensstil – allerdings ohne ideologische Überfrachtung, sind gesellschaftlich engagiert (Initiativen, Politik, Kultur, Kirche) und tauschen sich intensiv innerhalb ihrer Netzwerke aus, freuen sich an den schönen Dingen des Lebens und genießen den Luxus und Service, der sich ihnen bietet (höchstes Haushaltsnettoeinkommen), konsumieren jedoch selektiv (»weniger ist mehr«) und hegen Aversionen gegen eine oberflächliche Konsumorientierung. 7 % der Bevölkerung Altersdurchschnitt 45 Jahre Bestattungsmusik »Marche funèbre« (Frédéric Chopin) »Agnus dei« (Requiem) (Antonín Dvořák) »Träumerei« (Robert Schumann) »Air« (Johann Sebastian Bach, evtl. moderne Interpretation durch David Garrett) »Lux Aeterna« (Requiem) (Andrew Lloyd Webber) »Let It Be« (Beatles) »Knocking on Heaven’s Door« (Bob Dylan) »Wenn Du schläfst« (Xavier Naidoo) Bestattung und liberal-intellektuelles Milieu Die Durchführung der Trauerfeier durch einen Pfarrer ist traditionelles »Serviceangebot« der Kirche, von dem die Angehörigen mitunter auch erwarten, dass es in Rechnung gestellt wird.

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Im Rahmen der Gesamtorganisation durch den Bestatter kommt der Pfarrer als Fachperson für die seelsorgerliche Begleitung und organisatorischliturgische Durchführung der Trauerfeier in den Blick. Die Würdigung der Individualität des Verstorbenen beansprucht einen angemessenen Raum. Die Bestattung kommt weniger als kirchliche Handlung denn als allgemeinkultureller Ritus in den Blick: Die Bestattung entspricht dem in allen Kulturen verbreiteten Grundbedürfnis, von Verstorbenen in angemessener Weise Abschied zu nehmen und die Toten würdevoll beizusetzen. Im Ritual der Bestattung konzentrieren sich die menschlichen Grunderfahrungen der Vergänglichkeit, des Abschied-Nehmens und des RückblickHaltens. Sterben, Tod und Bestattung sind Teil der individuellen, geplanten Biographie. Die Herangehensweise an das Thema »Tod und Bestattung« ist kognitiv. Man beschafft sich Informationen mittels Literatur und Internet, besucht Krematorien und vergleicht Angebote verschiedener Dienstleister. Geht der Pfarrer nicht auf die Vorstellungen ein, wird ein Trauerredner engagiert. Der Anteil der Feuerbestattungen liegt mit ca. 53 % etwas unter dem Durchschnitt, und der Anteil der anonymen Bestattungen ist der drittniedrigste im Milieuvergleich (7 %). Alternative Bestattungs- und Grabarten werden überdurchschnittlich häufig angefragt (knapp 17 %), und in keinem anderen Milieu wird häufiger ein Grabmal gewünscht. Mit durchschnittlich ca. 4000 € wird angesichts des hohen Einkommens überraschend wenig für eine Bestattung ausgegeben.

»Die Bestattung ist der kirchliche Teil der vom Bestatter organisierten Gesamtdienstleistung.« Dos und Don’ts – Das Werteprofil des liberal-intellektuellen Milieus Liberal-Intellektuelle tun sich schwer, wenn …

der Seelsorger religiöse Vielfalt und ökumenische Offenheit nicht abbilden oder integrieren kann, die Trauerfeier kulturell-musikalisch oder intellektuell-inhaltlich unter dem sonst gelebten Niveau bleibt, das Trauergespräch und die Trauerfeier nicht den individuellen Ansprüchen gerecht werden und die eigenen Wünsche keine Berücksichtigung finden, »Lebenstheologie« und Ethik der Pfarrerin Toleranz und Differenziertheit (auch in der Wertschätzung verschiedener Lebensentwürfe) vermissen lassen.

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Liberal-Intellektuelle freuen sich, wenn …

der Pfarrer insgesamt professionell, in Verfahrensfragen sachkundig und inhaltlich-theologisch sowohl anspruchsvoll als auch differenziert und tolerant bzw. begründet positioniert auftritt, wenn Wünsche zur Gestaltung stimmig integriert werden, wenn Performance und Ästhetik der Bestattung ein hohes Maß an Wertschätzung und Seriosität erkennen lassen, der Verstorbene als Individuum in Erscheinung tritt und sein Leben als »ganzheitlicher« Entwurf gewürdigt wird, die Leistung und das Engagement des Verstorbenen einerseits und die Freude an den schönen Dingen des Lebens andererseits (Kunst und Kultur) ihren je angemessenen Platz haben, die Trauerfeier in Stil und Inhalt sachkundig, offen und argumentativ zu einer anregenden Kommunikation über Gott, die Welt und das Leben einlädt. Theologische Anknüpfung Innerhalb des biblischen Kanons bieten insbesondere weisheitliche Schriften (Prediger, Sprüche) Anknüpfungspunkte für eine Reflexion der Begrenztheit menschlichen Lebens im Horizont des Glaubens: Indem die Bestattung die Lebenden an ihre Sterblichkeit erinnert, lädt sie zugleich ein, die Begrenztheit und Fragilität des eigenen Lebens zu reflektieren und aus dieser Reflexion weisheitliche Rückschlüsse für die eigene Lebensgestaltung zu gewinnen. Menschen werden als Individuen gesehen. Bei Gott sind wir einzigartige, individuelle Wesen – in Ewigkeit, über den Tod hinaus. An die Skepsis gegenüber traditionell christlichen Positionen wie z.B. der Lehre von der Auferstehung der Toten lässt sich anknüpfen, insofern auch weite Teile des alttestamentlichen Kanons das Leben vor Gott in seiner Diesseitigkeit reflektieren – noch ohne die Jenseitserwartung eines Lebens nach dem Tod, die sich im biblischen Kanon erst später etabliert (dort aber zu einer zentralen Glaubensaussage wird). Die Welt ist kein Wartezimmer, »in dem man desengagiert und gelangweilt herumzusitzen hätte … bis die Tür zum Sprechzimmer Gottes aufgeht« (Johann Baptist Metz). »Evangelische Provokationen« Die Grunderfahrung der Begrenztheit und Vergänglichkeit allen menschlichen Lebens »ohne Ansehen« der Person fordert die Systemlogik des Milieus heraus (Selbstbestimmung, Machbarkeitsdenken, Statusbewusstsein). Der reformatorische Ansatz bei der Rechtfertigung aus Gnade durch Glauben ist ein kritisches Korrektiv, das davor bewahren kann, dass die Würdi-

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gung des gelebten Lebens (trotz aller erwähnenswerter Verdienste) nicht zu einer »Rechtfertigung aus Werken« verkommt. Dadurch, dass die Bestattung – bei aller Rücksichtnahme und Integration persönlicher Vorstellungen und Wünsche – sich in weiten Teilen an den etablierten agendarischen Formen orientiert, stellt sie das Individuum in die Gemeinschaft aller Glaubenden und wehrt dem Eindruck, der Einzelne habe aufgrund seiner besonderen Lebensleistung eine »bessere« Bestattung verdient als andere. Inspiriert von neueren theologischen Ansätzen wird der naturwissenschaftlichen Skepsis gegenüber dem Gedanken der Auferstehung der Toten begegnet: Die Transformation »über den Leib und in den Geist hinein« ist gerade für ein naturalistisches Denken schwer zu fassen, aber »wenn wir einen wirklich tiefen Glauben anstreben, dann müssen wir bis in diese Dimension der menschlichen Existenz hinein denken und müssen festhalten, dass die Auferstehungshoffnung dem konkreten Individuum gilt« (Michael Welker).

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Die organisatorische Begleitung der Bestattung wird als eine Dienstleistung verstanden, die man in der Gesamtverantwortung an den Bestatter übertragen hat. Der Pfarrer wird in diesem Gesamtablauf vor allem als »Fachdienstleister« für die Durchführung der Bestattungszeremonie samt Trauerfeier wahrgenommen. Abendmahl am Sterbebett oder die Aussegnung auf dem Sterbebett werden als zusätzliche »Dienstleistungen« innerhalb dieses Milieus vermutlich eher weniger nachgefragt – am ehesten ist dies zu erwarten, wenn Personen anderer Milieus beteiligt sind, denen diese traditionellen Formen noch vertraut sind. Liberal-Intellektuelle erwarten, dass auf der Website der Kirchengemeinde die nötigen Informationen zur Person der Pfarrerin, zu Formalia, zu den standardmäßigen Rahmenbedingungen und möglichen Zusatzoptionen zu finden sind (»Infos für den Trauerfall«). Abschied am Sterbebett/Totenbett

agendarische Aussegnungsfeier, im Talar Abschiedssegen, mit erhobener rechter Hand und dem Verstorbenen zugewandt gesprochen

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Lesung eines Gedichts Hilde Domin, »Die schwersten Wege« Die schwersten Wege werden alleine gegangen, die Enttäuschung, der Verlust, das Opfer, sind einsam … Und doch, wenn du lange gegangen bist, bleibt das Wunder nicht aus, weil das Wunder immer geschieht und weil wir ohne die Gnade nicht leben können … Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Die Begegnung sollte so professionell vorbereitet sein und durchgeführt werden, dass nicht nur die seelsorgerliche Begleitung der Trauernden im engeren Sinn gelingt, sondern auch bei allen Beteiligten Erwartungssicherheit hinsichtlich der Teilnahme an der Trauerfeier erzielt wird (z.B. durch Weitergabe von Informationsmaterial rund um Ablauf und Durchführung der Trauerfeier). o Die Angehörigen erhoffen sich bei der Planung der Trauerfeier Flexibilität und die Bereitschaft, den traditionellen Ablauf durch Integration zusätzlicher Gestaltungselemente zu individualisieren. Der Wunsch, persönliche Erinnerungen, Beiträge o.ä. in die Trauerfeier zu integrieren, wird nicht allein auf den Programmpunkt »Nachrufe« beschränkt sein. o Für Vorstellungen, die über die klassischen gottesdienstlichen Vollzüge und theologischen Anschauungen hinausgehen, wird liturgische Offenheit und – in einem weiten religionswissenschaftlichen Horizont begründete – Akzeptanz erwartet. Themen des Gesprächs o Sinnspruch auf der Traueranzeige, Symbol auf der Urne usw. o ein Leben auf der (vermeintlichen) Erfolgsspur, aber auch Durststrecken und Rückschläge o kritische Auseinandersetzungen mit als »klassisch« angesehenen christlichen Vorstellungen rund um Tod und Sterben: Jenseitsvorstellungen, Gottesbilder (richtender vs. gnädiger Gott) o intellektuelle Durchdringung von Fragen der rückblickenden Lebensbewertung sowie von Phänomenen wie Schicksal und Vorsehung, Glück und Unglück in der Lebensgestaltung o gemeinsame Erarbeitung der Trauerfeier-Liturgie in der Absicht, deren Gestaltungselemente zu reflektieren und mit einem individuellen Akzent zu versehen o pragmatische Fragen zur Durchführung der Trauerfeier mit dem Ziel, Erwartungssicherheit zu schaffen

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Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

In vielen Fällen kann man unterstellen, dass eine intensive Beschäftigung mit dem Thema Bestattung, Bestattungsformen und Grabarten (z.B. durch den Besuch eines Krematoriums, durch Gespräche mit Bestattern) zu einer reflektierten Herangehensweise an die Gestaltung der Trauerfeier wie auch an die Auswahl von Form und Ort der Bestattung führt. Gerade wenn dem Tod eine längere Krankheit vorausging, ist eine eingehende Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod vorauszusetzen, die in konkrete (und vielleicht testamentarisch verfügte) Wünsche zur Gestaltung der eigenen Bestattung mündeten. Für die Durchführung der Bestattung werden neben den klassischen »ortsüblichen« Formen aufgrund des Bedürfnisses nach Individualität oder aufgrund der zunehmenden Mobilität unter den Angehörigen auch vermehrt alternative Bestattungsformen nachgefragt. Neben die Kirche und die Leichenhalle als Orte für die Aussegnung treten daher vermehrt andere Orte, im Freien bzw. im Grünen. Aufgrund von beruflichen Verpflichtungen, verbunden mit weiten Anfahrten der Angehörigen, werden vermehrt Bestattungen an Samstagen nachgefragt, was dann zu Konflikten führen kann, wenn dafür die örtlichen Rahmenbedingungen (z.B. aufgrund der Arbeitszeiten kommunaler Mitarbeiter) nicht gegeben sind. Tonalität der Trauerfeier

In enger Abstimmung zwischen Pfarrer und beteiligtem Bestattungsinstitut wird ein professioneller und gut durchdachter Ablauf der Trauerfeier ermöglicht, so dass die Andacht vor dem Gottesdienst nicht gestört wird (dazu gehören z.B. auch eine stilvolle Dekoration, das Blumenarrangement, ein Test der Mikrofonanlage). Die Gäste werden am Eingang (bei ausliegendem Kondolenzbuch) persönlich durch den Bestatter begrüßt und die Angehörigen auf die in den vorderen Reihen für sie vorgesehenen Sitzplätze hingewiesen. Die Trauergemeinde erlebt den Gottesdienst als eine stilvolle kirchliche Veranstaltung, in der sich in angemessener und authentischer Weise traditionelle Elemente der Bestattungsliturgie mischen mit individuellen Beteiligungsformen. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o sorgfältig formulierte Begrüßung der Trauergemeinde, die eine – eventuell bereits in der Traueranzeige ausgedrückte – Grundstimmung unter den Angehörigen aufnehmen kann

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Anreicherung der klassischen Bestattungsliturgie z.B. durch Lesung aus Erinnerungen, Reflexionen oder Briefen des Verstorbenen o musikalische Elemente, die den Geschmack des Verstorbenen oder der anwesenden Angehörigen abbilden (Orgelmusik, klassisches Ensemble, Chor) – unter Beachtung der örtlichen Rahmenbedingungen (Trauerhalle, Bestattung im Freien usw.) Beteiligungsmöglichkeiten o persönliche Erinnerungen an den Verstorbenen (über den klassischen Nachruf hinaus) o Gedichtlesung (auch Gedichte, die Zweifel am christlichen Weltbild zum Ausdruck bringen) o

Marie Luise Kaschnitz, »Vielleicht« Vielleicht sind wir doch nicht Sind wir nicht Gottes Kinder Vielleicht ist da keine Ist keine Himmelsleiter … Vgl. Jutta Rosenkranz (Hg.), Letzte Gedichte. Anthologie, München 2007. Lieder

Klassiker des kirchlichen Bestattungsliedgutes werden vielleicht der Melodie nach noch bekannt sein, aber kaum zu Orgelbegleitung gesungen. Milieuspezifische Musik kann mit Musikanlage abgespielt werden und ggf. ihr Text in der Liturgie bzw. der Predigt aufgenommen werden. Klassische Bestattungslieder können instrumental von der Orgel oder einem Ensemble vorgetragen werden. »Ach bleib mit deiner Gnade« (EG 347) »So nimm denn meine Hände« (EG 376) »Wachet auf, ruft uns die Stimme« (EG 147) Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Das Leben, das ich hatte, war alles, was ich hatte. Das Leben, das ich hatte, war für Euch.« So lautet der Spruch auf der Traueranzeige. Daran schließt sich eine Reflexion an über die Spannung zwischen Verantwortung, Engagement und Freude am Leben angesichts der Begrenztheit und Vergänglichkeit des Lebens (Pred 9,7–10). Liebe Angehörige, mit diesen Worten, die Sie auf der Traueranzeige abgedruckt haben, haben Sie dem Abschied, den wir heute von K.S. nehmen müssen, ein Leitmotiv gegeben. Angesichts dieses Leitmotivs und des für uns zunächst endgültig erscheinenden Abschieds von K.S. fragen wir: Was ist das eigentlich, das Leben? Wie hat K.S. ihr Leben gestaltet? Wie wollen wir unser Leben angesichts seiner Begrenztheit gestalten?

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Diesem Phänomen der Begrenztheit des menschlichen Lebens sowie der Frage, wie wir unser Leben führen wollen angesichts der Vergänglichkeit unseres Lebens, ist in der Bibel ein ganzes Buch gewidmet: das Buch »Prediger Salomo«. Dieses Buch wird in Teilen dem König Salomo zugeschrieben, der als reicher und weiser König einerseits viel in seinem Leben erreicht hatte, dem andererseits aber auch die Vergänglichkeit seines Lebens deutlich vor Augen stand. Aus diesem Buch will ich einen Abschnitt lesen. Aus der Perspektive der dort geäußerten Gedanken will ich dann das Leben des Verstorbenen in Erinnerung rufen sowie auch nach Anregungen für die eigene Lebensgestaltung fragen. Lesung Predigttext: Prediger 9,7–10 Der Prediger Salomo nimmt die vielfältigen Perspektiven des Lebens in den Blick: Leben bedeutet Verantwortung, Engagement, Leistung und Selbstentfaltung, zudem aber auch die Freude an den schönen Dingen des Lebens. Beides finden wir bei K.S. in vielgestaltiger Weise wieder: Verantwortung trug K.S. unter anderem dadurch, dass sie sich in ihrem Unternehmen durch die verschiedenen Stationen ihres Berufsweges hinweg engagierte. Stationen des Berufsweges nachzeichnen. Angesichts aller Mühen des Lebens lädt der Prediger Salomo dazu ein, das Leben nicht nur durch Arbeit zu gestalten, sondern sich auch an den schönen Dingen des Lebens zu erfreuen. Das Miteinander und Ineinander von Engagement und Freude am Leben begegnet uns im Leben von K.S. auch dann, wenn wir die vielfältigen Tätigkeiten wahrnehmen, die sie über ihren Beruf hinaus ausübte. Aspekte von ehrenamtlichem oder politischem Engagement. Vielleicht ist es Ihnen schon beim Hören des Bibeltextes aufgefallen: Der Prediger Salomo äußert keine Hoffnung, dass es für uns Lebende nach dem Tod noch weitergehen könnte. Der große Dichter scheint sich nicht vorstellen zu können, dass seine Geschichte auf der anderen Seite fortgeschrieben wird. Hier trifft er sich mit der Skepsis, die K.S. auch am Ende ihres Lebenswegs immer wieder zum Ausdruck gebracht hat. Im Hier und Jetzt spielt das Leben, »bei den Toten … gibt es weder Tun noch Denken, weder Erkenntnis noch Weisheit« (Pred 9,10). Doch der Gott, der uns das Leben geschenkt hat und uns zum Genießen wie zur Verantwortung auffordert, bleibt auch nach dem Tod ein persönliches Gegenüber. Unsere Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod in der Gegenwart Gottes wächst aus der Erwartung, dass der Gott, der uns im Leben getragen und beschenkt hat, uns auch über den Tod hinaus begleiten und uns die Treue halten wird. Wir können uns diese Verwandlung über den Leib und in den Geist hinein schwer vorstellen. Deshalb sind die Bilder und Vorstellungen, in denen diese Hoffnung Ausdruck findet, sehr unterschiedlich. Auf eine Weise, in welcher Ihnen selbst als Angehörigen die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod plausibel erscheint, haben Sie mit Hinweis auf Zeilen von Joseph von Eichendorff (1788–1857) hingewiesen:

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1. Wem Gott will rechte Gunst erweisen, Den schickt er in die weite Welt, Dem will er seine Wunder weisen In Berg und Wald und Strom und Feld. 4. Den lieben Gott lass ich nun walten, Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld Und Erd und Himmel will erhalten, Hat auch mein Sach aufs best bestellt. Mit den Worten Eichendorffs dürfen wir hoffen und vertrauen, dass bei dem Gott, der K.S. in ihrem Leben schon »die rechte Gunst« erwiesen hat, dass bei diesem unserem Gott auch jetzt noch, wenn wir Abschied nehmen müssen von K.S., ihre »Sach aufs best bestellt« ist – auch über den Tod hinaus. Weitere Impulse o »Nicht klagen, dass du gegangen. Danken, dass du gewesen.« Neben diesen Sinnspruch einer Traueranzeige wird Ps 34,2 gestellt (»Ich will den Herrn loben allezeit…«): Wir sind herausgefordert, das Leben und einzelne Ereignisse aus dem Leben des Verstorbenen in einer Doppelperspektive zu sehen: neben dem beklagenswerten Verlust steht das geschenkte Glück des gemeinsam geteilten Lebensweges.

o

die Sinnhaftigkeit des Lebens Vordergründige Unglücksfälle im Leben des Verstorbenen erwiesen sich im Nachhinein (durch Gottes Gnade?) als »glückliche Zufälle«. Die Trauergäste werden eingeladen, eigene Lebensereignisse in dieser Weise zu betrachten. Als Anregung dazu kann die klassische chinesische Parabel »Glück im Unglück – Unglück im Glück« dienen.

o

»Lobe den Herrn, meine Seele« (Ps 103,2) Die Ansprache regt dazu an, das durch eigenes Streben und Schaffen erreichte Gut im Leben auch als Frucht des gnädigen Handelns Gottes zu verstehen, aus dessen Hand wir unsere Gaben, Lebensenergie, Gesundheit usw. zuallererst empfangen haben.

o o

Gedanken zu einem Kunstgegenstand aus dem Besitz der Verstorbenen »Vielleicht« (1Kor 15,35–44; Joh 20,11; inspiriert vom Gedicht »Vielleicht« von Marie Luise Kaschnitz) – Tod einer aus der Kirche ausgetretenen Schriftstellerin Rainer Heimburger, in: Domay (Hg.), Beerdigung, 132–135.

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»Nicht machbar« (Ps 27,1–5.13–14) – Tod bei einer Operation Wolfgang Gramer, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 114–117.

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Weiterführung Ein Trauerfall ist ein Anlass, sich mit den Grund- und Grenzfragen des menschlichen Lebens in intensiver und existentiell relevanter Weise auseinanderzusetzen. Nachdem die Kirche im Alltag der Liberal-Intellektuellen in der Regel als »Kirche für andere« angesehen wird, kann sie mit ihrem seelsorgerlichen Begleitangebot auf dem Trauerweg auch als »Kirche für mich« bedeutsam werden. Es kann durchaus sein, dass die Hinterbliebenen auf eine Spende an die Kirchengemeinde bestehen (z.B. weil die Trauerfeier wider Erwarten unentgeltlich war); der Dank kann in einem persönlichen Schreiben oder besser durch einen Besuch zum Ausdruck gebracht werden. o

Einladung zum jährlichen Gedenkgottesdienst am Ewigkeitssonntag Bettina Naumann, Totensonntagsgottesdienste, in: Karl-Heinz Fix und Ursula Roth (Hg.), Lebensvergewisserungen, Gütersloh 2014, 190–209.

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Gesprächs- und Lesekreise zu Tod und Sterben (auch überparochial) kirchliche Fortbildungsangebote zum Thema Trauer und Trauerkultur Besuch einige Wochen nach der Bestattung Das Predigtmanuskript bzw. eine digitale Aufnahme der Predigt wird zur Verfügung gestellt; während des Besuchs wird nochmals ein Blick auf die Hauptgedanken der Predigt geworfen, um darüber ins Gespräch zu kommen und Rückmeldung zu erbitten.

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Literaturhinweis mit anschließendem Gesprächsangebot über die Eindrücke der Lektüre Verena Kast, Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Freiburg 32015. Hansjörg Znoj, Ratgeber Trauer. Informationen für Betroffene und Angehörige, Göttingen 2005.

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Milieu der Performer

Ich staune nicht schlecht, als sich über das Kontaktformular unserer Gemeinde ein Mann meldet, der mit mir über seine Bestattung sprechen will. Seine Nachricht klingt sehr sachlich. Wir verabreden uns für ein Gespräch – nicht etwa im Büro oder zuhause –, sondern in der Café-Bar »Hemingway« in der City. Etwas unsicher mache ich mich auf den Weg zu unserem Treffen. Als wir uns sehen, kann ich erahnen, dass er vermutlich an einer Krebserkrankung leidet – alles deutet auf eine chemotherapeutische Behandlung hin. Nach einem kurzen Kennenlernen kommt er schnell zur Sache. Er skizziert sein bisheriges Leben und lässt mich erkennen, dass er wenig dem Zufall überlassen möchte. Mit klaren Vorstellungen und einem hohen Einsatz hat er sein privates wie berufliches Leben aktiv gestaltet. Seit nunmehr drei Jahren lebt er mit einer Frau zusammen und hat in einer mittelgroßen Unternehmensberatung Karriere gemacht. Eigentlich sollte es für ein Jahr ins Ausland gehen, um ein internationales Projekt zu begleiten – da kam die ärztliche Diagnose dazwischen. Nach der dritten Bestrahlung machten ihm die Ärzte des renommierten Klinikums keine Hoffnung mehr und rieten ihm dringend, sich mit dem eigenen Sterben auseinanderzusetzen. Sie gaben ihm nur wenige Monate. Nach einigen schweren Wochen – so schildert er es mir – entscheidet er sich auch, diesen (vielleicht) letzten Schritt seines Lebens aktiv zu planen. Es soll ein Event werden, ein letzter Event eben. All das Erreichte im Leben soll nun angemessen »gefeiert« werden. In einem Blog schreibt er bereits, wie er sich auf diesen besonderen Tag vorbereitet. Weil er schon »ewig« bei keiner Bestattung mehr war, will er beim Pfarrer Informationen einholen. Die Bestatter waren ihm beim Gespräch viel zu konventionell. Die Beerdigung soll für alle ein unvergesslicher Moment werden. Sie soll keineswegs zu traurig sein. Er habe sehr intensiv gelebt, versichert er mir, und wünscht sich nun einen ebenso intensiven Abschied.

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem Milieu der Performer zugeordnet werden,

gehören zur multioptionalen, effizienzorientierten Leistungselite und verfügen über ein überdurchschnittlich hohes Haushaltsnettoeinkommen, weisen einen ausgeprägten Gestaltungswillen auf und nehmen ihr Leben aktiv und selbstbewusst in die eigene Hand, verstehen sich als Lifestyle-Avantgarde, lassen sich nicht auf konventionelle Lebensmuster festlegen, sondern bevorzugen Patchworking, sind herausragende Networker und können mehrere Prozesse simultan verarbeiten (Multitasking), integrieren die neuen Medien in alle Bereiche der individuellen Lebensgestaltung, besitzen in Beruf, Freizeit und Sport eine kompetitive Grundhaltung und suchen die persönliche Herausforderung, haben ein großes Interesse an sportlichen Aktivitäten (insbesondere Trendund Extremsportarten), stellen hohe Ansprüche an Qualität und Design und konsumieren gerne, um sich für Erfolge zu belohnen. 7 % der Bevölkerung (Tendenz steigend) Altersdurchschnitt 41 Jahre Bestattungsmusik »Only the Good Die Young« (Queen) »Enjoy the Silence« (Depeche Mode) »Angels« (Robbie Williams) »Young Blood« (Norah Jones) »Run wild. Live free. Love strong« (For King & Country) Bestattung und das Milieu der Performer Der Tod spielt in der Lebensweltlogik der Performer eine untergeordnete Rolle. In einer Zeit des intensiven Lebens wird die Realität des Todes nur am Rande bedacht. Oftmals begegnet der Tod innerfamiliär nur bei der Generation der Eltern. Ein frühzeitiger Todesfall (ggf. durch eine schwere Erkrankung oder einen Unfall) unterbricht die Lebensperformance und steht im Widerspruch zur individuellen »Macher-Mentalität«.

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An Wendepunkten des Lebens kann die Kirche eine bedeutsame Rolle spielen, sofern die Handlungsträger in der Lage sind, die christliche Botschaft in das Milieu der Performer zu transportieren. Der christliche Glaube widerspricht den Kernwerten der Rationalität und der Eigenverantwortung; er ist »weit weg« vom Alltagsleben. Dennoch wird in Zeiten der Unsicherheit und der Erschütterungen die professionelle Begleitung durch die Kirche geschätzt. Die Bestattung wird dann bedeutsam, wenn sie als individuell gestalteter religiöser Event zelebriert und somit als Schlusspunkt eines intensiv gestalteten Lebens erlebt wird. Die Pfarrerin wird zu Rate gezogen, weil hier eine spirituelle Kompetenz sowie professionelle Empathie erwartet wird. Die deutende Sprache, die Religiöses mit dem individuell gestalteten Leben verbindet, wird als hilfreich empfunden. Die aufrichtige Frage nach dem, was auch jenseits des Materiellen trägt und worauf man sich verlassen kann (»Sinn des Lebens«), darf offen angesprochen werden. Zur Selbstsicherheit und souveränen Alltagsbewältigung der Performer gesellen sich ein nachdenklicher Zug und die Bereitschaft, auch Schwäche und Ohnmacht zu zeigen. Der Bestattungs-Event ist dann gelungen, wenn er individuell, deutend und kreativ ist sowie vielfältige – mit den Angehörigen abgestimmte – Partizipationsmöglichkeiten eröffnet. Leicht überdurchschnittlich vertreten sind Feuerbestattungen (ca. 57 %), eine alternative Bestattungs- bzw. Grabart wird von über 17 % gewählt, der höchste Wert im Milieuvergleich. Der Anteil anonymer Bestattungen ist der geringste im Vergleich (nur 4,3 %). Kein anderes Milieu gibt mehr für eine Bestattung aus: Einem Drittel ist die Bestattung über 5000 € wert; im Durchschnitt liegt der Kostenaufwand bei den Performern bei fast 4500 €.

»Die Bestattung ist mein letzter Event.« Dos und Don’ts – Das Werteprofil des Milieus der Performer Performer tun sich schwer, wenn …

die Pfarrerin keine Bereitschaft zeigt, von der klassischen Bestattungsliturgie abzuweichen und dadurch individuelle Gestaltungsoptionen behindert, die äußere Form altmodisch, »billig« oder trivial wirkt, eine altertümliche, lebensferne Sprache verwendet wird und die Deutungsangebote lediglich als »richtige« Satzwahrheiten daherkommen, die Beerdigung nach ortsüblichen Ritualen ausschließlich auf dem Friedhof stattfinden kann,

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die Pfarrerin sich als risikoscheu zeigt, keine alternativen Bestattungsformen (aner-)kennt bzw. zulässt und sich ausschließlich an Konventionen orientiert, mit der Bestattung Erwartungen an die Angehörigen verknüpft sind, es während der Bestattung Restriktionen gibt, die eine Individualisierung behindern (z.B. Foto-/Filmverbot, Kleidervorschriften o.ä.). Performer freuen sich, wenn …

die Pfarrerin sich leistungsbereit und selbstbewusst als Expertin für christliche Religion und Spiritualität zeigt, die Bestattung anspruchsvoll gestaltet wird und nicht in das Korsett einer 30-minütigen Friedhofsfeier gezwängt wird, die Bestattung als Event mit persönlicher Handschrift inszeniert wird und Medien aller Art zum Einsatz kommen können (evtl. Livestream, Präsentationen mit Rückblicken o.ä.), während der Bestattung das Leben des Verstorbenen individuell gewürdigt und als »letztes großes Fest« gefeiert wird, ein hohes Maß an Flexibilität vorhanden ist, individuelle Gestaltungsspielräume eröffnet und auch exotische Ideen nicht gleich verworfen werden, die Pfarrerin die christliche Spiritualität zeitgemäß zu integrieren vermag, ggf. ein Pfarrer aus dem eigenen Netzwerk die Bestattung durchführen kann. Theologische Anknüpfung Ein glückliches und gelingendes Leben wird im Alten Testament mehrfach als Folge des göttlichen Segens verstanden (vgl. Gen 12). Gott beschenkt Menschen mit seinem Segen, der sich auch in materieller Weise auswirken kann. Im Neuen Testament werden die individuellen Begabungen ausführlich beschrieben (vgl. 1Kor 12; Röm 12,3–8). Diese Gnadengaben (Charismen) sollen eingesetzt und in der Gemeinschaft zur Entfaltung gebracht werden. Im Gleichnis von den »anvertrauten Talenten« (Mt 25,14–30) wird davor gewarnt, Begabungen und Talente ungenutzt zu lassen und sich in risikoloser Genügsamkeit zurückzulehnen. Ein »Leben in Fülle« (Joh 10,10) ist zugleich göttliches Geschenk und Ziel. Der Tod offenbart nun die Grenze des Machbaren. Im Sterben wird schmerzhaft erfahren, dass das menschliche »Leben und Weben« (Apg 17,28) an ein Ende kommen wird. Das Lebensende unterbricht den Prozess des aktiven Planens und Wirkens und offenbart sich zunächst als der letzte Feind des Menschen (1Kor 15,26). Die christliche Hoffnung durchbricht diese Begrenzung und eröffnet den Horizont einer neuen Lebensperspektive. Es bleibt die Hoffnung, dass das Netzwerk des »Reiches Gottes« auch über den Tod hinaus bestehen bleibt.

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Gott bleibt uns auch im Sterben verbunden. Unsere Gottesbeziehung ist nicht an die irdische Lebenszeit geknüpft. Bei aller Machbarkeit und Erfolgsideologie ist der Blick auf das Lebensende unumgänglich. Alles hat seine Zeit: Leben und Sterben (Pred 3). Daher gilt: »Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden« (Ps 90,12). »Evangelische Provokationen« Die Bestattung hinterfragt ein zentrales Leitbild der Performer: die Machbarkeit. Es mag im Leben gelingen, die eigene Karriere zu planen und erfolgreich zu sein. Im Sterben zeigt sich eine ultimative, unumgängliche Grenze. Mit dem Lebensende geht die Erfahrung der eigenen Ohnmacht einher. Der Tod wird zum Inbegriff der Grenze des Machbaren. Mit dem plötzlichen Tod kann ein Leben als unfertig, fragmentarisch oder sogar »low-performed« gedeutet werden. Die Machbarkeitsideologie (»Ich performe/leiste, also bin ich«) wird von der christlichen Relationsontologie (»Du, Gott, liebst mich, also bin ich«, Hans Joachim Eckstein) durchkreuzt. Die göttliche Liebe macht das gelebte Leben zu einem wert- und sinnvollen Leben. Die menschliche Identität kann letztlich nicht erarbeitet werden – sie ist empfangene Identität (»Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin«, 1Kor 15,10). Die Einsicht, dass die menschliche Erkenntnis zu Lebzeiten unklar und schwammig bleibt (1Kor 13,12), muss provozieren. Bei allem Streben nach Erfolg und Erkenntnis bleibt unser Bemühen Stückwerk und wird erst zukünftig Vollendung finden.

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Der Kontakt der Performer zur Kirche besteht in aller Regel aus sporadischen Besuchen bei bestimmten (familiären) Anlässen. Daher muss davon ausgegangen werden, dass der Kontakt während der Sterbebegleitung oder eben mit den Angehörigen erst aufgebaut werden muss. Auch wenn kaum ein Bezug zur Kirche bestand, werden christliche Deutungsangebote geschätzt, sofern sie mit entsprechender Überzeugungskraft kommuniziert werden.

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Wird ein Sterbender auf seiner letzten Reise begleitet, so kann auch der Moment des Sterbens im Vorfeld thematisiert werden. Im Moment der ultimativen Entschleunigung können Gefühle und Nähe artikuliert werden. Zur Vorbereitung auf das Trauergespräch wäre eine professionell zusammengestellte Informationsmappe (in ansprechendem Design) hilfreich, evtl. auch entsprechende Materialien, die über die Website der Kirchengemeinde zum Download bereit stehen. Grundsätzlich gilt, dass eine attraktive und informative Website mit den wichtigsten Informationen zum Thema sich als sehr hilfreich erweist. Wichtig ist, dass die Möglichkeit besteht, auf verschiedene Weise mit dem Pfarramt bzw. der Pfarrerin in Kontakt zu treten (E-Mail, Facebook, WhatsApp, SMS). Dabei muss eine zeitnahe Reaktion auf die Kontaktaufnahme gewährleistet sein. Abschied am Sterbebett/Totenbett

Texte aus dem »Sterbeblog« des Verstorbenen vorlesen, evtl. auch dort eingetragene Kommentare, die das weite, internationale Netzwerk repräsentieren Abschiedsstatements aus den sozialen Netzwerken (z.B. Facebook, WhatsAppGruppen) Einladung an die Angehörigen, individuelle Texte zu verfassen (z.B. einen Brief, ein Gedicht), die dem Sarg beigelegt werden Kerzen als Symbol der Anteilnahme und des stillen Gebets Segnungshandlungen für die Anwesenden (insbesondere Partner und Kinder), christliche Symbole (Kreuz, Kerze, Öl) Bemalen des Sargs Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Die Begegnung mit den Angehörigen ist an vielen Orten denkbar (in einem Café, der Szenekneipe, in der Kirche, zu Hause oder ggf. auch im Pfarramt). Wichtig ist es, auf die individuellen Vorstellungen und Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. o Ein professionelles Zusammenwirken zwischen Gemeinde, Bestatter und den Angehörigen eröffnet eine adäquate Arbeitsebene. o Die Angehörigen befinden sich in einer besonderen Krisensituation, da der aufgrund der Altersstruktur dieses Milieus recht frühe Tod als existentielle Erschütterung erfahren wird und viele Fragen offen lässt; trotzdem muss man »funktionieren« und eine Vielzahl an Behördengängen auf sich nehmen. o Es wird erwartet, dass auf konkrete Fragen kompetente Antworten folgen und auf individuelle Wünsche angemessen eingegangen wird. Wichtig ist dabei, den Angehörigen breite Partizipationsmöglichkeiten bei der Gestaltung der Trauerfeier einzuräumen. Die gemeinsame Erar-

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beitung des Ablaufs wird nicht mit einem einzigen Gespräch abgeschlossen sein. Es bedarf weiterer Kommunikationsprozesse, um den höchst individuellen Anspruch umsetzen zu können. Themen des Gesprächs o das Ende eines kurzen, aber intensiven Lebens – eines »Events«: Was waren die besonderen Highlights? Welche Erfolge wurden gefeiert? Welche Ziele erreicht? Was zeichnet den Verstorbenen in besonderer Weise aus? o der Tod als die Grenze des Machbaren: Welche Fragen bleiben offen? Wie erlebte der Verstorbene die Machtlosigkeit gegenüber dem Prozess des Sterbens? Wie ging er mit dem »Hereinbrechen« der Krankheit um? War ein Wandel seiner »Lebensphilosophie« spürbar? o gemeinsame Erinnerungen und Erfahrungen als Brücke hin zu theologischen Fragen o die gewählte Bestattungs- bzw. Grabart als Impuls für ein Gespräch über das Verständnis von Leben und Tod (jeder Sechste aus dem Milieu der Performer findet in einer alternativen Bestattungs- bzw. Grabart seine letzte Ruhe) o eine alternative Trauerfeier als Pendant zur alternativen Bestattungsart o Erarbeitung eines individuellen Liturgieentwurfs, in dem ein großer Teil von den Angehörigen und Freunden verantwortet wird Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

Eine »alternative« Trauerfeier kommt dem Wunsch nach individueller Beteiligung und Gestaltungsfreiheit am Nächsten. Experimentellem ist ebenso Raum zu geben wie dem phantasievollen Einsatz von Medien. Findet neben der Trauerfeier (z.B. im Andachtsraum des Friedhofs oder an einem besonderen Ort des Verstorbenen) eine zeitlich versetzte, separate Beisetzung statt, so können diese beiden Formate genutzt werden, um auf unterschiedliche Wünsche und Anregungen einzugehen. Alternative Bestattungsformen werden besonders häufig gewählt, was für den äußeren Rahmen und die inhaltliche Gestaltung der Trauerfeier produktiv aufgenommen werden kann. Tonalität der Trauerfeier

Die Trauerfeier wird entweder als ein spirituelles »Ereignis« inszeniert, das viel Raum zur kreativen, individuellen und interaktiven Ausgestaltung lässt und auch im Vollzug flexibel und offen (»multioptional«) bleibt, oder es wird bewusst ein Kontrapunkt zur Eventorientierung der Performer gesetzt und eine meditative, besinnliche Atmosphäre angestrebt (ein »stiller Event«).

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In jedem Fall ist die Feier als gemeinschaftliches Projekt formatiert und wird nicht standardisiert abgespielt. Die liturgische Gestaltung ist anspruchsvoll, partizipativ und herausfordernd. Traditionen haben durch feinsinnige Re-formulierungen durchaus ihren Platz. Der Person der Pfarrerin kommt in diesem Fall eine zentrale Bedeutung zu, da sie sich in besonderem Maße auf den Kontext und die anwesenden Personen einlassen muss. Wichtig ist dabei, dass ihre Worte ehrlich, engagiert und überzeugend formuliert werden. Die liturgischen Handlungen werden nicht bloß äußerlich vollzogen, sondern »ereignen sich« und erlangen eine persönliche, konkrete Bedeutung für die Anwesenden. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Video-Loop zum Thema »Mein Tod« (ggf. inspiriert von Gesprächen mit dem Verstorbenen oder gar von ihm selbst noch in Szene gesetzt) o Einspielung des O-Tons des Verstorbenen durch eine letzte Audiobzw. Videobotschaft o der »Lebensfilm« des Verstorbenen Tobias Pollmüller, Trauerarbeit durch »Lebensfilme«, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 139–150. Aus Fotografien und Videos wird eine Art »visuelles Erbe« des Verstorbenen erstellt. Mit moderner Computertechnik und einem dramaturgischen Gesamtkonzept entstehen biografische Erinnerungswerke. www.lebensfilm.de

Momente des Schweigens und der Stille unterschiedliche Musikstile und fremde Texte (professioneller) Vortrag eines Liedtextes im Stile der »Live-Lyrics« (vgl. SWR3), instrumental unterlegt, daran angeschlossen evtl. passende Psalmworte in moderner Übertragung o eine im Vorfeld erstellte Totenmaske in den Ablauf integrieren und ihren Symbolgehalt deuten Beteiligungsmöglichkeiten o Verlesung eines Textes, der noch vom Verstorbenen verfasst wurde o interaktive Phasen während des Gottesdienstes (z.B. Luftballons steigen lassen, Karten schreiben und dem Sarg beilegen) o Verteilen von Karten im Scheckkarten-Format mit einem Bild des Verstorbenen (in Anlehnung an die traditionellen »Totenbildchen«), um während des Gottesdienstes oder auch danach für den Verstorben zu beten o Entzünden von Kerzen zu bestimmten Stationen des Lebens

o o o

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o

Vergegenwärtigung der Lebensstationen des Verstorbenen durch künstlerische Elemente, Installationen oder einen Poetry-Slam (als Alternative zum Verlesen des Lebenslaufs)

Lieder

Menschen aus dem Milieu der Performer haben kaum noch Bezug zu kirchlichem Liedgut (darüber ist im Vorfeld zu sprechen). Öffentliches Singen ist ihnen fremd. Allerdings kommt der Musik in ihrem Leben meist eine herausragende Bedeutung zu. Daher wird es die Aufgabe des Gesprächs sein auszuloten, welche Musikstile im Verlauf der Trauerfeier Anknüpfungen zum Leben des Verstorbenen herstellen. Über bewusst ausgewähltes modernes christliches Liedgut lässt sich ggf. eine Brücke bauen. Zentral bleibt die Frage nach persönlichen Lieblingsliedern. Meist bieten die Texte wertvolle Brücken zum Leben des Verstorbenen, die in der Verkündigung aufgenommen werden können. Auch der Einsatz einer Live-Band ließe sich erwägen, wenn dies mit dem »Stil« des Verstorbenen zusammenpasst. Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Über die Ziellinie« Es geschah im Jahre 1992 beim Olympia Halbfinale des 400-Meter-Laufes in Barcelona. Derek Redmond war einer der großen Favoriten. Viele Monate hat er sich mit beeindruckendem Einsatz auf dieses entscheidende Rennen vorbereitet. Erst kurz vor Olympia hatte er im 400-Meter-Lauf den britischen Rekord gebrochen. Der Wettlauf hatte ganz normal begonnen. Derek Redmond hatte einen sehr guten Start hingelegt und lag vorne. Kurz vor Schluss passierte aber etwas Besonderes – etwas Dramatisches! Etwa hundert Meter vor der Ziellinie begann er abrupt zu humpeln. Plötzlich – mitten im Lauf – ein Muskelfaserriss. Derek Redmond, der Favorit, musste zusehen, wie alle Läufer an ihm vorbeizogen. Unter großen Schmerzen versucht er, sich aufzurappeln, um das Ziel doch noch zu erreichen. Doch vergebens – er schaffte es nicht. An dieser Stelle lassen sich persönliche Details der verstorbenen Person einfügen. Das Leben ging viel zu früh zu Ende. Das geplante Ziel wurde nicht erreicht ... Plötzlich durchbricht ein Mann die Absperrungen. Die Fernsehkameras schwenken auf diesen kleinen Mann, der sich an den Absperrungen vorbeidrängt und selbst die verdutzten Sicherheitsleute zur Seite schiebt. Er rennt dem humpelnden Läufer entgegen, der sich mühsam voranschleppt. Liebevoll legt der ältere Mann seinen Arm um den verletzten Läufer und stützt ihn mit der anderen Hand. Millionen von Zuschauern auf der ganzen Welt werden Zeugen einer Sensation. Der Mann von der Tribüne war Dereks Vater, der seinen Sohn in diesem Moment nicht alleine lassen konnte. Der Vater sagte ihm, dass er nicht weiterlaufen müsse. Aber Derek will unbedingt die Ziellinie erreichen. Da

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antwortet sein Vater: »Dann werden wir es eben gemeinsam schaffen!« Unter tosendem Applaus der 70.000 Zuschauer überqueren Vater und Sohn – Arm in Arm – die Ziellinie. Wir sind hier zusammen und können nicht fassen, dass P.S. so früh sterben musste. Er hat den geplanten Lauf nicht vollenden können. Unerwartet und plötzlich kam die schockierende Diagnose der Ärzte. So schwer es ist – es gibt Herausforderungen im Leben, die können wir nicht alleine meistern. Es gibt Situationen, wo wir mit unseren Fähigkeiten an unsere Grenzen stoßen. An dieser Stelle sind einige persönliche Bezüge denkbar Dennoch dürfen wir wissen, dass P.S. im Moment des Sterbens nicht alleine war. Gott ist treu. Auch wenn wir uns einsam und verlassen fühlen mit unserer Krankheit. Selbst im Moment des Sterbens dürfen wir gewiss sein, dass Gott die Absperrungen durchbricht, um uns auf den letzten Metern zu begleiten. Er liebt es, uns in die Arme zu nehmen und mit uns über die Ziellinie zu gehen. Die Ansprache kann in das ermutigende Wort des Propheten Jesaja münden. Hier wird deutlich, dass Gott derjenige ist, der das unvollendet Gebliebene vollenden wird. »Alle, die ihre Hoffnung auf den Herrn setzen, bekommen neue Kraft. Sie sind wie Adler, denen mächtige Schwingen wachsen. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und sind nicht erschöpft« (Jes 40,31). Die beschriebene Szene des Laufes von »Derek Redmond« findet sich im Internet und ließe sich ggf. einspielen, um dann im Anschluss in der Ansprache Bezug darauf zu nehmen. www.youtube.de (Suchbegriffe: »Derek Redmond Barcelona«)

Weitere Impulse o die gewählte, »alternative« Bestattungsform im Licht der christlichen Auferstehungshoffnung o das »ewige« Gedächtnis des Internets und das Gedächtnis Gottes o der QR-Code auf dem Grabstein und die »virtuelle«, himmlische Wirklichkeit o Reflexionen zum »Lebensfilm« des Verstorbenen (s.o.) Weiterführung Der entstandene Kontakt zu den Angehörigen kann genutzt werden, um auch über die Bestattung hinaus professionell zur Seite zu stehen. Da die meisten Kirchengemeinden wenig (bis keine) Angebote für Performer haben, sind es primär die alltäglichen Schnittstellen, die auch weiterführende Gespräche eröffnen können. Im Rahmen der Bestattung werden besondere Talente und Kompetenzen der Angehörigen sichtbar (z.B. Kunst, Musik, Medien, Layout, Design), die auch im Kontext des Gemeinde zum Tragen kommen können. Insbe-

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sondere der Kontakt über soziale Medien wie Facebook und Twitter erweist sich als hilfreich. Hinweis auf trauerbegleitende Angebote im Netz www.trauernetz.de (ein Angebot der evangelischen Kirche)

kirchliche Veranstaltungen mit spezifischem Zuschnitt (z.B. Retraite im Kloster, Glaubenskurs »Expedition zum Ich – In 40 Tagen durch die Bibel«) www.kloster-volkenroda.de/kloster-auf-zeit.html

Feier am Ewigkeitssonntag zum Gedenken an den »letzten Event meines Lebens« Die Angehörigen verwalten das digitale Erbe des Verstorbenen und bereiten es für die Feier auf, indem sie eine Auswahl an Texten, Kommentaren und Bildern präsentieren.

»Tagzeitengebete für den Alltag« als bewusster Kontrapunkt zur Leistungsideologie Sebastian Steinbach, Lebensliturgie. Tagzeitengebete für den Alltag, 2015. www.churchconvention.de (Suchbegriff: »Lebensliturgie«)

geistliche Impulse aus der Frömmigkeitsgeschichte, Anregungen für die eigene Meditation Christina Brudereck, Zeit des Meisters, 2Flügel Verlag 2014.

projektbezogene und kompetenzorientierte Mitarbeit in der Gemeinde (z.B. Leitbildprozess, Öffentlichkeitsarbeit, kulturelle Events)

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Expeditives Milieu

Ich spüre eine gewisse Ratlosigkeit. Das Leben bzw. den Lebensstil ihrer Tochter haben die Eltern nie richtig verstanden. »Sie war eigentlich ständig unterwegs«, erzählt Frau W. »Dabei hätte sie doch auch hier studieren können. Ich meine, einmal wechselt ja bestimmt jeder seinen Studienort, aber gleich drei Mal?« Auch sonst scheint N. viel unterwegs gewesen zu sein und ausprobiert zu haben. Studium in Prag, Heidelberg, Aberdeen und Paris. Dann beruflich zwei Jahre in China, bevor sie in Deutschland eine gutbezahlte Projektleitungsstelle annahm. Da sie und ihr Freund, der beruflich in Spanien gebunden war, mehr Zeit miteinander verbringen wollten, kündigten sie schließlich zeitgleich ihren Job, um gemeinsam eine Weltreise zu machen. »Über ihren Blog und via Twitter hat sie uns und ihre Freunde auf dem Laufenden gehalten«, schaltet sich jetzt der jüngere Bruder ein, der ebenfalls mit im Wohnzimmer sitzt, von dem man eine beeindruckende Aussicht auf die Stadt genießt. »Es war ihr immer anzumerken, dass sie Kunstgeschichte studiert hat. Das zeigen ihre Bilder und Artikel. Sie hatte einen Faible für besondere Gebäude und Orte.« Auf seinem Tablet zeigt er mir die Blogeinträge seiner Schwester aus dem letzten Reisejahr. Mich beeindrucken vor allem die fotografierten Innenansichten von Kirchen, Kapellen oder auch Fabrikgebäuden, in die hinein N. mit großer Kunstfertigkeit Menschen in den unterschiedlichsten Posen und Ausdrücken zeichnete. »Aber jetzt ist sie tot!« – sagt Herr W. »Und wir wissen noch nicht mal, woran genau sie vorgestern gestorben ist. In Tansania arbeiten die Behörden viel zu langsam! Im Moment bleibt uns nichts anderes, als darauf zu hoffen, dass ihr Freund J. endlich mehr herausfindet, und darauf zu warten, dass sie nach Deutschland überführt wird.«

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem expeditiven Milieu zugeordnet werden,

sind sowohl in der digitalen Welt als auch im analogen Leben gut vernetzt, sind leistungsorientiert, flexibel und mobil (im sozialen, kulturellen, mentalen und geographischen Sinne), erweisen sich als ausgeprägte Individualisten, sind ständig auf der Suche nach neuen Grenzen, verstehen sich als liberal, undogmatisch, nonkonformistisch, als pragmatisch, zielstrebig und gelassen, gelten als gesellschaftliche Avantgarde, weil sie es schaffen, einerseits die hohen Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft zu erfüllen, andererseits ihren Alltag zugleich nach hochindividuellen Zielen zu gestalten, nutzen in ihrer Freizeit intensiv die modernen Medien und sind weit überdurchschnittlich aktiv: sportlich, kulturell und sozial, sind vielfach ledig und Singles (viele leben noch im Haushalt der Eltern), sind zu 40 % noch in der Ausbildung bzw. vergleichsweise hoch gebildet (geringster Anteil an Hauptschulabschlüssen, höchster Anteil an Abiturienten), sind, falls schon berufstätig, überdurchschnittlich häufig Selbständige und Freiberufler, hoch qualifizierte und leitende Angestellte. 6 % der Bevölkerung (Tendenz steigend) Altersdurchschnitt 28 Jahre Bestattungsmusik »Teen Age Riot« (Sonic Youth) »Smoke & Mirrors« (Tokiomonsta) »Moon« (Björk) »Over And Over« (Hot Chip) »Midnight City« (M83) »Brennisteinn« (Sigur Rós) Bestattung und expeditives Milieu Das junge Durchschnittsalter in diesem Milieu macht es so gut wie unmöglich, dass Expeditive eines »natürlichen« Todes sterben. Die Todesursache wird in aller Regel eine Krankheit, ein Unfall oder ein anders gearteter Unglücksfall sein. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die unmittelbaren Angehörigen (meist die Eltern) demselben Milieu angehören wie die Verstorbene. Das macht die

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anstehende Trauerfeier zu einem Spannungsfeld: Soll den (aller Voraussicht nach nicht-expeditiven) Wünschen der Angehörigen entsprochen werden? Oder dem (expeditiven) Lebensgefühl des Verstorbenen und seines Lebensumfelds? Falls die Trauerfeier eine expeditive Prägung aufweisen soll, gilt für Vorbereitung und Durchführung die Maxime: Möglichst wenig »Kirchlichkeit«. Institutionalisierte Religion und konventionelle kirchliche Praxis werden innerhalb des Milieus abgelehnt. Eine auf das expeditive Milieu zugeschnittene Trauerfeier wird ein sehr individuelles, auf das Leben des Verstorbenen zugeschnittenes Gepräge haben. Hier ist es besonders hilfreich, wenn vom Verstorbenen eigene Gedanken und Wünsche bezüglich seiner Trauerfeier bekannt sind. Im Krankheitsfall ist durchaus damit zu rechnen, dass sich Expeditive aktiv mit Fragen nach Sterben, Tod und Leben nach dem Tod auseinandergesetzt haben. Die Aufgabe des Pfarrers wird darin gesehen, den Übergang als »Mystagoge« spirituell zu gestalten und die mit dem Tod ins Leben ragende »andere« Dimension zu erschließen. Ein erstaunlich hoher Anteil, der höchste im Milieuvergleich, wird traditionell im Sarg bestattet (über 53 %), recht niedrig ist hingegen der Anteil der anonymen Bestattungen (ca. 8 %). Die meist hochpreisigen alternativen Bestattungs- und Grabarten werden kaum angefragt; die durchschnittlichen Ausgaben für eine Bestattung liegen bei ca. 3700 €, der viertniedrigste Wert. (Die Werte spiegeln den Umstand, dass bei einem Todesfall im jungen Milieu der Expeditiven die Elterngeneration die Entscheidungen trifft.)

»Sie ist wieder unterwegs!« Dos und Don’ts – Das Werteprofil des expeditiven Milieus Expeditive tun sich schwer, wenn …

der Eindruck entsteht, dass hier eine Trauerfeier nach »Schema F« abgehalten wird, die einer traditionellen, »gewöhnlichen« Ästhetik und Form folgt, zu viel geredet und zu wenig erfahren wird, sie in der Vorbereitung auf festgelegte, als dogmatisch empfundene Haltungen stoßen und für sie keine Bereitschaft zu erkennen ist, in Hinblick auf die Trauerfeier kreative und ungewöhnliche Wege zu gehen, eigene Wünsche und Vorstellungen nicht oder zu wenig berücksichtigt werden. Expeditive freuen sich, wenn …

sie sich in Ablauf, Ästhetik und Inhalt der Trauerfeier selbst aktiv und kreativ mit einbringen können,

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in der Trauerfeier die grenzüberschreitende Dimension des Todes nicht nur angesprochen, sondern auch erfahrbar wird und alle Sinne angesprochen werden, sie auf Qualität treffen, die Trauerfeier etwas Avantgardistisches ausstrahlt und Raum für experimentelle Formen bietet. Theologische Anknüpfung Die starke Mobilität und Flexibilität der Expeditiven hat Anklänge an das »Nomadentum« biblischer Personen (von Abraham über Jesus bis zu Paulus). In diesen Bereich gehört auch das wiederkehrende Motiv des Abschiednehmens, das sich sowohl durch biblische wie auch durch expeditive Biographien zieht. Der Tod ist dann die Abschiednahme schlechthin. Konkrete, personifizierte Gottesverheißungen (Gen 12,2: »Ich will dich segnen, du sollst ein Segen sein.«) entsprechen dem expeditiven Streben nach Individualität. Der Tod kann (auch) als Transformation, als Erweiterung der Möglichkeiten gesehen werden. Der Tod ist der ultimative Übergang in eine neue Lebenswirklichkeit. Der Mensch ist ein einzigartiger Gedanke Gottes, der die konkrete, individuelle Biographie des Einzelnen umgreift. »Evangelische Provokationen« Die im expeditiven Lebensentwurf radikal zu Tage tretende Selbstbestimmung und die Überzeugung, ausschließlich sich selbst gegenüber verantwortlich zu sein, steht in Spannung zu der christlichen Überzeugung, dass wir nach unserem Tod Gott gegenüber einmal Rechenschaft ablegen müssen (z.B. 2Kor 5,10). Einige biblische Motive deuten die Ewigkeit als ewige Ruhe, Stille und Frieden (z.B. Jes 32,17; Hebr 4,3). Für expeditive Ohren klingt dies zunächst ausgesprochen langweilig; himmlische Ewigkeit meint aber einen Raum stets weitergehender Individuation und Erfüllung im Angesicht Gottes. Der Tod ist das Ende aller eigenen Gestaltungsfreiheit. Als einzig Aktiver und Gestaltender bleibt nur mehr Gott, der nun an dem Leben des Verstorbenen neu schöpferisch tätig wird.

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Aufgrund der großen inneren Distanz zur institutionalisierten Kirche ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Sterbender aus dem expeditiven Milieu kirchliche Sterbebegleitung durch den Pfarrer in Anspruch nimmt. Expeditives Leben und Sterben findet außerhalb der Kirche und ihrer Angebote statt. Da das expeditive Milieu praktisch nur aus jüngeren Menschen besteht, wird der Tod für die (häufig nicht-expeditiven) Angehörigen stets ein massiver Einschnitt und Schock sein. Eine Aussegnung durch den Pfarrer kann den Angehörigen deshalb beim Begreifen des eigentlich Unvorstellbaren helfen. Eine eigene, »milieusspezifische« Aussegnung bzw. Abschiedszeremonie mit dem sozialen Netzwerk kann sich an dessen Bedürfnissen orientieren und die Erfahrungsdimension stärken. Abschied am Sterbebett/Totenbett

Bezeichnung mit dem Kreuz (unter Verwendung von Öl), Musik im Hintergrund, Kerzen »Bilder der Stille« Werner Kirsch hat zusammen mit dem Bestattungsinstitut Pütz & Roth das Projekt »Bilder der Stille« ins Leben gerufen. Er fotografiert Verstorbene mit einem künstlerischen Anspruch, der jede Form von Voyeurismus vermeiden will. Behutsamkeit und Pietät haben für ihn Priorität. Werner Kirsch, Fotografien von Verstorbenen, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 134–138.

»Totenmaske« Künstler beleben zurzeit die uralte Tradition der Totenmaske wieder. Frank Bratting, Totenmasken, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 74–82. www.koerper-form.de

in Eigenarbeit hergestellter, bemalter Sarg Selber künstlerisch aktiv können Expeditive werden, indem sie den Sarg selber bauen und/oder bemalen. Auch kann der Verstorbene auf frischem, duftendem Heu gebettet werden, statt auf Zierkissen und Decke. Alfred Opiolka, Sarggestaltung mit Symbolen des Lebens, in: Roth/ Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 74–82. www.sargladen.com www.colourfulcoffins.com

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Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Aufgrund des jungen Alters dieses Milieus ist davon auszugehen, dass das Trauergespräch zunächst mit den Eltern des Verstorbenen geführt wird. o Divergenzen in der Milieuzugehörigkeit führen zu unterschiedlichen Auffassungen, etwa was Gestaltungswünsche zur Trauerfeier oder die Bestattungsart betrifft. Falls es also eine Art verfassten Willen der verstorbenen Person gibt, tun sich die Angehörigen eventuell schwer damit. o Möglicherweise gibt es eine enge Freundin der Verstorbenen, zu der die Eltern Vertrauen haben. Sie könnte auch zum Gespräch eingeladen werden und »verstehen helfen«. o Wenn Eltern ein Kind verlieren, erschüttert dies die Welt der Betroffenen in einem besonders hohen Maß. Besondere Einfühlung ist erforderlich, wenn möglicherweise der Kontakt (aufgrund der völlig anderen Lebenswelt des Verstorbenen) schon eine geraume Zeit nur lose oder gar ganz abgebrochen war. Die Frage nach verdeckten Schuldzuweisungen könnte (unausgesprochen) eine Rolle spielen. o Zu erwägen ist ein separates Treffen mit engen Freunden der Verstorbenen, evtl. an einem »dritten« Ort wie einem Café oder in einem Werkraum, um den Sarg zu gestalten (s.o.). Themen des Gesprächs o das Trauma, ein eigenes Kind beerdigen zu müssen Kerstin Lammer, Trauer verstehen. Formen, Erklärungen, Hilfen, Berlin/Heidelberg 42014.

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neben dem Schmerz und dem möglichen Unverständnis für die Lebenswelt der verstorbenen Person auch Bewunderung für deren Mobilität, Kreativität und Flexibilität (Stichwort: Lebenskünstler) die eigenen Auf- und Abbrüche der Eltern in ihrer Jugendzeit verschiedene, konfligierende Auffassungen vom Sinn und Ziel des Lebens Vorbereitung der Feier unter Berücksichtigung und Einbindung des sozialen Netzes; passende Songs und Texte das digitale Vermächtnis der Verstorbenen (z.B. Facebook-Account, Blogs, Twitter und dergleichen) als Impulsgeber für die Gestaltung der Trauerfeier Gibt es hier Texte und Bilder, die die Angehörigen teilen wollen und die zu einem tieferen Verständnis der Person führen? Wie wird nach dem Tod mit dem Internet-Erbe umgegangen?

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Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

Die Sargbestattung ist die mit Abstand am häufigsten gewählte Form bei Verlust eines Menschen aus dem expeditiven Milieu. Hintergrund ist wohl, dass die Angehörigen nicht im gleichen Maße zu Experimenten neigen wie die Verstorbenen – schon gar nicht im Angesicht eines viel zu frühen Todes. Von der eigenen Milieulogik der Expeditiven her gedacht gibt es jedenfalls eine Affinität zu alternativen Bestattungsformen (Seebestattung, Friedwald, Almwiesenbestattung). Falls von den Angehörigen auch ein anderer Ort als der Andachtsraum des Friedhofs oder die Kirche in Betracht gezogen wird (ein Ort, der besser zu der Verstorbenen passt), sollte dies ein Ort mit einer gewissen Weite und einer alternativ-spirituellen Ausstrahlung sein (z.B. eine Kapelle auf einem Hügel, eine alte Klosterruine; aber auch eine alte Fabrikhalle oder ähnlich »hippe« Orte in einer Stadt könnten in Frage kommen). Es ist zu überlegen, ob die Trauerfeier mit einer Kamera aufgenommen und anschließend ins Netz gestellt (oder sogar »live« übertragen) werden kann. Auf diese Weise können auch weit entfernt lebende Freunde und Bekannte Abschied nehmen. Tonalität der Trauerfeier

Der Trauerfeier haftet etwas Aufbruchhaftes, Grenzüberschreitendes an. Die Trauerfeier ist ein »Ereignis« mit viel Raum zu individueller und kreativer Ausgestaltung. »Fremde« und unkonventionelle, aber inspirierend empfundene Elemente werden bewusst eingesetzt (z.B. Gregorianik, Unterbrechungen und mystische Gebetssprache). Der Einsatz von Beamer und Multimedia könnte einerseits zu gewöhnlich wirken, zu wenig »avantgardistisch«. Andererseits bietet ein solcher Einsatz die Möglichkeit, all die unterschiedlichen Orte, Menschen und Tätigkeiten der Verstorbenen noch einmal gegenwärtig werden zu lassen. Eigene kreative (evtl. auch künstlerische) »Produkte« des Verstorbenen können einen Hinweis auf die anzustrebende Ästhetik und die anzustrebenden Mittel der Trauerfeier geben; nach Möglichkeit werden sie am Ort der Trauerfeier ausgestellt und zum Thema gemacht. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Musik, Schweigen, anspruchsvolle Gedichte und mystische (Gebets-) Texte als tragender Rahmen der Liturgie o spirituell und ästhetisch passende Lieder abspielen, ggf. deren Übersetzung im »voice over«-Stil vortragen

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Deutsche Lyrics werden vorgelesen, während im Hintergrund der Originalsong vom Band läuft. Alexi Murdoch, »Towards the sun« und »Blue mind« Gungor, »This is not the end« This is not the end This is not the end of this We will open our eyes wide, wider …

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»Der Tod besiegt das Leben nicht« (Gedicht) Maibaum, Abschiedsbuch, 80f.

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»Ein Trauernder nimmt Abschied« (Gedicht) Maibaum, Abschiedsbuch, 79f.

o Einsatz von Weihrauch Beteiligungsmöglichkeiten o ein schriftlicher oder auf Band aufgenommener O-Ton des Verstorbenen (evtl. sogar mit Selbstdeutung des eigenen Lebens) o ein interaktiver Rundgang durch Lebensstationen des Verstorbenen mit ästhetisch anspruchsvollen Stellwänden, gespickt mit »Lebensbildern« und der Möglichkeit für Kommentare im Stile eines Schreibgesprächs (anstelle eines vorgetragenen Lebenslaufes durch den Liturgen) o Ausstellung und Betrachtung einer von Freunden und Weggefährten des Verstorbenen gestalteten Skulptur (oder eines anderen Kunstwerks) mit Deutung und Widmung o Tänzerische Performance Felix Grützner, Lebenstanz, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 151–159. www.lebenstaenzer.de Lieder

Öffentliches Singen wirkt befremdlich, traditionelles kirchliches Liedgut ist unbekannt. Dennoch spielt Musik eine zentrale Rolle im Leben der Expeditiven, auch als spiritueller Erfahrungsraum. Es gilt, Anklänge an den »Soundtrack des Lebens« des Verstorbenen zu schaffen und zugleich mithilfe der Musik eine Brücke in den christlichen Raum zu schlagen. Das Lieblings- bzw. Lebenslied des Verstorbenen kann eine tragende Funktion bei der Trauerfeier einnehmen. Bei fremdsprachigen Texten ist es möglich, das Original in gedämpfter Lautstärke abzuspielen und gleichzeitig eine deutschsprachige, möglichst poetische Übersetzung des Liedtextes zu verlesen (»voice over«).

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Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Überblendungen« Eine der bahnbrechenden Erfindungen in der Filmschnitttechnik heißt: Überblenden (»Dissolve«). Damit ist es möglich, zwei völlig voneinander getrennte Bilder miteinander zu verbinden. Je nachdem, wie die Schnittmeister vorgehen, kann es sein, dass bei extrem verlangsamter Überblendung für einen Augenblick zwei Bilder auf einmal sichtbar sind. Nämlich dann, wenn man den Film an dieser Stelle anhalten würde. Heute ist so ein Moment. Das eine Bild ist N.W., so wie wir sie in Erinnerung haben und wie sie noch vor wenigen Tagen war: lebendig, fröhlich, kraftvoll, immer im Aufbruch. Und dann das andere Bild: ihr Sarg, hier vor uns. Zwei Bilder zugleich, die Überblendung vom Leben in den Tod. Lassen Sie uns miteinander das erste Bild anschauen: N.W., so wie wir sie in Erinnerung haben. Rückschau: Hier kann aus dem Leben der Verstorbenen erzählt werden bzw. deren Leben noch einmal »sichtbar« gemacht werden durch Ausstellung von Spuren, sie hinterlassen hat: z.B. Kunstwerke, Blog-Einträge aus dem Netz, Filmaufnahmen. Einerseits ist N.W. also noch ganz unter uns: Ihre Erinnerungen sind lebendig in uns, ihr Körper ist noch da. Und andererseits merken wir, dass sie auch schon ganz weg ist. Ihr Lachen – verstummt. Ihr Atem – gewichen. Ihre Bewegung – erstarrt. Zwei Bilder zugleich, die Überblendung vom Leben in den Tod. Die spannende Frage ist, ob das zweite Bild, das vom Tod, zugleich der Schluss ist, das Ende. Ob der Lebensfilm von N.W. mit diesem Bild hier vor uns, dem Sarg, endet. Oder ob dieser Film noch weitergeht. Ob das Leben von N.W. einfach abgebrochen ist, oder ob sie noch einmal, ein letztes und entscheidendes Mal aufgebrochen ist – hinein in eine neue Wirklichkeit. Ich persönlich glaube Letzteres: dass N.W. noch einmal aufgebrochen ist – hinein in eine neue Wirklichkeit! Von dieser Wirklichkeit möchte ich Ihnen erzählen … Weitere Impulse o Interpretation eines Liedes, das im Leben des Verstorbenen eine wichtige Rolle gespielt hat o Bezugnahme auf Motive, Kunstwerke oder Bilder aus dem Leben des Verstorbenen o ungewöhnliche Reiseziele und das Ziel der letzten Reise o Symbolik des Körperschmucks (Tattoos, Piercings, Implantate)

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Weiterführung Eine dauerhafte Verbindung der expeditiven Hinterbliebenen mit der lokalen Kirchengemeinde ist nicht zu erwarten. Der persönliche Glaube wird jenseits der institutionalisierten Religion gelebt. Aus diesem Grund sind persönliche Kontakte und Begegnungen sowie Hinweise auf dem Milieu entsprechende Veranstaltungen besonders wichtig. Die Pfarrerin als Expertin in spirituellen Fragen ist da gefragt, wo sie als Wegführerin in die – auch abgründigen – Geheimnisse des christlichen Glaubens eine Hilfe sein kann. einen Blog einrichten mit dem Angebot an Angehörige und Freunde, ihren Trauerweg zu teilen Nachtreffen am Geburtstag des Verstorbenen mit Angehörigen und nahestehenden Freunden, zu dem ein Gestalttherapeut eingeladen wird, der die Fragen und Nöte in kreative Bahnen lenkt »Kunst der Erinnerung« Zu einer regionalen Künstlerin wird Kontakt hergestellt. Gemeinsam mit ihr wird ein Erinnerungsschmuckstück oder ein anderes Kunstwerk mit Erinnerungsgegenständen kreiert.

Gedenkfeier am ersten Todestag Am ersten Todestag des Verstorbenen findet in einer kleinen Kapelle ein Treffen mit einer kleinen Ausstellung statt. Bilder, Texte und Gegenstände des Verstorbenen werden mitgebracht. Aufgabe des Pfarrers ist es lediglich, einen »spirituellen Ort« zu Verfügung zu stellen und eventuell geistliche Texte, die gemeinsam gelesen werden können, anzubieten. Christina Brudereck, Zeit des Meisters, 2Flügel Verlag 2014.

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Milieu der Bürgerlichen Mitte

Ich betrete den Wohnbereich der Trauerfamilie. Helle Holzstühle und eine Eckbank stehen um den Esstisch. Die orangenen und blauen Farben der Sitzpolster, der Tapete, der Wandbilder und sogar der Tischdecke sind aufeinander abgestimmt und verbreiten eine warme Atmosphäre. Alles liegt bereit. »Wir haben hier mal etwas aufgeschrieben. So, bitte schön. Und auch die ganzen Urkunden rausgelegt. Mit dem Bestatter haben wir schon besprochen, dass wir am Ende der Trauerfeier gerne von Whitney Houston ›I Will always Love You‹ einspielen würden. Das geht doch, oder? Schön, Frau Pfarrerin M., dass das jetzt heute bei Ihnen terminlich geklappt hat. Wir haben nämlich noch den Blumenschmuck bestellt und ein Foto vergrößern lassen. Hast Du doch, Kerstin, oder? Das lassen wir aufstellen. Es gab gar nicht so viele Bilder, auf denen sie allein drauf war. Mehr von Familienfeiern. Ach, das war beim 60. Geburtstag, glaube ich, das große Gartenfest, guck mal, da hatten wir noch den Pavillon.« »Nein, da ist noch Onkel Franz drauf, das war beim 55. Geburtstag. Und Walter mit Familie. Kommen die auch?« »Ja, die haben eben angerufen, die kommen auf jeden Fall.« »Frau Pfarrerin, wie läuft denn die Beerdigung ab? Wir waren natürlich schon bei ein paar Beerdigungen dabei, aber wenn man selbst betroffen ist, ist es schon nochmal was anderes.« »Danke, dass Sie sich jetzt alle Zeit nehmen und schon so viel bedacht und vorbereitet haben. Leider konnte ich Ihre Frau, Ihre Mutter, ja nicht mehr kennenlernen. Gerne würde ich mir mit Ihrer Hilfe ein Bild von ihr machen, von dem, was ihr wichtig war, was sie gerne gemacht hat. Vielleicht können Sie mir ein paar Fotos zeigen? Würden Sie mir auch erzählen, wie es ihr in den letzten Tagen und Wochen gegangen ist? – Dann besprechen wir ganz in Ruhe alle Schritte der Beerdigung, damit Sie wissen und weitergeben können, wie alles ablaufen wird.«

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die der Bürgerlichen Mitte zugeordnet werden,

bilden sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Lagerung den »Kern« der Gesellschaft, legen Wert auf geordnete gesellschaftliche Verhältnisse und orientieren sich dabei primär am Status quo, haben eine moderne, individualistische Grundorientierung, streben nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance, wünschen sich Wärme, Geborgenheit und eine hohe Lebensqualität in gesicherten, harmonischen Verhältnissen, sehen die Familie als Lebensmittelpunkt (verlässliche Partnerbeziehung, klassische Rollenverteilungen, Bildung der Kinder als Zukunftssicherung), beteiligen sich aktiv am gesellschaftlichen Leben, grenzen sich zu den unteren Gesellschaftsschichten und den sozialen Randgruppen ab, haben meist qualifizierte mittlere Bildungsabschlüsse, selten eine akademische Ausbildung, verfügen über ein Einkommen im unteren bis mittleren Bereich. 14 % der Bevölkerung (Tendenz sinkend) Altersdurchschnitt 52 Jahre Bestattungsmusik »My way« (Frank Sinatra) »Wie ein Baum, den man fällt« (Reinhard Mey) »I Will always Love You« (Whitney Houston) »Tears in Heaven« (Eric Clapton) »So wie du warst« (Unheilig) »Time to Say Goodbye« (Andrea Bocelli und Sarah Brightman) »Der Weg« (Herbert Grönemeyer) »My Heart Will Go On« (Céline Dion) »Gib mir Sonne« (Rosenstolz) Bestattung und Bürgerliche Mitte Die Bestattung ist ein Anlass, der die ganze Familie trifft und betrifft und auch von der ganzen Familie gemeinsam begangen wird. Es steht dabei außer Frage, dass die Bestattung kirchlich durchgeführt wird. Der Bestattungsgottesdienst nimmt auf die Bedürfnisse der Trauerfamilie in besonderem Maße Rücksicht.

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Die Liturgie bezieht, falls gewünscht, Familienmitglieder mit ein (Gedichte, Musikbeiträge – oft auch von CD, Nachrufe ggf. von Vereinsmitgliedern). Die Pfarrerin gestaltet die Bestattungsfeier so, dass den Angehörigen konkrete Bezugspunkte zum Leben des Verstorbenen angeboten werden, etwa durch die Aufnahme der Biographie in der Ansprache und in den Gebeten. Kirche ist fester Bestandteil des sozialen Gefüges, ihre Angebote werden geschätzt, aber nicht unbedingt genutzt. Kirche ist ein Ort, der in schweren Zeiten Halt und Stabilität bietet. Herkömmliche Bestattungsformen (Erd- oder Urnenwahlgräber bzw. -reihengräber) werden von ca. 83 % gewählt. Die bevorzugte Bestattungsart ist die Urnenbestattung (56 %), der Anteil der anonymen Bestattungen liegt bei etwas weniger als einem Zehntel. Im Schnitt werden gut 4000 € für die Bestattung aufgewendet.

»Es soll auf jeden Fall schön werden, ja, schön und persönlich!« Dos und Don’ts – Das Werteprofil der Bürgerlichen Mitte Die Bürgerliche Mitte tut sich schwer, wenn …

die Trauerfeier zu steif und hölzern gestaltet wird, keine Möglichkeit besteht, der Trauerfeier einen individuellen Akzent zu verleihen (z.B. Liedauswahl) bzw. Gestaltungsvorschläge aus dem Umkreis der Familie zu wenig Berücksichtigung finden, die Anknüpfungspunkte zum Trauergespräch undeutlich sind (immerhin haben sich die Menschen beim Gespräch geöffnet und einen persönlichen Einblick in ihre Familiensituation gewährt), bei der Trauerfeier experimentiert wird und die Orientierung an der Tradition oder den örtlichen Gepflogenheiten nicht hinreichend erkennbar ist. Die Bürgerliche Mitte freut sich, wenn …

das Leben des Verstorbenen in seiner Individualität zugleich als Teil des Familienverbundes gewürdigt wird, die Wertschätzung des Verstorbenen im Mittelpunkt der Trauerfeier steht und authentisches Interesse an seiner Biographie spürbar wird, die Impulse und Themen, die sie im Trauergespräch eingebracht haben, in der Feier aufgenommen werden, Raum zu einer individuellen Mitgestaltung der Trauerfeier besteht, ebenso aber ein Anschluss an die Tradition sichtbar ist und das übliche »liturgische Gerüst« den Rahmen bildet.

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Theologische Anknüpfung Jesus wird als der gute Hirte vor Augen gemalt, der »die Seinen« ins ewige Leben führt – »und niemand wird sie aus meiner Hand reißen« (Joh 10,27f.). Dem einsamen Tod, der als tiefste Erschütterung jeglicher Sicherheit, Harmonie und Zugehörigkeit empfunden wird, steht die Fürsorge des Hirten entgegen. Der Heilige Geist ist Tröster und Beistand in Zeiten, die scheinbar jegliche Beständigkeit und Ordnung vermissen lassen. Er »hilft unsrer Schwachheit auf« und »vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen« (Röm 8,26). Die traditionelle Bestattungsliturgie ist ein bewährtes Gerüst, das Konstanz ausstrahlt und als »Geländer« Halt in unsicherer Zeit anbietet. Die Bestattung rückt den Verstorbenen und die Erinnerung an sein Leben in seinen sozialen Bezügen in den Mittelpunkt. Damit korrespondiert, dass in der christlichen Tradition Gott als ein persönliches Gegenüber verstanden wird, der den Menschen als Individuum geschaffen hat und ihn in ein soziales Gefüge hineinstellt. Gott kennt die Menschen durch und durch. Dies gilt auch über den Tod hinaus (Ps 139,7–12; 1Kor 13,8.12). Der Trauergottesdienst kann bewusst als Überantwortung des Toten in Gottes Hand konzipiert werden; wir leben und sterben in der Hoffnung auf sein gnädiges und gütiges Handeln. Die Trauerfeier steht damit am Beginn eines Weges und gibt das verstorbene Familienmitglied Gottes heilsamer Gegenwart anheim. Den Menschen dort geborgen zu wissen, befreit dazu, das eigene Leben wieder mutig zu wagen. »Evangelische Provokationen« Sterben bedeutet ein grausames Herausgerissen-Werden aus dem bis dahin so beständigen Sozialgefüge. Den (Über-)Lebenden wird ihre eigene Endlichkeit radikal vor Augen geführt. Ein neuer Weg muss beschritten werden – ohne diesen Menschen, der und mit dem das Zuhause der soziale Mittelpunkt des Lebens war. Das Leben ist eine Bereitung zum Tode. Man kann sich im Leben nicht einrichten. Glaube wird hier zum Wagnis: Wem vertraue ich (noch) über meine Familie und meinen Freundeskreis hinaus? (Mt 14,22–33: Seewandel des Petrus; Gen 12,1: »Abraham, geh’!«; Joh 14,2: »In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen«). Für Menschen, die in besonderer Weise nach Sicherheit und Harmonie suchen, stellt der Tod eine große Verunsicherung dar. Ihnen ist zu sagen: Wir können unser Leben hier und in der Ewigkeit nicht absichern. Letzte Geborgenheit lässt sich nur bei Jesus Christus finden. Auferstehungshoffnung ist nicht nur persönliche Hoffnung auf ein »Wiedersehen im Himmel«, sondern Hoffnung der ganzen Schöpfung, die über individuelle Bedürfnisse und familiäre Zugehörigkeit hinausgeht.

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Das Sterben führt in die Vereinzelung. Im Tod ist jeder allein, und die individuelle Gottesbeziehung rückt in den Mittelpunkt. Die eingeübten Unterstützungsmechanismen (Familie, Freunde) greifen nicht mehr; jeder einzelne muss »offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi« (2Kor 5,10).

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Auch wenn der Lebensalltag durch eine »mittlere« Distanz zur Kirche gekennzeichnet ist, so wird in lebensgeschichtlichen Grenzsituationen die Nähe zur Kirche gesucht und geschätzt. Bei einem Todesfall nehmen die Angehörigen in aller Regel eine kirchliche Bestattung in Anspruch. Sie wissen gegebenenfalls um die Möglichkeit einer Abendmahlsfeier am Sterbebett oder einer Aussegnung. Jedenfalls sind sie nicht prinzipiell skeptisch, wenn solche Rituale – evtl. vermittelt durch den Bestatter – angeboten werden. Beim telefonischen Kontakt wird nicht nur der Termin für das Trauergespräch vereinbart, sondern auch konkret gefragt, ob eine Aussegnung gewünscht wird und wer aus dem Kreis der Familie und Freunde eingeladen werden sollte, um der Verstorbenen bei dieser Gelegenheit die letzte Ehre zu erweisen. Es empfiehlt sich auch, die Angehörigen zu fragen, wer zur Unterstützung beim Trauergespräch anwesend sein soll. Die Angehörigen können sich mithilfe eines Fragenkatalogs auf das Trauergespräch vorbereiten. www.trauernetz.de/stille/bedenken/checkliste.de

Der Bestatter informiert die Angehörigen über das kirchliche Begleitangebot (z.B. Aussegnung) und stellt ggf. den Kontakt zur Pfarrerin her; er kann den Angehörigen auch ein Merkblatt aushändigen mit allgemeinen Informationen zum Trauergespräch und zur Vorbereitung der Trauerfeier. Abschied am Sterbebett/Totenbett

Verbindung von textlichen mit sinnfälligen, symbolischen Liturgieelementen, z.B. beim Gebet »Ich werde ein Gebet sprechen und einen Psalm lesen. Jeder von Ihnen kann ein Teelicht entzünden und es auf den Nachttisch stellen. Verbinden Sie es mit einem besonderen Moment, den Sie mit dem Verstorbenen geteilt haben, oder mit einem Wunsch.«

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Salbung mit Öl Dem Verstorbenen und den Anwesenden wird ein Kreuz in die Handinnenfläche gezeichnet. Man bildet einen Kreis, hält sich die Hände – auch die des Verstorbenen – und betet das Vaterunser.

Herzritual Ein Klangherz wird in der Runde herumgereicht, und jeder, der es in der Hand hält, teilt seine Erinnerungen an die Verstorbene. Auf dem Bett liegen einige Herzen mit tröstlichen Zitaten und Bibelworten. Jeder kann sich nach der Erinnerungsrunde ein Herz aussuchen. Anja Wiese, Dem Herzen so nah, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 131f. Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Die Begegnung findet im Zuhause der Verstorbenen statt; eingeladen haben die Angehörigen die Menschen, die sie zu ihrer Unterstützung in ihrer Nähe wissen wollen. o Die Angehörigen bringen ihre Fragen nach dem Ablauf der Trauerfeier meist recht früh im Gespräch ein; so entsteht ein stabilisierendes »Geländer«. o Für ein gelingendes Gespräch ist es wichtig, dass dem Gespräch Struktur gegeben und Sicherheit und Kompetenz vermittelt wird. Innerhalb dieses Rahmens kann die Individualität des Verstorbenen zur Geltung kommen. o Durch Transparenz wird Sicherheit vermittelt (»Während Sie mir erzählen, werde ich mir ein paar Notizen machen. Davon wird nicht alles eins zu eins in die Ansprache einfließen. Es geht eher darum, dass ich mir ein Bild machen kann und Wichtiges nicht verpasse.«) Themen des Gesprächs o Anknüpfungspunkte: Tauf-, Konfirmations-, oder Trauvers; Traueranzeige mit den dort abgedruckten Symbolen und Sinnsprüchen o nach dem Verlauf der letzten Stunden im Leben der Verstorbenen, evtl. nach dem Verlauf der Krankheit fragen o Erinnerungsarbeit: das Vermächtnis der Verstorbenen, die großen Themen ihres Lebens, ihr Ort im Gefüge der Familie, die würdigende Erinnerung an ihr Wesen, ihre Charakterzüge, ihre Neigungen etc. o Raum geben für persönliche Voten: Welche Charaktereigenschaft haben Sie besonders geschätzt? Was hat sie Ihnen für Ihr eigenes Leben bleibend mitgegeben? Womit hatten Sie Mühe? Wie geht es Ihnen, wenn Sie den leeren Platz sehen? o die Angehörigen ermutigen, die im Vorfeld gemachten Überlegungen zu äußern, eigene Ideen einzubringen und sich bei der Trauerfeier zu beteiligen

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Die Angehörigen gestalten z.B. das Liedblatt für die Trauerfeier mit einem Familienbild und dem Lieblingspsalm der Verstorbenen.

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Beteiligungsmöglichkeiten von Vereinen ausloten (z.B. musikalische Begleitung, Nachrufe) Hinweise auf kirchliche Begleitangebote nach der Trauerfeier (z.B. Besuch nach 4–6 Wochen)

Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

In aller Regel wird eine konventionelle Bestattung gewählt, d.h. die Feier findet meist in der Trauerhalle am Friedhof statt mit anschließender Beisetzung auf dem kommunalen Friedhof. Nach Möglichkeit wird bei der Ansetzung der Gottesdienstzeit auf die berufstätigen Freunde und ggf. Vereinskollegen Rücksicht genommen. Tonalität der Trauerfeier

Der Gottesdienst ist sowohl von familiärer Nähe und persönlichen Elementen als auch von einer feierlichen, würdevollen Grundstimmung geprägt. Die Sprache ist bildhaft, anschaulich und persönlich, die Gedankengänge klar und nachvollziehbar. Die Feier ist geprägt vom Evangelium der Annahme, gerade auch im Blick auf das Fragmentarische eines Lebens. Die gottesdienstliche Sprache ist durchzogen von Worten, Bildern und Gedanken, die die Angehörigen geäußert haben; die Verknüpfung von Trauergespräch und -ansprache wird so deutlich. In der Geschichte dieses Lebens leuchtet die Geschichte Gottes mit uns Menschen auf. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Beziehung im Familiengefüge betonen »Das Paar wurde Eltern von drei Kindern: Christine, Thomas und Klaus – im Laufe der Jahre bereicherten fünf Enkel die Familie.«

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bewusste Aufnahme und Deutung von Themen und Symbolen, die die Angehörigen im Gespräch eingebracht haben persönlich gehaltene Gebete in erkennbar liturgischer Sprache Gebetssprache leihen bei einem Psalm (bzw. einer Psalmencollage) und den Text im Liturgieblatt abdrucken, sodass ihn alle gemeinsam sprechen können markante Erlebnisse des Lebenslaufs hervorheben, individuelle Erinnerungen der Angehörigen benennen

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Es wird deutlich, dass man »zugehört« hat und sich auf die Individualität des Verstorbenen eingelassen hat, ihm mit Sympathie zugewandt ist; z.B.: »Ich sehe eine rüstige ältere Dame in ihrem kleinen roten Fiat über die Alpen fahren, ihrem Ziel entschlossen und lächelnd zugewandt.«

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Verknüpfung des Bibeltextes mit zentralen Lebensthemen des Verstorbenen: Zuhause, Garten, Familie, Kochen, Freunde, Feste, ein Kartenspiel Übergänge so gestalten, dass die Angehörigen anknüpfen können »Wir singen nun das Lied ›Meine Zeit steht in deinen Händen‹, ein Lied, das Sie, liebe Familie, für diesen Moment gewählt haben.« »Wir leihen uns alte Sprache und beten mit Worten aus den Psalmen, die vor 3000 Jahren geschrieben wurden und bis heute das Sehnen des menschlichen Herzens spiegeln.«

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Entlastung/Zuspruch in Bezug auf Versäumnisse und Brüche in der Beziehung zum Verstorbenen Gedicht vor dem Gang zum Grab Das Gedicht »Weint um mich« wird vor dem Gang zum Grab vorgetragen. Maibaum, Abschiedsbuch, 84f. www.abschiedstrauer.de

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Geleitwort am Sarg vor dem Gang zum Grab mit Zeiten der Stille und Vergebungszuspruch Schlusssegen am Grab: »Lasst uns den Weg ins Leben wagen, mit dem Segen Gottes, der verheißen hat, dass jede Nacht ein Morgen sieht, auch die Nacht des Todes …«

Beteiligungsmöglichkeiten o eine Blume aus dem geliebten Garten der Verstorbenen mitbringen und auf den Sarg oder in das Grab legen o den Sarg bzw. die Urne berühren o ein Teelicht entzünden o ein bereitgelegtes Papier in Herz-, Stern- oder Blattform mit einem Wunsch oder einem »Ich vergesse dich nicht« beschriften und damit den Sarg bedecken o Gedanken zum Bedürfnis »Was ich noch gesagt hätte!« auf ein Blatt schreiben, in einem Körbchen sammeln und die Blätter mit ins Grab geben (bei einem unerwarteten Tod) o das Blatt eines Baumes auf den Sarg legen oder kleben o ein selbstgemaltes Kinderbild auf den Sarg legen Vgl. Maibaum, Abschiedsbuch, 28f. Lieder

Traditionelles und neueres kirchliches Liedgut ist nicht unbekannt, und es wird als stimmig angesehen, Lieder aus diesem Repertoire bei einer Trauerfeier zu

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singen. Darüber hinaus eignen sich auch Spirituals, ob im englischen Original oder in deutscher Übertragung. »Befiehl du deine Wege« (EG 361) »Meine Zeit steht in Deinen Händen« (EG 644) »Von guten Mächten wunderbar geborgen« (EG Regionalteil) »Lobe den Herren« (EG 316, besonders die Strophen 2–5) »Amazing grace« »Er hält die ganze Welt in seiner Hand« »Danke-Lied« mit Trauertext (Frank Maibaum) Maibaum, Abschiedsbuch, 53f. www.abschiedstrauer.de

Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Zusammengehören« Wer seinen Kindern ein Zuhause schafft, hat viel getan auf dieser Welt. Denn die Menschen sehnen sich nach Zugehörigkeit. Der große Kirchenvater Augustinus hat vor vielen hundert Jahren gesagt: »Mein Herz ist unruhig, Gott, bis es Ruhe findet in Dir.« Und damit hat er erkannt: Wir sind Gäste auf dieser Welt, Gäste, die sich nach einem Zuhause sehnen. Zu Gast sein ist dann schön, wenn man weiß: Man ist willkommen, man wird gern gesehen, ist geliebt. Zu wissen, dass man Gast ist, macht die Seele aber noch nicht heil und ruhig. Wo man Gast ist, da gibt es auch einen Gastgeber. Gott selbst hat diese Welt geschaffen und will bei seinen Menschen wohnen, will unser Gastgeber sein. Bei ihm sind wir willkommen, gern gesehen und geliebt. Zu Gast auf Erden, zuhause in seiner Ewigkeit. »Lasst mich bei euch so manches Mal zu Gast sein« – diesen Vers haben Sie, liebe Familie, für die Traueranzeige gewählt. Gäste hatte V.M. oft. Viele, die bei ihr ein- und ausgingen, die an ihrem Küchentisch mit ihr gelacht und geweint haben, sind heute hier. Mögen diese Erinnerungen Ihnen Schatz und Trost werden. Was für ein Geschenk: Wir dürfen uns erinnern. Wir sind Gäste auf Erden und dürfen die Menschen, die ihren Lebensweg beendet haben, in unserer Mitte zu Gast sein lassen, voll freudiger, vielleicht auch fragender und dankbarer Erinnerung. Und wir dürfen den Weg ins Leben wieder und wieder wagen. Eben haben wir gesungen: »Meine Zeit steht in Deinen Händen« – eigentlich verwunderlich. Die Zeit steht nie, sie läuft. An Gottes Hand dürfen wir unsere Lebenswege gehen. Viele Wege gehen wir mit anderen gemeinsam, manche gehen wir zu zweit – Gott und ich. Keinen gehen wir allein. Der irdische Weg von V.M., geziert mit einer eigenen Familie, beruflicher und sportlicher Aktivität, aber auch von steinigen Strecken voller Krankheit und Leid gezeichnet, ist am 23. März hier in B. zu Ende gegangen. Sie, liebe Familie, mussten ihre Hand loslassen. An Gottes Hand lebt sie nun in seiner Ewigkeit.

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Weitere Impulse o das Leben als »Büchersammlung« »Wenn ein Mensch stirbt, dann stirbt eine ganze Büchersammlung«, so heißt es in einem Sprichwort. Unzählige Bücherregale könnte man füllen mit dem, was ein einziges Menschenleben ausmacht. Wenn es diese Bücher gäbe, so könnten wir sie sicher nicht einmal alle lesen. Doch wo wir an unsere Grenzen kommen, ist Gottes Liebe und sein Interesse an seinen Menschen grenzenlos. Bei ihm ist jeder Gedanke, den die Verstorbene je gedacht hat, jedes Lachen, jede Traurigkeit vor Augen, wo wir auf Erden nur einen Ausschnitt sehen können von einem langen Lebensweg.

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»Der dich behütet, schläft nicht« (Ps 121,3b) Ein Maß an Fürsorge, das über unsere Kräfte gehen würde, dürfen wir Gott glaubend zutrauen.

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Symbole der Trauer und der Hoffnung (ggf. Symbole der Traueranzeige, der Urne oder des bereits vorhandenen Familiengrabs aufgreifen) Willi Hoffsümmer, 60 Ansprachen mit Symbolen für Trauergottesdienst und Beerdigung, Ostfildern 2009.

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Beruf und Hobby Bestattungsansprachen, die insbesondere auf Berufe (wie z.B. Polizist, Schneiderin, Richter, Bauer, Bäcker, Soldat, Lehrer, Nachtschwester im Pflegeheim) und Hobbys der Verstorbenen (wie z.B. Angeln, Musik, Gartenarbeit) eingehen Gottesdienst-Institut der ev.-luth. Kirche in Bayern (Hg.), Bestattungsansprachen nach Berufen, Nürnberg 2010.

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Herbert Grönemeyer, »Morgen« Das Lied wird als »geistliches« Lied gedeutet; die im Lied gestellten Fragen werden an Gott gerichtet (»Wirst du morgen noch mit mir tanzen, bleibst du in Deiner Liebe fest, wirst du dich für mich verwenden, bestehen wir zusammen jeden Test?«)

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Clemens Bittlinger, »Jenseits der Zeit« Liedcollage Besinnliche Texte, inspiriert von bekannten, nachdenklichen Liedern, werden im Kontext der Ansprache eingespielt und vorgetragen: »Amazing Grace« (Spiritual), »Tears in Heaven« (Eric Clapton), »Memory« (aus dem Musical »Cats«), »Over the rainbow« (Harold Arlen), »Time to say goodbye« (Sarah Brigthman, Andrea Bocelli), »My way« (Frank Sinatra). Maibaum, Abschiedsbuch, 57–62.

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»Wo ist der Opa jetzt?« (Pred 3,1) – Plötzlicher Tod eines älteren Mannes Lutz Friedrichs, in: Domay (Hg.), Beerdigung, 93–96.

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»Verwundete Muscheln lassen Perlen entstehen« – Zum Tod eines kleinen Kindes Martin Schubert, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 70f.

Weiterführung Menschen der Bürgerlichen Mitte lassen sich grundsätzlich gerne zu kirchlichen Veranstaltungen einladen und schätzen gemeinschaftliche Aktionen und Projekte. Kirche ist ein Stück »Heimat«, sie strahlt soziale Wärme aus und kann auch in stürmischen Zeiten Geborgenheit vermitteln. persönliche Einladung zum Gedenken im nächsten Gemeindegottesdienst; Entzünden einer Gedenkkerze Gemeinderäume für ein Trauercafé zur Verfügung stellen Erinnerungsfeier zum Geburtstag der Verstorbenen oder zum ersten Todestag Die Feier findet an einem Ort gemeinsamer Erinnerungen statt und lässt die Persönlichkeit der Verstorbenen aufleben: Ihre Lieblingsfarbe wird zum Thema gemacht, ihre Lieblingsmusik gespielt, ihr Lieblingstee getrunken. Briefe werden vorgelesen und Anekdoten erzählt. Zum Abschluss lässt man Luftballons in die Höhe steigen. Christian Fleck, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 126–128.

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Adaptiv-pragmatisches Milieu

Wie immer komme ich als Pfarrer eine knappe halbe Stunde vor der Trauerfeier in die Friedhofshalle. Sie ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Es steht die Urnenbeisetzung einer 42-jährigen Frau an. Sie war in zweiter Ehe verheiratet, hatte aus dieser Beziehung zwei Kinder. Aus der ersten Ehe brachte sie eine Tochter mit. Sie meisterte die Patchwork-Konstellation mit einer guten Portion an Pragmatismus und schaffte sogar den Spagat zwischen Familie, Beruf und einem großen Freundeskreis, wie man mir sagte. Bis zu ihrem plötzlichen Tod arbeitete sie als Mediengestalterin in einem mittelständischen Unternehmen. Sie genoss die flexiblen Arbeitszeiten und die guten Aufstiegsmöglichkeiten, die ihr das Unternehmen bot. Ihre engsten Freunde bereiteten für die Feier eine musikalisch unterlegte Slide-Show vor. Es war ihnen wichtig, sich mit einem persönlichen Beitrag zu beteiligen, der sich auch vom »normalen« Ablauf der Feier abheben soll. Aus dem Trauergespräch blieb bei mir ein Satz ihres Mannes hängen und beschäftigte mich bei der Vorbereitung sehr: »Die Beerdigung soll so weltlich wie möglich sein.« Ich verstand das als Bitte, mein Anliegen nicht mit den herkömmlich-kirchlichen, »angestaubten« Worten auszudrücken. »Weltlich« nicht im Sinne von »unchristlich«, sondern im Sinne von »verständlich«, »anschlussfähig«. Nachdem anfangs in der Friedhofshalle gregorianische Gesänge aus den Lautsprechern kamen, höre ich jetzt das Lied »Geboren um zu leben« von Unheilig, ein Lieblingslied der Verstorbenen. In der Ansprache werde ich auf das Lied eingehen. Ich setze mich und nehme mit den Angehörigen Blickkontakt auf. Sie wirken gefasst, aufgeräumt. Sie weinen nicht, ihr Blick richtet sich nicht ins Leere, sondern sie schauen aufmerksam nach vorne. Inmitten ihrer Trauer haben sie mit einem Sinn fürs Detail die Feier geplant und erwarten nun, was ich sagen werde.

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6 Adaptiv-pragmatisches Milieu ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem adaptiv-pragmatischen Milieu zugeordnet werden,

sind einerseits pragmatisch, zielstrebig, konsum- und leistungsorientiert, andererseits auf der Suche nach Geborgenheit, Anerkennung, Halt und Orientierung, gehören zur aufgeklärten Bildungselite (höchste akademische Qualifikationen) und zeichnen sich durch eine liberale Grundhaltung sowie vielfältige intellektuelle Interessen aus, suchen nach einer pragmatischen Balance zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit, Weltoffenheit und Bodenhaftung, beruflichem Erfolg und familiärer Bindung, Erlebnisorientierung und Sicherheitsbedürfnis, fragen nach dem konkreten Nutzen ihres Tuns (utilitaristische Ausrichtung), grenzen sich sowohl von angestaubten Werten und Moralvorstellungen als auch von übersteigerter und zur Schau gestellter Ungebundenheit und Freizügigkeit ab, sind zur Hälfte verheiratet, aber viele leben als Studierende noch bei ihren Eltern, verfügen über mittlere bis gehobene Bildungsabschlüsse, und auch die Einkommen (häufig Doppelverdiener) befinden sich im mittleren bis oberen Bereich. 9 % der Bevölkerung Altersdurchschnitt 36 Jahre Bestattungsmusik »Yesterday« (The Beatles) »Angels« (Robbie Williams) »Over the Rainbow« (Israel »IZ« Kamakawiwoʻole) »Someone Like You« (Adele) »Geboren um zu leben« (Unheilig) »Und wenn ein Lied« (Söhne Mannheims) »Kartenhaus« (Silbermond) »Abschied nehmen« (Xavier Naidoo) »All of Me« (John Legend)

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Bestattung und adaptiv-pragmatisches Milieu Die Frage nach dem Tod spielt im Lebensentwurf der Adaptiv-Pragmatischen in aller Regel keine Rolle. An das Sterben denkt man nicht jetzt. Eine Konfrontation mit dem Tod und mit dem Kasus der Bestattung gibt es allenfalls beim Tod der Elterngeneration. Ein Todesfall wird als massiver Einschnitt empfunden; er ereignet sich zur Unzeit, durch Krankheit, Unfall, Suizid. Er durchbricht das durch Pragmatismus und Zielstrebigkeit geprägte Lebenskonzept. Auch wenn die Kirche keine Alltagsrelevanz besitzt, wird ihr Dienst an Wendepunkten des Lebens in Anspruch genommen. Der exklusive Wahrheitsanspruch der christlichen Botschaft gilt als überholt, und dennoch wird ihre Orientierungskraft geschätzt, gerade in Krisensituationen. Kontaktflächen mit dem Bereich des Religiösen und/oder Kirchlichen werden punktuell und zielgerichtet hergestellt. Nicht das Amt oder die Ausbildung des Pfarrers sind Ausweis seiner Kompetenz, sondern seine Authentizität, sein Einfühlungsvermögen und seine Lebensnähe. Er ist als Seelsorger gefragt, der am Schicksal der Trauernden genuin Anteil nimmt und die spirituelle Dimension des Geschehenen zur Sprache bringt. Es spräche aus Sicht der Adaptiv-Pragmatischen vorderhand nichts dagegen, dass auch eine freie Trauerrednerin den Part des Ortspfarrers übernimmt. Sargbestattungen haben im Milieuvergleich den geringsten Anteil (37,9 %), und anonyme Beisetzungen kommen überdurchschnittlich häufig vor (15,9 %); auf ein Grabmal verzichtet fast ein Drittel (der zweithöchste Wert). Der pragmatische Umgang mit dem Tod zeigt sich auch in den aufgewendeten Kosten: Sie sind gleich niedrig (ca. 3380 €) wie bei Bestattungen des prekären Milieus; kein Milieu gibt weniger aus.

»Alles ist jetzt anders!« Dos and Don’ts – Das Werteprofil des adaptiv-pragmatischen Milieus Adaptiv-Pragmatische tun sich schwer, wenn …

ihnen der Pfarrer lediglich als Vertreter einer Institution bzw. als Dienstleister und nicht als »Mensch« entgegentritt, sie sich bedrängt fühlen und den Eindruck haben, die Trauerfeier wird zur Durchsetzung einer übergeordneten religiösen oder missionarischen Agenda missbraucht, der Biographiebezug von Predigt und Liturgie zulasten einer Verkündigung von dogmatischen »Wahrheiten« geht,

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die Bestattung den Eindruck einer Routineübung erweckt und die Bereitschaft fehlt, individuelle Wünsche (z.B. Lieder) und Bedürfnisse zu berücksichtigen. Adaptiv-Pragmatische freuen sich, wenn …

der Singularität des Trauerfalls in der Gestaltung der Feier Ausdruck verliehen wird, die Bestattung als ein ganzheitliches Geschehen verstanden wird (Arbeit mit Symbolen, Kerzen, Salböl), sich die Pfarrerin als kundige, geduldige und sensible Führerin durch die gesamte Kasualie erweist und geordnete Rahmenbedingungen schafft (z.B. klare Zeitangaben, Hinweis auf rituelle »Angebote« wie die Aussegnung in der Leichenhalle; detaillierter Gang durch die Liturgie der Trauerfeier), das soziale Netz in die Gestaltung der Trauerfeier integriert wird und damit auch öffentlich dargestellt wird, dass die Hinterbliebenen in ein stabiles Umfeld eingebunden sind und Halt und Geborgenheit erfahren können, die Pfarrerin den Trauernden mit genuiner Anteilnahme begegnet, sich Zeit nimmt und ihrer persönlichen Betroffenheit Ausdruck verleiht, deutlich gemacht wird, dass »etwas« vom Leben des Verstorbenen bleibt, konkrete Hilfestellungen zum Umgang mit der Trauer gegeben werden (Buch, Handreichung, Gesprächsangebote). Theologische Anknüpfung Der ohnmächtige, leidende und gottverlassene Gott am Kreuz ist »die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet«. Gott am Kreuz heißt: Auch menschliches Leid und Gottverlassenheit haben ihren Ort in und bei Gott. Wir können uns darauf verlassen, »dass der ewige Liebeswille Gottes auch dort den Menschen nicht verlässt, wo er in Gottverlassenheit verzweifeln will« (Dietrich Bonhoeffer). In der Klage erinnern wir Gott an seine Zusagen, wenn er sich verbirgt. »Durch den Schrei der Leidenden wird das Gedächtnis Gottes angerufen: ‚Gedenke Herr, wie es uns geht; schau und sieh an unsere Schmach … Warum willst du uns so gar vergessen und uns lebenslang so gar verlassen?‘ (Klagelieder 5,1.20)« (Jürgen Moltmann). Die ausgebreiteten Arme Jesu strecken sich nach denen aus, die leiden. Gott ist in unsere (hier vordergründig unvollendet gebliebene) Lebensgeschichte verwickelt und hat versprochen, auch im Tod als Schöpfer zu handeln. Gott will die Trauernden trösten, »wie einen seine Mutter tröstet« (Jes 66,13).

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»Evangelische Provokationen« Manche Lebensmaximen (»Jeder ist seines Glückes Schmied!«) und -einstellungen (Nutzenkalkül) zerbersten angesichts des Todes. Krankheit und Tod sind inkompatibel mit der Ideologie des Glücks und der Illusion der Macht zur Selbstgestaltung des Lebens. Das Ereignis des Todes lässt die sonst so wohlgenutzte Zeit stillstehen. Alles ist jetzt anders, und es besteht die Chance, die Zukunft im Licht der Ewigkeit anzugehen. Memento mori. »Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.« (Ps 90,12) Das Unverfügbare, das Unvollkommene und Brüchige ist als Teil des Lebens zu begreifen. Die Kirche ist nicht nur Dienstleisterin für den Moment, sondern bleibendes Gegenüber.

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Ein Trauerfall ist in aller Regel nicht in einen stabilen Kontakt zur Kirche eingebettet, sondern stellt ihn allenfalls nach dem Vollzug der Bestattung her. Es ist also nicht davon auszugehen, dass Rituale am Sterbebett angefragt werden. Gleichwohl besteht eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Deutungsangeboten, die das Hier und Jetzt überschreiten. Ein Abschiedsritual im Sterbehaus (»Aussegnung«) kann dem Bedürfnis nach familiärem Zusammenhalt Rechnung tragen und zugleich helfen, den Tod des Angehörigen gemeinsam »begreifen« zu lernen. Das adaptiv-pragmatisch Milieu repräsentiert wie kaum ein anderes das Zeitalter der Beschleunigung und Erlebnisdichte; die Vergegenwärtigung des Todes braucht hingegen Ruhe und Gelegenheit. Zu beachten ist dabei: die wesentlichen Vollzüge im Vorfeld erklären, die Angehörigen bei praktischen Fragen (Kerzen anzünden) mit einbeziehen, auf eine behutsame Modernisierung der liturgischen Sprache achten. Abschied am Sterbebett/Totenbett

Realisierung des Todes: körperliche Nähe zum Verstorbenen ermöglichen, den Leichnam anfassen, zur Artikulation der Gefühle ermutigen, das Erzählen anregen

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Segnungshandlung nicht nur für den Verstorbenen, sondern auch für die trauernde Partnerin und für die Kinder Verwendung von symboltragenden Gegenständen: Taufkerze, Öl; Bezeichnung mit dem Kreuz Wunschritual Jeder der Anwesenden schreibt persönliche Wünsche, Gedanken, Dank oder auch eine Bitte um Vergebung auf ein Blatt Papier. Die Zettel werden schweigend zum Verstorbenen gelegt und zum Abschluss der Gedenkfeier in einer feuerfesten Schale verbrannt. Edgar Drückes, Abschiednehmen im Angesicht des Verstorbenen, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 43f. Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Stand der Verstorbene mitten im Leben, ist das Trauergespräch ein »Programmpunkt« in einer äußerst strapaziösen Phase direkt nach dem Tod des Angehörigen: Nicht nur die Bestattung ist zu organisieren, sondern es müssen Versicherungen und Ämter informiert, der Bankverkehr geregelt werden, Telefonate mit Freunden und Familienmitgliedern stehen an. o Die Pfarrerin bringt Symbole des Lebens (z.B. Kerzen, frische Blumen) zum Gespräch mit. o Es mag hilfreich sein, im Anschluss an das Gespräch den Aufbahrungsraum aufzusuchen und in einem kleinen Ritual (Segnungshandlung) die Möglichkeit zu geben, persönlich Abschied zu nehmen. Themen des Gesprächs o Erinnerungen an das Leben (Familiengeschichten, Reiseberichte, Fotoalbum, Hobbys), Bezugnahme auf Gegenstände im Raum (Familienfoto, Kunstgegenstand) o die Bedeutung einer familiären Erinnerungskultur o die Radikalität des Bruches; Konfrontation mit einem Ohnmachtsgefühl, das der sonst gelebten Pragmatik und Zielstrebigkeit entgegensteht o Bilder des Sterbens und des Todes und die Bedeutung der Bestattung(sart) o vorhandene spirituelle Ressourcen heben und mit dem eigenen, persönlich vermittelten Glauben ins Gespräch bringen Der Rechtfertigungsglaube »macht es möglich, die Lebens- und Beziehungsgeschichte des Verstorbenen ganz realistisch mit ihren Schattenseiten und Ambivalenzen zu sehen, ohne dass sie entwertet oder verurteilt werden muss.« (Lammer, Trauer verstehen, 87).

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Vorschläge für eine Beteiligung im Trauergottesdienst, die vielerlei Gestalt annehmen kann (Kinderbilder am Sarg, selbstgestaltete Urne, Ge-

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danken eines Freundes, Erinnerungen anhand eines »Lieblingslieds«, Fotos per Beamer zeigen) Findet die Trauerfeier im Rahmen einer Urnenbeisetzung einige Wochen nach dem Tod statt, besteht die Gelegenheit, aus den vielen digitalen Fotos einige in Ruhe auszuwählen.

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der »digitale Nachlass« im Internet (Twitter-Wall, Facebook-Verabschiedung, Gedenkseite) www.gedenkseiten.de

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die Möglichkeit weiterer Trauerbegleitung nach der Bestattung ansprechen

Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

Bei der Ansetzung der Trauerfeier wird nach Möglichkeit Rücksicht genommen auf die berufstätigen Freunde der Trauerfamilie. Die hinsichtlich der Bestattungsart getroffene Wahl (z.B. Grab in der Natur) wird produktiv in die Gestaltung der Feier einbezogen. Äußern die Angehörigen die Absicht, sich selbst z.B. im Vortragen einer persönlichen Reminiszenz einzubringen, werden sie darin bestärkt. Die Pfarrerin steht jedoch bereit, den Text weiterzulesen, sollte es die Situation erfordern. Entgegen der gängigen Praxis, im Falle einer Feuerbestattung die Trauerfeier unmittelbar nach dem Todesfall durchzuführen und zwei Wochen später erst die Bestattung der Urne, könnte die Urnenbeisetzung als die eigentliche Feier konzipiert werden, als ein Event, zu dem das erweiterte Netzwerk eingeladen und zur Mitgestaltung ermutigt wird. So wird Zeit gewonnen und eine heilsame Entschleunigung des Prozesses ermöglicht. Tonalität der Trauerfeier

Es wird kein Standardprogramm abgespielt. Die Individualität des Kasus wird in der Trauerfeier sichtbar (Liedblatt, Einsatz eines Beamers, Bezugnahme auf die Familiengeschichte, auf persönliche Gegenstände). Die Liturgie wird feinsinnig, durchdacht und »kompakt« gestaltet. Die Anteilnahme der Pfarrerin ist spürbar, sie drückt aber nicht auf die Tränendrüse. Sie meint, was sie sagt, verkündigt keine Satzwahrheiten, sondern bringt das zum Ausdruck, was sie selbst im Leben trägt. So wirkt die Feier authentisch und auch im Angesicht des Todes lebensnah und lebensbejahend. »Fremde« und unkonventionelle, aber inspirierend empfundene Elemente werden bewusst eingesetzt (z.B. Gregorianik, Taizé, besondere Gebetssprache).

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Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Zeiten der Stille, untermalt mit meditativer Musik (Blues, Jazz), die ggf. von Freunden gespielt wird o Symbolhandlung mit der Taufkerze der Verstorbenen Die Taufkerze wird (vom Pfarrer, von der Partnerin, von einem Kind) an der Osterkerze entzündet und während der Feier neben die Urne bzw. auf den Sarg gestellt.

Zeichnungen der Kinder, die an den Sarg geheftet und gleichzeitig per Beamer (bzw. auf einem Liturgiezettel) der Trauergemeinde gezeigt werden o selbstgestaltete Urne (bemalt, mit Fotos oder Symbolen beklebt), deren Motive in der Ansprache betrachtet werden Beteiligungsmöglichkeiten o Slide-Show mit lebensfrohen Familien- und Freundschaftsbildern, die den Ort des Verstorbenen in seinen Lebenszusammenhängen zeigen o persönliche Gedanken der Partnerin, eines Kindes oder einer guten Freundin (zu einem Erlebnis, einem Charakterzug, einem Hobby); Verlesung eines für die Öffentlichkeit gedachten Abschiedsbriefs o Brief des Verstorbenen (falls sich der Tod aufgrund von Krankheit abzeichnete) o Luftballons emporsteigen lassen o

Nach der Trauerfeier kann am Grab jeder einen Luftballon (schwarz, weiß oder auch ganz bunte, je nach Deutung) steigen lassen. Diese Handlung ist ein Zeichen des Loslassens. Außerdem steht das Aufsteigen nach oben in starkem Kontrast zu dem Herablassen des Leibes in die Erde, was auf vielfältige Weise gedeutet werden kann. Lieder

Manche »Schlager« des neueren kirchlichen Liedgutes mögen aus Schule oder Konfirmandenunterricht bekannt sein und mit Orgel- oder Klavierbegleitung gesungen werden. Auch Taizé-Lieder sind vielleicht geläufig und sprechen die Menschen mit ihren meditativen Melodien und Harmonien in ihrer Seelenlage an. Ein kräftiger Gemeindegesang ist allerdings nicht zu erwarten. Säkulare Lieder und andere Musik, die der Milieuästhetik entsprechen, können gespielt werden (vom Band oder live) und in der Ansprache interpretiert werden. »Nichts soll dich ängsten – Nada te turbe« (EG Regionalteil) »Ins Wasser fällt ein Stein« (EG Regionalteil) »Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer« (EG Regionalteil) »Von guten Mächten wunderbar geborgen« (EG Regionalteil) »Möge die Straße« (Irischer Segenswunsch)

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Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Geboren um zu leben« Vor der Ansprache wird das Musikvideo des Liedes »Geboren um zu leben« von Unheilig gezeigt. Der erste Teil der Ansprache richtet sich an den Ehepartner der Verstorbenen. Bei unserem Gespräch vor ein paar Tagen haben wir zusammen dieses Video angeschaut. Der Text des Liedes, die Bilder, die Stimmung drücken so viel von dem aus, was Sie empfinden. Einsam steht er am Meeresufer. Die Weite des Meeres wirkt bedrückend, ein unendliches Nichts. Der Himmel ist bewölkt; bald wird es regnen. Er trägt Trauerkleidung. Er klagt, blickt sehnsuchtsvoll zurück und spürt Leere. Das Leben hat seine Leichtigkeit verloren. Es fällt mir schwer, ohne Dich zu leben, jeden Tag zu jeder Zeit einfach alles zu geben. Erinnerungen an das Vergangene werden wach. Das Schöne, Unbeschwerte. Jenseits der Einsamkeit. Und er versucht, das verloren Gegangene wieder herzuholen, den Wegbegleiter wieder bei sich zu spüren. Doch der Platz an seiner Seite bleibt leer. Ich denk’ so oft zurück an das was war, an jenem so geliebten vergangenen Tag. Ich stell‘ mir vor, dass Du zu mir stehst, und jeden meiner Wege an meiner Seite gehst. Jemanden Geliebtes so überraschend zu verlieren, macht uns fassungslos. Es tut weh. Der Körper leidet, die Seele leidet. Das Leben fällt schwer, es klafft eine Lücke. Die Welt ist leerer und ärmer geworden. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer, der 39jährig von den Nazis ermordet wurde, schrieb aus dem Gefängnis einem Freund: »Es gibt nichts, was uns die Anwesenheit eines uns lieben Menschen ersetzen kann, und man soll das auch gar nicht versuchen … Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus; er füllt sie gar nicht aus!« Niemand und nichts kann die Lücke ausfüllen, die ein geliebter Mensch hinterlassen hat. Kein Mensch kann sie ausfüllen, die Zeit auch nicht, nicht einmal Gott. Und doch ist das Lied kein trostloses Lied. Während er noch singt, öffnen sich sein Blick und sein Herz. Sogar der Himmel klart auf. Sein Gesicht wird von der Sonne angestrahlt. Die Erinnerung an das, was war, was ihre gemeinsame Zeit geprägt hat, bringt ihn zum Leuchten. Auch das offene Meer hat seine Bedrohlichkeit verloren. Am Ende steht er mit ausgebreiteten Armen da – nicht mehr am Ufer, sondern er hat sich in die Wogen des Meeres hineingewagt. Zuerst fügte ihm die Erinnerung Schmerzen zu, jetzt spendet sie Trost und ruft Dankbarkeit hervor. Die Schönheit des Lebens, die Verbundenheit untereinander leuchten auf. Im Refrain singt er davon, wie wertvoll das Leben ist.

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Wir war’n geboren um zu leben, mit den Wundern jener Zeit, sich niemals zu vergessen bis in alle Ewigkeit. Wir war’n geboren um zu leben, für den einen Augenblick, bei dem jeder von uns spürte, wie wertvoll Leben ist. Die Erinnerung an Ihre Frau, an ihre Lebenslust, ihre Energie, ihren Humor, an die gemeinsamen Erlebnisse – all das bringt Sie zum Leuchten. Das habe ich bei unserem Gespräch gesehen. Es zeigt Ihnen, wie wertvoll Ihre gemeinsame Zeit war, wie wertvoll das Leben ist. In dem genannten Brief schreibt Dietrich Bonhoeffer: »Je schöner und voller die Erinnerungen, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht mehr wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.« Gott füllt die Lücke nicht aus, aber er will Ihnen helfen, die Arme auszubreiten und das Geschenk des vergangenen Schönen anzunehmen, dankbar zu sein. Er will Ihnen helfen, Neues zuzulassen, weiterzugehen, »nach vorn’ in eine Zukunft zu schau’n«. Gott füllt die Lücke nicht aus, aber er will uns Geborgenheit schenken, Wegbegleiter sein. Er will unsere schmerzenden Seelen Heil geben. In einem Gedicht, das Sie aus dem Schulunterricht noch kennen und das wir gleich gemeinsam singen werden, schreibt Dietrich Bonhoeffer: Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast. Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Weitere Impulse o »Over the Rainbow« (Ps 23) Sabine Sauerwein, in: Friedrichs (Hg.), Bestattung, 93–97

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»Ich bin vom Leben geküsst« (Mt 10,22) Johann Hinrich Claussen, in: Friedrichs (Hg.), Bestattung, 89–93.

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Bezugnahme auf Motive, Bilder, Fotos, die auf einem selbstgestalteten Sarg/einer selbstgestalteten Urne zu sehen sind moderne Psalmübertragung vorlesen (lassen), auslegen oder auf ein Liedblatt drucken Johannes Hansen, Dein Gast auf dieser Erde. Psalmen für schöne und schwere Tage, Wesel 22003.

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Weiterführung Am ehesten werden kirchliche Angebote und Hilfen geschätzt, die einen offenkundigen, praktischen Bezug zur Lebenssituation haben, die Alltagsgestaltung erleichtern und möglichst »unideologisch« formatiert sind. Glaube ist Hilfe zum Leben. Die Ortsgemeinde repräsentiert in gewissem Sinn das Überschaubare, Familiäre, Kleinräumige und auch die Erdung und Beständigkeit, nach denen Adaptiv-Pragmatische streben (»Regrounding«). Der Kontakt mit den Angehörigen kann per Mail oder über soziale Netzwerke gepflegt werden. Besuchsangebot einige Wochen nach der Bestattung Nach einem Gespräch könnte gemeinsam eine kleine Liturgie in moderner Sprache (»New Liturgy«) gesprochen und gebetet werden oder gemeinsam im Audioformat gehört werden; der Hinterbliebene kann Text und Audio für schwere Stunden behalten.

Gedenkfeier am ersten Todestag Am Abend des ersten Todestags trifft man sich im engen Familien- und Freundeskreis, erzählt Geschichten und schaut Fotos an. Man tauscht sich darüber aus, wie sich das Leben durch den Abschied verändert hat und wie man wieder ins Leben zurückgefunden hat. Zum Abschluss des Gedenkens eignet sich das Steigenlassen von Himmelslaternen, das in der Dunkelheit besonders eindrucksvoll und symbolkräftig ist. Edgar Drückes, Abschiednehmen im Angesicht des Verstorbenen, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 43.

Vernetzung mit Familien, die das Schicksal eines Todesfalls teilen (auch jenseits der Parochie) professionell angeleitetes Trauergespräch (z.B. gemeinsame Lektüre eines Buches) Ulla Engelhardt, Jung verwitwet: Weiterleben, wenn der Partner früh stirbt, Frankfurt 2012.

Hilfen im Alltag (z.B. Kinderbetreuung, um den Besuch eines Trauercafés zu ermöglichen) Angebote der gemeindlichen Kinder- und Jugendarbeit, Nachhilfe ehrenamtliche Mitarbeit als Hilfe zur »Rückkehr ins Leben«: spezifische Kompetenzen und Qualifikationen abfragen, Projektmitarbeit mit definiertem Anfang und Ende (z.B. Erarbeitung eines Fundraisingkonzepts, Gestaltung von Flyern)

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Sozialökologisches Milieu

Bruder und Schwester begleiten mich ins Wohnzimmer der verstorbenen Frau K. Dekorationsartikel aus aller Welt zieren das volle Bücherregal. Das Themenspektrum der Bücher ist breit: Reisen, Spiritualität, Umwelt. An der Wand gegenüber hängt das Misereor-Hungertuch aus den Jahren 2009–2010. In bunten Farben warnt es vor der drohenden Klimakatastrophe und zeigt mit prophetisch-mahnendem Finger auf Umweltzerstörung und Ausbeutung. Fotos erinnern an die Reisen der Verstorbenen. Auf ihnen ist Frau K. meist zusammen mit freundlich lächelnden Einheimischen abgebildet. In der Ecke stehen selbst gefertigte Tonkrüge und deuten auf das kreative Hobby der Verstorbenen hin. Die Geschwister sind gut vorbereitet. Bereits einen Tag nach dem plötzlichen Tod von Frau K. im Alter von 63 Jahren haben sie einen stichpunktartigen Lebenslauf erstellt. Die Verstorbene war Gymnasiallehrerin für Geschichte und Französisch und hatte bereits während ihres Studiums gegen den Willen der Eltern einen Kommilitonen geheiratet. Nach dem Scheitern der Ehe lebte Frau K. alleine mit ihrer Tochter. Auf der Rückreise von einer Urlaubsfahrt überließ sie der 18-jährigen das Steuer, und es kam zu einem tragischen Unfall. Die Tochter verstarb, Frau K. überlebte leicht verletzt. Diesen Schicksalsschlag habe Frau K. nie wirklich verschmerzt. Dennoch blieb sie dem Leben zugewandt und engagierte sich ehrenamtlich in vielen Bereichen. Besonders aktiv war sie bei der Gründung der Seniorengenossenschaft – einer Bürgerbewegung, die sich für den Bau von altersgerechten Wohnungen und Pflegeplätzen am Ort stark macht. Für ihr Wirken habe Frau K. sogar den Bürgerteller des Ortes verliehen bekommen, sagt der Bruder. Dabei zeigt er stolz auf die Urkunde, die diese Ehrung dokumentiert. Ich bin erleichtert, dass ich bereits im Vorfeld mit dieser Initiative bekannt wurde und daher den Einsatz von Frau K. würdigen kann. Für die Bestattungsfeier haben die Angehörigen vor allem klare Vorstellungen davon, was sie nicht wollen. »Auf keinen Fall dieses Lied, das man immer singt.« Sie meinen »So nimm denn meine Hände.« Gemeinsam erarbeiten wir die Gestaltung der Abschiedsfeier, bedenken die Lieder und die Lesungstexte. Schließlich resümiert die Schwester: »Ja, so ist es gut. So soll man meine Schwester in Erinnerung behalten.«

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem sozialökologischen Milieu zugeordnet werden,

wollen mit ihrem Leben einen »positiven Fingerabdruck« in dieser Welt hinterlassen, bemühen sich um einen nachhaltigen, verantwortungsvollen Lebensstil, der sich auf alle Lebensbereiche erstreckt (Ernährung, Wohnen, Energie, Mobilität), lehnen unkritischen Konsum ab, geben sich mit dem gegenwärtigen Zustand der Welt nicht zufrieden, wollen Veränderungen initiieren und unterstützen, sowohl im lokalen Umfeld wie in globalen Zusammenhängen, sind skeptisch gegenüber allen Versuchen, revolutionäre Handlungsimpulse zu schwächen und den Status quo zu legitimieren, sind offen für spirituelle und esoterische Angebote, suchen »Entschleunigung«, lassen sich vom »Fremden« faszinieren (z.B. fremde Kulturen), interessieren sich für Kunst und Kultur, verfügen über eine überdurchschnittlich hohe Formalbildung und über ein Einkommen im mittleren bis gehobenen Bereich. 7 % der Bevölkerung Altersdurchschnitt 48 Jahre Bestattungsmusik »Man in Black« (Johnny Cash) »Warum werde ich nicht satt« (Die Toten Hosen) »Another Brick in the Wall« (Pink Floyd) »Der Weg« (Herbert Grönemeyer) »So wie du warst« (Unheilig) »Only Time« (Enya) »We shall overcome« (Spiritual) Bestattung und sozialökologisches Milieu Der individuelle Lebenslauf des Verstorbenen ist von besonderer Bedeutung. Gleichwohl soll die Bestattungspredigt den Toten kritisch würdigen, ohne zu beschönigen (die prägenden Lebensumstände, den Charakter, das Lebenswerk).

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Am Lebenswerk des Verstorbenen kann exemplarisch deutlich werden, dass sich der Einsatz für eine gerechtere Welt lohnt und Lebenssinn stiftet. Der persönliche Glaube steht über der institutionalisierten Religion und setzt sich aus verschiedenen spirituellen Elementen zusammen (auch aus fernöstlicher Tradition). Entsprechend »unorthodox« sind auch die Jenseitsvorstellungen. Fixierte theologische Standpunkte und fromme, dogmatische »Hülsen« sind verpönt. Kirchliche Regelungen und örtliche Bräuche werden nicht einfach akzeptiert, sondern kritisch hinterfragt. Kirche ist da relevant, wo sie als soziale und ökologische Kontrastbewegung gegen den Mainstream in Erscheinung tritt und für eine Verantwortungsethik und einen Wertewandel einsteht. Auch (und gerade) angesichts des Todes ist es die Aufgabe der Pfarrerin, zum gesellschaftlichen Umdenken aufzurufen und den Hinterbliebenen eine kritische Sicht auf ihren Lebensstil zuzumuten. Bei der Wahl von Sarg, Urne und Grabstein wird Wert auf umweltverträgliche Materialien und eine sozialverträgliche Herstellung gelegt (z.B. Grabstein nicht aus Kinderarbeit). Gegenüber neuen Trends auf diesem Gebiet sind Sozialökologische aufgeschlossen (Urne aus Lehm, geflochtener Korbsarg, Sarg aus recycelter Pappe). Martine Dupont, Urnen aus reinem ungebranntem Lehm, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 65–67. www.kunstbrand.de www.lehmurnen.de

Über die Hälfte der Menschen aus dem sozialökologischen Milieu bevorzugt eine Feuerbestattung; überdurchschnittlich häufig wird eine anonyme Bestattung gewählt (ca. 13 %). Die Kosten für die Bestattung liegen mit ca. 4280 € ebenfalls über dem Durchschnitt, im Milieuvergleich der zweithöchste Wert.

»Dieser Mensch hat nicht umsonst gelebt.«

Dos und Don‘ts – Das Werteprofil des sozialökologischen Milieus Sozialökologische tun sich schwer, wenn …

sie sich mit dem »System Amtskirche« und seinen Ordnungen konfrontiert sehen, sie das (neo-)marxistische Vorurteil bestätigt sehen, Religion sei eine systemstabilisierende reaktionäre Vertröstung auf die Ewigkeit,

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sich die Verkündigung auf die Gottesbeziehung des Individuums beschränkt und die soziale Verantwortung des Einzelnen für das Wohl der Welt ausgeblendet bleibt, sie eine pessimistische Einstellung vermuten, die zu einem resignativen und tatenlosen Warten auf die Erlösung verleitet, die Bestattung als formales Ritual erlebt wird, das der Individualität des Verstorbenen und vor allem seinem Lebenswerk nicht gerecht wird, der Pfarrer den Eindruck erweckt, die Bestattung sei nur ein Routinetermin in seinem Arbeitsalltag. Sozialökologische freuen sich, wenn …

die Kirche sich für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetzt und daher das Lebenswerk des Verstorbenen würdigt, die Predigt Impulse vermittelt, kritisch mit gegenwärtigen Einstellungen zum Leben und Tod umzugehen (Konsumorientierung, Verdrängung des Todes, Ökonomisierung des Gesundheitswesens), hochkulturelle Elemente vorkommen, die einen lebensweltlichen Bezug haben (Gedichte, Liedtexte, musikalische Beiträge), der Pfarrer durch eigene Recherche zeitgeschichtliche Dokumente zitiert, die das Leben des Verstorbenen (mit seinen positiven und problematischen Entwicklungen) besser verstehen helfen, sich während der Trauerfeier bei den Angehörigen ein gesundes Maß an Stolz auf die Leistungen des Verstorbenen entwickeln darf, die Trauerfeier von einer Atmosphäre ruhiger Würde geprägt ist. Theologische Anknüpfung Der Mensch trägt Verantwortung. Gott hat ihn als partnerschaftliches Gegenüber erschaffen und mit Aufgaben betraut (Gen 1,26; 2,15). Durch den Einsatz seiner Gaben verwirklicht der Mensch seine Berufung (Röm 12,1–8) und wird dafür von Gott einmal zur Rechenschaft gezogen werden (2Kor 5,10; Mt 25,14–30). »Nicht die Welt aus den Angeln heben, sondern am gegebenen Ort das im Blick auf die Wirklichkeit Notwendige zu tun, kann die Aufgabe sein« (Dietrich Bonhoeffer). Die Lebenszeit ist kostbar, daher soll sie bewusst eingesetzt werden (Eph 5,16). Der gegenwärtige Zustand der Welt entspricht nicht dem guten Schöpfungswillen Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen und wartet unter Seufzen auf die Erlösung (Röm 8,19–24). Die christliche Gemeinde bringt im Gebet die Klage der leidenden Welt vor Gott. »Wie narzisstisch muss eigentlich ein Glaube sein, der angesichts des Unglücks und der abgründigen Leiden in der Schöpfung, Gottes Schöpfung,

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nur Jubel kennen will und keinen Schrei vor dem dunklen Antlitz Gottes?« (Johann Baptist Metz). Die Vision von einer gerechten und friedlichen Welt ist keine bloß jenseitige Utopie, sondern Provokation zu einem diesseitigen Handeln (Jes 58,6–7). Die präsentische Dimension christlicher Eschatologie versteht die Hoffnung des Glaubens nicht als Vertröstung auf das Jenseits. Schon hier und jetzt erfahren Menschen die Zuwendung Gottes, nicht erst im »neuen Jerusalem«. Wir sind in unserem gesamten Leben zum Einsatz unserer Gaben berufen – wenn auch vieles von dem, was wir tun, nur bruchstückhaft und vorläufig bleibt. Die zentrale Botschaft von der Rechtfertigung aus Gnade kann helfen, gerade die Bruchstückhaftigkeit und Vorläufigkeit allen menschlichen Wirkens zu benennen und anzunehmen. Christen sollen sich nicht den Wertmaßstäben der Welt angleichen, sondern kritisch nach Gottes Willen fragen (Röm 12,1–2). Durch ein vorbildliches Leben werden andere Menschen zu ähnlichem Handeln ermutigt. »Evangelische Provokationen« Jeder gesellschaftspolitische Einsatz für eine gerechtere Welt bleibt in seiner Wirkung begrenzt, wenn nicht die Herzen der Menschen erneuert werden (Hes 36,26–27). Das »Tun des Gerechten« muss daher stets von der Bitte um Gottes rettendes und veränderndes Wirken begleitet sein. Alle Verantwortung steht unter einem eschatologischen Vorbehalt. Menschen können den »Himmel auf Erden« nicht selbst schaffen. Sich selbst überschätzende Ideologien werden zu Totalitarismen, die rücksichtlos ihre Prinzipien durchsetzen. Mit Dietrich Bonhoeffer ist zwischen dem »Vorletzten« und dem »Letzten« zu unterscheiden. Das Lebenswerk eines Menschen ist für Gott – auch über den Tod hinaus – nicht bedeutungslos (1Kor 3,6–17). Dennoch wird kein Mensch aus seinen Werken gerecht gesprochen. Der Wert eines Menschen ist größer als die Summe seiner Taten. »Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin« (1Kor 15,10). Die Anschauungen über das ewige Leben sind mitunter patchworkartig kombinierte Elemente aus anderen religiösen Traditionen und Weltanschauungen (z.B. Seelenwanderung, Universalseele). Die christliche Auferstehungshoffnung kann der unausgesprochenen Sorge entgegengesetzt werden, dass die Individualität des Menschen nach dem Tod aufgelöst und dadurch eine bewusste Begegnung mit den Verstorbenen nicht mehr möglich ist.

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Sozialökologische zeigen ein Interesse an Veranstaltungen im Bereich der Erwachsenenbildung, wenn sie sich kritisch mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen. Eine örtliche Gemeinde, die auf Angebote zu Themen im Umfeld von Krankheit, Pflege, Sterben und Tod aufmerksam macht, hat sich bereits im Vorfeld der Bestattung als Partnerin im Engagement für eine bessere Welt gezeigt. Bei solchen Veranstaltungen kann auch auf das seelsorgerliche Angebot in einem Trauerfall aufmerksam gemacht werden (z.B. Krankenabendmahl, Aussegnung). Menschen aus dem sozialökologischen Milieu schätzen »mystisch« anmutende Rituale, die über das Hier und Jetzt hinausweisen und das Leben des Einzelnen in einen übergreifenden Zusammenhang einordnen. Angehörige des sozialökologischen Milieus engagieren sich häufig in Vereinen und Initiativen – möglicherweise in Kontakt mit kirchlichen Einrichtungen. Da eine Unkenntnis als peinlich oder verletzend erlebt werden kann, sollte der Pfarrer diese Zusammenhänge prüfen und sich informieren, bevor er das Trauerhaus aufsucht (z.B. Google-Suche, Telefonat mit Vereinsvorsitzendem). Abschied am Sterbebett/Totenbett

Rosen- oder Edelsteinritual Eine Vase mit Rosen (in symbolischen Farben) bzw. eine Schale mit Halbedelsteinen steht bereit. Die Rosen oder die Edelsteine werden, verbunden mit einem stillen Dank oder Gruß, zu dem Verstorbenen gelegt. Der Edelstein kann dabei z.B. in die Hand des Verstorbenen, auf seinen Oberkörper oder auch in die Hemdtasche gelegt werden. Eine kurze Ansprache der Pfarrerin öffnet das Ritual auf die Botschaft des Evangeliums hin. Edgar Drückes, Abschiednehmen im Angesicht des Verstorbenen, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 40f.

Gebet »In Liebe« Karl Heinz Backofen, in: Domay (Hg.), Beerdigung, 155. Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Menschen aus dem sozialökologischen Milieu schätzen den Pfarrer als kompetenten Gesprächspartner, der die zeitgeschichtlichen Hintergründe eines Lebenslaufes kennt und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt. Daher kann es hilfreich sein, sich bereits vor dem Trauerge-

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spräch über Geburtsort und Geburtsjahr zu informieren und relevante geschichtliche Kontexte zu bedenken (z.B. Vertreibung, Flucht, Mauerbau, Studentenrevolution, Wiedervereinigung). o Sozialökologische selbst haben sich in der Regel gut auf das Trauergespräch vorbereitet. Urkunden und ggf. andere persönliche Gegenstände des Verstorbenen liegen bereit. Der Lebenslauf ist bereits ausformuliert, zumindest wurden die wichtigsten Daten notiert. o Die Angehörigen aus dem sozialökologischen Milieu zeigen sich selten als trostsuchende Trauernde. Zum Umgang mit den eigenen Gefühlen hat man seine eigenen Ressourcen und möchte gegenüber der Kirche nicht als hilfsbedürftig erscheinen. Stattdessen suchen sie das Gespräch auf Augenhöhe. Gemeinsam wird ein würdiger Abschied vom Verstorbenen gestaltet. o Die Pfarrerin muss damit rechnen, dass auch grundsätzliche Fragen und kirchenkritische Töne laut werden. Themen des Gesprächs o der Lebensweg und das Lebenswerk des Verstorbenen, wie er in den zeitgeschichtlichen und sozialen Kontext eingebettet ist o die Symbolik der (sehr bewusst gestalteten) Traueranzeige o gemeinsame Arbeit an den liturgischen Elementen, Vorstellung der ortsüblichen Traditionen als Option, Vorschläge für konkrete Beteiligungsmöglichkeiten o Austausch über verschiedene Bilder vom »Leben nach dem Tod« und ihre existentielle Relevanz o Zugänge zu kreativer, meditativer Trauerarbeit (z.B. Sticken eines Leichentuches) Julia Heinrich, Über die Stickerei, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 65–67.

Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

Die Angehörigen haben sich in der Regel bewusst für einen bestimmten Ort entschieden: kommunale Trauerhalle, Abschiedsräume kommerzieller Anbieter (Bestatter), Kirchen und Kapellen o.a. Entscheidend ist die würdevolle, keinesfalls kitschige oder »trendige« Ausgestaltung mit Symbolen, also eher Kerzen als Engelsfigürchen. Sozialökologische gehören zu denjenigen, die gerne eine »naturnahe« Bestattung wählen (z.B. Friedwald, Seebestattung, Waldbach).

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Tonalität der Trauerfeier

Die liturgische Sprache vermeidet kühle Distanz ebenso wie distanzlose Emotionalität. Sie ist sich der Gefahr falscher Vereinnahmungen bewusst: »Wir sind heute alle erschüttert …« »Wir sind alle sehr dankbar …« Liturgische Zeichenhandlungen (z.B. Kreuz schlagen) werden weder übertrieben sakral noch beiläufig eingebracht. Sie sind Ausdruck einer unsichtbaren Ebene, die nicht versprachlicht werden muss. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Lesungs- und Predigttexte, die metaphorisch an markante Züge und Werte im Leben des Verstorbenen anknüpfen (Beruf, Hobby, Ehrenamt) (z.B. Pred 3,1–11; Röm 8,31–39; 2Kor 3,9–15; 1Petr 4,9–10) o Texte und Symbole der Traueranzeige Willi Hoffsümmer, 70 Ansprachen mit Symbolen. Für Trauergottesdienst und Beerdigung, Ostfildern 2011.

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Momente der Stille, evtl. musikalisch untermalt Die Hinterbliebenen können ihren persönlichen Empfindungen in Gottes Gegenwart Raum geben. Eine behutsame liturgische Hinführung eröffnet den Rahmen, sich nicht nur Gutes, sondern auch das Unstimmige und Unbequeme in der Beziehung zum Verstorbenen zu vergegenwärtigen und vergebend abzulegen. »Wir denken in der Stille an den Verstorbenen. Wir danken für alles, was gut und gelungen war. Wir geben auch dem Raum, was offen und ungeklärt bleiben musste. Wir legen alles in Gottes Hand … (Stille).« Nun kann sich ein Gebet anschließen, z.B.: »Hilf uns, das Gute zu bewahren, und das Schwere loszulassen. Nur so können wir in Frieden Abschied nehmen.«

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Meditation »Lichtregen« »Bestattung unter Bäumen«. Handreichung mit Meditation und Klappkarte (darüber hinaus weitere Modelle, Informationen und liturgische Anregungen zu dieser Bestattungsform) www.gottesdienstinstitut.org (Suchbegriff: »Bestattung unter Bäumen«)

Beteiligungsmöglichkeiten o selbstgestalteter Blumenschmuck (z.B. einen Kranz aus blühenden Zweigen eines Apfelbaums für jemanden, der die Streuobstwiese am Dorfrand liebte) Barbara Bucher, Trauerfloristik, die passt, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 89–97.

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Vorlesen des Lebenslaufs Nachruf oder persönliches Wort des Gedenkens Musikbeitrag poetischer oder literarischer Beitrag

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Literarische Beiträge werden vor allem dann geschätzt, wenn sie durch zeitgenössische, aber nicht alltägliche Sprache und einen nachvollziehbaren Lebensbezug gut zugänglich sind. Passend sind Gedichte von Mascha Kaléko (»Letztes Lied«, »Die Zeit steht still«, »Herbstlicher Vers«), Marie Luise Kaschnitz (»Maß der Liebe«) oder Hilde Domin (»Zärtliche Nacht«, »Die schwersten Wege«). Lieder

Die traditionellen Bestattungslieder sind unbekannt, werden aber möglicherweise gerade aufgrund ihrer Fremdheit dennoch geschätzt. An neueres kirchliches Liedgut und Taizé-Gesänge mag man sich aus der Kindheit (Schule, Konfirmandenunterricht) erinnern, und man ist bereit, sich im Kontext einer kirchlichen Trauerfeier erneut darauf einzulassen, zumal die Inhalte dieser Lieder häufig mit den Lebensthemen des sozialökologischen Milieus kompatibel sind. »Freunde, dass der Mandelzweig« (Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder 39) »Wo Menschen sich vergessen« (Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder 93) »Wir wissen nicht, wann diese Zeit« (Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder 92) »We shall overcome« (EG Regionalteil) »Hilf Herr, meines Lebens« (EG 419) »Herr, deine Liebe« (EG Regionalteil) »Nichts soll dich ängsten – Nada te turbe« (EG Regionalteil) »Morning has broken« (»Morgenlicht leuchtet«, EG 455) Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Vom Töpfern« Unabwendbar sind heute die Fragen, die wir so gerne verdrängen: Was steht am Ende unserer letzten Lebensreise? Wohin gehen wir? Und überhaupt: Was ist denn der Sinn des Lebens und aller Mühe, wenn es irgendwann doch mit uns allen zu Ende geht? Es gibt viele Verse in der Bibel, die uns helfen, über diese wichtigen Fragen nachzudenken. Ich möchte anknüpfen an das Hobby von Frau K., an ihre Freude am Töpfern. Gott wird in der Bibel an mehreren Stellen mit einem Töpfer verglichen. Schon auf den ersten Seiten der Bibel wird davon erzählt: Gott nimmt Lehm von der Erde und formt daraus den Menschen. Der Schöpfer ist ein Töpfer, ein Künstler, der liebevoll ein Kunstwerk herstellt (Gen 2,7). Die Bibel drückt mit dieser bildhaften Erzählung eine wichtige Botschaft aus: Gott ist kein abstraktes Prinzip oder ein bloßer Gedanke. Gott ist ein Gott, der sich die Hände schmutzig macht, um uns Menschen zu schaffen. Wir sind ein Kunstwerk – liebevoll von ihm so geformt, so wie er uns haben möchte. Und darum auch wertvoll.

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Gott hat sich etwas dabei gedacht, als er uns geschaffen hat. Wie ein Töpfer schon das fertige Kunstwerk sieht, wenn er noch den rohen Klumpen Ton vor sich hat, so hat auch Gott ein Ziel mit unserem Leben. Kein Mensch lebt nur für sich selbst. Unsere Gaben, unsere Stärken und Fähigkeiten, ja auch unsere Ecken und Kanten haben wir, weil Gott ganz bestimmte Lebensaufgaben für uns hat. Gott traut uns etwas zu. Er übergibt uns Verantwortung für diese Welt. Für jeden von uns sieht diese Verantwortung anders aus. Darum hat Gott seine Kunstwerke auch unterschiedlich geformt. Frau K. hat er begabte Hände und ein starkes soziales Gewissen geschenkt. Mit beidem hat sie versucht, ihren Beitrag zu einer gerechteren Welt zu leisten: auf ihren weltweiten Reisen, aber auch durch ihr Engagement hier an unserem Ort. Durch den Verlust ihrer Tochter hatte sich der Wunsch tief in ihr Herz eingeprägt, fürsorglich für andere da zu sein. Gott hat sich etwas dabei gedacht, als er uns geschaffen hat. Aber nicht immer begreifen wir, warum Gott uns so und nicht anders gemacht hat. Warum lässt er manches Schwere in unserem Leben zu? An vielen Stellen der Bibel heißt es: »Glücklich ist der Mensch, der sich auf Gott verlässt.« Ich würde sagen: »Glücklich ist der Mensch, der sich trotzdem auf Gott verlässt.« Denn er weiß, dass er noch nicht das ganze Bild vor Augen hat. Er hat die Hoffnung, dass der Töpfer weiß, was er tut, und dass er am Ende ein wunderbares Kunstwerk in den Händen hält. Vor langer Zeit besuchte einmal Georg V. von England seine PorzellanManufaktur. Er begutachtete das Porzellan, das für den Buckingham-Palast bestimmt war. Da sah er eine junge Frau, die eifrig damit beschäftigt war, das Innere der Tassen schwarz zu malen. Er konnte dies nicht verstehen. Er hatte keinen Auftrag erteilt, schwarzes Porzellan herzustellen, noch wollte er schwarzes Porzellan in seinem Palast. Und so stellte er die Töpferin zur Rede. Sie erklärte ihm: »Unter der schwarzen Farbschicht liegt Gold. Wenn die Tassen ins Feuer kommen, verbrennt die schwarze Schicht und das Gold prägt sich tief in den Ton ein. Aber wenn das Gold ohne das schützende Schwarz dem Feuer ausgesetzt worden wäre, hätte man es verdorben.« So manches in unserem Leben ist und bleibt dunkel. Frau K. hat das auch erfahren müssen. Wir sehen nur Schmerz und Trauer. Doch: Hinter vielem, was uns nur dunkel und schwer vorkommt, verbirgt sich etwas Kostbares. Gott, der himmlische Töpfer, hat es tief in unser Herz eingebrannt, damit es für andere zum Segen wird. Weitere Impulse o Gedichtinterpretation Rainer Maria Rilke, »Herbst« Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde.

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Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.

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»Gebt ihr ihnen zu essen!« (Mt 14,13–21) – für Menschen, die sich für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben Holger Winterholer, in: Warzecha (Hg.), Du hast Worte ewigen Lebens, 74–76.

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»Eine Geschichte vom ewig kleinen Prinzen« Maibaum, Abschiedsbuch, 91–93.

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»Ein Hoffnungstext zu 1Kor 13,13« Maibaum, Abschiedsbuch, 78f.

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»Nicht ohne die Toten, sondern mit ihnen leben« (Roland Kachler) Roland Kachler formuliert sein Plädoyer vor dem Hintergrund der Frage, »was wir von der Ahnenverehrung lernen können«. Aus christlicher Perspektive gilt es, ein gutes Maß zwischen Loslassen und »in-guter-Erinnerung-behalten« zu finden. Die orthodoxe Frömmigkeit, die die Gemeinschaft der Heiligen auch über den Tod hinaus betont, kann hier Anregungen bieten. Roland Kachler, Meine Trauer wird dich finden. Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit, Freiburg im Breisgau 122012, 33f.

Weiterführung Sozialökologische teilen viele Werte, die auch das diakonische Engagement der Kirche prägen; häufig gibt es daher intensive Beziehungen zu engagierten Gemeindegliedern. Doch das gemeinsame Werteprofil wird nicht selten durch eine kritische Distanz gegenüber der Institution Kirche überlagert. Nur eine Kirche, die sich sichtbar und leidenschaftlich für ein gutes Gemeinwesen, für Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung engagiert, wird Neugierde und Respekt der Sozialökologischen gewinnen. Für die Kirche stellt sich die missionarische Aufgabe, den Menschen einen (neuen) Zugang zum geistlichen Schatz der Kirche zu eröffnen, nicht als Alternative zum sozialdiakonischen Engagement, sondern als dessen Fundament. Mitwirkung am Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag Individuelle Abschiedsworte, die die Angehörigen im Vorfeld oder während des Gottesdienstes formulieren und z.B. ans Altar-Kreuz legen. Individuell gestaltete Karten, die einen Aspekt der Dankbarkeit formulieren, von den Angehörigen verlesen und danach im Kirchenraum ausgestellt werden.

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kulturell und intellektuell anspruchsvolle Veranstaltungen (Konzerte, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Seminare, Lektürekreise) sozialdiakonisches Engagement in der örtlichen Ökumene Mitwirkung und Planung von Veranstaltung zu sozialen und politischen Themen Mitwirkung bzw. Leitung eines Trauer-Gesprächskreises In der Literatur werden zahlreiche Praxisbeispiele für die Gestaltung eines TrauerGesprächskreises genannt. Ein Ritual für eine Trauergruppe kann die »Bodenspirale« sein: Auf den Boden wird eine Spirale aus Tüchern oder Naturmaterialien wie Steinen, Ästen, Blumen, Hölzern gelegt. Sie kann als Symbol für den Trauerweg gedeutet werden. Die Mitte wird mit einer (Oster-)Kerze, einer Wasserschale oder einer Weihrauchschale gestaltet. Der Trauerweg wird nachvollzogen mit dem Ziel, die Mitte wieder zu finden, aus der Kraft für den Alltag geschöpft werden kann. Marie-Luise Hildebrand, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 147.

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Traditionelles Milieu

Als ich die Gartentür öffne, sehe ich, wie der Vorhang sich bewegt. Ich werde schon erwartet. Die Tür öffnet sich, und die Witwe, Frau K., bittet mich in die gute Stube, wo auch die beiden Kinder schon warten. Ich bekomme den Sessel angeboten, und sogleich wird mir ein Teller mit einem Stück Kuchen gereicht. Das Stammbuch, der Konfirmationsspruch und der Trauspruch liegen auf dem Tisch. »Ach, Herr Pfarrer, es gibt ja so viel zu tun. Diese ganzen Sachen mit den Ämtern, das hat ja immer mein Mann gemacht. Ich weiß gar nicht, wie das werden soll. Um alles hat sich mein Mann gekümmert, auch hier im Haus. Wenn mit der Waschmaschine was war oder mit dem Waschbecken oder den Wasserleitungen – die Leitungen hat er ja noch alle gelegt im Haus. Oder mit der Elektrik – er hat alles selbst gemacht. Wir haben keinen Handwerker bestellt, Herr Pfarrer. Er hat hier immer alles in Ordnung gehalten. Auch beim TSV hat er sich um viel gekümmert. Da war er ja jetzt 36 Jahre Kassierer. Mit der Mannschaft hat er viel gemacht. Nach den Spielen war bei uns der Keller immer voll. Und seit sie alle in Rente sind, haben sie auch sonst viel gemeinsam unternommen. Kegeln, Wandern … Wenn die Enkel da waren, ist er mit ihnen immer in den Garten gegangen. Letzte Woche haben sie noch Erdbeeren gepflückt, als mein Mann die Hecken gestutzt hat. Er war auch ein guter Großvater. Manchmal war er natürlich auch ein bisschen schwierig. Aber das kommt doch in den besten Familien vor. Davon müssen Sie ja nichts sagen, Herr Pfarrer. Das ist jetzt nur für Sie. Er hat doch so viel für die Familie gemacht. Oder, Kinder? Sagt ihr doch auch mal was.« »Ja, so war der Vater. Manchmal ein bisschen schwierig, aber im Großen und Ganzen …«

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem traditionellen Milieu zugeordnet werden,

gehören der Kriegs- oder Nachkriegsgeneration an, für die Sicherheit und Ordnung ein sehr hohes Gut darstellen, sind der alten kleinbürgerlichen Welt bzw. traditionellen Arbeiterkultur verhaftet, schreiben Werte wie Plicht, Akzeptanz, Autorität, Anstand, Genügsamkeit, Frömmigkeit und Respekt groß, pflegen einen rustikalen Lebensstil, sehen sich als die »kleinen Leute«, verfügen überwiegend über eine niedrige formale Bildung und über ein unteres bis mittleres Einkommen, fühlen sich mehr und mehr in der Gesellschaft an den Rand gedrängt und sind mit den Modernisierungen überfordert, fragen sich, wozu sie noch nütze sind und was ihre Aufgaben sind. 15 % der Bevölkerung (Tendenz stark sinkend) Altersdurchschnitt 65 Jahre Bestattungsmusik »Niemals geht man so ganz« (Trude Herr) »Amoi seg’ ma uns wieder« (Andreas Gabalier) »Es gibt ein Wiedersehen« (Florian Silbereisen) »Im nächsten Leben« (Andrea Berg) »Erinnerung« (Roger Whittaker) »Die letzte Rose« (André Rieu) »Say Goodbye« (Bonnie Tyler) »Weil mein Herz dich nie mehr vergisst« (Vicky Leandros) »Unendlich« (Cassandra Steen) »Es war einmal ein treuer Husar« (Volkslied) »Wolgalied« (Volkslied) »Capri Fischer« (Vico Torriani) Bestattung und traditionelles Milieu Die aktive Teilnahme am kirchlichen Leben und der regelmäßige Gottesdienstbesuch gehören dazu, auch der Besuch einer Trauerfeier, wenn ein Ortsansässiger verstorben ist. Die Bestattung sollte so gestaltet sein, wie es vor Ort üblich ist.

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Das, was tröstet und Halt gibt, wird sehr hoch geschätzt. Der Glaube hat häufig eine starke Jenseitsorientierung. Das Jenseits ist dabei ein Sehnsuchtsort. Es wird gewünscht und erwartet, dass bei einer Bestattung nichts Negatives über den Verstorbenen gesagt wird (De mortuis nihil nisi bene). Es wird eine starke Erinnerungskultur gepflegt. Bei dem Grab ist (oft aufgrund von altersbedingten Einschränkungen) darauf zu achten, dass es pflegeleicht ist. Überdurchschnittlich häufig wird eine Feuerbestattung gewählt (ca. 59 %). Eine traditionelle Bestattungsform (Erd- oder Urnenwahlgrab bzw. -reihengrab) wird von knapp 83 % bevorzugt, jedoch liegt auch der Wert der anonymen Bestattungen über dem Durchschnitt (ca. 13 %). Überraschender noch ist der hohe Anteil der Beisetzungen in Kolumbarien, mit fast 8 % der höchste Wert im Milieuvergleich. Im Mittel werden 3700 € für die Bestattung ausgegeben.

»Das gehört sich so.« Dos and Don’ts – Das Werteprofil des traditionellen Milieus Traditionelle tun sich schwer, wenn …

von dem, was »man« macht, abgewichen wird, das Gewohnte zu sehr abgeändert wird (keine liturgischen »Experimente«), Popmusik gespielt wird, »modische Trends« aufgenommen werden, ihnen ganz allgemein Fremdes begegnet, eine kritischer Auseinandersetzung erwartet und Reflexion gefordert wird, sie sich infrage gestellt fühlen, theologische und andere Fremdwörter gebraucht werden, ökumenische Gottesdienste gefeiert werden. Traditionelle freuen sich, wenn …

die »guten Seiten« des Verstorbenen in den Blick rücken, sein »christliches« Leben und seine Lebensleistung angemessen gewürdigt werden, für Werte eingetreten wird, das Bewährte anerkannt wird, die Pfarrerin den örtliche Traditionen folgt und sich die Anwesenden im liturgischen Ablauf sicher fühlen, die sinn- und identitätsstiftende Kraft des Glaubens deutlich gemacht wird.

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Theologische Anknüpfung Angehörige des traditionellen Milieus schätzen das Herkömmliche. Eine Bestattung, die sich an der traditionellen Liturgie orientiert, gibt ihnen Halt in ihrer Trauer. Außerdem erleben sie sich durch die festen Rituale als handlungsfähig, weil sie wissen, was in diesem Fall zu tun ist. Bei Menschen, die im Krieg Vertreibung erlebt haben, kann die Suche nach einer Heimat ein dominierendes Lebensgefühl darstellen. Es bietet sich an, an das wandernde Gottesvolk, den Wanderprediger Jesus und die Hoffnung auf eine ewige Heimat anzuknüpfen. Menschen aus dem traditionellen Milieu stellen mit ihrem Pflichtbewusstsein oft das Rückgrat eines Dorfes und einer Kirchengemeinde dar. Sie kommen treu zu Veranstaltungen und helfen, wo es gerade am Nötigsten ist. Frauen opfern sich für die Familien auf. In ihrer Frömmigkeit verbindet sich dies häufig mit der Hoffnung, dass es ihnen in der Ewigkeit vergolten wird. Eine Kirche, die »Kirche bei Gelegenheit« sein will, muss auch eine »Kirche in Stetigkeit« sein wollen (Gerhard Hennig). Gerade mit dem sinkenden Anteil des traditionellen Milieus in den nächsten Jahren wird die Herausforderung hier virulent. »Evangelische Provokationen« Angehörige aus dem traditionellen Milieu neigen zu einer Glorifizierung des Verstorbenen. Dagegen kann betont werden, dass der Mensch auch ein gebrochenes Wesen mit seinen Schwächen ist, dass ein Christ seine Schwächen eingestehen darf in dem Vertrauen auf die Zusage Gottes, dass er in den Schwachen mächtig ist (2Kor 12,9). Es wird häufig die eigene Schaffenskraft in den Vordergrund gerückt. Hier gilt es, das sola gratia zu betonten. »Gott liebt das Werkzeug, das wir sind, mehr als das Werk, das wir zustande bringen« (Tullio Vinay). Der eigene Lebensentwurf wird im traditionellen Milieu oft verabsolutiert. Daneben kann nicht viel gedacht werden. Nachfolgende Generationen leiden darunter möglicherweise. Eine biblische Deutungshilfe könnte die Auseinandersetzung um Starke und Schwache in der Gemeinde in Korinth (1Kor 8,9) und Rom (Röm 14,7–9) bieten. So mancher, der Not und Mangel im Krieg erlebt hat, wurde später zu einem Sammler, der die Dachböden und Keller seines Hauses füllte. Das Loslassen fällt diesen Menschen sehr schwer. Mt 6,20 hält dagegen fest: »Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.«

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Traditionelle haben oft noch einen verhältnismäßig engen Kontakt zur Kirche. Auch weil der Altersdurchschnitt in dem Milieu sehr hoch ist und sie dementsprechend schon einige Bestattungen erlebt haben, sind sie mit dem Ablauf einer kirchlichen Bestattung noch sehr vertraut. Es ist also zu erwarten, dass sie genaue Vorstellungen davon haben, wie die Trauerfeier ablaufen wird. In den Vorbereitungen und im Gespräch können trotzdem große Unsicherheiten auftreten in Bezug darauf, was »man« zu tun hat. Hier wird die Unterstützung des Pfarrers gerne in Anspruch genommen. Telefonisch wird ein persönliches Gespräch vereinbart. Angehörige aus dem traditionellen Milieu schätzen den persönlichen Kontakt sehr. Mit Angehörigen aus moderneren Milieus können nach dem Gespräch kleinere formale Fragen auch per E-Mail geklärt werden. Ob ein Krankenabendmahl oder eine Aussegnung am Sterbebett gewünscht sind, wird von den örtlichen Traditionen abhängen. Die Pfarrerin kann hier Angebote machen, muss aber damit rechnen, dass alles Ungewohnte und Neue abgelehnt wird. Abschied am Sterbebett/Totenbett

vorgängige Erläuterung des liturgischen Ablaufs und moderierende Ansagen durch die Pfarrerin, um Sicherheit zu vermitteln Berühren des Verstorbenen Entzünden einer Kerze, verbunden mit einem ausgesprochenen oder stillen Gruß an den Verstorbenen In vielen stationären Einrichtungen wird eine Kerze (in einem feuerfesten Glas) vor dem Zimmer des Verstorbenen angezündet – als Zeichen und Mitteilung, dass dieser Mensch gestorben ist. Man kann anregen, dies auch zu Hause in oder vor dem Zimmer des Verstorbenen zu tun.

Vaterunser beten und dabei einen (Halb-)Kreis um das Bett bilden und sich eventuell an der Hand fassen (eine darüber hinausgehende Beteiligung der Angehörigen ist vermutlich nicht gewünscht) Trauergespräch

Rahmen und Charakter o In den Augen von Menschen aus dem traditionellen Milieu nimmt der Pfarrer die Rolle des Hirten ein, dem man sich in geistlichen und theologischen Fragen anvertrauen kann. Sie begegnen ihm in einem hierarchischen Verhältnis.

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Lebt der Ehepartner noch, so bietet sich das Gespräch zu Hause an, und auch andernfalls kann es hilfreich sein, sich mit den Angehörigen im Haus der Verstorbenen zu versammeln. o Da der Altersdurchschnitt in diesem Milieu sehr hoch ist, kommt es häufig vor, dass der Verstorbene zuletzt im Pflegeheim gelebt hat und die Kinder oder andere Angehörige weit entfernt wohnen. Entweder kommen sie dann zum Gespräch angereist oder es wird nur telefonisch geführt. In letzterem Fall kann darum gebeten werden, dass die Angehörigen ein paar Fotos per Mail an die Pfarrerin schicken, damit sie sich ein Bild von dem Verstorbenen machen kann. o Oft begegnet einem in diesem Milieu die Herausforderung der »einseitigen Kommunikation«. Entweder redet das Gegenüber ununterbrochen, und der Pfarrer hat Mühe, zu Wort zu kommen, oder aber das Gegenüber ist sehr hilflos und wortkarg im Gespräch. In beiden Fällen hilft es, klare Gesprächsbausteine als Gerüst im Kopf zu haben (Kennenlernen der Verstorbenen – Ablauf der Trauerfeier – Klärung von Formalia). Themen des Gesprächs o den vor Ort üblichen Ablauf der Trauerfeier vorstellen und erläutern o ein Bibelvers, der die Verstorbene begleitet hat (evtl. hängt ein gerahmter Bibelvers oder auch ein biblisches Motiv wie »Der gute Hirte« in der Wohnung); Konfirmations- oder Trauspruch o ein Sinnspruch oder eine Volksweisheit, die evtl. für die Traueranzeige verwendet wurden o gemeinsam das Fotoalbum anschauen o die Bedeutung von Arbeit, Familie, Haus, Heimat im Leben des Verstorbenen o Gedanken des Verstorbenen zu seinem Tod

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Hat der Verstorbene sich auf seine eigene Bestattung vorbereitet? Oder hat er sich bei gemeinsam erlebten Trauerfeiern über die Gestaltung geäußert?

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die spezifische Erinnerungskultur des traditionellen Milieus Angehörige des traditionellen Milieus neigen zu Romantisierungen des Vergangenen und dazu, Probleme unter den Teppich zu kehren. Sind Kinder dabei, die möglicherweise einem anderen Milieu angehören, sollten diese aktiv ins Gespräch mit einbezogen werden. Andernfalls kann die Witwe auch gefragt werden: Was würden denn Ihre Kinder dazu sagen?

Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

Grundsätzlich so wie vor Ort üblich. In Dörfern ist es noch üblich, dass zur Trauerfeier mit Aushängen eingeladen wird, die an bekannten Orten (etwa beim Metzger, am Backhaus) zu finden sind.

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Mancherorts gibt es den Brauch von Totenbildchen: Karten mit einem Bild des Verstorbenen, auf denen man im Dorf das Ableben eines Menschen mitteilt, zur Beerdigung einlädt oder um Gebet bittet. Oft werden sie auch im Rahmen der Trauerfeier an die Anwesenden verteilt. Ursula Schairer, Mehr als nur ein Zettel: das Totenbildchen, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 119–123. Tonalität der Trauerfeier

Die Atmosphäre des Trauergottesdienstes ist feierlich und würdevoll. Die Sprache ist bodenständig, einfach und lebensnah. Es darf an das angeknüpft werden, was betroffen macht und Nähe ausdrückt (z.B. gemeinsame Erlebnisse der Dorfgemeinschaft). Die Liturgie orientiert sich an der Agende und enthält keine Experimente und nichts Ausgefallenes. Der Wunsch nach Beteiligung während der Trauerfeier ist nicht zu erwarten. Mit Nachrufen aus den Vereinen o.ä. ist dagegen zu rechnen. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Vortrag von klassischen Beerdigungsliedern durch den Begräbnischor Beteiligungsmöglichkeiten o Fürbittgebet mit dem Pflegepersonal War der Verstorbene längere Zeit krank und wurde gepflegt, können Pflegerinnen, Betreuerinnen und Ärztinnen in die Fürbitte mit einbezogen werden.

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Gebet »Ohne Vorbehalt und ohne Sorgen leg‘ ich meinen Tag in deine Hand. Sei du mein Heute, sei mein gläubig Morgen. Sei du mein Gestern, das ich überwand. Frag mich nicht nach meinen Sehnsuchtswegen, bin in deinem Mosaik ein Stein. Wirst mich an die rechte Stelle legen. Deinen Händen bette ich mich ein.« (Edith Stein) Vgl. Paul Weismantel, Weisheit und Torheit, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 93–95.

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das gemeinsame Tragen des Sarges In manchen ländlichen Gebieten ist es noch üblich, dass sich Verwandte, Nachbarn oder Arbeitskollegen am Tragen des Sarges oder der Urne beteiligen. Auch wenn nicht jeder körperlich und seelisch in der Lage ist »Hand anzule-

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gen«, in der Regel tut es den Hinterbliebenen gut, auf dem letzten Weg ganz unmittelbar und praktisch dem Verstorbenen das ehrende Geleit zu geben. Georg Schwikart, Sarg oder Urne zum Grab geleiten, in: Roth/Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich, 124f.

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Aussegnungstext am Grab »Wir lassen dich los« Maibaum, Abschiedsbuch, 113.

Lieder

Menschen aus dem traditionellen Milieu sind in der Regel mit den klassischen Bestattungsliedern vertraut und wünschen sich auch, dass diese gesungen werden oder vom Bestattungschor vorgetragen werden, je nach örtlicher Tradition. Im traditionellen Milieu wird aber auch immer häufiger der Wunsch artikuliert, nichtkirchliche Lieder einzuspielen. Die Lieder aus der Volksmusik beinhalten in der Regel viele religiöse Anspielungen, so dass es leicht fällt, das Thema des Liedes in der Ansprache zu integrieren. »So nimm denn meine Hände« (EG 376) »Jesu, geh voran« (EG 391) »Befiehl du deine Wege« (EG 361) »Ja, ich will euch tragen« (EG 380) »Bei dir, Jesu, will ich bleiben« (EG 406) »Tut mir auf die schöne Pforte« (EG 166) Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Bauen, bewahren und sich freuen« Wir haben gerade einige Stationen aus dem Leben von H.K. noch einmal vor unserem geistigen Auge vorbeiziehen lassen. So wie Sie, liebe Frau K., erzählt haben, stand in seinem Leben vieles unter dem Motto »Aufbauen und Bewahren«. Das Haus hat er zum großen Teil mit eigenen Händen aufgebaut. Das Wenige, das nach dem Krieg da war, hat er so eingesetzt, dass letztendlich ein Ort entstanden ist, an dem eine ganze Familie ein Zuhause gefunden hat. Und wer ein Haus besitzt, weiß, dass es mit dem einmaligen Bauen nicht getan ist. Das Aufgebaute will gepflegt und bewahrt werden. Dies tat H.K. mit Hingabe und kenntnisreicher Fähigkeit. Besonders gefreut hat er sich an seinen Enkeln, die mit ihm gerne im Garten waren und dort mit den Hasen gespielt haben. Auch in seiner Freizeit war das Aufbauen und Bewahren für ihn sehr wichtig. Er war aktiv in unserem Sportverein und hat dort als Kassenwart die Finanzen genau im Blick gehabt. Er hat dafür gesorgt, dass das Geld wohlüberlegt eingesetzt wird und alles seine Ordnung hat. Mir kommt dazu die Schöpfungserzählung in den Sinn. Darin gibt Gott den Menschen den Auftrag: »Ich setze euch über die Fische im Meer, die Vögel in

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der Luft und alle Tiere, die auf der Erde leben, und vertraue sie eurer Fürsorge an« (Gen 1,28, nach Gute Nachricht). Gott vertraut den Menschen seine Schöpfung an. Sie dürfen die Erde bebauen und sie verantwortlich nutzen, oft wird auch von »bewahren« gesprochen. Das ist die Aufgabe des Menschen, eine Lebensaufgabe. Gott freut sich, wenn wir dazu unsere Gaben einsetzen. Er freut sich, wenn wir mit dem, was uns zur Verfügung steht, etwas gestalten. Und wir dürfen uns über das Erreichte auch freuen. Das haben Sie beide, Frau K., ja auch vor allem in den letzten Jahren zusammen getan. Sie haben auf Ihrer Bank vor dem Haus gesessen und sich über die ersten Sonnenstrahlen und Knospen im Frühjahr gefreut, über die reifenden Früchte im Sommer, und Sie haben die fallenden Blätter im Herbst beobachtet. Doch wir wissen, dass das Bebauen und Bewahren nicht nur romantisch ist. Es ist harte Arbeit. Es kostet Schweiß und Nerven. Es bringt Einschränkung und Verzicht mit sich. Und wenn eine Familie zusammen baut, dann geht es gewiss auch nicht ohne Spannungen zu. Die Bibel sieht diese Realität und spricht sie deutlich aus. Wir leben nicht im Paradies. Weil die Welt gefallen ist, ist die Arbeit mit Schweiß und das Leben mit Schmerzen verbunden. Es ist immer auch eine Vorahnung des Todes, wenn Dinge nicht gelingen und zerbrechen, wenn die Kräfte nachlassen und wir uns lieb gewordene Dinge loslassen müssen. Auch das gehört dazu, wenn wir auf das Leben von H.K. zurückblicken. Als Christen bleiben wir aber nicht bei einem Rückblick stehen. Die ganze Bibel ist von Anfang an von dem Blick nach vorne geprägt. Immer wieder redet sie von der einst kommenden Zeit, in der es keine Schmerzen, keine Tränen und kein Leid mehr geben wird. Weil Gott in Jesus selber Schmerzen und Tod erlitten und überwunden hat, hat das Böse keine Macht mehr über unser Leben. Jesus hat Licht dorthin gebracht, wo es finster ist. Als Christen können wir das in diesem Leben zum Beispiel erfahren, wenn wir in der Trauer bei allem Schmerz doch auch Dankbarkeit erfahren dürfen. All das ist ein Vorgeschmack auf die Ewigkeit bei Gott, an die wir glauben. Jesaja beschreibt das große Friedensreich im Bild eines wiedergewonnen Paradieses. Er spricht also von einem Garten: Dort herrschen Gerechtigkeit und Treue. Dort wohnen Wölfe und Lämmer beieinander. Ein kleiner Junge hütet Kälber und junge Löwen. Kühe und Bären werden beieinander weiden. Ein Baby spielt am Loch einer Schlange. Und wir werden Gott in seiner Herrlichkeit erkennen. Vielleicht werden wir auch in der Ewigkeit weiter Gärten bebauen und uns um Tiere kümmern. Es wird aber gewiss keinen Schweiß kosten und Schmerzen bereiten, sondern die reine Freude sein. Und auch mit der Vergänglichkeit wird es dann ein Ende haben. Und so oft wir wollen, können wir dann auf einer Gartenbank sitzen und uns mit Gott an der ewigen Herrlichkeit freuen. Das ist unser Glaube und unsere Hoffnung angesichts des Todes. Weitere Impulse o Vertreibung im Krieg und die Erfahrung des Fremdseins, der Heimatlosigkeit (Offb 3,12; Mt 8,20)

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das »himmlische Bürgerrecht« Christoph Heinemann, Zum Tod eines Heimatvertriebenen (Phil 3,20– 21; Lk 24,1–9), in: Beate Kowalski (Hg.), Er wischt die Tränen ab von jedem Gesicht, Stuttgart 2011, 18–20.

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»viele Wohnungen« Rita Müller-Frieberg, Zum Tod eines ehemaligen »Kriegskindes« – »Im Hus meines Vaters gibt es viele Wohnungen« (Joh 14,2), in: Beate Kowalski (Hg.), Er wischt die Tränen ab von jedem Gesicht, Stuttgart 2011, 26–28.

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Arbeit mit den Händen Pflichtbewusstsein, Treue (Offb 20,10) Erinnerung bewahren: ein Gang durch die Wohnung – Bildergalerie die Ernte eines langen Lebens Vgl. Jan Badewien, Bestattung eines alten Menschen, in: Lachenmann/ Kegler (Hg.), Calwer Predigthilfen, 64.

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Geschichten von einer alten weisen Frau, »Ewiges Leben?« und »Angst vor dem Tod?« Maibaum, Abschiedsbuch, 88–91.

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Ihr seid das Licht der Welt (Mt 5,14–16) – für Menschen, die hilfsbereit waren Wolfgang Doering, in: Warzecha (Hg.), Du hast Worte ewigen Lebens, 58–60.

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»Weisheit und Torheit« (1Kor 3,16–23) – Tod in »gesegnetem Alter« Paul Weismantel, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 93–95.

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»Gott vergisst niemanden« (Jes 49,15–16) Andrea Limm-Haag, in: Domay (Hg.), Beerdigung, 107–110.

Weiterführung Viele Menschen, die dem traditionellen Milieu angehören, sind stark im sozialen, meist dörflichen, Gefüge verankert. Andere dagegen leben sehr zurückgezogen und stehen in der Gefahr zu vereinsamen. Besonders auf letztere gilt es in der Zeit der Trauer ein Augenmerk zu haben, sie über Angebote der Kirchengemeinde, der Diakonie und anderer Dienste zu informieren. Anleitungen für persönliche, rituelle und liturgische Frömmigkeit Nachbarschaftshilfe Seniorengruppen Einladung zu einem Trauercafé auf dem Friedhof Hinterbliebene aus dem traditionellen Milieu pflegen oft mit Hingabe das Grab. Trauercafés auf dem Friedhof könnten für sie eine gute Anlaufstelle sein.

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Gedenkgottesdienste und -andachten für die Verstorbenen In diesem Milieu ist die Gedenkmentalität sehr ausgeprägt. Dass im Gottesdienst der Verstorbenen gedacht wird und für die Angehörigen gebetet wird, ist für diejenigen, die eine engere Verbindung zur Gemeinde haben, sehr wichtig. Trauernde aus diesem Milieu wären sicherlich auch für Andachten für Hinterbliebene, wie sie in der katholischen Kirche Tradition sind, offen.

Karte zum ersten Todestag oder zum Geburtstag des Verstorbenen Rainer Heimburger, Karte zum ersten Todestag, in: Domay (Hg.), Beerdigung, 163f.

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Prekäres Milieu

Ich treffe zur vereinbarten Zeit zum Trauergespräch bei den Hinterbliebenen von Herrn N. († 76) ein, einem ehemaligen Monteur. Ich komme in eine Wohnung in einer Plattenbausiedlung aus den frühen 60er Jahren, das an einer stark befahrenen Hauptstraße inmitten des Ruhrgebiets steht. Der Sohn, Mitte 40, begrüßt mich und führt mich ins Wohnzimmer zu seiner Mutter. Die Jalousien sind weit heruntergelassen, die Gardinen zugezogen, die Luft ist verbraucht und schwer von Zigarettenrauch. Die Wohnung ist aufgeräumt, aber verlebt. Das Gespräch verläuft stockend und nicht unbedingt anlassbezogen. Lange geht es um die Arbeitslosigkeit des Sohnes (»Deswegen wohne ich seit ein paar Jahren auch wieder hier«), die gesundheitlichen Beschwerden der Witwe (»Ich geh nur raus, wenn ich wirklich muss, zum Arzt oder so«) und um Unklarheiten hinsichtlich der Absprachen mit dem Bestatter (»Wir dachten, die kümmern sich um das Kaffeetrinken danach«). Ich frage nach Herrn N.s Berufsleben und mir wird berichtet, wie er oft über Wochen auf Montage war und so das ganze Land bereiste. Harte Arbeit, geringes Einkommen. Immer war das Geld knapp. Hinter den trüben Scheiben einer Vitrine stehen Auszeichnungen und Pokale aus früheren Jahren. »Er war 40 Jahre im Kaninchenzüchterverein. Als Kind bin ich manchmal zu Wettbewerben mitgegangen«, sagt der Sohn. Ich lasse mir einige Auszeichnungen zeigen, außerdem ein Bild von dem Verstorbenen mit seinem »Pracht-Rammler«. »Was glauben Sie, was ihm an seiner Trauerfeier wichtig wäre?«, frage ich. Beide überlegen lange. »Dass jemand vom Verein kommt«, antwortet der Sohn. »Es soll auf jeden Fall so sein wie sonst auch«, wirft die Witwe ein. Aus einer kleinen Auswahl an Trauerversen entscheiden sie sich für Gen 24,56: »Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Lasst mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe.« Alle übrigen gestalterischen Entscheidungen überlassen sie mir: »Sie kennen sich da besser aus. Machen Sie mal ruhig.« Ehe ich mich mit einem Segen verabschiede, telefoniere ich mit dem Bestatter wegen des Kaffeetrinkens und wir finden gemeinsam eine geeignete Lösung. Die Trauerfeier selbst findet einige Tage später als Erdbestattung statt, in kleiner Runde. Das Ganze ist finanziell ein Kraftakt für die Hinterbliebenen, aber es soll ja alles »richtig« sein, betont die Witwe. »Und der Verein hat auch einen Kranz geschickt«, freut sich der Sohn.

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Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem prekären Milieu zugeordnet werden,

gehören häufig zu den sozial Benachteiligten, haben Zukunftsängste und fühlen sich als Opfer des gesellschaftlichen Wandels, sind bemüht, den Anschluss an die bürgerliche Mitte nicht zu verlieren, versuchen, als Überlebenskünstler irgendwie durchzukommen und mitzuhalten, leben dennoch häufig zurückgezogen und für sich, sind überdurchschnittlich häufig alleinlebend (höchster Anteil an Geschiedenen) oder verwitwet, haben meist niedrige Bildungsabschlüsse und sind häufig als Arbeiter und Facharbeiter beschäftigt (höchste Arbeitslosenquote im Milieuvergleich). 9 % der Bevölkerung Altersdurchschnitt 51 Jahre Bestattungsmusik »Amoi seg’ ma uns wieder« (Andreas Gabalier) »Der Weg« (Herbert Grönemeyer) »Candle in the Wind« (Elton John) »Über den Wolken« (Reinhard Mey) »Ein Stern, der deinen Namen trägt« (DJ Ötzi) Bestattung und prekäres Milieu Die Bestattung ist ein familiäres Ereignis, welches durch seinen institutionellen Charakter öffentliche Anerkennung gewährleistet. Die kirchliche Bestattung wird als Teil einer angestrebten »Normalbiographie« angesehen: Wer zur Kirche gehört, der ist nicht ganz außen vor; er gehört dazu. (Gemeinden sollten daher erwägen, in Einzelfällen und aus seelsorglichen Gründen auch Konfessionslosen eine kirchliche Bestattung zu ermöglichen. Für die Angehörigen wäre das ein starkes Signal der Annahme und des »Dazugehörens«.) Gleichzeitig wird der Kontakt zur Kirche als schwierig empfunden, da er in Formen und erwartetem Verhalten überfordernd und fremd wirkt. In Bezug auf die Kirche fühlen sich die Prekären häufig »auf der Schwelle«. Wichtig ist, dass die Trauerfeier genauso »richtig« und »normal« ausfällt, wie die Trauerfeiern der Milieus, an denen sie sich orientieren.

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Der Pfarrer wird als Repräsentant derjenigen Gesellschaft gesehen, um deren Zugehörigkeit sich die Prekären bemühen. Sofern die Bestattung religiös interpretiert wird, wird sie als etwas Tröstliches gedeutet. Es wird mit einem Weiterleben der Verstorbenen im Jenseits gerechnet. Die Erdbestattung stellt nicht selten das (unerschwingliche) Ideal dar, fällt gegenüber der finanziell leichter zu bewältigen Feuerbestattung aber weit zurück. Eine bleibende Herausforderung ist der Umgang mit anonymen Bestattungen, da sie theologisch mit der Unverwechselbarkeit und Wertschätzung jedes Einzelnen vor Gott zu kollidieren drohen. Weit mehr als die Hälfte (ca. 56 %) wählt die vergleichsweise kostengünstige Feuerbestattung; alternative Bestattungs- und Grabarten sind überdurchschnittlich repräsentiert (ca. 15 %). Fast ein Fünftel entscheidet sich für eine anonyme Bestattung, der im Milieuvergleich mit Abstand höchste Anteil. Mehr als die Hälfte gibt max. 3000 € für die Bestattung aus, im Durchschnitt liegt der aufgewendete Betrag bei ca. 3390 €.

»Wir wollen dazugehören.« Dos and Don’ts – Das Werteprofil des prekären Milieus Prekäre tun sich schwer, wenn …

die Sprache unverständlich ist und sie intellektuell überfordert werden, sie das Gefühl haben, sich nicht auszukennen, und fürchten, dadurch vor anderen bloßgestellt zu werden, das Verhalten der Pfarrerin das »Statusgefälle« abbildet, sie überheblich oder belehrend wirkt, sie mit der Organisation und der Gestaltung der Bestattung überfordert oder alleingelassen werden, der Gottesdienst nicht so würdevoll gestaltet ist wie bei »den anderen«. Prekäre freuen sich, wenn …

man ihnen unvoreingenommen und wertschätzend begegnet, das Gespräch umgangssprachlich und lebensweltnah gehalten wird, man ihnen Ängste nimmt und zu erwartende Abläufe und Ordnungen klar benennt, sie Hilfestellungen erhalten (Gestaltungsvorschläge, praktische Tipps, Kontaktvermittlung, ggf. finanzielle Unterstützung).

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Theologische Anknüpfung Die Bestattung hebt die Würde jedes Menschen als individuellem Geschöpf Gottes hervor: Vor Gott sind alle Menschen gleich; er kennt und sieht jeden Einzelnen (Jes 43,1). Die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben korrespondiert in wichtigen Teilen mit der volksfrömmigen Vorstellung eines Übergangs ins Jenseits: der Tod als ein Weg »aus dem Leben in das Leben« (vgl. Joh 12,24). Eng damit verbunden ist der Gedanke der familiären Wiedervereinigung und Versöhnung im Jenseits. Mitunter spielt in den Gesprächen die Hoffnung auf einen »Ausgleich« für die Erfahrung von Benachteiligung, Ungerechtigkeit und Schicksalsschlägen eine Rolle (Offb 21,4): »Dort hat er es jetzt auch besser.« Der Tod stellt eine Bedrohung dar, sofern er als das endgültige Scheitern einer verfehlten Biographie empfunden wird (etwa bei Straffälligkeit, Sucht, manchmal auch Suizid). Die christliche Botschaft der Annahme und Rechtfertigung bietet hier eine echte Chance des Trostes. Sie kann im Gedanken eines möglichen »Neuanfangs« münden (Offb 21,4–5). In konfliktbeladenen Familienkonstellationen (Gewalt, Missbrauch) kann in Einzelfällen und nach sensibler Abwägung der mit dem Tod verbundene Gerichtsgedanke für die Hinterbliebenen hilfreich sein (Mt 3,10–12). »Evangelische Provokationen« Eine Bestattung ist mehr als die Kulisse gesellschaftlicher Teilhabe, sie ist ein Ort echten Trostes, Kontaktfläche für die Botschaft des Evangeliums. De mortibus nihil nisi bene (»Von den Toten soll man nicht schlecht reden«)? Bei aller gebotenen Wertschätzung und Würdigung scheut die christliche Bestattung nicht den »Spagat«, auch Scheitern zur Sprache zu bringen. Rätselhaftes, Schmerzliches oder Unvollendetes sind Teil der Grunderfahrung der Prekären. Dies bereits im Licht der Annahme bei Gott, im Licht der Wiederherstellung und Versöhnung zu thematisieren, hilft, das gelebte Leben der Verstorbenen ernst zu nehmen, ohne es der Bloßstellung preiszugeben.

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Grundsätzlich herrscht eine gewisse Hilflosigkeit in kirchlichen Dingen, und es wird begrüßt, wenn man beratend zur Seite steht und konkrete Vorschläge macht.

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Die Kontaktaufnahme geschieht in der Regel über die Bestatter. Der direkte Kontakt von den Hinterbliebenen zur Pfarrerin ist die Ausnahme. Ein Telefonat mit den Hinterbliebenen sollte möglichst zeitnah im Anschluss an die Benachrichtigung durch das Bestattungsinstitut erfolgen, um Verunsicherungen auf Seiten der Hinterbliebenen zu vermeiden. Beim Telefonat ist es ratsam, Name und Berufsbezeichnung zu nennen. Häufig ist den Betroffenen der Name des Pfarrers nicht geläufig, und so werden Missverständnisse von vornherein vermieden. Bei der Terminvereinbarung kommt man auch auf den Gesprächsort zu sprechen: Manchen Menschen ist ihre Wohnsituation unangenehm, und sie wünschen sich ein Gespräch beim Pfarrer. Hierbei sind zwei Dinge zu bedenken: Zum einen können Pfarrhaus und Dienstzimmer durch ihre Erscheinung das Empfinden der Milieugrenzen verstärken und ggf. einschüchternd wirken. Zum anderen erhält man ein besseres Gespür für die verstorbene Person und ihr Umfeld, wenn man sich vor Ort trifft. Es kann für die Hinterbliebenen entlastend sein, wenn man vorab Verständnis dafür äußert, dass in Zeiten der Trauer die Pflege der Wohnung keine hohe Priorität besitzt. Eine von Seiten der Hinterbliebenen geäußerte Bitte um ein Krankenabendmahl oder eine Aussegnung ist nicht zu erwarten. Doch kann gerade dies der Ort sein, auch das Brüchige einer Biographie Gott anheimzustellen. Eine würdevolle liturgische Abendmahlsfeier (im Talar) bringt zum Ausdruck, dass der Umfang des kirchlichen Begleitangebotes nicht von sozialen Kriterien abhängig ist. Abschied am Sterbebett/Totenbett

schlichte, würdevolle Abendmahlsfeier Ermutigung, auch das Unfertige, Unverrichtete, Unausgesprochene, Unvergebene vor Gott zu bringen, Anleitung zur Beichte, Vergebungszuspruch Vgl. Manfred Seitz, Ermutigung zum Beichten, in: Godzik (Hg.), Sterbebegleitung, 72–74. Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Das Trauergespräch bildet das »Vorzeichen vor der Klammer«, unter dem die Feier selbst empfunden und gedeutet wird: »Werde ich hier ernstgenommen? Oder bin ich wieder nur der kleine Mann?« Eine »gelungene« Trauerfeier ist daher nicht allein eine Frage ihrer liturgischen Qualität, sondern auch eine der Qualität des Kontakts im Trauergespräch. Hier sind besonders die verwendete Sprache, die Körpersprache und die eigene innere Haltung zu beachten. o Es gilt, den Angehörigen Sicherheit zu vermitteln, sich zugewandt zu zeigen und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Dazu gehören auch

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»Kleinigkeiten« wie das Annehmen von Getränken (die Angehörigen spüren, sie können etwas tun; sie bekommen nicht das Gefühl, der Pfarrer will gleich wieder weg oder das Angebot könnte seinen Ansprüchen nicht genügen). Ermutigungen zu Rück- und Verständnisfragen sind ebenfalls wichtige Signale. Oft spürt man Angehörigen im Gespräch die Sorge ab, sie könnten etwas Falsches sagen oder in einem schlechten Licht erscheinen. Der Hinweis, dass nicht alles, was gesagt wird, in der Predigt vorkommen wird, entspannt eine solche Gesprächssituation spürbar. Am Ende des Gesprächs kann man eine kurze Zusammenfassung anbieten, die Angehörigen um ihr Einverständnis bitten und nach Ergänzungswünschen fragen. Genaue Absprachen zur Liturgie der Feier und der Bestattung sowie die Zusicherung, dass nichts Unerwartetes geschieht, vermitteln Sicherheit. Häufig wird von der Pfarrerin die Leitung des Gesprächs erwartet. Ein gedanklicher »Gesprächsleitfaden« nach dem Schema »Heute – Gestern – Morgen« erweist sich dabei als hilfreich und motiviert zum Erzählen.

Themen des Gesprächs o »heute«: »Wie geht es Ihnen heute?«, »Wie ist es Ihnen seit unserem Telefonat ergangen?« o »gestern«: einfache, konkrete Fragen über die verstorbene Person (»Womit hat er seine Zeit gerne verbracht?« »Hatte er ein Sprichwort, ein Lebensmotto, ein Lieblingslied?«, »Wenn Sie an ihn denken, welches Bild haben Sie vor Augen?«); Bilder vom Verstorbenen, persönliche Gegenstände, Andenken o.ä.; Traueranzeige o »morgen«: konkrete Absprachen hinsichtlich der Gestaltung der Trauerfeier; Vorschläge zu Trauervers und Liedauswahl; konkrete Abläufe besprechen (»Der Bestatter wird Sie hereinrufen, die Orgel beginnt zu spielen und ich trete pünktlich ein. Nach der Beisetzung am Grab stelle ich mich etwas abseits, damit Sie Raum haben, Abschied zu nehmen. Ich bin dort weiter für Sie da, wenn Sie mögen.«); Bedenken thematisieren o zu den Gästen der Trauerfeier: Wer wird erwartet? Wer sollte noch namentlich erwähnt werden? Wer wird nicht kommen? Aus welchen Gründen? o praktische Hilfestellungen (z.B. mietfreie Nutzung des Gemeindehauses für den Beerdigungskaffee); in Einzelfällen Angebot finanzieller Hilfe, falls entsprechende Signale da sind o Einladung zum kommenden Gemeindegottesdienst, verbunden mit dem Hinweis, dass dort der Todesfall in der Gemeinde öffentlich gemacht wird und für den Verstorbenen gebetet wird

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Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

Der äußere Rahmen wird in der Regel von den Angehörigen vorab mit dem Bestattungsinstitut vereinbart. Die so getroffenen Entscheidungen sollten respektiert werden, um die Angehörigen nicht zu verunsichern. In Fällen, in denen sich Angehörige angesichts der getroffenen Vereinbarungen unzufrieden zeigen, kann man ggf. als »Anwalt« für sie eintreten. Die positiven Erfahrungen mit Tauffesten, zu denen sich auch Menschen aus dem prekären Milieu einladen ließen, geben Anlass, sich über ein vergleichbares Format für Trauerfeiern Gedanken zu machen, insbesondere im städtischen Kontext. Dieses Modell beinhaltet die zeitliche und örtliche Zusammenlegung von Trauerfeiern verschiedener Familien, etwa im Gemeindehaus. Dies kann für die Hinterbliebenen eine ganz erhebliche finanzielle Erleichterung bedeuten. Doch wäre es freilich fatal, wenn sich bei einem solchen Modell zusammengelegter Trauerfeiern gerade die problematische finanzielle und familiäre Situation in den Vordergrund spielte und der Eindruck entstünde, man inszeniere ein »Sonderprogramm für die Armen«. An manchen Orten wird regelmäßig zu öffentlichen Trauergottesdiensten eingeladen, in denen Sozialbestattungen und auch anonyme Bestattungen Berücksichtigung finden. Hinterbliebene und Angehörige kommen zusammen, um gemeinsam ihrer Toten zu gedenken. Die Tobiasbruderschaft Göttingen hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu einer würdigen Bestattung von Menschen ohne Angehörige oder eigene Mittel beizutragen. Jeden zweiten Monat findet eine öffentliche Trauerfeier für diejenigen statt, die für ihre Verstorbenen keine eigene Feier durchgeführt haben. Es wurde für diese Anlässen eine »Segensliturgie« entwickelt. Solidarität leben. Die Segensliturgie der Tobiasbruderschaft Göttingen, in: Friedrichs (Hg.), Bestattung, 52–56. www.tobiasbruderschaft.de In einem Werktagsgottesdienst (»Unbekannt«) wird zu einer Trauerfeier für einen Verstorbenen ohne Verwandte und Bekannte eingeladen. In eine kleine Liturgie eingebettet ist eine Runde, in der die Mitfeiernden, die in einem Halbkreis sitzen, von kurzen Begegnungen mit dem Verstorbenen erzählen. Schriftlesung: Joh 5,1–9a Andreas Senn, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 118–120.

Denkbar ist auch, dass eine Gemeinde eine Trauerfeier für Verstorbene, die ansonsten allein und anonym bestattet würden, als Teil ihres öffentlichen Gemeindegottesdienstes, gleichsam »stellvertretend« begeht. Kristian Fechtner, Den Toten Raum geben. Theologische Bemerkungen zur gegenwärtigen Bestattungskultur, Lebendige Seelsorge 59 (2008), 316–320.

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Tonalität der Trauerfeier

Der Gottesdienst muss »richtig« sein. Dabei ist »richtig« kein primär liturgisches Kriterium. Konkrete Vorstellungen hinsichtlich »liturgischer Richtigkeit« sind eher selten. Hier geht es um das Wahr- und ErnstgenommenWerden, um Dinge also, die bereits im Trauergespräch eine Rolle spielen als »Vorzeichen vor der Klammer«. »Bewährt würdig« schlägt »kreativ individuell«. Wiedererkennbarkeit und »Normalität« sind wichtige Kriterien. Klarheit und Verständlichkeit kennzeichnen die Sprache wie auch die liturgischen Abläufen und Ansagen. Zugewandtheit und Wertschätzung sind wichtiger als sprachliche Virtuosität; eine umgangssprachliche Begrüßung willkommener als ein tiefgründiges Zitat. Die Hinterbliebenen sollten als Zeichen der Wahrnehmung und Wertschätzung namentlich genannt werden. Es ist damit zu rechnen, dass es zu Verhalten kommt, das im ersten Moment irritiert (Haustiere werden mit in die Leichenhalle gebracht, die Ansprache wird lautstark kommentiert, Angehörige bleiben auf der Türschwelle stehen und rauchen). Liturgie

Da das »Normale« und »Bewährte« vielen Menschen dieses Milieus als Ideal erscheint, spricht nichts gegen eine Trauerfeier nach klassisch-agendarischem Vorbild. Die Herausforderung besteht darin, diese Formen so zu gestalten, dass sie nicht exkludierend wirken. Das gelingt etwa durch Gebete in möglichst einfacher Sprache, durch alternative Psalmenübersetzungen, ggf. auch durch Hinweise zum Gottesdienstablauf. Klare Signale und Ansagen sind willkommen und vermitteln Sicherheit (z.B. Aufstehen, Setzen, dem Sarg folgen, Aufstellung am Grab). Die Traueransprache achtet auf Klarheit und Verständlichkeit, sie knüpft an Bilder an, die der Trauervers oder die Liedstrophen anbieten. Der Persönlichkeit wird mehr Raum gegeben als den Personendaten; mehr »Wer war er?« als »Was hat er getan?«. Beim Grabritus lohnt der Versuch, diese Sequenz liturgisch zu reduzieren und sie ohne Ringbuch zu halten. Das steigert die »liturgische Präsenz« und fördert den Kontakt zu den Trauernden. Lieder

Hier zeigt sich oftmals folgendes Dilemma: Zu einem »würdigen« und »normalen« Gottesdienst gehören Orgel, Lieder und Gesang dazu – doch immer weniger Menschen sind mit dem kirchlichen Liedgut vertraut. Hier bietet es sich an, Lieder als gesprochenes »voice-over« über die Melodie zu legen. So werden unfreiwillige »Gesangssoli« der Liturgen sowie die »peinliche Stille« eines Instru-

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mentals vermieden. Viele Liedstrophen klassisch-bewährter Lieder bieten Überleitungen zur Verkündigung. Sie bieten Anknüpfungspunkte an die Erfahrung, nicht verstanden zu werden, am Rand zu stehen, schwierige und verwirrende Lebenserfahrungen bewältigen zu müssen. Sie bringen das ambivalente Gefühl zum Ausdruck, »auf der Schwelle« zu sein zwischen widrigen Lebensbedingungen, Schmerz und Verlust einerseits und der Hoffnung auf Gottes Begleitung andererseits. Es werden intuitive Symbole wie Licht und Kerzen verwendet und eine Hoffnungsperspektive auf ein Wiedersehen und auf Versöhnung im Jenseits eröffnet. »Ich möchte’, dass einer mit mir geht, der’s Leben kennt, der mich versteht« (EG 209): »So nimm denn meine Hände« (EG 376) Wenn ich auch gleich nichts fühle / von deiner Macht, / du führst mich doch zum Ziele / auch durch die Nacht. (Strophe 3)

»Von guten Mächten« (EG 652) Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Letzte Reise« So wie T.N. im Leben sein konnte – direkt und gerade heraus –, so klingt auch der Trauervers, der über seinem Lebensende steht: »Haltet mich nicht auf, denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Lasst mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe.« (Gen 24,56) Gerade heraus, so hat er gelebt. Gerade heraus, so ist er auf den Tod zugegangen ist. »Bald werde ich gehen«, so hat er es selbst gesagt. Oft mussten Sie sich verabschieden, wenn er wieder auf Montage ging, Frau N. Und so mussten Sie sich auch verabschieden, als er seine letzte Reise kommen sah. In dem Vers, den Sie nun ausgewählt haben, steckt nicht nur die Direktheit von T.N. und das zupackende Wesen Ihres Mannes und Vaters. In dem Vers steckt auch ganz viel Vertrauen. Vertrauen, dass diese Reise nicht ins Leere läuft. Kein Zug nach nirgendwo, sondern eine Reise hin zu Gott selbst. Hin zu dem, von dem wir kommen. Hin zu dem, der in Jesus den Tod überwunden hat. Hin zu dem, der das ewige Leben ist. Gott selbst gibt seine Gnade dazu. Seinen Reisesegen sozusagen. Darum steckt in diesen Worten so große Zuversicht. Was bedeutet das für Sie als Angehörige? Nun, Sie können T.N. auf seiner letzten Reise nicht begleiten. Sie müssen Abschied nehmen. Es ist aber ein Abschied, der Sie nicht mit leeren Händen zurücklässt. Er lässt lebendige Erinnerungen zurück, Erinnerungen an ein Leben mit T.N. Und er lässt uns hoffen: Wir nehmen Abschied in der Hoffnung, dass die Reise von T.N. [die rechte Hand ausstrecken und öffnen] und die unsrige [die linke Hand ausstrecken und

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öffnen] im selben Ziel münden [Hände zueinander führen]: in Gottes Hand, in seiner Liebe und Barmherzigkeit. Wir nehmen Abschied in der Hoffnung, dass es, wie nach einer langen Reise, ein Wiedersehen gibt. Mit großer Freude, mit Freudentränen, frohem Herz und langen Umarmungen – und wo nötig, auch mit versöhnlichen Worten. So steckt in diesem Vers nicht nur Trost für diesen Abschied heute, sondern auch Trost darüber hinaus. Trost für die Tage und Wochen und Monate, die vor Ihnen liegen. Trost für Ihren eigenen Lebensweg. Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit Blick auf diesen Weg dann genauso sagen können: »Der Herr gibt mir Gnade.« Weitere Impulse o »Zufluchtsort namens Gott« (Ps 90,1) – Schwächetod aufgrund von Alkohol und Depressionen Udo Jesberger, in: Domay (Hg.), Beerdigung, 81–83.

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Zum Tod eines Obdachlosen Werner Schellenberg, in: Lachenmann/Kegler (Hg.), Calwer Predigthilfen, 129–134.

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»Raum neben mir, Raum für dich« (Ex 33,21–23) Helmut Herberg, in: Domay (Hg.), Beerdigung, 65–67.

Weiterführung Henning Luthers Warnung vor den »Lügen der Tröster«, vor leeren Floskeln und halbherzigen Tröstungsversuchen, besitzt im Umgang mit Menschen aus dem prekären Milieu besondere Plausibilität. Die kirchliche Praxis der Trauerbegleitung hat sich in diesem Kontext abseits ihrer Kernmilieus auf besondere Weise zu bewähren: durch Wertschätzung, Offenheit, Zugewandtheit und Solidarität. Teilhabe am sozialen Leben der Gemeinde kann dadurch ermöglicht werden, dass die Fähigkeiten und Ressourcen der Menschen wertgeschätzt und für konkrete Projekte angefragt werden, beispielsweise beim Kirchenkaffee in der Gemeinde, beim Verteilen von Flyern oder beim Umbau des Spielplatzes. Angebot einer Erinnerungsstätte bzw. einer Gemeinschaftsgrabanlage auf dem Friedhof, die von der Gemeinde gestaltet und gepflegt wird Trauerbesuch sechs Wochen nach der Bestattung (in Anlehnung an das katholische »Sechswochenamt«)

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Hedonistisches Milieu

»Schau hier, Alder. Da waren wir letzten Winter noch gemeinsam mit dem Snowboard unterwegs. Er hatte die geilsten Tricks drauf. Wart’ – ich hab auch noch’n Video davon. Hier … Bääm, geil was?!« Ich treffe mich mit den beiden besten Kumpels des 18-jährigen Verstorbenen im Innenhof der Berufsschule. Sie erzählen mir von den gemeinsamen Kneipentouren, den Events, dem »Abhängen« an der Halfpipe. Und immer wieder zücken die beiden ihre Smartphones, um mir die Erzählungen mit einem »krassen« Bild oder Video zu untermalen. »Spaß war uns immer das wichtigste, wenn wir zusammen losgezogen sind. Scheiß auf morgen’, hat er immer gesagt, auch, wenn’s unter der Woche mal drei halb vier wurde und wir am nächsten Tag arbeiten mussten. Aber am derbsten waren immer unsere Wochenenden … einmal sind wir nach Berlin getrampt – guck hier, Alder – das war ‘ne richtig geile Party! Da hat er doch die eine kennen gelernt, mit der war er dann paar Monate zusammen, aber es war dann doch ein bisschen weit und außerdem wollte er ja auch nix Festes! Über die Zukunft haben wir nicht so viel geredet. Das war nich so wichtig. Hier isser mit seinem Motorrad. Als er den Führerschein endlich hatte, das war schon was. War sein ganzer Stolz. Und damit durch die Gegend heizen war richtig geil … Jetzt isser weg! Das hat richtig reingehaun. Der Tod ist doch ein beschissener Spaßverderber.«

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10 Hedonistisches Milieu ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

Das Milieu

Kurzcharakteristik Menschen, die dem hedonistischen Milieu zugeordnet werden,

lieben Action und Entertainment, fühlen sich durch das Ungewöhnliche, Provozierende, Extreme angezogen, leben im Hier und Jetzt, lassen sich treiben, verweigern sich den Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft, wollen kreativ sein, sich selbst verwirklichen, ihre Gefühle, Begabungen und Phantasien ausleben, sind konsumorientiert, sind cool, unbekümmert, spontan, leben und inszenieren Widersprüche, haben Spaß an Tabuverletzungen und Provokationen, besitzen untere bis mittlere Bildungsabschlüsse. 15 % der Bevölkerung Altersdurchschnitt 39 Jahre Bestattungsmusik »Nur die Besten sterben jung« (Böhse Onkelz) »Was wirklich bleibt« (Christina Stürmer) »An Tagen wie diesen« (Die Toten Hosen) »Paradies« (Die Toten Hosen) »Stark wie zwei« (Udo Lindenberg) »Wie schön du bist« (Sarah Connor) »Geile Zeit« (Juli) Bestattung und hedonistisches Milieu Im Leben der Hedonisten spielt Kirche normalerweise keine Rolle. Von Kirche wird erwartet, dass sie gegen den Spaß am Leben steht, einengt und langweilt. Diese Befürchtung besteht auch und gerade im Hinblick auf die Bestattungsfeier (Ablehnung von moralischen Urteilen über das Leben in Extremen). Klassische, institutionalisierte Religiosität wird abgelehnt, andererseits besteht durchaus Interesse an esoterischen, »unorthodoxen« Angeboten und Praktiken. Aufgrund der Altersstruktur des Milieus wird es sich sehr häufig um eine krisenhafte Bestattung handeln (Krankheit, Unfall, Suizid). Erinnerungskultur spielt eine untergeordnete Rolle, deshalb soll für die Bestattung »kein Aufwand« getrieben werden.

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Der Anteil der Feuerbestattungen ist der zweithöchste im Milieuvergleich (ca. 59 %), der Anteil der anonymen Bestattungen der dritthöchste (ca. 15 %) und der Anteil der Gräber ohne Grabmal der höchste (ca. 33 %). Kostengünstige Gräber werden bevorzugt (Urnengräber: über 90 %), alternative Bestattungs- und Grabarten hingegen sehr selten gewählt (ca. 9 %). Im Schnitt liegen die Ausgaben bei knapp 3500 €.

»Der Tod ist ein beschissener Spaßverderber!« Dos and Don’ts – Das Werteprofil des hedonistischen Milieus Hedonisten tun sich schwer, wenn …

die Trauerfeier zu steif ist und die Anwesenden unbeteiligt bleiben, die Trauerfeier zu formelhaft (gewöhnlich, bieder) gestaltet wird, die Trauerfeier übermäßig kognitiv und wortlastig gehalten ist, sie den Eindruck gewinnen, dass über das Leben der Verstorbenen ein moralisches Urteil gefällt wird. Hedonisten freuen sich, wenn …

sie ihrer Trauer in Emotionalität und Sinnlichkeit Ausdruck verleihen dürfen und können, die Fülle des Lebens des Verstorbenen gezeigt wird, sie etwas erleben können, Musik gespielt wird, die im Leben der Verstorbenen eine Rolle gespielt hat. Theologische Anknüpfung Für hedonistische Menschen steht das Leben in Fülle im Zentrum ihres Lebens. Anknüpfungspunkt bietet hier die Rede vom ewigen Leben, das Fülle bietet: Jetzt geht der Spaß erst richtig los (Jes 25,6–8: »Das große Freudenmahl«). Hedonisten haben eine ausgeprägte Outdoor-Mentalität. Sie gehen Campen und Zelten (z.B. bei Musikfestivals), fahren Motorrad, treiben Sport. Darin spiegelt sich ihr Streben nach Spontaneität und Ungebundenheit, aber auch nach Abgrenzung gegenüber dem »Bürgerlichen«. Jesu Lebensstil war alles andere als »bürgerlich«: Er hatte keinen festen Wohnsitz, »nichts, wo er sein Haupt hinlege« (Lk 9,58; vgl. Joh 1,14), und doch spricht er davon, dass bei seinem Vater viele Wohnungen sind und er eine Stätte für uns vorbereitet (Joh 14,2f.). Das Bild vom Tod als dem großen »Spaßverderber« (der »letzte Feind« in 1 Kor 15,26) kann für den spaßorientierten Lebensstil hedonistischer Menschen fruchtbar gemacht werden.

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Hedonistische Menschen lehnen mit ihrem Lebensstil das Paradigma einer Leistungsgesellschaft ab. Diese Kritik kann die Bestattungsfeier unterstreichen und deutlich machen: Nicht, was ein Mensch geleistet hat, hat letztlich Bestand, sondern die Zusage Gottes, den Menschen auch im Tod zu halten. Das Ende des Lebens ist für hedonistische Menschen ein radikaler Bruch in ihrem Erwartungshorizont. Dieser Bruch verstärkt die Trauer und braucht Raum zur sprachlichen Entfaltung im Rahmen der Bestattungsfeier. »Evangelische Provokationen« Es gibt mehr als das »Hier und Jetzt«. Diese Provokation, die dem Kasus innewohnt, kann hedonistische Menschen aus dem Zwang, alles jetzt erleben zu müssen, befreien. Am Ende des Lebens wird Bilanz gezogen: Was bleibt, was trägt, was zählt? »Vergiss dabei aber bitte nicht, dass du irgendwann mal alles, was du im Leben gemacht hast, vor Gott verantworten musst« (Pred 11,9 Volxbibel). Der Blick auf den Tod als Ende des irdischen Lebens kann helfen, Leben sinnvoll zu gestalten (Ps 90,12). Für einen Teil der Hedonisten ist die Orientierung am Mainstream wesentlich, für einen anderen Teil ist es gerade wichtig, anders zu sein. Gottes Annahme steht jenseits jeder Logik des Dazugehörens, sie ist bedingungslos.

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Die Bestattung

Auf dem Weg zur Bestattung Annäherungen

Menschen aus dem hedonistischen Milieu haben in den wenigsten Fällen regelmäßigen Kontakt zur Kirchengemeinde. Viele, die der Kirche noch angehören, wurden aber konfirmiert, und sie nehmen für ihre Kinder u.U. auch die Taufe in Anspruch. So bestehen zumindest punktuelle Verbindungen zum kirchlichen Leben. Der so entstandene persönliche Kontakt ist in einer Grenzsituation wie einem Todesfall wertvoll. Bei jüngeren Verstorbenen gab es eventuell Kontakte zu einem Pfarrer, der an der Berufsschule evangelische Religionslehre oder Ethik unterrichtet hat. In diesem Fall sollte unbedingt Kontakt aufgenommen werden, um die Trauerfeier gemeinsam zu gestalten und zu überlegen, wie Mitschüler oder Kollegen seelsorgerlich begleitet werden können. Wird das Trauergespräch mit den Eltern geführt, so ist zu bedenken, dass sie meist aus einem anderen Milieu stammen als die Verstorbene. Es ist im

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Gespräch auszuloten, ob die Trauerfeier eher an den Eltern oder an dem Verstorbenen und dessen sozialen Netz ausgerichtet werden soll. Ein »klassisches« Aussegnungsritual mit Abendmahl ist kaum anschlussfähig an die hedonistische Lebenswelt; eher noch ist eine sehr persönlich formatierte, experimentierfreudige und für spontane Ideen offene Abschiedsfeier am Sarg denkbar, zu der enge Freunde und Angehörige eingeladen werden. Im experimentalistischen Submilieu kann dies auch mystische oder sinnliche Elemente einschließen, die bei einer Feier am späten Abend eine besondere Wirkung entfalten. Abschied am Sterbebett/Totenbett

Musik im Hintergrund zahlreiche Kerzen im Raum aufstellen Gegenstände, die eine Geschichte der Freunde mit dem Verstorbenen symbolisieren, in den Sarg legen (z.B. Jägermeister-Flasche, Fußball-Schal, Modell des Motorrads) den Sarg beschriften, bemalen oder mit Fotofolien bekleben Symbolhandlung (Handauflegung, Bezeichnung mit dem Kreuz) Trauergespräch

Rahmen und Charakter o Die Verweigerungshaltung gegenüber bürgerlichen Konventionen kann sich auch in einem Trauergespräch äußern (man trifft sich in kurzen Hosen im Wintergarten, es wird geraucht, der Fernseher läuft usw.). o Es ist ratsam, auch das Gespräch mit engen Freunden zu suchen, um den Verstorbenen und seine Lebenswelt besser kennen zu lernen. Für dieses Treffen bietet sich ein Ort an, der dem Verstorbenen sehr wichtig war (das Jugendzentrum, der Skaterplatz, der Motorradclub, eine Bank in einem Wald, eine Kneipe), möglicherweise auch zu später Stunde. o Wenn der Verstorbene noch bei seinen Eltern gelebt hat, bietet sich ein Gespräch zu Hause an. Man kann dann auch in sein Zimmer gehen und sich dort über ihn erzählen lassen und sich Bilder und wichtige Gegenstände zeigen lassen. Es muss bedacht werden, dass Eltern von Teenagern und Jugendlichen häufig nur einen begrenzten Einblick in das Leben ihrer (hedonistischen) Kinder haben. o Ging der Verstorbene noch zur (Berufs-)Schule, kann auch dort ein Gespräch mit der ganzen Klasse geführt werden. Stephanie Witt-Loers, Trauernde Jugendliche in der Schule, Göttingen 2013. www.v-r.de (Suchbegriffe: »Trauernde Jugendliche in der Schule«): Liste mit Sach- und Spielfilmen, die sich zum Einsatz in der Schule eignen, inklusive kurzer Inhaltsangabe.

Themen des Gesprächs

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Interesse zeigen am intensiven, erlebnisorientierten, experimentierfreudigen Leben: Wie war der Verstorbene? Was hat ihm im Leben Spaß gemacht? Fotos »mitten aus dem Leben« anschauen, die Geschichten zu den Fotos erzählen lassen (während der Trauerfeier wird eine Slide-Show mit den »Best of«-Fotos präsentiert) die Herausforderungen des alltäglichen Lebens (z.B. berufliche Unsicherheit, Erziehungsfragen), die durch die Erschütterung eines Todesfalls massiv verschärft werden Erwartungen an die Trauerfeier (Konfliktpotentiale zwischen den unterschiedlichen Erwartungen – der Partnerin, den Eltern – ausloten) Bilder und Vorstellungen vom Tod (»mit dem Tod ist sowieso alles aus!«) und die damit verbundene Wahl des Grabes oder der Bestattungsart die Bedeutung der Erinnerung (in einem Milieu mit einem hohen Anteil an anonymen Bestattungen und an Gräbern ohne Grabmal) Musik als zentrales Lebensthema Für Hedonisten spielt Musik eine wichtige Rolle. Sie ist Ausdruck der Fülle des Lebens mit Emotionen und Sinnlichkeit. Wenn es ein passendes Lieblingslied des Verstorbenen gibt, kann dieses gut als Grundlage für den Gottesdienst verwendet werden.

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der Trauer einen Ort geben Der Begeisterung und positiven Emotionen wird freien Lauf gelassen (z.B. im Fußballstadion), doch wohin mit der Trauer? Im Trauergespräch kann eine Form gefunden, wie der Trauer Ausdruck verliehen werden kann (z.B. Ablegen von Steinen, Blumen oder charakteristischen Gegenständen in den Sarg oder vor ein Bild der Verstorbenen).

Gottesdienst und »Grabritus« Rahmen, Ort und Zeit

Um Konflikte zwischen den beteiligten Parteien (Partnerin, soziales Netz, Elterngeneration) zu vermeiden, ist zu erwägen, die Trauerfeier eher an dem Milieu der »Älteren« auszurichten und dann für gleichgesinnte Familienangehörige, Freunde oder Arbeitskollegen eine separate Trauerfeier zu gestalten, die sich an der hedonistischen Ästhetik orientiert. Bei Urnenbestattungen ist es auch denkbar, Trauerfeier und Urnenbeisetzung auf unterschiedliche Stile hin zu konzipieren. Die Bestattung kann am späteren Abend durchgeführt werden, die eigentliche Trauerfeier im Anschluss an einem »mystisch« aufgeladenen Ort (z.B. Klosterkirche, Waldkapelle) oder aber an einem biographisch relevanten Ort (z.B. in der Lieblingskneipe des Verstorbenen).

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Inspiration zu einem ungewöhnlichen Ritual zur Abschiednahme in einer Bar bietet ein Ausschnitt aus dem Film »P.S. Ich liebe dich«. www.youtube.de (Suchbegriffe: »P.S. I love you funeral«)

Keinesfalls sollte die Trauerfeier zu lange dauern. Tonalität der Trauerfeier

Die Sprache des Gottesdienstes ist alltagsnah und verständlich, bilderreich und kraftvoll. Neuere Bibelübersetzungen sind zu bevorzugen (z.B. Volxbibel). Auf dichte, formelhafte Sprache sollte verzichtet werden; auch der »Versuchung«, sich den internen Sprachcodes der Hedonisten anzupassen, ist zu widerstehen. Emotionalität muss ihren Raum haben, wenngleich nicht zu erwarten ist, dass Betroffenheit und Rührung öffentlich gezeigt werden. Die Freude am Leben des Verstorbenen braucht ihren Platz im Gottesdienst. Eine allzu ernste und getragene Trauerfeier widerspricht dem Lebensgefühl eines Hedonisten. Das Abschiednehmen geschieht nicht nur innerlich, sondern wird mit Aktionen verknüpft, die die Anwesenden beteiligen. Liturgie

Milieuspezifische liturgische Elemente o Würdigung des Verstorbenen durch eine mit Musik untermalte Bildpräsentation o Lieblingsmusik des Verstorbenen (laut) abspielen und in einer kurzen Ansprache darauf eingehen Beteiligungsmöglichkeiten o »Ytongsteine« Mit Freunden des Verstorbenen wurden im Vorfeld Ytongsteine gestaltet. Diese werden während der Trauerfeier zu einer Trauerwand neben dem Sarg aufgebaut. Vgl. Stephanie Witt-Loers, Trauernde Jugendliche in der Schule, Göttingen 2013, 111.

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Erinnerungsgegenstände ausstellen Bei einem leidenschaftlichen Motorradfahrer beispielsweise wird sein Motorrad vor der Trauerhalle aufgestellt. Freunde können daran Erinnerungsstücke hängen. Zu bedenken ist bei solchen Aktionen: Was passiert mit den Dingen danach? Von einem Erinnerungskunstwerk (wie dem Motorrad) könnte ein Foto gemacht werden. Die Erinnerungsgegenstände könnten dann in einer Kiste an einem Ort vergraben werden, an dem die Freunde sich immer getroffen haben. Bei einer Trauerfeier an einem besonderen Ort (z.B. Kneipe) bzw. bei einer Feier im kleinsten Kreis kann das Aufstellen oder Aufhängen des Erinnerungsstückes mit dem Erzählen einer kurzen Anekdote verbunden werden.

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Lieder

Hedonisten sind mit kirchlichem Liedgut wenig bis gar nicht vertraut. Vielleicht gibt es aber ein Lied aus der Konfirmandenzeit, das dem Verstorbenen wichtig war. Hat der Verstorbene Kinder und wurden sie getauft, mag ein Lied aus dem Taufgottesdienst noch in Erinnerung sein. Ansonsten kann auch auf eingespielte Lieder, evtl. untermalt mit Bildern, zurückgegriffen werden. Textbausteine für eine Bestattungsansprache

»Probier dich aus!« Vor der Ansprache wird eine Bildershow mit Musik gezeigt, die wichtige Stationen und Erlebnisse des jungen Verstorbenen (18 Jahre) in Erinnerung ruft. Spaß haben. Das Leben spüren. So haben Sie, so habt Ihr H. erlebt. Und so haben wir es gerade in den Bildern gesehen. Gemeinsam hattet ihr viel Spaß, ob mit dem Snowboard, auf der Halfpipe oder seit kurzem mit dem Motorrad. Wenn ich die Fülle an Spaß in H.s kurzem Leben sehe, denke ich an einen Satz aus der Bibel – im Buch Prediger. Dort heißt in einer alten Übersetzung: »Du junger Mensch, genieße deine Jugend, und freu dich in der Blüte deines Lebens! Tu, was dein Herz dir sagt und was deinen Augen gefällt!« (Pred 11,9). Ihr habt gesagt, ihr würdet es ungefähr so ausdrücken: »Hey, Kid! Ich mein jetzt alle Jugendlichen: Freu dich am Leben und hab Fun! Du kannst echt glücklich sein, solange du noch jung bist. Deshalb mach das, worauf du Bock hast. Probier dich aus!« Diese Übersetzung ist der Volxbibel entnommen. Da sich die Sprache der Jugendlichen schnell ändert, kann sie im Vorfeld als Gesprächsgrundlage dienen und in der Vorbereitung gemeinsam mit den Freunden – auch unter Berücksichtigung vom Schluss des Verses! – umformuliert werden. Dieser Satz passt zu H.s Leben. Er öffnet die Augen für alles Schöne was Sie, liebe Eltern, was ihr, liebe Freunde gemeinsam mit H. erlebt habt. Einiges davon habt ihr mir erzählt. Behaltet es in guter Erinnerung. Und trotzdem gilt auch das andere: H. ist nicht mehr da. Er fehlt. Sein Tod lässt uns als Traurige zurück. Und er stellt uns die Frage: Was bleibt? Was bleibt, wenn ein Mensch nicht mehr da ist? Liedeinspielung Christina Stürmer »Was wirklich bleibt« Was wirklich bleibt – das ist für mich als Christ nicht nur ein Blick zurück. Die Bibel erzählt davon, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Ja mehr noch: Der Spaß geht erst richtig los, wenn das Leben auf dieser Welt schon zu Ende ist. Nachzulesen im Buch Jesaja. Dort schwärmt einer von einem großen Fest, das am Ende der Welt auf einem Berg stattfinden wird (Jes 25,6–8): Die besten Ge-

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tränke werden ausgeschenkt. Alle Menschen können sich geben, wie sie wirklich sind. Keiner wird weggeschickt, weil er nicht cool genug ist. Das Größte wird sein: Wir werden sehen, wie Gott wirklich ist. Es wird sich zeigen, dass Gott kein Spaßverderber ist, wie es viele von ihm denken. Er ist ein Gott, der das pralle Leben liebt. Deshalb beseitigt er auch den Tod und damit alle Schmerzen. In diesem Bibeltext steht, dass die Menschen, denen es auf der Erde dreckig ging und die trotzdem ihre Hoffnung auf Gott gesetzt haben, sagen werden: »Ja, das ist unser Gott! Auf ihn haben wir immer unsere Hoffnung gesetzt, wir hatten gehofft, dass er uns hier rausholt. Jetzt ist er da, unser Gott, mit ihm haben wir gerechnet. Jetzt können wir uns nur noch freuen, weil er uns gerettet hat!« Das ist mein Glaube als Christ: Gott ist ein Gott, der Leben im Überfluss schenkt. Der Tod kommt mir in diesem Leben wie ein großer Spaßverderber vor. Aber Gott hat ihn besiegt. Darauf können wir vertrauen. Weitere Impulse o »PlayStation« Die Freunde erklären das Lieblingsspiel des Verstorbenen (evtl. wird eine Demo-Szene eingespielt). Was ist die Aufgabe in diesem Spiel? Was sind die Herausforderungen? Was ist das Ziel? Dies kann als Grundlage für eine Ansprache über Aufgaben, Herausforderungen und Ziel des Lebens dienen.

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»Celebrity« Musik- und Film-Stars spielen im Leben der Hedonisten eine große Rolle. Wir verfolgen auf Websites, Youtube und sozialen Netzwerken ihr Leben und Tun. Wir orientieren uns an ihnen, wollen so sein wie sie. Und doch bleiben sie uns in gewisser Weise fern. Interessieren sie sich auch für uns? Jesus sagt: »Wenn ihr mein Leben und Tun verfolgt, wenn ihr mir nachfolgt und euch an mir orientiert, werde ich euch Leben in Fülle zeigen.«

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der »neue Leib der Auferstehung« (1Kor 15,35–49) Jugendlichkeits- und Body-Kult spielen eine große Rolle (Solarium, Kosmetik, Friseur, Kleidung, Tattoos). Dieses Themenfeld bietet sowohl Anknüpfung als auch Provokation: Der Körper als Tempel des Geistes, die Vergänglichkeit des Köpers, die leibliche Auferstehung mit einem neuen Körper.

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»das Experiment« Hedonisten sind sehr experimentierfreudig. Anknüpfung: Einmal so leben, als ob es Gott wirklich gibt. Einmal so leben, als ob es ein ewiges Leben bei Gott gibt. Einmal so leben, als ob ich von Gott alles erwarte. Gott verspricht demjenigen, der das tut, dass er in eine völlig neue Lebensdimension eintaucht (vgl. Jer 29,11–14a).

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»Gestillter Lebensdurst« (Joh 4,5–14) Stefan Lerpe, in: Warzecha (Hg.), Du hast Worte ewigen Lebens, 32–34. [Diese Ansprache entspricht nicht unbedingt dem Stil von Hedonisten. Sie könnte aber Angehörigen der Verstorbenen helfen, deren Lebensthema zu begreifen.]

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Texte von Schülern zum Thema Sterben und Tod Gerd Felder (Hg.), Leben bis zuletzt. Schüler-Texte über Sterben und Tod, Dülmen 2011.

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»Er denkt daran, wir sind nur Staub« (Ps 103,14) – Tod eines drogenabhängigen und HIV-positiven Mannes

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Alligatoah, »Trauerfeier«

Petrus Ceelen, in: Voigt (Hg.), Trauer und Abschied, 104–106. Eine ironische und doch tiefsinnige »Preview« des Protagonisten (d.h. des Sängers der Band Alligatoah) auf seine eigene Trauerfeier.

Weiterführung Da sich Menschen aus dem hedonistischen Milieu der Zugang zur Erinnerungskultur und Trauer nur mühsam erschließt, sind milieuspezifische und möglichst »barrierefreie« Hilfen dazu von großer Bedeutung. Einladungen zu kirchlichen Veranstaltungen, die über die üblichen Organe verbreitet werden (z.B. Gemeindebrief), werden meistens ungelesen weggeworfen. Kirche und deren Amtsträger gelten gemeinhin als »Spaßbremse«; daher muss überlegt werden, ob die Kontaktpflege und weitere Begleitung an Gemeindeglieder aus dem hedonistischen oder angrenzenden Milieus übertragen werden kann. Hinweis auf Trauerportale und Gedenkseiten im Internet mit der Möglichkeit, online zu kondolieren oder Kerzen zu entzünden www.doch-etwas-bleibt.de www.allesistanders.de www.klartext-trauer.de

Treffen einige Wochen nach der Trauerfeier Wurde die Trauerfeier oder das Trauergespräch in einem besonderen Rahmen gestaltet (bspw. Lieblingskneipe), kann anknüpfend daran ein Gesprächsangebot an diesem Ort gemacht werden.

Kontaktpflege über soziale Netze Besteht zu Freunden des Verstorbenen Kontakt über Facebook oder Whatsapp, kann man mit ihnen relevante Videos oder auch kurze Texte teilen, die an die Trauerfeier und den Todesfall anknüpfen (nach dem Motto: »Habe ich gerade entdeckt und musste an euch denken …«).

Spendenaktion Wenn der Verstorbene durch eine bestimmte Krankheit oder durch Suizid gestorben ist, könnte eine gemeinsame Spendenaktion für ein Jugendhospiz oder Vereine zur Hilfe rund um Suizid veranstaltet werden. Die Jugendlichen könnten z.B. einen Videoclip gestalten und dann eine Kampagne über soziale Netzwerke starten. Vgl. Stephanie Witt-Loers, Trauernde Jugendliche in der Schule, Göttingen 2013, 110.

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Auswahlbibliographie

Zum Sinus-Milieu-Ansatz Bertram Barth / Bodo Flaig, Was sind Sinus-Milieus? Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Fundierung und Praxisrelevanz eines Gesellschaftsmilieus, in: Peter Martin Thomas / Marc Calmbach (Hg.), Jugendliche Lebenswelten. Perspektiven für Politik, Pädagogik und Gesellschaft, Berlin/Heidelberg 2013, 11–32 Nicole Burzan, Lebensstile und Milieus, in: Heinz Abels / Werner Fuchs-Heinritz / Wieland Jäger / Uwe Schimank (Hg.), Soziale Ungleichheit. Eine Einführung in die zentralen Theorien, Wiesbaden 2004, 114–134 Bodo Flaig / Thomas Meyer / Jörg Uelzhöffer, Alltagsästhetik und politische Kultur. Zur ästhetischen Dimension politischer Bildung und politischer Kommunikation, Bonn 31997

II Sinus-Kirchen-Studien 1 Sinus-Studien für die katholische Kirche Marc Calmbach / Peter Martin Thomas / Inga Borchard / Bodo Flaig, Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14–17 Jahren in Deutschland. Sinus-Jugendstudie im Auftrag der Bischöflichen Medienstiftung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, Misereor und dem Südwestrundfunk, Düsseldorf 2012 MDG-Milieuhandbuch 2013. Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus, im Auftrag der MDG Medien-Dienstleistung GmbH, Heidelberg/ München 2013 MDG-Trendmonitor »Religiöse Kommunikation«. Ergebnisse zur Situation von Kirche und Glaube sowie zur Nutzung medialer und personaler Informations- und Kommunikationsangebote der Kirche im Überblick. Ergebnisse repräsentativer Befragungen unter Katholiken, Berlin 2010 Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus. Forschungsergebnisse von Sinus Sociovision für die Publizistische Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und die Koordinierungsstelle Medien. Eine qualitative Studie im Auftrag der Medien-Dienstleistung GmbH, München 2005 Carsten Wippermann / Marc Calmbach, Wie ticken Jugendliche? (hg. vom Bund der deutschen katholischen Jugend & Misereor), Düsseldorf 2008

Auswahlbibliographie

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2 Sinus-Studien für evangelische Kirchen Brücken und Barrieren auf dem Weg in die Evangelische Jugendarbeit. Eine qualitative Studie des Sinus-Instituts für das Evangelische Jugendwerk Württemberg sowie die Evangelischen Kirchen Baden und Württemberg, Heidelberg/Berlin, September 2012 Roland Diethelm / Matthias Krieg / Thomas Schlag (Hg.), Lebenswelten. Modelle kirchlicher Zukunft. Orientierungshilfe, Zürich 2012 Reformierte Kirche Kanton Zürich und Sinus-Institut Heidelberg/Berlin, Lebensweltliche, religiöse und kirchliche Orientierungen im Kanton Zürich, Zürich 2012

III Basis-Literatur zur kirchlichen Milieuforschung 1 Katholische Theologie und Kirche Michael N. Ebertz / Hans-Georg Hunstig (Hg.), Hinaus ins Weite. Gehversuche einer milieusensiblen Kirche, Würzburg 22008 Michael N. Ebertz / Bernhard Wunder (Hg.), Milieupraxis. Vom Sehen zum Handeln in der pastoralen Arbeit, Würzburg 2009 Matthias Sellmann, Zuhören, Austauschen, Vorschlagen. Entdeckungen pastoraltheologischer Milieuforschung, Würzburg 2012 Matthias Sellmann / Gabriele Wolanski (Hg.), Milieusensible Pastoral. Praxiserfahrungen aus kirchlichen Organisationen, Würzburg 2013 2 Evangelische Theologie und Kirche Friederike Benthaus-Apel, Lebensstilspezifische Zugänge zur Kirchenmitgliedschaft, in: Wolfgang Huber u.a. (Hg.), Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge. Die vierte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 2006, 205–235 Claudia Schulz / Eberhard Hauschildt / Eike Kohler, Milieus praktisch. Analyse- und Planungshilfen für Kirche und Gemeinde, Göttingen 2008 Claudia Schulz / Eberhard Hauschildt / Eike Kohler, Milieus praktisch II. Konkretionen für helfendes Handeln in Kirche und Diakonie, Göttingen 32010 Heinzpeter Hempelmann, Gott im Milieu. Wie Sinusstudien der Kirche helfen können, Menschen zu erreichen, Gießen 22013 Heinzpeter Hempelmann, Kirche im Milieu. Die Sinus-Kirchenstudie »Evangelisch in Baden und Württemberg«. Ergebnisse + Impulse für den Gottesdienst, Gießen 2013 Heinzpeter Hempelmann / Benjamin Schließer / Corinna Schubert / Markus Weimer, Handbuch Taufe. Impulse für eine milieusensible Taufpraxis, Kirche und Milieu 1, Neukirchen-Vluyn 2013

IV Bestattungs- und Trauerkultur in Theologie und Kirche Cäcilie Blume, Populäre Musik bei Bestattungen. Eine empirische Studie zur Bestattung als Übergangsritual, Praktische Theologie heute 137, Stuttgart 2014

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Auswahlbibliographie

Karl-Heinz Fix / Ursula Roth (Hg.), Lebensvergewisserungen. Erkundungsgänge zur gegenwärtigen Bestattungs- und Trauerkultur in Kirche und Gesellschaft, Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 2/2007, Gütersloh 2014 Hans-Martin Gutmann, Mit den Toten leben – eine evangelische Perspektive, Gütersloh 2002 Thomas Klie (Hg.), Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung, Stuttgart 2008 Thomas Klie / Martina Kumlehn / Ralph Kunz / Thomas Schlag (Hg.), Praktische Theologie der Bestattung, Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs 17, Berlin 2015 Kerstin Lammer, Trauer verstehen. Formen, Erklärungen, Hilfen, Berlin 42014 Petra Rechenberg-Winter / Monika Müller (Hg.), Rituale – zwischen Pathos und Folklore, Leidfaden 2013/1, Göttingen 2013 Reiner Sörries, Herzliches Beileid. Eine Kulturgeschichte der Trauer, Darmstadt 2012 Reiner Sörries, Vom guten Tod. Die aktuelle Debatte und ihre kulturgeschichtlichen Hintergründe, Kevelaer 2015 Eberhard Winkler (und Ottfried Jordahn), Die Bestattung – Geschichte und Theologie, in: Hans-Christoph Schmidt-Lauber / Karl-Heinrich Bieritz (Hg.), Handbuch der Liturgik, Leipzig 32003, 531–550

V Praxisbücher, Materialsammlungen und Werkbücher zur Bestattung Erhard Domay (Hg.), Beerdigung. Trauerfeiern, Ansprachen, liturgische Stücke und Anregungen, Güterloh 2002 Lutz Friedrichs (Hg.), Bestattung. Anregungen für eine innovative Praxis, Göttingen 2013 Peter Godzik (Hg.), Sterbebegleitung – herzlich und zugewandt: Mit zahlreichen praktischen Hilfen, Rosengarten bei Hamburg 2012 Roland Kachler, Meine Trauer wird dich finden. Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit, Freiburg i.Br. 122012 Hans Lachenmann / Jürgen Kegler (Hg.), Calwer Predigthilfen. Beerdigung, Stuttgart 2000 Frank Maibaum, Das Abschiedsbuch. Trost erfahren, Trost spenden, die Trauerfeier gestalten, Lüneburg 22015 Fritz Roth / Georg Schwikart (Hg.), Nimm den Tod persönlich. Praktische Anregungen für einen individuellen Abschied, Gütersloh 2009 Ulrike Voigt (Hg.), Trauer und Abschied. Das große Werkbuch für Gottesdienst und Gemeinde, Ostfildern 2010 Adrian Warzecha (Hg.), Du hast Worte ewigen Lebens. Neue Traueransprachen, Ostfildern 22013 Stephanie Witt-Loers, Trauernde Jugendliche in der Schule, Göttingen 2013

Beteiligte

Ulrike Beichert Pfarrerin, Leiterin der Arbeitsstelle Gottesdienst im Referat Verkündigung in Gemeinde und Gesellschaft im Ev. Oberkirchenrat der Ev. Landeskirche in Baden Michael Born Pfarrer in Laufenburg (Ev. Landeskirche in Baden) Reiner Braun Dr. theol., Pfarrer in Dautphe (Ev. Kirche in Hessen und Nassau), Lehrbeauftragter für Hessische Kirchengeschichte an der Johannes Gutenberg Universität Mainz Christoph Doll Pfarrer an der Leonhardskirche in Stuttgart (Ev. Landeskirche in Württemberg) Ulrich Heckel Dr. theol., Pfarrer, Oberkirchenrat der Ev. Landeskirche in Württemberg und Leiter des Dezernats Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche im Ev. Oberkirchenrat der Ev. Landeskirche in Württemberg, apl. Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen Rainer Heimburger Pfarrer, Dekan im Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald (Ev. Landeskirche in Baden) Heinzpeter Hempelmann MA, Dr. theol., Pfarrer, Wissenschaftlicher Referent für Fragen der Lebensweltforschung und Kulturhermeneutik im Oberkirchenrat der Ev. Landeskirche in Württemberg, Honorarprofessor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie/Kulturhermeneutik an der EHT, Marburg, und IHL, Liebenzell

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Beteiligte

Dirk Kellner Dr. theol., Pfarrer in Steinen (Ev. Landeskirche in Baden) Wolfram Kerner Dr. theol., Pfarrer in Fußgönheim und Schauernheim (Ev. Kirche der Pfalz) Kolja Koeniger Pfarrer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung an der Universität Greifswald Matthias Kreplin Dr. theol., Pfarrer, Oberkirchenrat der Ev. Landeskirche in Baden und Leiter des Referats Verkündigung in Gemeinde und Gesellschaft im Ev. Oberkirchenrat der Ev. Landeskirche in Baden Cornelius Küttner Pfarrer in Merklingen (Ev. Landeskirche in Württemberg) Fritz Lienhard Dr. theol., Pfarrer, Professor für Praktische Theologie (Pastoraltheologie und Kirchentheorie) an der Universität Heidelberg Steffen Malich M.A. in Soziologie, 2014–2015 Assistent am Tangens-Institut für Kulturhermeneutik und Lebensweltforschung Alexander Philipp Doktorand an der Universität Greifswald (zurzeit von der Ev. Landeskirche in Baden beurlaubt) Benjamin Schließer M.Th., Ph.D., außerordentlicher Professor für Neues Testament am Institut für Neues Testament an der Universität Bern Corinna Schubert Dipl.-Theol., Doktorandin an der Universität Tübingen Bettina Schwentker Pfarrerin im Schuldienst in Freiburg und Staufen Reiner Sörries Dr. theol., Pfarrer, Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel und apl. Professor für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte an der Universität Erlangen

Beteiligte

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Sebastian Steinbach Pfarrer in Hirsau (Ev. Landeskirche in Württemberg) Kurt Stier Bestattungsunternehmer, Mitinhaber der Trauerhilfe Stier in Karlsruhe Markus Weimer M.Th., Pfarrer in Böhringen (Ev. Landeskirche in Baden), Doktorand an der Universität Greifswald Tobias Weimer Pfarrer im Ev. Medienhaus Stuttgart (Ev. Landeskirche in Württemberg), Doktorand an der Universität Tübingen Birgit Weyel Dr. theol., Professorin für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Seelsorgelehre und Pastoraltheologie an der Universität Tübingen Frank Zeeb Dr. theol., Pfarrer, Kirchenrat im Dezernat Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche im Ev. Oberkirchenrat der Ev. Landeskirche in Württemberg

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Die erste Wiese für die Verstreuung von Aschen Verstorbener wurde 1986 auf dem Westfriedhof in Rostock eingerichtet, Foto: Sörries Abb. 2: Der Verein Memento e.V. richtete 1995 auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg die erste Gemeinschaftsgrabstätte für Menschen ein, die an AIDS verstorbenen sind, Foto: Lutz Rehkopf – Hamburger Friedhöfe AöR Abb. 3: Todesanzeige für einen schwulen Verstorbenen in einem Berliner Szenemagazin (2006), Foto: Archiv Museum für Sepulkralkultur Kassel Abb. 4: AIDS-Gemeinschaftsgrab auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin, Foto: Sörries Abb. 5: Das Werk »Schilder« von Karolin und Daniel Bräg verwies bereits 2000 auf die wachsende Bedeutung von Gruppen- und Gemeinschaftsgräbern, Foto: Sörries Abb. 6: Gemeinschaftsgrabstätte für Sternenkinder auf dem Friedhof an der Marienburg in Coesfeld, Foto: Sörries Abb. 7: Inschrift an der Gemeinschaftsgrabstätte St. Michaelis auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg, Foto: Lutz Rehkopf Abb. 8: 2001 wurde der erste Friedwald Deutschlands im Reinhardswald bei Kassel eröffnet, Foto: Sörries Abb. 9: Mit der Kampagne »Es lebe der Friedhof« warben die Friedhofsgärtner für eine personenbezogene Grabbepflanzung, Foto: © Bund deutscher Friedhofsgärtner im Zentralverband Gartenbau e. V., Bonn Abb. 10: Krematorium Baumschulenweg in Berlin, fertig gestellt 1999, Foto: wikimedia commons gemeinfrei Abb. 11: Gräberfeld für Yeziden auf dem Friedhof Hannover-Lahe, eröffnet 1989, Foto: Sörries Abb. 12: Die Kirche St. Joseph in Aachen wurde 2006 zur Urnenkirche umgestaltet, Foto: Maxgreene – wikimedia commons gemeinfrei Abb. 13: Plan des Naturfriedhofes »Garten des Friedens« in Fürstenzell bei Passau, Foto: © Naturfriedhof »Garten des Friedens« GmbH & Co. KG, Fürstenzell Abb. 14: Grabfeld für die Anhänger des Fußballvereins HSV in Hamburg, eröffnet 2008, Foto: Sörries Abb. 15: Gemeinschaftsgrabstätte des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf dem Friedhof Heerstraße in Berlin, Foto: Sörries Abb. 16: Mit dem Grabfeld der SAPPhO-Stiftung auf dem Friedhof GeorgenParochial I in Berlin Prenzlauer Berg wurde 2014 die erste Begräbnisstätte für lesbische Frauen eingerichtet, Foto: Sörries Abb. 17: Grabfeld »Schiefe Kiefer« für die Mitglieder von FrauenWohnen e.G. auf dem Friedhof München-Riem, Foto: Gerold Eppler Abb. 18: Mustergrab auf dem Friedhof »Unser Hafen« in Braubach, der seit 2015 gemeinsame Bestattungen für Mensch und Tier anbietet, Foto: © Deutsche Friedhofsgesellschaft mbH, Bonn

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Abb. 1: Die erste Wiese für die Verstreuung von Aschen Verstorbener wurde 1986 auf dem Westfriedhof in Rostock eingerichtet, Foto: Sörries

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Abb. 2: Der Verein Memento e.V. richtete 1995 auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg die erste Gemeinschaftsgrabstätte für Menschen ein, die an AIDS verstorbenen sind, Foto: Lutz Rehkopf – Hamburger Friedhöfe AöR

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Abb. 3: Todesanzeige für einen schwulen Verstorbenen in einem Berliner Szenemagazin (2006), Foto: Archiv Museum für Sepulkralkultur Kassel

Abb. 4: AIDS-Gemeinschaftsgrab auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin, Foto: Sörries

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Abb. 5: Das Werk »Schilder« von Karolin und Daniel Bräg verwies bereits 2000 auf die wachsende Bedeutung von Gruppen- und Gemeinschaftsgräbern, Foto: Sörries

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Abb. 6: Gemeinschaftsgrabstätte für Sternenkinder auf dem Friedhof an der Marienburg in Coesfeld, Foto: Sörries

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Abb. 7: Inschrift an der Gemeinschaftsgrabstätte St. Michaelis auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg, Foto: Lutz Rehkopf

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Abb. 8: 2001 wurde der erste Friedwald Deutschlands im Reinhardswald bei Kassel eröffnet, Foto: Sörries

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Abb. 9: Mit der Kampagne »Es lebe der Friedhof« warben die Friedhofsgärtner für eine personenbezogene Grabbepflanzung, Foto: © Bund deutscher Friedhofsgärtner im Zentralverband Gartenbau e.V., Bonn

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Abb. 10: Krematorium Baumschulenweg in Berlin, fertig gestellt 1999, Foto: wikimedia commons gemeinfrei

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Abb. 11: Gräberfeld für Yeziden auf dem Friedhof Hannover-Lahe, eröffnet 1989, Foto: Sörries

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Abb. 12: Die Kirche St. Joseph in Aachen wurde 2006 zur Urnenkirche umgestaltet, Foto: Maxgreene – wikimedia commons gemeinfrei

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Abb. 13: Plan des Naturfriedhofes »Garten des Friedens« in Fürstenzell bei Passau, Foto: © Naturfriedhof »Garten des Friedens« GmbH & Co. KG, Fürstenzell

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Abb. 14: Grabfeld für die Anhänger des Fußballvereins HSV in Hamburg, eröffnet 2008, Foto: Sörries

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Abb. 15: Gemeinschaftsgrabstätte des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf dem Friedhof Heerstraße in Berlin, Foto: Sörries

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Abb. 16: Mit dem Grabfeld der SAPPhO-Stiftung auf dem Friedhof GeorgenParochial I in Berlin Prenzlauer Berg wurde 2014 die erste Begräbnisstätte für lesbische Frauen eingerichtet, Foto: Sörries

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Abb. 17: Grabfeld »Schiefe Kiefer« für die Mitglieder von FrauenWohnen e.G. auf dem Friedhof München-Riem, Foto: Gerold Eppler

Abb. 18: Mustergrab auf dem Friedhof »Unser Hafen« in Braubach, der seit 2015 gemeinsame Bestattungen für Mensch und Tier anbietet, Foto: © Deutsche Friedhofsgesellschaft mbH, Bonn